Der Parlamentarische Rat 1948-1949: BAND 14 Hauptausschuß 9783486702316, 9783486565645

Am 1. September 1948 konstituierte sich in Bonn der Parlamentarische Rat. In sechs Fachausschüssen wurden die einzelnen

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Der Parlamentarische Rat 1948-1949: BAND 14 Hauptausschuß
 9783486702316, 9783486565645

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Der Parlamentarische Rat 1948 –1949 Band 14

Der Parlamentarische Rat 1948 –1949 Akten und Protokolle

herausgegeben

vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv

unter Leitung von

Horst Risse und Hartmut Weber

Der Parlamentarische Rat 1948 –1949 Akten und Protokolle

Band 14

Hauptausschuß

bearbeitet von Michael F. Feldkamp Teilband I

R. OLDENBOURG VERLAG MÜNCHEN 2009

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnd.d-nb.de abrufbar

© 2009 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 Münchenhttp:/www.oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und die Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht) Satz: Schmucker-digital, Feldkirchen bei München Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Bindung: Buchbinderei Klotz, Jettingen-Scheppach ISBN 3-486-56564-5

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konstituierung des Hauptausschusses . . . . . . . . . . . 3. Die Mitglieder des Hauptausschusses . . . . . . . . . . . 4. Zum Selbstverständnis und zu den Aufgaben des Hauptausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Besonderheiten des Hauptausschusses . . . . . . . . . . . 6. Der Allgemeine Redaktionsausschuß . . . . . . . . . . . . 7. Die Beratungen des Grundgesetzentwurfes . . . . . . . . Die erste Lesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die zweite Lesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die dritte Lesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die vierte Lesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Besondere Beratungsthemen außerhalb der eigentlichen Grundgesetzberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Einrichtung der Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seite VII

. . . .

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IX IX IX X

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XV XVII XIX XX XX XXII XXIV XXV

. . . . . . . . . .

XXVI XXVII

Verzeichnis der Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXXI

Dokumente Nr. 1–59 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Anlagen 1. Konkordanz der Seiten in der Druckausgabe „Verhandlungen des Hauptausschusses“ und der Seiten der vorliegenden Edition . . . 2. Zeittafel. Zugleich ein Findmittel zu den Aufzeichnungen und Protokollen der Grundgesetzberatungen im Parlamentarischen Rat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1897

Verzeichnis der Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1929

Verzeichnis der ungedruckten Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1931

Verzeichnis der gedruckten Quellen und Literatur. . . . 1. Dokumentationen, Dokumentensammlungen . . . 2. Amts- und Gesetzblätter sowie Gesetzesausgaben. 3. Memoiren und Darstellungen . . . . . . . . . . . .

1933 1933 1935 1935

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1889

V

Inhaltsverzeichnis Personenindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1939

Sachindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1947

VI

Vorwort des Herausgebers

VORWORT DER HERAUSGEBER

Sechzig Jahre nach Verkündung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 wird mit der vorliegenden Veröffentlichung der Protokolle des Hauptausschusses die vor 35 Jahren vom Deutschen Bundestag initiierte und gemeinsam mit dem Bundesarchiv herausgegebene Reihe „Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle“ abgeschlossen. Vierzehn Bände in siebzehn Teilbänden mit einem Gesamtumfang von über 11000 Druckseiten liegen nun vor. Die Kernüberlieferung des Parlamentarischen Rates ist damit in ihrer Gänze wissenschaftlich aufbereitet. Anläßlich des Erscheinens des ersten Bandes dieser Edition mußte der damalige Präsident des Bundesarchivs Hans Booms noch im Jahre 1974 bedauernd feststellen, daß die historische Wissenschaft aufgrund der schwierigen Quellenbasis „insbesondere die Arbeit des Parlamentarischen Rates für das Zustandekommen der Bundesrepublik Deutschland und für das Grundgesetz bisher nur selten bewertet und ausreichend gewürdigt“ hatte. Die dieser Beobachtung zugrundeliegende Situation hat sich seitdem, auch gefördert durch das Erscheinen der vorliegenden Editionsbände, grundlegend verändert: Eine Vielzahl von historischen Untersuchungen – Monographien wie Zeitschriftenaufsätze – sind zwischenzeitlich zu diesem Themenbereich publiziert worden. Neben dem wissenschaftlichen Zweck wolle die Reihe, so unterstrich es Hans Booms, „einen Beitrag zur politischen Bildung und zur Vertiefung des demokratischen Selbstverständnisses des deutschen Staatsbürgers leisten.“ Die Herausgeber hoffen ausdrücklich, daß die Edition diesen Wunsch nicht nur einlösen konnte, sondern daß sie diese von Beginn an beabsichtigte Wirkung auch in Zukunft weiter entfalten wird. Entgegen den Erwartungen der ursprünglichen Initiatoren gestaltete sich der Erscheinungsverlauf der Edition sehr viel schwieriger als zunächst angenommen. Da in den ersten fünfzehn Jahren (1974 bis 1989) aus vielfältigen Gründen lediglich vier Bände veröffentlicht werden konnten, sahen sich die Herausgeber des fünften Bandes im Jahre 1992 veranlaßt, nicht nur das langsame Fortschreiten der Editionsreihe „lebhaft zu bedauern“, sondern vor allem ihrer Hoffnung Ausdruck zu geben, „daß die Reihe nunmehr zügiger voranschreiten“ werde. Dies gelang auf beeindruckende Weise: In den neun Jahren zwischen 1993 und 2002 erschienen neun Bände, was nicht zuletzt dem Engagement Wolfram Werners, des damaligen Leiters der Abteilung Bundesrepublik im Bundesarchiv, zu verdanken war. Lediglich beim nun vorliegenden Band mußte wieder eine wesentlich längere Erstellungszeit in Kauf genommen werden. Um so dankbarer sind die Herausgeber, daß es mit Hilfe des Parlamentsarchivs des Deutschen Bundestages gelungen ist, den Schlußstein des Editionsgebäudes rechtzeitig zum Jahr der sechzigsten Wiederkehr der Verkündung des Grundgesetzes und der Konstituierung des ersten Deutschen Bundestages zu setzen.

VII

Vorwort des Herausgebers Neben Kurt G. Wernicke und Hans Booms, die die Editionsreihe gemeinsam ins Leben gerufen haben, wirkten Rupert Schick und Friedrich P. Kahlenberg sowie Hans-Joachim Stelzl als Herausgeber vorangegangener Bände. Ihnen allen sei an dieser Stelle mit großem Nachdruck für ihr nicht nachlassendes Bemühen um das Fortschreiten der einmal beschlossenen Aufgabe gedankt. Zehn Wissenschaftler zeichnen für die Edition verantwortlich: Peter Bucher, Edgar Büttner, Michael F. Feldkamp, Michael Hollmann, Inez Müller, Eberhard Pikart, Harald Rosenbach, Johannes Volker Wagner, Wolfram Werner und Michael Wettengel haben neben ihrem Beruf im Bundesarchiv oder in der Verwaltung des Deutschen Bundestages unter großem persönlichen Einsatz die Akten zur Geschichte des Parlamentarischen Rates gesichtet, für die Drucklegung aufbereitet, kommentiert und schließlich durch Indices erschlossen. Ihnen gilt unser herzlicher Dank. Die Lektüre der Protokolle des Parlamentarischen Rates führt dem heutigen Leser deutlich vor Augen, wie sehr sich die Bundesrepublik Deutschland seit den Jahren 1948 und 1949 verändert hat. Das Grundgesetz ist zwar – wie die Dokumente eindrucksvoll belegen – als Provisorium verfaßt worden, hat sich aber nicht zuletzt auf Grund der hohen ihm gegenüber bezeugten Akzeptanz bis heute bewähren können. Ein Hauptgrund hierfür besteht in der Tatsache, daß das Grundgesetz nichts Statisches, sondern im Gegenteil etwas Dynamisches ist, das vom ersten Tag an mit Leben gefüllt wurde. Das wußten auch die „Mütter und Väter des Grundgesetzes“, die vor 60 Jahren in einem nach den Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur geschlagenen, besetzten und geteilten Deutschland die Grundlagen für eine lebensfähige Bundesrepublik Deutschland in einem geeinten Europa schufen. Nicht erst die im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung vor 20 Jahren notwendig gewordenen Grundgesetzänderungen oder die Umsetzung der Ergebnisse der Föderalismuskommissionen haben das Grundgesetz stark verändert und längst zu einer Verfassung werden lassen. Die mittlerweile weit über 50 Verfassungsänderungen haben den Text ganz erheblich vermehrt. Die Kritik an manchen dieser Änderungen macht die Leistung der Schöpfer des Grundgesetzes nur noch deutlicher. Die Protokolle und Akten des Parlamentarischen Rates lassen uns Analysekraft und Weitblick der Akteure von damals ebenso erkennen, wie sie uns an die bedrückenden Zustände der Nachkriegszeit und die schwierigen politischen Rahmenbedingungen erinnern, in denen die Mitglieder dieser verfassunggebenden Versammlung zum Wohle der zu gründenden Bundesrepublik Deutschland gerungen haben. Berlin/Koblenz im Sommer 2009

VIII

Horst Risse Hartmut Weber

Einleitung

EINLEITUNG

1. VORBEMERKUNG

Nicht ohne Grund wurde die Edition der Protokolle des Hauptausschusses im Rahmen der vorliegenden Editionsreihe „Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle“ zuletzt in Angriff genommen. Zum einen liegen die Protokolle des Hauptausschusses seit 1950 gedruckt vor und wurden seitdem für die Kommentierung des Grundgesetzes wie für die Rekonstruktion seiner Entstehungsgeschichte von Juristen und Historikern konsultiert. Zum anderen führte der Hauptausschuß die Arbeit der Fachausschüsse fort, so daß sinnvoller Weise die Veröffentlichung der Protokolle der Fachausschüsse abgewartet werden mußte. Weil die Protokolle des Hauptausschusses bereits gedruckt vorliegen, war eine von den bisherigen Bänden abweichende editorische Vorgehensweise und Kommentierung der Dokumente erforderlich bzw. sinnvoll. Ging es bei der Veröffentlichung der Protokolle der Fachausschüsse darum, eine zuverlässige Textausgabe zu erstellen, so stand bei der Edition der Protokolle des Hauptausschusses im Mittelpunkt, den durch die Druckausgabe von 1950 bereits bekannten Text erneut zur Verfügung zu stellen und zu kommentieren sowie darüber hinaus in textkritischen Anmerkungen die Abweichungen von den maschinenschriftlichen Protokollen der Stenographen hervorzuheben. Nachdem die Protokolle aller Fachausschüsse in dieser Editionsreihe vorlagen, konnte bei der Kommentierung der Protokolle des Hauptausschusses in vielen Fällen auf die vorhergehenden Bände der Editionsreihe verwiesen werden. Der Kommentar fiel oft knapp aus, um Wiederholungen mit den übrigen Editionsbänden zu vermeiden. Eine ausführliche Darstellung der Geschichte des Hauptausschusses an dieser Stelle käme aufgrund der herausragenden Stellung des Hauptausschusses innerhalb des Parlamentarischen Rates einer Gesamtdarstellung der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes gleich. Das kann und soll aber hier nicht geleistet werden. Doch sollen in dieser Einleitung die Grundzüge der Arbeit des Hauptausschusses nachvollzogen und besondere Merkmale dieses Gremiums herausgestellt werden, die seine Arbeitsbedingungen charakterisieren mögen.

2. KONSTITUIERUNG DES HAUPTAUSSCHUSSES

Der Hauptausschuß hatte die Aufgabe, die unterschiedlichen und zum Teil widersprüchlichen Ergebnisse der Fachausschüsse zu einem homogenen Gesamtentwurf zusammenzufassen und den neuen Gesamtentwurf des Grundgesetzes dem Plenum vorzulegen. Mit 59 bzw. eigentlich 60 Sitzungen ist der Hauptausschuß

IX

Einleitung das Gremium des Parlamentarischen Rates mit der höchsten Anzahl von Sitzungen; nur die Fraktionen erreichten eine höhere Anzahl von Sitzungen1). Aufgrund seiner spezifischen Aufgaben, die Arbeiten „der Fachausschüsse zu koordinieren und die politischen Vorentscheidungen für das Plenum zu treffen“2) hätte sich der Hauptausschuß eigentlich erst zusammenfinden müssen, nachdem die Fachausschüsse ihre Arbeit abgeschlossen hatten. Doch konstituierte sich der Hauptausschuß schon am 15. September 1948, weil ihm nämlich zusätzlich die Aufgabe übertragen wurde, zeitnahe den Haushaltsplan des Parlamentarischen Rates aufzustellen3).

3. DIE MITGLIEDER DES HAUPTAUSSCHUSSES

Dem Hauptausschuß gehörten 21 stimmberechtigte Mitglieder, acht Mitglieder von der CDU/CSU-Fraktion, acht von der SPD-Fraktion und zwei von der FDP-Fraktion sowie je ein Mitglied der Fraktion der Deutschen Partei, der Kommunistischen Partei und der Zentrumspartei4) an. Die CDU/CSU entsandte Konrad Adenauer, Heinrich von Brentano, Theophil Kaufmann, Wilhelm Laforet, Robert Lehr, Anton Pfeiffer, Heinrich Rönneburg (abgelöst am 11. November 1948 durch Hermann von Mangoldt) und Adolf Süsterhenn in den Hauptausschuß. Von der SPD waren Otto Heinrich Greve, Friedrich Maier, Walter Menzel, Carlo Schmid (Vorsitzender), Adolph Schönfelder, Josef Seifried (abgelöst am 14. Oktober 1948 durch Jean Stock), Friedrich Wolff und Gustav Zimmermann im Hauptausschuß vertreten. Von der FDP kamen Thomas Dehler und Theodor Heuss. Die DP entsandte Hans-Christoph Seebohm, die KPD schickte Max Reimann und die Zentrumspartei Johannes Brockmann. Die 1., konstituierende Sitzung eröffnete Vizepräsident Adolph Schönfelder (SPD). Aufgrund von interfraktionellen Vereinbarungen, die schon vor Konstituierung des Parlamentarischen Rates getroffen worden waren, wurde Carlo Schmid (SPD) zum Vorsitzenden des Hauptausschusses gewählt. Im Gegenzug dazu stellte die personell gleichstarke CDU/CSU-Fraktion den Parlamentspräsidenten Konrad Adenauer. Wegen seiner besonderen Bedeutung saßen im Hauptausschuß nicht ohne Grund die Verfassungsexperten der Fraktionen. Auch der Vorsitzende Schmid gehörte zu den ausgewiesen Staatsrechtlern.

1)

Es gab 176 Sitzungen der CDU/CSU-Fraktion und 106 Sitzungen der SPD-Fraktion. Vgl. unten Anhang 2. 2) Zum Beschluß des Ältestenrats vom 11. Nov. 1948, vgl. Dok. 2, S. 5, Anm. 13. 3) Feldkamp: Zur Finanzierung des Parl. Rates. 4) Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates sind in den Editionsbänden vorgestellt worden, wenn sie im jeweiligen Fachausschuß Mitglied waren. Ich verzichte an dieser Stelle, die Teilnehmer der HptA-Sitzungen in einer biographischen Skizze vorzustellen und verweise hierzu auf die Biogramme bei Feldkamp: Der Parl. Rat, S. 207–227.

X

Einleitung Die Mitglieder des Redaktionssausschusses Heinrich von Brentano (CDU/CSU), Thomas Dehler (FDP) und Georg August Zinn (SPD) nahm regelmäßig, zumeist auch mit Stimmrecht, an den Sitzungen des Hauptausschusses teil. Sie standen insbesondere während der ersten Lesung Rede und Antwort, wenn die von den Fachausschüssen vorgelegten Artikelentwürfe durch den Redaktionsausschuß zu stark modifiziert worden waren. Es kam gelegentlich auch zu Abstimmungen, ob bei der Beratung der Entwurf des Fachausschusses oder der überarbeitete Entwurf des Redaktionsausschusses zu Grunde gelegt werden sollte. Bei einer Durchsicht der Übersicht über die Teilnahme der stimmberechtigten Abgeordneten fällt auf, daß die Abgeordneten kleinerer Parteien überdurchschnittlich häufig an den Sitzungen des Hauptausschusses teilnahmen, während bei den großen Parteien viele Abgeordnete verhältnismäßig selten anwesend waren. Das konnte verschiedene Gründe haben: – Der Hauptausschuß hatte aufgrund seiner herausgehobenen Stellung sowie seiner besonderen Aufgaben, die politischen Weichen für das Plenum zu stellen. Deswegen bestand offensichtlich das stille Übereinkommen, daß prinzipiell jeder Abgeordnete an den Sitzungen teilnehmen konnte, aber freilich nur die zuvor von der Fraktion benannten Abgeordneten auch stimmberechtigt waren. Wenn zu viele Abgeordnete anwesend waren, hatte der Vorsitzende durch Namensaufruf feststellen lassen, wer stimmberechtigt sein sollte, und das ggf. auch nach einer bereits erfolgten Abstimmung5). – Gleichzeitig wurde im Hauptausschuß eine großzügige Vertreterregelung getroffen. So kam es beispielsweise auch dazu, daß sich der Zentrumsabgeordnete Brockmann zugleich in seiner Funktion als Schriftführer von der Abgeordneten der CDU Weber vertreten ließ6). Es mag sein, daß es auch an der Nähe der politischen Ziele von CDU/CSU und Zentrumspartei lag. Übrigens wurden in den Fachausschüssen vergleichbare Vertretungen praktiziert: Reimann (KPD) hatte beispielsweise seine Stimme in der 19. Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen Wessel (Zentrum) übertragen7). Der Vorsitzende Schmid war der einzige Abgeordnete, der an allen Sitzungen des Hauptausschusses teilgenommen hatte, sieht man davon ab, daß auch seinetwegen die 19. Sitzung des Hauptausschusses vertagt wurde; zu dieser Sitzung konnte Schmid – wie weitere Abgeordnete – aufgrund der Witterungsverhältnisse (Glatteis) nicht zur Sitzung in die Pädagogische Akademie kommen8). Den Vorsitz gab Schmid nur einmal an den Abgeordneten Strauß (CDU/CSU) ab, als er in der 46. Sitzung am 20. Januar 1949 selbst als Redner für seine Fraktion zum Ruhrstatut sprach. Dazu wurde Strauß eigens am 19. Januar 1949 zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt9). 5)

Vgl. z. B. Dok. Nr. 18, S. 539, Anm. 25. Dok. Nr. 17, S. 507, Anm. 11; Dok. 18, S. 532, Anm. 9. 7) Der Parl. Rat, Bd. 6, Dok. Nr. 21, S. 577. 8) Dok. Nr. 19, S. 553 mit Anm. 4–6. 9) Dok. Nr. 45, S. 1450, Anm. 26. 6)

XI

Einleitung Parlamentspräsident Adenauer (CDU/CSU), der ordentliches Mitglied des Hauptausschusses war, nahm an nur acht Sitzungen teil. Er ließ sich zumeist von de Chapeaurouge vertreten. Adenauers Mitgliedschaft im Hauptausschuß hatte offenbar nur formalen Charakter. Es sollte aber der Eindruck vermieden werden, daß, wenn der Präsident im Hauptausschuß gehört werden würde, dieser nur aufgrund des Verzichtes eines stimmberechtigten Mitglieds auch stimmberechtigt war. Der Übersichtlichkeit halber sind in der nachfolgenden Tabelle nur Abgeordnete aufgeführt, die auch Stimmrecht hatten. Es wurden die Sitzungsnummern genannt, in denen der jeweilige Abgeordnete Stimmrecht besaß. War besagter Abgeordnete auch zu einer Sitzung als Nicht-stimmberechtigter anwesend, wurde die Sitzungsnummer nicht aufgeführt. Bei der nachfolgenden Übersicht ist zu berücksichtigen, daß bei der 19. Sitzung keine Anwesenheitsliste geführt wurde, da sich der Hauptausschuß gleich nach seiner Eröffnung vertagte. Im stenographischen Wortprotokoll wurden lediglich zwei Abgeordnete (Schönfelder und Seebohm) zitiert. Ohne daß hier im Einzelnen nachgezählt wurde, besteht der Eindruck, daß vermehrt SPD-Abgeordnete von der Möglichkeit Gebrauch machten, an den in der Regel presse-öffentlichen Sitzungen auch ohne Stimmberechtigung teilzunehmen. Der SPD-Abgeordnete Eberhard hat beispielsweise an zahlreichen weiteren Sitzungen des Hauptausschusses teilgenommen und war deswegen, wenn er als stimmberechtigter Vertreter kam, bestens über den Beratungsstand im Ausschuß informiert. Name des stimmberechtigten Ausschußmitglieds

Anzahl der Sitzungen, an denen der Abg. stimmberechtigt teilnahm

Adenauer (CDU), Konrad Becker (FDP), Max

8 20

Bergsträsser (SPD), Ludwig

14

Binder (CDU), Paul Blomeyer (CDU), Adolf

4 3

Brentano (CDU), Heinrich von

29

Brockmann (Z), Johannes

33

Chapeaurouge (CDU), Paul de

41

Dehler (FDP), Thomas

35

XII

Nummern der Sitzungen, in denen der Abgeordnete stimmberechtigt war

9, 28, 31, 41, 47, 55, 56, 58 11, 12, 13, 17, 23, 24, 25, 30, 32, 34, 37, 38, 39, 40, 41, 49, 50, 52, 53, 59 10, 11, 12, 13, 21, 22, 42, 43, 45, 46, 47, 48, 49, 50 13, 14, 15, 41 21, 25, 59 1, 2, 3, 4, 5, 6, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 20, 29, 34, 35, 37, 43, 44, 47, 48, 49, 50, 51, 55, 57, 58 1, 2, 3, 4, 5, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 27, 29, 30, 35, 37, 38, 39, 40, 41, 43, 44, 45, 46, 47, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 57, 58 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 18, 20, 22, 23, 24, 26, 27, 28, 29, 30, 32, 33, 34, 35, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 44, 45, 46, 54, 57, 59 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 14, 15, 20, 21, 23, 24, 25, 29, 32, 35, 36, 37, 38, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 57, 58

Einleitung

Name des stimmberechtigten Ausschußmitglieds

Anzahl der Sitzungen, an denen der Abg. stimmberechtigt teilnahm

Diederichs (SPD), Georg

7

Nummern der Sitzungen, in denen der Abgeordnete stimmberechtigt war

48, 49, 50, 51, 53, 56, 59

Eberhard (SPD), Fritz

11

18, 20, 21, 31, 34, 42, 43, 44, 47, 52, 58

Ehlers (SPD), Adolf Fecht (CDU), Hermann

2 29

56, 59 4, 7, 8, 10, 11, 12, 16, 17, 23, 24, 25, 27, 29, 30, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 40, 42, 43, 45, 46, 48, 50, 53

Finck (CDU), Albert Greve (SPD), Andreas

Heiland (SPD), Rudolf Ernst Heile (DP, Wilhelm Hermans (CDU) Hubert Heuss (FDP, Theodor

Hilbert (CDU), Anton

8 42

3 7 1 31

2

7, 8, 16, 17, 52, 53, 55, 57 2, 3, 4, 5, 7, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 17, 18, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 34, 35, 36, 37, 38, 41, 42, 43, 44, 45, 49, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 59 18, 53, 56 9, 17, 18, 28, 35, 36, 59 59 1, 2, 3, 4, 5, 6, 9, 10, 11, 16, 17, 18, 20, 21, 22, 26, 27, 28, 33, 42, 43, 44, 46, 47, 48, 51, 52, 53, 54, 55, 58 56, 59

Hoch (SPD), Fritz Höpker Aschoff (FDP), Hermann

4 20

32, 49, 50, 51 7, 8, 14, 15, 16, 22, 26, 27, 28, 30, 34, 35, 39, 40, 41, 54, 55, 56, 57, 59

Katz (SPD), Rudolf

27

6, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 22, 27, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 39, 40, 41, 46, 48, 49, 50, 54, 58, 59

Kaufmann (CDU), Theophil Heinrich

46

1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 20, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 42, 44, 45, 46, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59

Kleindinst (CSU), Josef Ferdinand

24

6, 7, 8, 23, 25, 26, 29, 30, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 47, 49, 51, 52, 53 15

Kroll (CSU) Gerhard

1

Kuhn (CDU) Adolf Laforet (CSU), Wilhelm

3 44

33, 58, 59 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 16, 17, 18, 20, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 32, 33, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 54, 55, 57

Lehr (CDU), Robert

41

1, 2, 3, 4, 5, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 16, 17, 18, 20, 21, 22, 27, 28, 29, 30, 32, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 54, 55, 56, 57

Lensing (CDU), Lambert

7

14, 15, 17, 21, 43, 44, 56

XIII

Einleitung

Name des stimmberechtigten Ausschußmitglieds

Anzahl der Sitzungen, an denen der Abg. stimmberechtigt teilnahm

Nummern der Sitzungen, in denen der Abgeordnete stimmberechtigt war

Löwenthal (SPD), Fritz

14

11, 12, 15, 21, 26, 29, 32, 33, 34, 35, 39, 40, 41, 51

Maier (SPD), Friedrich

52

2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 28, 29, 30, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 42, 43, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59

Mangoldt (CDU), Hermann von

40

2, 3, 4, 5, 9, 12, 14, 15, 17, 18, 20, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 32, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 54, 55, 57, 58

Mayr (CSU), Karl Sigmund Menzel (SPD), Walter

2 37

13, 52 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 13, 14, 16, 17, 18, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 33, 34, 35, 36, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 47, 51, 54, 55, 57

Mücke (SPD), Willibald

4

32, 33, 35, 36

Paul (KPD), Hugo

1

1

Pfeiffer (CSU), Anton

18

Reimann (KPD), Max

6

Renner (KPD), Heinz

47

1, 2, 3, 7, 8, 10, 18, 21, 22, 26, 27, 28, 43, 47, 49, 50, 54, 55, 56 9, 15, 27, 56, 57, 58 2, 3, 5, 6, 7, 8, 10, 11, 12, 13, 16, 17, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 28, 29, 30, 31, 32, 34, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 57, 59

Reuter (SPD), Ernst

1

1

Rönneburg (CDU), Heinrich

1

1

Runge (SPD), Hermann

1

Schäfer (FDP), Hermann

10

2, 12, 13, 18, 29, 31, 33, 36, 45, 56

Schlör (CSU), Kaspar Gottfried

16

Schmid (SPD), Carlo

57

13, 14, 15, 22, 26, 33, 34, 36, 39, 40, 41, 43, 44, 45, 51, 58 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59

Schönfelder (SPD), Adolph

43

Schrage (CDU), Josef Schröter (CDU), Carl

XIV

5 3

33

1, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 28, 29, 30, 32, 33, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 52, 53, 55, 57, 58, 59 6, 38, 52, 53, 58 52, 53, 59

Einleitung

Name des stimmberechtigten Ausschußmitglieds

Schwalber (CSU), Josef Seebohm (DP), Hans-Christoph

Seibold (CSU, Kaspar

Anzahl der Sitzungen, an denen der Abg. stimmberechtigt teilnahm 4 50

2

Nummern der Sitzungen, in denen der Abgeordnete stimmberechtigt war

4, 6, 12, 43 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 53, 54, 55, 57, 58 1, 8

Selbert (SPD), Elisabeth Stock (SPD), Jean

4 40

20, 37, 38, 42 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 14, 15, 16, 17, 21, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 38, 39, 41, 40, 44, 46, 47, 48, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 57, 58, 59

Strauß (CDU), Walter

24

5, 11, 12, 17, 18, 21, 22, 23, 24, 31, 42, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 56, 57, 58

Süsterhenn (CDU), Adolf

26

Wagner (SPD), Friedrich Wilhelm

14

2, 3, 5, 9, 10, 11, 12, 18, 20, 21, 22, 24, 25, 27, 28, 32, 36, 39, 40, 41, 42, 47, 49, 51, 54, 55 8, 27, 30, 44, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 57, 58

Walter (CDU), Felix

15

Weber (CDU) Helene

14

Wessel (Z), Helene

22

Wirmer (CDU), Ernst

5

7, 8, 16, 21, 23, 24, 25, 26, 30, 32, 33, 46, 50, 51 6, 17, 18, 20, 21, 22, 41, 42, 43, 44, 47, 48, 56, 59 6, 8, 9, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 28, 31, 32, 33, 34, 36, 42, 48, 49, 52, 56, 59 21, 33, 48, 52, 53

Wolff (SPD), Friedrich

37

2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 16, 17, 18, 20, 22, 24, 25, 27, 28, 29, 30, 34, 35, 36, 37, 39, 40, 41, 45, 46, 52, 54, 55, 56

Wunderlich (SPD), Hans Zimmermann (SPD), Gustav

1 34

48 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 16, 17, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 32, 36, 37, 38, 39, 40, 43, 44, 45, 46, 54, 55, 58 23, 38, 46, 47, 56, 57

Zinn (SPD), Georg August

6

4. SELBSTVERSTÄNDNIS UND AUFGABEN DES HAUPTAUSSCHUSSES

In insgesamt 59 Sitzungen wurde in vier Lesungen der Grundgesetzentwurf beraten. Wie bereits in den Fachausschüssen, so verlor sich auch im Hauptausschuß die Aussprache mehrfach in notwendigen Detailfragen, wenn Uneinigkeit zwischen

XV

Einleitung den Fraktionen bestand. Es hatte manchmal den Anschein, als wäre mit den Vorberatungen in den Fachausschüssen nur wenig erreicht worden, da manche Themen grundlegend aufgerollt wurden. Dabei kam es vor, daß die Ergebnisse eines Fachausschusses nicht nur wiederholt, sondern auch konterkariert werden konnten. Die Arbeit des Hauptausschusses kann nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr fand sie im Wechselspiel zwischen Fachausschüssen, Allgemeinem Redaktionsausschuß, Fraktionen und interfraktionellen Besprechungsgremien statt. Die Tätigkeiten dieser Gremien sind in der vorliegenden Editionsreihe soweit möglich dokumentiert worden. Darüber hinaus sind nur Protokolle der CDU/CSU-Fraktion überliefert10). Nachdem der Hauptausschuß am 16. September 1948 den Haushaltsplan beraten hatte, begann er in der 2. Sitzung am 11. November 1948 mit den eigentlichen Grundgesetzberatungen. In dieser 2. Sitzung beantragte der Vorsitzende Schmid, Ländervertretern die Beteiligung an den Beratungen des Hauptausschusses zu ermöglichen. Der Antrag wurde von der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion unterstützt. Zum Procedere schlug Schmid in der gleichen Sitzung vor, den Beratungsstoff – in Anlehnung an die Abschnitte des Grundgesetzes – in Kapitel (bzw. Abschnitte) zu gliedern, die „wie ein orientierendes Fadenkreuz“11) einen Zugang zu der oftmals schwierigen Materie ermöglichen sollte, damit innerhalb dieser Kapitel die Artikel einzeln aufgerufen und beraten werden könnten. Die Berichterstatter der jeweiligen Fachausschüsse sollten kurz den Beratungsstand im Ausschuß erläutern. Die zahlreichen, bereits vorliegenden und noch zu erwartenden Eingaben sollten von Löwenthal (SPD) durchgesehen und zum jeweiligen Tagesordnungspunkt im Hauptausschuß vorgetragen werden. Am 17. November 1948 regelte der Hauptausschuß die Frage der Erledigung von Eingaben sowie der Anfertigung und Unterzeichnung der Kurzprotokolle durch den Schriftführer. Am 24. November 1948 diskutierten die Mitglieder des Hauptausschusses ob, nachdem der Finanzausschuß bereits etliche Sachverständige angehört hatte, im Hauptausschuß erneut Anhörungen durchgeführt werden sollten12). Die Mitglieder sprachen sich dafür aus. Doch als mit den Anhörungen am 1. Dezember 1948 begonnen werden sollte, tat sich ein Mißverständnis auf. Der zur Anhörung eingeladene niedersächsische Finanzminister Georg Strickrodt ging davon aus, als Sachverständiger eine persönliche Einladung erhalten zu haben, während manche Mitglieder des Hauptausschusses eine Stellungnahme der Niedersächsischen Landesregierung erwartet hatten13). Schließlich wurden der Finanzminister und weitere Sachverständige aus anderen Ländern „vernommen“14), ohne daß eigens Kabinettsbeschlüsse ihrer Landesregierungen herbeigeführt werden mußten, die not10)

Salzmann. Dok. Nr. 2, S. 5. 12) Dok. Nr. 8, S. 249. 13) Dok. Nr. 13, S. 378–380. 14) Menzel, am 1. Dez. 1948; Dok. Nr. 13, S. 379. 11)

XVI

Einleitung wendig gewesen wären, wenn der einzelne Vertreter die Haltung seiner Landesregierung hätte übermitteln müssen. Die umfangreichste Debatte zur Arbeitsweise des Hauptausschusses fand vor Beginn der zweiten Lesung am 15. Dezember 1948 statt15).

5. BESONDERHEITEN DES HAUPTAUSSCHUSSES

Insgesamt tagte der Hauptausschuß an 44 Sitzungstagen in 59 Sitzungen mit zusammen 130 Stunden. Im Durchschnitt dauerte eine Sitzung 2¼ Stunden. Dazu nur einige Vergleichszahlen: Das Plenum (12 Sitzungen) tagte 44 Stunden; der Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung (21 Sitzungen) tagte 21 Stunden; der Ausschuß für Grundsatzfragen (36 Sitzungen) tagte 77 Stunden. Im Gegensatz zu den Fachausschüssen tagte der Hauptausschuß auf Wunsch der SPD16) presse-öffentlich. Das heißt, auf der Besuchertribüne in der zum Sitzungssaal umgestalteten Aula in der Pädagogischen Akademie im Großen Saal saßen Journalisten und Pressephotographen. Nur einmal schloß der Hauptausschuß die Presse von seiner Sitzung aus. Am 18. Dezember 1948 (28. Sitzung), nach der Besprechung einer Delegation des Parlamentarischen Rat mit den Militärgouverneuren in Frankfurt am Main, war eine besondere Vertraulichkeit erforderlich, um die Ergebnisse der Frankfurter Gespräche zu diskutieren17). Im übrigen wurden – in einem Parlament verpönte – Tribünenkundgebungen nur ein einziges Mal, am 18. Januar 1949 in der 42. Sitzung, von den Stenographen protokolliert18). Zu den Besonderheiten des Hauptausschusses zählt auch, daß das stenographische Wortprotokoll über die 31. Sitzung am 7. Januar 1949 in einer Druckfassung veröffentlicht wurde und somit weite Verbreitung fand. In dieser Sitzung hatten die Fraktionsvorsitzenden die Stellungnahmen ihrer Fraktionen zum Ruhrstatut vorgetragen. Hier sahen sie die Gelegenheit, eine wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit von den Besatzungsmächten zu fordern und zugleich die Stellung der zukünftigen Bundesrepublik Deutschland im Konzert der europäischen Mächte auszuloten. Waren also die Sitzungen des Hauptausschusses allgemein presse-öffentlich, so wurde für diese Sitzung sogar das stenographische Wortprotokoll als Drucksache wenige Tage später vollständig veröffentlicht, was auch als eine bewußte Demonstration des Selbstverständnisses des Hauptausschusses und letztlich des Parlamentarischen Rates bewertet werden muß. Auch wenn die Ergebnisse der Fachausschüsse und des Allgemeinen Redaktionsausschusses Grundlage der Beratungen im Hauptausschuß bildeten, sah es der Hauptausschuß als notwendig an, zu einer vertieften Beratung vier Unterausschüsse einzuberufen, um seine Entscheidungen vorzubereiten:

15)

Dok. Nr. 27, S: 781–795. Der Parl. Rat, Bd. 11, Dok. Nr. 8, S. 40. 17) Dok. Nr. 28. 18) Dok. Nr. 42, S. 1308. 16)

XVII

Einleitung 1. In seiner eigentlichen 2. Sitzung am 16. Sept. 1948, die schon mit Einberufung der nächsten Hauptausschußsitzung am 11. November 1948 aus der offiziellen Zählung der Hauptausschußsitzungen herausgenommen wurde, weil sie sich nur mit Haushaltsfragen befaßte, wurde der Unterausschuß „zur Überprüfung und laufenden Beobachtung des Haushaltes“ eingesetzt, dem die Abgeordneten Friedrich Wolff (SPD), Anton Pfeiffer (CSU) und Hans-Christoph Seebohm (DP) angehörten19). 2. In seiner 14. Sitzung am 2. Dezember 1948 beschloß der Hauptausschuß die Errichtung eines „Unterausschusses für die Bereinigung der Flaggenfrage“. In der 22. Sitzung am 9. Dezember 1948 wurde die Existenz des Unterausschusses noch einmal bestätigt. Schließlich wies jedoch der Ältestenrat des Parlamentarischen Rates am 17. Februar 1949 einem interfraktionellen Beratungsgremium die Lösung der Flaggenfrage zu20), vermutlich, weil der Unterausschuß des Hauptausschusses nie zusammengekommen war. 3. Am 12. Januar 1949 (35. Sitzung) wurde ein Unterausschuß zur Neuformulierung des Abschnitts X „Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung“ einberufen21), der sich schon im Anschluß an die Hauptausschußsitzung beriet und seine Ergebnisse als Drucksache Nr. 496 den Abgeordneten zur Verfügung stellte, die in der 36. Sitzung am Nachmittag des 12. Januar 1949 beraten wurden. 4. Am 23. Februar 1949 berief der Hauptausschuß einen Unterausschuß, der als „kleine interfraktionelle Kommission“ firmierte und zur Klärung von Detailfragen zum Wahlgesetz beitragen sollte. Zu Mitgliedern wurden die Abgeordneten Georg Diederichs (SPD), Max Becker (FDP) und Albert Finck (CDU) benannt22). Zur Debattenkultur muß bemerkt werden, daß die beiden kommunistischen Abgeordneten sich an der Arbeit in den Fachausschüssen alleine schon aus Gründen der Arbeitsbelastung kaum kontinuierlich beteiligen konnten. Sie ergriffen umsomehr im Hauptausschuß die Gelegenheit, ihre Positionen vorzutragen. Nicht selten verstiegen sie sich in Agitationen oder verlasen umständliche Kommuniqués, die mit dem Beratungsthema nichts zu tun hatten. Augenscheinlich wollten sie im Beisein von Pressevertretern die Grundgesetzarbeit des Parlamentarischen Rates diskreditieren und unterminieren. Bemerkungen, wie jene von Renner, der am 3. Dezember 1948 dem Abgeordneten Löwenthal (SPD) drohte: „Diese gesunde Faust in Ihr freches Maul“23), blieben die Ausnahme. Umgekehrt ließen sich ebenso selten Abgeordnete anderer Fraktionen derartig provozieren, daß sie wiederum einen Ordnungsruf erhalten hätten24). 19) 20) 21) 22) 23) 24)

Vgl. das Kurzprot. der eigentlichen 2. Sitzung des HptA vom 16. Sept. 1948 zu Haushaltfragen; ediert in: Feldkamp: Zur Finanzierung des Parl. Rates, S. 799. Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 25 S. 87 f. sowie Der Parl. Rat, Bd. 11, S. XXIX, passim (Register). Dok. Nr. 35, S. 1087 f. Dok. Nr. 53, S. 1716, 1736 und 1744. Dok. Nr. 17, S. 526. Der Parl. Rat. Bd. 1, S. 276.

XVIII

Einleitung Nicht selten war Parlamentspräsident Konrad Adenauer Ziel der Angriffe der beiden KPD-Abgeordneten. Adenauer und die Kommunisten boten sich schon seit einigen Jahren manchen Schlagabtausch im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Dehler (FDP) formulierte erst in der 48. Sitzung am 9. Februar 1949, was wohl vielen Abgeordneten aus dem Herzen sprach: „Was ich gesagt habe, hätte Ihnen schon lange gesagt werden müssen, Herr Renner. Wir ertragen Ihre Bemerkungen auf die Dauer nicht“.

6. DER ALLGEMEINE REDAKTIONSAUSSCHUSS

Die Einrichtung eines Allgemeinen Redaktionsausschusses wurde in interfraktionellen Beratungen am 2. November 1948 entschieden. In Hinblick auf seine Besetzung einigte man sich auf je einen Vertreter der SPD und der CDU und berief Zinn und von Brentano. Erst in den nächsten Tagen verständigten sich die Fraktionen darauf, mit Dehler ein drittes Redaktionsausschußmitglied von der FDP zu bestellen. Der Redaktionsausschuß sollte binnen einer Woche die bisher von den Fachausschüssen geleistete Arbeit durchsehen und koordinieren, so daß der Hauptausschuß Mitte des Monats November zusammentreten könnte25). Schon am 5. November 1948 nahm das Gremium seine Arbeit auf. Der Allgemeine Redaktionsausschuß hatte die wichtigste Vorarbeit für den Hauptausschuß geleistet und die gesamte, bis dahin abgeschlossene Ausschußarbeit in der Zeit vom 5. November bis 5. Dezember 1948 in einen neuen Gesamtentwurf gebracht und kommentiert. Befürchtungen blieben nicht aus, mit dem Redaktionsausschuß könne ein „neues retardierendes Moment in die Bonner Arbeit hineingetragen“26) und Aufgaben des Hauptausschusses vorweggenommen werden. Nicht unberechtigt waren Klagen, daß mit redaktionellen Änderungen auch substantielle Veränderungen am Sinn der Entwürfe der Fachausschüsse vorgenommen wurden. Zur Vorbereitung der Beratungen im Hauptausschuß hatte sich die CDU/CSU-Fraktion wiederholt auf die Vorschläge der Fachausschüsse berufen und damit die Abänderungsvorschläge des Redaktionsausschusses abgelehnt. Wegen des Nebeneinanders von Artikelentwürfen des Redaktionsausschusses sowie der Fachausschüsse wurde vom Ältestenrat am 11. November 1948 eine Klärung herbeigeführt27). Demnach konnte der Redaktionsausschuß Änderungen an den Vorschlägen der Fachausschüsse nur mit Zustimmung der jeweiligen Ausschußvorsitzenden vornehmen, die dann dem Hauptausschuß zu unterbreiten waren. Der Beratungsgang lief also in Zukunft vom Fachausschuß zum Allgemeinen Redaktionsausschuß; von diesem zurück an den Fachausschuß und erst von dort an den Hauptausschuß. Schon am 17. November 1948 (4. Sitzung) wurde die Arbeit des Redaktionsaus25)

Der Parl. Rat, Bd. 11, Dok. Nr. 8, S. 40. Leisewitz am 6. Nov. an das BdMinPräs. in Wiesbaden, zitiert in: Der Parl. Rat, Bd. 11, S. 45, Anm. 10. 27) Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 12, S. 34. Vgl. auch unten Dok. Nr. 2, S. 5, Anm. 14. 26)

XIX

Einleitung schusses derartig massiv kritisiert und in Frage gestellt, daß der Hauptausschuß nach kurzer Debatte mit 9 zu 8 Stimmen beschloß, statt auf die vom Redaktionsausschusses überarbeitete Textfassung auf den älteren Fachausschußentwurf zurückzugreifen28). Im Mittelpunkt der Beanstandung stand die Tatsache, daß der Redaktionsausschuß erst wenige Stunden zuvor seinen Entwurf vorlegen konnte. Auch in der 23. und 24. Sitzung am 8. und 9. Dezember 1948 wurden die Artikelentwürfe des Fachausschusses statt des Redaktionsausschusses den Beratungen im Hauptausschuß zu Grunde gelegt29).

7. DIE BERATUNGEN DES GRUNDGESETZENTWURFES

Aufgrund der eng verwobenen Zusammenarbeit mit anderen Gremien des Parlamentarischen Rates, deren Akten in der vorliegenden Edition bereits publiziert wurden, soll die Tätigkeit des Hauptausschusses an dieser Stelle nur überblicksartig zusammengefaßt werden. Die erste Lesung Nach seiner Konstituierung am 15. September 1948 (1. Sitzung) beriet der Hauptausschuß vom 11. November bis 10. Dezember 1948 (2.–26. Sitzung) in erster Lesung den gesamten Grundgesetzentwurf. Schon unmittelbar nach der 7. Plenarsitzung des Parlamentarischen Rates am 21. Oktober 1948 einigten sich CDU/CSU und SPD, den Hauptausschuß für Mittwoch, den 3. November, einzuberufen30). Zunächst schien es, als würde der Termin eingehalten werden können, doch verzögerten sich die Beratungen in den Fachausschüssen, weil innerhalb der CDU/CSU die Frage, ob eine Bundesrat oder ein Senat eingerichtet werden sollte, nicht entschieden war. Die SPD war bereit, einen reinen Bundesrat zuzugestehen, der aber keine echte Länderkammer sein sollte, da er nach Auffassung der SPD nur ein Vetorecht haben sollte. Ursprünglich stand auf der Tagesordnung der 2. Sitzung des Hauptausschusses, die schließlich am 11. November 1948 stattfand, die Behandlung der Artikel 21 bis 44 des Grundgesetzentwurfes. Doch im Konflikt zwischen den beiden großen Fraktionen um die Frage Bundesrat/Senat während der interfraktionellen Besprechung am 10. November 194831) und auch weil der Allgemeine Redaktionsausschuß seine Arbeit aus Zeitgründen nicht abgeschlossen hatte, wurde die Tagesordnung auf die Behandlung des Kapitels „Bundestag“ beschränkt und der Abschnitt „Bundesregierung“ auf die nächste Sitzung verschoben. Bereits die Beratungen zum Abschnitt „Bundestag“ zeigten, daß die Koordinierung der Arbeit der Fachausschüsse jetzt erst ihren Anfang genommen hatte; denn es 28)

Vgl. Dok. Nr. 4, S. 114–116. Vgl. Dok. Nr. 24, S. 705, Anm. 4. 30) Bericht von Leisewitz vom 22. Okt. 1948; PA, BdMinPräs. Drucks. Nr. 70 vom 25. Okt. 1948. 31) Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 11, Dok. Nr. 11, S. 47–54. 29)

XX

Einleitung wurden bereits für die zweite Lesung des Abschnittes Zusatz- und Abänderungsanträge angekündigt. Nun wurde offensichtlich, unter welch zeitlich knappen Vorgaben die erste Lesung des Grundgesetzentwurfes im Hauptausschuß erfolgte. Wegen der wiederholt erforderlichen Absetzung von Tagesordnungspunkten beklagte sich am 24. November 1948 der Abgeordnete Walter (CDU), daß die Fraktionen keine Gelegenheit gehabt hätten, sich angemessen auf den neuen Beratungsgegenstand vorzubereiten32). Der Hauptausschuß begann die erste Lesung mit dem Abschnitt „Bundestag“, weil die Ergebnisse des Kombinierten Ausschusses am weitesten gediehen waren. Daran schlossen sich Diskussionen um die Gestaltung der Bundesregierung, das Verhältnis von Bund und Ländern, den Bundespräsidenten, den Bundesrat, das Finanzwesen und die Grundrechte an. Vom 7. bis 10. Dezember 1948 (21.–26. Sitzung) wurden die aus verschiedenen Gründen zurückgestellten Artikel sowie die umstrittenen Artikel zu Kultur, Kirche-Staatsverhältnis, Beamtentum, Flaggenfrage, Einbindung Berlins in den Bund sowie die kurz zuvor fertiggestellten Entwürfe zur Rechtspflege behandelt. Die erste Lesung endete mit der Vorranggesetzgebung und schließlich mit der Präambel. Carlo Schmid ließ für die erste Lesung noch zu, daß Diskussionen geführt wurden, die an Gründlichkeit den Fachausschußberatungen in nichts nachstanden Aber auch Formulierungsfragen wurden diskutiert. Schmid stellte einmal fest: „Wir wollen jetzt abstimmen über den Inhalt und werden dann zwischen der ersten und zweiten Lesung oder während der zweiten Lesung unser stilistisches Talent walten lassen.“33) Der Ablauf der Beratungen der Abschnitte des Grundgesetzentwurfes erfolgte – mit zwei Ausnahmen34) – nach einem wiederkehrenden Schema: Zunächst schlug der Vorsitzende vor, welche Drucksachen der Beratung zugrunde gelegt werden sollten. Nach Aufruf eines Artikels durch den Vorsitzenden nutzten insbesondere jene Fraktionen, deren Wünsche im Fachausschuß überstimmt worden waren, die Gelegenheit, ihre Anträge in meist modifizierter Form erneut zu stellen. Dann schloß sich nicht selten eine mehr oder weniger ausführliche Aussprache an, in der häufig die gleichen Argumente vorgebracht wurden, die auch in den Fachausschüssen zu hören waren. Allen Fraktionen war an diesen erneuten Aussprachen gelegen, weil im Unterschied zur Fachausschußberatung der Hauptausschuß presse-öffentlich war. Der Hauptausschuß war das Gremium, in dem die unterschiedlichen Vorstel-

32)

Vgl. Dok. Nr. 8, S. 246, Anm. 3. Dok. Nr. 26, S. 776, Anm. 28. 34) Die erste Ausnahme war, daß zum Abschnitt „Bundestag“ der Berichterstatter des Ausschusses für die Organisation des Bundes Walter (CDU) kurz die Ergebnisse des Fachausschusses vorstellte (Dok. Nr. 2, S. 7–9); so sollte im Idealfall bei jedem Abschnitt vorgegangen werden. Offensichtlich verzichtete man aber später darauf, was freilich den Berichterstatter aus dem Fachausschuß und auch den Berichterstatter des Allgemeinen Redaktionsausschusses nicht hinderte, an geeigneter Stelle die jeweiligen Ergebnisse der Ausschußarbeit kurz vorzutragen. Die zweite Ausnahme wurde bei der Beratung der Finanzverfassung gemacht; hier wurden zu Beginn der Beratungen Sachverständige gehört (Dok. Nr. 13, S.376–407). 33)

XXI

Einleitung lungen der Parteien bzw. Fraktionen über die zukünftige Gestaltung der Bundesrepublik Deutschland einander gegenüber gestellt werden konnten. Ursprünglich gingen die Abgeordneten davon aus, bis Mitte Dezember 1948 die zweite Lesung abgeschlossen zu haben. Adenauer suchte, nachdem die Alliierten am 22. November 1948 ein Memorandum zu den Entwürfen der Fachausschüsse vorgelegt hatten, u. a. auch deswegen schon Anfang Dezember 1948 bei den Alliierten um ein Gespräch nach, um ihnen dann die Ergebnisse der zweiten Lesung vorzustellen. Doch während der ersten Lesung im Hauptausschuß stellte sich heraus, wie langwierig und zäh die Verhandlungen waren. Das Ergebnis der ersten Lesung war nicht unproblematisch. Georg Leisewitz, der Leiter des Büros der Ministerpräsidenten in Bonn, faßt die Ergebnisse noch am 10. Dezember 1948 dahingehend zusammen, daß die „gefundenen Lösungen“ zu den Themen Zweite Kammer, Bundespräsident, Bundesfinanzverwaltung, Elternrecht, Rechtsstellung der christlichen Kirchen, Gerichtsbarkeit und Rechtspflege „sehr oft Ergebnisse von ,Kampfabstimmungen‘ waren“35). Leisewitz erkannte, daß zu einigen Entscheidungen „das letzte Wort offenbar noch nicht gesprochen“ worden war und in den interfraktionellen Besprechungen, die noch vor der zweiten Lesung des Grundgesetzentwurfes stattfinden sollten, manche Entscheidung gekippt werden könnte. Die zweite Lesung Am 15. Dezember 1949 – am Tag vor den Gesprächen der Delegation des Parlamentarischen Rates mit den Militärgouverneuren in Frankfurt – begann im Hauptausschuß (27. Sitzung) die zweite Lesung. Der Vorsitzende Carlo Schmid – der am 24. November 1948 formulierte: „jede Zeile, um die wir das Grundgesetz kürzer machen, wird ihm bekommen“36) – ermahnte zu Beginn der Lesung die Abgeordneten, alles zu tun, was die Verhandlungen beschleunigen würde und schlug vor37): 1. Die Artikel, die bereits mit großer Mehrheit angenommen worden waren, sollten nicht mehr in Frage gestellt werden. 2. Es sollten grundsätzlich keine Anträge mehr zugelassen werden, durch die neue, bisher nicht geregelte Materien zur Beratung und Beschlußfassung gestellt werden. 3. Es sollten jene Artikel gestrichen werden, die nicht unbedingt in das Grundgesetz gehören, das „eine funktionsfähige, demokratisch kontrollierte deutsche Regierung“ schaffen sollte. 4. Der Ausschuß sollte sich darauf konzentrieren, bei den noch strittigen Artikeln einen Kompromiß herbeizuführen, dem die große Mehrheit des Parlamentarischen Rats zustimmen könne. Gerade der letzte Punkt war notwendig, um die erforderliche 2/3 Mehrheit zu erhalten. Hierzu reichte aber die FDP-Fraktion allein als Mehrheitsbeschaffer der 35)

PA, BdMinPräs. Drucks. Nr. 102 vom 13. Dez. 1948. Dok. Nr. 8, S. 256. 37) Dok. Nr. 27, S: 781 f. 36)

XXII

Einleitung CDU/CSU oder SPD nicht aus. Vielmehr waren grundsätzliche Verständigungen zwischen Christ- und Sozialdemokraten erforderlich, um das Grundgesetz letztlich zu verabschieden. Der Verzicht auf die Beantragung neuer zusätzlicher Bestimmungen fand keine Gegenliebe; denn während der ersten Lesung wurden bekanntlich wiederholt strittige Punkte zurückgestellt, um sie nach Abschluß der ersten Lesung zu überprüfen und gegebenenfalls in der zweiten Lesung zu berücksichtigen. Zwecks dieser gründlichen Prüfung schlug der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Anton Pfeiffer vor, mit der zweiten Lesung bis zu Beginn des neuen Jahres zu warten. Doch er konnte sich nicht durchsetzen. Die Zeit drängte. Und auch darüber bestand durchweg Einigkeit, daß „die außenpolitischen Umstände eine baldige Verabschiedung des Grundgesetzes dringend notwendig“ machten, wie Georg Leisewitz am 18. Dezember 1948 formulierte38). Die zweite Lesung begann gleich am 15. Dezember 1949 (27. Sitzung) mit dem Abschnitt „Allgemeine Bestimmungen“. Unmittelbar nach Rückkehr der Delegation aus Frankfurt wurde die zweite Lesung unterbrochen: Am 18. Dezember 1948 (28. Sitzung) wurden die Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der sogenannten „Frankfurter Affäre“ und dem Mißtrauensvotum der SPD-Fraktion gegen Präsident Adenauer als Delegationsführer ausgetragen. Ferner entschieden sich in der gleichen Sitzung die demokratischen Fraktionen im Parlamentarischen Rat für die Verabschiedung einer Entschließung des Parlamentarischen Rates zur Kriegsgefangenenfrage. Erst am 5. Januar 1949 (29. Sitzung) konnte die zweite Lesung des Grundgesetzentwurfes im Hauptausschuß fortgesetzt werden. Die zweite Lesung zeichnet sich durch zweierlei aus: Zum einen wurden die unstrittigen Artikel zügig durchberaten, zum anderen wurden – wie angekündigt – die bisher zurückgestellten Änderungsvorschläge eingebracht. Bis zum 20. Januar 1949 (46. Sitzung) waren alle Artikel in zweiter Lesung im Hauptausschuß durchgesprochen. Kernprobleme blieben auch nach der zweiten Lesung die bereits im Alliierten Memorandum vom 20. November 1948 angemahnten Fragen zur Gestaltung der Zweiten Kammer und der Finanzverfassung. Die Befugnisse des mit knapper Mehrheit beschlossenen Bundesrates hingen von der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern ab, die während der Verhandlungen einen breiten Raum einnahm. Die Art. 123, 122a und 122b verlagerten das Schwergewicht des Finanzwesens auf den Bund. Das wurde auch deutlich, als Art. 143e die Vermögen des Deutschen Reiches zu Bundesvermögen erklärte. Auch hier lagen knappe Abstimmungsergebnisse vor, so daß der zweiten Lesung des Grundgesetzes im Hauptausschuß wiederum interfraktionelle Besprechungen folgen mußten, um nach Möglichkeit die noch bestehenden parteipolitischen Gegensätze zu harmonisieren. Der Hauptausschuß hatte ferner folgende Artikel überhaupt nicht oder aber nicht abschließend debattiert und somit für die dritte Lesung des Grundgesetzentwurfes zurückgestellt: – Überschrift – Präambel 38)

PA, BdMinPräs. Drucks. Nr. 105 vom 20. Dez. 1948.

XXIII

Einleitung – – – – – – –

Art. 18: Wahlrecht, Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis Art. 28: Änderung des Gebietsbestandes der Länder Art. 49: Zusammentritt des Bundestages Art. 138c–5: Kirchen und Staatsverträge mit den Kirchen Art. 148c: Lücken im Strafrecht Art. 148e: Annahme des Grundgesetzes Flaggenfrage und Wahlgesetz sollten ausschließlich vom Plenum debattiert werden.

Anläßlich des Abschlusses der zweiten Lesung im Hauptausschuß am 20. Januar 1949 konstatierte der Leiter des Büros der Ministerpräsidenten Georg Leisewitz schließlich: „In der 2. Lesung wurde [. . .] viel Zeit nutzlos vergeudet, indem z. B. die Forderung nach einer Bundesfinanzverwaltung mit der Notwendigkeit des Bundeszwanges gegen widerspenstige Länder begründet und das Mißtrauen zur Erschwerung von Verfassungsänderungen benutzt wurde, während man gleichzeitig aus Mißtrauen gegen den Bund, seinen Präsidenten und die Exekutive beantragte, dem Bundesrat weitgehendste Vollmachten zu erteilen, den Bundespräsidenten auf das rein Repräsentative zu beschränken bzw. eine rein parlamentarische Regierung zu schaffen“39). Da sich gezeigt hatte, daß in einzelnen strittigen Fragen nach der Beratung der Fachausschüsse und nun nach der zweiten Lesung im Hauptausschuß immer noch keine Einigung herbeigeführt werden konnte, wurde die weitere Aussprache in die interfraktionellen Beratungen des Fünferausschusses verlegt, ein Gremium, das auf Vorschlag des Parlamentspräsidenten Adenauer eingerichtet wurde und vom 26. Januar bis zum 28. Februar 1949 bestand40). Die dritte Lesung Vom 8. bis 10. Februar 1949 (47.–50. Sitzung) – also innerhalb von drei Tagen – wurde die dritte Lesung des Grundgesetzentwurfes im Hauptausschuß durchgeführt. Sie konnte deswegen so zügig erfolgen, weil der interfraktionelle Fünferausschuß bis dahin tragfähige Kompromisse erarbeitet hatte und weil die Redezeit gegen die Stimme des KPD-Abgeordneten Renner auf fünf Minuten beschränkt wurde. Trotz der gründlichen Vorbereitung durch den interfraktionellen Fünferausschuß gab es einige Überraschungen. Zu den Besonderheiten der dritten Lesung zählte ein Antrag der FDP-Fraktion, die dem bisher beschlossenen ausgeklügelten Regierungssystem eine Präsidialregierung entgegensetzte. (48. Sitzung)41). Abgesehen davon, daß der Antrag die Arbeit des gesamten Parlamentarischen Rates zum Staatsaufbau konterkarierte und deswegen von vornherein keine Chance auf breitere Zustimmung hatte, charakteri39)

Bericht von Leisewitz vom 22. Jan. 1949; PA, BdMinPräs. Drucks. Nr. 110 vom 23. Jan. 1949. 40) Der Parl. Rat, Bd. 11, S. XXV–XXX. 41) Dok. Nr. 48, S. 1541–1551

XXIV

Einleitung siert der Antrag doch die Grundstimmung im parlamentarischen Rat, denn nach Beratungen des Fünferausschusses ging von diesem Antrag das Signal aus, daß alles bisher vom Hauptausschuß Beschlossene in Frage gestellt werden konnte. So wurde auch erst in der dritten Lesung des Grundgesetzentwurfes am 9. Februar 1949 in der 48. Sitzung des Hauptausschusses der Begriff „Bundestag“ durch „Volkstag“ bei einem Abstimmungsergebnis von 12 gegen 7 Stimmen ersetzt42). Die Entscheidung wurde in der vierten Lesung am 5. Mai 1949 bei einem Ergebnis von 12 zu 8 Stimmen ohne Erörterung rückgängig gemacht43). Die Alliierten äußerten schon am 11. Februar 1949 gegenüber dem Präsidenten des Parlamentarischen Rates Adenauer Bedenken gegen den Grundgesetzentwurf in der Fassung der zweiten Lesung44). Ungeachtet dessen folgten interfraktionelle Beratungen des Fünferausschusses, der nach Ablehnung des Grundgesetzentwurfes am 2. März 1949 zu einem Siebenerausschuß erweitert wurde45). Die Beratung des Wahlgesetzes am 22. und 23. Februar 1949 (52. und 53. Sitzung) im Hauptausschuß kam für die meisten Abgeordneten überraschend. Sie wurde damit begründet, daß die Länder bereits mit den Vorbreitungen zur 1. Bundestagswahl beginnen könnten. Mit der Behandlung des Wahlrechts im Hauptausschuß wurde aber gleichzeitig der beschlossene Stillstand bei den Grundgesetzberatungen verborgen. Im Parlamentarischen Rat hatte man sich dahingehend verständigt, daß die Arbeit am Grundgesetz erst wieder aufgenommen werden sollte, wenn das von den Alliierten angekündigte Besatzungsstatut vorläge. Das Wahlgesetz wurde gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion beschlossen, so daß auch in diesem Fall die von den Ministerpräsidenten auf ihrer Konferenz in Königstein am 24. März 1949 geforderte 2/3 Mehrheit fehlte. Die erforderliche Mehrheit erreichte der Wahlgesetzentwurf erst am 9. Mai 1949 (59. Sitzung) im Hauptausschuß, zumal ein Abgeordneter der CDU/CSU daran entscheidend mitgewirkt hatte46). Doch im Plenum verweigerte die CDU/CSU-Fraktion ihre Zustimmung zum Wahlgesetz47), das erst in diesem fortgeschrittenen Stadium die 5%-Klausel erhielt48). Die vierte Lesung Die vierte Lesung fand am 5. und 6. Mai 1949 (57. und 58. Sitzung) statt, weil in der Zwischenzeit noch einmal interfraktionelle Vereinbarungen getroffen wurden und die Verhandlungen mit den Alliierten im April 194949) die Neuformulierung mancher Artikel mit sich brachte. Es waren dies insbesondere Artikelentwürfe zur Ausschließlichen Gesetzgebung (Art. 35), zur Bundesverwaltung (Art. 116) sowie die Art. 143c-2; Art. 21 Abs. 2; Art. 129–1; Art. 129a, die in der 58. Sitzung am 6. Mai 1949 abschließend beraten wurden. 42) 43) 44) 45) 46) 47) 48) 49)

Dok. Nr. 48, S. 1524–1531. Dok. Nr. 57, S. 1798. Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 45, S. 115. Zum Siebenerausschuß zusammenfassend: Der Parl. Rat, Bd. 11, S. XXX–XXXIV. Dok. Nr. 59, S. 1887. Der Parl. Rat, Bd. 6, S. XLII f. bes. Anm. 206. Der Parl. Rat, Bd. XXIX f. Vgl. dazu Dok. Nr. 54 und 55.

XXV

Einleitung 8. BESONDERE BERATUNGSTHEMEN AUSSERHALB DER EIGENTLICHEN GRUNDGESETZBERATUNG

Die herausragenden Debatten des Hauptausschusses im Rahmen der jeweiligen Grundgesetzlesungen, die auch die breite Öffentlichkeit erreichten, waren zweifelsohne die Auseinandersetzungen um – die Regelung des Verhältnisses von Kirche und Staat, die mit der Übernahme der Kirchenartikel aus der Weimarer Verfassung entschieden worden war, – die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie – das sogenannte „Elternrecht“. Darüber hinaus gab es jedoch – außer der Behandlung des Wahlgesetzes zum 1. Deutschen Bundestages (52., 53. und 59. Sitzung) eine Reihe von Themen, mit denen sich der Hauptausschuß befaßte, zum Teil auch, um eine Einberufung des Plenums zu vermeiden. Wiederkehrendes Thema waren die Beziehungen zu den alliierten Militärgouverneuren, die sich erstmals am 22. November 1948 mit einem Memorandum zum Grundgesetzentwurf äußerten und danach im Dezember 1948 und im April 1949 mit einer Delegation des Parlamentarischen Rates zusammentrafen. Die Begegnungen wurden zum Teil ausführlich im Hauptausschuß vor- und nachbereitet. Die Beziehungen zu den Militärgouverneuren sind in einem eigenen Band der vorliegenden Editionsreihe dargestellt worden50), weswegen im Rahmen dieser Einleitung die folgende tabellarische Übersicht genügen soll.

Datum

Thema/Tagesordnung

22. Nov. 1948

Stellungnahme zum Memorandum der Militärgouverneure vom 22. Nov. 1948 Erklärung des Präsidenten Adenauer zum Memorandum der Militärgouverneure vom 22. Nov. 1948 Antrag der KPD auf Einstellen der Grundgesetzberatung Stellungnahme der CDU/CSU-Fraktion zu einem Beitrag im Informationsdienst der SPD

25. Nov. 1948

9. Dez. 1948 10. Dez. 1948 15. Dez. 1948 18. Dez. 1948

7. Jan. 1949 8. Febr. 1949 10. Febr. 1949

50)

7 9

25

Thesen des Parlamentarischen Rates zum Besatzungsstatut Wahl der Teilnehmer der Besprechung mit den Militärgouverneuren am 16. und 17. Dez. 1948

26

Aussprache über die Besprechung mit den Militärgouverneuren am 16. und 17. Dez. 1948 Entschließung des Parlamentarischen Rates zur Kriegsgefangenenfrage Stellungnahmen der Fraktionen zum Ruhrstatut Haftentlassung des Abgeordneten Reimann (KPD) Antrag der KPD-Fraktion auf Aussetzung der Arbeit am Grundgesetz

28

Der Parl. Rat, Bd. 8.

XXVI

Sitzungsnummer

27

31 47 51

Einleitung

Datum

Thema/Tagesordnung

Sitzungsnummer

5. April 1949

Stellungnahme der Alliierten Außenminister zu den Arbeiten des Parlamentarischen Rates Antrag der KPD betreffend Einladung des Volksrates an den Parlamentarischen Rat zu einer gemeinsamen Sitzung

54

6. April 1949

Memorandum der Militärgouverneure vom 5. April 1949

55

13. April 1949

Antrag der KPD zum Besatzungsstatut Wahl der Delegation für die Besprechung mit den Militärgouverneuren am 14. April 1949

56

5. Mai 1949

Antrag der KPD auf Einstellung der Arbeit am Grundgesetz und Aufnahme von Gesprächen mit dem Deutschen Volksrat

57

9. EINRICHTUNG DER DOKUMENTE

Die stenographischen Mitschriften des Hauptausschusses liegen maschinenschriftlich in Mehrfachüberlieferung im Archiv des Deutschen Bundestages (Bestand PA 2004) sowie im Bundesarchiv Koblenz (Bestand Z 5) vor. Den Exemplaren ist gemeinsam, daß sie die gleichen handschriftlichen Korrekturen bzw. Rednerkorrekturen enthalten, vorgenommen durch das Sekretariat des Parlamentarischen Rates. Des weiteren gibt es eine Druckausgabe der Protokolle von 1950, die nach diesen maschinenschriftlichen Protokollen angefertigt, aber wesentlich stärker als die stenographischen Berichte des Plenums51) für die Drucklegung redigiert wurde. Hier wurde nicht das damals wie heute übliche Verfahren gewählt, demzufolge die Abgeordnete ihre Rednerkorrekturen vornehmen konnten. Zu Recht hat deswegen Wolfram Werner seiner Edition der Plenarprotokolle im Rahmen dieser Editionsreihe den zeitgenössischen Druck zugrunde gelegt52). Bei den Protokollen des Hauptausschusses zeigte sich, daß etliche Passagen bereinigt und kleinere, freilich unbedeutende atmosphärische Details aus dem Hauptausschuß zwar protokolliert, aber in der Veröffentlichung von 1950 nicht mehr abgedruckt wurden. Auch wurden viele Äußerungen sprachlich geglättet. 1950 ging es den drei Bearbeitern53) der Druckausgabe der Hauptausschußprotokolle darum, den Verlauf der Beratungen zum Grundgesetz zu dokumentieren. Deswegen hatten sie sich entschieden, zum Beispiel die Hauptausschußsitzung, in der über den Haushalt des Parlamentarischen Rates beraten wurde und die ohnehin nachträglich als „Unterausschuß“ deklariert worden war, nicht in ihre Veröffentlichung aufzunehmen. Auch jene Geschäftsordnungsdetails, in denen die Abgeordneten etwa berieten, zu welcher Zeit die nächste Sitzung einberufen werden solle, wur51)

Der Parl. Rat, Bd. 9. Vgl. ebd., S. XXXIX. 53) Klaus-Berto von Doemming, Rudolf Werner Füßlein und Werner Matz. 52)

XXVII

Einleitung den für den Druck von 1950 herausgenommen. Sie waren für den Zweck der Druckausgabe, die Protokolle zur Grundgesetzauslegung zur Verfügung zu stellen, uninteressant. Heute interessieren gerade diese Details um so mehr, weil sie Atmosphärisches aus der Arbeit des Hauptausschusses vermitteln. Zu diesen atmosphärischen Details gehören schließlich auch die Geburtstagsgrüße für den Vorsitzenden Schmid in der Sitzung am 3. Dezember 194854) oder die Gedenkworte anläßlich des Todes des Abgeordneten Walter (CDU/CSU) am 23. Februar 194955). Bei der vorliegenden Edition wurde die Druckausgabe der Protokolle aus dem Jahre 1950 zugrundegelegt, denn die Druckfassung fand nunmehr 60 Jahre in wissenschaftlicher Forschung und Rechtsprechung Verwendung. In dieser Editionsreihe mit einem „anderen“ Wortlaut aufzuwarten, würde unnötig Verwirrung stiften. Bei zukünftiger Zitierung einzelner Passagen des stenographischen Wortprotokolls wäre es dann nämlich erforderlich, die Druckausgabe von 1950 weiterhin zu berücksichtigen. Doch gerade das sollte mit der kommentierten Neuausgabe m. E. vermieden werden. Somit habe ich mich entschieden, zwischen Wortprotokoll und Druckausgabe differierende Textpassagen oder fehlende Textpassagen im Anmerkungsapparat auszuweisen und zu dokumentieren. Kleinere stilistische Unterschiede (z. B. Wortumstellungen) zwischen der Druckausgabe und den maschinenschriftlich überlieferten stenographischen Wortprotokollen sind nicht berücksichtigt worden. Bei der Bearbeitung der Texte wurden Zwischenüberschriften in eckigen Klammern eingefügt; dadurch erhielten die Protokolle eine Struktur, sind inhaltlich erschlossen und dokumentieren den Verhandlungsverlauf. Die Druckausgabe ist so eingerichtet worden, daß vor Abdruck des eigentlichen Protokolls in runden Klammern und in kursiver Schrift die Tagesordnungspunkte aufgeführt wurden. Zur Vereinheitlichung der vorliegenden Edition mit den bisher erschienenen Editionsbänden dieser Reihe wurden die Zusammenfassung der Tagesordnungspunkte am Beginn des Protokolls gestrichen und dafür die Tagesordnungspunkte in eckigen Klammern und in Großbuchstaben an der entsprechenden Stelle in den Text eingefügt. Der Hinweis auf erfolgte „Namensaufrufe“, meist zu Beginn der Hauptausschußsitzungen und nur gelegentlich vor Abstimmungen, wurde bereits 1950 in der Druckausgabe weggelassen. Auch ich habe darauf verzichtet, um den Anmerkungsapparat nicht unnötig mit Details zu belasten, die für den geschäftsordnungsgemäß korrekten Ablauf unbedingt erforderlich und deswegen auch selbstverständlich waren. Erfolgte der Namensaufruf jedoch im Laufe einer Sitzung, habe ich darauf im Anmerkungsapparat hingewiesen, weil diesem das Anzweifeln eines Abstimmungsergebnisses vorausgegangen war. Kleinere Abweichungen zwischen dem stenographischen Wortprotokoll und der Druckausgabe, wie z. B. CDU statt CDU/CSU, sind nicht eigens durch eine Anmerkung festgehalten worden. 54)

Vgl. Dok. 16, S. 469, Anm. 4. – Hingegen wurde die Übermittlung eines Geburtstagsgrußes des HptA an Präs. Adenauer in der Druckfassung von 1950 erwähnt. Vgl. Dok. Nr. 29, Dok. Nr. 29, S. 858. 55) Dok. Nr. 53, S. 1702.

XXVIII

Einleitung Bei der Kommentierung der Protokolle konnte in zahlreichen Fällen auf die Diskussion in den Fachausschüssen verwiesen worden. Zentrale Argumente, die aus Sicht einer Fraktion für oder gegen die Aufnahme oder Änderung eines Artikelentwurfes sprachen, kamen bereits in den Fachausschüssen zur Sprache und wurden im Hauptausschuß allenfalls nuanciert. Nicht umsonst hatte Carlo Schmid gelegentlich darum gebeten, die Ausschußdiskussionen nicht zu wiederholen, sondern, wenn keine neuen Erkenntnisse vorlägen, zügig zur Abstimmung zu kommen. Entsprechend knapp konnte in vielen Fällen der Kommentar ausfallen, wo sich ein Leser auf den ersten Blick vielleicht mehr Hinweise gewünscht hätte. Die Parlamentsdrucksachen waren vielfach Grundlage der Beratung in den Fachausschüssen und sind nicht selten in extenso in den Editionsbänden abgedruckt worden. Insbesondere in der dritten und vierten Lesung des Grundgesetzentwurfes wurde auf viele Drucksachen verwiesen, die nur nachgewiesen und auch nicht im Wortlaut wiedergeben wurden, weil sie in der Regel vom Vorsitzenden vollständig vorgelesen wurden und somit bereits Bestandteil des stenographischen Protokolls sind. Immer wieder waren Rückverweise auf die vorhergehenden Bände der Edition „Der Parlamentarische Rat. Akten und Protokolle“ möglich. Deswegen schien eine knappe Kommentierung sinnvoll. Bei der Kommentierung der Protokolle des Hauptausschusses hatte sich die Entscheidung als sinnvoll erwiesen, mit der Edition der Protokolle des Hauptausschusses so lange zu warten, bis die Protokolle der Fachausschüsse publiziert waren. In der vorliegenden Edition sind in eckigen Klammern die Seitenzahlen der Druckausgabe von 1950 eingefügt worden (z. B.: [S. 234]). Das soll die Auffindung von Zitaten in dem Fall erleichtern, wo die Druckausgabe von 1950 zitiert wurde. Das betrifft nicht nur die bisher erschienenen Bände dieser Editionsreihe. Am Schluß des vorliegenden Bandes gibt es in der Anlage 1 eine Konkordanz mit der Seitenzählung in der Druckausgabe von 1950 und der vorliegenden Edition. Anlage 2 enthält eine Zeittafel zur Geschichte des Parlamentarischen Rates, in der alle Sitzungen und Besprechungen des Parlamentarischen Rates, soweit bekannt, nachgewiesen werden. Die Zeittafel enthält in einer eigenen Spalte den Druckort der Protokolle oder einschlägiger Gesprächsaufzeichnungen in den Bänden der Edition „Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle“ sowie ggf. eine Fundstelle oder einen Beleg in weiteren Quellenwerken. Am Ende der getanen Arbeit ist es mir eine freudige Verpflichtung, den Kollegen im Parlamentsarchiv zu danken, namentlich Frau Uta Schmidt sowie Frau Janine Vogt, die mich mit großer Einsatzfreude und Sorgfalt bei der Erstellung der Verzeichnisse, der Konkordanz und der Indices unterstützte. Dem Leiter des Parlamentsarchivs Matthias Meitzel danke ich für die Förderung und Ermutigung, mit dem er die Fertigstellung der Edition begleitete und vor allem ermöglichte. Seinem persönlichen Engagement ist es zu verdanken, daß 60 Jahre seit Bestehen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland mit dem vorliegenden Band der „Schlußstein“ der Edition „Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle“ gesetzt werden konnte. Berlin, den 1. September 2009

Michael F. Feldkamp

XXIX

Einleitung

XXX

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

Seite

VERZEICHNIS DER DOKUMENTE

Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

Seite

1

Erste, konstituierende Sitzung des Hauptausschusses. 15. September 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wahl des Vorsitzenden, Stellvertreters und Schriftführers 2. Aufgabe des Hauptausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Benennung eines Berichterstatters für Haushaltsfragen . .

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1 1 1 2

2.

Zweite Sitzung des Hauptausschusses. 11. November 1948. . . . 1. Aufgabe, Selbstverständnis und Arbeitsweise des Hauptausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erste Lesung – Abschnitt IV: Der Bundestag . . . . . . . . . . 2.1. Bericht des Abg. Walter (CDU). . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Art. 45: Grundzüge des Bundeswahlrechts. . . . . . . . 2.2.1. Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Berliner Abgeordnete. . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3. Anzahl der Abgeordneten bei Erweiterung des Bundesgebietes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4. Wahlrechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Art. 46: Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Art. 47: Imperatives Mandat und Fraktionsdisziplin . . 2.5. Art. 48: Wahlperiode und Auflösung des Bundestages . 2.6. Art. 49: Konstituierung des Bundestages . . . . . . . . . 2.7. Art. 50: Bundestagspräsident und Schriftführer . . . . . 2.8. Art. 51: Wahlprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9. Art. 53: Öffentlichkeit des Bundestages . . . . . . . . . 2.10. Art. 54 und 55: Beschlußfassung und Rederecht im Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.11. Art. 56: Schluß und Einberufung einer Sitzung des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.12. Art. 57: Untersuchungsausschuß . . . . . . . . . . . . . 2.13. Art. 58: Ständiger Ausschuß zwischen zwei Wahlperioden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.14. Art. 59: Indemnität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.15. Art. 60: Immunität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.16. Art. 61: Zeugnisverweigerungsrecht . . . . . . . . . . .

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3

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4 7 7 10 10 15

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21 23 31 32 33 33 35 35 37

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39

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39 41

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51 53 56 60

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XXXI

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

Seite

2.17. Art. 62: Berufsverhältnis während der Ausübung eines Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.18. Art. 63: Entschädigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.19. Art. 64: Zwischen den Wahlperioden . . . . . . . . . . . . 3.

Dritte Sitzung des Hauptausschusses. 16. November 1948 . . 1. Erste Lesung – Abschnitt VII: Die Bundesregierung . . . . 1.1. Zur Verfahrensweise im Hauptausschuss . . . . . . . 1.2. Vorbemerkungen zum Abschnitt: Bundesregierung . 1.3. Art. 86: Zusammensetzung der Bundesregierung . . 1.4. Art. 87: Wahl des Bundeskanzlers . . . . . . . . . . . 1.5. Art. 89: Ernennung des Bundesministers . . . . . . . 1.6. Art. 90: Konstruktives Mißtrauensvotum . . . . . . . 1.7. Art. 91: Vertretung des Bundeskanzlers . . . . . . . . 1.8. Art. 91 a: Inkompatibilität . . . . . . . . . . . . . . . 1.9. Art. 92: Eidesleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.10. Art. 93: Richtlinienkompetenz . . . . . . . . . . . . . 1.11. Art. 94: Aufgaben des Bundeskanzlers . . . . . . . . 1.12. Art. 95: Rücktritt von Bundeskanzler und Bundesministern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.13. Art. 96: Landesvertretungen . . . . . . . . . . . . . .

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4

Vierte Sitzung des Hauptausschusses. 17. November 1948 . 1. Behandlungen von Eingaben . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anfertigung von Kurzprotokollen. . . . . . . . . . . . . . 3. Erste Lesung – Abschnitt VII: Die Bundesregierung . . . 3.1. Art. 87: Wahl des Bundeskanzlers . . . . . . . . . . 3.2. Art. 90: Konstruktives Mißtrauensvotum . . . . . . 3.3. Art. 90a: Auflösung des Bundestages . . . . . . . . 4. Erste Lesung – Abschnitt II: Allgemeine Bestimmungen . 4.1. Vorgehensweise des Hauptausschusses . . . . . . . 4.2. Art. 21: Staatlicher Aufbau und Art. 21a: Parteien. 4.3. Art. 21b: Bundesfarben . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Art. 22: Staatsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5. Art. 23: Berliner Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . 4.6. Art. 24 und 25: Neugliederung der Länder . . . . .

5

Fünfte Sitzung des Hauptausschusses. 18. November 1948 . 1. Erste Lesung – Abschnitt II: Allgemeine Bestimmungen . 1.1. Art. 26: Gebietsbestand der Länder . . . . . . . . . 1.2. Art. 27: Staatliches Leben der Länder . . . . . . . . 1.3. Art. 27a: Staats- und Landesangehörigkeit . . . . . 1.4. Art. 29: Völkerrecht und Bundesrecht. . . . . . . .

XXXII

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60 63 63

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64 64 64 65 68 69 82 85 89 91 92 93 94

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100 101

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103 103 104 105 105 109 111 114 114 116 121 131 132 133

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140 140 140 146 157 158

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

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Sechste Sitzung des Hauptausschusses. 19. November 1948 . . 1. Gespräch des Präsidenten Adenauer mit General Robertson am 17. November 1948. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erste Lesung – Abschnitt II: Allgemeine Bestimmungen . . 2.1. Art. 30: Hoheitsrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Art. 31: Friedliches Zusammenleben der Völker . . . 2.3. Art. 32: Kriegsächtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erste Lesung – Abschnitt III: Bund und Länder. . . . . . . . 3.1. Art. 30: Ausübung der staatlichen Befugnisse . . . . . 3.2. Art. 31: Bundesrecht/Landesrecht. . . . . . . . . . . . 3.3. Art. 32: Vorranggesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Art. 33: Ausschließliche Gesetzgebung des Bundes. . 3.5. Art. 34: Gesetzgebungsrecht der Länder . . . . . . . . 3.6. Art. 35: Ausschließliche Gesetzgebung des Bundes. . 4. Antrag von CDU und CSU: Stellungnahme des Präsidenten Adenauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Seite . .

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203

Siebente Sitzung des Hauptausschusses. 23. November 1948. . . . 1. Stellungnahme zum Memorandum der Militärgouverneure vom 22. November 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erste Lesung – Abschnitt III: Bund und Länder, Art. 36 (Vorranggesetzgebung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Ziffer 1: Recht, Strafvollzug, Gerichtsverfassung, Notariatswesen, Rechtsanwaltschaft, Rechtsberatung. . . 2.2. Ziffer 2–3a: Personenstandswesen, Vereinsrecht, Parteien 2.3. Ziffer 4: Postgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Ziffer 5: Aufenthalts- und Niederlassungsrecht für Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5. Ziffer 6: Schutz des Kulturgutes . . . . . . . . . . . . . . . 2.6. Ziffer 7: Öffentlicher Dienst der Länder . . . . . . . . . . 2.7. Ziffer 8 und 9: Flüchtlingswesen, Kriegsschäden, Wiedergutmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8. Ziffer 10: Wirtschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9. Ziffer 11–15: Arbeits-, Streik- und Enteignungsrecht sowie Sonderbestimmungen des Wirtschaftsrecht . . . . 2.10. Ziffer 16 und 17: Landwirtschaftliche Nutzung, Jagdrecht usw. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.11. Ziffer 18: Heilberufe und Arzneimittel . . . . . . . . . . . 2.12. Ziffer 19: Nahrungs-, Genuß- und Futtermittel . . . . . . 2.13. Ziffer 20: Öffentliche Fürsorge. . . . . . . . . . . . . . . . 2.14. Ziffer 21: Kriegsteilnehmer und Hinterbliebene . . . . . . 2.15. Ziffer 22: Schiffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.16. Ziffer 23: Straßen und Verkehr. . . . . . . . . . . . . . . . 2.17. Ziffer 24: Schienenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . .

206 206 208 208 216 217 218 219 220 221 222 223 224 227 227 232 232 237 242 243

XXXIII

Verzeichnis der Dokumente Nr. 8

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Titel des Dokuments und Inhalt

Seite

Achte Sitzung des Hauptausschusses. 24. November 1948 . . . . . 1. Vorbereitung der Beratungen über die Finanzverfassung . . . . 2. Erste Lesung – Abschnitt III: Bund und Länder . . . . . . . . . . 2.1. Art. 39 bis 41: Amts- und Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . 2.2. Art. 42 und 43: Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Art. 44: Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erste Lesung – Abschnitt VI: Der Bundespräsident . . . . . . . . 3.1. Art. 75: Wahl des Bundespräsidenten . . . . . . . . . . . . 3.2. Art. 76: Amtsdauer des Bundespräsidenten . . . . . . . . 3.3. Art. 77: Unabhängigkeit des Bundespräsidenten. . . . . . 3.4. Art. 78: Amtseid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Art. 79: Vertretung des Bundespräsidenten . . . . . . . . . 3.6. Art. 80: Anordnungen des Bundespräsidenten. . . . . . . 3.7. Art. 81: Völkerrechtliche Vertretung. . . . . . . . . . . . . 3.8. Art. 82: Ernennung und Entlassung von Bundesbeamten. 3.9. Art. 83: Begnadigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.10. Art. 84: Immunität des Bundespräsidenten. . . . . . . . . 3.11. Art. 85: Präsidentenanklage . . . . . . . . . . . . . . . . . N eunte Sitzung des Hauptausschusses. 25. November 1948. . . . . 1. Erklärung des Präsidenten Adenauer zum Memorandum der Militärgouverneure vom 22. November 1948 . . . . . . . . . 2. Stellungnahme des Hauptausschusses zum Memorandum der Militärgouverneure vom 22. November 1948 . . . . . . . . . Zehnte Sitzung des Hauptausschusses. 30. November 1948 . 1. Erste Lesung – Abschnitt III: Bund und Länder, Art. 36 Ziffer 19 und 22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erste Lesung – Abschnitt VI: Der Bundespräsident, Art. 75 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erste Lesung – Abschnitt XIII: Übergangs- und Schlußbestimmungen, Art. 147a . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Elfte Sitzung des Hauptausschusses. 30. November 1948 . . . . 1. Erste Lesung – Abschnitt V: Der Bundesrat . . . . . . . . . . 1.1. Art. 65: Mitwirkung der Länder . . . . . . . . . . . . . 1.2. Art. 66 und 67: Zusammensetzung des Bundesrates . 1.3. Art. 68: Vorsitz im Bundesrat. . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Art. 69: Einberufung des Bundesrates . . . . . . . . . . 1.5. Art. 70: Geschäftsordnung des Bundesrates . . . . . . 1.6. Art. 71: Öffentlichkeit der Sitzungen des Bundesrates 1.7. Art. 72: Ausschüsse im Bundesrat . . . . . . . . . . . .

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Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

Seite

1.8.

Art. 73: Antragsrecht und Teilnahme des Bundeskanzlers im Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.9. Art. 74: Privilegien für die Mitglieder des Bundesrates. 1.10. Antrag der KPD-Fraktion zur Ländervertretung . . . . . 2. Erste Lesung – Abschnitt IX: Die Gesetzgebung. . . . . . . . . 2.1. Art. 103: Gesetzesvorlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Art. 104, 105 und 105a: Zustimmungspflichtige und Einspruchgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

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Zwölfte Sitzung des Hauptausschusses. 1. Dezember 1948 . . . . . 1. Erste Lesung – Abschnitt V: Der Bundesrat, Art. 66 Abs. 2 und 3: Zusammensetzung des Bundesrates . . . . . . . . . . . . 2. Abschnitt IX: Die Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Art. 104 und 105: Einspruchsgesetze und zustimmungspflichtige Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Art. 105a: Einspruchsfristen des Bundesrates . . . . . . . 2.3. Art. 106: Grundgesetzänderungen . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Art. 107: Änderung der bundesstaatlichen Grundordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5. Art. 108a: Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . .

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Dreizehnte Sitzung des Hauptausschusses. 1. Dezember 1948 . 1. Erste Lesung – Abschnitt IX: Die Gesetzgebung, Art. 111 ff.: Notstandsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erste Lesung – Abschnitt XI: Das Finanzwesen. . . . . . . . 2.1. Zur Verfahrensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Anhörung des Sachverständigen Strickrodt . . . . . . 2.3. Stellungnahme des Abgeordneten Menzel . . . . . . . 2.4. Anhörung des Sachverständigen Dudek . . . . . . . . 2.5. Anhörung des Sachverständigen Schenck . . . . . . . 2.6. Anhörung des Sachverständigen Weisser . . . . . . . 2.7. Anhörung des Sachverständigen Ringelmann . . . . . 2.8. Anhörung des Sachverständigen Vowinkel . . . . . .

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Vierzehnte Sitzung des Hauptausschusses. 2. Dezember 1948 . . . 1. Einrichtung eines Unterausschusses Flaggenfrage . . . . . . . . 2. Erste Lesung – Abschnitt XI: Das Finanzwesen. . . . . . . . . . 2.1. Art. 121: Finanzwirtschaft von Bund und Länder. . . . . 2.2 Art. 122: Deckung der Ausgaben des Bundes . . . . . . . 2.3. Art. 122a: Ausschließliche und Vorranggesetzgebung des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Art. 122b: Steuereinnahmen für Bund und Länder . . . . 2.5. Art. 123: Finanzverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . .

408 408 408 408 416 423 426 432

XXXV

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

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Fünfzehnte Sitzung des Hauptausschusses. 2. Dezember 1948 . . . 1. Erste Lesung – Abschnitt XI: Das Finanzwesen . . . . . . . . . . 1.1. Art. 122b Abs. 2: Steuereinnahmen für Bund und Länder 1.2. Art. 124: Haushaltsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Art. 124a: Schluß des Rechnungsjahres . . . . . . . . . . . 1.4. Art. 124b: Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßige Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Art. 124c: Haushaltsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6. Art. 125: Rechnungslegung und Rechnungsprüfung. . . . 1.7. Art. 126: Kreditgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Seite 441 441 441 449 452 453 454 462 463

Sechzehnte Sitzung des Hauptausschusses. 3. Dezember 1948 . . . 1. Erste Lesung – Abschnitt IX: Die Gesetzgebung . . . . . . . . . . 1.1 Art. 111: Notstandsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Art. 111c und 111d: Mitwirkung bei Bundesgesetzen – Verkündung und Inkrafttreten von Gesetzen . . . . . . . . 2. Erste Lesung – Abschnitt X: Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Art. 112-1: Ausführung von Bundesgesetzen durch Länder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Art. 112-2: Ausführung von Bundesgesetzen durch den Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Art. 113: Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder nach Weisung des Bundes . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Art. 114: Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5. Art. 114a: Übertragung der Gesetzgebung auf die Länder . 2.6. Art. 115: Bundeszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7. Art. 116: Bundesverwaltungen und bundesunmittelbare Selbstverwaltungseinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . 2.8. Art. 117: Verwaltungen der Bundesbahn und Bundespost 2.9. Art. 118: Wasserstraßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10. Art. 118a: See- und Binnenschiffahrt . . . . . . . . . . . . 2.11. Art. 188a: Bundeskraftfahrstraßen . . . . . . . . . . . . . . 2.12. Flüchtlingswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

484 493 494 499 501 506

Siebzehnte Sitzung des Hauptausschusses. 3. Dezember 1948 . . . 1. Erste Lesung – Abschnitt I: Die Grundrechte . . . . . . . . . . . 1.1. Art. 1: Würde des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Art. 2: Recht auf Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Art. 3: Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Art. 4: Gleichstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Art. 5: Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6. Art. 6: Meinungs- und Pressefreiheit . . . . . . . . . . . . 1.7. Art. 7: Freiheit von Kunst, Wissenschaft und Forschung .

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XXXVI

469 469 469 471 471 472 473 475 479 481 483

Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt 1.8. 1.9.

18

Seite

Art. 8: Versammlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . Art. 9: Vereinigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Achtzehnte Sitzung des Hauptausschusses. 4. Dezember 1948 . 1. Erste Lesung – Abschnitt I: Die Grundrechte . . . . . . . . . 1.1. Art. 9: Vereinigungsrecht (Fortsetzung). . . . . . . . . 1.2. Art. 10: Postgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Art. 11: Freizügigkeit im Bundesgebiet . . . . . . . . . 1.4. Art. 12: Freizügigkeit und freie Wahl der Arbeit. . . . 1.5. Art. 13: Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6. Art. 14: Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7. Art. 15: Enteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8. Art. 16: Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 1.9. Art. 17: Auslieferung und Asylrecht . . . . . . . . . . 1.10. Art. 18: Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.11. Art. 19: Zugang zu öffentlichen Ämtern . . . . . . . . 1.12. Art. 20: Petitionsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.13. Art. 21: Einschränkung der Grundrechte . . . . . . . . 2. Erste Lesung – Abschnitt II: Allgemeine Bestimmungen, Art. 27a: Beamtenrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erste Lesung – Abschnitt XIII: Übergangs- und Schlußbestimmungen, Art. 139a: Beamtenrecht . . . . . . . . . . . 4. Beratung des weiteren Arbeitsprogramms. . . . . . . . . . .

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Neunzehnte Sitzung des Hauptausschusses. 6. Dezember 1948 . . Vertagung des Hauptausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zwanzigste Sitzung des Hauptausschusses. 7. Dezember 1948 . . . 1. Erste Lesung – Abschnitt VII: Die Bundesregierung, Art. 90b: Notstandsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erste Lesung – Abschnitt XIII: Übergangs- und Schlußbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Art. 138a: Geltungsbereich des Grundgesetzes. . . . . . . 2.2. Art. 138b: Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Art. 138d: Beginn der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . 2.4. Art. 139 und 139a bis 139c: Rechtsetzung vor Gründung der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5. Art. 139d: Einschränkung des Grundrechts der Freizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6. Art. 140: Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bei Meinungsverschiedenheiten . . . . . . . . . . . . . . . 2.7. Art. 138d: Rechtsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8. Art. 143a: Verwaltung und Rechtspflege in den Ländern . 2.9. Art. 143c: Abwicklung zonaler und bizonaler Behörden .

555 555 560 560 562 568 569 569 570 570 571 571

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Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

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2.10. Art. 143d: Ablösung der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.11. Art. 143e: Reichsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.12. Art. 143f: Zuständigkeit für Vermögensstreitigkeiten von Gebietskörperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.13. Art. 146: Rechtsvorschriften zur Befreiung des Deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus . . . . 2.14. Art. 147b: Bundesversammlung . . . . . . . . . . . . . . . 2.15. Art. 148: Obergericht der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.16. Art. 148a: Angleichung der Länderverfassungen an das Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.17. Art. 148b: Wahlrecht in den Ländern . . . . . . . . . . . . 2.18. Art. 148c: Hoch- und Landesverrat . . . . . . . . . . . . . 2.19. Art. 148d: Anpassung des bürgerlichen Rechts über die Gleichstellung der Frau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.20. Art. 148e: Volksentscheid. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.21. Art. 148f: Inkrafttreten des Grundgesetzes . . . . . . . . . 2.22. Art. 149: Gültigkeitsdauer des Grundgesetzes . . . . . . . 21

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Einundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses. 7. Dezember 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erste Lesung – Abschnitt I: Grundrechte . . . . . . . . . . . . . 1.1. Art. 19 Abs. 2: Öffentliche Ehrenämter . . . . . . . . . . 1.2. Art. 7a: Schutz der Ehe und Familie. . . . . . . . . . . . 1.3. Art.: Elternrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1. Antrag der CDU/CSU-Fraktion und Begründung durch Weber (CDU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2. Stellungsnahme von Heuss (FDP) . . . . . . . . . 1.3.3. Stellungnahme von Seebohm (DP) . . . . . . . . 1.3.4. Stellungnahme von Bergsträsser (SPD) . . . . . . 1.3.5. Stellungnahme von Renner (KPD) . . . . . . . . 1.3.6. Stellungnahme von Walter (CDU) . . . . . . . . . 1.3.7. Stellungnahme von Schönfelder (SPD) . . . . . . 1.3.8. Stellungnahme von Zimmermann (SPD) . . . . . 1.3.9. Stellungnahme von Süsterhenn (CDU) . . . . . . 1.3.10. Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweiundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 8. Dezember 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antrag von CDU/CSU, Zentrum und DP zur Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat . . . . . . . . . . 2. Erste Lesung – Art. 27a: Berufsbeamtentum . . . . . . . . . 3. Antrag Seebohm betreffend Privatschulen . . . . . . . . . .

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Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt 4. Antrag der Zentrumspartei betr. Volksentscheid . . . . . . . . 5. Erste Lesung – Abschnitt II: Allgemeine Bestimmungen . . . 5.1. Art. 21b: Bundesflagge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Art. 23: Berliner Vertreter in den gesetzgebenden Gremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Art. 29b: Kriegsächtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Erste Lesung – Abschnitt IV: Der Bundestag, Art. 55 Abs. 2: Zutritt von Länder- und Bundesregierungsvertretern an Sitzungen des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Erste Lesung – Abschnitt VI: Der Bundespräsident, Art. 77: Inkompatibilität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Erste Lesung – Abschnitt VII: Die Bundesregierung . . . . . . 8.1. Art. 96: Ländervertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2. Art. 108a Abs. 2: Rechtsverordnungen betreffend Bau von Eisenbahnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3. Art. 115: Polizeiliche Hilfspflicht . . . . . . . . . . . . . 8.4. Art. 139a: Beamtenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5. Art. 143e: Reichsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6. Art. 143f: Vermögensauseinandersetzung von Gebietskörperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.7. Art. 148a: Angleichung der Landesverfassungen an das Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.8. Aussetzung von Art. 148a, b, c und d für die zweite Lesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dreiundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 8. Dezember 1948. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erste Lesung – Abschnitt XII: Gerichtsbarkeit und Rechtspflege 1.1. Art. 128: Einrichtung von Bundesgerichten . . . . . . . . 1.2. Art. 128a: Zuständigkeit des Obersten Bundesgerichts . . 1.3. Art. 128b: Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts. 1.4. Art. 128c: Gesetzeskraft von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Art. 128d: Richter des Obersten Bundesgerichts. . . . . . 1.6. Art. 128e: Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts. . . Vierundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 9. Dezember 1948. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erste Lesung – Abschnitt XII: Gerichtsbarkeit und Rechtspflege 1.1. Art. 129: Weitere Oberste Bundesgerichte . . . . . . . . . 1.2. Art. 129a: Anstellung der Richter in den Ländern. . . . . 1.3. Art. 129b: Entscheidung von landesrechtlichen Streitigkeiten durch Obere Bundesgerichte . . . . . . . . . . . . .

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Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

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Fünfundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 9. Dezember 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Stellungnahme der CDU/CSU-Fraktion zu einem Beitrag im Informationsdienst der SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erste Lesung – Abschnitt XII: Gerichtsbarkeit und Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Art. 131: Verbot von Ausnahmegerichten. . . . . . . . 2.2. Art. 132: Richterliche Unabhängigkeit . . . . . . . . . 2.3. Art. 135: Rechtliches Gehör und Verbot der Doppelbestrafung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Art. 136: Rechtsgarantien bei Freiheitsentzug . . . . . 2.5. Art. 133: Richteranklage . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sechsundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 10. Dezember 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erste Lesung – Abschnitt XII: Gerichtsbarkeit und Rechtspflege, Art. 137, 137a: Verschiedene Aufgaben der Obersten Bundesgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erste Lesung – Abschnitt III: Bund und Länder, Art. 36 Ziffer 14a: Überführung von Grund, Ziffer 22: Schienenbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erste Lesung – Abschnitt VIII: Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung, Art. 118: Bundeswasserstraßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erste Lesung – Präambel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Thesen des Parlamentarischen Rates zum Besatzungsstatut . . . Siebenundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 15. Dezember 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Modalitäten zur Durchführung der zweiten Lesung des Grundgesetzentwurfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wahl der Teilnehmer der Besprechung mit den Militärgouverneuren am 16. und 17. Dezember 1948. . . . . . . . . . . 3. Zweite Lesung – Abschnitt II: Allgemeine Bestimmungen. . . . 3.1. Art. 21: Staatsverständnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Art. 21a: Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Art. 22: Geltungsgebiet des Grundgesetzes . . . . . . . . . 3.4. Art. 23: Berliner Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Art. 24: Staatsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6. Art. 25 und 26: Neugliederung des Bundesgebiets sowie Änderung des Gebietsbestandes der Länder . . . . . . . . 3.7. Art. 27: Staatliches Leben der Länder . . . . . . . . . . . . 3.8. Art. 27a: Staatsbürgerliche Rechte und Pflichten . . . . . 3.9. Art. 27b: Berufsbeamtentum . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

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3.10. Art. 27c: Beamtenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.11. Art. 29: Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erklärung der Abg. Wessel zur Abstimmung über die Wahl der Teilnehmer der Besprechung mit den Militärgouverneuren. . . 28

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Achtundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 18. Dezember 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausschluß der Öffentlichkeit und Vertraulichkeit der Beratung 2. Besprechungen mit den Militärgouverneuren am 16. und 17. Dezember 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Bericht des Präsidenten Adenauer . . . . . . . . . . . . . 2.2. Verlesen der Mitschrift der Erklärung der Militärgouverneure vom 17. Dezember 1948 in Frankfurt am Main . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Aussprache über die Berichte . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entschließung betreffend die Kriegsgefangenenfrage. . . . . . .

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Neunundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses. 5. Januar 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begrüßung und Antrag zur Geschäftsordnung . . . . . . . 2. Zweite Lesung – Abschnitt II: Allgemeine Bestimmungen 2.1. Art. 29-1: Handelsflotte . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Art. 29a: Hoheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Art. 29b: Friedliches Zusammenleben der Völker. . 2.4. Art. 29c: Verbot der Herstellung von Waffen . . . . . 3. Zweite Lesung – Abschnitt III: Bund und Länder . . . . . 3.1. Art. 30: Ausübung der Staatlichen Befugnisse . . . . 3.2. Art. 31: Bundesrecht bricht Landesrecht . . . . . . . 3.3. Art. 32: Zuständigkeit von Bund und Ländern . . . 3.4. Art. 33: Ausschließliche Gesetzgebung . . . . . . . . 3.5. Art. 34: Vorranggesetzgebung . . . . . . . . . . . . .

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Dreißigste Sitzung des Hauptausschusses. 6. Januar 1949 . 1. Zweite Lesung – Abschnitt III: Bund und Länder . . . 1.1. Art. 36: Vorranggesetzgebung des Bundes . . . . 1.2. Art. 39: Amtshilfe und Rechtshilfe . . . . . . . . 1.3. Art. 40: Vereinbarungen zwischen den Ländern. 1.4. Art. 41: Verträge mit Auswärtigen Staaten . . . . 1.5. Art. 43: Auswahl der Beamten in den Obersten Bundesbehörden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6. Art. 44: Meinungsverschiedenheiten . . . . . . . 2. Zweite Lesung – Abschnitt IV: Bundestag, Art. 45: Bundestagswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses. 7. Januar 1949 . 1. Zweite Lesung – Abschnitt III: Bund und Länder, Art. 36 Ziffer 11: Ruhrstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Stellungnahme der SPD-Fraktion zum Ruhrstatut . . . . 1.2. Stellungnahme der CDU/CSU-Fraktion zum Ruhrstatut 1.3 Stellungnahme der FDP-Fraktion zum Ruhrstatut . . . . 1.4. Stellungnahme der DP-Fraktion zum Ruhrstatut. . . . . 1.5. Stellungnahme der Zentrumsfraktion zum Ruhrstatut . 1.6. Stellungnahme der KPD-Fraktion zum Ruhrstatut. . . . 1.7. Drucklegung des stenographischen Wortprotokolls . . . 1.8. Antrag, die Stellungnahme der KPD zur Abstimmung zu stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zweiunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses. 7. Januar 1949 . 1. Zweite Lesung – Abschnitt III: Bund und Länder: Art. 36: Vorranggesetzgebung des Bundes (Fortsetzung) . . . . . 2. Zweite Lesung – Abschnitt IV: Der Bundestag. . . . . . . . . . . 2.1. Art. 47: Abgeordnete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Art. 48: Wahlperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Art. 49: Konstituierung des Bundestages . . . . . . . . . . 2.4. Art. 50: Bundestagspräsident . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5. Art. 51: Wahlprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6. Art. 53: Öffentlichkeit der Verhandlungen . . . . . . . . . 2.7. Art. 54: Beschlüsse des Bundestages . . . . . . . . . . . . 2.8. Art. 55: Teilnahme von Mitgliedern der Bundesregierung und des Bundesrates an den Sitzungen . . . . . . . . . . . 2.9. Art. 56: Plenarsitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10. Art. 57: Untersuchungsausschuß. . . . . . . . . . . . . . . 2.11. Art. 58: Ständiger Ausschuß . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.12. Art. 59: Indemnität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.13. Art. 60: Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.14. Art. 61: Recht auf Zeugnisverweigerung . . . . . . . . . . 2.15. Art. 62: Freie Mandatsausübung . . . . . . . . . . . . . . . 2.16. Art. 63: Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zweite Lesung – Abschnitt VI: Der Bundespräsident. . . . . . . 3.1. Art. 75: Wahl des Bundespräsidenten . . . . . . . . . . . . 3.2. Art. 76: Amtsdauer und Wiederwahl . . . . . . . . . . . . 3.3. Art. 77: Inkompatibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Art. 78: Amtseid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dreiunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses. 8. Januar 1949 . 1. Zweite Lesung – Abschnitt III: Bund und Länder, Art. 36 Ziffer 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt 2. Zweite Lesung – Abschnitt VI: Der Bundespräsident (Fortsetzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Art. 79: Vertretung des Bundespräsidenten . . . 2.2. Art. 80: Anordnungen des Bundespräsidenten . 2.3. Art. 81: Völkerrechtliche Vertretung des Bundes 2.4. Art. 82: Ernennung von Bundesbeamten . . . . . 2.5. Art. 83: Begnadigungsrecht. . . . . . . . . . . . . 2.6. Art. 84: Immunität. . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7. Art. 85: Präsidentenanklage . . . . . . . . . . . . 3. Zweite Lesung – Abschnitt VII: Die Bundesregierung . 3.1. Art. 86: Zusammensetzung der Bundesregierung 3.2. Art. 87: Wahl des Bundeskanzlers. . . . . . . . . 3.3. Art. 89: Wahl der Bundesminister . . . . . . . . . 3.4. Art. 89a: Amtseid . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Art. 89b: Richtlinienkompetenz . . . . . . . . . . 3.6. Art. 89c: Nebentätigkeit von Bundeskanzler und Bundesministern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7. Art. 90: Konstruktives Mißtrauensvotum . . . . . 3.8. Art. 90a: Auflösung des Bundestages . . . . . . .

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Vierunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses. 11. Januar 1949 1. Zweite Lesung – Abschnitt VII: Die Bundesregierung . . . . . . 1.1. Art. 90b: Gesetzgebungsnotstand . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Art. 95: Rücktritt von Regierungsmitgliedern . . . . . . . 1.3. Art. 95a: Stellvertreter des Bundeskanzlers . . . . . . . . 1.4. Art. 96: Landesvertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zweite Lesung – Abschnitt VI: Der Bundespräsident, Art. 81 Abs. 2: Zustimmung bei politischen Verträgen. . . . . .

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Fünfunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses. 12. Januar 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweite Lesung – Abschnitt X: Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung. . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Art. 112/1: Ausführung der Bundesgesetze . . . . . . 1.2. Art. 112/2 (bisher Art. 114): Ausführung der Bundesgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zweite Lesung – Abschnitt VI: Der Bundespräsident, Art. 81: Völkerrechtliche Vertretung . . . . . . . . . . . . . .

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Sechsunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses. 12. Januar 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweite Lesung – Abschnitt X: Ausführung der Bundesgesetze und Bundesverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

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1.1.

Art. 112/2 und Art. 114: Bundesgesetz und Zustimmung durch Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Art. 115: Bundeseigene Verwaltung . . . . . . . . . . . . . 1.3. Art. 116: Oberste Bundesbehörden . . . . . . . . . . . . . 1.4. Art. 117: Bundeseisenbahn, Post- und Fernmeldewesen . 1.5. Art. 118: Bundeswasserstraßen. . . . . . . . . . . . . . . . 1.6. Art. 118a: Autobahnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7. Art. 118b: Pflichten der Länder . . . . . . . . . . . . . . . 1.8. Art. 118c: Verteidigung der demokratischen Grundordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zweite Lesung – Abschnitt IX: Die Gesetzgebung. . . . . . . . . 2.1. Art. 103: Gesetzesvorlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Art. 104: Einspruchsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Art. 105: Zustimmungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Art. 105a: Zustandekommen eines Zustimmungsgesetzes 2.5. Art. 106: Grundgesetzänderung . . . . . . . . . . . . . . . 2.6. Art. 108: Änderungen von Grundrechtsartikeln . . . . . . 2.7. Art. 108a: Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . 2.8. Art. 111: Notverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9. Art. 111z: Notstandsrecht (vorher Art. 90b) . . . . . . . . 2.10. Art. 111a: Mitwirkung bei der Bundesgesetzgebung. . . . 2.11. Art. 111b: Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . 37

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Siebenunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses 13. Januar 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweite Lesung – Abschnitt VIII: Gerichtsbarkeit und Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Art. 128: Bundesgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Art. 128b: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Art. 128c: Einstweilige Anordnungen durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Art. 128e: Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts . 1.5. Art. 128a: Zuständigkeit des Obersten Bundesgerichts 1.6. Art. 128d: Mitglieder des Bundesgerichtshofs . . . . . 1.7. Art. 129: Obere Bundesgerichte . . . . . . . . . . . . . 1.8. Art. 129-1 (bisher Art. 133): Entlassung eines Bundesrichters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Achtunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses. 13. Januar 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweite Lesung – Abschnitt VIII: Gerichtsbarkeit und Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Art. 129-1: Richteranklage . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt 1.2. 1.3. 1.4.

Art. 128b Ziffer 7: Anklage gegen Bundesrichter . . Art. 129a: Richterwahlausschuß in den Ländern . . Art. 129b: Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Art. 129c: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6. Art. 129d: Ausführungsbestimmungen durch Bundesgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7. Art. 131: Verbot von Ausnahmegerichten . . . . . . 1.8. Art. 132: Richterliche Unabhängigkeit . . . . . . . . 1.9. Art. 135: Rechtliches Gehör, Verbot rückwirkender Strafgesetze und der Doppelbestrafung, Wahl eines Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.10. Art. 136: Rechtsgarantien bei Freiheitsentziehung . 39

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Neununddreißigste Sitzung des Hauptausschusses. 14. Januar 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweite Lesung – Abschnitt XIII: Übergangs- und Schlußbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Art. 138a: Bundesgebiet – Geltungsbereich des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Art. 138aa (früher Art. 25): Neugliederung des Bundesgebietes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Art. 138b: Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Art. 138c-1: Recht auf Bezug von Nahrung und Kleidung 1.5. Art. 138c-4: Verletzung der Amtspflicht . . . . . . . . . . 1.6. Art. 138c-5: Religion und Religionsgesellschaften . . . . 1.7. Art. 138d: Bisherige Gesetzgebungskompetenzen . . . . . 1.8. Art. 139: Rechtssetzung vor Konstituierung des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.9. Art. 139a: Ausschließliche Gesetzgebung . . . . . . . . . 1.10. Art. 139b: Vorranggesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . 1.11. Art. 139c: Recht des Vereinigten Wirtschaftsgebietes . . . 1.12. Art. 139e: Fortgeltendes Weisungsrecht . . . . . . . . . . 1.13. Art. 140: Meinungsverschiedenheiten . . . . . . . . . . . 1.14. Art. 141: Rechtsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.15. Art. 143a: Verwaltungseinrichtungen, Anstalten und Körperschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vierzigste Sitzung des Hauptausschusses. 14. Januar 1949 . . . . . 1. Zweite Lesung – Abschnitt XIII: Übergangs- und Schlußbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Art. 143c-1: Frühere Angehörige des öffentlichen Dienstes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

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1.2.

Art. 143c-2: Zwangspensionierungen und Entlassungen von Beamten und Richtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Art. 143e: Reichsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Art. 143d: Übernahme der Pflichten der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Art. 143f: Vermögensänderung bei Gebietsänderung . . . 1.6. Art. 144: Übernahme von Befugnissen des Bundespräsidenten durch den Präsidenten des Bundesrates . . . 1.7. Art. 145: Wahlgesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8. Art. 145a: Süddeutsches Notariat . . . . . . . . . . . . . . 1.9. Art. 146: Rechtsvorschriften zur Befreiung vom Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.10. Art. 148: Vorläufige Wahrnehmung der Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.11. Art. 148a und 148b: Angleichung der Landesverfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.12. Art. 148f: Annahme und Inkrafttreten des Grundgesetzes 1.13. Art. 149: Gültigkeit des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . 2. Zweite Lesung – Abschnitt V: Der Bundesrat . . . . . . . . . . . 2.1. Art. 65 und 66: Aufgabe und Zusammensetzung des Bundesrates. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Art. 68 bis 74: Präsident, Geschäftsordnung, Zusammensetzung und Privilegien der Mitglieder des Bundesrates . 41

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XLVI

Einundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses. 15. Januar 1949 1. Zweite Lesung – Abschnitt XI: Das Finanzwesen . . . . . . . . 1.1. Art. 122: Deckung der Ausgaben des Bundes. . . . . . . 1.2. Art. 122a: Gesetzgebungskompetenz des Bundes . . . . 1.3. Art. 122b: Finanzausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Art. 123: Finanzverwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Art. 123a: Gesonderte Finanzwirtschaft von Bund und Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6. Art. 124 und 124a: Haushaltsplan . . . . . . . . . . . . . 1.7. Art. 124b und 124c: Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßige Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8. Art. 125: Rechnungslegung und Rechnungsprüfung. . . 1.9. Art. 126: Kreditbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zweiundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses. 18. Januar 1949 1. Zweite Lesung – Abschnitt I: Grundrechte. . . . . . . . . . . . . 1.1. Art. 1: Menschenwürde und Grundrechte . . . . . . . . . 1.2. Art. 2: Recht auf Leben, Freiheit der Person . . . . . . . . 1.3. Art. 3: Unverletzlichkeit der Freiheit der Person . . . . . 1.4. Art. 4: Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz . . . . .

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Verzeichnis der Dokumente Nr.

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Dreiundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses. 18. Januar 1949 1. Zweite Lesung – Abschnitt I: Grundrechte . . . . . . . . . . . . 1.1. Art. 5: Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Art. 6: Freiheit der Meinungsbildung, Presse, Rundfunk und Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Art. 7: Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Art. 7a: Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Art. 7b: Elternrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vierundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses. 19. Januar 1949 1. Zweite Lesung – Abschnitt I: Die Grundrechte . . . . . . . . . . 1.1. Art. 8: Versammlungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Art. 9: Vereine und Vereinigungen . . . . . . . . . . . . . 1.3. Art. 10: Brief-, Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Art. 11: Freizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Art. 12: Berufswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6. Art. 13: Unverletzlichkeit der Wohnung . . . . . . . . . . 1.7. Art. 14: Gewährleistung des Eigentums und des Erbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8. Art. 15: Überführung von Grund und Boden in Gemeineigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.9. Art. 16: Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.10. Art. 17: Verbot der Auslieferung und Asylrecht . . . . . . 1.11. Art. 18: Wahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.12. Art. 19: Zugang zu öffentlichen Ämtern . . . . . . . . . . 1.13. Art. 20: Petitionsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.14. Art. 20a: Geltung des Gleichheitsgrundsatzes für Körperschaften usw. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.15. Art. 20b: Einschränkung der Grundrechte . . . . . . . . . 2. Zweite Lesung – Abschnitt IV: Der Bundestag, Art. 60 Abs. 2 und 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zweite Lesung – Abschnitt I: Die Grundrechte, Art. 20c. . . . .

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Fünfundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses. 19. Januar 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweite Lesung – Abschnitt X: Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Art. 112/2: Einzelweisungen der Bundes regierung an die Obersten Landesbehörden . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Art. 113: Erlaß von Verwaltungsvorschriften durch die Bundesregierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.3. Art. 138e: Flüchtlinge und Vertriebene . . . . . . . . . . . 2. Zweite Lesung – Abschnitt III: Bund und Länder, Art. 44: Meinungsverschiedenheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sechsundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses. 20. Januar 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweite Lesung – Abschnitt XIII: Übergangs- und Schlußbestimmungen, Art. 139cc: Weitergeltung der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siebenundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses. 8. Februar 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haftentlassung des Abgeordneten Reimann . . . . . . . . . . . . 2. Dritte Lesung – Präambel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dritte Lesung – Abschnitt I: Die Grundrechte . . . . . . . . . . . 3.1. Art. 1: Menschwürde und Grundrechte . . . . . . . . . . . 3.2. Art. 2: Recht auf Leben, Freiheit der Person . . . . . . . . 3.3. Art. 3: Unverletzlichkeit der Person . . . . . . . . . . . . . 3.4. Art. 4: Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz . . . . . 3.5. Art. 5: Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6. Art. 6: Freiheit der Meinungsbildung, Presse, Rundfunk und Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7. Art. 7: Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8. Art. 7a: Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9. Art. 7b: Elternrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.10. Art. 8: Versammlungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.11. Art. 9: Vereine und Vereinigungen. . . . . . . . . . . . . . 3.12. Art. 10: Brief-, Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.13. Art. 11: Freizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.14. Art. 12: Berufswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.15. Art. 13: Unverletzlichkeit der Wohnung . . . . . . . . . . 3.16. Art. 14: Gewährleistung des Eigentums und des Erbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.17. Art. 15: Überführung von Grund und Boden in Gemeineigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.18. Art. 16: Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.19. Art. 17: Verbot der Auslieferung und Asylrecht . . . . . . 3.20. Art. 18: Wahlfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.21. Art. 19: Zugang zu öffentlichen Ämtern . . . . . . . . . . 3.22. Art. 20: Petitionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.23. Art. 20a: Geltung des Gleichheitsgrundsatzes für Körperschaften usw. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt 3.24. Art. 20b und 20c: Einschränkung der Grundrechte . . . .

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Achtundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses. 9. Februar 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dritte Lesung – Abschnitt II: Allgemeine Bestimmungen . . . . 1.1. Zur Verfahrensweise im Hauptausschuß . . . . . . . . . . 1.2. Art. 21: Staatlicher Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Art. 21a: Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Art. 21b: Bundesfarben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Art. 22: Staatsgebiet und Art. 23: Berliner Vertreter . . . . 1.6. Art. 24: Neugliederung der Länder . . . . . . . . . . . . . 1.7. Art. 138aa (alter Art. 25): Änderung des Gebietsbestands der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8. Art. 26: Gebietsbestand der Länder . . . . . . . . . . . . . 1.9. Art. 27: Staatliches Leben der Länder. . . . . . . . . . . . 1.10. Art. 27a: Staatsbürgerliche Rechte und Pflichten . . . . . 1.11. Art. 27b: Berufsbeamtentum . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.12. Art. 27c: Beamtenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.13. Art. 29: Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.14. Art. 29/1: Handelsflotte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.15. Art. 29a: Hoheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.16. Art. 29b: Friedliches Zusammenleben der Völker. . . . . 2. Dritte Lesung – Abschnitt III: Bund und Länder, Art. 30 bis 44. 2.1. Art. 30: Ausübung der Staatlichen Befugnisse . . . . . . . 2.2. Art. 31: Bundesrecht bricht Landesrecht . . . . . . . . . . 2.3. Art. 33: Ausschließliche Gesetzgebung . . . . . . . . . . . 2.4. Art. 41: Verträge mit auswärtigen Staaten . . . . . . . . . 2.5. Art. 96: Landesvertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6. Art. 44: Meinungsverschiedenheiten . . . . . . . . . . . . 3. Dritte Lesung – Abschnitt IV: Bundestag . . . . . . . . . . . . . 3.1. Volkstag statt Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Art. 47: Abgeordnete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Art. 48 und 49: Wahlperiode und Konstituierung . . . . . 3.4. Abstimmungen zu Art. 50 bis 57 . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Art. 58: Ständiger Ausschuß . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6. Art. 59: Indemnität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7. Abstimmungen zu Art. 60 bis 64 . . . . . . . . . . . . . . 4. Dritte Lesung – Abschnitt V: Der Bundesrat, Art. 65 bis 74 . . . Neunundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses. 9. Februar 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dritte Lesung – Abschnitt VI: Der Bundespräsident . . . . . . . 1.1. Antrag Dehler (FDP) – Einführung des Präsidialsystems statt des Parlamentarischen Regierungssystems . . . . . .

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1.1.1. Begründung des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2. Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Art. 75: Wahl des Bundespräsidenten . . . . . . . . . . . . 1.3. Art. 75a-1: Mindestalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Art. 76: Amtsdauer des Bundespräsidenten . . . . . . . . 1.5. Art. 77: Unabhängigkeit des Bundespräsidenten. . . . . . 1.6. Abstimmungen zu Art. 79: Vertretung des Bundespräsidenten und Anordnungen des Bundespräsidenten . 1.7. Art. 81: Völkerrechtliche Vertretung. . . . . . . . . . . . . 1.8. Abstimmungen zu Art. 82 bis 85. . . . . . . . . . . . . . . 2. Dritte Lesung – Abschnitt VII: Die Bundesregierung . . . . . . . 2.1. Art. 86, 87, 89 und 89a-c: Bundesregierung . . . . . . . . 2.2. Art. 90 und 90a: Misstrauensvotum und Vertrauensfrage . 3. Dritte Lesung – Abschnitt IX: Die Gesetzgebung . . . . . . . . . 3.1. Art. 35: Ausschließliche Gesetzgebung des Bundes . . . . 3.2. Art. 36: Vorranggesetzgebung. . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Art. 36a: Rahmenvorschriften des Bundes . . . . . . . . . 3.4. Art. 103: Gesetzesvorlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Art. 104: Mitwirkung des Bundesrates an der Gesetzgebung – Einspruchsgesetze . . . . . . . . . . . . .

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Fünfzigste Sitzung des Hauptausschusses. 10. Februar 1949 . . . . 1. Dritte Lesung – Abschnitt IX: Die Gesetzgebung, Art. 105 bis 111b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Art. 105: Zustimmungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Art. 105a: Zustandekommen eines Zustimmungsgesetzes 1.3. Art. 106: Grundgesetzänderung . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Art. 108a: Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Art. 111: Notverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6. Art. 111z: Notstandsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7. Art. 111a und b: Mitwirkung bei der Bundesgesetzgebung/Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . 2. Dritte Lesung – Abschnitt X: Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Art. 112/1: Ausführung von Bundesgesetzen durch Länder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Art. 112/2: Ausführung von Bundesgesetzen durch den Bund. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Art. 113: Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder nach Weisung des Bundes . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Art. 115: Verwaltungsvorschriften des Bundes. . . . . . . 2.5. Art. 116: Bundeseigene Verwaltung . . . . . . . . . . . . . 2.6. Art. 116a: Bundesbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7. Art. 117: Bundeseisenbahn, Post- und Fernmeldewesen .

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Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt 2.8. 2.9. 2.10. 2.11.

Art. 118: Bundeswasserstrassen . . . . . . . . . . . . . . . Art. 118a: Autobahnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Art. 118b: Pflichten der Länder . . . . . . . . . . . . . . . Art. 118c: Verteidigung der demokratischen Grundordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dritte Lesung – Abschnitt XI: Das Finanzwesen . . . . . . . . . 3.1. Art. 122: Deckung der Ausgaben des Bundes . . . . . . . 3.2. Art. C: Besatzungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Art. 122a: Gesetzgebungskompetenz des Bundes . . . . . 3.4. Art. 122b: Finanzausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Art. 123: Finanzverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6. Art. 123a: Gesonderte Finanzwirtschaft von Bund und Ländern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7. Art. 124 und 124a: Haushaltsplan . . . . . . . . . . . . . . 3.8. Abstimmung über Art. 124b bis 126 . . . . . . . . . . . . 4. Dritte Lesung – Abschnitt XII: Die Gerichtsbarkeit und die Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Art. 128: Einrichtung von Bundesgerichten . . . . . . . . 4.2. Art. 128-1: Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts 4.3. Art. 128-2: Einstweilige Anordnungen durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Art. 128-3: Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts . . 4.5. Art. 128-3a: Übertragung von Verfassungsstreitigkeiten durch die Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6. Art. 128-5a: Bestellung der Richter . . . . . . . . . . . . . 4.7. Art. 129: Obere Bundesgerichte . . . . . . . . . . . . . . . 4.8. Art. 129-1: Entlassung eines Bundesrichters . . . . . . . . 4.9. Art. 133: Richteranklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.10. Art. 129a: Anstellung der Richter in den Ländern. . . . . 4.11. Art. 129b: Entscheidung landesrechtlicher Streitigkeiten durch Obere Bundesgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.12. Art. 129c: Verfassungsstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . 4.13. Art. 132: Richterliche Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . 5. Todesstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

Einundfünfzigste Sitzung des Hauptausschusses. 10. Februar 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dritte Lesung – Zurückverwiesene Artikel . . . . . . . . . . . . 1.1. Dritte Lesung – Abschnitt I: Grundrechte, Art. 13 Abs. 3 und Art. 20a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Dritte Lesung – Abschnitt III: Bund und Länder, Art. 31 und Art. 36 Ziffer 1 und 7 sowie Art. 36a . . . . . . . . . 1.3. Dritte Lesung – Abschnitt IX: Die Gesetzgebung, Art. 111, 105 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dritte Lesung – Abschnitt XII: Die Gerichtsbarkeit und die Rechtspflege, Art. 129 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritte Lesung – Abschnitt XIII: Übergangs- und Schlußbestimmungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Art. 138b: Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Abstimmungen zu Art. 138c-1 bis 138d. . . . . . . . . . . 2.3. Art. 139 und 139b: Rechtsetzung vor Gründung der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Abstimmungen zu Art. 139ba bis 143c-1 . . . . . . . . . . 2.5. Art. 143c-1 und 143c-2: Frühere Angehörige des Öffentlichen Dienstes und Zwangspensionierungen und Entlassungen von Beamten und Richtern . . . . . . . . . . 2.6. Art. 143d: Ablösung der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7. Art. 143e: Reichsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8. Art. 143f: Zuständigkeit für Vermögensstreitigkeiten von Gebietskörperschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9. Abstimmungen über Art. 144, 145, 145a, 146, 148, 148/1, 148a, 148b und 148c. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10. Art. 148e und 148f: Ratifizierung und Inkrafttreten des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.11. Art. 149: Gültigkeit des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . 2.12. Art. a: „Bremer Klausel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eingaben an den Hauptausschuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systematische Anordnung von Artikeln und Abschnitten. . . . Antrag Renner (KPD) auf Aussetzung der Arbeit am Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dank der Fraktionen an den Vorsitzenden des Hauptausschusses Schmid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zweiundfünfzigste Sitzung des Hauptausschusses. 22. Februar 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erste Lesung – Wahlgesetz der Bundesrepublik Deutschland 1.1. Verfahrensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Bericht des Vorsitzenden des Ausschusses für Wahlrechtsfragen Becker (FDP) über die Arbeit des Wahlrechtsausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Bericht des Abg. Diederichs zum Wahlrechtsentwurf . 1.4. Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schröter (CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wessel (Zentrum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Renner (KPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heuss (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kaufmann (CDU). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt Brockmann (Zentrum) Diederichs (SPD) . . . Heiland (SPD) . . . . . Becker (FDP) . . . . . . Schröter (CDU). . . . . Renner (KPD) . . . . . Ehlers (SPD) . . . . . . Kaufmann (CDU) . . .

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Dreiundfünfzigste Sitzung Hauptausschusses. 23. Februar 1949 . 1. Erste Lesung – Wahlgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Fortsetzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Zur Vorgehensweise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Passives Wahlrecht der Beamten . . . . . . . . . . . . . 1.3. §§ 1–7: Wahl zum Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. §§ 8–19: Wahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. §§ 20–27: Wahlvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6. §§ 28–44: Wahlhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7. §§ 45–46: Wahl zur Bundesversammlung . . . . . . . . 1.8. Wahlmodus für die Wahl zum Bundespräsidenten . . . 1.9. §§ 47–50: Schlußbestimmungen. . . . . . . . . . . . . .

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Vierundfünfzigste Sitzung des Hauptausschusses. 5. April 1949. . 1. Stellungnahme der alliierten Außenminister zu den Arbeiten des Parlamentarischen Rates – Antrag der KPD betreffend Einladung des Volksrates an den Parlamentarischen Rat zu einer gemeinsamen Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geschäftsordnungsantrag des Abg. Renner (KPD) auf Beratung der Einladung des Deutschen Volksrates zu gemeinsamen Gesprächen mit dem Parlamentarischen Rat . . . . . . . . . . .

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Fünfundfünfzigste Sitzung des Hauptausschusses. 6. April 1949 . 1. Memorandum der Militärgouverneure vom 5. April 1949 . . . . 1.1 Erklärung der SPD-Fraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Stellungnahme des Abg. Seebohm für die DP-Fraktion. . 1.3. Stellungnahme des Abg. Lehr für die CDU-Fraktion . . . 1.4. Stellungnahme des Abg. Renner für die KPD-Fraktion . . 1.5. Erklärung der CDU/CSU-Fraktion . . . . . . . . . . . . . . 1.6. Stellungnahme des Abg. Heuss (FDP) zu den Erklärungen der CDU/CSU-Fraktion sowie der SPD-Fraktion . . . 1.7. Stellungnahme des Abg. Seebohm (DP) zur Erklärungen der SPD-Fraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8. Erklärung des Abg. Brockmann (Zentrum) . . . . . . . . . 1.9. Aussprache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Verzeichnis der Dokumente Nr.

Titel des Dokuments und Inhalt

Seite

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Sechsundfünfzigste Sitzung des Hauptausschusses. 13. April 1949 1. Antrag der KPD zum Besatzungsstatut . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wahl der Delegation für die Besprechung mit den Militärgouverneuren am 14. April 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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LIV

Siebenundfünfzigste Sitzung des Hauptausschusses. 5. Mai 1949 1. Antrag der KPD auf Einstellung der Arbeit am Grundgesetz und Aufnahme von Gesprächen mit dem Deutschen Volksrat 2. Vierte Lesung des Grundgesetzentwurfes . . . . . . . . . . . . 2.1. Überschrift und Präambel. . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Abschnitt I: Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Abschnitt II: Bund und Länder. . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Abschnitt III: Der Volkstag/Bundestag. . . . . . . . . . . 2.5. Abschnitt IV: Der Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6. Abschnitt V: Der Bundespräsident. . . . . . . . . . . . . 2.7. Abschnitt VI: Die Bundesregierung . . . . . . . . . . . . 2.8. Abschnitt VII: Gesetzgebung des Bundes . . . . . . . . . 2.9. Abschnitt VIII: Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10. Abschnitt IX: Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . 2.11. Abschnitt X: Finanzwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.12. Abschnitt I: Grundrechte, Art. 7a, 7b . . . . . . . . . . . 2.13. Abschnitt XI: Übergangs- und Schlußbestimmungen . . Achtundfünfzigste Sitzung des Hauptausschusses. 6. Mai 1949 . 1. Vierte Lesung – Abschnitt VII: Gesetzgebung des Bundes, Art. 35: Ausschließliche Gesetzgebung. . . . . . . . . . . . . . 2. Vierte Lesung – Abschnitt VIII: Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung, Art. 116: Bundeseigene Verwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vierte Lesung – Art. 143c-2; Art. 21 Abs. 2; Art. 129-1; Art. 129a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neunundfünfzigste Sitzung des Hauptauschusses. 9. Mai 1949. . 1. Erneute Lesung – Wahlgesetz zum ersten Bundestag und zur Bundesversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Überschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. §§ 1–9: Wahl zum Bundestag. . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. § 9a: Wahlkreise für Flüchtlinge und Vertriebene . . . . 1.4. §§ 10–22: Wahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. §§ 24–26: Schlußbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . 1.6. §§ 22 und 23: Wahl zur Bundesversammlung . . . . . . 1.7. Schlußabstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Erste, konstituierende Sitzung des Hauptausschusses 15. Sept. 1948

Nr. 1

Nr. 1 Erste, konstituierende Sitzung des Hauptausschusses 15. September 1948 Kurzprot.: PA 2004. Undat. und ungez. als Drucks. Nr. 38 vervielf.1) Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 12) Anwesend 3): CDU/CSU: von Brentano, Kaufmann, Lehr, Pfeiffer, Rönneburg, Seibold SPD: Reuter, Schmid (Vors.), Schönfelder FDP: Dehler, Heuss DP: – KPD: Paul Zentrum: Brockmann Beginn: 16.30 Uhr

[1. WAHL DES VORSITZENDEN, STELLVERTRETERS UND SCHRIFTFÜHRERS]

Schönfelder (SPD) als Alterspräsident eröffnet die Sitzung um 16.30 Uhr. Der Ausschuß wählt Dr. Schmid (SPD) zum Vorsitzenden, Dr. von Brentano (CDU) zum Stellvertretenden Vorsitzenden, Brockmann (Zentrum) zum Schriftführer und beschließt, Berichterstatter für das Plenum von Fall zu Fall zu bestimmen.

[2. AUFGABE DES HAUPTAUSSCHUSSES]

[Vors. Dr.] Schmid (SPD) umreißt die zukünftige Tätigkeit des Hauptausschusses4), der den Fachausschüssen5) Termine setzen müsse, um uferlose Debatten in diesen Ausschüssen einzudämmen, der die Vorlage der Ausschüsse an das Plenum

1)

Ein stenograph. Wortprot. der 1., konstituierenden Sitzung des HptA liegt nicht vor. Die Druckausgabe erwähnt mit Datum des 16. Sept. 1948 lediglich die „Konstituierung des Ausschusses“. Tatsächlich konstituierte sich der HptA schon am 15. Sept., während am 16. Sept. 1948 die in der Nummerierung der HptA-Sitzungen nicht mitgezählte Sitzung zu Haushaltsfragen stattfand, die gelegentlich auch als „Unterausschuß“ des HptA deklariert wurde. Das von Protokollführerin Fritsch gez. Kurzprot. der Sitzung des HptA vom 16. Sept. 1948 zu Haushaltfragen wurde als Drucks. Nr. 49 vervielfält. und ist ediert bei: Feldkamp: Zur Finanzierung des Parl. Rates, S. 796-799. 3) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 4) Vorlage: „der Hauptausschüsse“. 5) Die Tätigkeit der Fachausschüsse ist im Rahmen der vorliegenden Edition dokumentiert: Der Parl. Rat, Bd. 3: Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung; Bd. 4: Ausschuß für das Besatzungsstatut; Bd. 5: Ausschuß für Grundsatzfragen; Bd. 6: Ausschuß für Wahlrechtsfragen; Bd. 12: Ausschuß für Finanzfragen; Bd. 13: Ausschuß für die Organisation des Bundes/Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege. 2)

1

Nr. 1

Erste, konstituierende Sitzung des Hauptausschusses 15. Sept. 1948

durchberaten müsse und Vorschläge der verschiedenen Ausschüsse zu koordinieren habe. Der Ausschuss setzte seine nächste Sitzung6) auf Donnerstag, 16. 9., 8.30–10.30 [Uhr] in Raum 81 fest, um Haushalts- und Zuständigkeitsfragen zu klären und mit möglichster Beschleunigung eine zuverlässige Arbeitsgrundlage zu schaffen7).

[3. BENENNUNG EINES BERICHTERSTATTERS FÜR HAUSHALTSFRAGEN]

Zur Berichterstattung im Plenum über die am 16. 9. zu erörternden Haushaltsfragen wird Dr. Pfeiffer bestimmt.

6)

Diese Sitzung des Hauptausschusses zu Haushaltsfragen wurde, obwohl die Mitglieder des HptA vollständig erschienen waren (bzw. sich ggf. haben vertreten lassen), im Nachhinein als Sitzung des Unterausschusses des Hauptausschusses deklariert. 7) Vgl. dazu oben Anm. 2.

2

Zweite Sitzung des Hauptausschusses 11. November 1948

Nr. 2

Nr. 2 Zweite Sitzung des Hauptausschusses 11. November 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 1–24. PA 2004. Ungez. von Reynitz gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 288 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: von Brentano, de Chapeaurouge, Kaufmann, Laforet, Lehr, von Mangoldt, Pfeiffer, Süsterhenn SPD: Greve, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock Zimmermann, Wolff FDP: Dehler (zeitweise vertreten durch Schäfer), Heuss DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Bergsträsser (SPD), Eberhard (SPD), Fecht (CDU), Katz (SPD), Löwenthal (SPD), Suhr (SPD, Berlin), Wagner (SPD), Walter (CDU), Wessel (Z) Vertreter der Landesregierungen: Ministerpräsident Arnold3) (Nordrhein-Westfalen), Kordt4) (Nordrhein-Westfalen), Staatsminister Fecht5) (Baden), Ministerialrat Leusser6) (Bayern), Landesdirektor Lauritzen7) (Schleswig-Holstein) Stenographischer Dienst: Peschel, Reynitz Dauer: 10.15–13.18 Uhr und 15.17–16.09 Uhr 1) 2) 3)

4)

5)

6)

7)

7

Protokollführer Matz. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Karl Arnold (1901–1958), 1924 Sekretär des Düsseldorfer Bezirkskartells der Christlichen Gewerkschaften, 1929 Mitglied der Düsseldorfer Stadtverordnetenversammlung (Zentrumspartei), ab 1933 Mitinhaber eines Düsseldorfer Installationsgeschäftes, im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli von der Gestapo festgenommen, 1945 Gründungsmitglied der Christlich-Demokratischen Partei (CDP) Düsseldorfs (der späteren CDU), 1946– Oberbürgermeister von Düsseldorf, 1946 Stellvertretender Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, 1947–1956 Ministerpräsident von NordrheinWestfalen. Rainer Barzel: Karl Arnold – Grundlegung christlich-demokratischer Politik in Deutschland. Bonn 1960. Theodor Kordt (1893–1962), war Bevollmächtigter des Landes Nordrhein-Westfalen beim Verfassungskonvent von Herrenchiemsee. Vgl. dazu Der Parl. Rat, Bd. 2, S. XXVIII f. sowie ebd., Bd. 3, Dok. Nr. 26, S. 750, Anm. 19. Vgl. auch: Bernd Haunfelder: Nordrhein-Westfalen. Land und Leute 1946–2006. Ein biographisches Handbuch. Münster 2006, S. 264 f. Hermann Fecht war Abg. des Parlamentarischen Rates und zugleich Justizminister und stellvertretender Staatspräsident in Baden (1948–1952) und wurde in der Anwesenheitsliste als Ländervertreter ausgewiesen. Claus Leusser (1909–1966), 1935 Staatsanwalt, seit 1945 in der bayerischen Staatskanzlei tätig. Ministerialrat und Leiter der Abteilung für Rechts- und Gesetzgebungsangelegenheiten. Mitarbeiter der bayerischen Vertreter beim Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, seit Nov. 1948 einer der offiziellen Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung beim Parl. Rat, 1951–1963 Bevollmächtigter Bayerns beim Bund (in Bonn) im Rang eines Ministerialdirektors, danach Generalsekretär im bayerischen Staatsministerium der Justiz. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, S. XV f. Lauritz Lauritzen (1910–1980), 1945 Leiter der Präsidialkanzlei des Oberpräsidenten der Provinz Schleswig-Holstein, 1946–1950 Landesdirektor im Ministerium des Innern

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Nr. 2

Zweite Sitzung des Hauptausschusses 11. November 1948

[1. AUFGABE, SELBSTVERSTÄNDNIS UND ARBEITSWEISE DES HAUPTAUSSCHUSSES]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich eröffne die zweite Sitzung des Hauptausschusses, nachdem er sich in seiner ersten Sitzung formal konstituiert hat8). Die Sitzungen des Hauptausschusses sollen nach übereinstimmendem Wunsch seiner Mitglieder grundsätzlich öffentlich sein, was nicht ausschließt, daß, falls erforderlich, das eine oder andere Mal ohne Öffentlichkeit verhandelt werden wird9). Ich hoffe, daß diese Fälle sich auf ein Minimum, am liebsten auf null reduzieren lassen. Wir haben heute zum ersten Mal die amtlichen Vertreter der Landesregierungen in unserer Mitte10). Ich begrüße die Herren aufs herzlichste. Ich bin überzeugt, daß ihre Anwesenheit für das Werk, das wir zu vollbringen haben, von Nutzen sein wird. In den bisherigen Plenarsitzungen haben die Parteien ihre grundsätzlichen Standpunkte vorgetragen11). In den Fachausschüssen sind in erster und manchmal auch in zweiter Lesung die Artikel der einzelnen Abschnitte formuliert worden. Es haben daneben interfraktionelle Besprechungen stattgefunden12), bei denen versucht wurde, einen politischen Ausgleich zwischen den divergierenden Standpunkten zu finden. In diesen interfraktionellen Besprechungen ist nicht in allen Streitpunkten Einigung erfolgt. Ich glaube, daß diese Besprechungen trotzdem nützlich gewesen sind; denn es ist nun ganz deutlich, wo die Schwerpunkte der politischen Gegensätzlichkeiten liegen. Im jetzigen Stadium unserer Tätigkeit ist es nun möglich geworden, die politischen Entscheidungen im Wege der Abstimmung zu treffen, und es ist wohl auch nötig, daß dies nunmehr geschieht. Wir können solche Entscheidungen jetzt auf unser Gewissen nehmen, denn nachdem uns das Gesamtergebnis der Arbeit der Fachausschüsse13) vorliegt, sind wir in der Lage, das Gesamtwerk in seinen Zusammenhängen und seiner Tragweite zu übersehen. Die Hauptaufgabe des Hauptausschusses wird sein, das Werk der Fachausschüsse zu koordinieren und die politi-

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4

des Landes Schleswig-Holstein, 1953–1954 Ministerialdirigent im Innenministerium des Landes Niedersachsen, 1954–1963 Oberbürgermeister von Kassel, 1963–1966 Hessischer Minister für Justiz und Bundesangelegenheiten, 1969–1980 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1966–1969 Bundesminister für Wohnungswesen und Städtebau, 1972–1972 Bundesministerium für Städtebau und Wohnungswesen, 1972 Bundesminister für Verkehr sowie Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen, 1972–1974 Bundesministers für Verkehr. Die Formulierung kann auch so verstanden werden, daß Schmid daraufhin wies, daß es nach der konstituierenden Sitzung (vgl. oben Dok. Nr. 1) eine weitere Sitzung des HptA gab (vgl. dazu oben S. 1, Anm. 2). Zur Frage der Öffentlichkeit der Ausschußsitzungen vgl. die Diskussion im Geschäftsordnungsausschuss. Der Parl. Rat, Bd. 10, Teil B, Nr. 1, S. 140 f. Vgl. die Anwesenheitsliste. Vgl. die zweite und dritte Plenarsitzung am 8. und 9. September 1948; ediert in: Der Parl. Rat. Bd. 9, Dok. Nr. 2 und Dok. Nr. 3, S. 18–149. Vgl. auch Feldkamp, Der Parl. Rat, S. 66–68. Aufzeichnungen und Protokolle der Interfraktionellen Besprechungen sind, soweit überliefert, ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 11. Zu den Fachausschüssen vgl. oben Dok. Nr. 1, Anm. 5.

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schen Vorentscheidungen zu treffen. Das letzte Wort wird freilich dem Plenum vorbehalten sein. Aber was dieses letzte Wort sein wird, wird weithin in diesem Ausschuß vorentschieden werden14). Zur Methode unserer Verhandlungen möchte ich vorschlagen, daß wir den ganzen Stoff in Kapitel gliedern und daß wir diese Kapitel artikelweise und als Ganzes in sich erledigen. Ich glaube, daß wir nicht gut ohne Berichterstatter und dann und wann auch nicht ohne Gegenberichterstatter auskommen werden; und zwar brauchen wir Berichterstatter in doppelter Weise, einmal um Bericht an uns von den Fachausschüssen her erstatten zu lassen, und dann Berichterstatter, die von uns her an das Plenum Bericht erstatten sollen, falls dies nötig werden sollte. Ich habe es mir so gedacht, daß ein den Fachausschüssen angehörender Kollege uns zu den einzelnen Kapiteln als Berichterstatter dient, der einen kurzen Bericht über Inhalt und Bedeutung des Kapitels gibt, und daß dann die einzelnen Artikel aufgerufen, diskutiert und erledigt werden. Was die Kapiteleinteilung anlangt, so habe ich mir folgende Systematik zurechtgelegt. Ich gebe sie nur bekannt, um etwas wie ein orientierendes Fadenkreuz auf die Materie legen zu können. Ich glaube, daß wir in sich geschlossen behandeln müssen: die Präambel; das Kapitel der Grundrechte, die Grundlagen dieses Gemeinwesens; das Verhältnis von Bundesrecht zu Völkerrecht; dann das Verhältnis Bund und Länder im weitesten Sinn des Wortes und schließlich das große Kapitel der Bundesorgane, dieses aber wiederum aufgegliedert nach den einzelnen Organen. Dann werden wir den Weg der Gesetzgebung, die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung, das Finanzwesen, dann das Kapitel über die Rechtspflege, schließlich die Übergangs- und Schlußbestimmungen und als letztes die Probleme des Wahlrechts zu behandeln haben. Unter Umständen wird es auch als richtig empfunden werden, daß im Hauptausschuß zu den Problemen des Besatzungsstatuts15) das Wort ergriffen wird; denn schließlich machen wir dieses Grund14)

Der Ältestenrat legte am 11. Nov. 1948 fest: „Der Hauptausschuß erörtert den gesamten Entwurf, auch die nicht strittigen Artikel, und fällt die politische Entscheidung.“ Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 12, S. 34. 15) Seit 1946 wurde von deutscher Seite gefordert, in einem Besatzungsstatut die alliierten Kompetenzen in den westlichen Besatzungszonen einzuschränken und vor allem einheitliche, zonenübergreifende besatzungsrechtliche Regelungen zu finden. Die Grundzüge eines Besatzungsstatuts wurden bereits in Dokument Nr. III der auf der Londoner Sechsmächte-Konferenz vom 23. Febr.–6. März und 20. April–2. Juni 1948 beschlossenen Dokumente bekanntgegeben. Die westalliierten Außenminister kündigten darin an, in dem Besatzungsstatut ein „Mindestmaß der notwendigen Kontrollen“ über die künftige Innen und Außenpolitik festzulegen. Mit den Fragen des zukünftigen Besatzungsstatuts befaßte sich im Parl. Rat der eigens gebildete Ausschuß für das Besatzungsstatut (die Protokolle sind ediert in: Der Parl. Rat. Bd. 4). Erst am 10. April 1949 wurde dem Parl. Rat das endgültige Besatzungsstatut zur Kenntnis gebracht, in dem sich die Alliierten „ausdrücklich Machtbefugnisse“ vorbehielten, darunter in den Auswärtigen Angelegenheiten, der Überprüfung der Einhaltung des Grundgesetzes und der Länderverfassungen, der Überwachung des Außenhandels und des Devisenverkehrs sowie der Überwachung der inneren Verwaltung. Gleichzeitig wurde eine Revision des Besatzungsstatuts in Aussicht gestellt. Das Besatzungsstatut trat nach Konstituierung der Bundesregierung am 21. Sept. 1949 in Kraft. Gleichzeitig wurde die MilGouv. durch Alliierte Hohe Kommissare ersetzt. Nachdem das Petersberger Abkommen vom 22. Nov. 1949 den Abschluß der Demontagen vorsah, erreichte die Bundesrepublik mit der ersten Revision

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gesetz nicht in den leeren Raum hinein, sondern in eine von außen uns auferlegte Ordnung, von der wir hoffen, daß sie sehr bald in einem Besatzungsstatut einen klaren rechtlichen Ausdruck finden möge16). Für die heutigen Verhandlungen möchte ich vorschlagen, daß wir mit dem Bundestag und der Bundesregierung beginnen. Hier scheinen die wenigsten Dinge kontrovers zu sein, und hier scheint die Ausschußarbeit bisher am klarsten und vollständigsten geleistet worden zu sein. Ich habe den Herrn Kollegen Walter gebeten, uns hierbei als Berichterstatter zu dienen. Ich erbitte Ihr Einverständnis damit. – Das Wort wird dazu nicht gewünscht. Ich stelle Ihr Einverständnis mit diesem Plan fest. Dann habe ich noch einige geschäftliche Mitteilungen zu machen. Es sind beim Hauptausschuß eine Reihe von Anträgen von Abgeordneten und ein ganzes Bündel von Eingaben eingekommen, die von außerhalb des Hauses gekommen sind. Ich glaube nicht, daß es einen Sinn hat, heute diese Eingaben vorzutragen. Ich möchte vorschlagen, daß wir ein Mitglied unseres Ausschusses bitten, sich diese Eingaben anzusehen und uns an einem später zu bestimmenden Tage Bericht zu erstatten. Ich schlage vor, den Herrn Kollegen Dr. Löwenthal damit zu betrauen17). – Es ist so beschlossen. Es sind, wie gesagt, eine Reihe von Anträgen eingekommen, zunächst ein Antrag des Kollegen Dr. Mücke, der sich in ausgiebiger Weise mit der Frage befaßt, wie die besonderen Anliegen der Flüchtlinge in das Grundgesetz eingebaut werden könnten. Ich schlage vor, diesen Antrag nicht prinzipaliter zu behandeln, sondern die Anträge jeweils dann zu behandeln, wenn wir im System des Grundgesetzes an die einschlägigen Stellen kommen18). – Es besteht offenbar Einverständnis hiermit. Ein weiterer Antrag ist unter der Signatur des Abgeordneten Dr. Becker eingegangen. Es handelt sich um strafrechtliche Bestimmungen zum Schutz der Verfassung und des demokratischen Gefüges19). Auch hier möchte ich vorschlagen, so zu verfahren; der richtige Zeitpunkt für die Behandlung des Antrags wird wohl sein, wenn wir die Schlußbestimmungen beraten20). [S. 2]

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des Besatzungsstatuts vom 6. März 1951 die uneingeschränkte Freigabe des deutschen Schiffbaus. Mit Aufhebung des Besatzungsstatuts am 5. Mai 1955 erhielt die Bundesrepublik Deutschland ihre Souveränität. Für den Wortlaut des Besatzungsstatuts vom 10. April 1949 vgl. Der Parl. Rat. Bd. 4, Dok. Nr. 5, S. 54–61. – Zur Londoner Sechsmächte-Konferenz und den Frankfurter Dok. vgl. unten Anm. 29. Das Besatzungsstatut wurde erst gegen Ende der Arbeit am Grundgesetz, am 10. April 1949, den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates als Entwurf übermittelt. Vgl. oben Anm. 14. Löwenthal (SPD) trug die gesichteten Eingaben bei Behandlung des jeweils betreffenden Artikels im Hauptausschuß vor. Der Antrag des Abg. Mücke (SPD) vom 4. Nov. 1948 an den HptA auf Drucks. Nr. 255 umfaßte im Zusammenhang mit dem „Deutschen Flüchtlingsproblem“ Änderungen zur Präambel sowie zu den Art. 5, 13, 19, 25, 29, 30, 43 und 118. Vgl. dazu unten Dok. Nr. 5, S. 146 mit Anm. 9. Der Antrag des Abg. Becker (FDP) betr. „Bestimmungen über den strafrechtlichen Schutz der Verfassung (neuer Inhalt des Hochverratsbegriffes) und des politischen Lebens“ wurde maschinenschr. vervielfältigt. Vgl. Drucks. Nr. 240. Zu dem im Antrag Becker behandelten Sachverhalt vgl. unten Dok. Nr. 20.

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Es liegt dann noch ein Antrag der KPD-Fraktion vor, wonach beschlossen werden soll, daß über das Grundgesetz nicht eine Abstimmung in den Landtagen, sondern eine Volksabstimmung zu erfolgen hat. Auch diesen Antrag wird man wohl am besten bei den Schlußbestimmungen besprechen, denn dort gehört er hin21). Ein weiterer Antrag, der von den Herren der FDP-Fraktion eingebracht ist, verlangt, daß der Parlamentarische Rat die Gliederung der Länder neu vornimmt22). Wir sollen also nicht nur die Voraussetzungen für die Möglichkeit eines späteren Aktes dieser Art schaffen, sondern die Gliederung als solche selbst unmittelbar vornehmen. Diesen Antrag wird man wohl am besten zur Verhandlung bringen, wenn über das Problem der Neugliederung des Bundes gesprochen werden wird23). – Ich stelle Ihr Einverständnis damit fest.

[2. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT IV: DER BUNDESTAG]

Ich rufe den Punkt 2 der Tagesordnung auf: Bundestag. Ich bitte Herrn Kollegen Walter, uns kurz einen Bericht zu erstatten.

[2.1. BERICHT DES ABG. WALTER (CDU)]

Walter (CDU): Der Organisationsausschuß hat sich in mehreren Sitzungen mit dem Abschnitt IV Der Bundestag befaßt24), ebenso ein vom Organisationsausschuß eingesetzter Redaktionsausschuß25). Die Beschlüsse liegen im Kurzprotokoll der 20. Sitzung des Organisationsausschusses vom 5. 11. 1948 (Drucksache PR. 11.48 – 265) vor26). Dem Organisationsausschuß lag bei seinen Beratungen im wesentlichen der Herrenchiemseer Entwurf27) vor. Tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten in sachlicher Beziehung bestanden innerhalb des Ausschusses nicht. Vielmehr herrschte weitgehend eine einheitliche Auffassung. 21)

22)

23) 24) 25) 26) 27)

Der Antrag der KPD wurde nicht als Drucks. vervielfältigt. Zur Diskussion um die Frage der Zustimmung zum Grundgesetz Mittels Volksabstimmung sowie zur Haltung der KPD vgl. besonders die 22. Sitzung des HptA am 8. Dez. 1948; unten Dok. Nr. 22, TOP 4, S. 668. Am 22. Sept. 1948 stellte die FDP-Fraktion den Antrag: „Der Parlamentarische Rat. wolle beschließen: Es wird ein Elfer-Ausschuß gebildet, um die Frage der Neuregelung der Ländergrenzen zu überprüfen und dem Parlamentarischen Rat Vorschläge zu unterbreiten“. Der Antrag wurde maschinenschr. vervielfält. als Drucks. Nr. 75. Zur Diskussion über die Neugliederung der Länder vgl. die 4. Sitzung des HptA am 17. Nov. 1948; unten Dok. Nr. 4, TOP 4.6, S. 133–139. Für den Wortlaut der 20. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 5. Nov. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 26, S. 722–757. Über den Unterausschuß zur Redaktion der Beschlüsse des Ausschusses für die Organisation des Bundes vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/1, S. XLIX, mit Anm. 181. Die Drucks. Nr. 265 mit den Beschlüssen des Ausschusses für die Organisation des Bundes ist ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 27, S. 758–762. Für den Wortlaut des Grundgesetzentwurfes des Verfassungskonventes von Herrenchiemsee vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, hier über den Bundestag bes. S. 588–592.

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Die Beschlüsse des Organisationsausschusses schließen sich an das allgemein seit Jahrzehnten28) in Deutschland geltende Parlamentsrecht an. Wesentliche Neuerungen sind vom Organisationsausschuß weder allgemein noch gegenüber den einzelnen Vorschlägen des Herrenchiemseer Konvents beschlossen worden. Die Beschlüsse des Ausschusses konnten im wesentlichen unabhängig von der Beschlußfassung über die anderen Abschnitte, insbesondere auch unabhängig vom Wahlrechtsausschuß, gefaßt werden. Der Bundestag ist wie der Reichstag der Weimarer Zeit das streng unitarische Organ des Bundes. Er hat den Hauptanteil an der Gesetzgebung. Ferner soll die Regierung von ihm abhängig sein. Endlich wirkt er bei der Wahl des Bundespräsidenten mit. Einigkeit bestand im Organisationsausschuß auch darüber, daß die Schaffung einer zweiten Kammer notwendig ist, sei es in Form des Bundesrats oder des Senats oder in Form eines gemischten Systems. Abweichend von dem Recht der Weimarer Zeit29) ist ein Auflösungsrecht des Bundespräsidenten gegenüber dem Bundestag nicht vorgesehen, mit Ausnahme des einzigen Falles des Art. 87 des Entwurfs, wenn der Bundestag bei der Bildung der Bundesregierung versagt. Hier soll die sogenannte Legalitätsreserve des Bundesrats eintreten. Ebensowenig kennt der Entwurf ein Selbstauflösungsrecht des Bundestags. Noch ein allgemeines Wort zum Wahlgesetz. Nach dem Dokument Nr. 130) der alliierten Befehlshaber31) hat der Parlamentarische Rat die Aufgabe, eine demokratische Verfassung auszuarbeiten, die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft32). Damit ist implizite gesagt – wenigstens nach 28)

Genauer mit der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. Aug. 1919. Art. 25 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. Aug. 1919: „Der Reichspräsident kann den Reichstag auflösen, jedoch nur einmal aus dem gleichen Anlaß. Die Neuwahl findet spätestens am sechzigsten Tage nach der Auflösung statt.“ RGBl. S. 1388. 30) Auf der Londoner Sechsmächte-Konferenz vom 23. Febr.–6. März und 20. April–2. Juni 1948 wurden von den Außenministern von Frankreich, Großbritannien, den Vereinigten Staaten von Amerika und den Beneluxstaaten drei Dokumente verabschiedet, die von den drei MilGouv. den MinPräs. der 11 deutschen Länder am 1. Juli 1948 in Frankfurt übermittelt wurden und deswegen auch als „Frankfurter Dokumente“ bezeichnet werden. Dokument Nr. I enthielt verfassungsrechtliche Bestimmungen für eine neue deutsche Verfassung und autorisierte die MinPräs. der deutschen Länder eine Verfassunggebende Versammlung (den später sog. Parlamentarischen Rat) einzuberufen. Wörtlich hieß es dort: „Die Verfassunggebende Versammlung wird eine demokratische Verfassung ausarbeiten, die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wieder herzustellen, und die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemessene Zentralinstanz schafft und die Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält.“ Ferner wurde die Ratifizierung der Verfassung durch Referendum festgelegt, nachdem die MilGouv. die Vorlage zur Ratifizierung genehmigt haben. In Dokument Nr. II wurden die MinPräs. ersucht, eine Neugliederung der Länder vorzuschlagen. Dokument Nr. III enthielt die Grundzüge eines zukünftigen Besatzungsstatuts (vgl. dazu oben Dok. Nr. 2, Anm. 15). Für den Wortlaut der drei Dokumente zur zukünftigen Entwicklung Deutschlands („Frankfurter Dokumente“) vgl. Der Parl. Rat, Bd. 1, Dok. Nr. 4, S. 30–36. 31) Die MilGouv. in den drei westlichen Besatzungszonen. 32) Für den Wortlaut des Dokuments Nr. 1 der drei Dokumente zur künftigen politischen 29)

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der Auffassung des Organisationsausschusses33) und, soviel ich weiß, auch des Wahlrechtsausschusses34) –, daß der Parlamentarische Rat auch dazu berufen ist, ein Wahlgesetz zu schaffen. Die allgemeinen Grundsätze für das Wahlgesetz sind in dem ersten Artikel dieses Abschnitts enthalten. Ich führe das nur deshalb an, weil eventuell Zweifel bezüglich der Berechtigung des Parlamentarischen Rates bestehen, ein Wahlgesetz zu schaffen35). Der Organisationsausschuß war der Auffassung, daß der Parlamentarische Rat hierfür zuständig ist und daß dieses Wahlgesetz etwa in einem Anhang zur Verfassung, in einem Anhang zu den Übergangsoder Schlußbestimmungen, aufgenommen werden soll. Zur Eingliederung der Vertreter von Berlin hat der Organisationsausschuß nicht Stellung genommen. Er hat nur beschlossen, daß die Vertreter der Berliner Westsektoren eine entsprechende Vertretung im Bundestag haben sollen36). Die Frage, ob das Mandat der Berliner Abgeordneten stimmberechtigt oder nicht stimmberechtigt sein soll, wird vom Hauptausschuß zu entscheiden sein. Hierbei wird allerdings die Stellungnahme der Besatzungsmächte eine besondere Rolle spielen37). Ein Wort allgemein zum Notverordnungsrecht. Der Bundestag wird im Falle des Notstandes ausgeschaltet. Sein Gesetzgebungsrecht geht vorübergehend, wenn die Voraussetzungen des Notstandes vorliegen, auf die Bundesregierung über; nicht auf den Bundespräsidenten, wie es früher in Art. 48 der Reichsverfassung38) vorgesehen war. 38 Auf diese allgemeinen Ausführungen möchte ich mich vorerst beschränken.

33)

34) 35) 36) 37)

38)

Entwicklung Deutschlands („Frankfurter Dokumente“) vgl. Der Parl. Rat, Bd. 1, Dok. Nr. 4, S. 30–32. Vgl. dazu z. B. die 2. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vom 16. Sept. 1948; Der Parl. Rat. Bd. 13/1, Dok. Nr. 2, S. 12–14. Vgl. dazu bes. Der Parl. Rat. Bd. 6, Dok. Nr. 17, S. 473 f. mit Anm. 69. Zur Diskussion um die Frage der Errichtung eines Ausschusses für Wahlrechtsfragen vgl. zusammenfassend: Der. Parl. Rat, Bd. 6, S. VII–XII. Vgl. dazu 20. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 5. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 26, S. 726. Die Alliierten Militärgouverneure haben dieses Thema schließlich noch in ihrem Genehmigungsschreiben vom 12. Mai 1949 behandelt. Für den Wortlaut des Schreibens vgl. Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 80, S. 273. Vgl. Art. 48 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. Aug. 1919: „Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann der Reichspräsident es dazu mit Hilfe der bewaffneten Macht anhalten. Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen. Von allen gemäß Abs. 1 oder Abs. 2 dieses Artikels getroffenen Maßnahmen hat der Reichspräsident unverzüglich dem Reichstag Kenntnis zu geben. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichstags außer Kraft zu setzen. Bei Gefahr im Verzuge kann die Landesregierung für ihr Gebiet einstweilige Maßnahmen der in Abs. 2 bezeichneten Art treffen. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichspräsidenten oder des Reichstags außer Kraft zu setzen. Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz.“ Vgl. RGBl. S. 1392 f.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben das Kurzprotokoll der Sitzung des Organisationsausschusses vom 5. November 1948, Kapitel IV Der Bundestag vor uns39). Weiter haben wir die heute verteilte Vorlage des Allgemeinen Redaktionsausschusses40), ebenfalls Abschnitt IV Der Bundestag, Stand vom 10. 11. 1948 (Drucksache PR. 11.48 – 267)41). Beide Vorlagen stimmen, was den materiellen Inhalt betrifft, im wesentlichen überein. Sie stimmen aber nicht überall in der Formulierung und in der Systematik überein; gelegentlich wird auch im materiellen Inhalt abgewichen. Die Frage ist, welche Vorlage wir zugrunde legen wollen. (Zurufe: Redaktionsausschuß!) Ich glaube, es ist der allgemeine Wunsch, unseren Verhandlungen die Vorlage des Redaktionsausschusses zugrunde zu legen. Wenn ich mir zu einem Satz des Herrn Kollegen Walter, nämlich, daß die Stellungnahme der Besatzungsmächte für unsere Arbeiten maßgeblich sein wird, kurz eine Bemerkung erlauben darf, so möchte ich dazu als meine Meinung äußern, daß wir unsere Arbeit nach unserem besten Wissen und Gewissen zu leisten haben. Den Besatzungsmächten bleibt es überlassen, zum endgültigen Ergebnis unserer Arbeit Stellung zu nehmen; ich glaube nicht, daß es nützlich sein könnte, wenn sie in unsere laufende Arbeit – sei es im Wege von „Ratschlägen“, sei es im Wege von „Warnungen“ – eingriffen42).

[2.2. ART. 45: GRUNDZÜGE DES BUNDESWAHLRECHTS] [2.2.1. WAHLRECHT]

Ich rufe nun auf Art. 45. Walter (CDU): Art. 45 enthält die Grundlinien des Bundeswahlrechts. Der Wahlmodus selbst ist jedoch mit voller Absicht im Grundgesetz bisher nicht festgelegt worden, so daß die Entscheidung, ob Mehrheitswahl oder Verhältniswahl, in Abweichung von der Weimarer Verfassung43) in das künftige Bundeswahlgesetz ver43 legt werden soll.

39) 40)

41)

42) 43)

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Die Drucks. Nr. 265 mit den Beschlüssen des Ausschusses für die Organisation des Bundes ist ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 27, S. 758–762. Dem Allgemeinen Redaktionsausschuß, der für den HptA zunächst die Entwürfe der Fachausschüsse zusammenfassen sollte, gehörten Heinrich von Brentano (CDU), Thomas Dehler (FDP) und Georg August Zinn (SPD) an. Die Drucks. Nr. 267 ist ediert im Zusammenhang mit den übrigen Stellungnahmen des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 10. Nov. bis 5. Dez. 1948 in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 51–55. Zu den Beziehungen der westlichen Alliierten Besatzungsmächte und dem Parlamentarischen Rat. vgl. Der Parl. Rat, Bd. 8. Vgl. Art. 17 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. Aug. 1919: „Jedes Land muß eine freistaatliche Verfassung haben. Die Volksvertretung muß in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl von allen reichsdeutschen Männern und Frauen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden. Die Landesregierung bedarf des Vertrauens der Volksvertretung. Die Grundsätze für die Wahlen zur Volksvertretung gelten auch für die Gemeindewah-

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Streit war zunächst über die Zahl der Abgeordneten. Als höchste Zahl wurden 400 genannt, als niedrigste Zahl 240. Es ist bekannt, daß der Reichstag der kaiserlichen Zeit zunächst 382 Abgeordnete hatte, bis die 15 Elsässer dazukamen. Dann waren es 397. Erst im Jahre 1918 ist die Zahl der Abgeordneten um etwa 40 erhöht worden, um das Stimmengewicht in den einzelnen Wahlkreisen wieder einigermaßen auszugleichen. Im Weimarer System war die Zahl beweglich, weil auf 60000 abgegebene gültige Stimmen ein Abgeordneter entfallen ist. Der Organisationsausschuß glaubte die Zahl 300 vorschlagen zu sollen44). Zu klein darf die Zahl der Abgeordneten nicht sein, damit die Verbindung zwischen Wählern und Gewählten vorhanden ist. Bei allzu großen Wahlkreisen könnte diese Verbindung verlorengehen. Wenn das von uns leider noch getrennte Ostdeutschland dazukommt, wird die Zahl der Abgeordneten bei einer Grundlage von jetzt 300 sich auf etwa 470 Abgeordnete erhöhen, also ein Parlament, das nicht zu groß und nicht zu klein ist, wenn man bedenkt, wie groß die Parlamente in England und Amerika45) sind. In England hat, glaube ich, das Unterhaus etwa 620 Mitglieder46). [S. 3] Im Ausschuß ist noch die Anregung gegeben worden, von der Zahl der Abgeordnetensitze – man hatte damals an 350 gedacht – etwa 50 für die Flüchtlinge vorzubehalten. Der Ausschuß hat diese Anregung nicht weiterverfolgt, einmal weil gewisse Bedenken gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl bestehen könnten, und zum andern, um die Eingliederung der Flüchtlinge in die Volksgemeinschaft nicht weiter zu hemmen. Die Bestimmungen über das aktive und passive Wahlrecht im einzelnen sollen erst im Bundeswahlgesetz festgelegt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist wohl besser, wenn ich die einzelnen Sätze des Artikels vorlese: (1) Der Bundestag besteht aus mindestens 300 Abgeordneten. Dr. Menzel (SPD): Ich bitte, zu überlegen, ob es notwendig und richtig ist, daß wir hier eine Zahl bindend vorschreiben. Wir wollten, von der Forderung der geheimen und unmittelbaren Wahl abgesehen, das Wahlsystem in diesen Artikeln nicht verankern. Die Festlegung einer Mindestzahl bedeutet aber zum Beispiel beim reinen Mehrheitswahlrecht den Zwang, mindestens 300 Wahlkreise zu fixieren. Beim Verhältniswahlrecht würde es eine Festlegung dahin bedeuten, daß der Quotient mindestens so groß sein muß, daß 300 Abgeordnete zu errechnen sind. Man sollte überlegen, ob man nicht die Zahl der Abgeordneten von der Wahlbeteiligung abhängig macht, und sagen: je stärker das Volk sein politisches Interesse an der Wahl zeigt, ein desto stärkeres Bedürfnis besteht auch für eine größere Anzahl von Abgeordneten. Man sollte auf die Fassung der Weimarer Zeit zurückkommen oder zu der ersten Zusammenstellung vom 18. 10. 1948, in der es nur heißt, daß der Bundestag aus Abgeordneten besteht, die vom Volke usw. gewählt werden47).

44) 45) 46) 47)

len. Jedoch kann durch Landesgesetz die Wahlberechtigung von der Dauer des Aufenthalts in der Gemeinde bis zu einem Jahr abhängig gemacht werden.“ Vgl. RGBl. S. 1387. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 26, S. 726. 435 Abgeordnete gehörten 1944 dem Repräsentantenhaus an. 625 Abgeordnete gehörten 1949 dem britischen Unterhaus an. Für den Wortlaut der ersten Zusammenfassung der von den Fachausschüssen formulierten Artikel vgl. Drucks. Nr. 203; Ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 1, hier bes. S. 13.

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Dr. Heuss (FDP): Ich habe Bedenken, das Wort „mindestens“ in eine Verfassung hineinzunehmen. Das ist irgendeine Ansage an die Zukunft, die juristisch ein bißchen unbrauchbar erscheint. Es ist eine politische Deklaration. Entweder schreiben wir eine feste Zahl hin, wobei mir 300 zu wenig zu sein scheint. Wir haben so etwas wie Sorge, daß wir einen zu großen Apparat hätten. Aber wenn wir etwa an die französische oder die englische Entwicklung denken, so sehen wir, daß man dort wesentlich größere Parlamente hat. Man kann den Einwand erheben, wir haben ja unsere Landesparlamente. Diese können dann vielleicht reduziert werden. Sie werden zum Teil reduziert werden müssen, weil das Bundesparlament aufgabenmäßig ihnen viel abnehmen wird. Ich bin etwas der Meinung, wir brauchten hier die Zahl nicht hineinzunehmen; da habe ich ein fatales Gefühl. Aber ich möchte nicht haben, daß wir der Anregung des Herrn Kollegen Dr. Menzel folgen und die Zahl dem freibleibenden Spiel überlassen, wie in der späteren Weimarer Zeit mit dem automatischen Wachsen je nach der Wahlbeteiligung48). (Dr. Menzel [SPD]: Nicht hier herein!) Da ist das Kochsche System49) hereingekommen, das war am Anfang nicht da. Wir wollen, glaube ich, das Parlament in einer bestimmten Größe halten. Man kann sich vorbehalten, im Falle der Ausweitung des Bundes dann eine neue Bestimmung über die Größe der Wahlkreise zu machen. Ich habe jetzt also keinen formulierten Vorschlag zu machen. Ich möchte nur das Wort „mindestens“ heraus haben. Wenn eine Zahl hereinkommen soll, dann würde ich den Antrag stellen: 400. Aber den Gedanken der Erweiterung durch Wahlbeteiligung möchte ich prinzipiell nicht drin haben. Das System, das wir hatten, war kein sehr gutes. Walter (CDU): Das Wort „mindestens“ ist versehentlich hereingekommen. In der ersten Fassung des Redaktionsausschusses des Organisationsausschusses ist das Wort „mindestens“ nicht enthalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nein, aber in der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses. Dr. Lehr (CDU): Ich bin der Meinung, daß wir zu festen Zahlen kommen müssen. Es ist sehr wesentlich, festzustellen, welche Größe der Bundestag haben soll. Der Gedanke, die Zahl der Abgeordneten von der Wahlbeteiligung abhängig zu machen, erscheint mir undurchführbar. Der Erfolg der Arbeit des künftigen Bundestags wird abhängen von der Zahl der Abgeordneten und zweitens davon, in welcher Zusammensetzung der Bundestag die Länder repräsentiert. Ist die Zahl der Abgeordneten zu groß, dann wird die Arbeit innerhalb des Parlaments erschwert. Ist sie zu klein, dann werden die einzelnen Länder nicht genügend vertreten sein. Zwischen diesen beiden Gesichtspunkten haben wir im Organisationsausschuß abge48)

In Folge des automatischen Systems war die Zahl der Abgeordneten des Weimarer Reichstags von 459 im Jahre 1920 auf 647 im Jahre 1933 gewachsen. 49) Bezieht sich auf den Abg. Erich Koch, der sich in der Weimarer Nationalversammlung für die von Heuss geschilderte Einteilung der Wahlkreise aussprach. Erich Koch (seit 1927: Koch-Weser) (1875–1944), 1901–1909 Mitglied des Oldenburgischen Landtages, 1909–1913 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft, 1913–1918 Mitglied des Preußischen Herrenhauses, 1918 Gründungsmitglied der DDP, 1919 Mitglied der Weimarer Nationalversammlung, 1919–1921 Reichsminister des Innern, 1919–1930 Abgeordneter des Reichstags, 1933 Emigration nach Brasilien.

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wogen. Persönlich vertrete ich den Standpunkt, daß selbst 300 Abgeordnete noch zuviel sind, und würde mich für die untere Grenze von 240 aussprechen. Aber der Ausschuß hat sich auf 300 geeinigt. Dieser Zahl wird man als einem brauchbaren Mittelweg zustimmen können. Aber ich bitte, doch an einer bestimmten Zahl von vornherein festzuhalten und damit dem Bundestag sein Gepräge zu geben. Dr. von Brentano (CDU): Der Redaktionsausschuß hat das Wort „mindestens“, das vielleicht nicht schön ist, aus den Gründen hereingenommen, die Herr Kollege Dr. Menzel erwähnt hat. Es wird sehr wesentlich darauf ankommen, zu welchem Wahlsystem wir uns demnächst bekennen werden. Eine fixe Zahl in die Verfassung hineinzunehmen, schien uns schwierig mit Rücksicht darauf, daß wir noch nicht wissen, nach welchem Wahlrecht gewählt werden wird. Wenn beispielsweise nach einem System der relativen Mehrheit gewählt werden sollte, würde das bedeuten, daß wir tatsächlich ohne Rücksicht auf sonstige Begrenzungen 300 Wahlkreise schaffen müßten. Das kann sich als undurchführbar herausstellen, wenn wir nicht ganz willkürlich alle Grenzen zerschneiden und überschneiden würden. Außerdem waren wir der Meinung, es ist im Hinblick auf die möglichen Veränderungen im Gebiet des Bundes nicht gut, in der Verfassung eine endgültige Zahl festzulegen. Ich würde dann eher der Anregung des Kollegen Menzel folgend die Frage der Zahl der Mitglieder des Bundestags dem Wahlgesetz überlassen und davon absehen, hier eine feste Zahl ein für allemal festzulegen. Dr. Katz (SPD): Das Wort „mindestens“ ist vom Redaktionsausschuß hinzugefügt worden. Wir waren im Organisationsausschuß der Ansicht, es sollten etwa 300 Abgeordnete sein. Ich glaube, wir können die Sache nicht endgültig entscheiden, weil wir den Inhalt des Wahlgesetzentwurfs nicht kennen. Ich empfehle daher, es bei dieser Fassung des Redaktionsausschusses „mindestens 300“ zu belassen; denn es ist sicher, daß, wenn das Wahlgesetz unter Umständen eine Mischung von Mehrheitswahl und Verhältniswahl vorsieht, die Ziffer nicht genau auf einen Mann bestimmt werden kann. Ich glaube, wir kommen am schnellsten weiter, wenn wir es bei dem Satz belassen und uns vorbehalten, in einer späteren Lesung, wenn das Wahlgesetz vorliegt, diesen Satz den Verhältnissen entsprechend genau festzulegen. Dr. Seebohm (DP): Es ist richtig, daß es sehr ungünstig ist, eine Festlegung vorzunehmen, bevor wir uns über den Modus der Wahl, mindestens der ersten Wahl, einigermaßen klar geworden sind. Bei einer Einteilung des Bundesgebiets in viele Wahlkreise, in denen der einzelne Abgeordnete gewählt wird, wird eine Überschneidung der Bezirks- und Stadtgrenzen eintreten; dadurch entstehen große Schwierigkeiten bei der Durchführung der Wahl. Deswegen halte ich es für richtig, daß man überhaupt von einer Festlegung der Abgeordnetenzahl absieht. Es erscheint mir dabei aber grundsätzlich sehr wesentlich, daß diese Zahl nicht zu klein ist, weil wir sonst den engen Kontakt zwischen Bevölkerung und Abgeordneten, gleichgültig welches Wahlsystem wir haben, nicht bekommen. Ich lege auf diesen Kontakt den allergrößten Wert. Je größer die Wahlkreise sind, das heißt je geringer die Zahl der Abgeordneten ist, desto schlechter ist die Verbindung zwischen dem Abgeordneten und seinen Wählern. Wir [S. 4] werden das demokratische System im deutschen Volk nur verankern können, wenn diese Verbindung eine absolut enge ist und der Abgeordnete wirklich in ständigem Kontakt mit den Sorgen und Nöten eines bestimmten Wahlkreises stehen kann. Das ist aber nur möglich, wenn

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der Wahlkreis eine bestimmte Größe nicht überschreitet und wenn er auch in einer gewissen Weise in das System der allgemeinen Verwaltung eingefügt ist; denn bei Überschneidungen werden sich sonst große Schwierigkeiten ergeben. Ich bitte daher, es bei der jetzigen Fassung zu belassen und nach Festlegung des Wahlmodus die Sache endgültig zu entscheiden. Renner (KPD): Die Fixierung der Zahl der Mitglieder des Bundestags scheint mir nicht ohne weiteres schon eine Festlegung des Wahlmodus zu sein. Bei einer fixen Zahl kann man ja die Frage offenlassen, in welcher Form das Wahlsystem eingeführt werden soll. Aber wenn man von dem Grundsatz ausgeht, dann muß man in Abs. 3 dieses Art. 45 auch alle Vorschriften weglassen. Wenn man die ganze Regelung der Frage dem Wahlgesetz überlassen will, muß man auch auf die in Abs. 3 enthaltene Bestimmung, daß Parteien einen bestimmten Hundertsatz für die Erringung eines Sitzes benötigen, verzichten. Das ist die Voraussetzung, sonst legen wir uns fest. Dr. Heuss (FDP): Die Frage der Größe ist nach meiner persönlichen Meinung von der Frage des Wahlmodus vollständig unabhängig. Aber ich bin zunächst damit einverstanden, wir belassen es, weil wir nicht in die Wahlrechtsdiskussion hineinkommen wollen. Aber ich stelle folgende Überlegung für die Herren im Organisationsausschuß anheim. Das Gravamen der Entwicklung in der vorweimarer Zeit bis zum August 1918 lag darin, daß im 6. Berliner Wahlkreis der einzelne Wähler nur den 20. oder, ich glaube, nur den 60. Teil von Wahlgewicht hatte wie der von Pyrmont-Waldeck. Das lag an der Bismarckschen Verfassung50). Nun wissen wir bei dieser völlig flutenden Entwicklung der deutschen Bevölkerungsdichte51), Flüchtlingsproblem usw., nicht, wie sich die Dinge gestalten werden. Wir können an sich nicht den Ehrgeiz und den Glauben haben, daß wir gleich große Wahlkreise machen. Das soll auch nicht sein. Wenn in einem Wahlkreis 40 000 oder 50 000 Menschen mehr wohnen, läßt sich das nicht ändern. Die Engländer und Franzosen sind da auch etwas großzügiger. Aber wir müssen bei der Ungewißheit, wie sich das deutsche Volk setzen wird, wie die Siedlungsdichte sein wird, in Überlegungen hineingehen, daß verfassungsmäßig meinetwegen alle 20 Jahre oder so etwas eine Durchsicht der Wahlkreise angeordnet wird; denn das war die ungeheure Schwierigkeit der früheren Zeit, daß keine Berücksichtigung der Veränderungen stattfand. Das ist nur eine Anregung für die Herren im Organisationsausschuß, ob das in die Verfassung oder in ein Wahlgesetz kommt; denn dadurch sind ja die ungeheuren Spannungen entstanden, daß das Wahlrecht das Gewicht des einzelnen je nach dem Ort, wo er saß, geradezu sinnlos auseinanderklaffte.

50)

Für den Wortlaut des „Gesetzes betreffend die Verfassung des Deutschen Reiches“ vom 16. April 1871 vgl. Deutsches Reichsgesetzblatt S. 63. Nach dem Wahlgesetz für die Kaiserzeit von 1871–1914, das im Wesentlichen auf das Reichswahlgesetz der Frankfurter Nationalversammlung vom 12. April 1849 zurückging, betrug die Zahl der Abgeordneten 382, 1873 insgesamt 397 und 1918 sogar 441 Abgeordnete. Die nach dem Stand von 1871 vorgenommene Wahlkreiseinteilung blieb trotz ungleichmäßigen Bevölkerungswachstums bis 1918 unverändert bestehen. 51) Statt „Bevölkerungsdichte“ im stenograph. Wortprot., S. 16: „Bevölkerungsgeschichte“.

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Dr. Menzel (SPD): Ich möchte meinen Antrag aufrechterhalten, bin aber damit einverstanden, daß er bis zur zweiten Lesung zurückgestellt wird, weil ich hoffe, daß bis dahin die Beschlüsse des Wahlrechtsausschusses vorliegen. Stock (SPD): Wenn man die Schlußfolgerung aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Heuss zieht, dann müßte man schon dazu übergehen, das Wahlsystem variabel zu gestalten und zu sagen, auf 60 000 oder 70 000 Stimmen entfällt ein Abgeordneter. Das wäre auch das demokratischste Wahlsystem, denn dadurch würde keine Stimme verlorengehen. Es würde nicht eintreten, was Herr Kollege Dr. Heuss befürchtet, daß der eine Abgeordnete meinetwegen 100000 Stimmen bekommt, während der andere mit 40 000 Stimmen gewählt werden könnte, weil die Bevölkerungsdichte in diesem Wahlbezirk so stark ist. Ich schließe mich der Meinung des Kollegen Menzel an, daß wir das in der zweiten Lesung erledigen. Aber wir sehen, wenn wir das Wahlrecht demokratisch gestalten wollen, müssen wir es variabel gestalten, daß auf 60 000 oder 70 000 Wähler ein Abgeordneter kommt, um das Parlament nicht zu groß oder zu klein werden zu lassen. Dann kann man, wenn man die Zahl 300 zugrunde legt, ausrechnen, wieviel tausend Wählerstimmen nötig sind, um einen Abgeordneten zu bekommen, meinetwegen 70000 oder 75 000. Man braucht nicht bei 60 000 stehen zu bleiben. Aber es würde dadurch jede Wählerstimme gezählt werden. Dr. Eberhard (SPD): Mir scheint, die Verschiebung auf die zweite Lesung nützt uns gar nichts. Dann wissen wir zwar, welches Wahlgesetz wir für die Wahl des ersten Parlaments haben, aber wir kennen nicht das künftige Bundeswahlgesetz. Wenn wir das nicht präjudizieren wollen, müssen wir entweder jede Zahl herauslassen oder eine Formulierung mit „mindestens“ wählen, um uns nicht so sehr festzulegen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es liegen folgende Anträge vor. Der Antrag Dr. Menzel geht dahin, keine feste Zahl festzusetzen, sondern die Formulierung der ersten Lesung des Organisationsausschusses zu nehmen: Der Bundestag besteht aus Abgeordneten, die vom Volk in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl gewählt werden. Der zweite Antrag sieht vor, daß eine feste Zahl mit dem Zusatz „mindestens“ oder ohne diesen Zusatz genommen wird. Weiter ist die Frage zu entscheiden, wenn eine Zahl beschlossen wird, welche Zahl dies sein soll. Meines Erachtens ist der weitestgehende Antrag der, keine feste Zahl zu nehmen. Ich werde daher über diesen Antrag zuerst abstimmen lassen. Falls sich später, wenn wir das Wahlrecht erörtert haben, die Meinung ergeben sollte, daß doch eine feste Zahl genannt werden muß, können wir den Beschluß von heute immer noch umstoßen. Wer ist dafür, daß der erste Satz in Art. 45 nach dem Antrag Dr. Menzel formuliert wird? – Der erste Satz ist in dieser Fassung mit 11 Stimmen von 21 angenommen.

[2.2.2. BERLINER ABGEORDNETE]

Dann kommt der zweite Satz: Berlin hat das Recht, eine entsprechende Zahl weiterer Abgeordneter zu entsenden.

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Dr. Suhr (SPD): Ich begrüße persönlich, daß der Redaktionsausschuß das Wort „Groß“ vor „Berlin“ gestrichen hat. Das entspricht auch der neuen, noch nicht genehmigten Berliner Verfassung52). Wir Berliner sind bescheiden geworden, wir fühlen uns nicht groß. Aber ich mache darauf aufmerksam, daß nach der Anordnung der Berliner Kommandantur staatsrechtlich von Groß-Berlin zu sprechen ist. Dr. Greve (SPD): Nach der bisherigen Fassung des Satzes 1 vermag ich mir schon keine Klarheit darüber zu verschaffen, was „eine entsprechende Zahl“ heißen soll. Nachdem aber Satz 1 geändert ist, müssen wir hier bestimmt auch eine Änderung insofern vornehmen, als wir nicht mehr von einer „entsprechenden Zahl weiterer Abgeordneter“ reden können. Dr. Suhr (SPD): Ich glaube, dieser Anregung könnte man ohne weiteres entsprechen, indem man die Worte „eine entsprechende Zahl“ streicht und sagt: „Berlin hat das Recht, weitere Abgeordnete zu entsenden.“ (Zustimmung) Dr. Greve (SPD): Weitere? Es genügt: „Berlin hat das Recht, Abgeordnete zu entsenden.“ Dr. Süsterhenn (CDU): Wir müssen uns über die grundsätzliche Bedeutung dieses Satzes unterhalten. Entweder ist Berlin Mitglied des Bundes, dann ist dieser Satz überflüssig. Oder Berlin ist nicht Mitglied des Bundes, sondern ist in einer Weise symbolisch vertreten, wie es das jetzt auch im Parlamentarischen Rat ist. Dann muß gesagt werden, ob dieses Nichtmitglied [S. 5] des Bundes durch abstimmungsberechtigte Abgeordnete oder nur durch Abgeordnete mit beratender Stimme vertreten wird. Renner (KPD): Mir scheint, daß Berlin – wenigstens das, was wir hier als Vertreter von Berlin kennengelernt haben – nicht Mitglied des Bundes ist. Es scheint mir so zu sein – das ist auch angedeutet worden –, daß die westlichen Militärregierungen keineswegs der Auffassung sind, daß West-Berlin in diesen westdeutschen Separatstaat eingegliedert werden soll. (Zuruf: Was nicht ist, kann noch werden!) – Vorläufig scheint es mir so zu sein, wie ich es gesagt habe. Wir wollen uns darüber klar sein, daß die bisherige Teilnahme von Vertretern West-Berlins an den Beratungen des Parlamentarischen Rates nicht symbolischen Sinn hatte. Sie hatte einen tiefen, parteipolitisch bedingten Sinn. Sie war der Ausfluß der Politik bestimmter westlicher sogenannter demokratischer Parteien. (Heiterkeit.) Das hier auszusprechen, scheint mir um so notwendiger zu sein, als ich den Eindruck habe, daß bei einer weiteren Verfolgung dieser Taktik, die rein parteipolitisch bedingt ist, die von uns allen zu fordernden Verhandlungen mit dem Ziel

52)

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Am 22. April 1948 verabschiedete die Stadtverordnetenversammlung von Berlin mit 83 Stimmen von SPD, CDU, und LDP gegen 20 Stimmen der SED eine Berliner Verfassung, der innerhalb der Alliierten Kommandantur die Sowjetunion ihre Zustimmung verweigerte. Sie trat faktisch nicht in Kraft. Erst am 1. Sept. 1950 wurde eine neue „Verfassung von Berlin“ durch die Stadtverordnetenversammlung von Berlin (West) verabschiedet. Vgl. Kurt Landsberg/Harry Goetz: Verfassung von Berlin vom 1. September 1950. Berlin 1951.

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einer Einigung in der Frage Berlin nur auf neue, größere Schwierigkeiten stoßen könnten. Dr. Katz (SPD): Im Organisationsausschuß ist diese Frage eingehend besprochen worden. Wir sind uns darüber klar, daß Berlin zur Zeit nicht Mitglied des Bundes ist. Wir wollen trotzdem Berlin das Recht offenlassen, eine Anzahl von Abgeordneten in den Bundestag zu entsenden. Daher die Fassung: „Berlin hat das Recht, zu entsenden usw.“ Ob und inwieweit es von diesem Recht nach Inkrafttreten des Grundgesetzes Gebrauch machen wird, das wird auf die dann vorhandene politische Situation ankommen. Wir sind aber der Ansicht, daß die Berliner ebenfalls Deutsche sind, daß sie augenblicklich der Gewalt einer auswärtigen Macht unterliegen, die ihnen die Teilnahme an deutschen Angelegenheiten verbietet, und daß wir daher diese Möglichkeit schaffen müssen. Wir sind auch der Ansicht, daß die Zahl der Abgeordneten, die es entsenden soll, offen bleiben muß, weil wir nicht wissen, ob wir nur die drei Westsektoren oder alle vier Sektoren rechnen müssen. Wir sind ferner der Ansicht, daß die Frage der Stimmberechtigung oder der Beratungsmöglichkeit offen bleiben muß.53) Ich meine daher, wir sollten den Satz so stehen lassen, wie er jetzt ist, weil er die ungeklärte politische Situation in Betracht zieht und alles der kommenden Entwicklung überläßt. Entgegen der Ansicht des Kollegen Dr. Greve meine ich, wir sollten auch die Worte „eine entsprechende Zahl“ bestehen lassen, weil damit festgelegt ist, daß die Zahl der Abgeordneten, die entsandt werden, im Verhältnis zu der Gesamtzahl der Abgeordneten steht. Brockmann (Z): Auch ich bin der Meinung, daß die Frage grundsätzlich zu behandeln ist, und stimme da dem Herrn Kollegen Süsterhenn zu. Es ist entscheidend, ob die Bevölkerung die Möglichkeit hat, in dem Gremium, das wir schaffen wollen, wirksam zu werden. Diese Möglichkeit ist einem Großteil der Berliner Bevölkerung gegeben. Darum ist nicht einzusehen, warum sie nicht mit beratender Stimme wirksam werden soll. Ob es zweckmäßig ist – da wir vorher die Zahl der Abgeordneten gestrichen haben –, eine Relation zu dieser gestrichenen Zahl hier einzufügen, das möchte ich bezweifeln. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich möchte dem Kollegen Renner widersprechen, daß die Entsendung von Berliner Vertretern in den Parlamentarischen Rat eine parteipolitische Angelegenheit sei. Wir – ich glaube, abgesehen vom Herrn Kollegen Renner – betrachten die Anwesenheit dieser Herren als eine durchaus nationalpolitische Angelegenheit. (Zustimmung.) Im übrigen meine ich, wir müssen denselben Weg, den wir im Parlamentarischen Rat beschritten haben, auch für den zukünftigen Bundestag beschreiten, um unserer grundsätzlichen Verbundenheit wenigstens mit denjenigen Berlinern Ausdruck zu verleihen, die gewillt sind, von ihren primitivsten demokratischen Freiheitsrechten Gebrauch zu machen, und die nach den äußeren Verhältnissen dazu auch in der Lage sind. Infolgedessen möchte ich mich dem Vorschlag des Herrn Kollegen Brockmann anschließen, daß wir eine Fassung wählen, in der wir die Zahl im einzelnen nicht festlegen, sondern sagen: „Berlin hat das Recht, weitere Abgeord53)

Das stenograph. Wortprotokoll, S. 22, fügt hier an: „Alles das trifft eine ungeklärte Situation, die absichtlich so gewählt worden ist.“

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nete in den Bundestag zu entsenden.“ Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit solcher symbolhafter Akte bin ich jedoch der Meinung, daß wir es aus Gründen der inneren, juristischen Logik nicht verantworten können, zu sagen – oder auch die Frage nur offenzulassen –, daß die Berliner Vertreter abstimmungsberechtigt sind. Mitgliedschaftsrechte wahrnehmen kann eigentlich nur der, der wirklich Mitglied ist. Ich bin deshalb dafür, zu sagen: „die mit beratender Stimme an den Verhandlungen teilnehmen“. Dr. Greve (SPD): Den letzten Ausführungen des Kollegen Dr. Süsterhenn möchte ich widersprechen. Wenn wir die Bestimmung so fassen: „Berlin hat das Recht, Abgeordnete zu entsenden“, dann lassen wir die Frage offen, ob das Abgeordnete mit beschließender oder mit beratender Stimme sind. Ich würde mich dagegen aussprechen, die Berliner Vertreter von vornherein nur mit beratender Stimme teilnehmen zu lassen. Dr. Suhr (SPD): Herrn Renner gegenüber möchte ich betonen, daß die Berliner Vertreter Vertreter von ganz Berlin und nicht von West-Berlin sind. Sie sind von der Stadtverordnetenversammlung durch ordnungsgemäßen Beschluß hierher delegiert worden. Die Entscheidung darüber, ob die Berliner Vertreter Stimmrecht haben oder nicht, unterliegt allein Ihrer Beschlußfassung. Daß wir Berliner es begrüßen würden, werden sie verstehen. Ich würde vorschlagen, es bei dem jetzt formulierten Satz zu belassen. Damit ist die Frage späterer Entscheidung vorbehalten. Renner (KPD): Es hat keinen Zweck, sich in diesem Kreis weiter über die Problematik der Angelegenheit auszulassen, ob die Vertreter Berlins Gesamt-Berlin vertreten und ob sie hier mit Willen des Berliner Volkes sitzen. Das ist eine Frage, über die in diesem Kreis wohl keine Einigung herbeizuführen ist. Aber ich weise auf den Widerspruch zwischen der Symbolik auf der einen Seite und der ziemlich realen Politik hin, die von der anderen Seite gemacht wird. Wenn man verlangt, den Berliner Vertretern auch das Recht der Abstimmung einzuräumen, dann steht das in einem etwas eigenartigen Gegensatz zu der bisherigen politischen Linie dieser Berliner Vertreter; denn diese haben meines Wissens immer mit Stolz herausgestellt, daß sie anstreben, Berlin wieder zur Hauptstadt Gesamtdeutschlands zu machen. Wenn sie sich in dieses Parlament des separaten Westdeutschlands eingliedern, dann geben sie damit ihren berechtigten, vom deutschen Volk wirklich geteilten Anspruch auf, daß Berlin wieder einmal, und zwar möglichst bald, die Hauptstadt Zentraldeutschlands wird. Sie lösen sich also von dem Gedanken, den sie bisher in ihrer Agitation herausgestellt haben, diese Rolle auch durchzuhalten und Berlin wieder einmal die Stellung zu erkämpfen. Dann werden sie also nichts mehr als Vertreter der Berliner Westsektoren in einem separaten westdeutschen Staat. Das ist die Konsequenz Ihrer Haltung, die darauf hinausläuft, das Abstimmungsrecht zu verlangen. Ich überlasse es Ihnen, die Frage zu entscheiden. Das Volk hat bestimmt eine andere Meinung als Sie. Dr. Süsterhenn (CDU): Wenn die jetzige Formulierung stehen bleibt, dann sind die Berliner Abgeordneten abstimmungsberechtigt. Dr. Katz (SPD): Nein, das ist nicht gesagt. Das Nähere bestimmt das Bundeswahlgesetz. [S. 6] Vors. Dr. Schmid (SPD): Meine Meinung ist es auch: wenn es heißt „Abgeordnete“, dann sind dies Abgeordnete, wie alle anderen Abgeordneten. Wenn vom Ausschuß

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eine Beschränkung ihrer Rechte gewünscht werden sollte, muß diese ausdrücklich in den Text aufgenommen werden.54) Dr. Heuss (FDP): Ich glaube nicht, daß wir in dieses Grundgesetz eine Aufforderung an die Berliner aufnehmen und gleichzeitig schreiben können, sie haben nur beratende Stimme; denn das schafft von vornherein – den Tatbestand als solchen kennen wir ja – eine Diminutio. Es verliert damit etwas von seinem Symbolcharakter. Ich bin mir nicht ganz klar, ob man nicht, da zum Wesen des Abgeordneten die volle Gleichberechtigung der Teilnahme gehört, statt „Abgeordnete“ sagen kann „Vertreter“. Das ist ein Ausweichvorschlag, der einen Unterschied macht. Ich denke, wir können nach meiner Meinung eine Einschränkung der Rechte mit den Worten, sie dürfen nur beraten, nicht vornehmen. Kollege Seebohm hat gemeint, man sollte den Satz an sich weglassen, weil er von dem nächsten Satz, der von der Erweiterung des Bundesgebiets spricht, konsumiert wird. Aber ich glaube, nachdem wir jetzt seit drei Monaten zusammenarbeiten, können wir das nicht machen. Das wäre auch eine politisch unsinnige Haltung. Ich bitte also, hier nicht hineinzuschreiben, daß sie nur beratende Stimme haben. Das scheint mir nicht zulässig zu sein. Ich stelle anheim, daß wir sagen: „Berlin hat das Recht, seine Vertreter zu entsenden.“ Dr. Seebohm (DP): Ich möchte grundsätzlich darauf hinweisen, daß nach meiner Auffassung das Deutsche Reich in seinem Gesamtzustand erhalten blieb und bleibt und daß man deswegen von einer Erweiterung des Bundesgebiets nicht sprechen kann, sondern daß man grundsätzlich jedem deutschen Land, das zum Bunde gehört, die Entsendung von Abgeordneten, und zwar von vollberechtigten Abgeordneten, zubilligen muß. Der Fall Berlin ist nicht ein Einzelfall, sondern ist gewissermaßen ein Beispiel für das, was noch kommen wird. Grundsätzlich gehören alle deutschen Länder zum Bund, und eine Erweiterung des Bundesgebiets tritt nicht dadurch ein, daß etwa ein Land erstmalig Abgeordnete entsendet; denn es gehört ja schon zum Bund. Das Bundesgebiet als solches muß weit gefaßt werden. Sonst sieht es so aus, als wären wir und unsere Arbeit nur für einen beschränkten Teil da. Deshalb sollte man auch einmal überlegen, ob man nicht beide Fragen in geeigneter Weise zusammenfassen kann, nicht indem man Berlin herausläßt, aber indem man den Begriff der Erweiterung des Bundesgebiets wegläßt und sagt: Grundsätzlich hat jedes deutsche Land, das zum Bund gehört, das Recht, Abgeordnete zu entsenden. Wenn diese Abgeordneten entsandt werden, müssen sie echte Abgeordnete sein, sie müssen also auch Stimmrecht haben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Dr. Süsterhenn hat „logisch“ mit seiner Logik vollkommen recht. Ich glaube aber, daß wir hier nicht in erster Linie Logistik zu treiben haben, sondern Politik. Wir halten hier keine Kollegs über Staatsrecht und Staatslehre, sondern wir versuchen, Deutschland zu gestalten. Nun ist es richtig, daß die Beschlüsse des Bundestags sich nicht wenigstens heute nicht – auf Berlin werden erstrecken können. Man kann also sagen, daß es nicht „logisch“ wäre, Vertreter Berlins an diesen Beschlüssen so mitwirken zu lassen wie die Abgeordneten der Teile Deutschlands, für die diese Beschlüsse gelten sollen. Aber ich glaube, daß 54)

Das stenograph. Wortprotokoll, S. 26, fügt hier den Hinweis auf einen Zuruf an: „(Zuruf des Abg. Dr. Seebohm [DP].)“

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wir politisch argumentieren sollten, etwa folgendermaßen: Daß das Grundgesetz nicht einen größeren – den vollen Geltungsbereich erfassen kann, geschieht nicht aus unserem Willen, sondern geschieht deswegen, weil man uns von außen her einengt; es geschieht, weil die Besatzungsmächte der Aktualisierung unserer Souveränität nicht den vollen Raum geben wollen. Da aber in Berlin wenigstens die Möglichkeit besteht, in freier Entscheidung des Berliner Volkes freie Abgeordnete zu wählen, wollen wir Deutschen, daß die Gesetze, die für uns gelten sollen und die doch gemeindeutsches Recht sind, auch von den Berlinern nicht nur mitberaten, sondern auch mitbeschlossen werden. Damit geben wir am stärksten unserer gemeinsamen Auffassung Ausdruck, daß das Fragmentarische an unserem Werke uns durch äußere Verhältnisse aufgezwungen ist, die wir bisher nicht ändern konnten, und gleichzeitig unserem Willen, überall dort, wo wir in der Lage sind „Deutschland“ auftreten zu lassen, es soweit zu tun als möglich, und zwar so, daß keine Diskrimination zwischen Deutschen entsteht. Jeder Deutsche soll soviel Recht haben und soviel „Deutschland“ zum Ausdruck bringen können wie jeder andere Deutsche, es sei denn, daß es ihm von hoher Hand von außen verunmöglicht wird. Deshalb bitte ich, davon abzusehen, das Recht der Berliner Abgeordneten auf bloße Beratung zu begrenzen. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich vermag gerade bei einem Verfassungswerk nicht auf die Geltendmachung logischer Gesichtspunkte zu verzichten. Ich glaube auch, daß Politik und Logik keine Widersprüche sind. Ich glaube, wir können alles das, was an berechtigten Forderungen gestellt wird, damit erfüllen, daß wir sagen: Die Berliner Abgeordneten haben beratende Stimme. Sie haben diese beratende Stimme auch im Parlamentarischen Rat, und ich glaube, daß sie trotz ihrer nur beratenden Stimme sowohl in den Fraktions- wie in den Ausschußsitzungen ein sehr starkes Gewicht besitzen. Was heute gilt, würde auch für die Zukunft gelten. Aber eine Verfassung oder ein Grundgesetz ist eine Rechtsordnung. Eine Rechtsordnung muß in sich logisch gestaltet werden, und es widerspricht den Gesetzen der Logik, daß Nichtmitglieder Mitgliedschaftsrechte ausüben. Dr. Katz (SPD): Es ist am praktischsten, wir lassen es so, wie es in der Vorlage ausgedrückt worden ist, und lassen die Frage offen, ob die Berliner Abgeordneten mit beratender oder mit beschließender Stimme mitwirken. Ich bin nicht der Ansicht des Kollegen Dr. Heuss, daß wir im Fall Berlin „Vertreter“ sagen sollen; es sollen Abgeordnete sein. Ich bin auch nicht der Ansicht des Kollegen Dr. Seebohm, daß wir die Frage Berlin mit der der anderen Gebiete, beispielsweise der Ostzone, zusammenwerfen sollten. Das ist ein anderer Fall. Berlin ist eine fünfte Zone, die staatsrechtlich ganz anders aussieht als beispielsweise die Ostzone. Infolgedessen ist hier die Regelung eines Sonderfalles erforderlich. Wenn wir den Satz so lassen: „Berlin hat das Recht, weitere Abgeordnete in den Bundestag zu entsenden“, so bleibt alles offen, nämlich ob sie beratende oder entscheidende Stimme haben sollen, und es bleibt auch offen, ob überhaupt Abgeordnete entsandt werden. Denn es bedarf eines Beschlusses der Stadt Berlin, ob sie von diesem Recht Gebrauch machen will oder nicht. Etwas anderes können wir in der jetzigen Lage nicht entscheiden, ohne große Komplikationen hervorzurufen. Später muß die Frage entschieden werden. Bei Abs. 3 kommt der Satz: „Das Nähere bestimmt das Bundeswahlgesetz.“ Das bezieht sich auf alles, was vorhergeht. In diesem Bundes-

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wahlgesetz muß die Frage, die bis dahin vielleicht noch weiter geklärt ist, entschieden werden. Außerdem hat diese Bestimmung dann keine Verfassungskraft, sie kann durch einfaches Gesetz von Fall zu Fall wieder geändert werden. Dr. Greve (SPD): Ich muß noch einmal darauf hinweisen, daß das Wort „weitere“ keinen Sinn hat. (Dr. Katz [SPD]: Damit bin ich einverstanden.) Es heißt jetzt: „Der Bundestag besteht aus Abgeordneten, die vom Volk in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl gewählt werden.“ Da muß Satz 2 jetzt heißen ich will einen entsprechenden Antrag stellen –: „Groß-Berlin hat das Recht, Abgeordnete zu entsenden.“ Dr. Süsterhenn (CDU): Ich verzichte im gegenwärtigen Augenblick auf die Stellung eines Antrags im Sinne meiner Ausführungen und behalte mir meine weitere Stellungnahme bis zur zweiten Lesung vor. Renner (KPD): Hier ist gesagt worden, daß Berlin die fünfte Besatzungszone sei und daß die Einigung [S. 7] Deutschlands und die Schaffung einer einheitlichen Bundesverfassung an der widerstrebenden Haltung von Besatzungsbehörden55) scheitere. Darf ich auf die Unlogik hinweisen, die darin zum Ausdruck kommt, daß man a) behauptet, Besatzungsmächte verhindern die Einigung, und b) sagt, Berlin ist eine fünfte Zone, in der auch die Besatzungsmacht, an die Sie denken, die russische Besatzungsmacht, eine Rolle mitzuspielen hat. Wenn das so ist, dann ist das Wort Groß-Berlin ein Unfug. Dann müssen Sie schon ehrlich sagen: die Teile der Stadt Berlin, die Besatzungsmächten unterstehen, die im Endeffekt die Schaffung dieses separaten Weststaates wollen. Das ist doch Logik. (Heiterkeit.) Sie haben doch kein Recht, von Groß-Berlin zu reden, wenn Sie mindestens im Unterbewußtsein davon überzeugt sind, daß Groß-Berlin überhaupt nicht in diesem Gebilde zusammenkommen kann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, nach diesem collegium logicum können wir zu den Abstimmungen schreiten. Der Antrag: „Groß-Berlin hat das Recht, Abgeordnete zu entsenden“, ist wohl der weitestgehende. Ich lasse über ihn abstimmen. – Der Antrag ist mit 20 Stimmen gegen 1 Stimme angenommen.

[2.2.3. ANZAHL DER ABGEORDNETEN BEI ERWEITERUNG DES BUNDESGEBIETES]

Der dritte Satz lautet: Bei Erweiterung des Bundesgebietes (Art. 22 Abs. 2) ist die Zahl der Abgeordneten durch Bundesgesetz entsprechend zu erhöhen. Dr. Seebohm (DP): Wir haben den Art. 22 Abs. 2 noch nicht beraten. Infolgedessen ist es bei diesem Hinweis sehr schwierig, darüber zu entscheiden, ob der Begriff „Erweiterung des Bundesgebietes“ richtig gefaßt ist. Es handelt sich bei der Erweiterung des Bundesgebiets doch um den Fall, daß andere deutsche Länder sich dem Bund anschließen. Das Bundesgebiet ist aber nicht durch die westlichen Länder

55)

Statt „Besatzungsbehörden“ im stenograph. Wortprot., S. 31: „Besatzungsmächten“.

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begrenzt, sondern es umfaßt all das, was wir als Deutschland bezeichnen, was wir als Deutsches Reich kennen. Deshalb habe ich Bedenken gegen diese Begriffsbildung „Erweiterung des Bundesgebietes“. Man sollte hier nach einer anderen Fassung suchen und die Frage zurückstellen, bis wir den Art. 22 Abs. 2 behandelt haben und uns endgültig darüber klar geworden sind. Der Art. 22 bildet die Grundlage, er muß daher erst behandelt werden. Dr. Suhr (SPD): Meines Erachtens kann der dritte Satz gestrichen werden. Er war früher notwendig, weil im ersten Satz eine feste Zahl von Abgeordneten festgelegt wurde. Nachdem die Zahl der Abgeordneten jetzt einfach durch Gesetz festgelegt wird, ist es nicht nötig, in der Verfassung ausdrücklich zu sagen, daß bei Erweiterung des Bundesgebiets die Zahl der Abgeordneten entsprechend erhöht wird. Das „entsprechend“ setzt eine bestimmte Zahl voraus. Dr. Katz (SPD): Ich bin damit einverstanden, den Satz fallenzulassen, weil es eine Selbstverständlichkeit ist, daß neu hinzutretende Gebiete auch vertretungsberechtigt sind. Renner (KPD): In der Präambel56) haben Sie gesagt, daß die übrigen, im Augenblick noch nicht angeschlossenen Länder zur Teilnahme eingeladen werden. Ich verstehe aber Ihre Schmerzen, die bei der Diskussion sichtbar geworden sind. Es ist nämlich ein Tatbestand, an dem Sie nicht vorbeikommen, daß Sie von den westlichen Militärregierungen nur den Auftrag haben, diesen Weststaat zu bilden. Wenn Sie sich an Ihren Auftrag halten, dann haben Sie kein Recht, andere einzuladen. Dann müssen Sie erst den weiteren Befehl von der Militärregierung abwarten. (Heiterkeit.) Nun müssen Sie sich darüber klar werden, welchen Wert die Arbeit überhaupt hat, die Sie hier machen. Der Herr Vorsitzende hat eingangs sehr stolze Worte an die Adresse der Militärregierung gerichtet und hat gesagt, sie soll sich nach Möglichkeit aus unserer Arbeit heraushalten57). Ich nehme aber an, daß Herr Dr. Schmid auch Zeitungen liest. Da muß er vor drei, vier Tagen die Meinungsäußerung der Militärregierung zur Frage des Wertes unserer Arbeit gelesen haben. Dort ist eindeutig gesagt worden, daß entscheidend das Besatzungsstatut ist58) und daß, sobald das Grundgesetz dem Besatzungsstatut widerspricht, das Besatzungsstatut durchzieht. Demnach ist der Wert der Arbeit, die wir leisten, bestenfalls so einzuschätzen: Wir machen hier die deutschen Durchführungsverordnungen zum Besatzungsstatut der Militärregierung, mehr Wert hat die ganze Arbeit nicht. Dadurch wird es doppelt interessant, weil die ganze innere Hohlheit dieses Parlamentarischen Rates dadurch erst dokumentiert wird. Wir sind zweitrangig, meine Herren. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, den Satz 3 zu streichen. Ich lasse abstimmen. – Die Streichung ist mit 19 Stimmen, also mit überwiegender Mehrheit, beschlossen.

56)

Für den Wortlaut der Präambel in der Fassung vom 18. Okt. 1948, der von Renners Formulierung abweicht, vgl.: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 1, S. 1. 57) Vgl. oben S. 5 f. 58) Der US-amerikanische Verbindungsoffizier Antony Pabsch teilte Abgeordneten des Parl. Rates, Anfang November 1948 mit, daß das Besatzungsstatut erst veröffentlicht werde, wenn das Grundgesetz vorliege. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 4, S. XV.

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[2.2.4. WAHLRECHTSGRUNDSÄTZE]

Wir kommen zu Abs. 2: Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl gewählt. Das brauchen wir nun nicht mehr. Wahlberechtigt ist, wer das 21., wählbar, wer das 25. Lebensjahr vollendet hat. Ich schlage vor, daß Satz 1 des Abs. 2 in Wegfall kommt – das ist ja schon in unserem Beschluß enthalten – und daß wir den Satz 2 des Abs. 2 unmittelbar hinter Satz 1 des Abs. 1 stellen. Satz 2 von Abs. 2 tritt also nach der Streichung des Satz 1 des Abs. 2 hinter den Satz 1 des Abs. 1. Der bisherige Abs. 3 würde dann Abs. 2 werden: Das Nähere bestimmt das Bundeswahlgesetz. Es kann bestimmen, (daß Parteien, die nicht einen bestimmten Hundertsatz aller gültigen Stimmen auf sich vereinigen, keinen Sitz erhalten und) daß auf zusammengerechnete Reststimmen einer Partei nicht mehr Sitze entfallen, als die Partei in den Wahlkreisen unmittelbar erlangt hat. Schönfelder (SPD): Ich beantrage, bis auf den ersten Satz alles zu streichen. Dr. Seebohm (DP): Nachdem wir uns in Abs. 1 dazu entschlossen haben, auf die Nennung der Zahl der Abgeordneten zu verzichten, bin ich der Auffassung, daß der zweite Satz des Abs. 3 gestrichen werden sollte; denn er greift ausgesprochen in das Wahlgesetz ein. Man kann sich zu dieser Frage nur dann äußern, wenn über die Wahlmöglichkeiten klar entschieden worden ist, wenn man weiß, nach welchem System gewählt wird. Eine solche einschränkende Bestimmung für das Wahlgesetz hier aufzunehmen, halte ich im System gar nicht für möglich. Ich bin auch sachlich gegen diese Formulierung, weil dadurch der Entwicklung von Parteien von vornherein sehr starke Hemmnisse entgegengesetzt werden. Es steht fest, daß man auch in anderer Weise dem ungünstig zu beurteilenden Entstehen und Auswirken von Splitterparteien entgegenwirken kann. Man sollte aber nicht die dynamische Entwicklung des politischen Lebens von vornherein durch solche Bestimmungen im Grundgesetz einschränken. Gerade in einer Demokratie muß eine gewisse Dynamik sein. Wenn wir sie stören, schaffen wir Spannungen, die sich einmal ungünstig auswirken werden. Dr. von Brentano (CDU): Ich schließe mich dem Antrag des Herrn Kollegen Seebohm an. Auch ich bin der Meinung, daß wir auf den Satz 2 im Abs. 3 verzichten können und sollen. Wir hatten im Redaktionsausschuß, wie aus der Anmerkung hervorgeht, gegen den ersten Halbsatz des Satz 2 an sich schon Bedenken, weil uns diese mechanische Beschränkung von Parteien nicht gut, nicht richtig und auch nicht zweckmäßig erschien. Ich bin aber darüber hinaus der Meinung des Herrn Kollegen Dr. Seebohm, daß, wenn wir das Nähere dem Bundeswahlgesetz überlassen, dieser Satz sich völlig erübrigt. Walter (CDU): Ich bin darüber erstaunt, daß der Redaktionsausschuß hier eine wesentliche sachliche Änderung gegenüber den Beschlüssen des Organisationsausschusses vorgeschlagen hat. Wir haben uns [S. 8] diese Bestimmung wohl überlegt59). 59)

Vgl. die 6. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und

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Damit soll der Bildung von Splitterparteien vorgebeugt werden, und das ist ein brauchbares Mittel dazu. Wenn diese Bestimmung nicht in die Verfassung aufgenommen wird, dann kann diese nicht in dem Bundeswahlgesetz enthalten sein, weil es unter Umständen zu Verfassungsstreitigkeiten führen wird. Wir hatten früher in Württemberg eine solche Bestimmung nur in das Wahlgesetz, nicht in die Verfassung selbst aufgenommen. Damals hat der Reichsstaatsgerichtshof in Leipzig60) erklärt, das sei eine Abweichung von dem Grundsatz der Gleichheit des Stimmrechts in der Verfassung, und hat die Verteilung der Mandate für ungültig erklärt61). Später wurde die Bestimmung in die Verfassung selbst aufgenommen62). Ich halte es

für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 24. Sept. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 6, S. 167–180. 60) Der Staatsgerichtshof wurde gemäß Art. 59 und 108 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 sowie auf Grundlage des Reichsgesetzes über den Staatsgerichtshof vom 9. Juli 1921 (RGBl. S. 905) beim Reichsgericht gebildet und gab sich am 20. Sept. 1921 (RGBl. S. 1535) eine Geschäftsordnung. Er war zuständig für Anklagen des Reichstags gegen Reichspräsidenten, Reichskanzler und Reichsminister wegen schuldhafter Verletzung der Reichsverfassung oder eines Reichsgesetzes nach Art. 59 der Verfassung des Deutschen Reiches von 1919 (§ 2 des Reichsgesetzes über den Staatsgerichtshof) sowie für Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, zwischen verschiedenen Ländern oder zwischen dem Reich und den Ländern (§ 16 des Reichsgesetzes über den Staatsgerichtshof). Vgl. dazu mit Angabe weiterführender Literatur: Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 5, S. 145 f., Anm. 83. 61) Gemäß Art. 20 Abs. 2 des württembergischen Landtagswahlgesetzes vom 4. Apr. 1924, geändert durch Gesetz vom 5. Mai 1928 wurde die Berücksichtigung der bei den Landtagswahlen abgegebenen gültigen Stimmen durch die Vorschrift eingeschränkt, daß eine Wählervereinigung unberücksichtigt zu bleiben sei, „deren Bezirksvorschlagslisten nicht wenigstens in einem Wahlbezirk ein Achtzigstel der im ganzen Land abgegebenen gültigen Stimmen (Wahlzahl) oder in vier Wahlbezirken je ein Achtel der Wahlzahl erreicht haben.“ Württemberg war in der Weimarer Zeit das einzige Land, das eine Sperrklausel eingeführt hatte. Nur Parteien, die in vier Wahlbezirken (also in vier Oberämtern) jeweils mindestens 12,5% der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben und nicht in einem Wahlbezirk (Oberamt) mindestens 1,25% aller im Land abgegebenen gültigen Stimmen auf sich vereinigen können. Während diese Klausel bei den Landtagswahlen vom 4. Mai 1924 noch keine große Rolle spielte, hat sie die NSDAP und die Volksrechtpartei (Reichspartei für Volksrecht und Aufwertung) bei den Wahlen vom 20. Mai 1928 aus dem Landtag ferngehalten. In der Streitsache der beiden Parteien gegen das Land Württemberg stellte der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich am 22. März 1929 fest, daß der Art. 20 Abs. 2 des württembergischen Landeswahlgesetzes gegen die Reichsverfassung verstoße und „das württembergische Wahlrecht zu einem ungleichen Wahlrecht“ mache. Art. 20 Abs. 2 war damit faktisch aufgehoben. Das Wahlergebnis der Wahlen vom 20. Mai 1928 wurde nach einer Entscheidung durch den württembergischen Staatsgerichtshof vom 6. Juni 1929 durch Beschluß des Landeswahlausschusses vom 10. Juni 1929 neu festgestellt. Vgl. dazu mit Angabe von Quellen: Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 6, S. 172, Anm. 55. 62) Die Verfassung Württembergs vom 25. September 1919 wurde geändert durch Berichtigung des Staatsministeriums vom 29. September 1919, durch Gesetz über Auslegung des § 63 Abs. 3 Satz 2 vom 31. Mai 1922, durch Gesetz vom 9. August 1923, durch Gesetz zur Abänderung des § 9 der Verfassung vom 4. April 1924 sowie ergänzt bzw. geändert durch das Gesetz zur Behebung der Not des Landes (Ermächtigungsgesetz) vom 20. Juni 1933. Demnach fand keine Verfassungsänderung aufgrund des in Anm. 60 genannten Entscheids des Staatsgerichtshofes vom 22. März 1929 statt.

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deshalb für dringend notwendig, diese Bestimmung in der Verfassung selbst vorzusehen und nicht bloß im Bundeswahlgesetz. Renner (KPD): Zum letzten Satz des jetzigen Abs. 1 muß ich noch bemerken: Wir sind der Auffassung, daß den Wahlberechtigten das aktive Wahlrecht schon mit 18 Jahren und das passive Wahlrecht mit 21 Jahren eingeräumt werden sollte. Was die Sache selbst anlangt, so bin ich der Meinung, daß selbst die hier vorgesehene Formulierung verfassungsrechtlich nicht genügt, daß also bei dieser vagen Formulierung allein eine bestimmte Festlegung im Bundeswahlgesetz nicht Recht schafft. Wenn hier gesagt wird: „Es kann bestimmen usw.“, dann ist meiner Meinung nach allem Tür und Tor geöffnet. Im übrigen kommt in der Diskussion eindeutig heraus, daß die Absicht gewisser Fraktionen dahin geht, wie man sagt, zur Verhütung der Bildung von Splitterparteien gewisse hemmende Bestimmungen in die Verfassung einzubauen. Wir haben es hier vor allem mit einem Wahlgesetz zu tun, nach dem der erste Bundestag gewählt werden soll. Dieser erste Bundestag sollte nach meiner Meinung nach einem Modus gewählt werden, der es erlaubt, daß die politische Auffassung jedes Deutschen, der sich an der Sache beteiligt, auch eindeutig zum Ausdruck kommt. Was in einem späteren Zeitpunkt geschehen soll, das ist eine zweite Frage. Wenn Sie aber hier von vornherein festlegen, daß nur die Parteien, die einen bestimmten Hundertsatz aller gültigen Stimmen haben, in den Bundestag einziehen können, dann kann das zu unerwünschten Folgen führen. Wenn man hier schon formuliert, daß es notwendig ist, das Stimmengewicht möglichst gleich groß zu machen, wenn man hier zum Ausdruck bringt, daß man es unterlassen soll, schon durch den Wahlmodus einer Stimme einen höheren Wert vor der anderen einzuräumen, dann muß man auf derartig einschränkende Bestimmungen in der Verfassung verzichten. Dasselbe trifft sinngemäß auf den zweiten Teil dieser Bestimmung zu. Es ist hier auch noch keine klare Meinung bezüglich der viel umstrittenen Klausel zutage getreten, die vorsieht, daß, wenn eine Partei in einem Wahlbezirk kein Mandat direkt erwirbt, die im gesamten Bundesgebiet für diese Partei abgegebenen Stimmen wertlos werden sollen. Wenn ich einmal von dem Wahlvorschlag der SPD ausgehe, der wohl die meisten Stimmen in diesem Hause auf sich vereinigen wird, dann kann es passieren, daß bei einer Wahlbeteiligung von etwa 70% der Wahlberechtigten mehr als zehn Millionen abgegebene Stimmen einfach unter den Tisch fallen und nicht zum Zug kommen. Das kann schon eintreten, wenn die beiden Hauptparteien 36 bzw. 34% aller Stimmen auf sich vereinigen, das sind Zahlen, die sich bei den alten Wahlen für die beiden großen Parteien ergeben haben. Zehn Millionen Wählerstimmen würden also glatt unter den Tisch fallen. Ob man bei einer derartigen Regelung noch von einer Demokratie reden kann, das zu beurteilen, überlasse ich Ihnen. Dr. Katz (SPD): Zu den letzten Worten des Abgeordneten Renner: Das ist tatsächlich in den Vereinigten Staaten und in England der Fall. Ich weiß nicht, ob Sie sie zu den Demokratien rechnen oder nicht. Die Bestimmung im Abs. 3 ist wohlbewußt in diesen Artikel aufgenommen worden, und zwar aus bestimmten Rechtsgründen. Wenn diese Ermächtigungsbestimmung, diese Kann-Bestimmung nicht drinsteht, so könnte das Wahlgesetz, das später derartige Formalitäten vorsieht, für rechtsungültig erklärt werden, wie das frü-

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her durch das höchste Gericht geschehen ist. Aus diesem Grunde sehen wir hier lediglich die Ermächtigung vor, daß das Wahlgesetz, das noch beschlossen werden soll, hiervon abweichen kann. Wir sagen nicht, daß es davon abweichen muß oder soll. Aber wenn die Ermächtigung nicht ausgesprochen wird, ist es später möglicherweise überhaupt ausgeschlossen, derartige Regulierungen vorzunehmen. Darum hat der Organisationsausschuß sich für die Beibehaltung dieser Bestimmung entschlossen. Ich würde bitten, es dabei zu belassen. Die Gründe dafür, die Kann-Bestimmung in das Grundgesetz zu nehmen, sind so gewichtig gewesen, daß wir darauf im Organisationssausschuß besonderen Wert gelegt haben, um alle derartigen Zweifel zu klären. Dr. Laforet (CSU): Nach diesem Vorschlag ist die Regelung dem Wahlgesetz überlassen. Es wird nur dem einfachen Gesetzgeber, der das Wahlgesetz macht, durch die Verfassung die Ermächtigung erteilt, eine Regelung im Sinne des Art. 45 Abs. 3 Satz 2 und 3 zu treffen. Wenn das wegfallen würde, so ist im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs die verfassungsgerichtliche Entscheidung sehr zweifelhaft, ob aus dem Abs. 1 des Art. 45 zusammen mit Abs. 2 – allgemeine, gleiche Wahl – sich Bestimmungen gegen die Splitterparteien rechtfertigen lassen. Herr Kollege Dr. Katz hat bereits betont, daß Bestimmungen dieser Art im demokratischen Amerika viel weiter gehen, als sie hier festgelegt sind. (Brockmann [Z]: Wenn Amerika das einmal ändert, dann ändern wir es auch wieder! Zurufe: Sehr richtig!) Persönlich bin ich der Anschauung, daß diese Vorschriften richtig sind, weil sie eines der Mittel darstellen, Splitterparteien zu verhindern. In Frage steht nur, ob dem Wahlgesetz die Möglichkeit dazu eröffnet wird. Wenn man die Möglichkeit eröffnen will, dann muß es im Verfassungsgesetz, so wie es vorgesehen ist, bestimmt werden. Dr. Seebohm (DP): Wir haben uns vorhin über Logik und Politik unterhalten. Mir scheint, daß insbesondere der erste Teil dieses Satzes nur politisch und ganz unlogisch ist. Sie sagen hier: Parteien, die nicht einen bestimmten Prozentsatz aller gültigen Stimmen auf sich vereinigen, können keinen Sitz erhalten. Alle Wahlvorschläge sehen aber ein gewisses Mehrheitswahlsystem vor, auch der von Herrn Dr. Diederichs. Wird ein Abgeordneter jetzt in direkter Wahl in einem Wahlkreis gewählt und erreicht seine Partei insgesamt nicht den entsprechenden Hundertsatz der abgegebenen Stimmen, so ist seine Wahl nach dieser Bestimmung ungültig. Eine solche Bestimmung können wir daher aus logischen und politischen Gründen weder in die Verfassung noch in das Wahlgesetz aufnehmen. Deshalb halte ich meinen Antrag auf Streichung aufrecht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das steht auch nicht drin. Dr. Seebohm (DP): Es steht hier, daß Parteien, die nicht einen bestimmten Hundertsatz aller gültigen Stimmen auf sich vereinigen, keinen Sitz erhalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es heißt: Es kann bestimmen. Aber ich bin überzeugt, daß man, wenn der Vorschlag Dr. Diederichs durchkommen sollte, sinnvollerweise keine prozentuale Limitierung aufnehmen kann. Das ist nicht ein Sowohl-alsauch, sondern ein Entweder-oder. Dr. Seebohm (DP): Darf ich darauf aufmerksam machen, daß, auch wenn ein reines

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Mehrheitswahlrecht eingeführt wird, diese Bestimmung nicht zutrifft; denn ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß in zwei oder drei Wahlkreisen ein Abgeordneter in direkter Wahl gewählt wird, seine Partei aber insgesamt nicht 5 oder 10% der gültigen Stimmen im gesamten Gebiet bekommt und daß damit die in direkter Wahl gewählten Abgeordneten keinen Sitz erhalten dürfen. Wenn man sich nicht entschließt, den ganzen Satz zu streichen, [S. 9] dann sollte man wenigstens den eingeklammerten Teil des Satzes streichen; denn er ist absolut unlogisch und wird zu unsinnigen Konsequenzen bei jedem Wahlgesetz führen. Wir können hier nicht etwas aufnehmen – selbst wenn das Bundeswahlgesetz es nachher ändert –, was bei keinem Wahlsystem in ein Bundeswahlgesetz aufgenommen werden kann. Infolgedessen muß die Bestimmung hier gestrichen werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Bei einem reinen Mehrheitswahlsystem hat der ganze letzte Satz keinen Sinn. Bei einem System, in dem Mehrheitswahlelemente sind, zum Beispiel Einmannwahlkreise vorgesehen werden, in denen man direkt wählt, hat zum mindesten der eingeklammerte Teil keinen Sinn und wird also sicher auch nicht in das Wahlgesetz kommen. Die beiden Möglichkeiten haben nur bei einem Wahlsystem einen Sinn, das ganz auf dem Grundsatz der Proportionalität begründet ist (Dr. Seebohm [DP]: Das lehnen wir alle ab. Zuruf: Nein!) – oder bei einem gemischten System, das auf der Grundlage des Verhältniswahlrechts aufgebaut wird. Brockmann (Z): Ich bin immer über die Begründung erstaunt gewesen, die für diese Kann-Bestimmung in der Verfassung gegeben wird. Ich habe bisher immer nur zwei Begründungen gehört. Die eine ist die Bezugnahme auf die Verhältnisse in Amerika oder in England. Diese Verhältnisse interessieren mich absolut nicht. Die zweite Begründung ist die Bezugnahme auf die Möglichkeit, sogenannte Splitterparteien zu verhindern. Nun soll mir einer einmal sagen, was man unter Splitterparteien versteht. Ich weiß, was Ihnen auf der Zunge liegt, aber es geht ja auch oft etwas Unsachliches über die Zunge. (Heiterkeit.) Eine Partei mit politischer Zielsetzung, ganz gleich wie stark sie ist, kann ich nicht als Splitterpartei bezeichnen. Unter typischen Splitterparteien haben wir sogenannte Mieterparteien oder Landvolkparteien oder auch eine Bienenzüchterpartei, wie Kollege Schönfelder bemerkt, oder so etwas Ähnliches verstanden. Das hat es ja gegeben. Aber alles, was politische Zielsetzungen hat, kann man doch nicht als Splitterpartei abtun. Wenn man dieser Auffassung ist und im Grundgesetz ein Hemmnis einbauen will, dann frage ich: Wollen Sie denn die bestehenden Parteien stabilisieren? Sollen sie auf die Dauer in unserm Volk und mit unserm Volk machen können, was sie wollen? Führt nicht tatsächlich eine solche Bestimmung dazu, daß eine bestimmte parteiegozentrische Auffassung sich unter Umständen austobt? Schaffen wir eine Verfassung für die Parteien oder schaffen wir eine Verfassung für das Volk? (Sehr richtig!) Ich würde jede junge, kräftige Bewegung, die unten im Volk aufbricht und sich bemüht, die Mißwirtschaft großer Parteien zu beseitigen, unter allen Umständen för-

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dern und unterstützen und möchte nicht, daß dem in der Verfassung ein Riegel vorgeschoben wird. Aus diesem Grunde lehne ich diesen Zusatz ab. Was die Rechtsausführungen betrifft, die gemacht worden sind, so möchte ich sagen: Wieviel Kann-Bestimmungen wollen wir noch in die Verfassung einfügen? Schon bei dem Wahlrecht kann man ein Dutzend Möglichkeiten aufzählen, in denen es mit dem Verfassungsgerichtshof in Konflikt kommen kann. Sie machen einen ganzen Katalog von Kann-Bestimmungen, damit dieser Konflikt ausgeschaltet wird; diese Kann-Bestimmung ist damit begründet worden, daß wir den Konflikt von vornherein ausschalten wollen. Nun sagt der verehrte Herr Kollege Schmid, wir wollen hier Politik machen. Dann sind wir beide uns einig, Herr Kollege Schmid, daß diese Bestimmung fallen muß. (Heiterkeit.) Dr. Dehler (FDP): Es handelt sich um eine politische Entscheidung, das Verfassungstechnische interessiert nicht. Es ist richtig, daß an sich ein Wahlgesetz den Grundsatz der Gleichheit nur einschränken kann, wenn es in der Verfassung vorgesehen ist. Wir müssen uns aber schlüssig werden, ob wir diese politische Beschränkung wollen. Ich bin durchaus einig mit dem, was Kollege Brockmann gesagt hat. Wollen Sie, meine Damen und Herren, eine Monopolisierung der großen Parteien oder nicht? Das ist die Frage. Wollen Sie von vornherein die Freiheit der politischen Entscheidung wesentlich einschränken, das ist das Entscheidende. Ich glaube, man steht zu sehr unter der Nachwirkung nationalsozialistischer Schlagworte. Hitler63) ist mit dem Kampf gegen die kleinen Parteien groß geworden. Er hat die eine Partei mit der Behauptung geschaffen, unser Volk habe sich unheilvoll zersplittert und müsse über die Zersplitterung hinwegkommen. So war propagandistisch die Entwicklung. Die Wirklichkeit war ganz anders. Unsere Weimarer Demokratie hat nicht wegen der kleinen Parteien Schaden gelitten, die im Reichstag nur einen beschränkten und bestimmt keinen zersetzenden Einfluß hatten, sondern wegen der zentrifugalen Entwicklung der Parteien, wegen der unheilvollen Stärkung der großen extremen Parteien. Das war die Ursache des Scheiterns der Weimarer Verfassung; dem muß man begegnen, nicht aber der Bildung kleiner Parteien. Auch in England und in Frankreich gibt es viele Parteien. Im Unterhaus sind es, glaube ich, sieben Parteien, die jetzt vertreten sind, und ich glaube, es ist ganz heilsam, wenn nicht nur der Apparat der großen Parteien zum Zuge kommt, sondern wenn auch Außenseiter einmal die Stimme erheben können. Die großen Parteien vergessen zu leicht, daß sie auch klein begonnen haben. Es ist durchaus richtig, was Herr Kollege Brockmann sagt: Wenn eine Partei eine geistige Idee vertritt, dann hat sie auch das Recht mitzusprechen, und wenn es auch nur wenige sind. Das verhindern Sie aber, Sie machen unser politisches Leben steril, wenn Sie die Bestimmung annehmen. Es handelt sich also nicht um Verfassungstechnik, sondern um eine politische Entscheidung, und darum bitte ich Sie. Dr. Laforet (CSU): Es ist nicht nur eine politische Entscheidung, die Sie treffen. Der Verfassungsgesetzgeber überläßt die Entscheidung über das Wahlsystem dem ein63)

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Adolf Hitler (1889–1945), 1933–1934 Reichskanzler (NSDAP), 1934–1945 „Führer und Reichskanzler“.

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fachen Gesetzgeber. Es wird keine Entscheidung in der Verfassung für oder gegen die bestehenden Parteien getroffen. Es wird nur für die Zukunft unmöglich gemacht, ein System zu wählen, das ich persönlich nicht billige, das der reinen Verhältniswahl, und eine Einschränkung der Verhältniswahl in sogenannter verbesserter Form durch Bestimmungen gegen die sogenannten Splitterparteien vorgesehen. Wenn die Bestimmung nicht in der Verfassung drinsteht, dann treffen Sie eine sachliche Entscheidung. Wenn Sie dagegen die Bestimmung mit den Sicherungen hier geben, dann lassen Sie dem Gesetzgeber des Wahlgesetzes alle Möglichkeiten. Sie beschränken ihn aber entscheidend, wenn Sie die Bestimmung nicht aufnehmen. Da ich die Entscheidung dem Gesetzgeber überlassen will, komme ich zu dem Ergebnis, daß, um alle rechtlichen Wege freizulassen, die Bestimmungen in Art. 45 Abs. 3 Satz 2 und 3 aufgenommen werden müssen. Schönfelder (SPD): Was Herr Kollege Brockmann sagte, es solle hier ein Hemmnis geschaffen werden, halte ich für falsch. Im Gegenteil, diejenigen, die die Bestimmung streichen wollen, wollen ein Hemmnis schaffen. Ich bin unter den obwaltenden Verhältnissen nicht dafür, daß ein Wahlgesetz unter Ausnutzung dieser Möglichkeit geschaffen wird. Wenn aber einmal Verhältnisse wie vor 1933 eintreten, daß eine Reihe von Gruppen auftreten, die sich fälschlicherweise politische Parteien nennen, dann müssen wir eine Möglichkeit haben, diesen Unfug zu steuern. Wenn wir das nicht hineinnehmen, dann haben wir diese Möglichkeit nicht. Wer also haben will, daß wir den Unfug in der Zukunft steuern können, der darf jetzt nicht durch die Streichung das Hemmnis im Grundgesetz aufrechterhalten. Schaffen wir der Zukunft alle Möglichkeiten und lassen es hier also bestehen. Renner (KPD): Es wird immer unklarer und dunkler um uns herum. Hier wird gesagt, man braucht diesen [S. 10] Passus, um einem eventuell möglichen Zerfall von vornherein Widerstand zu leisten. Aber man trifft hier eine sachliche Entscheidung, da hilft alles Reden nichts; das geht aus den beiden Wahlrechtsvorschlägen, die gemacht worden sind, hervor. Sie wollen im Effekt das erreichen, und deshalb müssen Sie diese Kann-Bestimmung in die Verfassung hineinarbeiten. Es sind hier die Verhältnisse in Amerika angeführt worden. Ich zitiere aus amerikanischen Zeitungen. Wahlberechtigt waren in Amerika bei der letzten Wahl rund 90 Millionen. Eingetragen haben sich für die Wahl rund 60 Millionen. Gewählt haben rund 45 Millionen, darunter war auch ein Neger. Er hat trotz Warnung gewählt. Am andern Tage wurde er in seiner Wohnung erschossen. Das ist auch Demokratie. Das habe ich aus amerikanischen Zeitungen. (Dr. Greve [SPD]: Wenn er in Rußland gewesen wäre, wäre er gar nicht erst zur Wahl gekommen. – Heiterkeit.) Die Zeitungen aus Rußland darf man ja in der westdeutschen Demokratie nicht lesen. Zur Sache selber. Ich denke an meine alten Freunde von der SPD. Ich bin nämlich schon vor vierzig Jahren eingeschriebenes Mitglied der SPD gewesen. Ich bin einer von den Sozialdemokraten, die sogar während des Krieges ihre Beiträge für die Partei bezahlt haben. Ich habe nicht in der Splitterpartei KPD angefangen, sondern bin aus der damals größeren Partei in die damalige Splitterpartei eingetreten, die dann genau wie jene es zu etwas gebracht hat. Aber ich erinnere mich aus der Urzeit der Sozialdemokratischen Partei, daß wir auch einmal sehr klein angefangen

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haben, nämlich mit einem einzigen Abgeordneten, der allerdings Bebel64) hieß, auf den heute alle Sozialisten in Deutschland so stolz sind. Auch wir Kommunisten sind auf diesen Sozialisten Bebel stolz. Also man soll nicht von Splitterparteien reden. Man will hier die Katze aus dem Sack lassen und das Monopol für die zwei großen Parteien etablieren. Es ist auch richtig, daß die alte Sozialdemokratie mit den sozialistischen Bewegungen in der ganzen europäischen Welt die Schaffung eines Wahlrechts gefordert hat, das jeder abgegebenen Stimme den gleichen Wert verschafft. Herr Dr. Seebohm hat die Situation ganz richtig geschildert. Es gibt zwei Wahlvorschläge, die eine gewisse Chance haben, durchzugehen. Für das reine Proporzsystem stimmen nur wir Kommunisten. Auch in dem Vorschlag der SPD, des Herrn Diederichs, ist ja vorgesehen, daß in den Wahlbezirken die direkt gewählten Abgeordneten den Vorrang haben. Es kann, wenn Sie diese Möglichkeit offenlassen, eintreten, daß auch dieser direkt gewählte Abgeordnete das Mandat, das er in direkter Wahl erobert hat, verliert, wenn es seiner Partei nicht gelingt, im gesamten Bundesgebiet den vorgesehenen Gesamtanteil von 5, 10 oder 15% der Stimmen zu erobern. Das ist der klarste Beweis dafür. Wenn ich noch abschließend sagen darf, daß meines Wissens das erste Land, das mit dieser Bestimmung gearbeitet hat, das nicht gerade sehr fortschrittliche Bayern gewesen ist, dann ist wohl alles zu der Sache gesagt. Brockmann (Z): Ich bedaure, meinem verehrten Kollegen Schönfelder widersprechen zu müssen. Das, was Sie, Herr Kollege Schönfelder, als Begründung für die Beibehaltung der Kann-Bestimmung zum Ausdruck brachten, wird durch die Bestimmungen getroffen, die wir über die politischen Parteien in die Verfassung gebracht haben. Wir bringen ja erstmalig in die Verfassung etwas über das Wesen der Parteien und über das Rechtsverhältnis der Parteien zum Volk bzw. zum Staat hinein. Das wird ja in der Verfassung festgelegt. Darum brauchen wir andere Schutzbestimmungen gar nicht mehr. Aus diesem Grunde bin ich der Meinung, wir sollten die Kann-Bestimmung unter allen Umständen streichen. Wenn wir sie wieder hineinsetzen, dann wird es für jeden Parlamentarier reizvoll sein, Dutzende weiterer Kann-Bestimmungen zu beantragen, die ebenso mit dem Satz in Verbindung zu bringen sind: „Das Nähere bestimmt ein Bundeswahlgesetz“, um irgend etwas zu verhindern. Es soll doch hier tatsächlich etwas verhindert werden; denn wenn die Bestimmung kein zwingendes Recht schafft, ist sie nur eine Kann-Bestimmung. Da lassen wir sie doch heraus. Dr. Suhr (SPD): Nach dem ursprünglichen Vorschlag des Organisationsausschusses ist der umstrittene Satz nicht im Art. 45 mit dem Bundeswahlgesetz zusammenhängend formuliert worden, sondern hat im Art. 46 bei den Bestimmungen über die Parteien gestanden. Ich schlage vor, die Beschlußfassung über diesen Satz auszusetzen, bis Art. 46 verhandelt worden ist. Wenn nämlich die Kontroverse 64)

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August Bebel (1840–1913), Begründer der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Deutschland, 1869 mit Wilhelm Liebknecht Gründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), 1867 Mitglied des Norddeutschen Bundestages, 1871–1813 Mitglied der deutschen Reichstags, 1875 Mitgründer der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD), 1881–1891 Mitglied des Sächsischen Landtag, 1892 einer der zwei Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD).

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Brockmann-Schönfelder dazu führt, daß unter Splitterparteien nur die Bienenzüchterpartei, die Hausbesitzerpartei und sonstige gemeint sind, dann könnte das im Art. 46 geregelt werden. (Dr. Katz [SPD]: Das gehört hier hin!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich bin der Meinung, daß diese Bestimmung in den Art. 45 kommen muß und nicht in Art. 46. (Zustimmung.) Dann schreiten wir zur Abstimmung. Ich glaube feststellen zu können, daß der erste Satz: „Das Nähere bestimmt das Bundeswahlgesetz“ unbestritten ist. (Zustimmung.) Es ist der Antrag gestellt worden, den nächsten Satz zu streichen. Wenn dieser Satz gestrichen wird, dann kann in das Bundeswahlgesetz keine Bestimmung aufgenommen werden, die differentielle Bestimmungen über die Verwertung der Stimmen enthält. Dann ist jede Stimme gleich zu zählen und gleich zu werten. Wenn dem Bundeswahlgesetz die Möglichkeit vorbehalten werden soll, gewisse quantitative Bestimmungen aufrechtzuerhalten, dann muß diese Bestimmung in die Verfassung aufgenommen werden. Das scheint mir sicher zu sein. Brockmann (Z): Ist die Debatte wieder eröffnet? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe nur Ausführungen zur Abstimmung gemacht, um die Frage des Vorrangs bei der Abstimmung zu klären. Der letzte Satz des Abs. 2 ist eine Einschränkung der Bestimmung in Satz 1 desselben Artikels. Deshalb müßte man zuerst darüber abstimmen, ob der Satz aufgenommen wird – das scheint mir die logische Reihenfolge zu sein – und nicht etwa darüber, ob er gestrichen wird. Dr. Seebohm (DP): Wenn wir nach dem jetzt vorliegenden Text gehen, kann man nicht fragen, ob er aufgenommen wird, sondern es kann sich nur um die Entscheidung handeln, ob der Satz gestrichen werden soll. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie haben recht. Ich lasse abstimmen. – Die Streichung des Satz 2 ist mit 13 gegen 6 Stimmen abgelehnt. Von Herrn Dr. Seebohm ist der Antrag gestellt, den Nebensatz, der in der Vorlage innerhalb der beiden Klammern steht, zu streichen. – Die Streichung ist mit 14 gegen 5 Stimmen abgelehnt. Damit ist Satz 2 in der Fassung der Vorlage angenommen.

[2.3. ART. 46: PARTEIEN]

Art. 46 Wahlvorschläge können nur von Wählergruppen eingereicht werden, die sich den Vorschriften über politische Parteien unterstellen. Dr. Dehler (FDP): Der Redaktionsausschuß regt an, den Art. 46 bei Art. 21, wo die allgemeine Staatsgewalt behandelt wird, zu erörtern. Sonst würde sich der Artikel nur auf den Bundestag beziehen. Wir sind der Meinung, ein Parteiengesetz und damit auch die Rahmenvorschriften für ein Parteiengesetz müssen sich auf alle parlamentarischen Körperschaften erstrecken. Dr. Laforet (CSU): Ich bin der gleichen Auffassung. Die Bestimmung muß nicht nur im Abschnitt über den Bundestag geregelt werden, sie wirkt genau so auf die

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Selbstverwaltungskörper. Sie gehört dorthin, wo der Redaktionsausschuß es empfiehlt. [S. 11] Vors. Dr. Schmid (SPD): Es besteht darüber Übereinstimmung. – Dann stellen wir den Art. 46 zurück und behandeln ihn bei dem Kapitel über die Grundlagen für die Ausübung der Staatsgewalt.

[2.4. ART. 47: IMPERATIVES MANDAT UND FRAKTIONSDISZIPLIN]

Art. 47 Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Walter (CDU): Als Berichterstatter möchte ich nur mitteilen, daß sich der Organisationsausschuß bei Behandlung dieses Artikels eingehend mit der Zulässigkeit des Fraktionszwanges befaßt hat. Die gewählte Fassung ist die sogenannte klassische Fassung. Dr. Süsterhenn (CDU): Die sogenannte klassische Fassung, in der gesagt wird, daß die Abgeordneten nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sind, hat den Fraktionszwang mit all seinen unerfreulichen Erscheinungen nicht verhindern können. Ob das überhaupt möglich ist, erscheint mir sehr fraglich. Immerhin sollte man, weil die klassische Formulierung sich jedenfalls nicht bewährt hat, bei Satz 2 dieses Artikels eine Formulierung wählen, die die persönliche Gewissensentscheidung und auch die persönliche Freiheit des Abgeordneten etwas schärfer herausstellt. Das wäre dann wenigstens eine Mahnung an die Abgeordneten, sich nach ihrer persönlichen Entscheidung zu orientieren. Deshalb beantrage ich, dem Satz 2 folgende Fassung zu geben: Der Abgeordnete folgt bei Reden, Handlungen, Abstimmungen und Wahlen seiner Überzeugung und seinem Gewissen. Das ist die Formulierung, die meiner Erinnerung nach aus der südbadischen Verfassung stammt. Dr. Katz (SPD): Sachlich ist der Vorschlag Süsterhenn dasselbe wie das, was in Art. 47 steht. Ich hätte keine sachlichen Bedenken dagegen, glaube aber, die klassische Form verdient sprachlich den Vorzug. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie halten den Antrag aufrecht? (Dr. Süsterhenn [CDU]: Ja!) Dann stimmen wir ab, ob an Stelle des Satz 2 des Art. 47 der Vorlage die Fassung treten soll: Jeder Abgeordnete folgt bei Reden, Handlungen, Abstimmungen und Wahlen seiner Überzeugung und seinem Gewissen. Angenommen mit 12 Stimmen bei Stimmenthaltung eines Abgeordneten. Ich lasse über Art. 47 in dieser Fassung insgesamt abstimmen. – Angenommen. Art. 47 heißt also jetzt: Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Jeder Abgeordnete folgt bei Reden, Handlungen, Abstimmungen und Wahlen seiner Überzeugung und seinem Gewissen.

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[2.5. ART. 48: WAHLPERIODE UND AUFLÖSUNG DES BUNDESTAGES]

Art. 48 (1) Der Bundestag wird auf vier Jahre gewählt. (2) Die Neuwahl findet frühestens im letzten Monat des vierten Jahres, spätestens im folgenden Monat statt. (3) Wird der Bundestag gemäß Artikel 87 oder 90a aufgelöst, so ist er spätestens 60 Tage nach der Auflösung neu zu wählen. Keine Wortmeldung. Der Artikel ist in der Fassung der Vorlage angenommen. Renner (KPD): Ich bin bei Abs. 3 dagegen. Ich bin der Meinung, daß aufgelöst werden darf. Walter (CDU): Was steht in Art. 87 oder 90a? Wenn man abstimmt, soll man das wissen. Dr. Süsterhenn (CDU): Es ist der Fall der Auflösung vorgesehen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Dinge bleiben offen. Entscheidend ist an dieser Fassung, daß im Fall der Auflösung 60 Tage das Maximum an „wahlfreier“ Zeit sind. Dr. Laforet (CSU): Daß nicht übersehen wird, die Bestimmung noch einmal zu fassen!

[2.6. ART. 49: KONSTITUIERUNG DES BUNDESTAGES]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe auf:

Art. 49 Der Bundestag tritt spätestens am 30. Tage nach der Wahl zusammen. Walter (CDU): Der Vorschlag des Organisationsausschusses hatte in dieser Bestimmung noch einen weiteren Satz enthalten: „Damit endet die Wahlperiode des vorhergehenden Bundestages.“ Der Organisationsausschuß hat diese Bestimmung mit voller Absicht aufgenommen, um das Ende der Legislaturperiode klarzulegen, damit kein Intervall entsteht. Die Bestimmung erschien ihm zweckmäßig, weil dadurch vielleicht manche Vorschriften, die im Herrenchiemseer Entwurf enthalten sind, fallengelassen werden können. Ich erinnere an den ständigen Ausschuß, an die Untersuchungsausschüsse und auch vielleicht an sonstige Bestimmungen, die der Organisationsausschuß beschlossen hat. Es wäre mir interessant, von einem Mitglied des Redaktionsausschusses zu erfahren, welche Gründe ihn bestimmt haben, von dieser Bestimmung des Organisationsausschusses abzusehen. Dr. Dehler (FDP): Wir gehen davon aus, daß der Bundestag auf vier Jahre, auf eine ganz bestimmte Frist gewählt wird. Mit Ablauf der vier Jahre endet auch die Wahlperiode. Es scheint uns notwendig, klare Verhältnisse zu schaffen. Das ist auch wichtig für die Frage der Regierungsbildung nach der Neuwahl. Deshalb sind wir dazu gekommen, hier eindeutig den Ablauf der vier Jahre als Ende der Wahlperiode festzulegen. Dr. Seebohm (DP): Die Frage der Immunität spielt hier wohl keine Rolle; denn die Immunität bleibt doch während des Wahlkampfes bestehen?

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Nach dieser Fassung nicht. Da hört man mit Ablauf des letzten Tages des vierten Jahres auf, Abgeordneter zu sein. Nach der Fassung, die der Organisationsausschuß vorgesehen hatte, wird eine Art von, sagen wir, fiktiver weiterer Abgeordnetenqualität geschaffen, bis der neue Bundestag zusammengetreten ist. Dr. Pfeiffer (CSU): Kann bei der Formulierung, die der Redaktionsausschuß vorgesehen hat, nicht ein Vakuum dadurch entstehen, daß der Zusammentritt des neu gewählten Bundestags erst eine gewisse Zeit – und wenn es nur Tage sind, unter Umständen aber bis zu vierzehn Tagen oder drei Wochen – nach dem Ablauf der Dauer des aufgelösten Bundestags erfolgt, nachdem wir doch einen Zeitraum von ungefähr einem Monat haben, der über die Gültigkeitsdauer des alten Bundestags hinausgehen kann? Es kann also ein Vakuum eintreten, und das kann in unruhigen Zeiten unerfreuliche Folgen haben. Deshalb bin ich dafür, es bei der ursprünglichen Fassung zu belassen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wie ist es dann bei einer Auflösung? Dr. Katz (SPD): Wir haben in Art. 58 den ständigen Ausschuß vorgesehen. Dieser fungiert auch nach dem Ende der Wahlperiode und nach der Auflösung des Bundestags weiter, so daß die Rechte des Bundestags während dieser Zeit gewahrt bleiben. Ich hätte keine Bedenken, diesen Satz, wie es der Redaktionsausschuß vorgeschlagen hat, zu streichen. Renner (KPD): Die Frage des Weiterbestehens der Immunität der Abgeordneten nach Auflösung des Bundestags scheint mir doch wichtig genug zu sein, um darüber zu sprechen. Erfahrungstatsache ist doch wohl, daß gerade die Periode zwischen der Auflösung des alten und dem Zusammentritt des neuen Parlaments benutzt wurde, um dem Fiskus Gelegenheit zu [S. 12] geben, seine Verfahren in Gang zu bringen. Da ja nicht abzusehen ist, nach welchen Gesichtspunkten der Staatsfiskus sich an die Verfolgung der Parteien machen wird, die den beiden herrschenden Parteien gegenüber in Opposition stehen, sollte man doch vorsichtig sein und festlegen, daß die Immunität des Abgeordneten mindestens so lange dauert, bis er eventuell als neu gewählter Abgeordneter in das neue Parlament einzieht. So weit müßte man wenigstens gehen. Ich spreche auf Grund der Erfahrungen, die ich hier gemacht habe. Stock (SPD): Ich beantrage auch, bei Art. 49 die Formulierung so vorzunehmen, wie es seinerzeit der Ausschuß beschlossen hat. Dr. Suhr (SPD): Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß der Ablauf der Wahlperiode gar nicht ohne weiteres festliegt. Wenn er nicht ausdrücklich hier festgelegt würde, entstünde die Frage, die im Reichstag 1884 und 1900 diskutiert worden ist und die wir im Augenblick in Berlin zu diskutieren haben. Endet nämlich die Wahlperiode mit dem Wahltag oder endet sie nicht vielmehr mit der Bekanntgabe der Abgeordneten? Dazwischen liegen unter Umständen sehr entscheidende Fristen. Deshalb muß schon festgelegt werden, wann die Wahlperiode zu Ende ist. Ich würde empfehlen, die ursprüngliche Formulierung des Organisationsausschusses: „Mit seinem Zusammentritt endet die Wahlperiode“ als exakt formulierten Abschluß der Wahlperiode aufzunehmen. Dr. Katz (SPD): Ich möchte mich korrigieren. Ich bin auch für die Wiederherstellung des Entwurfs des Organisationsausschusses. Hier ist eine Frist von 60 Tagen

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vorgesehen, innerhalb der neu gewählt wird. Infolgedessen könnten Unklarheiten entstehen, wann die Funktion des alten Bundestags aufgehört hat. Wir hatten vorher gesagt: damit endet die Wahlperiode des vorherigen Bundestags, nämlich mit dem Tage des Zusammentritts des neu gewählten Bundestags. Wenn wir das lassen, beseitigen wir alle Unklarheiten. Daher würde ich mich für die Wiederherstellung der Vorlage des Entwurfs des Organisationsausschusses einsetzen. Dr. Greve (SPD): Mit der Wiederherstellung des Entwurfs beseitigen wir nicht alle Unklarheiten. Wenn nämlich der Bundestag nicht aufgelöst wird, sondern durch Zeitablauf endet und die Neuwahl des neu zu wählenden Bundestags im Monat nach Beendigung der Wahlperiode stattfindet, dann kann die Wahlperiode des alten Bundestags nicht mit dem Zusammentritt des neuen Bundestags enden, sondern dann ist sie durch Zeitablauf beendet. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wenn das aber in der Verfassung anders steht? Dr. Greve (SPD): Dann müssen wir den ersten Satz ändern. (Dr. Katz [SPD]: Nein!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann steht der Antrag zur Abstimmung, in Art. 49 folgenden zweiten Satz einzufügen: Damit endet die Wahlperiode des vorherigen Bundestags. Der Antrag ist mit überwiegender Mehrheit angenommen. Damit ist der Text des Art. 49, der aus dem Organisationsausschuß hervorgegangen ist, wiederhergestellt.

[2.7. ART. 50: BUNDESTAGSPRÄSIDENT UND SCHRIFTFÜHRER]

Art. 50 (1) Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und die Schriftführer. Er gibt sich eine Geschäftsordnung. (2) Der Präsident übt das Hausrecht und die Polizeigewalt im Bundestagsgebäude aus. Ohne seine Genehmigung darf in den Räumen des Bundestags keine Durchsuchung oder Beschlagnahme stattfinden. (3) Dem Präsidenten untersteht die Verwaltung des Bundestags. Er verfügt über dessen Einnahmen und Ausgaben; er vertritt den Bund in allen Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten des Bundestags. Keine Wortmeldungen. Der Artikel ist so beschlossen.

[2.8. ART. 51: WAHLPRÜFUNG]

Art. 51 (1) Die Wahlprüfung obliegt dem Bundestag. Bleibt die Gültigkeit von Wahlhandlungen bestritten, so entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt. Dr. von Brentano (CDU): Wir haben uns im Redaktionsausschuß auch über diese Formulierung unterhalten. Wir haben in die Übergangsbestimmungen den Vorschlag aufgenommen, daß für die erste Wahl des Bundestags etwa das Obergericht als Wahlprüfungsgericht tätig sein soll. Wir hätten sonst den Zustand, daß der erste

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Bundestag gewählt wird, aber ein Wahlprüfungsgericht fehlt. Ich möchte das nur erwähnen, um zu zeigen, daß wir an diese Übergangsbestimmung gedacht haben. Wenn wir uns in den Übergangsbestimmungen mit dieser Frage beschäftigen, dann kann die Formulierung so bleiben, wie sie hier ist. Dr. Laforet (CSU): Ich möchte nur klargestellt wissen, was es heißt: „Bleibt die Gültigkeit von Wahlhandlungen bestritten“. Die Wahlprüfung obliegt dem Bundestag. Bezüglich der Frage, wer ermächtigt ist und wie das Verfahren sein soll, ist vorgesehen, daß das Nähere durch Bundesgesetz geregelt wird. Ich frage aber die Herren des Organisationsausschusses: Warum heißt es nicht: „Wird die Gültigkeit der Wahlhandlung bestritten“? Was soll heißen: „bleibt“? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe es so verstanden: wenn der Bundestag der Meinung sein sollte, daß die Anfechtung unbegründet ist und sich die Beschwerdeführer dabei beruhigen, dann ist die Sache erledigt; wenn sie sich nicht beruhigen, dann geht die Sache an das Gericht. (Zuruf: Das Bundesgericht als Berufungsinstanz!) Dr. Süsterhenn (CDU): Das ist zweifellos sehr unklar. Könnte man das nicht deutlich zum Ausdruck bringen, indem man sagt: Die Wahlprüfung obliegt dem Bundestag. Gegen die Entscheidung des Bundestags ist die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zulässig. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt. Dann ist der Instanzenzug im Prinzip bereits zum Ausdruck gebracht. Dr. Laforet (CSU): Das ist das, was ich erbitte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann kann ich annehmen, daß diese Fassung, die mir sehr glücklich erscheint, Zustimmung findet. – Es ist so beschlossen, gegen eine Stimme. (Renner [KPD]: Gegen meine Stimme, weil ich das Bundesverfassungsgericht ablehne.) Walter (CDU): Ich möchte ausdrücklich hervorheben, daß der Organisationsausschuß der Auffassung ist, diese Bestimmung decke auch den Fall, daß eine Wahl insgesamt, zum Beispiel in einem ganzen Land, angefochten wird und nicht nur innerhalb eines Wahlkreises selbst. Ich lege Wert darauf, daß das ins Protokoll kommt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann kommt Abs. 2: Entsprechendes gilt, wenn streitig ist, ob ein Abgeordneter die Mitgliedschaft bei dem Bundestag verloren hat. Dr. Suhr (SPD): Ist es stilistisch richtig, zu sagen: „die Mitgliedschaft bei dem Bundestag“? Ist nicht vielleicht sogar etwas anderes gemeint? Ist nicht zu prüfen, ob ein Abgeordneter die Eigenschaft als Abgeordneter verloren hat? (Dr. Katz [SPD]: Das ist gemeint!) [S. 13] Muß es nicht heißen: „ob ein Mitglied die Eigenschaft als Abgeordneter des Bundestags verloren hat“? Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist die Frage nach der Priorität von Henne und Ei. Mitglied des Bundestags ist man, wenn man Abgeordneter ist. Dr. Suhr (SPD): Aber man ist nicht Mitglied bei dem Bundestag, man ist Mitglied des Bundestags. Dr. Greve (SPD): Kann man nicht überhaupt „bei dem Bundestag“ streichen?

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Dr. Suhr (SPD): Man verliert nicht die Mitgliedschaft, man verliert die Eigenschaft eines Abgeordneten. (Widerspruch) Beim Verein ja, aber nicht beim Parlament. Die Mitgliedschaft kann ich nur verlieren, wenn ich die Eigenschaft als Abgeordneter verloren habe. Dr. Greve (SPD): Ich bitte, mir zu sagen, warum „bei dem Bundestag“ drinsteht? Wo kann man denn nach dieser Bestimmung sonst noch die Mitgliedschaft verlieren? Dr. von Brentano (CDU): Man kann schwerlich schreiben: „die Mitgliedschaft“. Dr. Greve (SPD): Es genügt, wenn wir sagen: „ob ein Abgeordneter die Mitgliedschaft verloren hat.“ Dr. von Brentano (CDU): Da kann man fragen: wo? Dr. Greve (SPD): Hier beim Bundestag. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wird der Antrag gestellt, den Abs. 2 so zu fassen: Entsprechendes gilt, wenn streitig ist, ob ein Mitglied des Bundestags die Eigenschaft als Abgeordneter verloren hat. – Der Abs. 2 ist in dieser Fassung angenommen. Art. 52 entfällt.

[2.9. ART. 53: ÖFFENTLICHKEIT DES BUNDESTAGES]

Art. 53 (1) Der Bundestag verhandelt öffentlich. Auf Antrag eines Zehntels seiner Mitglieder oder auf Antrag der Bundesregierung kann mit Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Über den Antrag wird in nichtöffentlicher Sitzung entschieden. (2) Wahrheitsgetreue Berichte über die öffentlichen Sitzungen des Bundestags oder eines seiner Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei. Renner (KPD): Was ist Wahrheit? Schönfelder (SPD): Ein relativer Begriff. Dr. Lehr (CDU): Das ist in Rußland sehr schwer festzustellen. Renner (KPD): Wir sind in Deutschland, und meine Erfahrungen resultieren aus dem politischen Erleben in Deutschland. Dazu gehört auch das, was ich von Ihnen erfahren habe. Was ist Wahrheit? Es ist doch ein vollkommen subjektiver Begriff. Vors. Dr. Schmid (SPD): Für andere Leute ist er objektiv. Hier ist jedenfalls der objektive Wahrheitsbegriff gemeint und nicht der subjektive. Renner (KPD): Es ist auch nur Auffassungssache, was objektiv ist. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich wollte rein redaktionell vorschlagen, in Abs. 2 das Wort „eines“ zu streichen und zu sagen: „Wahrheitsgetreue Berichte über die öffentlichen Sitzungen des Bundestags oder seiner Ausschüsse usw.“ Dr. Katz (SPD): Ich möchte zu dem, was der Abgeordnete Renner angeschnitten hat, klarstellen, daß die Frage den Gerichten überlassen werden muß. Wenn beispielsweise eine kommunistische Zeitung lediglich die Ausführungen eines kommunistischen Abgeordneten abdruckt, in denen er Sachen mitteilt, die sonst vielleicht strafbar wären, so ist es Sache Gerichts, zu beurteilen, ob das eine wahrheits-

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getreue Wiedergabe ist oder nicht. Das können wir nicht in die Verfassung hineinschreiben. Brockmann (Z): Ich halte eine solche Auffassung für sehr gefährlich, wenn ich dabei die Immunität des Abgeordneten berücksichtige. Das braucht nicht gerade ein kommunistischer Abgeordneter zu sein, das könnte auch jeder andere von uns sein. Dr. Greve (SPD): Wenn die Ausschüsse nun nicht öffentlich tagen – und das kommt auch vor –, dann bleiben also die Berichte von der Verantwortlichkeit nicht frei. Wir müssen also auch die nichtöffentlichen Sitzungen der Ausschüsse mit in die Klausel hineinnehmen. (Zuruf: Die sind nicht öffentlich!) Dr. von Brentano (CDU): Da gibt es nur eine Stellungnahme, aber keinen Bericht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Stellungnahme ist durch Abs. 2 nicht gedeckt. Renner (KPD): Herr Kollege Katz hat gestern die Katze aus dem Sack gelassen. Er stellt sich die Situation so vor, daß hinter jedem Abgeordneten eo ipso der Staatsanwalt stehen muß. Das ist also der Staat, den Sie ersehnen. Hier steht die Frage der Immunität des Abgeordneten und des Rechtes, das aus seiner Immunität resultiert. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nein, das ist nicht richtig. Renner (KPD): Ich habe auch ein bißchen Erfahrung, die läuft nach der anderen Seite. Hier ist die Frage: Wer entscheidet, was ist Wahrheit? Ist das dem objektiven oder subjektiven Empfinden des Abgeordneten überlassen, oder ist das etwa von der Entscheidung des obersten Bundesgerichtshofs abhängig? Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Kollege Renner, Sie sind im Irrtum. Das hier ist nicht der Artikel, in dem von der Immunität des Abgeordneten gesprochen wird. Hier ist etwas ganz anderes gemeint, nämlich ob zum Beispiel ein Journalist, der in seiner Zeitung abdruckt, was ein Abgeordneter gesagt hat, bestraft werden kann oder nicht, wenn etwa die Ausführungen dieses Abgeordneten Beleidigungen enthalten sollten. Wenn er sich damit begnügt, abzudrucken, was der Mann gesagt hat, dann ist das ein wahrheitsgetreuer Bericht. Dann kann er nicht bestraft werden, selbst wenn der Inhalt des von dem Abgeordneten im Bundestag Gesagten einen strafbaren Tatbestand enthalten sollte. Das ist der Sinn dieser Bestimmung. Renner (KPD): Wenn ich eine Spur von Recht hätte, anzunehmen, daß die Praxis so läuft, wie Sie sagen! Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich wollte Sie nur belehren, was hier gemeint ist. Renner (KPD): Aber wenn der Abgeordnete den Artikel zeichnet oder veröffentlicht? Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann ist er ja der Mann, der hier den „wahrheitsgetreuen Bericht“ abgibt. Also wird er nicht betroffen. Außerdem ist er immun, aber das kommt nachher. Renner (KPD): Ich beantrage die Streichung des Wortes „wahrheitsgetreue“. Das ist das, was Sie wollen. Dann genügt völlig der Satz: Berichte über die öffentlichen Sitzungen usw. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nein, das genügt nicht; denn dann könnte einer sagen: Was ich schrieb, ist [S. 14] „mein“ Bericht, während in Wirklichkeit unter dem Vorwand, einen „Bericht“ zu geben, eine eigene Stellungnahme – die unter Umständen einen strafbaren Tatbestand erfüllt – geäußert worden ist.

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Ich stelle also fest, daß Artikel 53 unter Streichung des Wortes „eines“ in der zweitletzten Zeile und der Ersetzung des Wörtchens „oder“ durch „und“ gegen die Stimme des Herrn Abgeordneten Renner angenommen ist und jetzt in Abs. 2 heißt: Wahrheitsgetreue Berichte über die öffentlichen Sitzungen des Bundestags und seiner Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei.

[2.10. ART. 54 UND 55: BESCHLUSSFASSUNG UND REDERECHT IM BUNDESTAG]

Art. 54 (1) Zu einem Beschluß des Bundestags ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, wenn dieses Grundgesetz nichts anderes vorschreibt. Für die vom Bundestag vorzunehmenden Wahlen kann die Geschäftsordnung Ausnahmen zulassen. (2) Die Beschlußfähigkeit wird durch die Geschäftsordnung geregelt. Das Wort wird nicht gewünscht; es ist so beschlossen. Art. 55 (1) Der Bundestag und seine Ausschüsse können die Anwesenheit jedes Mitglieds der Bundesregierung verlangen. Keine Wortmeldungen; es ist so beschlossen. (2) Die Mitglieder des Bundesrats und der Bundesregierung sowie die von ihnen bestellten Beauftragten haben zu allen Sitzungen des Bundestags und seiner Ausschüsse Zutritt. Sie müssen jederzeit gehört werden. Hier ist vielleicht eine Abstimmung noch nicht möglich, weil die Frage Bundesrat oder Senat nicht entschieden ist. Wir stellen diesen Absatz am besten zurück. – Es besteht darüber Einverständnis.

[2.11. ART. 56: SCHLUSS UND EINBERUFUNG EINER SITZUNG DES BUNDESTAGES]

Art. 56 (1) Der Bundestag bestimmt den Schluß und den Wiederbeginn seiner Sitzungen. (2) Der Präsident des Bundestags kann den Bundestag früher einberufen. Er ist hierzu verpflichtet, wenn der Bundespräsident, der Bundeskanzler oder ein Drittel der Mitglieder dies verlangen. Walter (CDU): Bei der Beratung des Art. 56 hat der Organisationsausschuß grundsätzlich zu der Frage Stellung genommen, ob nach der Bonner Verfassung der Unterschied zwischen Sitzungsperioden und Legislaturperioden65) wieder aufgenommen werden soll. Es ist bekannt, daß die Weimarer Verfassung diese Unterschei65)

Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 hat den zuvor im Parlamentsrecht verwendeten Begriff „Legislaturperiode“ durch „Wahlperiode“ ersetzt. Vgl. z. B. Art. 27, 31 und 35; RGBl. S. 1383.

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dung gehabt hat66). Die Weimarer Verfassung kennt sie zwar nominell, aber praktisch ist dieser Begriff, soweit meine Kenntnisse reichen, nicht mehr beachtet worden; vielmehr hat der Reichstag in Permanenz getagt. Die Sache ist von einer gewissen Bedeutung, wie uns Herr Präsident Löbe dargelegt hat. Wenn man wieder den Begriff der „Sitzungsperiode“ einführte, so wäre an sich die Folge, daß das Präsidium bei Neuzusammentritt wieder zu wählen wäre, alle Vorlagen gegenstandslos würden und die Ausschüsse nicht tagen könnten. Namentlich ist dann die Immunität aufgehoben. Es ist wohl hier der geeignete Ort, sich darüber zu unterhalten, ob man den Begriff „Sitzungsperiode“ wieder schaffen oder ob man ihn aufheben will. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es handelt sich darum, ob der Bundestag über die ganze Wahlperiode in Permanenz tagt, gewissermaßen nur mit Unterbrechungen, oder ob man zu in sich geschlossenen Sitzungsperioden, Sessionen kommen will. Ich glaube, die Entwicklung geht überall darauf hin, die Permanenz der Tagungen der Parlamente anzunehmen. Dr. Greve (SPD): Ich bitte, den Abs.1 des Art. 56 zu streichen und Abs. 2 folgendermaßen zu fassen: Der Präsident des Bundestags beruft das Haus ein. Er ist hierzu verpflichtet, wenn der Bundespräsident, der Bundeskanzler oder ein Drittel der Mitglieder dies verlangen. Dr. Menzel (SPD): Wir können den Abs. 1 um so eher streichen, als das doch ein Bestandteil der Geschäftsordnung werden muß. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube auch, daß dieser Antrag richtig ist. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich halte das nicht für möglich. Es ist Diktatur des Präsidenten. Der Bundestag selber muß es bestimmen. Schönfelder (SPD): Das kann durch die Geschäftsordnung geregelt werden. Dr. Greve (SPD): Außerdem ist das nicht Diktatur des Präsidenten. Er ist verpflichtet, den Bundestag einzuberufen, wenn ein Drittel der Mitglieder es verlangen. Dr. Süsterhenn (CDU): Grundsätzlich beschließt der Bundestag, wann er wieder zusammentritt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist über den Antrag abzustimmen, Abs. 1 des Art. 56 zu streichen und Abs. 2 wie folgt zu formulieren: Der Präsident des Bundestags beruft das Haus ein. Er ist dazu verpflichtet, wenn der Bundespräsident, der Bundeskanzler oder ein Drittel der Mitglieder dies verlangen. – Der Antrag ist abgelehnt. 66)

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Vgl. Art. 37 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Kein Mitglied des Reichstags oder eines Landtags kann ohne Genehmigung des Hauses, dem der Abgeordnete angehört, während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, daß das Mitglied bei Ausübung der Tat oder spätestens im Laufe des folgenden Tages festgenommen ist. Die gleiche Genehmigung ist bei jeder anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit erforderlich, die die Ausübung des Abgeordnetenberufs beeinträchtigt. Jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied des Reichstags oder eines Landtags und jede Haft oder sonstige Beschränkung seiner persönlichen Freiheit wird auf Verlangen des Hauses, dem der Abgeordnete angehört, für die Dauer der Sitzungsperiode aufgehoben.“ Vgl. RGBl. S. 1390 f.

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Schönfelder (SPD): Damit ist aber noch nicht entschieden, daß es einen Bundespräsidenten geben wird. Dr. Laforet (CSU): Im Plenum muß ausdrücklich ausgesprochen werden, daß damit nicht etwa eine Wiederaufnahme des alten Begriffs Sitzungsperiode erfolgt, daß also nur die Wahlperiode gemeint ist, das, was der Herr Vorsitzende mit dem sogenannten permanenten Bundestag bezeichnen wollte. Dr. Katz (SPD): Damit wäre ich völlig einverstanden. Der Begriff der Sitzungsperiode ist vom Organisationsausschuß abgeschafft worden. Der Organisationsausschuß geht davon aus, daß der Bundestag in Permanenz tagt. Dr. Laforet (CSU): Es dürfte genügen, wenn diese Klarstellung im Bericht des Referenten an das Plenum erfolgt und damit festgelegt wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann ist Art. 56, ohne daß damit über die Frage des Bundespräsidenten ein Präjudiz geschaffen worden wäre, in der Fassung des Redaktionsausschusses angenommen.

[2.12. ART. 57: UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSS]

Art. 57 (1) Der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines Viertels der Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen. (2) Der Untersuchungsausschuß erhebt in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise. Die Öffentlichkeit kann vom Untersuchungsausschuß mit Zweidrittelmehrheit ausgeschlossen werden. Dr. Süsterhenn (CDU): Es entspricht zwar der allgemeinen parlamentarischen Tradition, daß Untersuchungsausschüsse in öffentlicher Verhandlung die Beweise erheben. Auf der anderen Seite hat sich in der Praxis, insbesondere der Weimarer Republik, herausgestellt, daß gerade diese Untersuchungsausschüsse vielfach von radikalen Parteien dazu benutzt worden sind, um der Regierung unnötige Schwierigkeiten zu bereiten. Ich möchte deshalb zur Erwägung anheimstellen, ob man nicht diesen Zwang zur öffentlichen Verhandlung fallen lassen und für die Untersuchungsausschüsse auch die Regel gelten lassen soll, die für alle Ausschüsse gilt, daß sie an sich nicht öffentlich [S. 15] tagen, daß aber die Öffentlichkeit durch Beschluß hergestellt werden kann. Ich möchte gerade im Hinblick auf die Erfahrungen, die früher im Reichstag und auch in einzelnen Parlamenten gesammelt worden sind, dieses Problem zur Diskussion stellen. Renner (KPD): Ich halte schon die Bestimmung, daß ein Untersuchungsausschuß nur auf Antrag eines Viertels der Mitglieder zu bilden ist, für schlecht. Wenn aber noch hinzukommen soll, daß der Ausschuß nicht öffentlich verhandelt, dann ist meines Erachtens der ganze Sinn eines derartigen Verfahrens illusorisch gemacht. Eine Regierung, die nichts zu verbergen hat, braucht doch keinen Untersuchungsausschuß zu fürchten. (Zuruf: Kein eiserner Vorhang!) – Auch kein eiserner Vorhang. Ich kann mich einiger dunkler Geschichten aus der Zeit vor 1933 erinnern, wo dieser eiserne Vorhang systematisch heruntergelassen wurde, wo man also systematisch eine Vertuschungspolitik betrieben hat, um die

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Regierung zu schützen. Ich sage nur ein Wort: Dotation an Hindenburg67). Es gibt also schon Dinge, an deren Geheimhaltung die Regierung damals interessiert war. Aber Sie schaffen doch eine demokratische Verfassung. Wir können doch nicht verhindern wollen, daß das Volk in alle Ecken der Tätigkeit der Regierung hineinleuchtet. Das ist doch die Absicht dieses Vorschlags. Parlament schon, Untersuchungsausschuß aber nur unter gewissen Vorbehalten, und dann soll der Untersuchungsausschuß noch unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagen. Wozu braucht man dann noch einen Untersuchungsausschuß? Dr. Süsterhenn (CDU): Wir sind der Meinung, daß ein Untersuchungsausschuß sachliche Untersuchungsarbeit zu leisten hat und daß in ihm keine Propaganda betrieben werden soll. Die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses oder die Kritik, die an ihm geübt werden könnte, kann durchaus in die Öffentlichkeit des Parlaments getragen werden. Dagegen wird die Sachlichkeit der Arbeit des Untersuchungsausschusses durch den Zwang zur Öffentlichkeit nicht gefördert. Ich beschränke mich darauf, in dieser Sitzung das Problem nur anzuschneiden, und behalte mir die Antragstellung für die zweite Lesung vor. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Abs. 1 und 2 sind angenommen. (3) Die Gerichte und Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, einem Ersuchen des Ausschusses um Aktenvorlage und Rechtshilfe Folge zu leisten. Angenommen. (4) Auf die Erhebungen des Ausschusses und der von ihm ersuchten Behörden finden die Vorschriften der Strafprozeßordnung sinngemäß Anwendung. Das Brief-, Fernsprech- und Postgeheimnis bleibt unberührt. Dr. Greve (SPD): Hinter „Strafprozeßordnung“ bitte ich einzufügen: „und des Gerichtsverfassungsgesetzes“, da die Vorschriften über die Sitzungspolizei nicht in der Strafprozeßordnung, sondern im Gerichtsverfassungsgesetz geregelt sind. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ist nicht die Sitzungspolizei nach den allgemeinen Bestimmungen der Geschäftsordnung auszuüben? Dr. Greve (SPD): Ich habe gerade das Gerichtsverfassungsgesetz kommen lassen. Dr. Suhr (SPD): Es muß wohl anstatt „Fernsprech-“ heißen „Fernmelde-“, sonst wird das Telegramm nicht erfaßt. Walter (CDU): Hier findet doch die Geschäftsordnung Anwendung. Die Sitzungspolizei des Präsidenten ist maßgebend und nicht das Gerichtsverfassungsgesetz in seinem § 198 oder so etwas. Dr. Greve (SPD): Wenn wir die Strafprozeßordnung nehmen, müssen Sie analog das Gerichtsverfassungsgesetz nehmen. 67)

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Renner spielt auf den sogenannten Osthilfeskandal an: Paul von Hindenburg hatte 1927 den alten Familienbesitz Gut Neudeck geschenkt bekommen. Die Schenker kauften das Gut zurück, nachdem Hindenburg es aus finanziellen Gründen nicht mehr halten konnte. Um Erbschaftsteuern zu sparen, wurde das Geld auf seinen Sohn Oskar überschrieben. Ferner gab es im Zusammenhang mit dem 1929 verabschiedeten „Ostpreußengesetz“, das die Schenker und andere wirtschaftlich begünstigte keinen starken Korruptionsverdacht gegen Hindenburg. Paul von Hindenburg (1847–1934), Generalfeldmarschall im Ersten Weltkrieg, Chef der Obersten Heeresleitung, 1925–1934 Reichspräsident der Weimarer Republik.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Strafprozeßordnung ist für die Beeidigung von Zeugen erforderlich. Dr. Katz (SPD): Für die Bestrafung von renitenten Zeugen. Dr. Menzel (SPD): Kann man nicht sagen: „finden, soweit die Geschäftsordnung keine Regelung trifft, das Gerichtsverfassungsgesetz und die Strafprozeßordnung entsprechend Anwendung“? Also zur Ausfüllung etwaiger Lücken. Dr. von Brentano (CDU): Ich glaube, das ist nicht gut. Wir haben hier bewußt auf die Strafprozeßordnung Bezug genommen. Die Geschäftsordnung des Bundestags soll ja kein materielles Gesetz in dem Sinne sein. Wenn wir also sagen: „soweit die Geschäftsordnung keine Vorschriften trifft, findet die Strafprozeßordnung Anwendung“, dann würde das bedeuten, daß die Geschäftsordnung eine Art Strafprozeßordnung für diese Ausschüsse enthalten kann, und das wäre nicht gut. Dr. Menzel (SPD): Dann stelle ich das um: „finden die Vorschriften der Strafprozeßordnung und, soweit die Geschäftsordnung des Bundestags nicht ausreicht, des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend Anwendung“. Dr. von Brentano (CDU): Dagegen hätte ich keine Bedenken. Walter (CDU): Ich halte es für unnötig. Dr. Greve (SPD): Wenn Sie keine Geschäftsordnung haben, müssen wir irgendwelche Vorschriften Anwendung finden lassen. Dr. von Brentano (CDU): Der Bundestag gibt sich als erstes eine Geschäftsordnung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es sind zwei Anträge gestellt, zunächst der Antrag Dr. Suhr, statt „Fernsprechgeheimnis“ zu sagen „Fernmeldegeheimnis“. – Darüber herrscht Einverständnis. Dr. Greve (SPD): Das andere können wir zurückstellen. Dr. von Brentano (CDU): Wir können uns vielleicht einigen, wenn wir sagen: „finden die Vorschriften über den Strafprozeß sinngemäß Anwendung“. Dann ist alles getroffen, auch das Gerichtsverfassungsgesetz, soweit es den Strafprozeß betrifft. Vors. Dr. Schmid (SPD): Einverstanden. Es heißt also: „finden die Vorschriften über den Strafprozeß sinngemäß Anwendung“. Abs. 4 ist mit diesen Änderungen angenommen. Dr. Menzel (SPD): Ich beantrage, als neuen Absatz hinzuzufügen: Die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses unterliegt keiner richterlichen Nachprüfung. Zur Begründung weise ich auf folgendes hin. Ein Untersuchungsausschuß wird im wesentlichen aus politischen Gründen eingesetzt. Er wird auch die Erhebung stark nach politischen Gesichtspunkten aufbauen, weil politische Maßstäbe zugrunde liegen; denn das ist ja der Sinn dieser Untersuchungsausschüsse, daß die Dinge im Parlament nach ihrer politischen Seite untersucht werden. Wenn nun durch einen Beschluß oder eine Feststellung eines solchen Untersuchungsausschusses sich jemand betroffen fühlt, dann soll ihm selbstverständlich die Möglichkeit eines ordnungsmäßigen gerichtlichen Verfahrens bleiben. Das soll ihm nicht abgeschnitten werden. Aber ich möchte vermeiden, daß irgendein Gericht – vielleicht irgendein Amtsgericht sich zu einer Kontrollinstanz über den Landtag oder einen seiner Ausschüsse aufwirft, daß es glaubt feststellen zu können, das Verfahren vor dem Untersuchungsausschuß sei falsch gewesen und habe deshalb zu falschen Ergebnissen geführt, oder die Behandlung eines Zeugen sei nicht korrekt gewesen, oder es

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habe eine politische, falsche Bewertung des Tatbestandes stattgefunden und es sei darauf ein [S. 16] Fehlbeschluß gefaßt worden. Das Gericht soll von den Ergebnissen, von dem Verfahren, von den Zeugenvernehmungen, von den Urkunden und Unterlagen dieses Untersuchungsausschusses völlig unabhängig sein und selbst die Wahrheit suchen. Aber ich möchte auch um des Gerichtes willen eine klare Unterscheidung zwischen dem Verfahren und der Ergebnisfeststellung des Untersuchungsausschusses und einem etwaigen Verfahren – wenn es für den Betroffenen erforderlich ist – der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Ich will also beide Gremien völlig unabhängig lassen, und dazu scheint mir dieser Zusatz erforderlich zu sein. Walter (CDU): Die Ausführungen des Herrn Kollegen Menzel erinnern mich daran, etwas nachzutragen, was im Organisationsausschuß besprochen worden ist. Es ist ja möglich, daß vor dem Untersuchungsausschuß der Tatbestand einer strafbaren Handlung festgestellt wird oder daß mindestens der Verdacht einer strafbaren Handlung zutage tritt. Was soll nun geschehen? Soll das Strafverfahren durchgeführt und die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses bis zur rechtskräftigen Erledigung des Strafverfahrens ausgesetzt werden, oder soll das nicht geschehen? Ich glaube, es ist notwendig, das in der Verfassung klarzulegen, damit widersprechende Entscheidungen von vornherein nicht möglich sind. Persönlich bin ich der Auffassung, daß der Untersuchungsausschuß, wenn der Tatbestand einer strafbaren Handlung festgestellt wird oder wenn bloß dieser Verdacht sich im Laufe der Tätigkeit des Untersuchungsausschusses ergibt, seine Tätigkeit bis zur rechtskräftigen Erledigung des Strafverfahrens einstellt. Selbstverständich bestehen hiergegen gewisse Bedenken, daß dadurch die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses verschleppt wird; denn das Strafverfahren kann unter Umständen langwierig sein. Aber zur Klarheit der Sache halte ich es für notwendig, daß eine Aussetzung des Verfahrens vor dem Untersuchungsausschuß erfolgt. Dr. Laforet (CSU): Wird nicht der Richter nach dem Antrag des Herrn Kollegen Dr. Menzel tatsächlich in seiner freien Würdigung beschränkt? Was soll das heißen: „die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses unterliegt keiner richterlichen Nachprüfung“? Der Gegenstand, der im Untersuchungsausschuß wie beim strafrechtlichen Verfahren geprüft wird, soll doch wohl vollständig in freier Würdigung des Richters bleiben. (Dr. Menzel [SPD]: Natürlich, das habe ich ausdrücklich gesagt.) Das Gericht soll völlig unabhängig sein. Warum es dann einschränken? Was soll die Einschränkung bedeuten? Ich halte die Einschränkung für gefährlich und bedenklich. Das zweite ist vom Herrn Kollegen Walter schon hervorgehoben worden. Es ist sicher zweckmäßiger und klarer, wenn erst der ordentliche Richter oder eine sonst berufene Behörde über die strafrechtliche Seite sich abschließend äußert und dann erst der Untersuchungsausschuß einsetzt. Ich möchte deshalb unterstützen, was vom Herrn Kollegen Walter angeregt ist, daß im Falle einer strafrechtlichen Belastung zuerst das Strafverfahren in irgendeiner Art abgeschlossen wird, sei es durch rechtskräftiges Urteil oder durch Einstellung des Verfahrens. Es genügt vollständig, wenn erklärt wird: nach Abschluß des Strafverfahrens. (Walter [CDU]: Nach rechtskräftigem Abschluß.) Dr. von Brentano (CDU): Ich habe gegen den Antrag des Herrn Kollegen Dr. Menzel

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die gleichen Bedenken, die Herr Kollege Laforet geäußert hat. Wenn die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses keiner richterlichen Nachprüfung unterliegen darf, dann greifen wir tatsächlich sehr weitgehend in die richterliche Unabhängigkeit ein; denn wenn ein Tatbestand, der vor dem Untersuchungsausschuß geprüft ist, gleichzeitig oder später auch Gegenstand einer richterlichen Untersuchung ist, dann soll selbstverständlich die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses nicht nachgeprüft werden. Es ist aber sehr gut möglich, daß bei der Beweisaufnahme der Richter zu einem anderen Ergebnis kommt, und das würde sinngemäß unter diese einschränkende Bestimmung fallen. (Dr. Menzel [SPD]: Nein!) – Ich bitte zu überlegen, ob das nicht die logische Auslegung ist. Er würde damit irgendeinen Teil der Tätigkeit des Untersuchungsausschusses doch überprüfen. Ich glaube nicht, daß wir eine solche Formulierung wählen können, insbesondere wenn wir sie nicht sehr genau überprüft haben. Dann zu der Anregung des Kollegen Walter. Wir haben uns im Redaktionsausschuß mit dieser Frage beschäftigt. Es spricht sehr vieles dafür, die Bestimmung zu treffen, die auch in vielen Verfassungen zu finden ist, daß der Untersuchungsausschuß seine Tätigkeit vorläufig einstellen soll, daß also das Verfahren vor dem Untersuchungsausschuß unterbrochen wird, wenn ein Strafverfahren eingeleitet wird. Es ist nicht gut, wenn zwei Verfahren parallel nebeneinander herlaufen, die denselben Tatbestand zum Gegenstand haben. Wir haben uns aber entschlossen, diesen Vorschlag nicht zu machen und es bei der bisherigen Fassung zu lassen, weil durch eine solche Vorschrift die Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses praktisch lahmgelegt werden kann. Es genügt ja dann, daß der Justizminister an die Staatsanwaltschaft die Anweisung gibt, ein Verfahren einzuleiten. Damit wäre der Tatbestand erfüllt. Es wäre ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft im Gange, das unter Umständen bis zum Abschluß der Wahlperiode hingezogen werden kann, und der Untersuchungsausschuß wäre nicht in der Lage, eine vielleicht notwendige Feststellung zu treffen, weil er immer wieder darauf hingewiesen würde, es laufe ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren, das noch nicht zum Abschluß gekommen sei. Ich glaube, wir sollten es dem Untersuchungsausschuß überlassen, ob er es im Einzelfall für angezeigt hält, seine Tätigkeit einzustellen oder eine Pause einzulegen, wenn ihm mitgeteilt wird, daß ein staatsanwaltschaftliches oder gerichtliches Ermittlungsverfahren läuft. Wir sollten aber nicht bindend vorschreiben, daß er seine Tätigkeit einstellen muß, wenn ein solches Verfahren läuft. Dr. Katz (SPD): Wir haben uns mit der Frage zu befassen, daß zwei Behörden sich mit demselben Fall beschäftigen. Das wird in der Regel vorliegen, wenn eine Sache vor dem Untersuchungsausschuß verhandelt wird. Ich glaube, der Antrag Menzel hat seine Berechtigung. Er besagt lediglich, daß die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses keiner richterlichen Nachprüfung unterliegt. Ich glaube, es liegen beispielsweise aus der Zeit vor 1933 Fälle vor, wo sich richterliche Urteile über die Tätigkeit einer gewählten Volksvertretung sehr abfällig ausgesprochen haben. Das soll abgeschnitten werden, und zwar meiner Meinung nach in berechtigter Weise. Das verhindert nicht, daß der Sachverhalt im richterlichen Verfahren voll und ganz vom Richter nachgeprüft werden kann. Nur soll er keine abfälligen Bemerkungen

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über die Volksvertretung machen. Diese Gefahr ist, wie die Vergangenheit gezeigt hat, leider nicht völlig ausgeschlossen. Sie würde aber dadurch für die Zukunft ausgeschlossen werden. Was den zweiten Punkt, die Kombination von gleichzeitigem Untersuchungsverfahren im Bundestag und im Strafprozeß anlangt, so haben wir darüber ausführlich im Organisationsausschuß gesprochen. Der Antrag Walter ist dort bereits einmal mit Stimmenmehrheit abgelehnt worden. Wenn wir hier eine Mußvorschrift einfügen würden, daß das Verfahren vor dem Untersuchungsausschuß auszusetzen ist, bis der Strafrichter oder der Staatsanwalt gesprochen hat und das Verfahren dort erledigt ist, so würden wir praktisch die meisten Fälle im Untersuchungsverfahren illusorisch machen; denn diese Fälle sind doch im allgemeinen solche, wo sich größere Skandale abgespielt haben, die die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregten. Eine Muß-Aussetzung hier hineinzuschreiben, würde die Tätigkeit von Untersuchungsausschüssen zu einem großen Teil lahmlegen. Eine Kann-Aussetzung, die der Untersuchungsausschuß immer beschließen kann, braucht nicht in die Verfassung aufgenommen [S. 17] zu werden. Infolgedessen ist es am richtigsten, wir lassen es bei der bisherigen Regelung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Halten Sie Ihren Antrag aufrecht? Walter (CDU): Ich habe keinen Antrag gestellt, ich habe nur pflichtgemäß über die Beratung berichtet. Ich darf noch auf eines hinweisen. Stellen Sie sich einen jungen ängstlichen Staatsanwalt vor. Meinen Sie, nachdem die Sache vor dem Untersuchungsausschuß erledigt ist und der Verdacht der Strafbarkeit der Handlung nach wie vor besteht, er riskiert überhaupt noch eine Anklage bei der Strafkammer, nachdem ein Beschluß des Parlaments vorliegt? Man verkriecht sich und ist froh, daß die Sache erledigt ist. Aber der Rechtspflege ist vielleicht doch nicht Genüge geschehen. Dr. Katz (SPD): Derartige Fälle werden bei der Staatsanwaltschaft nie vorkommen; denn die Staatsanwaltschaft ist eine Exekutivbehörde, und in derartigen Fällen arbeitet der junge Staatsanwalt, von dem Sie sprachen, auf Anweisung seiner höheren Behörde, des Generalstaatsanwalts oder des Justizministers. Dr. Bergsträsser (SPD): Der Vorschlag des Kollegen Walter scheint mir auch deswegen unmöglich zu sein, weil ein Untersuchungsausschuß sich oft mit der Tätigkeit und dem Verhalten einer ganzen Gruppe von Menschen beschäftigt. Wenn dabei herauskommt, daß bei einer Person eine strafbare Handlung vorliegt, so könnte schon deswegen überhaupt nicht weiter verhandelt werden, was unter Umständen gerade im Interesse anderer ist, die nicht strafbar sind. (Walter [CDU]: Die könnte ja abgetrennt werden!) Das kann ein Untersuchungsausschuß nicht. Ich bin 1927 im Femeausschuß68) des Reichstags gewesen. Da hätte man gar nicht trennen können.

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In der Weimarer Republik gab es zahlreiche politische Morde und Anschläge darunter auf Matthias Erzberger 1921, Karl Gareis 1921, Walther Rathenau 1922 und Philipp Scheidemann 1922, die als Fememorde bezeichnet wurden. Der Reichstag berief 1926 einem eigenen „Femeausschuß“ um diese Verbrechen und ihr Umfeld politisch aufzuklären. Bernhard Sauer: Schwarze Reichswehr und Fememorde. Eine Milieustudie zum Rechtsradikalismus in der Weimarer Republik, Berlin 2004.

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Dr. Menzel (SPD): Ich glaubte völlig klargelegt zu haben, daß das Gericht in eigener Beweiswürdigung ganz unabhängig entscheiden soll, wenn ein Fall vor seine Schranken gebracht wird. Ich möchte, daß das Gericht so verfährt und entscheidet, als wenn irgendein anderes Verfahren vor einem Untersuchungsausschuß nicht stattgefunden hätte. Damit sind wohl die Bedenken des Kollegen von Brentano zerstreut. Das ordentliche Gericht ist selbstverständlich nicht an die Tatsache gebunden, daß schon ein Beweis erhoben worden ist. Es kann andere Zeugen vernehmen und es ist nicht an die Beweiswürdigung, an die Maßstäbe für die Auslegung einer Beweisurkunde, schon gar nicht an den Spruch gebunden. Das ergibt sich aus der Fassung meines Antrags. Wir haben einen parallelen Vorgang in unserer Rechtspflege, und zwar das Verhältnis von Strafprozeß- und Dienststrafrechtsverfahren. Der Dienststrafrichter ist bei der nach Abschluß des ordentlichen Verfahrens erfolgenden Vorlage des Streitstoffes völlig frei in der Würdigung der angeblich strafbaren Handlung desjenigen, der schon vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt ist. Er kann als Dienststrafrichter von sich aus alle Beweise erheben, die er für notwendig hält, und er fühlt sich an die Beweiswürdigung des ordentlichen Strafrichters nicht gebunden. Aber er darf nicht – das ist immer unstreitig gewesen – in eine Nachprüfung der Tätigkeit des ordentlichen Strafgerichts eintreten, das heißt das Verhalten und die Maßnahmen des ordentlichen Strafrichters einer Kritik unterziehen und diese Würdigung zum Bestandteil seines eigenen Urteils machen. Wenn hier davon gesprochen wird, daß wir auf keinen Fall die Unabhängigkeit der Gerichte antasten sollten, dann tun wir das am besten dadurch, daß wir die Gerichte erst gar nicht in die Gefahr bringen, sich auf ein Glatteis zu begeben, auf dem sie zu leicht ausgleiten können, indem sie in die Nachprüfung der Tätigkeit eines solchen politischen Gremiums eintreten. Noch höher als die selbstverständliche Achtung vor der Unabhängigkeit des Gerichts sollte uns die Achtung vor der Souveränität des Parlaments stehen, falls dessen Ausschuß eine Sache zu untersuchen hat. Wir sollen nicht nur auf die eine Seite sehen, sondern auch nach der anderen und uns hüten, eine Tätigkeit des Parlaments vor die Schranken eines einzelnen Beamten ziehen zu lassen. Dr. Dehler (FDP): Wir haben in Abs. 6 eine Bestimmung vorgesehen, die den entgegengesetzten Weg geht, als ihn Herr Dr. Menzel wünscht. Wir haben für jemand, dessen Ehre durch die Feststellungen des Untersuchungsausschusses getroffen ist, das Recht vorgesehen, dagegen unter bestimmten Voraussetzungen vorzugehen. Das halte ich für richtig. Der Untersuchungsausschuß ist nicht souverän, sondern er ist eine Behörde im Sinne der Verfassung, eine Behörde, die auch den allgemeinen Gesetzen untersteht. Wenn der Untersuchungsausschuß beispielsweise das rechtliche Gehör verweigert oder irgendein Grundrecht verletzt, dann hat der Betroffene das Recht, zum Bundesverfassungsgericht zu gehen. Damit wird die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses einer richterlichen Prüfung unterstellt. Ich glaube nicht, daß es richtig wäre, eine Bindung des Richters einzuführen. Wir müssen erwarten, daß der Richter Respekt vor der Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses hat. (Widerspruch.) – Durch Ihre Skepsis erreichen Sie gar nichts. Auf jeden Fall habe ich mir persön-

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lich die Aufgabe gestellt, hier einen besseren Weg zu gehen, als er in der Zeit der Weimarer Verfassung gegangen worden ist. Dr. von Brentano (CDU): Ich weiß wohl, was Herr Kollege Dr. Menzel beabsichtigt, und habe volles Verständnis für seine Bedenken. Ich weise aber noch einmal darauf hin: wenn wir diese Formulierung wählen, daß die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses keiner richterlichen Nachprüfung unterliegt, schieben wir praktisch einen Riegel vor, daß eine strafbare Handlung im Einzelfall noch einmal von einem Gericht untersucht und kritisch gewürdigt wird. (Widerspruch.) Die Möglichkeit besteht. Angenommen, eine Amtsunterschlagung wird vom Untersuchungsausschuß geprüft, und der Untersuchungsausschuß kommt aus irgendwelchen Gründen zum Ergebnis, es ist keine Amtsunterschlagung. Die Sache kommt dann vor die Strafkammer und vielleicht demnächst vor das Bundesgericht, das mit guten Grund feststellt – weil es keine politische Entscheidung, sondern eine Entscheidung auf Grund des Strafgesetzes trifft –, es liegt hier eine Amtsunterschlagung im Sinne des Strafgesetzes vor; dann enthält das implizite eine Nachprüfung der Tätigkeit des Untersuchungsausschusses (Dr. Menzel [SPD]: des Urteils!) – und damit der Tätigkeit. (Dr. Menzel [SPD]: Nein!) Wenn wir es bei dieser Formulierung belassen, bin ich der Überzeugung, daß nicht nur viele Dissertationen darüber geschrieben werden, was vielleicht nicht schlimm wäre, daß aber sehr viele Entscheidungen der Gerichte im positiven und negativen Sinne nicht ergehen werden. Das Beispiel mit dem Disziplinarrichter und Strafrichter scheint mir nicht zu stimmen, Herr Kollege Dr. Menzel; denn diese beiden haben einen völlig verschiedenen Tatbestand zu untersuchen. Der Strafrichter hat zu untersuchen, ob ein Tatbestand des Strafgesetzes im Sinne der Kasuistik des Strafgesetzbuches erfüllt ist. Der Disziplinarrichter kann zu dem Ergebnis kommen, daß das Strafgesetz nicht erfüllt ist und keine strafbare Handlung vorliegt, daß aber eine Disziplinwidrigkeit, eine Standeswidrigkeit vorliegt, die dazu berechtigt und zwingt, Disziplinarmaßnahmen zu verhängen. Das sind zwei völlig getrennte Tatbestände. Dr. Süsterhenn (CDU): Man könnte sich auch rein theoretisch selbstverständlich den Fall vorstellen, daß die Mehrheit eines Untersuchungsausschusses aus politischen Gründen einen Zeugen sehr unter Druck setzt und sogar zu einer falschen eidlichen Aussage [S. 18] veranlaßt. Dann wäre dieser Tatbestand der richterlichen Nachprüfung entzogen, wenn wir den Antrag des Kollegen Dr. Menzel annehmen würden. Aber ganz abgesehen davon, ich sehe den praktischen Wert nicht ein. Wenn Kollege Dr. Katz sagt, wir wollen verhüten, daß ein Richter abfällige Äußerungen und Kritik an einem Untersuchungsausschuß als einem Teil der Volksvertretung übt, dann ist auch meine Meinung, das soll verhindert werden und darf nicht vorkommen. Aber dann müßte das generell geregelt werden. Genau so gut könnte ein Richter hingehen und in seinem Urteil eine abfällige Kritik an einem vom Plenum der Volksvertretung beschlossenen Gesetz üben. Auch das ist möglich. Dann müßte die Schutzbestimmung schon generell gefaßt werden. Aber wir kämen dann auf eine schiefe Ebene, deren Ende nicht abzusehen ist. Ich habe per-

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sönlich weniger Bedenken gegen die Vorschrift, sehe aber ihren praktischen Wert nicht ein. Dr. Greve (SPD): Ich möchte zu erwägen bitten, ob wir nicht, um dem Rechnung zu tragen, was vom Kollegen von Brentano gesagt worden ist, sagen: „Das Verfahren vor dem Untersuchungsausschuß unterliegt keiner richterlichen Nachprüfung“, anstatt des Wortes „Tätigkeit“. Dr. Laforet (CSU): Das ist selbstverständlich. Dr. Greve (SPD): Das ist nicht selbstverständlich. Dr. Dehler (FDP): Das Verfahren des Untersuchungsausschusses kann nicht beim Bundesverfassungsgericht zur Nachprüfung stehen, falls nicht in ein Grundrecht eingegriffen wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Halten Sie Ihren Antrag aufrecht, Herr Dr. Menzel? Dr. Menzel (SPD): Wenn für den Abänderungsantrag des Kollegen Dr. Greve eine größere Geneigtheit besteht, habe ich gegen den Abänderungsantrag keine Bedenken. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über die Einfügung des Absatzes: „Die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses unterliegt keiner richterlichen Nachprüfung“ abstimmen. – Die Einfügung ist mit 11 gegen 10 Stimmen abgelehnt. (5) Die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses endigt spätestens mit dem Ablauf der Wahlperiode oder mit der Auflösung des Bundestags. Dr. Laforet (CSU): Ich möchte ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß hier der Ausdruck „Wahlperiode“ gewählt ist und daß das mit unserer Stellungnahme zu Art. 56, mit der Auffassung des permanenten Bundestags übereinstimmt. Dr. von Brentano (CDU): Ich glaube, wir müssen diese Bestimmung jetzt der von uns gewählten Formulierung des Art. 49 anpassen. In Art. 49 hatten wir gesagt: Damit endet die Wahlperiode des vorherigen Bundestags. Damit ist für den ersten Fall etwas Richtiges gesagt. Wir haben aber jetzt gesagt: „Die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses endigt spätestens mit dem Ablauf der Wahlperiode“ – das entspricht Art. 49 Abs 2 – „oder mit der Auflösung des Bundestags“. Das würde also bedeuten, wenn der Bundestag aufgelöst wird, ist ohne weiteres sofort der Untersuchungsausschuß beendet, (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Jawohl!) während er, wenn der Bundestag normal abläuft, noch 30 Tage in Kraft bleibt. Hat es einen Sinn, da einen Unterschied zu machen? Dr. Dehler (FDP): Dann müßte man Art. 49 Satz 2 wieder herstellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wenn wir sagen: „die Wahlperiode dauert bis zum Zusammentritt des neuen Bundestags“, so dauert sie sowohl bei normalem Ablauf wie bei Auflösung bis zum Zusammentritt des neuen Bundestags. Wenn wir das nicht wollen, müssen wir es sagen. Wir sollten aber, glaube ich, das Wort „Auflösung“ wirklich streichen. Dr. Katz (SPD): Wir sollten hinter „Wahlperiode“ einen Punkt machen. (Dr. von Brentano [CDU]: Jawohl.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich darf dann annehmen, daß der Ausschuß damit einverstanden ist. Es werden also die Worte gestrichen: „oder mit der Auflösung des Bundestags“. Renner (KPD): Wie ist es dann mit dem Verfahren? Dr. von Brentano (CDU): Das Verfahren muß neu aufgenommen werden.

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Walter (CDU): Es muß neu beantragt werden. Die Sitzung wird um 13.18 Uhr unterbrochen. Die Sitzung wird um 15.17 Uhr69) wieder aufgenommen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir sind heute vormittag bei Art. 57 stehen geblieben. Der Abs. 6 lautet: Wer durch die Feststellungen des Untersuchungsausschusses in seiner Ehre getroffen ist, kann das Bundesverfassungsgericht anrufen, wenn er die Mindestgrundsätze eines geordneten Verfahrens, namentlich sein Recht auf Gehör verletzt glaubt. Ist die Beschwerde begründet, so erkennt das Gericht, daß die Feststellungen des Ausschusses nicht nach Vorschrift der Gesetze getroffen sind. Walter (CDU): Als Berichterstatter darf ich mitteilen, daß der Organisationsausschuß diesen Abs. 6 – im Herrenchiemseer Entwurf Abs. 5 des Art. 57 – gestrichen hat. Dieser Artikel ist erst gestern oder vorgestern durch den Redaktionsausschuß wieder hineingekommen. Es wäre für uns wissenswert, welche Gründe den Redaktionsausschuß veranlaßt haben, diesen Abs. 6 wieder aufzunehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Dr. von Brentano fehlt, und Herr Dr. Dehler fehlt. Dr. Katz (SPD): Ich möchte anregen, die Beratungen zurückzustellen, bis einer der beiden Herren da ist, um zu erklären, warum dieser Absatz wieder hineingenommen worden ist. Ich hätte große Bedenken. Vors. Dr. Schmid (SPD): Vielleicht kann Herr Ministerialrat Leusser, der dem Redaktionsausschuß wertvolle Hilfe geleistet hat und der sicher weiß, warum das hineingebracht wurde, eine Auskunft geben? MinR Leusser: Die Auskunft kann ich geben. Der Ausschuß hat diesen Artikel noch einmal angesehen und war der Meinung, daß es doch ein wertvoller Beitrag wäre, um den einzelnen gegen gewisse Untersuchungsausschüsse zu schützen, die von radikaler Seite erzwungen werden. Der Ausschuß hat nicht die Aufnahme wieder beschlossen, sondern wollte durch die Aufnahme der Fassung von Herrenchiemsee die Diskussion hier im Hauptausschuß noch einmal in Gang bringen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Vielleicht kann ich kurz berichten, warum wir uns in Herrenchiemsee geeinigt haben, diese Bestimmung aufzunehmen. Herr Professor Baade69a) aus Kiel hat uns erzählt, daß er einmal als Reichskommissar für die Roggenbewirtschaftung vor einen Untersuchungsausschuß des Reichstags gezogen worden sei und daß dort eine Mehrheit von ganz links und von ganz rechts es vermocht habe, die Verhandlungen des Untersuchungsausschusses in einer Weise zu führen, daß ein Bild entstanden sei, das der Wirklichkeit keineswegs entsprochen habe, und er sei völlig schutzlos gewesen; nirgends habe er eine [S. 19] Feststellung treffen lassen können, wie die Dinge nun wirklich gewesen seien. Aus diesem Grunde schien ihm ein Rechtsschutz für den Betroffenen notwendig zu sein. Das war der Grund, weshalb man in Herrenchiemsee das Problem aufgegriffen hat. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich möchte dafür plädieren, daß wir diesen Abs. 6 stehenlassen; denn wenn wir vorher den Untersuchungsausschüssen zur Pflicht machen, 69)

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So das stenograph. Wortprot.; die Druckfassung nennt: „17.15 Uhr“. Zu Fritz Baade vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, S. 25, Anm. 60.

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ihr Verfahren nach den Grundsätzen des Strafprozesses zu gestalten, muß ja auch eine Garantie da sein, daß diese Verpflichtungen tatsächlich eingehalten werden. Diese Garantie wäre durch diese Fassung des Absatzes nach meinem Dafürhalten gegeben. Dr. Katz (SPD): Ich bin dafür, daß wir den Artikel ebenso wieder wegstreichen, wie wir ihn im Organisationsausschuß weggestrichen haben. Die Fälle, die hier gemeint sind, sind höchstwahrscheinlich nur ganz seltene Ausnahmefälle, und deswegen einen Absatz in das Grundgesetz hineinzuehmen, halte ich nicht für angebracht. Ich halte es für eine überflüssige Inanspruchnahme des höchsten Gerichts, wenn hier eine Art von Berufungs- oder Revisionsinstanz geschaffen wird, weil entweder ein Beschuldigter oder ein Zeuge, der diesen Weg ja auch gehen könnte, nunmehr den obersten Staatsgerichtshof in einem umständlichen Verfahren soll anrufen können. Diese Fälle werden sehr selten vorkommen, und ich weiß auch nicht, warum Leute, die im politischen oder öffentlichen Leben oder auch im privaten Leben stehen, hier einen besonderen Ehrenschutz außerhalb der üblichen Gerichte zugebilligt erhalten sollen, den alle anderen nicht haben. Ich glaube, man sollte mit den gewöhnlichen Bestimmungen auskommen, die für den Ehrenschutz im Strafgesetzbuch stehen, und nicht für diese besonderen Ausnahmefälle ein besonderes Verfahren vor dem obersten Staatsgerichtshof möglich machen. Ich plädiere infolgedessen für die Wiederstreichung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wer ist für die Streichung des Abs. 6? – Die Streichung ist mit 10 gegen 9 Stimmen beschlossen.

[2.13. ART. 58: STÄNDIGER AUSSCHUSS ZWISCHEN ZWEI WAHLPERIODEN]

Artikel 58 (1) Der Bundestag bestellt einen ständigen Ausschuß. Solange der Bundestag nicht versammelt ist, nach dem Ende der Wahlperiode und nach der Auflösung des Bundestags hat dieser Ausschuß die Rechte der Volksvertretung gegenüber der Bundesregierung zu wahren. MinR Leusser: Darf ich eine technische Bemerkung machen? Nachdem jetzt in Artikel 49 der Satz 2 wieder hineingekommen ist: „Endet die Wahlperiode des vorherigen Bundestags“, sind hier die Worte „nach dem Ende der Wahlperiode“ zu streichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Und die Worte: „und nach der Auflösung des Bundestags“. MinR Leusser: Denn es wäre doch sinnlos, wenn man sagt: „Die Wahlperiode endet mit dem Zusammentritt des neuen Bundestags“, dann noch ein Fortbestehen des Zwischenausschusses des alten Bundestags irgendwie festzulegen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir müßten dann streichen von „nach dem Ende“ bis „nach der Auflösung des Bundestags“. Dr. Katz (SPD): Es soll über jeden Zweifel hinaus klar sein, daß dieser ständige Ausschuß auch funktioniert, wenn der Bundestag aufgelöst ist oder während dieser Neuwahl-Periode. Gerade dann soll er funktionieren. Um jeden Zweifel auszuschließen, wäre ich dafür, diese Worte stehenzulassen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Aber wenn wir davon ausgehen, wie wir es getan haben,

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daß die Wahlperiode des Bundestags erst zu Ende geht, wenn der neue Bundestag sich versammelt hat, dann besteht ja die Möglichkeit, den alten Bundestag zu versammeln, bis der neue zusammengetreten ist, und dann bleibt lediglich das „solange der Bundestag nicht versammelt ist“. (Walter [CDU]: Bei einer Auflösung ist es anders als beim normalen Ende.) – Da ist es genau so nach dem Text in Art. 49 Satz 2. Dr. Lehr (CDU): Ich glaube doch, daß man gut tut, die beiden Worte stehenzulassen. Ich schließe mich da den Ausführungen von Herrn Dr. Katz sowohl im Antrag wie in der Begründung an. Es ist sehr zweifelhaft, ob dann, wenn eine Wahlperiode zu Ende gegangen ist, der Bundestag noch einmal zusammentreten wird. Er wird sich vermutlich nicht mehr legitimiert fühlen. Aber gerade für dieses Vakuum tritt eben der besondere Ausschuß ein. Ich empfehle die unveränderte Beibehaltung. Kaufmann (CDU): Das kann ich nicht befürworten nach der Fassung, die wir in Art. 49 im 2. Satz gegeben haben. Es heißt: „Der Bundestag tritt spätestens am 30. Tage nach der Wahl zusammen. Damit endet die Wahlperiode des vorherigen Bundestags.“ Dann kann hier auch nur stehen: „nach dem Ende der Wahlperiode“ und nicht: „nach Auflösung des Bundestags“. Wir haben vorher gesagt: „Die Wahlperiode des Bundestags“ auch im Auflösungsfall – „endet mit dem Zusammentritt des neuen“, also muß „und nach der Auflösung des Bundestags“ auf jeden Fall gestrichen werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, zu streichen, weil überflüssig: „und nach der Auflösung des Bundestags“. Wird ein weitergehender Antrag gestellt? Kaufmann (CDU): Dann muß das Komma wegfallen, und nach dem wegfallenden Komma muß es weitergehen: „und bis zum Ende der Wahlperiode“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Also müßte man meines Erachtens alles streichen, was nach dem Komma steht. MinR Leusser: Das, was man will, ist doch, ein Vakuum zu vermeiden. Dieses Vakuum wird jetzt dadurch vermieden, daß in Art. 49 Satz 2 die Bestimmung getroffen ist: „Die Wahlperiode des alten Bundestags endet, wenn der neue Bundestag zusammentritt.“ Damit ist jedes Vakuum ausgeschlossen; nach dem Ende der Wahlperiode des alten Bundestags, das heißt also beim Zusammentreten des neuen Bundestags, besteht doch kein Bedürfnis, daß der Zwischenausschuß des alten Bundestags noch zusammentritt. In diesem Moment kann doch der neue Bundestag schon seinen ständigen Ausschuß wählen. Diesen Satz 2 von Art. 49 hatten wir im Redaktionsausschuß gestrichen, weil wir geklärt hatten, daß er zusammen mit Art. 58 in dieser Fassung nicht geht. Wir sind von der Meinung ausgegangen: Die Wahlperiode sind die 4 Jahre, für die der Bundestag gewählt wird. Für das dann nach Ablauf der 4 Jahre entstehende Vakuum sollte hier die Bestimmung in Art. 58 eintreten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Von Herrn Kaufmann wird der Antrag gestellt, die Worte „nach dem Ende der Wahlperiode und nach der Auflösung des Bundestags“ zu streichen. – Die Streichung ist mit 10 gegen 8 Stimmen beschlossen. Damit ist Abs. 1 in dieser Fassung angenommen. Der nächste Absatz: (2) Der ständige Ausschuß hat die Befugnisse des Bundestags, jedoch nicht das Recht der Gesetzgebung, der Wahl des Bundeskanzlers und der Anklage

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gegen den Bundespräsidenten. Er hat die Rechte eines Untersuchungsausschusses. – Abs. 2 ist so beschlossen.

[2.14. ART. 59: INDEMNITÄT]

Art. 59 Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestag oder in einem seiner Ausschüsse [S. 20] getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestags zur Verantwortung gezogen werden. Das ist der Artikel über die Indemnität der Abgeordneten. Renner (KPD): Ich glaube, die Bestimmung genügt so nicht ganz. Ich führe einen konkreten Fall an. In Frankfurt hat mein Freund Max Reimann einmal – angeblich – eine falsche Bemerkung über den Ablauf irgendeiner Angelegenheit im Wirtschaftsrat gemacht, und diese Bemerkung ist außerhalb der Sitzung des Hauses gemacht worden. Daraufhin hat man ihn wegen der außerhalb des Hauses gemachten Äußerung für eine bestimmte Zeit aus dem Wirtschaftsrat ausgeschlossen. Ich bin der Meinung, das muß vermieden werden; wenn der einzelne Abgeordnete sich über Vorgänge im Bundestag oder in einem der Ausschüsse äußert, dann muß er diesen Schutz unter allen Umständen genießen, ganz gleich, wo er diese Äußerung macht oder wiederholt. Kaufmann (CDU): Herr Kollege Renner hat den Vorgang völlig falsch dargestellt. Der kommunistische Abgeordnete Reimann hatte in der Öffentlichkeit die Mitglieder des Wirtschaftsrats Landesverräter genannt. Daraufhin hat man ihm im Wirtschaftsrat die Frage gestellt, ob er diese Behauptung, die er in der Öffentlichkeit aufgestellt hat, aufrechterhalte, und hat ihm in einer Ältestenratsitzung, zu der er hinzugebeten wurde, die Möglichkeit gegeben, zu sagen, daß er das nicht auf die Abgeordneten anzuwenden wünsche. Auf Grund seiner Weigerung, das zu tun, also von dieser Behauptung „Landesverräter“ gegenüber Abgeordneten des Wirtschaftsrats abzugehen, ist er ausgeschlossen worden. Das war der Vorgang. Brockmann (Z): Ich will zu diesem Vorgang nicht Stellung nehmen. Ich möchte aber darauf hinweisen, Herr Kollege Renner: Vielleicht sind Sie einem Irrtum zum Opfer gefallen. Es handelt sich hier darum – so verstehe ich den Wortlaut –, daß der Abgeordnete nicht außerhalb des Bundestags zur Verantwortung gezogen werden kann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist die Indemnität, also der Fall, daß eine Straftat im Bundestag oder in einem seiner Ausschüsse begangen wird. Dieser Umstand der Begehung schafft einen Strafausschließungsgrund: kein Staatsanwalt und keine Strafverfolgungsbehörde darf ein Verfahren einleiten. Dagegen kann hier das Haus als solches – das besagt „oder sonst außerhalb des Bundestags“ – auf Grund der Geschäftsordnung gegen den Mann vorgehen. Das ist aber eine ganz andere Sache. Renner (KPD): Selbst, wenn die Darstellung stimmt, die eben gegeben worden ist Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie stimmt, Herr Renner!

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Renner (KPD): Ich habe eine andere Darstellung. Ich will nicht sagen, daß diese hier unwahr ist, ich bin vorsichtig im Formulieren, aber ich weiß, daß es so nicht richtig dargestellt ist. Aber selbst wenn sie stimmt, selbst wenn der Abgeordnete außerhalb des Hauses eine Äußerung macht, die sich, um bei dem Beispiel zu bleiben, auf Mitglieder des Hauses oder Mitglieder der Regierung bezieht, dann müßte er meines Erachtens auch den Schutz der Immunität genießen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, Sie sprechen am Thema vorbei. Das ist in dem Artikel gar nicht gemeint. Renner (KPD): Ich spreche nicht am Thema vorbei; es ist eine Nutzanwendung aus der Darstellung, wie sie von der Seite gekommen ist. Ich bin der Meinung, daß ein Abgeordneter, ganz gleich, wo er eine im Parlament gemachte Äußerung wiederholt, dieselbe Immunität genießen muß, die er genießt, wenn er diese Bemerkung im Parlament macht. Der Irrtum in der Darstellung ist nämlich der, daß Herr Reimann nur eine im Parlament gemachte Äußerung angeblich – das ist der Irrtum – draußen wiederholt haben soll. Er hat sie nämlich nicht wiederholt, das ist das Entscheidende an der Geschichte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben diesen Fall hier nicht zu untersuchen. Renner (KPD): Deshalb hat er gesagt: „Ich denke gar nicht daran, etwas zurückzuziehen, was ich draußen gar nicht gesagt habe.“ Daraufhin hat man ihn vor den Kadi gestellt und wegen dieser draußen gemachten Erklärung aus dem Wirtschaftsrat ausgeschlossen. So liegen die Dinge! Dr. Laforet (CSU): Herr Renner irrt in dem entscheidenden Punkt. Es wird eine Indemnität nur gewährt für Äußerungen, die in der Ausübung der Abgeordnetentätigkeit im Bundestag oder in seinen Ausschüssen gemacht werden. Nur diese Indemnität wird gegeben, also nicht für die außerhalb des Bundestags und seiner Ausschüsse gemachten Handlungen und Äußerungen. Das ist ja das Entscheidende in der Entwicklung der Indemnität, daß es nur für die, wie es früher mit einem unglücklichen Ausdruck hieß, „im Berufe“ getane Äußerung oder begangene Handlung Idemnität gibt, nicht für außerhalb des Bundestags oder der Ausschüsse getätigte Handlungen. Was Herr Abgeordneter Renner will, ist, daß auch außerhalb des Bundestags und seiner Ausschüsse eine Indemnität gewährt werde. Das ist nie der Fall gewesen, und das ist grundsätzlich im Interesse des persönlichen Ehrenschutzes auch abzulehnen. Der weitere Gedanke ist der, daß für diese Äußerung im Bundestag und seinen Ausschüssen das Parlament selbst Ordnung schaffen soll; es wird als alleiniger Richter für diese Maßnahme anerkannt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wird also ein Antrag auf Abänderung gestellt? Renner (KPD): Ich möchte einen Antrag stellen, möchte aber zuvor zur Begründung noch etwas sagen. Sie halten also den Zustand für richtig, daß ein Abgeordneter irgendeine Äußerung im Parlament ungestraft tun kann, daß er dieselbe Äußerung aber außerhalb des Parlaments nicht wiederholen darf. Ich sehe da keine Logik. Im allgemeinen darf man doch unterstellen, daß ein Abgeordneter nicht gewollt etwas Unwahres sagt. Wenn ein Abgeordneter subjektiv etwas Richtiges sagt, dann bin ich der Meinung, er soll es ungestraft ebenso im Bundestag sagen dürfen, wie er es draußen in der Öffentlichkeit wiederholen kann. Dr. Löwenthal (SPD): Um dem Herrn Abgeordneten Renner klarzumachen, worum es sich handelt, will ich es an einem Beispiel erläutern. Wenn ein Abgeordneter,

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sagen wir, des Brandenburgischen Landtags außerhalb des Landtags behauptet, daß die SEP-Abgeordneten70) des Brandenburgischen Landtags Kulis der sowjetischen Besatzungsmacht sind, dann müßte dieser Abgeordnete straffrei sein. Ich bitte Herrn Abgeordneten Renner, sich bei dem NKWD71) zu erkundigen, was dem Mann geschehen würde. Renner (KPD): Wir sind nicht in Brandenburg, sondern wir sind hier! (Heiterkeit. – Vors. Dr. Schmid [SPD]: Gott sei Dank!) Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Abgeordneter des Brandenburgischen Landtags genötigt sein könnte, einen Kollegen einer anderen Fakultät draußen einen Kuli der SMA72) zu nennen. Sich so zu verhalten, ist nur bei den West-Berliner Demokraten üblich. Sie müssen doch irgendwie ihre Care-Pakete73) verdienen, dafür werden sie doch bezahlt, und die Kosten für die Luftbrücke74) müssen doch irgendwie herauskommen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube nicht, daß dieser Dialog sehr fruchtbar ist. Wird ein Antrag zur Änderung der Vorlage gestellt? [S. 21] Renner (KPD): Ich stelle den Antrag, daß die Bestimmung ausgedehnt wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Formulieren Sie bitte Ihren Antrag, damit man darüber abstimmen kann. Renner (KPD): Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestag oder in einem seiner Ausschüsse oder außerhalb getan hat, zur Verantwortung gezogen werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie wollen also, daß eingefügt wird: „oder außerhalb“? (Renner [KPD]: Ja!) – Ich stelle diesen Antrag zur Abstimmung. – Der Antrag ist gegen 1 Stimme abgelehnt. Dr. Menzel (SPD): Ich möchte beantragen, folgenden Satz hinzuzufügen: Dies gilt nicht, wenn ein Abgeordneter die Ehre eines anderen wider besseres Wissen verletzt hat. 70)

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Die Abkürzung SEP für Sozialistische Einheitspartei ist ungewöhnlich; eigentlich: Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED). Die SED wurde am 26. April 1946 durch den Zusammenschluß von KPD und SPD als „Einheitspartei der Arbeiterklasse“ gegründet. Das NKWD – Narodnyi Kommissariat Wnutrennich Djel (Volkskommissariat für innere Angelegenheiten der UdSSR) – nahm von 1934 bis 1946 die Aufgaben des Innenministeriums der UdSSR wahr. Dem NKWD unterstand der in der sowjetischen Besatzungszone tätige sowjetische Geheimdienst. Dieser unterhielt zehn Internierungslager in der SBZ, die zwar keine Vernichtungslager waren, wo dennoch aufgrund der schlechten Haftbedingungen bis zum Jahre 1949 von den 120 000 Gefangene ca. 40 000 Menschen starben. Eigentlich SMAD – Sowjetische Militäradministration in Deutschland. Sie war 1945 bis zur Übertragung der Verwaltungshoheit der Regierung der DDR am 11. Nov. 1949, die oberste Besatzungsbehörde der UdSSR in der Sowjetischen Besatzungszone. Care-Pakete waren Geschenksendungen der Cooperative for American Remittances to Europe, die 1946 in den USA gegründet wurde zur Organisation von Hilfssendungen nach Europa Mit Hilfe der Berliner Luftbrücke wurde die Versorgung West-Berlins aus der Luft durch die Westalliierten während der Berlin-Blockade durch die sowjetische Besatzung vom 23. Juni 1948 bis 12. Mai 1949 aufrechterhalten.

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Zur Begründung: Die Indemnität, die hier vorgesehen ist, soll eine möglichst breite Basis für die politische Betätigung der Abgeordneten bieten, aber sie muß ihre Grenze da haben, wo eine politische Notwendigkeit, ein politisches Bedürfnis gar nicht mehr besteht. Wenn ein Abgeordneter wider besseres Wissen die Ehre eines anderen verletzt, so kann man das nicht mehr mit den Erfordernissen eines fairen politischen Kampfes begründen. Ich bin der Meinung, daß es notwendig ist, solche Auswüchse zu unterbinden und auch zu vermeiden, daß sich jemand aus politischen Gründen auf seine Straflosigkeit beruft, nur um dadurch einen anderen wider besseres Wissen in seiner Ehre zu verletzen. Hinzu kommt, daß wir diesen Artikel in Verbindung mit dem Artikel sehen müssen, den wir vorher angenommen haben, Art. 53 Abs. 2, worin steht, daß wahrheitsgetreue Berichte über die öffentlichen Sitzungen des Bundestags und seiner Ausschüsse von jeder Verantwortlichkeit frei bleiben. Wenn ein Abgeordneter das Recht hätte, wider besseres Wissen zu verleumden, dann würde damit die Möglichkeit gegeben werden, daß die ihm politisch nahestehende Presse – wobei der Berichterstatter natürlich gutgläubig sein kann – von dem Abgeordneten als eine Art Werkzeug benutzt wird, um diese Verleumdungen ins Land hineinzutragen und dadurch die Existenz, die moralische, familiäre, wirtschaftliche, berufliche Existenz eines Menschen zu untergraben, der sich nicht wehren kann; denn es liegt hier nicht nur ein Strafausschließungsgrund, sondern sogar ein Schuldausschließungsgrund vor. Es ist keine strafbare Handlung gegeben. Der Betroffene kann sich weder gegen die Presse noch gegen den Abgeordneten in irgendeinem Verfahren wehren; er ist einer solchen Verleumdung schutzlos preisgegeben. Ich halte meinen Antrag im Interesse der Reinigung unseres politischen Kampfes und zur Herbeiführung eines gesunden Niveaus für richtig. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie wollen also hinzufügen: „Dies gilt nicht, wenn ein Abgeordneter die Ehre eines anderen wider besseres Wissen verletzt hat.“ Dr. von Mangoldt (CDU): Findet Art. 60 Abs. 1 in diesem Falle Anwendung oder nicht? – Meiner Meinung nach ja. Dr. Menzel (SPD): Ja, da findet er Anwendung; da ist nur die Frage der Strafverfolgung geregelt. (Dr. Laforet [CSU]: und wo gehört das hin?) – Satz 2 des Art. 59. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann stelle ich den Antrag Dr. Menzel zur Abstimmung. – Es ist einstimmig beschlossen, daß der Text der Vorlage in Art. 59 durch diesen Satz ergänzt wird. [2.15. ART. 60: IMMUNITÄT]

Es kommt nun der Artikel über die Immunität: Art. 60 (1) Ein Abgeordneter darf während der Wahlperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung nur mit Genehmigung des Bundestags zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, daß er bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich bin gestern im Rechtspflegeausschuß leider mit

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einem Antrag zur Immunität unterlegen. Ich halte diesen Antrag aber für so wichtig, daß ich ihn hier wiederholen und eine Entscheidung des Hauptausschusses erbitten möchte. Ich hatte beantragt, das Bundesverfassungsgericht in Art. 98 zur Entscheidung von Beschwerden eines Abgeordneten für zuständig zu erklären, der seine Immunität aufgehoben haben wollte, bei dem aber der Bundestag die Aufhebung abgelehnt hat. Diesem Antrag lag folgender Tatbestand aus Hamburg zugrunde. Wir hatten dort Anfang dieses Jahres einen sehr tragischen Fall, als ein Abgeordneter einen Lehrer mit einem Auto totgefahren hatte. Der Abgeordnete selbst hatte den Wunsch, daß seine Immunität aufgehoben würde, damit er die Sache seinetwegen und mit Rücksicht auf die Familie des Getöteten gerichtlich klären konnte. Es war zweifellos, daß der Abgeordnete durch dieses Verfahren, durch viele Untersuchungen, Fahrten, Reisen usw. voraussichtlich in der Ausübung seines Mandats behindert werden würde. Grund für die Immunität ist vor allem der eine Gedanke: die Immunität soll den Abgeordneten davor schützen, vor Gericht gezogen und dadurch in der Ausübung seines Amtes behindert zu werden. In diesem Falle ist es mir mit Mühe gelungen, den Geschäftsordnungsausschuß dazu zu bringen, seinerseits der Aufhebung der Immunität zuzustimmen. Es ist aber auch ein anderer Fall möglich, nämlich der, daß der Bundestag einmal anders entscheidet, weil die Tendenz der Parlamente dahin geht, die Immunität möglichst weit zu erstrecken. In einem solchen Falle muß ein Abgeordneter die Möglichkeit haben, seinerseits gegen den Beschluß vorzugehen, der die Aufhebung seiner Immunität versagt. Ich beantrage daher, folgende Bestimmung einzufügen: Ein Abgeordneter, gegen dessen Willen die Aufhebung seiner Immunität abgelehnt ist, hat das Recht der Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht. Zweifelhaft kann sein, ob man das gleiche Recht der Beschwerde denjenigen geben soll, die sich an ein Parlament wenden und die Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten beantragen. Ein solches Beschwerderecht scheint aber auch mir nach reiflicher Prüfung zu weit zu gehen; das beantrage ich meinerseits nicht. Ich wünsche nur, dem Abgeordneten ein Rechtsmittel zu geben, falls das Parlament die Aufhebung der Immunität entgegen seinem Wunsche ablehnen sollte. Dr. Greve (SPD): Ich möchte mich zunächst gegen den Antrag von Herrn Dr. de Chapeaurouge aussprechen. Es ist meines Erachtens nicht möglich, ein Bundesverfassungsgericht in eine Prüfung darüber eintreten zu lassen, ob ein Parlament – aus Gründen, die lediglich in seiner Institution liegen – die Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten zu Recht abgelehnt hat oder nicht. Aus diesen Gründen bitte ich, den Antrag des Herrn Dr. de Chapeaurouge abzulehnen. Ich möchte weiter bitten, in Art. 60 Abs. 1 die Worte „während der Wahlperiode“ zu streichen. Sie sind überflüssig. Er ist Abgeordneter, und das allein ist der Tatbestand, der die Möglichkeit ausschließt, ihn wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Verantwortung zu ziehen. Walter (CDU): Das Beispiel, das Herr Kollege de Chapeaurouge angeführt hat, kann mich nicht überzeugen, seiner Anregung weiter zu folgen. Bei dem Fall, den er dargelegt hat, so schmerzlich er für die Betroffenen ist, genügt nach meiner Ansicht die Einleitung und Durchführung eines Zivilprozesses. Die Durchführung eines Strafprozesses wegen fahrlässiger Tötung ist nach meiner Ansicht nicht nötig. Das

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Zivilgericht kann den Tatbestand genau so prüfen wie ein Strafgericht, ebenso die Folgen, die eingetreten sind, namentlich den Eintritt des Versicherungsfalls usw. Das kann im Wege des Zivilprozesses in gleicher Weise erreicht werden. [S. 22] Im übrigen bin ich der Auffassung des Herrn Kollegen Greve, daß es eines der höchsten Rechte des Parlaments ist, über die Immunität selbst zu entscheiden. Ich glaube, das gibt es nirgends auf der Welt: eine Beschwerde gegen die Entscheidung des höchsten Organs, des vom Volke gewählten Parlaments. Dr. Menzel (SPD): Ich möchte mich ebenfalls gegen diesen Antrag von Herrn Dr. de Chapeaurouge wenden, und zwar aus folgendem Grunde. Art. 60 enthält in erster Linie ein Recht des Parlaments und nicht ein Recht des einzelnen Abgeordneten. Das Parlament soll entscheiden, ob es seine Arbeit dadurch stören lassen will, daß ein Abgeordneter aus seiner Mitte nicht mehr mitarbeiten kann. Im übrigen soll man einen Abgeordneten gar nicht erst in die Zwangslage und in den Gewissenskonflikt bringen, daß ihm gesagt wird: Wenn du wirklich so schuldlos bist, bitte, dann beantrage du selbst beim Parlament die Aufhebung deiner Immunität. All diese Dinge wollen wir aus unserem Parlamentsbetrieb herauslassen. Man sollte soviel Zutrauen zu einem Parlament haben, daß es die Immunität von sich aus aufheben wird, wenn es die Gründe des einzelnen als stichhaltig ansieht oder wenn es das im Interesse seines eigenen Ansehens für erforderlich hält. Dr. von Brentano (CDU): Zu dem Antrag Dr. de Chapeaurouge brauche ich nichts mehr zu sagen; meine Auffassung deckt sich mit der, die von den Herren Menzel und Walter vorgetragen wurde. Zu der Anregung von Herrn Kollegen Greve möchte ich zu bedenken geben, ob nicht durch Streichung der Worte „während der Wahlperiode“ eine falsche Auslegung entstehen könnte. Man könnte daraus schließen, daß ein Abgeordneter auch nach Ablauf der Wahlperiode für diese strafbare Handlung nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Es würde dann nur heißen: Ein Abgeordneter darf wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung nur mit Genehmigung des Bundestags zur Verantwortung gezogen werden. Dann könnte gefolgert werden: Das Parlament, dem er angehört, hat diese Genehmigung verweigert, also kann die Strafjustiz auch nach seinem Ausscheiden nicht tätig werden. Diese Auslegung wäre durchaus möglich. Zumindest müßten wir zum Ausdruck bringen, daß wir mit der Streichung der Worte „während der Wahlperiode“ eine solche Konsequenz nicht beabsichtigen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, die Worte „während der Wahlperiode“ sind hier in Art. 60 zumindest unschädlich. Dr. Greve (SPD): Wir brauchen nicht etwas hineinzuschreiben, was überflüssig ist. Wenn gesagt wird: Ein Abgeordneter darf nicht zur Rechenschaft gezogen werden, so handelt es sich eben nur um einen Abgeordneten, und wenn die Wahlperiode abgelaufen ist, ist er kein Abgeordneter mehr. Es ist ja damit nicht etwa gesagt, daß er für die Handlungen, die er als Abgeordneter begangen hat, nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann. Das ist etwas anderes, Herr von Brentano. Wenn ich sage: „Ein Abgeordneter“, so bezieht sich das nur darauf, daß er während der Zeit, in der er Mitglied des Parlaments ist, nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Aber es ist damit nicht gesagt, daß er für die strafbaren Handlungen, die er als Abgeordneter begangen hat, nicht etwa später zur Verantwortung gezogen wer-

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den kann. Ich glaube, es würde genügen, wenn wir das im Protokoll festhalten. Ich halte es doch für richtig, die Worte „während der Wahlperiode“ hier zu streichen; denn sie sind überflüssig. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse darüber abstimmen, ob die Worte: „während der Wahlperiode“ gestrichen werden sollen. – Die Streichung ist mit 11 gegen 7 Stimmen beschlossen. Dr. Heuss (FDP): Ich bin dafür gewesen, die Worte „während der Wahlperiode“ drinzulassen, weil eine Konfliktsituation bei denjenigen Abgeordneten entstehen kann, die Mitglieder des ständigen Ausschusses sind, der über die Wahlperiode hinaus bestehen bleibt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nein, das ist nicht möglich. Diese Frage ist geklärt worden, als Sie noch nicht hier waren. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich sehe, daß mein Antrag auch hier keine Annahme finden wird, und verzichte daher auf eine Abstimmung. Darüber hinaus möchte ich nur noch bemerken: Selbstverständlich ist mir bekannt, daß die Immunität in erster Linie ein Recht des Parlaments zur Ordnung seiner eigenen Geschäfte ist. Daneben ist aber die Immunität auch ein Privilegium des einzelnen Abgeordneten, und die beiden Dinge könnten in Konkurrenz kommen. Aus dieser Erwägung habe ich den Antrag gestellt. Ich habe noch weitere Beispiele aus früherer Zeit, möchte aber den Ausschuß nicht aufhalten und ziehe den Antrag zurück. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Antrag ist also zurückgezogen. Wir kommen zum nächsten Absatz: (2) Die gleiche Genehmigung ist bei jeder anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit erforderlich, die seine Tätigkeit als Abgeordneter beeinträchtigt. Dr. Greve (SPD): Ich bitte, den Relativsatz: „die seine Tätigkeit als Abgeordneter beeinträchtigt“ zu streichen. Jede Beschränkung der persönlichen Freiheit beeinträchtigt die Tätigkeit eines Abgeordneten; es ist also überflüssig, das besonders hervorzuheben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wer ist für die Streichung des Relativsatzes? – Die Streichung ist beschlossen. Abs. 2 heißt also nunmehr: (2) Die gleiche Genehmigung ist bei jeder anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit – und nun würde ich vorschlagen, vor dem Wort „erforderlich“ einzufügen: „eines Abgeordneten“ – erforderlich. Ich stelle fest, daß Abs. 2 in dieser Form mit der von mir vorgeschlagenen Einfügung angenommen ist. Wir kommen zu Abs. 3: (3) Jedes Strafverfahren gegen einen Abgeordneten und jede Haft oder sonstige Beschränkung seiner persönlichen Freiheit ist auf Verlangen des Bundestages auszusetzen. Dr. Menzel (SPD): Gilt das auch für Strafhaft? Vors. Dr. Schmid (SPD): Es heißt: „Jedes Strafverfahren. . . oder sonstige Beschränkung“. – Wird hierzu weiter das Wort gewünscht? – Abs. 3 ist in dieser Form angenommen.

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Zweite Sitzung des Hauptausschusses 11. November 1948 [2.16. ART. 61: ZEUGNISVERWEIGERUNGSRECHT]

Art. 61 Die Abgeordneten sind berechtigt, über Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete oder denen sie in dieser Eigenschaft Tatsachen anvertraut haben, sowie über diese Tatsachen selbst das Zeugnis zu verweigern. Im gleichen Umfang ist auch die Beschlagnahme von Schriftstücken bei einem Abgeordneten unzulässig. Besteht hiermit Einverständnis? – Art. 61 ist angenommen.

[2.17. ART. 62: BERUFSVERHÄLTNIS WÄHREND DER AUSÜBUNG EINES MANDATS]

Art. 62 (1) Niemand darf an der Übernahme oder Ausübung des Mandats im Bundestag gehindert werden. Eine Kündigung oder Entlassung von Beamten, Angestellten oder Arbeitern aus diesem Grunde ist unzulässig. Dr. von Brentano (CDU): Wir haben uns über Art. 62 im Redaktionsausschuß unterhalten. Die Absicht, die in dieser Formulierung zum Ausdruck kommt, ist klar. Es soll verhindert werden, daß ein politisch interessierter Mensch, der sich um ein Mandat bewirbt oder ein Mandat erhält, dadurch in seiner wirtschaftlichen Entwicklung gestört wird. Wir wissen, daß dieser Grundsatz selbstverständlich für den [S. 23] Staatsbeamten und Staatsangestellten, überhaupt für den Angestellten in öffentlichen Körperschaften gilt; ihre Bezüge laufen weiter. Auf der anderen Seite müssen wir überlegen, ob diese Bestimmung nicht in Einzelfällen zu sehr schweren Belastungen zum Beispiel für kleine Unternehmer führen kann. Überlegen Sie sich: ein kleiner Handwerksmeister, der vielleicht 2 oder 3 Leute beschäftigt, hat das Unglück, unter diesen seinen Leuten einen Mann zu haben, der politisch tätig ist. Er kann nicht kündigen, er muß ihm vielleicht auch seine Bezüge weiterzahlen; das geht ja aus dieser Formulierung hervor. Dieser Handwerksmeister kann durch eine solche wirtschaftliche Belastung zusammengerissen werden. Man müßte ihm dann mindestens die Möglichkeit geben, die Belastung auf die öffentliche Hand abzuwälzen. Wenn die Kündigung ausgeschlossen ist und sogar die Frage der Weiterzahlung der Bezüge offengelassen wird, könnte es dahin kommen, daß ein kleiner Betrieb, der einen Meister beschäftigt, ihm nicht kündigen darf. Es muß für den Meister, der im Betrieb bleibt, eine Ersatzkraft eingestellt werden, die vielleicht gar nicht gefunden werden kann, weil sie nur auf Zeit eingestellt werden könnte. Wenn nun das Parlament, dem dieser Meister angehört, etwa nach 4 Wochen aufgelöst wird, dann hat dieser kleine Betrieb zwei Meister, die er bezahlen muß. Das kann wirtschaftliche Belastungen mit sich bringen, die untragbar sind. Es müßte im Entschädigungsgesetz für die Abgeordneten eine Formulierung gefunden werden, nach der eine solche Last auf die öffentliche Hand abgewälzt werden kann, damit sie nicht vom Arbeitgeber getragen werden muß, der dazu einfach nicht in der Lage ist. Dr. Katz (SPD): Ich bitte, Art. 62 Abs. 1 so stehenzulassen, wie er ist. Alle diese Möglichkeiten sind im Organisationsausschuß eingehend besprochen worden. Wir

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sind dazu gekommen, die Fälle, die Kollege von Brentano hier geschildert hat, als außerordentlich unwahrscheinlich und fiktiv anzusehen. Zunächst einmal ist hier nichts darüber gesagt, daß der betreffende Arbeitgeber dem Angestellten oder Arbeiter dann auch sein Gehalt oder seinen Lohn zahlen muß; er darf nur nicht kündigen. Wie Zivilgerichte oder Arbeitsgerichte später eine Lohn- oder Gehaltsklage des betreffenden Herrn entscheiden werden, überlassen wir ihnen. Im allgemeinen wird der Inhaber eines kleinen Betriebs oder ein kleiner Handwerker, wenn einer seiner Angestellten zu dem hohen Amt eines Bundestagsabgeordneten aufsteigt, ihn gar nicht ausschließen. Ich sehe keinerlei derartige Komplikationen in der Praxis voraus. Geldschwierigkeiten wird es auch nicht geben, weil ein Abgeordneter, der seine Diäten bekommt, höchstwahrscheinlich auch sein Gehalt nicht verlangen wird. Er wird seinem Arbeitgeber gestatten, auf seine Kosten einen Ersatzmann einzustellen. Infolgedessen sollten wir das Prinzip aufrechterhalten und uns nicht durch fiktive Möglichkeiten dazu bewegen lassen, die Hauptbestimmung zu streichen, wonach eine Kündigung wegen dieser Tätigkeit nicht zulässig ist. Dr. Seebohm (DP): Ich bin der Auffassung, daß die Frage doch wichtig werden kann, und zwar bei leitenden Angestellten in mittleren Unternehmungen. Da können sich unter Umständen größere Schwierigkeiten ergeben als bei dem Beispiel, das Herr von Brentano gewählt hat. Ich empfehle, die Entlassung für unzulässig zu erklären, aber das Wort „Kündigung“ herauszunehmen. Wenn Sie das stehenlassen, kann man auch das Gehalt nicht kürzen. Wir haben doch Kündigungen nicht nur mit dem Ziel der Entlassung, sondern auch mit dem Ziel der Herabsetzung des Gehalts. Der Abgeordnete müßte sich dann zumindest die Diäten anrechnen lassen. Ich würde also sagen: Eine Entlassung usw. aus diesem Grunde ist unzulässig. Dr. Löwenthal (SPD): Zu der Zeit, als es noch eine allgemeine Wehrpflicht gab, konnte ein Arbeitgeber einen Reserveoffizier, der zu einer Übung eingezogen wurde, auch nicht entlassen. Dieser Fall war viel häufiger als dieser Ausnahmefall, daß ein Abgeordneter in einem Betriebe tätig ist, für den derartige Verhältnisse zutreffen. Das kann bei einem Gremium von 240 bis 300 Abgeordneten nur eine seltene Ausnahme sein. Hier müssen die öffentlichen Interessen den privaten vorgehen. Dr. Menzel (SPD): Wäre es möglich, durch die Einschaltung des Wortes „unbezahlten“ vor „Urlaub“ die Bedenken auszuräumen? Dr. Katz (SPD): Das ist der zweite Absatz; wir sind noch beim ersten. Renner (KPD): Es bleibt immer eine Lücke: der im öffentlichen Dienst stehende Beamte, Angestellte oder Arbeiter hat Anrecht auf Weiterzahlung seiner Bezüge; bei dem in der privaten Wirtschaft bediensteten Mann ist die Frage zweifelhaft, und bei dem Abgeordneten, der aus einem freien Berufe kommt, ist sie vollkommen offen. Entweder setzt man die Diäten so hoch, daß sie einen Ausgleich geben, oder man befreit die öffentliche Hand und die private Wirtschaft von der Verpflichtung, die Bezüge des Abgeordneten während seiner Amtszeit weiterzuzahlen. Nur so kommt man meines Erachtens zu einer logischen Regelung. Der Dumme bei dieser Regelung ist auf jeden Fall der Mann, der aus einem freien Beruf heraus sich zum Abgeordneten wählen läßt. Dr. Menzel (SPD): Ich habe mich vorhin etwas überrumpeln lassen. Mein Vorschlag geht zwar auf eine Änderung in Abs. 2, aber diese Änderung hat ihre Rück-

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wirkung bei der Entscheidung über Abs. 1; denn wenn der Urlaub, der nach Abs. 2 gewährt wird, unentgeltlich ist, dann ist, glaube ich, die Entscheidung viel leichter, den Abs. 1 so zu lassen. Dr. Seebohm (DP): Ich darf darauf hinweisen, daß in der britischen Zone Beamte kein Abgeordnetenmandat übernehmen dürfen, ohne daß sie aus ihrem Amt ausscheiden und damit ihre Bezüge verlieren. Das ist in der britischen Zone ganz allgemein so. (Dr. Katz [SPD]: Das soll aber geändert werden!) – Das soll geändert werden? Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, daß der Betreffende keine Gehaltsansprüche stellen darf, weil er die vereinbarte Leistung nicht vollbringen kann. Es würde also durch diese Bestimmung die Möglichkeit von Auseinandersetzungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Abgeordneten nicht ausgeräumt. Der Arbeitgeber könnte sagen: Da du die Leistung aus deinem Arbeitsvertrag nicht erfüllst, entfällt für mich die Verpflichtung, dir das Gehalt zu zahlen. Daraus ergeben sich privatrechtliche Auseinandersetzungen. Deshalb wäre es besser, nur die Entlassung für unzulässig zu erklären; dann ist wegen der anderen Fragen eine Regelung auf dem privatwirtschaftlichen Sektor möglich. Dr. Greve (SPD): Das letzte Argument von Herrn Seebohm trifft ohne Zweifel nicht zu. Gerade die Kündigung muß man stehenlassen, weil die Bestimmung, wie sie jetzt in Art. 62 Abs. 1 niedergelegt ist, überhaupt keine Auswirkung auf das privatrechtliche Dienstverhältnis hat. Wir sollten nicht nur „Entlassung“ sagen, sondern sollten auch „Kündigung“ stehenlassen. Wie die Zivil- oder Arbeitsgerichte sich mit den entsprechenden Fällen auseinandersetzen, das gehört nicht zu unserer Zuständigkeit. Die Frage, ob man zwischen leitenden Angestellten in größeren Betrieben und Angestellten in kleineren Betrieben unterscheiden soll, führt uns in eine zu große Zwiespältigkeit der Betrachtungen hinein. Ich glaube, wir können keine andere Lösung als diese Generalklausel finden, zumal die Fälle, die Herr Kollege von Brentano im Auge hat, in so verschwindend geringer Zahl vorkommen werden, daß es sich wirklich nicht lohnt, darüber zu reden. Herr Dr. Menzel sagte Herrn Dr. von Brentano schon in einem Zuruf: Wenn ein so kleiner Betrieb einen so gewichtigen Mann hat, dann freut er sich eher darüber, als daß er ihn entläßt; dafür schreibt er dann auf sein Firmenschild, daß ein Bundestagsabgeordneter in der Firma ist. [S. 24] Vors. Dr. Schmid (SPD): Wird ein Antrag zu Abs. 1 des Art. 62 gestellt? Dr. Seebohm (DP): Ich beantrage, die beiden Worte „Kündigung oder“ zu streichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es soll also nach dem Antrag Dr. Seebohm heißen: „Eine Entlassung von Beamten usw.“ Wer ist für die Streichung der Worte: „Kündigung oder“? – Die Streichung ist mit überwiegender Mehrheit abgelehnt. Abs. 1 des Art. 62 ist in der Fassung der Vorlage angenommen. Wir kommen zu Abs. 2: Wer sich um einen Sitz im Bundestag bewirbt, hat Anspruch auf den zur Vorbereitung seiner Wahl erforderlichen Urlaub. Keine Wortmeldungen? – Angenommen.

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[2.18. ART. 63: ENTSCHÄDIGUNGEN]

Art. 63 Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene Entschädigung. Sie haben das Recht der freien Benutzung aller staatlichen Verkehrsmittel. Dr. Seebohm (DP): Es ist in Art. 63 gesagt, die Abgeordneten haben das Recht der „freien Benutzung aller staatlichen Verkehrsmittel“. Wenn man das hier verankert, kann man dann nicht auch sagen, daß sie ein Recht auf Entschädigung bei Benutzung privater Verkehrsmittel haben? Vors. Dr. Schmid (SPD): Das steckt doch in der „angemessenen Entschädigung“. – Ich glaube, Art. 63 ist in der vorliegenden Fassung angenommen. (Zustimmung.)

[2.19. ART. 64: ZWISCHEN DEN WAHLPERIODEN]

Art. 64 Für das Präsidium des Bundestags und für die Mitglieder des ständigen Ausschusses sowie für deren erste Stellvertreter gelten die Art. 59, 60, 61, 62 Abs. 1 und 63 auch für die Zeit zwischen zwei Wahlperioden und nach der Auflösung des Bundestags. Dieser Artikel könnte nach unserer Neufassung des Art. 49 wohl gestrichen werden? (Zustimmung.) Es besteht Einverständnis darüber, daß Art. 64 gestrichen wird. Wir haben nunmehr Abschnitt IV beraten und unsere Beschlüsse in erster Lesung dazu gefaßt. Es wäre fortzufahren mit Punkt 3 der Tagesordnung: Beratung der Artikel über die Bundesregierung. Soweit ich sehe, liegt aber hierfür die Vorlage des Redaktionsausschusses noch nicht vor. Wir könnten das Kurzprotokoll der 21. Sitzung des Organisationsausschusses nach dem Stande vom 10. 11. 1948 nehmen. Walter (CDU) beantragt im Hinblick darauf, daß zu dem Beratungsgegenstand zahlreiche Anträge zu erwarten seien, die eine vorhergehende Beratung in den Fraktionen notwendig machten, Vertagung der Sitzung. Nach kurzer Aussprache über den Antrag des Abgeordneten Walter beschließt der Ausschuß die Vertagung. Schluß der Sitzung 16.09 Uhr.

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Nr. 3 Dritte Sitzung des Hauptausschusses 16. November 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 25–39. PA 2004. Ungez. von Reynitz gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 327 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: von Brentano, de Chapeaurouge, Kaufmann, Laforet, Lehr, von Mangoldt, Pfeiffer, Süsterhenn SPD: Greve, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wolff, Zimmermann FDP: Dehler, Heuss DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Bergsträsser (SPD), Eberhard (SPD), Katz (SPD), Löwenthal (SPD), Walter (CDU/CSU) Stenographischer Dienst: Reynitz Dauer: 16.36–18.59 Uhr

[1. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT VII: DIE BUNDESREGIERUNG] [1.1. ZUR VERFAHRENSWEISE IM HAUPTAUSSCHUSS]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ehe wir in die Tagesordnung eintreten, hat Herr von Brentano das Wort zu einer kurzen Erklärung. Dr. von Brentano (CDU): Der Allgemeine Redaktionsausschuß hat Ihnen heute seine Arbeit über den Abschnitt VII Die Bundesregierung, und zwar nach dem Stande vom 16. 11. 1948 (Drucksache PR. 11.48 – 276)3), vorgelegt. Die endgültige Fassung ist erst jetzt fertig geworden, so daß es nicht möglich war, sie dem zuständigen Ausschuß und den Fraktionen früher zuzuleiten. Der Redaktionsausschuß hat sich bemüht, selbstverständlich unter Zugrundelegung der Arbeit des Organisationsausschusses4), eine Formulierung zu finden, die im wesentlichen dem Gedankengang des Organisationsausschusses entspricht, die aber, wie es nicht anders möglich war, auch gewisse materielle Änderungen enthält. Auf die Einzelheiten 1)

Protokollführer Matz. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Die Drucks. Nr. 276 vom 16. Nov. 1948 ist ediert im Zusammenhang mit den übrigen Stellungnahmen des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 10. Nov. bis 5. Dez. 1948 in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 60–63. 4) Der Ausschuß für die Organisation des Bundes hatte sich zuletzt in seiner 21. Sitzung am 10. November 1948 mit dem Abschnitt: Die Bundesregierung befaßt. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 28, S. 763–796. Für den Wortlaut des Entwurfes des Abschnittes Die Bundesregierung des Organisationsausschusses vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 1, S. 26–30, bzw. Bd. 13/2, Dok. Nr. 29, S. 799–801. 2)

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einzugehen, wird hier nicht erforderlich sein, weil wir das vielleicht von Fall zu Fall behandeln können und weil diese Fassung den einzelnen Mitgliedern des Ausschusses noch nicht bekannt ist. Es wird sich nun darum handeln, ob man der heutigen Arbeit die Vorarbeit des Organisationsausschusses oder diejenige des Redaktionsausschusses zugrunde legt. Ich glaube, daß darüber zunächst eine Entscheidung getroffen werden müßte. Beide Arbeiten weichen in den grundsätzlichen Fragen voneinander ab, so daß sie nicht etwa ineinandergearbeitet werden könnten. Man muß sich also darüber klar sein, ob man die eine oder andere Grundlage für die Verhandlungen wählt, wobei ich dahingestellt sein lasse, ob es überhaupt möglich ist, die Arbeit des Redaktionsausschusses heranzuziehen, nachdem sie erst heute verteilt worden ist. Dr. Lehr (CDU): Das Natürliche ist doch, daß die Vorlage des zuständigen Fachausschusses hier zur Beratung kommt. Es ist an sich nicht Sache des Redaktionsausschusses, materielle Änderungen an den Arbeiten der Fachausschüsse vorzunehmen, sondern, wie sein Name besagt, redaktionelle Änderungen. Wenn daher neue materielle Abweichungen vorgeschlagen werden sollen, so muß ich mir namens des Organisationsausschusses vorbehalten, sie entweder hier zur Sprache zu bringen oder aber die Zurückverweisung an den Organisationsausschuß zu beantragen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte zunächst vorschlagen, daß wir neben Herrn Walter noch den Kollegen Dr. Katz als Korreferenten bestimmen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich stelle Ihr Einverständnis fest. Es ist beantragt worden, der Hauptausschuß möge darüber abstimmen, welche der beiden Vorlagen als Beratungsgrundlage gewählt werden soll, die Vorlage, in der die Beschlüsse des Organisationsausschusses – und zwar nach dem Stande vom 10. 11. 1948 (Drucksache PR. 11.48 – 303 Anlage)5) niedergelegt sind, oder die Vorlage, in der uns die Vorschläge des Redaktionsausschusses übermittelt werden6). Ich habe die zweite Vorlage hier auf dem Tisch gefunden und sie noch nicht lesen können. Ich für meinen Teil schlage vor, daß wir die Beschlüsse des Organisationsausschusses in der uns bekannten Fassung unseren Beratungen zugrunde legen. Wenn unsere Kollegen vom Redaktionsausschuß der Meinung sind, eine bessere Fassung gefunden zu haben, besteht die Möglichkeit, Abänderungsanträge zu stellen. – Ich stelle das Einverständnis des Hauptausschusses damit fest.

[1.2. VORBEMERKUNGEN ZUM ABSCHNITT: BUNDESREGIERUNG]

Ich rufe also auf den Abschnitt VII Die Bundesregierung. Walter (CDU): Soll ich eine allgemeine Einführung zu dem Kapitel geben, oder ist das nicht nötig? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, wir können es uns eigentlich sparen. Dr. Lehr (CDU): Ich würde empfehlen, daß ein kurzer, einleitender Bericht über die Grundgedanken gegeben wird und, falls Kollege Katz abweicht, ein Korreferat. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich stelle Einverständnis mit diesem Vorschlag fest. 5) 6)

Die Drucks. Nr. 303 ist ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 29, S. 797–801. Für den Wortlaut der Stellungnahme des Redaktionsausschusses vgl. oben S. 64, Anm. 3.

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Walter (CDU): Der Organisationsausschuß hat sich, wie Sie aus den Ihnen zugegangenen Kurzprotokollen ersehen, in mehreren Sitzungen eingehend mit dem Abschnitt VII Die Bundesregierung, Herrenchiemseer Entwurf Art. 86 bis 967), befaßt. Dieser Abschnitt ist einer der staatspolitisch bedeutsamsten Abschnitte des ganzen Verfassungsentwurfs. Er regelt in wenigen Artikeln 1) die Berufung und die Entlassung des Bundeskanzlers, 2) die Bildung der Regierung, 3) das parlamentarische System und dessen Korrekturen, 4) die Rechtsstellung des Bundeskanzlers und der Bundesminister. In Abweichung von den Vorschlägen des Herrenchiemseer Entwurfs hat der Organisationsausschuß die Initiative zur Berufung des Bundeskanzlers in die Hand des Bundespräsidenten gelegt. Er hat ein zweimaliges Benennungsrecht. Führt auch der zweite Vorschlag zu keinem Erfolg, das heißt, erhält auch dieser zweite für das Amt des Bundeskanzlers Vorgeschlagene nicht das Vertrauen des Bundestags, so geht das Vorschlagsrecht auf den Bundesrat über. Mißlingt die Berufung auf Vorschlag des Bundesrats, so hat der Bundespräsident das Recht, den Bundestag aufzulösen. Dies ist der einzige Fall, bei dem in dem Herrenchiemseer Entwurf ein Auflösungsrecht des Bundespräsidenten vorgesehen ist8); anders war es bekanntlich in der Weimarer Verfassung9). In Abweichung von der Weimarer Verfassung ist eine Entlassung des Bundeskanzlers ohne und gegen dessen Willen durch den Bundespräsidenten nicht möglich. Der Bundeskanzler scheidet aus seinem Amt durch Rücktritt oder Tod. Dagegen können die Bundesminister auf Antrag des Bundeskanzlers auch gegen ihren Willen aus ihrem Amt entlassen werden. Bei der Gestaltung der inneren Struktur der Bundesregierung ist der Organisationsausschuß ebenso wie der Herrenchiemseer Entwurf weitgehend der Weimarer Verfassung gefolgt. Abgelehnt ist das monokratische System der Bismarckschen Verfassung, wo bekanntlich der Reichskanzler der einzig verantwortliche Reichsminister gewesen ist10). Die an der Spitze der einzelnen Ressorts stehenden Staatssekretäre waren nur dessen Stellvertreter und Gehilfen. Abgelehnt ist ferner das reine 7)

Für den Wortlaut des Grundgesetzentwurfes des Verfassungskonventes von Herrenchiemsee vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, hier der Abschnitt über die Bundesregierung bes. S. 597–599. 8) Art. 88, Abs. 3 ChE. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 598. 9) Für den Wortlaut des Art. 25 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. Aug. 1919 vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 8, Anm. 29. 10) Im deutschen Kaiserreich war der Reichskanzler das einzige Mitglied der Reichsregierung, das alle nicht dem Gebiet der militärischen Kommandogewalt angehörigen Regierungsakte des Kaisers gegenzuzeichnen hatte. Der Reichskanzler war Chef aller Reichsbehörden und hatte den Vorsitz im Bundesrat inne. Da in der Regel Personalunion zwischen dem Reichskanzler und dem preußischen Ministerpräsidenten bestand, hatte die preußische Stimme im Bundesrat besonderes Gewicht. Dem Reichskanzler oblag die Außen- und Innenpolitik, die er dem Kaiser gegenüber zu verantworten hatte war nicht dem Reichstag. Zur Bewertung der Rolle des Reichskanzlers im Verfassungsgefüge des Kaiserreiches vgl. u. a. den Beitrag von Otto Suhr (SPD) in der 4. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 22. Sept. 1948. Der Parl. Rat, Bd. 13/1, Dok. Nr. 4, S. 97.

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Kollegialsystem, bei dem die [S. 26] Ressortminister zu einem Kollegium zusammengefaßt sind und nach dessen Mehrheitsbeschlüssen die Verwaltung ihrer Ressorts zu führen haben, so daß sie im wesentlichen nur ausführende Organe des Ministerrats sind. Abgelehnt ist endlich der Grundsatz der völligen Selbständigkeit der Einzelminister, bei dem die Minister in der Führung ihrer Verwaltung unabhängig und allein verantwortlich sind und der Ministerpräsident nur die Stellung eines primus inter pares11) hat. Nach den Beschlüssen des Organisationsausschusses hat die Bundesregierung eine aus diesen drei Typen kombinierte Organisation. Der Bundeskanzler hat die Stellung eines Premierministers; er bestimmt die Richtlinien der Politik; nur innerhalb dieser Richtlinien ist der einzelne Minister bei der Führung seines Amtes selbständig und verantwortlich. Eingehend hat sich der Organisationsausschuß mit der Frage der Bestellung einer Regierung auf Zeit befaßt, die von der Fraktion der FDP beantragt worden ist. Die Mehrheit des Ausschusses hat jedoch die Schaffung einer Regierung auf Zeit abgelehnt, im wesentlichen deshalb, weil hierzu die Voraussetzungen in Deutschland zur Zeit nicht gegeben sind. Der Organisationsausschuß sprach sich vielmehr für das parlamentarische System aus, jedoch mit Abweichungen im Falle des Versagens der parlamentarischen Spielregeln, insbesondere beim Versagen des zur Berufung des Bundeskanzlers in erster Linie bestimmten Bundestags. Bei dessen Versagen soll das Vorschlagsrecht auf den Bundesrat übergehen, es soll auf dessen Legalitätsreserve zurückgegriffen werden. Sodann soll zur Sicherung der Existenz einer vorhandenen Regierung die Einbringung von Mißtrauensvoten gegen die Bundesregierung oder gegen den Bundeskanzler durch rein destruktive Mehrheiten ausgeschlossen werden. Über die Art und Weise, wie hierbei die Stetigkeit der Regierung gesichert werden soll, waren die Auffassungen im Ausschuß geteilt. Im übrigen darf ich auf die Niederschriften des Organisationsausschusses12) und auf die darin enthaltenen Beschlüsse Bezug nehmen. Vom Hauptausschuß werden insbesondere noch folgende Fragen klar zu entscheiden sein: 1) Bedarf die Bundesregierung nur zu ihrem Amtsantritt oder aber zu ihrer ganzen Amtsführung des Vertrauens des Bundestags? 2) Ist die Entfernung eines einzelnen Ministers durch den Bundestag gegen den Willen des Bundeskanzlers möglich? 3) Bedarf der Nachfolger eines aus der Regierung ausgeschiedenen Ressortministers eines besonderen Vertrauensausspruchs durch den Bundestag? 4) Zulässigkeit der Ministeranklage gegen den Bundeskanzler und gegen Einzelminister. In Weimar war sie vorhanden13); der Herrenchiemseer Entwurf hat eine Ministeranklage nicht aufgenommen. 11)

„primus inter pares“ – lateinisch: Erster unter Gleichen. Unter „Niederschriften des Organisationsausschusses“ wurden die Kurzprot. verstanden sowie ferner die jeweiligen Zusammenstellungen der Artikelentwürfe, die zumeist als Anhang zu den Kurzprot. vervielfältigt worden waren. 13) Art. 54 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Der Reichskanzler und die Reichsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstags. 12)

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Schließlich wird sich der Hauptausschuß damit zu befassen haben, ob das besondere Amt eines Vizekanzlers zu schaffen ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe nun auf

[1.3. ART. 86: ZUSAMMENSETZUNG DER BUNDESREGIERUNG]

Art. 86 Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und aus den Bundesministern. Dr. Menzel (SPD): Ich möchte heute keinen formellen Antrag stellen, möchte aber für die zweite Lesung auf das Problem hinweisen, ob es richtig ist, daß wir den Chef der Regierung als „Kanzler“ bezeichnen. Wir waren uns bei Beginn der Beratungen über das Problematische dessen, was wir jetzt zu beschließen haben, klar, und wir sind uns vor allem darüber klar, daß wir keinen echten Staat haben können und ihn hier im Westen nicht haben wollen. Sollte man nicht das Wort „Kanzler“ gerade mit Rücksicht auf seine politisch-historische Vergangenheit für die volle, echte Verfassung, für einen gesamtdeutschen Bund vorbehalten? Wenn wir einen „Kanzler“ schaffen – es sind die gleichen Probleme, die bei der Institution des Bundespräsidenten zu besprechen sein werden –, können wir draußen kaum noch den Standpunkt vertreten, daß wir keine echte Verfassung machen und keinen Staat haben. Ich wollte das den Herren zur Überlegung geben, damit dann über einen etwaigen Antrag meinerseits in der zweiten Lesung debattiert und abgestimmt werden kann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie wollen jetzt keinen Antrag stellen? Dr. Menzel (SPD): Nein. Dr. Greve (SPD): Ich bitte, einen Schönheitsfehler zu beseitigen und das zweite „aus“ zu streichen. Ich weiß nicht, warum das wiederholt wird. Walter (CDU): Es ist vom Ausschuß aus sprachlichen Gründen eingesetzt worden. Wenn Sie Mitglieder des Deutschen Sprachvereins14) fragen, werden die Ihnen sagen, daß das durchaus zweckmäßig ist. Aber ich glaube, ein Streit darüber ist müßig. Renner (KPD): Ich habe den Eindruck, daß das zweite „aus“ gewollt hier in Art. 86 steht, um eben die Sonderstellung des Bundeskanzlers nach Möglichkeit zu unterstreichen. Müßte aber hier nicht die andere Frage geklärt werden, woher die Herren stammen, die in der Regierung sein sollen? Sollen sie Mitglieder der Kammer oder MitJeder von ihnen muß zurücktreten, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluß sein Vertrauen entzieht.“ Vgl. RGBl. S. 1393. Reichskanzler und Ministern konnte durch den Reichstag also das Vertrauen entzogen werden, auch wenn für eine neue Reichsregierung oder für einen neuen Reichsminister im Reichstag keine parlamentarische Mehrheit vorhanden war (sogenanntes „negatives Mißtrauensvotum“). 14) Der Allgemeine Deutsche Sprachverein (ADSV) wurde 1885 gegründet. Er bestand bis 1943 in allen deutschsprachigen Ländern und setzte sich gegen den Einzug von Fremdwörtern in den Wortschatz der deutschen Sprache ein. Nachfolger wurde in Deutschland die 1947 gegründete „Gesellschaft für deutsche Sprache (GdS)“.

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glieder des Bundesrats sein? Das müßte in diesen Absatz hineinkommen und an dieser Stelle geklärt werden. (Walter [CDU]: Das kommt später.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Stellen Sie einen Antrag? (Renner [KPD]: Nein, nur eine Frage.) Es ist also der Antrag gestellt, das zweite „aus“ aus redaktionellen Gründen zu streichen. Soll ich darüber abstimmen lassen? (Widerspruch.) – Ich glaube, wir können es streichen. Dann ist Art. 86 in dieser redaktionell geänderten Fassung angenommen. Den nächsten Artikel werde ich nicht satzweise vorlesen, sondern als Gesamtes. Ich nehme an, daß sich wohl gerade über die Gesamtprozedur der Ernennung eine Debatte ergeben wird. Wir können dann über die einzelnen Sätze abstimmen, wenn eine Aussprache über das Gesamtproblem stattgefunden hat.

[1.4. ART. 87: WAHL DES BUNDESKANZLERS]

Art. 87 Der Bundeskanzler wird vom Bundespräsidenten mit folgender Maßgabe ernannt: (1) Der Bundespräsident schlägt den Bundeskanzler dem Bundestag vor. Dieser hat innerhalb von zehn Tagen mit mehr als der Hälfte der Stimmen der gesetzlichen Mitgliederzahl zu entscheiden, ob er dem Benannten sein Vertrauen ausspricht. (2) Wird die Vertrauensfrage verneint, so macht der Bundespräsident einen neuen Vorschlag. (3) Findet auch der neue Vorschlag nicht die erforderliche Mehrheit im Bundestag, so ist dieser verpflichtet, binnen zehn Tagen den Bundeskanzler zu benennen. (4) Kommt der Bundestag dieser Verpflichtung nicht nach, so hat der Bundespräsident den Bundeskanzler auf Vorschlag der Länderkammer zu ernennen. (5) Hat der Bundespräsident den Bundeskanzler auf Vorschlag der Länderkammer ernannt und verweigert der Bundestag dem neuernannten Bundeskanzler das Vertrauen, so kann der Bundespräsident den Bundestag binnen drei Monaten auflösen. Zu dieser Fassung liegt ein Antrag des Abgeordneten Dr. Löwenthal vor, der in der Anlage 2 aufgenommen ist. Er lautet: [S. 27] Art. 87 (1) Der Bundeskanzler wird durch den Bundespräsidenten ernannt. Der Bundestag kann mit einfacher Mehrheit seiner gesetzlichen Mitgliederzahl jederzeit verlangen, daß der Bundespräsident einen anderen Bundeskanzler ernennt, wenn der Bundestag ihn gleichzeitig vorschlägt. Der Bundespräsident ist verpflichtet, die Ernennung vorzunehmen. (2) Kommt der Bundespräsident dieser Verpflichtung nicht nach, so kann der Bundestag mit einfacher Mehrheit seiner gesetzlichen Mitgliederzahl den

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Rücktritt des Bundespräsidenten verlangen oder mit Zustimmung des Bundesrats seine Absetzung beschließen. Geschieht dies nicht, so hat der Bundespräsident den Bundestag aufzulösen und unverzüglich Neuwahlen auszuschreiben. Herr Kollege Dr. Löwenthal, halten Sie den Antrag aufrecht? (Dr. Löwenthal [SPD]: Ja.) Dann liegt noch ein Antrag der Fraktion der CDU15) vor, der lautet: Der Bundestag wolle beschließen, Art. 87 erhält folgende Fassung: (1) Der Bundeskanzler wird vom Bundespräsidenten ernannt, sobald das Verfahren nach Abs. 2 oder Abs. 3 zu einem Ergebnis geführt hat. (2) Der Bundespräsident benennt dem Bundestag einen Bundeskanzler. Spricht der Bundestag dem Benannten nicht innerhalb zwei Wochen mit der Mehrheit seiner gesetzlichen Stimmenzahl sein Vertrauen aus, so benennt der Bundespräsident einen anderen Bundeskanzler. Erhält auch dieser nicht innerhalb zwei Wochen das Vertrauen des Bundestages, so kann der Bundestag innerhalb zwei Wochen dem Bundespräsidenten einen Bundeskanzler benennen. (3) Benennt der Bundestag dem Bundespräsidenten nicht fristgemäß einen Bundeskanzler, so geht das Recht der Benennung auf den Bundesrat über. (4) Benennt der Bundesrat dem Bundespräsidenten nicht innerhalb zwei Wochen einen Bundeskanzler oder spricht der Bundestag einem auf Vorschlag des Bundesrats16) ernannten Bundeskanzler nicht innerhalb zwei Wochen sein Vertrauen aus, so hat der Bundespräsident den Bundestag aufzulösen. Ich eröffne die Aussprache. Dr. Dehler (FDP): Kann der Antrag des Redaktionsausschusses nicht wenigstens zur Debatte gestellt werden? Vors. Dr. Schmid (SPD): Keine Einwendungen. Dr. Dehler (FDP): Die Formulierung des Redaktionsausschusses lautet: Art. 87 (1) Der Bundeskanzler wird vom Bundestag ohne Aussprache mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder gewählt und vom Bundespräsidenten ernannt. (2) Kommt binnen vierzehn Tagen seit Beendigung des Amtes des bisherigen Bundeskanzlers eine solche Wahl nicht zustande, so findet eine neue Wahl statt, in der gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. Vereinigt der Gewählte nicht mehr als die Hälfte der Stimmen der Mitglieder auf sich, so kann der Bundespräsident mit Zustimmung des Bundesrats den Bundestag binnen sieben Tagen nach der Wahl auflösen; die Zustimmung des Bundesrats bedarf der Mehrheit seiner Mitglieder. Wird der Bundestag binnen dieser Frist nicht aufgelöst oder vereinigt der Gewählte mehr als die Hälfte der Stimmen der Mitglieder auf sich, so ist er vom Bundespräsidenten zu ernennen.

15)

Zur Entstehung des Entwurfes der CDU/CSU-Fraktion vgl. die Sitzung der CDU/CSUFraktion am 12. Nov. 1948; Salzmann, CDU/CSU, S. 155. 16) Statt „Bundesrats“ im stenograph. Wortprot., S. 13: „Bundestags“.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich schlage vor, daß wir uns, ehe die Aussprache sich auf die Einzelheiten der verschiedenen vorgeschlagenen Verfahren erstreckt, über die in den verschiedenen Anträgen enthaltenen Grundsatzfragen aussprechen. Es handelt sich ja zum Teil um politisch völlig verschiedene Dinge. Der Antrag, der soeben verlesen wurde, schafft eine ganz andere Art von Prozeß für die Bildung der Regierung als der Antrag des Organisationsausschusses und, wenn ich recht gelesen habe, auch der neu eingereichte Abänderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU; und der Antrag des Herrn Kollegen Dr. Löwenthal gibt uns eine dritte, grundsätzlich verschiedene Modalität zur Erwägung. Dr. Dehler (FDP): Es ist vielleicht ganz zweckmäßig, daß ich darlege, was den Redaktionsausschuß zu seinem Vorschlag bewogen hat. Erste Frage: Soll der Bundespräsident ex officio bei der Regierungsbildung eingeschaltet sein, soll er das Initiativrecht haben? Das würde bedeuten, daß der Bundestag nur denjenigen zum Kanzler wählen kann, der vom Bundespräsidenten vorgeschlagen wird, oder richtiger, daß er nur dem vom Bundespräsidenten Benannten sein Vertrauen aussprechen kann. Das erscheint uns nicht notwendig; denn es gehört zu den Prärogativen des Bundespräsidenten, daß er, wenn ein Bundeskanzler zu stellen ist, sich um die Klärung der Lage bemüht, mit den Parteien Fühlung nimmt und sondiert und im Zweifel selbstverständlich nur einen Kandidaten benennt, der die Mehrheit im Bundestag findet. Würde er das Gegenteil tun, müßte er damit rechnen, daß der von ihm Benannte vom Bundestag nicht bestätigt wird, so daß darunter sein Ansehen leiden würde. Durch die offizielle Einschaltung würde der Bundespräsident viel zu sehr in die politische Arena heruntergezogen werden. Es erscheint uns viel zweckmäßiger, daß der Bundestag von sich aus den Kanzler wählt. Zunächst soll derjenige gewählt sein, auf den sich die Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestags einigt. Zweite Frage: Soll man, wenn der Bundestag sich nicht mit der Mehrheit der Mitglieder auf einen Kandidaten einigt, die Legalitätsreserve des Bundesrats, der Länderkammer einschalten? Das erscheint uns nicht zweckmäßig. Wir sind der Meinung: vor der Legalitätsreserve des Bundesrats steht immer noch die Legalitätsreserve des Bundestags selber, insofern als es genügt, daß ein Bundeskanzler mit einfacher Mehrheit gewählt wird. Deswegen unser Vorschlag: zunächst muß sich der Bundestag bemühen, binnen vierzehn Tagen einen Kanzler zu finden, auf den sich die Mehrheit der Mitglieder einigt. (Walter [CDU]: Die gesetzliche Mehrheit?) – Die Mehrheit der Mitglieder. Ist das nicht möglich, dann soll eine Minderheitsregierung gebildet werden, dann soll einfach die relative Mehrheit entscheiden; derjenige, der die meisten Stimmen erhält, soll gewählt sein. Dann besteht allerdings die Möglichkeit der Krisis. Der Bundestag hat in gewissem Umfange versagt, weil er sich nicht auf einen Kanzler, hinter dem die Mehrheit des Bundestags steht, hat einigen können. Dann käme die Frage: Soll der Bundestag automatisch aufgelöst werden? Wir haben uns dagegen gestellt, weil es nicht zweckmäßig erscheint. Vielmehr soll sich dann der Bundespräsident einschalten können. Wenn der Bundesrat einverstanden ist, soll für diesen die Möglichkeit bestehen, den Bundestag innerhalb kurzer Frist, innerhalb acht Tagen, aufzulösen. Wenn sich bei dem zweiten Wahlgang

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nach den vierzehn Tagen eine Mehrheit findet, dann ist diese Möglichkeit natürlich nicht mehr gegeben. Ich glaube, unser Vorschlag ist klar und einfach und wahrt vor allem das Prinzip des parlamentarischen Systems, daß der Bundestag entscheiden soll, daß zunächst ein Druck auf ihn ausgeübt wird, eine Mehrheit zustande zu bringen. Wenn er die Mehrheit nicht zustande bringt, steht er unter der Drohung der Auflösung durch den Bundespräsidenten. Mir will scheinen, daß diese Lösung gegenüber den anderen Vorschlägen einen gewissen Vorzug hat. [S. 28] Dr. Katz (SPD): Über die letztere Meinung des Kollegen Dehler kann man verschiedener Ansicht sein. Ich persönlich gebe der Fassung den Vorzug, die wir im Organisationsausschuß erarbeitet haben. Wenn ich die Unterschiede richtig sehe, sind es ungefähr folgende. Wir geben dem Präsidenten ein zweimaliges Vorschlagsrecht, während das in der Dehlerschen Fassung wegfällt. Weiter spielt die Dehlersche Fassung bereits mit dem Gedanken an einen Minderheitskanzler. Das halte ich für eine sehr gefährliche Idee. Man soll in erster Linie darauf hinausgehen, einen Mehrheitskanzler zu finden. Nur in dem vom Organisationsausschuß gewählten Fall, daß die Legalitätsreserve einsetzt, kommt so etwas unter Umständen in Frage. Weiter spielt diese Fassung mit dem Gedanken einer baldigen Auflösung des eben gewählten Bundestags für den Fall, daß diese Krise schon beim ersten Kanzler auftritt. Auch dieses Spiel mit dem Gedanken an die Auflösung eines neugewählten Bundestags halte ich für sehr gefährlich. Wir haben diese Erfahrungen in den Jahren 1930 bis 1932 oder 1933 überreichlich gemacht. Es ist nämlich nicht zu erwarten, daß sich bei so schnell aufeinanderfolgenden Wahlen in der Lage irgend etwas ändert. Wir kommen nur von der Kanzlerkrise oder der Regierungskrise zu einer Staatskrise. Infolgedessen halte ich die Fassung, die der Organisationsausschuß gewählt hat, für die bei weitem bessere und würde ihre Annahme empfehlen. Dr. von Brentano (CDU): Ich möchte dem, was Herr Dr. Katz gesagt hat, doch widersprechen. Ich glaube, daß er die Absichten in dem Vorschlag des Redaktionsausschusses verkannt hat. Es wird in beiden Fassungen mit dem Gedanken der Auflösung gespielt, auch in der Fassung des Organisationsausschusses. (Renner [KPD]: Richtig, in allen drei Vorschlägen!) und auch in der Fassung des Kollegen Dr. Löwenthal. Gerade das hat uns bewogen, diesen Weg zu gehen. Ich darf das, was Herr Dehler darüber ausgeführt hat, mit einigen Worten ergänzen. Einmal waren wir der Meinung, daß es nicht nötig ist, diesen Vorgang der Wahl des Bundeskanzlers in diese, ich möchte sagen, etwas reichhaltige Kasuistik zu bringen. Die politische Realität ist doch die: wenn der Bundespräsident einen Vorschlag macht, vergewissert er sich zunächst einmal der Mehrheit im Bundestag. Nach dem Vorschlag des Organisationsausschusses würde der Bundespräsident zwei Vorschläge hintereinander machen können. Wenn aber zwei solche Vorschläge abgelehnt werden, kann gerade das dem Prestige und dem Ansehen des Bundespräsidenten nur nachteilig sein. Dann kommt der Weg, den wir eigentlich als ersten vorgeschlagen hatten, daß nämlich der Bundestag sich selbst einig wird. Das ist Fall drei in der Fassung des Organisationsausschusses; denn der Organisationsausschuß geht auch davon aus,

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daß eventuell zwei Vorschläge des Bundespräsidenten keine Zustimmung finden und dann der Bundestag von sich aus einen Kanzler präsentiert. Wir haben diese drei Vorgänge in einen zusammengefaßt und haben gesagt: Es entspricht der politischen Realität, wenn der Bundestag sich selber über den Bundeskanzler einigt. Ob es nötig ist, diese Legalitätsreserve einzuschalten für den Fall, daß der Bundestag sich nicht einigt, und hier das Vorschlagsrecht des Bundesrats einzubauen, erschien uns aus zwei Gründen fraglich. Einmal wissen wir noch gar nicht, wie der Bundesrat aussehen wird, ob er in erster Linie ein Exekutiv- oder ein Legislativorgan sein wird. Zum zweiten aber spricht die Wahrscheinlichkeit wohl dafür, daß der Bundesrat in die Besprechungen über die Auswahl eines Kandidaten für den Kanzlerposten längst eingeschaltet ist, so daß man eigentlich eine Hypothese für den vierten Fall nimmt, die gar keine Hypothese mehr ist; denn bis zu diesem Zeitpunkt ist der Bundesrat zweifellos schon tätig. Im letzten Punkt, in der Frage der Auflösung, unterscheiden wir uns allerdings. Auch wir sehen eine Auflösung vor, sehen aber bewußt von einer automatischen Auflösung ab. Das ist nicht etwa ein Spiel mit dem Gedanken eines Minderheitskabinetts, sondern wir kamen zu dieser Überlegung, weil wir uns sagten: es mag sein, daß ein Kanzler im Augenblick nicht die Mehrheit der gesetzlichen Zahl der Mitglieder im Bundestag auf sich vereinigen kann. Das bedeutet noch nicht, daß aus diesem Grund allein der Bundestag automatisch aufgelöst werden sollte; denn dann kommen wir in die üblichen, uns noch bekannten Parlamentskrisen hinein und wir kommen zu Wahlen, die dann ohne Wahlparolen vor sich gehen, nur weil das Parlament versagt hat. Wir haben – und das bitte ich zu beachten – im Zusammenhang mit Art. 87 in Art. 90a vorgesehen, daß entweder der Bundestag dem Bundeskanzler, also auch diesem Minderheitskanzler, sein Mißtrauen aussprechen oder daß der Bundeskanzler zu einem ihm genehmen Zeitpunkt die Vertrauensfrage stellen kann. Das hat nach unserer Überzeugung – ich spreche hier für die Mitglieder des Redaktionsausschusses – den Vorteil, daß der Zeitpunkt einer Neuwahl nicht automatisch durch das Versagen irgendeiner Körperschaft bestimmt wird, sondern daß eine Neuwahl aus einem gegebenen Anlaß und unter einer klaren Parole stattfindet. Dann rufen der Bundeskanzler und der Bundestag das Volk an, weil sie sich über eine Gesetzesvorlage von erheblicher grundsätzlicher Bedeutung nicht einigen konnten. Dann wird eine solche Wahl unter Voraussetzungen stattfinden, die auch den Wählern verständlich sind, nicht nur mit der Begründung, der Bundestag hat versagt und konnte sich nicht auf einen Kanzler einigen, sondern mit der klaren Begründung: Über diese konkrete Frage haben sich der Bundeskanzler und der Bundestag nicht verständigen können; jetzt ist es an euch, Wähler, zu entscheiden, wer recht hat. Ich bitte Sie also, den Art. 87 nicht isoliert zu sehen, sondern in Verbindung mit Art. 90a in der Fassung des Redaktionsausschusses. Dann werden Sie sehen, daß wir vielleicht weniger – wenn ich den Ausdruck wiederholen darf, Herr Kollege Katz – mit dem Gedanken der Auflösung spielen, sondern daß wir gerade die automatische Auflösung vermeiden, einen politischen Grund für die Auflösung finden und sie nicht von der Zufälligkeit des Versagens des Bundestags abhängig machen wollen. Damit soll der Bundestag – und darauf kam es uns entscheidend an – zu

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seiner Verantwortung gezwungen werden. Er soll sich in einem kritischen Augenblick seiner Verantwortung nicht entziehen können und soll nicht einfach aus Mangel an Initiative und Verantwortungsbewußtsein die Mehrheitswahl eines Bundeskanzlers verweigern können. In einem Zeitpunkt also, in dem eine politische Frage zur Entscheidung steht, soll vielmehr das Damoklesschwert der Auflösung über ihm hängen. Renner (KPD): Die drei Vorschläge, die heute hier zur Aussprache stehen, bedeuten eine völlige Preisgabe des parlamentarischen Prinzips. Bei der Diskussion nicht nur dieses Punktes, sondern auch einiger anderer grundsätzlicher Fragen in dieser Verfassung drängt sich einem unwillkürlich der Gedanke auf, daß Sie um dieses Kind, das Sie in die Welt setzen wollen – um kein böseres Wort zu gebrauchen –, so besorgt sind, daß Sie gar nicht genug Sicherungen und Kautelen einschalten können, um ihm eine gewisse Lebenszeit zu garantieren. Wenn man das parlamentarische Prinzip hochhalten will, muß der Bundestag, die einzig souveräne Vertretung des souveränen Volkes, die Instanz sein, die die Regierungsbildung aus sich heraus schafft. Das ist ihre Befugnis und ihre Verpflichtung. Es ist hier übrigens mit Recht festgestellt worden, daß der Gedanke an eine Auflösung des Bundestags in allen drei Vorschlägen enthalten ist. In dieser Frage unterscheidet sich keiner dieser Vorschläge vom anderen. Nach dem Vorschlag des Organisationsausschusses schlägt der Bundespräsident den Bundeskanzler dem Bundestag vor. Wenn der Bundestag die Vertrauensfrage bejaht, dann geht es in Ordnung. Tut er das nicht, dann muß der Bundestag innerhalb einer gewissen Zeit einen Bundeskanzler benennen. Versäumt der Bundestag das, so muß der Bundesrat von sich aus den Bundeskanzler benennen. Dabei wissen Sie noch gar nicht, was der Bundesrat eigentlich sein, wie [S. 29] er zusammengesetzt sein, welche Funktionen er bekommen soll. Nimmt der Bundestag diesen Vorschlag des Bundesrats nicht an, dann wird der Bundespräsident tätig, von dem Sie aber auch noch nicht wissen, ob Sie ihn überhaupt einführen wollen. Dann löst also dieser Bundespräsident den Bundestag auf. Was das noch mit Parlamentarismus und mit Wahrung der Rechte der vom Volke direkt gewählten Vertretung zu tun hat, ist mir unklar. In einem wirklich demokratischen Staatsgebilde ist nach meiner Meinung die Regelung richtig, wie sie etwa der Verfassungsentwurf des Volksrates vorsieht. Dort heißt es in Art. 9117): „Die stärkste Fraktion der Volkskammer“ – bei uns Bundestag – „benennt den Ministerpräsidenten, der die Regierung Hinzuziehung aller Fraktionen im Verhältnis der Fraktionsstärke bildet. Schließt sich eine Partei aus, so findet die Regierungsbildung ohne sie statt.“ Das schließt also ein, daß der Ministerpräsident oder der Kanzler, wie Sie ihn hier nennen – worüber man auch sehr geteilter Meinung sein kann –, dem Bundestag entstammen muß, daß er Mitglied des Bundestags sein muß, genau wie alle übrigen Minister. Eine derartige Regelung macht dann allen Fraktionen des Bundestags, den großen und auch den kleinen, die Mitarbeit in der Regierung auf dem Boden eines gemeinschaftlichen Regierungsprogramms möglich. Das wäre doch ein idealer Zustand, sollte ich meinen.

17)

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Statt „91“ im stenograph. Wortprot., S. 22: „92“.

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Dieser Vorschlag verhütet aber darüber hinaus – und das ist meines Erachtens auch von großer Bedeutung – die Bildung von widernatürlichen Koalitionsregierungen, meine Herren von der SPD, wie Sie sie nach 1945 mit den Parteien des Besitzbürgertums abgeschlossen haben. (Walter [CDU]: Ihre Mehrheiten waren widernatürlich. Ihre Mehrheiten im Reichstag mit den Nationalsozialisten bis zum Jahre 1933 waren widernatürlich!) – Verzeihen Sie, das waren keine Mehrheiten, das war bestenfalls in einem einzigen Falle einmal ein Zusammengehen. Geschichte, Geschichtskenntnis, wenn man hier mitreden will! Die Koalitionen im alten Reichstag haben Sie doch bis zuletzt mit den Herren von der SPD gehabt, nicht wir. Wir waren niemals in der Regierung. Das ist ein kleiner, aber entscheidender Unterschied! Ich bin also der Meinung, daß ein derartiger Vorschlag die Bildung von widernatürlichen Koalitionsregierungen ermöglicht, wie sie auch jetzt nach 1945 zwischen SPD und den von der SPD als Parteien des Besitzbürgertums bezeichneten bürgerlichen Parteien sozusagen am laufenden Band abgeschlossen wurden. Derartige Koalitionsregierungen sind das Ergebnis eines politischen Kuhhandels – das ist eine bewiesene Tatsache –, und bei diesem Kuhhandel werden gewisse grundsätzliche Auffassungen und Forderungen in den Wind geschlagen, mindestens die grundsätzlichen Auffassungen und Forderungen eines Teiles der an der Koalition beteiligten Parteien. Das sind dann immer diejenigen, die entweder die schwächeren oder die prinzipienloseren sind. Oder, um es noch deutlicher zu sagen: in dem einen Teil der Koalition hat man die gewiegten Diplomaten und größeren Routiniers; dann wird der schwächere Teil, wenn er keine Prinzipien hat – und man darf ja keine Prinzipien haben, wenn man solche Koalition mit dem Besitzbürgertum eingeht –, immer überspielt. (Walter [CDU]: Die Sorge überlassen Sie nur uns!) – Ich bin ja nicht bange, daß Sie dabei überspielt werden. Die Sorge habe ich keineswegs. Wenn ich mir zum Beispiel vorstelle, daß der eine Koalitionspartner Herr Konrad Adenauer ist, daß auf der anderen Seite etwa Herr Lüdemann18) steht, dann ist mir vollkommen klar, wer da wen überspielt. Ich bin zu höflich, um das noch deutlicher auszuführen. (Zuruf von der CDU: Sie waren doch auch einmal Minister in NordrheinWestfalen!) – Aber in keiner Koalition! Wenn Sie wirklich von den Dingen etwas wüßten, dann wüßten Sie auch, daß das damalige Kabinett auf dem Boden eines Regierungspro18)

Hermann Lüdemann (1880–1959), Schriftsteller, 1912 Mitglied der SPD, 1915–1922 Stadtverordneter in Berlin, 1919–1920 Referent im Reichsministerium für Arbeit, 1919 Mitglied in der verfassunggebenden preußischen Landesversammlung, 1920–1921 Preußischer Staatsminister der Finanzen, 1921–1929 Mitglied des Landtages von Preußen, 1922–1927 Bezirksgeschäftsführer im Verband sozialer Baubetriebe, 1927 Regierungspräsidenten von Lüneburg, 1928–1932 Oberpräsidenten von Niederschlesien, 1933–1935 in „Schutzhaft“ und aus dem Staatsdienst entlassen, 1936–1944 Geschäftsführer eines Filmtheaters, nach dem 20. Juli 1944 erneut inhaftiert, 1946 Innenminister und Stellvertreter des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, 1946–1958 war Lüdemann Mitglied des Landtages von Schleswig-Holstein, 1947–1949 Ministerpräsident von Schleswig-Holstein.

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gramms gebildet worden ist, das wir alle unterschrieben haben, das aber dann einige Herren nicht gehalten haben. Das ist der kleine Unterschied. (Erneute Zurufe von der CDU.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich bitte, die Aussprache nicht in ein Zwiegespräch abgleiten zu lassen. Renner (KPD): Ich habe mich mit Recht dagegen verwahrt, ein Kabinett, wie es damals zustande gekommen ist, eine Koalitionsregierung zu nennen. Wer in einer derartigen Koalition der Dumme und Betrogene ist, gegen wessen Interessen die Koalition sich auswirkt, das hat vor Jahrzehnten einmal der alte August Bebel19) erkannt, als er auf einem Parteitag der SPD seinen Parteigenossen mahnend und warnend entgegengehalten hat, daß bei einer Koalition der Sozialdemokratie mit bürgerlichen Parteien die Sozialdemokratie immer der Dumme ist. Nun ist August Bebel ein toter Mann, und die Grundsatzfestigkeit, die damals Wesensinhalt der Sozialdemokratie war, ist auch längst preisgegeben. Als ich einen Ihrer Fraktionskollegen vor etwa einer halben Stunde an diesen Satz von August Bebel erinnerte, hat er mir gesagt: Das ist zeitbedingt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Renner, erzählen Sie bitte keine Anekdoten, sondern reden Sie zur Sache! Renner (KPD): Was wird denn hier anders gemacht als Anekdoten? Wird denn hier Geschichte gemacht, Herr Carlo Schmid? Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Renner, die Kraft Ihres Humors ist überwältigend! Renner (KPD): Geschichte wird im Augenblick in Frankfurt20) gemacht. Dort macht Herr Clay21) Geschichte für seine Interessen, und morgen wird dann von hier einer hinbestellt, um diese Geschichte in Empfang zu nehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich schlage trotzdem vor, zur Sache zu sprechen. (Lebhafte Zurufe von der CDU.) Renner (KPD): Das ist Auffassungssache, ob ich mich dem Dollar unterstelle. Ich unterstelle mich dem Sozialismus. Das ist meine Auffassung von diesen Dingen. Hier handelt es sich also um eine vollkommene Preisgabe des Prinzips des parlamentarischen Systems. Es ist eine völlige Ausschaltung des primären Rechts der 19)

Zu August Bebel vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 30, Anm. 64. Im IG-Farbe-Haus in Frankfurt am Main war das Hauptquartier der US-amerikanischen MilGouv. Gen. Clay. 21) Amerikanischer Militärgouverneur war General Lucius D[ubignon] Clay (1897–1978), seit 1918 Soldat, 1924 Lehrer für Zivil- und Militärbauwesen an die Militärakademie, 1934 amerikanischer Vertreter der ständigen Internationalen Schiffahrtskonferenz in Brüssel, 1937 Berater des amerikanischen Gen. Douglas MacArthur für Großbaustellen, 1938–1940 am Bau des Red-River-Staudammes in Texas beteiligt, 1940–1942 mit dem Ausbau und der Verbesserung der amerikanischen Flughäfen für den Verteidigungsfall befaßt, 1942–1944 stellvertretender Stabschef für Beschaffung und Nachschub unter Dwight David Eisenhower in der Normandie, 1945–1947 Mitglied des amerikanischen Kongresses, 1945–1947 Stellvertretender Militärgouverneur in Deutschland für Zivilangelegenheiten und Vertreter der USA im Alliierten Koordinationsausschuß für Deutschland, 15. März 1947 bis 15. Mai 1949 im Range eines Vier-Sterne-Generals zum Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa und MilGouv. für Deutschland, 1961–1963 persönlicher Berlin-Beauftragter im Rang eines Botschafters des amerikanischen Präsident John Fitzgerald Kennedy. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 8, S. IX f. 20)

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vom Volke gewählten Vertretung, die Regierung selber zu wählen. Das muß in diesem Gremium einmal klar und deutlich ausgesprochen werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Kollege Dr. Löwenthal, wollten Sie zu Ihrem Antrag oder zu dem Antrag Dr. Dehler sprechen? (Dr. Löwenthal [SPD]: Ich wollte allgemein sprechen.) – Sonst würde ich vorschlagen, daß wir erst über den Abänderungsantrag des Redaktionsausschusses sprechen. Es ist wohl am besten, wenn man die Aussprache zunächst darauf beschränkt. Sonst werden die Dinge vielleicht durcheinander gebracht, und man kann sich schwer schlüssig werden, wofür man seine Stimme abgeben will. – Dann wollen wir doch so verfahren. Es wird also jetzt zum Abänderungsantrag des Redaktionsausschusses gesprochen. Dr. Löwenthal (SPD): Daß in der parlamentarischen Demokratie in erster Linie das Parlament über die Regierungsbildung zu entscheiden hat, ist klar. Die Frage ist aber: Was geschieht, wenn das Parlament nicht in der Lage ist, über die Regierungsbildung zu entscheiden? Derartige Fälle sind vorgekommen und können weiter vorkommen. Es ist unbedingt notwendig, für die Stabilität des Systems zu sorgen. Man kann nicht rein formal und theoretisch sagen: Die Volkssouveränität drückt sich in dem Willen der Volksvertreter aus. Natürlich drückt sich [S. 30] die Volkssouveränität darin aus. Wenn aber kein Wille der Volksvertreter zustande kommen kann, dann ist eine Lücke entstanden, und diese Lücke muß ausgefüllt werden. Denn die Erfahrung hat gezeigt und hat besonders in Deutschland gezeigt, daß gerade die breiten Massen des Volkes unter allen Umständen eine stabile Regierung haben wollen. Das Volk will nicht ständige Krisen, das Volk will regiert werden, und diese Regierung muß geschaffen und möglich gemacht werden. Wenn wir allzu häufige und allzu lange Regierungskrisen haben und wenn allzu häufig gewählt wird, gelangt das parlamentarische Regime bei der Masse der Bevölkerung in Mißkredit, und die Folge ist der Ruf nach dem starken Mann. So wie die Sache nach dem Vorschlag des sogenannten Volksrates von Moskaus Gnaden vorgeschlagen wird, daß die stärkste Fraktion der Volkskammer den Ministerpräsidenten benennt und daß dann eine Blockregierung gebildet wird, geht es bei uns nicht; denn hier in der Westzone fehlt die notwendige Voraussetzung für dieses System, daß nämlich im Hintergrund dieses Systems eine Gestapo22) oder ein NKWD23) steht. Ohne das geht nämlich die Sache nicht. In einem wirklich demokratischen System, in dem nicht verfassungswidrige oder, sagen wir, außerhalb der Verfassung stehende Kräfte wie diese Polizeimacht in Wirklichkeit die Regierung bestimmen, muß dafür Vorsorge getroffen werden, daß das System auch dann funktioniert, wenn das Parlament nicht in der Lage ist, eine Regierung zu bilden. Dafür müssen die nötigen Bestimmungen vorgesehen werden. Grundsätzlich ist zu sagen: solange das Parlament in der Lage ist, eine Mehrheit zu bilden, die über die Regierungsbildung entscheidet, muß dem Parlament die Möglichkeit gegeben sein, die Regierung zu bilden. Es ist eine Frage der Formulierung, ob die Sache so gemacht wird wie nach der Fassung des Organisations22)

Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) war die 1933 geschaffene politische Polizei in der nationalsozialistischen Diktatur. Sie diente der Verfolgung des politischen Gegners. 23) Zum NKDW vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 55, Anm. 71.

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ausschusses, daß der Bundespräsident den Bundeskanzler dem Bundestag vorzuschlagen hat und daß dann der Bundestag zu entscheiden hat, ob er diesem vorgeschlagenen Mann sein Vertrauen ausspricht, oder ob der Bundespräsident, natürlich nicht ohne Fühlung mit dem Parlament – anders ginge es gar nicht –, ohne weiteres den Kanzler ernennt und dieser Kanzler auf Verlangen des Bundestags jederzeit abberufen werden kann. Das ist neben der Formulierung auch eine Frage der Praxis. Es ist zweckmäßig, daß der Bundespräsident zunächst einmal den Bundeskanzler benennt und dann das Bundesparlament die Möglichkeit hat, jederzeit den Rücktritt des Bundeskanzlers zu verlangen; aber nicht mit jeder Mehrheit. Denn wir haben in der Weimarer Zeit erlebt, daß heterogene Mehrheiten, die nicht in der Lage waren, eine Regierung vorzuschlagen, Mißtrauensvoten abgegeben haben, nach denen der Reichskanzler zurücktreten mußte24). Es war die Möglichkeit gegeben, daß destruktive Mehrheiten, nur in der Absicht, die Regierung zu stürzen, aber nicht imstande, eine neue Regierung zu bilden, eine Krise hervorriefen. Diese Möglichkeit soll ausgeschaltet werden, destruktive Mißtrauensvoten soll es nicht geben. Das war die übereinstimmende Meinung aller Parteien im Organisationsausschuß. Ich glaube, darüber braucht man gar nicht weiter zu reden. Das ist damals mit einer Mehrheit der Ausschußmitglieder aller Fraktionen festgestellt worden, so daß dieser Vorschlag zweifellos auch im Plenum die Mehrheit finden wird. Was soll aber nun geschehen, wenn keine Mehrheit des Parlaments vorhanden ist, die in der Lage ist, eine Regierung vorzuschlagen? Dabei müßte vor allem die Möglichkeit ausgeschaltet werden, daß der Bundespräsident seinen Willen durchzusetzen versucht und gegen den Willen einer konstruktiven Mehrheit, die in der Lage ist, eine Regierung zu benennen, seinen Kandidaten durchdrückt. Das ist im parlamentarischen System unzulässig, und diese Möglichkeit muß ausgeschlossen werden. Im Falle eines solchen Konflikts kann gar kein Zweifel sein, daß derjenige, der nachgeben und nötigenfalls verschwinden muß, nicht der Bundestag, nicht das Parlament ist, sondern der Bundespräsident. Wenn nun aber eine Regierungskoalition zerfällt, wenn also eine Regierung, die zunächst mit einer Mehrheit des Parlaments gebildet war, in sich nicht mehr lebensfähig ist und deswegen zurücktritt und wenn der Bundestag, das Parlament nicht in der Lage ist, eine neue Regierung zu präsentieren, dann muß auch dafür gesorgt sein, daß eine Regierung gebildet werden kann. In diesem Falle muß eine Legalitätsreserve da sein; die Regierungsbildung muß gesichert werden durch die Länderkammer, durch den Bundesrat oder den Senat, je nachdem, wie entschieden werden wird. Dabei bin ich der Auffassung, daß bei dieser Lösung der Bundesrat schon deswegen vorzuziehen ist, weil im Senat die Mehrheitsverhältnisse wahrscheinlich ebenso oder ähnlich sein werden wie in dem gewählten Parlament, in der Volks24)

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Keines der Reichskabinette der Weimarer Republik wurde durch ein Mißtrauensvotum gestürzt. So auch Kroll (CSU) in der 8. Sitzung des kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 30. Sept. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/1, Dok. Nr. 9, S. 264.

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kammer. Infolgedessen würde der Senat nicht in der Lage sein, die Legalitätsreserve zu bilden. Denn wenn schon die gewählte Kammer, die Volkskammer nicht die Mehrheit aufbringt, um eine neue Regierung zu präsentieren, wird eine ungefähr ebenso zusammengesetzte Länderkammer auch nicht einspringen können. Hier kann nur ein Bundesrat oder eine in ähnlicher Weise konstruierte zweite Kammer einspringen. Wenn die Regierung zurücktritt, ohne daß das gewählte Parlament in der Lage ist, eine neue Regierung zu präsentieren, muß die neue Regierung durch die Länderkammer vorgeschlagen und durch den Bundespräsidenten ernannt werden. Auf diese Weise kommt man dazu, daß Krisen vermieden werden, soweit überhaupt Krisen durch Verfassungsbestimmungen ausgeschaltet werden können. Das System wird auf diese Weise stabilisiert. Man wird auf diese Weise auch um häufige Auflösungen herumkommen. In einem Fall allerdings wird eine Auflösung der gewählten Kammer nötig sein, wenn nämlich ein Konflikt zwischen dem Bundestag und dem Bundespräsidenten entsteht, der nur dadurch gelöst werden kann, daß der Bundespräsident entweder zurücktritt oder aber, falls das nicht verlangt wird, verpflichtet ist, seinerseits das Parlament aufzulösen. In diesem Falle gibt es keine andere Möglichkeit mehr als die Auflösung. Nachdem ich meinen ursprünglichen Vorschlag formuliert hatte, habe ich noch die verschiedenen später zu meiner Kenntnis gelangten Vorschläge durchgesehen und bin dadurch zu einem anderen Vorschlag gekommen. Ich ziehe den ersten Vorschlag zurück und schlage unter Berücksichtigung der Gesichtspunkte, die ich vorher vorgetragen habe, eine Lösung vor, die ich dann schriftlich überreichen werde. Danach würde der Art. 87 lauten: Der Bundeskanzler wird durch den Bundespräsidenten ernannt. Der Bundestag kann mit der Hälfte seiner Mitglieder jederzeit verlangen, daß der Bundespräsident den Bundeskanzler abberuft und den vom Bundestag vorgeschlagenen Nachfolger zum Bundeskanzler ernennt. Der Bundespräsident ist verpflichtet, die Ernennung vorzunehmen. Ich habe also noch einmal betont: solange der Bundestag in der Lage ist, eine Regierung vorzuschlagen und zu bilden, muß diesem Vorschlage stattgegeben werden. Den Art. 88 lasse ich hier weg, weil er sich auf die Bundesminister bezieht25). Art. 89 lautet nach meinem Antrag: Kommt der Bundespräsident der Verpflichtung, den Bundeskanzler auf Verlangen des Bundestags (Art. 87) zu entlassen, nicht nach, so kann der Bundestag mit der Hälfte seiner Mitglieder seinen Rücktritt verlangen oder mit Zustimmung des Bundestags seine Absetzung beschließen. Damit wird nur die Möglichkeit eines derartigen Konflikts geregelt; sie wird in der Verfassung vorgesehen.

25)

Statt „weil er sich auf die Bundesminister bezieht“ im stenograph. Wortprot., S. 31: „weil er sich auf die Bildung der Bundesregierung bezieht und nicht auf die Ernennung des Bundespräsidenten“.

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Art. 90 lautet nach meinem Antrag: Ist der Bundestag im Falle des Rücktritts der Bundesregierung nicht imstande, binnen einer Woche mit einfacher Mehrheit seiner Mitgliederzahl einen neuen Bundeskanzler vorzuschlagen, so geht das Vorschlagsrecht auf den Bundesrat über. [S. 31] In diesem Fall hat der Bundespräsident den vom Bundesrat vorgeschlagenen Bundeskanzler zu ernennen. Dabei bitte ich noch zu berücksichtigen, daß hiermit die Worte „Vertrauensvotum“ und „Mißtrauensvotum“ wegfallen. Es genügt vollständig, daß der Bundestag in der Lage ist, jederzeit die Abberufung eines ihm nicht genehmen Bundeskanzlers mit konstruktiver Mehrheit zu verlangen. Ein Vertrauensvotum, das bei der Ernennung einer Regierung gewährt wird, ist ein Vertrauensvotum auf Vorschuß und hat eigentlich gar keinen Sinn. Es genügt, daß das Mißtrauen durch den Antrag auf Abberufung zum Ausdruck gebracht werden kann, ohne daß man von einem Mißtrauensvotum spricht. Ich erlaube mir, den Vorschlag einzureichen. Ich glaube, daß den Gesichtspunkten, die ich eingangs vorgetragen habe, damit am besten Rechnung getragen wird, indem einerseits der Bundestag in der Lage ist, jederzeit eine neue Regierung zu bestimmen, solange sich eine Mehrheit bildet, die eine Regierung vorschlagen kann, indem andererseits dafür gesorgt wird, daß Krisen und allzu häufige Wahlen vermieden werden und damit das System stabil bleibt. Dr. Menzel (SPD): Mir persönlich erscheint der Ausgangspunkt des Art. 87 in der Fassung des Redaktionsausschusses doch sehr beachtlich; denn er berücksichtigt, daß der Bundestag das souveräne Organ ist, das heißt, daß er für die Bildung der Regierung verantwortlich sein muß. Wir haben das System, von dem der Organisationsausschuß ausgeht, zum Teil in Art. 53 der Weimarer Verfassung26) gehabt, und ich glaube nicht, daß die Erfahrungen, die wir damals gesammelt haben, zu einer Wiederholung ermutigen. Erst wenn der Bundestag versagt, sollten wir uns auf die pouvoir neutre des Bundespräsidenten zurückziehen, und wenn auch er nach den Modalitäten, die der Organisationsausschuß vorgesehen hat, nicht weiterkommt, sollte man als letzte Zuflucht meines Erachtens die Länderkammer, also den Bundesrat wählen. Ich glaube daher, es sollte durchaus möglich sein, den Art. 87 Abs. 1 des Redaktionsausschusses, der davon ausgeht, daß der Bundestag ohne Aussprache den Bundeskanzler wählt, der dann vom Bundespräsidenten ernannt wird, anzunehmen und dann in Abs. 2 zu sagen: Falls der Bundestag binnen einer Frist von vierzehn Tagen diese Aufgabe nicht erfüllt hat, setzen automatisch die Befugnisse des Bundespräsidenten ein, von sich aus Vorschläge zu machen. Zusammengefaßt würde das dann lauten: (1) Der Bundeskanzler wird vom Bundestag ohne Aussprache mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder gewählt und vom Bundespräsidenten ernannt. (2) Kommt binnen vierzehn Tagen seit Beendigung des Amtes des bisherigen Bundeskanzlers eine solche Wahl nicht zustande, so benennt der Bundespräsident dem Bundestag den Bundeskanzler. Der Bundestag hat 26)

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Vgl. Art. 53 Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. Aug. 1919: „Der Reichskanzler und auf seinen Vorschlag die Reichsminister werden vom Reichspräsidenten ernannt und entlassen.“

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– und nun geht es so weiter, wie es in Art. 87 Abs. 1 des Organisationsausschusses heißt – innerhalb von zehn Tagen mit mehr als der Hälfte der Stimmen der gesetzlichen Mitgliederzahl zu entscheiden, ob er dem Benannten sein Vertrauen ausspricht. Ich glaube, daß wir dann eine richtige Koppelung der drei Organe haben; denn bei dem bisherigen Vorschlag des Organisationsausschusses ist der Bundestag nicht richtig seinem Schwergewicht entsprechend berücksichtigt worden. Renner (KPD): Herr Dr. Löwenthal hat mit dem scharfen, kritischen Auge, das ihm erst seit einigen Wochen aufgegangen ist, wieder einmal eine Verbindung zwischen meinem Vorschlag und Moskau gefunden. Nach der Methode, die ich hier vorgeschlagen habe – die stärkste Fraktion der Volkskammer benennt den Ministerpräsidenten, der die Regierung unter Hinzuziehung aller Fraktionen im Verhältnis der Fraktionsstärke bildet –, haben wir in Nordrhein-Westfalen unser Ministerium gebildet. Ich kann mir nicht gut vorstellen, daß Herr Dr. Löwenthal Herrn Dr. Konrad Adenauer unterstellt, daß er auch von Moskau ferngelenkt wird. Ich glaube nicht, daß man das von Dr. Adenauer behaupten kann. Aber, Herr Dr. Löwenthal, Sie sind doch hier, um konstruktive Politik zu machen und mitzuarbeiten. Halten Sie es wirklich für angebracht, daß Sie noch länger in diesem Ton bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit aus Ihrer Verärgerung heraus diese Art von Attacken reiten. Sie haben sich doch, Herr Dr. Löwenthal, auch einmal in Moskaus Gnaden jahrelang gesonnt und haben drüben ganz gut gelebt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Renner, das gehört nicht zur Sache. Renner (KPD): Sie kamen nach Berlin und haben dann unseren alten Genossen Pieck in der Lothringer Straße mit dem Bruderkuß abgeküßt. Daß das ein Judaskuß war, ist später herausgekommen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Renner, ich rufe Sie zur Ordnung. Renner (KPD): Wenn Sie mich gegen diesen Angriff nicht in Schutz nehmen, dann muß ich mir den Schutz selber holen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Renner, Herr Dr. Löwenthal hat Sie nicht angegriffen, sondern hat lediglich erklärt, weshalb das von Ihnen vorgeschlagene System der Blockpolitik in gewissen Ländern funktionieren kann, nämlich deshalb, weil dort eine politische Polizei dahintersteht. Renner (KPD): Ich möchte nur abschließend eines sagen: die Augen sind ihm erst ganz kürzlich aufgegangen. Ich kann nichts dazu, daß er drüben in der Ostzone nicht Minister geworden ist und daß er das Auto nicht bekommen hat. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Renner, ich rufe Sie zum zweiten Mal zur Ordnung. Renner (KPD): Darf ich den Brief im Original zeigen, den Ihr Sohn geschrieben hat, in dem er festgestellt hat, es sei eine Schande, daß Sie noch immer kein Auto haben und noch immer nicht Minister sind. Dr. Löwenthal (SPD): Das gehört doch nicht hierher. Dr. Dehler (FDP): Herr Dr. Menzel hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es das vornehmste Recht und die Pflicht des Parlaments ist, die Regierung zu bilden. Der Vorschlag des Organisationsausschusses beschränkt dieses Recht, denn er bindet das Parlament zunächst an die Benennungen des Bundespräsidenten. Wenn der

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Bundestag diese Vorschläge nicht akzeptiert, hat er während einer kurzen Frist das Recht der Wahl aus sich heraus; wenn er nicht zu Rande kommt, soll er sein Recht wieder verlieren. Es ist die richtigere Lösung: Wenn sich nicht die notwendige Mehrheit für eine Regierung findet, soll die relative Mehrheit als Zwischenstadium ausreichend sein. Nun sagt Herr Kollege Katz: Das ist eine Minderheitsregierung. Man soll sich nicht von dieser Vorstellung schrecken lassen. Warum soll eine Minderheitsregierung, die von Fall zu Fall genötigt ist, sich Mehrheiten zu suchen, nicht funktionsfähig sein? Auf jeden Fall ist das, was der Organisationsausschuß an die Stelle der Minderheitsregierungen stellen will, viel schlimmer. Er will den Bundesrat einschalten und eine Regierung mit Zustimmung des Bundesrats durch den Bundespräsidenten ernennen lassen. Das Parlament hat dann überhaupt nicht mehr seine Hand im Spiel, sondern der Bundesrat, der die Länderexekutive darstellt, soll bei der Regierungsbildung maßgebend sein. Das erscheint an sich schwer möglich, ist ein Stilbruch und auf jeden Fall schlimmer, als wenn eine Minderheit des Parlaments eine Regierung stellt. Ich glaube, der Vorschlag des Redaktionsausschusses ist gut abgewogen. Sie werden aber in diesem Gremium jetzt kaum eine Entscheidung treffen können und besonders den Vorschlag Löwenthal hier nicht prüfen können. [S. 32] Dr. Lehr (CDU): Wir haben hier die Fassung des Organisationsausschusses, des Unterausschusses des Organisationsausschusses und des Allgemeinen Redaktionsausschusses. Wir haben dann die hier gestellten Anträge, so daß wir jetzt sechs verschiedene Fassungen haben. Ich glaube, wir sind nicht in der Lage, im Augenblick hierüber abzustimmen. Ich beantrage die Zurückverweisung an den Organisationsausschuß. Dr. Katz (SPD): Ich glaube, es bedarf nicht der Zurückverweisung an den Organisationsausschuß. Bis morgen werden die Fraktionen sich darüber wohl klar sein können, für welche Fassung sie stimmen wollen. Wir haben das Problem schon oft beraten. Es würde also genügen, wenn wir den Art. 87 heute absetzen und morgen weiterberaten. Dr. Lehr (CDU): Wir würden uns das bis morgen vorbehalten. Wir wollen versuchen, in den Fraktionen die Sache zu klären. Kommt es zur Klärung, können wir morgen beschließen. Kommt es nicht dazu, müssen wir das noch einmal an den Organisationsausschuß verweisen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Ausschuß ist damit einverstanden, daß die Beratung des Art. 87 heute abgesetzt und dieser Artikel morgen aufgerufen wird. Die Abstimmung wird ausgesetzt.27)

[1.5. ART. 89: ERNENNUNG DES BUNDESMINISTERS]

Art. 89 (1) Der Bundespräsident ernennt und entläßt die Bundesminister auf Vorschlag des Bundeskanzlers.

27)

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Vgl. dazu unten Dok. Nr. 4, TOP 3.1, S. 105–108.

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(2) Die Bundesminister bedürfen zum Antritt ihres Amtes des Vertrauens des Bundestags. (3) Der Bundeskanzler kann dem Bundespräsidenten die Entlassung eines Bundesministers auch ohne dessen Antrag vorschlagen. Renner (KPD): Ich halte den Abs. 3 für völlig unmöglich. Wenn man schon konzedieren will, daß der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers Bundesminister ernennt, wenn man also da den Bundestag schon nicht einschalten will, dann ist es doch untragbar, daß der Bundeskanzler das Recht haben soll, auch ohne den Willen des zuständigen Ministers und ohne vorherige Befragung des Bundestags einen Minister auszuschiffen. Dann ist doch der Minister nicht mehr nur Ressortminister, dann ist er doch der direkte Untergebene des Bundeskanzlers, sein junger Mann. Der Bundeskanzler holt ihn, wählt ihn aus, und der Bundespräsident bestätigt ihn. Wenn der Bundeskanzler ihn loswerden will, genügt ein Antrag des Bundeskanzlers beim Bundespräsidenten, und der Minister ist draußen, ohne daß der Bundestag auch nur gehört zu werden braucht. Ist denn das noch Demokratie? Das kann man mal im Landtag Nordrhein-Westfalen machen, wenn es gegen Kommunisten geht28), aber das soll doch nicht der demokratische Regelfall werden. Wenn Sie der Meinung sind, daß die Minister nur die jungen Männer des Bundeskanzlers sind, dann in der Linie los, dann haben Sie völlig recht. Schönfelder (SPD): In Abs. 2 heißt es: „Die Bundesminister bedürfen zum Antritt ihres Amtes des Vertrauens des Bundestags.“ Ich bin der Meinung, daß auch zur Führung ihrer Geschäfte dauernd das Vertrauen des Bundestags vorhanden sein muß. Ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß ein Minister im Laufe seiner Tätigkeit eine Art der Geschäftsführung übt, die geeignet ist, ihm das Vertrauen des Bundestags zu entziehen. Für diesen Fall muß es heißen: Die Bundesminister bedürfen zur Führung ihres Amtes des Vertrauens des Bundestags. Dr. Katz (SPD): Die Frage, die der Abgeordnete Schönfelder anschneidet, ist im Organisationsausschuß eingehend beraten worden. Dieser Art. 89 steht nicht für sich allein, sondern muß in der Gesamtheit gesehen werden, insbesondere im Zusammenhang mit dem sogenannten konstruktiven Mißtrauensvotum. Das konstruktive Mißtrauensvotum sieht vor, daß einem Kanzler das Mißtrauen nur ausgesprochen werden kann, wenn gleichzeitig ein Nachfolger benannt wird. Dieses System haben wir nicht für die einzelnen Minister eingeführt, so daß es technisch und theoretisch möglich wäre, daß eine destruktive Mehrheit, die sich aus den Extremen von rechts und links zusammensetzt, zwar nicht den Kanzler beseitigt, aber sämtliche Minister beseitigt und dadurch eine ordnungsgemäße Regierungsführung unmöglich macht. Darum haben wir das Vertrauen nur für den Beginn der Amtsperiode eines einzelnen Ministers festgesetzt, nicht aber ihn an ein dauerndes Vertrauensvotum gebunden. Dr. Dehler (FDP): Der Redaktionsausschuß hält die Absätze 2 und 3 für überflüssig. Wir sind der Meinung, daß der Bundeskanzler sich die Leute seines Vertrauens holt. Der Bundeskanzler allein ist ja dem Bundestag verantwortlich. 28)

Am 7. Febr. 1948 wurden vom Nordrhein-Westfälischen MinPräs. Karl Arnold (CDU) die beiden Kommunisten Hugo Paul (Minister für Wiederaufbau) und Heinz Renner (Verkehrsminister) ihrer Ämter als Minister enthoben. Vgl. Kabinettsprotokolle von Nordrhein-Westfalen, Dok. Nr. 183, S. 466.

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(Zuruf: Nein!) Es ist seine Sache, sich seine Mitarbeiter zu holen. Es ist auch seine Sache, einen Bundesminister wegzuschicken, wenn er einen besseren findet. Ein Bundeskanzler, ein Premier, soll ein „Schlächter“ sein. Er soll jederzeit einen guten Minister durch einen besseren ersetzen können. Abs. 3 ist in Wirklichkeit schon in Abs. 1 enthalten. Wenn der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers den Minister entlassen kann, braucht das nicht mehr in Abs. 3 stipuliert zu werden. Es ist selbstverständlich, daß es auch ohne den Antrag des Bundesministers geschehen kann. Dr. Katz (SPD): Auch über diese Frage ist im Organisationsausschuß sehr eingehend debattiert worden. Wir haben die Absätze 2 und 3 bewußt hineingesetzt, um zu verhindern, daß aus der Krise eines einzelnen Ministers unbedingt eine Gesamtregierungskrise werden muß. Wenn also der Bundeskanzler einen Minister vorschlagen sollte, der der Mehrheit des Hauses nicht gefällt, so müßte das automatisch zu einem Mißtrauensvotum gegen den Kanzler führen. Um das auszuschließen, haben wir den Abs. 2 hineingenommen. Renner (KPD): In der Nazizeit gab es in Deutschland einen Witz, der hieß: Der Führer ernennt die Minister und erschießt sie auch. Heute hören wir, daß der Bundeskanzler nach Auffassung des Herrn Dr. Dehler so etwas wie ein Ersatz-Führer sein soll, der starke Mann, der Schlächter. Aber das Problem geht etwas tiefer, und man soll sich über jede Unterstützung freuen. Ihre Auffassung, Herr Schönfelder, ist nämlich eine Unterstützung der meinigen. Ist der Bundeskanzler tatsächlich der starke Mann, der Führer, und sind seine Minister nur die jungen Leute, die er wechseln kann, wie man den Handschuh wechselt, oder sind die Minister dem Bundestag beziehungsweise den vom Bundestag einzusetzenden Ausschüssen verantwortlich, die die einzelnen Ressorts der Regierung zu kontrollieren haben? Daß das richtig und demokratisch ist, geht aus einer Klage gewisser Herren der CDU in unserem Landtag hervor, die zu mir gekommen sind und mich bewegen wollten, in meiner Eigenschaft als Vorsitzender eines Ausschusses29) einen Protest gegen die Regierung mitzumachen, der darauf hinausläuft, der Regierung abzugewöhnen, zu regieren, ohne die Ausschüsse zu hören und zu berufen. Das ist die Praxis des Parlaments bei uns. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Renner, Sie sprechen nicht zur Sache. Man spricht hier nicht über Vorgänge im Landtag Nordrhein-Westfalen, sondern zu Art. 89 der Vorlage. Renner (KPD): Man spricht über Methoden, unter Ausschaltung des Parlaments zu regieren, und ich zeige die Gefahren auf, die sich bei uns im Lande nach 1945 bereits kundgetan haben. Wenn Sie die Minister tatsächlich zu kleinen Angestellten machen wollen, wenn Sie den Einfluß des Parlaments so weitgehend ausschalten wollen, wie Sie das offensichtlich beabsichtigen, dann machen Sie ruhig so weiter, aber dann reden Sie nicht von der Souveränität des Bundestags. [S. 33] 29)

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Renner war vom 14. Juni 1948 bis 29. Sept. 1949 Vorsitzender des Arbeitsausschusses des Nordrhein-Westfälischen Landtags. Vgl. 50 Jahre Landtag Nordrhein-Westfalen. Das Land und seine Abgeordneten (= Schriften des Landtags Nordrhein-Westfalen Bd. 9), Rheinbreitbach 1996, S. 434.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Werden zu Art. 89 Abänderungsanträge gestellt? Renner (KPD): Ich stelle den Antrag, Art. 89 in seiner Gesamtheit zu streichen. Ich erkenne auch dem Bundespräsidenten nicht das Recht zu. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist zweifellos der weitestgehende Abänderungsantrag. Ich lasse über den Antrag auf Streichung des Art. 89 abstimmen. – Der Antrag ist mit allen Stimmen gegen die Stimme des Antragstellers abgelehnt. Dr. Dehler (FDP): Ich stelle den Antrag des Redaktionsausschusses, die Absätze 2 und 3 zu streichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag auf Streichung der beiden Absätze 2 und 3 abstimmen. – Der Antrag ist mit allen gegen 2 Stimmen abgelehnt. Dann ist von dem Abgeordneten Schönfelder der Antrag gestellt, den Abs. 2 wie folgt zu fassen: „Die Bundesminister bedürfen zur Führung ihres Amtes des Vertrauens des Bundestags.“ Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. Der Antrag ist mit 14 gegen 5 Stimmen abgelehnt. Dr. Seebohm (DP): Ich stelle den Antrag, den Abs, 3 des Art. 89 zu streichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag auf Streichung des Abs. 3 abstimmen. – Der Antrag auf Streichung des Abs. 3 ist mit überwiegender Mehrheit gegen 3 Stimmen abgelehnt.

[1.6. ART. 90: KONSTRUKTIVES MISSTRAUENSVOTUM]

Damit ist Art. 89 in der Fassung des Organisationsausschusses angenommen. Art. 90 (1) Der Bundestag kann dem Bundeskanzler nur dadurch das Mißtrauen aussprechen, daß er den Bundespräsidenten unter Benennung eines Nachfolgers ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen. Das Ersuchen bindet den Bundespräsidenten. (2) Zwischen dem Antrag und der Abstimmung müssen 48 Stunden liegen. Der Beschluß bedarf der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags. Hier liegt ein Abänderungsantrag Walter vor: (1) Die Bundesregierung bedarf zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Bundestags. (2) Der Bundestag kann der Bundesregierung mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder das Vertrauen entziehen. Die Abstimmung über einen solchen Antrag daß frühestens am dritten Tage nach dem Tage stattfinden, an dem der Antrag eingebracht worden ist. (3) Die Bundesregierung bleibt im Amt, wenn der Bundestag nicht innerhalb einer Frist von drei Wochen einer neuen Bundesregierung das Vertrauen ausspricht. Dr. von Mangoldt (CDU): Der Art. 90 ist nach den Ausführungen, die wir von den Herrenchiemseer Sachverständigen gehört haben, eine sogenannte konstruktive Neuerung; er soll eine Patentlösung sein. Ich möchte doch in Frage stellen, ob hier tatsächlich eine solche Patentlösung vorliegt. Mir scheint, daß die Konstruktion, die hier gefunden worden ist, nicht eine konstruktive Neuerung, sondern eine

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Konstruktion ist, die die Verfassungswirklichkeit etwas verschleiert. Ist es denn tatsächlich so, daß, wenn ein Bundeskanzler das Vertrauen der Mehrheit des Bundestags nicht mehr genießt, das so völlig verborgen bleibt und nichts geschieht, was die vertrauensvolle Zusammenarbeit von Kanzler und Parlament stören könnte? Es sieht hiernach so aus, als ob der Bundestag dann in Ruhe weiter arbeitet und in keiner Weise durch diese Verhältnisse gestört wird. Wie ist aber Verfassungswirklichkeit? In der Verfassungswirklichkeit wird in einem solchen Falle, in dem das Vertrauen gegen einen Bundeskanzler zu schwinden beginnt, hinter dem Rücken des Bundeskanzlers agitiert werden. Hinter dem Rücken des Bundeskanzlers wird vielleicht mit einem der Minister aus seinem Kabinett verhandelt werden. Das Parlament wird, wenn die Strömungen stark genug geworden sind, nicht mehr arbeitsfähig sein. So wird die Verfassungswirklichkeit aussehen, und der Bundeskanzler wird nicht einmal eine Handhabe haben, dagegen vorzugehen. Es wird ihm, wenn er diese Agitation nicht dulden will, erklärt werden, die Verfassung verbiete es ja, irgendwie nach außen mit einem Vorschlag auf ein Mißtrauen gegenüber dem Bundeskanzler hervorzutreten, ehe man sich auf eine neue Regierung oder auf einen neuen Bundeskanzler geeinigt habe. Die Voraussetzungen, von denen diese sogenannte konstruktive Neuerung ausgeht, sind also in der Verfassungswirklichkeit in keiner Weise vorhanden. In der Verfassungswirklichkeit würden bei einer solchen Lösung der Frage sehr unangenehme Verhältnisse eintreten. Aus diesen Gründen ist der Vorschlag Walter gemacht worden. Es soll damit auf ein System zurückgegriffen werden, das sich in Württemberg-Baden30) bewährt hat. Man wird diesem System vielleicht entgegenhalten: Es ist doch unmöglich, daß eine Regierung, die ein Mißtrauensvotum erhalten hat, weiterregiert. Wenn Sie daran denken, daß eine solche Regierung das Mißtrauensvotum vielleicht durch Gruppen erhalten kann, die sich nur im Negativen einig sind, dann wird dieses Mißtrauensvotum sicher keine dauernde Arbeitsunfähigkeit der Regierung zur Folge haben. Man wird sogar damit rechnen können, daß, wenn es nicht gelingt, einen neuen Bundeskanzler an Stelle des alten zu stellen, die Mehrheit, die ihm das Vertrauen versagte, allmählich absplittert; denn sie hat sich ja praktisch vor der Öffentlichkeit blamiert. Das Vertrauen des Kabinetts wird also eher wachsen als schwinden. Nun wirft der Vorschlag, wie er hier gemacht worden ist, nach einer anderen Richtung natürlich eine Reihe von Fragen auf, die ich aber zunächst zurückstellen möchte, um den Kern des Vorschlages genügend zur Wirkung kommen zu lassen. Dr. Katz (SPD): Es ist richtig, daß Art. 90 nicht eine Patentlösung für alle zukünftigen möglichen Regierungskrisen darstellt; aber er stellt doch gegenüber dem frühe-

30)

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Art. 73 Verfassung für Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1946: „Die Regierung bedarf zu Ihrer Amtsführung des Vertrauens des Landtags. Entzieht ihr der Landtag mit mehr als die Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder sein Vertrauen, so muß sie ihren Rücktritt erklären. Der Rücktritt wird erst rechtswirksam, wenn der Landtag einer neuen Regierung das Vertrauen schenkt. Der Ministerpräsident, die Regierung und die Minister können jederzeit ihren Rücktritt erklären. Im Falle des Rücktritts sind die Geschäfte bis zur Neubildung einer Regierung oder bis zur Neuernennung des Ministers weiterzuführen.“ Wegener: Verfassungen, S. 112.

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ren System in der Weimarer Zeit31) einen erheblichen Fortschritt dar. Irgendwelche Vorschläge, wie man die sonstigen Krisenerscheinungen beseitigen könnte, hat Herr von Mangoldt auch nicht gemacht. Ich muß sagen, daß der Antrag Walter noch schlechter ist als die Lösung des Art. 90, wie er bisher vom Organisationsausschuß vorgeschlagen worden ist. Faktisch ist die Situation im großen und ganzen die gleiche. Der Unterschied zwischen der Fassung des Organisationsausschusses und der des Antrags Walter ist nur der, daß in diesem Falle einer Regierung tatsächlich das Mißtrauen ausgesprochen worden ist und daß sie dann, wenn innerhalb drei Wochen keine neue Regierung zustande kommt, als eine Regierung im Amt bleibt, die durch ein offizielles Mißtrauensvotum belastet ist, während im Falle des Art. 90, wie ihn der Organisationsausschuß vorschlägt, eine derartige offizielle Belastung nicht vorliegt, weil ein solches Mißtrauensvotum überhaupt nicht zustande gekommen ist. Sachlich sind beide Vorschläge nicht so weit auseinander, aber der Vorschlag des Organisationsausschusses ist praktischer und besser. Deshalb bitte ich, den Antrag Walter abzulehnen und es bei der Fassung des Organisationsausschusses zu belassen. Dr. Dehler (FDP): Der Vorschlag des Art. 90 löst eine Krisis nicht. Man muß sich vorstellen: eine Regierung ist in der Minderheit. Es wird ein Mißtrauensvotum eingebracht oder kann eingebracht werden, aber es findet sich keine Mehrheit, die in der Lage ist, eine Regierung zu bilden. Wenn diese Situation bleibt, besteht eine Dauerkrise. Sie muß einmal zu Ende kommen. Das scheint mir der Mangel des Art. 90 zu sein. Insoweit gebe ich Herrn von Mangoldt recht, daß diese Krise nicht gelöst ist. Aber sie muß gelöst werden. Der Redaktionsausschuß sagt es Ihnen, weil er sich anscheinend doch mehr Gedanken macht, als Sie annehmen. Wir haben vorgeschlagen, in Art. 90 den [S. 34] Grundgedanken herauszustellen: „Der Bundestag kann jederzeit mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen anderen Bundeskanzler wählen.“ Das ist klar. Wenn er eine Mehrheit bildet, stürzt der bisherige Bundeskanzler. Ist eine obstruktive Mehrheit gegen die Regierung vorhanden, ist sie aber nicht in der Lage, einen Bundeskanzler zu wählen, dann muß aufgelöst werden. Eine andere Lösung gibt es nicht. (Dr. Katz [SPD]: Ist das eine Lösung?) – Das ist eine Lösung, es ist die Lösung einer parlamentarischen Krise. Wenn ein Parlament dauernd versagt, muß es durch ein besseres Parlament ersetzt werden. Das muß nicht die automatische Folge sein. Deswegen unser Vorschlag, daß notfalls auch die Regierung die Lösung herbeiführen kann. Es ist durchaus denkbar, daß ein Parlament an seinen Sesseln klebt und gar nicht daran denkt, ein Mißtrauensvotum auszusprechen. Dann muß der Bundeskanzler die Möglichkeit haben, die Klärung herbeizuführen, ein Vertrauensvotum zu verlangen und, wenn es ihm verweigert wird, die Neuwahl herbeizuführen. Der Redaktionsausschuß hat vorgeschlagen, einen Art. 90a einzufügen: (1) Spricht der Bundestag dem Bundeskanzler mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder ohne Neuwahl eines anderen Bundeskanzlers das Mißtrauen aus oder findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung von mehr als der Hälfte der Mitglieder des Bundestags, 31)

Vgl. Art. 54 der Verfassung des Deutschen Reiches; oben S. 67 f., Anm. 13.

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so kann der Bundespräsident binnen 21 Tagen den Bundestag auflösen. Das Recht zur Auflösung erlischt, sobald der Bundestag mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen anderen Bundeskanzler wählt. (2) Zwischen dem Antrag und der Abstimmung müssen 48 Stunden liegen. Ich glaube, um diese Konsequenz kommen wir nicht herum. Wenn ein Parlament, wenn ein Bundestag arbeitsunfähig ist wenn er zwar in der Lage ist, Opposition zu treiben, ein Mißtrauensvotum auszusprechen, wenn er aber nicht in der Lage ist, eine Regierung zu stellen und fruchtbar zu arbeiten –, dann muß die Regierung oder der Bundespräsident die Waffe der Auflösung haben. Walter (CDU): Ich verkenne nicht die Schwäche meines Antrages. Ich glaube jedoch, daß das gegenüber der Fassung von Herrenchiemsee ein Fortschritt ist. Der Herr Kollege Katz hat darauf hingewiesen, daß eine Regierung, die ein Mißtrauensvotum erhalten hat, in ihrer Aktionsfähigkeit beschränkt ist. Das ist an sich richtig. Jedoch glaube ich, daß der Unterschied gegenüber der Fassung von Herrenchiemsee nicht besonders groß ist. Hier ist es möglich, daß gegen eine im Amt befindliche Regierung, insbesondere gegen den Bundeskanzler, wochen-, vielleicht monatelang intrigiert wird. Damit ist seine Stellung als Bundeskanzler mindestens so erschüttert, als wenn er gelegentlich ein Mißtrauensvotum bekommt, ohne daß eine neue Regierung zustande kommt. Die Schwäche des Herrenchiemseer Entwurfs ist die folgende. Danach bekommen Sie zunächst nur einen Bundeskanzler. Ich bin mir wohl bewußt, daß, bevor diese Wahl stattfindet, selbstverständlich Verhandlungen mit den Parteien und einzelnen Persönlichkeiten über die Bildung der neuen Regierung stattfinden. Aber es kann tatsächlich auch anders liegen, daß eine Mehrheit – besonders wenn die Flügelparteien die Mehrheit zusammenbekommen –, einen ihr verhaßten Bundeskanzler zunächst stürzt und eine Person vorschlägt, der es nicht gelingt, eine Regierung zu bilden. Mit dem Herrenchiemseer Entwurf haben Sie einen Kanzler, aber noch keine Regierung. Ich gebe zu, das ist ein Sonderfall; aber er ist zu erwägen. Im Falle meines Antrages haben Sie eine komplette Regierung und höchstens drei Wochen lang eine geschäftsführende Regierung. Das ist meiner Ansicht nach tragbar. Wenn sie nicht durch eine neue Regierung abgelöst wird, ist sie in ihrer Autorität wieder gestärkt und kann ihr Amt nach wie vor weiterführen. Dr. Greve (SPD): Die Formulierung des Art. 90 ist meines Erachtens eine mehr oder weniger brauchbare verfassungsrechtliche Konstruktion; es wird aber sehr schwer sein, die politische Realität mit dieser Vorschrift in Übereinstimmung zu bringen. Ich stimme mit dem, was Herr von Mangoldt und Herr Dr. Dehler gesagt haben, durchaus überein. Wenn sich in einem Parlament auf Grund politischer Verhältnisse eine Stimmung gegen die bisherige Regierung breitmacht, dann ist noch nicht gesagt, daß die Lösung einer solchen Krise überhaupt nach den Bestimmungen des Art. 90 erfolgen kann. Um das zur Perfektion zu bringen, was in Art. 90 niedergelegt ist, ist es notwendig, ohne daß es bisher überhaupt zu einem Mißtrauensvotum gegen den Kanzler oder gegen die Regierung gekommen ist, einen neuen Kanzler zu finden. Ich glaube, es wird sehr schwer sein, die politischen Momente dabei zu berücksichtigen, wenn man den Weg des Art. 90 geht. Ich glaube nicht, daß sich ein Mitglied des noch im Amt befindlichen Kabinetts bereit finden wird, vor allen Dingen auch auf Grund des Zusammengehörigkeitsgefühls des Kanzlers

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mit den Ministern, sich als neuen Kanzler gegenüber dem noch im Amt befindlichen Kanzler präsentieren zu lassen, um zugleich mit der Benennung als neuer Kanzler das Mißtrauensvotum überhaupt erst Wirklichkeit werden zu lassen. Das würde in jedem Falle bedeuten, daß in der Praxis ein Mitglied des bisherigen Kabinetts niemals Nachfolger des bisherigen Kanzlers werden kann. Ich kann mir das sehr schwer vorstellen. Ich bitte doch zu bedenken, ob es nicht richtiger ist, den Weg zu gehen, den der Redaktionsausschuß uns vorgeschlagen hat. Diese Vorschläge für die Art. 90 und 90a haben meines Erachtens den Vorzug der Klarheit und Einfachheit auch gegenüber dem Antrag Walter. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es entspricht wohl der Geschäftsordnung, wenn ich zuerst den Antrag Walter zur Abstimmung stelle. Walter (CDU): Ich hätte an sich auch nichts gegen die Fassung des Redaktionsausschusses. Aber wir kommen damit wieder in die Verhältnisse hinein, wie sie unter der Weimarer Verfassung gewesen sind, daß Auflösungen des Parlaments am laufenden Band möglich sind. Ich bitte, das besonders zu bedenken. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich schlage vor, die Abstimmung über Art. 90 und 90a auszusetzen, weil das ein ganz neuer Gesichtspunkt ist, den wir erst in der Fraktion besprechen müssen. Ich beantrage, die Abstimmung erst morgen vorzunehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es scheint allgemeines Einverständnis darüber zu bestehen, daß die Abstimmung über Art. 90 bis morgen ausgesetzt wird.

[1.7. ART. 91: VERTRETUNG DES BUNDESKANZLERS]

Art. 91 (1) Der Bundeskanzler ernennt einen Bundesminister zu seinem Stellvertreter. (2) Im Falle des Todes des Bundeskanzlers übernimmt der Stellvertreter vorläufig die Geschäfte des Amtes. Das gleiche gilt, wenn der Bundeskanzler zurücktritt und der Bundespräsident davon absieht, ihn um die Weiterführung der Geschäfte zu ersuchen. Dr. Strauß (CDU): Ich beantrage, Art. 91 zu streichen. Der Artikel enthält in seiner gegenwärtigen Fassung eine Muß-Vorschrift, sieht also die ständige Einrichtung eines Stellvertreters des Bundeskanzlers vor. Ich halte eine solche Vorschrift nicht für erforderlich. Ich glaube, man sollte die Dinge der Entwicklung überlassen. Vertritt man den Standpunkt, daß es zweckmäßig ist, um der Arbeitsfähigkeit eines Kabinetts willen es klein zu halten, auch wenn es ein Koalitionskabinett ist, so wird die Zahl der Bundesminister künftig keine übermäßig große sein. Auch die Zahl der Reichsminister in der Weimarer Republik war im Gegensatz zu anderen demokratischen Ländern verhältnismäßig gering32). Man hat auch nicht immer

32)

Die Zahl der Reichsminister variierte in der Weimarer Republik zwischen 14 bis 16 Personen.

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einen Vizekanzler gehabt33), sondern man hat ihn [S. 35] eigentlich nur aus koalitionspolitischen Gründen zeitweise für notwendig gehalten. Ich glaube, man sollte, wie es in der Weimarer Zeit war, die Regelung der Stellvertretung des Bundeskanzlers der Geschäftsordnung der Bundesregierung vorbehalten. Die Geschäftsordnung der Reichsregierung war auf Grund der Reichsverfassung vom Reichskabinett beschlossen und vom Reichspräsidenten genehmigt worden34). Man sollte eine derartige Genehmigungsmöglichkeit des Bundespräsidenten hier einfügen, im übrigen davon absehen und diese Dinge – das gilt ebenso für Abs. 2, der auch keine Parallele in der Weimarer Verfassung hat – der Geschäftsordnung überlassen und nicht einen Zwang ausüben, einen Vizekanzler zu ernennen, der praktisch nicht oder jedenfalls nicht immer erforderlich ist. Dr. Katz (SPD): Ich bitte, den Antrag Dr. Strauß abzulehnen. Es ist doch zweckmäßig, einen Stellvertreter des Bundeskanzlers zu haben. Die Ansicht, daß dadurch ein überflüssiges Amt geschaffen würde, ist offenbar nicht zutreffend. Denn es steht in dem Artikel: „Der Bundeskanzler ernennt einen Bundesminister zu seinem Stellvertreter“, das heißt, es ist der Inhaber eines Portefeuilles. Eine Sonderbelastung mit einem zusätzlichen Minister findet also dadurch nicht statt. Im großen und ganzen ist es für den Fall des Wegfalls des Kanzlers praktisch, daß ein Mann sofort parat ist, der die Geschäfte übernimmt, anstatt daß es längerer Verhandlungen für die Zwischenzeit bedarf. Es ist also wohl praktisch, den Artikel drinzulassen. Dr. von Brentano (CDU): Ich möchte den Kollegen Dr. Strauß bitten, sich seinen Antrag noch einmal zu überlegen. Ich bin auch der Meinung, wenn wir die Stellvertretung nicht in der Verfassung regeln, sondern nur in der Geschäftsordnung, so hat die Geschäftsordnung nur eine Wirkung nach innen. Wenn die Institution nicht geschaffen ist, dann ist, verfassungsrechtlich gesehen, eine Festlegung nicht zulässig. Sie scheint mir unter allen Umständen notwendig und zweckmäßig zu sein. Ich glaube daher, wir sollten darauf bestehen. Ich bitte nur, rein redaktionell die Fassung des Redaktionsausschusses zu vergleichen. In Abs. 2 Satz 1 haben wir die Worte „des Amtes“ gestrichen, weil es überflüssig zu sein scheint. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß er die Geschäfte des Kanzlers, die Geschäfte dieses Amtes übernimmt. Dr. Laforet (CSU): Ich sehe in Art. 91 zunächst eine klare Aussprache, daß es keinen Vizekanzler gibt. Zweitens bitte ich, zu erwägen, ob man hier eine verfassungsrechtliche Lücke bestehen lassen kann. Wenn in der Verfassung selbst nichts bestimmt wird, so ist die Stellvertretung des Bundeskanzlers nicht geregelt, und es ist bereits vom Herrn Kollegen von Brentano darauf hingewiesen worden, daß eine Geschäftsordnung die Verfassung nicht ersetzen und ergänzen kann. Sie kann auch 33)

In acht von 20 Kabinetten der Weimarer Republik gab es keinen Vizekanzler: Cuno, Stresemann II, Luther I und II, Marx I, Müller II, von Papen und von Schleicher. 34) Für den Wortlaut der von der Reichsregierung Wilhelm Marx (Zentrum) am 1. Mai 1924 angenommenen Geschäftsordnung der Reichsregierung vom 3. Mai 1924 vgl. Reichsministerialblatt 52 (1924), S. 173–176. Zu Ihrer Entstehung vgl.: Martin Vogt, Zur Geschäftsordnung der Reichsregierung und Arbeitspraxis der Reichskanzlei in den Jahren der Weimarer Republik, in: Akten der Reichskanzlei Weimarer Republik, hrsg. von Tilman Koops und Martin Vogt, München 1997, S. 37–64.

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nur im Rahmen der Verfassung bewegen, sie kann aber die Verfassung weder ändern, noch authentisch interpretieren, noch ergänzen. Ich bitte deshalb, es bei Art. 91 zu belassen. Dr. Strauß (CDU): Ich halte die Angelegenheit nicht für so wesentlich, daß ich meinen Antrag aufrechterhalte, möchte aber zu Abs. 2 eine andere Formulierung vorschlagen: „Im Falle der Behinderung oder des Wegfalls des Bundeskanzlers . . .“. Dann kann der Satz 2 wegfallen, und das Wort „Tod“ kommt nicht darin vor. Der Wegfall ist auch dann da, wenn der Bundeskanzler zurücktritt und der Bundespräsident davon absieht, ihn um die Weiterführung der Geschäfte zu ersuchen. Der Wegfall ist jede Form des Ausscheidens aus dem Amt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde doch vorschlagen, die alte Fassung zu lassen. Ich lasse über den Antrag Dr. Strauß auf Änderung des Abs. 2 abstimmen. – Der Antrag ist gegen die Stimme von Herrn Dr. Strauß abgelehnt. In Satz 1 von Abs. 2 sollen die Worte „des Amtes“ gestrichen werden. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Damit ist Art. 91 in dieser Form angenommen.

[1.8. ART. 91a: INKOMPATIBILITÄT]

Art. 91a Auf den Bundeskanzler und die Bundesminister findet Art. 77 Abs. 2 Anwendung. Walter (CDU): Soviel ich weiß, ist vereinbart worden, daß an Stelle dieser Verweisung der Wortlaut von Art. 77 Abs. 2 hier wiederholt wird. Dann möchte ich wenigstens zu erwägen geben, ob nicht eine Verfassungsbestimmung aufgenommen werden soll, wonach der Bundeskanzler weder dem Bundesrat oder Senat – das ist beinahe selbstverständlich – noch einem Landtag als Mitglied angehören kann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir werden uns an anderer Stelle noch darüber unterhalten müssen, ob nicht Inkompatibilität zwischen Bundestagsmandat und Landtagsmandat bestehen soll. Wollen wir nicht diese Frage zurückstellen, bis wir uns über die andere Frage schlüssig geworden sind? Dr. von Brentano (CDU): Wir wollen im Protokoll vermerken, daß wir die Frage noch bei der Bundeskammer klären müssen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann stellen Sie offiziell den Antrag, statt der Verweisung auf Art. 77 den Text zu nehmen. Es würde dann heißen: Der Bundeskanzler und die Bundesminister dürfen kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung noch dem Aufsichtsrat eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören. – Hiermit besteht also Einverständnis.

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Dritte Sitzung des Hauptausschusses 16. November 1948 [1.9. ART. 92: EIDESLEISTUNG]

Art. 92 Der Bundeskanzler und die Bundesminister leisten bei der Amtsübernahme vor dem Bundestag den Eid auf das Grundgesetz. Dr. Strauß (CDU): Der Bundespräsident ernennt den Bundeskanzler und die Bundesminister. Wenn ein Beamter von seinem Behördenchef angestellt wird, wird er von ihm vereidigt. Ich glaube, man sollte auch hier die Vereidigung vor dem Bundespräsidenten stattfinden lassen und nicht vor dem Bundestag – oder durch den Bundespräsidenten vor dem Bundestag. Dr. Greve (SPD): Ich glaube, man kann nicht ohne weiteres den Vergleich zwischen Bundeskanzler und Bundesminister einerseits und den übrigen Beamten andererseits ziehen. Es wäre also nicht notwendig, den Bundeskanzler und die Bundesminister den Eid vor dem Bundespräsidenten leisten zu lassen. Ich bin vielmehr der Auffassung, daß man den Bundeskanzler und die Bundesminister wegen ihrer persönlichen und politischen Verbundenheit mit dem Parlament den Eid vor dem Parlament leisten lassen soll, gegenüber dem sie auch die Verantwortung für ihre Tätigkeit tragen. Ich würde daher bitten, den Antrag Dr. Strauß abzulehnen. Walter (CDU): Herr Kollege Dr. Strauß hat wohl auch noch den Antrag gestellt, zu sagen: „durch den Bundespräsidenten vor dem Bundestag“. Damit ist zwei Gesichtspunkten Rechnung getragen. Dr. von Brentano (CDU): Die Vereidigung vor dem Bundestag halte ich auch für richtig, weil das der Verantwortung der Minister entspricht. Wenn wir aber davon ausgehen, daß nach der Wahl der Bundespräsident die Ernennung vornimmt, dann hätte ich keine Bedenken und würde sogar die Formulierung wählen, daß die Eidesleistung vom Bundespräsidenten vor dem Bundestag abgenommen wird. Schönfelder (SPD): Ich lege großen Wert darauf, daß der Präsident des Bundestags den Eid abnimmt; denn der Repräsentant des Volkes ist der Bundestag. Der Eid ist vor dem Bundestag von dessen Präsidenten abzunehmen. [S. 36] Dr. von Mangoldt (CDU): Im Redaktionsausschuß ist der Antrag auf Streichung des Art. 9235) gestellt. Ich habe diesen Gedanken bisher nicht vertreten gefunden. Dr. Dehler (FDP): Wir haben es entsprechend der Weimarer Verfassung nicht für nötig gehalten, daß der Kanzler und die Minister einen besonderen Eid leisten36). Sie sind ja Abgeordnete. Ein Abgeordneter leistet keinen Eid. Man sollte mit dem Eid, der nicht allzuviel sagt, etwas enthaltsamer sein. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich würde auch für die Streichung eintreten. Es ist ein Vorteil zu kürzen, wenn wir einen Artikel nicht unbedingt für das Organisationsgesetz brauchen. Hier läßt sich das ohne weiteres verantworten. Schönfelder (SPD): Ich bitte doch dringend, diese Formulierung zu belassen. Man ist in den Landtagen dazu übergegangen, die Abgeordneten einen Eid leisten zu lassen oder durch Handschlag zu verpflichten. Das halte ich für überflüssig. Aber 35) 36)

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Statt „92“ im stenograph. Wortprot., S. 55: „93“. In der Weimarer Republik wurden Reichskanzler und Reichsminister auf die Verfassung des Deutschen Reiches vereidigt. bis 1930 vereidigte der Reichskanzler die neuen, zuvor nicht vereidigten Reichsminister. Danach nahm der Reichspräsident die Vereidigung vor. Vgl. § 3 Reichsministergesetz vom 27. März 1930; RGBl. I, S. 96.

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daß die Minister vor dem vom Volk gewählten Bundestag vereidigt werden, halte ich für durchaus notwendig. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, den Art. 92 zu streichen. Ich lasse darüber abstimmen. – Die Streichung ist von der Mehrheit abgelehnt. Dr. Menzel (SPD): Wäre es nicht richtig, auch die Eidesformel im Grundgesetz vorzuschreiben? (Zuruf: Das kommt noch!37)) Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann ist der Antrag gestellt, den Artikel so zu fassen: „Der Bundeskanzler und die Bundesminister werden durch den Bundespräsidenten vor dem Bundestag auf das Grundgesetz vereidigt.“ Ich lasse über diesen Abänderungsantrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 9 gegen 8 Stimmen abgelehnt; es bleibt bei der Fassung der Vorlage.

[1.10. ART. 93: RICHTLINIENKOMPETENZ]

Art. 93 (1) Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung. (2) Dem Bundeskanzler und den Bundesministern können beamtete und politische Staatssekretäre beigegeben werden; sie sind nicht Mitglieder der Bundesregierung. Dr. Dehler (FDP): Der Redaktionsausschuß schlägt vor, die Worte „unter eigener Verantwortung“ zu streichen, weil parlamentarisch nur der Bundeskanzler die Verantwortung gegenüber dem Parlament trägt. Es ist nur die Selbständigkeit in der Führung des Ressorts herausgestellt. Dann schlagen wir auch vor, den Abs. 2 betreffend die Staatssekretäre zu streichen. Auf jeden Fall ist die Sache nicht restlos klar; denn auch beamtete Staatssekretäre gelten beamtenrechtlich als politische Staatssekretäre. Ich glaube, daß die Formulierung nicht einwandfrei genug ist. Man braucht die Frage nicht in die Verfassung hineinzunehmen. Es müßte zum mindesten heißen: beamtete und parlamentarische Staatssekretäre. Ich glaube, man könnte die Entwicklung dieser Institution der Praxis überlassen. Dr. Lehr (CDU): Wir schließen uns dem Antrag an, den Abs. 2 zu streichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt worden, in Abs. 1 den Text nach dem Wort „selbständig“ zu streichen, so daß der zweite Satz heißen würde: „Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig.“ Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit überwiegender Mehrheit gegen 4 Stimmen abgelehnt. Der zweite Antrag geht auf Streichung des Abs. 2. Ich lasse über den Streichungsantrag abstimmen. – Der Abs. 2 ist mit 13 gegen 8 Stimmen gestrichen. Renner (KPD): Ich möchte nicht unterlassen, zu betonen, daß ich mich gegen den ganzen Art. 93 ausgesprochen habe. 37)

Zur Eidesformel im Grundgesetz vgl. unten Dok. Nr. 32, S. 999 f.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Damit ist Art. 93 in der beschlossenen Fassung angenommen.

[1.11. ART. 94: AUFGABEN DES BUNDESKANZLERS]

Art. 94 (1) Der Bundeskanzler führt den Vorsitz in der Bundesregierung und leitet ihre Geschäfte nach einer von ihr beschlossenen Geschäftsordnung. (2) Über Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedern der Bundesregierung entscheidet die Bundesregierung. Dr. Laforet (CSU): Von Gerhard Anschütz38) war die Frage in den Vordergrund gestellt: Wie ist zu verfahren, wenn Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Bundesregierung auftreten?39) Wenn der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt und dafür gegenüber dem Parlament die Verantwortung trägt, dann muß er folgerichtig auch allein über die Richtlinien der Politik entscheiden. Er kann dann auch jedem Bundesminister sagen, dieser möge sich innerhalb der Richtlinien der Politik halten, die der Bundeskanzler gegenüber dem Parlament aufgestellt oder deren Billigung er erhalten hat. Wie der Abs. 2 hier lautet, besteht die Möglichkeit, anzunehmen, daß auch über Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedern der Bundesregierung über Richtlinien der Politik die Bundesregierung entscheidet. Das lehne ich ab. Es gibt einen doppelten Weg, wenn man dem von mir vorgetragenen Gedankengang folgt. Entweder wird der Abs. 2: „Über Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedern der Bundesregierung entscheidet die Bundesregierung“ gestrichen. Dann muß nur in dem Bericht unseres Referenten an das Plenum klargestellt werden, daß der Absatz gestrichen worden ist, weil über die Richtlinien der Politik nur der Kanzler entscheidet. Oder es muß gesagt werden: Über Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedern der Bundesregierung entscheidet vorbehaltlich der Befugnis des Kanzlers, allein über die Richtlinien der Politik zu entscheiden, die Bundesregierung. So ist es auch von Gerhard Anschütz40) auf Grund des Weimarer Rechts empfohlen worden, und so bringt es eine meiner Ansicht nach unerläßliche Klarheit in eine immerhin wichtige Sache. Man kann wohl nicht sagen, daß man diese Frage der Geschäftsordnung der Bundesregierung überläßt. Ich glaube, es muß in der Verfassung zu dieser Frage klar Stellung genommen werden. 38)

Gerhard Anschütz (1867–1948), Staatsrechtslehrer, 1899 Professor in Tübingen, 1900 Professor in Heidelberg, 1908 Professor in Berlin und seit 1908 wieder Professor in Heidelberg, auf eigenes ersuchen 1933 entlassen, sein Kommentar zur Weimarer Reichsverfassung erreichte in den zwölf Jahren der Weimarer Republik vierzehn Auflagen, mit Richard Thoma hrsg. des zweibändige „Handbuch des deutschen Staatsrechts“. Vgl. Gerhard Anschütz: Aus meinen Leben. Erinnerungen von Gerhard Anschütz, herausgegeben und eingeleitet von Walter Pauly. Frankfurt/Main 1993. 39) Zu den Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Reichsregierung vgl. Anschütz: Verfassung, S. 329. 40) Ebd.

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Schönfelder (SPD): Es gibt Meinungsverschiedenheiten, die die Richtlinien der Politik gar nicht berühren. Es können Meinungsverschiedenheiten insbesondere zwischen dem Finanzminister und den Ressortministern auftreten, die die Richtlinien der Politik nicht zu berühren brauchen. Würden wir hier dem Bundeskanzler allein die Entscheidung überlassen, so würde das nach meiner Überzeugung zu weit gehen. Es müßte hier zwischen den verschiedenen Interessen der Ressorts ausgeglichen werden. Dafür ist diese Formulierung, glaube ich, richtig. Dr. von Brentano (CDU): Der Redaktionsausschuß, der eine abweichende Fassung vorgelegt hat, hat sich mit diesen Fragen auch beschäftigt. Wir müssen zunächst einmal die Frage klären, ob wir in der Verfassung ein Kollegialprinzip verankern oder ob wir tatsächlich von der Alleinverantwortung des Kanzlers ausgehen wollen, also annehmen wollen, daß der Kanzler allein die Richtlinien der Politik bestimmt. Wir waren der Meinung, daß das nicht der Fall ist, um so weniger als es auch hier wieder der Wirklichkeit widersprechen würde. Das Regierungsprogramm und die Richtlinien der Regierungspolitik werden ja vom Kabinett zusammengestellt. Deswegen waren wir der Auffassung, in Art. 94 klar auszusprechen, daß die Bundesregierung ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit faßt und daß bei Stimmengleichheit der Vorsitzende [S. 37] entscheidet. Wir haben den zweiten Unterfall geregelt, daß Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedern der Bundesregierung entstehen – es ist durchaus möglich, daß einzelne Ressortminister einen Streit haben –, und haben uns zu der Auffassung bekannt, daß in diesem Falle die Bundesregierung als solche, also auch wieder mit Stimmenmehrheit, kollegialiter zu entscheiden haben wird. Ich möchte dem, was Herr Dr. Laforet gesagt hat, noch etwas hinzufügen. Gerade weil wir der Meinung waren, daß dieses Kollegialprinzip letzten Endes in der Praxis vorherrscht, haben wir in dem vorangegangenen Artikel die Streichung der Worte „und unter eigener Verantwortung“ vorgeschlagen. Wenn der Herr Kollege Dr. Laforet selbst die Auffassung vertritt, daß eine solche Entscheidung durch die Mehrheit der Mitglieder der Bundesregierung gefällt werden müsse, hätte er, glaube ich, konsequenterweise auch für die Streichung der Worte „und unter eigener Verantwortung“ stimmen müssen. Das eine schließt das andere aus. Wenn ich auf der einen Seite verlange, daß der Bundesminister seine Geschäfte unter eigener Verantwortung führt, auf der anderen Seite ihn aber einem Kollegialbeschluß unterwerfe, so stelle ich meines Erachtens eine Anforderung, die ich nicht stellen kann. Denn dann vertritt der Minister die Auffassung des Kabinetts und nicht seine eigene Auffassung. Dr. Lehr (CDU): Wir haben in dem vorangegangenen Art. 93 festgelegt, daß der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt. Damit haben wir klar zum Ausdruck gebracht, daß der Kanzler nicht primus inter pares, sondern der führende Mann in bezug auf die Politik ist. Wenn das der Fall ist, müssen wir im ersten Absatz von Art. 94 entsprechend der Fassung des Art. 55 der Weimarer Verfassung ein paar Worte zusetzen und sagen: „Der Bundeskanzler führt den Vorsitz in der Bundesregierung und leitet ihre Geschäfte nach einer von ihr beschlossenen und vom Bundespräsidenten genehmigten Geschäftsordnung.“ In Art. 55 der Weimarer Verfassung hieß es wie folgt: „Der Reichskanzler führt den Vorsitz in der Reichsregierung und leitet ihre Geschäfte nach einer Geschäftsordnung, die von

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der Reichsregierung beschlossen und vom Reichspräsidenten genehmigt wird.“41) Das entspricht der Stellung des Bundespräsidenten, wie wir sie in Art. 93 festgelegt haben. Dagegen bitte ich, den zweiten Absatz von Art. 94 ganz zu streichen. Wenn es sich um Meinungsverschiedenheiten in bezug auf die Politik handelt, ist die Stellung des Bundeskanzlers klar. In allen übrigen Fällen ist es eine Selbstverständlichkeit, daß man sich in der Bundesregierung kollegial verständigt und nicht gleich mit dem schweren Geschütz der Entscheidung der Bundesregierung und der überragenden Bestimmung des Bundeskanzlers einspringt. Renner (KPD): In konsequenter Fortsetzung des Gedankengangs des Herrn Dr. Lehr und seines geschätzten Fraktionskollegen müßte man sich jetzt schon langsam überlegen, welche Amtsbezeichnung der Herr Bundeskanzler führen soll. Die Konsequenz kann doch nur die sein, daß er mit „Mein Führer“42) angesprochen werden muß. (Dr. Lehr [CDU]: Wir wollen uns einmal etwas nach Ihren Vorbildern erkundigen.) Einen „Führer“ haben Sie schon irgendwo einmal eingeführt, Herr Dr. Lehr. (Dr. Lehr [CDU]: Nein, ich war dagegen.) – Sie haben ihn damals persönlich eingeführt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Zur Sache, Herr Abgeordneter Renner! Renner (KPD): Der „Führer“ hieß damals Hitler. Ich bin der Meinung, daß man sich einmal der Widersprüche, die hier zutage treten, bewußt werden muß. Hier heißt es, daß der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt und die Verantwortung für deren Durchführung trägt. Dann heißt es in schönem Widerspruch dazu, daß die Bundesminister ihren Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung zu führen gehalten sind. Dann kommt abschließend noch der Vorschlag des Herrn Dr. Lehr hinzu, daß der Bundeskanzler den Vorsitz in der Bundesregierung führt, aber nicht etwa nur als primus inter pares, sondern als der „Herr Führer“. Dann heißt es: Hände an die Hosennaht, der Führer hat gesprochen! (Dr. Lehr [CDU]: Nicht mit der Hosennaht, sondern Führung mit dem Geist!) – Ja, mein lieber Mann, die in Ihren Reihen zu finden, ist eine ziemlich schwierige Angelegenheit. (Heiterkeit.) Wir könnten Ihnen einige abgeben. Ihre bisherigen Führer haben alle einmal im „Führer“ geendet43). Warten wir ab, wie die nächsten enden! 41)

Für den Wortlaut des Art. 55 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 vgl. RGBl. S. 1393. 42) Mit § 1 des „Gesetzes über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs“ vom 1. August 1934, wurde das Amt des Reichspräsidenten mit dem des Reichskanzlers vereinigt. Infolgedessen gingen die bisherigen Befugnisse des Reichspräsidenten auf den „Führer und Reichskanzler“ Adolf Hitler über. „Mein Führer“ war seitdem die offizielle Anrede für Hitler. 43) Vermutlich eine Anspielung auf die Zustimmung der Fraktion der Zentrumspartei und Bayerischen Volkspartei im Reichstag zum Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933.

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Dann hat Herr Dr. Lehr noch den wirklich amüsanten Vorschlag gemacht: Gibt es nun einmal Meinungsverschiedenheiten zwischen den Herren Ministern die nur Angestellte des Herrn Kanzlers, nur junge Männer von ihm sind –, soll der Herr Bundespräsident selber die Entscheidung haben, und die Geschäftsordnung, die sich die Herren zu geben haben, bedarf dann auch der Genehmigung durch den Bundespräsidenten. Wo kommen wir dann eigentlich hin? Wollen wir dann nicht gleich sagen, wir setzen ein paar Ministerialdirektoren neben den Herrn Bundeskanzler? Dann kommen wir doch weiter. Das sind doch von vornherein „Fachleute“, die drehen den Laden besser und schneller. (Dr. von Brentano [CDU]: Soll das ein Abänderungsvorschlag sein? Dr. Lehr: Stellen Sie den Antrag?) – Das überlasse ich Ihnen. Dr. Laforet (CSU): Ich ziehe aus dem Satz des Art. 93, daß jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich unter eigener Verantwortung leitet, die Folgerung: unter Verantwortung gegenüber dem Parlament. Der Art. 89 hat nach meinem Empfinden eine Lücke. Denn nach meiner persönlichen Anschauung steht es dem Parlament frei, den Bundeskanzler zu ersuchen, einen Bundesminister auch gegen seinen Willen aus dem Kabinett zu entfernen. Nur entsteht eine Kanzlerkrisis, wenn der Bundeskanzler diesem Ersuchen nicht stattgibt. Jetzt ist die Frage der Staatspraxis überlassen. Es ist zweckmäßig, daß die Geschäftsordnung durch den Bundespräsidenten genehmigt wird. Das hat der Kollege Dr. Lehr schon ausgesprochen. Meines Erachtens ist es aber unerläßlich, darüber im Grundgesetz eine klare Entscheidung zu geben, ob über die Richtlinien der Politik die Kabinettsmehrheit entscheidet oder nicht. Der Herr Abgeordnete Schönfelder hat bereits betont, daß es Meinungsverschiedenheiten gibt, die nicht die Richtlinien der Politik betreffen. Darüber kann das Kabinett und hat das Kabinett zu entscheiden. Man kann das besonders hervorheben und den Art. 94 Abs. 2 lassen. Dann bedarf es aber der vorher berichteten Einschränkung, daß die Befugnis des Bundeskanzlers vorbehalten bleibt, allein über die Richtlinien der Politik zu entscheiden. Denn für diese Richtlinien hat er allein dem Parlament gegenüber die Verantwortung. Auf Grund dieser Richtlinien der Politik kam er auch in sein Amt. Man kann auch den Standpunkt vertreten, daß Art. 94 Abs. 2 zu streichen ist. Dann muß allerdings in dem Bericht unseres Herrn Referenten an das Plenum gesagt werden, daß die Streichung erfolgt ist, um den ersten Satz des Art. 93 zu unterstreichen: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung.“ In der Staatspraxis haben wir es wiederholt erlebt, daß der Ministerpräsident, der für die Richtlinien der Politik gegenüber dem Parlament die Verantwortung trägt, einem Minister gesagt hat: Herr Minister, die Politik, die Sie treiben, widerspricht den Richtlinien, die ich dem Parlament gegenüber einzuhalten habe; ich bitte, entweder Ihre Politik zu ändern oder sonst die Folgerungen daraus zu ziehen. Mir ist es nur darum zu tun, daß diese doch immerhin wichtige Frage in unserem Hauptausschuß klargestellt wird. [S. 38] Dr. Katz (SPD): Ich glaube, man kann über die relativ geringen Meinungsverschiedenheiten betreffend diesen Artikel sehr schnell hinwegkommen. Gegen den Vorschlag des Kollegen Dr. Lehr, daß die Geschäftsordnung der Genehmigung des Bundespräsidenten bedarf, hätte ich keine Bedenken. Das könnte ruhig hinein.

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Was die zweite Frage angeht, so würde ich die Vorschrift, daß Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedern der Bundesregierung die Bundesregierung entscheidet, stehenlassen, um völlig klarzulegen, wie der Herr Kollege Schönfelder schon ausgeführt hat, daß es Differenzen zwischen Mitgliedern der Bundesregierung geben kann, die eben durch das Kabinett entschieden werden müssen. Ich bin in dieser Beziehung mit dem Herrn Vorredner44) einverstanden, daß es sich dabei nicht um Differenzen handelt, die die Richtlinien der Politik betreffen. Dann bleibt als dritter Punkt gemäß dem Antrag des Redaktionsausschusses die Frage, ob ein weiterer Absatz des Inhalts eingefügt werden soll, daß die Bundesregierung ihre Beschlüsse mit Mehrheit faßt, daß bei Stimmengleichheit der Vorsitzende entscheidet und daß für die Beschlußfähigkeit die Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder erforderlich ist. Ich halte das alles für Selbstverständlichkeiten, die ohnehin später in der Geschäftsordnung45) stehen werden. Sie brauchen infolgedessen nicht in die Verfassung aufgenommen zu werden. Wenn wir in der Verfassung fünf Zeilen sparen können, so ist das bereits ein Gewinn. Dr. Greve (SPD): Ich möchte dem Herrn Kollegen Dr. Laforet nur entgegnen: In dem Fall, in dem eine Meinungsverschiedenheit zwischen einem oder mehreren Bundesministern und dem Kanzler über die Richtlinien der Politik besteht, ist nicht gesagt, daß die Bundesregierung über diese Unstimmigkeiten entscheidet. Meinungsverschiedenheiten über die Richtlinien der Politik können zwischen den Ministern untereinander und auch zwischen einem Minister oder einzelnen Ministern einerseits und dem Bundeskanzler andererseits auftreten. Aber zu entscheiden hat in solchen Fällen allein der Bundeskanzler, da er die Richtlinien der Politik bestimmt. Ich habe keine Bedenken gegen die Formulierung: „Über Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedern der Bundesregierung entscheidet die Bundesregierung“, da es sich hier nur um solche Fälle handeln kann, die nicht die Richtlinien der Politik betreffen. Dr. Strauß (CDU): Bewegen wir uns hier nicht in theoretischen Erörterungen? Es ist richtig, daß Anschütz auf die Möglichkeit einer zweifachen Auslegung hingewiesen hat. Praktisch ist, soweit ich mich entsinnen kann, in der Weimarer Zeit im Schoße eines Kabinetts hieraus niemals eine Streitfrage entstanden. Die hier vorgeschlagene Regelung stimmt mit der Weimarer Regelung überein, teilweise mit der Weimarer Verfassung46), teilweise mit der Geschäftsordnung47). Praktisch könnte doch, da die Richtlinien vom Bundeskanzler festgelegt werden – darüber besteht kein Streit –, nur eine Meinungsverschiedenheit über die Auslegung der Richtlinien auftreten. Ein Bundesminister könnte bei der Auslegung der Richtlinien eine andere Auffassung als der Bundeskanzler vertreten, und vom Bundeskanzler aus 44)

Abg. Laforet (CSU). Gemeint ist die zukünftige Geschäftsordnung der Bundesregierung. 46) Für den Wortlaut von Art. 54 und 55 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 vgl. oben S. 67, Anm. 13 und S. 95 f., Anm. 41. Vgl. ferner Art. 56: „Der Reichskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür gegenüber dem Reichstag die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Reichsminister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Reichstag.“ RGBl. S. 1393. 47) Vgl. die Geschäftsordnung der Reichsregierung (wie Anm. 34). 45)

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gesehen wäre es erwünscht, daß eine solche Auslegungsfrage nicht autoritär vom Bundeskanzler, sondern als Meinungsverschiedenheit innerhalb der Bundesregierung – der Bundeskanzler ist ja selbst Mitglied der Bundesregierung – durch das Gesamtgremium entschieden wird. Ich würde also dafür sein, die Fassung so zu belassen, wie sie ist, und möchte mich auch Herrn Dr. Katz anschließen, daß die Abstimmungsmodalitäten in die Geschäftsordnung und nicht in das Grundgesetz gehören. Ich möchte nur noch eine redaktionelle Anregung geben. Die Art. 93 und 94 befassen sich beide mit dem Verhältnis von Bundeskanzler und Bundesregierung. Der Art. 93 Abs. 2 ist jetzt weggefallen. Wollen wir nicht den Art. 93, der nur noch aus einem Absatz besteht, mit den beiden Absätzen der jetzigen Fassung des Art. 94 zu einem einheitlichen Artikel zusammenziehen? Dann sparen wir einen Artikel und behandeln in diesem Artikel alles, was das Verhältnis von Bundeskanzler und Bundesministern betrifft. (Zustimmung.) Dr. Laforet (CSU): Mir genügt es vollständig, wenn der Standpunkt des Herrn Kollegen Dr. Greve als Meinung des Hauptausschusses im Plenum vertreten wird, daß unter den Art. 94 Abs. 2 betreffend Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedern der Bundesregierung, zwischen Kanzler und Minister, zwischen mehreren Ministern nicht die Fragen der Richtlinien der Politik fallen, die allein durch Art. 93 Abs. 1 Satz 1 beantwortet werden. Wenn das als Meinung unseres Ausschusses klargestellt wird, ist der staatsrechtliche Zweck erreicht, den ich verfolge und den ich auf Grund der doch immerhin bedeutsamen Ausführungen von Anschütz hier vorzubringen mich für verpflichtet halte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie ziehen also Ihren Antrag zurück und begnügen sich mit der Feststellung im Protokoll? Dr. Laforet (CSU): Ja. Dr. Heuss (FDP): Ich bin der Auffassung, daß der Vorschlag von Herrn Dr. Lehr richtig ist, diesen ganzen Satz zu streichen. Wenn wir ihn nämlich so herausheben und nicht dahin interpretieren, daß wir bezüglich Meinungsverschiedenheiten eigentlich an Kleinigkeiten denken, machen wir doch das Kollegialsystem als solches zur rechtsgültigen Form. Wir schaffen hier einen logischen Widerspruch zu dem, was wir vorhin gesagt haben. Der Ausdruck „Meinungsverschiedenheiten“ ist ein allgemeines Wort. Jeder wird das Wort auf politische Dinge beziehen. Nach meiner Meinung ist das eine Angelegenheit, die der Staatspraxis angehört. Wir können hier nicht ein Abstimmungsverfahren sozusagen als Rechtsform stipulieren. Darüber kann die Geschäftsordnung dann etwas sagen. Mit der Heraushebung dieser Meinungsverschiedenheiten heben wir die andere These von der Bestimmung der Richtlinien durch den Bundeskanzler auf. Die Deduktion des Herrn Renner braucht uns dabei nicht weiter zu stören. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich warne vor einer Streichung dieses Abs. 2. Es ergeben sich häufig Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ressorts, die mit Meinungsverschiedenheiten über die Richtlinien der Politik nichts zu tun haben. Wenn wir in dem Grundgesetz nicht ein geordnetes Verfahren, zumindest eine zuständige Instanz für die Erledigung solcher Streitigkeiten vorsehen, kommen wir aus den schleichenden Krisen nicht heraus. Dann wird sich wahrscheinlich die Praxis her-

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ausbilden – je nach der Kraft der Persönlichkeiten, die im Spiele sind –, daß entweder der Kanzler von sich aus das Recht beansprucht, den Ressorts Weisungen zu geben, indem er Meinungsverschiedenheiten zwischen zwei Ressortministern entscheidet, oder daß ein dauerndes Hin und Her zwischen dem Bundeskanzler und den beiden streitenden Ressortministern entsteht, das alles lähmen wird. Es muß eindeutig bestimmt werden, daß es in einem solchen Fall eine Instanz gibt, daß diese Instanz die Regierung ist und daß diese Regierung durch Mehrheit den Streit entscheiden kann. (Zuruf: Vorbehaltlich der Richtlinien!) – Bei den „Richtlinien“ ist die Sache klar. Wenn der Bundeskanzler der Meinung ist, daß der Minister nicht innerhalb der Richtlinien bleibt, kann er ihm sagen: Du gehst hier fehl, und wenn der Minister beharrt, kann er die Folgerung ziehen. (Dr. Laforet [CSU]: Einverstanden!) Ich glaube, für solche Ressortstreitigkeiten, die sehr viel häufiger sind als Meinungsverschiedenheiten über die Richtlinien der Politik, muß eine Instanz da sein. Es ist kein weiterer Antrag mehr gestellt. Zu Abs. 1 ist der Antrag gestellt, zu sagen: „nach einer von ihr beschlossenen und vom Bundespräsidenten genehmigten Geschäftsordnung“. Ich lasse über diesen Zusatzantrag abstimmen. – Der Antrag ist gegen vier Stimmen angenommen. [S. 39] Dann ist der Antrag gestellt, den Abs. 2 zu streichen. Ich lasse darüber abstimmen. – Der Antrag auf Streichung ist gegen 5 Stimmen abgelehnt. Dann ist noch der Antrag auf Zusammenziehung der Art. 94 und 93 gestellt, so daß Abs. 1 von Art. 94 zu Abs. 2 von Art. 93 und Abs. 2 von Art. 94 zu Abs. 3 von Art. 93 wird. – Dieser Antrag ist übereinstimmend angenommen.

[1.12. ART. 95: RÜCKTRITT VON BUNDESKANZLER UND BUNDESMINISTERN]

Wir kommen zu

Art. 95 (1) Der Bundeskanzler kann durch Erklärung gegenüber dem Bundespräsidenten von seinem Amt zurücktreten. Auf Ersuchen des Bundespräsidenten ist er verpflichtet, die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen. (2) Ein Bundesminister kann durch Erklärung gegenüber dem Bundeskanzler von seinem Amt zurücktreten. Auf Ersuchen des Bundeskanzlers ist er verpflichtet, die Geschäfte bis zum Amtsantritt seines Nachfolgers weiterzuführen. Dr. Dehler (FDP): Der Redaktionsausschuß hält es nicht für notwendig, die Form des Rücktritts im Grundgesetz zu regeln. Er hält es dagegen für erforderlich, die verschiedenen Gründe der Beendigung des Amtes des Bundeskanzlers zusammenzufassen. Deswegen haben wir einen Art. 95a vorgeschlagen, in dem auch der Rücktritt als einer der Beendigungsgründe erscheint. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube doch, daß es notwendig ist, die Modalitäten des Rücktritts in die Verfassung hineinzunehmen, damit Gewißheit besteht, von welchem Augenblick an ein Rücktritt vorliegt. Das muß durch das Grundgesetz bestimmt sein.

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Dr. Dehler (FDP): Der Bundeskanzler wird vom Bundespräsidenten ernannt. Er muß also auch gegenüber dem Bundespräsidenten seinen Rücktritt erklären. Unser Antrag würde dahin gehen, Art. 95 zu streichen und einen Art. 95a einzufügen, der die verschiedenen Gründe der Beendigung des Amtes des Bundeskanzlers oder eines Bundesministers zusammenfaßt. Dr. Katz (SPD): Der Antrag Dr. Dehler ist keine sachliche Änderung, sondern betrifft lediglich eine Schönheitsfrage. Ich möchte auch hier die Fassung, die der Organisationsausschuß vorgeschlagen hat, für besser und klarer halten. Daher bitte ich, den Antrag Dr. Dehler abzulehnen. Dr. Menzel (SPD): Ich habe gegen den Vorschlag des Redaktionsausschusses auch sachliche Bedenken. Wenn gesagt ist, daß das Amt mit dem Zusammentritt eines neugewählten Bundestags enden soll, so entsteht die Frage, was in der Zeit zwischen der Neuwahl und dem Zusammentritt rechtens ist. Daß ferner durch den Rücktritt und durch den Tod das Amt erlischt, ist eigentlich so selbstverständlich, daß man es nicht in eine Verfassung hineinzunehmen braucht. Und wenn schließlich die Amtsfähigkeit abgesprochen wird, ist der Amtsverlust eine automatische Folge des Rechtsspruchs. Das braucht also auch nicht in die Verfassung hineingenommen zu werden. Schon deshalb sollte man diesen Antrag ablehnen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Abänderungsanträge sind nicht gestellt. Es ist der Antrag gestellt, den Art. 95 zu streichen und an seine Stelle den Art. 95a zu setzen, den der Redaktionsausschuß vorgeschlagen hat. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist abgelehnt. Damit ist Art. 95 in der Fassung des Organisationsausschusses angenommen.48)

[1.13. ART. 96: LANDESVERTRETUNGEN]

Der Art. 96 lautet: Die Landesregierungen können bei der Bundesregierung Vertretungen errichten. Dr. von Brentano (CDU): Auch hier waren wir der Auffassung, daß man den Artikel streichen sollte, soweit im Bundesrat eine ausreichende Vertretung der Landesregierungen gesichert wird. Der Artikel enthält eine Selbstverständlichkeit. Wenn wir einen Bundesrat schaffen, werden die Länder bei der Bundesregierung vertreten sein. Im übrigen ist die Schaffung von Vertretungen, also die Entsendung von Beauftragten zur Bundesregierung, eine solche Selbstverständlichkeit, daß darüber in der Verfassung nichts zu stehen braucht. Walter (CDU): Ich möchte beantragen, die Beratung und Beschlußfassung über diesen Artikel zurückzustellen, bis wir über den Abschnitt Bundesrat und Senat Beschluß gefaßt haben. Renner (KPD): Ich bitte, doch einmal die Frage zu klären, wer diesen ganzen Verwaltungsapparat bezahlen soll. Vor 1933 waren diese Vertretungen in Berlin doch nichts anderes – das wissen wir alle – als gut bezahlte Stellen für einige alt gewor48)

Das stenograph. Wortprot., S. 73, fügt hier an: „Es ist kein Antrag gestellt, trotzdem den Art. 95a aufzunehmen. Das brauchen wir dann nicht.“

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dene Herren. Es wäre wirklich empfehlenswerter, diesen Herren 500 Mark Pension auszuzahlen und sie irgendwo im Hochgebirge unterzubringen, als sie nach Berlin zu schicken. Wie kann man einen solchen Apparat, wie wir ihn früher gehabt haben, wünschen und bejahen? Das waren doch nichts anderes als sehr gut bezahlte Briefträger zwischen Berlin und München oder Karlsruhe usw. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, die Beschlußfassung bis zur Beratung der Frage Bundesrat bzw. Senat auszusetzen. Ich halte diesen Antrag für zweckmäßig. – Ich stelle fest, daß insoweit allgemeine Übereinstimmung besteht. Es ist so beschlossen. Der Ausschuß vertagt sich auf Mittwoch, den 17. November 1948, 16 Uhr. Schluß der Sitzung 18.59 Uhr.

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Nr. 4 Vierte Sitzung des Hauptausschusses 17. November 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 41–56. PA 2004. Ungez. von Koppert gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 328 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: von Brentano, de Chapeaurouge, Fecht, Kaufmann, Laforet, Lehr, von Mangoldt, Schwalber SPD: Greve, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wolff, Zimmermann FDP: Dehler, Heuss DP: Seebohm KPD: – Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Bergsträsser (SPD), Eberhard (SPD), Katz (SPD), Schrage (CDU), Strauß (CDU), Walter (CDU), Zinn (SPD) Stenographischer Dienst: Koppert Dauer: 16.08–19.00 Uhr

[1. BEHANDLUNGEN VON EINGABEN]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ehe wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Hauptausschuß von zwei Eingaben Mitteilung machen, die beim Parlamentarischen Rat eingegangen sind. Es handelt sich um eine Eingabe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland3) (gez. Dr. Wurm4)) und eine Eingabe des Flüchtlingsrates für die britische Zone5). Die Urheber beider Eingaben bitten darum, vor 1)

Protokollführer Matz. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Die Eingabe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 9. Nov. 1948 ist vervielfältigt als Drucks. Nr. 275. Neben dem Wunsch, zur Gelegenheit, im Parl. Rat Stellung zu nehmen, erläuterte Wurm: „Im übrigen ist die Evangelische Kirche in Deutschland keineswegs nur an der Regelung ihrer eigenen staatsrechtlichen Stellung in der geplanten Verfassung interessiert, sondern sie hat auch auf anderen Gebieten wesentliche Anliegen. So wird insbesondere eine verfassungsmäßige Sicherung des Elternrechts auf dem Gebiet der Erziehung und Schule, ferner ein Schutz des Lebens, und zwar insbesondere auch des keimenden Lebens, und ein Schutz des Leibes, der wissenschaftliche Experimente an lebenden Menschen ohne deren ausdrückliche Einwilligung und vor allem auch die Sterilisation ausschließt, für notwendig gehalten.“ 4) Theophil Wurm (1868–1953) evangelischer Theologe, seit 1929 Kirchenpräsident, 1933–1949 württembergischer Landesbischof, während der nationalsozialistischen Zeit Wortführer des Widerstands gegen die Eingriffe des Regimes in kirchlichen Angelegenheiten, 1945–1949 Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands. 5) Flüchtlingsrat für die britische Zone wurde am 26. April 1947 in Hamburg auf Anordnung der britischen Militärregierung errichtet und durch Beschluß des Zonenbeirates vom 8./9. Juni 1948 mit diesem vereinigt. Der Flüchtlingsrat hieß künftig „Zonenbeirat (Flüchtlingsrat für die britische Zone)“. Vgl. Vogel: Westdeutschland, Teil III, S. 476– 479. 2)

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dem Hauptausschuß gehört zu werden. Hier handelt es sich um eine grundsätzliche Frage, und ich meine, der Hauptausschuß wird sich darüber schlüssig werden müssen, ob Extranei vor ihm zu Wort kommen sollen. Ein solcher Beschluß wird ohne vorherige Stellungnahme der Fraktionen kaum möglich sein. Daher möchte ich vorschlagen, die Beschlußfassung über diese grundsätzliche Frage bis zur Klärung innerhalb der Fraktionen zurückzustellen6).

[2. ANFERTIGUNG VON KURZPROTOKOLLEN]

Brockmann (Z): Ich darf zu einer Angelegenheit das Wort erbitten, die mich in meiner Eigenschaft als Schriftführer betrifft. Nach § 6 der Geschäftsordnung soll der Schriftführer die Verhandlungen beurkunden7). Wir erhalten über jede unserer Sitzungen ein Kurzprotokoll. Dieses enthält unter anderem Extrakte der Darlegungen der einzelnen Redner, und zwar in ganz kurzen gedrängten Auszügen. Es ist klar, daß auf die Fassung der Kurzprotokolle viel Sorgfalt verwendet werden muß. Aber es ist für mich als Schriftführer unmöglich, die Verantwortung für den Inhalt zu übernehmen. Letzten Endes muß der einzelne Abgeordnete selber wissen, was er als Extrakt seiner Stellungnahmen beurkundet haben will. Daher möchte ich mir den Vorschlag erlauben, daß wir lediglich die Anträge und die Beschlüsse durch Unterschrift beurkunden, nicht dagegen die übrigen Darlegungen, die das Kurzprotokoll aufführt. Es bleibt dem einzelnen Abgeordneten anheimgestellt, Ausführungen, die das Kurzprotokoll nicht richtig wiedergibt, zu ändern, zu berichtigen und zu ergänzen. Für den Hauptausschuß als solchen sind letzten Endes nur die Anträge und die Beschlüsse maßgebend, und diese sind durch den Schriftführer zu beurkunden. Ich bitte den Hauptausschuß, über diese Frage eine Entscheidung herbeizuführen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wird das Wort gewünscht? – Ich für meinen Teil schließe mich den Ausführungen des Herrn Brockmann an. – Es ist so beschlossen.

Die Eingabe des Vorsitzenden des Flüchtlingsrates vom 8. Nov. 1948 wurde in der 22. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 24. Nov. 1948 mit dem Hinweis abgelehnt, daß es genügend Abgeordnete gäbe, die die Interessen von Flüchtlingen vertreten würden. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 30, S. 804, bes. Anm. 19 und 20 (hier auch zu weiteren Eingaben des Flüchtlingsrates. 6) Die CDU/CSU-Fraktion hatte sich unmittelbar im Anschluß an die 4. Sitzung des HptA am 17. Nov. 1948 mit den beiden Eingaben befaßt. Im Protokoll der Fraktionssitzung heißt es dazu: „Es wird vereinbart, den Herren mitzuteilen, daß sie vor dem interfraktionellen Gremium sprechen können, selbstverständlich steht auch die Fraktion dafür zur Verfügung. Man ist sich einig darüber, daß die Herren nicht vor dem Hauptausschuß sprechen sollten.“ Vgl. Salzmann, S. 161 f. 7) In § 8 (nicht § 6!) der Geschäftsordnung des Parl. Rates vom 22. Sept. 1948 heißt es u.a.: „Die Schriftführer haben die Schriftstücke zu verlesen, die Verhandlungen zu beurkunden, die Rednerlisten zu führen, die Namen aufzurufen, die Stimmen zu zählen.“ Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 10, Teil B, Dok. Nr. 5, S. 189.

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[3. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT VII: DIE BUNDESREGIERUNG] [3.1. ART. 87: WAHL DES BUNDESKANZLERS]

Wir treten nun in die Tagesordnung ein. Wir hatten gestern die Beschlußfassung zu Art. 87 der Vorlage und zu Art. 90 bzw. den Abänderungsantrag zu Art. 90a zurückgestellt8). Ich rufe zunächst auf Art. 87. Dr. Katz (SPD): Die sozialdemokratische Fraktion hat über Art. 87 noch einmal Beratungen gepflogen. Sie hat sich weitgehend den Vorschlag des Redaktionsausschusses zu eigen gemacht9) und legt Ihnen nunmehr den Vorschlag einer Neufassung vor. Die Fassung des Redaktionsausschusses wird dadurch nur leicht abgeändert; die Abweichungen sind ganz geringfügig. Das wird sofort klar, wenn ich Ihnen unsere Fassung vorlege, die ich hiermit zum Antrag erhebe. Art. 87 lautet in dieser Fassung: (1) Der Bundeskanzler wird vom Bundestag ohne Aussprache mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder gewählt und vom Bundespräsidenten ernannt. (2) Kommt binnen 14 Tagen seit Beendigung des Amtes des bisherigen Bundeskanzlers die Wahl nicht zustande, so schlägt der Bundespräsident dem Bundestag einen Bundeskanzler vor. Erhält dieser Vorschlag nicht die absolute Mehrheit der Stimmen des Bundestags, so findet eine neue Wahl statt, in der gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. In diesem Falle muß der Bundespräsident binnen 7 Tagen nach der Wahl entweder den Gewählten ernennen oder den Bundestag auflösen. Ich glaube, es bedarf keiner weiteren Erläuterung darüber, in welchen Punkten wir von dem Vorschlag des Redaktionsausschusses abgewichen sind; die Abweichungen sind, wie schon betont, nur geringfügiger Art. Wir haben uns in der Hauptsache der Fassung des Redaktionsausschusses angeschlossen. Walter (CDU): Ich fürchte, dieser neue Antrag der sozialdemokratischen Fraktion bringt nicht das, was unerläßlich ist, um eine entstandene Regierungskrise in jedem Falle zu lösen. Der Antrag weicht zunächst von den bisherigen Beschlüssen insofern ab, als die Initiative des Bundespräsidenten weitgehend ausgeschaltet ist. Erst wenn die Wahl des Bundeskanzlers durch den Bundestag nicht möglich ist, wird der Bundespräsident eingeschaltet, während nach den Beschlüssen des Organisationsausschusses10) und nach dem Antrag der CDU der Bundespräsident von Anfang an eingeschaltet sein soll. Gegen den Antrag der SPD erheben sich Bedenken. Vor allem besteht die Gefahr, daß ein Kanzler durch eine Minderheit gewählt wird. Erhält der Vorschlag des Bundespräsidenten nicht die absolute Mehrheit der Stimmen des Bundestages, so soll nach dem sozialdemokratischen Vorschlag eine neue Wahl stattfinden, in der gewählt ist, wer die meisten, Stimmen erhält. Es genügt also in diesem Fall die relative Mehrheit, damit der neue Mann das Kanzleramt übernehmen kann. Damit tritt aber gerade das ein, was in der Weimarer Zeit, 8)

Vgl. dazu oben Dok. Nr. 3, S. 82 und 89. Vgl. dazu oben Dok. Nr. 3, S. 70. Für den Wortlaut der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses vgl. auch Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 60. 10) Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 1, S. 26; ebd., Bd. 13/2, Dok. Nr. 29, S. 799. 9)

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namentlich in den letzten Jahren der Weimarer Republik, so schweren Schaden angerichtet hat. Damals waren dauernd Minderheitsregierungen im Amt, und gerade dieser Umstand hat die Stetigkeit der Politik und der Arbeit der Reichsregierung schwer gefährdet. Es fragt sich also, ob der sozialdemokratische Vorschlag eine geeignete Lösung im Sinne dessen darstellt, was der Organisationsausschuß nach eingehender Beratung für notwendig und zweckmäßig gehalten hat. Dr. von Mangoldt (CDU): In dem Vorschlag der SPD vermisse ich die Lösung eines Problems, das die Regierungsbildung besonders schwierig gestalten kann, [S. 42] nämlich der Frage, wer nun eigentlich die Person des Bundeskanzlers zu bestimmen hat. Gewiß ist es möglich, die Person des Bundeskanzlers in Verhandlungen zwischen den Parteien zu bestimmen, so daß seine Wahl gesichert ist. Wir wissen aber, daß dabei in manchen parlamentarischen Republiken große Schwierigkeiten auftreten können und aufgetreten sind. Ich erinnere an Frankreich. Dort spielt deshalb die Mittlerstellung des Präsidenten der Republik eine starke Rolle. Der Vorschlag der Fraktion der CDU will gerade diese Schwierigkeit überbrücken, indem er sich der Mittlerstellung des Bundespräsidenten bedient. Er will die Gegensätze, die bei solchen Verhandlungen von Gruppen innerhalb des Parlaments entstehen können, glätten, ausgleichen und überbrücken helfen. Uns erscheint es unerläßlich, gerade in diesem Fall die Autorität einer Persönlichkeit, nämlich des Bundespräsidenten, einzuschalten, der notfalls zwischen den streitenden Gruppen vermitteln kann. Gerade diesen Gesichtspunkt möchte ich noch einmal in den Vordergrund stellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wird der Antrag, den Herr Kollege Walter gestern gestellt hat11), aufrechterhalten oder soll er geändert werden? Walter (CDU): Er soll abgeändert werden, und zwar in Abs. 4. Dieser soll nunmehr lauten: Benennt der Bundesrat dem Bundespräsidenten nicht innerhalb zwei Wochen einen Bundeskanzler, so hat der Bundespräsident den Bundestag aufzulösen. Es fallen also die Worte: „oder spricht der Bundestag einem auf Vorschlag des Bundestags ernannten Bundeskanzler nicht innerhalb zwei Wochen sein Vertrauen aus“ fort. Da ich gerade das Wort habe, darf ich vielleicht auch noch darauf hinweisen, daß die Legalitätsreserve des Bundesrats in dem Vorschlag der sozialdemokratischen Fraktion völlig ausgeschaltet wird. Dr. Katz (SPD): Herr Kollege Walter beanstandet an unserem Vorschlag zunächst, daß die Initiative zur Benennung der Person des Bundeskanzlers weitgehend vom Bundespräsidenten auf den Bundestag verlagert wird. Aber diese Benennung ist lediglich formeller Natur. Wenn eine Mehrheit des Bundestags einen bestimmten Bundeskanzler will, so wäre es auch vorher so gewesen, daß der Bundespräsident ihn zunächst ernannt hätte. Im großen und ganzen ist es das gleiche geblieben, was schon in Abs. 1 gesagt wird: Der Bundeskanzler wird vom Bundespräsidenten er-

11)

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Für den Antrag der CDU/CSU-Fraktion vgl. oben Dok. Nr. 3, TOP 1.5, S. 70 mit Anm. 15.

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nannt, nachdem die Mehrheit des Bundestags ihn designiert hat. Es ist nur eine andere Fassung; in der Sache selbst aber keine Änderung. Nun kommt der zweite Fall. Auch da kann man sich über die Nichteinschaltung des Bundespräsidenten nicht beklagen. Falls eine absolute Mehrheit nicht zustande kommt, wird zunächst der Bundespräsident eingeschaltet. So steht es ausdrücklich in Abs. 2 Satz 1. Hier bleibt also dem Bundespräsidenten genügend Initiative, die Parteien zusammenzubringen und einen Kanzler zu nominieren. Wir müssen uns jetzt aber mit dem kritischen Fall befassen, daß auch dann eine Mehrheit für einen Kanzlerkandidaten nicht zustande kommt. Darüber, wie dieser Fall zu lösen ist, vermisse ich in den Darlegungen des Kollegen Walter eine Lösung. Die Frage ist: Wer soll Bundeskanzler werden, wenn eine absolute Mehrheit des Bundestags sich nicht findet? Irgend jemand muß Kanzler werden. Wir haben uns für diesen Fall dahin entschieden, daß dann die relative Mehrheit entscheiden soll. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird also der von der stärksten Fraktion vorgeschlagene Kanzlerkandidat, der die Zustimmung der relativen Mehrheit gefunden hat, das Kanzleramt übernehmen. Diese Lösung ist klar und einfach. Für den Fall, daß eine derartige Lösung unbefriedigend sein sollte, sieht unser Vorschlag das Auflösungsrecht vor. Wir haben aber bewußt von der Legalitätsreserve in Gestalt der Länderkammer abgesehen; denn höchstwahrscheinlich wird man auch damit die Schwierigkeiten nicht beseitigen, wenn vorher zwei vergebliche Versuche gemacht worden sind. In diesem Fall ziehen wir sozusagen die Legalitätsreserve in Gestalt einer relativen Mehrheit der Volkskammer der Einschaltung der Länderkammer vor. Im übrigen ist der Vorschlag der sozialdemokratischen Fraktion im wesentlichen nichts anderes als der Vorschlag des Redaktionsausschusses, den die drei Herren offenbar nach reiflicher Überlegung formuliert haben. Dem Redaktionsausschuß hat nur ein Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion angehört12). Wir haben uns entschlossen, unsere frühere Ansicht zu korrigieren und dem Vorschlag des Redaktionsausschusses im wesentlichen beizutreten. Brockmann (Z): Ich sehe in dem Vorschlag der sozialdemokratischen Fraktion den Vorteil, daß er geeignet ist, alle denkbaren Schwierigkeiten aus der Welt zu schaffen, die mit der Ernennung des Bundeskanzlers durch den Bundespräsidenten zusammenhängen, wie es allgemein gewünscht wird. Diese Prozedur soll allerdings vorher erledigt werden. Denn die Parteien, die dem Bundespräsidenten einen Bundeskanzler präsentieren, müssen sich vorher einig werden, damit eine Mehrheit hinter dem Bundeskanzler steht. Das ist ein großer Vorteil, und die Ernennung des Bundeskanzlers durch den Bundespräsidenten hat dann ein ganz anderes Gewicht. Damit sind die Schwierigkeiten, die später auftauchen könnten, vorweg beseitigt. Der Bundespräsident ernennt den Bundeskanzler, über den die Fraktionen sich vorher geeinigt haben. Das ist der normale Ablauf der Prozedur, und wir brauchen nicht mehr von irgendwelchen Anomalien auszugehen. Ich glaube daher, man sollte dem Vorschlag der sozialdemokratischen Fraktion zu Art. 87 zustimmen. 12)

Für die SPD-Fraktion war der Abg. Zinn Mitglied des Allgemeinen Redaktionsausschusses.

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Dr. Seebohm (DP): In dem Vorschlag der SPD-Fraktion fehlt nur die Einschaltung der Legalitätsreserve des Bundesrats, der in Abs. 3 des Vorschlags der CDU enthalten ist. Nun scheint es mir durchaus richtig und zweckmäßig zu sein, diese Legalitätsreserve einzuschalten, bevor man zu einem Minderheitsbeschluß kommt. Man sollte die ausgleichende Wirkung des Bundesrats in einem solchen Fall nicht unterschätzen. Die Vertreter der Länder könnten auf die Fraktionen des Bundestags einen recht heilsamen und ausgleichenden Einfluß ausüben, damit diese sich doch noch auf eine Mehrheitsregierung einigen. So wird am besten die Gefahr vermieden, daß ein Minderheitskandidat gewählt und ernannt wird. Das hat meist zur Folge, daß die Auflösung des Bundestags in naher Sicht ist. Diese Gefahr sollte man so weit wie möglich hinausschieben, und zu diesem Zweck würde es sich sehr empfehlen, die Legalitätsreserve des Bundesrats in Form eines Vorschlagsrechts einzubauen. Natürlich hängt sehr viel davon ab, wie der Bundesrat zusammengesetzt sein wird. Kommt es, wie ich hoffe und annehme, zu einem echten Bundesrat mit wirklicher Legalitätsreserve – eine Länderkammer auf Senatsbasis würde eine solche nicht bieten –, so hat ein solcher Bundesrat die Möglichkeit, ausgleichend auf die Regierungsbildung einzuwirken. Ich halte eine solche ausgleichende Einflußnahme des Bundesrats für sehr wesentlich. Dem Bundesrat werden Männer angehören, die schon ihrer Persönlichkeit nach einen Einfluß auf die Parteien ausüben können. Diesen Einfluß sollte man einschalten, bevor man sich zu einer Minderheitsregierung entschließen muß. Dr. Lehr (CDU): Wir legten Wert auf die Beibehaltung der Fassung des Antrags Walter, insbesondere auch auf die Aufrechterhaltung der Legalitätsreserve des Bundesrats. Wir sind aber bereit, den Bedenken des Herrn Dr. Katz Rechnung zu tragen, indem wir den Vorschlag Walter durch folgenden Zusatz zu Abs. 2 ergänzen: [S. 43] Erhält auch dieser nicht innerhalb zwei Wochen das Vertrauen des Bundestags, so kann der Bundestag mit einfacher Mehrheit innerhalb zwei Wochen dem Bundespräsidenten einen Bundeskanzler benennen. Dr. Dehler (FDP): Ich halte den Vorschlag der Fraktion der SPD für glücklich. Er trägt, scheint mir, allen Notwendigkeiten Rechnung und sieht primär die Wahl durch die Mehrheit des Bundestags vor. Dabei braucht man keine Initiative des Bundespräsidenten. Entweder hat eine Partei die Mehrheit, oder aber es bildet sich eine Koalition, die den Bundeskanzler wählt, worauf der Bundespräsident ihn ernennt. Erst wenn Schwierigkeiten entstehen, empfiehlt es sich, den Bundespräsidenten einzuschalten. Die Einschaltung der Legalitätsreserve des Bundesrats würde immer in gewissem Maße eine Aufgabe des parlamentarischen Prinzips in sich schließen. In diesem Fall erscheint der Rückgriff auf eine Minderheitswahl durch den Bundestag zweckmäßig. Ich halte die Lösung, die der Vorschlag der sozialdemokratischen Fraktion gibt, für sehr sauber und klar. Wir werden diesem Antrag zustimmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Zwei Anträge stehen zur Abstimmung. Beide sind darauf gerichtet, an die Stelle des Art. 87 in der Fassung der Vorlage zu treten: der Antrag der SPD und der abgeänderte Antrag der CDU/CSU-Fraktion. Mir scheint, daß der Vorschlag der SPD der weitergehende Antrag ist. Ich stelle ihn daher zuerst zur Abstimmung. – Der Antrag der SPD ist mit 12 gegen 8 Stimmen angenommen.

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[3.2. ART. 90: KONSTRUKTIVES MISSTRAUENSVOTUM]

Ich rufe nunmehr auf Art. 90. Dr. Katz (SPD): In bezug auf den Art. 90 und den, wie ich gleich sagen möchte, mit ihm zusammenhängenden Art. 90a in der Fassung des Redaktionsausschusses13) haben wir14) uns ebenfalls weitgehend der Ansicht des Redaktionsausschusses angeschlossen. In der Sache selber sind wir allerdings der Ansicht, daß der Art. 90, der praktisch besagt, daß das konstruktive Mißtrauensvotum gelten soll, in der alten Fassung15) den Vorzug vor der Fassung des Redaktionsausschusses verdient. Ich schlage daher vor, Art. 90 im wesentlichen in der Fassung anzunehmen, die der Organisationsausschuß beschlossen hat. Die Abweichungen sind nur geringfügiger Art. Art. 90 würde also lauten: (1) Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Mißtrauen mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder aussprechen, jedoch nur in der Form, daß er den Bundespräsidenten unter Benennung eines durch die Mehrheit des Bundestags gewählten Nachfolgers ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen. (2) Zwischen dem Antrag und der Abstimmung über das Mißtrauensvotum müssen 48 Stunden liegen. Die einzige Abänderung gegenüber der Fassung des Organisationsausschusses besteht darin, daß wir, nachdem wir in Art. 87 als Hauptform der Bestimmung des Bundeskanzlers die Wahl durch den Bundestag vorgesehen haben, diesen Modus auch in Art. 90 aufgenommen haben. Walter (CDU): Meine Fraktion besteht auf dem Antrag, den sie gestellt hat16). Gegen den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion darf ich folgende Bedenken geltend machen. Ich übersehe seine Tragweite noch nicht völlig. Zunächst erfordert das Mißtrauensvotum die absolute Mehrheit, also mehr als die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestags; das wären bei 400 Abgeordneten 201 Mitglieder. Dagegen wird bei der Wahl des Bundeskanzlers nur von der Mehrheit des Bundestags gesprochen. Welche Mehrheit ist hier gemeint? Mehrheit der Anwesenden oder Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl? Dr. Katz (SPD): Wir gehen von der gesetzlichen Zahl der Mitglieder des Bundestags aus. Walter (CDU): Diese Streitfrage ist übrigens schon bei den Beratungen im Organisationsausschuß aufgetreten17). Ganz klar ist die Bestimmung jedenfalls nicht. 13) 14) 15) 16) 17)

Für den Wortlaut der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses vgl. auch Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 60 f. Mit „wir“ meint Katz (SPD) die Mitglieder seiner eigenen Fraktion. Vgl. die Zusammenstellung des Ausschusses für die Organisation des Bundes vom 10. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 29, S. 800. Für den Wortlaut des Antrags von Walter vgl. Drucks. Nr. 303; ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 28, S. 778–783 und S. 792, Anm. 86. Vgl. dazu 6. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 24. Sept. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/1, S. 182–185.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe keine Bedenken, die Worte „mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder“ zu streichen. (Widerspruch.) – Die Hälfte der gesetzlichen Zahl der Mitglieder ist 400 : 2. Die absolute Mehrheit, also mehr als die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl, ist 400: 2 + 1. Das ist absolut sicher. (Widerspruch des Abgeordneten Walter [CDU].) Dr. Katz (SPD): Um jeden Zweifel auszuschließen, bin ich damit einverstanden, daß wir in unserem Vorschlag zu Art. 80 Abs. 1 Zeile 4 sagen: „durch die Mehrheit der gesetzlichen Zahl der Mitglieder des Bundestages“. Übrigens hätte ich auch so keinen Zweifel gehabt, weil es schon [in] der zweiten Zeile steht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Aber der Text muß identisch sein. Ich glaube, wir können die Worte an beiden Stellen streichen. Dr. Katz (SPD): Man könnte sagen: „durch die gleiche Mehrheit des Bundestags“. Durch das Wort „gleiche“ ist jeder Zweifel beseitigt. Dr. Seebohm (DP): Dieser Ausdruck erscheint mir unklar. Wenn wir von gleicher Mehrheit sprechen, so könnte gemeint sein, daß die gleichen Abgeordneten wählen. Ich kann mir vorstellen, daß auch andere Abgeordnete mitwählen. Dann würden sich bei der Auslegung Schwierigkeiten ergeben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich schlage vor, daß wir bei der gesetzlichen Mitgliederzahl bleiben. Dr. Dehler (FDP): Das scheint mir ganz eindeutig zu sein. Schönfelder (SPD): Wir sollten uns an den Sprachgebrauch halten, wie er in der Verfassung und in der Geschäftsordnung festgelegt ist. Da unterscheidet man zwischen der Mehrheit und der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestags. Für den juristisch nicht Gebildeten ist es besser, wenn wir „gesetzlich“ stehen lassen. Dr. Dehler (FDP): Wir sprechen in Art. 87 auch von der „Hälfte seiner Mitglieder“. Das heißt: die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl. Das ist konsequent. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Unstimmigkeit kann in der zweiten Lesung beseitigt werden. Schönfelder (SPD): Warum kann sie nicht gleich korrigiert werden? Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir kommen nun zur Abstimmung. Walter (CDU): Zur Abstimmung! Der Antrag der CDU/CSU ist der weitergehende. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Antrag Walter lautet: (1) Die Bundesregierung bedarf zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Bundestags. (2) Der Bundestag kann der Bundesregierung mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder das Vertrauen entziehen. Die Abstimmung über einen solchen Antrag darf frühestens am dritten Tage nach dem Tage stattfinden, an dem der Antrag eingebracht worden ist. [S. 44] (3) Die Bundesregierung bleibt im Amt, wenn der Bundestag nicht innerhalb einer Frist von drei Wochen einer neuen Bundesregierung das Vertrauen ausspricht. Dr. Seebohm (DP): Der Abs. 1 des Antrags Walter: „Die Bundesregierung bedarf zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Bundestags“ fehlt in dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion.

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Dr. Katz (SPD): Es ist klar, daß der Bundesregierung schon bei der Wahl das Vertrauen des Bundestags ausgesprochen wird. Daher halten wir es für überflüssig, das noch einmal ausdrücklich zu erwähnen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Eine Bundesregierung kann nur im Amt sein, wenn sie das Vertrauen des Bundestags erhalten hat. Wird es ihr entzogen, muß sie zurücktreten. Walter (CDU): Ich bin anderer Meinung. Bei der Wahl wird nur der Bundeskanzler gewählt. Hier aber wird ausdrücklich gesagt, daß die gesamte Bundesregierung des Vertrauens des Bundestags bedarf. Insofern besteht doch ein sachlicher Unterschied. Es ist durchaus möglich, einen Bundeskanzler zu finden. Aber damit ist noch nicht die Bundesregierung auf die Beine gestellt. Mein Antrag stellt nicht auf die Person des Bundeskanzlers ab, sondern auf die Bundesregierung insgesamt. Dr. Katz (SPD): Ich meine, diese Frage haben wir bereits gestern18) gelöst, indem wir für den Amtsantritt eines jeden Bundesministers ebenfalls das Vertrauen des Bundestags gefordert haben. Der Bundeskanzler erhält das Vertrauen durch die Wahl. Jeder Bundesminister bedarf des Vertrauens des Bundestags bei seinem Amtsantritt. Daher halten wir eine nochmalige Vorstellung der Gesamtregierung mit der Stellung einer besonderen Vertrauensfrage oder dergleichen für überflüssig. Aus dem gleichen Grunde halten wir entgegen der Auffassung des Herrn Dr. Seebohm die Wiederholung eines an sich klaren Sachverhalts nicht für notwendig. Vors. Dr. Schmid (SPD): Was Herr Dr. Katz sagt, ist richtig. Die Bestimmung, daß die Bundesregierung zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Bundestags bedarf, stand in der ersten Fassung der Beschlüsse des Organisationsausschusses. Sie ist dann gestrichen worden. Vorgestern wurde sie mit dem Antrag Walter wieder aufgenommen. Wir kommen zur Abstimmung. Der Antrag Walter erst abstimmen19) – Der Antrag Walter ist mit 11 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Ich lasse jetzt über den Antrag der Fraktion der SPD abstimmen. – Der Antrag ist mit 11 Stimmen angenommen.

[3.3. ART. 90a: AUFLÖSUNG DES BUNDESTAGES]

Dr. Katz (SPD): Die Fraktion der SPD beantragt, nach Art. 90 einen Art. 90a einzuschieben. Er will die Möglichkeit einer Auflösung des Bundestags für den Fall erheblicher politischer Differenzen zwischen Bundesregierung und Bundestag schaffen. Wir sind auch da im wesentlichen dem Vorschlag des Redaktionsausschusses gefolgt. Wir sind aber der Ansicht, daß es genügt, wenn dieser Antrag von der Bundesregierung ausgeht. Daher haben wir den Antrag des Redaktionsausschusses20) leicht verändert und schlagen Ihnen folgende Fassung des Art. 90a vor: 18)

Vgl. dazu oben Dok. Nr. 3, S. 82–85. Statt „Der Antrag Walter erst abstimmen“ im stenograph. Wortprot., S. 20: „Der Antrag Walter ist der weitergehende; wir werden also über ihn zuerst abstimmen.“ 20) Vgl. die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 16. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 61. 19)

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(1) Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung von mehr als der Hälfte der Mitglieder des Bundestags, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen 21 Tagen den Bundestag auflösen. Das Recht zur Auflösung erlischt, sobald der Bundestag mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen anderen Bundeskanzler wählt. (2) Zwischen dem Antrag und der Abstimmung müssen 48 Stunden liegen. Zur Erläuterung möchte ich anführen: Hier handelt es sich nicht um einen Mißtrauensantrag im Sinne der Weimarer Verfassung21), sondern um die Möglichkeit, der Bundesregierung im Falle eines ernsthaften politischen Konflikts oder für den Fall, daß die Bundesregierung den Wunsch hat, eine wichtige politische Frage durch das Volk entscheiden zu lassen, ein Auflösungsrecht zu schaffen. Das ist in den früheren Beschlüssen und Entwürfen nicht gegeben gewesen, sondern erst der Redaktionsausschuß hat diese Idee neu hereingebracht. Wir halten sie für richtig und gesund und bitten, dem Art. 90a in unserer Fassung zuzustimmen. Dr. von Brentano (CDU): Nach der Fassung des Art. 87 Abs. 2 ist ein Art. 90a22) in dieser Form notwendig, weil die Existenz eines Minderheitskabinetts einmal einen Abschluß finden kann und muß. Gleichwohl meine ich, daß die Fassung des Redaktionsausschusses, die etwas weiter geht, vorzuziehen ist. Man soll dem Parlament nicht das Recht nehmen, auch von sich aus einem solchen Minderheitskabinett das Mißtrauen auszusprechen, um auf diesem Wege eine Auflösung des Bundestags zu erzwingen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Art. 90 sieht für das Mißtrauensvotum ein bestimmtes Verfahren vor. Es handelt sich hierbei um das sogenannte konstruktive Mißtrauensvotum. Wenn es beim Entwurf des Redaktionsausschusses bliebe, dann könnte das Mißtrauen ausgesprochen werden, ohne daß ein Nachfolger der zu stürzenden Regierung präsentiert wird. Wir hätten dann zwei völlig neuartige Möglichkeiten, von denen die eine durch die andere negiert wird. Beides zusammen geht nicht, nur das eine oder das andere. Dr. Katz (SPD): Wir haben sehr bewußt diese Möglichkeit ausgelassen; denn dann würden wir neben dem konstruktiven Mißtrauensvotum das destruktive Mißtrauensvotum haben, das wir nicht wollen, ein destruktives Mißtrauensvotum, aus dem keinerlei Folgerungen gezogen werden, wenn die Regierung nicht die Absicht hat, die Auflösung des Bundestags vorzunehmen. Ein Mißtrauensvotum dieser Art könnte die moralische Position der Bundesregierung erschüttern, ohne auch nur das geringste zu nützen. Aus diesem Grund haben wir diesen Passus aus dem Vorschlag des Redaktionsausschusses gestrichen. Dr. Dehler (FDP): Ich schließe mich der Anschauung des Herrn Dr. von Brentano an. Es ist durchaus denkbar, daß eine Mehrheitsopposition vorhanden ist, die mit der Bundesregierung nicht mehr einverstanden, aber nicht in der Lage ist, einen Mißtrauensantrag zu stellen. Das führt zu einer offenen Krise. Warum soll man die

21)

Vgl. dazu Art. 54 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919; oben Dok. Nr. 3, S. 67, Anm. 13. 22) Statt „Art. 90 a“ im stenograph. Wortprot., S. 22, irrtümlich: „Art. 90“.

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Möglichkeit ausschließen, daß die Mehrheit des Bundestags erklärt, sie wolle mit diesem Bundeskanzler nicht mehr zusammenarbeiten? Wenn das nicht geschieht, schleppt sich die Krise latent fort, und es kommt nicht zu ihrer Lösung. Es muß die Möglichkeit gegeben sein, zu sagen, daß man mit der Bundesregierung nicht mehr zusammenarbeiten könne. Oder aber man muß einen anderen Weg finden: den Weg der Selbstauflösung. Ich halte die Fassung des Redaktionsausschusses für durchaus richtig, die beide Möglichkeiten vorsieht. Entweder spricht der Bundestag der Bundesregierung sein Mißtrauen aus, ohne in der Lage zu sein, einen Antrag auf Wahl eines neuen Kanzlers stellen zu können, oder der Bundeskanzler erklärt: Bitte, sprecht mir das Vertrauen aus; wenn ihr das nicht tut, werden wir den Bundestag auflösen. Dr. Menzel (SPD): Gerade die Begründung, die Herr Dr. Dehler der Fassung des Redaktionsausschusses gegeben hat, bestimmt uns, bei unserem Antrag zu bleiben. Wenn wir einer unechten Mehrheit, wie wir sie vor 1933 im Reichstag hatten23) und unter deren Auswirkungen wir so sehr gelitten haben, die Möglichkeit geben, eine Regierung mit dem Odium des Mißtrauens zu belasten, ohne daß die betreffenden Fraktionen gezwungen werden, selbst die Verantwortung zu übernehmen, dann wird die Wirkung eines guten demokratisch-parlamentarischen Mittels nicht aufbauend, [S. 45] sondern destruktiv sein. Gerade die Erfahrungen zwischen 1918 und 1933 sollten uns vor der Rückkehr zu den damaligen Mißständen warnen. Wir halten daher unseren Antrag voll aufrecht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich meine, daß wir, ehe wir diese Frage endgültig entscheiden, zum parlamentarischen Prinzip als solchem grundsätzlich Stellung nehmen müßten. Sollen beliebige Mehrheiten, unechte Mehrheiten, deren Flügel sich ansonsten spinnefeind sind, die Regierungstätigkeit blockieren können? Wenn ja, dann müssen wir bei der alten Vorstellung bleiben, daß jede beliebige Mehrheit genügt, um die Regierung zu stürzen. Wenn wir aber der Meinung sind, daß echte Opposition ohne den korrespondierenden Begriff der Verantwortung nicht möglich ist, daß wahre Opposition also zum mindesten die Bereitschaft in sich schließen muß, zusammen mit allen, die gegen die Regierung sind, sich an die Stelle dieser Regierung zu setzen, dann müssen wir uns auf den Standpunkt stellen, daß ein Mißtrauensvotum mit allen seinen gesetzlichen Folgen nur von einer Mehrheit ausgesprochen werden darf, die auch willens und imstande ist, die Regierung zu übernehmen. Wenn wir auf diesem Standpunkt stehen, müssen wir die vom Redaktionsausschuß vorgeschlagene Fassung – jedenfalls ihren ersten Teil, der im Antrag der SPD mit Absicht weggelassen worden ist – als unmöglich deklarieren. Dr. von Brentano (CDU): Die Fragestellung, von der Herr Dr. Schmid ausgeht, trifft nicht den Kern. Wir müssen die Dinge so durchdenken, wie sie sich in der Praxis abspielen. Art. 87 gibt die Möglichkeit, daß ein Bundeskanzler eine Regierung führt, die nicht die Mehrheit des Parlaments hinter sich hat, während Art. 90a in 23)

Die letzte Regierung mit parlamentarischer Mehrheit während der Weimarer Republik war die Große Koalition unter Reichskanzler Hermann Müller (SPD), 1928–1930. Mit „unechten Mehrheiten“ sind nach Menzels Auffassung jene Situationen gemeint, in denen die linken und rechten Flügelparteien rechnerisch zwar in der Mehrheit waren, jedoch unfähig zur Regierungsbildung.

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der Fassung des Antrags der SPD die Möglichkeit gibt, daß diese Minderheitsregierung gegen den Willen des Parlaments auf beliebige Zeit hinaus weiterarbeitet, weil Bundespräsident und Bundeskanzler sich nicht verständigen. Der Kanzler kann in einem solchen Fall die Vertrauensfrage stellen, und dadurch gibt er dem Bundespräsidenten die Möglichkeit, den Bundestag aufzulösen. Es kann aber ein zwingendes öffentliches Interesse vorliegen – zumal wenn heterogene Minderheiten sich zu einer Mehrheit zusammenschließen –, eine Neuwahl auszuschreiben, und es kann auch im Interesse des Parlaments selbst liegen, eine Neuwahl zu erzwingen. Wir sollten diese Möglichkeit nicht ausschließen. Wir sollten es nicht allein in die Hand des Kanzlers legen, ob er die Vertrauensfrage stellen will oder nicht. Die Fassung des Redaktionsausschusses sieht zwar keinen Zwang zur Auflösung vor, wohl aber will sie durch ein Mißtrauensvotum des Bundestags dem Bundespräsidenten die Möglichkeit geben, auch die Meinung der Mehrheit des Bundestags zu berücksichtigen und zu sagen: Ich sehe ein, daß dieses Mißtrauensvotum unabsehbare Folgen hat; ich warte nicht, bis der Kanzler die Vertrauensfrage stellt, sondern hier hat der Bundestag recht, der auf eine Entscheidung drängt: ich löse auf. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, man sollte das Wort „Mißtrauensvotum“ nur im technischen Sinne verwenden. Man sollte von einem „Mißtrauensvotum“ nur sprechen, wenn sich daran bestimmte rechtliche Folgen knüpfen, zum Beispiel die rechtliche Folge des Rücktritts der Regierung. Wenn wir jede Mißbilligung mit den Rechtsfolgen eines Mißtrauensvotums ausstatten wollen, dann sollten wir das auch in der Terminologie zum Ausdruck bringen. Grundsätzlich möchte ich noch folgendes bemerken. Die Geschichte kennt eine Reihe von Beispielen, daß auch Minderheitsregierungen imstande waren, vernünftig und ergiebig zu regieren. Ich erinnere nur an die Regierung MacDonald in England, die wir alle noch erlebt haben. Eine solche Regierung kann mit wechselnden Mehrheiten durchaus auch die Legislative in Gang halten. Wenn aber die Zustände so werden, wie sie Herr Dr. von Brentano vorhin geschildert hat, wenn die Tätigkeit der Regierung von einer wechselnden Mehrheit absolut blockiert wird, dann ist doch der Fall gegeben, daß der Kanzler nicht anders kann, als den Bundestag zu zwingen, sich zu einer klaren Verantwortung zu bekennen, indem er die Vertrauensfrage stellt. Unterliegt er hierbei, dann ist die Auflösung des Bundestags die natürliche Folge. Gerade dieser Fall ist in dem Abänderungsantrag der SPD zu Art. 90a vorgesehen. Wortmeldungen liegen nicht mehr vor; ich stelle Art. 90a zur Abstimmung. – Der Antrag der SPD ist mit 16 gegen 2 Stimmen angenommen. Damit ist dieser Abschnitt erledigt.

[4. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT II: ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN] [4.1. VORGEHENSWEISE DES HAUPTAUSSCHUSSES]

Wir kommen nun zur Beratung von Abschnitt II Allgemeine Bestimmungen, Art. 21 ff. Der Redaktionsausschuß hat uns dankenswerterweise die von ihm aus-

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gearbeitete Fassung24) vorgelegt, die wir zur Grundlage unserer Beratung machen wollen. Dr. von Mangoldt (CDU): Der Ausschuß für Grundsatzfragen hat in zweiter Lesung einen Entwurf25) für diese Artikel fertiggestellt. Ich schlage vor, diesen Entwurf zur Grundlage der Erörterung zu machen, da der andere uns nicht bekannt ist und die Fraktionen keine Gelegenheit hatten, sich über ihn zu unterhalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Dr. von Mangoldt stellt den Antrag, nicht die Beschlüsse des Redaktionsausschusses unserer Beratung zugrunde zu legen, sondern den Vorschlag zweiter Lesung des Ausschusses für Grundsatzfragen, der der zuständige Fachausschuß ist. Wir werden darüber entscheiden müssen. Bisher bestand Übereinstimmung, daß wir der Arbeit des Hauptausschusses die Vorschläge des Redaktionsausschusses zugrunde legen wollen26). Wenn wir nunmehr von diesem Brauch abgehen wollen, müssen wir das ausdrücklich beschließen. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf auf ein Schreiben des Herrn Präsidenten des Parlamentarischen Rates hinweisen, in dem ausdrücklich erklärt wird, daß die Beschlüsse des Redaktionsausschusses an die Fachausschüsse zu gehen haben und daß die Vorlagen der Fachausschüsse als Grundlage der Beratungen des Hauptausschusses zu gelten haben27). Schönfelder (SPD): Ich denke, der Hauptausschuß wird allein über die Regelung seiner Geschäfte beschließen können. Dr. von Mangoldt (CDU): Der Ältestenrat des Parlamentarischen Rates hat in einem Beschluß ausdrücklich festgestellt, was ich hier sage. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wenn ich mich nicht täusche, ist gestern im Ältestenrat etwas anderes beschlossen worden, nämlich daß nicht mehr weiter nach dem von Herrn Dr. von Mangoldt hier zitierten Vorschlag prozediert werden soll28). Dr. Seebohm (DP): Im Ältestenrat wurde die Auffassung vertreten, daß, um die Arbeit zu beschleunigen, es notwendig ist, von dem üblichen Verfahren abzuweichen und in jedem Fall, in dem eine Fassung des Redaktionsausschusses vorliegt, diese zur Grundlage der Beratung zu nehmen, wobei es den einzelnen Fachausschüssen unbenommen bleibt, ihre Formulierungen durch Anträge mit einzuschalten. Ich möchte die Frage aufwerfen, ob es nicht angesichts der schwierigen Situation zweckmäßig erscheint, die Beratung des Hauptausschusses zu unterbrechen, damit man die Vorschläge des Redaktionsausschusses studieren kann. Dr. von Mangoldt (CDU): Wenn die Fraktionen noch keine Möglichkeit hatten, die Formulierung des Redaktionsausschusses zu besprechen, dann halte ich es für 24)

25)

26) 27)

28)

Die Drucks. Nr. 279 vom 16. Nov. 1948 ist ediert im Zusammenhang mit den übrigen Stellungnahmen des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 10. Nov. bis 5. Dez. 1948 in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 42–51. Die als Anlage zum Kurzprotokoll der 20. Sitzung vom 10. Nov. 1948 in Drucks. Nr. 269 vorgelegte Entwurf des Ausschusses für Grundsatzfragen ist ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 26, S. 550–553. Vgl. dazu TOP 2.1 der 2. Sitzung des HptA am 11. Nov. 1948, oben Dok. Nr. 2, S. 10. Für den Wortlaut des von Präs. Adenauer gez. Beschlusses des Ältestenrates vom 11. Nov. 1948 siehe die maschinenschr. vervielfält. Drucksache Nr. 268, ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. A 12, S. 34. Eine Aufzeichnung der Ältestenratssitzung am 16. Nov. 1948 ist nicht erhalten; zu dieser Sitzung vgl. jedoch: Der Parl. Rat, Bd. 10, S. XXXI mit Anm. 145.

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ausgeschlossen, die Fassung des [S. 46] Redaktionsausschusses zur Grundlage unserer Beratungen zu machen, weil dieser sich leider nicht ganz an seinen Auftrag gehalten hat, der dahin ging, grundlegende Änderungen den Fachausschüssen zur nochmaligen Beratung zuzuleiten. Es scheint mir doch wesentlich zu sein, daß die Fraktionen zu den Vorschlägen Stellung genommen haben, ehe sie im Hauptausschuß behandelt werden. Brockmann (Z): Wir kommen weiter, wenn wir uns an die parlamentarischen Gepflogenheiten halten. Danach empfiehlt es sich, als Grundlage unserer Beratung das zu nehmen, was der zuständige Fachausschuß beschlossen hat. Man kann jeweils die Formulierungen des Redaktionsausschusses zuziehen. Grundlage muß aber sein, was der zuständige Fachausschuß beschlossen hat. Im übrigen sind wir souverän in der Beschlußfassung darüber, wie wir verfahren wollen. Walter (CDU): Es ist geradezu unwürdig, wie die Arbeiten der einzelnen Fachausschüsse hier behandelt werden. Die Fachausschüsse haben sich während acht Wochen bemüht, zu einem Ergebnis zu kommen. Sie haben ihre Beschlüsse schriftlich niedergelegt; diese sind in der Hand der Mitglieder des Hauses. Aber nun kommt ein Redaktionsausschuß, der einschneidende sachliche Änderungen an den Beschlüssen der Fachausschüsse vornimmt, ohne die Fachausschüsse oder auch nur deren Vorsitzende vorher zu stören. Ich denke, die Fachausschüsse hatten ihre Gründe für die Wahl dieser oder jener Formulierungen. Im Interesse des Ansehens der Fachausschüsse erscheint es dringend geboten, ihre Beschlüsse als Grundlage der Beratungen des Hauptausschusses anerkannt zu sehen. Es deprimiert etwas, ansehen zu müssen, wie der Redaktionsausschuß die Arbeiten der Fachausschüsse einfach über den Haufen wirft. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir müssen darüber abstimmen, welche der beiden Vorlagen uns als Arbeitsgrundlage dienen soll. – Es ist mit 9 gegen 8 Stimmen beschlossen, die Vorlage des Ausschusses für Grundsatzfragen zur Grundlage unserer Erörterungen zu machen.

[4.2. ART. 21: STAATLICHER AUFBAU UND ART. 21a: PARTEIEN]

Ich rufe auf Art. 21 in der Fassung des Ausschusses für Grundsatzfragen (PR. 11.48 – 269). Er lautet: (1) Deutschland ist eine demokratische und soziale Republik bundesstaatlichen Aufbaus, deren Regierung der Volksvertretung verantwortlich ist. (2) Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. (3) Das Volk übt diese einheitliche Gewalt in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung für jeden dieser Bereiche getrennt durch besondere Organe nach diesem Grundgesetz aus. (4) Rechtsprechung und Verwaltung stehen unter dem Gesetz. Ich darf nun Herrn Dr. Dehler bitten, die Fassung des Redaktionsausschusses zu vertreten. Dr. Dehler (FDP): Art. 21 Abs. 1 lautet nach dem Vorschlag des Redaktionsausschusses (PR. 11.48 – 279): Deutschland ist eine demokratische und soziale Bundesrepublik.

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Wenn man geographische oder politische Bedenken hat, kann man auch die Fassung wählen: Der Bund ist eine demokratische und soziale Republik. Abs. 2 lautet: Das Volk ist Träger der staatlichen Gewalt. Abs. 3 lautet: Sie wird vom Volk nach diesem Grundgesetz durch Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der vollziehenden Gewalt ausgeübt. Die Regierung ist dem Volke verantwortlich. Abs. 4 lautet: Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, Rechtsprechung und vollziehende Gewalt sind an Gesetz und Recht gebunden. Ich darf auf eine Begründung wohl verzichten; sie ergibt sich schon aus der Formulierung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Einen sachlichen Unterschied zwischen den beiden Fassungen kann ich nicht sehen; es handelt sich nur um redaktionelle Verschiedenheiten. Wir behandeln zunächst Abs. 1. Dr. Seebohm (DP): Ich schlage vor, Abs. 1 wie folgt zu fassen: Das Deutsche Reich ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Ich finde diese Fassung klarer. Zur Begründung verweise ich auf meine Ausführungen im Plenum. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Dr. Dehler, Sie stellen den Antrag auf Annahme der Fassung des Redaktionsausschusses? Dr. Dehler (FDP): Namens des Redaktionsausschusses stelle ich diesen Antrag. Vors. Dr. Schmid (SPD): Am weitesten geht der Antrag Dr. Seebohm. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag Dr. Seebohm ist mit 12 gegen 2 Stimmen abgelehnt. Wir kommen zum Antrag des Redaktionsausschusses. – Der Antrag des Redaktionsausschusses ist mit 15 gegen 3 Stimmen angenommen. Wir kommen zu Abs. 2. Dr. Seebohm (DP): Da wir eine Verfassung mit föderalem Aufbau schaffen wollen, schlage ich folgende Fassung vor: Volk und Länder sind Träger der Bundesgewalt. Dr. Dehler (FDP): Ich muß mich berichtigen. Ich habe die Fassung des Redaktionsausschusses falsch wiedergegeben. Sie lautet in Abs. 2: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus29). Vors. Dr. Schmid (SPD): Diese geänderte Fassung unterscheidet sich nur geringfügig von der Fassung des Ausschusses für Grundsatzfragen. Ich stelle den Antrag Dr. Seebohm, der der weitergehende ist, zur Abstimmung. – Der Antrag Dr. Seebohm ist mit 12 gegen 5 Stimmen abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Redaktionsausschusses, den 29)

Anders die Drucks. Nr. 279; Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 42: „Das Volk ist Träger der staatlichen Gewalt“.

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Herr Dr. Dehler soeben berichtigt hat: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ – Der Antrag des Redaktionsausschusses ist mit 12 Stimmen angenommen. Herr Dr. Laforet hat sich der Stimme enthalten. [S. 47] Wir kommen zu Abs. 3. Dr. Dehler (FDP): Der Antrag des Redaktionsausschusses lautet in Satz 1: Alle Staatsgewalt wird vom Volke nach diesem Grundgesetz durch Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der vollziehenden Gewalt ausgeübt. Das ist das Wesentliche. Der Antrag des Ausschusses für Grundsatzfragen enthält diese Klarstellung nicht. Ich halte die Formulierung des Redaktionsausschusses für treffender. Vors. Dr. Schmid (SPD): In Ihrem Vorschlag sind die Worte „für jeden dieser Bereiche getrennt“ nicht enthalten. Dr. Dehler (FDP): Dafür sage ich: „durch besondere Organe der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der vollziehenden Gewalt“. Dr. von Mangoldt (CDU): Wir haben im Ausschuß für Grundsatzfragen auf die Betonung der Einheitlichkeit der Staatsgewalt besonderen Wert gelegt. In den letzten 15 Jahren wurde im Schrifttum die Meinung vertreten, daß die Gewaltenteilung eine Aufsplitterung der Gesamtstaatsgewalt bedeute. Gerade um dieser Theorie entgegenzutreten, haben wir zum Ausdruck gebracht, daß es sich bei der Staatsgewalt um eine einheitliche Gewalt handelt, die in ihren verschiedenen Funktionen von besonderen Organen ausgeübt wird. Dr. von Brentano (CDU): Eine Frage an Herrn Dr. Dehler: Würden Sie sich mit dieser Änderung des Herrn Dr. von Mangoldt einverstanden erklären? Es würde dann heißen: „Diese einheitliche Gewalt wird vom Volke . . . ausgeübt“. Dann würde Ihre Fassung folgen. Dr. Dehler (FDP): So kann man auch sagen, obwohl die Bezeichnung „alle Staatsgewalt“ auch ausreichen dürfte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, eine Änderung ist nicht notwendig. Zinn (SPD): Wir haben in dem Abs. 2 bewußt die Worte „alle Staatsgewalt“ aufgenommen. Auf diese Weise wird die Einheitlichkeit der Gewalt in erkennbarer Weise zum Ausdruck gebracht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich stelle den ganzen Abs. 3 in der Fassung des Redaktionsausschusses zur Abstimmung. – Abs. 3 Satz 1 und 2 ist in der Fassung des Redaktionsausschusses mit 16 gegen 2 Stimmen angenommen. Wir kommen zu Abs. 4. Dr. Dehler (FDP): Wir haben es, um die Rechtsstaatlichkeit abzugrenzen, für nötig gehalten, zu sagen, daß die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung – hier kommen sowohl das Grundgesetz wie die Länderverfassungen in Frage –, Rechtsprechung und vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden sind. Damit ist, glauben wir, die Grundlage unseres Grundgesetzes, die Rechtsstaatlichkeit, besser ausgedrückt. Dr. von Mangoldt (CDU): Wir haben die verfassungsmäßige Ordnung bewußt weggelassen, weil es uns selbstverständlich erschien, daß die Verfassung alles bindet, Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung, so daß das nicht mehr besonders gesagt zu werden braucht. Die Befolgung des Grundsatzes von der Gesetzmäßigkeit aller Staatsgewalt versteht sich bei der Rechtsprechung von selbst, weil die Recht-

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sprechung nur die Aufgabe hat, die Gesetze anzuwenden und auszulegen. Der Grundsatz von der Rechtmäßigkeit der Verwaltung wird aber in der richtigen Form durch Abs. 4 des Vorschlags des Ausschusses für Grundsatzfragen zum Ausdruck gebracht. Dr. Dehler (FDP): Wir haben auch noch die Regierung hereingenommen und sie als vollziehende Gewalt bezeichnet. Darunter sind Regierung und Verwaltung zu verstehen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir kommen zur Abstimmung. Wer ist für die Ersetzung des Abs. 4 nach der Vorlage des Ausschusses für Grundsatzfragen durch den Vorschlag des Redaktionsausschusses? – Es ist mit 17 gegen 2 Stimmen so beschlossen. Dr. Seebohm (DP): Ich möchte den Grundsatz der staatsrechtlichen Trennung von Bund und Ländern im Grundgesetz klar verankert sehen und zu diesem Zweck einen weiteren Absatz des Inhalts vorschlagen: Die Länder üben kraft ihrer Staatshoheit alle Rechte aus, die nicht durch das Bundesgesetz auf den Bund übertragen sind. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ist das nicht eine Bestimmung, die an anderer Stelle behandelt werden wird? Ich glaube, sie wird in dem Abschnitt über die Kompetenzverteilung auftauchen. Dr. Seebohm (DP): Vielleicht ist es doch gut, wenn man diesen Grundsatz in dem hier gegebenen Zusammenhang festlegt. Hier handelt es sich um die Staatsgewalt; dort handelt es sich um Fragen der Zuständigkeit. Vors. Dr. Schmid (SPD): Art. 30 in der Fassung des Redaktionsausschusses besagt: Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zuläßt. Dr. Seebohm (DP): Ich muß bei meinem Einwand bleiben: Dort handelt es sich um die Zuständigkeit, hier aber um die Staatsgewalt. Dr. Menzel (SPD): Da wir die Tragweite dieses Antrags nicht sofort und völlig übersehen können, möchte ich anregen, die Beschlußfassung darüber zurückzustellen, bis wir den Kompetenzverteilungskatalog und den Art. 30 behandeln. Dr. Heuss (FDP): Ich bin dagegen, einen solchen Absatz einzufügen. Der Begriff der Staatshoheit der einzelnen Länder gehört nicht in eine Bestimmung, die sich mit der Gesetzgebung und Verwaltung befaßt. Beabsichtigt ist wohl eine Deklaration der Eigenstaatlichkeit der Länder, die aber zum großen Teil keinen Wert darauf legen, daß man ihnen Staatshoheit zuerkennt. Brockmann (Z): Der Antrag Dr. Seebohm ist mir an sich sympathisch. Ich möchte vorschlagen, ihn bei Art. 30 zu behandeln. Dann können wir abwägen, ob wir ihn dort einfügen wollen oder nicht. Ich möchte Herrn Dr. Seebohm empfehlen, seinen Antrag zurückzustellen, bis wir zu Art. 30 kommen. Dr. Seebohm (DP): Ich bin damit einverstanden, daß die Abstimmung über meinen Antrag zurückgestellt wird. Ich möchte aber ausdrücklich betonen, daß ich meinen Antrag grundsätzlich aufrechterhalte. Er muß bei Art. 30 behandelt werden. Wir müssen dann darüber Beschluß fassen, ob eine Bestimmung im Sinne meines Antrags einzufügen ist oder nicht. [S. 48]

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Dr. Dehler (FDP): Wir haben bei der Beratung über den Bundestag die Beschlußfassung über den Art. 47 zurückgestellt. Ich glaube, die Bestimmung über die Parteien hätte hier ihren Platz. Es dürfte sich empfehlen, die Regelung über die Parteien als Art. 21a einzufügen, nachdem wir in Art. 21 Abs. 3 die Wahlen und Abstimmungen behandeln. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es dürfte richtig sein, dem Vorschlag des Herrn Dr. Dehler stattzugeben. Auch ich glaube, daß die Parteien im Rahmen der ganzen Systematik hier zu behandeln sind und nicht erst später. Wir haben als Vorlage den Antrag des Redaktionsausschusses zu Art. 21a zur Verfügung. Er lautet: (1) Die Mitwirkung der Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes und die innere Ordnung der Parteien sind durch Gesetz zu regeln. (2) Die Bildung der Parteien ist frei. (3) Parteien, die darauf ausgehen, die freiheitliche und demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, sind verfassungswidrig. Über die Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Das Antragsrecht und das Verfahren werden durch Gesetz geregelt. (4) Auf andere Vereinigungen finden die Vorschriften über Parteien Anwendung, soweit sie Wahlvorschläge zum Bundestag oder zu Volksvertretungen in den Ländern einreichen oder ein Volksbegehren betreiben. Dr. Strauß (CDU): Muß es in Abs. 3 Satz 2 nicht besser heißen: „Über die Frage der Verfassungswidrigkeit“? Dr. Dehler (FDP): Richtig, ja. Es muß statt „Über die Verfassungswidrigkeit“ heißen: „Über die Frage der Verfassungswidrigkeit“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist wohl allgemeine Überzeugung des Hauptausschusses, daß diese redaktionelle Änderung zweckmäßig und notwendig ist. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich habe Bedenken gegen die Fassung des Abs. 3. Dort wird gesagt: „Parteien, die darauf ausgehen, die freiheitliche und demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, sind verfassungswidrig.“ Mir gehen die Worte „zu beeinträchtigen“ zu weit. Wie dieser Ausdruck auszulegen ist, kann streitig sein. Das Bundesverfassungsgericht wird dadurch später mit überflüssiger Arbeit belastet. Ich schlage vor, in Abs. 3 die Worte „zu beeinträchtigen oder“ zu streichen. Zinn (SPD): Vom Standpunkt des Redaktionsausschusses aus besteht kein Bedenken, diese Worte zu streichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Auch ich glaube, daß diese Worte gestrichen werden können. – Es erhebt sich kein Widerspruch; die Streichung ist beschlossen. Dr. Katz (SPD): Die vier letzten Worte des Abs. 4: „oder ein Volksbegehren betreiben“ beziehen sich lediglich auf die Länder. Im Bunde ist ein Volksbegehren nicht vorgesehen. Sind diese Worte absichtlich aufgenommen? Dr. Dehler (FDP): Das ist mit Absicht geschehen. Es gibt zum Beispiel auch ein Volksbegehren auf Änderung von Ländergrenzen. Zinn (SPD): Es ist dabei auch an den Fall gedacht, daß in einer Landesverfassung ein Volksbegehren vorgesehen ist. Dr. Katz (SPD): Einverstanden. Dr. Schwalber (CSU): Ich möchte mich gegen den Abs. 4 aussprechen; er bedeutet einen weitgehenden Einbruch in die Verfassungsautonomie der Länder. Überdies

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vermag ich nicht einzusehen, welche Berechtigung dieser Absatz darüber hinaus noch haben soll. Wenn es sich nur um Vereinigungen handelt, die sich an einem Volksbegehren oder etwa auch an Gemeindewahlen beteiligen, dann bitte ich um Auskunft darüber, welche Vereinigungen man sich dabei vorstellt. Vors. Dr. Schmid (SPD): An Gemeindewahlen ist dabei nicht gedacht. Dr. Dehler (FDP): Ein Beispiel: Der „Kulturbund für die Erneuerung Deutschlands“30) tritt bei Wahlen auf. Dr. Schwalber (CSU): Dann ist er Partei. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nein. Unter Partei ist zu verstehen eine stabile, auf die Dauer berechnete politische Organisation, während man sich vorstellen kann, daß sich auch lose Vereinigungen für einzelne Wahlhandlungen bilden können. So könnte sich also auch eine lose Vereinigung bilden, die gegen das Grundgesetz vorgehen will. Vielleicht wird sie eine Volksabstimmung beantragen, falls dazu die Möglichkeit gegeben ist. Solche Gebilde würden unter Abs. 4 fallen. Ich glaube also, daß eine derartige Bestimmung notwendig ist; sonst öffnen wir Gesetzesumgehungen, die uns nie willkommen sein können, Tür und Tor. Partei ist eine auf die Dauer berechnete, stabile Organisation. Für sie gelten die Abs. 1, 2 und 3. Das ist selbstverständlich. Daneben gibt es Zweckvereinigungen für einmalige Handlungen, und auch für diese ist eine gewisse Reglementierung notwendig; sofern wir überhaupt reglementieren wollen, müssen wir sie besonders nennen. Dr. Heuss (FDP): Es gibt auch Zweckvereinigungen, wie etwa die Bodenreformbewegung, die unter Umständen auf die Idee kommen, aktiv werden zu wollen. Auch für solche Fälle muß eine Regelung gegeben sein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir kommen zur Abstimmung über Art. 21a. Art. 21a ist mit 15 gegen 1 Stimme bei einigen Enthaltungen angenommen. Dr. Schwalber (CSU): Ich habe gegen Abs. 4 gestimmt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich stelle fest, daß Herr Dr. Schwalber gegen den Abs. 4 gestimmt hat.

[4.3. ART. 21b: BUNDESFARBEN]

Wir kommen zu Art. 21b der Fassung des Redaktionsausschusses31). Dr. von Mangoldt (CDU): Art. 21b entspricht dem Art. 28 der Beschlüsse des Ausschusses für Grundsatzfragen in zweiter Lesung32). Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir nehmen dann die Vorlage des Ausschusses für Grundsatzfragen als Beratungsgrundlage. Der Ausschuß für Grundsatzfragen schlägt zu Art. 28 zwei Varianten vor. Die eine lautet: Die Farben des Bundes sind Schwarz-Rot-Gold.

30)

Der „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ war am 9. Juli 1945 von der Sowjetischen Militäradministration Deutschland gegründet worden und war bis 1947 in allen vier Besatzungszonen tätig. 31) Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 42 f. 32) Ebd., Bd. 5/2, Dok. Nr. 26, S. 552.

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Die zweite Variante lautet: Die Flagge des Bundes zeigt auf rotem Grunde ein schwarzes liegendes Kreuz und auf dieses aufgelegt ein goldenes Kreuz. Dr. Bergsträsser (SPD): Meine Fraktion hat im Grundsatzausschuß den Antrag gestellt33): Die Flagge des Bundes ist schwarz-rot-gold in horizontaler Anordnung. Ich stelle auch heute diesen Antrag. Ohne diesen Zusatz „in horizontaler Anordnung“ würde das nur bedeuten, daß die Farben schwarz-rot-gold sind, ohne daß ihre Anordnung festgelegt wäre. Meine Fraktion hat beantragt, daß die alte Flagge übernommen wird, allerdings nicht – und darüber war sich der gesamte [S. 49] Grundsatzausschuß einig – die subsidiäre Flagge, die wir in der Weimarer Verfassung hatten34), die schwarz-weiß-rote Handelsflagge mit schwarz-rot-goldener Gösch35). Dr. Strauß (CDU): Ich möchte eine Frage an den Grundsatzausschuß richten. Wir müssen unterscheiden zwischen den Farben des Bundes und der Flagge. Mir ist nicht klar: Wollen Sie die Farben nicht festlegen und nur eine Flagge haben oder wollen Sie die Farben sowohl wie die Gestaltung der Flagge festlegen? Dr. Bergsträsser (SPD): Ursprünglich war nur die erste Variante gegeben: „Die Farben des Bundes sind schwarz-rot-gold“, und von der Fahne war nichts gesagt. Dann kam der Antrag der CDU, der die Farben festhielt, aber eine andere Anordnung verlangte. Ich mache darauf aufmerksam: Wenn man die andere Anordnung nimmt, kann man nicht mehr sagen „schwarz-rot-gold“ in Bindestrichverbindung, sondern dann muß man sagen: Schwarz, rot, gold. Dann ist die Verbindung nicht mehr gegeben, und man kann die Elemente mischen, wie man Lust hat, als rotgold-schwarz oder in allen anderen mathematisch möglichen Zusammenstellungen. Deswegen haben wir den Antrag gestellt, daß auch die Flagge in der in unserem Antrag angegebenen Form festgelegt werden soll. Dr. Heuss (FDP): Ich meine, wir lassen es bei der Fassung: „Die Farben des Bundes sind schwarz-rot-gold“. Die Formulierung: „in horizontaler Anordnung“ wirkt – ich will nicht sagen lächerlich, aber – zumindest als technische Anweisung in dem Sinn: „Um Gottes willen, macht es ja nicht anders!“ Wenn wir die Formulierung belassen: „Die Farben des Bundes sind schwarz-rot-gold“, dann hat die Bestimmung ihren natürlichen Klang. Das andere sieht wie eine Vorsichtsmaßnahme aus. „Horizontale Anordnung“ ist ein Begriff, der nicht in ein Grundgesetz hineingehört. Dr. Strauß (CDU): Ich möchte auf einen rechtlichen Gesichtspunkt aufmerksam machen. Das Bismarcksche Recht hat nur eine Handels-, eine Kriegs- und eine Schiffahrtsflagge gekannt36). Die Weimarer Verfassung hat die Farben festgelegt, 33)

Vgl. dazu den Beitrag des Abg. Bergsträsser in der 18. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 5. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 5/1, Dok. Nr. 23, bes. S. 485 f. 34) Vgl. Art. 3 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Die Reichsfarben sind schwarz-rot-gold. Die Handelsflagge ist schwarz-weiß-rot mit den Reichsfarben in der oberen inneren Ecke.“ RGBl. S. 1383. 35) Vgl. dazu die 11. und 17. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 14. Okt. 1948 bzw. am 3. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 5/1, Dok. Nr. 14, S. 300–303 und 465–471. 36) Vgl. den sog. „Flaggenartikel“ Art. 55 im Gesetz, betreffend die Verfassung des Deut-

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und daraus hat sich dann der Flaggenstreit37) entwickelt. Wir müssen, wenn wir eine klare Regelung treffen wollen, sowohl die Farben wie die bildhafte Darstellung der Flagge festlegen. Das erste wäre die Entscheidung über die Farben. Ich glaube, darüber ist Einigkeit vorhanden. Über die Gestaltung der Flagge müßten im Ausschuß noch Ausführungen gemacht werden. Dr. Lehr (CDU): Meine Freunde sind der Auffassung gewesen, daß wir uns hier nicht nur über die Farben, sondern auch über die Flagge auszusprechen haben. Wir sind der Meinung gewesen, daß es zweckmäßig ist, hier in diesem Grundgesetz bereits die Frage der Farben und der Flagge zu entscheiden. Man könnte der Meinung sein, daß man mit dieser Flaggen- und Farbenfrage die Verfassung nicht beschweren und sie vielleicht einem späteren Gesetz überlassen sollte. Wir sind aber zu der Überzeugung gekommen, die Interessen des künftigen Bundes und namentlich seiner Schiffahrt machen es notwendig, daß wir uns heute schon klar werden über die Farben und über die Flagge, die wir zeigen wollen. Wir gehen von der Auffassung aus, daß der alte Streit über die Farben schwarz-rot-gold dazu angetan ist, nennenswerte Teile der Bevölkerung voneinander zu trennen. Es ist deshalb unser Bestreben, einen Ausweg zu finden, der geeignet ist, diesen Widerstreit auszugleichen oder zumindest zu versöhnen. Wir stimmen für die Farben schwarz, rot und gold, sind aber der Auffassung, daß wir uns gleichzeitig über die Flagge schlüssig werden müssen. Wir wollen auf rotem Grund das schwarze liegende Kreuz und auf dieses aufgelegt ein goldenes Kreuz. Wir glauben, daß das Kreuz gerade in dieser Verbindung ein Symbol ist für das, was heute die Kulturländer Europas und des Abendlandes einigt. Deshalb legen wir auf dieses Kreuz in unserer Flagge Wert. Dr. Bergsträsser (SPD): Gegenüber Herrn Dr. Strauß möchte ich sagen, daß es möglich ist, die Bestimmung der Klarheit wegen so zu formulieren: „Die Farben und die Flagge sind schwarz-rot-gold.“ Diese Formulierung möchte ich gerne akzeptieren. Zu den Vorschlägen, die Herr Dr. Lehr gemacht hat, sage ich nur eines: Ich halte derartige neue Kombinationen der alten Materie, um es einmal so auszudrücken, für künstlich und für etwas, was bei niemandem eine werbende Kraft haben schen Reichs vom 16. April 1871: „Die Flagge der Kriegs- und Handelsmarine ist schwarz-weiß-rot.“ Deutsches Reichsgesetzblatt 1871, S. 63 ff. 37) Der sog. Flaggenstreit zwischen „Schwarz-Rot-Gold“, den Farben der deutschen Einigungsbewegung, und „Schwarz-Weiß-Rot“, den Farben des Bismarckreiches, war mitverantwortlich für den Untergang der Weimarer Republik. Am 5. Mai 1926 folgte Hindenburg den Wünschen des parteilosen von Reichskanzler Hans Luthers durch Erlaß einer neuen Flaggenordnung: Neben der Reichsflagge durften deutsche Vertretungen in europäischen Seehandelshäfen sowie außerhalb Europas auch die schwarz-weiß-rote Handelsflagge mit dem kleinen Obereck in den Reichsfarben zeigen. Die Verordnung löste den Protest der SPD, der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und der Zentrumspartei aus, sowie von Gewerkschaften und dem Wehrverband „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“. Die DDP stellte am 12. Mai 1926 im Reichstag einen Mißtrauensantrag gegen Reichskanzler Luther, der mit 177 zu 146 Stimmen angenommen wurde. Noch am gleichen Tag trat Luther mit dem Kabinett zurück. Die Flaggenordnung blieb in Kraft. Jörg M. Hormann/Dominik Plaschke: Deutsche Flaggen. Geschichte – Tradition – Verwendung, Hamburg 2006.

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wird, während der alten Kombination schwarz-rot-gold eine bestimmte werbende Kraft innewohnt. Es ist kein Zufall, daß diese Fahne, als der Parlamentarische Rat hier seine Arbeit begann, aufgezogen worden ist. Überdies sehe ich nicht ein, warum man, nachdem mit dieser Fahne doch eine bestimmte Stellung nicht nur unserer Anhänger, sondern der Anhänger der republikanischen Gestaltung in Deutschland überhaupt verbunden gewesen ist, diese Fahne nicht übernehmen soll und warum man gerade die Menschen, die die getreuesten Anhänger dieser republikanischen Idee gewesen sind, vor den Kopf stoßen will. Ich möchte die Bestimmung daher so formulieren: „Die Farben und die Flagge des Bundes sind schwarz-rot-gold.“ Dr. Strauß (CDU): Wir sind bei der Prüfung dieser Frage mit dem für sie wirklich gebotenen Ernst an unsere Überlegungen herangegangen, und es liegt uns wie auch Ihnen nichts mehr am Herzen, als daß das neue Staatsleben mit einem Symbol ausgestattet wird, das in der Volksgesamtheit auf eine einhellige Zustimmung stößt. Wir glauben aber bei leidenschaftsloser Betrachtung, daß dies nicht eintreten wird, wenn wir zu dem Symbol zurückkehren, das, Gott sei es geklagt, zweimal in unserer Geschichte von einem Erfolg nicht begleitet war. Wir haben während der Weimarer Republik den Flaggenstreit erlebt und wir wissen, was er uns gekostet hat. Ich will auf die Vergangenheit und ihre Fehler nicht eingehen, ich glaube aber, ich muß Herrn Dr. Bergsträsser widersprechen, wenn er von der allgemeinen Werbekraft von schwarz-rot-gold in der Trikolorenform spricht. Gerade der Widerhall, den die Erörterung dieser Frage durch den Parlamentarischen Rat bzw. durch den Ausschuß in der Öffentlichkeit gefunden hat – und es ist leider fast der einzige Widerhall –, zeigt uns, daß in weiten Kreisen der Öffentlichkeit ein Wunsch dafür vorhanden ist, ein gemeinsames Symbol zu finden, das neuartig ist. Wir gehen bei diesem Symbol bewußt von der Farbenzusammensetzung schwarz-rot-gold aus, weil darin für uns alle eine Verpflichtung liegt, wenn diese Farben auch eine unglückliche Geschichte haben. Aber ich glaube, der bisherige Widerhall hat gezeigt, daß die Bereitschaft, diese Zusammenstellung in einer neuen Form wirklich zu bejahen und ihr positiv gegenüberzustehen, vorhanden ist und daß sich namentlich die Kreise der Jugend um ein neues Symbol eher und bereitwilliger scharen würden als um die alte Trikolore, mit der sich doch sehr unglückliche Erinnerungen der Vergangenheit verknüpfen. Gemeinsam ist uns die Farbe, neu ist die Gestaltung. Nach der unglücklichen Geschichte unserer Farben und Symbole wäre das ein Weg, um das Trennende zu verbinden. Es ist das ein sehr ernstes Wort. Man soll an Fakten nicht vorübergehen. Wir müssen verhindern, daß wieder ein Streit an der Flagge sich entzündet. Deshalb sollten wir eine neue Form suchen. Wir glaubten, daß die Kreuzform, die in manchen europäischen Staaten – und zwar in Staaten, die uns ein vorbildliches demokratisches Leben vorgelebt haben, den skandinavischen Staaten – die herrschende Flaggenform ist, uns den Weg zeigen könnte, unter Beibehaltung der alten Farben hier ein neues Symbol zu schaffen, um das wir alle aus freier Entschließung uns scharen könnten. Dr. Heuss (FDP): Ich habe das Gefühl, daß wir mit dem Versuch, aus dem gegebenen Farbenvorrat nun eine neue Flagge zu konstruieren, etwas in das Kunstgewerbliche hineingeraten sind. Die Werbekraft des Kreuzes steht nicht zur Frage; sie

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ist geschichtlich [S. 50] gegeben. In der vorgeschlagenen Form aber wirkt es nicht als Integrationselement, sondern als geometrische Anordnung, als rein geometrisch-graphische Lösung. Wenn wir den Vorschlag annehmen, dann ist die Farbenkadenz zerbrochen, dann heißt es nicht mehr schwarz-rot-gold. Ich glaube, das Ganze wirkt dann mehr als Verlegenheitslösung, während die schwarz-rot-goldene Flagge immerhin schon eine gewisse Geschichte gehabt hat. Wir haben in der Situation, in der wir uns befinden, gar nicht die Geschichtsmächtigkeit, nun ein Symbol zu beschließen. Es hat für mein Gefühl etwas Skurriles, wenn ein Kreis wie dieser sich zusammensetzt und sagt: Jetzt wird ein Symbol gemacht. So entstehen Symbole nicht; sie entstehen aus einem geschichtlichen Vorgang und nicht aus Abstimmungen. Wenn von der Geschichte des Mittelalters gesprochen und darauf Bezug genommen wird, dann ist das Romantik, es ist eine Verkrampfung und ein Ausweichen vor dem, was das Natürliche ist, nämlich daß man an eine, wenn auch tragisch verlaufene Geschichte anknüpft. Stellen Sie sich vor: Wann bekommt man die Flagge zu sehen? Sie wird in einfacher Darstellung bei der Beflaggung von Straßen, bei der Dekoration von Sälen usw. in einer guten Kadenz besser wirken als in der anderen Gestaltung, wo man innerhalb dieser großen oder kleinen Fahne Sonderausschnitte macht. Lassen Sie die Fahne so, wie sie gewesen ist; damit vermeiden Sie am besten den Flaggenstreit, der dann entstehen würde. Sie haben grundsätzlich die Farben akzeptiert, und ich glaube, daß es gut wäre, wenn dafür gesorgt würde, daß die angewandten Farben kein schauderhaftes Zinnoberrot sind, sondern ein schönes Karmin, wie es die alten Burschenschaftlerfarben gewesen sind, das einen schönen Zusammenklang ergibt. Gott sei Dank ist keiner auf die Idee gekommen, von der Flagge auf hoher See zu sprechen. Lassen wir uns in der ganzen Angelegenheit einfach davon leiten, daß wir etwas, was einmal eine Tradition werden wollte, zur Tradition werden lassen! Brockmann (Z): Ich bin der Meinung, daß wir erstens im Grundgesetz Farben und Flagge ganz konkret festlegen müssen. Zweitens kann man nach einer neuen Form suchen. Ich stimme darin den Herren von der CDU durchaus bei. Drittens bin ich der Auffassung, daß die Form, die hier vorgeschlagen wird, unter Umständen durch eine bessere und zweckmäßigere ersetzt werden könnte. Viertens möchte ich nicht haben, daß wir gerade in dieser wichtigen Frage einen Beschluß fassen, der eine Minderheit, eine starke Minderheit, majorisieren könnte. Ich möchte deshalb vorschlagen, daß wir diese Frage jetzt absetzen und daß wir versuchen, sie einmal interfraktionell zu klären; denn es soll gerade in der Flaggenfrage ein unglückseliger Streit der Vergangenheit dadurch beendet werden, daß wir hier zu einer einmütigen und einheitlichen Entscheidung kommen. Darum beantrage ich, daß dieser Punkt jetzt abgesetzt und dann in der zweiten Lesung behandelt wird. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich habe den Ausführungen des Herrn Dr. Strauß nicht viel hinzuzufügen. Ich möchte nicht verschweigen, daß wir im Grundsatzausschuß laufend eine große Anzahl von Eingaben zur Flaggenfrage erhalten haben und daß weitere solche Eingaben einlaufen. Ich möchte weiter auch nicht verschweigen, daß bei diesen Eingaben in einer sehr großen Zahl von Fällen das Kreuz eine Rolle spielt. Es finden sich in diesen Eingaben auch sehr schöne Ausführungen über die Aufgaben, die Farben und Flagge eines Staatswesens haben. Mir scheint es, daß es

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nicht recht zu verantworten ist, über diese Stimmen, die wir aus dem Volk erhalten, mit einer glatten Handbewegung hinwegzugehen. Ich meine, man müßte zum mindesten einmal in einem Unterausschuß dieses Hauptausschusses durch einen Berichterstatter, der alle Entwürfe durchgesehen hat, sich Klarheit verschaffen, welche Auffassung über diese Frage bei weiten Bevölkerungskreisen anzutreffen ist. Ich glaube, das sind wir diesen Einsendern schuldig. Kein Teil des Grundgesetzes hat ein so starkes Interesse gefunden, und ich glaube, wir sollten hier wenigstens einmal auf das, was vorgeschlagen ist, eingehen. Es scheint mir daher der Vorschlag des Herrn Brockmann, wenn auch mit einer gewissen Änderung, eine Grundlage für eine Diskussion zu sein. Schönfelder (SPD): Auch ich denke mit Grauen an den Flaggenstreit vor 1933. Deshalb ist das, was Herr Dr. Strauß sagte, für mich außerordentlich bedeutungsvoll. Wenn Sie sich auf Stimmen aus dem Volk berufen, so meine ich, daß auch andere Stimmen eine Beachtung finden müßten. Wichtig erscheint mir heute, daß wir, da die Frage angeschnitten ist, uns einheitlich auf schwarz-rot-gold einigen. Ob dazu noch eine besondere Flagge mit besonderen Ornamenten geschaffen werden soll, diese Frage scheint mir heute noch nicht spruchreif genug zu sein. Wir müssen uns bemühen, etwas Einheitliches zu schaffen, was auf beiden Seiten Zustimmung findet, auch auf der anderen Seite, die heute noch nicht für das Kreuz zu haben ist, nachdem wir durch das Hakenkreuz ruiniert wurden. Vielleicht finden wir einen Ausweg. Ich meine aber, wir könnten uns heute schon darüber einigen, daß wir die Farben schwarz-rot-gold in unser Grundgesetz aufnehmen. Für das Weitere wollen wir eine Lösung suchen, die auf beiden Seiten Zustimmung findet. Dann bekommen wir keinen Flaggenstreit. Wenn wir heute die Flagge mit dem Kreuz beschließen, gibt es eine Opposition, die wir vermeiden können, wenn wir etwas finden, was beiden Seiten gleichmäßig zusagt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir müssen vom Rechtlichen ausgehend feststellen, daß zwei Bestimmungen notwendig sind: eine Bestimmung über die Farben und dann eine Bestimmung über die Flagge. Beides deckt sich nicht. Die Flagge ist etwas bestimmt Gestaltetes, eine bestimmte Anordnung der Farben. Die Farben sind das neutralere, allgemeinere Emblem. Es wäre möglich, daß wir heute festlegen: „Die Farben des Bundes sind schwarz-rot-gold“ und daß wir die Abstimmung über die Flagge vertagen. Wir müssen, wie Herr Dr. Heuss gesagt hat, bei der Gestaltung der Flagge bewußt an die alte Tradition anknüpfen und es deshalb überhaupt ablehnen, in die Prüfung der Frage einer anderen Anordnung der Farben oder einer Gestaltung der Flagge einzutreten. Eine Entscheidung dieser Art wäre nicht nur eine Entscheidung über die Gestalt der Flagge, sondern ein prinzipielles Bekenntnis zu einer bestimmten Tradition. Das müßte dabei auch mit erwogen werden. Ich denke, daß man sich dahin einigen könnte, über die Farben zu entscheiden und die Entscheidung über die Flagge einer späteren Abstimmung zu überlassen. Vielleicht kann unter den Fraktionen eine Einigung hierüber erzielt werden. Dr. Bergsträsser (SPD): Ich möchte gegenüber Herrn Dr. von Mangoldt eine Bemerkung machen. Wenn sehr viele Eingaben gekommen sind und ich weiß das –, die eine andere Gestaltung der Flagge anregen, und wenn vielleicht wenige oder gar keine Eingaben vorliegen, die sich für schwarz-rot-gold aussprechen, so liegt das

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wohl daran, daß die Anhänger dieser Flaggenform der Weimarer Republik es im Grunde für selbstverständlich gehalten haben, daß diese Farben genau so bleiben, wie sie in Frankfurt bei der Paulskirchenfeier und hier, als wir unsere Tätigkeit begannen, gezeigt wurden, nämlich schwarz-rot-gold. Ich glaube, wenn es darauf ankäme, solche Anregungen zu geben, würde eine ganze Anzahl von Eingaben auch in diesem Sinn dem Rat vorgelegt werden können. Dr. Seebohm (DP): Ich bin der Auffassung, daß die Frage der Gestaltung der Flagge nicht nur die eine Fahne berührt, sondern daß dann auch noch andere Flaggen, wie die Bundespräsidentenflagge usw., hinzukommen und daß wir die Frage dieser Flaggen heute nicht entscheiden können. Wir sollten uns darauf konzentrieren, die Farben zu bestimmen. Ich glaube, es wäre richtig, diese Farben nicht in einer Form festzulegen, daß damit auch die [S. 51] Anordnung festliegt. Wenn ausgeführt wird, daß bei der Bindestrichformulierung eine bestimmte Kadenz gegeben ist, so würde das eine Vorentscheidung bedeuten. Ich bin der Ansicht, wir müssen uns entweder darüber klar sein, daß unser Beschluß heute keine solche Entscheidung sein darf, oder aber es müßte die Möglichkeit gegeben sein, in der Art der Formulierung die Möglichkeit für weitere Verhandlungen offenzulassen. Wenn wir das nicht festlegen, ist natürlich die Kadenz als solche gegeben, und es werden gegen jede andere Form Bedenken erhoben werden. Ich bin der Auffassung, daß es sehr schwierig ist, nach Eingaben, die an uns herangebracht werden, auf die echte Stimmung im Volk Rückschlüsse zu ziehen. Es sind ja immer nur die aktiveren Kreise, die sich zu solchen Eingaben entschließen, und wir wissen damit noch nicht, wie in Wirklichkeit die wahre Meinung des Volkes ist. Es ist an sich nicht so sehr erfreulich, daß die Öffentlichkeit nur auf diese Frage reagiert; denn die anderen Probleme unserer Arbeit sind ja viel gravierender und entscheidender. Ich bedauere, daß wir uns so lange mit dieser Frage befassen. Wir sollten uns jetzt darauf beschränken, uns über die Farben klar zu werden, und dabei die Schreibweise so wählen, daß eine andere Gestaltung der Fahne noch möglich ist. Sollten wir uns später endgültig entschließen, zu der bisherigen Gestaltung zurückkehren, dann kann man die Schreibweise auch wieder ändern. Solange aber die Wahrscheinlichkeit oder die Möglichkeit besteht, daß wir eine andere Fassung wählen, würde ich vorschlagen, daß wir uns heute nicht festlegen. Im übrigen glaube ich, daß es sehr wertvoll ist, wenn man sich über die Neugestaltung erhebliche Gedanken macht; denn die Flaggenfrage wird heute auch durch die Parteien nicht in der richtigen Weise entschieden werden können, weil erhebliche Teile des Volkes da sind, die zur Zeit noch nicht so aktiv in die ganze Gestaltung dieser Frage hineingezogen werden, weil wir vor allem die Auffassung der Jugend nicht genau kennen, und auf die kommt es entscheidend an. Wenn die Entscheidung so getroffen werden sollte, daß sie von der Mehrheit unserer Menschen als eine ihrer Auffassung nicht entsprechende Lösung aufgefaßt wird, so ist das eine außerordentlich schwere Lage. Um das Gegenteil sollte man sich doch bemühen. Man sollte dabei nicht vergessen, bei der Lösung dieser Frage das Streben des deutschen Volkes zugrunde zu legen, durch alle Dunkelheiten und durch alles Blut hindurch zum Licht des Friedens zu kommen. Brockmann (Z): Ich würde vorschlagen, über Art. 28, Variante I: „Die Farben des Bundes sind schwarz-rot-gold“ jetzt eine Entscheidung herbeizuführen und be-

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züglich der Variante II38) die Entscheidung bis zur nächsten Sitzung zurückzustellen. Dr. Lehr (CDU): Die Verhandlungen haben gezeigt, daß eine Einigung über Farben und Flagge heute noch nicht zustande kommt. Farben und Flagge gehören aber zusammen. Man kann nicht gut über die Farben eines Bundes sich einigen, dabei aber sich nicht klar darüber sein, wie die Flagge aussehen soll. Beide Fragen gehören zusammen und müssen zusammen entschieden werden. Deshalb glaube ich, daß wir gut daran tun, wenn wir heute noch einmal die Sache zurückstellen und wenn die Fraktionen nach der heutigen Aussprache noch einmal beraten, um den Weg zu finden, der notwendig ist, um mit großer Mehrheit in dieser Frage zu einer Entscheidung zu kommen. Wenn wir heute abstimmen, würde diese große Mehrheit nicht erreicht werden. Das muß aber unter allen Umständen geschehen. Ich beantrage deshalb Aussetzung der Entscheidung sowohl über Variante I wie über Variante II und nochmalige Beratung des Themas in den Fraktionen, bevor die Frage hier erneut zur Abstimmung gestellt wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir sollten nicht übersehen, das, was wir als Farben und Flagge bestimmen, auch bei uns nur dann etwas gelten wird, wenn es im gesamtdeutschen Staatsbereich gelten kann. Wir sollten nicht vergessen, daß ein großer Teil des deutschen Volkes nicht an der Gestaltung dieser Dinge mitwirken kann, und ich glaube, daß wir von einem gesamtdeutschen Emblem, das auch in der Ostzone anerkannt sein wird, nur werden sprechen können, wenn es die alte deutsche Fahne ist, die Fahne, die in Deutschland aufgezogen wurde, ehe es die Boxerfahne mit dem Hakenkreuz gab. Dr. Heuss (FDP): Ich widerspreche dem Vorschlag des Herrn Dr. Lehr, die Abstimmung zu vertagen. Wenn wir hier nicht unsere Meinung über diese Dinge niederlegen, dann haben wir es nicht in der Hand, was aus einer solchen Vertagung gemacht wird. Ich bin daher dafür, daß wir abstimmen über den ersten Teil des Antrages: „Die Farben des Bundes sind schwarz-rot-gold.“ Dr. von Mangoldt (CDU): Ich möchte geschäftsordnungsmäßig erklären, daß wir mit dieser Abstimmung über die ganzen Vorschläge, die uns vorgelegt wurden, hinweggehen würden und daß ich das schlechterdings nicht tun kann. Deshalb möchte ich den Antrag stellen, daß diese Vorschläge über die Flaggenfrage, über die nicht einfach hinweggegangen werden kann, in einem Unterausschuß besonders vorgelegt und eingehend besprochen werden, damit wir zu einer Berücksichtigung dieser Vorschläge können. Brockmann (Z): Ich bin der Auffassung, daß wir uns doch auf die Vorlage: „Die Farben des Bundes sind schwarz-rot-gold“ einigen sollten. Ich stimme Herrn Dr. Lehr zu, daß damit die Frage der Anordnung und der Reihenfolge der Farben usw. in Verbindung steht. Aber wir wollen uns doch zu den schwarz-rot-goldenen Farben

38)

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Variante II lautete in der Fassung der 2. Lesung des Ausschusses für Grundsatzfragen: „Die Flagge des Bundes zeigt auf rotem Grunde ein schwarzes liegendes Kreuz und auf dieses aufgelegt ein goldenes Kreuz“. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok., Nr. 26, S. 552.

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der Vergangenheit bekennen, und es würde meines Erachtens nicht richtig sein, wenn wir hier unsere Einmütigkeit in dieser Frage nicht dokumentieren würden. Alles Weitere sollen wir dem von Herrn Dr. von Mangoldt gewünschten und auch von mir beantragten Unterausschuß überlassen. Das ist die einfachste Prozedur, und wir haben damit eine Demonstration für das gegeben, was wir alle wollen, nämlich für die Farben schwarz-rot-gold. Dr. Heuss (FDP): Wir haben bei der zweiten Lesung die Möglichkeit, die Kombination Flagge und Farben wieder aufzunehmen. Aber bei aller Wertschätzung dafür, daß wir das Ohr an der Stimme des Volkes haben sollen, muß ich doch sagen, daß in dieser Masse von Zuschriften, die an uns gekommen sind, auch sehr viele von solchen Leuten dabei sind, die bloß mit Farben spielen. Damit kommen wir nicht weiter; hier müssen wir auf der Hut sein. In dieser Frage uns auf das Gebiet des graphisch-kunstgewerblich-geometrischen Wettbewerbes zu begeben, wäre ein Armutszeugnis sondergleichen, das wir uns selber ausstellen würden. Wir haben hier keine kunstgewerblichen und keine graphischen Dinge zu entscheiden, sondern eine einfache und sinnfällige Sache herauszukriegen. Wir stellen die Frage der Flagge zurück und sprechen uns darüber noch aus. Aber jetzt eine Vertagung des ganzen Beschlusses herbeizuführen, ist ein Armutszeugnis, das wir uns geben würden. Es würde überall als innere Unsicherheit gewertet werden; denn wir haben es nicht in der Hand, was draußen aus dieser Sache gemacht wird. Ich hielte das politisch für einen ungeheuren Fehler. Dr. Strauß (CDU): Wir können jetzt nicht über Variante I abstimmen; denn sie ist nicht eine Variante des einen Gedankens, den man so oder so ausdrücken kann. Es sind ganz verschiedene Dinge. Wir können nur über den Abs. 1 des künftigen Artikels abstimmen, und wenn eine Abstimmung stattfindet, dann kann sie nur in der Form erfolgen, daß wir sagen: „Die Farben des Bundes sind schwarz, rot, gold.“ Eine Formulierung mit Bindestrichen wäre eine Präjudizierung der Flaggengestaltung. Dr. Lehr (CDU): Ich möchte nur bemerken, daß das Kreuz für mich keine kunstgewerbliche Angelegenheit ist, (Dr. Heuss [FDP]: Für mich auch nicht!) [S. 52] sondern das Symbol einer Kultur, die die Welt befruchtet hat. Dr. Heuss (FDP): Ich danke für die Belehrung. Das gilt für mich gerade so. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, die Abstimmung zur Flaggenfrage überhaupt zu vertagen. Wir müssen über diesen Antrag abstimmen. Dr. Lehr (CDU): Wollen Sie über den Vorschlag Dr. Strauß abstimmen lassen, einen Abs. 1 zu nehmen? Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der weitergehende Antrag gestellt worden, über Art. 28 überhaupt nicht abzustimmen. Wenn die Mehrheit des Ausschusses hierfür sein sollte, müßte die Abstimmung ausgesetzt werden. Wenn die Mehrheit nicht dafür ist, werden wir uns über die weiteren Abstimmungsmodalitäten unterhalten müssen. Dr. Strauß (CDU): Wäre es nicht möglich, um diese Klippe zu umgehen, daß wir nicht über Art. 28 oder Art. 21b abstimmen, sondern daß der Hauptausschuß eine Resolution faßt, in der er sagt: „Die Farben des Bundes sind schwarz-rotgold“, und daß dann die Eingliederung in einem späteren Zeitpunkt erfolgt?

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Dann haben wir den Grundsatz festgelegt. Ich möchte das zur Diskussion gestellt haben. Schönfelder (SPD): Wenn wir heute, da die Frage angeschnitten ist, die Abstimmung aussetzen, so ist das ein Signal für die Presse, und es besteht die Möglichkeit, daß das stimmungsgemäß gegen uns ausgewertet wird. Ich bitte daher, wenigstens über die Farben zu entscheiden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wer ist dafür, daß die Abstimmung über Art. 28 in der Fassung des Grundsatzausschusses schlechthin ausgesetzt wird? – Der Antrag auf Aussetzung der Abstimmung ist abgelehnt. Dann ist die Frage der Abstimmungsmodalität über die sogenannten Varianten zu klären. Ich habe angeregt, daß man die Abstimmung auf die Farben des Bundes beschränken und die Abstimmung über die Flagge aussetzen soll, wobei wir uns darüber einig sind, daß ein Beschluß hierüber notwendig ist. Kaufmann (CDU): Bedeutet das, daß die Fassung in Variante I die Anordnung der Farben in der Flagge nicht festlegt? Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist meine Meinung gewesen. Kaufmann (CDU): Das muß klargestellt werden. Dr. Bergsträsser (SPD): Da gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine ist schwarz-rot-gold mit Bindestrichen. Diese legt die Anordnung der Farben fest. Die andere, die Herr Dr. Strauß vorgetragen hat: „Schwarz, rot, gold“ oder „schwarz und rot und gold“ gibt nur die Elemente an und läßt die Anordnung frei. Dr. Heuss (FDP): Damit wir zu einem Votum kommen, bitte ich, die Anregung des Herrn Dr. Strauß aufzunehmen – obwohl ich das andere Ergebnis haben will –, daß wir über „schwarz, rot, gold“ abstimmen. Stock (SPD): Ich stelle den Antrag, daß die Fassung so gewählt wird: „Schwarz-rotgold“. Das andere würde draußen nicht verstanden werden. Warum versucht man, wie eine Katze um den heißen Brei herumzugehen? Man will nicht die Anordnung so, wie die alte Flagge war, sondern man will künstlich und krampfhaft etwas anderes schaffen. Kaufmann (CDU): Ich glaube, daß diese Darstellung falsch ist. Die Form der Behandlung der Dinge, die jetzt gewählt wird, bedeutet nicht von uns, sondern von der anderen Seite die Proklamation des Flaggenstreites. Sie sind sich vollkommen klar darüber, daß wir in der Auswahl der Farben zu einer einmütigen Stellungnahme kommen können. Sie wollen uns aber trotzdem in diesem Augenblick, obwohl hier verschiedenartige Vorschläge gemacht worden sind, durch Ihre Bindestrich-Formulierung zwingen, die alte Trikoloren-Form der Flagge unter allen Umständen anzunehmen; denn dann gäbe es keine andere Lösung mehr. Das ist aber nicht der richtige Weg, zu einer Einigung zu kommen, nicht der Weg, einen Flaggenstreit zu vermeiden, den wir so wenig wünschen wie Sie. Ich bitte, daß Sie sich das überlegen. Brockmann (Z): Wenn ich den Antrag der SPD richtig verstanden habe, so lautet er: „Die Farben sind schwarz-rot-gold“, und dann kam der Nachsatz: „in horizontaler Anordnung“. Der Nachsatz ist jetzt fallengelassen worden, so daß Sie nur die Farbenfeststellung zu treffen haben. Ich glaube, wir tragen hier künstlich Schwierigkeiten in die Materie hinein. Die SPD hat tatsächlich diesen Zusatz fallengelassen. Jetzt versteifen wir uns darauf und provozieren künstlich verzeihen Sie gütigst,

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das ist meine subjektive Auffassung, und die bringe ich zum Ausdruck – etwas, was dieser oder jener vielleicht wollen könnte. Wir könnten uns auf einer mittleren Linie einigen. Der Zusatz ist von der Linken fallengelassen, und sie ist einverstanden, daß die Flaggengestaltung einem Unterausschuß überlassen wird39). Was kann uns hindern, für schwarz-rot-gold zu stimmen? Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Sache scheint so zu liegen, daß ein Abänderungsantrag zu Variante I vorliegt. Der Abänderungsantrag lautet: „Die Farben des Bundes sind schwarz, rot und gold“. Über diesen Antrag wäre zunächst abzustimmen. – Der Abänderungsantrag ist mit 11 zu 8 Stimmen angenommen. Dann stelle ich den Antrag, daß über die Frage der Gestaltung der Flagge des Bundes später Beschluß gefaßt werden soll, zur Abstimmung. – Der Antrag ist angenommen40).

[4.4. ART. 22: STAATSGEBIET]

Wir kommen zu

Art. 22 (1) Dieses Grundgesetz gilt zunächst für den Teil Deutschlands, der aus dem Gebiet der Länder Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern besteht. (2) Jeder andere Teil Deutschlands kann dem Bund beitreten. Seine Eingliederung wird durch Bundesgesetz vollzogen. Hier kann die Bemerkung eingeschaltet werden, daß dieser Katalog sich unter Umständen dadurch ändern könnte, daß ein Staat in Südwestdeutschland entsteht, der sich zusammensetzt aus den bisherigen Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. Dr. Menzel (SPD): Wird das nicht durch die Präambel erledigt41), und muß es, wenn wir es unter den Artikeln bringen, nicht zu Anfang stehen? Dr. Fecht (CDU): Nach meiner Auffassung können in Art. 22 nur die Länder Baden, Bayern usw. aufgenommen werden und nicht solche, die noch nicht bestehen, wie Südwestdeutschland. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sollen Sie auch nicht. Ich mache nur darauf aufmerksam, daß, wenn wir die Schlußabstimmung machen, dieser Katalog anders aussehen könnte, falls in der Zwischenzeit – was ich hoffe – dieses Ereignis eingetreten sein sollte. Dr. von Mangoldt (CDU): Zu der Frage von Herrn Dr. Menzel möchte ich bemerken, daß im Ausschuß diese Frage eingehend besprochen wurde. Wir haben uns entschlossen, den Artikel in dieser Form aufzunehmen und in ihn diesen Abs. 1 ein39)

Ein „Unterausschuß für die Bereinigung der Flaggenfrage“ wurde in der 14. Sitzung des HptA am 2. Dez. 1948 gebildet. Vgl. oben Dok. Nr. 14, TOP 1, S. 408. 40) Vgl. dazu weiter die Beschlussfassung am 8. Dez. 1948; unten Dok. Nr. 22, S. 670–672. 41) Den Beratungen des Fachausschusses zufolge war vorgesehen, daß die Präambel die deutschen Länder aufführt. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 5/1, Dok. Nr. 16, S. 333, sowie ebd., Bd. 7, Dok. Nr. 1, S. 1.

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zufügen, weil die Präambel nicht die volle Rechtswirkung wie ein Artikel in der Verfassung hat. Es ist wesentlich, das [S. 53] Gebiet des Bundes im Gesetz selber aufzuführen und es in einem eigenen Artikel zu bestimmen. Nur hier kann die Rechtsnorm für das Gebiet stehen. Deshalb war nach Auffassung des Grundsatzausschusses diese Bestimmung des Abs. 1 des Art. 22 nicht zu missen. Wohl auch deshalb nicht, weil Abs. 2 ohne diesen Abs. 1 nicht verständlich wäre. Dr. Menzel (SPD): Wäre es nicht richtiger, Herr von Mangoldt, daß wir das in die Schluß- und Übergangsbestimmungen aufnehmen, weil bei jedem Gesetz der Geltungsbereich am Ende des Gesetzes steht? Dr. Schwalber (CSU): Meine Bedenken richten sich nur dagegen, daß diese Bestimmung an dieser Stelle steht. Ich möchte vielmehr der Anregung zustimmen, daß wir sie in den Schluß- und Übergangsbestimmungen bringen. Zinn (SPD): Ich glaube, man kann diese Vorschrift durchaus in den Schluß- und Übergangsbestimmungen bringen, weil sie provisorischen Charakter hat und weil hoffentlich die Entwicklung zu einem anderen räumlichen Geltungsbereich führt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, diesen Art. 22 in die Schluß- und Übergangsbestimmungen zu übernehmen. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf darauf hinweisen, daß dann auch die Bestimmung des Abs. 2 in die Schluß- und Übergangsbestimmungen hineinkommt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag, Art. 22 in die Schluß- und Übergangsbestimmungen zu übernehmen, abstimmen. – Es ist mit 15 gegen 4 Stimmen beschlossen, Art. 22 in die Schluß- und Übergangsbestimmungen zu übernehmen.

[4.5. ART. 23: BERLINER VERTRETER]

Wir kommen zu

Art. 23 Vertreter Groß-Berlins wirken in den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes mit42). Dr. Katz (SPD): Ich entnehme aus der Vorlage des Redaktionsausschusses, daß er diesen Artikel nicht an dieser Stelle haben will43). Ich wäre auch dafür, ihn wegzustreichen. Wir haben bei den gesetzgebenden Körperschaften die Sache aufgenommen, aber eine andere Fassung gewählt, nämlich daß die Vertreter Groß-Berlins das Recht haben mitzuwirken, indem wir es offenlassen, daß Berlin selbst später einen Entschluß faßt, der von der gegebenen politischen Situation abhängig gemacht wird. Ich wäre für die Streichung des Art. 23 an dieser Stelle. Das muß bei den gesetzgebenden Körperschaften entschieden werden. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf dazu bemerken, daß der Artikel, auf den wir von Herrn Dr. Katz verwiesen werden, Art. 45 ist, in dem es heißt: „Die Vertreter Ber-

42) 43)

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Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 25, S. 533. Vgl. die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 16. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 43.

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lins haben das Recht, Abgeordnete zum Bundestag zu entsenden“44). Art. 23 in unserer Form sagt aber mehr, nämlich zu allen Körperschaften. (Dr. Katz [SPD]: Es gibt nur zwei!) – Das ist noch nicht heraus. Zinn (SPD): Der Redaktionsausschuß hielt es entsprechend der Auffassung von Herrn Dr. Katz für angebracht, an dieser Stelle auf die Vorschrift zu verzichten und sie unter den Abschnitt Bundestag und Bundesrat aufzunehmen. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf bemerken, daß im Ausschuß der Vertreter Berlins besonderes Gewicht darauf gelegt hat, die Bestimmungen an dieser Stelle zu haben. Ich würde vorschlagen, über diese Frage nicht abzustimmen, ohne den Vertreter Berlins dazu zu hören. Vors. Dr. Schmid (SPD): Diesen Vorschlag wollte ich auch machen. Wir sollten darüber nicht beschließen, ohne den Vertreter Berlins dazu zu hören. – Wir setzen die Abstimmung hierüber aus45).

[4.6. ART. 24 UND 25: NEUGLIEDERUNG DER LÄNDER]

Art. 24 (1) Abtretung und Austausch von Teilen deutschen Staatsgebiets sind nur wirksam, wenn die beteiligte Bevölkerung zustimmt. (2) Ihre Vollziehung bedarf eines Gesetzes des Bundes. Keine Wortmeldung. – Dann nehme ich allgemeine Zustimmung an. Es ist so beschlossen. Art. 25 (1) Unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen Zusammenhänge, der kulturellen Lebenskräfte, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeiten und des sozialen Gefüges ist das Bundesgebiet von Bundes wegen durch Bundesgesetz neu zu gliedern. (2) Diese Neugliederung soll Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit imstande sind, die ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden Aufgaben wirksam zu erfüllen. (3) Die Neugliederung soll vor Ablauf von drei Jahren nach Inkrafttreten dieses Grundgesetzes durch Bundesgesetz geregelt sein. (4) Tritt ein anderer Teil Deutschlands dem Bunde bei, so soll vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Beitritt eine notwendig werdende Neugliederung durch Bundesgesetz geregelt sein. (5) Die Bundesregierung hat die in Abs. 1 bis 4 vorgesehene Neugliederung nach Übernahme ihres Amtes oder nach Aufnahme eines neuen Landes unverzüglich einzuleiten. Bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfs ist ein aus 44)

Vgl. dazu die Formulierungen des Fachausschusses in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 1, S. 13. Davon abweichend vgl. die in der 2. Sitzung des HptA beschlossene Formulierung: „Groß-Berlin hat das Recht, Abgeordnete zu entsenden“; oben Dok. Nr. 2, TOP 2.2.2, S. 21. 45) Vgl. dazu weiter die 22. Sitzung des HptA, Dok. Nr. 22, TOP 5.2, S. 672.

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Mitgliedern der Volkskammer und der Länderkammer zusammengesetzter Ausschuß zu beteiligen. (6) Nach Verabschiedung des Gesetzes über die Neugliederung durch die gesetzgebenden Körperschaften des Bundes ist dieses in den Gebieten, deren Landeszugehörigkeit verändert werden soll, zur Volksabstimmung zu bringen. In jedem Gebiet wird dabei nur über den Teil des Gesetzes abgestimmt, der dieses Gebiet betrifft. (7) Stimmt die Bevölkerung aller beteiligten Gebiete dem Gesetze zu, so ist dieses vom Bundespräsidenten zu verkünden. (8) Wird das Gesetz durch die Volksabstimmung in einem Gebiet oder in mehreren abgelehnt, so ist es den gesetzgebenden Körperschaften zu erneuter Beratung zuzuleiten. Nach erneuter Verabschiedung ist das Gesetz als Ganzes im gesamten Bundesgebiet zur Volksabstimmung zu bringen. (9) Bei den Volksabstimmungen nach Abs. 7 und 8 entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen der Wahlberechtigten. (10) Die Vorschriften für das Verfahren bei der Neugliederung und den Volksabstimmungen bestimmt ein Bundesgesetz. Wird hierzu das Wort gewünscht? Dr. Lehr (CDU): Ich möchte anregen, in Abs. 8 Satz 1 hinzuzufügen: „und Beschlußfassung“, so daß es dann heißt: Wird das Gesetz durch die Volksabstimmung in einem Gebiet oder in mehreren abgelehnt, so ist es den gesetzgebenden Körperschaften zu erneuter Beratung und Beschlußfassung zuzuleiten. Schönfelder (SPD): Es heißt „nach erneuter Verabschiedung“. Dr. von Mangoldt (CDU): Der Antrag will das Wort „Beratung“ durch Hereinnahme des Wortes „Beschlußfassung“ ergänzt sehen, weil der Redaktionsausschuß [S. 54] in einem46) Entwurf47) nur von einer Beschlußfassung gesprochen hat. Es wäre aber mit Aufnahme nur des Wortes „Beschlußfassung“ eine nicht erwünschte Folge verbunden, denn es würde dann vielleicht nur zu einer einfachen Beschlußfassung kommen und nicht zu einer Beratung. Man sollte hervorheben, daß nach einer Volksabstimmung noch einmal beraten werden muß, und das kommt durch das Wort „Beratung“ besser zum Ausdruck. Dr. Strauß (CDU): Meines Erachtens gehört vor Abs. 10 ein weiterer Absatz etwa folgenden Inhalts: Entsteht bei einer Vermögensauseinandersetzung anläßlich einer Neugliederung ein Streit zwischen den beteiligten Ländern, so entscheidet der Verfassungsgerichtshof. Dr. von Mangoldt (CDU): Über diese Fragen ist im Grundsatzausschuß eingehend gesprochen worden. Wir haben uns entschlossen, ein Schreiben an den Ausschuß für Rechtspflege und Verfassungsgerichtshof zu richten, damit diese Frage dort unter die Zuständigkeiten des Verfassungsgerichtshofs aufgenommen wird48). Von

46)

Im stenograph. Wortprot., S. 82: „seinem“. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 43. 48) Das Schreiben ist nicht ermittelbar. Vgl. dazu die 16. Sitzung des Ausschuß für Grundsatzfragen am 29. Oktober 1948; Der Parl. Rat, Bd. 5/1, Dok. Nr. 21, S. 460 f. 47)

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uns war in dieser Sache geplant, über das Verfahren ein Bundesgesetz entscheiden zu lassen. Wir sollten diesen Artikel nicht noch mehr belasten. Walter (CDU): Ich würde vorschlagen, in Abs. 9 statt „Wahlberechtigten“ zu sagen „Stimmberechtigten“. Es ist zwar sprachlich nicht schön, aber bei der Volksabstimmung wird grundsätzlich nicht von Wahlberechtigten, sondern von Stimmberechtigten gesprochen. Zinn (SPD): Es muß hier „Wahlberechtigte“ heißen. Dr. Dehler (FDP): Der Redaktionsausschuß hat den Abs. 1 aus sprachlichen Gründen etwas anders formuliert. Statt landsmannschaftlicher Verbundenheit heißt es Stammesverbundenheit. Der ganze Abs. 1 würde in dieser Fassung lauten: Das Bundesgebiet ist unter Berücksichtigung der Stammesverbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch Gesetz neu zu gliedern. „Landsmannschaftliche Verbundenheit“ klingt etwas hart, aber das ist Geschmacksache. Meiner Meinung nach genügt es, wenn wir grundsätzlich von „Gesetz“ sprechen. Es braucht nicht gesagt zu werden: „Von Bundes wegen durch Bundesgesetz neu zu gliedern“. Wenn wir sagen, daß der Bund dafür zuständig ist, dann ist ohne weiteres klar gestellt, daß es ein Bundesgesetz sein muß. Zu Abs. 5 bitten wir zu erwägen, ob die Einfügung eines Ausschusses aus Mitgliedern des Bundestags und des Bundesrats zweckmäßig ist. Auf jeden Fall braucht man nicht in die Verfassung zu schreiben, daß ein besonderer Ausschuß nötig ist; denn das dürfte sich von selbst ergeben. Dr. Seebohm (DP): Ich möchte anregen, dem Abs. 2 noch einen Satz anzufügen: „Das Bundesgefüge darf nicht durch das Übergewicht eines Landes gestört werden.“ Dr. Schwalber (CSU): Ich kann dem Text des Art. 25 nicht zustimmen, und zwar deshalb nicht, weil er über die Länder hinweggeht. Ich kann einen bundesstaatlichen Aufbau nicht mehr erkennen, wenn den Ländern nicht eine gewisse Gebietshoheit zugestanden ist. Diese wird aber im vorliegenden Text restlos verneint. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf zu dem Vorschlag des Redaktionsausschusses erklären: Wir haben im Grundsatzausschuß die Worte „landsmannschaftliche Verbundenheit“ bewußt gewählt. Ursprünglich stand „Stammesverbundenheit“ da. Dieser Begriff der Stammesverbundenheit ist zu eng. Wenn man bei der Neugliederung nur auf die Stammesverbundenheit abstellen würde, so würde diese Neugliederung nicht in dem Maße durchgeführt werden können, wie es die Zeit erfordert. Der Begriff der Stammesverbundenheit ist zu eng geworden, während man sich in solchen Fällen mit der landsmannschaftlichen Verbundenheit wird helfen können. Zu der vom Redaktionsausschuß angeregten Streichung von Abs. 5 Satz 2 möchte ich bemerken, daß eingehende Erörterungen im Grundsatzausschuß stattgefunden haben und daß er sich dazu entschlossen hat, diese Bestimmung aufzunehmen, um das Verfahren der Neugliederung des Bundesgebiets zu beschleunigen. Dadurch, daß diese beiden großen Organe des zukünftigen Bundes an dieser Arbeit beteiligt werden, werden zugleich die Länder an dieser Arbeit beteiligt sein, was sehr wesentlich ist. Da die Bundesregierung aus der Verfassung die unmittelbare Verpflichtung hat, die Frage aufzunehmen, so wird sich daraus und aus dem Drängen sei-

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tens der Länder oder seitens der Vertreter des Bundestags eine Beschleunigung des Verfahrens ergeben. Ausnahmsweise sollen hier schon bei der Entstehung eines Gesetzentwurfs diese beiden Organe eingeschaltet werden. Dr. Laforet (CSU): Herr Kollege Dr. Schwalber hat bereits auf einen entscheidenden Gesichtspunkt hingewiesen. Auch mir erscheint eine Außerachtlassung des Staatsvolkes der Länder, wie sie in Art. 25 tatsächlich geschieht, untragbar zu sein. Es wird über den Kopf der einzelnen Gliedstaaten hinweg eine Neuverteilung des Gebietes vorgenommen. Bei dieser Neuverteilung sind die einzelnen Gliedstaaten nur insoweit beteiligt, als sie im Bundesrat (Länderkammer) mitwirken können. Das verneint, obwohl es ganz sicherlich nicht so beabsichtigt ist, die Staatlichkeit der einzelnen Gliedstaaten und ist in dieser Fassung daher nicht tragbar. Dr. Greve (SPD): Zu dem Unterschied zwischen Stammesverbundenheit und landsmannschaftlicher Verbundenheit möchte ich zu bedenken geben, inwieweit man beim Bundesgebiet von Stammesverbundenheit sprechen kann. Das könnte man höchstens von der betreffenden Bevölkerung sagen, die eine bestimmte Stammesverbundenheit entwickeln könnte, aber daß das Bundesgebiet an sich stammesverbunden sein soll, ist neuartig und bedarf noch näherer Erläuterung. Zu den Ausführungen des Herrn Dr. Laforet möchte ich sagen, daß ich mich nicht dazu verstehen kann, die Länder nun wieder über das hinaus zu beteiligen, was in Art. 25 festgelegt wurde. Herr Kollege Laforet, Sie sagten, daß diese Fassung des Art. 25 die Staatlichkeit der Länder verneint. Ich glaube, diese rein technische Frage der Neugliederung einzelner Länder sollte man nicht zum Kriterium der Staatlichkeit der Länder machen. Die Staatlichkeit der Länder hängt nicht von der technischen Neugliederung bzw. der Regulierung bestimmter Grenzen der Länder ab. Diese Frage ist im Ausschuß für Grundsatzfragen eingehend erörtert worden, und wir haben alle diese Fassung, wie sie in Art. 25 zur Zeit gegeben ist, für die geeignete Grundlage einer Neugliederung des Bundesgebiets gehalten49). Dr. von Mangoldt (CDU): Ich habe ergänzend zu den Ausführungen des Herrn Dr. Greve auszuführen, daß der Art. 25 keineswegs das Staatsvolk des betreffenden Landes unberücksichtigt läßt. Denn einmal hat das Staatsvolk die Möglichkeit, in den Gebietsteilen – so heißt es ausdrücklich in Abs. 6 –, deren Landeszugehörigkeit geändert werden soll, abzustimmen, und wenn die Abstimmung negativ verläuft, kommt das ganze Gesetz noch einmal in seiner Gesamtheit zur Abstimmung. Wir sind uns im Ausschuß dieser Frage in ihrem vollen Umfang bewußt geworden. Wir haben gerade an die Verhältnisse in den norddeutschen Ländern gedacht, die ohne Zutun der Bevölkerung entstanden sind. Hier könnten Schwierigkeiten einer ersten Neugliederung viel mehr bei den Regierungen liegen als bei der Bevölkerung dieser Gebiete. Aus diesem Grunde ist auf die Zustimmung der Länder völlig verzichtet worden, um das Verfahren nicht zu starr zu machen. Sonst würden wir nie zu einer Neugliederung kommen. Wir sind der Auffassung gewesen, [S. 55] daß hier eine Regelung getroffen werden muß, die es zu dieser notwendigen Neugliederung der Länder zumindest in den nördlichen und westlichen Teilen des Bundesgebiets auch wirklich kommen läßt. 49)

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Das stenograph. Wortprot., S. 87, fügt hier an: „und darüberhinaus für Möglichkeiten, die nach Ablauf von zwei Jahren gegeben sein sollen.“

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Dr. Laforet (CSU): Ich verkenne nicht, was Herr Kollege Greve gesagt hat. Aber geht man folgerichtig vor, dann ist es durchaus möglich, daß ein Gliedstaat vernichtet wird, und zwar kraft Bundesgesetzes. Ein Landesgesetz ist nicht erforderlich. Dr. Katz (SPD): Ich möchte die Aufmerksamkeit des Ausschusses noch einmal auf die Frist in Abs. 3 richten. Wenn ich nicht irre, war diese Frist ursprünglich auf zwei Jahre bemessen. Ich möchte zur Erwägung geben, warum wir die Vorschrift auf drei Jahre ausdehnen wollen. Ich bin der Auffassung, daß diese Arbeit auch in zwei Jahren gemacht werden kann, und beantrage daher, daß wir die Frist auf zwei Jahre abkürzen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe die einzelnen Absätze auf. Wird ein Abänderungsantrag zu Abs. 1 gestellt? Dr. von Mangoldt (CDU): Es soll heißen: „der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge“ statt: „der geschichtlichen Zusammenhänge, der kulturellen Lebenskräfte“. Dr. Strauß (CDU): Ich möchte anregen, der Fassung des Redaktionsausschusses den Vorzug zu geben, weil diese mit den Worten beginnt: „Das Bundesgebiet . . .“, worauf es ankommt. Mir scheint das sprachlich besser zu sein. Dr. Dehler (FDP): Ich möchte nunmehr vorschlagen, statt „Stammesverbundenheit“ zu sagen: „landsmannschaftliche Verbundenheit“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann würde Abs. 1 folgendermaßen lauten: Das Bundesgebiet ist unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch Gesetz neu zu gliedern. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich schlage vor, zu sagen: „durch Bundesgesetz“. Das muß hier ausdrücklich betont werden, weil alles in diesem Artikel auf die Zuständigkeit der Bundesregierung abgestellt ist. In allen anderen Fällen wurde im Grundsatzausschuß das Wort „Bund“ gestrichen, nur in diesem einen Falle nicht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Abs. 1 abstimmen. – Abs. 1 ist gegen 4 Stimmen50) in folgender Fassung angenommen: Das Bundesgebiet51) ist unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch Bundesgesetz neu zu gliedern. Wir kommen zu Abs. 2. Dr. Seebohm (DP): Ich möchte den Satz hinzugefügt sehen: „Das Bundesgefüge darf nicht durch das Übergewicht eines Landes gestört werden.“ Ich möchte vermeiden, daß in Zukunft ein Land gebildet werden kann, dessen Größe zu einem Wiederaufleben der preußischen Hegemonie Veranlassung gibt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe Bedenken redaktioneller Art gegen das Wort „gestört“.

50)

Das stenograph. Wortprotokoll, S. 89, nennt in der Reihenfolge „Dr. Schwalber, Dr. Laforet, Dr. Seebohm und Fecht“. 51) In der Druckfassung, S. 55: „Bundesgesetz“.

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Dr. Greve (SPD): Ich kann dem Antrag des Herrn Dr. Seebohm nicht zustimmen. Es müßten Erwägungen darüber angestellt werden, wann das Übergewicht eines Landes gestört wird und wie ein solches Übergewicht zustande kommt. Durch die Aufnahme eines derartigen Satzes würden Störungen, die möglicherweise auftreten könnten, eher hervorgerufen als verhindert. Aus diesem Grunde möchte ich von der Aufnahme eines derartigen Satzes abraten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Dr. Seebohm meint das anders. Er denkt an die Ausschließung hegemonialer Bildungen. Dr. Heuss (FDP): Ich halte die Aufnahme eines solchen Satzes für eine Unmöglichkeit, weil er eine politische Ansage ohne jede Rechtsverbindlichkeit ist. Es ist eine Frage der politischen Beurteilung, wann und unter welchen Voraussetzungen ein solches Übergewicht eintritt. Ich halte es für unmöglich, eine solche Deklaration in eine Bestimmung aufzunehmen, die rechtsgültigen Charakter hat. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich halte die Aufnahme einer solchen Bestimmung auch für unnötig, weil die Länder durch die zweite Kammer in diesem Fall eingeschaltet werden und von sich aus darauf sehen, etwas Derartiges zu verhindern. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über die Abänderung abstimmen. – Die Aufnahme des Satzes: „Das Bundesgefüge darf nicht durch das Übergewicht eines Landes gestört werden“ ist mit 14 gegen 4 Stimmen abgelehnt. Abs. 2 ist in der obigen Fassung angenommen. Wir kommen zu Abs. 3. Dr. Katz (SPD): Ich beantrage, die Frist von drei Jahren in zwei Jahre abzuändern. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, statt: „vor Ablauf von drei Jahren“ zu sagen: „vor Ablauf von zwei Jahren“. – Die beantragte Änderung ist mit 9 gegen 7 Stimmen abgelehnt; es bleibt bei der Frist von drei Jahren. Wir kommen zu Abs. 4. Ich lasse abstimmen. – Abs. 4 ist in dieser Form angenommen. Wir kommen zu Abs. 5. Dr. Strauß (CDU): Ich schlage vor, zu sagen: „in den Absätzen 1 bis 4“ statt: „in Abs. 1 bis 4“. Dr. Dehler (FDP): Ich beantrage die Streichung von Satz 2: „Bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfs ist ein aus Mitgliedern der Volkskammer und der Länderkammer zusammengesetzter Ausschuß zu beteiligen.“ Diese Bestimmung ist zumindest unvollständig. Die Verfassung müßte sagen, wie der Ausschuß zusammengesetzt werden soll. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wer ist für die Streichung dieses Satzes? – Die Streichung von Satz 2 ist mit 12 gegen 7 Stimmen beschlossen. Satz 1 ist in der Fassung des Antrages Dr. Strauß angenommen. Wir kommen zu Abs. 6. Walter (CDU): Ich schlage vor, aus sprachlichen Gründen nach dem Wort „dieses“ das Wort „Gesetz“ zu wiederholen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja, das ist besser. Dr. Strauß (CDU): Mir scheint die Fassung des Redaktionsausschusses besser zu sein. Dort ist das Wort „Gesetz“ an den Anfang gestellt: „Das Gesetz ist nach seiner Verabschiedung usw.“ Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, die Fassung des Redaktionsaus-

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schusses an die Stelle der Fassung des Grundsatzausschusses zu setzen. – Der Antrag ist einstimmig bei einer Stimmenthaltung angenommen. [S. 56] Wir kommen zu Abs. 7. Dr. Greve (SPD): In der Fassung des Redaktionsausschusses heißt es: „Das Gesetz ist angenommen, wenn die Bevölkerung aller beteiligten Gebiete zustimmt.“ Die Verkündung durch den Bundespräsidenten ist doch selbstverständlich. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Abs. 7 in der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Die Fassung des Redaktionsausschusses ist angenommen. Wir kommen zu Abs. 8. Dr. von Mangoldt (CDU): Zur Beratung und Beschlußfassung! Dr. Strauß (CDU): „Zur erneuten Beratung und Beschlußfassung“ muß es wohl heißen. Vors. Dr. Schmid (SPD): In der Fassung des Redaktionsausschusses lautet Abs. 8: Stimmt die Bevölkerung nicht in allen beteiligten Gebieten dem Gesetz zu, so ist es den gesetzgebenden Körperschaften zu nochmaliger Beschlußfassung zuzuleiten. Nach erneuter Verabschiedung ist das Gesetz als Ganzes im gesamten Bundesgebiet zur Volksabstimmung zu bringen. Ich lasse über Abs. 8 in dieser Fassung abstimmen. Abs. 8 ist mit 17 Stimmen in der Fassung des Redaktionsausschusses angenommen. Wir kommen zu Abs. 9. Dr. Greve (SPD): Warum sagt man nicht: „die Mehrheit der Wahlberechtigten“? Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Mehrheit der Wahlberechtigten sind 51%. Wenn es heißt: „Mehrheit der abgegebenen Stimmen“, so ist das die Hälfte +1 der abgegebenen Stimmen. Ich finde auch hier den Vorschlag des Redaktionsausschusses besser: Bei den Volksabstimmungen nach Abs. 6 und 8 entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Ich lasse über die Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Sie ist mit 17 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung angenommen. Wir kommen zu Abs. 10. (Zuruf: Besser ist die Fassung: „Das Verfahren regelt ein Gesetz.“) – Das ist die Fassung des Redaktionsausschusses. Ich glaube, daß sie genügt. Wer ist für diese Fassung des Redaktionsausschusses? – Ich stelle fest, daß Abs. 10 in der Fassung des Redaktionsausschusses angenommen ist. Dann lasse ich über den Art. 25 in der nunmehr beschlossenen Fassung abstimmen. – Art. 25 ist mit 16 gegen 4 Stimmen angenommen. Schluß der Sitzung 19 Uhr.

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Fünfte Sitzung des Hauptausschusses 18. November 1948

Nr. 5 Fünfte Sitzung des Hauptausschusses 18. November 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 57–68. PA 2004. Ungez. von Koppert gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 367 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: von Brentano, de Chapeaurouge, Kaufmann, Laforet, Lehr, von Mangoldt, Strauß, Süsterhenn SPD: Greve, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wolff, Zimmermann FDP: Dehler, Heuss DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Bergsträsser (SPD), Eberhard (SPD), Löwenthal (SPD), Zinn (SPD) Stenographischer Dienst: Koppert Dauer: 16.18–18.30 Uhr

[1. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT II: ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN] [1.1. ART. 26: GEBIETSBESTAND DER LÄNDER]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe auf Art. 26 der Vorlage des Ausschusses für Grundsatzfragen (PR. 11.48 – 269)3). Er lautet: (1) Änderungen im Gebietsbestand der Länder erfolgen durch Bundesgesetz. Art. 25 Abs. 1 und 2 gilt sinngemäß. (2) Wenn ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung eines Verwaltungsbezirks von mindestens der Größe eines Kreises eine Änderung der Landeszugehörigkeit verlangt, so hat die Bundesregierung ein diesem Antrag entsprechendes Gesetz vorzulegen. Die Bundesregierung kann ein solches Gesetz auch einbringen, wenn ein überwiegendes Bundesinteresse vorliegt. (3) Stimmen die beteiligten Länder zu, so genügt ein einfaches Bundesgesetz. (4) Stimmen die beteiligten Länder oder eines von ihnen nicht zu, so bedarf das Bundesgesetz der Zustimmung der Mehrheit der gesetzlichen Zahl der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes. Das Gesetz ist in diesem Falle in dem Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit verändert werden soll, zur Volksabstimmung zu bringen. Art. 25 Abs. 9 und 10 gilt sinngemäß. (5) Hat das Verlangen der Bevölkerung auf Änderung der Landeszugehörigkeit gemäß Abs. 2 die Bildung eines neuen Landes zum Ziel, so ist dieser Antrag 1)

Protokollführer Matz. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Die vom Ausschuß für Grundsatzfragen in 2. Lesung angenommene Fassung vom 10. Nov. 1948 ist maschinenschr. vervielfält. als Drucks. Nr. 269 und ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 26, S. 550–553. 2)

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zunächst in dem Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit verändert werden soll, zur Volksabstimmung zu bringen. Der Antrag gilt als angenommen, wenn die Mehrheit der Wahlberechtigten ihm zustimmt. Das Bundesgesetz bedarf in diesem Falle der Annahme mit der für Verfassungsänderungen vorgesehenen Mehrheit. Eine weitere Volksabstimmung findet nicht statt. Dr. Laforet (CSU): Eine kurze Erklärung! Art. 26 soll eine Regelung für die Dauer sein. Diese Regelung macht vor der Eigenstaatlichkeit der Gliedstaaten nicht halt. Wenn Art. 26 zweifellos gewisse rechtliche Sicherungen zum Teil erheblicher Art vorsieht, so bleibt doch der Grundgedanke, daß der Bund damit zum Herrn auch der Gliedstaaten gemacht wird. Auf der Grundlage der Volksabstimmung in dem betroffenen Staatsgebiet entscheidet der Bund über das Staatsgebiet der Gliedstaaten. Wer an der Staatlichkeit der Gliedstaaten eines Bundesstaates festhält, kann der Regelung des Art. 26 nicht beitreten. Ich muß deshalb Art. 26 ablehnen. Dr. von Mangoldt (CDU): Zu den Ausführungen des Herrn Dr. Laforet darf ich darauf hinweisen, daß der Ausschuß für Grundsatzfragen sich mit diesen Dingen eingehend beschäftigt hat4). Wir standen vor der Frage, ob entscheidend sein soll das Selbstbestimmungsrecht des Volkes oder die Entscheidung der Regierung. Wir sind bei unseren Beratungen dazu gekommen, daß das Selbstbestimmungsrecht des Volkes entscheidend sein soll. Dies kommt in unserer Fassung des Art. 26 auch deutlich zum Ausdruck. Wenn nämlich die Länder – es ist hier in Abweichung von Art. 25 vorgesehen, daß die Länder sich zu einem solchen Gesetz sollen äußern können – nicht zustimmen, dann sind besondere Sicherungsmaßnahmen vorgesehen. Zunächst kann ein solches Bundesgesetz nur mit einer qualifizierten Mehrheit angenommen werden, und zweitens kommt dieses Gesetz in dem Landesteil, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, zur Volksabstimmung. Damit ist den Ländern die Möglichkeit gegeben, sich zu äußern und Stellung zu nehmen. Letztlich entscheidet aber die Volksabstimmung, die in dem betreffenden Gebiet stattfindet. Die Abstimmung des Volkes in dem betreffenden Landesteil ist also die wichtigste Voraussetzung. Zur Richtigstellung darf ich gegenüber meinem Kollegen Dr. Laforet ferner noch bemerken: Art. 26 hat nicht nur Bedeutung nach der erstmalig nach Art. 25 durchgeführten ersten Neugliederung, sondern auch für die Zeit während dieser Neugliederung. Art. 26 gewinnt also schon unmittelbar nach Inkrafttreten des Grundgesetzes Bedeutung, und Gebietsänderungen können in einzelnen Landesteilen schon nach den Vorschriften dieses Artikels durchgeführt werden. Somit besteht die Möglichkeit, Änderungen im Gebietsbestand, die sich schon jetzt als notwendig erweisen, nach den Vorschriften des Art. 26 durchzuführen oder jedenfalls die Stimme des Volkes, die nach Art. 25 nicht berücksichtigt werden kann, im Wege des Initiativantrags nach Art. 26 Abs. 2 zu Gehör zu bringen und dann die Neugliederung entweder nach Art. 25 oder durch ein Bundesgesetz nach Art. 26 durchzuführen. Dr. von Brentano (CDU): Ich stimme den Argumenten, die Herr Dr. Laforet soeben vorgetragen hat, durchaus zu und möchte sie noch unterstreichen. Niemand verschließt sich der Notwendigkeit, Landesgrenzen, soweit sie unorganisch entstan4)

Der Ausschuß für Grundsatzfragen befaßte sich damit in seiner 20. Sitzung am 10. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 25, S. 533–541.

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den sind, möglichst bald zu ändern. Dafür schafft Art. 25 unserer Überzeugung nach alle nötigen Voraussetzungen. Es muß aber einmal der Augenblick kommen, in dem die Änderung von Landesgrenzen nicht mehr Sache des Bundes ist, sondern Sache der Länder. Eine Änderung der Landesgrenzen, die sich als notwendig erweist und die die betroffene Bevölkerung selbst wünscht, wird von dem betreffenden Land jederzeit im Wege eines Staatsvertrags oder einer anderen Regelung durchgeführt werden können. Eine Notwendigkeit, nach Ablauf der drei Jahre durch ein Bundesgesetz Gebietsveränderungen vorzunehmen, kann ich nicht anerkennen. Ich möchte noch zwei Gesichtspunkte anführen. Erstens: Für den Fall der Annahme bitte ich die Fassung des Redaktionsausschusses zur Hand zu nehmen (PR. 11.48 – 279)5). Wir haben, abgesehen von unerheblichen redaktionellen Änderungen, den Abs. 5 geändert, aus einem Grunde, den ich an einem Beispiel erläutern darf. Wenn Abs. 5 in der Fassung des Ausschusses für Grundsatzfragen bestehen bliebe, so würde das bedeuten, daß, wenn ein Landkreis die Absicht äußert, ein selbständiges Land zu werden, und wenn die Volksabstimmung den gewünschten Erfolg hat, darüber hinaus ein Bundesgesetz eingebracht werden muß, während nach unserem Vorschlag die Änderung als solche selbstverständlich auch möglich ist, ohne aber eine solche sachliche, bei der Entstehung des Entwurfs nicht vorgesehene Komplikation zu schaffen. Zweitens bitte ich für den Fall der Annahme des Art. 26 in Abs. 4 Satz 1 zweiter Halbsatz zu sagen: „. . . so bedarf das Bundesgesetz der Zustimmung der für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Mehrheiten der gesetzgebenden Körperschaften . . .“ Ich halte diese Einschränkung für unerläßlich; denn [S. 58] Gebietsveränderungen eines Landes sind mindestens so bedeutungsvoll wie eine Kompetenzverschiebung oder eine Änderung der Verfassung selber6). Dr. Laforet (CSU): Diese Frage ist keine politische, sondern eine rein staatsverfassungsrechtliche Frage. Darüber treten natürlich unter den Juristen in der gleichen Fraktion Meinungsverschiedenheiten auf. Ich begrüße die Erklärung des Herrn Vorsitzenden des Ausschusses für Grundsatzfragen, daß Art. 26 auch für die ersten drei Jahre gelten soll. Man hat ferner auf das Gewicht der Volksentscheidung hingewiesen. Aber es wird nicht das Staatsvolk des Gliedstaates zur Volksabstimmung aufgerufen, sondern nur der Teil des Staatsvolkes, der in dem betreffenden Gebiet wohnt. Das Gesamtstaatsvolk, vertreten durch seine Staatsregierung, bleibt ausdrücklich ausgeschlossen. Dr. Seebohm (DP): Ich kann die Darlegungen der Herren Dr. Laforet und Dr. von Brentano nur unterstreichen. Ich fürchte, daß Art. 26 eine direkte Regelung unter den Ländern verhindert, sie auf die Bundesebene verlegt und so zu einer ständigen Unruhe führt. Mit Herrn Dr. Laforet bin ich ferner der Auffassung, daß im Falle des Abs. 2 auch das beteiligte Land eingeschaltet werden muß. Die Volksabstimmung hat also nicht 5)

Die Drucks. Nr. 279 vom 16. Nov. 1948 mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zum Abschnitt II und III ist ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 42–51. 6) Statt „eine Änderung der Verfassung selber“ im stenograph. Wortprot., S. 7: „die Verfassung selbst“.

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nur in dem unmittelbar betroffenen Staatsgebiet zu erfolgen, dessen Landeszugehörigkeit verändert werden soll, sondern in dem Gesamtgebiet des betroffenen Landes. Ich schlage daher vor, daß ein Begehren auf Veränderung der Landeszugehörigkeit eines Gebiets in einem Lande zunächst in diesem Lande zur Volksabstimmung zu bringen ist. Weiter stimme ich dem Antrag des Herrn Dr. von Brentano zu, für den Fall der Annahme des Art. 26 in Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 eine verfassungsändernde Mehrheit der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes vorzuschreiben. Schließlich bin ich mir nicht klar darüber, wie die Damen und Herren des Ausschusses für Grundsatzfragen sich die Anwendung des Abs. 2 gedacht haben. Hier heißt es einfach: „Wenn ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung eines Verwaltungsbezirkes . . . eine Änderung der Landeszugehörigkeit verlangt“. Es fehlt hier jede Bezugnahme auf eine Vorschrift des Grundgesetzes, die das Verfahren des Volksbegehrens näher regelt. Die Bestimmung hängt so, wie sie hier steht, völlig in der Luft und kann nicht anerkannt werden. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf Herrn Dr. Seebohm darauf hinweisen, daß der letzte Satz des Abs. 4 ausdrücklich bestimmt: „Art. 25 Abs. 9 und 10 gilt sinngemäß.“ Die Vorschriften über das Verfahren werden also durch Gesetz festgelegt. In diesem Gesetz wird bestimmt, wie ein solcher Initiativantrag zustande kommt. Eine andere Regelung ist gar nicht möglich; sie würde zu umfangreich sein und die Verfassung belasten. Wir haben uns im Grundsatzfragenausschuß darüber eingehend unterhalten. Ferner bitte ich, die Fassung des Redaktionsausschusses zu Abs. 5 abzulehnen, und zwar aus folgendem Grunde. Was Herr Dr. von Brentano vermeiden will, wird durch diese Formulierung des Redaktionsausschusses erreicht. Die Formulierung des Ausschusses für Grundsatzfragen geht mit Absicht einen anderen Weg. Sie verlangt, daß in diesem Fall nicht die Drittelmehrheit für den Initiativantrag genügt, sondern, nachdem der Initiativantrag mit einem Drittel der Bevölkerung durchgegangen ist, muß er zur Volksabstimmung in dem betreffenden Gebiet kommen. Erst wenn die Mehrheit der Wahlberechtigten zustimmt, kann es überhaupt zu einem Gesetzesantrag kommen. Durch die Fassung unseres Ausschusses wird also erreicht, was Herr von Brentano will, während die Fassung des Redaktionsausschusses das Gegenteil erreicht. Danach muß erst auf Antrag irgendeines kleinen Gebietsteils ein Gesetz erlassen werden; dieses Gesetz muß beraten und kann erst dann zur Volksabstimmung gestellt werden. Dr. Greve (SPD): Ich kann mich den Argumenten des Kollegen von Brentano nicht verschließen. An sich paßt es nicht in das ganze System, soweit es uns bisher bekannt ist, hinein, wenn zuerst eine Volksabstimmung stattfindet und nach der Volksabstimmung, die möglicherweise eine Mehrheit für das Begehren erbringt, das oder die Parlamente der Mehrheit des Volkes zustimmen. Der umgekehrte Weg scheint mir der logischere zu sein. Danach stimmen zunächst die Parlamente dem Begehren zu, dem dann das Volk seine Zustimmung geben muß. Ich möchte vorschlagen, in den Abs. 5 des Vorschlags des Redaktionsausschusses eine Bestimmung hineinzubringen, wonach für den Fall der Annahme des Gesetzes durch die Parlamente ohne Rücksicht auf die Zustimmung des Bundes oder der beteiligten Länder das Gesetz zur Volksabstimmung zu bringen ist. Das kommt

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nicht klar zum Ausdruck, wenn gesagt wird: Die Bildung eines neuen Landes bedarf, wenn sie beabsichtigt ist, der Annahme eines Gesetzes mit der vorgesehenen Mehrheit. Was geschieht, wenn die qualifizierte Mehrheit nicht erreicht wird? Dann soll das Gesetz überhaupt nicht mehr zur Volksabstimmung kommen. Daher muß man sagen: Im Fall der Annahme des Gesetzes mit qualifizierter Mehrheit durch die Parlamente ist ohne Rücksicht auf die Zustimmung der beteiligten Länder das Gesetz in jedem Land zur Volksabstimmung zu bringen. Dr. von Brentano (CDU): Das ist richtig. Ich stimme diesem Vorschlag zu. Dr. Seebohm (DP): Ich stimme den Ausführungen des Herrn Dr. Greve zu. Herrn Dr. von Mangoldt darf ich darauf hinweisen, daß in der Fassung, die dem Redaktionssausschuß zur Beratung vorlag, der Hinweis auf Art. 25 Abs. 9 und 10 nur bei Abs. 4 gegeben ist. Die Verweisung soll doch für den gesamten Artikel gelten; aber das ist in der Form, die in der Fassung des Grundsatzausschusses gewählt wird, nicht gesichert. Vors. Dr. Schmid (SPD): Werden zu Abs. 1 Abänderungsanträge gestellt? Dr. Dehler (FDP): Wir schlagen vor, in Abs. 1 Satz 1 zu sagen: Der Gebietsbestand der Länder kann durch Bundesgesetz geändert werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich stelle den Änderungsantrag Dr. Dehler zur Abstimmung. – Der Änderungsantrag ist mit 10 gegen 6 Stimmen angenommen, und mit dieser Änderung der ganze Abs. 1. Dr. Laforet (CSU): Ich möchte erneut feststellen, daß ich den ganzen Art. 26 ablehne. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir kommen zu Abs. 2. Werden Abänderungsanträge gestellt? – Das ist nicht der Fall; er ist angenommen. Abs. 3. – Angenommen. Abs. 4. – Hier ist ein Eventualantrag gestellt. Wenn ich nicht irre, beantragt Herr Dr. Dehler in Abs. 4 eine redaktionelle Änderung. Dr. Dehler (FDP): Der letzte Satz des Abs. 4 muß weg; wir wollen diese Bestimmung als eigenen Absatz an den Schluß stellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sonst stimmen Sie überein? Man kann das redaktionell umstellen. Dr. von Brentano (CDU): Ich habe ferner für den Fall der Annahme des Art. 26 den Abänderungsantrag gestellt, in Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 zu sagen: „. . . so bedarf das Bundesgesetz der Zustimmung der für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Mehrheiten der gesetzgebenden Körperschaften“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse darüber abstimmen. – Der Abänderungsantrag Dr. von Brentano ist mit 12 gegen 9 Stimmen abgelehnt. [S. 59] Wir kommen zu Abs. 5. – Hierzu beantragt Herr Dr. Greve die Ersetzung der Fassung des Ausschusses für Grundsatzfragen durch die Fassung des Redaktionsausschusses. Weiter stellt er einen Abänderungsantrag zu dem Abänderungsantrag. Dr. Greve (SPD): Nein. Herr Dr. von Brentano hat den Abänderungsantrag gestellt, den Abs. 5 der Vorlage des Grundsatzfragenausschusses7) durch den Abs. 5 der Vor-

7)

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Für den Wortlaut vgl. Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 26, S. 552.

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lage des Redaktionsausschusses8) zu ersetzen. Zu diesem Antrag stelle ich den Abänderungsantrag, den Satz 2 wie folgt zu fassen: Für den Fall der Annahme ist das Gesetz ohne Rücksicht auf die Zustimmung . . . usw. Dr. Dehler (FDP): Der Redaktionsausschuß stimmt dieser Änderung zu. Dr. Seebohm (DP): Ich habe den Antrag gestellt, zu sagen: Für den Fall der Annahme ist ohne Rücksicht auf die Zustimmung der beteiligten Länder in dem Lande, in dessen Gebiet ein Teil die Landeszugehörigkeit ändern soll, eine Volksabstimmung zu veranlassen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das kann nicht gut stimmen. Sie wollen eine Volksabstimmung haben, und zwar nicht in dem Teil, der sich separieren will, sondern in dem Ganzen, von dem separiert werden soll. Also muß es heißen: „in dem Lande, dessen Gebiet geändert werden soll“. Dr. Seebohm (DP): Ich darf meinen Vorschlag noch einmal formulieren: „. . . in dem Lande, von dem ein Gebiet seine Landeszugehörigkeit ändern soll . . .“ Man kann das redaktionell noch genauer fassen. Dr. Heuss (FDP): Das Gebiet kann nicht geändert werden. Es kann nur ein Teilgebiet geändert werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, wenn wir sagen: „. . . dessen Gebiet betroffen wird . . .“, beseitigen wir die Schwierigkeit. Wir haben zuerst über den Antrag Dr. Greve abzustimmen: „Für den Fall der Annahme ist das Gesetz ohne Rücksicht auf die Zustimmung . . . usw.“ Darüber scheinen sich alle Anwesenden klar zu sein. – Der Abänderungsantrag ist angenommen. Dann haben wir abzustimmen über den Abänderungsantrag Dr. Seebohm zu sagen: „. . . in dem Lande, dessen Gebiet betroffen wird“. – Dieser Änderungsantrag ist mit 10 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Dann ist noch darüber abzustimmen, ob Abs. 5 in der Fassung der Vorlage des Grundsatzfragenausschusses ersetzt werden soll durch den nunmehrigen Abs. 5 der Vorlage des Redaktionsausschusses, und zwar in der abgeänderten Fassung. – Dieser Antrag ist mit 8 gegen 8 Stimmen bei Stimmenthaltung des Abgeordneten Dr. Laforet abgelehnt. Dr. Seebohm (DP): Es müßte noch klargestellt werden, daß der Hinweis auf Art. 25 Abs. 9 und 10, der in der Fassung des Grundsatzfragenausschusses nur in Abs. 4 steht, für den ganzen Artikel gilt. Es ist zweckmäßig, diesen Hinweis in einem besonderen Absatz zu bringen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, diese technische Frage können wir dem Redaktionsausschuß überlassen. Wir kommen nun zur Gesamtabstimmung über den Art. 26. – Art. 26 ist mit 16 gegen 4 Stimmen angenommen.

8)

Für den Wortlaut vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 44.

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Fünfte Sitzung des Hauptausschusses 18. November 1948 [1.2. ART. 27: STAATLICHES LEBEN DER LÄNDER]

Wir kommen zu

Art. 27 (1) Die Verfassungen der Länder müssen die rechtliche Freiheit und Gleichheit aller Bürger sichern. (2) Sie müssen den Grundsätzen demokratischer und sozialer Rechtsstaatlichkeit im Sinne dieses Grundgesetzes, insbesondere der allgemeinen Vorschriften des Art. 21 und des Teiles XII über die Rechtspflege entsprechen. Die Regierungen der Länder müssen durch das Vertrauen der aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangenen Volksvertretungen berufen sein. (3) Die Vorschriften dieses Grundgesetzes über die Parteien binden die Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung der Länder. (4) Die Länder haben den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung zu gewährleisten. Zum Wesen der Selbstverwaltung gehört, daß die Gemeinden alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln haben, soweit das Gesetz dem Lande oder einem Gemeindeverbande nicht Aufgaben zuweist. (5) Der Bund gewährleistet, daß das staatliche Leben der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 bis 4 entspricht. Hierzu sind ein Antrag Dr. Laforet und ein Antrag Dr. Mücke9) eingegangen. Es dürfte sich empfehlen, daß Herr Dr. von Mangoldt uns zunächst eine Übersicht über den Inhalt des Artikels gibt, zumal auf Teil XII verwiesen wird, den wir bisher noch nicht behandelt haben. Dr. von Mangoldt (CDU): Der Ausschuß für Grundsatzfragen hat in dem Art. 27 die sogenannten Normativvorschriften für das Verfassungsrecht der Länder aufgenommen. Damit soll erreicht werden, daß die Verfassungen der Länder im Grundsätzlichen mit der Bundesverfassung übereinstimmen. Es ist schlechterdings unmöglich, daß der Staatscharakter der Länder ein anderer ist als der des Bundes. Daher sind in Art. 27 gewisse Vorschriften über das Verfassungsrecht der Länder niedergelegt. Dabei ist man aber, wie ich sogleich betonen möchte, mit aller Vorsicht vorgegangen. Der Ausschuß für Grundsatzfragen hat seine Formulierungen im Gegensatz zum Zuständigkeitsausschuß tunlichst beschränkt. Er hat das, was bisher festgelegt war, noch eingeschränkt und geglaubt, sich auf das unbedingt Notwendige beschränken zu müssen. Der Herrenchiemseer Entwurf hatte die Grundrechtsartikel10) völlig anders aufgebaut und gefaßt, als wir sie geformt haben. In Abweichung 9)

Zum Antrag des Abg. Mücke (SPD) vom 4. Nov. 1948 vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 6, Anm. 17. Der Ergänzungsantrag zu Art. 27 (in der Zählung bei Mücke noch Art. 25) lautet: „In Abs. 1 ist hinter die Worte ,aller Bürger‘ einzufügen: ,im Sinne der Bestimmungen dieses Grundgesetzes‘.“ Als Begründung gibt Mücke an: „Hier handelt es sich um die Unterstreichung einer Selbstverständlichkeit, die aber ohne die vorgeschlagene Ergänzung in der Praxis nicht ohne weiteres als solche angesehen werden könnte.“ Vgl. Drucks. Nr. 255. 10) Für den Wortlaut der Grundrechtsartikel in der Fassung des Verfassungskonventes Herrenchiemsee vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 580–582.

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vom Herrenchiemseer Entwurf haben wir es nicht für notwendig gehalten, die Sätze der Grundrechtsartikel noch einmal in die Normativbestimmungen des Art. 27 aufzunehmen. Wir haben es aber für zweckmäßig gehalten, in Abs. 1 darauf hinzuweisen, daß die Grundrechte, wie sie im ersten Abschnitt niedergelegt sind, geltendes Recht auch für die Länder sein sollen und daß die Verfassungen der Länder so geformt sein müssen, daß sie den Grundrechten der Bundesverfassung nicht widersprechen. Der Abs. 2 des Art. 27 legt sodann die weiteren Voraussetzungen fest. Dabei verweist er im Interesse der Verkürzung auf die allgemeinen Grundsätze des Art. 21, die wir gestern angenommen habenn11). Der Vorschlag des Zuständigkeitsausschusses12) enthielt in Anlehnung an den Entwurf von Herrenchiemsee desweiteren nähere Bestimmungen über die Gestaltung der Rechtspflege, insbesondere die Unabhängigkeit des Richters und die Sicherung des Einzelnen, sein Recht vor den Gerichten zu finden. Diese Vorschriften sind in den Teil XII13) unseres Grundgesetzes aufgenommen. Darauf verweist der Abs. 2 des Art. 27. Es handelt sich hier um die maßgeblichen Grundsätze für die Rechtspflegeorganisation. Den zweiten Satz haben wir vorsichtig formuliert. Wir haben darin die Möglichkeit offengelassen, daß Regierungen auf Zeit gebildet werden. Diese Regierungsform soll zulässig sein. Grundsätzlich steht das Grundgesetz auf dem Standpunkt der parlamentarischen Demokratie. Aber wir haben die Möglichkeit der Bildung einer Regierung auf Zeit nach bayerischem Muster offengelassen. [S. 60] Zu den übrigen Absätzen des Art. 27 kurz noch folgendes: Abs. 4 gewährleistet die Selbstverwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände. Hierzu hat meine Fraktion beantragt, den Satz 2 dadurch klarzustellen, daß es dort heißt: „das Wesen der gemeindlichen Selbstverwaltung“. Dr. Dehler (FDP): Der Redaktionsausschuß hat einige Änderungen für zweckmäßig gehalten, die er Ihnen vorschlägt14). Zunächst scheint Abs. 1 überflüssig zu sein, weil er bereits in den Grundrechten festgelegt ist. Die Bindung der Länder an die Grundrechte ist schon im Grundrechtsteil ausgesprochen. Ferner haben wir Bedenken, von den Verfassungen der Länder zu sprechen. Ein Teil der Länder hat überhaupt keine Verfassungen; andererseits wird nach unserer Meinung die Garantie der Grundrechte auch ohne schriftliche Verfassungen praktiziert. Wir haben daher unseren Vorschlag wie folgt formuliert: (1) Die verfassungsmäßige Ordnung der Länder muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. 11)

Vgl. oben Dok. Nr. 4, TOP 4.2, S. 116–121. Vgl. die Drucks. Nr. 199 mit den Neufassungen der Art. 15a sowie Art. 29–34 ChE des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung vom 15. Okt. 1948, ediert in: Der Parl. Rat. Bd. 3, Dok. Nr. 18, S. 567 f. 13) Abschnitt XII umfaßt: Gerichtsbarkeit und Rechtspflege. 14) Vgl. Drucks. Nr. 279 vom 16. Nov. 1948 mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zum Abschnitt II und III; Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 42–51. 12)

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Bei der Fassung dieses Satzes haben wir an die Hansestädte gedacht, die die Bürgermeister teilweise unmittelbar wählen, so daß die Fassung des Ausschusses für Grundsatzfragen in Abs. 2 Satz 2 diesen Fall nicht decken würde. Was den Abs. 2 anlangt, so schließen wir uns der Anregung des Herrn Dr. Laforet an und formulieren ihn wie folgt: (2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Weiter wird gesagt: Die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres Aufgabenbereichs das Recht der Selbstverwaltung. Abs. 3 lautet: (3) Die Übereinstimmung der verfassungsmäßigen Ordnungen der Länder mit den Vorschriften dieses Grundgesetzes wird vom Bund gewährleistet. Dr. Laforet (CSU): Ich möchte mich als Gemeinderechtler nur kurz zur Frage der gemeindlichen Selbstverwaltung äußern. Es bedarf wohl keines besonderen Hinweises, ja, es besteht allgemein Übereinstimmung darüber, daß wir der außerordentlichen Bedeutung der Gemeinden und Gemeindeverbände auch in unserem Grundgesetz an besonderer Stelle gedenken müssen und den Gedanken der Selbstverwaltung, der selbstverantwortlichen Tätigkeit der Gemeinde als einen Grundgedanken herausstellen müssen, an den die Länder gebunden sind. Dabei müssen wir aber beachten, daß nach unserem deutschen Recht neben die Selbstverwaltungsangelegenheiten die Auftragsangelegenheiten treten und daß in den Auftragsangelegenheiten, die der Staat besonders bestimmen muß, der Wille der übergeordneten Staatsbehörde und nicht der Wille der Gemeinde entscheidet. Aber das kann man nicht in unserem Grundgesetz ausdrücken. Daß die Selbstverwaltung, also das eigene, selbstverantwortliche Ermessen, für die Gemeinde unerläßlich ist, bedarf keines Beweises. Das Recht der Selbstverwaltung muß auch den Gemeindeverbänden in vollem Umfang gewährleistet sein. Aber nun kommt eine zweite Frage: die Einschränkung des Rechtes der Selbstverwaltung. Es ist ein Verdienst und Vorzug der Deutschen Gemeindeordnung, die Abgrenzung in Gesetzesform klargestellt zu haben. Die Gemeinden haben grundsätzlich einen unbeschränkten Aufgabenkreis. Die Gemeinde kann sich allen Aufgaben widmen, die im Rahmen der Gemeinschaft notwendig und zweckmäßig sind. Eine Einschränkung des Aufgabenkreises kann nur durch das Gesetz erfolgen. Solche Gesetze haben wir. In ihnen ist Gemeindeverbänden, dem Lande, aber auch anderen Trägern der Verwaltung eine Befugnis zugewiesen, die die Gemeinden von der Tätigkeit und Zuständigkeit ausschließt. Ein Beispiel: Die Sozialversicherung weist den Versicherungsträgern, zum Beispiel der Krankenversicherung, bestimmte Aufgaben zu. Damit ist es der Gemeinde verwehrt, die Pflichtversicherung ihrer Arbeiter und Angestellten selbst zu übernehmen. Sie kann eine Zusatzversicherung geben, aber in die alleinige Zuständigkeit der Krankenkasse kann sie nicht eingreifen. Daher ist der Satz in dem Vorschlag des Grundsatzfragenausschusses: „soweit das Gesetz dem Lande oder einem Gemeindeverbande nicht Aufgaben zuweist . . .“ für uns Verwaltungsrechtler nicht tragbar.

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Auf der anderen Seite ist nach der ganzen geschichtlichen Entwicklung dieser unbeschränkte Aufgabenkreis den Gemeindeverbänden nicht gegeben. Die Gemeindeverbände haben Aufgaben nur insoweit, als das Gesetz ihnen solche zuweist. In diesem Fall haben sie allerdings, soweit es sich nicht um einen übertragenen Aufgabenkreis handelt, das Recht der Selbstbestimmung und Selbstverwaltung wie die Gemeinden. Ich bin mit der Fassung des Redaktionsausschusses im allgemeinen einverstanden; Herr Dr. Dehler hat sie unter Berücksichtigung meiner Anregungen abgeändert. Vors. Dr. Schmid (SPD): Damit ziehen Sie Ihren Antrag zurück? Dr. Laforet (CSU): Ich ziehe ihn zurück zugunsten der abgeänderten Fassung des Redaktionsausschusses. Sollte ich noch ein Bedenken haben, so kann ich es bei der zweiten Lesung vorbringen. Ich wünsche nur, daß der Grundgedanke der Selbstverwaltung im Grundgesetz voll zum Ausdruck kommt, wie ihn auch der Deutsche Städtetag15) ausgesprochen hat. Die Gemeinde ist einer der Grundpfeiler unseres Staates. Dr. von Mangoldt (CDU): Im Auftrag meiner Fraktion muß ich darum bitten, es bei der Fassung des Ausschusses für Grundsatzfragen zu belassen. Wir sind bei unseren Beratungen davon ausgegangen, daß wir auch bezüglich der Länder, in denen es keine geschriebene Verfassung gibt, von einer Verfassung reden. Wir teilen also die Bedenken des Redaktionsausschusses nicht, sondern möchten auch die grundlegenden ungeschriebenen Rechtsnormen als Verfassung betrachten. Dr. Süsterhenn (CDU): Was die Regelung des Selbstverwaltungsrechts betrifft, so stimme ich aus den Gründen, die Herr Dr. Laforet dargelegt hat, dem Vorschlag des Redaktionsausschusses zu. Allerdings finde ich es bedauerlich, daß in diesem Vorschlag das Wort „Selbstverwaltung“ überhaupt nicht vorkommt. Selbstverwaltung ist ein traditioneller deutscher Rechtsbegriff; er ist historisch geworden. Dieser typisch deutsche Begriff muß auch im Grundgesetz in die Erscheinung treten. Daher möchte ich dem Redaktionsausschuß vorschlagen, dem Abs. 2 folgende Fassung zu geben: Das Recht der Selbstverwaltung muß den Gemeinden und Gemeindeverbänden gewährleistet sein. Sie können alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung regeln. Renner (KPD): Man hat hier gesagt, daß die Formulierung des Art. 27 den Forderungen des Deutschen Städtetags entspreche. Ich muß da etwas Wasser in den Wein der Begeisterung schütten. Denn der Deutsche Städtetag hat etwas mehr verlangt. Er hat nicht nur gefordert, daß das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung im Grundgesetz verankert wird, sondern daß darüber hinaus die finanzielle Grundlage der Gemeinden in der Verfassung selbst gesichert wird16). Da liegt nun – 15)

Zur Haltung des Deutschen Städtetages vgl. die Denkschrift zum Grundgesetz vom Okt. 1948, ediert bei: Sörgel, Konsensus der Interessen, S. 312 f. Darin heißt es im Art. A: „. . . die Gemeinden und Gemeindeverbände sind Gebietskörperschaften mit dem Recht der Selbstverwaltung durch ihre von der Bürgerschaft gewählten Organe.“ 16) Der Deutsche Städtetag schlug in Art. B vor: „In erster Linie decken ihren Finanzbedarf . . . c) die Gemeinden aus dem Aufkommen der Steuern vom Grundvermögen und vom Gewerbebetrieb, einer Personalsteuer sowie aus den ihnen nach höherer Bestimmung des Bundes- oder Landesrechts überlassenen Verbrauchs- und Aufwandssteuern. Die

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nehmen Sie mir das Wort nicht übel! – der Hase im Pfeffer; da ist die Lücke. Wenn man hier so warme Töne für das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung findet, muß man sich auch darüber klar werden, was im Augenblick noch an kommunalem Selbstverwaltungsrecht besteht. Man muß sich auch über die Gefahren klar werden, die [S. 61] dem noch verbliebenen Selbstverwaltungsrecht schon erwachsen sind und noch erwachsen werden. Die in Westdeutschland durchgeführte separate Währungsreform17) hat, das kann wohl nicht bestritten werden, die finanziellen Grundlagen der Gemeinden schwer erschüttert. Die Folge davon ist, daß die Gemeinden wie auch die Länder in immer größere finanzielle Abhängigkeit von Frankfurt18), also von der Bundesregierung, geraten sind und noch geraten werden. Wer die allgemeinen Bestrebungen der Verwaltungsorgane der Länder und des Bundes gegenüber den Gemeinden kennt, wer weiß, wie umstritten von dieser Seite her das Recht der kommunalen Selbstverwaltung ist, muß mir recht geben, wenn ich folgere: Je stärker die finanzielle Abhängigkeit der Gemeinden von den zentralen Organen des Staates wird, desto mehr ist die gemeindliche Selbstverwaltung gefährdet. Wie es heute in den Gemeinden aussieht, weiß man; das ist kein Geheimnis. Die Gehälter werden dekadenweise gezahlt, die Bauvorhaben sind fast restlos stillgelegt worden, die Schutträumaktion ist fast völlig eingestellt. Selbst die kommunale Wohlfahrtspflege mußte sich schon Abstriche gefallen lassen. Wenn die Entwicklung, die Frankfurt eingeleitet hat, so weiter geht, muß man damit rechnen, daß der um Frankfurt herum sich bildende reaktionäre Weststaat gerade den Gemeinden gegenüber eine Politik treiben wird, die auf einen erheblichen Abbau der sozialen und kulturellen Aufwendungen der Gemeinden hinausläuft. Es ist wie überall: das Volk muß die Lasten des verlorenen Krieges zahlen. Hält man sich diese politische Entwicklung vor Augen, kommt man nicht an der Forderung vorbei, die gemeindliche Selbstverwaltung schon in der Verfassung sachlich und finanziell zu sichern. Ich komme damit zu dem Problem der Finanz- und Steuerhoheit. Ich halte mich für verpflichtet, hier auf die Konsequenz hinzuweisen, die daraus entstehen muß, wenn wir im Grundgesetz nur rein deklaratorisch das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht proklamieren, ohne zugleich die finanzielle Unabhängigkeit der Gemeinden zu sichern, was viel wichtiger ist. Dr. Laforet (CSU): Wir legen den größten Wert darauf, daß das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung in der Verfassung festgelegt wird. Dieses Recht hat für uns einen ganz bestimmten Inhalt. Im Einvernehmen mit anderen Herren möchte ich Sie nun doch bitten, statt der jetzt vom Redaktionsausschuß geänderten Form meiner Fassung zuzustimmen und zu sagen: Beteiligung der Gemeindeverbände an diesen Einnahmen regelt das Landesrecht“. Ferner heißt es im Art. D: „. . . dürfen neue Aufgaben den Gemeinden (Gemeindeverbänden) nur übertragen wedern, wenn gleichzeitig Bestimmung über die Deckung der Kosten getroffen wird.“ Vgl. ebd. 17) Am 21. Juni 1948 wurde in den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands die Reichsmark durch die Deutsche Mark abgelöst und drei Tage später auch in den drei Westsektoren Berlins. 18) Frankfurt am Main war bis 1945 Sitz der Deutschen Reichsbank, dann Sitz der 1948 gegründeten Bank deutscher Länder sowie der 1957 gegründeten Bundesbank.

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Die Länder haben den Gemeinden das Recht zu gewährleisten, alle Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze unter eigener Verantwortung zu erfüllen. Das ist das Recht der Selbstverwaltung. Das gleiche Recht der Selbstverwaltung muß auch den Gemeindeverbänden für die Erfüllung der Aufgaben gewährleistet sein, die ihnen durch die Gesetze zugewiesen sind. Damit ist die Beschränkung des Aufgabenkreises der Gemeinden beachtet. Wir wollen unter allen Umständen festgelegt haben, daß auch die Gemeindeverbände echte Selbstverwaltung besitzen. Dr. Seebohm (DP): Mir kommt hier noch ein Gedanke. Es verhält sich doch so, daß den Gemeinden und Gemeindeverbänden immer weitere Auftragsangelegenheiten zugewiesen werden. Dabei sollten wir eine Forderung berücksichtigen, die die Sachverständigen im Finanzausschuß wiederholt erhoben haben, nämlich eine Anweisung in das Grundgesetz aufzunehmen, daß bei der Zuweisung von Aufgaben gleichzeitig die zur Erfüllung dieser Aufgaben notwendigen Einnahmen zugewiesen werden19). Ich möchte Herrn Dr. Laforet fragen, ob ein solcher Zusatz notwendig ist oder ob man auf ihn verzichten kann. Dr. Laforet (CSU): Ich möchte davon abraten, die klar umrissene Begriffsbestimmung des Selbstverwaltungsrechts mit solchen Zusätzen zu belasten. Meiner Ansicht nach ist es selbstverständlich, daß die Stellen, die den Gemeinden Aufgaben zuweisen, ihnen auch die Einnahmen zur Verfügung stellen müssen, die sie dafür nötig haben. Eine solche Feststellung in das Grundgesetz aufzunehmen, halte ich für bedenklich. Im Zusammenhang damit darf ich eine andere Frage aufwerfen. Wir haben im Zuständigkeitsausschuß Wert darauf gelegt, daß die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auch für die Gliedstaaten und jene Körper im Staat, die Hoheitsgewalt ausüben, festgelegt werden. Ich wäre dem Herrn Vorsitzenden des Redaktionsausschusses dankbar, wenn er mir sagen würde, wie dieser Forderung Rechnung getragen ist. Dr. Dehler (FDP): Diese Forderung ist durch die Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung an anderer Stelle erfüllt. Renner (KPD): Ich bin kein Kommunalrechtler, aber als Kommunalpraktiker seit einigen Jahrzehnten kann ich sagen – und ich muß es offen aussprechen –, daß mir die Forderungen des Deutschen Städtetages nicht aus leerem Himmel zu kommen scheinen. Die Leute, die im Deutschen Städtetag vertreten sind und denen ich keineswegs unterstelle, daß sie restlos glühende Verteidiger der gemeindlichen Selbstverwaltung sind, haben bestimmte Bedenken gehabt und haben diese Bedenken in der von mir gekennzeichneten Form ausgesprochen. Sie müssen also irgendeine Gefahrenmöglichkeit gesehen haben. Hier in dieser Formulierung ist nicht einmal garantiert, wer die sogenannten staatlichen Auftragsangelegenheiten finanziert. Es ist auch nicht gesagt, nach welchen jeweils in den deutschen Län19)

Zur Tätigkeit des Ausschusses für Finanzfragen vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12; ebd., S. XXVIII–XXXII, eine Zusammenfassung über die Stellungnahmen der im Ausschuß angehörten Sachverständigen.

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dern geltenden Gemeindeverfassungen der Begriff „staatliche Auftragsangelegenheiten“ ausgelegt werden soll. Da gibt es bei uns in Westdeutschland auch heute noch einen tollen Wirrwar. Sicher ist, daß sich die Länder mehr oder minder das Recht anmaßen, in die gemeindliche Selbstverwaltung einzugreifen, etwa in der Form, daß man bei den staatlichen Auftragsangelegenheiten die Beamten aussucht, die in den Gemeinden diese Aufgaben durchzuführen haben. Ich erinnere nur an die Zwistigkeiten, die sich in unserem Land bei der Einführung der sogenannten gemeindlichen Polizei ergeben haben, da nicht einmal diese Frage verfassungsrechtlich geklärt ist. Die andere Frage, die vollkommen offensteht, ist die, worin die finanzielle Sicherung der Gemeinden bestehen soll. Wenn den Gemeinden schon das Recht der Selbstverwaltung konzediert wird, dann bin ich der Meinung, daß dies an der Stelle, wo wir uns im Augenblick befinden, ausgedrückt werden muß, und ich kann mich nicht beruhigen bei der Erklärung, daß das an anderer Stelle erfolgen soll. Wir kennen die finanzielle Lage der Gemeinden und wir wissen, daß aus diesen finanziellen Schwierigkeiten die Bestrebungen auf Einengung des gemeindlichen Steuerrechts resultieren. Die wenigen den Gemeinden heute noch zur Verfügung stehenden Steuern sind keineswegs vor Zugriffen der Bundesregierung gesichert. Wir werden es erleben, daß das, was wir an Gemeindesteuern im Augenblick haben, noch eingeengt wird, so daß eine weitere Gefährdung der finanziellen Grundlage der Gemeinden eintreten wird. Es muß daher gemäß der Forderung des Deutschen Städtetages in der Verfassung die Sicherung für die finanzielle Durchführung der gemeindlichen Aufgaben im Rahmen des Selbstverwaltungsrechts und auf dem Gebiet der sogenannten staatlichen Aufgaben verankert werden. Zinn (SPD): Auf die Frage des Herrn Dr. Laforet, wo die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung geregelt worden ist, darf ich antworten, daß der Gedanke der Rechtsstaatlichkeit, also der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, in Art. 21 Abs. 420) niedergelegt ist. Dr. Greve (SPD): Zu Art. 27 Abs. 2 möchte ich fragen, ob es nicht richtiger ist, zu sagen: Die Gemeinden und Gemeindeverbände haben das Recht, ihre Angelegenheiten in eigener Verwaltung zu regeln. Das würde sich an das anlehnen, was in der Weimarer Verfassung gesagt war21). Es ist wenig, wenn wir nur sagen: Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet [S. 62] werden. Es ist etwas anderes, wenn wir sagen: Die Gemeinden haben das Recht. Weiter möchte ich bitten, hier festzuhalten, daß mit dieser Formulierung des Art. 27 nichts über den Umkreis der Auftragsangelegenheiten gesagt ist und daß die Auftragsangelegenheiten nach wie vor die Aufgaben sind, die die Länder bisher schon den Gemeinden übertragen haben. 20)

Art. 21 Abs. 4 lautete in der vom HptA am 17. Nov. 1948 angenommenen Fassung: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, Rechtsprechung und vollziehende Gewalt sind an Gesetz und Recht gebunden“. Vgl. dazu oben Dok. Nr. 4, TOP 4.2. Für den Wortlaut des Artikels in der 1. Lesung des HptA vgl. auch: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 3, S. 97. 21) Vgl. Art. 127 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Gemeinden und Gemeindeverbände haben das Recht der Selbstverwaltung innerhalb der Schranken der Gesetze.“ RGBl. S. 1407.

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Dr. Dehler (FDP): Dem Verlangen des Herrn Dr. Greve kann nicht entsprochen werden, denn das Gemeinderecht ist Sache der Länder. Wir können nur für die Länderverfassungen Grundsätze aufstellen und den Länderverfassungen die Auflage machen, daß das Selbstverwaltungsrecht gewährleistet wird. Deshalb bitte ich, den ersten Satz zu lassen, wonach den Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung gewährleistet werden muß, und dann fortzufahren: Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Zinn (SPD): Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände ist nicht dasselbe wie das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden; denn die Gemeinden regeln die örtlichen Angelegenheiten und die Gemeindeverbände die überörtlichen. Dr. Laforet (CSU): Ich habe im ersten Satz meines Vorschlages ein Doppeltes ausgedrückt: erstens Selbstverwaltung, zweitens unbeschränkter Aufgabenbereich. Im zweiten Satz muß eine Einschränkung gemacht werden; denn die Gemeindeverbände haben zwar die Selbstverwaltung, aber nicht den unbeschränkten Aufgabenkreis. Es wird vielleicht am besten gesagt werden: Die Länder haben den Gemeinden das Recht zu gewährleisten, alle Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze unter eigener Verantwortung zu erfüllen. Das Recht der Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetze muß auch den Gemeindeverbänden für die Erfüllung der Aufgaben gewährleistet sein, die ihnen durch die Gesetze zugewiesen sind. Dann sind alle Anforderungen erfüllt. Renner (KPD): Es können auch Auftragsangelegenheiten sein. Dr. Laforet (CSU): Dann haben sie sogar das Recht, diese Aufgaben zu erfüllen. Das Wort „Auftragsangelegenheiten“ erscheint hier nicht; es liegt in den Worten „durch die Gesetze zugewiesen“. Zimmermann (SPD): Die Diskussion, die wir bisher gepflogen haben, hat im allgemeinen akademischen Charakter. Der Streit darüber, was Selbstverwaltung ist, ist nicht neu. Seit mehr als hundert Jahren geht dieser Streit. Eine Legaldefinition, was ein Selbstverwaltungsrecht ist und was zur Selbstverwaltung gehört, ist bis heute nicht gefunden worden. Wir finden es auch heute nicht. Ich kann mir nicht denken, wie wir im Bundesverfassungsgesetz eine Regelung oder Fassung finden sollen, die allen gerecht wird. Zunächst werden sich die Länder darüber schlüssig werden müssen, welche Aufgaben sie den Gemeinden übertragen wollen, wie diese Aufgaben zu finanzieren sind und wie es mit dem eigenen Besteuerungsrecht der Gemeinden steht. Die Zuweisung aus Landesmitteln wird nicht eine vollkommene Regelung erzielen lassen. Ich bin der Auffassung, daß die Formulierung, die der Redaktionsausschuß getroffen hat, mit dem Zusatz des Herrn Dr. Greve vollkommen ausreichen dürfte; denn letzten Endes wird es Aufgabe der Länder sein, darüber zu entscheiden; es kann nicht Aufgabe des Bundes sein. Eine längere Diskussion, die wir hier führen, wird keine Klärung bringen. Auch die sehr interessanten Bemerkungen des Herrn Dr. Laforet haben mich nicht zu überzeugen vermocht, daß wir hier eine Regelung finden werden, die vollkommen dem Rechnung trägt, was der Deutsche Städtetag will. Wir müßten einen vollkommenen Katalog aufstellen, um das zu umschreiben,

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was eigentlich zur Selbstverwaltung gehört und was das Selbstverwaltungsrecht schlechthin bedeutet. Dr. Seebohm (DP): Solche Kataloge sind in den einzelnen Ländern aufgestellt worden. Wir haben auch in Niedersachsen einen solchen Katalog. Aber es hat keinen Wert, ihn hier zu übernehmen. Die Frage ist nur die finanzielle Sicherung der kommunalen Ebene, aber sie müßte in den Ländern geregelt werden und nicht hier durch das Grundgesetz. Renner (KPD): Ich bin der Meinung, daß man dem Deutschen Städtetag gerecht werden kann durch die Aufnahme des Zusatzes: „Die Länder sind verpflichtet, zusammen mit dem Bund die finanzielle Sicherung zu schaffen.“ Durch diesen einzigen Satz wäre zum Ausdruck gebracht, daß die Länder bzw. der Bund verpflichtet ist, für die finanzielle Sicherung der Gemeinden auf dem Wege des Finanzausgleichs zu sorgen. Die Formulierung des Antrags behalte ich mir für die zweite Lesung vor. Es ist wohl verstanden worden, was ich will. Ich nehme an, daß Ihnen das Schreiben des Deutschen Städtetages zugegangen ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe die einzelnen Absätze nach der Vorlage des Grundsatzausschusses22) auf. Seitens des Redaktionsausschusses23) wird der Antrag gestellt, die Absätze 1 und 2 durch den Abs. 1 der Vorlage des Redaktionsausschusses zu ersetzen. Wird hierzu das Wort gewünscht? Dr. von Mangoldt (CDU): Ich schlage vor, statt „verfassungsmäßige Ordnung“ zu sagen „Verfassung“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wurde darauf hingewiesen, daß es Länder gibt, die keine geschriebene Verfassung haben. (Zuruf: Ungeschriebene Verfassungen!) – Da scheint mir der Ausdruck „verfassungsmäßige Ordnung“ mehr im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs zu liegen. Ich lasse über den Antrag abstimmen, Abs. 1 und 2 der Fassung des Grundsatzausschusses durch den Abs. 1 der Fassung des Redaktionsausschusses zu ersetzen. – Der Antrag ist mit 13 gegen 6 Stimmen angenommen. Dr. Dehler (FDP): Der Abs. 3 ist dadurch erledigt, daß wir gestern den Art. 21a betreffend die Parteien angenommen haben, der auch für die Länder gilt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe auf Abs. 3 in der Fassung des Grundsatzausschusses. Es wird beantragt, diesen Absatz zu streichen. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Die Streichung ist einstimmig beschlossen. Wir kommen zu Abs. 4. Hier ist der Antrag gestellt, die Fassung des Grundsatzausschusses durch die nunmehr übereinstimmend abgeänderte Fassung des Antrags Dr. Laforet zu ersetzen. (Widerspruch.) Dr. Dehler (FDP): Es wird folgende Fassung beantragt: Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu 22) 23)

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Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 26, S. 550–553. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 42–51.

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regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Dr. Greve (SPD): Ich beziehe mich auf meinen Abänderungsantrag, wonach der Abs. 2 der Fassung des Redaktionsausschusses dahin zu ändern wäre: „Gemeinde und Gemeindeverbände haben das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im [S. 63] Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.“ Vors. Dr. Schmid (SPD): Das geht schlecht. Dr. Greve (SPD): Dann lehnen Sie den Antrag ab, wenn es nicht geht. Ich habe eine bestimmte Vorstellung, wenn ich diese Abänderung wünsche, und diese Vorstellung kann mir niemand nehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag, den Abs. 2 in der Fassung des Redaktionsausschusses in dieser Form abzuändern, abstimmen. – Der Antrag ist mit 16 gegen 4 Stimmen abgelehnt. Dann lasse ich über den Abänderungsantrag Dr. Laforet, Dr. Dehler abstimmen, den Abs. 4 der Vorlage des Grundsatzausschusses durch die soeben von Herrn Dr. Dehler verlesene Fassung zu ersetzen. – Der Antrag ist mit 16 gegen 3 Stimmen angenommen. Abs. 5: „Der Bund gewährleistet, daß das staatliche Leben der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 entspricht.“ Dr. Laforet (CSU): Der Redaktionsausschuß geht in seiner Fassung erheblich weiter. Es ist eine große Gefahr, daß hier die Länder in allen ihren Tätigkeiten, vor allem im Vollzug ihrer Verfassung, vom Bund überwacht werden. Das hat eine grundsätzliche Bedeutung. In dieser Form kann ich das nicht anerkennen. Die Fassung ist vom Zuständigkeitsausschuß24) wohl überlegt gewesen. Die Gewährleistung, die hier von den Ländern verlangt wird, wird auch vom Bund überwacht. Im übrigen wird zur Bundesaufsicht bei diesem Anlaß keine Stellung zu nehmen sein; das kommt an späterer Stelle. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte nur darauf hinweisen, daß meines Erachtens ein erheblicher Unterschied zwischen den beiden Fassungen besteht. In der Vorlage des Grundsatzausschusses handelt es sich um die Gewährleistung der Verfassungswirklichkeit. Es handelt sich um eine Garantie dafür, daß das konkrete staatliche Leben mit der geschriebenen Verfassung auch übereinstimmt. Bei der Vorlage des Redaktionsausschusses dagegen handelt es sich darum, daß die verfassungsmäßigen Ordnungen der Länder, also die geschriebenen Verfassungen, mit den Vorschriften dieses Grundgesetzes übereinstimmen müssen. Das sind zwei völlig verschiedene Sachen. Dr. Laforet (CSU): Ich möchte bitten, daß diese Materie hier nicht geregelt wird, sondern daß sie an anderer Stelle geprüft wird. Was hier in Frage steht, ist nur: den Ländern wird in diesem Art. 27 ein bestimmtes Mindestmaß auferlegt, und das wird vom Bund gewährleistet.

24)

Vgl. die Drucks. Nr. 199 mit den Neufassungen der Art. 15a sowie Art. 29–34 ChE des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung vom 15. Okt. 1948, ediert in: Der Parl. Rat. Bd. 3, S. 567 f.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): In der Fassung des Grundsatzausschusses wird die Verfassungswirklichkeit gewährleistet. Ursprünglich ist jedenfalls im Grundsatzausschuß nicht daran gedacht worden, daß die Übereinstimmung der Länderverfassungen mit den Grundbestimmungen des Grundgesetzes gewährleistet werden soll. Es handelt sich um zwei ganz verschiedene Dinge, und man muß sich klar werden, was man will: das eine oder das andere oder das eine und das andere. Ich lasse abstimmen über den Antrag auf Ersetzung des Abs. 5 der Vorlage des Grundsatzausschusses, der die Verfassungswirklichkeit garantieren soll, durch Abs. 3 der Vorlage des Redaktionsausschusses, der die Konformität der Verfassungen mit dem Grundgesetz garantiert. Dr. Seebohm (DP): Sie haben darauf hingewiesen, daß diese beiden Bestimmungen verschiedene Materien betreffen. Ich möchte den Antrag stellen, beide Bestimmungen beizubehalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann müßte man am besten zuerst über Abs. 3 in der Fassung des Redaktionsausschusses und anschließend über Abs. 5 in der Fassung des Grundsatzausschusses abstimmen. Ich lasse zunächst über den Antrag abstimmen, als Abs. 3 den Abs. 3 in der Fassung des Redaktionsausschusses aufzunehmen. – Der Antrag ist mit 13 gegen 3 Stimmen angenommen. Weiter ist über Abs. 5 in der Fassung des Grundsatzausschusses abzustimmen. Dr. von Brentano (CDU): Ich halte den Abs. 5 in der Fassung des Grundsatzausschusses nicht für nötig. Das ist in dem Abs. 3 enthalten, den wir angenommen haben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich halte ihn für nötig, wenn wir das Resultat wollen. Es hat sich gezeigt, daß es möglich ist, in bestimmten Ländern und Staaten die schönsten Verfassungen aufs Papier zu schreiben und dann unter dem Schutz dieser geschriebenen Verfassungen eine Verfassungswirklichkeit zu schaffen, die mit der geschriebenen Verfassung überhaupt nicht übereinstimmt. Ich glaube, es könnte schon ein Interesse daran bestehen, daß der Bund dafür sorgt, daß das konkrete staatliche Leben mit der geschriebenen Verfassung übereinstimmt. Sonst könnten wir vielleicht zu einer Zweigleisigkeit unseres staatlichen Lebens kommen, die uns teuer zu stehen kommen könnte. Renner (KPD): Ich kann mich nicht zu der Erkenntnis aufschwingen, was dem Antragsteller dieses Abschnitts bei seinem Antrag vorgeschwebt hat. Ich bin der Auffassung, daß Ihre Anregung auf der Linie eines Kompromisses zwischen zwei divergierenden Auffassungen liegt. Das erste ist das Gegenteil des zweiten. Das ist klar herausgestellt. Jetzt will man die beiden Gegensätze verbinden, indem man sie in denselben Artikel einreiht. Dr. Eberhard (SPD): Wie die Formulierung im einzelnen erfolgen kann, will ich dahingestellt sein lassen. Ich beantrage, den Abs. 5 des Entwurfs des Grundsatzausschusses unserem Artikel einzufügen. Denn es ist nötig, die Verfassungswirklichkeit zu betonen. Dieser ganze Artikel ist sozusagen die Aufnahmebedingung für die Länder, die künftig dem Bund beitreten. Wir müssen dabei an die Verfassungswirklichkeit denken und nicht an die geschriebene Verfassung. Dr. Strauß (CDU): Ich beantrage, die Frage der beiden Fassungen zur weiteren Klärung an den Ausschuß zurückzuweisen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Abs. 3 ist bereits angenommen. Es ist zu entscheiden, ob

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der Abs. 5 zurückverwiesen werden soll. Ich lasse über den Antrag auf Zurückverweisung abstimmen. Der Antrag auf Zurückverweisung ist mit 9 gegen 7 Stimmen abgelehnt. Ich lasse nunmehr über den Antrag abstimmen, daß der Abs. 5 des Entwurfs des Grundsatzausschusses der Vorlage als Abs. 4 angefügt wird. – Der Antrag ist mit 13 gegen 6 Stimmen angenommen. Über den ganzen Artikel abzustimmen, wird nicht nötig sein25).

[1.3. ART. 27a: STAATS- UND LANDESANGEHÖRIGKEIT]

Ich schlage vor, daß wir nunmehr Art. 27a in der Fassung des Redaktionsausschusses behandeln: Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen Rechte und Pflichten wie die Angehörigen des Landes selbst. Dr. von Brentano (CDU): Ich darf Sie bei dieser Formulierung, die wir hierher gestellt haben, weil sie in diesen Zusammenhang zu passen scheint, bitten, auf die Anlage zu achten, die dem Entwurf des Redaktionsausschusses auf Seite 24 beigefügt ist. Der vorliegende Artikel ist nur zu verstehen, wenn man sich gleichzeitig darüber verständigt, was unter „Deutsche“ im Sinne dieses Gesetzes zu verstehen ist. Wir haben Ihnen hier gleichzeitig, um den Art. 27a zu erläutern, den Gedanken vorgetragen, den wir in die Übergangsbestimmungen zu nehmen beabsichtigen, wo wir den Begriff des „Deutschen“ klar umrissen haben. [S. 64] Vors. Dr. Schmid (SPD): In der Anlage zu dem Entwurf des Redaktionsausschusses heißt es26): Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, oder als Flüchtling volksdeutscher Zugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. 12. 1937 Aufnahme gefunden hat. Dr. Greve (SPD): Ich beantrage, statt „Flüchtling“ zu sagen: „Vertriebener“. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf fragen, ob es die Absicht des Redaktionsausschusses ist, damit jedem Bewohner der östlichen Gebiete das Wahlrecht in den Ländern des Westens zu geben. Das ist nämlich damit verknüpft. Wenn jeder Deutsche in jedem Land die gleichen Rechte und Pflichten hat, hat jeder Angehörige der östlichen Länder das volle Wahlrecht in den Ländern des Westens. Dr. Dehler (FDP): Die Frage beantwortet sich erst nach dem Wahlgesetz. Sie ist grundsätzlich zu bejahen, wenn der Betreffende die Voraussetzungen des Wahlgesetzes erfüllt. Wir haben bewußt die Frage aufgeworfen und bejaht. In den Übergangsbestimmungen – Umschreibung des Begriffes „Deutscher“ – beantragen wir, das Wort „Flüchtling“ zu ersetzen durch „Vertriebener“. 25)

Im stenograph. Wortprot., S. 46, folgt danach: „Art. 28 haben wir gestern teilweise erledigt und den unerledigten Teil zurückgestellt.“ 26) „In der Anlage zu dem Entwurf des Redaktionsausschusses heißt es“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 46.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Darüber stimmen wir nicht ab. Renner (KPD): Ist damit die Formulierung bejaht, daß ein Deutscher neben der deutschen Staatsangehörigkeit auch die Staatsangehörigkeit eines deutschen Landes besitzen kann? Dr. von Brentano (CDU): Diese Frage ist hier nicht behandelt. Renner (KPD): Liegt das nicht darin? Zinn (SPD): Diese Frage ist in diesem Artikel nicht beantwortet. Die Frage der Landesangehörigkeit muß durch Bundesgesetz geregelt werden. Die Flüchtlinge oder Vertriebenen besitzen vielfach keine deutsche Staatsangehörigkeit. Infolgedessen müssen sie in den Übergangsbestimmungen denen gleichgestellt werden, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Renner (KPD): Ich möchte die Frage geklärt wissen, ob wir das Prinzip einer einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit bejahen oder ob wir diese Frage offenlassen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube nicht, daß das der Ort ist, diese Frage zu klären. Renner (KPD): Die Frage wird aber hier das erstemal angeschnitten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Art. 27a in der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Der Artikel ist einstimmig bei 2 Stimmenthaltungen angenommen.

[1.4. ART. 29: VÖLKERRECHT UND BUNDESRECHT]

Wir kommen nun zu den Bestimmungen, die das Verhältnis des Bundesrechts zum Völkerrecht betreffen. Art. 29 Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für alle Bewohner des Bundesgebiets. Dr. von Mangoldt (CDU): Hierzu beantragt die Fraktion der CDU, zu der alten Fassung des Art. 4 der Weimarer Verfassung27) zurückzukehren: Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindende Bestandteile des Bundesrechts. Schon unter der Weimarer Verfassung ist diese Frage umstritten gewesen, wie sich aus dem Kommentar von Anschütz28) ergibt29). Etwa die gleiche Fassung, wie sie sich in der Formulierung des Grundsatzausschusses wiederfindet, ist dort in der ersten Lesung vorgeschlagen worden. Auf Vorstellung des Reichsjustizamtes und des Auswärtigen Amtes ist diese Formulierung aber so abgeändert worden, daß Art. 4 der Weimarer Verfassung entstand. Welches sind die Gründe dafür? Zunächst einmal: die allgemeinen Regeln des Völkerrechts und das war auch der Grund, der uns in der Fraktion Anlaß zu diesem Antrag gegeben hat – sind vielfach 27)

Art. 4 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindende Bestandteile des deutschen Reichsrechts.“ RGBl. S. 1383. 28) Über den deutschen Staatsrechtler Gerhard Anschütz vgl. oben Dok. Nr. 3, S. 94, Anm. 38. 29) Vgl. Anschütz: Verfassung, S. 60–70.

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ziemlich unbestimmt. Es ist eine bekannte Tatsache, daß selbst Juristen und Verwaltungsfachleute Schwierigkeiten haben, den wahren Inhalt dieser Sätze zu erfassen. Wenn man diese allgemeinen Regeln des Völkerrechts unmittelbar Rechte und Pflichten für alle Bewohner des Bundesgebiets erzeugen ließe, würde das zu einer ständigen Unsicherheit führen. Außerdem stehen wir vor folgender Frage: Zur Auslegung des gemeinen Völkerrechts können Bundesgesetze ergehen. Diese Bundesgesetze, die zur Auslegung des allgemeinen Völkerrechts ergehen können auf Grund der abweichenden Rechtsauffassungen anderer Völker in der Welt umstritten sein. Sollen denn die eigenen Bürger nicht an das deutsche Gesetz, sondern an die fremden Rechtsauffassungen gebunden sein? Tatsache ist, daß die angelsächsische Rechtsprechung zu dem entsprechenden Satz des Common Law30) nicht so weit geht, wie der Artikel der Weimarer Verfassung gegangen ist. In der angelsächsischen Rechtsprechung ist man ursprünglich von dem Grundsatz des Common Law ausgegangen: „International law is a part of the law of the land.“ Das ist also ungefähr der Satz unseres Art. 4 Weimarer Rechtsordnung, der nichts anderes als eine Übersetzung dieses Satzes des gemeinen Rechts der Angelsachsen ist. In der Entwicklung des 19. Jahrhunderts ist aber von den angelsächsischen Gerichten anerkannt worden, daß, wenn ein geschriebener Satz des eigenen Gesetzesrechts besteht, einem Satz des Völkerrechts niemals der Vorrang vor ihm gegeben werden soll, der Satz des Völkerrechts also in einem solchen Konfliktfall als unwirksam angesehen werden soll. Hier ist somit der Satz vom sogenannten Primat des Völkerrechts nicht anerkannt worden. Es würden sich daraus auch außerordentliche Verwicklungen ergeben. Stellen Sie sich den Bundesangehörigen vor, der ein Bundesgesetz vor sich hat und dem gesagt wird: Ja, dieses Bundesgesetz entspricht nicht dem Völkerrecht. Dann soll nun jeder Einzelne für sich entscheiden, ob er dem Bundesrecht, also dem Befehl des eigenen Gesetzgebers, nachkommen soll oder nicht. Das scheint mir eine Unmöglichkeit zu sein. Man vermeidet alle diese Schwierigkeiten, wenn man zu der Regelung der Weimarer Verfassung und zu der Rechtsprechung zurückkehrt, wie sie sich unter der Weimarer Verfassung entwickelt hat. Auch sie gewährleistet, daß diese Sätze des Völkerrechts für das innere Leben in Deutschland maßgeblich sind. Es ist dann selbstverständlich, daß – wo es das Gesetz nur irgendwie zuläßt – nach dem Völkerrecht verfahren wird und daß auch die Gesetze entsprechend diesen allgemeinen Regeln des Völkerrechts ausgelegt werden. Dr. Seebohm (DP): Diese Zweifelsfragen haben mich veranlaßt, vorzuschlagen, daß man dem Art. 29, auch wenn er in der Fassung des Art. 4 der Weimarer Verfassung aufgenommen wird, doch noch einen Zusatz geben sollte, in dem eine Entscheidung über diese Frage herbeigeführt ist: Über Zweifelsfälle entscheidet das Oberste Bundesgericht. Der Bundespräsident, der Bundeskanzler, jeder Bundesminister sowie die Präsidenten des Bundestags und des Bundesrats sind berechtigt, eine solche Entscheidung herbeizuführen. Die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs im Haag ist bindend. 30)

Das Common Law basiert nicht auf Gesetze, sondern auf richterliche Urteile. Es umfasst alle Rechtsgebiete.

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Ich wollte davon ausgehen, daß nur die Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs im Haag bindend sein sollen, weil sonst, wenn noch eine andere Reihe von Entscheidungen eine Rolle spielen, die Unsicherheit, in der sich das ganze Völkerrecht befindet, verstärkt würde. Wir müssen eine letztgerichtliche Entscheidung herbeiführen können und eine Handhabe [S. 65] dazu gerade für die Menschen schaffen, die sich über diese Probleme den Kopf zerbrechen. Sie müssen wissen, welcher Weg ihnen gewiesen wird, um sich selbst Klarheit zu verschaffen. Dr. Dehler (FDP): Die Zuständigkeit des Bundesgerichts versteht sich von selbst; die brauchen wir nicht ausdrücklich festzulegen. Das Bundesgericht ist die höchste Instanz für alle Rechtsfragen. Ich halte die Probleme, die Herr von Mangoldt aufgeworfen hat, für gelöst, wenn wir wieder zu den „anerkannten Regeln des Völkerrechts“ zurückkehren und mit ihrer Einschaltung den Vorschlag des Grundsatzausschusses übernehmen: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für alle Bewohner des Bundesgebiets.“ Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben hier eine Gelegenheit, einen Schritt weiter zu gehen, als wir bisher im Verhältnis des Landesrechts zum Völkerrecht gegangen sind. Die Fassung der Vorlage geht auf meinen Antrag in Herrenchiemsee zurück31), und ich habe sie aus folgenden Gründen beantragt: Herr Kollege Dr. von Mangoldt wird mir recht geben, wenn ich sage, daß die Worte „anerkannte Regeln des Völkerrechts“ gerade in der Zeit der Weimarer Verfassung die Crux der Gerichte waren. Man hat, um der Verlegenheit, Völkerrecht anwenden zu müssen, zu entgehen, mit besonderer Vorliebe bestritten – weil das am leichtesten war –, daß allgemein anerkannte Regeln zur Verfügung stehen. Man hat in den Staatshandbüchern und in den Archiven nachgeschlagen, ob wirklich alle Staaten der Welt die angezogenen Sätze anerkannt haben oder nicht. Die Folge ist gewesen, daß die von Art. 4 der Weimarer Verfassung erhoffte Belebung und Befruchtung unseres Rechtslebens durch das Völkerrecht völlig ausgeblieben ist. Aus diesem Grund scheint es mir besser zu sein, einfach von den „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ zu sprechen. Ich glaube, daß wir es unseren Gerichten zutrauen können, unter den verschiedenen Lehrmeinungen und den verschiedenen Vorgängen der nationalen und internationalen Rechtsprechung einigermaßen klar jene zu bestimmen, die als „allgemeine Regeln“ angesehen werden müssen. Diese allgemeinen Regeln sind recht nahe beieinander. Es gibt nicht einige tausend, es gibt einige Hände voll solcher Regeln. Diese Regeln sind weithin nichts anderes als Nutzanwendungen der allgemeinen Rechtsvorstellungen, die mehr oder weniger in allen zivilisierten Staaten bestehen, auf zwischenstaatliche Lebensverhältnisse. Ich glaube, daß wir unseren Gerichten diese Aufgabe zumuten könnten und zumuten sollten. Der weitere Schritt, den wir tun sollten, ist, abzuweichen von der bisherigen Doktrin des Völkerrechts, wonach das Völkerrecht nur adressiert ist an die Staaten und nicht an die einzelnen Individuen, so daß der Einzelne an völkerrechtliche Bestim31)

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Vgl. dazu bes. den undat. Bericht des Unterausschusses I des Verfassungskonventes auf Herrenchiemsee [vom 21. Aug. 1948]: Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 6, S. 206 mit Anm. 61.

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mungen nur gebunden sein soll und durch sie nur berechtigt werden soll, wenn die Völkerrechtssätze durch den Landesgesetzgeber in Landesrecht transformiert worden sind. Das ist die herrschende Doktrin, und sie ist heute im allgemeinen überall praktisch in Geltung. Ich glaube, daß es nicht schaden könnte, wenn unser Land das erste wäre, das mit diesem Herkommen bricht und klar zum Ausdruck bringt, daß das Völkerrecht nicht eine Rechtssphäre irgendwo ist – die meinetwegen „dort oben hanget unveräußerlich“ –, die gerade deshalb nie zum Zuge kommt, sondern daß es eine Rechtssphäre ist, die auch unser innerstaatliches Rechtsleben bedingt und bestimmt und sich unmittelbar an den einzelnen Deutschen wendet, ihn berechtigend und verpflichtend. Ich könnte mir vorstellen, daß, wenn wir in unser Grundgesetz eine solche Bestimmung aufnehmen, auch für andere Völker eine Schwelle übersprungen wäre, eine Schwelle, die vielleicht den Weg in eine bessere Zukunft öffnet. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, den Artikel in der Fassung des Grundsatzausschusses anzunehmen. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf zu den Ausführungen des Kollegen Schmid nur bemerken: Ich habe gerade vorhin ausgeführt, daß bei den Angelsachsen diese Sätze im Verlauf der Rechtsprechung des vergangenen Jahrhunderts bewußt eingeschränkt worden sind, indem man nämlich, genau so wie in Deutschland zur Zeit der Weimarer Verfassung, gesagt hat, daß ein Satz des Völkerrechts, der einer ausdrücklichen Vorschrift des eigenen Rechts widerspricht, selbstverständlich kein allgemein anerkannter Satz ist. Aus diesem Grunde muß das Wort „anerkannt“ hineinkommen, um Konflikte zu vermeiden, die sonst unweigerlich entstehen müßten. Es kann durchaus sein, daß aus der Rechtsauffassung, die ein bestimmtes Volk hat, etwas als allgemeines Völkerrecht angesehen wird, was nach den Rechtsregeln eines anderen Volkes nicht als solches angesehen wird. Diese Frage taucht überall auf und sie hat bei den sehr praktisch denkenden Angelsachsen zu diesem einschränkenden Satz geführt. Ich stimme dem Herrn Kollegen Schmid vollkommen darin zu, daß das gemeine Völkerrecht auch in Deutschland gelten soll und daß wir nur wünschen können, einen Schritt weiter zu machen. Aber dieser Schritt kann nicht gut ausfallen und er wird negativ ausfallen, wenn sich solche Konflikte ergeben. Es ist richtiger, den Weg zu gehen, der uns das wirklich erreichen läßt, was wir durchsetzen wollen, und der nicht zu Konflikten führt, als daß man einer weitergehenden Idee nachgeht, die zu einem Ende verläuft, das nur Unglück und Erschütterung bedeutet. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube nicht, daß wir durch Einfügung der Worte „anerkannte Regeln“ die Schwierigkeiten überwinden, von denen mein Kollege Dr. von Mangoldt spricht, nämlich die Schwierigkeiten, daß der einzelne Bürger vor unvorhersehbaren Zweifelsfragen stehen könnte. Was „anerkannt“ ist, wird er im Zweifel noch weniger feststellen können, als es ihm möglich sein wird, festzustellen, ob es eine allgemeine Überzeugung gibt, daß die Menschen dieser Zeit nach bestimmten Regeln des Völkerrechts leben wollen. Das ist es doch praktisch, was wir unter allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstehen: ein stillschweigendes Übereinkommen der Menschen unseres abendländischen Rechtskreises, unterhalb eines bestimmten rechtlichen Zivilisationsstandards nicht leben zu wol-

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len. Und es läßt sich meines Erachtens leichter feststellen, was darunter fällt, als sich feststellen läßt, ob irgendwelche Regeln anerkannt worden sind oder nicht. Dr. von Mangoldt (CDU): Darf ich dazu bemerken, daß wir uns anscheinend nicht ganz verstanden haben. Ich will durch diese Einfügung nur erreichen, daß, wenn ein Bundesgesetz besteht, der Bürger weiß, daß er sich an das Bundesgesetz zu halten hat. Das ist auch die Lösung und Regelung, die bei den Angelsachsen getroffen wurde. Daß dabei Unklarheiten bleiben, wissen wir aus der Weimarer Verfassung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann ist es so, daß das Gesetz eine Vermutung für Konformität mit dem Völkerrecht hat. Aber diese Vermutung kann widerlegt werden, und wenn es offenbar nicht konform ist, muß das Landesgesetz zurücktreten. Dr. Seebohm (DP): Die Diskussion ergibt doch, wie wichtig es ist, daß man einen Zusatz macht, mindestens den letzten Satz meines Antrages, daß die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs im Haag als bindend anzusehen ist, anfügt. Ich bin der Auffassung, daß wir diese Bestimmung unbedingt verankern müssen, damit man den Menschen einen klaren Hinweis gibt, wie sie sich einrichten können und nach welchen Entscheidungen sie sich zu richten haben. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich vermag die Gefahr von Komplikationen und Schwierigkeiten, die Herr von Mangoldt vorgetragen hat, bei der vorliegenden Fassung nicht zu erkennen. Es handelt sich doch um die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, und das ist so aufzufassen, daß damit der ethische Kernbestand des [S. 66] Völkerrechts gemeint ist, des Rechts, das für alle Menschen gemeinsam ist. Zu diesem ethischen Kernbestand müssen wir uns mit dieser Verfassung bekennen und wir müssen auch sagen, daß diese ethische Norm für jeden einzelnen unmittelbar gilt und nicht erst der Transformation durch ein Gesetz bedarf. Wir haben in der Vergangenheit gerade den Konflikt gehabt, daß das positive Gesetz in der nationalsozialistschen Ära mit solchen ethischen Kernpunkten des Völkerrechts in Widerspruch stand. Hier muß die Verfassung dem Einzelnen das Recht geben, unmittelbar auf die Grundsätze des Völkerrechts zu rekurrieren. Die Schwierigkeiten in der Praxis, eine gewisse Unschärfe finden wir auch bei anderen Artikeln der Grundrechte, wo solche allgemeinen Gesichtspunkte zum Ausdruck gebracht werden. Deshalb schließe ich mich der Fassung an, wie sie hier vorgeschlagen ist. Dr. Eberhard (SPD): Wir Deutschen sind verpflichtet, auch wenn ein Risiko gegeben ist, einen großen Schritt über Weimar hinaus zu gehen. Das Völkerrecht hat in Deutschland nie viel gegolten. Das wissen die Professoren, die Völkerrecht gelesen haben; sie haben gesehen, wieviel Studenten gekommen sind. Das Völkerrecht hat vorher nicht viel gegolten, und im Dritten Reich ist es mit Füßen getreten worden. Darum sollten wir den Schritt tun, den der Artikel in der Fassung des Grundsatzausschusses tut. Dr. Strauß (CDU): Wir haben die Arbeit in allen Ausschüssen unter den Gesichtspunkt gestellt, der in früheren Verfassungsarbeiten nicht berücksichtigt worden ist. Wir wollten schlichtes, unmittelbar anwendbares Recht schaffen und von Doktrinen absehen. Ich glaube, daß man den Bedenken von Herrn von Mangoldt unter dem Gesichtspunkt der Rechtsanwendung beitreten muß. Praktisch wird es so sein, daß diese Dinge zur Erkenntnis eines Gerichts gelangen, und das Gericht wird eine allgemeine Regel des Völkerrechts, soweit es nicht kodifiziert ist und es sich um Konventionalrecht handelt, nur annehmen können, wenn eine solche

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Regel anerkannt ist. Es wird sich also unsere gute Absicht praktisch nicht immer verwirklichen lassen. Das Gericht muß feststellen: Was ist im Völkerrecht rechtens? Im Völkerrecht ist ein Rechtssatz nur dann entwickelt, wenn er sich zu einer gewissen Anerkennung durchgerungen hat. Ist ein Urteil der Haager Cour32) ergangen, so ist die Anerkennung ausgesprochen. Ich möchte annehmen, daß ein Richter, wenn die Haager Cour einen Rechtssatz entwickelt hat, sich diesem Rechtssatz als einer anerkannten Regel des Völkerrechts anschließt. Damit stimmen wir überein mit der von Herrn von Mangoldt erwähnten angelsächsischen Praxis, daß die allgemein anerkannten Regeln Bestandteil des Bundesrechts sind, und insofern nehmen wir, wie in der Weimarer Verfassung an, daß die Transformation schon durch diesen Satz des Verfassungsgesetzgebers vorgenommen wird. Ob ein völkerrechtlicher Satz Rechte und Pflichten unmittelbar für einen Staatsbürger erzeugt, das ergibt sich aus seinem Wesen als Bundesrecht. Es gibt Völkerrechtsregeln, durch die der Einzelne in Anspruch genommen wird. Hier könnte eine Auslegungsschwierigkeit entstehen, wenn wir den Grundsatz beibehalten. Ich glaube, daß die Frage, ob wir das Wort „anerkannte“ einfügen oder nicht, für die Rechtspraxis nicht so wichtig ist. Es würde allerdings für die Rechtspraxis ein verwirklichbarer Leitsatz geschaffen, aber es könnte auch der Amtsrichter, an den die Sache unter Umständen kommt, durch den Grundsatz tatsächlich vor Schwierigkeiten gestellt werden, die mitunter nicht einmal ein internationales Gericht hat lösen können. Dr. von Mangoldt (CDU): Wir haben uns gestern in der Fraktionssitzung, die leider in Abwesenheit von Herrn Kollegen Süsterhenn stattgefunden hat, eingehend mit der Frage befaßt, die Herr Süsterhenn und Herr Eberhard angeschnitten haben. Wir waren der Auffassung, daß wir dem Völkerrecht zur Durchsetzung verhelfen wollen und daß wir das besser tun können, indem man diese von uns vorgeschlagene Formulierung annimmt, als dadurch, daß man mit neuen Fassungen Verwirrung erzeugt. Unser ganzes Streben ging dahin, gerade gegenüber der Entwicklung unter der Weimarer Verfassung einen Fortschritt im Sinne des Völkerrechts zu entwikkeln. Wenn Sie in den Kommentar von Anschütz zu dieser Frage hineinsehen und wenn Sie lesen, daß der Kommentar von Giese33) zur Weimarer Verfassung gerade diesen Art. 4 der Weimarer Verfassung als den Generaltransformator der Verfassung34) bezeichnet hat, dann ergibt sich daraus, daß schon mit dieser Fassung, die

32)

Auf der Grundlage der Satzung des Völkerbundes bestand von 1922 bis 1945 in der niederländischen Stadt Den Haag der „Ständige Internationale Gerichtshof“ (franz.: „Cour permanente de Justice internationale“). Er war der Vorgänger des 1946 eingerichteten Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen. 33) Friedrich Giese (1882–1958), Jurist, Staatsrechtler, 1910 Habilitation in Bonn, Privatdozent in Greifswald, 1912 Professor in Posen, 1914–1946 Professor in Frankfurt/Main, seit 1947 lehrte Giese in Mainz. 34) Friedrich Giese: Die Verfassung des Deutschen Reiches, 8. Auflage, Berlin 1931 S. 47, schreibt: Art. 4 der Reichsverfassung „bildet den allgemeinen, dauernden Transformator des gemeinen internationalen, für die Staaten als solche verbindlichen Völkerrechts in nationales, für den Staatsbehörden der Verwaltung und der Justiz sowie für die Staatsangehörigen verbindliches ,Landesrecht‘.“

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wir wieder aufnehmen sollten35) und die die Sätze des Völkerrechts zu unmittelbar geltendem Reichsrecht machen sollte, der Schritt getan war, den Herr Kollege Schmid jetzt getan zu sehen wünscht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte dringend bitten, diesen Satz nicht zu streichen; denn sonst werden wir aus den tausend Kontroversen, in die uns die Fassung des Art. 4 der Weimarer Verfassung hineingeführt hat, nicht herauskommen. Es wird Schriftgelehrte geben, die sagen: Da das Völkerrecht sich nur an Staaten richten kann, bedeutet der Satz, daß die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind, nichts anderes als eine Bindung des Staates an die Gebote des Völkerrechts, nicht aber, daß der Einzelne durch das Völkerrecht unmittelbar berechtigt und belastet sein soll, da dies „begrifflich unmöglich“ ist. Wir sollten die Zweifel, die entstehen könnten, durch die klare Bestimmung ausräumen, daß die allgemeinen Regeln des Völkerrechts unmittelbar das Individuum berechtigen und verpflichten sollen. Nun zu den Worten des Herrn Dr. Strauß. Es ist nicht so, daß die allgemeinen Regeln des Völkerrechts nur Gemeinplätze enthalten. Ich habe Gelegenheit gehabt, bei internationalen Gerichten tätig zu sein und dort einigen Einblick in Rechtsstreitigkeiten zu nehmen, die durch Anwendung von Völkerrecht entschieden werden mußten. Ein kleines Beispiel: Es gibt ein Prinzip des Völkerrechts, das den Staaten verbietet, auf gewissen Sachgebieten Ausländer im Verhältnis zu dem Inländer differentiell zu behandeln. Ich habe es zum Beispiel vor dem deutsch-polnischen gemischten Schiedsgericht mehrmals erlebt, daß der polnische Vertreter die Einrede erhob, der Satz betreffend das Verbot differentieller Behandlung sei von der polnischen Republik nicht anerkannt worden. Ich habe es erlebt, daß man denselben Einwand gegen die Behauptung erhob, daß ein bestimmtes Verhalten des polnischen Staates völkerrechtswidrig sei und infolgedessen zu Schadenersatzansprüchen berechtige. Auch hier wurde eingeworfen: der Satz, daß dieses bestimmte Verhalten ein völkerrechtliches Delikt darstelle, sei von Polen nicht anerkannt. Alle diese Dinge schneiden wir ab, wenn wir das Wort „anerkannt“ weglassen. Denn dieses Wort „anerkannt“ wird sehr häufig nicht in dem Sinn angewandt werden, wie Herr von Mangoldt es angewandt wissen will, sondern bei dem Mißtrauen, daß bei uns in Deutschland – die Universitäten haben daran ein gerüttelt Maß von Schuld – gegenüber dem Völkerrecht herrscht, wird das Wort „anerkannt“ dazu führen, daß jeweils die denkbar engste Auslegung gefunden wird. Wir sollten aber dahin kommen, daß man in dubio zugunsten der Geltung des Völkerrechts judiziert. Damit stellen wir uns in eine große deutsche Tradition, jene, die von den großen deutschen Völkerrechtslehrern, von Pufendorf36) angefangen über

35) 36)

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Statt „sollten“ im stenograph. Wortprot., S. 59: „wollen“. Samuel Freiherr von Pufendorf (1632–1694) Philosoph und Jurist, nach dem Studium Hauslehrer beim schwedischen Gesandten in Kopenhagen, 1659 in Begleitung des schwedischen Gesandten in Den Haag, 1661 Professor für Natur- und Völkerrecht in Heidelberg, 1668 Professor in Lund (Schweden), 1672 erschien Hauptwerk „De jure naturae et gentium“, 1677 Hofhistoriograph des schwedischen Königs, 1688 Hofhistoriograph und Geheimer Rat am brandenburgischen Hof in Berlin, 1694 von Karl XI. von Schweden in den Freiherrenstand erhoben.

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Christian Wolff37) zu Immanuel Kant38) führt und erst unterbrochen wurde, als Leute wie Zorn39) sich daran gemacht haben, in Deutschland das Völkerrecht zu einer Art von äußerem Staatsrecht zu bagatellisieren. Dr. Greve (SPD): Ich halte das Moment, das Herr Süsterhenn in die Debatte geworfen hat, für recht bedeutungsvoll. Es ist so, daß das subjektive Moment des allgemeinen gemeinen Rechts, auf das Herr Kollege Schmid hingewiesen hat, mit dem subjektiven Moment der Anerkennung keine sehr glückliche Verbindung gefunden hat. Der Nationalsozialismus hatte gerade dadurch, daß er das allgemeine gemeine Recht nicht [S. 67] anerkannte, die subjektive Möglichkeit, sich aus sehr vielen Verpflichtungen des Völkerrechts herauszulösen. Wir sollten in Anlehnung an das, was Herr Kollege Schmid sagte, lediglich auf das objektive Moment des allgemeinen gemeinen Rechts abstellen und das subjektive Moment, das immer die Möglichkeit der Herauslösung aus diesem allgemeinen gemeinen Recht gibt, nicht in die Formulierung hineinnehmen. Dr. Heuss (FDP): Was Herr Kollege Schmid ausgeführt hat, war sehr plastisch kommentiert. Ich bin kein Jurist, ich weiß nur, wie mich die Sache bewegt hat. Durch die Verwendung des Wortes „anerkannte“ wird die Rechtsfindung erschwert. Für mich hat sich bei der ganzen Debatte immer die Frage herausgestellt: von wem anerkannt? In diesem „von wem anerkannt?“ liegen die Schwierigkeiten in der Interpretation für den juristischen Sachwalter eines Streiffalles. Wir wissen, was wir uns unter dem Worte „anerkannt“ denken, aber in der Konkretisierung, wie Herr Kollege Schmid von den polnischen Gerichten erzählt hat, führt das zu einem anderen Auslauf. Ich bin nicht so optimistisch, zu glauben – so sehr ich das wünschen würde –, daß das Wegstreichen des Wortes „anerkannte“ draußen als Überschreiten einer Schwelle empfunden würde. Aber es ist für uns richtig und für 37)

Christian Freiherr von Wolff (1679–1754), Jurist, Mathematiker und Philosoph, Vertreter des Naturrechts, 1702 Habilitation in Leipzig, 1706–1723 Professor für Mathematik und Philosophie in Halle, 1710 Mitglied der Londoner Akademie und 1711 der Berliner Akademie der Wissenschaften, 1723–1740 Professor in Marburg, Mitglied der Petersburger Akademie, auswärtiges Mitglied der Académie des Sciences in Paris, 1740 wieder in Halle, dort 1743 Kanzler der Universität, durch den bayerischen Herzog und Kurfürsten in den Reichsfreiherrenstand erhoben. 38) Immanuel Kant (1724–1804), Philosoph, 1740 Studium an der Albertina in Königsberg , bis ca. 1750 Hauslehrer u. a. bei dem reformierten Prediger Daniel Ernst Andersch, auf dem Gut des Majors Bernhard Friedrich von Hülsen auf Groß-Arnsdorf bei Mohrungen sowie bei der Familie Keyserlingk auf dem Schloss Waldburg-Capustigall, 1754 Fortsetzung des Studiums, 1755 Habilitation in Königsberg und Privatdozent mit den Lehrfächern Logik, Metaphysik, Anthropologie, Moralphilosophie, Natürliche Theologie, Mathematik, Physik, Mechanik, Geographie, Pädagogik und Naturrecht, 1766–1772 Unterbibliothekar der königlichen Schloßbibliothek, 1770 Professor in Königsberg. 39) Philipp Zorn (1850–1928), Jurist, 1875 Habilitation in München, Professor in Bern, Professor in Königsberg, Mitglied des Verwaltungsgerichtshofs bei der Regierung und 1890 der preußischen Provinzialsynode, 1900 Professor in Bonn, dort Staats- und Kirchenrechtslehrer des Kronprinzen, des Prinzen Eitel Friedrich von Preußen und des Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha, 1899 Delegierter der Haager Friedenskonferenz, 1905 auf Lebenszeit Mitglied des Preußischen Herrenhauses. Vgl. Heinrich Pohl: Philipp Zorn als Forscher, Lehrer und Politiker. Blätter zu seinem Gedächtnis, Tübingen 1928; Konrad Fuchs: Philipp Zorn, in: Bautz Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 14, Herzberg 1998, Sp. 584–588 (http://www.bautz.de/bbkl/z/zorn.shtml).

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unser Volk, glaube ich, wichtig genug, an sich diese breitere These der Entwicklung offenzuhalten, als daß wir uns auf die meiner Meinung nach zu stark einengende Voraussetzung, die in dem Wort „anerkannte“ enthalten ist, festlegen. Ich bin daher für die Streichung des Wortes „anerkannte“. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf auf eine Schwierigkeit hinweisen, die eine sehr große Rolle spielt. Ich erinnere mich an den russischen Völkerrechtslehrer Paschukanis40), der in Moskau eine Rolle gespielt hat, dann zurückgetreten ist, dann wieder erschienen ist und jetzt neuerlich Aufsätze schreibt. Er erklärt, daß die allgemeinen Regeln des Völkerrechts für den Osten andere sind als für den Westen. Nach welchen gemeinen Regeln des Völkerrechts soll nun der deutsche Richter urteilen, wenn es heißt „allgemeine Regeln des Völkerrechts“ und wenn ein Vertreter des russischen Ostens auftritt und erklärt: das widerspricht nicht den allgemeinen Regeln des Völkerrechts? Wie wollen Sie diesen Konflikt lösen ohne das Wort „anerkannte“? Vors. Dr. Schmid (SPD): Das läßt sich lösen. Der deutsche Richter hat diesen Fall nach dem Völkerrecht zu entscheiden, das in Deutschland als Völkerrecht anerkannt wird. Ob man in Rußland auch so verfährt oder nicht, ist Sache der Russen, aber nicht Sache der Deutschen. Ich kenne diese Literatur auch und weiß, wie schon in den Jahren 1924/25 die Russen ihre Völkerrechtsliteratur überhegelisiert41) haben und als Völkerrecht letzten Endes nur anerkannt wissen wollten, was im russischen Recht gilt. Das soll für uns kein Maßstab sein. Ich glaube nicht, daß wir zu den befürchteten Schwierigkeiten kommen werden. Renner (KPD): Hinter der Diskussion über das angeschnittene Problem, die hier öffentlich und mit offenen Worten geführt worden ist, stehen so viele unausgesprochene Dinge, daß es mir nötig erscheint, einige dieser unausgesprochenen Dinge offen und klar auszusprechen. Wenn man hier die Frage aufwirft, ob es wünschenswert ist, in unserer Verfassung eine Basis zu schaffen, die garantiert, daß die internationalen Regeln des Völkerrechts anerkannt werden, dann kann ich dazu nur sagen: wenn man es mit derartigen Bestrebungen ehrlich meint, soll man sich freuen und muß sich freuen. Wenn sich aber aus der Diskussion ergibt, daß man 40)

Jewgenij Bronislavovic Paschukanis (1891–1937), sowjetischer Jurist und Rechtsphilosoph, Mitglied im Zentralkomitee der sozialdemokratischen Studenten- und Arbeiterjugend in Petersburg, 1909 Studium der Rechtswissenschaften in Petersburg, von der zaristischen Polizei verhaftete und des Landes verwiesen, reiste nach Deutschland, studierte in München, beteiligte sich während des Ersten Weltkrieges am Protest der Bolschewiki gegen den Krieg, nach der Oktoberrevolution Richter an einem Volksgericht, 1918 Mitlied der Kommunistischen Partei Russlands/Bolschewiki, 1922 Mitgründer „Sektion für Allgemeine Theorie des Staates und des Rechts“ in der Sozialistischen Akademie der Gesellschaftswissenschaften 1920 im Außenministerium als stellvertretender Leiter der Abteilung Ökonomie und Recht, 1921–1923 Berater in der Vertretung der UdSSR in Berlin, 1927 Mitglied und Vizepräsident der Kommunistischen Akademie, 1931 Direktor des dortigen Instituts für Sowjetaufbau und Sowjetrecht, 1936 stellvertretender Volkskommissar für Justiz der UdSSR, nach Verleumdungen 1937 verhaftet und vermutlich ohne Prozeß erschossen, 1956 von der Militärabteilung des obersten Gerichtshofes der Russischen SFSR rehabilitiert. 41) Wortschöpfung bezieht sich auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831). Seine Philosophie ist gemeinsam mit dem französischen Materialismus und der britischen Nationalökonomie eine der Hauptquellen der politischen Ökonomie von Karl Marx und fand auf diesem Wege Eingang in das sowjetische Völkerrecht.

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nichts anderes will, als die alten, vollkommen kautschukartigen Bestimmungen wieder einführen, die wir schon in der Weimarer Zeit gehabt haben und die in der Nazizeit so fürchterlich im gegenteiligen Sinn angewandt worden sind, dann erscheint es mir notwendig, daß wir klar und offen sagen, was wir wollen. Die Divergenzen, die hier schon um die Formulierung „allgemeine Regeln des Völkerrechts“ oder „allgemein anerkannte Regeln des Völkerrechts“ zutage getreten sind, sagen uns klar, was eigentlich los ist. Wenn selbst die Urteile des Internationalen Gerichtshofs im Haag keineswegs als allgemein anerkanntes Völkerrecht gewertet werden müssen, dann ist damit wohl ein Urteil gesprochen darüber, was im allgemeinen unter Völkerrecht, unter den allgemeinen oder allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts verstanden werden soll und verstanden wird. Wenn der Herr Vorsitzende in seiner langen Erfahrung, die ich ihm nicht bestreite, auf gewisse Differenzen zwischen der von ihm damals vertretenen deutschen Auffassung und der Auffassung polnischer Stellen hingewiesen hat, dann erlaube ich mir, auf die Kritik aufmerksam zu machen, die jetzt in Deutschland auf größter Basis um die Frage geführt wird, ob die internationalen Gerichtshöfe in Deutschland Recht sprechen oder Recht beugen. Es ist wohl so – das muß offen ausgesprochen werden –, daß bestimmte Teile des deutschen Volkes diese Urteile der internationalen Gerichtshöfe, die sich auf internationale Regeln des Völkerrechts stützen, nicht anzuerkennen bereit sind. Die Linie geht aus – um nur einige Namen zu nennen – von prominenten Kirchenfürsten auf der einen Seite und von sogenannten demokratischen Parteien des neuen Deutschlands auf der anderen Seite. Sie sollten offen und klar aussprechen, daß Sie derselben Auffassung sind, wie es in diesen offenen Kritiken heute in Deutschland allgemein behauptet wird. Das sollten Sie einmal sagen, und wenn Sie das klar aussprechen, würde der Ernst klar, mit dem Sie hier ringen um die Anerkennung des international geltenden Rechts in unserer deutschen Verfassung, in unserer deutschen Rechtspflege und in der Mentalität des deutschen Volkes. Wir machen hier eine beinahe lyrisch aufgezogene Diskussion und gehen in der Auffassung so weit auseinander, daß Vertreter der CDU den Vorbehalt machen, daß der Primat des Völkerrechts in demselben Augenblick erlischt, in dem deutsches Recht dem Völkerrecht im Wege steht; und man beruft sich – übrigens mit Recht – darauf, daß im angelsächsischen Recht eine derartige Regelung vorgesehen ist. Das ist aber – nehmen Sie mir das nicht übel – schon eine nicht ausgesprochene Kritik an den Urteilen der internationalen Gerichtshöfe. Wenn man schon in wundervoller Differenzierung von der abendländischen Auffassung und von einer Auffassung spricht, die sich im Osten entwickelt hat, dann wird die Zielsetzung der Diskussion eindeutig und klar. Ich bin der Meinung, daß nicht nur unsere deutsche Verfassung und unsere deutschen Gerichte gehalten sein sollten, das Völkerrecht anzuerkennen, sondern daß es darauf ankommt, dem deutschen Volk klarzumachen, daß es selber an die Einhaltung, Anerkennung und Praktizierung solcher internationaler Regeln gebunden ist. Wenn im Entwurf von Herrenchiemsee auf die bösen Erfahrungen hingewiesen worden ist, die in der Weimarer Zeit gemacht worden sind42), dann sollte ein Deut42)

Vgl. dazu den Bericht des Verfassungskonventes von Herrenchiemsee; Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 517.

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scher von sich aus, wenn es sich um die Anerkennung internationalen Rechtes handelt, klar zum Ausdruck bringen, daß das, was in der Hitlerzeit und in der Kriegsperiode gemacht worden ist, der gleiche Bruch internationalen Völkerrechts gewesen ist. Wenn wir dahin kommen wollen, daß nicht nur unsere Verfassung und nicht nur unsere Gerichte, sondern auch unser deutsches Volk anerkennt, was internationales Recht ist, dann sagen Sie doch: Recht ist, was in der Menschheit als internationales Recht gilt! (Zuruf: Hungerblockade in Berlin!43)) – Ich habe gestern einen Artikel in einer westdeutschen Zeitung gelesen, worin stand, daß die Hungerblockade praktisch die gegenteilige Auswirkung einer Hungerblockade hat. (Zuruf: Die werden alle fett!) – Die Vertreter Berlins44), die wir in unserem Kreis begrüßen durften, machten nicht gerade den Eindruck der Unterernährung. Ich bin der Meinung, daß man auch diese Formulierungen und diese politisch begründete Hetze gegen den Osten – die für den Fachmann sehr klar erkennbar ist – aufgeben sollte, wenn es sich darum [S. 68] handelt, allgemein anerkanntes Recht in unserer Verfassung zu verankern. In ein allgemeines Menschheitsrecht paßt nicht hinein – sagen wir das ruhig ein politisch bedingter Vorbehalt. Das ist aber dem Herrn Vorsitzenden gelungen, indem er von seinen Erfahrungen in der Zeit der Weimarer Republik mit polnischen Vertretern sprach. Vors. Dr. Schmid (SPD): Damals waren die Polen noch anders, als sie heute sind45). Zu Art. 29 steht nur der Abänderungsantrag Dr. von Mangoldt zur Abstimmung, die Fassung des Grundsatzausschusses durch folgende Fassung zu ersetzen: Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als46) bindender Bestandteil des Bundesrechts. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 13 gegen 7 Stimmen abgelehnt. Es bleibt also bei der Fassung des Grundsatzausschusses. Dr. Seebohm (DP): Ich habe den Antrag gestellt, anzufügen: „Die Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs im Haag sind hierbei bindend.“ Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über diesen Zusatzantrag abstimmen. – Der Zusatzantrag ist abgelehnt. Der Ausschuß vertagt sich auf Freitag, den 19. November 1948, 9 Uhr. Schluß der Sitzung 18.30 Uhr.

43)

Anspielung auf die Berlin-Blockade durch die sowjetische Besatzung, die am 23. Juni 1948 begann und bis zum 12. Mai 1949 andauerte. 44) Aus Berlin kamen die Abg. Jakob Kaiser (CDU), Paul Löbe (SPD), Ernst Reuter (SPD), Hans Reif (FDP) und Otto Suhr (SPD). Zu ihnen und ihrem besonderen Status im Parl. Rat vgl. Feldkamp, Parl. Rat, S. 44–47 und 207 ff.; vgl. auch: Der Parl. Rat. Bd. 9, Dok. Nr. 1, S. 6. Zur Haltung der KPD in der Frage der Teilnahme der Berliner Abg. vgl. ebd. S. 7–11. 45) Anspielung auf die seit der Wiederherstellung des polnischen Staates 1946 durch die Sowjetunion gesteuerte kommunistische Herrschaft in Polen. 46) Statt „gelten als“ im stenograph. Wortprot., S. 65: „sind“.

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Nr. 6 Sechste Sitzung des Hauptausschusses 19. November 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 69–82. PA 2004. Ungez. von Herrgesell gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 366 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: von Brentano, de Chapeaurouge, Kaufmann, Kleindinst, Laforet, Schrage, Schwalber, Weber SPD: Katz, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wolff, Zimmermann FDP: Dehler, Heuss DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Wessel Abgeordnete ohne Stimmrecht: Eberhard (SPD), Hoch (SPD) Stenographischer Dienst: Herrgesell Dauer: 9.20–11.42 Uhr und 12.15–12.17 Uhr

[1. GESPRÄCH DES PRÄSIDENTEN ADENAUER MIT GENERAL ROBERTSON AM 17. NOV. 1948]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Als Arbeitsgrundlage dient uns die Vorlage, die wir der zweiten Lesung des Ausschusses für Grundsatzfragen3) verdanken und die wir auch gestern zugrunde gelegt haben4). Renner (KPD): Nach Pressemeldungen hat Herr General Robertson5) am 17. November 1948 vor Journalisten in Frankfurt unter anderem Bemerkungen gemacht, die sich auf die Arbeit des Parlamentarischen Rates beziehen. Nach unwidersprochenen Meldungen hat Herr General Robertson an diesem Tage auch den Präsidenten des Parlamentarischen Rates, den Herrn Abgeordneten Dr. Adenauer, empfangen6). 1) 2) 3)

4) 5)

6)

Protokollführer Matz. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Die vom Ausschuß für Grundsatzfragen in 2. Lesung angenommene Fassung vom 10. Nov. 1948 ist maschinenschr. vervielfält. als Drucks. Nr. 269 und ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 26, S. 550–553. Vgl. die 5. Sitzung des HptA am 18. Nov. 1948; oben Dok. Nr. 5. Sir Brian Robertson (1896–1974), 1914 Soldat, diente nach dem Ersten Weltkrieg in der indischen Armee, schied 1933 aus der Armee aus, in Südafrika für die Autoreifenfirma Dunlop tätig, 1940 Rückkehr in die Armee und Aufstieg zum Brigadegeneral, u.a. für den Nachschub im Feldzug von Bernard Law Montgomery of Alamein gegen Erwin Rommels Afrikakorps verantwortlich, 1944/45 Verwaltungsoffizier während im Italienfeldzug, 1945 im Vertreter von Feldmarschall Montgomery in der britischen Kontrollratskommission, 1946/47 stellvertretender britischer Militärgouverneur in Deutschland, 1947 britischer Militärgouverneur (bis 1949) und Oberbefehlshaber der britischen Besatzungstruppen in Deutschland (bis 1950). Vgl. Der Parl. Rat. Bd. 8, S. X f. Zu dem Gespräch zwischen Präs. Adenauer und Robertson vgl. den Aktenvermerk von Adenauer ediert in: Der Parl. Rat. Bd. 8, Dok. Nr. 17, S. 32–36.

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Pressemeldungen nach ist damit zu rechnen, daß Herr Präsident Dr. Adenauer im Laufe dieser Unterredung Anweisungen und Anordnungen entgegengenommen hat, die für die Entscheidungen dieses Parlamentarischen Rates von außerordentlicher Bedeutung sind. Deshalb erlaube ich mir die Anregung, den Herrn Präsidenten Dr. Adenauer zu bitten, über den Verlauf seiner Unterredung mit dem Herrn General Robertson vor dem Hauptausschuß öffentlich Bericht zu erstatten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wird hierzu das Wort gewünscht? – Wir können diese Anregung dem Herrn Präsidenten weitergeben. Renner (KPD): Ich erlaube mir, das zu einem Antrag zu erheben. Ich will damit erreichen, daß der Hauptausschuß den Herrn Präsidenten bittet, diesen Bericht zu erstatten. Daran hat die Öffentlichkeit wohl ein Interesse. Dr. Schwalber (CSU): Ich bin der Auffassung, es genügt, wenn der Herr Präsident vor dem Ältestenrat Bericht erstattet7). Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich bin der Meinung, daß es Sache des Herrn Präsidenten ist, zu entscheiden, ob und wem er über Privatgespräche, die er geführt hat, Bericht erstatten will. Mir ist nichts davon bekannt, daß es sich um etwas anderes als eine Zusammenkunft der beiden genannten Herren gehandelt hat. Dr. Menzel (SPD): Wenn der Antrag gestellt wird, muß geschäftsordnungsmäßig darüber abgestimmt werden. Der Antrag kommt überraschend. Ich möchte bitten, daß die Fraktionen die Möglichkeit haben, sich vorher eine Viertelstunde darüber zu beraten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Am Schluß der Sitzung. Renner (KPD): Ich bin mit der Vertagung der Abstimmung einverstanden, möchte mir aber zur Sache noch eine Bemerkung erlauben. Man kann die Dinge doch nicht so hinstellen, als handle es sich um eine private Unterredung des Privatmanns Herrn Dr. Konrad Adenauer mit dem Privatmann Herrn General Robertson. Die Öffentlichkeit weiß genau, was im Augenblick vor der Entscheidung steht. Ich sage nur ein Wort: Besatzungsstatut8). Es ist wohl berechtigt, anzunehmen, daß Herr Dr. Konrad Adenauer in seiner Eigenschaft als Präsident des Parlamentarischen Rates Anordnungen bzw. Anweisungen erhalten hat, die sich auf die Ausgestaltung der im Augenblick vor dem Abschluß stehenden Verfassung für Westdeutschland beziehen. Das kann man beim besten Willen nicht mehr als private Angelegenheit des Herrn Dr. Konrad Adenauer und des Herrn General Robertson hinstellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Ausschuß wird darüber beschließen. Wir setzen die Beschlußfassung bis zum Ende der Sitzung aus. Wir werden dann kurz unterbrechen und den Fraktionen Gelegenheit geben, die Angelegenheit unter sich zu bereden.

7)

Im Ältestenrat berichtete Präs. Adenauer erst am 25. Nov. 1948; vgl. Der Parl. Rat, Bd. Dok. Nr. A 13, S. 35–38. 8) Zum Besatzungsstatut vom 10. April 1949 vgl. oben Dok. Nr. 2, Anm. 15.

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[2. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT II: ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN] [2.1. ART. 30: HOHEITSRECHTE]

Ich rufe auf den Art. 30 in der Fassung des Grundsatzausschusses (PR. 11.48 – 269)9). Es ist zweckmäßig, diesen Artikel Absatzweise zu verlesen und zu beraten. Abs. 1 lautet: Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen.10) Dr. Seebohm (DP): Ich möchte vorschlagen, hier eine etwas andere Formulierung zu wählen. Wenn hier steht, daß der Bund durch einfaches Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen kann, so scheint mir diese Sache nicht genügend nach der Wertigkeit begründet zu sein. Ich bin der Auffassung, daß bei einer so wichtigen Angelegenheit ein verfassungsänderndes Gesetz notwendig ist. Es handelt sich schließlich um das Allerwichtigste, was der Bund tun kann. Hinter einer solchen Maßnahme sollte wirklich die sichere, große Mehrheit des Volkes durch seine Vertretung stehen. Ich schlage vor, zu sagen: Der Bund kann mit verfassungsändernder Mehrheit Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte bitten, diesen Antrag abzulehnen. Wir haben gerade darüber in den verschiedenen Ausschüssen, die sich mit dem Artikel befaßt haben, viel gesprochen. Wir waren der Meinung, daß durch dieses Grundgesetz – das ja von der überwältigenden Mehrheit des Volkes wird angenommen werden müssen oder praktisch keine Autorität haben wird zum Ausdruck gebracht werden soll, daß dieses Land grundsätzlich bereit ist, internationalen Organen, zwischen9)

10)

Vgl. oben Anm. 3. Das stenograph. Wortprot., S. 3 f. fügt hier an: „Dr. Seebohm (DP): Sie werden sich erinnern, daß ich vor einigen Tagen einen Ergänzungsvorschlag zu Art. 21 gemacht habe und daß damals angeregt wurde, diesen Ergänzungsvorschlag zurückzustellen, bis wir zu Art. 30 gekommen sind. Dieser Art. 30 regelt die zwischenstaatlichen Angelegenheiten zwischen Bund und Ländern. Ich bin der Auffassung, daß an die Spitze dieses Art. 30 eine klare Definition für diese Regelung gesetzt werden sollte. Ich hatte seinerzeit schon einen Antrag gestellt. Ich möchte den Antrag jetzt etwas anders formulieren und vorschlagen, vor dem Abs. 1, also als einen neuen Abs. 1 dieses Art. 30, folgendes einzufügen: „Alle Rechte, die nicht durch das Grundgesetz dem Bund übertragen sind, verbleiben den Ländern.“ Das hat vor allen Dingen den Zweck, die Stellung des Bundes zu den Ländern und ebenso die Stellung der Länder zum Bund klar und eindeutig festzulegen. Dadurch soll insbesondere darauf hingewiesen werden, daß die Kontinuität fortgesetzt ist, die sich daraus ergibt, daß der Bundesstaat stets durch Zusammenschluß der verschiedenen Länder entstanden ist. Dr. Eberhard (SPD): Ich glaube, hier liegt ein Mißverständnis vor. Der Kollege Dr. Seebohm spricht zu Art. 30 der Fassung des Redaktionsausschusses, während wir hier über Art. 30 in der Fassung der 2. Lesung des Grundsatzausschusses beraten. Dr. Seebohm (DP): Nein, ich bin schon bei Art. 30, bisher Art. 29. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Dr. Eberhard hat Recht. Wir beraten Art. 30 in der Fassung des Grundsatzausschusses. Das ist Seite 4 der Vorlage des Grundsatzausschusses. Es handelt sich hier immer noch um die völkerrechtlichen Dinge. Der Artikel, den Sie meinen, Herr Dr. Seebohm, wird erst nach vier weiteren Artikeln kommen. Wird zu dem von mir verlesenen Art. 30 Abs. 1 das Wort gewünscht?“

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staatlichen Einrichtungen beizutreten, also die Internationalisierung der politischen Wirklichkeit möglichst aktiv zu fördern. Wir wollten die Bereitschaft insbesondere dadurch zum Ausdruck bringen, daß wir für diesen Fall gerade kein verfassungsänderndes Gesetz verlangen, sondern ein einfaches Gesetz als genügend ansehen wollen. Die grundsätzliche Entscheidung, ich möchte sagen, die Entscheidung vom Rang einer Verfassungsbestimmung soll nicht bei den einzelnen Akten, sondern schon in dem Augenblick, in dem wir das Grundgesetz beschließen, als eine Entscheidung allgemeiner und fundamentaler Art getroffen werden. Dr. Seebohm (DP): Ich bin durchaus der Auffassung, daß der Bund das Recht haben soll, durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen, und daß wir alles zu tun haben, um das Entstehen solcher zwischenstaatlichen Einrichtungen, insbesondere innerhalb unseres gesamten europäischen [S. 70] Gebietes, zu erreichen. Ich bin aber der Auffassung, daß gerade ein solcher Akt wirklich von größter Bedeutung ist und vom Volk dann in klarer Erkenntnis seiner Bedeutung angenommen werden sollte. Falls dieses Grundgesetz eine Annahme durch Volksabstimmung erfahren sollte, würde ich einverstanden sein, hierfür ein einfaches Gesetz genügen zu lassen. In dem anderen Fall aber, wenn dieses Grundgesetz seine Legalität nur durch Beschlüsse der Landtage erhält, würde ich glauben, daß gerade diese bedeutsame Frage dem Volke klar zum Bewußtsein gebracht werden sollte, damit das Volk versteht, was hier gemeint ist, und wirklich innerlich bereit ist, einen solchen Schritt zu tun, der bei einer ganzen Reihe von Menschen doch eine gewisse innere Umwandlung voraussetzt, damit also das Volk diesen Schritt auch in seiner vollen Bedeutung erfährt und ihn anerkennt. Ich möchte das dadurch unterstreichen. Dr. Katz (SPD): Wenn das, was der Herr Kollege Dr. Seebohm hier vorträgt, gemacht wird, brauchen wir die Bestimmung nicht; denn es wäre eine Verfassungsänderung. Die Pointe ist gerade die, daß es durch einfaches Gesetz geschehen kann. Darin sehen wir den Fortschritt. Wir wollen uns hier aus Anlaß dieses Grundgesetzes bereits grundsätzlich bereit erklären, eventuell in ein derartiges System einzutreten. Das ist eine außerordentlich wichtige Entscheidung. Ich glaube, daß das, was der Herr Kollege Dr. Seebohm hier beantragt, im Grunde darauf hinausläuft, diese Bestimmung zu streichen. (Dr. Seebohm [DP]: Nein.) Denn durch verfassungsänderndes Gesetz können alle anderen Dinge späterhin auch geschehen. Diese Bestimmung hat also nur Sinn, wenn wir uns jetzt schon darauf festlegen, daß wir bereit sind, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen, sobald der Augenblick gekommen ist. Wenn der Herr Kollege Dr. Seebohm sagt, er wäre einverstanden, wenn dieses Grundgesetz durch Volksentscheid statt durch Ratifikation der Länder angenommen wird, so ist diese Frage ja noch vollkommen offen. Es ist möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, daß das geschieht, so daß Herr Dr. Seebohm, wenn er damit einverstanden ist, sich auch mit diesem Artikel einverstanden erklären könnte. Dr. Eberhard (SPD): Ich möchte dem, was der Kollege Dr. Katz gesagt hat, nur folgendes hinzufügen. Es ist sehr wichtig, die Öffentlichkeit heute erfahren zu lassen, daß wir einen großen Schritt zu einer besseren Art tun, die internationalen Angelegenheiten von deutscher Seite aus zu regeln. Wenn wir diesen Absatz so anneh-

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men, wie er hier steht, ist es eine sehr schöne Antwort auf das, was die französische Republik in der Präambel ihrer neuen Verfassung sagt. Es heißt dort, daß Frankreich einer Begrenzung der Souveränität zustimmt, die für die Organisation und die Verteidigung des Friedens notwendig ist. Ich finde es sehr schön, wenn von deutscher Seite auf diese französische Äußerung hier die Antwort gegeben wird. Renner (KPD): Ich beantrage, hinter diesen Absatz des Art. 30 den folgenden Zusatz einzufügen: Von dieser Bestimmung kann erst Gebrauch gemacht werden, wenn (1) die Republik in den vollen Besitz der staatlichen Hoheitsrechte gekommen ist, (2) ein entsprechendes Gesetz ohne Mitwirkung und ohne Genehmigung der Besatzungsmächte beschlossen werden kann, (3) die Vertretung der Republik durch die Bundesregierung wahrgenommen wird. Wenn unter Ziffer 1 von der Republik die Rede ist, so meine ich die deutsche Republik und nicht diesen separaten Weststaat. Die Begründung kann ich in einem Satz geben. Noch sind wir nicht in dem vollen Besitz der staatlichen Hoheitsrechte. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Ehe wir als gesamtdeutsches Gebiet derartige Bindungen eingehen, durch die wir auf einen Teil der staatlichen Souveränität verzichten – was im Prinzip von mir durchaus bejaht wird –, müssen vorher die Sicherungen gegeben sein, daß wir diese Verträge und Bindungen auf Grund eigener uneingeschränkter Hoheit eingehen. Das ist im Augenblick nicht der Fall. Deshalb möchte ich, daß dieser einschränkende Zusatz hinter Art. 30 Abs. 1 eingefügt wird. Dr. Seebohm (DP): Bezüglich dessen, was der Herr Kollege Renner erklärt hat, stehe ich grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß wir uns bei der Abfassung dieser Bestimmungen so weit wie möglich von solchen Gedanken frei machen sollten. Zu meinem Antrag darf ich noch folgendes sagen. Durch die Übertragung von Hoheitsrechten, die der Bund vornimmt, werden natürlich auch die Hoheitsrechte der Länder beeinträchtigt. Es wäre also erwünscht – und das gebe ich nur als Anregung dazu –, daß es sich hier um eines der Gesetze handelt, bei denen wir die Zustimmung des Bundesrats bei der Legislative erwarten. Wir hatten seinerzeit schon einmal in Aussicht genommen, daß bestimmte Gruppen von Gesetzen die volle Zustimmung des Bundesrats erfordern. Diese Übertragung von Hoheitsrechten würde nach meiner Auffassung ein solches Gesetz erfordern und daher in diese Gruppe aufzunehmen sein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Würden Sie das nicht besser vorbringen, wenn wir diese Dinge beraten? Dr. Seebohm (DP): Ich wollte es nur als Anregung bringen, damit es vorgemerkt wird. Ich würde dann meinen Antrag zurückziehen, würde aber doch bitten, zu sagen: mit der Mehrheit der gesetzlichen Stimmen. Das ist zweckmäßig, um festzulegen, daß eine solche Regelung eine klare Mehrheit erhalten muß. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es liegt der Abänderungsantrag vor, in Art. 30 Abs. 1 die Worte „mit der Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl“ einzufügen und zu sagen: „Der Bund kann durch Gesetz mit der Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder-

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zahl Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen.“ Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist gegen 6 Stimmen abgelehnt. Dann liegt der Antrag des Abgeordneten Renner vor, hinter Art. 30 Abs. 1 den oben verlesenen Zusatz einzufügen. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit allen Stimmen gegen die Stimme des Antragstellers abgelehnt. In Art. 30 Abs. 2 heißt es: Der Bund kann im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens sein Gebiet in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung der europäischen Verhältnisse herbeiführen und sicherstellen können. Hierzu liegt der Antrag Dr. Menzel vor, statt „gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ die Worte „gemeinsamer Sicherheit“ zu setzen und die Worte „europäischen Verhältnisse“ durch das Wort „Welt“ zu ersetzen. Dr. Seebohm (DP): Ich wollte einen Antrag stellen, der etwa in der Richtung des Antrags des Herrn Kollegen Dr. Menzel liegt, möchte aber doch gern, daß die Bezugnahme auf die europäischen Verhältnisse hervorgehoben bleibt. Ich wollte deshalb bitten, hinter den beiden Worten „europäischen Verhältnisse“ die Worte „und der Völkergemeinschaft in der Welt“ einzufügen, um die beiden Gebiete bezeichnet zu haben, erstens die Vorstufe und zweitens die für später anzustrebende Entwicklung. Ich möchte gern klar zum Ausdruck gebracht haben, daß die Regelung der europäischen Verhältnisse eine sehr naheliegende und rasch zu erreichende Vorstufe ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Einverstanden. (Dr. Menzel [SPD]: Einverstanden.) [S. 71] Renner (KPD): Ich beantrage, hinter diesem Absatz folgendes einzufügen: Voraussetzung für eine solche Einordnung ist 1) daß die Beschränkungen der Hoheitsrechte in voller Gegenseitigkeit der vertragschließenden Mächte erfolgen, 2) daß die Vertretung des Bundes bei den Verhandlungen über ein solches System und in seinen Organen ausschließlich der Bundesregierung obliegt, 3) daß dieses System nicht der Vorbereitung eines Krieges dient und keine militärischen Hilfeleistungen irgendwelcher Art von der Republik oder ihren Angehörigen gefordert oder erwartet werden. Begründung! Ich erlaube mir die Frage, ob zum Beispiel die jetzt vor der Einführung stehende Ruhrbehörde11) nicht einer dieser einseitigen, uns aufgezwungenen Verträge ist, die, wenn wir derartige Bestimmungen vorbehaltlos in die Verfassung einarbeiten, einfach nachträglich, obwohl die Verträge uns zwangsweise auferlegt wurden, von uns als freiwillig übernommen anerkannt werden. Wenn wir diesen Vorbehalt, der soeben abgelehnt worden ist, nicht machen, verschließen wir meines Erachtens das Tor für eine spätere Kritik all dieser Zwangsmaßnahmen, die während der Besatzungszeit gegen uns durchgeführt worden sind und noch werden. Wir machen uns auch die Tür zu für eventuelle Revisionen dieser uns ge11)

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Zur Ruhrbehörde vgl. die Diskussion in der 31. Sitzung des HptA am 7. Jan. 1949, unten Dok. Nr. 31, S. 925–964.

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machten Zwangsauflagen, Ruhrbehörde, Rückgabe der eisenschaffenden Industrie an die alten Besitzer, Rückgabe des Ruhrkohlenbergbaus an die alten Herren der Kohle. Alle diese Dinge können wir meines Erachtens nur dann wieder einmal einer Revision unterziehen, wenn wir von vornherein klar aussprechen, daß wir derartige Bindungen nur unter den von mir aufgezeigten Voraussetzungen und Sicherungen einzugehen bereit sind. Wie wollen Sie sich sonst später das Recht einer Revision derartiger Zwangsauflagen sichern, wenn Sie heute schon ohne jeden Vorbehalt aussprechen, daß derartige völkerrechtliche Bindungen von Ihnen eingegangen werden, ohne daß die von mir hier vorgetragenen gegenseitigen Verpflichtungen von der anderen Seite eingehalten werden? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte kurz etwas zu dem Antrag Dr. Menzel bemerken, statt „gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ „gemeinsamer Sicherheit“ zu sagen. Ich möchte bitten, diesen Antrag aus folgendem Grund zurückzuziehen. Der Begriff „kollektive Sicherheit“ ist ein Terminus technicus, unter welchem etwas ganz Bestimmtes verstanden wird. Der Ausdruck „gemeinsame Sicherheit“ entspricht einem indifferentiellen Sprachgebrauch, unter dem man sich das Verschiedenste vorstellen kann. Unter „kollektiver Sicherheit“ ist etwas ganz Präzises zu verstehen, eine Institution aus dem großen Gebiet des Kriegsverhütungsrechts, das in den modernen Lehrbüchern als besonderer Abschnitt des Systems des positiven Völkerrechts behandelt zu werden pflegt. Dr. Menzel (SPD): Gerade diese Argumente haben uns bewogen, diesen Abänderungsantrag zu stellen. Wir wollten die politische Belastung, die dieses Wort – ob zu Recht oder zu unrecht, mag dahingestellt bleiben – in den letzten Jahren in der europäischen Politik bekommen hat, nicht mit übernehmen. Wir wollten nicht nur eine Neuformulierung um der Formulierung willen suchen, sondern das „Gemeinsame“, das Sie mit Recht hervorheben, betonen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte trotzdem insistieren. „Kollektive Sicherheit“ ist ein genau so klar umrissener Terminus wie im bürgerlichen Recht der Ausdruck „ungerechtfertigte Bereicherung“12). Sie halten den Antrag aufrecht? (Dr. Menzel [SPD]: Ja.) Dr. Schwalber (CSU): Ich möchte zur Erwägung stellen, ob man nicht im zweiten Halbsatz des Abs. 2 sagen sollte: er wird hierbei auf der Grundlage der Gegenseitigkeit in Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen .. . Vors. Dr. Schmid (SPD): Es steht ja oben: „. . . gegenseitiger kollektiver Sicherheit . . .“. Dr. Schwalber (CSU): Wenn mir versichert wird, daß dieser Begriff bereits in dem ersten Halbsatz steht, verzichte ich. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das Gegenseitigkeitsprinzip ist oben verankert. Wir sollten dieses Wort nicht zu häufig wiederholen. Sonst sieht es so aus, als ob wir bereit wären, mit der einen Hand wieder zurückzuziehen, was wir mit der anderen bieten. Ziehen Sie Ihren Antrag zurück, Herr Dr. Menzel, wenn der Antrag Dr. Seebohm angenommen wird?

12)

Das stenograph. Wortprot., S. 12, fügt hier den Zwischenruf an: „(Dr. Menzel [SPD]: Es ist zu sehr mit der Vergangenheit belastet.)“

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Dr. Menzel (SPD): Ja. Renner (KPD): Ich nehme den Antrag des Herrn Dr. Menzel auf, weil es tatsächlich entscheidend darauf ankommt, das Wort „kollektive Sicherheit“ hier herauszulassen. Dr. Menzel (SPD): Mein zweiter Antrag ist überholt durch den weitergehenden Antrag von Herrn Dr. Seebohm, dem ich mich anschließe. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben dann zunächst über den Antrag abzustimmen, die Worte „gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ durch die Worte „gemeinsamer Sicherheit“ zu ersetzen. – Der Antrag ist abgelehnt. Weiter ist der Antrag gestellt, hinter „Ordnung der europäischen Verhältnisse“ die Worte einzusetzen: „und der Völkergemeinschaft der Welt“. Ich lasse darüber abstimmen. – Das ist einstimmig angenommen. Schließlich liegt der Antrag des Herrn Kollegen Renner vor, hinter Abs. 2 den von ihm oben verlesenen Zusatz einzufügen. Ich lasse über diesen Zusatzantrag abstimmen. – Der Antrag ist gegen eine Stimme abgelehnt. In Art. 30 Abs. 3 heißt es: Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund einer allgemeinen, umfassenden, obligatorischen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit beitreten. Die in dieser Schiedsgerichtsbarkeit gefällten Entscheidungen binden unmittelbar. Das Wort wird nicht gewünscht. Damit ist Abs. 3 angenommen. Ich lasse dann über den gesamten Artikel, der wichtig genug ist, abstimmen. – Der Art. 30 ist mit allen gegen 1 Stimme angenommen.

[2.2. ART. 31: FRIEDLICHES ZUSAMMENLEBEN DER VÖLKER]

Der Art. 31 lautet in der Fassung des Grundsatzausschusses: Handlungen, die mit der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Dr. von Brentano (CDU): Ich bitte, hierzu die Fassung des Redaktionssausschusses unter Art. 29b zu vergleichen (PR. 11.48 – 279)13). Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Fassung des Redaktionsausschusses lautet: (1) Handlungen, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere einen Angriffskrieg vorzubereiten, sind verboten und unter Strafe zu stellen. Dr. von Brentano (CDU): Der Redaktionsausschuß war der Auffassung, daß man das Wort „Krieg“ durch das Wort „Angriffskrieg“ ersetzen sollte. Denn verboten ist der Angriffskrieg, während ein Verteidigungskrieg wohl nicht verboten sein dürfte. Zum anderen waren wir der Meinung, daß die Formulierung „sind [S. 72] verfas-

13)

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Die Drucks. Nr. 279 vom 16. Nov. 1948 mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zum Abschnitt II und III ist ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 42–51.

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sungswidrig“ eine lex imperfecta14) darstellt. Mit dem Ausdruck Verfassungswidrigkeit ist noch nicht gesagt, was eventuell geschehen soll. Ein Verstoß gegen die Verfassung ist ja zur Zeit nicht unter Strafe gestellt. Wir waren der Auffassung, daß, wenn wir an den Gesetzgeber die Aufforderung richten, zu sagen, daß eine solche Handlung verboten ist und unter Strafe zu stellen ist, der Gesetzgeber die Anordnung auszuführen hat und alsbald ein Gesetz erlassen wird, das derartige Handlungen unter die entsprechende schwere Strafe stellt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde bitten, es bei der Fassung „sind verfassungswidrig“ zu belassen. Wir haben über diese Dinge im Grundsatzausschuß sehr ausführlich gesprochen und haben uns dann entschlossen, zu der ursprünglichen Fassung zurückzukehren, die auch in der württembergisch-badischen Verfassung steht15). Durch den Ausdruck „verfassungswidrig“ soll die in einer Verfassung stärkste rechtliche Verurteilung eines Tuns ausgesprochen werden. Wenn hier erklärt wird, daß der Akt verfassungswidrig ist, so bedeutet es, daß ohne komplizierte Rechtsverfahren Paroli geboten werden kann, während mir, wenn es nur heißt: „sind verboten und unter Strafe gestellt“, diese Möglichkeit nicht in dieser Weise gegeben zu sein scheint. Wenn hier steht: „sind verfassungswidrig“, so scheint mir klar zu sein, daß der Gesetzgeber darin ohne weiteren Hinweis eine Anweisung finden muß, ein entsprechendes Strafgesetz zu erlassen. Es macht sich in einer Verfassung nicht schön, wenn es heißt: „sind unter Strafe zu stellen“. Solche Imperative sind selten angebracht. Daher möchte ich vorschlagen, den Antrag, das Wort „Angriffskrieg“ zu wählen, nicht anzunehmen. Wir sollten auch hier ein Stück weiter gehen, als man bisher üblicherweise gegangen ist, und sollten in unserem Lande schlechthin untersagen, die Führung von Kriegen vorzubereiten. Wir sollten damit unsere Meinung zum Ausdruck bringen, daß in einem geordneten Zusammenleben der Völker das, was man früher als die ultima ratio regum16), als das Souveränitätsrecht der Souveränitätsrechte ansah, schlechthin keine Stätte mehr haben soll, daß, wenn schon Gewalt ausgeübt werden muß, diese Gewalt nicht als nationaler Souveränitätsakt ausgeübt werden soll, sondern als Akt des kollektiven Selbstschutzes aller Nationen, die dafür sorgen, daß auf der ganzen Welt der Friede erhalten bleibt und es Angreifern unmöglich gemacht wird, den Frieden zu stören. Wenn wir sagen: „. . . einen Angriffskrieg vorzubereiten . . .“, wird man uns schlicht entgegenhalten können: Nun, wer in dieser Welt hat denn je behauptet, er treibe Kriegsrüstungen, um einen Angriffskrieg zu machen? Es hat noch niemand etwas anderes gesagt, als daß seine Kriegsrüstungen dazu dienten, einen Verteidigungskrieg vorzubereiten. Letzten Endes ist der Unterschied zwi14)

Lateinisch – unvollständiges Gesetz. Gesetze, die keine Rechtsfolgen an den Tatbestand der Rechtsvorschrift knüpfen. 15) Art. 47 der Verfassung von Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1946: „Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, eine friedliche Zusammenarbeit der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten, ist verfassungswidrig“. Wegener: Verfassungen, S. 108. 16) Lateinisch – das letzte Mittel der Könige. Den Spruch ließ Kardinal Richelieu (1585–1642) während des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) auf die französischen Geschützrohre gießen. Es bedeutete, daß das letzte Wort beim König stünde, um einen Krieg definitiv zu entscheiden.

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schen Angriffskrieg und Verteidigungskrieg weitgehend zu einer Flause geworden. Deswegen meine ich, wir sollten hier nicht von Angriffskrieg, sondern von Krieg schlechthin sprechen – trotz der Nürnberger Urteile. Dr. von Brentano (CDU): In den internationalen Urteilen ist der Begriff des Angriffskrieges doch sehr klar umrissen worden, und es ist ein sehr klarer Gegensatz zwischen Krieg und Angriffskrieg geschaffen worden. Der Angriffskrieg ist in Nürnberg unter Strafe gestellt worden. Kaufmann (CDU): Ich schließe mich an sich den Ausführungen des Kollegen Dr. Schmid an und bin dafür, die Fassung des Redaktionsausschusses mit der Ergänzung „verfassungswidrig“ zu nehmen. Über die zweite Frage sich ausführlich zu unterhalten, ist nach keiner Richtung hin tunlich. In der Sache sind wir meiner Ansicht nach absolut einer Meinung. Es handelt sich lediglich um die Formulierung. In den württembergisch-badischen Verfassungsverhandlungen war eine Formulierung gefunden, die nach meiner Erinnerung ungefähr so lautete, daß der Krieg als Auseinandersetzungsmittel der Völker verurteilt wird. Wenn wir etwas Derartiges vielleicht in der zweiten Lesung einbauen können, wäre es glücklich. Wir müssen aber auch irgendwo die verfassungsmäßige Möglichkeit haben, den einfachen Schutz des Bundesgebietes einzubauen. Denn wir leben ja in der Welt und nicht in irgendwelchem Idealzustand. Ich glaube also, man sollte in der zweiten Lesung versuchen, eine gemeinsame Lösung zu finden, vielleicht in der Linie der württembergisch-badischen Fassung. Das könnte vor dem jetzigen Satz des Art. 31 als eine grundsätzliche Erklärung aufgenommen werden. Die Fassung des Redaktionsausschusses, die dann Abs. 2 werden würde, würde in diesem Falle durchaus unbedenklich sein, um so mehr als es richtig ist, daß der Begriff des Angriffskrieges, mit dem von allen Seiten viel Schindluder getrieben worden ist, jetzt einer klareren Definition unterliegt, als es vorher der Fall gewesen ist. Ich beantrage, daß wir jetzt die Fassung des Redaktionsausschusses mit der Änderung „verfassungswidrig“ annehmen und uns danach gemeinsam bemühen, etwa mit der genannten Formulierung unsere grundsätzliche Stellungnahme zum Krieg in den Artikel hineinzuarbeiten. Renner (KPD): Ich bin auch der Meinung, daß man diesem Artikel eine grundsätzliche Erklärung etwa in der Form vorausschicken sollte, wie sie die hessische Verfassung enthält. In der hessischen Verfassung steht nach meiner Erinnerung der kurze lapidare Satz: „Der Krieg ist geächtet.“17) Mit dieser grundsätzlichen Charakterisierung des Krieges wäre meines Erachtens sehr viel Gutes geschaffen. Ich bin der Meinung, daß man nicht die Einschränkung vornehmen soll, die in der Fassung des Redaktionsausschusses aufgegriffen worden ist und die auch mein sehr geschätzter Vorredner noch einmal sich zu eigen gemacht hat. Was ist ein Angriffskrieg, und was ist ein reiner Verteidigungskrieg? Darin wird eine Einigung nie zu erzielen sein, solange es in der Welt Aggressoren gibt. Aggressoren in der Welt gibt es, solange eine bestimmte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung existiert. Da Sie

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Art. 69 der Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dez. 1946: „Hessen bekennt sich zu Frieden, Freiheit und Völkerverständigung. Der Krieg ist geächtet. [.. .].“ Wegener: Verfassungen, S. 156.

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diese nicht zu beseitigen beabsichtigen und an deren Beseitigung nicht mitzuarbeiten gedenken, sollte man sich auch diese Einschränkung sparen. Meines Wissens steht in der Verfassung von Südbaden noch ein Satz etwa des Inhalts, daß kein Staatsbürger zum Kriegsdienst gezwungen werden darf18). Ich bin der Meinung, daß in unserem Art. 29b auch dieser Grundsatz verankert werden muß. Ich stelle den Antrag, daß der Art. 29b durch den Zusatz – der in der hessischen Verfassung enthalten ist – ergänzt wird: „Der Krieg ist geächtet“ und daß an geeigneter Stelle eingeschaltet wird: „Kein Staatsbürger darf zum Kriegsdienst gezwungen werden.“ Wir haben zu Beginn dieser Auseinandersetzungen, als es um die Präambel ging, hier ein schönes Wort gehört. Einer der Herren Verfassungsrechtler hat gesagt, Verfassungen sollten auch in ihrer Sprache so abgefaßt sein, daß sie dem „Maul des Volkes“ gerecht werden19). Das Volk versteht bestimmt eine Formulierung wie die: „. . . sind verboten und unter Strafe zu stellen“ besser, als wenn wir es hier allein auf die Verfassungswidrigkeit abstellen. Dabei sei noch die Frage erlaubt, ob wir überhaupt eine Verfassung machen. Sie wagen doch das Kind selber nicht einmal Verfassung zu nennen, sondern reden immer nur vom Grundgesetz. Wenn man den Krieg wirklich bekämpfen will, wenn man die Mentalität im Volke ändern will, wenn man die alte nationalsozialistische und nationalistische Sehnsucht nach dem Krieg wirklich beseitigen will, dann soll man klar aussprechen: Der Krieg ist verboten, und Kriegsvorbereitungen sind unter Strafe gestellt. Das versteht der Mann auf der Straße viel eindeutiger, als wenn Sie mit der rein technischen Formulierung der Verfassungswidrigkeit kommen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Kollege Renner, ich möchte Ihnen vorschlagen, in Ihrem Antrag statt „Kein Staatsbürger darf zum Kriegsdienst gezwungen werden“ zu schreiben: „Niemand darf zum Kriegsdienst gezwungen werden.“ Renner (KPD): Was heißt: niemand? Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wohnen auch Leute in unserem Staatsgebiet, die keine Staatsbürger sind. [S. 73] Renner (KPD): Über diese Leute haben wir keine staatliche Autorität auszuüben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Doch, da irren Sie sich. Renner (KPD): Wollen Sie den Engländern, die bei uns wohnen, das verbieten? Vors. Dr. Schmid (SPD): Nach dem französischen Wehrgesetz wird jeder, der in Frankreich seinen Wohnsitz hat, gleichgültig ob er Franzose ist oder nicht – Renner (KPD): Da könnte ich ihnen auf Grund meiner Erfahrung aus dieser Zeit etwas anderes erzählen. Ich bin politischer Emigrant in Frankreich gewesen und bin verhaftet worden, weil ich politischer Emigrant war. Diejenigen, die sich breitschlagen ließen und in irgendeiner Form dem Druck nachgegeben haben, um der Verhaftung zu entgehen, hat man zu sogenannten Prestateuren gemacht. Man hat die schöne Bestimmung in der Verfassung, daß ein Ausländer, der auf französischem Boden lebt, nicht zum Heeresdienst gezwungen werden kann, glatt umgangen. 18)

Art. 3 der Verfassung des Landes Baden vom 19. Mai 1947: „Kein badischer Staatsbürger darf zur Leistung militärischer Dienste gezwungen werden“. Wegener: Verfassungen, S. 260. 19) Vgl. dazu den Beitrag des Abg. Seebohm (DP) in der 6. Sitzung des Plenums am 20. Okt. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 9, Dok. Nr. 6, S. 197.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie halten Ihre Formulierung: „Kein Staatsbürger usw.“ für richtiger? Renner (KPD): Ich halte sie für klarer. Wir können nicht Menschen ansprechen, die nicht unter der Autorität der deutschen Republik stehen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist allerdings ein Irrtum. Es ist wohl richtiger, daß man die Sätze: „Der Krieg ist geächtet“ und: „Kein Staatsbürger darf zum Kriegsdienst gezwungen werden“ vor den bisherigen Text stellt. Der jetzige einzige Absatz würde dann Abs. 3 werden. Kaufmann (CDU): Ich hatte angeregt, daß die Formulierung dieses ersten Absatzes, den ich selbst beantragt hatte, in der zweiten Lesung unter gemeinsamer Verständigung gefunden wird. Wenn wir jetzt eine Formulierung finden, die zufällig hineinpaßt, müssen wir sie unter Umständen als unvollständig ablehnen, und es entsteht ein vollständig falsches Bild über den Willen dieses Ausschusses. Ich bitte deshalb lediglich, festzuhalten, daß diese Absicht besteht und daß wir für die zweite Lesung einen gemeinsamen Antrag nach dieser Richtung suchen, wobei die Bestimmung aus der hessischen Verfassung zu verwenden ist. Dr. Eberhard (SPD): Dann bitte ich, festzuhalten, daß die sozialdemokratische Fraktion beabsichtigt, zunächst im Grundsatzausschuß in zweiter Lesung unter den Freiheitsrechten einen Artikel über die Kriegsdienstverweigerung unterzubringen. Das scheint eine viel bessere Position zu sein, als wenn man hier einen solchen Satz unterbringt. Dr. Menzel (SPD): Können wir die Abstimmung nicht zurückstellen? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja. Offenbar besteht Übereinstimmung darüber, daß die Abstimmung zurückgestellt werden soll. Ich glaube, daß allgemein die Absicht besteht, einer Bestimmung zuzustimmen, die materiell den Inhalt der hier gestellten Anträge wiedergibt20). Dr. Heuss (FDP): Mit Ausnahme der Kriegsdienstverweigerung. Ich bin dagegen.

[2.3. ART. 32: KRIEGSÄCHTUNG]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir kommen zu Art. 32, der in der Fassung des Grundsatzausschusses lautet: (1) Zur Kriegsführung bestimmte Waffen dürfen weder hergestellt noch befördert oder in Verkehr gebracht werden. (2) Das Nähere wird durch Gesetz bestimmt. Dr. Eberhard (SPD): Ich beantrage im Namen der sozialdemokratischen Fraktion, diesen Artikel zu streichen. Die Begründung ist eine doppelte. Erstens werden wir in Art. 31 eine scharfe Ablehnung des Krieges allgemein haben, so daß die Spezialbestimmung nicht so notwendig ist. Zweitens ist gerade die Angelegenheit der Waffenherstellung zur Zeit zweifelsohne nicht in deutscher Zuständigkeit. Renner (KPD): Ich hätte nach der grundsätzlichen Erklärung zu der Frage Krieg von den Herren der SPD erwartet, daß man sich gegen die Einschränkung verwahrt, die

20)

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Vgl. dazu weiter unten Dok. Nr. 22, TOP 5.3, S. 672–674.

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der Redaktionsausschuß in diese Formulierung hineinschmuggeln wollte. Da heißt es nämlich, daß Kriegsgerät nicht hergestellt werden darf, außer mit Genehmigung der Bundesregierung21). Wenn wir hier zum erstenmal hören, daß wir vor einer Frage stehen, die unserer Zuständigkeit entzogen ist, so kommt diese Feststellung meines Erachtens reichlich post festum. Wir haben uns hier in diesem Ausschuß schon mit so vielen Dingen beschäftigt, die unserer Zuständigkeit entzogen sind. Ich erinnere nur an den voraufgehenden Artikel, wo wir Festlegungen getroffen haben, die zu treffen wir im Augenblick wenigstens keineswegs befugt sind. Wenn man auf der einen Seite ankündigt, daß man eine generelle Forderung erheben wird, die das Recht auf Verweigerung des Kriegsdienstes beinhaltet, wie kann man dann auf der anderen Seite an einer Bestimmung vorbeigehen, die die Herstellung von Kriegsmaterial verbietet? Was will man damit? Will man tatsächlich gemäß der derzeitig bei uns betriebenen Außenpolitik einem Teil unserer Industrie noch die Möglichkeit geben, für kommende Auseinandersetzungen fit zu bleiben und Kriegsmaterial herzustellen? Ist das, was hier vorgenommen wird, etwa indirekt eine Bejahung des Marshallplans22)? Ist das indirekt die Bejahung der Ruhrbehörde, also die Aufrechterhaltung des monopolkapitalistischen Charakters unserer deutschen Rüstungsindustrie hier im Westen? Was steckt hinter diesem komischen Antrag? Ich bitte um Aufklärung. Man kann den Antrag nur so verstehen, daß beabsichtigt ist, hier eine Hintertür dafür offen zu lassen, daß unsere westdeutsche Industrie zum Zwecke der Schaffung von Kriegsmaterial für kommende Auseinandersetzungen erhalten bleibt. Nur das kann der Inhalt des Antrages sein. Stock (SPD): Auf die Polemik und die Ausführungen des Herrn Kollegen Renner möchte ich mich nicht einlassen. Ich möchte aber den Antrag stellen, statt des Art. 32 den verbesserten Vorschlag des Redaktionsausschusses, und zwar Art. 29b Abs. 2, zu nehmen, wo es heißt: „Kriegsgerät jeder Art darf außer mit Genehmigung der Bundesregierung weder hergestellt noch befördert noch in Verkehr gebracht werden. Das Nähere wird durch Gesetz bestimmt.“ Ich halte es für notwendig, einen solchen Artikel in das Grundgesetz einzuschalten. Die Begründung, die mein Kollege Dr. Eberhard gegeben hat, reicht mir für diesen Zweck nicht aus. Renner (KPD): Die letzte Äußerung des Herrn Kollegen Stock ist eine Bejahung meines Gedankens. Ich habe auch nicht polemisiert, ich habe mir eine Frage erlaubt. Wenn das als Polemik geklungen haben sollte, so liegt es an dem offensichtlichen Widerspruch in der Haltung der SPD. In der Frage Krieg kündigt man an, daß man sogar eine verfassungsrechtliche Unterbauung der Kriegsdienstverweige-

21)

Hier wird Bezug genommen auf die Produktion von Panzermotoren in den MaybachWerken Friedrichshafen durch die französische Besatzungsmacht. Vgl. dazu auch mit Literatur Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 25, S. 549, mit Anm. 52. 22) Der US-amerikanische Außenminister G. C. Marshall kündigte am 5. Juni 1947 an der Harvard-Universität das nach ihm kurz „Marshall-Plan“ genannte Wiederaufbauprogramm für Europa: European Recovery Program/ERP an. Der Marshall-Plan sollte die durch den Zweiten Weltkrieg in Notleidenschaft geratenen europäischen Staaten in die Lage versetzen, ihre Ökonomie zu rekonstruieren. Die UdSSR schloß aus politischen Gründen sich, die Sowjetische Besatzungszone, die Tschechoslowakei, Polen und Rumänien von einer Teilnahme an dem Wirtschaftprogramm aus und denunzierte den Marshall-Plan als Einmischung in die Souveränität der europäischen Staaten.

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rung verlangen wird. Hier macht man sich jetzt zum Schluß sogar noch die sehr charakteristische Einschränkung zu eigen, die der Redaktionsausschuß vorgenommen hat, daß Waffen mit Genehmigung der Regierung hergestellt werden dürfen. Um noch einmal deutlicher zu werden, auf die Gefahr hin, daß man es als Polemik auslegt: Vor welcher Regierung stehen wir in Frankfurt? Vor einer Regierung absolut reaktionären Charakters, die bereit ist, dich in Kriegsvorbereitungen einzugliedern, die heute in Westeuropa im Gange sind. Wer der Regierung das Recht der Produktion von Waffen konzedieren will, bejaht das Recht, die westdeutsche Industrie in diese Kriegsrüstungs- und [S. 74] Kriegsvorbereitungsmaschine einzugliedern. Das soll man dann aber auch offen, deutlich und ehrlich aussprechen. Dr. von Brentano (CDU): Der Redaktionsausschuß hat, ehe er Ihnen die Änderung vorschlug, gar nicht die bellikosen Gedanken gehabt, die Herr Renner ihm unterstellt. Wir haben sehr real gedacht und haben uns entschieden, diesen Vorschlag zu machen. Wenn wir nämlich diesen Artikel in der ursprünglichen Fassung des Art. 32 hier aufnehmen, wäre es in Deutschland nicht einmal möglich, Revolver herzustellen, um die Polizei zu bewaffnen. Das ist eine ganz nüchterne Feststellung. Wir sagen, daß keinerlei Kriegsgerät außer mit einer ausdrücklichen Genehmigung der Bundesregierung hergestellt werden kann, und wenn wir oben – was unsere allgemeine Absicht ist – in eindeutiger Weise zum Ausdruck bringen, daß wir den Krieg grundsätzlich als Mittel des Austrags internationaler Streitigkeiten ablehnen, kann nur derjenige, der bösen Willens ist, daraus ein Mißverständnis herleiten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der weitestgehende Antrag ist, den ganzen Artikel zu streichen. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit überwiegender Mehrheit gegen 5 Stimmen abgelehnt. Ferner ist der Antrag gestellt, die Fassung des Grundsatzausschusses durch die Fassung des Redaktionsausschusses zu ersetzen. Ehe wir abstimmen, möchte ich darauf hinweisen, daß – außer dem Zusatz „außer mit Genehmigung der Bundesregierung“ – ein Unterschied auch in sachlicher Art insofern besteht, als in der Fassung des Grundsatzausschusses von „zur Kriegführung bestimmten Waffen“ die Rede ist, während in der Fassung des Redaktionsausschusses von „Kriegsgerät jeder Art“ gesprochen wird. Die Fassung des Redaktionsausschusses geht also auch in der Umgrenzung dessen, was verboten ist, sehr viel weiter. Nach den Definitionen, die der Arbeit der Demilitarisierungsbehörden zugrunde liegen, werden unter „Kriegsgerät“ zum Teil Drehbänke und solche Dinge verstanden. (Dr. Eberhard [SPD]: Feldstecher.) Vielleicht sollte man sich vor der Abstimmung darüber klar werden, ob diese Dinge mit einbegriffen sind oder nicht. Dr. von Brentano (CDU): Wenn ich höre, daß eine solche Auslegung möglich ist, möchte ich vorschlagen, den Art. 32 in der Fassung des Grundsatzausschusses mit der Einschränkung „außer mit Genehmigung der Bundesregierung“ zu übernehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann ist der Antrag, den ganzen Artikel zu ersetzen, zurückgezogen. Es soll die Fassung des Grundsatzausschusses zugrunde gelegt werden. Jedoch soll der Zusatz „außer mit Genehmigung der Bundesregierung“ eingeschaltet werden. Ich lasse über diesen Zusatzantrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 16 gegen 2 Stimmen angenommen.

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Über den letzteren Satz: „Das Nähere wird durch Gesetz bestimmt“ brauchen wir nicht besonders abstimmen zu lassen. (Zustimmung.)

[3. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT III: BUND UND LÄNDER] [3.1. ART. 30: AUSÜBUNG DER STAATLICHEN BEFUGNISSE]

Damit ist dieser Abschnitt erledigt. Ich schlage vor, als Vorlage für die Beratung von Abschnitt III Bund und Länder den Entwurf des Redaktionsausschusses (PR. 11.48 – 279)23) zu nehmen, der mir vollständig zu sein scheint und als Arbeitsgrundlage geeignet ist. Es erhebt sich kein Widerspruch. Wir können also so verfahren. Wir kommen zu Art. 30 der Fassung des Redaktionsausschusses, der lautet: Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zuläßt. Dr. Seebohm (DP):24) Sie werden sich erinnern, daß ich vor einigen Tagen einen Ergänzungsvorschlag zu Art. 21 gemacht habe und daß damals angeregt wurde, diesen Ergänzungsvorschlag zurückzustellen, bis wir zu Art. 30 gekommen sind25). Der Art. 30 regelt die zwischenstaatlichen Angelegenheiten zwischen Bund und Ländern. Ich bin der Auffassung, daß an die Spitze des Art. 30 eine klare Definition für diese Regelung gesetzt werden sollte. Ich hatte seinerzeit schon einen Antrag gestellt. Ich möchte den Antrag jetzt etwas anders formulieren und vorschlagen, vor dem Art. 30, also als einen neuen Abs. 1 dieses Art. 30, folgendes einzufügen: „Alle Rechte, die nicht durch das Grundgesetz dem Bund übertragen sind, verbleiben den Ländern.“ Das hat vor allen Dingen den Zweck, die Stellung des Bundes zu den Ländern und ebenso die Stellung der Länder zum Bund klar und eindeutig festzulegen. Dadurch soll insbesondere darauf hingewiesen werden, daß die Kontinuität fortgesetzt ist, die sich daraus ergibt, daß der Bundesstaat stets durch Zusammenschluß der verschiedenen Länder entstanden ist. Kaufmann (CDU): Dieser Antrag Dr. Seebohm wird auch von uns aufgenommen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Soll durch diesen Antrag Art. 30 ersetzt werden? (Dr. Seebohm [DP] und Kaufmann [CDU]: Nein.) 23)

Die Drucks. Nr. 279 vom 16. Nov. 1948 mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zum Abschnitt II und III ist ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 42–51. 24) Der gesamte Beitrag von Seebohm wird im stenograph. Wortprot., S. 27, wie folgt zusammengefaßt: „Ich darf mich hierzu auf meine vorherigen Ausführungen beziehen. Ich habe den Antrag gestellt, zu sagen: ,Alle Rechte, die nicht durch das Grundgesetz dem Bund übertragen sind, verbleiben den Ländern.‘ Das sollte als erster Satz vor den jetzigen Abs. 1.“ 25) Abg. Seebohm hatte in der 4. Sitzung des HptA am 17. Nov. 1948 einen weiteren Abs. zu Art. 21, dem späteren Art. 20, vorgeschlagen. Er sollte lauten: „Die Länder üben kraft ihrer Staatshoheit alle Rechte aus, die nicht durch das Bundesgesetz auf den Bund übertragen sind.“ Vgl. oben Dok. Nr. 4, S. 119.

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– Das soll als erster Absatz hinzugesetzt werden? (Kaufmann [CDU]: Ja.) Die Vorlage lautet: „Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zuläßt.“ Ich habe den Eindruck, daß es dasselbe ist. Ich wäre dankbar, wenn man mir sagen könnte, worin der Unterschied liegt. (Dr. Katz [SPD]: Es ist eine Tautologie.) – Es ist ausgesprochenermaßen doppelt genäht. Dr. Seebohm (DP): Die von mir vorgeschlagene Fassung scheint mir weiter zu gehen. Das eine ist, daß die Rechte den Ländern verbleiben. Das andere ist, daß die Ausübung und Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder ist. Es ist doch ein Unterschied in der Wurzel. – Dann würde ich vorschlagen, den Art. 30 durch meinen Satz zu ersetzen26). Dr. Heuss (FDP): Ich bin der Meinung, wir sollten bei der Fassung des Redaktionsausschusses verbleiben, weil diese Fassung einfach einen Tatbestand gibt, während das andere eine historische Deklaration darstellen soll. Dr. Laforet (CSU): Nein, es ist durchaus keine Deklaration gemeint. Es ist klar ausgesprochen, daß die Rechte, die nicht durch das Grundgesetz dem Bund übertragen sind, den Ländern verbleiben. Dadurch wird nicht nur etwas erklärt, sondern es wird etwas durch Rechtssatz ausgesprochen. So habe ich den Satz verstanden. Dr. Heuss (FDP): Dann sieht das eigentlich so aus, als ob hier ein Raubvorgang unter den Rechten der Länder geplant sei, den der Bund vollzieht, während hier einfach der Tatbestand der Aufgliederung gegeben ist. Dr. Laforet (CSU): Nein. Es ist aber auf die Geschichte hingewiesen. Wir sind der Meinung, daß der jetzige Staat die gleiche Rechtspersönlichkeit ist wie der Staat der Weimarer Zeit, und dieser ist die gleiche Rechtspersönlichkeit wie der Staat, der durch die Novemberverträge von 187027) geschaffen worden ist. Damals waren Staatsgründer die einzelnen Staaten. Sie haben bei der Gründung des Deutschen Reiches auf einen Teil ihrer Staatshoheit zugunsten des Bundesstaates verzichtet. Soweit nicht ein Verzicht eingetreten ist, ist die Staatlichkeit bei den Ländern verblieben. Das will ausgesprochen werden. Es kann darüber geredet werden, ob der Satz des Redaktionsausschusses, daß die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgabe Sache der Länder ist, soweit dieses Grundgesetz keine andere [S. 75] Regelung trifft oder zuläßt, nicht schon in dem ersten Satz 26) 27)

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Im stenograph. Wortprot., S. 27, folgt danach: „(Dr. Katz [SPD]: Das ist etwas anderes.)“ Im Nov. 1870 wurden Staatsverträge über den Beitritt der süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg, Baden und Hessen zum Norddeutschen Bund abgeschlossen, damit erweiterte sich der Norddeutsche Bund mit Hilfe der süddeutschen Staaten zum Deutschen Reich. Die Novemberverträge bestehen 1. aus dem Bundesvertrag zwischen dem Norddeutschen Bund und Baden und Hessen zur Gründung des Deutschen Bundes und Annahme der Bundesverfassung vom 15. Nov. 1870 (BGBl. 1870, S. 650) sowie 2. den Bundesverträgen betreffend der Beitritte Bayerns und Württembergs zu dieser Verfassung des Deutschen Bundes vom 23. bzw. 25. Nov. 1870 (BGBl. 1871, S. 9 sowie 1870, S. 654). Vgl. Ernst Rudolf Huber (Hrsg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851–1900, 3. neubearb. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1986, Dok. Nr. 219-224, S. 326 ff. Vgl. auch: Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 46, S. 118 f., Anm. 56.

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enthalten ist. Jedenfalls scheint mir im Hinblick auf die Rechtsentwicklung der Antrag Dr. Seebohm der bessere zu sein. Er wird der Gestaltung in der Verteilung der Hoheitsrechte zwischen Bund und Gliedstaaten am besten gerecht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie wollen also sagen, die Novemberverträge von 1870 seien nicht nur die Rechtsgrundlage, sondern die eigentliche Existenzgrundlage des staatlichen Gebildes, das wir jetzt organisieren, schlechthin? Dr. Laforet (CSU): Nein, sie sind die Rechtsgrundlage des Staates, der die gleiche Rechtspersönlichkeit in der Bismarckschen Zeit, in der Weimarer Zeit und heute geblieben ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nun kann ich mir nicht gut vorstellen, daß dadurch etwa die Rechtsnatur von Gebilden mit bestimmt sein könnte, die erst vor drei Jahren geschaffen worden sind, wie Rheinland-Pfalz oder Württemberg-Hohenzollern oder Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein. Ich glaube wirklich, daß man so nicht argumentieren kann und auch nicht argumentieren sollte. Es hat ja in der Zwischenzeit in Europa und in Deutschland eine Geschichte gegeben. Dr. Laforet (CSU): All diese inzwischen eingetretenen Änderungen in dem Rechtsgebilde des Staates wollen natürlich beachtet und zugrunde gelegt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können doch aber diese Dinge nicht auf 1870 gründen, wenn sie erst 1945 ins Leben getreten sind! (Dr. Laforet [CSU]: Aber für die nicht davon betroffenen Länder!) Dann haben wir doppeltes Recht. Dann schaffen wir eine bayerische Staatlichkeit, der gegenüber etwa die Ländereigenschaft von Nordrhein-Westfalen eine Staatlichkeit geringeren Grades wäre. Das scheint mir auch nicht gut möglich zu sein. Dr. Laforet (CSU): Dann können Sie sich damit helfen, daß Sie die beiden Sätze aufnehmen. Entweder fällt dann ein Tatbestand unter Abs. 1 oder unter Abs. 2 in der Fassung des Redaktionsausschusses. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich stelle fest, Sie sind also der Meinung, daß es unter den Ländern graduelle Differenzierungen gibt, und zwar Differenzierungen nicht bloß der historischen Würde, sondern auch der rechtlichen Würde. Dann ist NordrheinWestfalen insoweit geringer zu stellen als etwa Bayern. Bayern wäre das einzige Land wirklicher staatlicher Würde, das es noch gäbe; denn alle anderen Länder in Deutschland sind nicht älter als drei Jahre. (Dr. Seebohm [DP]: Hamburg und Bremen!) Kaufmann (CDU): Ich bin bedauerlicherweise kein Staatsrechtler und will mich auf diese Auseinandersetzung nicht einlassen, insbesondere nicht auf die Frage, ob der zweite Teil des jetzigen Art. 30 nach dem ersten vorgeschlagenen Teil noch notwendig ist. Ich habe fast das Gefühl, als ob er nicht notwendig ist. Aber wir haben doch alle in diesem Grundgesetz versucht, die Rechte, die der Bund hat, und die sich daraus ergebenden Pflichten klar zu umreißen, und sind darin einig, daß alle übrigen Aufgaben den Ländern obliegen und von diesen wahrgenommen werden müssen. Es wäre höchstens möglich, daß zu irgendeinem Zeitpunkt durch ein verfassungsänderndes Gesetz, dem die Ländervertretung dann zustimmen müßte, eine Aufgabe, die bisher bei den Ländern bleibt, vom Bund noch übernommen wird. Aber das ist eine spätere Frage. Ich glaube deshalb, wir sollten uns damit begnügen, den ersten Satz, wie er in dem Antrag Dr. Seebohm vorgeschlagen ist, als

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Formulierung zu nehmen und den zweiten Satz zu streichen. Die Herren Staatsrechtler mögen sich dann vielleicht im eigenen Kreis darüber unterhalten, ob die Erfüllung der staatlichen Aufgaben und ähnliche Dinge noch formuliert werden müssen. Ich schlage vor, daß Art. 30, wie er nach der Fassung des Redaktionsausschusses lautet, durch die Formulierung ersetzt wird: Alle Rechte, die nicht durch das Grundgesetz dem Bund übertragen sind, verbleiben den Ländern. Stock (SPD): Ich beantrage Schluß der Debatte. In dieser Angelegenheit können wir hier kein staatsrechtliches Kolleg halten; sonst kommen wir mit unserer Arbeit nicht vorwärts. Vors. Dr. Schmid (SPD): Gelegentlich lohnt es doch, die Dinge, die man beschließt, vorher klar zu durchdenken und sich auch die Formulierung zu überlegen. Das Handwerkszeug der Juristen dient hier gelegentlich auch der Solidität der Arbeit der Politiker. Dr. Seebohm (DP): Ich wollte nur darauf hinweisen, daß auch in den sogenannten neuen Ländern der Kern einer alten Tradition und eines alten Staatsbewußtseins vorhanden ist. Es haben sich oft nur die Formen verändert, und der Veränderung der Form wird dadurch Rechnung getragen, daß hier keine Aufzählung der Länder erfolgt, sondern nur schlechthin von Ländern gesprochen wird. Damit ist die Differenzierung wohl gar nicht notwendig. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich wollte nur auf die Begründung mit den Novemberverträgen von 1870 eingehen. Ich weiß nicht, ob jemand in diesem Raum diese Verträge etwa wegen Betruges oder Erpressung anfechten möchte. Es ist, glaube ich, schon geschehen. Darüber sollen wir uns aber nicht unterhalten. Es ist der Antrag gestellt, in Art. 30 die Fassung des Redaktionsausschusses durch den Antrag Kaufmann Dr. Seebohm zu ersetzen: „Alle Rechte, die nicht durch das Grundgesetz dem Bund übertragen sind, verbleiben den Ländern.“ Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 12 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Dann ist der Antrag gestellt, nicht den Art. 30 zu ersetzen, sondern den Satz, der als Abänderungsantrag gestellt war, als Abs. 1 hinzuzufügen. Ich lasse über diesen Zusatzantrag abstimmen. Der Antrag ist mit 15 gegen 7 Stimmen abgelehnt. Damit ist Art. 30 in der Fassung des Redaktionsausschusses angenommen.

[3.2. ART. 31: BUNDESRECHT/LANDESRECHT]

Art. 31 Bundesrecht bricht Landesrecht. Dr. Laforet (CSU): Der Satz „Bundesrecht geht vor Landesrecht“ ist, richtig verstanden, ohne jedes Bedenken. Es ist kein Zweifel, daß damit gesagt werden will: Alles entgegenstehende Landesrecht ist aufgehoben. Nun tritt die Frage auf, die für die Verfassung einer großen Zahl der Länder von größter Bedeutung ist: Wird das gleichlautende Landesrecht durch Bundesrecht ersetzt? Man hat diesen Standpunkt vertreten. Ich halte ihn für unrichtig. Er würde die Wirkung haben, daß all die Bestimmungen der Länderverfassungen über die Grundrechte mit einem Schlag gegenstandslos werden würden, soweit die Landesverfassung den gleichen

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Gegenstand in gleichem Sinne, mit gleichem Inhalt und in gleichem Umfang von sich aus vor dem Grundgesetz so beschlossen hat. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Landesverfassung in den Grundrechten weiter gehen kann. Auch das wird man annehmen müssen. Es tritt die weitere Schwierigkeit ein, daß diese Grundrechte unter den verfassungsmäßigen Schutz der Verfassungsgerichtshöfe der Länder gestellt sind, also eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs davon abhängig ist, daß diese Länderbestimmungen noch Gültigkeit haben. Alle Schwierigkeiten werden beseitigt, wenn Art. 31 so gefaßt wird: Bundesrecht bricht entgegenstehendes Landesrecht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich halte diese Ausführungen für richtig. Nur bin ich der Meinung, daß der Grundrechtskatalog dieses Grundgesetzes einen [S. 76] Mindeststandard darstellt und daß überall, wo in einem Land etwa noch Rechte darüber hinaus gewährt werden, diese Rechte nicht aufgehoben werden. Weiter bin ich der Meinung, daß man nicht sagen kann, der Grundrechtskatalog des Grundgesetzes decke die Grundrechtskataloge der Länderverfassungen, sondern was gedeckt wird, sind die einzelnen Grundrechte. (Dr. Laforet [CSU]: Einverstanden!) Und wenn etwa die Länderkataloge über die Individualgrundrechte hinaus die sogenannten Lebensgebiete ordnen, so ist damit den Bewohnern der einzelnen Länder ein zusätzlicher Rechtsschutz gegeben, der nicht durch den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes aufgehoben wird, das aus ganz bestimmten, überlegten Gründen diese Materien, vorläufig wenigstens, ausgeschieden wissen will. Also ich glaube kaum, daß wir den Satz brauchen. Ich hätte nichts dagegen, einzufügen: entgegenstehendes Landesrecht. Ich halte es aber für einen Pleonasmus. (Dr. Laforet [CSU]: Anschütz!28)) – Der große Anschütz in allen Ehren, er ist aber noch kein Kirchenvater des Staatsrechts! Dr. Laforet (CSU): Es macht ja keine Schwierigkeiten, das ausdrücklich zu sagen, was auch der Herr Vorsitzende meint: Das Gleichlautende bleibt aufrechterhalten; das, was zum Schutz der Persönlichkeit darüber hinausgeht, bleibt in den Verfassungen unberührt. Anderenfalls tritt mit der Annahme des Bundesrechts all dieses Länderrecht außer Wirksamkeit. Das ist die Konsequenz, und die können Sie durch das Wort „entgegenstehendes“ abbiegen. Kaufmann (CDU): Wir meinen offensichtlich dasselbe. Darf ich den Vermittlungsvorschlag machen, protokollarisch festzulegen: wir sind gemeinsam der Meinung, daß es sich um entgegengesetztes Landesrecht handelt. Damit ist die Sache erledigt und auch für künftige Nachfolger von Anschütz29), glaube ich, klar. Dr. Katz (SPD): Ich glaube, wir begeben uns auf ein Feld, das zukünftigen Doktordissertationen vorbehalten werden muß. Wir können die Frage nicht erschöpfend 28)

Über den deutschen Staatsrechtler Gerhard Anschütz vgl. oben Dok. Nr. 3, S. 94, Anm. 38. Anschütz: Verfassung, S. 101–109, vertrat die Auffassung, daß Reichsrecht Landesrecht ohne Unterschied der Form und des Inhalts aufhebe; Landesgesetze, die mit einem Reichsgesetz inhaltlich übereinstimmten, verfielen der Aufhebung genauso wie solche, die einem Reichsgesetz widersprächen. 29) Gemeint sind zukünftige Kommentatoren des Grundgesetzes.

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behandeln. Ich persönlich ziehe die Fassung „Bundesrecht bricht Landesrecht“, wie sie in der Weimarer Verfassung gestanden hat30), vor und möchte den Arbeiten der zukünftigen Doktoranden nicht dadurch vorgreifen, daß wir das Wort „entgegengesetztes“ hineinnehmen. Dr. Laforet (CSU): Es dreht sich nicht um die künftigen Dissertationen, sondern darum, daß am nächsten Tage nach dem Wirksamwerden des Grundgesetzes einer der Verfassungsgerichtshöfe der Länder zu der Frage Stellung nehmen muß. Ich bin damit einverstanden, wenn ausdrücklich im Bericht unseres Referenten an das Plenum klargestellt wird, daß dieser Satz „Bundesrecht bricht Landesrecht“ sich nur darauf bezieht, daß entgegenstehendes Landesrecht ausgeschlossen ist. Dr. von Brentano (CDU): Wir sollten uns dem Vorschlag des Kollegen Kaufmann anschließen. Was wir wollen, darüber sind wir uns alle klar. Ich verstehe nicht ganz, daß man das Wort „entgegenstehendes“ einführen muß; denn in dem Wort „bricht“ ist doch der Gedanke enthalten, daß es entgegenstehen muß; sonst kann es nicht gebrochen, sondern nur gebogen werden. Wenn wir uns auf den Vorschlag Kaufmann einigen und als authentische Interpretation in das Protokoll aufnehmen, daß wir hier entgegenstehendes Landesrecht meinen, dann können wir bei der Formulierung bleiben. Renner (KPD): Ein Mangel, den wir in den Grundrechten sehen, ist das Fehlen der Verankerung der sogenannten sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte. Es gibt in einigen süddeutschen Verfassungen bereits soziale und wirtschaftliche Grundrechte, zum Beispiel das Betriebsrätegesetz, das Mitbestimmungsrecht in Betrieben. Wenn es heißt: „Bundesrecht bricht Landesrecht“ und wenn in einem Bundesgesetz eine derartige Bestimmung fehlt, kann die Gefahr entstehen, daß bedeutende soziale Grundrechte in den einzelnen Ländern aufgehoben werden. Darum bin ich der Meinung, daß man diesen Zusatz tatsächlich machen soll. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der vom Kollegen Laforet fallengelassene Antrag wird vom Kollegen Renner aufgenommen, zu sagen: „Bundesrecht bricht entgegenstehendes Landesrecht.“ Ich lasse darüber abstimmen. – Der Antrag ist gegen die Stimme des Antragstellers abgelehnt. Der vom Kollegen Dr. Laforet gewünschte Protokollvermerk ist gemacht. Der Referent wird zweifellos nicht verfehlen, dies im Plenum vorzutragen.

[3.3. ART. 32: VORRANGGESETZGEBUNG]

Art. 32 Die Zuständigkeit von Bund und Ländern zur Gesetzgebung wird durch die Vorschriften über die ausschließliche Gesetzgebung und über die Vorranggesetzgebung geregelt. Die Gesetzgebung steht den Ländern zu, soweit sie nicht dem Bund zugesprochen ist. 30)

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Vgl. Art. 13 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Reichsrecht bricht Landrecht. Bestehen Zweifel oder Meinungsverschiedenheiten darüber, ob eine landesrechtliche Vorschrift mit dem Reichsrecht vereinbar ist, so kann die zuständige Reichs- oder Landeszentralbehörde nach näherer Vorschrift eines Reichsgesetzes die Entscheidung eines obersten Gerichtshofs des Reichs anrufen.“ RGBl. S. 1386.

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Dr. Katz (SPD): Der Redaktionsausschuß sagt: „Satz 2 dürfte nicht unbedingt erforderlich sein im Hinblick auf Art. 30, Streichung wird vorgeschlagen. Ich schließe mich diesem Antrag an. Ich halte es im Hinblick auf Art. 30 für überflüssig, zu sagen: „Die Gesetzgebung steht den Ländern zu, soweit sie nicht dem Bund zugesprochen ist.“ Dr. Laforet (CSU): Dann wird wieder eine ganz unnötige Streitfrage aufgerollt, ob der außer jedem Zweifel stehende zweite Satz des Art. 32 schon in Art. 30 enthalten ist. Es soll unbedingt das Ziel verfolgt werden, daß auch derjenige, der nicht Jurist ist, aus dem Wortlaut des Grundgesetzes sich ein Bild verschaffen kann, wie die Rechtslage ist. Es wird in dem zweiten Satz etwas sehr Bedeutsames ausgesprochen, das auch ein Teil der klaren Regelung ist, die sich aus Art. 30 ergibt, und den Umweg der juristischen Auslegung unnötig macht. Ich bitte deshalb, es bei Art. 32 in der Fassung des Redaktionsausschusses zu belassen. Dr. Seebohm (DP): Mein Antrag zu Art. 30 ist vorhin abgelehnt worden31). Es ist dabei ausdrücklich festgelegt worden, daß nach Auffassung der Mehrheit des Ausschusses die Voraussetzungen, die zu meinem Antrag bestehen, in der jetzigen Formulierung des Art. 30 schon ausgesprochen werden. Ich bin der Ansicht, durch die Tatsache, daß Art. 30 nicht meinem Antrag entsprechend ergänzt wurde, ist es nun unbedingt erforderlich, daß der zweite Satz in Art. 32 stehenbleibt, um hier wirkliche Klarheit zu schaffen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag abstimmen, den zweiten Satz von Art. 32 zu streichen. – Die Streichung ist mit 10 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Art. 32 ist damit in der Fassung des Redaktionsausschusses angenommen.

[3.4. ART. 33: AUSSCHLIESSLICHE GESETZGEBUNG DES BUNDES]

Art. 33 Im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes haben die Länder nur dann die Befugnis zur Gesetzgebung, wenn sie hierzu in einem Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt werden (oder wenn ihre Gesetze lediglich den Vollzug von Bundesgesetzen zum Gegenstand haben). Dr. von Brentano (CDU): Wir waren im Redaktionsausschuß der Meinung, daß durch den Erlaß von Gesetzen, die zum Vollzug von Bundesgesetzen dienen, eine Rechtsungleichheit entstehen könnte. Auf der anderen Seite waren wir uns darüber klar, wenn wir diese Formulierung nicht aufnehmen, muß der Bundesgesetzgeber in jedem Einzelfall Bestimmungen darüber treffen, ob und gegebenenfalls von wem Verordnungen zum Vollzug von Bundesgesetzen erlassen werden können. Deswegen empfiehlt es sich wohl doch, den zweiten Halbsatz stehenzulassen und es dem Bundesgesetzgeber von Fall zu Fall vorzubehalten, [S. 77] darüber zu entscheiden, ob er solche Vollzugsgesetze ausschließt. Es gibt eine Reihe von reichsgesetzlichen Materien – ich erinnere an die freiwillige Gerichtsbarkeit –, wo 31)

Seebohm hatte vorgeschlagen, als neuen Abs. 1 des Art. 30 den Satz einzufügen: „Alle Rechte, die nicht durch das Grundgesetz dem Bund übertragen sind, verbleiben den Ländern.“ Vgl. oben S. 183.

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sich Vollzugsgesetze auf dem Gebiete des Landesrechts durchaus empfehlen und sich auch als zweckmäßig erwiesen haben. Dr. Menzel (SPD): Mir ist die Notwendigkeit des Art. 33 nicht ganz klar. Wenn wir in einem Katalog dem Bund bestimmte Gebiete zur ausschließlichen Zuständigkeit überweisen, liegt doch darin ohne weiteres die Ermächtigung, daß der Bundestag in jedem Fall entweder die Ausführung selbst übernimmt oder sie delegiert. Dazu brauchen wir nicht eine besondere Bestimmung in der Verfassung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube nicht, daß das richtig ist. Wenn im Grundgesetz gesagt ist, die und die Materie steht in der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes, kann dieses Recht nicht durch einfaches Gesetz auf die Länder delegiert werden, falls nicht eine verfassungsmäßige Grundlage für diese Delegation geschaffen ist. (Dr. Menzel [SPD]: In Weimar haben wir es auch getan!) Dr. Laforet (CSU): Es ist auch wieder nichts als die Entscheidung einer Streitfrage. Wir wollen den Fall nehmen, wie er sich abspielt. Es besteht ausschließliche Zuständigkeit des Bundes. Es wird aber im Bundesgesetz den Ländern die Ermächtigung erteilt, im Rahmen des Bundesgesetzes besondere Vorschriften in Rücksicht auf ihre besonderen Verhältnisse zu geben. Was hier ausgesprochen werden will, ist bereits von dem Herrn Vorsitzenden gesagt: die Möglichkeit der Delegation. Um diese Frage außer Zweifel zu stellen, ist der zweite Halbsatz beigefügt. Er ist die Abschneidung von meiner Ansicht nach unberechtigten, aber vielleicht doch möglichen Streitfragen. Wir müssen weiter in Betracht ziehen, daß es sich auch um das frühere Recht handelt, soweit etwa auf Grund einer ausschließlichen Zuständigkeit irgendwelche Materien im Vollzug von Bundesgesetzen vom Länderrecht geregelt sind. Zur Klarstellung müßte es bei dem Satz bleiben. Dr. Menzel (SPD): Wir sind uns demnach einig, daß es sich hier im wesentlichen nur um eine authentische Interpretation handelt. (Dr. Laforet [CSU]: Nein, es ist mehr!) Denn die Befugnis des Bundesgesetzgebers, etwas ausschließlich zu regeln, umfaßt meines Erachtens selbstverständlich das Recht, in diesem oder jenem Gesetz zu sagen: Ich übertrage in Ausführung meiner ausschließlichen Kompetenz die Durchführung diesem oder jenem Lande oder überhaupt den Ländern. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte widersprechen. Die Verfassung bestimmt, wer bestimmte Gesetze erlassen darf. Damit verlangt sie auch, daß er sie erläßt; nur er und nicht ein anderer. Wenn man das nicht will, wenn man die Möglichkeit geben will, daß der mit dem Recht Bedachte das weitergeben kann, womit er bedacht ist, dann muß die Verfassung das sagen. Ich halte es für juristisch notwendig. Wird der Antrag gestellt, den eingeklammerten Halbsatz „oder wenn ihre Gesetze usw.“ zu streichen? (Dr. von Brentano [CDU]: Nein!) Dr. Menzel (SPD): Nein. Eine Anregung zur redaktionellen Fassung: Könnte man nicht diesen Art. 33 einfach bei Art. 35 zum Schluß in der Form bringen, daß der Bund das Recht hat, die Länder zu ermächtigen? Vors. Dr. Schmid (SPD): Wollen wir das nicht für die zweite Lesung lassen? Dr. von Brentano (CDU): Ich werde es vormerken. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann brauchen wir lediglich die beiden Klammern im

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Text zu streichen. Ich lasse über den Art. 33 in der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Der Artikel ist so angenommen.

[3.5. ART. 34: GESETZGEBUNGSRECHT DER LÄNDER]

Art. 34 Im Bereich der Vorranggesetzgebung des Bundes behalten die Länder das Recht der Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat. Der Bund soll nur regeln, was einheitlich geregelt werden muß. Dr. Laforet (CSU): Einmal müssen sich die Herren doch entschließen, welche Bezeichnung sie wählen wollen. Ich habe gegen die vom Redaktionsausschuß gewählte Bezeichnung „Vorranggesetzgebung“ keine Erinnerung. Von einem anderen Ausschuß wird gewünscht zu sagen: „die Gesetzgebung des Bundes im Vorrang“. Wir müssen uns nur immer an eine Sprachweise halten. Kaufmann (CDU): Mir ist der Begriff „Vorranggesetzgebung“ geläufig. Weil aber auch andere die Verfassung lesen, bitte ich, doch zu formulieren: „im Bereich der Gesetzgebung, bei welcher der Bund den Vorrang hat.“ Dr. Menzel (SPD): Ich rege an, das mit Art. 36 zu verbinden. Ich halte es für eine Verbesserung im Text. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über die von Herrn Kaufmann beantragte Änderung abstimmen. – Der Abänderungsantrag ist einstimmig angenommen. Nunmehr lasse ich über den Art. 34 in der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Der Artikel ist einstimmig angenommen.

[3.6. ART. 35: AUSSCHLIESSLICHE GESETZGEBUNG DES BUNDES]

Ich rufe auf Art. 35. Da haben wir eine Vorlage des Redaktionsausschusses (PR. 11.48 – 279), die 14 Ziffern hat, und die soeben vorgelegte neue Fassung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung (PR. 11.48 – 290), die 11 Ziffern hat. Dr. Katz (SPD): Da der Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung eine neue Formulierung vorgelegt hat, empfehle ich, diese der Beratung zugrunde zu legen. Dr. Seebohm (DP): Der neu formulierte Vorschlag enthält einige Änderungen nicht, die gestern im Zuständigkeitsausschuß beraten worden sind. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können diese im Wege von Anträgen zur Kenntnis nehmen. Wollen wir nicht um der Einheitlichkeit willen die Vorlage des Redaktionsausschusses zugrunde legen und das zum Vergleich heranziehen, was in dem soeben übergebenen Blatt steht, bzw. es zu Anträgen verwerten? Es handelt sich im wesentlichen um Ergänzungen und Formulierungsfragen. Dr. Laforet (CSU): Nein. Der Redaktionsausschuß hat Gebiete, die vom Grundgesetz an anderer Stelle geregelt sind, hier mit aufgenommen. Es handelt sich um die Ziffern 2 und 3. Weiter kommt die vorher beschlossene Regelung in Betracht, daß Ausnahmen von dem Verbot, Kriegsgerät herzustellen, zu befördern und in den Verkehr zu bringen, von der Bundesregierung genehmigt werden können. Es fragt

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sich – es ist eine rein redaktionelle Erwägung –, ob nicht zur Verminderung des Umfangs dieses Ausschließlichkeitskatalogs diese Fragen an ihrem jetzigen Platz belassen werden sollen, so daß die Ziffern 2, 3 und 12, die an anderer Stelle geregelt sind, entfallen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, es ist einfacher, wir streichen aus der größeren Vorlage mit 14 Ziffern einzelne Ziffern, als daß wir je nachdem, wie die Abstimmung ausgeht, genötigt sind, in die Vorlage mit 11 Ziffern einige Sätze hineinzuschreiben. – Dann nehmen wir die Vorlage des Redaktionsausschusses. [S. 78] Art. 35 Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über: 1. die auswärtigen Angelegenheiten einschließlich der Sicherung des Bundes; Das weicht etwas von der Vorlage des Zuständigkeitsausschusses ab, wo es heißt: „1. die auswärtigen Angelegenheiten;“ Dr. Katz (SPD): Ich stelle den Antrag, die Fassung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung anzunehmen. „Sicherung des Bundes“ ist ein sehr unklarer Begriff. Ich nehme an, daß aus diesen Gründen die Streichung erfolgt ist. Deshalb würde ich es bei den auswärtigen Angelegenheiten belassen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag auf Streichung der Worte „einschließlich der Sicherung des Bundes“ abstimmen. – Die Streichung ist mit 13 gegen 5 Stimmen beschlossen. Die Ziffer 1 ist in dieser Fassung angenommen. Ziffer 2 die Neugliederung des Bundesgebietes, die Änderung des Gebietsbestandes der Länder und das Verfahren hierüber; Dr. von Brentano (CDU): Wir haben uns mit dem, was vorhin der Kollege Laforet gesagt hat, im Redaktionsausschuß beschäftigt. Man kann selbstverständlich der Auffassung sein, daß, wenn an anderer Stelle die Zuständigkeit des Bundes begründet ist, es nicht mehr wiederholt werden muß. Man kann auch – und das war unsere Meinung – der Übersichtlichkeit und der Vollständigkeit halber, um eine vollständige Enumeration bei der Ausschließlichkeit der Gesetzgebung herbeizuführen, sagen, wir wollen in diesem Artikel sämtliche Fälle aufnehmen, in denen die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes an anderer Stelle irgendwo begründet ist. Es ist eine reine Frage der Zweckmäßigkeit, weil am Materiellen dadurch nichts geändert wird. Dr. Laforet (CSU): Es ist nicht so ganz klar. In Frage steht, ob nicht die Länder durch Vereinbarung auch etwas ändern können. Die Bestimmungen, wie sie in den Artikeln 25 und 26 gegeben sind, regeln bestimmte Fragen, schließen aber Vereinbarungen der Länder nicht aus. Wird das in Ziffer 2 und 3 aufgenommen, so ist zumindest ein Zweifel möglich, und es tritt eine Sperre ein; oder es kann wenigstens behauptet werden, daß eine Sperre eintritt. Es sind Zweckmäßigkeitserwägungen, das hier aufzunehmen. Aber es besteht gar kein dringender Anlaß. Wieder zur Beseitigung von Zweifeln empfehle ich die Streichung der Ziffer 2. Der Gegenstand ist abschließend an anderer Stelle geregelt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich bitte, diese Ziffer nicht zu streichen. Ich glaube, daß wir einen Artikel, der vielleicht die Überschrift bekommen wird: „Ausschließliche

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Gesetzgebung des Bundes“, so fassen sollten, daß alles, was zur ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes gehört, in diesem Artikel steht, damit nicht nachher sich der eine oder andere von uns sein Brot damit verdienen muß, Aufsätze darüber zu schreiben, ob der Umstand, daß die Neugliederung des Bundesgebietes nicht hier steht, sondern in einzelnen Artikeln abgehandelt wird, eine juristische Bedeutung hat oder nicht. Wir kennen alle das argumentum e contrario, wenn die Regelung „an sich“ hier stehen müßte, aber faktisch woanders steht, dann ergibt sich daraus eine bestimmte Rechtsfolge usw. Das sollten wir doch abschneiden. Dr. Laforet (CSU): Man könnte den Schluß ziehen, daß dadurch, daß die Neugliederung des Bundesgebiets ausschließliche Zuständigkeit des Bundes ist, Vereinbarungen der Länder auf diesem Gebiet ausgeschlossen sind; und das liegt doch ganz gewiß nicht vor. Kaufmann (CDU): Ich wollte dasselbe sagen. Ich kann mir vorstellen, daß ein oder zwei Länder sich über die Verteilung eines bestimmten Quellgebietes, in dem Wasser in einer bestimmten Richtung läuft, unterhalten und da einen gewissen Gebietsaustausch vornehmen, um die Dinge richtig zu regeln. Das wollen wir doch nicht verhindern. Ich sehe also nicht ein, wozu wir das noch in den Katalog über die ausschließliche Gesetzgebung hineinnehmen, nachdem die Sache im Grundgesetz an anderer Stelle geregelt ist. Ich bin auch für Streichung der Ziffer 2. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich stelle diesen Antrag zur Abstimmung. – Der Antrag auf Streichung ist mit 9 gegen 8 Stimmen angenommen. Dann kommt Ziffer 3 Abtretung und Austausch von Teilen deutschen Staatsgebietes; (Zuruf: Hier gilt dasselbe!) Dann muß es hier auch gestrichen werden, wenn man wirklich nichts juristisch Bedeutsames zum Ausdruck bringen, sondern nur ein Superfluum verhindern will. Sonst kommt wirklich noch ein Jurist und sagt, es stecke ein juristischer Gedanke dahinter! Ich lasse über die Streichung abstimmen. – Die Ziffer ist gestrichen. Dann kommt Ziffer 4 die Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes und der bundesunmittelbaren Selbstverwaltung stehenden Personen; Dr. Laforet (CSU): Es tritt hier zum ersten Mal ein neuer Begriff auf, die bundesunmittelbare Selbstverwaltung. Ich empfehle, das Wort hier hineinzunehmen. Es wird später näher erläutert werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, wir machen uns einigermaßen eine Vorstellung darüber, was unter „bundesunmittelbarer Selbstverwaltung“ verstanden wird. Ich lasse über die Ziffer 4 abstimmen. – Die Ziffer ist einstimmig angenommen. Das wird also Ziffer 2. Ziffer 5 die Staatsangehörigkeit im Bund und in den Ländern; Dr. Laforet (CSU): Ich halte es für selbstverständlich – das habe ich im Zuständigkeitsausschuß ausgeführt, ich möchte es aber aus ganz bestimmten Gründen auch hier im Hauptausschuß betonen –, daß auch über die Staatsangehörigkeit in den

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Ländern der Bund entscheidet. Es wäre meiner Ansicht nach untragbar, von einer besonderen Staatsangehörigkeit in den einzelnen Gliedstaaten zu sprechen, die nicht in ihren Voraussetzungen ausschließlich vom Bund bestimmt wird. Dr. Seebohm (DP): Ich schließe mich den Ausführungen von Herrn Laforet an, bitte aber zu erwägen, ob man nicht diese Ziffer hinter die Ziffer 1 stellen sollte. Es scheint mir richtiger zu sein, diese Bestimmung vor die Bestimmung betreffend die Beamten zu bringen. Wir haben es im Zuständigkeitsausschuß auch so gehandhabt, daß diese Vorschrift als Ziffer 2 direkt den auswärtigen Angelegenheiten folgte. Das scheint mir logisch zu sein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wollen wir diese Dinge nicht der Redaktion überlassen? An sich kommt in der Reihenfolge kein juristischer Charakter zum Ausdruck. Wir können es machen, wie wir wollen. Dr. Seebohm (DP): Ich wundere mich nur, daß der Redaktionsausschuß das geändert hat. Ich dachte, es läge für ihn ein tieferer Grund dafür vor. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über die Ziffer 5 abstimmen. – Die Ziffer ist angenommen. Es ist jetzt Ziffer 3. Ziffer 6 die Freizügigkeit, das Paßwesen, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung; Allgemeines Einverständnis. [S. 79] Renner (KPD): Ich bin der Meinung, daß hier die Fremdengesetzgebung eingesetzt werden müßte. Ich beteilige mich an einer Abstimmung über diesen Artikel und den anschließenden Art. 36 nicht, weil ich der Auffassung bin, daß eine Reihe von Gebieten, bei denen der Bund nur den Vorrang haben soll, zur ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes gehören. Ich behalte mir für die zweite Lesung eine schriftliche Formulierung vor. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das wären Anträge, die Sie bei Art. 36 zu stellen hätten. Renner (KPD): Da ich es nicht bei jedem Punkt wiederholen möchte, sage ich es generell und bitte, es ins Protokoll aufzunehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie stellen also den Antrag, als Zusatz zu Ziffer 6 das Wort „Fremdengesetzgebung“ zu nehmen. (Dr. Menzel [SPD]: Sie meinen doch Ziffer 5?) Renner (KPD): Das kann man den Ländern nicht überlassen; sonst kommt ein toller Wirrwarr heraus. Wenn man es den Ländern überläßt, die Fremdengesetzgebung zu regeln, und hier nicht die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes festlegt, dann möchte ich auf die Praxis hinweisen, die es heute schon gibt. Ich sage nur das Wort Bayern. Ich bin der Meinung, daß der Fremde in ganz Deutschland nach einheitlichen Gesetzen behandelt werden muß und man es nicht dem Land einräumen darf, hier abzuweichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte dazu ausführen, daß der Bund, wenn er es für nötig hält, da er die Vorrangesetzgebung hat, die Materie regeln kann. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er die Materie rasch geregelt haben wird. Bis es geschehen ist, könnte man daran denken, es die Länder machen zu lassen. Renner (KPD): Ich möchte eben verhüten, daß die Länderpraxis weiter wüten kann. Sonst kommen wir dahin, daß der Bewohner von Nordrhein-Westfalen in

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Bayern als Landesfremder angesprochen wird. Dort ist er heute schon de facto Ausländer. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag Renner abstimmen, das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer in die ausschließliche Gesetzgebung aufzunehmen. – Der Antrag ist mit 8 gegen 4 Stimmen abgelehnt. Damit ist Ziffer 6, jetzt 4, angenommen. Ziffer 7 das Währungs-, Geld- und Münzwesen, Maße und Gewichte und die Zeitbestimmung; Ich lasse abstimmen. – Ziffer 7, jetzt 5, ist angenommen. Ziffer 8 die Einheit des Zoll- und Handelsgebietes, die Handels- und Schiffahrtsverträge und die Freizügigkeit des Warenverkehrs; Dr. Laforet (CSU): Es ist leider auch in der neuen Zusammenstellung der Fassung des Zuständigkeitsausschusses nicht beachtet, daß die Anregung aus dem Kreise der Mitglieder des Ausschusses dessen Zustimmung gefunden hat, zu sagen: „.. . die Freizügigkeit des Warenverkehrs und den Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Ausland“. Es sind Gründe vorgebracht worden, dies besonders zu betonen. An der sachlichen ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes im Devisenrecht kann doch wohl nicht gezweifelt werden. Es ist wohl zweckmäßig, das ausdrücklich klarzustellen. Kaufmann (CDU): Ich wollte auf Grund der praktischen Erfahrungen der letzten Monate, die ich nicht weiter erörtern möchte, um das gleiche bitten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann wäre das „und“ vor „die Freizügigkeit“ zu streichen, ein Komma zu setzen und am Schluß hinzuzufügen: „und den Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Ausland“. Dr. Laforet (CSU): Sachlich besteht wohl im Ausschuß nicht der geringste Zweifel. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Zusatzantrag abstimmen. – Der Antrag ist einstimmig angenommen. Damit ist Ziffer 8, jetzt 6, angenommen. Ziffer 9 die Bundeseisenbahnen und den Luftverkehr; Ich lasse über diese Ziffer abstimmen. – Ziffer 9, jetzt 7, ist einstimmig angenommen. Ziffer 10 das Post- und Fernmeldewesen; Ich lasse abstimmen. – Ziffer 10, jetzt 8, ist angenommen. Ziffer 11 den gewerblichen Rechtsschutz, das Urheberrecht und das Verlagsrecht; Dr. Laforet (CSU): Ich mache darauf aufmerksam, daß das etwas Neues ist. Das geht über die bisherige Regelung hinaus. Im Zuständigkeitsausschuß war man der Meinung, daß hier eine Vorranggesetzgebung nicht in Frage kommt, sondern daß man das schlechthin zur ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes nehmen soll. Man kann natürlich auch den gegenteiligen Standpunkt vertreten. Ich halte die Aufnahme dieser Bestimmung für zweckmäßig. Ich glaube nicht, daß sich an der ganzen Rechtsgestaltung etwas ändern wird. Schon bisher war der gewerbliche

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Rechtsschutz, das Urheberrecht und das Verlagsrecht reichsrechtlich geregelt. Es wird eigentlich nur etwas ausgesprochen, was ohnehin der Rechtsentwicklung entspricht, daß die ganze Materie durch Bundesgesetz abschließend geregelt wird, soweit nicht in ganz besonderen Fällen eine Delegation an die Länder in Frage kommt. Renner (KPD): Zum Vorhergehenden möchte ich noch den Zusatz beantragen: „das Rundfunkwesen“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist abgestimmt. Sie müssen Ihren Antrag für die zweite Lesung aufbewahren. Dr. Hoch (SPD): Nach geltendem Recht ist es im Fernmeldewesen drin. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ziffer 12 Ausnahmen von dem Verbot, Kriegsgerät herzustellen, zu befördern und in den Verkehr zu bringen; Dr. Laforet (CSU): Das müssen wir logischerweise auch streichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Aus Gründen der Konsequenz würde auch ich vorschlagen, es zu streichen. Ich lasse hierüber abstimmen. – Die Streichung der Ziffer ist einstimmig beschlossen.

Ziffer 13

das Bundeskriminalwesen zur Bekämpfung des gemeingefährlichen Verbrechertums; Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich beantrage die Streichung dieser Ziffer. Sie ist sachlich nicht nötig und auch direkt bedenklich. Das Kriminalwesen ist ein Teil des Polizeiwesens. Aus der Polizei, die grundsätzlich Ländersache ist, die Bekämpfung der gemeingefährlichen Verbrecher herauszunehmen und dem Bund als ausschließliches Bearbeitungsgebiet zuzuweisen, ist überhaupt nicht möglich. Wir haben im Staat von Weimar eine Reichspolizei nicht gekannt. Sie ist erst ein Ergebnis der Zeit von Heinrich Himmler32) gewesen. Es ist nach den Ermordungen von [S. 80] Rathenau33) und Erzberger34) in der Zeit von Weimar35) angeregt worden, 32)

Heinrich Himmler (1900–1945), 1943–1945 Reichsinnenminister und „Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei“. 33) Walther Rathenau (1867–1922), Industrieller, Schriftsteller und liberaler Politiker, studierte Physik, Philosophie und Chemie (mit Promotion) und Maschinenbau, übernahm 1893–1898 den Aufbau der von der AEG gegründeten Elektrochemischen Werke in Bitterfeld und Rheinfelden, 1902–07 Geschäftsinhaber in der Berliner Handels-Gesellschaft (BHG), 1912 Vorsitzender des Aufsichtsrats der AEG, 1915 „Präsident der AEG“, Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), 1922 Reichsaußenminister im Kabinett von Reichskanzler Joseph Wirth, von der rechtsradikale „Organisation Consul“ (O.C.) ermordet. 34) Matthias Erzberger (1875–1921), Schriftsteller und Politiker, Volksschullehrer in Marbach, Göppingen und Stuttgart, 1896 Studium des Staatsrechts und der Nationalökonomie, Redakteur des katholischen Deutschen Volksblatts in Stuttgart, 1903 Mitglied des Reichstags, während des Ersten Weltkriegs Leiter der Auslandspropaganda des Deutschen Reiches, richtete einen Auslandsgeheimdienst ein, 1918 Staatssekretär ohne Portefeuille, Leiter der Waffenstillstandskommission, unterzeichnete auf Wunsch Paul

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ein Reichskriminalgesetz zu schaffen. Das Gesetz ist aber nicht geschaffen worden, weil alle Länder sich dagegen erklärt haben und der Durchführung eine Fülle von Bedenken entgegengesetzt worden sind. Jetzt, da die Landeszuständigkeit für die Polizei unbezweifelt ist, einen ganz kleinen Arbeitsteil herauszunehmen und dem Bund zuzuweisen, ist nicht möglich. Es ist nicht möglich, den Begriff des gemeingefährlichen Verbrechertums von anderen Straftaten sachlich genau abzugrenzen. Es würde hier eine neue Bundesbehörde entstehen, die früher nicht notwendig gewesen ist. Ich darf darauf hinweisen, daß auch in der Zeit von Weimar die deutsche Kriminalpolizei der Länder führend gewesen ist und in den internationalen Verkehr sich durchaus hat einschalten können. Im Wege freiwilliger Vereinbarung der Länder ist die Kriminalpolizei einheitlich gehandhabt worden. Es ist so weit gegangen, daß einzelne Aufgaben nach Berlin, andere nach München überwiesen worden sind. Alles das läßt sich wieder machen. Es ist praktisch aber kaum möglich, das Bundeskriminalwesen gesetzgeberisch zu umfassen. Deswegen bitte ich, diesen Punkt zu streichen. Stock (SPD): Hätte die Weimarer Verfassung dieses vorgesehen, wäre vielleicht manches spätere Unglück verhütet worden. Denn der Zugriff der Polizei war auf die Länder begrenzt. Dadurch war es möglich, daß die Pöhner-Polizei in Bayern36) die Mörder von Erzberger37) und Rathenau38) nicht gefunden hat, obwohl wir als

35) 36)

37)

38)

von Hindenburgs am 11. Nov. 1918 in Compiègne (Frankreich) als erster der vierköpfigen deutschen Delegation den Waffenstillstand mit den Alliierten, der die Kampfhandlungen des Ersten Weltkrieges beendete, 1919 Mitglied der Verfassunggebenden Nationalversammlung, Chef der Waffenstillstandskommission zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich, als Erfüllungspolitiker verunglimpft, 1919–1920 Reichsfinanzminister, 1921 von Angehörigen der rechtsextremen „Organisation Consul“, des „Freikorps Oberland“ und des „Germanenordens“ ermordet. Vgl. dazu die Anmerkung zum Femeausschuß und zu den Fememorden oben Dok. Nr. 2, S. 46 mit Anm. 68. Ernst Pöhner (1870–1925), Jurist, 1904 Landgerichtsrat in München, Mitglied der Ortsgruppe des Alldeutschen Verbandes und später auch der Thule-Gesellschaft, im Ersten Weltkrieg Kriegsfreiwilliger im Rang eines Hauptmanns der Reserve, 1915 Oberlandesgerichtsrat und Leiter des Gefängnisses Stadelheim in München, 1919–1921 Polizeipräsidenten von München, während des Kapp-Putsches im März 1920 beteiligt am Sturz der sozialdemokratischen bayerischen Landesregierung und der Einsetzung der rechten bürgerlichen Regierung Kahr, im November 1923 am Hitler-Ludendorff-Putsch beteiligt und als bayerischer Ministerpräsident vorgesehen, nach Hochverratsprozeß 1924 schon 1925 vorzeitig unter Bewährungsauflagen aus der Festungshaft in Landsberg entlassen, 1924 Mitglied des bayrischen Landtags, im Dezember 1924 übertritt zur DNVP, bei einem Autounfall in der Nähe von Feldkirchen tödlich verunglückt. Der Hauptattentäter von Matthias Erzberger, Heinrich Tillessen, wurde 1933 amnestiert, 1946 wurde diese Amnestierung wiederholt, 1947 aber wieder aufgehoben. Tillessen wurde 1947 zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, Heinrich Schulz verurteilte ein Offenburger Schwurgericht 1950 zu 12 Jahren Zuchthaus. Beide wurden schon 1952 entlassen. Vgl. den Art. „Heinrich Tillessen und Mord verjährt nicht“, in: Der Spiegel, Nr. 10 vom 8. März 1947, S. 13. Die beiden Attentäter von Rathenau, der Jurastudent und ehemalige Marineoffizier Erwin Kern und sein Komplize Hermann Fischer aus Chemnitz, wurden am 17. Juli 1922 auf der Burg Saaleck bei Bad Kösen gestellt. Bei einem Schußwechsel wurde Kern tödlich getroffen, Fischer nahm sich daraufhin das Leben. Ernst Werner Techow, der den Wagen fuhr, wurde mit fünfzehn Jahren Zuchthaus bestraft. An der Planung des Mordes war u. a. Ernst von Salomon beteiligt, der zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt wurde.

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Abgeordnete39) diese Mörder bei Tag und Nacht gesehen haben. Wenn Sie jetzt diese Ziffer nicht hineinnehmen und sich wieder solche Mörderorganisationen auftun, laufen wir Gefahr, daß wiederum irgendein Staat – es muß nicht gerade Bayern sein – eine solche reaktionäre Regierung, einen solchen Polizeipräsidenten bekommt, der in seiner engeren Verwaltung – den Beweis kann ich bringen – Mörder und Mordanstifter hatte, so daß die Mörder nicht gefaßt werden können. Ich bitte Sie deshalb, den Fehler nicht noch einmal zu machen, sondern die Ziffer anzunehmen. Dr. Menzel (SPD): Ich möchte restlos das unterstreichen, was der Herr Kollege Stock gesagt hat. Ich stelle sogar den Antrag, die Worte „zur Bekämpfung des gemeingefährlichen Verbrechertums“ zu streichen. Es gibt keine Legaldefinition, was ein gemeingefährlicher Verbrecher ist. Es kann jemand ganz harmlose Delikte begehen, und trotzdem wird es notwendig sein, durch die Zusammenfassung und die gemeinsame Kontrolle aller Polizeibehörden in Deutschland ihn zu registrieren und zu suchen. Ich denke zum Beispiel an das Gewerbe der Taschendiebe oder der Heiratsschwindler, die ihr Tätigkeitsgebiet dauernd verlegen. Wir haben vor einiger Zeit gelesen, daß Scotland Yard, das schon für ganz Großbritannien als eine zentrale Kriminalstelle tätig war, jetzt sogar mit einer anderen Stelle in Paris zu einer Weltzentrale ausgebaut werden soll40). Wir aber wollen dazu übergehen, das, was man wirklich einmal gemeinsam, sagen wir ruhig, zentral erfassen soll, zu zerschlagen und zu atomisieren. Ich bin darüber hinaus der Meinung, daß Deutschland sogar das Anliegen vorbringen sollte, durch internationale Verträge an die großen Zentren angeschlossen zu werden. Dazu gehören aber auch innerdeutsche Bundesgesetze, weil nur so die Zuständigkeit für die Verträge gegeben ist. Ich möchte also den Antrag stellen, die Worte „zur Bekämpfung des gemeingefährlichen Verbrechertums“ zu streichen. Dr. Laforet (CSU): Was der Herr Kollege Stock vorgebracht hat, ist sicherlich sehr wahr. Aber es kommen noch andere Erwägungen in Betracht. Aus einzelnen Fehlern der Polizei – Dr. Menzel (SPD): Das war Absicht! Vors. Dr. Schmid (SPD): Das waren wohl kaum Fehler. Was hier gemacht worden ist, war wohl Absicht. Dr. Laforet (CSU): Ich betrachte es als einen Fehler. (Stock [SPD]: Dann war es ein Fehler, daß man Pöhner zum Polizeipräsidenten gemacht hat.) Wir beide werden uns darüber einig sein. 39) 40)

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Stock war 1918–1919 und 1920–1924 Mitglied des bayerischen Landtages. 1946 wurde auf Initiative des Generalinspekteurs der belgischen Polizei, Florent Louwage, die „Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission“ (IKPK), mit Sitz in Paris, neugegründet. Die zuvor gültigen Statuten wurden dem Völkerrecht angepaßt. Es wurde eine ausschließliche Zusammenarbeit im Bereich der gewöhnlichen Kriminalität festgelegt. 1949 erhielt die IKPK den konsultativen Status der UN als Nichtregierungsorganisation. Diese Kommission ging später in Interpol über, die Kurzbezeichnung für Internationale kriminalpolizeiliche Organisation (IKPO). Vgl. Heiner Busch: Grenzenlose Polizei? Neue Grenzen und polizeiliche Zusammenarbeit in Europa. Westfälisches Dampfboot. Münster 1995.

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(Stock [SPD]: Aber die bayerische Staatsregierung war sich darüber seinerzeit nicht einig. – Dr. Schwalber [CSU]: Sie war sich auch einig. – Stock [SPD]: Daß er hinkommt und daß die Mörder geschützt werden.) Es dreht sich darum, ob nicht ein gesetzgeberischer Fehler gemacht wird, wenn man zu weit geht und einen Grundsatz bricht, von dem dieses Grundgesetz ausgeht, daß nämlich das Polizeirecht grundsätzlich Ländersache ist. Tatsächlich hat sich all das, was zur Bekämpfung des Verbrechertums notwendig ist, durch freie Vereinbarung der einzelnen Länder tadellos erreichen lassen. Alle diese Fragen, kriminalpolizeiliches Fahndungswesen, Bekämpfung internationaler Taschendiebe, Nachrichtenstelle für Vermißte und unbekannte Tote, Zigeunerzentrale, Fingerabdruckzentrale, sind bereits auf dem Weg der Vereinbarung unter den Ländern geregelt. Und wenn die früheren Einrichtungen nicht mehr in vollem Umfang vorhanden sind, müssen sie wieder geschaffen werden. Es besteht auch kein Bedenken, die deutsche kriminalpolizeiliche Kommission wieder ins Leben zu rufen, und die internationale kriminalpolizeiliche Kommission wird sicherlich wieder erst entstehen. Es besteht auch, wenn nicht in das Hoheitsrecht der Länder eingegriffen wird, kein Bedenken, eine derartige Regelung durch Vereinbarung der Länder vorzunehmen. Es fragt sich nur, ob hier nicht eine Gefahr gegeben ist, indem ein Himmlersches Bundeskriminalpolizeiamt41) geschaffen wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dem ging die Präsidentschaft von Herrn Pöhner voraus. (Stock [SPD]: Sehr richtig! Wir hatten den Himmler Nr. 1. Dr. Schwalber [CSU]: Dann tauscht man nur die Kappen.) Dr. Laforet (CSU): Ich sehe hier eine große Gefahr. Ich fürchte, dieses Bundeskriminalpolizeiamt wird die Quelle neuer Fehler sein. Was an der Sache richtig ist, kann wie bisher völlig durch Vereinbarung der Länder erreicht werden. Es fehlt jedes Bedürfnis, hier einzugreifen. Unter allen Umständen muß trotz der Schwierigkeit eine Begrenzung erfolgen. Wenn wir das Wort Bundeskriminalwesen allein, ohne den wenigstens in einem Nachsatz gemachten Versuch der Begrenzung „zur Bekämpfung des gemeingefährlichen Verbrechertums“ hier aufnehmen, sind wir auf einer schiefen Ebene, von der wir nicht wissen, wie sich das im Laufe der Zeit auswirken wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es handelt sich hierbei um eine technische und eine politische Frage. Vom Technischen aus möchte ich sagen, daß das Verbrechertum uns leider nicht mehr den Gefallen tut, sich wie die alten Gaunerbanden in relativ beschränkten Territorien herumzutreiben, sondern in großräumigem Maßstab arbeitet, wie man heute zu sagen pflegt. Wir können es nur dann wirksam bekämpfen,

41)

Mit Erlaß vom 17. Juni 1936 wurde das Parteiamt des Reichsführers SS mit dem neu geschaffenen staatlichen Amt eines Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern institutionell miteinander verbunden. Damit wurde Heinrich Himmler zu einem der mächtigsten Männer im NS-Staat. Im Zusammenhang der Zusammenlegung von Partei- und Staatsaufgaben wurde das Reichskriminalpolizeiamt mit der Geheimen Staatspolizei zunächst im „Hauptamt Sicherheitspolizei“ zusammengefaßt und am 27. Sept. 1939 als Amt V in das neugeschaffene Reichssicherheitshauptamt integriert. Chef des Reichssicherheitshauptamtes wurde Reinhard Heydrich.

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wenn wir ihm eine entsprechende großräumig arbeitende Kriminalpolizei gegenüberstellen. (Dr. Laforet [CSU]: Einverstanden.) Vereinbarungen der Länder untereinander in Ehren, sie haben sicherlich ausgezeichnet funktioniert. Ich glaube aber, alles könnte noch besser funktionieren, wenn man eine Zentralstelle hätte, die einmal die Zusammenarbeit der Länder koordiniert, was nichts schaden könnte, und darüber hinaus auch von Bundes wegen so etwas wie einheitliche Normen für die Polizeiarbeit aufstellt. Was die politische Frage angeht, so hoffen wir, daß dieser Grund für die Zukunft gegenstandslos ist. Aber wir kennen die Zukunft nicht. Es ist doch möglich, daß sich in diesem oder jenem Lande Zustände entwickeln, die wieder dazu führen, daß eine [S. 81] Landesregierung ihrer Polizeiexekutive gegenüber nicht mehr Meister ist und daß der Polizeipräsident x, y oder z bestimmte politische Verbrecher aus politischen Gründen nicht verhaften will. Dann stehen wir wieder in der Lage, in der wir schon mehrere Male standen. Hier muß die Möglichkeit gegeben sein, daß eine der Bundesregierung unterstehende Polizei unmittelbar zugreift. Wenn wir dabei den Weg des Bundeszwangs mit Verfassungsgerichtshof usw. gehen müßten, würde der betreffende Gesuchte und zu Suchende in der Zwischenzeit verschwunden sein. Früher reiste man dann nach Ungarn; wohin man heute reisen wird, weiß ich nicht. Jedenfalls werden wir den Mann nicht bekommen. Aus diesen beiden Gründen glaube ich, daß die Ziffer 13, jetzt Ziffer 10, zumindest in dem vorgeschlagenen Sinne aufrechterhalten werden sollte. Unser Kollege Dr. Menzel hat jedoch recht, wenn er sagt, es sei besser, die Einschränkung „zur Bekämpfung des gemeingefährlichen Verbrechertums“ zu streichen. Denn was ist „gemeingefährliches Verbrechertum“? Das ist im Einzelfall sehr schwer zu definieren. Ich denke nur an die alte Zigeunerzentralstelle42) und alle diese Dinge. Es gab doch dauernd Schwierigkeiten. Jeder, der mit diesen Dingen zu tun hatte, weiß das. Dr. Schwalber (CSU): Ich möchte Sie auch noch auf die gegenteiligen Folgen aufmerksam machen. Wenn Sie das Bundeskriminalwesen unter die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes stellen, so verwehren Sie der Polizei der Länder jede Betätigung auf diesem Gebiet. (Widerspruch.)43) – Das ist ja der Sinn der ausschließlichen Zuständigkeit. Sie könnten mit mir darüber sprechen, wenn Sie es unter die Vorranggesetzgebung aufnehmen. Wenn Sie es unter die ausschließliche Gesetzgebung aufnehmen, nehmen Sie bestimmt dem einzelnen Land die Möglichkeit, sich auf dem Gebiet der Kriminalpolizei zu betätigen. Das ist bestimmt nicht im Sinne einer Fortentwicklung des Polizeiwesens. Ich könnte Ihnen Dinge mitteilen, die wir jetzt in Bayern zusammen mit anderen Staaten auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung bereits entwickelt haben. Das 42)

Im November 1936 wurde am Reichsgesundheitsamt das „Rassehygieneinstitut“ unter Leitung von Robert Ritter eingerichtet, das vor allem Daten von den Sinti und Roma sammelte. An deren zentraler Erfassung arbeitete ab 1936 die „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ als Abteilung des Reichskriminalpolizeiamts. 43) Statt „(Widerspruch)“ im stenograph. Wortprot., S. 60: „(Widerspruch von mehreren Seiten.)“

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wäre uns nicht mehr möglich, wenn wir warten müßten, bis hier unter Umständen von einer Zentrale des Bundes vorgegangen würde. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe es nicht so ausgelegt, daß hier das Kriminalwesen schlechthin zur ausschließlichen Gesetzgebung gehören soll. Zur ausschließlichen Gesetzgebung soll vielmehr nur das Bundeskriminalwesen gehören, das heißt die alle Gebiete der Länder überlagernde kriminalpolizeiliche Gewalt. Das bedeutet durchaus nicht, daß nicht die Länder ihr eigenes Landeskriminalamt mit entsprechendem Unterbau haben. Dr. Hoch (SPD): Im Zuständigkeitsausschuß ist eingehend darüber gesprochen worden, und das Wort „Bundeskriminalwesen“ ist ganz bewußt gewählt worden. Man dachte nicht im entferntesten daran, in das Kriminalwesen der Länder einzugreifen. Ich darf vielleicht den Herrn Kollegen Dr. Laforet und auch den Herrn Kollegen Dr. Schwalber noch darauf hinweisen, daß in diesem Ausschuß der Herr Kollege Schönfelder auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen als Polizeisenator in Hamburg44) gesagt hat, diese Vorschrift sei gerade deshalb erforderlich, weil bei den Ländervereinbarungen, wenn sie auch sonst weitgehend gut gearbeitet hätten, immer ein Punkt gekommen sei, in dem die letzte Vereinbarung nicht zu treffen gewesen sei. Daher sei es unbedingt notwendig, die Zuständigkeit des Bundes für das Bundeskriminalwesen vorzusehen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich darf gegenüber Herrn Dr. Schwalber kurz bemerken, daß wir das Bundeskriminalwesen nicht in die Vorranggesetzgebung aufnehmen können. (Dr. Schwalber [CSU]: Warum nicht?) – Wenn wir „Bundeskriminalwesen“ sagen, können wir doch nicht den Fall vorsehen, daß ein Land ein Gesetz über das Bundeskriminalwesen erläßt! Gerade daraus, daß es hier und nicht in der Vorranggesetzgebung steht, ergibt sich klar, daß dieses Recht nur insoweit dem Bund gehört, als es sich um eine Bundesangelegenheit handelt, und daß die Länder ihr Kriminalwesen behalten, daß sie auch nicht gegenüber dem Bund zurücktreten müssen; was der Fall wäre, wenn die Bestimmung in der Vorranggesetzgebung stehen und der Bund ein Gesetz erlassen würde. Dr. Laforet (CSU): Wenn Sie mir sagen könnten, was man unter Bundeskriminalwesen versteht, und wenn der Begriff einigermaßen brauchbar erklärt wäre, wären meine Bedenken nicht gegeben. Es ist aber mit Recht darauf hingewiesen worden, daß gegenüber unserem Standpunkt im Zuständigkeitsausschuß der Einwand erhoben werden kann, dann haben die Länder in diesem Gegenstand der Bekämpfung des gemeingefährlichen Verbrechertums über ihre Grenzen hinaus überhaupt keine Zuständigkeit mehr. Ich könnte den Vorschlag machen, daß wir die Frage bis zur zweiten Lesung noch einmal im Zuständigkeitsausschuß besprechen. Das ist aber nicht notwendig. So wie es hier gefaßt ist, auch in der richtigen Einschränkung „zur Bekämpfung des gemeingefährlichen Verbrechertums“, bedarf es in der Darlegung unseres Referenten45) an das Plenum zumindest einer eingehenden Erörterung, was man unter Bundeskriminalwesen versteht. 44) 45)

Schönfelder war 1926–1933 Präses der Hamburger Polizeibehörde. Berichterstatter für den Abschnitt VIII: Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung wurde Laforet selbst. Vgl. dazu Parlamentarischer Rat, Bonn 1948/49,

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Das wird geschehen. Stellen Sie noch den Antrag, die ganze Ziffer zu streichen? Dr. Laforet (CSU): Ich stelle den Antrag, die ganze Ziffer zu streichen, weil alles auf dem Wege der Vereinbarung erzielt werden kann. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Wir sind uns darüber einig, daß die Formulierung in der Sache mindestens mißverständlich ist. Einverständnis besteht jetzt darüber, daß die Worte „zur Bekämpfung des gemeingefährlichen Verbrechertums“ gestrichen werden müssen, weil die Abgrenzung des Begriffs „gemeingefährliches Verbrechertum“ von sonstigen strafrechtlichen Handlungen einfach nicht möglich ist. Es bleibt die weitere Frage, ob es ein Bundeskriminalwesen gibt, das man jetzt bereits in dieser Weise in die Gesetzgebung übernehmen kann. Ich teile die Bedenken des Herrn Kollegen Dr. Laforet. Der Begriff des Bundeskriminalwesens ist bisher noch nirgendwo erörtert worden. Er müßte erst durchdacht werden. Es ist vielleicht angebracht, daß wir uns, da wir uns heute darüber nicht verständigen können, entschließen, die Beschlußfassung über diese Ziffer auszusetzen und darauf in der zweiten Lesung zurückzukommen. Renner (KPD): Was damit gemeint ist, hat der Herr Vorsitzende sehr klar ausgeführt. Er hat von der Notwendigkeit der Schaffung rein technischer Einrichtungen zur Bekämpfung des Verbrechertums im Bundesmaßstab gesprochen. Er hat auch erklärt, daß es nach seiner Meinung notwendig sei, eine Kriminalpolizei zu schaffen, die für das gesamte Bundesgebiet Exekutivrecht hat. Was unser Herr Vorsitzender unter dem Begriff versteht, das ist sehr eindeutig. Ich bejahe auch die Notwendigkeit der Schaffung technischer Einrichtungen im Rahmen des Bundes zur Bekämpfung des Verbrechertums. Ich erinnere den Herrn Kollegen Dr. Menzel an die Regelung, die wir im Land Nordrhein-Westfalen getroffen haben, wo wir trotz bestehenden Verbots eine Einrichtung geschaffen haben, die wenigstens die technische Zusammenfassung aller notwendigen Abwehrmaßnahmen im Kampf gegen das Verbrechertum beinhaltet und sichert. Wenn so etwas im Bundesmaßstab geplant sein sollte, könnte ich die Notwendigkeit dafür bejahen. Aber die Schaffung einer Bundeskriminalpolizei, die in den verschiedenen Ländern Exekutivgewalt hat, ist eine Preisgabe der grundsätzlichen Forderung, daß die Polizei höchstens im Landesmaßstab aufgezogen werden soll. [S. 82] Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie sind also insoweit für die reine Eigenstaatlichkeit der Länder? Renner (KPD): Hier ist der Name eines Münchner Polizeipräsidenten46) und der Name eines Polizeisenators aus Hamburg47) genannt worden. Ich kenne einige andere Polizeileute und Polizeiminister. Die Erfahrungen, die ich mit diesen Herren gemacht habe, geben mir allen Anlaß, mich gegen die Schaffung einer zentralen Polizeiexekutive des Bundes zu wehren. Was Sie hier an der Regelung in Bayern kritisiert haben, liegt doch auf einem ganz anderen Gebiet; das hat doch politische Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (Drucks. Nr. 850, 854), gedruckt als Anlage zum stenograph. Bericht der 9. Sitzung des Parl. Rates am 6. Mai 1949, S. 37–41. 46) Ernst Pöhner. 47) Adolph Schönfelder.

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Ursachen. Aber es gibt im alten Preußen der Weimarer Zeit genügend Beweise gegen die zentrale Staatspolizei48). (Stock [SPD]: Es kommt nur darauf an, wie einer gegen den Staat oder für den Staat eingestellt war.) – Nein, es kommt darauf an, wie der damals zuständige Minister seinen Staat verteidigt hat und gegen wen er ihn verteidigt hat. Da kann man mit Fug und Recht und historisch wahrheitsgemäß behaupten, daß er seinen damaligen Staat mindestens ebenso einseitig verteidigt hat wie der Herr aus München49). Ich will den Namen hier nicht nennen; Sie wissen alle, wen ich meine. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag, die ganze Ziffer 13 zu streichen, abstimmen. – Der Antrag ist mit 13 gegen 6 Stimmen abgelehnt. Weiter ist der Antrag gestellt, die Worte „zur Bekämpfung des gemeingefährlichen Verbrechertums“ zu streichen. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Die Streichung ist mit 13 gegen 5 Stimmen beschlossen. Die Ziffer 13, jetzt 10, ist damit angenommen. Wir kommen zu Ziffer 14 die Statistik für Bundeszwecke. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich stelle fest, daß niemand dagegen ist. Damit ist Ziffer 14, jetzt 11, angenommen. Dr. Menzel (SPD): Ich beantrage, noch das Vermessungswesen aufzunehmen. Es handelt sich hier in überwiegendem Maße um technische Grundlagen, die nur bundeseinheitlich festgelegt und nicht von Land zu Land verschieden formuliert und festgelegt werden können. Es kann den Ländern nicht überlassen werden, die Grundlagen der Vermessung selber, das heißt von Land zu Land verschieden, festzulegen. Dieser Wunsch ist auch aus allen Kreisen der Vermessensverwaltung gekommen. Dr. Seebohm (DP): Ich bitte, den Antrag abzulehnen. Das Vermessungswesen kann bei der Vorranggesetzgebung berücksichtigt werden. In die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes möchte ich es nicht aufnehmen. Das Vermessungswesen greift auch in eine ganze Reihe von Spezialfragen ein, wie zum Beispiel in das Markscheidewesen. Gerade in diesem Fall bin ich nicht dafür, daß das zu der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes gehört. Wir begehen damit gewisse Fehler in der Systematik. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Antrag ist zurückgezogen. Er wird bei der Vorranggesetzgebung wiederholt werden.

[4. ANTRAG VON CDU UND CSU: STELLUNGNAHME DES PRÄSIDENTEN ADENAUER]

Ich schlage vor, die Sitzung zu unterbrechen, damit wir in den Fraktionen kurz über die Folge beraten, die dem Antrag des Kollegen Renner gegeben werden soll, 48)

Zur Preußischen Polizeiverwaltung vgl. den Bericht von Menzel in der 5. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 29. Sept. 1948 und die sich anschließenden Diskussionsbeiträge; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 5, S. 174–177, 193, 196, 198, 215. 49) Renner meinte damit den Abg. Laforet, der tatsächlich jedoch aus Würzburg kam.

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den Herrn Präsidenten des Parlamentarischen Rates zu ersuchen, hier über seine Gespräche mit Herrn General Robertson zu berichten. (Renner [KPD]: Ich habe gesagt: Zu bitten.) – Entschuldigen Sie, die Unhöflichkeit lag bei mir. Wir würden um 12 Uhr wieder zusammenkommen. Wir wollen dann darüber Beschluß fassen, ob der Hauptausschuß den Herrn Präsidenten des Parlamentarischen Rates bitten will, uns hier über seine Gespräche mit Herrn General Robertson zu berichten. Der Antrag war formell gestellt, er muß formell beschieden werden. Die Sitzung wird von 11.42 Uhr bis 12.15 Uhr unterbrochen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die einzelnen Fraktionen haben wohl beraten. Es ist mir ein gemeinsamer Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU übergeben worden50), der lautet: Der Hauptausschuß wolle beschließen, den Herrn Vorsitzenden des Hauptausschusses zu ersuchen, den Präsidenten Dr. Adenauer zu bitten, in einer der nächsten Sitzungen über sein Gespräch mit General Robertson und etwaige Stellungnahmen der Militärregierungen zu den Arbeiten des Parlamentarischen Rates zu berichten. Es liegt der Antrag des Kollegen Renner vor, der enger gefaßt ist, der, wenn ich mich nicht täusche, lautet: Der Hauptausschuß wolle beschließen, den Herrn Präsidenten Dr. Adenauer zu bitten, im Hauptausschuß über sein Gespräch mit General Robertson zu berichten. So war Ihr Antrag? Renner (KPD): Nein. Inhaltlich ist es scheinbar das gleiche. Aber es kommt a) darauf an, ob diese Berichterstattung öffentlich erfolgen soll. Vors. Dr. Schmid (SPD): Darüber wird der Hauptausschuß beschließen. Renner (KPD): Ich darf begründen, warum ich der Meinung bin, daß diese Berichterstattung öffentlich stattfinden soll. Vors. Dr. Schmid (SPD): Darüber beschließen wir jetzt nicht, sondern wir beschließen darüber, ob der Herr Präsident gebeten werden soll, zu berichten. Renner (KPD): Dann bitte ich noch, dem Herrn Präsidenten mit auf den Weg zu geben, sich auch darüber zu äußern, ob in dieser Aussprache auf die Zusammenhänge zwischen Besatzungsstatut einerseits und Verfassungsentwurf andererseits, auf die Ruhrbehörde sowie auf die Einwände und Bedenken hingewiesen worden ist, die von französischer Seite gegen die Regelung in der letzten Frage angemeldet worden sind. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist zu Protokoll genommen. Wenn der Herr Präsident der Bitte Folge leistet, können Sie die Fragen an ihn stellen. Ich stelle die Anträge zur Abstimmung. Es ist schwer zu sagen, welcher Antrag der weitergehende ist. Ich glaube, der Antrag der beiden Fraktionen geht weiter, und lasse über diesen Antrag abstimmen. Der Antrag ist einstimmig, bei Stimmenthaltung der Abgeordneten Dr. Heuss und Dr. Seebohm, angenommen.

50)

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Über das Gespräch zwischen Vertretern beider Fraktionen sind keine Hinweise in den Protokollen der CDU/CSU-Fraktion. Vgl. Salzmann, S. 164.

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Dr. Heuss (FDP): Die Angelegenheit ist für den Hauptausschuß nicht angebracht. Ich will nicht beteiligt sein, wenn man Politisieren für Politik hält. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich werde dem Präsidenten Dr. Adenauer die Bitte übermitteln. Er wird sich entschließen51). Der Ausschuß vertagt sich auf Dienstag, den 23. November 1948, 16 Uhr. Schluß der Sitzung 12.17 Uhr.

51)

Zu dem beantragten Bericht des Präs. Adenauer über sein Gespräch mit dem MilGouv. Robertson ist es im HptA nicht gekommen. Stattdessen berichtete Adenauer am 23. Nov. 1948 in der 7. Sitzung des HptA über das am 22. Nov. 1948 überreichte Alliierte Memorandum, daß im Gespräch mit Robertson am 18. Nov. 1948 bereits angekündigt worden war. Vgl. unten Dok. Nr. 7, S. 206 f., TOP 1.

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Nr. 7 Siebente Sitzung des Hauptausschusses 23. November 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 83–98. PA 2004. Ungez. stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 368 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: de Chapeaurouge, Fecht, Finck, Kaufmann, Kleindinst, Laforet, Pfeiffer, Walter SPD: Greve, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wolff, Zimmermann FDP: Dehler, Höpker Aschoff DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Wessel Abgeordnete ohne Stimmrecht: Hoch (SPD), Katz (SPD), Löwenthal (SPD), Selbert (SPD), Wagner (SPD), Zinn (SPD) Stenographischer Dienst: Lu Dauer: 16.20–18.57 Uhr

[1. STELLUNGNAHME ZUM MEMORANDUM DER MILITÄRGOUVERNEURE VOM 22. NOV. 1948]

Vors. Dr. Schmid (SPD):3) Wir haben wohl alle aus der Presse erfahren, daß gestern seitens der Militärregierungen ein Schritt bei dem Präsidenten des Parlamentarischen Rates erfolgt ist4), und Sie werden vielleicht erwarten, daß Ihnen möglichst heute schon Mitteilung über den Inhalt dieses Schrittes gemacht wird. Das ist nun aber nicht möglich. Herr Präsident Dr. Adenauer hat mir schon vor mindestens zehn Tagen mitgeteilt, daß er heute und morgen nicht in Bonn anwesend sein werde. Es ist darum nicht möglich, daß er uns persönlich eine Mitteilung über das Gespräch von gestern macht. Die beiden Herren Vizepräsidenten5) sind nicht zugezogen worden. Wären sie zugezogen worden, dann könnte uns sicher unser Kollege Schönfelder sagen, was gestern besprochen worden ist. Ich nehme an, daß 1)

Protokollführer Matz. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) N ach dem stenograph. Wortprot., S. 1, beginnt Schmid wie folgt: „Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Sitzung des Hauptausschusses. Unser Schriftführer, Herr Kollege Brockmann, scheint zu fehlen. Seine Vertreterin, Frau Wessel, ist auch noch nicht anwesend. Ich schlage Ihnen vor, Herrn Kollegen Dr. Seebohm zu bitten, an Stelle der Abwesenden, das Amt des Schriftführers als Verweser zu übernehmen. (Geschieht.).“ 4) Am 22. Nov. 1948 wurde Präs. Adenauer von den Leitern der alliierten Verbindungsstäbe in Bonn ein Memorandum überreicht. Vgl. dazu den Bericht des Leiters des Büros der Ministerpräsidenten, Leisewitz vom 22. Nov. 1948 sowie dessen Ergänzungsbericht vom 24. Nov. 1948; ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 19 und 21, S. 43–45 und 48 f. Für den Wortlaut des Memorandum ebd. Dok. Nr. 18, S. 37–42. 5) Vizepräs. des Parl. Rates waren Adolph Schönfelder (SPD) und Hermann Schäfer (FDP) 2)

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Herr Präsident Dr. Adenauer unserer am Freitag ausgesprochenen Bitte6) nachkommen und uns unmittelbar nach seiner Rückkehr Mitteilung machen wird. Renner (KPD): Der Nordwestdeutsche Rundfunk hat heute morgen vor 10 Uhr eine Mitteilung durchgegeben, daß der Präsident des Parlamentarischen Rates, Herr Dr. Adenauer, am kommenden Donnerstag „geruht“, dem Ältestenrat über diese seine Unterredung mit den drei Verbindungsoffizieren der drei Militärregierungen Mitteilung zu machen7). An und für sich ist es ja bedauerlich, daß wir solche Dinge durch den Nordwestdeutschen Rundfunk erfahren müssen und nicht durch den berufenen Vorsitzenden des Hauptausschusses. Im Zusammenhang damit erlaube ich mir die Frage: Hat Herr Dr. Adenauer eine konkrete Meinungsäußerung zu dem Vorschlag des Hauptausschusses gegeben? Vors. Dr. Schmid (SPD): Er hat die schriftliche Mitteilung, die ich ihm habe zukommen lassen, wohl noch nicht in Händen. Renner (KPD): Das kann ich mir vorstellen. So schnell geht es ja nicht von hier nach Paris! Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich verstehe Ihre Äußerung nicht. Was wollen Sie damit sagen? Renner (KPD): Nach einer ebenfalls veröffentlichten maßgeblichen Mitteilung ist Herr Dr. Adenauer augenblicklich in Paris, um dort vielleicht ergänzende Instruktionen zu holen. (Heiterkeit.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie bewiesen eben, daß außer Ihrem Humor auch Ihre Phantasie überwältigend ist. Herr Dr. Adenauer ist nicht in Paris, sondern in Berlin8); das ist doch ein Unterschied! Renner (KPD): Kein allzu großer Unterschied, das ist ungefähr dasselbe. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, da übertreiben Sie! Renner (KPD): Ich finde es interessant, daß nach den mir zugegangenen Informationen diese Unterredung in Paris statt in Berlin stattfinden soll, was in dem Zusammenhang dasselbe wäre. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie scheinen der Meinung zu sein, daß Städtenamen vertauschbar sind. (Renner [KPD]: Das kommt auf den Inhalt des Auftrags an, der gegeben ist.)

6)

Vgl. dazu die 6. Sitzung des HptA am 19. Nov. 1948; oben Dok. Nr. 6, TOP 4, S. 203–205. Der Ältestenrat beriet am 25. Nov. 1948 über das Memorandum der Alliierten vom 22. Nov. 1948; vgl. Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 13, S. 35–38. 8) Präs. Adenauer hielt sich für Wahlkampfveranstaltungen der CDU in Berlin auf. Während dieses Aufenthaltes traf Adenauer auch mit dem politischen Berater der amerikanischen Militärregierung Robert D. Murphy zusammen. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 22, S. 50–52. 7)

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[2.1. ZIFFER 1: RECHT, STRAFVOLLZUG, GERICHTSVERFASSUNG, NOTARIATSWESEN, RECHTSANWALTSCHAFT, RECHTSBERATUNG]

Ich rufe nunmehr Art. 36 auf. Ich glaube, daß ich mir ersparen kann, die vielen Ziffern dieses Artikels auf einmal vorzulesen; ich rufe den Artikel ziffernweise auf. Unserer Beratung liegt der Entwurf des Allgemeinen Redaktionsausschusses (PR. 11.48 – 279)9) zugrunde. Es heißt in Art. 36: Der Bund hat den Vorrang bei der Gesetzgebung über: 1. das bürgerliche Recht, das Strafrecht und den Strafvollzug, die Gerichtsverfassung, das gerichtliche Verfahren, Angelegenheiten des Notariatswesens, die Ordnung der Rechtsanwaltschaft und der Rechtsberatung. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Im Herrenchiemseer Entwurf10) waren Rechtsanwaltschaft und Notariat nicht genannt. Da ich ihre Aufnahme in das Grundgesetz für nötig gehalten habe, erkundigte ich mich bei einem Mitarbeiter aus Herrenchiemsee, weshalb Rechtsanwaltschaft und Notariat nicht aufgeführt wurden. Es wurde mir gesagt, die Nichterwähnung dieser beiden wichtigen Berufszweige sei darauf zurückzuführen, daß man sie als in dem Wort „Gerichtsverfassung“ mit eingeschlossen ansehe. Diese Auffassung ist darauf im Zuständigkeitsausschuß überprüft worden. Man hat erkannt, daß diese Auffassung von Herrenchiemsee doch zu Bedenken Veranlassung geben kann. Man hat hin- und hergeschwankt, und dann ist die Fassung übernommen worden, die der Herr Vorsitzende soeben verlesen hat, nach der das Notariat, die Rechtsanwaltschaft und außerdem die Rechtsberatung in Ziffer 1 des Artikels aufgenommen wurde11). Daß die Rechtsanwaltschaft in das Grundgesetz hineingehört, darüber kann meines Erachtens gar kein Zweifel sein. Ebenso ist meiner Meinung nach zweifelsfrei, daß wir die Rechtsberatung aus dem Grundgesetz nicht herauslassen können. Was versteht man nun unter Rechtsberatung? Unter Rechtsberatung versteht man zunächst einmal die entgeltliche Beratung von Rechtsuchenden durch Personen, die nicht Rechtsanwälte sind, sei es, daß sie als Rechtskonsulenten zugelassen sind, sei es, daß sie diese Tätigkeit überhaupt ohne Zulassung ausüben. Rechtsberatung ist aber noch ein zweites, zur Zeit immer wichtiger werdendes Gebiet, nämlich das Gebiet der sozialen Rechtsberatung. Die soziale Rechtsberatung ist in den verschiedenen Teilen Deutschlands ganz verschieden entwickelt. Es gab ehrenamtliche soziale Rechtsberatung bereits seit meiner ersten Referendarzeit. Die soziale Rechtsberatung hat sich im Laufe der Jahrzehnte immer größere Gebiete erobert und wird zum Teil heute in den Betrieben unentgeltlich gewährt. Diese 9)

Die Drucks. Nr. 279 vom 16. Nov. 1948 mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zum Abschnitt II und III ist ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 42–51. 10) Für den Wortlaut des Berichts über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 504–630, hier S. 531 und 585 f. 11) Vgl. dazu die 15. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 17. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. S, 20, S. 601–606.

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Rechtsberatung braucht meines Erachtens nicht Gegenstand des Grundgesetzes zu sein, weil sich die Sache individuell verschieden in den einzelnen Teilen des Reiches entwickelt hat, und man sollte es bei dieser Entwicklung belassen. [S. 84] Bestritten ist aber die Frage des Notariats. Ich weiß nicht, ob dem Herrn Vorsitzenden bekannt ist: ich bin Notar, ich spreche für meine Berufskollegen. Die Einheit des Notariats ist ein Ziel, das von den deutschen Notaren seit Jahrzehnten erstrebt wurde. Lange ist es zu einer solchen Einheit nicht gekommen. Einst war die Verordnung über das Notariat des seligen Kaisers Maximilian12) aus dem Jahre 151213) neben dem Reichskammergericht14) in Wetzlar15) ein Pfeiler, der die Rechtshoheit des Reiches nach außen bewies. In der Zeit der deutschen Kleinstaaterei ist das Notariat auch ein Opfer der Zeit geworden und zerfallen. Seit Jahrzehnten haben aber die Notare die Notwendigkeit der Vereinheitlichung des Notariats erkannt und sie erstrebt. Sie ist bis zum Jahre 1933 nicht gelungen. Erst in der Mitte der dreißiger Jahre ist die Reichsnotarordnung Gesetz geworden und hat sich bewährt. Daneben gilt auch eine einheitliche Gebührenordnung. Jetzt ist mir mitgeteilt worden, daß im Zuständigkeitsausschuß Bedenken von süddeutscher Seite gegen die Einfügung des Notariats in Ziffer 1 des Artikels erhoben worden sind. Der Zuständigkeitsausschuß hat in seiner letzten Sitzung „Rechtsberatung“ und „Notariat“ gestrichen. Ich möchte in diesem Augenblick die hiermit zusammenhängenden Fragen nicht zum Gegenstand einer größeren Diskussion im Hauptausschuß machen. Ich möchte erst einmal sehen, ob und in welcher Weise man den Besonderheiten des süddeutschen Notariats wird Rechnung tragen können unter Aufrechterhaltung des Grundsatzes, daß das Notariatswesen auch in Ziffer 1 des Art. 36 gelassen wird. Es kommt mir darauf an, erst festzustellen, wie die zweite Lesung in dieser Richtung verläuft, und ich möchte mir vorbehalten, dann einen Antrag zu stellen. Dr. Fecht (CDU): Zu den Ausführungen meines Herrn Vorredners möchte ich zunächst noch betonen, daß im Zuständigkeitsausschuß die Streichung des Notariatswesens aus Ziffer 1 mit allen gegen eine Stimme beschlossen worden ist. Deshalb glaubte ich, daß es nicht notwendig ist, heute auf diese Sache noch einmal einzugehen. Wenn diese Streichung nicht aufrechterhalten wird, muß ich allerdings betonen, daß es gerade vom süddeutschen Standpunkt aus ganz unmöglich 12)

Maximilian I. von Habsburg (1459–1519), deutscher König und seit 1508 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. 13) Die Reichsnotariatsordnung vom 8. Okt. 1512 wurde erstmals publiziert unter dem Titel: Ordnung: von kaiserlicher Majestät, zu Unterrichtung der offen Notarien, wie die ir Aemter üben sollen, (gedruckt bei C. Schöffer). Mainz 1512; Wiederabdruck in: Neue und vollständige Sammlung der Reichs-Abschiede .. . 1747. Nachdruck: Osnabrück 1967, S. 151–166. 14) Das Reichskammergericht wurde 1495 im Rahmen der Reformgesetzgebung von König Maximilian I. gegründet. Für den Wortlaut der Reichskammergerichtsordnung vom 7. Aug. 1495 vgl.: Kaiser und Reich. Klassische Texte zur Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806, Hrsg. von Arno Buschmann, München 1984, S. 172–187. 15) Reichskammergericht hatte seinen Sitz seit 1495in Frankfurt am Main sowie kurze Zeit in Worms, Augsburg, Nürnberg, Regensburg, Speyer und Esslingen am Neckar, 1527– 1689 in Speyer und 1689 bis zu seiner Auflösung 1806 in Wetzlar.

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ist, das Notariatswesen in einem Gesetz einheitlich zu regeln, weil diese einheitliche Regelung sich nicht auf das Urkundenwesen beschränkt, sondern auch für die sonstigen Geschäfte gilt, die in den süddeutschen Ländern an Notare übertragen sind. Es gibt im ganzen drei Arten des Notariats: das Anwaltsnotariat, das Nur-Notariat und in Württemberg und Baden das Richternotariat, bei dem dem Notar auch Geschäfte zugewiesen sind, für die nach Reichsrecht grundsätzlich die Gerichte zuständig sind. Wir sind der Auffassung, daß diese Regelung, soweit sie sich auf Baden und Württemberg bezieht, sich außerordentlich bewährt hat. Die badischen Notariate16) erfüllen zunächst die Aufgaben des Nachlaßgerichts, die sonst im Reich den Amtsgerichten zugewiesen sind. Das badische Notariat ist weiter Grundbuchgericht, und darin liegt für uns die Hauptsache. Wir haben ein besonders geartetes Grundbuchwesen. Unsere Grundbuchämter sind in den einzelnen Gemeinden als bewährte Einrichtungen vorhanden, und es würde geradezu einen Sturm der Entrüstung hervorrufen, wenn versucht würde, was früher auch schon geschehen ist, das Grundbuchwesen neu zu revidieren. Ich halte es für gänzlich ausgeschlossen, daß wir, nachdem es der nationalsozialistische Staat nicht einmal fertiggebracht hat, eine Änderung eintreten zu lassen, nunmehr wieder die Grundlage dafür schaffen, daß unsere Grundbuchamtsverfassung von Bundes wegen abgeändert oder aufgehoben wird. Schließlich ist das badische Notariat auch Vollstreckungsgericht. Ich brauche darauf nicht weiter einzugehen. Auch nach dieser Richtung hat es der nationalsozialistische Staat nicht fertiggebracht, eine Änderung eintreten zu lassen. Es wurde seinerzeit im § 86 der Reichsnotarordnung17) eine besondere Bestimmung aufgenommen, wonach im Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe diese Reichsnotarordnung für das Land Baden erst später in Kraft tritt. Sie ist aber niemals in Kraft getreten, ebensowenig wie die Notariatsordnung18). Wir sehen unter diesen Umständen keinen Anlaß, hier eine Änderung eintreten zu lassen. Ich bitte deshalb, es bei dem Beschluß des Zuständigkeitsausschusses zu belassen, wonach das Notariatswesen zu streichen ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie stellen den Antrag auf Streichung? Dr. Fecht (CDU): Ich stelle Antrag auf Streichung. Das ist fast einstimmiger Beschluß des Ausschusses gewesen. Dr. Greve (SPD): Ich möchte zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. de Chapeaurouge sagen, daß ich es nicht für zweckmäßig halte, diese Sache, nachdem sie jetzt schon erörtert wird, der zweiten Lesung zur Entscheidung zu überlassen. Wir können solche Probleme nicht in dem Umfang in die zweite Lesung hineinnehmen. Wir sollten versuchen, die Worte: „und der Rechtsberatung“ aus der Fassung herauszunehmen, wie sie eben von dem Herrn Vorsitzenden vorgelesen worden 16)

Zu den Besonderheiten des badischen Notariates vgl. den Kommentar zur Edition der 15. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 17. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 20, S. 603. 17) Für den Wortlaut der Reichsnotarordnung vom 13. Febr. 1937 vgl. RGBl. I S. 191. 18) Im Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe lag das Notariat ausschließlich in den Händen staatlicher Notariatsbehörden. Vgl. dazu den Kommentar zu § 86 von Karl Seybold/ Erich Hornig: Reichsnotariatsordnung vom 13. Februar 1937. Leipzig 1937, S. 281.

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ist. Ich stimme mit Herrn Kollegen de Chapeaurouge darin überein, daß die Berufstätigkeit des Rechtsberaters nicht etwa in Vergleich gesetzt werden kann mit der Tätigkeit eines Rechtsanwalts oder eines Notars. Die Regelung dieser Angelegenheiten können wir wirklich den Ländern überlassen. Anderer Auffassung bin ich hinsichtlich des Notariats. Hier muß in die Fassung, wie sie vorgelesen worden ist, das Notariatswesen hineinkommen. Es ist noch nicht gesagt, Herr Kollege Dr. Fecht, daß damit eine Änderung des bisherigen Zustandes herbeigeführt wird. Wir geben hier dem Bund lediglich im Wege der Vorranggesetzgebung die Möglichkeit, zu gegebener Zeit von dem Gebrauch zu machen, was hier niedergelegt worden ist. Und selbst wenn in einem späteren Zeitpunkt der Bund von der Möglichkeit Gebrauch macht, ein einheitliches Notariatswesen zu schaffen, dann ist damit noch nicht gesagt, daß die in Süddeutschland vorhandenen Verhältnisse keine Berücksichtigung finden. Ich halte es aus diesem Grunde, vor allem im Hinblick auf die von mir durchaus gebilligten Ausführungen des Herrn Dr. de Chapeaurouge, für notwendig, die Vorranggesetzgebung auch auf das Notariatswesen auszudehnen, und bitte demzufolge, die Fassung unter Berücksichtigung der von mir nunmehr beantragten Änderung so zu lassen. Walter (CDU): Nach den Ausführungen meines Kollegen Fecht glaube ich, mich auf wenige Worte beschränken zu können. Wir wissen, es ist richtig, was Herr Kollege Greve soeben gesagt hat, daß damit, daß das Notariat in das Grundgesetz aufgenommen wird, diese Sache noch nicht geordnet wird. Wir haben zwar nichts einzuwenden gegen die Rechtsanwälte, nichts einzuwenden gegen die einheitliche Gebührenordnung usw., aber wir wissen nicht, wie es geht, wenn dieser Gegenstand einmal in die Vorranggesetzgebung aufgenommen worden ist. Die Verhältnisse bei uns in Nord-Württemberg haben sich wirklich bewährt. Der Herr Vorsitzende leitet ja das Justizwesen in Süd-Württemberg, und ich weiß nicht, welche Auffassung er darüber hat. (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Die gleiche wie Sie!) Ich nehme an, es werden dieselben Erfahrungen in Nord-Württemberg wie in SüdWürttemberg sein. Die Länder waren bis vor kurzem noch vereint, leider sind sie jetzt getrennt worden. Jedenfalls hat sich das Notariatswesen bei uns bewährt. Die Beamten sind für ihre Zwecke besonders gut ausgebildet und sie sind Grundbuchrichter. Wenn nun auf Grund der Vorranggesetzgebung schließlich ein einheitliches Gesetz geschaffen würde, so muß, wie in den §§ 85, 86 der Reichsnotarordnung, für die süddeutschen Staaten ein Vorbehalt geschaffen werden. Ich schließe mich daher dem Antrag, der bereits gestellt worden ist, an, die Worte: „Angelegenheiten des Notariatswesens“ zu streichen. Ich möchte ferner aus sprachlichen Gründen bitten, statt „die Ordnung der Rechtsanwaltschaft“ zu schreiben: „die Ordnung der Dienstverhältnisse der [S. 85] Rechtsanwaltschaft“. Ich weiß im Augenblick nichts Besseres; auf jeden Fall ist es besser als so, wie es da steht. Es sieht doch etwas merkwürdig aus, wenn es heißt: die Rechtsanwaltschaft muß „geordnet“ werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ordnung der Rechtsanwaltschaft = ordo iuris consultum. Da sind doch gewiß keine Zweifel mehr, daß das alles in Ordnung ist.

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Dr. Laforet (CSU): Von meinem Standpunkt aus muß in Übereinstimmung mit der Auffassung unserer bayerischen Staatsregierung gebeten werden, das Notariatswesen in die Vorranggesetzgebung nicht aufzunehmen. Bei uns ist eine Sonderregelung, die sich jahrzehntelang sehr bewährt hat. Es sind da noch besondere Einrichtungen bezüglich der Versorgungsansprüche der Notare und der Gehaltsansprüche der Notariatsbeamten vorhanden. Das ist ein Gesichtspunkt, der dem auf der anderen Seite gegenübersteht, gleiche Notariatsgebühren im übrigen deutschen Bund einzuführen, und der meiner Ansicht nach doch bedeutsamer ist als die Frage gleicher Notariatsgebühren, eine Frage, die durch Vereinbarungen der Länder gelöst werden kann. Man kann leider in eine Verfassung nicht einen Vorbehalt, ein Reservat für die süddeutschen Länder aufnehmen. Wir werden uns heute mit dem Jagdrecht befassen, in dem das Reservat der einzelnen Länder festgelegt wird; dort ist es technisch möglich, hier ist es nicht möglich. Es bleibt also nur der eine Weg, zur Sache selbst Stellung zu nehmen. Es besteht keinerlei Bedürfnis, das Notariatswesen von Reichs wegen zu regeln. Es ist aber auch eine schiefe Ebene, die wir hier betreten. Es ist bereits betont worden: Wir haben keinerlei Gewähr, ob nicht doch über unsere bewährten süddeutschen Einrichtungen in dieser Vorranggesetzgebung hinweggegangen wird. Ich bitte deshalb, die Worte „Angelegenheiten des Notariatswesens“ zu streichen. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Zu der Bemerkung von Herrn Kollegen Walter über die „Ordnung der Rechtsanwaltschaft“ möchte ich sagen: Ich finde auch, daß Rechtsanwaltschaftsordnung keine vollkommene Bezeichnung ist. Es müßte heißen: „das gerichtliche Verfahren, die Rechtsanwaltschaft“. Dann wäre diese Frage vollkommen erledigt. Wegen des Notariatswesens sind neue Schwierigkeiten entstanden. Ich möchte nicht das zweite Mal darüber lange sprechen, und zwar, weil ich glaube, daß es mir möglich sein wird, einen Weg zu finden, der die berechtigten Berufsinteressen meiner süddeutschen Freunde berücksichtigt. Ich weiß, daß die süddeutschen Eigenarten des Notariats in Bayern, Württemberg, Baden sich weiter auch unter der Reichsnotarordnung bewährt haben, und ich bin meiner ganzen Einstellung nach der letzte, der seinen süddeutschen Freunden etwas nehmen möchte, worauf sie glauben stolz sein zu können. Wogegen ich mich wende, ist, daß durch die Streichung des Notariats im Grundgesetz wieder eine Rechtszersplitterung entstehen kann und ein niedersächsisches, westfälisches, hessisches, hamburgisches oder bremisches selbständiges Notariat wieder entstehen kann. Das ist ein Rückfall in Zustände der Rechtszersplitterung, die überwunden sein sollten. Deshalb wünsche ich, daß für das Notariat die Vorranggesetzgebung des Bundes erhalten bleibt. Bei Aufnahme des Notariats in Art. 36 Ziffer19) 1 kann doch im Ernst keine Gefahr bestehen, daß die süddeutschen Länder gegen ihren Willen gezwungen werden könnten, auf bewährte Eigenarten ihres Notariats zu verzichten. Es ist doch ausgeschlossen, daß gegen den Willen der süddeutschen Länder das Notariat gefährdende Gesetze im Bunde beschlossen werden. Wir, die wir das Notariat im Grundgesetz festlegen möchten, wollen den süddeutschen Ländern bewährte Eigenarten ihrer Entwicklung, die in der zentralistischen Hitlerzeit sogar anerkannt worden 19)

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Statt „Ziffer“ im stenograph. Wortprot., S. 12: „Abs.“.

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sind, nicht nehmen. Das liegt besonders mir nach meiner ganzen politischen Einstellung völlig fern. Wagner (SPD): Der Zuständigkeitsausschuß hatte in seinem ursprünglichen Entwurf die Angelegenheiten des Notariatswesens nicht aufgenommen. Die Notariatsvertretungen der britischen Zone haben dann verlangt, daß sie in die Vorranggesetzgebung aufgenommen werden. Wir haben daraufhin die Sache im Zuständigkeitsausschuß noch einmal gründlich geprüft. Man muß an sich sagen, daß wir von der sozialdemokratischen Fraktion eine einheitliche Notariatsordnung für den ganzen Bund sehr gern gesehen hätten. Wir haben uns aber seinerzeit entschlossen, uns mit Württemberg-Baden in Verbindung zu setzen, um zu hören, ob die Bedenken dort gewachsen sind und wie sie heute liegen. Es sind dieselben Bedenken geltend gemacht worden, wie sie Herr Kollege Walter und Herr Kollege Fecht vertreten haben. Die Bedenken aus Bayern sind eigentlich nicht sehr wesentlicher Art. Die Notariatsordnung von Bayern und das Notariatswesen von Württemberg-Baden sind gar nicht zu vergleichen, das sind ganz verschiedene Dinge. Aber die Bedenken, die von Württemberg und Baden geltend gemacht worden sind, scheinen uns so ernst zu sein, daß wir geglaubt haben, auf die Aufnahme des Notariatswesens in die Vorranggesetzgebung verzichten zu können, um so mehr, als die Frage nicht von so prinzipieller und entscheidender Bedeutung ist, daß darüber große Meinungsverschiedenheiten hätten ausgetragen zu werden brauchen. Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, den mein Freund Greve vorhin vertreten hat, daß eine Aufnahme des Notariats in die vorliegende Bestimmung doch nicht gegen die Interessen der süddeutschen Freunde verstoße, so ist das durchaus richtig. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß in Baden und Württemberg diese Bestimmung so aufgefaßt wird, als wollte man ihr System, das sie haben und besonders schätzen, von Grund auf ändern. Zu dieser Beunruhigung liegt aber wirklich gar kein Grund vor. Ich möchte deshalb auch dafür eintreten, daß das Notariatswesen weggelassen und Art. 36 Ziffer 1 in der Fassung angenommen wird, wie sie der Zuständigkeitsausschuß beschlossen hat; sie enthält den früheren Reichsgesetzgebungsstand: das bürgerliche Recht, das Strafrecht, den Strafvollzug, die Gerichtsverfassung, das gerichtliche Verfahren und die Rechtsanwaltschaft20). Es würde also die Rechtsberatung wegfallen. Wir glauben, es ist nicht notwendig, hierfür eine Vorranggesetzgebung zu schaffen. Walter (CDU): Ich möchte nur meinem Befremden darüber Ausdruck geben, daß der Redaktionsausschuß hier in dieser Ziffer 1 derart grundsätzliche Änderungen vorgenommen hat, nachdem der Zuständigkeitsausschuß beinahe einstimmig beschlossen hatte, das Notariatswesen nicht aufzunehmen; dazu ist dieser Ausschuß nicht berufen und befugt. Dr. Greve (SPD): Ich möchte die redaktionelle Anregung geben, daß wir die Fassung so wählen: „Angelegenheiten des Notariats- und Rechtsanwaltswesens“. 20)

Im stenograph. Wortprot., S. 13, folgt danach: „Ich glaube, wenn es heißt: ,Gesetzgebung über die Rechtsanwaltschaft‘, dann ist es schon etwas besser, als wenn wir sagen: ,. . . über die Rechtsanwaltsordnung‘, und dann kommt ein Punkt und damit ist Ziffer 1 erledigt.“

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Kollege Walter, wir haben uns an sich gedacht, daß unsere Beschlüsse noch einmal dem Spezialausschuß zugeleitet werden und daß ihre endgültige Redaktion dann dem Hauptausschuß vorgelegt wird. Nun ein Wort zu dem Problem Rechtsberatung. Das ist ein weites Gebiet, und ich meine schon, daß man es dem Bund überlassen müßte; es kann nur einheitlich geregelt werden. Inwieweit es der Bund allerdings für nötig hält, Sonderbestimmungen für Rechtsberater zu treffen, muß man ihm überlassen. Dadurch wird die Gerichtsverfassung betroffen, und ich glaube nicht, daß man für sie dem Bund die Vorranggesetzgebung geben und die Rechtsberatung herauslösen kann. Zimmermann (SPD): Ich möchte dafür plädieren, daß die Worte „und der Rechtsberatung“ bleiben, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die Gewerkschaften, wie Sie wissen, ihre Mitglieder in Rechtsangelegenheiten beraten. Ein Wegfall der Bestimmung würde bedeuten, daß die Gewerkschaften eine Rechtsberatung ihrer Mitglieder nicht mehr ausüben könnten21); das würde eine Unstimmigkeit ergeben, die die Gewerkschaften nicht ohne weiteres und ohne Widerspruch hinnehmen würden. Es würde das auch meiner Auffassung nach ein ziemliches Durcheinander ergeben. Man sollte eigentlich als selbstverständlich ansehen, [S. 86] daß die Rechtsberatungsstellen der Gewerkschaften darum nicht aufgehoben werden. Ich will damit durchaus nicht irgendwie einen besonderen Schutz durch die Vorranggesetzgebung gewinnen. Mir kommt es in erster Linie darauf an, daß die Gewerkschaften ihre Rechtsberatungsstellen auf dem Bundesgebiet gesichert sehen. Renner (KPD): Ich bin auch der Meinung, daß der Vorrang für die soziale Rechtsberatung gewahrt bleiben muß. Mit Recht hat der Vorredner darauf hingewiesen, daß die Gewerkschaften in der Hauptsache an der Aufrechterhaltung dieses Rechts interessiert sind. Aber neben den Gewerkschaften gibt es noch eine Reihe anderer sozialer Organisationen. Ich denke da zum Beispiel an die Kriegsbeschädigtenorganisationen und verweise auf die Organisationen, die eine ehrenamtliche Rechtsberatung im Interesse ihrer Mitglieder durchgeführt haben. Es besteht die Gefahr, daß man diesen sozialen Organisationen dieses Recht wegnimmt, wenn man den Ländern das Recht der Sonderregelung im Gegensatz zu der heute bestehenden Reichsregelung überläßt. Es ist doch eine bekannte Tatsache, daß aus Kreisen der Rechtsanwälte schon seit Jahren ein systematischer Kampf gegen dieses Recht geführt wird, der nicht etwa erst in den letzten Jahren ausgebrochen ist, sondern schon seit Jahren geht und gegen dieses Recht, das die Gewerkschaften erst mühselig erkämpfen mußten, aus reinem Profitinteresse heraus geführt wird, um das einmal hier klar auszusprechen. Wir haben schon die Verpflichtung, den Gewerkschaften und den sozialen Organisationen dieses Recht unter allen Umständen zu garantieren, und wir dürfen es nicht vom guten oder schlechten Willen gewisser Länderregierungen abhängig machen, den Gewerkschaften dieses Recht streitig zu machen. Diese Gefahr besteht meines Erachtens gewiß. Dr. Laforet (CSU): Wenn das Wort „Rechtsberatung“ gestrichen wird, so wird dadurch gesetzlichen Maßnahmen gegen den Mißbrauch der Rechtsberatung nicht vorgegriffen. Der Gegenstand wird nur aus der Verteilung der Zuständigkeit zwischen Reich und Ländern entfernt. Soweit etwa der Mißbrauch der Rechtsberatung 21)

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Im stenograph. Wortprot., S. 13a, folgt danach der Zwischenruf: „(Widerspruch)“.

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unter die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren fällt, steht einer einheitlichen reichsgesetzlichen Regelung nichts im Wege22). Ich möchte das Wort „Rechtsberatung“ aus diesem Abschnitt entfernt wissen, um klarzustellen, daß in die Befugnisse der Gemeinden, der Gewerkschaften, der gemeindlichen Verbände und gemeinnützigen Einrichtungen in der Rechtsberatung nicht eingegriffen wird. Der Gegenstand wird also hier in der Zusammenfassung nicht erwähnt, und es bleibt der Entwicklung überlassen. Dr. Kleindinst (CSU): Rechtsberatung ist schon seit Jahrzehnten durchgeführt und auch staatlich gefördert worden. Ich kann versichern: es besteht nicht die geringste Gefahr, daß hier eine Revision eines seit Jahrzehnten eingehaltenen Standpunktes eintritt. Die ganze Frage richtet sich nur gegen das, was man die „Winkeladvokatur“ genannt hat, nicht gegen die gemeinnützige Rechtsberatung. Wagner (SPD): Es dreht sich durchaus nicht um die Regelung der materiellen Frage, sondern um die der Kompetenzverteilung. Auch hier ist im Redaktionsausschuß vorgesehen, daß die Rechtsberatung in die Vorranggesetzgebung aufgenommen werden soll23). Es hat kein Mensch von uns dabei daran gedacht, daß die rechtsberatende Tätigkeit von sozialen Organisationen oder Gewerkschaften irgendwie angegriffen werden soll. Der Gedanke ist so absurd, daß er nicht ernst genommen werden kann. Aber wir halten es heute für überflüssig, eine Rechtsberatung in die Vorranggesetzgebung aufzunehmen. Es besteht gar keine Veranlassung, irgendwie zu befürchten, daß, wenn das nicht geschieht, die rechtsberatende Tätigkeit der genannten Organisationen Schaden erleiden könnte. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte davor warnen, die Worte: „und der Rechtsberatung“ zu streichen. Es fällt unter Rechtsberatung sehr viel, nicht nur die „soziale“ Rechtsberatung, nicht nur die „Winkeladvokatur“, sondern auch die Tätigkeit der Verwaltungsrechtsanwälte, der Steuerberater, aller jener, die rechtliche Ratschläge in Ausübung eines Berufes geben, ohne Rechtsanwälte zu sein, auch der Rechtskonsulenten. Es sollte doch möglich sein, hier gewisse bundeseinheitliche Regeln zu erlassen, zum Beispiel über das Recht, zusätzlich zu den Rechtsanwälten vor gewissen Gerichten aufzutreten. Man sollte das nicht den einzelnen Ländern überlassen, und es sollte die Einheit der „effektiven“ Gerichtsverfassung nicht bedroht werden. Was das Notariatswesen anbetrifft, so glaube ich, daß man diese Materie nicht zum Gegenstand der Vorranggesetzgebung zu machen braucht. Wenn etwas örtlich geregelt werden kann, dann meines Erachtens das Notariat. Vor allem aber hat man hier bestimmten Länderinteressen Rechnung zu tragen, nicht nur den Interessen Badens. Für uns in Württemberg ist der Bezirksnotar nicht nur ein Element der Gerichtsverfassung, sondern – fast möchte ich sagen – einer der tragenden Pfeiler unserer ungeschriebenen Staatsverfassung. Es würde für Württemberg-Baden einem revolutionären Akt gleichkommen, wenn man den Bezirksnotar abschaffen würde; denn das ist nicht nur der Mann, der Erklärungen beurkundet und das Grundbuch versieht, sondern auch weithin der weltliche Seelsorger der Gemeinden. Aus die22) 23)

Im stenograph. Wortprot., S. 15, folgt danach: „Wichtig ist mir der Nachweis:“ Vgl. Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 16. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 48.

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sem Grunde möchte auch ich mich dafür aussprechen, daß man das Notariat hier streicht. (Renner [KPD]: „Seelsorger der Gemeinden“ –, aber nur gegen gutes Geld!) Dr. de Chapeaurouge (CDU): Die Notare sind keine Verdiener. Sie tun wohl in allen Teilen des Reiches, nicht nur in Württemberg, als weltliche Seelsorger der Bevölkerung viel, auch Ehrenamtliches, und haben eine hohe Auffassung ihrer Pflichten. Sie sind keine Verdiener, namentlich nicht nach der Währungsreform. Die Tätigkeit der Notare auf dem Gebiete der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist gerade jetzt in einer Zeit der Umgestaltung der ganzen wirtschaftlichen Verhältnisse besonders wichtig. Es ist erwünscht, daß ihre Berufsausübung auch in Zukunft auf Grund einer einheitlichen Notariatsordnung erfolgt. Würde sie beseitigt, dann bestünde die Möglichkeit, daß in den einzelnen Ländern, zum Beispiel in Niedersachsen oder Hessen, nach kurzer Zeit die Notare auf Grund verschiedener Gesetze zu arbeiten hätten. Das ist kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die süddeutschen Länder ihrerseits jede Möglichkeit behalten, ihre Besonderheiten zu bewahren. Keine Besonderheit eines süddeutschen Notariats wird durch die Einfügung des Notariats in Art. 36 gefährdet. Es besteht aber ein großes gesamtdeutsches Interesse, die Einheit des Notariats, deren Erringung durch die Reichsnotarordnung ein Fortschritt war, auch in Zukunft zu erhalten. Schönfelder (SPD): Ich möchte ein Wort dafür einlegen, daß die Rechtsberatung auch in der Aufzählung bleibt. Wer die Anfänge mitgemacht hat, wird wissen, wie schwer die Gewerkschaften und andere Organisationen zu kämpfen hatten, als sie ihre Einrichtungen zum Schutze ihrer Mitglieder schufen. Es ist nicht ganz sicher, ob nicht solche Kämpfe und Schwierigkeiten einmal wieder auftreten. Deshalb möchte ich ein für allemal den Schutz für solche Organisationen geschaffen haben, die sich der Pflege der Rechtsberatung ihrer Mitglieder oder ihrer Anhänger widmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, wir können jetzt abstimmen lassen. Es ist beantragt, zu streichen: „Angelegenheiten des Notariatswesens“. – Die Streichung ist beschlossen. Dann ist der Antrag gestellt, die Worte: „Ordnung der“ vor „Rechtsanwaltschaft“ zu streichen, so daß es heißt: „die Rechtsanwaltschaft“. – Es ist einstimmig so beschlossen. Ferner ist der Antrag gestellt, zu streichen: „und der Rechtsberatung“. – Die Streichung ist mit 10 [S. 87] gegen 9 Stimmen abgelehnt. Art. 36 Ziffer 1 lautet nunmehr: 1. das bürgerliche Recht, das Strafrecht und den Strafvollzug, die Gerichtsverfassung, das gerichtliche Verfahren, die Rechtsanwaltschaft und die Rechtsberatung;

[2.2. ZIFFER 2–3a: PERSONENSTANDSWESEN, VEREINSRECHT, PARTEIEN]

Ziffer 2 das Personenstandswesen; Keine Wortmeldungen? – Einstimmig angenommen.

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Ziffer 3 das Vereins- und Versammlungsrecht, das Presserecht und das Lichtspielwesen; Keine Wortmeldungen? – Ziffer 3 ist angenommen. Ziffer 3a politische Parteien (Art. 21a); Dr. Seebohm (DP): Wir haben uns bei der Beratung des Art. 35 zu dem Grundsatz entschlossen, die Aufzählung nicht vollständig vorzunehmen, sondern die an anderer Stelle geregelte Materie hier wieder herauszunehmen. Der Ausschuß für die Redaktion hatte vorgeschlagen, alle diese Materien hier aufzunehmen. Es ist aber beschlossen worden, bei Art. 35 diese Ziffer wieder zu streichen, und ich würde vorschlagen, daß wir einheitlich – also wie bei Art. 35 – auch hier diese Zusatzziffer wieder streichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde für diesen Fall darum bitten, daß man in Art. 21a Abs. 1 einfügt: „. . . sind durch Bundesgesetz zu regeln“. Das wäre dann die Konsequenz. (Zuruf: In dem Grundrechtsteil!) – Ob es nicht doch zweckmäßig wäre, diese Ziffer 3a zu lassen, um die Sache klarzumachen? Dr. Hoch (SPD): Es ist schon bei Art. 35 grundsätzlich beschlossen, es zu streichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich meine bei Art. 21a. Dr. Hoch (SPD): Das ist Aufgabe des Redaktionsausschusses. Vors. Dr. Schmid (SPD): Für den Fall, daß diese Ziffer 3a gestrichen werden sollte, besteht Einverständnis darüber, daß es bei Art. 21a nicht heißt: „durch Gesetz“, sondern: „durch Bundesgesetz“. Ich lasse darüber abstimmen, ob Ziffer 3a gestrichen werden soll. – Die Streichung ist mit 9 gegen 4 Stimmen beschlossen.

[2.3. ZIFFER 4: POSTGEHEIMNIS]

Ziffer 4 Beschränkungen des Brief-, Fernsprech- und Postgeheimnisses nach Art. 9; Auch hier ist die Sache so, daß es in Art. 9 meiner Erinnerung nach nur heißt: „durch Gesetz“. Zinn (SPD): Der Grundsatzausschuß ist von der entgegengesetzten Auffassung ausgegangen. Er hat überall das Wort „Bundesgesetz“ ersetzt durch „Gesetz“, weil er der Auffassung war, daß alles in den Katalog aufgenommen werden soll; Herr Dr. von Mangoldt hat das bei Art. 25 Abs. 6 ausdrücklich erwähnt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir müssen einheitlich verfahren. Ich glaube, wir verfahren so wie das letzte Mal bei Art. 35: Wir streichen die Ziffern, deren Materie an anderer Stelle schon geregelt ist. Wir wollten uns aber vorbehalten, an diesen anderen Stellen dann klar zum Ausdruck zu bringen, daß es sich um Bundesgesetze und nicht etwa um Ländergesetze handelt. Wer ist für die Streichung der Ziffer 4? – Die Streichung der Ziffer 4 ist mit 12 gegen 4 Stimmen beschlossen.

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Dr. Menzel (SPD): Wenn wir bei den anderen Artikeln sagen, daß ein Bundesgesetz diese Materie regeln kann, dann haben wir doch weiter klargestellt, daß es sich um eine Vorranggesetzgebung handelt; denn es könnte nach dem jetzigen Katalog zu Art. 36 durchaus sein, daß die Länder ein Gesetz erlassen, wenn es der Bund nicht tut. Wenn wir aber in den anderen Artikeln sagen: „durch Bundesgesetz“, dann würde das ausschließen, daß die Länder tätig werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Einwand von Herrn Dr. Menzel ist richtig; denn hier ist nicht mehr klar, ob es sich um Vorranggesetzgebung handelt, das heißt, ob in dieser Materie die Länder, solange der Bund die Materie nicht gesetzgeberisch geregelt hat, auch Gesetze erlassen können. Aus diesem Grunde wäre es wahrscheinlich richtiger, diese Ziffer zu lassen. (Zuruf: Nein, alle!) – Dann müssen wir sie alle lassen, wenn der Einwand von Herrn Dr. Menzel richtig ist. Dr. Hoch (SPD): Ich habe keinen Zweifel, daß die Streichung bedeutet: Diese Materie kann ausschließlich nur vom Bund durch ein Bundesgesetz geregelt werden. Wir wollen doch nicht die Möglichkeit geben, daß jedes Land über Fernsprechund Postverkehrstarife eigene Vorschriften erläßt. Ich glaube, das wäre eine durchaus unerwünschte Konsequenz. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann ist es allerdings nicht Vorranggesetzgebung, sondern ausschließliche Gesetzgebung. Dr. Laforet (CSU): Es ist, glaube ich, von Herrn Kollegen Dr. Seebohm schon betont worden, daß der Erlaß aller dieser Gesetze Bundessache sein muß.

[2.4. ZIFFER 5: AUFENTHALTS- UND NIEDERLASSUNGSRECHT FÜR AUSLÄNDER]

Vors. Dr. Schmid (SPD):

Ziffer 5 das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer; Dr. Laforet (CSU): Der Klarheit halber eine Frage, die auch im Zuständigkeitsausschuß erörtert worden ist: Ist da auch die Fremdenpolizei inbegriffen? Vors. Dr. Schmid (SPD): Natürlich. Renner (KPD): Fremdenpolizei? Was hat das überhaupt in diesem Zusammenhang zu sagen? Soll das heißen, daß auch die Fremdenpolizei zentral geführt wird? (Dr. Laforet [CSU]: Nein!) – Sie meinen, daß besondere Fremdenpolizeien örtlich aufgemacht werden? Dr. Laforet (CSU): Es kann vom Bund im Gesetzgebungsvorrang auch das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer geregelt werden. Damit wird das erfaßt, was man mit dem Wort „Fremdenpolizei“ zuweilen sagt, also der Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländern im Inland. Dr. Greve (SPD): Ich weiß nicht, ob der Zuständigkeitsausschuß sich Klarheit verschafft hat über das, was Herr Laforet eben sagte. Wenn hier in der Vorranggesetzgebung eine Kompetenz aufgenommen ist über das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer, dann bedeutet diese Formulierung meines Erachtens weiter nichts als das Individualrecht der Ausländer, sich irgendwo aufzuhalten

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oder niederzulassen. Ich weiß nicht, ob in der Formulierung „Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer“ auch das Fremdenpolizeiwesen mit enthalten ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Doch! Dr. Greve (SPD): Wenn das hier festgestellt und protokollarisch niedergelegt wird, so habe ich keine Einwendungen. Aber sonst könnte ich mir denken, daß man sagt: „das Aufenthalts- und Niederlassungswesen“. Das ist etwas anderes als das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer. Vors. Dr. Schmid (SPD): „Recht“ heißt hier nicht das subjektive Recht, sondern heißt Rechtsmaterie. [S. 88] Dr. Hoch (SPD): Wir haben uns im Zuständigkeitsausschuß eingehend über diese Fragen unterhalten, und zwar deshalb, weil in der Weimarer Verfassung die Fremdenpolizei besonders aufgeführt war24). Es heißt: „Der Bund hat den Vorrang bei der Gesetzgebung“. Also handelt es sich immer nur um die Frage der Zuständigkeit zum Erlaß von Gesetzen und Regelungen über das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer. Es kann dabei nicht nur das Recht der einzelnen Ausländer festgelegt werden, sondern auch die Kompetenz der Behörden, gegen einen Ausländer einzugreifen. Das wird im Rahmen des Niederlassungs- und Aufenthaltsrechts mit geregelt, so daß wir gar keinen Zweifel haben, daß hier die Fremdenpolizei eingeschlossen ist. Renner (KPD): Ist mit dieser Formulierung „Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer“ auch das Recht der Ausweisung von Fremden geregelt? Wenn man das nicht zur Kompetenz des Bundes macht, dann können wir auf dem Gebiet erleben, daß zum Beispiel ein Preuße aus Bayern ausgewiesen wird. Ich bin der Meinung, daß da Klarheit geschaffen werden muß, auch über das Auslieferungsrecht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das Auslieferungsrecht ist in Art. 35 bei der ausschließlichen Gesetzgebung geregelt. Renner (KPD): Da verschleiern Sie von Ihrem Gesichtspunkt aus die Situation! Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Kollege Renner, ich möchte auch den Auslieferungsbeschluß durch eine Landesregierung unmöglich machen. Ich lasse über Ziffer 5 (jetzt Ziffer 4) abstimmen. – Die Ziffer ist in der Fassung der Vorlage angenommen.25)

[2.5. ZIFFER 6: SCHUTZ DES KULTURGUTES]

Ziffer 6 den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung in das Ausland; Keine Wortmeldungen? – Die Ziffer ist in dieser Fassung beschlossen.

24)

Art. 7 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Das Reich hat die Gesetzgebung über: 1. [. . .] 4. das Paßwesen und die Fremdenpolizei“. RGBl. S. 1384. 25) Statt „Ich lasse über Ziffer 5 (jetzt Ziffer 4) abstimmen. – Die Ziffer ist in der Fassung der Vorlage angenommen.“ Im stenograph. Wortprot., S. 24: „Ich glaube, der Punkt ist abgeschlossen.“

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Siebente Sitzung des Hauptausschusses 23. November 1948 [2.6. ZIFFER 7: ÖFFENTLICHER DIENST DER LÄNDER]

Ziffer 7 Rahmenvorschriften über die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienst der Länder und Selbstverwaltungskörperschaften stehenden Personen; Dr. Hoch (SPD): Wir haben diese Frage heute morgen im Zuständigkeitsausschuß eingehend erörtert und wollten vorschlagen, nicht „Rahmenvorschriften“ zu sagen, sondern „Grundsätze“. Rahmenvorschriften sind nach unserer Auffassung Vorschriften, die bindendes Recht schaffen, auf das sich jeder Einzelne berufen kann, während Grundsätze nur Anweisungen an den Landesgesetzgeber sind. Es sollte genügen, Grundsätze oder Anweisungen für den Landesgesetzgeber zu geben, die er zu beachten hat, wenn er die Rechtsverhältnisse der öffentlichen Bediensteten regelt. Dr. Laforet (CSU): Es muß ergänzend berücksichtigt werden, ob sich das auf Beamte beschränken soll. Sie kennen die Regelung der Materie, wie sie in Art. 10 Ziffer 3 der Weimarer Verfassung26) gegeben war. Die Frage ist die: Die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst empfangen ihre Rechte aus dem Arbeitsrecht. Das Arbeitsrecht ist Vorranggesetzgebung. Es kann durchaus sein, daß das Arbeitsrecht für bestimmte Gruppen günstigere Regelungen gibt als das Beamtenrecht. Ich meine, es sollte hier nur der Beamte in Betracht gezogen werden, da der im öffentlichen Dienst der Länder und der Selbstverwaltungskörperschaften stehende Angestellte und Arbeiter durch den Begriff „Arbeitsrecht“ gedeckt ist, so daß also eine Grundsatzgesetzgebung nur für die Rechtsverhältnisse der Beamten in den öffentlichen Körperschaften gegeben werden kann, wie sie dem Art. 10 Ziffer 3 der Weimarer Reichsverfassung entspricht. Dem Begriff „Grundsätze“ ist der Vorzug zu geben. Im Zuständigkeitsausschuß war man sich ausdrücklich klar, daß das Wort „Grundsätze“ nur eine Bindung der Länder darstellt und dem einzelnen Beamten weder einen unmittelbaren Rechtsanspruch noch eine unmittelbare Dienstpflicht zuweist. Ich möchte deshalb beantragen, daß die Ziffer 7 die Fassung erhält: Grundsätze über das Recht der Beamten aller öffentlichen Körperschaften; Zinn (SPD): Ich glaube, die Ansicht des Herrn Dr. Laforet, daß das Recht von Personen, die nicht im Beamtenverhältnis stehen, ausschließlich durch das Arbeitsrecht geregelt sei, trifft nicht ganz zu. Denken Sie etwa an die Dauerangestellten der kommunalen Verbände. Auch unterliegen in manchen Ländern, zum Beispiel in Hessen, Angestellte den Disziplinarrechtsvorschriften, die für Beamte gelten. Dr. Menzel (SPD): Wir haben in den Ländern in zunehmendem Maße die Entwicklung zu verzeichnen, die Differenzierungen zwischen Beamten und Angestellten zu vermindern und diejenigen Angestellten, die ebenso treu und brav 10 Jahre gedient haben wie ein Beamter, zumindest wirtschaftlich und auch in disziplinärer Hinsicht mit den Beamten gleichzustellen. Das Gesetz, das der bizonale Wirtschaftsrat in Frankfurt/Main gerade in diesen Tagen berät, weist die gleiche Ten26)

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Art. 10 Ziffer 3 Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Das Reich kann im Wege der Gesetzgebung Grundsätze aufstellen für: [.. .] 3. das Recht der Beamten aller öffentlichen Körperschaften; [. . .]“.

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denz auf. Wir würden hier eine solche – ich glaube, nicht nur im Interesse der Angestellten, sondern auch im Interesse der öffentlichen Verwaltung begründete – Entwicklung unter Umständen hemmen, wenn wir nur eine bestimmte Kategorie von Männern und Frauen, die in der öffentlichen Verwaltung tätig sind, unter den Schutz des Grundgesetzes nehmen. Es hat jeder, der für die öffentliche Verwaltung arbeitet, ein Recht auf gleichen Schutz. Ich bitte deshalb, diese Formulierung der Ziffer zu belassen. Dr. Kleindinst (CSU): Nach dem Antrag des Herrn Dr. Laforet sollten Tarifverträge für Angestellte und Arbeiter unberührt bleiben. Nun sind alle Rechtsverhältnisse der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst durch Tarife geregelt. Es handelt sich um Teile der Reichsrahmentarifverträge, die dann in den Ländern noch weiter ausgeführt wurden. Das soll ausdrücklich aufrechterhalten werden. Herr Dr. Laforet wendet sich gegen Beeinträchtigungen, die vom Ausschuß gar nicht ins Auge gefaßt worden sind. Dr. Dehler (FDP): Ich würde es für zweckmäßig halten, „Rahmenvorschriften“ durch „Grundsätze über die Rechtsverhältnisse“ zu ersetzen. Vors. Dr. Schmid (SPD):27) Mir ist es neu, Herr Dr. Laforet, daß auch für die Angestellten besondere Landesgesetze erlassen sind.28) Für uns ist nur das Tarifrecht maßgebend,29) und ich möchte nur klarstellen, daß hier dem Tarifrecht nicht vorgegriffen wird. Es ist von Herrn Dr. Laforet beantragt, der Ziffer 7, jetzt 6, folgende Fassung zu geben: „die Grundsätze über das Recht der Beamten aller öffentlichen Körperschaften;“ Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 13 gegen 8 Stimmen abgelehnt. – Ziffer 7, jetzt Ziffer 6, behält somit die Fassung der Vorlage des Redaktionsausschusses.

[2.7. ZIFFER 8 UND 9: FLÜCHTLINGSWESEN, KRIEGSSCHÄDEN, WIEDERGUTMACHUNG]

Ziffer 8 das Flüchtlingswesen; Dr. Seebohm (DP): Der Begriff „Flüchtlinge“ hat für mein Empfinden einen unangenehmen Beigeschmack. Ich bin der Auffassung, daß wir grundsätzlich – wir haben darüber schon einmal gesprochen den Begriff „Vertriebene“ anwenden sollten, und möchte deshalb beantragen, daß hier an Stelle des Wortes „Flüchtlingswesen“ das Wort „Vertriebenenwesen“ gesetzt wird. [S. 89] Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist beantragt, das Wort „Flüchtlingswesen“ durch das Wort „Vertriebenenwesen“ zu ersetzen. Wir stimmen darüber ab. – Es ist mit 10 gegen 7 Stimmen so beschlossen.30) 27)

Im stenograph. Wortprot., S. 26, folgt danach: „,Allgemeine Grundsätze für‘! –“ Im stenograph. Wortprot., S. 26, folgt danach: „(Zuruf: Doch!)“ 29) Im stenograph. Wortprot., S. 26, folgt danach: „(Zuruf: Aber wir sind noch nicht so weit wie Hessen!)“ 30) Im stenograph. Wortprot., S. 28, folgt danach: „(Zuruf: Sehr schön ist das nicht!)“ 28)

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Ziffer 9 das Kriegsschädenrecht und das Recht der Wiedergutmachung; Wortmeldungen liegen nicht vor. – Die Ziffer ist in dieser Fassung angenommen.

[2.8. ZIFFER 10: WIRTSCHAFTSRECHT]

Ziffer 10 das Wirtschaftsrecht (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, Privatversicherungen); Herr Abgeordneter Zinn beantragt, die Ziffer wie folgt zu fassen: das Recht der Wirtschaft (Wirtschaftsverfassung, Bergbau usw. wie oben); Dr. Seebohm (DP): Wir haben uns im Zuständigkeitsausschuß sehr eingehend über diese Frage unterhalten und die Auffassung vertreten, daß wir statt „das Wirtschaftsrecht“ sagen könnten: „das Recht der Wirtschaft“, weil in der Klammer aufgeführt wird, was unter „Wirtschaft“ zu verstehen ist.31) Wir waren aber auch der Auffassung, daß der Begriff „Wirtschaftsverfassung“ in dem Begriff „das Recht der Wirtschaft“ enthalten ist und daß wir deshalb von einer besonderen Aufzählung absehen können. Aber ich lege persönlich größten Wert darauf, daß das im Protokoll festgestellt wird32), damit eindeutige Klarheit darüber besteht, daß hiermit die Wirtschaftsverfassung gemeint ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte doch vorschlagen, es bei der Fassung „das Wirtschaftsrecht“ zu belassen. Wirtschaftsrecht ist ein recht präziser Begriff in der Systematik der Rechtswissenschaft. Sie können in jeder juristischen Fakultät Vorlesungen über Wirtschaftsrecht angezeigt finden. Dr. Hoch (SPD): Wir haben uns im Ausschuß sehr eingehend darüber unterhalten. Ich glaube, es war die Vorschrift, die uns am meisten Kopfzerbrechen gemacht hat, und Vertreter der Wissenschaft konnten uns dabei nicht sagen, ob es wirklich einen feststehenden Begriff „Wirtschaftsrecht“ gibt. Es wurde festgestellt, daß beinahe in jedem Buch, das wir aufschlugen, bei der Erläuterung des Begriffs „Wirtschaftsrecht“ etwas anderes gesagt war. Wir haben uns bemüht, einen Ausdruck zu finden, der den Begriff „Wirtschaftsrecht“ festlegt, haben zunächst auch „Wirtschaftsrecht“ gesagt und dahinter in Klammern die erläuternden Begriffe eingefügt, wie sie hier vorgesehen sind. Nach weiteren Überlegungen sind wir aber zu der Ansicht gekommen, wir sollten den Ausdruck doch ändern und „das Recht der Wirtschaft“ sagen. Was Wirtschaft ist, ist in der Klammer aufgeführt. „Wirtschaft“ umfaßt danach alle Zweige des Wirtschaftslebens mit Ausnahme von Landwirtschaft und Forstwirtschaft. Der Ausdruck „Wirtschaftsverfassung“ wurde weggelassen aus den Erwägungen, die eben Herr Kollege Seebohm vorgetragen hat. Wir glauben, „Recht der Wirtschaft“ heißt: der Bund hat die Befugnis, alle Fragen, die auf dem Gebiet der Wirtschaft überhaupt rechtlich zu regeln sind, zu regeln. Wir 31)

Im stenograph. Wortprot., S. 28, folgt danach die stenograph. Angabe: „(Widerspruch des Abg. Dr. Hoch.)“ 32) Vgl. die 17. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung vom 23. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 23, S. 652.

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sind einstimmig der Auffassung, daß insbesondere auch der Aufbau und die Organisation der Wirtschaft ohne weiteres zu diesem neuen Begriff „Wirtschaftsrecht“ gehören und daß es nicht erforderlich ist, dies besonders aufzuführen. Dr. Menzel (SPD): Es gibt keine klare Definition des Begriffs des Wirtschaftsrechts. Ich glaube, man könnte es bei dieser Fassung hier lassen, wenn wir gleichzeitig eine authentische Interpretation dahin geben, daß wir auf keinen Fall eine Legaldefinition schaffen wollen. Denn wir haben auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts auch noch andere Fragen sowohl in diesem Katalog als auch im Katalog der ausschließlichen Gesetzgebung geregelt. Man wird nicht bestreiten können, daß die Fragen der Währung, des Geld- und Münzwesens, des Zoll- und Handelsverkehrs Fragen des Wirtschaftslebens sind. Entweder sollte man diese authentische Interpretation geben oder einfach und deutlich von dem „Wirtschaftsrecht“ sprechen und dann die Aufzählung folgen lassen. Dr. Laforet (CSU): Das sind gerade die Erwägungen, die uns dazu veranlaßt haben, zu sagen: „das Recht der Wirtschaft“ und das, was Wirtschaft ist, in der Klammer aufzuführen. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß es das gesamte Recht der Wirtschaft mit Ausnahme von Landwirtschaft und Forstwirtschaft ist. Wir definieren den Begriff „Wirtschaftsrecht“ nicht, sondern wir sagen nur: „das Recht der Wirtschaft“. Wenn wir Wirtschaftsrecht sagen würden, dann würden wir versuchen, hier eine Definition zu geben, die zur Zeit nicht gegeben werden kann, da sich in der Praxis ein einheitlicher Inhalt des Wortes „Wirtschaftsrecht“ noch nicht gebildet hat. Es ist also absichtlich der Ausdruck so allgemein gewählt, um anderen Regelungen dabei nicht vorzugreifen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, die Fassung „das Wirtschaftsrecht“ zu ersetzen durch: „das Recht der Wirtschaft“. Ich lasse darüber abstimmen. – Die Änderung ist mit 16 gegen 3 Stimmen beschlossen. Weiter ist der Antrag gestellt, vor „Bergbau“ das Wort „Wirtschaftsverfassung“ einzusetzen. Wer ist für diesen Antrag? – Niemand? (Heiterkeit.) Der Antrag ist doch gestellt worden! Offenbar will sich nunmehr auch der Antragsteller nicht zu ihm bekennen. Damit ist die Ziffer angenommen, mit der Maßgabe, daß es statt: „das Wirtschaftsrecht“ heißt: „das Recht der Wirtschaft“.

[2.9. ZIFFER 11–15: ARBEITS-, STREIK- UND ENTEIGNUNGSRECHT SOWIE SONDERBESTIMMUNGEN DES WIRTSCHAFTSRECHT]

Ziffer 11 das Arbeitsrecht einschließlich des Arbeitsschutzes und der Arbeitsvermittlung sowie die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung; Es liegen keine Wortmeldungen vor. – Die Ziffer ist angenommen. Ziffer 12 Beschränkungen des Streikrechts nach Art. 12a; Dr. Hoch (SPD): Wir hatten festgelegt, daß diese Materie nur in Art. 12a geregelt wird.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich schlage vor, die Abstimmung über diese Ziffer zurückzustellen. – Es besteht hiermit Einverständnis. Ziffer 13 das Enteignungsrecht in den Angelegenheiten, für die dem Bund die Befugnis zur Gesetzgebung zusteht; Keine Wortmeldungen? – Die Ziffer ist angenommen. Ziffer 14 (Bei Wahl der Variante Zinn für Art. 18)33) Gemeinwirtschaft und Überführung von Bodenschätzen, wirtschaftlichen Unternehmen und ganzen Produktions- und Wirtschaftszweigen in Gemeineigentum, (bei Wahl der Variante Dr. Dehler/Dr. von Brentano für Art. 18)34) Überführung von Bodenschätzen und ganzen Produktionszweigen in Gemeineigentum; Wir müssen diese Ziffer wohl zurückstellen, bis über Art. 18 abgestimmt ist. – Ich stelle fest, daß der Hauptausschuß hiermit einverstanden ist. Ziffer 15 die Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung; Keine Wortmeldungen? – Die Ziffer ist angenommen. [S. 90]

[2.10. ZIFFER 16 UND 17: LANDWIRTSCHAFTLICHE NUTZUNG, JAGDRECHT USW.]

Ziffer 16 die Sicherung der Ernährung, die Ein- und Ausfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugung und die Hochsee- und Küstenfischerei; Dr. Hoch (SPD): Wir hatten im Zuständigkeitsausschuß das, was zum Teil in Ziffer 17 enthalten ist, das landwirtschaftliche Pachtwesen, in Ziffer 16 aufgeführt, weil wir in Ziffer 16 alle Zuständigkeiten des Bundes auf dem Gebiete der Landwirtschaft zusammengefaßt hatten35). Das ist vom Redaktionsausschuß wieder getrennt worden36). Wir haben heute morgen beschlossen37), hier im Hauptausschuß anzuregen, es doch wieder in Ziffer 16 als letzten Punkt hineinzunehmen. Dr. Seebohm (DP): Wir hatten bei den Besprechungen im Zuständigkeitsausschuß auch noch erwogen, die Frage des Jagdrechts zu klären. Es war bei der entsprechenden Fassung des Grundsatzausschusses vorgeschlagen worden, hier noch auf-

33) 34) 35) 36) 37)

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Vgl. dazu die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 16. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 48. Ebd., S. 49. Vgl. Art. 36, Ziffer 10 des Entwurfs des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung vom 18. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 22, S. 643. Vgl. dazu die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 16. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 49. Vg. 17. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 23. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 23, S. 653.

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zunehmen: „Rahmenvorschriften für die Jagd“38). Es war darauf hingewiesen worden, daß das notwendig sei, um die besonders guten Vorschriften des sogenannten Reichsjagdgesetzes39) erhalten zu können, das bekanntlich jetzt durch die Anordnung der Militärregierungen aufgehoben ist40). Dr. Dehler (FDP): Das landwirtschaftliche Pachtwesen gehört in Ziffer 17, weil es die Rechtsverhältnisse der Grundstücke betrifft. Ich glaube, daß das besser in der nächsten Ziffer steht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt worden, „Rahmenvorschriften für die Jagd“ in Ziffer 16, jetzt 15, aufzunehmen. Die Worte „Rahmenvorschriften für die Jagd“ sollen hinter das Wort „Küstenfischerei“ kommen. Dr. Laforet (CSU): Das ist etwas ganz Neues und Vielversprechendes. Bis jetzt war eine Jagdgesetzgebungsbefugnis für den Bund überhaupt nicht gegeben. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Reichsjagdgesetz ein gutes Gesetz ist, wenn man alles das wegstreicht, was nationalsozialistische Verbrämung darstellt. Aber um dieses Ziel zu erreichen, brauchen die Länder gar nichts anderes zu tun, als das Reichsjagdgesetz ihrer Gesetzgebung zugrunde zu legen. Das Reichsjagdgesetz greift jedoch in eine Reihe von Verhältnissen ein, die sich allein nach den gebietlichen Verhältnissen der Länder bemessen, und schafft einen Zwang, der von einem Teil der Bevölkerung – jedenfalls bei uns im Süden – sehr unangenehm empfunden wird, schafft einen neuen Konfliktpunkt, den ich unter allen Umständen vermieden wissen möchte. Es besteht kein Bedürfnis, Rahmenvorschritten für die Jagd zu geben. Der Jäger, der im Grenzgebiet zweier Staaten auf beiden Seiten der Grenze jagen will, muß sich eben mit der Tatsache abfinden, daß er vielleicht zweierlei Jagdscheine bekommt. Wenn es sich zum Beispiel darum handelt, Schonzeiten für das ganze Gebiet, für Niederdeutschland und etwa für Hochgebirgsgegenden festzusetzen, so wird den besonderen Verhältnissen, wie sie in den einzelnen Ländern in der Auffassung über die Jagd bestehen, dadurch ein Ende bereitet, daß Rahmenvorschriften erlassen werden, weil nach der heutigen Klärung auch Rahmenvorschriften sofort unmittelbar geltendes Recht darstellen. Ich habe darüber auch Erkundigungen eingezogen, und in den mir [bekannt] gewordenen Erklärungen der Beteiligten wurde besonders anerkannt, daß es erwünscht wäre, wenn nach der Zerschlagung Preußens41) die einzelnen Länder untereinander gleichmäßige Regelungen auf der Grundlage der erlassenen Reichsjagdordnung treffen, daß aber dieses Ziel ebenso gut erreicht werden kann durch gleichlautende Bestimmungen, die in die besonderen Verhältnisse der süddeutschen Staaten nicht eingreifen. 38)

Vg. 17. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 23. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 23, S. 655. 39) Reichsjagdgesetz vom 3. Juli 1934; RGBl. I, S. 549. Vgl. dazu die 8. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 6. Okt. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 9, S. 358 mit Anm. 39. 40) Das Reichsjagdgesetz wurde durch das Gesetz Nr. 13 der amerikanischen Militärregierung vom 17. Nov. 1948 mit Wirkung vom 1. Febr. 1949 für die amerikanische Besatzungszone aufgehoben. Vgl. dazu Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 23, S. 660. 41) Der preußische Staat wurde mit dem Gesetz Nr. 46 des Alliierten Kontrollrates vom 25. Febr.1947 aufgelöst. Vgl. dazu Der Parl. Rat, Bd. 9, Dok. Nr. 3, S. 113 mit Anm. 82; ebd., Bd. 12, Dok. Nr. 2, S. 5 mit Anm. 13.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, die Worte: „Rahmenvorschriften für die Jagd“ aufzunehmen. Dr. Seebohm (DP): Ich habe den Antrag auf Grund unserer Absprache im Zuständigkeitsausschuß gestellt. Dr. Laforet (CSU): Ich habe im Zuständigkeitsausschuß beantragt, die Bestimmung dort wegzulassen. Ich bitte, die Worte „Rahmenvorschriften für die Jagd“ nicht in die Vorranggesetzgebung aufzunehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag auf Einfügung der Worte „Rahmenvorschriften für die Jagd“ abstimmen. – Der Antrag ist mit 13 gegen 6 Stimmen angenommen. Ziffer 17 den Grundstücksverkehr, das Bodenrecht und landwirtschaftliche Pachtwesen, das Wohnungsrecht (Wohnungswesen?), Rahmenvorschriften für die Bodenverteilung und das Siedlungs- und Heimstättenwesen; Dr. Seebohm (DP): Meiner Ansicht nach müßte hinter dem Wort „Wohnungsrecht“ nicht ein Komma stehen, sondern ein Semikolon, weil sonst die Sache unklar ist. Zinn (SPD): Ich bin dafür, „Wohnungswesen“ zu sagen. Wagner (SPD): Im Vorschlag des Zuständigkeitsausschusses heißt es nach dem Wort „Wohnungswesen“: „und das Siedlungs- und Heimstättenwesen“. Es muß hier nach dem Wort „und“ das Wort „für“ eingefügt werden; denn wenn das Wort „für“ fehlt, dann bezieht sich das Wort „Rahm[en]vorschriften“ nicht unbedingt auf „Siedlungs- und Heimstättenwesen“. Im übrigen stimme ich dem Antrag des Herrn Kollegen Zinn zu, an Stelle des Wortes „Wohnungsrecht“ das Wort „Wohnungswesen“ zu setzen. Zinn (SPD): Ich empfehle, das Wort „für“ nicht einzusetzen. Wir könnten sonst unter Umständen die Reichsregelung in der seitherigen Form nicht aufrechterhalten; denn das Reichssiedlungsgesetz geht über Rahmenvorschriften weit hinaus. Wagner (SPD): Die Formulierung der Vorlage: „Rahmenvorschriften für die Bodenverteilung und das Siedlungs- und Heimstättenwesen“ ist ungenau. Wenn Sie sagen wollen, daß das Siedlungs- und Heimstättenwesen geregelt werden kann, dann muß das in einer etwas positiveren Form ausgedrückt werden, etwa in der Weise, daß man sagt: „. . . das Siedlungs- und Heimstättenwesen und Rahmenvorschriften für die Bodenverteilung“. Dann gibt es kein Mißverständnis. (Zinn [SPD]: Einverstanden.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Es sind zwei42) Abänderungsanträge gestellt. Ich lasse zunächst darüber abstimmen, ob das Wort „Wohnungsrecht“ ersetzt werden soll durch das Wort „Wohnungswesen“. – Die Abänderung ist mit 18 Stimmen beschlossen. Weiter ist beantragt, nach den Worten: „das Wohnungswesen“ zu setzen: „das Siedlungs- und Heimstättenwesen und Rahmenvorschriften für die Bodenverteilung“. – Auch dieser Antrag ist angenommen, und zwar mit 17 Stimmen gegen 1 Stimme. Die Ziffer hat nunmehr folgenden Wortlaut:

42)

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Statt „zwei“ im stenograph. Wortprot., S. 35: „mehrere“.

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den Grundstücksverkehr, das Bodenrecht und landwirtschaftliche Pachtwesen, das Wohnungswesen, das Siedlungs- und Heimstättenwesen und Rahmenvorschriften für die Bodenverteilung;

[2.11. ZIFFER 18: HEILBERUFE UND ARZNEIMITTEL]

Ziffer 18 die Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, die Zulassung zu ärztlichen Berufen, zu Heilberufen und zum Heilgewerbe und den Verkehr mit Arzneien, Heil- und Betäubungsmitteln und Giften; Wagner (SPD): Der Zuständigkeitsausschuß hat heute morgen den Beschluß gefaßt, die Worte „zu Heilberufen und zum Heilgewerbe“ zu streichen, so daß es [S. 91] nur heißen würde: „die Zulassung zu ärztlichen Berufen und den Verkehr usw.“ Vors. Dr. Schmid (SPD): Wollen Sie das begründen? Wagner (SPD): Wir haben im Entwurf des Zuständigkeitsausschusses an diese Worte nicht gedacht, und der Redaktionsausschuß hat sie eingefügt. Der Redaktionsausschuß müßte uns daher einmal sagen, wie er das begründen will. Dr. Dehler (FDP): Wir wollten die Bestimmung möglichst umfassend machen. Wir dachten noch an die verschiedenen Heilpraktiker und die den Heilberuf ausübenden Personen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Halten Sie den Antrag aufrecht, Herr Wagner? (Wagner [SPD]: Ja!) Es ist beantragt die Worte „zu Heilberufen und zum Heilgewerbe“ zu streichen. Ich lasse abstimmen. – Der Antrag auf Streichung ist mit 13 gegen 7 Stimmen abgelehnt; es bleibt bei der vorliegenden Fassung.

[2.12. ZIFFER 19: NAHRUNGS-, GENUSS- UND FUTTERMITTEL]

Ziffer 19 den Schutz bei dem Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln sowie Gegenständen des täglichen Bedarfs, mit Futtermitteln, mit land- und forstwirtschaftlichem Saatgut, den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge; Dr. Seebohm (DP): Es war im Zuständigkeitsausschuß auf Grund der Ausführungen von Sachverständigen besprochen worden, hinter die Worte „den Schutz der Pflanzen“ die Worte: „und Bäume“ einzufügen, weil festgestellt wurde, daß bei dem Wort „Pflanzen“ die Bäume nicht mit eingeschlossen sind. Dr. Hoch (SPD): Darüber hinaus hat der Ausschuß beschlossen, an seiner eigenen Formulierung festzuhalten und statt „Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln sowie Gegenständen des täglichen Bedarfs“ die Fassung vorzuschlagen: „den Schutz bei dem Verkehr mit Lebens- und Futtermitteln“. Wir sind zu diesem Entschluß gekommen, weil nach den Darlegungen unseres Kollegen Dr. Strauß, der auf diesem Gebiete offensichtlich besonders sachkundig ist, der Ausdruck, wie wir

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ihn vorgeschlagen haben, der jetzigen Gesetzessprache entspricht, während die Bezeichnung, die vom Redaktionsausschuß vorgeschlagen worden ist, eine überholte Definition darstellt. Außerdem hatten wir nicht die Absicht, alle Gegenstände des täglichen Bedarfs dieser Regelung zu unterwerfen, sondern sie auf Lebens- und Futtermittel zu beschränken. Der Ausschuß beantragt daher, diese Ziffer wie folgt zu fassen: den Schutz bei dem Verkehr mit Lebens- und Futtermitteln und mit land- und forstwirtschaftlichem Saatgut; Dr. Laforet (CSU): Ich bin gebeten worden, noch eine Anregung vorzubringen: „den Schutz bei dem Verkehr mit Lebens- und Futtermitteln sowie land- und forstwirtschaftlichem Saatgut und Forstpflanzen“. Von forsttechnischer Seite wird hierauf Wert gelegt. Herr Kollege Dr. Lehr hat mir diesen Wunsch übermittelt. Ich schließe mich ihm an und bitte, die beiden Worte einzusetzen. Ich kann durchaus verstehen, wie der Redaktionsausschuß zu den Worten: „sowie Gegenständen des täglichen Bedarfs“ gekommen ist. Ich möchte jedoch darauf aufmerksam machen, daß dieser Begriff seit der Zeit des Lebensmittelgesetzes43) in der ganzen Zwangswirtschaft eine weite Ausdehnung gefunden hat und alles erfaßt, was irgendwie zum Leben notwendig ist. Wenn Sie das Lebensmittelgesetz aufschlagen, werden Sie finden, daß es nur insoweit hier eingreift, als Verfälschungen, betrügerische Handlungen oder Schädigungen der Gesundheit in Frage kommen. Das, was hier zu regeln notwendig ist, wird meiner Überzeugung nach vollständig gedeckt mit den Worten: „Lebens- und Futtermittel“. Unter „Lebensmitteln“ werden sowohl Nahrungs- wie Genußmittel zu verstehen sein. Kaufmann (CDU): Ich bitte, zu überlegen, ob es möglich ist, daß wir hier nur von Lebensmitteln sprechen. Der Schutz bei dem Verkehr mit Genußmitteln kann unter Umständen sehr wichtig sein. Ich weise hin auf die häufigen Vergiftungserscheinungen, die nach Genuß gewisser Süßwaren aufgetreten sind; ich verweise auch auf die Weinpanscherei und verweise darauf, daß Liköre und Schnäpse in den Verkehr gebracht werden, die zum großen Teil gesundheitsschädlich sind. Ich glaube, man kann das Wort „Genußmittel“ in diesem Falle nicht entbehren. Dr. Laforet (CSU): Ich hätte auch gar nichts dagegen, wenn es hieße: „den Schutz bei dem Verkehr mit Nahrungs-, Genuß- und Futtermitteln“. Ich würde nur bitten, daß man nachher noch anfügt: „sowie land- und forstwirtschaftlichen Saatgut und sonstigen Pflanzen“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie beantragen also jetzt: „den Schutz bei dem Verkehr mit Nahrungs-, Genuß- und Futtermitteln“? Dr. Laforet (CSU): Dann ist alles gedeckt, wenn man auch Bedenken haben kann, weil das Wort „Nahrungsmittel“ im Volke nicht immer eindeutig so aufgefaßt wird. Zimmermann (SPD): Es heißt hier: „den Schutz bei dem Verkehr mit Nahrungsund Genußmitteln sowie Gegenständen des täglichen Bedarfs“. Nun weiß ich nicht, was man unter „Gegenständen des täglichen Bedarfs“ verstehen kann. Es bleibt aber auch zu fragen, gegen wen denn das alles geschützt werden soll. Im letzten Satz ist gesagt: „den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten

43)

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Für den Wortlaut des Lebensmittelgesetz vom 17. Jan. 1936 vgl. RGBl. I, S. 17.

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und Schädlinge“; da ist es klar. Aber ich möchte wissen, gegen wen das andere geschützt werden soll. Dr. Laforet (CSU): Ich verstehe den Kollegen Zimmermann durchaus. Es sind zwei verschiedene Sachen. Einmal ist es der Schutz bei dem Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln usw., und zweitens der Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge, wobei nach den Wünschen der Forstleute noch hinzugesetzt werden sollte: „und Bäume“. Zweimal ist der Ausgangspunkt der Schutz. Einmal ist es der Schutz bei dem Verkehr, zweitens der Schutz der Pflanzen und Bäume gegen Krankheiten und Schädlinge. Dr. Greve (SPD): Nehmen wir das doch in eine besondere Ziffer. Zimmermann (SPD): Der Sinn ist doch, daß der Verbraucher geschützt werden soll gegen den Verkauf von Waren, die bereits verdorben sind. Dr. Laforet (CSU): Ja, bei dem ersten Schutz wird der Verbraucher geschützt, bei dem zweiten die Pflanzen und Bäume. Zimmermann (SPD): Aber da heißt es: „Schutz der Pflanzen und Bäume gegen Krankheiten“; da ist es klar. Dr. Laforet (CSU): Die von uns vernommenen Sachverständigen haben erklärt, daß nach ihrer forsttechnischen Auffassung das Wort „Pflanzen“ nicht genügt, um auch Bäume mit einzuschließen. Ich will den Herren Forsttechnikern gegenüber keine Kritik üben. Sicher ist ein Baum eine Pflanze. Für die Herren ist es aber eine besondere Pflanze, die sie hervorgehoben haben wollten. Man könnte auch den Schutz der Pflanzen und Bäume gegen Krankheiten und Schädlinge in eine eigene Ziffer nehmen. Dann ist, glaube ich, den Wünschen von Herrn Zimmermann Rechnung getragen. [S. 92] Dr. Hoch (SPD): Seit dem Lebensmittelgesetz vom 17. Januar 1936 wird der Ausdruck „Nahrungs- und Genußmittel“ nicht mehr als gesetzlicher Begriff angewandt, sondern es wird der Oberbegriff „Lebensmittel“ gebraucht. Man könnte vielleicht „Nahrungsmittel“ statt „Lebensmittel“ sagen, um den Bedenken des Kollegen Kaufmann Rechnung zu tragen, und auch da das Wort „Genußmittel“ belassen. Zwar werden nach geltendem Recht die Genußmittel bereits unter den „Lebensmitteln“ gefaßt, aber es würde eben alle Fälle decken. Ich würde also vorschlagen, zu sagen: „bei dem Verkehr mit Lebens- und Genußmitteln“. Dr. Greve (SPD): Die Tatsache, daß das Lebensmittelgesetz das so sagt, ist doch keine Gewähr dafür, daß in ihm alles richtig gemacht worden ist. Wenn wir uns also über die Begriffe „Lebensmittel“ und „Nahrungsmittel“ nicht klar sind, dann müßte uns schon gesagt werden, wie sie sich voneinander unterscheiden. Ich bitte also die Vertreter dieser Auffassung, uns eine entsprechende Aufklärung zu geben. Mir ist es sonst nicht möglich, mich für das eine oder andere zu entscheiden. Renner (KPD): Ich frage mich, ob es nicht trotzdem nötig ist, den Verbraucher auch zu schützen bei dem Verkehr mit Gegenständen des täglichen Bedarfs. Ich denke dabei gar nicht so sehr an jene Bewirtschaftungsbestimmungen, die vorhin angeführt wurden. Ich denke daran, daß der Verbraucher zum Beispiel geschützt werden muß gegen Verbrauchsgüter, die aus gesundheitsschädlichem Material hergestellt sind. (Dr. Laforet [CSU]: Der Fall ist gedeckt.) – Wo ist der gedeckt? Man müßte doch den Verbraucher schützen etwa gegen

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Kochgeschirr, das aus Metall mit gesundheitsschädlichen Auswirkungen hergestellt ist. Es gibt doch Beweise für solche Fälle. Oder denken Sie an Tapeten, an gesundheitsschädliche Farben! Das muß man mit berücksichtigen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man einfach über diese Seite der Angelegenheit hinweggehen könnte. Das darf man meines Erachtens nicht streichen. (Dr. Menzel [SPD]: Es heißt doch: „mit Gegenständen des täglichen Bedarfs“.) – Es ist angeregt worden, das zu streichen. Walter (CDU): Die Fassung „Pflanzen und Bäume“ ist unmöglich. Auch nach meinen bescheidenen Geistesgaben sind die Bäume Pflanzen. Entweder sagt man also „den Schutz der Pflanzen, insbesondere der Bäume“, oder: „den Schutz der Bäume und anderer Pflanzen“, wenn man dieser Anregung überhaupt Rechnung tragen will. Zinn (SPD): Der Redaktionsausschuß hat sich an die Ziffer 15 in Art. 7 der Weimarer Verfassung44) gehalten, weil er der Auffassung war, daß im Anschluß an diese Vorschriften genau festliegt, was unter „Gegenständen des täglichen Bedarfs“ und unter „Nahrungs- und Genußmitteln“ zu verstehen ist. Im übrigen muß es hier nicht heißen „Schutz bei dem Verkehr“, sondern: „den Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs“. Dr. Laforet (CSU): Gerade die vorhin von Herrn Abgeordneten Renner angeführten Beispiele sind aus dem Gesetze belegbar: Tapeten, Gegenstände des Druckverkehrs, Bekleidung, gesundheitsschädliche Stoffe. Es ist nun gefragt worden, ob nicht mit den Worten „Gegenständen des täglichen Bedarfs“ heute alles erfaßt wird, was der Mensch zu seinem Bedarf braucht. Wenn man es richtig auslegt – und das kann vielleicht durch eine Festlegung von uns hier erleichtert werden –, daß das im Sinne des Lebensmittelgesetzes gemeint ist, dann ist gegen die Belassung der Worte „sowie Gegenständen des täglichen Bedarfs“ nichts zu erinnern. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann ziehen Sie also Ihren Antrag insoweit zurück, als er die Streichung der Worte „Gegenständen des täglichen Bedarfs“ zum Gegenstand hatte. Zimmermann (SPD): Ich möchte vorschlagen, der Ziffer 19, jetzt 18, folgende Fassung zu geben: den Schutz des Verbrauchers bei dem Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln sowie Gegenständen des täglichen Bedarfs, mit Futtermitteln usw. Es geht also um die Einfügung der Worte „des Verbrauchers“; der Verbraucher soll geschützt werden. Dr. Laforet (CSU): Es wird nicht nur der Verbraucher geschützt, sondern auch der Hersteller. Es ist mir vor allem sehr wichtig, hier klarzustellen, daß die in solchen Betrieben – Herstellung gefährlicher Stoffe mit gesundheitsschädlichen Auswirkungen – beschäftigten Personen geschützt werden und schließlich auch diejenigen, die die Sachen dann verkaufen.

44)

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Art. 7, Ziff. 15 der Verfassung der Deutschen Reichsverfassung vom 11. Aug. 1919: „Das Reich hat die Gesetzgebung über: 1. [. . .]; 15. den Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln sowie mit Gegenständen des täglichen Bedarfs“. RGBl. S. 1384.

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(Zimmermann [SPD]: Das ist ein gewerblicher Schutz, das ist doch etwas ganz anderes.) – Die Vorschriften schützen sowohl den Verbraucher wie den Hersteller und seine Beschäftigten, schließlich auch denjenigen, der den Verteiler macht, und die von ihm beschäftigten Kräfte. Die Fassung ist mit Absicht so weit gewählt. Sie stimmt auch überein mit dem, was früher rechtens war. „Den Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln sowie mit Gegenständen des täglichen Bedarfs“ hat es früher geheißen. Hier ist nur noch hineingekommen: „den Schutz bei“. Das könnte aber auch wieder wegfallen, so daß es nur hieße: „den Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln sowie Gegenständen des täglichen Bedarfs“. Das hätte den Vorzug, an das bisherige Recht anzuknüpfen. Es müßte dann aber auch wieder hinein: „mit Futtermitteln“, es müßte weiter hinein: „mit land- und forstwirtschaftlichem Saatgut“, es müssen die Forstpflanzen hinein, und es muß hinein der Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge. Wir als Vertreter des Zuständigkeitsausschusses haben ja unsere Schuldigkeit getan, nachdem wir diese forsttechnische Anregung den Herren hier unterbreitet haben. Ich lege so entscheidenden Wert auf den Zusatz „und Bäume“ nicht. Zimmermann (SPD): Bei meinem Antrag, auf den Schutz „des Verbrauchers“ abzustellen, habe ich besonders an die veterinärpolizeilichen Vorschriften im Verkehr mit Fleisch und Wurst gedacht. Das gehört hier hinein; es muß meiner Auffassung nach in der Vorranggesetzgebung des Bundes geregelt werden. Der Zusatz „des Verbrauchers“ gehört hinein. (Dr. Laforet [CSU]: Aber es müssen mehr Leute geschützt werden!) Wagner (SPD): Wenn wir der Anregung des Herrn Kollegen Laforet folgen, dann bekommt diese Ziffer, glaube ich, einen anderen Sinn. Bei der Fassung: „Gesetzgebung über den Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln“, würde die eigentliche Zweckbestimmung fehlen, das, was eigentlich damit erreicht werden sollte. Wenn Herr Kollege Laforet weiter anführte, daß mit dieser Bestimmung auch die Hersteller von Nahrungs- und Genußmitteln geschützt werden sollten, dann ist doch zweifelhaft, ob das durch diesen Text gedeckt ist. Wenn man das wollte, dürfte man hier nicht sagen „bei dem Verkehr“, denn das Wort „Verkehr“ würde dem widersprechen, was Herr Kollege Laforet hier ausführte. (Dr. Laforet [CSU]: Es muß hinein: „Herstellung und Verkehr“.) – Ja, „Herstellung und Verkehr“ muß es dann heißen. Ich möchte aber anregen, die Beratung dieser Ziffer zurückzustellen und sie noch einmal an den Zuständigkeitsausschuß zurückzuverweisen. Es sind hier so widersprechende Dinge vorgetragen worden, und es ist der völlig neue Gedanke aufgetreten, daß auch bei der Herstellung ein Schutz in der Vorranggesetzgebung gesichert werden soll. Gewiß kann man sagen, das komme in den Arbeitsschutz. Das ist möglich. Aber all diese Fragen sollten noch einmal geprüft werden, und man kann das in diesem großen Kreise nicht so formulieren. [S. 93] Vors. Dr. Schmid (SPD): Wenn ich alles zusammenfasse, was hier an wertvollen Anregungen vorgebracht worden ist, dann scheint mir nötig zu sein, daß man sich im Zuständigkeitsausschuß überlegt, ob zunächst einmal der „Verkehr“ geschützt werden soll oder zweitens, ob „Schutz bei dem Verkehr“ formuliert werden soll, oder drittens, ob man den Schutz der mit der Herstellung und Verarbei-

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tung Beschäftigten meint. Das sind die drei Dinge, die zunächst in Betracht kommen. Weiter würde es sich darum handeln, ob Nahrungs- und Genußmittel oder Nahrungs-, Genuß- und Futtermittel zusammengenommen werden sollen. Dann wäre vielleicht noch zu überlegen, ob nicht der Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge besser in eine besondere Ziffer genommen wird, ebenso wie die Forstpflanzen beim Saatgut. Wir setzen also die Abstimmung hierüber aus, bis der Zuständigkeitsausschuß45) sich schlüssig geworden ist und seine endgültigen Vorschläge unterbreitet.

[2.13. ZIFFER 20: ÖFFENTLICHE FÜRSORGE]

Wir kommen dann zu

Ziffer 20 die öffentliche Fürsorge; Keine Wortmeldungen. – Die Ziffer ist so angenommen.

[2.14. ZIFFER 21: KRIEGSTEILNEHMER UND HINTERBLIEBENE]

Ziffer 21 die Versorgung von Kriegsteilnehmern und Kriegshinterbliebenen; Renner (KPD): Was ist hier unter den „Kriegsteilnehmern“ zu verstehen? Ist damit gemeint, daß alle diejenigen, die am Kriege teilgenommen haben, ohne weiteres ein Anrecht auf Versorgung haben? (Zuruf: Was Sie meinen, ist die materielle Regelung; hier handelt es sich um die formale Zuständigkeit!) – Hier geht es um eine materielle Regelung für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene. Oder fällt darunter auch die Offizierspensionsgesetzgebung und all diese schönen Sachen? Dr. Seebohm (DP): Ich bin der Auffassung, daß das Wort „Kriegsteilnehmer“ vielleicht noch nicht ganz das deckt, was in einer Vorranggesetzgebung geregelt werden sollte, nämlich grundsätzlich alle Fragen der ehemaligen Wehrmachtangehörigen und ihrer Ansprüche. Es ist ja damit gar nicht gesagt, wie es geregelt werden soll, Herr Kollege Renner, sondern nur, daß es in einer Vorranggesetzgebung geregelt werden soll. Es scheint mir richtig, daß man diese Dinge nicht den Ländern überläßt und damit Uneinheitlichkeit in die Sache hineinbringt. Wir haben früher schließlich eine gemeinsame Wehrmacht gehabt, und die Ansprüche dieser Leute richteten sich gegen das Reich. Dr. Laforet (CSU): Es wird mit diesen Worten nichts weiter gesagt, als daß diejenigen, die durch den Krieg geschädigt worden sind, ihre Versorgung vom Bunde und nicht von den Ländern bekommen, daß der Bund bei der Versorgung von Kriegs45)

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Der Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung hat sich in seiner 18. Sitzung am 24. Nov, 1948 mit den Art. 36, Ziffer 19 befaßt. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 24, S. 663–671.

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teilnehmern und Kriegshinterbliebenen die Vorranggesetzgebung hat. Welcher Art die Gruppen sind, und was ihnen gewährt werden soll, steht ja gar nicht zur Beratung. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich bitte, mir die Frage zu beantworten, ob und wieweit durch diese Vorranggesetzgebung auch diejenigen geschützt sind, die als Zivilisten im Kriege verletzt worden sind, also die Luftkriegsgeschädigten usw. Es wurde mir gesagt, das falle unter die Kriegsschäden. Ich bin mir zweifelhaft, ob diese Auslegung richtig ist, und möchte von den Herren des Zuständigkeitsausschusses eine authentische Erklärung haben. Renner (KPD): Ich bin von den Auskünften in der bisherigen Aussprache nicht befriedigt. Man kann doch die Frage der Sachschäden und der Personenschäden nicht verquicken. Das muß man klar auseinanderhalten. Das Problem der Pensionsversorgung darf nicht mit dem der Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen verquickt werden. Der Begriff des „Kriegsbeschädigten“ sollte meines Erachtens automatisch auch auf die Zivilgeschädigten ausgedehnt werden. Als Kriegsbeschädigter – wenn auch des vorigen Krieges – würde ich mich verwahren gegen eine Verquickung meines Rechtsanspruches mit dem einfachen Anspruch auf Pension nach dem Beamtenrecht. Mehr ist doch das Wehrmachtpensionsrecht nicht als einfach Beamtenrecht. Man soll diese Begriffe nicht zusammenwerfen, schon deswegen nicht, weil ein Teil der Ansprüche, und zwar meines Erachtens zu Recht, von großen Teilen der Bevölkerung bestritten werden. Unbestritten aber ist doch wohl das Recht der Kriegsbeschädigten, also der körperlich oder seelisch beschädigten Menschen, und der Hinterbliebenen der Gefallenen. Dr. Greve (SPD): Ohne irgendwie eine Tendenz in die Auseinandersetzung hineinbringen zu wollen, möchte ich sagen: die Formulierung „Versorgung von Kriegsteilnehmern“ scheint mir nicht richtig zu sein; denn eine Versorgung allein aus dem Grunde, daß einer am Kriege teilgenommen hat, soll ja nicht gewährt werden. Es handelt sich vielmehr um die Versorgung derjenigen, die Herr Kollege Seebohm erwähnte. Da soll eine Versorgung erfolgen, nicht etwa weil sie am Kriege teilgenommen haben, sondern weil sie in einem besonderen Rechtsverhältnis zur Wehrmacht gestanden haben. Die vorliegende Formulierung ist unlogisch. Wir müssen eine andere finden, um das zum Ausdruck zu bringen, was alle meinen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wie wäre es denn, wenn man schlechthin sagte: „die Versorgung von Kriegsopfern“? Wagner (SPD): Ich beantrage, das Wort „Kriegsteilnehmern“ zu streichen und dafür zu setzen: „Kriegsbeschädigten“. Dr. Laforet (CSU): Die Ziffer entspricht der Ziffer 11 Art. 7 der Verfassung von Weimar46); dort ist sie hergenommen worden. Es heißt dort: „die Fürsorge für [die] Kriegsteilnehmer und ihre Hinterbliebenen“. Aber damals gab es noch keinen Luftkrieg; das ist zuzugeben. Mit dem Wort „Kriegsteilnehmer“ ist eben der alte Begriff gewählt. (Stock [SPD]: Danach hat jeder am Kriege teilgenommen, auch in der Heimat.) 46)

Art. 7 Ziffer 11 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Das Reich hat die Gesetzgebung über: 1. [. . .]; 11. die Fürsorge für die Kriegsteilnehmer und ihre Hinterbliebenen“. RGBl. S. 1384.

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– Ja, aber ob einer einen Anspruch hat, darüber entscheidet allein der Gesetzgeber. Was hier ausgesprochen wird, ist doch nur, daß dieses Kriegsopferrecht Sache des Bundes ist. Mit den Begriffen „Kriegsbeschädigte“ und „Kriegshinterbliebene“ kommt man nicht aus, das ist zu eng. Es bleibt nichts anderes übrig, als sich an das anzuschließen, was hier aus Art. 7 Ziffer 11 der Weimarer Verfassung übernommen worden ist; dann bleibt es in unmittelbarem Zusammenhang mit der Rechtsauffassung. Sowie Sie hier die Ausdrücke ändern und eine engere Bezeichnung nehmen, regeln Sie die Frage materiell47). In dem Zuständigkeitskatalog soll aber gar nichts anderes ausgesprochen werden, als daß diese Personenschäden des Krieges unter die Kompetenz des Bundes fallen. Schönfelder (SPD): Ich würde dringend bitten, das Wort „Kriegsopfer“ hierherzusetzen. Das umfaßt nach meiner Überzeugung alles. Wenn man bedenkt, daß das in den Ländern verschieden ausgelegt werden könnte, erscheint es einem doch zweckmäßig, die Angelegenheit der Vorranggesetzgebung des Bundes zu unterstellen. Renner (KPD): Ich glaube, ich habe auf Grund alter Erfahrungen aus jahrzehntelanger Arbeit in den Kriegsopferorganisationen ein Recht, ein Wörtchen mitzureden. Auch heute formuliert die maßgebende Einheitsorganisation der Kriegsopfer nur „Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene“. Wenn wir hier von der Notwendigkeit der Versorgung der „Kriegsteilnehmer“ reden, dann werfen wir doch ungewollt die Frage auf, ob diejenigen, die als Zivilpersonen in der Heimat etwa durch den Luftkrieg körperlich oder geistig beschädigt worden sind, einen Anspruch auf [S. 94] Versorgung haben sollen. Das wäre also eine Einengung des Rechtes auf die Versorgung, die wir gewähren wollen, und damit schon ein Eingriff in die materielle Seite der Frage. Ein Anrecht auf eine Versorgung von Bundes wegen sollte nur der direkt durch den Krieg körperlich oder geistig Geschädigte haben. Ich denke dabei durchaus nicht allein an die Frage des Ersatzes des materiellen Schadens. Hier aber ist gemeint nicht mehr und nicht weniger – die Versorgung der Kriegsbeschädigten und der Hinterbliebenen, nicht eine allgemeine Versorgung der „Kriegsteilnehmer“. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Die Debatte hat ergeben, daß die Frage berechtigt war, die ich hier gestellt habe. Ich schließe mich der Auffassung des Kollegen Schönfelder an, das Wort „Kriegsopfer“ hier hineinzunehmen. Anschließend an die Fassung von Weimar würde ich aber vorschlagen, dann zu sagen: „die Versorgung von Kriegsteilnehmern und Kriegshinterbliebenen und sonstigen Kriegsopfern“. Dann wäre alles umfaßt. Stock (SPD): Ich glaube doch nicht, daß wir irgendeine Versorgung für denjenigen haben wollen, der nur am Kriege teilgenommen hat. Wenn Sie das Wort „Kriegsteilnehmer“ nehmen, hat jeder ein Anrecht darauf. Wir sollten also sagen: „die Versorgung der Kriegsopfer“, wie Vizepräsident Schönfelder es vorschlägt, oder aber wir schreiben: „die Versorgung von Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen“. Damit wäre alles klar ausgesprochen; das ist leicht verständlich, und daran kann nicht einmal ein Jurist etwas deuteln.

47)

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Im stenograph. Wortprot., S. 53, folgt danach: die stenograph. Angabe: „(Widerspruch)“.

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Walter (CDU): Ich war zunächst auch für den Vorschlag: „die Versorgung von Kriegsopfern“. Ich habe aber doch Bedenken bekommen. Wenn jemand zum Beispiel sein Haus während des Krieges verloren hat, ist er doch auch ein Kriegsopfer, wenn auch in weiterem Sinne. (Schönfelder [SPD]: Das ist in Ziffer 9 geregelt!) – Aber hier in Ziffer 2148), um die es sich handelt, sind sie nicht gemeint. Entweder sind es Kriegsbeschädigte oder Kriegsversehrte und die Hinterbliebenen. Kaufmann (CDU): Ich glaube, wir müssen auch diese Fassung noch einmal an den Ausschuß zurückverweisen. Es bestehen noch sehr viele Unklarheiten. Es ist zum Beispiel unklar, wieweit nicht schon Ziffer 9 die Dinge betrifft, von denen wir heute sprechen. Ein Weglassen der Versorgung von Kriegsbeschädigten wäre natürlich auch unmöglich. Ich empfehle deshalb, die ganze Fassung unter Hinweis auf die bereits angenommene Ziffer 9 noch einmal an den Ausschuß zurückzuverweisen. Da wird sich das klären. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Man muß doch diese Ziffer 21 im Zusammenhang mit Ziffer 9 lesen. Der Fall derjenigen, die einen Bombenschaden erlitten haben, ist doch schon in Ziffer 9 geregelt. Also ist es völlig überflüssig, hier in Ziffer 21 Kriegsopfer und Kriegsbeschädigte aufzuführen; denn die werden ja von der Ziffer 9 erfaßt. Die Ziffer 21 betrifft eine ganz andere Materie, nämlich die Versorgung von Kriegsteilnehmern und ihrer Hinterbliebenen. Dr. Laforet (CSU): Ich habe nichts dagegen, daß die Sache noch einmal im Ausschuß beraten wird. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß hier in Ziffer 21 nur Personenschäden in Frage stehen; die Sachschäden sind bereits in Ziffer 9 erwähnt. (Dr. Höpker Aschoff [FDP]: Nicht nur Sachschäden, sondern auch Personenschäden!) – Aber gemeint ist es so. Renner (KPD): Die Organisationen der Kriegsopfer haben sich nach 1919 bezeichnet als „Reichsbund der Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen“, „Kyffhäuserbund der Körperbeschädigten und Kriegsbeschädigten“. Es gab nach 1919 keine Organisation, die nicht klar herausgestellt hätte, daß der Anspruch ihrer Mitglieder sich stützte auf die Tatsache, daß sie durch ihre Teilnahme am Krieg einen körperlichen oder seelischen Schaden erlitten haben. Nach dem Zusammenbruch des Faschismus hat auch die neue Einheitsorganisation sich wieder „Reichsbund der Kriegsbeschädigten und Körperbehinderten“ genannt. Man hat also schon bei der Namensgebung von vornherein klar zum Ausdruck gebracht, daß man eine Versorgung derer fordert, die durch die Teilnahme am Krieg einen körperlichen oder seelischen Schaden erlitten haben. Mehr hat man nicht gewollt; kein Mensch denkt daran, einen Anspruch auf Versorgung der Kriegsteilnehmer schlechthin anzuerkennen. Wenn das in der Weimarer Verfassung so steht, dann hat das meines Erachtens eine historische Begründung darin, daß eben nach Beendigung des Weltkrieges 1914/18 jeder Frontsoldat bei seiner Rückkehr eine einmalige Entschädigung bekam. Aber die gesundheitlichen Schädigungen wurden durch das Reichs-

48)

Statt „21“ im stenograph. Wortprot., S. 56: „20“.

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versorgungsgesetz vom Jahre 192049) abgegolten, und nur diejenigen hatten einen Rechtsanspruch, die körperlich oder geistig geschädigt waren. Dr. Greve (SPD): Die Sache ist doch wohl einfacher, als sie sich uns im Augenblick darzustellen scheint. Die durch den Krieg hervorgerufenen materiellen Schäden sind in der Ziffer 9 geregelt. Es bleibt uns jetzt übrig, die Personenschäden zu regeln. Personenschäden aber sind meines Erachtens nicht allein durch die Teilnahme am Kriege entstanden. Wir könnten durchaus sagen: „die Versorgung von Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen“; damit werden begrifflich alle personellen Schäden erfaßt, die durch die Teilnahme am Krieg hervorgerufen worden sind. Walter (CDU): Ich wollte vorschlagen, die Ziffer, die wir jetzt beraten, als Ziffer 10 aufzunehmen, also im unmittelbaren Anschluß an das Kriegsschädenrecht und das Recht der Wiedergutmachung, ähnlich, wie es auch im Herrenchiemseer Entwurf vorgeschlagen war. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann können wir abstimmen, und zwar zunächst über den Antrag auf Zurückverweisung der Ziffer an den Ausschuß. – Der Antrag ist mit 12 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Weiter ist beantragt, das Wort „Kriegsteilnehmern“ zu ersetzen durch „Kriegsbeschädigten“. – Der Antrag ist mit 17 Stimmen angenommen. Ferner ist der Antrag gestellt, die Ziffer 20 unmittelbar hinter die neue Ziffer 8, also hinter das Kriegsschädenrecht und das Recht der Wiedergutmachung zu stellen. Ich schlage vor, diese Ziffer noch vor Ziffer 8, also nach Ziffer 7 zu setzen; sie würde dann Ziffer 7a werden. – Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Frau Wessel (Z): Ich beantrage, die Ziffer 20, jetzt 19, die öffentliche Fürsorge, dann möglichst auch vorzusetzen, und zwar hinter Ziffer 10. Hier hat sie eigentlich gar keinen Zusammenhang mehr. Schließlich ist doch die öffentliche Fürsorge auch irgendwie durch die Folgen des Krieges hervorgerufen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wird kein Widerspruch dagegen erhoben, daß wir diese Ziffer, über die wir schon abgestimmt haben, jetzt – was ich für richtig halte – an eine andere Stelle setzen. Dr. Hoch (SPD): Ich würde bitten, es dem Redaktionsausschuß zu überlassen, eine gewisse Systematik herauszuarbeiten. Wir hatten in unserem Ausschuß auch eine andere Reihenfolge. Die Herren haben das jetzt wieder anders geregelt. Es muß also noch einmal von einer Redaktionskommission eine systematische Zusammenstellung vorgenommen werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können trotzdem dem Redaktionsausschuß diese Direktive mitgeben, über die offenbar Einmütigkeit besteht. [S. 95]

49)

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Für den Wortlaut des Gesetzes über die Versorgung der Militärpersonen und ihrer Hinterbliebenen bei Dienstbeschädigung (Reichsversorgungsgesetz) vom 12. Mai 1920 vgl. RGBl. S. 989.

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[2.15. ZIFFER 22: SCHIFFAHRT]

Wir kommen dann zu

Ziffer 22 die Hochsee- und Küstenschiffahrt sowie die Seezeichen, die Binnenschifffahrt, den Wetterdienst, die Seewasserstraßen und die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen, die Widmung neuer, dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen einschließlich der Wasserschutzpolizei auf den Seewasserstraßen und dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen; Dr. Laforet (CSU): Ich möchte nur zu Protokoll geben und bitte die Herren, davon Kenntnis zu nehmen, daß die Seehäfen hier nicht aufgeführt sind50). Das ist mit aller Absicht unterblieben. Wir werden später bei der Verwaltung noch einen gleichartigen Fall haben. Wir haben uns durch die Darlegungen der Herren Vertreter von Hamburg und Bremen überzeugen lassen, daß die Regelung für diese Seehäfen ausschließlich Sache der beiden Staaten Hamburg und Bremen ist51). Dr. Hoch (SPD): Der Redaktionsausschuß hat diese Formulierung erheblich geändert gegenüber dem, was der Zuständigkeitsausschuß festgelegt hatte. Diese Änderung fängt auf der dritten Zeile mit den Worten „und die“ an. Wir haben uns heute morgen im Zuständigkeitsausschuß mit dieser Frage beschäftigt. Wir sehen nicht, weshalb die Änderung vorgenommen wurde und was damit beabsichtigt ist. Wir würden bitten, uns darüber Aufklärung zu geben. Zinn (SPD): Die Fassung ist gewählt worden nach Rücksprache mit Vertretern von Hamburg, die das aus ihrer besonderen Sachkenntnis angeregt haben52). Wenn Binnenwasserstraßen, die bisher nicht dem allgemeinen Verkehr gedient haben, ihm nunmehr dienen sollen, dann muß dem Bund die Gesetzgebung zustehen. Die Mosel, die zum Beispiel zum Teil jetzt nicht dem allgemeinen Verkehr dient, soll jetzt schiffbar gemacht und dem allgemeinen Wasserverkehr gewidmet werden. Das soll dann Vorranggesetzgebung des Bundes sein. „Widmen“ ist ein gesetzestechnischer Ausdruck. Vors. Dr. Schmid (SPD): „Widmung“ ist ein Terminus des Verwaltungsrechts. (Kaufmann [CDU]: Ich denke, wir schreiben unsere Verfassung für die Bevölkerung?) – Ich glaube, diese Ziffern werden von ihr ziemlich ungelesen bleiben.

50)

Laforet kündigte in der 17. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 23. Nov. 1948 bereits an, zu dieser Frage im HptA Stellung beziehen zu wollen; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 23, S. 657. 51) N ach gemeinsamen Gesprächen des Hamburger und Bremer Senats am 9. Okt. 1948 wurde von der Hamburger Senatskanzlei eine Denkschrift zur Frage der Seehafenhoheit erarbeitet, die am 3. Nov. 1948 dem Abg. Ehlers zur „geeigneten Auswertung“ übersandt wurde. Ehlers trug daraus in der 12. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 14. Okt. 1948 vor. Vgl. dazu Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 14, S. 522 f. mit Anm. 44. 52) In der 18. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 24. Nov. 1948 wurde erneut erörtert, wie die Änderungen des Allgemeinen Redaktionsausschusses entstanden. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 24, S. 671–676, bes. S. 673.

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Dr. Laforet (CSU): Hier ist die Wasserschutzpolizei genannt. Versteht man darunter die Regelung des Verkehrs? (Zustimmung.) – Dann ist es gedeckt. Wir wußten nicht, ob die Herren vielleicht etwas Besonderes darunter verstehen. Wenn gar nichts anderes gemeint ist als die Regelung des Verkehrs auf der Wasserstraße, dann ist das glatt gedeckt. (Dr. Dehler [FDP]: Das soll nicht Landessache sein.) – Es ist ganz unmöglich, daß etwa der Rhein verschiedenen wasserschutzpolizeilichen Vorschriften unterliegt. Er muß als eine Verkehrseinheit behandelt werden. Genau so wie wir bei den bestehenden Straßen in bezug auf Fragen des Straßenverkehrsrechts eine Einheit haben, muß es auch eine Einheit geben hinsichtlich der Verkehrspolizei auf einer Wasserstraße. Wenn das hier gedeckt ist, dann braucht das nicht hervorgehoben zu werden. Dr. Hoch (SPD): Wir haben uns auch heute morgen darüber unterhalten und haben angenommen, daß das der Grund für die Änderung gewesen ist. Ich bin auch der Auffassung des Herrn Kollegen Dr. Laforet, daß die Widmung einer Wasserstraße für den allgemeinen Verkehr in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes über die Wasserstraßen mitenthalten ist. Zweifelhaft ist, ob die Widmung durch Gesetz erfolgen muß, ob das nicht ohne weiteres wie beim Wegerecht durch eine Vereinbarung der Wegeeigentümer und des Unterhaltungspflichtigen mit der zuständigen Polizei geht. Wenn aber ein Gesetz notwendig ist, dann hat nach der bisherigen Fassung des Artikels durch den Zuständigkeitsausschuß der Bund dieses Gesetzgebungsrecht, denn er hat die Gesetzgebung über die Binnenwasserstraßen. Falls aber die Widmung nur unter gleichzeitigem Eingriff in das Eigentumsrecht möglich ist, dann ist der Bundesgesetzgeber zu einer Regelung dieser Frage ebenfalls berechtigt, da der Bund nach einer anderen Ziffer dieses Artikels des Grundgesetzes das Recht zur Enteignung auf allen Gebieten hat, in denen ihm die Befugnis zur Gesetzgebung zusteht. Dasselbe gilt für die Wasserschutzpolizei. Auch wir nehmen an, daß die Nennung der Wasserschutzpolizei hier bedeuten soll: Lenkung und Sicherung des Verkehrs auf den Wasserstraßen. Auch dieses Recht ist nach unserer Auffassung in dem Recht zur Gesetzgebung über die Binnenwasserstraßen mit enthalten. Deshalb ist es überflüssig, diese beiden Spezialfragen aus dem Gebiete des Wasserstraßenrechts besonders aufzuführen. Insofern aber geht diese Fassung etwas weiter als das, was der Ausschuß bisher beschlossen hatte. Er hatte nämlich nur die Wasserstraßen der Zuständigkeit des Bundes unterstellt, die durch mehrere Länder fließen. Die Wasserstraßen, die sich nur auf den Bezirk eines Landes erstrecken, hatte er nicht der Gesetzgebung des Bundes unterstellt. Ich persönlich habe keine Bedenken gegen diese Regelung, weil ja im allgemeinen die Wasserstraßen ein großes einheitliches Netz bilden und in unmittelbarer Verbindung miteinander stehen müssen. Man könnte also diese Einschränkung des Zuständigkeitsausschusses fallenlassen und insoweit dem Vorschlag des Redaktionsausschusses folgen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Mein Sprachgefühl lehnt sich gegen die Formulierung „die Widmung“ auf. Sie ist ein Ding der Unmöglichkeit. Überlegen Sie sich etwas anderes! Sie müßten sagen: „die Erschließung neuer Binnenwasserstraßen“. Die

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Formulierung mit dem Wort „Widmung“ ist um so schlimmer, als dann unmittelbar hinterher folgt: „einschließlich der Wasserschutzpolizei“. Das kann doch nicht so stehenbleiben; Sie müssen das anders formulieren. (Dr. Laforet [CSU]: Ganz streichen!) – Wenn Sie es ganz streichen wollen, bin ich einverstanden; aber so ist es unmöglich. Dr. Dehler (FDP): So einfach liegen die Dinge bezüglich der „Widmung“ nicht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Antrag geht dahin, zu streichen von „die Widmung“ bis „Binnenwasserstraßen“, so daß es dann weitergehen würde: „einschließlich der Wasserschutzpolizei“ usw. Dr. Hoch (SPD): Ich beantrage Streichung bis zum Schluß. Vors. Dr. Schmid (SPD): Also alles dessen, was nach dem Komma hinter „dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen“ steht? Dr. Hoch (SPD): Von „die Widmung“ ab, weil das bereits im ersten Teil mitenthalten ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Aber die Wasserschutzpolizei steht nicht darin. Dr. Hoch (SPD): Die gehört dazu. Es heißt nach unserer Auffassung nur: die gesetzliche Zuständigkeit zur Regelung der Fragen der Wasserschutzpolizei auf den Seewasserstraßen und dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen liegt beim Bunde, [S. 96] also zur Regelung der Rechtsverhältnisse auf den Seewasserstraßen und Binnenwasserstraßen überhaupt. Wir haben gar keinen Zweifel darüber gehabt. Renner (KPD): Ganz so harmlos ist die Geschichte nicht, wenn man das streicht. Ich kann mir vorstellen, daß unter den Ländern ein Streit entstehen kann, ob irgendein Binnengewässer den Charakter einer Binnenwasserstraße oder, wie es hier heißt, einer dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraße bekommen soll. Da muß der Bund zuständig sein, weil die Möglichkeit besteht, daß Länderinteressen gegen das allgemeine Interesse des Bundes ausgespielt werden. (Wagner [SPD]: Das steht doch drin!) – Nein! Da muß man die Möglichkeit schaffen, daß auch neue Binnenwasserstraßen diesen Charakter bekommen, daß sie dem allgemeinen Verkehr dienen. Ich spreche da ein klein bißchen aus einer allerdings sehr kurzen Praxis53). Es bestehen nämlich einige Gegensätze in den Auffassungen. Deshalb sollte man die Möglichkeit schaffen, daß der Bund bisher noch nicht dem allgemeinen Verkehr dienende Binnenwasserstraßen zu solchen macht, eventuell auch gegenüber Widersprüchen der beteiligten Länder. Walter (CDU): Ich glaube, wenn das deutsche Volk diese Ziffer liest, dann wird es schon allein deswegen an der Befähigung des Parlamentarischen Rates zur Gesetzgebung verzweifeln. Was hier geschaffen worden ist, ist schlechterdings unmöglich. Ich verstehe die Materie im einzelnen nicht, aber vielleicht könnte uns mit der Fassung, die der Zuständigkeitsausschuß vor ein paar Tagen, am 18. November, erst beschlossen hat, auch gedient sein. Es war damals Ziffer 16. Ich weiß nicht

53)

Renner war im ersten Kabinett Arnold vom 17. Juni 1947 bis 7. Febr. 1948 Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen.

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genau welche Gründe den Redaktionsausschuß veranlaßt haben, von dieser doch immerhin leicht verständlichen Fassung des Zuständigkeitsausschusses abzugehen. Ich wäre dankbar, wenn ich die Gründe dafür erfahren könnte. Dr. Dehler (FDP): Die Gründe hat Herr Kollege Renner soeben sehr zutreffend dargelegt. Es geht um die Frage: Wie wird eine Binnenwasserstraße, die bisher nicht dem allgemeinen Verkehr diente, zu einer solchen? Das war eine bisher strittige Frage. Auf einer Tagung in Rothenburg haben die Länder das festgelegt. Da ist kartographisch festgelegt: der Fluß meinetwegen der Lech – von Punkt soundso bis Boje soundso dient dem allgemeinen Verkehr. Es war unsere Erwägung, daß man letztlich auf Vereinbarungen der Länder angewiesen wäre, wenn man hier nicht eine Vorranggesetzgebung des Bundes festlegt. Es war eine Interpretation, die wir für nötig hielten. Ob das sprachlich sehr schön ist, ist eine andere Frage. An sich ist „Widmung“ eine Wendung, die nur dem Laien mißverständlich sein könnte. Kaufmann (CDU): Es ist hier das Beispiel von der Mosel angeführt worden, die schiffbar gemacht werden soll. Nun geschieht doch eine solche Schiffbarmachung nicht, damit die Anlieger auf diesem schiffbar gemachten Stück der Mosel nach Belieben hin- und hergondeln, sondern deswegen, weil man den Anschluß an eine allgemein benutzbare Wasserstraße schaffen will, damit auch die auf anderen angeschlossenen Wasserstraßen bewegten Güter nun leichter die Mosel hinaufkommen können. Wenn also eine solche Maßnahme der Schiffbarmachung beabsichtigt ist, dann trifft darauf das zu, was vorhin über „die dem allgemeinen Verkehr dienende Binnenwasserstraße“ gesagt ist. Um die Sache klarzustellen, sollte man hinter „die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen“ streichen: „die Widmung neuer, dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen“, so daß es dann einfach weiterginge mit „einschließlich der Wasserschutzpolizei auf den Seewasserstraßen“ usw. Auch das ist nämlich notwendig. Ich darf daran erinnern, daß wir uns in dieser Beziehung in Frankfurt/Main mit einer sehr komischen Situation zu beschäftigen hatten. Eine Verordnung der Militärregierung hatte verlangt, daß auch auf dem Starnberger See eine wasserstraßenpolizeiliche Tätigkeit ausgeübt wird. Es hat da einen sehr erheblichen Konflikt mit Bayern gegeben. An sich ist ja der Starnberger See keine Binnenwasserstraße in diesem Sinne. Wenn wir aber diese Wendung „die Widmung neuer, dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen“ streichen, dann hat die ganze Geschichte einen anderen Sinn. Dr. Seebohm (DP): Würde es nicht genügen – um die Wünsche des Redaktionsausschusses zu befriedigen –, wenn man einfach sagte: „die dem allgemeinen Verkehr jetzt und in Zukunft dienenden Binnenwasserstraßen“? Damit würde die Widmung für die Zukunft ohne weiteres eingeschlossen sein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube nicht, daß man das machen kann. Wenn ein gewisser Wasserverkehrsweg, der jetzt nicht dem allgemeinen Verkehr dient, morgen diesem allgemeinen Verkehr zugeführt werden soll, so muß hier bestimmt werden, daß es geschehen kann, und es muß auch gesagt werden, wer es tun kann, nämlich – im Sinne der Vorranggesetzgebung der Bund. So häßlich diese Fassung auch ist – darüber besteht kein Zweifel –, so notwendig ist es doch, eine Regelung zu treffen. Ich weiß nicht, ob man einen besseren Ausdruck finden kann als „die Widmung“. Es handelt sich ja nicht um „Erschließung“, sondern um etwas ganz anderes. Der

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verwaltungsrechtliche Terminus „Widmung“ heißt, daß eine bestimmte Sache einem bestimmten Gebrauch zugeführt wird. (Zuruf: „Zuführung“!) – Ich glaube „Widmung“ ist schon das richtige. Es ist doch ein schönes deutsches Wort. Ich glaube, man hat es erfunden, um damit ein Fremdwort abzulösen; deswegen versteht es kein Mensch mehr. „Affektation“ hieß es, glaube ich, früher im Verwaltungsrecht. Dr. Menzel (SPD): Wir müssen die Worte „einschließlich der Wasserschutzpolizei“ vorwegnehmen und sie vor die Worte „die Widmung neuer“ setzen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es müßte dann heißen: . . . die Seewasserstraßen und die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen einschließlich der Wasserschutzpolizei auf den Seewasserstraßen und dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen sowie die Widmung neuer, dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen; So wäre die Fassung wohl richtiger. Es ist nun zunächst der Antrag gestellt, den Halbsatz „die Widmung neuer, dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen“ zu streichen. Der Antrag ist, wie mir scheint, im wesentlichen aus sprachlichen Bedenken gestellt worden. Wird der Antrag auch aufrechterhalten, wenn nunmehr umgestellt wird? Kaufmann (CDU): Ich bin der Meinung, daß das sowieso oben eingeschlossen ist. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich glaube, daß es tatsächlich durch die Vorworte gedeckt ist. Wenn wir sagen: „die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen“, so heißt das, daß der Bund auf den neuen Binnenwasserstraßen den allgemeinen Verkehr regeln kann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das wurde also nicht beantragt, um dem Bund die Zuständigkeit zu nehmen, sondern weil man glaubt, daß dieses Recht, das der Bund hat, schon im ersten Tell ausgedrückt ist. Renner (KPD): Tatsächlich stößt doch die Einbeziehung von Binnenwasserstraßen in diesen Begriff „dem allgemeinen Verkehr dienend“ auf Widerstand. Ich habe zwar als Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen nur eine kurze Erfahrung auf dem Gebiet, aber die wenigen Monate haben genügt, um mir zu zeigen, daß von gewissen Ländern Schwierigkeiten [S. 97] gemacht werden. Es ist nicht nur etwa die Preisgabe des polizeilichen Wasserschutzes; es liegt darin auch die Preisgabe eines gewissen Rechts der Wassernutzung. So stößt zum Beispiel die Entnahme von Wasser aus diesen Gewässern auf Schwierigkeiten. Wenn man eine Binnenwasserstraße eröffnen, sie also diesem Verkehr widmen will, braucht man auch die volle Nutzung des Wassers. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wasserstandsregulierung und alles mögliche spielt da eine Rolle. Renner (KPD): Es gibt eine Reihe von Fragen, die tatsächlich Differenzen ausgelöst haben. Ich weiß das aus Diskussionen aus dieser Zeit. Die Differenzen lagen vor allen Dingen auf bayerischer Seite, aber ich will den bayerischen Leu nicht wecken. Wenn wir sagen: „die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen“, dann schaffen wir nicht die Möglichkeit, auch neuen Binnenwasserstraßen vom Bund aus diesen Charakter zuzusprechen. Der Bund muß aber diese Möglichkeit haben.

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Maier (SPD): Genügt es nicht, wenn der Berichterstatter im Plenum von dieser hier allgemein gebilligten Interpretation Kenntnis gibt und diese Interpretation im Protokoll vermerkt wird? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, wir können abstimmen. Es ist der Antrag gestellt, den Teilsatz: „die Widmung neuer, dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen“ zu streichen. – Der Antrag auf Streichung ist mit 10 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich stelle nunmehr den Antrag, statt „Widmung“ zu setzen: „Erschließung neuer Binnenwasserstraßen für den allgemeinen Verkehr“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das kann man nicht sagen, das ist etwas ganz anderes. Schönfelder (SPD): „Erschließung“ würde heißen, einen Kanal zu bauen, um einen Gebrauch als Binnenwasserstraße erst zu ermöglichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Hier handelt es sich um eine Wasserstraße, sie schon schiffbar ist, die aber – ähnlich wie ein Privatweg – dem öffentlichen Verkehr noch nicht geöffnet ist. Nun soll dieser Privatweg, diese „Privat-Binnenwasserstraße“, dem allgemeinen Verkehr geöffnet werden. Das heißt man „Widmung“; das ist das deutsche Wort dafür. Die deutsche Sprache ist reicher, als wir manchmal glauben. Dr. Hoch (SPD): Vielleicht findet der neue Redaktionsausschuß ein besseres Wort. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist weiter der Antrag gestellt, eine Umstellung dahin vorzunehmen, daß es in der Zeile 4 nach „Binnenwasserstraßen“ heißt: „einschließlich der Wasserschutzpolizei auf den Seewasserstraßen und dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen sowie die Widmung neuer, dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen“. Dr. Hoch (SPD): Muß es nicht in der vorletzten Zeile am Ende heißen „und den dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen“? Dr. de Chapeaurouge (CDU): Zur Geschäftsordnung! Ich beantrage, die Fassung dem Zuständigkeitsausschuß zurückzugeben; wir kommen so nicht zu einer sauberen Formulierung. (Widerspruch.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, die Ziffer an den Fachausschuß zurückzuverweisen. Wer ist dafür? – Der Antrag ist mit überwiegender Mehrheit abgelehnt. Es war zuletzt beantragt worden, in der vorletzten Zeile am Ende zu sagen „und den dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen“. – Ich höre keinen Widerspruch; diese redaktionelle Änderung ist angenommen. Dann lasse ich abstimmen über die neue Fassung, wie sie durch die von mir verlesene Umstellung erreicht wird. – Die Ziffer ist in dieser Fassung angenommen.

[2.16. ZIFFER 23: STRASSEN UND VERKEHR]

Wir kommen zu

Ziffer 23 den Straßenverkehr, das Kraftfahrwesen und den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen des Fernverkehrs, die mehrere Länder durchziehen; Wird das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall; die Ziffer ist angenommen.

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[2.17. ZIFFER 24: SCHIENENVERKEHR]

Ich rufe auf

Ziffer 24 den Bau, den Betrieb und den Verkehr anderer als der Bundeseisenbahnen. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich beantrage, das Wort „Schienenbahnen“ einzufügen. Dann lautet der Satz: den Bau, den Betrieb und den Verkehr anderer Schienenbahnen als der Bundeseisenbahnen. Bei einer Besprechung, die ich zufällig mit Mitgliedern der Direktion der Hamburger Hochbahn hatte, machten mich die Herren darauf aufmerksam, daß bei der Fassung, wie sie hier vom Redaktionsausschuß niedergelegt ist, nur die Kleinbahnen der Vorranggesetzgebung unterliegen, nicht aber der Verkehr auf Straßenbahnen. Der Begriff der Straßenbahn ist leicht umstritten. Da hier aber zweifelsohne auch der Verkehr auf den Straßenbahnen mit getroffen werden soll, schlage ich vor, das Wort „Schienenbahnen“ einzufügen, um Klarheit zu schaffen. (Renner [KPD]: Hinter diesem Vorschlag steht wieder die Konkurrenz der Eisenbahnen!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, ich lasse abstimmen. – Der Antrag auf Einfügung des Wortes „Schienenbahnen“ ist abgelehnt. Dr. Menzel (SPD): Es lagen noch verschiedene Zusatzanträge vor, zunächst einmal in bezug auf das Vermessungswesen. Wir hatten bei der Debatte über den Artikel die Notwendigkeit erörtert, das Vermessungswesen dem Bunde wenigstens zur Vorranggesetzgebung zu geben. Die Frage sollte dann bis zur Beratung dieses Artikels zurückgestellt werden. Ich nehme den Antrag daher jetzt wieder auf, nämlich eine weitere Ziffer aufzunehmen: „das Vermessungswesen“. Dr. Laforet (CSU): Das Vermessungswesen war bis zum Jahre 1934 ausschließlich Angelegenheit der Länder. Eine reichsgesetzliche Regelung des Vermessungswesens hat es im Frieden nicht gegeben, sondern nur in Verbindung mit Kriegsmaßnahmen bezüglich des Militärvermessungswesens54). Nach den Erfahrungen, die in den Ländern Hessen, Nordwürttemberg, Nordbaden, Südwürttemberg, Südbaden und Bayern gemacht worden sind, haben sich die maßgebenden Fachvertreter dafür ausgesprochen, daß das Vermessungswesen Sache der Länder bleiben müsse und auch eine Vorranggesetzgebung des Bundes in bezug auf das Vermessungswesen abzulehnen sei55). Die in Frage stehenden Regierungen, insbesondere die bayerische, haben ausdrücklich betont: Beim Vermessungswesen besteht keinerlei Notwendigkeit, es durch den Bund zu regeln. Was an wissenschaftlichen Fragen hier erledigt werden kann, wird auch durch die Vertreter der Wissenschaft erledigt, und was etwa in gemeinsamer Zusammenarbeit erledigt werden kann, ist bisher schon einwandfrei erledigt worden. Gegenüber der anderen Auffassung, wie sie im 54)

Zum Vermessungswesen vgl. die Diskussion in der 4. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 24. Sept. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 4, S. 161–164, sowie bes. die 12. Sitzung vom 14. Okt. 1948; ebd. Dok. Nr. 14, S. 483–486. 55) Vgl. dazu Drucks. Nr. 152; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 11, S. 409, Anm. 11, und Nr. 14, S. 483, Anm. 7.

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Zonenbeirat für die britische Zone zur Geltung gekommen ist56), steht die einheitliche Auffassung sämtlicher mittel- und [S. 98] süddeutschen Länder: zu einer Regelung des Vermessungswesens durch den Bund besteht keinerlei Anlaß. Der Zuständigkeitsausschuß hat auch einstimmig abgelehnt, das Vermessungswesen in die Vorranggesetzgebung zu nehmen. Dr. Menzel (SPD): Was Kollege Dr. Laforet über die Gesetzgebung nach 1933 erklärt hat, bezog sich vor allem auf die Vermessungsverwaltung. Das Reich hat damals aus Gründen der Kriegsvorbereitung die gesamte Verwaltung an sich gezogen. Hier handelt es sich aber darum, daß die trigonometrischen Grundsätze, nach denen rein technisch die Vermessung des Landes zur Herstellung von Atlanten usw. erfolgen soll, nicht etwa von einem Land allein aufgestellt werden können. Diese Frage der Vermessung, also der Beschaffung der rein technischen Unterlagen, nach denen die trigonometrischen Punkte auf der Erdoberfläche im einzelnen ausgesucht werden, ist keine Angelegenheit der Länder. Das kann zwangsläufig, eigentlich naturgegeben, nur nach einheitlichen Gesichtspunkten vom Bunde gemacht werden und hat mit der Verwaltung nichts zu tun. Dr. Laforet (CSU): Die in Frage stehenden Maßnahmen besonderer Art werden durch die Vertreter der Wissenschaft erledigt. Die wenigen Vereinbarungen, die hier über Durchführung technischer Maßnahmen besonderer Art erzielt werden können, genügen für den Zweck der Sache. An der Unterstellung des Vermessungswesens unter die Vorranggesetzgebung des Bundes haben nur diejenigen ein besonderes Interesse, die eine neue Bundesoberbehörde schaffen wollen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse darüber abstimmen, ob eine neue Ziffer 24 mit dem Inhalt „das Vermessungswesen“ aufgenommen werden soll. – Die Aufnahme ist mit 10 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Wird noch ein Antrag zu diesem Artikel gestellt? Renner (KPD): Ich bitte, in Art. 36, also in die Vorranggesetzgebung, auch die Regelung der Besatzungskosten aufzunehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Renner, darf ich Sie darauf hinweisen, daß das in Art. 122 vorgesehen ist. Dort steht in Abs. 2: „Aufwendungen für Besatzungskosten und sonstige äußere und innere Kriegsfolgelasten“. Renner (KPD): Aber die Frage, ob wir eine zentrale Finanzverwaltung haben werden, ist noch mehr als strittig. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das hat damit nichts zu tun; es handelt sich lediglich um die Gesetzgebung, und die ist hier vorgesehen. Ich glaube kaum, daß irgend jemand in diesem Hause bestreiten wird, daß der Bund die Besatzungskosten regeln muß, und ich glaube auch nicht, daß irgendein Land sich danach drängt, die Besatzungskosten zur Ländersache zu machen. Renner (KPD): Ich ziehe meinen Antrag zurück. Dr. Menzel (SPD): Ich habe noch die Frage an die Herren vom Zuständigkeitsausschuß, ob die Probleme der polizeilichen Grundsätze an anderer Stelle geregelt worden sind. Wenn etwas darüber aufgenommen werden soll, müßten wir das hier in diesem Katalog machen. 56)

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Zur Haltung des Zonenbeirates vgl. 17. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 23. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 23, S. 659 mit Anm. 29.

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Dr. Hoch (SPD): Die Frage, die Herrn Kollegen Menzel interessiert, hatten wir ja durch Einschaltung in Art. 29 der Herrenchiemseer Fassung geregelt. Dieser Artikel ist aber nachher im Grundsatzausschuß neu behandelt und, soweit ich unterrichtet bin, ist unsere Einschaltung wieder herausgestrichen worden. Der Artikel wird wahrscheinlich noch einmal erörtert werden. Dr. Menzel (SPD): Dann stelle ich das zurück. Dr. Laforet (CSU): Aber man darf wohl annehmen, daß auch Herr Kollege Menzel der Anschauung ist, dieser Gedanke darf nicht preisgegeben werden. Die Frage wird bei der Aufstellung der Grundrechte behandelt, falls der Zuständigkeitsausschuß seine Absicht aufgibt, das in Ihrem Sinne zu regeln. Der Hauptausschuß vertagt sich auf Mittwoch, den 24. November 1948, 10 Uhr. Schluß der Sitzung 18.57 Uhr.

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Nr. 8 Achte Sitzung des Hauptausschusses 24. November 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 99–109. PA 2004. Ungez. von Koppert gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 391 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: de Chapeaurouge, Fecht, Finck (zeitweise vertreten durch Seibold), Kaufmann, Kleindinst, Laforet, Pfeiffer, Walter SPD: Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wagner, Wolff, Zimmermann FDP: Dehler, Höpker Aschoff DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Wessel Abgeordnete ohne Stimmrecht: Hoch (SPD), Katz (SPD), Löbe (SPD), Löwenthal (SPD), Reuter (SPD), Schwalber (CSU), Zinn (SPD) Stenographischer Dienst: Koppert Dauer: 10.18–11.30 Uhr und 12.05–12.55 Uhr

[1. VORBEREITUNG DER BERATUNGEN ÜBER DIE FINANZVERFASSUNG]

Nach einer kurzen Geschäftsordnungsdebatte3) über die Tagesordnung und über die Reihenfolge der Erledigung der Beratungsgegenstände beschließt der Hauptausschuß, zunächst den in der letzten Sitzung begonnenen Abschnitt Bund und Länder zu Ende zu beraten und anschließend den Abschnitt Der Bundespräsident zu behandeln. 1)

Protokollführer Matz. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Im stenograph. Wortprot., S. 1–6, wird die Debatte folgendermaßen protokolliert: „Abg. Walter (CDU): Meine Damen und Herren! Vor etwa einer Stunde habe ich erfahren, daß auf der heutigen Tagesordnung die Beratung über den Abschnitt Bundespräsident stehen soll. Das kommt uns einigermaßen überraschend. Wir hatten keine Möglichkeit zu einer eingehenden Vorbereitung. Dazu kommt noch, daß die DP und die SPD Anträge eingebracht haben, zu denen wir erst noch Stellung nehmen müssen. Bei dieser Sachlage ist es schwierig, ein so wichtiges Kapitel wie das über den Bundespräsidenten sofort zu behandeln, ohne daß man Gelegenheit hatte, sich wenigstens einigermaßen darauf vorzubereiten. Ich möchte ganz allgemein anregen, daß der Hauptausschuß jeweils am Schluß einer Sitzung festsetzt, was in der nächsten Sitzung beraten wird. Ursprünglich sollten heute die Finanzfragen behandelt werden. Dieser Gegenstand wurde aber offenbar abgesetzt. ich wäre dankbar, wenn der Hauptausschuß jeweils am Schluß der Sitzung die Tagesordnung für die nächste Sitzung festlegen würde. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist vollkommen richtig und gar nicht anders denkbar, als daß der Hauptausschuß selbst jeweils die Tagesordnung für die nächste Sitzung beschließt. Dabei dürfte am besten so verfahren werden, daß der Vorsitzende dem Hauptausschuß einen Vorschlag über die Tagesordnung der nächsten Sitzung macht. Am Schluß der gestrigen Sitzung habe ich vorgeschlagen, daß nach Abschluß des jetzt behandelten Abschnitts über die Zuständigkeiten der Komplex der Finanzfragen beraten werden möge. 2)

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte vorschlagen, daß wir den Komplex „Finanzen“ in der Sitzung am nächsten Mittwoch vornehmen. Ich darf hoffen, daß die Dinge

Bei diesem Gebiet handelt es sich im Wesentlichen um eine weitere systematische Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Die Beratung der Finanzfragen würde sich so an den Abschnitt über die Zuständigkeiten organisch anschließen. Nun wurde mir aber aus Kreisen Ihrer Fraktion (zur CDU gewendet) gesagt, die Fraktion der CDU könne heute nicht gut über die Materie der Finanzen diskutieren, weil die endgültigen Beschlüsse der Fraktion erst in einer für morgen vorgesehenen Fraktionssitzung erarbeitet werden sollen. Ich habe daraufhin mit den betreffenden Herren ventiliert, was nun auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung kommen soll. Ich habe den Herren vorgeschlagen, heute den Abschnitt über den Bundespräsidenten zu beraten. Die Herren waren damit einverstanden. Ich weiß auch schlechterdings nicht, was wir sonst auf die Tagesordnung setzen könnten. Die anderen großen Abschnitte sind für die Beratung im Hauptausschuß ebenso unreif wie die Finanzen. Die Grundrechte stehen noch im Grundsatzfragenausschuß in Behandlung. Dagegen ist der Abschnitt über den Bundespräsidenten eine in sich geschlossene Materie. Dieser Abschnitt enthält obendrein nur sehr wenige echte Probleme. Jedenfalls sind diese Probleme schon alle in den Fachausschüssen und auch sonst durchgesprochen worden, so daß durchaus die Möglichkeit bestehen sollte, haute schon darüber zu verhandeln und zu beschließen. Abg. Kaufmann (CDU): Ich glaube, wir sind durch die Dispositionen, die der Ältestenausschuß getroffen hat, etwas in Zeitnot und auch sonst in Schwierigkeiten geraten. Praktisch ist es so, daß die hintereinander stattfindenden Sitzungen des Hauptausschusses den Fachausschüssen nicht genügend Zeit zu eigener Arbeit lassen. Es müßte hier so verfahren werden, daß der Vorsitzende des Hauptausschusses mit den Vorsitzenden der Fachausschüsse klarstellt, welche Abschnitte des Grundgesetzes noch einer Vorbereitung bedürfen. Je nachdem wären die Sitzungen des Hauptausschusses anzusetzen. Nur so ist es den Fachausschüssen möglich, dem Hauptausschuß wirklich fertige Vorschläge vorzulegen, und zwar nicht nur jeweils für die nächste Sitzung, sondern für den nächsten Sitzungsabschnitt. Nur so ist eine vorausschauende Arbeitsplanung möglich. Ich bin gewiß sehr für die Beschleunigung unserer Arbeit, aber es hat keinen Zweck, sie zu überstürzen. Sonst laufen wir Gefahr – und dafür hatten wir gestern ein Beispiel –, daß dem Hauptausschuß lauter unverdaute und nicht durchformulierte Vorschläge zugehen, die stundenlang noch einmal beraten werden müssen. Das ist eine Aufgabe, die dem Hauptausschuß an sich nicht obliegt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich halte diesen Vorschlag für geradezu ideal, wenn wir Zeit genug hätten, um nach diesem Rezept zu verfahren. Diese Zeit haben wir aber nicht mehr, wenn wir den 15. Dezember als Schlußtermin unserer Arbeit festhalten wollen. Wenn wir diesen Termin einhalten wollen, müssen wir die Arbeit forcieren. Es wird sich auch nicht vermeiden lassen, daß gelegentlich Überschneidungen und gegenseitige Blockierungen von Ausschüssen vorkommen. Man wird von Fall zu Fall sehen müssen, wie man mit diesen unvermeidlichen Ungereimtheiten fertig wird. Jedenfalls sollten wir von dem Prinzip nicht abgehen, daß der Hauptausschuß von jetzt ab durchverhandelt. Es ist eine alte Erfahrung: Wenn man beginnt, Schwierigkeiten dadurch auszuräumen, daß man Sitzungen ausfallen läßt, dann werden die Sitzungen die Ausnahme und die anderen Geschäfte des Parlamentarischen Rates die Hauptsache werden. Aus diesem Grunde sollten wir, meine ich, nicht dazu übergehen, Sitzungen des Hauptausschusses allzu häufig ausfallen zu lassen. Es mag zwar gelegentlich ein probates Mittel sein, aber es führt nicht zum Ziel hin, sondern vom ziel weg. Ich glaube, es ist gut und notwendig, wenn wir darüber abstimmen, ob in der heutigen Sitzung der Abschnitt über den Bundespräsidenten behandelt werden soll oder nicht. Abg. Walter (CDU): Zu dem Abschnitt über den Bundespräsidenten liegen einige Anträge vor, die wir noch nicht haben. Fortsetzung Fußnote auf Seite 248

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bis dahin in den Fraktionen geklärt sind. Vielleicht empfiehlt es sich auch, daß wir zu diesem Punkt die Stellungnahme gewisser Länder hören. Ich schlage vor, daß Fortsetzung Fußnote von S. 247 Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben eine vom Organisationsausschuß ausgearbeitete Vorlage. Aber man kann über diese Dinge ja diskutieren, sie sind doch nicht schlechthin neu, sondern schon wiederholt durchgesprochen worden! Abg. Dr. Pfeiffer (CSU): Im Einvernehmen mit einem großen Teil der Mitglieder meiner Fraktion wollte ich heute den Antrag stellen, die Finanzen von der Tagesordnung abzusetzen und statt ihrer den Abschnitt über den Bundespräsidenten zu beraten. Weiterhin wollte ich anregen, heute Nachmittag keine Sitzung des Hauptausschusses abzuhalten, Bei diesem Gebiet handelt es sich im Wesentlichen um eine weitere systematische Ab um Zeit für die Ausschußberatungen zu gewinnen. Der Hauptausschuß kann seine Beratungen am Freitag fortsetzen. Angesichts der Sachlage, wie sie sich jetzt ergeben hat, hielte ich es für zweckmäßig, den heutigen Vormittag für Ausschußberatungen freizuhalten und die Sitzung des Hauptausschusses haute Nachmittag abzuhalten. Bis dahin liegen die Anträge vor, die von den einzelnen Fraktionen gestellt sind, und es ist möglich, sie zu prüfen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wäre also die Frage zu entscheiden, ob nach Erledigung des Abschnitts, in dessen Beratung wir jetzt stehen, der Abschnitt über den Bundespräsidenten behandelt werden soll. Abg. Stock (SPD): Meine Damen und Herren! Eine Arbeitsteilung, wie sie die CDU-Fraktion jetzt vorschlägt, ist ganz unmöglich. Wir müssen uns im Ältestenausschuß vom Präsidenten den leisen Vorwurf machen lassen, daß unsere Arbeiten nicht so vonstatten gehen, wie es notwendig wäre. Auch in der Öffentlichkeit muß man immer wieder hören, hier schleppe sich alles so hin und es gehe nicht vorwärts. Wenn wir aber wirklich an die Arbeit herangehen wollen, dann erklärt die Fraktion der CDU/CSU, man habe die Beratungsgegenstände in der Fraktion noch nicht behandelt. Ja, wann sollen wir das mit unserer Arbeit überhaupt zu Rande kommen. Der Herr Präsident hat uns einen Termin gesetzt. Wenn wir weiter so disponieren wie bisher, dann werden wir im nächsten Jahr um diese zeit noch hier sitzen und über die Verfassung beraten. Die Fraktionen müssen sich schon daran gewöhnen, daß sie mit der Beratung der Kapitel fertig sind, wenn der Hauptausschuß sie behandeln will. Es geht nicht an, im Hauptausschuß immer wieder Anträge auf Vertagung zu stellen. Mit Vertagungen kommen wir nicht weiter. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte vorschlagen, diese Geschäftsordnungsdebatte tunlichst abzukürzen, sie führt bestimmt nicht weiter. Das Für und Wider ist erörtert. Es ist der Antrag gestellt, nach der Behandlung des jetzigen Abschnitts zum Abschnitt über den Bundespräsidenten überzugehen. Ich lasse darüber abstimmen. Wer dafür ist, daß nach Erledigung des Abschnitts über die Zuständigkeitsabgrenzung der Abschnitt über den Bundespräsidenten behandelt wird, den bitte ich, eine hand zu erheben. – Das sind 16 Stimmen, es ist so beschlossen. Abg. Dr. Laforet (CDU): Ich bitte, uns die Möglichkeit zu geben, zur rascheren Erledigung der Arbeiten, die mir unbedingt notwendig erscheint, heute Nachmittag keine Sitzung des Hauptausschusses abzuhalten, damit der Ausschuß für Grundsatzfragen und der Kompetenzausschuß an die Arbeit gehen können. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich wollte gerade darüber abstimmen lassen. Wir hatten ursprünglich verabredet, heute Vormittag und Nachmittag zu tagen. Nunmehr ist der Antrag gestellt, heute Nachmittag nicht zu tagen und statt dessen die Fachausschüsse arbeiten zu lassen. Ich lasse darüber abstimmen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. – Es ist so beschlossen. Abg. Walter (CDU): Ich bin nur deswegen dagegen gewesen, den Abschnitt über den Bundespräsidenten heute zu behandeln, weil ein Antrag der Demokraten zu Art. 75 vorliegt, den ich noch nicht kannte. Ich habe den Wortlaut dieses Antrages inzwischen erhalten, aber noch nicht gelesen. Diese war der einzige Grund, warum ich eine kurze Vertagung der Sitzung gewünscht habe.“

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wir schon heute eine Reihe von Finanzministern bitten, sich für den nächsten Mittwoch4) bereitzuhalten. Dr. Seebohm (DP): Ich darf anregen, daß der Finanzminister von Niedersachsen5) geladen wird. Er hat den besonderen Wunsch geäußert, vor dem Hauptausschuß zu erscheinen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es kann natürlich jeder Finanzminister hierherkommen und als Ländervertreter sprechen; er ist grundsätzlich eingeladen6). Ich glaube aber, wir sollten einige Finanzminister besonders bitten zu kommen, damit wir ein möglichst buntes und klares Bild über die Standpunkte der Länder gewinnen. Einigermaßen wissen wir ja, wie in den verschiedenen Ländern zu den Finanzfragen gedacht wird. Ich würde vorschlagen, folgende Herren zu laden: den bayerischen Finanzminister7), den Finanzminister des Landes Württemberg-Baden8), den Finanzminister des Landes Rheinland-Pfalz9) und den Finanzminister von Nordrhein-Westfalen10). Auch der Finanzminister von Niedersachsen, Herr Strickrodt, ist gebeten zu erscheinen.

4) 5)

6) 7)

8)

9)

10)

Vgl. dazu die 12. Sitzung des HptA am 1. Dez. 1948, unten, Dok. Nr. 12. Georg Strickrodt (1902–1989), Jurist, 1946–1950 niedersächsischer Finanzminister, 1947–1951 Mitglied des Niedersächsischen Landtages (CDU), Professor an der TU Darmstadt (Institut für Finanz- und Steuerrecht). Zur Teilnahme der Ländervertreter an Sitzungen des HptA vgl. oben Dok. Nr. 2, TOP 1, bes. S. 4. Johann-Georg Kraus (1879–1952), seit 1900 in der bayerischen Finanzverwaltung, 1944 Versetzung in den Ruhestand, 1945/46 Ministerialdirektor bzw. Staatssekretär in der Bayerischen Staatskanzlei, 1947–1950 bayerischer Staatsminister der Finanzen. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 7, S. 118, Anm. 4. Edmund Kaufmann (1893–1953), Jurist, Promotion, 1923–1933 Bürgermeister der Stadt Singen (Hohentwiel), 1928–1933 Mitglied des badischen Landtags, Mitbegründer der CDU in Rheinland-Pfalz, Regierungspräsidenten in Mainz, Ministerialdirektor im Wirtschaftsministerium von Württemberg-Baden, 1949–1951 Finanzminister und zugleich Landesbezirkspräsident des Landesteils Nordbaden. 1951 Präsident des Badischen Sparkassenverbandes, 1952 Mitglied der FDP/DVP, Mitglied der verfassunggebenden Landesversammlung Baden-Württemberg, 1952–1953 Parlamentarischer Staatssekretär für die Ausarbeitung und Vollziehung der Verfassung. Hans Hoffmann (1893–1952), Jurist, 1915 Promotion in der Kommunalverwaltung tätig, 1925 Magistrat der Stadt Kiel, dort 1927 Dezernent der städtischen Werke sowie Dezernent für Steuerangelegenheiten, 1931–1933 Mitglied des Provinziallandtags von Schleswig-Holstein 1941–1945 Aushilfe in der Wirtschaftsabteilung beim Reichsstatthalter Westmark, 1946 Rechtsanwalt und Notar in Wachenheim an der Weinstraße, 1945 Oberbürgermeister von Ludwigshafen, 1945 Oberpräsident der Region Mittelrhein-Saar, 1947–1951 Finanzminister in Rheinland-Pfalz. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Nr. 7, S. 118, Anm. 3. Heinrich Weitz (1890–1962), Dr. iur., 1920–1927 Beigeordneter der Stadt Duisburg, 1927–1933 Oberbürgermeister von Trier, 1930–1933 Mitglied des Provinziallandtags Rheinland, Rechtsanwalt in Duisburg, 1945–1947 Oberbürgermeister von Duisburg, 1946–1950 Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen, 1947–1952 Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, 1950 geschäftsführender Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, 1952–1958 Präsident des Rheinischen Sparkassenverbandes, 1952–1961 Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Nr. 11, S. 307, Anm. 6.

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Dr. Fecht (CDU): Ich bitte, auch den Finanzminister von Südbaden, Herrn Dr. Ekkert11), zu laden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es können alle Finanzminister kommen. Ich möchte nur sagen, daß auf einige der Herren vielleicht besonderer Wert gelegt wird, weil es interessant ist, gerade ihre Meinung zu hören. Kaufmann (CDU): Es ist das nicht das einzige Problem, das innerhalb der einzelnen Fraktionen zu klären ist. Vielmehr sind eine ganze Anzahl neuer Momente aufgetreten, die es notwendig machen, den ganzen Fragenkomplex erneut zu prüfen. Ich darf in diesem Zusammenhang nur ein Beispiel erwähnen: In Frankfurt schweben Beratungen mit dem Ziele, die Steuerfestlegung in deutsche Hände zu bekommen12). Ferner sind intensive Vorarbeiten im Gang, um die Ertragserrechnung klarer zu gestalten. Alle diese Probleme bedürfen der Klärung im Finanzausschuß, ehe sie reif für den Hauptausschuß sind. Unter diesen Umständen empfiehlt es sich vielleicht, daß der Finanzausschuß noch einmal den Direktor der Verwaltung für Finanzen in Frankfurt13) hierher bittet. Vielleicht ist es auch zweckmäßig, daß wir zusammen mit den Finanzministern der Länder den Direktor der Verwaltung für Finanzen laden. Ich stelle das anheim. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Wir haben Herrn Hartmann im Finanzausschuß eingehend befragt14). Ich glaube nicht, daß eine nochmalige Vernehmung des Herrn Hartmann neue Gesichtspunkte bringen wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich sehe allerdings auch keinen rechten Anlaß, aber auch keine Notwendigkeit, Herrn Hartmann erneut zu hören. Wir können ihn als Sachverständigen laden, gewiß. Aber aus sich heraus ist er nicht legitimiert, hier zu erscheinen und das Wort zu ergreifen. Etwas anderes ist es bei den Herren Finanzministern der Länder, die den Standpunkt ihrer Länder zur Geltung zu bringen haben. Übrigens habe ich nicht vorgeschlagen, die Finanzminister der Länder als

11)

Wilhelm Eckert (1899–1980), 1933–1940 Steuerberater und Wirtschaftstreuhänder, 1945/46 Syndikus der Badischen Handwerkskammer Freiburg im Breisgau, 1947 außerordentlicher Professor für Sozial- und Arbeitswissenschaften an der Staatlichen Akademie für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1947 Mitglied des badischen Landtags, 1948.1952 Minister der Finanzen von Baden. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Nr. 7, S. 128, Anm. 23. 12) Ziel der Steuergesetzgebung der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1948/49 war es, durch Steuerreformen die vom alliierten Kontrollrat geschaffenen Steuergesetze durch deutsches Recht zu ersetzen. Hierzu gab es wiederholt Gespräche mit der zuständigen Bipartite Control Office (BICO). 13) Alfred Hartmann (1894–1967), Jurist, 1923–1935 in der Reichsfinanzverwaltung, 1942 im Rechnungshof des Deutschen Reiches, 1944 Oberfinanzpräsident in Berlin, 1945 Leiter der Abteilung für Zölle und Verbrauchsteuern des Oberfinanzpräsidiums München, 1945 Leitung des Hauptzollamtes München, 1945–1947 Ministerialdirigent im bayerischen Staatsministerium für Finanzen, 1947–1949 Direktor der Verwaltung für Finanzen des VWG in Bad Homburg, 1948 im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau, 1950–1959 Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, 1959–1966 Vorstandsvorsitzender der Vereinigten Elektrizitäts- und Bergwerks AG (VEBA). Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 8, S. 192, Anm. 5. 14) Vgl. die 7. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen am 24. Sept. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 12, Nr. 8, S. 192–237

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Sachverständige zu laden, sondern ihnen mitzuteilen, daß man es für besonders erwünscht hielte, wenn sie sich für die Beratung zur Verfügung stellten. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Man könnte außerdem Herrn Hartmann als Sachverständigen laden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das müßte beschlossen werden. An sich sehe ich dazu keinen Anlaß. Dr. Menzel (SPD): Ich möchte davor warnen, unsere Arbeit dadurch zu verzögern, daß wir die Vernehmungen, die den Finanzausschuß nicht weniger als 14 Tage oder sogar drei Wochen gekostet haben15), wiederholen. Wenn wir beschließen, Herrn Direktor Hartmann erneut als Sachverständigen zu hören, dann können wir auch etwaige Wünsche anderer an den Finanzproblemen interessierten Kreise, zum Beispiel der Industrie- und Handelskammern, der Landwirtschaft, der Gewerkschaften, nicht ablehnen, als Sachverständige gehört zu werden. Zunächst besteht unsere Aufgabe lediglich darin, die Interessen der Länder, die gerade bei den Finanzen eine erhebliche Rolle spielen werden, durch einige uns bekannte Persönlichkeiten vertreten zu sehen, im wesentlichen durch die Länderfinanzminister. Ich würde es auch für richtig halten, daß die Länder zwar ihre Finanzminister hierhersenden, daß wir uns aber in weiser Selbstbeschränkung vorbehalten, welche Herren wir wirklich hören, und abwarten, ob, nachdem mehrere Herren gehört wurden, noch die Notwendigkeit besteht, weitere Ländervertreter zu vernehmen. Ich möchte mich dem Vorschlag des Herrn Vorsitzenden anschließen, daß wir den bayerischen Finanzminister Dr. Kraus, den Finanzminister Dr. Köhler16) und den Finanzminister von Nordrhein-Westfalen hören. Ich habe kein Bedenken, auch noch den vierten Herrn aus Koblenz zu laden. Ich könnte mir aber denken, daß wir uns durch diese drei erstgenannten Herren ausreichend informieren werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wäre immerhin zweckmäßig, auch einen Finanzminister der französischen Zone zu laden. [S. 100] Kaufmann (CDU): Ich habe die Frage völlig offengelassen, ob wir Herrn Direktor Hartmann im Hinblick auf die neue Situation auf steuerlichem Gebiet noch einmal im Finanzausschuß hören sollen. Im übrigen bin ich etwas verwundert über die Darlegungen des Herrn Dr. Menzel. Man kann schließlich nicht den verantwortlichen Direktor der Finanzverwaltung der Bizone mit dem Vertreter einer Industrieund Handelskammer vergleichen. Dr. Seebohm (DP): Mir scheint, die Situation ist etwas schwierig, weil wir nur mit der Konferenz der Ministerpräsidenten und nicht direkt mit der bizonalen Verwaltung zu tun haben. Aber wir halten es sachlich für richtig, wenn der Mann, der auf

15)

Der Ausschuß für Finanzfragen hatte vom 21. Sept. bis 5. Okt. 1948 Sachverständige angehört. Vgl. dazu zusammenfassend: Feldkamp: Einleitung, in: Der Parl. Rat, Bd. 12, S. XXVI–XXXII. 16) Heinrich Köhler (1878–1949), Jurist, 1913 Mitglied des badischen Landtages (Zentrum), 1920 badischer Finanzminister, 1923/24 und 1926/27 badischer Staatspräsident, 1928– 1932 Mitglied des Reichstages, 1927/28 Reichsminister der Finanzen, 1945–1949 stellv. Ministerpräsident von Württemberg-Baden, und 1946 Wirtschaftsminister, 1946–1949 Finanzminister. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 8, S. 224, Anm. 58.

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dem Gebiet der Finanzen der Westzonen das entscheidende Wort spricht, auch hier erscheint und zu Worte kommt17). Dr. Menzel (SPD): Wenn wir beschließen, den Leiter der bizonalen Verwaltung für Finanzen in Frankfurt, Herrn Hartmann, zu hören, dann werden wir wahrscheinlich mit Anträgen rechnen, müssen, auch zum Beispiel den Leiter18) der Zonenleitstelle Hamburg19) zu vernehmen. Im übrigen habe ich nicht vorgeschlagen, den Syndikus irgendeiner Handelskammer zu hören. Die Industrie- und Handelskammern der Trizone haben eine Vereinigung und einen Sachbearbeiter für Finanzfragen, den wir gegebenenfalls anzuhören hätten. Grundsätzlich bin ich der Meinung, daß die vereinigten Industrieund Handelskammern an den Finanzfragen genau so interessiert sind wie Herr Direktor Hartmann. Das gleiche dürfte auch für die Gewerkschaften gelten. Überhaupt sollten wir nicht einzelne Namen nennen. Wir sollten uns zunächst darüber klar werden: Wollen wir die Vertreter der Länder hören oder wollen wir in eine Beweisaufnahme durch Anhören von Sachverständigen eintreten? Wenn Sie das letztere wollen, können Sie sich nicht auf Dr. Hartmann beschränken. Dann müssen Sie damit rechnen, daß es zu einer neuen Beweisaufnahme kommt, daß alles wiederholt wird, was im Finanzausschuß schon einmal besprochen wurde. Oder aber Sie müssen von der Anhörung des Herrn Hartmann absehen. In diesem Fall können wir uns darauf beschränken, die Vertreter der Länder zu hören, was ich auch für das Richtigere halten würde.

17)

Im stenograph. Wortprot., S. 11, folgt danach zunächst weiterhin der Wortbeitrag von Seebohm: „Aus den Worten des Herrn Dr. Menzel ging hervor, daß nur von uns bestimmte Herren das Wort sollten ergreifen können. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das hat er nicht gesagt. Dr. Seebohm (DP): So schien es mir wenigstens. Ich jedenfalls bin der Auffassung, daß jeder Vertreter der Länderregierungen, der hierher kommt, sich zum Wort melden und seine Auffassung darlegen kann. Dr. Menzel (SPD): Ich bin mir sehr im Zweifel darüber, ob die Geschäftsordnung es zuläßt, daß jeder Vertreter der Länder das Recht hat, bei uns zu Wort zu kommen. Zu den Ausführungen des Herrn Kaufmann möchte ich eins sagen:“ 18) Finanzpräsident der am 30. Juni 1948 aufgelösten Leitstelle der Finanzverwaltung für die britischen Zone (Finanzleitstelle) in Hamburg war zuletzt Paul Sellnick (geb. 1885), Jurist, 1919–1922 in der Reichsschatzverwaltung, 1922–1932 in der Reichsfinanzverwaltung (Zoll), 1946 Leiter der Abteilung Zölle und Verbrauchssteuern bei der Leitstelle der Finanzverwaltung für die britischen Zone (Finanzleitstelle), nach der Pensionierung 1950 im Bundesfinanzministerium als Angestellter tätig. Vgl. Vogel: Westdeutschland, Teil III, S. 63, Anm. 4, und S. 66, Anm. 18. 19) Mit Verordnung Nr. 24 zur Errichtung einer Leitstelle der Finanzverwaltung für die britische Zone wurde in Hamburg die sog. „Leitstelle“ am 1. März 1946 geschaffen. nach Art. III wurden „a) alle Vollmachten, die früher der Reichsfinanzminister [. . .] hatte, dem Präsidenten der Leitstelle innerhalb der Britischen Zone übertragen, und b) alle anderen früher dem Reichsfinanzminister zustehenden Befugnisse von den dafür durch die Militärregierung ernannten Personen innerhalb der Britischen Zone ausgeübt.“ In Art. II wurde bestimmt: „Der Präsident der Leitstelle wird von der Militärregierung ernannt werden.“ Vgl. Amtsblatt der Militärregierung Deutschland. Britisches Kontrollgebiet, S. 171. Die Leitstelle stellte am 30. Aug. 1948 ihre Arbeit ein. Vgl. Vogel: Westdeutschland, Teil III, S. 59 ff.; Schweigert, S. 72 ff. Vgl. auch Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 2, S. 16, Anm. 42.

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Dr. Seebohm (DP): Ich bin der Auffassung, daß Herr Hartmann nicht als Sachverständiger, sondern aus seiner besonderen Stellung heraus gehört wird. Übrigens ist uns die Auffassung der Industrie- und Handelskammern bekannt; ihre Stellungnahmen liegen schriftlich vor20). Nun ist aber eine Frage zu entscheiden, die wir auch im Geschäftsordnungsausschuß behandelt haben: Die Ländervertreter sollten Gelegenheit haben, ihre Stellungnahmen im Hauptausschuß darzulegen. Das ist in Aussicht genommen. Die Frage ist nun, ob man Herrn Hartmann als den Direktor der Verwaltung für Finanzen die gleiche Qualität einräumt, ihn also nicht als Sachverständigen vernimmt, sondern mit den Ländervertretern gleichstellt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können ihm keine andere Qualität geben als die, die er hat. Herr Hartmann ist Direktor der Verwaltung für Finanzen in Frankfurt. Die Geschäftsordnung bestimmt21), daß die Vertreter der Länderregierungen beim Parlamentarischen Rat zu Worte kommen können. Sie enthält aber keine Bestimmung darüber, daß auch die Herren Direktoren der bizonalen Verwaltung in Frankfurt dieses Recht haben sollen. Ich glaube, daß dies mit gutem Grunde nicht der Fall ist. Wenn wir es anders halten wollen, dann müssen wir die einschlägige Bestimmung der Geschäftsordnung neu fassen. Wenn wir Herrn Hartmann hören wollen, dann sehe ich keine andere Möglichkeit als die, ihn als Sachverständigen zu laden und zu hören. Wir sollten uns auch in diesen Fragen nicht aus dem Bereich des Rechts entfernen. Nirgends ist es gefährlicher, vom Recht abzuweichen, als in Fragen der Prozedur. Kaufmann (CDU): Ich wollte das gleiche sagen. Ich schlage vor, Herrn Hartmann zur Sitzung des Hauptausschusses als Sachverständigen zuzuziehen. Dr. Menzel (SPD): Für den Fall der Annahme dieses Antrags beantrage ich, daß wir weiterhin den Leiter der bizonalen Finanzstelle in Hamburg und einen Vertreter der vereinigten Industrie- und Handelskammern der Trizone sowie einen Vertreter der Gewerkschaften als Sachverständige laden. Diesen Antrag stelle ich für den Fall der Annahme des Antrags Kaufmann, Herrn Hartmann als Sachverständigen zuzuziehen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich sehe diesen Antrag nicht als Abänderungsantrag, sondern als Zusatzantrag an. Wir müssen zuerst über den Antrag Kaufmann abstimmen und, falls dieser angenommen werden sollte, über den Zusatzantrag Dr. Menzel. Wer ist für die Ladung des Direktors Hartmann als Sachverständigen? – Der Antrag Kaufmann, Herrn Hartmann als Sachverständigen zu laden, ist abgelehnt. Damit ist der Zusatzantrag Dr. Menzel gegenstandslos.

20)

Zur Haltung der Industrie- und Handelskammer vgl. u.a.: Der Parl. Rat, Bd. 11, Dok. Nr. 4, S. 18 f. mit Anm. 18; ebd., Bd. 12, S. 55–57 mit Anm. 51, sowie S. 438, 446–450, 502–504. 21) Vgl. dazu oben Dok. Nr. 2, TOP 1, bes. S. 4 mit Anm. 9.

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Achte Sitzung des Hauptausschusses 24. November 1948 [2. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT III: BUND UND LÄNDER] [2.1. ART. 39 BIS 41: AMTS- UND RECHTSHILFE]

Wir treten nun in die weitere Beratung von Abschnitt III Bund und Länder nach der Vorlage des Allgemeinen Redaktionsausschusses (Drucksache PR. 11.48 – 279)22) ein. Die Art. 37 und 38 der alten Numerierung nach dem Entwurf von Herrenchiemsee23) entfallen. Diese Materie ist in den Artikeln 121 und 122a behandelt. Wir kommen zu Art. 39 (1) Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Amtshilfe und Rechtshilfe mit Einschluß des Zwangsvollstreckungs- und Verwaltungszwangsverfahrens. (2) Die in einem Land nach dessen Recht ordnungsmäßig vorgenommenen öffentlichen Beurkundungen und Beglaubigungen werden im ganzen Bundesgebiet anerkannt. Wird das Wort dazu gewünscht? – Das ist nicht der Fall; Art. 39 ist angenommen. Art. 40 Die Länder können über Gegenstände, die in ihren Aufgabenbereich fallen, Vereinbarungen mit anderen deutschen Ländern treffen. Keine Wortmeldungen. – Art. 40 ist angenommen. Art. 41 (1) Die Zuständigkeit, Verträge mit auswärtigen Staaten zu schließen, richtet sich nach der Zuständigkeit zur Gesetzgebung. (2) Für die Einleitung von Vertragsverhandlungen und den Abschluß eines Vertrages mit einem auswärtigen Staat bedürfen die Länder der Zustimmung des Bundes. (3) Vor dem Abschluß eines Vertrages, der die besonderen Verhältnisse eines Landes berührt, hat der Bund das Land rechtzeitig zu hören. Keine Wortmeldungen. – Art. 41 ist angenommen.

[2.2. ART. 42 UND 43: AUSFÜHRUNG DER BUNDESGESETZE UND DIE BUNDESVERWALTUNG]

Art. 42 soll nach dem Vorschlag des Redaktionsausschusses24) seiner Materie nach hier nicht behandelt werden. Die Materie, die nach den Beschlüssen des Zustän22)

Die Drucks. Nr. 279 vom 16. Nov. 1948 ist ediert im Zusammenhang mit den übrigen Stellungnahmen des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 10. Nov. bis 5. Dez. 1948 in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 42–51. 23) Für den Wortlaut der genannten Artikel vgl. Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 12, S. 432, sowie ebd., Bd. 7, Dok. Nr. 1, S. 12. Für den Wortlaut des Art. 37 und 38 ChE vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 586. 24) Vgl. dazu die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses; Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 50.

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digkeitsausschusses in Art. 42 geregelt werden sollte25), soll aufgegliedert und im Anschluß an Art. 102 und bei den Bestimmungen über die Bundesverwaltung behandelt werden. Zinn (SPD): Die Ausführung von Bundesgesetzen, die in Art. 42 behandelt wird, erfolgt einmal durch Rechtsverordnungen und sodann im Wege der Verwaltung. Unter welchen Voraussetzungen der Erlaß von Rechtsverordnungen zulässig und wann dabei der Bundesrat zu beteiligen ist, ist zweckmäßigerweise im Anschluß an Art. 102 zu regeln, der den Erlaß von [S. 101] Rechtsverordnungen behandelt, und im übrigen, soweit die Ausführung durch die Verwaltung in Frage kommt, im Zusammenhang mit den Art. 112 ff. Das ist deshalb notwendig, weil es möglich ist, die Beteiligung der Länder beim Erlaß von Rechtsverordnungen in anderer Weise zu regeln als ihre Beteiligung auf dem Gebiet der Verwaltung. Infolgedessen darf man für beide Fälle keine Generalklausel schaffen. Dr. Laforet (CSU): Es ist zweifellos für die Übersicht über die Gegenstände zweckmäßiger, den Art. 42 so aufzuteilen, wie es der Redaktionsausschuß nach den Darlegungen des Herrn Kollegen Zinn beabsichtigt. Ich beantrage deshalb, daß wir zunächst die Stellungnahme des Zuständigkeitsausschusses abwarten, der sich mit der Anregung des Redaktionsausschusses noch zu befassen haben wird26), und daß wir heute in eine Debatte über Art. 42 nicht eintreten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist genau mein Vorschlag. Wir sind uns also vorläufig darüber einig, daß die Materie, die in Art. 42 des ursprünglichen Entwurfs geregelt worden ist, im Anschluß an die Art. 102, 112 und 114 besprochen werden soll. Wir kommen damit zu Art. 43 Bei den obersten Bundesbehörden sind Beamte aus allen Ländern in angemessenem Verhältnis zu verwenden. Die bei den übrigen Bundesbehörden beschäftigten Personen sollen in der Regel aus dem Lande genommen werden, in dem sie tätig sind. Dr. Laforet (CSU): Der Redaktionsausschuß ist der Meinung, daß die vom Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung nach dem Muster des Entwurfs von Herrenchiemsee27) vorgesehene Wortfassung des Art. 43 Abs. 228) entfallen soll. Ich beantrage, diesen Absatz wieder aufzunehmen. Man kann verschiedener Meinung darüber sein, ob dieser Gegenstand geregelt werden muß. Er ist jedenfalls für Bahn und Post von großer Bedeutung und gibt immerhin eine klare Richtlinie. Ich bitte daher, den Art. 43 Abs. 2 aufrechtzuerhalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Abs. 2 lautet:

25)

Für den Wortlaut der Artikel in der Fassung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung vom 8. Okt. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 12, S. 432, sowie ebd., Bd. 7, Dok. Nr. 1, S. 12. 26) Der Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung befaßte sich in der 20. Sitzung am 2. Dez. 1948 erneut mit der Ausführung der Bundesgesetze und der Bundesverwaltung. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 26, S. 717–722. 27) Für den Wortlaut des Art. 43 ChE vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 588. 28) Für den Wortlaut der Artikel vgl. Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 12, S. 432, sowie ebd., Bd. 7, Dok. Nr. 1, S. 12 f..

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Auf ihren Wunsch sind die beim Bund beschäftigten Personen in ihrem Heimatgebiet zu verwenden, wenn nicht Erfordernisse der Ausbildung oder des Dienstes entgegenstehen. Ist es wirklich notwendig, eine solche Bestimmung aufzunehmen? Ist wirklich zu befürchten, daß ein Eisenbahner nur aus Bequemlichkeit des Personalreferenten statt in Württemberg in Bremen angestellt werden wird? Ich glaube kaum. Solche Dinge werden wohl nur dann vorkommen, wenn wirkliche Erfordernisse der Ausbildung und des Dienstes es gebieten. Diese Generalklausel haben Sie selbst in diesem Absatz vorgesehen. Gewiß schadet es nichts, wenn dieser Absatz im Grundgesetz steht. Aber ich glaube, jede Zeile, um die wir das Grundgesetz kürzer machen, wird ihm bekommen. Dr. Laforet (CSU): Gewiß. Die Absicht, das Grundgesetz möglichst gedrängt zu fassen, wird in vollem Umfang anerkannt. Aber hier stehen Fälle des Lebens in Frage, die die Gutachter von Herrenchiemsee veranlaßt haben, eine vorsichtig gehaltene Richtlinie für Eisenbahn- und Postverwaltung aufzustellen. Außerdem enthält der Absatz noch die Beschränkung: „wenn nicht Erfordernisse der Ausbildung oder des Dienstes entgegenstehen“. Stehen solche Erfordernisse nicht entgegen, so soll die Verwendung der Beamten und Angestellten im Heimatgebiet die Regel sein. Ich glaube, wir würden den Wünschen der in Frage stehenden Beamten und Angestellten entsprechen, wenn wir den Abs. 2, obwohl er ganz gewiß keine sehr wichtige Sache betrifft, belassen. Dr. Menzel (SPD): Soll die Bestimmung, daß die beim Bund beschäftigten Personen auf ihren Wunsch in ihrem Heimatgebiet zu verwenden sind, diesen Beamten einen Rechtsanspruch geben? Dr. Laforet (CSU): Ich fasse das nicht als Rechtsanspruch auf, wohl aber als eine bindende Richtlinie, die den betreffenden Bundesbehörden gegeben wird. Dr. Menzel (SPD): Was ist der Unterschied zwischen einer bindenden Richtlinie und einem Rechtsanspruch? Dr. Laforet (CSU): Es handelt sich hier nur darum, daß den Bundesbehörden eine Pflicht auferlegt wird, während andererseits der einzelne Beamte und Angestellte keinen Rechtsanspruch hat. Dr. Menzel (SPD): Für den Fall der Annahme des Antrags Dr. Laforet beantrage ich, das Wort „sind“ zu ersetzen durch die Worte „sollen . . . verwendet werden“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das wäre also ein Abänderungsantrag zum Abänderungsantrag Dr. Laforet, falls dieser angenommen wird. Renner (KPD): Ich frage mich, ob eine solche Bestimmung für die Beamten überhaupt eine Auswirkung hat. Denn die Durchführung der Bestimmung wird davon abhängig gemacht, daß Erfordernisse der Ausbildung oder des Dienstes nicht entgegenstehen. Hier wird ein Moment der Willkür eingeschaltet, und der zweite Halbsatz hebt den ersten vollkommen auf. Ist es wirklich so schlimm und gefährlich, wenn ein bayerischer Postbeamter nach Preußen versetzt wird? Vors. Dr. Schmid (SPD): Preußen29) gibt es nicht mehr.30) 29) 30)

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Zur Auflösung des Staates Preußen vgl. oben Dok. Nr. 7, S. 225 mit Anm. 41. Im stenograph. Wortprot., S. 18, folgt hiernach der Wortwechsel zwischen Renner und Schmid:

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Renner (KPD): Für die Bayern gibt es noch ein Preußen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja, das gehört mit zu den bayerischen Stammeseigenarten. Renner (KPD): Für die Bayern ist Preußen kein Staatsbegriff, sondern ein Stammesbegriff. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, was eine derartige Bestimmung sonst besagen soll. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse darüber abstimmen, ob Abs. 2, wie Herr Dr. Laforet vorschlägt, aufgenommen werden soll. – Der Antrag Dr. Laforet ist mit überwiegender Mehrheit abgelehnt. Damit ist der Abänderungsantrag Dr. Menzel gegenstandslos.

[2.3. ART. 44: MEINUNGSVERSCHIEDENHEITEN ZWISCHEN BUND UND LÄNDERN]

Wir kommen zu

Art. 44 (1) Bestehen Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern über 1. Vereinbarkeit von Bundesrecht mit dem Grundgesetz, 2. Vereinbarkeit von Landesrecht mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht, 3. gegenseitige Rechte und Rechtspflichten von Bund und Ländern, insbesondere auch im Vollzug von Bundesrecht und der Bundesaufsicht, 4. sonstige Beziehungen des öffentlichen Rechts zwischen dem Bund und einem Land, so entscheidet auf Antrag des Bundes oder eines Landes das Bundesverfassungsgericht. (2) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet auf Antrag eines Landes auch über Streitigkeiten öffentlich-rechtlicher Natur zwischen verschiedenen Ländern. Dr. Seebohm (DP): Könnte die Beratung dieses Artikels nicht bis zur Erörterung des Abschnitts über die Rechtspflege zurückgestellt werden? Vors. Dr. Schmid (SPD): Man kann den Artikel auch schon jetzt behandeln. Es besteht Einverständnis darüber, daß eine oberstrichterliche Instanz geschaffen wird, die die Hüterin der rechtlichen Beziehungen zwischen Bund und Ländern und zwischen den Ländern sein soll. Wie diese Instanz im einzelnen ausgestaltet wird, ist ohne Einfluß darauf, welche Art von Streitigkeiten ihr unterbreitet werden sollen. Ich glaube also, [S. 102] wir können die Materie schon heute behandeln, ohne vorher den Abschnitt über Rechtspflege erörtert zu haben. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Im Namen des Ausschusses für Rechtspflege möchte ich dagegen Einspruch erheben. Ich halte es nicht für zweckmäßig, die Materie jetzt zu behandeln. In dem uns zugegangenen Bericht über die Beschlüsse der Fachausschüsse ist ausdrücklich vermerkt, daß die Frage der Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern noch von keinem Ausschuß behandelt worden ist. Es wäre ein Präjudiz, wenn hier und heute ein immerhin grundsätzlich „Renner (KPD): Dann sagen wir: Westfalen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das wäre nie Preußen . . .“

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wichtiger Artikel behandelt und beschlossen würde, ohne daß der Ausschuß für Rechtspflege vorher Gelegenheit hatte, dazu Stellung zu nehmen. Zinn (SPD): Es bestehen keine Bedenken, den Art. 44 zurückzustellen, schon weil es sich vielleicht empfiehlt, das Bundesverfassungsgericht im Abschnitt über die Rechtspflege unterzubringen. Außerdem kann sich herausstellen, daß der Katalog seiner Zuständigkeiten noch etwas erweitert werden muß. Deshalb haben wir auch vermerkt, daß eine genauere Überprüfung notwendig erscheint. Dr. Hoch (SPD): Wir haben über die Angelegenheit im Zuständigkeitsausschuß gesprochen. Wir waren uns darüber einig, daß Art. 44 im Organisationsausschuß erörtert werden soll. Wenn er aber schon hier behandelt werden soll, dann möchte ich eine Anregung wiederholen, die ich im Zuständigkeitsausschuß gegeben habe. Sie betrifft die Ziffer 4 des Abs. 1 und den Abs. 2. In beiden Fällen schlage ich vor, die Worte „öffentlichen Rechts“ in Ziffer 4 und „öffentlich-rechtlicher Natur“ in Abs. 2 zu ersetzen durch die Worte „nichtprivatrechtlicher Art“. Art. 19 der Weimarer Verfassung31), der diese Materie behandelt, verwendet den Ausdruck: „nichtprivatrechtlicher Art“. An diesen Ausdruck hat sich eine umfangreiche Rechtsprechung und Erörterung in der Wissenschaft geknüpft. Im allgemeinen steht man auf dem Standpunkt, daß es leichter ist, festzustellen, ob ein Rechtsverhältnis privatrechtlicher Natur ist, als festzustellen, ob es öffentlich-rechtlicher Natur ist. Daher würde ich empfehlen, den Ausdruck der Weimarer Verfassung zu übernehmen und in den beiden Fällen statt: „öffentlich-rechtlicher Art“ zu sagen: „nichtprivatrechtlicher Art“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte vorschlagen, die Diskussion vorläufig auf die Frage zu beschränken, ob Art. 44 jetzt oder später beim Abschnitt über die Rechtspflege behandelt werden soll. Auch ich möchte anregen, die Beratung des Art. 44 zurückzustellen. Ich könnte mir denken, daß auch der Kreis der Antragsberechtigten sich noch etwas ändern wird. – Es scheint allgemeine Übereinstimmung zu bestehen, daß die Materie nicht hier und jetzt, sondern im Rahmen des Abschnitts über die Rechtspflege behandelt werden soll. – Es ist so beschlossen32). Damit ist dieser Abschnitt zu Ende beraten, vorbehaltlich der zurückgestellten Artikel, über die zu beschließen Zeit sein wird, wenn die Berichte der Fachausschüsse vorliegen.

[3. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT VI: DER BUNDESPRÄSIDENT]

Wir kommen nun zu Abschnitt VI Der Bundespräsident. Zunächst haben wir uns darüber schlüssig zu werden, welche Vorlage wir der Erörterung zugrunde legen 31)

Art. 19 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, in dem kein Gericht zu ihrer Erledigung besteht, sowie über Streitigkeiten nichtprivatrechtlicher Art zwischen verschiedenen Ländern oder zwischen dem Reiche und einem Lande entscheidet auf Antrag eines der streitenden Teile der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich, soweit nicht ein anderer Gerichtshof des Reichs zuständig ist. Der Reichspräsident vollstreckt das Urteil des Staatsgerichtshofs.“ RGBl. S. 1388. 32) Vgl. dazu weiter unten Dok. Nr. 30, TOP 1.6, S. 916 f.

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wollen. Ich habe vor mir eine Sammlung von Beschlüssen des Organisationsausschusses, Stand vom 10. November 1948 (PR. 11.48 – 303)33), und ein kleines Blatt, das zwei Artikel in der Formulierung des Allgemeinen Redaktionsausschusses enthält34. – Herr Zinn, ist das alles, was der Redaktionsausschuß uns zur Verfügung stellen kann? Zinn (SPD): Im Augenblick, ja. Wir wußten nicht, daß der Abschnitt VI Der Bundespräsident schon heute behandelt werden soll. Dr. Dehler (FDP): Wir haben die anderen Bestimmungen an sich schon formuliert. Gegebenenfalls müßten wir unsere Vorschläge mündlich machen. Wir waren nicht vorbereitet, daß der Abschnitt über den Bundespräsidenten heute schon behandelt werden soll. Walter (CDU): Der Redaktionssausschuß hat wohl schon Beschlüsse gefaßt; sie sind aber noch nicht niedergeschrieben und vervielfältigt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Unter diesen Umständen schlage ich vor, als Vorlage die Beschlüsse des Organisationsausschusses zu nehmen; sie sind jedenfalls die vollständigeren35). Ich nehme an, es wird noch eine Reihe von Abänderungsanträgen kommen.

[3.1. ART. 75: WAHL DES BUNDESPRÄSIDENTEN]

Ich rufe auf

Art. 75 (1) Der Bundespräsident wird durch übereinstimmenden Beschluß des Bundestags und der Länderkammer gewählt. Es wird zunächst im Bundestag, sodann in der Länderkammer abgestimmt. Gewählt ist, wer in jeder der beiden Kammern die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder erhält. (2) Ist die Übereinstimmung beider Kammern auch in einem zweiten Wahlgang nicht zu erzielen, so tritt eine besondere Wahlversammlung zusammen, die aus den Mitgliedern der Länderkammer und aus einer durch den Bundestag aus seiner Mitte gewählten gleichen Zahl von Vertretern besteht. Gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder erhält, aus denen sich diese Versammlung zusammensetzt. Wird diese Mehrheit in zwei Wahlgängen nicht erreicht, so findet ein dritter Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. (3) Wählbar ist jeder Bundesangehörige, der das 40. Lebensjahr vollendet hat und nicht vom Wahlrecht zum Bundestag ausgeschlossen ist. Hierzu werden wohl Abänderungsanträge gestellt werden. Vielleicht werden auch einige grundsätzliche Ausführungen zur Institution des Bundespräsidenten als solcher gemacht. 33)

Der Vorschlag ist ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 29, S. 797–801. Die Drucks. Nr. 283 enthielt Vorschläge für Art. 75 und 75a. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 30, S. 817, Anm. 60. Die Drucks. 283 ist unverändert eingegangen in Drucks. Nr. 305 vom 24. Nov. 1984; ediert in: ebd., Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 58. 35) Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 29, S. 797–801. 34)

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Dr. Katz (SPD): Ich weiß nicht, ob der Herr Vertreter der Fraktion der FDP sich zum Wort melden und den Antrag begründen wird, den seine Fraktion vorgelegt hat36). Die Fraktion der SPD ist bereit, dem Art. 75 in der Fassung des Antrags der FDP zuzustimmen. Ich möchte den Antrag nicht verlesen, weil er ja nicht von uns gestellt ist, sondern nur erklären, daß meine Fraktion ihm zustimmt. Gleichzeitig möchte ich bemerken, daß die SPD-Fraktion einen hierzu gehörigen Antrag stellen wird, der an sich in die Schluß- und Übergangsbestimmungen aufgenommen werden soll. Ich halte es aber für zweckmäßig, auf diesen Antrag schon zurückzukommen, wenn wir die Bestimmungen über die Wahl des Bundespräsidenten behandelt haben. Der Antrag sieht vor, daß die Bestimmungen über die Wahl des Bundespräsidenten vorläufig noch nicht in Kraft treten, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt, den die beiden Kammern durch einfaches Gesetz bestimmen. Der Antrag geht davon aus, daß der Zeitpunkt noch nicht gekommen ist, um den Bundespräsidenten in Funktion treten zu lassen, daß dieser Zeitpunkt aber später kommen mag; und dann sollen die Bestimmungen über die Wahl des Bundespräsidenten von den beiden Kammern des neuen Parlaments durch einfaches Gesetz in Kraft gesetzt werden. Ich lese den Artikel vor, der in die Übergangsbestimmungen aufgenommen werden soll; er findet sich auf Seite 2 des Antrags der SPD-Fraktion vom 23. November 1948 (PR. 11.48 – 300)37). Er lautet: (1) Die Funktionen des Bundespräsidenten werden bis auf weiteres von dem Präsidenten des Bundestages ausgeübt. (2) In Erfüllung dieser Funktion bleibt der jeweilige Präsident des Bundestages bis zum Amtsantritt seines Nachfolgers im Amt. [S. 103] (3) Der Präsident des Bundestags wird in seiner Funktion als einstweiliger Bundespräsident im Falle seiner Verhinderung durch den ersten Vize-Präsidenten des Bundestags vertreten. (4) Die Art. 75 bis 79 des Grundgesetzes treten bis auf weiteres noch nicht in Kraft. Ein einfaches Bundesgesetz bestimmt den Zeitpunkt, an dem diese vorläufige Regelung endet und die Art. 75 bis 79 des Grundgesetzes in Kraft treten. Dr. Dehler (FDP): Der Vorschlag des Organisationsausschusses38) und der Entwurf von Herrenchiemsee39) sieht für die Wahl des Bundespräsidenten folgende Form vor: getrennte Abstimmung im Bundestag und in der Länderkammer. Falls keine Übereinstimmung der beiden Kammern zu erzielen ist, soll ein besonderes Wahlgremium zusammentreten, das aus Mitgliedern der Länderkammer und aus einer gleich großen Zahl von Mitgliedern des Bundestags besteht. Wir halten diese Regelung nicht für glücklich und auch politisch nicht für zweckmäßig. Ein Bundespräsident soll ein breiteres Fundament haben. Wenn schon kein 36)

Für den Wortlaut des als Drucks. Nr. 296 vervielfält. Antrags der FDP-Fraktion vom 18. Nov. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 30, S. 809, Anm. 37. Gedruckt auch unten S. 262 bei Anm. 44. 37) Vgl. dazu Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 30, S. 823 f. 38) Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 29, S. 797–801. 39) Für den Wortlaut des Art. 75 ChE vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 594 f.

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plebiszitärer Bundespräsident erwünscht ist, so soll er doch – darin sind wir uns wohl alle einig – von dem Vertrauen einer größeren Zahl von Vertretern des Volkes getragen werden. Daher schlagen wir vor, daß ein Nationalkonvent, eine Bundesversammlung zusammentritt, daß also ein besonderes Wahlgremium den Bundespräsidenten wählt. Unser Vorschlag geht dahin, den Bundespräsidenten von einem Nationalkonvent wählen zu lassen, der sich zusammensetzt aus den Mitgliedern des Bundestags und aus einer gleich großen Zahl von Wahlmännern, die von den Landtagen der einzelnen Länder gewählt werden. Wenn Klarheit über den Bundesrat besteht, kann man die Formulierung des Redaktionsausschusses (PR. 11.48 – 283)40) unserer Beratung zugrunde legen. Sie lautet: (1) Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung ohne Aussprache gewählt. (2) Die Bundesversammlung besteht aus a) den Mitgliedern des Bundestags, b) den Mitgliedern des Bundesrats, c) von den Volksvertretungen der Länder gewählten Mitgliedern, deren Zahl der Mitgliederzahl des Bundestags, vermindert um die Mitgliederzahl des Bundesrats, entspricht. Wählbar ist, wer das Wahlrecht zum Bundestag hat. Das Nähere regelt ein Gesetz. Walter (CDU): Die Fraktion der CDU lehnt in Übereinstimmung mit den übrigen Fraktionen die Wahl des Bundespräsidenten durch das Volk ab. Nach den Erfahrungen bei den Reichspräsidentenwahlen von 1925 und 193241) erscheint es zweckmäßig, daß das Staatsoberhaupt wie in anderen großen Staaten, zum Beispiel in Frankreich, von einer Art Nationalkonvent gewählt wird. Bezüglich des Wahlkörpers, der den Bundespräsidenten berufen soll, billigt die CDU den Art. 75 in der Fassung, die ihm der Organisationsausschuß gegeben hat; jedoch erscheint ihr die Wahlbasis etwas zu schmal. Im Hinblick auf die Bedeutung des Amtes des Bundespräsidenten empfiehlt sich eine breitere Basis. Die Fraktion der CDU behält sich vor, einen Änderungsantrag in dieser Richtung zu stellen. Falls der Vorschlag des Organisationsausschusses keine Mehrheit finden sollte, ist die CDU bereit – die endgültige Stellungnahme muß sie sich vorbehalten, weil wir diesen Vorschlag erst heute morgen bekommen haben –, dem von Herrn Dr. Dehler soeben verlesenen Vorschlag des Redaktionsausschusses42) beizutreten43). Eine 40)

Zu Drucks. Nr. 283 vgl. oben Anm. 34. Die Reichspräsidentenwahl 1925 erfolgte nach dem Tod des ersten Reichspräsident Friedrich Ebert (28. Febr. 1925). Der erste Wahlgang fand am 29. März 1925 statt. Weil keiner der Kandidaten die notwendige Mehrheit erreichte wurde in einem zweiten Wahlgang am 26. April 1925 statt Wilhelm Marx, dem Zentrumsabgeordneten und ehemaligen Reichskanzlers, Paul von Hindenburg gewählt. Hindenburg wurde 1932 als Reichspräsident erneut gewählt und übte das Amt bis zu seinem Tod 1934 aus. Vgl. zuletzt Wolfram Pyta: Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, München 2007. 42) Vgl. dazu die Sitzung der CDU/CSU-Fraktion am 24. Nov. 1948, in der bekräftigt wurde, daß die CDU/CSU-Fraktion dem Entwurf des Allgemeinen Redaktionsausschusses zustimmt. Vgl. Salzmann, S. 172. 43) Im stenograph. Wortprot., S. 26 f., folgt danach: „. . ., wonach die Bundesversammlung, 41)

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endgültige Stellungnahme muß die Fraktion der CDU sich aber vorbehalten, insbesondere eine Stellungnahme zu dem Antrag, wonach der Bundespräsident von einem Nationalkonvent gewählt werden soll, wobei auf je 150000 Einwohner eines Landes je ein Abgeordneter entfallen soll. Meine Fraktion wird diesen Vorschlag – ich spreche jetzt allerdings nur für meine Person – voraussichtlich ablehnen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es liegt zunächst ein Abänderungsantrag der FDP-Fraktion vom 18. November 1948 (PR. 11.48 – 296)44) vor: (1) Der Bundespräsident wird von einem National-Konvent gewählt, der sich aus den Mitgliedern des Bundestags und gewählten Vertretern der Länder zusammensetzt. (2) Die Vertreter der Länder zum National-Konvent werden von den Landtagen nach dem Grundsatz der Verhältniswahl gewählt. Auf je 150 000 Einwohner eines Landes sowie auf die letzten überschießenden mindestens 75000 Einwohner entfällt dabei ein Vertreter. (3) Zum Bundespräsidenten gewählt ist, wer die Mehrheit der gesetzlichen Stimmenzahl erhält. Wird diese Mehrheit in zwei Wahlgängen nicht erreicht, so findet ein dritter Wahlgang statt, in dem derjenige gewählt ist, der die meisten Stimmen erhält. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. (4) Wählbar ist jeder Bundesangehörige, der das 40. Lebensjahr vollendet hat und nicht vom Wahlrecht zum Bundestag ausgeschlossen ist. Dr. Katz (SPD): Die Fraktion der SPD macht sich den Vorschlag der FDP zu eigen, mit einer ganz geringfügigen Änderung. In Abs. 3 soll der letzte Satz: „Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los“ gestrichen werden. Die Bestimmung bezieht sich auf den dritten Wahlgang, wo die relative Mehrheit entscheidet. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß bei einer relativen Mehrheit zwei Kandidaten zufällig die gleiche Stimmenzahl erhalten. Auf jeden Fall ist es irgendwie unwürdig, in einem solchen Fall das Los entscheiden zu lassen. Wir sind der Ansicht, daß bei Stimmengleichheit eine gültige Wahl überhaupt nicht zustande gekommen ist, daß also eine weitere Wahl stattfinden muß, bei der dann nicht mehr gleiche Stimmenzahlen vorkommen. Durch diese Streichung wird der Charakter des Vorschlags in keiner Weise verändert; der Vorsitzende des Wahlgremiums wird die Sache schon in entsprechender Weise regeln. Ich nehme an, daß die Fraktion der FDP mit dieser Änderung einverstanden ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich darf annehmen, daß die Antragsteller ihren Antrag in dem Sinne ändern, daß der Satz: „Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los“ gestrichen wird. – Ich stelle das fest. Dr. Finck (CDU): Es liegen drei Anträge vor: der Antrag des Organisationsausschusses, der Vorschlag des Redaktionsausschusses und der neue Antrag der FDP-Fraktion. Der Vertreter der Fraktion der FDP erklärte, er könnte unter Umständen der Fassung des Redaktionsausschusses zustimmen, wenn Klarheit über die Zusamdie den Bundespräsidenten wählen soll, besteht aus den Mitgliedern des Bundestags, den Mitgliedern des Bundesrats und aus von den Volksvertretungen der Länder gewählten Mitgliedern, deren Zahl der Mitglieder des Bundestags, vermindert um die Mitgliederzahl des Bundesrats, entspricht.“ 44) Vgl. oben Anm. 36.

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mensetzung der Länderkammer bestehe. In der Tat sind hier gewisse Voraussetzungen noch nicht geklärt. Daher möchte ich vorschlagen, daß wir die Diskussion über den Art. 75 zurückstellen und zunächst die weiteren Artikel behandeln. Schönfelder (SPD): Für den Fall, daß sich für den Vorschlag des Organisationsausschusses eine Mehrheit findet, möchte ich auf einen großen Mangel dieser Fassung aufmerksam machen. Es heißt in Abs. 2, daß die Wahlversammlung aus Mitgliedern der Länderkammer und aus einer gleichen Zahl von Vertretern des Bundestags besteht. Diese Mitglieder des Bundestags sollen aus seiner Mitte gewählt werden. Es müßte näher bestimmt werden, wie. Sonst könnte eine Bundestagsmehrheit nur Anhänger einer Richtung wählen. Damit wäre die Wahl des Bundespräsidenten bereits entschieden. Daher müßte festgelegt werden, nach welchem Modus die Mitglieder des Bundestags in die Wahlversammlung gewählt werden sollen. Ich beantrage, über Art. 75 abzustimmen. Es besteht Übereinstimmung, daß der Bundespräsident mit von der Länderkammer gewählt werden soll. Wenn wir diesen Artikel jetzt wieder zurückstellen, um abzuwarten, bis der Charakter der Länderkammer feststeht, dann kommen wir wieder nicht weiter. Ich mache mir den Antrag der FDP zu eigen mit dem Vorbehalt, daß [S. 104] der letzte Satz des Abs. 3: „Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los“ gestrichen wird. Walter (CDU): Nach dem Antrag der FDP wird ohne Rücksicht darauf, ob die Länderkammer in Form eines Bundesrats oder Senats gestaltet wird, ein ad hoc geschaffener Senat den Bundespräsidenten wählen. Diese Frage erscheint uns von so grundsätzlicher Bedeutung, daß wir die Beschlußfassung über Art. 75 bis zur nächsten Sitzung aussetzen sollten. Man hat einem solchen Wunsch einer großen Fraktion bisher immer Rechnung getragen. Man kann heute über die weiteren Artikel des Abschnitts beraten. Dr. Katz (SPD): Ich bin anderer Ansicht als Herr Walter. Der Art. 75 in der Fassung der FDP sieht eine Beteiligung der Länderkammer überhaupt nicht vor. Daher ist es gleichgültig, ob die Länderkammer als Bundesrat oder Senat geschaffen wird. Es liegt keine Notwendigkeit dafür vor, die Abstimmung über den Art. 75 auszusetzen, namentlich wenn anzunehmen ist, daß der Vorschlag der FDP angenommen wird. Im übrigen haben wir ja noch eine zweite Lesung; da können etwaige Änderungsanträge gestellt werden. Zinn (SPD): Der Redaktionsausschuß legt Wert darauf, daß eine Entscheidung über den Art. 75 gefällt wird, weil die Fassung der anderen Artikel davon zum Teil abhängt. Der Redaktionsausschuß ändert seinen Vorschlag wie folgt. Er beantragt, im Abs. 2 den Buchstaben b: „den Mitgliedern des Bundesrats“ zu streichen. Buchstabe c wird dann Buchstabe b, wobei die Worte zu streichen sind: „vermindert um die Mitgliederzahl des Bundesrats“. Die Fassung hat also nunmehr folgenden Wortlaut: (1) Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung – dieses Wort scheint mir geeigneter zu sein als, „National-Konvent“ – ohne Aussprache gewählt. (2) Die Bundesversammlung besteht aus a) den Mitgliedern des Bundestags, b) von den Volksvertretungen der Länder gewählten Mitgliedern, deren Zahl der der Mitglieder des Bundestags entspricht.

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Nun wäre höchstens noch zu prüfen, ob die weiteren Vorschriften, die der Antrag der FDP enthält, aufgenommen werden sollen. Hier stellt der Redaktionsausschuß sich auf den Standpunkt, daß der Abs. 2 des Antrags der FDP sowieso noch einer näheren gesetzlichen Ergänzung bedarf. Es muß noch geklärt werden, ob man sich für ein reines Verhältniswahlrecht entscheidet und schließlich, auf welche Einwohnerzahl ein Vertreter entfällt. In allen diesen Fragen kommt man ohne eine besondere gesetzliche Regelung nicht aus. Daher schlagen wir vor zu sagen: „Das Nähere regelt ein Gesetz.“ Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß das zu großen Schwierigkeiten führen kann. Wenn die gesetzgebenden Körperschaften sollen arbeiten können, brauchen sie den Bundespräsidenten, schon um die Gesetze zu vollziehen, etwa das Gesetz über die Wahl des Bundespräsidenten. Jedenfalls müßte in den Übergangsbestimmungen eine adäquate Regelung aufgenommen werden. Zinn (SPD): Der Redaktionsausschuß schlägt vor, in die Übergangsvorschriften eine Bestimmung aufzunehmen des Inhalts, daß die Wahl der ersten Bundesversammlung und die Wahl der von den Volksvertretungen der Länder für die Wahl des Bundespräsidenten zu wählenden Mitglieder in einer besonderen Anlage geregelt werden. Dr. Seebohm (DP): Ich stimme den Ausführungen des Herrn Zinn zu. Auch ich bin dafür, das Wort „National-Konvent“ durch „Bundesversammlung“ zu ersetzen. Ferner kann aber Abs. 2 nicht so stehenbleiben. Die Einwohnerzahl ändert sich ständig, und über eine Einführung der Verhältniswahl ist noch nicht entschieden. Das alles muß noch geregelt und dann neu gefaßt werden. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich bin nach wie vor der Meinung, daß Art. 75 heute noch nicht verabschiedet werden kann. Es wurde bereits dargelegt, welche Änderungen der Redaktionsausschuß vorschlägt. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß der Redaktionsausschuß diesen seinen Beschluß gefaßt hat, ohne daß unser Fraktionskollege Dr. von Brentano dabei war45). Die Änderungen sind aber so gewichtig, daß ich nicht glaube, daß die Herren des Redaktionsausschusses die Verantwortung dafür ohne Rücksprache mit Herrn Dr. von Brentano übernehmen können. Der Vorschlag der FDP will den Bundesrat von der Mitwirkung bei der Wahl des Bundespräsidenten völlig ausschalten. Dieser Vorschlag ist von so grundlegender Bedeutung, daß die Fraktionen Gelegenheit haben müssen, sich mit diesem vollkommen neuen Gedanken erst einmal näher zu befassen. Ich beantrage, die Beschlußfassung über Art. 75 bis zur nächsten Sitzung auszusetzen. Kaufmann (CDU): Ich nehme an, ein Beschluß auf Aussetzung der Abstimmung besagt zugleich, daß der Organisationsausschuß sich mit der Frage noch einmal befaßt.

45)

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In der Aufzeichnung der CDU/CSU-Fraktionssitzung am 24. Nov. 1948, im Anschluß an die 8. Sitzung des HptA, heißt es: „Die Fraktion stellt fest, daß bezüglich der Zusammenarbeit FDP und SPD im Redaktionsausschuß in Abweseneit von Herrn Abg. Dr. v. Brentano im Ältestenausschuß gesprochen werden muß, ebenso müssen alle Abgeordnete sofort davon unterrichtet werden.“

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wird Sache des Organisationsausschusses sein, diese Fragen erneut zu prüfen. Ich lasse zuerst Über den Antrag auf Aussetzung der Beschlußfassung abstimmen. – Der Antrag ist mit 10 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Ferner liegt ein Abänderungsantrag vor, das Wort „National-Konvent“ durch „Bundesversammlung“ zu ersetzen. Es besteht wohl allgemeine Übereinstimmung darin, daß, falls der Antrag Dr. Dehler angenommen werden sollte, das Wort „National-Konvent“ durch „Bundesversammlung“ zu ersetzen ist. Walter (CDU): Ich beantrage, die Sitzung für 10 Minuten zu unterbrechen, damit die Fraktion der CDU zu den Vorschlägen Stellung nehmen kann. Die Sitzung wird um 11.30 Uhr unterbrochen46). Die Sitzung wird um 12.05 Uhr wieder aufgenommen. Walter (CDU): Namens der Fraktion der CDU/CSU habe ich folgende Erklärung abzugeben: Die Fraktion der CDU/CSU ersucht dringend, den vom Hauptausschuß bezüglich des Art. 75 zu fassenden Beschluß im Hinblick auf dessen große grundsätzliche Bedeutung und im Hinblick auf die neuen, erst in der heutigen Sitzung bekanntgewordenen Anträge einer Überprüfung zu unterziehen. Sie beantragt daher nochmals, die Beschlußfassung über Art. 75 auszusetzen und die Vorschläge zur Bearbeitung an den Organisationsausschuß zu überweisen. Dr. Dehler (FDP): Ich bin der Meinung, daß die Sache spruchreif ist. Es sind keine großen Probleme, und ich verstehe nicht, warum man an die Dinge mit Hemmungen herangeht. Es ist eine ganz klare Lösung vorgeschlagen. Ich meine, daß für die CDU und für die Kollegen, die dem föderalen Prinzip zuneigen, diese Lösung annehmbar ist. In keiner Bestimmung unserer Verfassung wird das föderalistische Prinzip stärker betont als hier, wenn die Vertreter der Länder zusammentreten und zusammen mit den Mitgliedern des Bundestags den Bundespräsidenten wählen. [S. 105] Dr. Katz (SPD): Ich teile die Auffassung des Herrn Kollegen Dr. Dehler, bin aber der Ansicht, daß es, wenn eine große Fraktion um eine Überlegungsfrist bittet, ein nobile officium ist, nicht zu widersprechen. Ich werde mich daher der Stimme enthalten. Ich verstehe den Antrag dahin, daß in der nächsten Sitzung über den Art. 75 beraten wird und daß jetzt über die anderen Artikel die Beratung fortgesetzt werden kann. Unter dieser Voraussetzung erkläre ich mich mit diesem Verfahren einverstanden. Meinen eigenen Antrag über die Aussetzung, den ich für die Übergangsvorschriften gestellt habe, werde ich auch im Anschluß an diesen Artikel für die nächste Sitzung zurückstellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich über den Antrag auf Aussetzung der Beschlußfassung abstimmen. – Der Antrag ist mit 8 Stimmen bei Stimmenthaltung der übrigen Mitglieder angenommen.

46)

Eine Aufzeichnung der Beratungen der CDU/CSU-Fraktion ist nicht ermittelbar; zur Sache vgl. jedoch auch Salzmann, S. 173 f.

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Dann nehme ich an, daß sich der Organisationsausschuß heute nachmittag mit der Frage befassen und daß am Freitag vormittag weiterberaten und abgestimmt wird47). Ich bitte Herrn Dr. Dehler, seinen Antrag in der neuesten Fassung rechtzeitig sämtlichen Abgeordneten zustellen zu lassen. Über den Antrag Dr. Katz wird ebenfalls beraten und abgestimmt.

[3.2. ART. 76: AMTSDAUER DES BUNDESPRÄSIDENTEN]

Ich rufe auf

Art. 76 Das Amt des Bundespräsidenten dauert fünf Jahre. Anschließende Wiederwahl ist nur einmal zulässig. Dr. Seebohm (DP): Ich weiß nicht, ob es zweckmäßig ist, diese Bestimmung über die anschließende Wiederwahl festzulegen. Wir wissen, daß dieses System auch in anderen Staaten eingeführt ist, daß es aber im entscheidenden Moment stets durchbrochen wird. Die Wiederwahl als solche ist zwar nicht ausgeschlossen, aber die Amtsperiode muß unterbrochen sein. Das ist wohl so gedacht, daß eine anschließende Wiederwahl nur einmal zulässig sein soll, das heißt, um es ganz klar zu sagen: Jemand kann zweimal hintereinander Präsident sein und später nach einer Pause von fünf Jahren wieder zweimal. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie stellen keinen Antrag? Wird sonst das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Art. 76 angenommen.

[3.3. ART. 77: UNABHÄNGIGKEIT DES BUNDESPRÄSIDENTEN]

Wir kommen zu

Art. 77 (1) Der Bundespräsident darf weder dem Bundestag noch der Länderkammer angehören. (2) Der Bundespräsident darf kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung noch dem Aufsichtsrat eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören. Walter (CDU): Bezüglich Abs. 1 wird zu prüfen sein, ob der Bundespräsident einem Landtag angehören kann. Das müßte in Abs. 1 festgelegt werden. Ich bitte, darüber zu diskutieren. Dr. Katz (SPD): Wir haben es im Organisationsausschuß als selbstverständlich angesehen, daß der gewählte Bundespräsident, falls er zufällig Abgeordneter eines Landesparlaments sein sollte, dieses Mandat niederlegt,48) und haben es nicht für nötig gehalten, daß wir eine solche Bestimmung eigens aufnehmen. Ich habe aber 47)

Der Ausschuß für die Organisation des Bundes befaßte sich noch am Nachmittag, den 24. Nov. 1948 in seiner 22. Sitzung mit dem Artikelentwurf. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 30, S. 809–822. 48) Im stenograph. Wortprot., S. 44, folgt danach der Zuruf: „(Zuruf: Selbstverständlich ist nie etwas!)“

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nichts dagegen, wenn Sie sagen wollen: „Er darf weder dem Bundestag noch der Länderkammer noch einem Landtag angehören.“ Das ist selbstverständlich, ebenso wie es selbstverständlich ist, daß er nicht Mitglied einer Landesregierung sein kann. Man braucht nicht alles aufzuzählen, was er nicht sein kann. Dr. Seebohm (DP): Dann müßten wir auch aufzählen, daß er nicht Mitglied einer Gemeindevertretung sein kann. (Zuruf: Auch nicht Bürgermeister!) Er darf keinem deutschen Parlament oder einer ähnlichen Einrichtung angehören. (Zuruf: Darf auch nicht Erzbischof sein!) – Das weiß ich nicht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, daß es richtig sein wird, diese Zweifelsfrage zu klären, zum mindestens soweit es sich um die Landtage handelt. Daß sich ein Bundespräsident zu seinem hohen Amt hinzu noch das Amt eines Gemeinderatsmitglieds aufbürden könnte, kann ich mir nicht recht vorstellen.49) Walter (CDU): Ich möchte beantragen, daß nach dem Wort „Länderkammer“ eingefügt wird: „noch einem Landtag“, (Zuruf: „noch einem anderen Parlament“!) oder: „noch einer anderen Volksvertretung“. Sollten wir nicht auch die Landesregierungen hineinnehmen? Das wäre an sich nötig. Dr. Dehler (FDP): Es heißt ja in Abs. 2: „kein anderes besoldetes Amt“. Dr. Schwalber (CSU): Wir haben festzustellen, daß auch die Stellung eines Kabinettsmitglieds in einer Landesregierung kein besoldetes Amt darstellt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Was dann? Der Minister hat ein Amt, besoldet ist er auch, er ist nur kein Beamter. Ich glaube, das ist wohl damit gemeint. Die Einfügung „noch einem Landtag“ hielte ich auch für richtig. Walter (CDU): Ich schlage vor: „weder dem Bundestag noch einem der Landtage noch der Länderkammer“. Dr. Seebohm (DP): Kann man nicht sagen: „Der Bundespräsident darf keiner gesetzgebenden Körperschaft angehören“? (Zuruf: Auch keiner verwaltenden!) „Keiner gesetzgebenden oder verwaltenden Körperschaft“.50) Dr. Katz (SPD): Da der Organisationsausschuß heute nachmittag tagt, kann er diese Bestimmung redigieren, wenn wir uns über den Grundsatz einig sind. Vors. Dr. Schmid (SPD): Über die Sache ist man sich einig. Zu Abs. 2 besteht keine Erinnerung.

[3.4. ART. 78: AMTSEID]

Art. 78 Der Bundespräsident leistet bei seinem Amtsantritt vor den versammelten Mitgliedern des Bundestags und der Länderkammer folgenden Eid: 49)

Im stenograph. Wortprot., S. 45, folgt danach der Zuruf: „(Zuruf: Das können Sie gar nicht sagen!)“ 50) Im stenograph. Wortprot., S. 45, folgt danach der Zuruf: „(Zuruf: Magistrat!)“

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„Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohl des deutschen Volkes widmen, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.“ Die Beifügung einer religiösen Beteuerung ist zulässig. Dr. Seebohm (DP): Ich möchte anregen, daß man als Regel die religiöse Beteuerung beifügt und daß man fortfährt: „Die Weglassung der religiösen Beteuerung ist zulässig.“ Das scheint mir richtiger zu sein; denn an sich wird der Eid vom Volk so verstanden, daß er mit der religiösen Beteuerung gesprochen wird. Wenn man diese religiöse Beteuerung von vornherein wegläßt, so scheint mir das nicht richtig zu sein. Mir scheint es vielmehr richtig zu sein, daß man die religiöse Beteuerung grundsätzlich festsetzt und dann hinzufügt: Er kann sie weglassen. [S. 106] Walter (CDU): Ich möchte zur Debatte stellen, ob aus den Worten in der Eidesformel „Gesetze des Bundes“ nicht geschlossen werden könnte, daß der Bundespräsident die Gesetze der Länder übertreten kann. Ich würde vorschlagen, einfach zu sagen: „die Gesetze“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Besteht Übereinstimmung darüber? Ich glaube, das kann man machen. Dr. Seebohm (DP): Ich stelle den Antrag zu bestimmen, daß die Beifügung der religiösen Beteuerung grundsätzlich das Übliche ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich bitte, das zu formulieren. Dr. Menzel (SPD): Ich stelle den Antrag, hinter dem Wort: „wahren“ einzufügen: „und verteidigen“. Ich möchte, daß in der Eidesformel zum Ausdruck kommt, daß auch der Bundespräsident verpflichtet ist, aktiv tätig zu werden und den Staat im Rahmen seiner Kompetenz zu verteidigen. Dr. Seebohm (DP): Ich beantrage folgende Fassung: Ich schwöre . . . so wahr mir Gott helfe. und hinzuzufügen als zweiten Satz: Das Fortlassen einer religiösen Beteuerung ist zulässig. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zunächst abstimmen über den Antrag Dr. Menzel, hinter den Worten „die Gesetze wahren“ einzufügen: „und verteidigen“. – Einstimmig angenommen. Wir kommen zum Antrag Dr. Seebohm. Der Eidesformel in der bisherigen Fassung soll hinzugefügt werden: „so wahr mir Gott helfe“, und der letzte Absatz soll wie folgt gefaßt werden: „Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden.“ Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Mit 10 gegen 8 Stimmen angenommen. Dr. Schwalber (CSU): Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß die Eidesleistung vor dem Bundestag und vor der Länderkammer erfolgt. (Zuruf: Das ist kein Präjudiz!) Durch eine Neufassung des Art. 75 könnte auch hierin eine wesentliche Änderung eintreten. Jedenfalls ist der Eid vor dem Wahlgremium zu leisten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte feststellen: Wir beschließen eine Reihe von Artikeln, in denen von Institutionen die Rede ist, die wir noch gar nicht beschlossen haben. Es ist klar, daß der jeweilige Beschluß kein Präjudiz für die Materie schafft, über die wir noch keine Beschlüsse gefaßt haben. Dr. Dehler (FDP): Eine Anregung! Wir hätten gerne die Fälle der Beendigung des

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Amtes zusammengefaßt, weil dadurch in der Folge einfachere Formulierungen möglich sind. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das wäre in zweiter Lesung zu machen. Oder können Sie es jetzt beantragen? Dr. Dehler (FDP): Man könnte sagen: „Das Amt endet: durch Zeitablauf; durch Verzicht, den der Präsident der Länderkammer gegenüber zu erklären hat und der unwiderruflich ist; durch Tod; durch Aberkennung des Amtes durch das Bundesverfassungsgericht.“ Die Fälle müßten festgelegt werden. Dr. Katz (SPD): Wir haben diese Frage im Organisationsausschuß besprochen und halten eine solche Festlegung für überflüssig. Das sind Selbstverständlichkeiten, wie das Amt des Präsidenten endigt, und das bedarf nicht eines besonderen Artikels. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es scheint keine Neigung zu bestehen, eine solche Bestimmung aufzunehmen. Dr. Dehler (FDP): Ich halte sie aber für notwendig. Walter (CDU): Wenn es heißt: „Das Amt des Bundespräsidenten endigt durch Tod“ und wenn man diese Binsenwahrheit dem Volke vorlegt, dann lacht es darüber. Der vierte Punkt ist vielleicht der wesentlichste, nämlich die Beendigung des Amtes auf Grund eines Urteils des Verfassungsgerichts. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das braucht nicht hineinzukommen. Da wir in den Abschnitt über den Verfassungsgerichtshof hineinschreiben, daß seine Urteile Gesetzeskraft haben, so scheint mir das klar zu sein. Wichtiger erscheint mir die Frage: Kann der Bundespräsident zurücktreten? Wie kann er zurücktreten? Wie ist die Prozedur, die eine solche Rücktrittserklärung in Rechtskraft setzt? Eine Regelung scheint notwendig zu sein. Soll man sie nicht am Schluß des Abschnitts bringen? Walter (CDU): Ich weiß nicht, ob eine Verfassungsbestimmung über den Rückritt nötig ist. Ich halte es für selbstverständlich, daß einer, wenn er ein Amt nicht mehr bekleiden will, seinen Rücktritt erklären kann. Sogar in der Kirche ist es so. Warum sollen wir diese Selbstverständlichkeit in die Verfassung als besonderen Abschnitt hineinbringen? Vors. Dr. Schmid (SPD): Wenn wir schon kanonistisch reden, so könnte es ja sein, daß jemand aus der bisherigen Fassung schließt, daß auch die Wahl zum Bundespräsidenten einen „caracter indelibilis“ verleiht. Es gibt Ämter, die man nicht niederlegen kann. Das Amt eines Geschworenen kann man nicht niederlegen, das Amt eines Schöffen kann man nicht niederlegen, ebenso nicht bestimmte Ehrenämter in den Gemeinden. Ich glaube, wenn wir vorsehen wollen, daß der Bundespräsident zurücktreten kann, müssen wir das in das Grundgesetz aufnehmen. Dr. Katz (SPD): Ich schlage vor, daß wir diese Frage im Organisationsausschuß diskutieren und nicht die Fachberatung in den Hauptausschuß tragen. Es müßte in der zweiten Lesung, falls wir uns zu einer derartigen Auffassung bekennen sollten, ein entsprechender Antrag gestellt werden. Wir sollten aber nicht unsere Verhandlungen hier im Hauptausschuß durch eine ausführliche Diskussion zu dieser Frage belasten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich stelle fest, daß der Ausschuß mit diesem Vorschlag der Sachbehandlung einverstanden ist.

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Achte Sitzung des Hauptausschusses 24. November 1948 [3.5. ART. 79: VERTRETUNG DES BUNDESPRÄSIDENTEN]

Art. 79 (1) Der Bundespräsident wird im Falle seiner Verhinderung durch den Präsidenten der Länderkammer vertreten. Das gleiche gilt für die einstweilige Vertretung bei vorzeitiger Erledigung des Amtes. (2) Bei vorzeitiger Erledigung des Amtes findet binnen 30 Tagen die Neuwahl statt. (3) Hat die Verhinderung des Bundespräsidenten mehr als sechs Monate gedauert oder stellen die Präsidenten des Bundestags und der Länderkammer gemeinsam mit dem Bundeskanzler fest, daß die Verhinderung voraussichtlich länger als sechs Monate dauern wird, so gilt Abs. 2 entsprechend. Walter (CDU): Vielleicht läßt sich die Streitfrage bezüglich des Rücktritts in Abs. 1 Satz 2 des Art. 79 lösen, indem man hinter den Worten: „Das gleiche gilt für die einstweilige Vertretung bei vorzeitiger Erledigung des Amtes“ einfügt: „insbesondere im Falle des Rücktritts“. [S. 107] Vors. Dr. Schmid (SPD): „Insbesondere“ ist nicht schön. Walter (CDU): Ich meine nur für den Fall, daß es überhaupt hineinkommen soll. Ich selbst bin anderer Auffassung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde nicht empfehlen, mit „insbesondere“-Sätzen zu operieren, denn sie sind nicht schön. Es können sich daraus tausend Möglichkeiten ergeben. Der Scharfsinn der Juristen ist unerschöpflich! Dr. Katz (SPD): Dann wird es also der Organisationsausschuß mit seinem üblichen Scharfsinn zu lösen versuchen. Ich möchte abraten, einen Abänderungsantrag zu stellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wird sonst das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Die Fassung ist angenommen.

[3.6. ART. 80: ANORDNUNGEN DES BUNDESPRÄSIDENTEN]

Art. 80 Anordnungen des Bundespräsidenten bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den zuständigen Bundesminister. Zinn (SPD): Der Redaktionsausschuß schlägt einen zweiten Satz vor: „Das gilt nicht für die Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers.“ Dr. Katz (SPD): Auch diese Frage ist besprochen worden. Wir sind der Ansicht gewesen, auch die Ernennung des Bundeskanzlers oder die Entlassung eines Ministers muß gegengezeichnet werden. Ich würde von der staatsrechtlichen Praxis nicht abweichen und nicht den Staatspräsidenten allein unterschreiben lassen. Dr. Seebohm (DP): Ich habe Bedenken. Wenn der Bundeskanzler nicht gegenzeichnet und der neue Bundeskanzler noch nicht da ist, so ergibt das Schwierigkeiten. In diesem Falle hängt der Wechsel doch von dem Beschluß des Parlaments ab, und der Bundespräsident führt den Beschluß aus. Bei Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers bedarf er also der Gegenzeichnung nicht.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich erinnere an die Schwierigkeiten zur Zeit der Weimarer Republik. Das Spiel sah damals folgendermaßen aus. Der Reichspräsident will einen Kanzler entlassen. Er braucht die Gegenzeichnung dieses Kanzlers, den er entlassen will. Angenommen, dieser zeichnet nicht gegen, was dann? Wenn man zu dem Ausweg greift, daß der Präsident den Nachfolger ernennt und daß dieser gegenzeichnet, dann erhebt sich die Frage, wer die Ernennung des Nachfolgers gegenzeichnet. Wir kommen aus diesen Vexierspiel nicht heraus. Es ist nicht wahrscheinlich daß solche Konflikte entstehen werden, aber es könnte sein. Man weiß ja nicht, wer der 5., der 7. oder der 17. Bundeskanzler sein wird. Ich glaube, das Richtige wäre, eine entsprechende Bestimmung aufzunehmen. Dr. Dehler (FDP): Man könnte sagen: „Das gilt nicht für die Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers.“ Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über die Aufnahme dieses Satzes abstimmen. – Die Aufnahme ist mit 14 Stimmen gegen 1 Stimme beschlossen.

[3.7. ART. 81: VÖLKERRECHTLICHE VERTRETUNG]

Art. 81 (1) Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. (2) Staatsverträge bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung des Bundestags und der Länderkammer gemäß den für die Bundesgesetzgebung geltenden Vorschriften. Für Verwaltungsabkommen gelten die Vorschriften über die Bundesverwaltung entsprechend. Dr. Menzel (SPD): Wenn sich die Formulierungen bei den Vorschriften über die Vertragshoheit ändern sollten, müßte diese Bestimmung geändert werden. Ich weiß nicht, wieweit die Länderkammer eingeschaltet werden wird. Das ist noch nicht geklärt. Dr. Katz (SPD): Das richtet sich nach den für die Bundesgesetzgebung geltenden Vorschriften. Das ist noch nicht beraten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Vielleicht können wir uns darüber klar werden, daß die Abstimmung über Art. 81 den Weg der Gesetzgebung beim Abschluß von völkerrechtlichen Verträgen nicht präjudiziert. Über diesen Vorbehalt besteht Einverständnis. – Ich stelle fest, daß Art. 81 in der Fassung der Vorlage angenommen ist.

[3.8. ART. 82: ERNENNUNG UND ENTLASSUNG VON BUNDESBEAMTEN]

Art. 82 (1) Der Bundespräsident ernennt und entläßt die Bundesbeamten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. (2) Zur Ernennung und Entlassung der leitenden Bundesbeamten bedarf er der Zustimmung der Länderkammer. (3) Das Nähere, insbesondere die Übertragung der Befugnis aus Abs. 1, regelt ein Bundesgesetz. Dr. Katz (SPD): Im Organisationsausschuß ist der Antrag gestellt worden, den

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Abs. 2 zu streichen. Es ist sehr zweifelhaft, was unter „leitenden Bundesbeamten“ zu verstehen ist. Wir begründen hier eine neue Zuständigkeit der Länderkammer. Es haben sich schon große Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Organisationsausschusses ergeben51). Die Zweifel werden am besten dadurch geklärt, daß man den ganzen Abs. 2 ausläßt. Im übrigen wird beim Abschnitt über die Länderkammer, wo die Zuständigkeiten besprochen werden, diese Frage im einzelnen zu klären sein. Falls wir bei der Länderkammer eine entsprechende Zuständigkeit schaffen werden, kann das später redaktionell eingefügt werden. Zinn (SPD): Der Redaktionsausschuß schlägt vor, den Abs. 3 zu streichen und in Abs. 1 zu schreiben: „Er kann diese Befugnis übertragen.“ Wenn nämlich das Recht der Übertragung ein Bundesgesetz erfordert, wird der Bundespräsident, vor allem im Anfang, in ungeheure Schwierigkeiten kommen. Außerdem schlägt der Redaktionsausschuß vor, die Worte: „die Bundesangestellten“ im Abs. 1 wegzulassen und zu schreiben: „Dies gilt entsprechend für die Bundesangestellten.“ Das ist eine rein redaktionelle Frage. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Angestellten stehen nicht im Entwurf. Dr. Seebohm (DP): Ich habe Bedenken gegen die Streichung des Abs. 2. Wir haben uns im Finanzausschuß darüber unterhalten, daß, wenn die leitenden Finanzbeamten nur mit Zustimmung des Bundesrats bestellt werden können, dies ein wesentlicher Punkt zur Klärung der Frage Bundesfinanzverwaltung oder Länderfinanzverwaltung wäre. Dr. Katz (SPD): Das wäre eine lex specialis, wenn es bei den Bestimmungen über die Finanzen aufgenommen würde. Walter (CDU): Ich glaube, daß es zweckmäßig ist, diesen Abs. 2 zu belassen. Die leitenden Bundesbeamten in den Ländern, an die hier gedacht ist, sind die Präsidenten der Landesfinanzämter, die Präsidenten der Oberpostdirektionen, der Reichsbahndirektionen und vielleicht sonst noch manche in dieser Stellung. Das sind leitende Beamte. Daß hier die Länder einen besonderen Einfluß haben wollen, insbesondere das Land, um das es sich im einzelnen handelt, ist wohl selbstverständlich. Deswegen glaube ich, daß es dem Aufbau unseres Staates nicht schadet, wenn wir die Länder maßgebend einschalten. Ich glaube, der Begriff ist im allgemeinen klar, und nach dem, was hier ausgeführt wurde, wird in der Praxis kein [S. 108] Zweifel bestehen, wenn die Landesregierungen eingeschaltet werden. Dr. Katz (SPD): Der Begriff ist denkbar unklar. Wer ist leitender Bundesbeamter? Sind es die leitenden Bundesbeamten in den Ländern, von denen Herr Kollege Walter gesprochen hat, oder gehören dazu die Staatssekretäre und Ministerialdirektoren in der Zentrale? Das ist doch denkbar unklar und bedarf genauer Präzision im Gesetz, um festzulegen, welche leitenden Bundesbeamten der Bestätigung durch die Länderkammer bedürfen. Der Einfachheit halber bin ich der Ansicht, man streicht den ganzen Absatz. Dr. Laforet (CSU): Es ist wieder eine Frage des bundesstaatlichen Aufbaus. Es dreht sich nicht um die Frage, ob die Länderkammer für Ministerialdirektoren und 51)

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Vgl. die 12. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 8. Okt. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/1, Dok. Nr. 16, S. 487 f.

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Staatssekretäre ein Mitwirkungsrecht bekommt, sondern um die leitenden Bundesbeamten in den Ländern. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das müßte ausgedrückt werden. Dr. Laforet (CSU): Ich möchte beantragen: „Zur Ernennung und Entlassung der leitenden Bundesbeamten in den Ländern“. Dann ist der Begriff umschrieben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte davor warnen, diese Zustimmung der Länderkammer zu verlangen, wenn leitende Bundesbeamte in der Zentrale ernannt werden sollen. Man kann von einem Minister nicht verlangen, daß er sich eines Ministerialdirektors bedient, den er sich nicht auf seine Verantwortung hin hat aussuchen können. Es geht nicht, daß man ihn zwingt, sich ihn aufoktroyieren zu lassen. Dr. Laforet (CSU): Darum der Antrag: „in den Ländern“. Dr. Schwalber (CSU): Ich schlage vor, daß man nicht die Länderkammer als solche bemüht, sondern nur die zuständigen Länderregierungen. Dr. Katz (SPD): Die Sache bleibt nach wie vor unklar; denn innerhalb der einzelnen Länder ist die Lage verschieden. In Bayern sieht es anders aus als in Bremen oder Schleswig-Holstein. Ob man etwa die Oberpostdirektoren oder die Vizepräsidenten in diese Klasse hineinnimmt, ist zweifelhaft. Es müßte eine genaue Klassifizierung erfolgen, welche Beamte in diese Zuständigkeit fallen. Es ist daher zweckmäßig, die Bestimmung wegzustreichen. Praktische Schwierigkeiten erwarte ich nicht. Die Ernennung dieser Beamten wird zweifellos nach Fühlungnahme mit den Ländern erfolgen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Vorschlag des Abgeordneten Zinn abstimmen, in Abs. 1 unter Streichung des Abs. 3 einzufügen: „Er kann diese Befugnis übertragen.“ – Einstimmig angenommen. Damit ist Abs. 3 gestrichen. Es ist weiter der Antrag gestellt, Abs. 2 zu streichen. Ich lasse darüber abstimmen. – Die Streichung ist mit 11 gegen 9 Stimmen beschlossen. Art. 82 ist damit in folgender Fassung angenommen: Der Bundespräsident ernennt und entläßt die Bundesbeamten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Er kann diese Befugnis übertragen.

[3.9. ART. 83: BEGNADIGUNGSRECHT]

Art. 83 Der Bundespräsident übt für den Bund das Begnadigungsrecht aus. Er kann dieses Recht auf andere Behörden übertragen. Zinn (SPD): Der Redaktionsausschuß schlägt vor, hinter dem Wort „Begnadigungsrecht“ einzufügen: „im Einzelfall“. Es war früher strittig, ob die Weimarer Verfassung dem Präsidenten das Recht einräumte, Sammelbegnadigungen vorzunehmen, die de facto einer Amnestie52) gleichkommen, so daß auf diese Weise der Bundespräsident das Recht, Amnestien zu erlassen, das dem Bundestag zusteht, umgehen könnte53). 52)

Art. 49 Abs. 1 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Der Reichspräsident übt für das Reich das Begnadigungsrecht aus.“ RGBl. S. 1393. 53) Vgl. dazu den Kommentar zu Art. 49 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 von Anschütz: Verfassung, S. 301 f.

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Walter (CDU): Ich erinnere mich, daß wir die Frage besprochen und einen Satz 2 eingefügt haben, daß eine Amnestie eines Gesetzes bedarf. Ich bin mir aber im Augenblick nicht ganz sicher54). Vors. Dr. Schmid (SPD): Auf alle Fälle muß das hinein. Dr. Fecht (CDU): Eine Amnestie muß unbedingt durch ein Bundesgesetz angeordnet werden. Sonst bekommen wir Schwierigkeiten. Wir haben die Erfahrung in der Zeit vor 1933 gemacht. Dr. Katz (SPD): Es war für uns eine Selbstverständlichkeit, daß Amnestien eines Gesetzes bedürfen; darum haben wir es weggelassen. Der Bundespräsident kann keine Amnestie erlassen. Nun hat Herr Zinn die Möglichkeit erwähnt, daß der Bundespräsident unter Umständen einen amnestieähnlichen Akt in der Weise vornimmt, daß er eine gewisse Kategorie von Delikten generell begnadigt. An diesen Fall haben wir nicht gedacht; aber wenn Zweifel entstehen sollten, wäre ich mit dem Vorschlag Zinn einverstanden. Walter (CDU): Ich beantrage die Aufnahme eines Abs. 2 folgenden Inhalts: „Bundesamnestien bedürfen eines Bundesgesetzes.“ Dr. Laforet (CSU): Das stand in Art. 49 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung55). Es muß unter allen Umständen klargestellt werden, daß Sammelbegnadigungen, Amnestien und auch Abolitionen eines Reichsgesetzes bedürfen. Eine Unklarheit würde hier zu Schwierigkeiten führen. Ich empfehle die Annahme des Antrags Walter in Übereinstimmung mit Art. 49 der Weimarer Verfassung. Dr. Seebohm (DP): Wir haben noch Art. 48, wonach Anordnungen des Bundespräsidenten der Gegenzeichnung bedürfen. Soll jede Begnadigung der Gegenzeichnung bedürfen, oder ist es so, daß das Begnadigungsrecht ohne Gegenzeichnung ausgeübt wird?56) Dr. Dehler (FDP): Es ist zu bedenken, daß Länderamnestien ausgeschlossen sind. Die Formulierung „Bundesamnestien“ würde einschließen, daß Länderamnestien erlassen werden können. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die muß es geben. Ich erinnere zum Beispiel an Ordnungsstrafen57) oder an Bestrafungen auf Grund von Landesgesetzen. Zinn (SPD): Amnestien sind immer durch Reichsgesetz ausgesprochen worden, soweit es sich um Reichsstrafrecht handelt. Ich halte es für unmöglich, den Ländern neben dem Bund noch ein besonderes Amnestierecht einzuräumen. Wenn die Länder im Einzelfall glauben, Gnadenerweise erteilen zu müssen, so können sie das ohnehin im Rahmen ihrer Justizhoheit tun. Deshalb ist es nötig, zu sagen, daß Amnestien und auch Abolitionen eines Bundesgesetzes bedürfen. Dr. Katz (SPD): Ich bin mit der Fassung einverstanden, wenn Zweifel entstehen können, ob ein Land reichsstrafrechtliche Amnestien erlassen kann. Wenn über54)

Vgl. dazu die 9. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 1. Okt. 1948; Der Parl Rat, Bd. 13/1, Dok. Nr. 11, S. 344. 55) Art. 49 Abs. 2 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Reichsamnestien bedürfen eines Reichsgesetzes.“ RGBl. S. 1393. 56) Im stenograph. Wortprot., S. 59, folgt danach der Zuruf: „(Zuruf: Der Justizminister muß gegenzeichnen!)“ 57) Im stenograph. Wortprot., S. 45, folgt danach der Zuruf: „(Zuruf: Dienststrafrecht!)“

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haupt ohne Aufnahme dieses Satzes Zweifel bestehen können, daß Amnestien eines Bundesgesetzes bedürfen, so bin ich mit der Aufnahme des Satzes vollkommen einverstanden. Dr. Dehler (FDP): Man könnte sagen: „Amnestien bedürfen eines Bundesgesetzes.“ Dr. Laforet (CSU): Es dreht sich um die Frage des Dienststrafrechts. Beim Dienststrafrecht sind die Länder, die Gliedstaaten, Herr der Strafgewalt. Es ginge zu weit, wenn Amnestien auf dem Gebiet des Dienststrafrechts durch den Landesgesetzgeber nicht möglich wären. Völlig einverstanden bin ich damit, daß im Vollzug der Reichsstrafgesetze eine Amnestie nur [S. 109] durch den Bund, also durch den Bundespräsidenten, erfolgen kann. Wir haben bisher mit dem Wort „Reichsamnestien“ keine Schwierigkeit gehabt. Man kann auch bei der Fassung, daß der Bundespräsident für den Bund das Begnadigungsrecht ausübt, den Nachdruck darauf legen, daß er es ausübt, insoweit eine Bundeshoheit besteht. Dann wird damit das Reichsstrafrecht erfaßt und die Frage meines Erachtens insoweit einwandfrei erledigt. Dr. Katz (SPD): Was das Dienststrafrecht anbelangt, so ist es selbstverständlich, daß auch für die Bundesbeamten ein Dienststrafrecht vorhanden ist und daß insoweit der Bundespräsident das Begnadigungsrecht ausübt. Für die Länderbeamten sind in Dienststrafsachen die Länderbehörden für die Begnadigung zuständig. Das wird dadurch gar nicht berührt. Dr. Laforet (CSU): Wenn das im Protokoll festgestellt wird, ist der Zweck erfüllt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wie wäre es mit einer Fassung etwa folgender Art58): „Die Amnestie von Verstößen gegen Bundesgesetze bedarf eines Bundesgesetzes“? (Dr. Laforet [CSU]: Einverstanden.)59) Wir haben abzustimmen über Abs. 1 in der Fassung: „Der Bundespräsident übt für den Bund das Begnadigungsrecht im Einzelfall aus. Er kann dieses Recht auf andere Behörden übertragen.“ Zinn (SPD): Es soll durch die Einschaltung der Worte: „im Einzelfall“ verhindert werden, daß der Bundespräsident Sammelbegnadigungen erläßt, die praktisch einer Amnestie gleichkommen, wie das jetzt die Militärregierung am laufenden Band tut. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wer ist für die Einfügung der Worte: „im Einzelfall“? – Die Einfügung ist mit 17 Stimmen beschlossen. Dann lasse ich darüber abstimmen, ob ein zweiter Absatz angefügt werden soll: „Die Amnestie von Verstößen gegen ein Bundesgesetz bedarf eines Bundesgesetzes.“ Walter (CDU): Unter Amnestien sind auch Niederschlagungen gemeint. Ich bitte, das im Protokoll festzustellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über die Anfügung des zweiten Absatzes abstimmen. – Einstimmig angenommen. Art. 83 hat damit folgenden Wortlaut: (1) Der Bundespräsident übt für den Bund das Begnadigungsrecht im Einzelfall aus. Er kann dieses Recht auf andere Behörden übertragen. (2) Die Amnestie von Verstößen gegen Bundesgesetze bedarf eines Bundesgesetzes. 58) 59)

Im stenograph. Wortprot., S: 60, folgt danach: „– sie ist sehr roh –“ Im stenograph. Wortprot., S. 60, fehlt der Zwischenruf von Laforet.

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Achte Sitzung des Hauptausschusses 24. November 1948 [3.10. ART. 84: IMMUNITÄT DES BUNDESPRÄSIDENTEN]

Art. 84 Art. 60 findet auf den Bundespräsidenten Anwendung; für die Genehmigung ist die nach Art. 75 Abs. 2 gebildete Versammlung zuständig. Es ist dies der Immunitätsartikel. Auch der Bundespräsident soll die Immunitätsrechte eines Abgeordneten genießen. Die Genehmigung zur Strafverfolgung erteilt in diesem Fall die Bundesversammlung, die ihn gewählt hat, der Wahlkörper. Zinn (SPD): Ich empfehle, hineinzuschreiben: „entsprechende Anwendung“. Ferner bitte ich, gemäß Art. 75 Abs. 2 „Bundesversammlung“ zu sagen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben darüber noch nicht beschlossen. Gemeint ist die Wahlkörperschaft. Welche das sein wird, werden wir erst am Freitag wissen. Schönfelder (SPD): Wäre es nicht gut, das anders festzusetzen? Es ist doch unmöglich zu bestimmen, daß aus dem ganzen Land die Mitglieder der Bundesversammlung zusammenkommen müssen, um über die Aufhebung der Immunität zu beschließen. Dr. Katz (SPD): Ich glaube, dieser Fall wird sich nie ereignen. Infolgedessen brauchen wir nicht damit zu rechnen, daß diese Versammlung zu häufig zusammentreten wird. Es handelt sich darum, daß der Bundespräsident sich eines gemeinen Delikts schuldig macht und zur Strafverfolgung die Genehmigung einer gewissen Körperschaft erforderlich ist. Dieser Fall ist nicht zu identifizieren mit dem im letzten Artikel angeschnittenen Fall der Bundesanklage, der eher eintreten könnte. Der andere Fall ist aber so ungewöhnlich, daß wir nicht damit zu rechnen brauchen. Schönfelder (SPD): Gerade weil man kaum ernstlich damit rechnen muß, daß die Immunität aufgehoben wird, müßte man daran denken – und ich habe Erfahrung als Präsident eines Parlaments –, daß auch ungerechtfertigte Anträge auf Aufhebung der Immunität gestellt werden. Auch für die Ablehnung der Anträge ist die Versammlung nötig, und dafür scheint mir die Versammlung zu groß zu sein. Der Antrag wird glatt abgelehnt, aber die Versammlung muß zusammentreten. Zinn (SPD): Um allen Bedenken zu begegnen, empfehle ich die Fassung: „Art. 60 findet auf den Bundespräsidenten entsprechende Anwendung.“ Dann kann der Bundestag entscheiden. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Die Ausführungen des Kollegen Schönfelder sind zutreffend. Ich halte es aber für nötig, daß man die Versammlung bestimmt und daß man sagt: „Für die Genehmigung ist der Bundestag zuständig.“ Das ist einfach und kurz. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, Art. 84 dahin abzuändern, daß an Stelle der Bestimmung, daß die Wahlkörperschaft zuständig ist, die Bestimmung eingefügt wird, daß der Bundestag für die Genehmigung zuständig ist. Die Bestimmung hat folgenden Wortlaut: „Für die Genehmigung ist der Bundestag zuständig.“ Walter (CDU): Zu Satz 1 habe ich Zweifel. Ist das Wort „entsprechend“ nötig? Vors. Dr. Schmid (SPD): Nein. Ich glaube nicht, daß wir darüber abzustimmen brauchen. Wer ist für die Abänderung: „für die Genehmigung ist der Bundestag zuständig“? – Es ist so beschlossen. Damit ist Art. 84 in folgender Fassung angenommen:

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Art. 60 findet auf den Bundespräsidenten Anwendung; für die Genehmigung ist der Bundestag zuständig.

[3.11. ART. 85: PRÄSIDENTENANKLAGE]

Art. 85 (1) Der Bundestag oder die Länderkammer können den Bundespräsidenten wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht anklagen. Der Antrag auf Erhebung der Anklage ist nur zulässig, wenn er von mindestens einem Viertel der Mitgliederzahl gestellt ist. Der Beschluß auf Erhebung der Anklage bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder. Die Anklage wird von einem Beauftragten der anklagenden Kammer vertreten. (2) Das Bundesverfassungsgericht kann nach Erhebung der Anklage durch einstweilige Anordnung bestimmen, daß der Bundespräsident an der Ausübung seines Amtes verhindert ist. Wird hierzu das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall; der Artikel ist damit in dieser Fassung angenommen. Der Hauptausschuß vertagt sich hierauf60). Schluß der Sitzung 12.55 Uhr.

60)

Im stenograph. Wortprot., S. 64–66, folgt eine Debatte zur Einberufung des Geschäftsordnungsausschusses, um klären zu lassen, welche Rechte die Ländervertreter haben sollen, und ob Alfred Hartmann (vgl. in diesem Dok. oben Anm. 13) als Sachverständiger zugelassen werden kann. In einem kurzen Wortwechsel wurde darauf hingewiesen, daß um 15.00 Uhr Sitzungen stattfinden würden. Daraufhin wurde vorgeschlagen: „Dr. de Chapeaurouge: Ich glaube, es würde genügen, wenn Herr Schönfelder die Güte hätte, den Geschäftsordnungsausschuß auf 15 Minuten vor 15 Uhr einzuberufen. Abg. Schönfelder: Nach meiner Meinung wird man, wenn man mit Juristen verhandelt, in einer Viertelstunde nicht fertig. Vors. Dr. Schmid: Ich weiß nicht, ob ich dem Herrn Kollegen einen Ordnungsruf erteilen soll. Ich bin aber befangen und müßte den Vorsitz abtreten. Abg. Schönfelder: Es war ein Lob der Gründlichkeit, weiter gar nichts. 17 Uhr würde ich für richtiger halten.“ Der Geschäftsordnungsausschuß trat noch am 24. Nov. 1949 zusammen. Ein Prot. ist nicht überliefert. Vgl. dazu auch: Der Parl. Rat. Bd. 11. „Radio-Ffm“ (Frankfurt-Main) meldete gegen 20.00 Uhr: „Im Geschäftsordnungsausschuß des Parl. Rates wurde heute Nachmittag erneut die Frage erörtert, ob und in welcher Weise neben den Landesregierungen auch die Vertreter der Zweizonenverwaltung im Hauptausschuß zu Worte kommen sollen. Für den Antrag, die Vertreter der Zweizonenverwaltung wie Landesregierungen zu behandeln, wurde jedoch nur zwei Stimmen abgegeben, so daß voraussichtlich die Vertreter der Zweizonenverwaltung vor dem Hauptausschuß nicht werden sprechen können“. Zur Sache vgl. auch Salzmann, S. 173.

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Neunte Sitzung des Hauptausschusses 25. November 1948

Nr. 9 Neunte Sitzung des Hauptausschusses 25. November 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 111 f. PA 2004. Ungez. von Koppert gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 516 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: Adenauer (Präsident), von Brentano, de Chapeaurouge, Kaufmann, Laforet, Lehr, von Mangoldt, Süsterhenn SPD: Katz, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wolff, Zimmermann FDP: Dehler, Heuss DP: Heile KPD: Reimann Zentrum: Wessel Abgeordnete ohne Stimmrecht: Löwenthal (SPD), Renner (KPD), Selbert (SPD), Wagner (SPD) Stenographischer Dienst: Koppert Dauer: 19.30–19.45 Uhr

[1. ERKLÄRUNG DES PRÄSIDENTEN ADENAUER ZUM MEMORANDUM DER MILITÄRGOUVERNEURE VOM 22. NOVEMBER 1948]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Hauptausschuß hat in seiner Sitzung vom letzten Freitag3) beschlossen, seinen Vorsitzenden zu ersuchen, den Herrn Präsidenten des Parlamentarischen Rates zu bitten, eine Erklärung über das von den Verbindungsstäben der Militärregierungen ihm übergebene Memorandum4) abzugeben. Der Herr Präsident hat sich bereit erklärt, dieser Bitte nachzukommen. Ich erteile ihm das Wort. Präsident Dr. Adenauer (CDU): Meine Damen und Herren! Die Leiter der Verbindungsstäbe der Militärregierungen5) haben mich gebeten, von Äußerungen Kenntnis zu nehmen, die sie mir dem Wortlaut nach vorgelesen haben. Sie haben mir nachher den Wortlaut dieser Mitteilungen übergeben6) und diese als Denkschrift bezeichnet. Diese Denkschrift haben Sie in Ihren Händen. Ich sehe mich veranlaßt, dazu zu erklären, die Leiter der Verbindungsstäbe haben ausdrücklich betont, daß sie eine Beeinflussung der Entscheidungen des Parlamentarischen Rates nicht beabsichtigten, sondern daß diese Ausführungen nichts 1) 2) 3) 4)

5) 6)

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Protokollführer Matz. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Für die Sitzung des HptA am 19. Nov 1948 vgl. oben Dok. Nr. 6, S. 203 ff. Das Memorandum der westlichen Alliierten Militärgouverneure vom 22. Nov. 1948 lag in englischer Sprache sowie in nichtamtlicher deutscher Übersetzung vor; vgl. Kurzprot. Drucks. Nr. 516, S. 1; ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 18, S. 37–42. Zu den Verbindungsstäben der westlichen Alliierten in Bonn vgl. Feldkamp: Einleitung, in: Der Parl. Rat, Bd. 8, S. XVI–XIX. Zur Übergabe des alliierten Memorandums vom 22. Nov. 1948 in Bonn vergleiche die verschiedenen Berichte in: Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 19–21, S. 43–49.

Neunte Sitzung des Hauptausschusses 25. November 1948

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anderes seien als die Erklärung einiger Sätze in dem Ihnen bekannten Dokument Nr. 17). Ich habe im Laufe der Besprechung die Frage der Veröffentlichung dieser Denkschrift aufgeworfen; denn ich hatte den Wunsch, daß die Öffentlichkeit von ihr erst Kenntnis erhält, wenn die Mitglieder des Parlamentarischen Rates im Besitz der Denkschrift sind. Es stellte sich dann aber bedauerlicherweise heraus, daß die Mitteilungen wenigstens dem Hauptinhalt nach der Öffentlichkeit schon übergeben und nicht mehr zurückzuhalten waren. Ich glaube, wenn man die Mitteilungen der Öffentlichkeit erst übergeben hätte, nachdem Sie im Besitz dieser Denkschrift gewesen wären und nachdem sie von mir eventuell noch einige Erläuterungen dazu erhalten hätten, wäre vieles Gerede und Geschreibsel in den Zeitungen unterblieben, das völlig neben der Sache liegt. Wenn Sie, Herr Vorsitzender, keine weitere Frage zu stellen haben, möchte ich meine Mitteilung beenden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe keine weitere Frage zu stellen.

[2. STELLUNGNAHME DES HAUPTAUSSCHUSSES ZUM MEMORANDUM DER MILITÄRGOUVERNEURE VOM 22. NOVEMBER 1948]

Dr. Menzel (SPD): Namens der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands beantrage ich: Der Hauptausschuß wolle beschließen: Der Hauptausschuß erblickt in der namens der Militärgouverneure durch die Verbindungsstäbe gemachten Mitteilung, wie sie in der überreichten Denkschrift enthalten ist, lediglich eine Erläuterung des Dokuments Nr. 1. Die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates setzen die Beratungen als Vertreter des deutschen Volkes fort, dessen Vertrauen sie nach Bonn entsandt hat. Präsident Dr. Adenauer (CDU): Ich glaube, der Herr Kollege Dr. Menzel war nicht bei den ganzen Verhandlungen im Ältestenrat8) zugegen. Es handelt sich nicht um einen Antrag der sozialdemokratischen Fraktion dieses Hauses allein, sondern um einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen, mit Ausnahme der Fraktion der Kommunistischen Partei. (Reimann [KPD]: Wir kennen die Koalition. Wir wissen Bescheid.) Renner (KPD): Ich protestiere eingangs meiner Ausführungen dagegen, daß uns die von uns beantragte Möglichkeit einer Aussprache über die Angelegenheit versagt worden ist9). Ich begreife vollkommen, warum Sie einer Aussprache über diese sehr heikle Angelegenheit aus dem Wege gehen wollen. Ich möchte auch zum Ausdruck bringen, daß Ihrem Versuch, Herr Dr. Adenauer, die gesamte Angelegenheit zu verniedlichen, die Überzeugungstreue und Überzeugungskraft fehlt. (Reimann [KPD]: Bei Ihnen selbst, Herr Dr. Adenauer!) Wir kennnen uns ja, Herr Dr. Adenauer. 7)

Zu Dokument Nr. I der drei Dokumente zur zukünftigen Entwicklung Deutschlands („Frankfurter Dokumente“) vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 8, Anm. 30. 8) Vgl. das Protokoll der Sitzung des Ältestenrats vom 25. Nov. 1948, ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 13, S. 35–38. 9) Renner hatte bereits in der 6. Sitzung des HptA am 19. Nov. 1948 beantragt, die Übergabe des Memorandums zu erörtern. Vgl. oben Dok. Nr. 6, S. 203 ff.

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Ich habe namens der Fraktion der KPD folgende Erklärung abzugeben, über die ich nachher Abstimmung beantrage10): In der Denkschrift der Militärgouverneure, die am 22. November 1948 dem Präsidenten des Parlamentarischen Rates übergeben wurde, wird klargemacht, welche Auslegung die Militärregierungen den in Dokument Nr. 1 niedergelegten Grundsätzen für eine westdeutsche föderative Verfassung und die Bildung einer westdeutschen Regierung geben und daß sie die Einhaltung dieser Grundsätze erwarten. Diese Denkschrift der Militärgouverneure erbringt den endgültigen Beweis, daß der Parlamentarische Rat ein Vollzugsorgan der Besatzungsmächte ist und ohne Rücksicht auf den Willen des deutschen Volkes die von ihnen aufgestellten Grundsätze in einer Verfassung zu formulieren hat. Damit ist zugleich erwiesen, daß der Parlamentarische Rat nicht vom deutschen Volk den Auftrag zur Beratung und Beschlußfassung über eine Verfassung erhalten hat, daß er nicht nach dem Willen und nicht durch eine Willensbekundung des Volkes zustande gekommen ist, daß er in seinen Entscheidungen nicht frei, sondern an auferlegte Grundsätze gebunden ist, daß er auf Befehl der Besatzungsmächte entstand, nach gegebenen Grundsätzen arbeitet und gehalten ist, in jedem Stadium seiner Beratungen Anweisungen entgegenzunehmen und durchzuführen, daß seine Aufgabe in nichts anderem besteht, als zu dem von den westlichen Besatzungsmächten beschlossenen westdeutschen Staat ein dem Besatzungsstatut11) untergeordnetes Verwaltungsstatut auszuarbeiten. Dieser Beschluß der Besatzungsmächte entspricht den Absichten der reaktionären politischen und wirtschaftlichen Gruppen Westdeutschlands und wird von ihnen gebilligt und mit allen Kräften unterstützt. Die durch Bildung des westdeutschen Staates zu vollziehende endgültige Zerreißung Deutschlands widerspricht den elementarsten und unveräußerlichen [S. 112] Lebensrechten des deutschen Volkes. Das deutsche Volk will in seiner überwältigenden Mehrheit die Einheit Deutschlands. Deshalb verlangt es die sofortige Bildung einer gesamtdeutschen Regierung, die Aufhebung der Zonengrenzen die Durchführung einer einheitlichen Währung und gleichzeitig die Wiederherstellung seiner wirtschaftlichen Einheit. Aus den gleichen Gründen fordert das deutsche Volk in seiner überwältigenden Mehrheit den Abschluß eines gerechten Friedensvertrages und den Abzug der Besatzungsgruppen. Die Existenz und die Arbeit des Parlamentarischen Rates verhindert die Erfüllung dieser Forderungen. 10)

Der danach vorgelesene Antrag der KPD-Fraktion wurde unter dem 25. Nov. 1948 als Schreiben Präs. Adenauer „zur Behandlung in der heutigen Sitzung des Hauptausschusses“ zugesandt und den Abg. als Drucks. Nr. 316 schriftlich vorgelegt. 11) Zum Besatzungsstatut vom 10. April 1949 vgl. oben Dok. Nr. 2, Anm. 15. Vgl. zuletzt Dok. Nr. 6, S. 170.

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Die Vorgänge der letzten Tage veranlassen die KPD-Fraktion, noch einmal12) folgenden Antrag zu stellen: Der Parlamentarische Rat beschließt, seine Arbeit einzustellen und sich aufzulösen. Die Fraktion der KPD schlägt weiter vor, daß alle Fraktionen des Parlamentarischen Rates im Anschluß an den Auflösungsbeschluß die Militärregierungen über die Forderungen des deutschen Volkes auf Bildung einer gesamtdeutschen Regierung, Aufhebung der Zonengrenzen, Durchführung einer einheitlichen Währung, Wiederherstellung seiner wirtschaftlichen Einheit sowie Abschluß eines gerechten Friedensvertrages und den Abzug der Besatzungstruppen unterrichten und sich in gemeinsamer Anstrengung für die Erreichung dieses Zieles einsetzen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir kommen zur Abstimmung. Der weitergehende Antrag ist zweifellos der soeben verlesene Antrag der KPD-Fraktion. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen – Der Antrag ist mit allen Stimmen gegen 1 Stimme abgelehnt. (Reimann [KPD]: Nur weitermachen, die Spalter!) Dann lasse ich über den gemeinsamen Antrag der anderen Fraktionen abstimmen den Herr Dr. Menzel verlesen hat wer für die Annahme dieses Antrags ist – (Renner [KPD]: Zur Geschäftsordnung!) – Wir sind in der Abstimmung. (Reimann [KPD]: Wir sind noch nicht in der Abstimmung!) – Wir sind in der Abstimmung. Renner (KPD): Ich habe nur einen Satz zu sagen. Um der Festhaltung der historischen Wahrheit willen beantrage ich, daß dieser Antrag als Antrag der SPD-, CDU/ CSU-Fraktion gekennzeichnet wird, damit dieser Tatbestand vor aller Öffentlichkeit festgehalten wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das habe ich erklärt. Ich glaube kaum, daß eine weitere Feststellung notwendig sein wird. Renner (KPD): Das steht nicht in dem Antrag. Der Antrag verschweigt schamhaft diese Koalition. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, daß entscheidend ist, was ich über die Herkunft des Antrags gesagt habe, und nicht, was auf dem Papier steht. Ich lasse über den gemeinsamen Antrag der fünf Fraktionen abstimmen. – Ich stelle fest, daß der Antrag mit allen Stimmen gegen 1 Stimme angenommen ist. Der Hauptausschuß vertagt sich auf Dienstag, den 30. November 1948, 9 Uhr13).

12)

Für die KPD-Fraktion stellte Reimann bereits in der 1., konstituierenden Sitzung des Parlamentarischen Rates am 1. Sept. 1948 den Antrag auf Auflösung des Parlamentarischen Rates. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 9, Dok. Nr. 1, S. 7 f. 13) In der Diskussion um die Einberufung der nächsten Sitzung wurde u.a. darauf hingewiesen, dass wegen des Wahlkampfes in Niedersachsen und des Aufenthaltes mehrer Abgeordneter in Berlin, die Vertagung des HptA auf den 30. Nov. 1948 notwendig war. Adenauer führte dazu aus: „Es ist guter parlamentarischer Brauch, daß man, wenn eine große Fraktion – heute ist es vielleicht die, morgen eine andere – mit triftigen Gründen den Antrag auf Vertagung stellt, diesem Abtrag auch stattgibt“. Der Antrag auf Vertagung bis zum 30. Nov. 1948 wurde mit 10 gegen 8 Stimmen angenommen. Vgl. stenograph. Wortprot., S. 8–10.

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Zehnte Sitzung des Hauptausschusses 30. November 1948

Nr. 10 Zehnte Sitzung des Hauptausschusses 30. November 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 113–122. PA 2004. Ungez. von Koppert gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 520 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: von Brentano, de Chapeaurouge, Fecht, Kaufmann, Laforet, Lehr, Pfeiffer, Süsterhenn SPD: Bergsträsser, Greve, Katz, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Stock, Wolff, Zimmermann FDP: Dehler, Heuss DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: –3) Abgeordnete ohne Stimmrecht: Löwenthal (SPD); Strauß (CDU/CSU), Walter (CDU/CSU), Zinn (SPD) Stenographischer Dienst: Koppert Dauer: 9.27–11.40 Uhr [1. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT III: BUND UND LÄNDER, ART. 36 ZIFFER 19 UND 22]

Vors. Dr. Schmid (SPD):4) Ich möchte Ihnen vorschlagen, zunächst einen mehr formellen Gegenstand aus dem Abschnitt III Bund und Länder zu behandeln, nämlich die beiden Vorschläge des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung zu den Ziffern 19 und 22 des Art. 36 (PR. 12.48 – 335)5). Der Ausschuß hat sich, wie ich hinzufügen darf, einmütig für diese neue Fassung entschieden6). Der Bund hat den Vorrang bei der Gesetzgebung über . . . 19. den Schutz bei dem Verkehr mit Lebens- und Genußmitteln sowie Bedarfsgegenständen, mit Futtermitteln, mit land- und forstwirtschaft1) 2) 3) 4)

5)

6)

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Protokollführer Matz. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Brockmann ließ sich „für den Beginn“ der Sitzung entschuldigen, ist aber im Verlauf der Sitzung nicht mehr hinzugekommen. Im stenograph. Wortprot., S. 1, beginnt Schmid wie folgt: „Der Herr Abg. Brockmann läßt sich für den Beginn der Sitzung entschuldigen; Herr Dr. Seebohm wir ihn insolange als Schriftführer vertreten. Ich bitte Herrn Dr. Seebohm, festzustellen, welche der Anwesenden stimmberechtigt sind. (Folgt Namensaufruf.) Ich habe ferner mitzuteilen, daß ein seitens der Deutschen Partei gestellte Antrag zurückgezogen ist. Die Einzelheiten werden sich aus der Anlage zum Protokoll ergeben. Wir treten in die Tagesordnung ein.“ Drucks. Nr. 335 enthält das Kurzprot. der 18. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung vom 24. Nov. 1948. Vgl. dazu auch die Edition des stenograph. Wortprot.; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 24; dort auch die Zifferformulierungen S. 671 (Ziff. 19) und S. 676 (Ziff. 22). Im stenograph. Wortprot., S. 2, folgt danach: „Sie lautet:“.

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lichem Saat- und Pflanzgut und den Schutz der Bäume und Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge; Gegen diese neue Fassung erhebt sich kein Widerspruch; ich darf sie für angenommen erklären. Ziffer 22 des Art. 36 soll folgenden Wortlaut erhalten: 22. die Hochsee- und Küstenschiffahrt sowie die Seezeichen, die Binnenschiffahrt, den Wetterdienst, die Seewasserstraßen und die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen;7) Dr. Laforet (CSU): Der Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung schlägt Ihnen nach längerer Beratung einstimmig diese Fassung vor. Der Redaktionsausschuß hat den allerdings bedeutsamen Fall besonders erwähnt: „die Widmung neuer, dem allgemeinen Verkehr dienender Binnenwasserstraßen . . .“ Wir waren der Auffassung, daß dieser Fall bereits gedeckt ist. Es handelt sich hier nicht um eine Regelung des Gegenstandes, sondern nur um die Zuweisung der Zuständigkeit zur Regelung dieses Gegenstandes. Der Einzelfall braucht nicht hervorgehoben zu werden. Der Zweck ist mit der kurzen Fassung völlig erfüllt. Die zweite Frage, die gestellt worden ist, betrifft die Wasserschutzpolizei. Die Herren des Redaktionsausschusses waren der Anschauung, daß damit nichts anderes gemeint sei als die Regelung des Verkehrs auf den Gewässern und die Abwehr der Gefahren für die Ordnung des Verkehrs auf diesen Gewässern. Auch dieser Punkt ist bereits durch die allgemeine Fassung gedeckt und braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden. Zur Auslegung von Zweifelsfällen kann auf die Protokolle des Zuständigkeits- und des Hauptausschusses zurückgegriffen werden. Eine Hervorhebung ist unnötig; ja, sie könnte mit Rücksicht auf andere Bestimmungen sogar bedenklich sein, weil man aus der Heraushebung dieser Besonderheit Schlüsse für die Auslegung der anderen Ziffern ziehen könnte. Der Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung war daher einmütig der Auffassung, daß die alle Fälle erfassende neue Formulierung vorzuziehen ist, und hat beschlossen, die Zusätze des Redaktionsausschusses nicht aufzunehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich stelle fest, daß zu Ziffer 22 des Art. 36 das Wort nicht mehr gewünscht wird und erkläre die Ziffer in der neuen Fassung für angenommen.

[2. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT VI: DER BUNDESPRÄSIDENT, ART. 75]

Ich schlage vor, daß wir nunmehr die beiden Artikel aus dem Abschnitt VI Der Bundespräsident behandeln, die wir dem Organisationsausschuß zu erneuter Durchberatung und Beschlußfassung zugeleitet haben. 7)

Im stenograph. Wortprot., S. 2, folgt danach die Fortsetzung von Schmids Beitrag: „Wird hierzu das Wort gewünscht? Dr. Dehler (FDP): Ich hätte gern gehört, aus welchen Motiven heraus der Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung zu seinen Ergebnissen gekommen ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Vielleicht kann Herr Dr. Laforet mit wenigen Worten sagen, wie der Zuständigkeitsausschuß die Streichung motiviert hat.“

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Dr. Katz (SPD): Der Organisationsausschuß hat am 24. November 1948 mit Stimmenmehrheit eine neue Fassung beschlossen8), die dem Sinne nach besagt, daß der Bundespräsident durch ein Elektorengremium gewählt wird. Dieses Elektorengremium setzt sich zur einen Hälfte aus Mitgliedern des Bundestags, zur anderen Hälfte aus Personen zusammen, die von den Landtagen gewählt werden und ziffernmäßig ebenso stark sind wie die Mitglieder des Bundestags. Auf diese Weise soll eine möglichst breite, volkstümliche Basis für die Wahl des Bundespräsidenten geschaffen werden. Gleichzeitig wird damit das Recht der Länder gesichert, durch Vertreter, die von den Landtagen gewählt werden, an der Wahl des höchsten Beamten des neuen Staatsgebildes teilzunehmen. Der Vorschlag des Organisationsausschusses (PR. 11.48 – 3049)) lautet: Art. 75 (1) Der Bundespräsident wird ohne Aussprache von der Bundesversammlung gewählt. (2) Die Bundesversammlung besteht aus den Mitgliedern des Bundestags und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden. (3) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. (4) Die Bundesversammlung tritt spätestens dreißig Tage vor Ablauf der Amtszeit des Bundespräsidenten, bei vorzeitiger Beendigung spätestens dreißig Tage nach diesem Zeitpunkt zusammen. Sie wird von dem Präsidenten des Bundestags einberufen. (5) Ist die Wahlperiode des Bundestags abgelaufen oder der Bundestag aufgelöst, so beginnt die Frist des Abs. 4 Satz 1 mit dem erstmaligen Zusammentritt des Bundestags. (6) Gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder der Bundesversammlung erhält. Wird diese Mehrheit in zwei Wahlgängen von keinem Bewerber erreicht, so findet ein dritter Wahlgang statt, in dem derjenige gewählt ist, der die meisten Stimmen erhält. (7) Wählbar ist jeder Deutsche, der das Wahlrecht zum Bundestag besitzt und das 40. Lebensjahr vollendet hat. Ergänzend darf ich bemerken, daß wir die Entscheidung durch das Los gestrichen haben, die für den Fall vorgesehen war, daß im dritten Wahlgang zwei Kandidaten die gleiche Stimmenzahl erreichen. Wir halten es für unwürdig, das Los entscheiden zu lassen; statt dessen empfiehlt es sich, einen weiteren Wahlgang [S. 114] einzuschalten. Das braucht im Grundgesetz gar nicht erwähnt zu werden. Schließlich darf ich berichten, daß der Organisationsausschuß diesen Beschluß nicht einstimmig, sondern mit 7 gegen 5 Stimmen gefaßt hat10). Der Organisationsausschuß umfaßt 12 stimmberechtigte Mitglieder.

8)

Vgl. das stenograph. Wortprot. der 22. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes vom 24. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 30, S. 809–822 9) Drucks. Nr. 304 enthält das Kurzprot. der 22. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes vom 24. Nov. 1948. Für den Wortlaut des dort beschlossenen Artikels vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 30, S. 810. 10) Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 30, S. 822.

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Walter (CDU): Meine Fraktion steht mit den anderen Fraktionen auf dem Standpunkt, daß im Gegensatz zur Weimarer Verfassung der Bundespräsident nicht mehr durch das Volk11), also nicht durch Plebiszit gewählt werden sollte. Jedoch wünscht meine Fraktion, daß der Bundespräsident auf möglichst breiter Basis gewählt wird. Meine Partei hätte es begrüßt, wenn man hierbei dem Herrenchiemseer Entwurf12) gefolgt wäre. Dieser sieht zwei Wahlkörper vor: den Bundestag und den Bundesrat bzw. Senat. Erst wenn keine Übereinstimmung zwischen den beiden Organen zustande kommt, soll eine Art Nationalkonvent darüber entscheiden, wer Bundespräsident werden soll. Nachdem dieser Vorschlag im Organisationsausschuß abgelehnt worden ist und auch im Hauptausschuß mit keiner Mehrheit rechnen kann, nimmt meine Fraktion den Antrag des Redaktionsausschusses (PR. 11.48 – 283)13) zu Art. 75 auf14). Abs. 1 hat den gleichen Wortlaut wie der Vorschlag des Organisationsausschusses. Abs. 2 würde lauten: (2) Die Bundesversammlung besteht aus a) den Mitgliedern des Bundestags, b) den Mitgliedern des Bundesrats, c) von den Volksvertretungen der Länder gewählten Mitgliedern, deren Zahl der Mitgliederzahl des Bundestags, vermindert um die Mitgliederzahl des Bundesrats, entspricht. Wählbar ist, wer das Wahlrecht zum Bundestag hat. Das Nähere regelt ein Gesetz. Wir halten die Mitwirkung des Bundesrats bei diesem äußerst wichtigen Staatsakt für unbedingt notwendig. Es bestand unter den Parteien Einmütigkeit darüber, daß der Bundesrat bei der Wahl des Bundespräsidenten mitbestimmen soll, sei es in einem eigenen Wahlkörper, sei es in dem Nationalkonvent. Ich weiß eigentlich nicht, welche Gründe die Antragsteller und die Mehrheit des Organisationsausschusses veranlaßt haben, den Bundesrat bei dem Wahlakt auszuschalten. Je breiter die Basis ist, desto besser. Gerade das Element auszuschalten, das die Länder als solche vertritt, erscheint mir nicht besonders opportun. Ich halte eine enge Zusammenarbeit zwischen Bundespräsident und Bundesrat für zweckmäßig und notwendig, und schon aus diesem Grunde sollte der Bundespräsident auch von dem Vertrauen des Bundesrats getragen sein. Falls der Hauptausschuß die Gleichberechtigung des Bundesrats mit dem Bundestag beschließt, bedarf jede Ausführungsverordnung der Zustimmung des Bundesrats. Ausgerechnet bei dem Staatsakt, der einer der wichtigsten ist, nämlich bei der Wahl des Bundespräsidenten,

11)

Art. 41 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Der Reichspräsident wird vom ganzen deutschen Volke gewählt. Wählbar ist jeder Deutsche, der das fünfunddreißigste Lebensjahr vollendet hat. Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz.“ RGBl. S. 1391. 12) Für den Wortlaut des Berichts über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 504–630, hier S. 594. 13) Die Drucks. Nr. 283 enthielt die Vorschläge des Allgemeinen Redaktionssausschusses für Art. 75 und 75a. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 30, S. 817, Anm. 60. Die Drucks. 283 ist unverändert eingegangen in Drucks. Nr. 305 vom 24. Nov. 1984; ediert in: ebd., Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 58. Zur Drucks. Nr. 283 vgl. oben Dok. Nr. 8, Anm. 34. 14) Vgl. die Sitzung der CDU/CSU-Fraktion am 24. Nov. 1948; Salzmann, S. 172.

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soll der Bundesrat von der Teilnahme ausgeschlossen werden. Die von den Landtagen gewählten Vertreter der Bundesversammlung kann man nicht als Vertreter der Länderregierungen ansehen. Die Länder sind hier nicht vertreten. Zwar sind Vertreter einzelner Länder da, aber keine Vertreter der Länderregierungen. Es handelt sich hier um eine Art Senat ad hoc, der mitwählt und mitbestimmt. Auch wenn der Vorschlag des Redaktionsausschusses angenommen wird, der eine Mindestforderung darstellt, spielt der Bundesrat noch eine ziemlich dekorative Rolle. Man weiß noch nicht, wie stark der Bundesrat sein wird. Die Zahl seiner Mitglieder wird nicht besonders hoch sein, er wird aber immerhin ins Gewicht fallen. Aus allen diesen Gründen hält meine Fraktion es für zweckmäßig und notwendig, daß die Mitwirkung des Bundesrats bei der Wahl des Bundespräsidenten sichergestellt wird. Dr. Heuss (FDP): Um an die letzte Bemerkung des Herrn Vorredners anzuknüpfen: Schon das ziffernmäßige Verhältnis der Mitglieder des Bundesrats zur Gesamtzahl von vielleicht 600 Abgeordneten erscheint mir fast lächerlich. Die Grundtendenz ist, der Idee entgegenzuwirken, daß Länder und Länderregierungen sozusagen identisch sind. Ich glaube, dieser mein Vorschlag ist viel föderalistischer als der, den Bundesrat in das große Gremium des Nationalkonvents einzubeziehen. Entscheidend aber bleibt die innere Situation. Der Bundesrat ist, wenn er so gestaltet wird, wie er hier gedacht ist, eine an die Instruktion gebundene Vertretung. Er ist seiner Struktur nach etwas von den Elektoren, von den Abgeordneten vollkommen Verschiedenes. Der Bundesrat ist ziffernmäßig verglichen mit der Gesamtzahl des Nationalkonvents unbedeutend. Damit wird sein Ansehen in der größeren Versammlung von vornherein geschwächt. Er tritt zwischen die vielen frei wählenden Leute. Die Ausweitung der Basis für die Wahl des Bundespräsidenten hat auch den Zweck, ihn etwas stärker von den Organen der Legislative abzuheben. Auch die innere Logik scheint mir dafür zu sprechen, daß der Bundesrat bei der Wahl des Bundespräsidenten nicht von den Länderregierungen gelenkt wird. Nicht die einzelne Landesregierung, sondern das Land soll durch von seinem Landtag gewählte Mitglieder vertreten sein. Diese Lösung scheint mir dem föderalistischen Gesichtspunkt stärker zu entsprechen als Deklamationen von Länderregierungen. Ich bin mir noch nicht ganz darüber klar, wie die Ziffernkadenz sein soll. Aber wenn daran gedacht ist, daß im Bundesrat, anders als bei einem Senat, die Größe der einzelnen Länder nicht prozentual zum Zuge kommen soll, so kommt bei dem System des Elektorengremiums das einzelne Land je nach seinem Gewicht stärker zum Ausdruck als mit der Bundesratsvertretung. Eine freie Wahl ist hier überhaupt nicht denkbar. Ich bin also der Meinung, daß der Antrag des Organisationsausschusses die innere Logik für sich hat und daß die Hinzuziehung des Bundesrats ein Schönheitsfehler im staatstechnischen Sinne wäre. Dr. Katz (SPD): Der Herr Kollege Walter hat die Frage aufgeworfen, weshalb wir von einer Teilnahme des Bundesrats im Wahlkörper absehen wollen. Wir haben diese Frage auch im Organisationsausschuß behandelt. Ich möchte auch hier in aller Öffentlichkeit die Gründe darlegen, die uns veranlaßt haben, die Teilnahme des Bundesrats abzulehnen. Der Hauptgrund ist der, daß die Bundesratsmitglieder weisungsgebunden, instruiert sind, also auf Order ihrer Landesregierung zu agie-

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ren haben. Gerade das scheint uns bei der Wahl des Bundespräsidenten ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Es geht nicht an, daß Wähler, die über die Besetzung des höchsten Amtes des neuen Staatsgebildes entscheiden sollen, nach Instruktionen ihrer Landesregierungen handeln. Das ist eines freien Staates unwürdig. Aber es ist auch irgendwie systemwidrig. Man kann von Wählern, die an Weisungen gebunden sind, nicht erwarten, daß sie die Stimme des Volkes wiedergeben. Eine echte Wahl setzt voraus, daß die Wähler ihre Stimme nach bestem15) Wissen und Gewissen abgeben. Ein instruierter Wahlmann, ein instruierter Elektor ist eine contradictio in sich selbst. Bei der Wahl des Bundespräsidenten soll doch das Volk und sollen nicht die Landesregierungen vertreten sein. Die überwiegende Mehrheit des Hauptausschusses hat sich leider für das Bundesratsprinzip entschieden. Der Bundesrat wird ungefähr 45 Mitglieder umfassen. Nach dem Vorschlag, den wir gemacht haben und wieder zu machen gedenken, wird er aus 33 Mitgliedern bestehen. Diese Zahl fällt, wie Herr Kollege Walter mit Recht gesagt hat, bei der Körperschaft der Elektoren von rund 600 Mitgliedern kaum, geschweige denn entscheidend ins Gewicht. Es handelt sich hier also um eine grundsätzliche, nicht um eine praktische Frage. Der Bundesrat wird in aller Regel die Wahl des Bundespräsidenten nicht entscheiden. Aber aus grundsätzlichen Erwägungen und aus Gründen der Schönheit – die Sache paßt nämlich nicht in das System – müssen wir den Vorschlag, die Bundesratsmitglieder in das Wahlgremium aufzunehmen, ablehnen. Dadurch würde der Wahlakt irgendwie verunstaltet werden. Das bedeutet nun keineswegs, daß die Länder nicht berücksichtigt wären. Die Länder [S. 115] sind im Wahlgremium durchaus vertreten; denn die Elektoren gehen aus denselben Gremien hervor, die die Landesregierungen wählen, so daß der persönliche wie politische Einfluß der Länder bei der Wahl des Bundespräsidenten voll zur Auswirkung kommt. Aus allen diesen Gründen bitte ich, dem Antrag des Organisationsausschusses zuzustimmen. Dr. Seebohm (DP): Ich bin der Auffassung, daß der Bundespräsident auf der Bundesebene zu wählen ist. Er ist der Exponent des gesamten Volkes. Die Zusammensetzung des Wahlkörpers aus Mitgliedern des Bundestags und Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder gewählt werden, stellt diesen Grundsatz sicher. Der Bundespräsident wird durch die Vertreter des gesamten Volkes gewählt. Was die Aufgabe des Bundesrats im Wahlgremium angeht, so möchte ich in Übereinstimmung mit meinem Vorredner dem Bundesrat nicht eine mindere Qualität zuweisen, als sie ihm an sich gebührt. Der Bundesrat würde in dem Wahlkörper zunächst nur eine hoffnungslos kleine Minderheit darstellen. Auch ich würde daher Bedenken dagegen tragen, daß die Vertreter der Länderregierungen als solche an dem Wahlakt teilnehmen. Andererseits bin ich aber der Auffassung, daß die Länder, soweit sie an der Wahl des Bundespräsidenten mitwirken, ein bestimmtes Gewicht zu beanspruchen haben, das aber in anderer Weise zum Ausdruck gebracht werden muß; nicht so, daß der Bundesrat dem Wahlkörper angehört, wohl aber in der Weise, daß der gewählte Bundespräsident eine besondere Vertrauenserklärung durch den Bundesrat erhält. Es scheint mir wichtig zu sein, daß der Bundespräsident, dieses Organ des Volkes auf der Bundesebene, auch von dem Ver15)

Statt „bestem“ im stenograph. Wortprot., S. 10: „freiem“.

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trauen der Länder als den Gliedern des Bundes getragen wird. Auch sollte man von vornherein Konflikte zwischen den Ländervertretern und dem Bundespräsidenten vermeiden. Ich möchte daher vorschlagen, einen neuen Absatz einzufügen des Inhalts, daß der Bundespräsident zu seiner Amtsübernahme einer Vertrauenserklärung des Bundesrats bedarf. Auf diese Weise werden die Ländervertreter bei der Wahl des Bundespräsidenten entsprechend dem Gewicht der Länder eingeschaltet, und zugleich sichert man dadurch die Homogenität des Wahlkörpers. Dr. Lehr (CDU): Zu meinem Bedauern war ich verhindert, an jener Sitzung des Organisationsausschusses teilzunehmen16); ich muß daher meine Stellungnahme hier nachholen. Ich darf zunächst an den Werdegang des Art. 75 erinnern. Als wir im Organisationsausschuß diese Bestimmung beraten haben, haben wir ihr die Fassung gegeben, daß der Bundespräsident durch übereinstimmenden Beschluß des Bundestags und der Länderkammer gewählt werden soll. Wir wollten damit die Bedeutung der zweiten Kammer hervorheben. In der jetzigen Fassung hat die zweite Kammer an Gewicht entschieden verloren. Ich halte das nicht für richtig. Ich halte grundsätzlich die Vollberechtigung der zweiten Kammer in jeder Beziehung für notwendig. Schon aus diesem Grunde bin ich für die Fassung des Redaktionsausschusses. Im übrigen möchte ich mich der Auffassung des Herrn Dr. Seebohm anschließen. Es bedarf in der Tat eines besonderen Bandes zwischen dem Bundespräsidenten und den Länderregierungen. Gleichgültig, welcher Fassung man den Vorzug geben will, der des Redaktionsausschusses oder der des Organisationsausschusses, in jedem Fall bedeutet der Zusatz, daß der Bundespräsident des ausdrücklichen Vertrauens des Bundesrats bedarf, eine sehr wichtige Ergänzung, die die Stellung des Bundesrats hebt und die Beziehungen zwischen Bundesrat – als Organ des Bundes für die Vertretung der Länder – und Bundespräsident betont. Ich bitte auch meine Freunde, dieser Formulierung zuzustimmen. Dr. Heuss (FDP): Was passiert nun, wenn der Bundesrat dem Bundespräsidenten das Vertrauen nicht ausspricht? Ich sehe in einer solchen Vertrauenskundgebung des Bundesrats eine Art moralischer Deklaration. Schön und gut! Aber wenn Sie das in das Grundgesetz hineinnehmen, müssen Sie auch Bestimmungen für den Fall treffen, daß der Bundesrat dem Bundespräsidenten das Vertrauen versagt. Mit der Bestimmung, daß der Bundespräsident des Vertrauens des Bundesrats bedarf, ist allein nichts getan, wenn die Bestimmung fehlt, was zu geschehen hat, wenn der Bundesrat dem Bundespräsidenten das Vertrauen nicht ausspricht. Dr. Lehr (CDU): Diese Frage wäre in einem neuen Vorschlag zu regeln. Dr. Heuss (FDP): Ich halte davon nichts. Ich stehe immer noch auf dem Standpunkt, daß die Vorschriften über die Wahl des Bundespräsidenten und die Zusammensetzung der Bundesversammlung eine genügende Garantie dafür geben, daß die Interessen der Länder gewahrt bleiben. 16)

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Der Abg. Lehr war ordentliches Mitglied des Ausschusses für die Organisation des Bundes; Der Parl. Rat, Bd. 13/1, S. XV. Vgl. dazu die Teilnehmerliste der 22. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes vom 24. Nov. 1948; ebd. Bd. 13/2, Dok. Nr. 30, S. 802.

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Dr. Greve (SPD): Im Gegensatz zu dem Kollegen Dr. Lehr möchte ich mich gegen den Antrag Dr. Seebohm aussprechen. Ich teile durchaus die Bedenken, die Herr Dr. Heuss soeben geltend gemacht hat. Sehen wir uns doch das Gremium der Elektoren an! Es besteht zur einen Hälfte aus den Repräsentanten des Volkes, nämlich den Bundestagsabgeordneten, und zur anderen aus den Vertretern der Länder. Es ist nicht so, Herr Kollege Dr. Seebohm, daß das Volk, wie Sie sagten, in dem Elektorengremium durch die Länderregierungen repräsentiert wird. Dr. Seebohm (DP): Verzeihen Sie, das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt: Das Gesamtvolk wird durch die Abgeordneten des Bundestags vertreten, das Volk in den Ländern durch die Vertreter der Landtage. Dr. Greve (SPD): Sie haben gesagt, das Volk in den Ländern sei nichts anderes als das Volk, das auch im Bundestag repräsentiert sei. Wenn Sie den Mitgliedern des Bundesrats als weisungsgebundenen Abgeordneten der Länderregierungen das Stimmrecht bei der Wahl des Bundespräsidenten geben, dann drücken diese Stimmen nicht den Willen des Volkes in den Ländern aus, sondern die Mitglieder, die von den Länderregierungen abgeordnet sind, üben über den Bundesrat ein Mitwirkungsrecht aus, so daß im Wahlgremium, neben den Abgeordneten des Bundestags, das Land zweimal repräsentiert sein würde: einmal durch die von den Landtagen gewählten Elektoren, die in gleicher Zahl wie die Bundestagsmitglieder vorhanden sein sollen, daneben aber noch in Gestalt des Mitwirkungsrechts des Bundesrats. (Zwischenruf des Abgeordneten Dr. Seebohm [DP].) – Das lehnen Sie ab, Herr Dr. Seebohm; aber das fordert die CDU. Sie wünschen eine Vertrauenskundgebung der Länder durch die Länderregierungen. Ich denke, durch eine solche Vertrauenskundgebung würde ein vom Nationalkonvent ausgesprochenes Votum für einen Bundespräsidenten wiederum in Zweifel gezogen werden. Mit Recht hat Herr Dr. Heuss auf die Komplikationen hingewiesen, die dadurch entstehen könnten, daß die Mehrheit der Länderregierungen sich nicht dem Votum der Bundesversammlung beugt. Das würde Schwierigkeiten aller Art heraufbeschwören. Das sehr viel massivere und repräsentativere Votum der Bundesversammlung würde durch eine nicht zustande gekommene Vertrauenskundgebung der Länderregierungen in einem Umfang in Zweifel gezogen werden, daß die Würde und der Wert des Wahlaktes der Bundesversammlung aufs schwerste beeinträchtigt werden. Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung gewählt. Eine besondere Vertrauenskundgebung seitens der Länderregierungen halte ich für bedenklich. Ich bitte daher, den Antrag Dr. Seebohm abzulehnen. Dr. Lehr (CDU): Die Bedenken des Herrn Dr. Heuss sind an sich stichhaltig und berechtigt. Aber man kann sie praktisch dadurch entkräften, daß die maßgebenden Faktoren, ehe sie sich für eine bestimmte Persönlichkeit als Bundespräsidenten entschließen, untereinander Fühlung nehmen. Dazu gehören auch die Länder. Ehe man sich auf einen Kandidaten einigt, muß man [S. 116] sich darüber vergewissern, daß diese Persönlichkeit auch den Ländern genehm ist. Das ist der Lauf der Dinge, das wird sich von selbst entwickeln. So ist die theoretische Frage, was sein soll, wenn der Bundesrat seine Zustimmung versagt, praktisch ohne wesentliche Bedeutung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich könnte mich eher mit dem Vorschlag einverstanden erklären, Bundestag und Bundesrat je als selbständige Wahlkörper auftreten zu las-

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sen, als mit dem Vorschlag Dr. Seebohm. Ich glaube, daß es bei der Wahl des Bundespräsidenten entscheidend darauf ankommt, daß das Gremium, das die Bestellung des Bundespräsidenten vornimmt, homogen zusammengesetzt ist. Eine Körperschaft, bei der der eine Abgeordnete für sich selbst spricht, während ein anderer Abgeordneter mit dem gleichen Stimmgewicht in Anspruch nehmen kann, den zusammengefaßten Willen von acht oder vier Millionen Menschen zum Ausdruck zu bringen – das wäre der Fall, wenn die Bundesversammlung nach dem Vorschlag des Redaktionsausschusses zusammengesetzt würde –, ist aber nun keineswegs homogen. So verschiedene „spezifische Gewichte“ der Stimmen schaffen keine echte Repräsentanz. Was den Antrag Dr. Seebohm anlangt, so möchte ich eins zu bedenken geben. Die Institution des „Vertrauens“, das durch eine Körperschaft ausgesprochen wird, kann gegenüber einer Funktion wie der des Bundespräsidenten keineswegs in Frage kommen. Das „Vertrauen“ kann immer nur einer Regierung ausgesprochen werden; es hat dann den Sinn, daß die Regierung, solange dieses Vertrauen vorhanden ist, legitimiert ist und daß sie zurücktreten muß, wenn dieses Vertrauen nicht mehr besteht. Wollen Sie den Bundespräsidenten auch unter Vertrauensdruck setzen? Das wollen Sie nicht! Dem Bundespräsidenten soll das Vertrauen einmal und für fünf Jahre ausgesprochen werden. Ein solches Vertrauen ist aber kein „Vertrauen“ im spezifischen parlamentarischen Sinne, sondern die einmalige Erklärung, sich das Regiment einer bestimmten Person für eine bestimmte Zeit gefallen lassen zu wollen, weiter nichts. Wenn die Zustimmung des Bundesrats die Voraussetzung dafür sein soll, daß der Bundespräsident sein Amt antreten kann, dann machen Sie den Bundesrat praktisch zum Zensor der Bundesversammlung, also der höchsten Gesamtvertretung des deutschen Volkes überhaupt, des deutschen Volkes in seiner schlichten Einheit und in seiner reichen Gliederung in Länder. Damit gäbe man dem Bundesrat eine Prärogative, die wohl auch die leidenschaftlichsten Vertreter des Bundesratsgedankens nicht für ihn werden in Anspruch nehmen wollen. Mit Recht, denn man würde die Gefahr von Konfliktsituationen heraufbeschwören, die sich nicht nur sehr bedenklich auswirken könnten, sondern auch auswirken müßten. Ein auf solche Weise gewählter Bundespräsident würde oft ein Konzessionsschulze, eine Verlegenheitslösung sein. Ein solcher Mann würde nicht die Autorität haben, die er braucht. Gerade die Wahl eines Bundespräsidenten ist, um ein Wort aus dem alten deutschen Reichsrecht zu nehmen, eine „Kür“, nicht eine Wahl im beliebigen Sinn des Wortes. Der Bundespräsident muß durch einen einmaligen Gesamtakt, der alle Elemente der Spontaneität in sich tragen muß, „gekürt“ werden. Darin liegt seine wahre Autorität. Wenn sich an diesen Akt ein zweiter Akt anschlösse, etwa die Genehmigung dieser Kür durch den Bundesrat, würde ein Element in den Vorgang gebracht, das der Würde der Institution notwendigerweise Abbruch tun müßte. Das sind die Gründe, aus denen ich mich mit dem Antrag Dr. Seebohm, so bestechend er auf den ersten Blick erscheinen mag, nicht einverstanden erklären kann. Dr. Bergsträsser (SPD): Es ist ein Grundsatz der Politik, daß man die Kompetenzen klar auseinanderhält. Ein zweiter Grundsatz ist, daß man auf Präzedenzfälle achtet. Wenn man dem Bundesrat dieses Recht geben würde, würden die Kompetenzen des Bundestags, dieses Wahlgremiums und des Bundesrats in einer Weise ge-

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mischt, die unbedingt schädlich sein müßte, weil dann der Bundesrat in Dinge hineinzusprechen hätte, die eigentlich nicht seiner Zuständigkeit unterworfen sind. Man würde zweifellos einen Präzedenzfall schaffen, wenn man dem Bundesrat die Befugnis einräumen würde, dem Bundespräsidenten das Vertrauen auszusprechen; denn die logische Folge wäre, daß er auch das Mißtrauen aussprechen könnte. Eine ungünstige Abstimmung im Bundesrat könnte den Präsidenten dahin bringen, die Konsequenz daraus zu ziehen und abzutreten. Nun frage ich: Woher kommt dieser Antrag, welche Tendenzen verfolgt er? Wenn man die Arbeiten des Parlamentarischen Rates verfolgt, dann kann man erstens eine gewisse Tendenz feststellen, die Dinge so kompliziert wie möglich statt so einfach wie möglich zu gestalten, zweitens eine gewisse Tendenz, uns vor allen Möglichkeiten eines Versagens der Demokratie zu bewahren. Jedes Staatswesen trägt ein Risiko in sich. Gewisse Risiken können niemals vermieden werden. Wenn man sagt, es sei zweckmäßig, den Bundestag in einer möglichst vollkommenen Weise zu kontrollieren, so kann man darauf nur erwidern: Entweder wir haben eine Demokratie, und dann ist der Bundestag das wirklich superiore Organ der Demokratie; oder man entschließt sich, eine Verfassung auf anderer Grundlage aufzubauen. Aber eine demokratische Verfassung zu schaffen und in sie alle möglichen Wenn und Aber hineinzubringen, das nimmt der Demokratie jede werbende Kraft. Niemand im Volke würde das verstehen, niemandem würde es einleuchten, eine demokratische Verfassung zu schaffen, der jede werbende Kraft fehlt. Auch aus diesem Grunde möchte ich den Antrag Dr. Seebohm in seinen Auswirkungen als durchaus undemokratisch und unorganisch bezeichnen. Dr. von Brentano (CDU): Ich glaube, Herr Dr. Bergsträsser hat die Anregung meiner Fraktion, den Antrag des Herrn Dr. Seebohm und die Überlegungen, die den Redaktionsausschuß geleitet haben, gründlich mißverstanden. Es ist weiß Gott nicht so, daß die Absicht bestanden hat, die Wahl des Bundespräsidenten zu komplizieren. Wir waren und sind der Meinung, daß wir dem Bundespräsidenten schon durch die Gestaltung seiner Wahl ein möglichst breites Fundament geben sollten. Es wäre – und darin stimme ich Herrn Dr. Schmid völlig bei – logisch betrachtet sicherlich das beste, wenn man nach dem Vorbild des Herrenchiemseer Entwurfs den Bundestag und den Bundesrat als voneinander unabhängige Gremien bei der Wahl des Bundespräsidenten mitwirken ließe. Aber um von vornherein Spaltungen zu vermeiden und das Gesetz nicht mit einer weitgehenden Kasuistik zu belasten, sind wir zu unserer Formulierung des Art. 75 gekommen. Herr Dr. Heuss hat sicherlich nicht zu Unrecht darauf hingewiesen, die Mitwirkung der Mitglieder des Bundesrats beeinträchtige die Homogenität des Wahlkörpers. Aber wir haben diesen Wahlkörper mit Absicht nicht mehr homogen gewählt. Wir stellen neben den Bundestag die aus den Volksvertretungen der Länder in indirekter Wahl gewählten Wahlmänner, die mit gleicher Stimme im Nationalkonvent mitwirken. Hier sind also schon zwei Organe vereinigt, die aus verschiedenen Quellen stammen. Unsere Absicht war es, den Ländern in irgendeiner Weise ein Mitbestimmungsrecht auch bei der Wahl des Bundespräsidenten einzuräumen, und zwar nicht, um Länderinteressen wahrzunehmen – das ist vielleicht ein Mißverständnis –, sondern um schon bei der Wahl ein möglichst enges Band zu den Institutionen zu schaffen, mit denen zusammenzuarbeiten der Bundespräsi-

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dent verpflichtet ist. Zu den Organen des Bundes gehört neben dem Bundestag, der den unmittelbaren Volkswillen verkörpert, auch die Ländervertretung im Bundesrat. Diesem Gedanken wird schon Rechnung getragen durch die Wahl der Wahlmänner aus den Landtagen. Diese Wahlmänner, die von den Volksvertretungen der Länder gewählt werden, sind aber nicht identisch mit den Mitgliedern des Bundesrats. Unabhängig von diesen durch die Länderparlamente gewählten Wahlmännern bestehen in den Ländern die Regierungen, die im Bundesrat ein eigenes Gremium bilden, das sowohl mit der Bundesregierung wie mit [S. 117] dem Bundespräsidenten zusammenarbeitet. Um die Stellung des Bundespräsidenten zu heben und die Voraussetzungen für ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten mit den Organen und Institutionen des Bundes zu schaffen, erscheint es uns nicht nur glücklich, sondern auch sehr wesentlich, daß schon bei der Wahl des Bundespräsidenten der Wille der Länder zum Ausdruck kommt. Ich halte auch das Argument des Herrn Dr. Schmid nicht für richtig, daß hier Stimmen mit verschiedenem Gewicht und Wert koordiniert würden. Der Wert der Stimmen im Nationalkonvent wird der gleiche sein; aber die Wurzeln, aus denen sie kommen, sind verschieden. Wenn der Wunsch besteht, die Basis für die Bundespräsidentenwahl möglichst breit zu machen, so sollte er sich auch in der Tendenz äußern, daß die Länderregierungen im Wahlgremium in irgendeiner Weise zum Ausdruck kommen, zum mindesten aber nicht übergangen werden. Vielleicht wählt der Antrag Dr. Seebohm einen falschen Ausdruck, wenn er von einem „Vertrauen“ spricht. Wir können den Wahlakt nicht durch die Vertrauenskundgebung eines Organs abschließen. Aber der Vorschlag Dr. Seebohm geht letztlich auf das zurück, was der Entwurf von Herrenchiemsee meint: auf die gleichberechtigte Mitwirkung des Bundesrats. Wenn wir uns dazu nicht entschließen können und wollen, so sollten wir doch den Bundesrat als solchen unter keinen Umständen bei der Wahl des Bundespräsidenten ausschließen. Die Mitwirkung des Bundesrats kann für die ganze Tätigkeit und das Ansehen des Bundespräsidenten nur wertvoll sein. Die Vertrauensbasis kann für den Bundespräsidenten nicht breit genug sein. Die Wurzeln seiner Wahl sollten so tief wie möglich in das Volk hineinreichen. Ich sehe keinen Strukturbruch darin, wenn wir zu den in Verhältniswahl gewählten Mitgliedern des Bundestags und diesen mittelbar gewählten Senatoren auch die gewöhnlichen Mitglieder des Bundesrats als gleichberechtigt hinzunehmen. Dr. Fecht (CDU): Das Hauptbedenken, das die Fraktion der SPD gegen die von der CDU geäußerten Vorschläge hat, scheint in der Mitwirkung des Bundesrats zu liegen. Diese Frage wurde schon auf Herrenchiemsee angeschnitten. Man war sich dort darüber einig, daß die Mitglieder des Bundesrats nicht nach Ländern, sondern einzeln als Personen abstimmen. Sie sind zwar als Mitglieder des Bundesrats Mitglieder der Bundesversammlung; aber es steht ihnen frei, ihre Stimme so abzugeben, wie sie es nach ihrem Gewissen für nötig und richtig halten. Wenn dieser Gesichtspunkt hier Platz greifen würde, könnte man die Frage sehr einfach lösen, indem man die Bestimmungen über die Zuständigkeit des Bundesrats dahin ergänzt, daß die Vorschrift, wonach im Bundesrat die Stimmen nur einheitlich abgegeben werden können, für Wahlen, also besonders für die Wahl des Bundespräsidenten, nicht gilt. Dr. Heuss (FDP): Zu den Ausführungen der Herren Dr. von Brentano und Dr. See-

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bohm folgendes. Sie sind im Augenblick dabei, die deutsche staatsrechtliche Situation vor 800 Jahren mit umgekehrten Vorzeichen wiederherzustellen. Das Verfahren bei der Wahl des Königs war so: Nachdem die Fürsten ihn gewählt hatten, galt er als wirklich gewählt nur durch das sogenannte „Vollwort“, nämlich durch die Zustimmung des gerade versammelten Volkes. Wir drehen hier das Verfahren um, wir lassen vorher das Volk sprechen, und nachher kommt die Akklamation durch die anderen. Das ist eine völlige Umkehrung der Situation. Ich bin etwas unsicher geworden über den Vorschlag, den Herr Dr. Lehr gemacht hat. Er hat gemeint, was ich gesagt hätte sei logisch gewesen, aber die Dinge vollzögen sich anders. Sie vollziehen sich nach seiner Darstellung in der Weise, daß die Länder auch jetzt schon eingeschaltet sind. Man stellt sich also offenbar vor, daß die Länder als eine Einheit gesetzt werden, was sie gar nicht sind. Vielleicht werden Wahlkapitulationen zwischen den Ländern verabredet. Auch das ist ein Stück deutscher Geschichte. Und was dann? Dann kommt eine totale Verwirrung in die ganze Situation herein. Wir haben nach unseren schlechten Erfahrungen, die uns geschreckt haben, auf den plebiszitären Präsidenten verzichtet. Wenn wir irgend etwas wie eine Integrationskraft für den Bundespräsidenten wollen, dann müssen wir die Basis seiner Wahl verbreitern; sonst ist der Mann oder die Institution von vornherein verdorben. Dann besteht, glaube ich, die Auffassung des Herrn Dr. Schmid zu Recht: wenn schon, denn schon. In dem Augenblick, in dem man die Vertreter der Länder hereinsetzt, sind sie ein Fremdkörper, Dekoration um der Idee willen, daß die Länderregierungen an der Bundespräsidentenwahl beteiligt sein sollen. Gerade vom föderalistischen Standpunkt aus ist die Beteiligung des Bundesrats in der gedachten Zusammensetzung absolut unwürdig. Ihre Würde haben die Länderregierungen an einer anderen Stelle zu erweisen. Es ist nicht so, daß die Länderregierungen von vornherein als geschlossene Gruppe, wie sie gedacht sind, den anderen gegenüber auftreten. So sind sie nicht zu denken, und so sind sie auch tatsächlich nicht. Mit den Länderregierungen kann bezüglich des Bundespräsidenten nicht paktiert werden. Die Bestimmung, daß der Bundespräsident des Vertrauens des Bundesrats bedarf, schafft eine Komplikation, wenn dieses Vertrauen nicht erreicht wird. Ist das Vertrauen vorher ausgeblieben, dann entsteht eine weitere Komplikation. Dr. Seebohm (DP): Herr Dr. Schmid hat mit Recht darauf hingewiesen, daß bei der Bundespräsidentenwahl alle Elemente vertreten sein sollen. Ich bin nach wie vor der Auffassung, daß die Einschaltung der Bundesratsmitglieder in den Wahlkörper der Würde der Länder nicht in vollem Umfange entspricht. Deshalb habe ich meinen Antrag gestellt. Andererseits bedingt eine föderale Demokratie, daß die Glieder des Bundes, das Volk und die Länder, bei der Wahl der obersten Spitze des Staates tatsächlich in Erscheinung treten. Aber die Länder treten so nicht in Erscheinung, wenigstens nicht in Gestalt der Abgeordneten, die von den Landtagen gewählt werden. Die Länder treten nur durch ein echtes Länderorgan in Erscheinung, durch den Bundesrat. Mein Vorschlag will nicht, wie Herr Dr. Heuss gemeint hat, das Spiel früherer Jahrhunderte umkehren, sondern er geht von den Beratungen auf Herrenchiemsee aus, wo man zwei Wahlkurien wollte, nämlich die Wahlkurie des Volkes und daneben die der Länder. Ich möchte aber den Ländern nicht das Gewicht geben, daß sie mit

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zu wählen haben, sondern nur das Gewicht, daß sie der Wahl ihre Zustimmung geben. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß diese Zustimmung durch die Mehrheit der Ländervertreter verweigert werden könnte, wenn der Präsident wirklich als Mann des Vertrauens der großen Mehrheit der Bundesversammlung gekürt war. Ich glaube, das Wort, daß der Bundespräsident des „Vertrauens“ des Bundesrats bedarf, ist mißdeutig; man sollte es durch „Zustimmung“ ersetzen. Praktisch handelt es sich hier um eine Willenserklärung der Länder für den neuen Mann, den das gesamte Volk gewählt hat. Ich meine, eine solche Willenserklärung könnte das Ansehen und die Dignität des Bundespräsidenten nur heben. Manche Verfassungen kennen Regierungen auf Zeit. Der Bundespräsident ist eine Institution der Exekutive auf Zeit. Er stellt ein Exekutivorgan dar, das auf Zeit bestellt ist und in dieser Zeit nicht abberufen werden kann. Die Bundesversammlung kann also dem Bundespräsidenten nicht nach zwei Jahren das Mißtrauen aussprechen. Ebensowenig kann der Bundesrat während der Amtszeit des Bundespräsidenten seine anfängliche Zustimmungserklärung einschränken oder zurücknehmen. Trotzdem halte ich es in einer föderalen Demokratie für notwendig, bei der Wahl der höchsten Spitze des Staates Volk und Länder sprechen zu lassen. Die Vertreter der Länderregierungen wählen nicht, sondern sie erteilen ihre Zustimmung. Hier verschiebt sich schon die Wertigkeit: es gilt, dem Volk die entscheidende Stellung zu geben, die ihm in einer Demokratie zukommt, zugleich aber den Ländern ihre Würde zu lassen. Dr. Lehr (CDU): Ich stelle den Antrag, den Art. 75 Abs. 1 des Herrenchiemseer Entwurfs in der Fassung [S. 118] des Organisationsausschusses (PR. 11.48 – 303) wiederherzustellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist wohl der weitestgehende Antrag. Er lautet: Der Bundespräsident wird durch übereinstimmenden Beschluß des Bundestags und des Bundesrats gewählt. Es wird zunächst im Bundestag, sodann im Bundesrat abgestimmt. Gewählt ist, wer in jeder der beiden Kammern die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder erhält. Ich lasse abstimmen. – Der Antrag ist mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Es folgt die Abstimmung über den Antrag Dr. Seebohm, der nach Mitteilung des Antragstellers nunmehr lautet: Der Bundespräsident bedarf zu seiner Amtsübernahme der Zustimmung des Bundesrats. Der Antrag bedeutet, daß zwei Kurien tätig werden sollen: die Wahlkurie und die Zustimmungskurie, welch letztere damit praktisch ein negatives Stimmrecht hat. Ich lasse darüber abstimmen. – Der Antrag ist mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Wir kommen zum Antrag des Redaktionsausschusses, den der Herr Kollege Walter aufgenommen hat. Er lautet in seinem Abs. 2: Die Bundesversammlung besteht aus a) den Mitgliedern des Bundestags, b) den Mitgliedern des Bundesrats, c) von den Volksvertretungen der Länder gewählten Mitgliedern, deren Zahl der Mitgliederzahl des Bundestags, vermindert um die Mitgliederzahl des Bundesrats, entspricht. Wählbar ist, wer das Wahlrecht zum Bundestag hat. Das Nähere regelt ein Gesetz.

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Ich lasse über den Antrag auf Einfügung von b: „den Mitgliedern des Bundesrats“ abstimmen. – Der Antrag ist mit 11 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über die Fassung des Organisationsausschusses für Art. 75 Abs. 1 bis 3. Renner (KPD): Ich möchte eine Erklärung abgeben. Ich stimme für diese Fassung nur deshalb, weil ich die Mitwirkung des Bundesrats für unmöglich halte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können über diese drei Absätze zusammen abstimmen, zumal die anderen Bestimmungen technischer Art sind. – Die Absätze 1 bis 3 sind mit 11 gegen 9 Stimmen angenommen. Ich darf annehmen, daß die weiteren Absätze des Art. 75 allgemeine Zustimmung finden. (Zustimmung.) Damit ist Art. 75 in der Fassung des Organisationsausschusses nach dem Stande vom 24. November 1948 angenommen.

[3. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT XIII: ÜBERGANGS- UND SCHLUSSBESTIMMUNGEN, ART. 147a]

Dr. Katz (SPD): Ich darf fortfahren mit dem zweiten Gegenstand, mit dem sich der Organisationsausschuß in diesem Zusammenhang befaßt hat: dem Inkrafttreten des Amtes des Bundespräsidenten. Der Organisationsausschuß hat, ebenfalls mit der Mehrheit von 7 gegen 5 Stimmen, dahin entschieden, daß das Amt des Bundespräsidenten nicht sofort mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes gleichzeitig inauguriert werden soll, sondern zu einem Zeitpunkt, den die beiden Kammern, die Volksvertretung und die Regierungsvertretung der nächsten Legislaturperiode, selbst bestimmen. Die Mehrheit des Organisationsausschusses ist dabei von der Erwägung ausgegangen, daß in bezug auf die Souveränitätsrechte des deutschen Volkes und in bezug auf die Einschränkungen dieser Souveränitätsrechte größte Unklarheit herrscht und auch noch nach dem Inkrafttreten des Bonner Verfassungswerkes weiter herrschen wird. Es ist uns in Aussicht gestellt worden, daß die Selbstverwaltung des deutschen Volkes in den drei Westzonen nach Inkrafttreten dieses Bonner Verfassungswerkes erheblich verstärkt werden wird. Wir wissen aber nicht, wie sich das im allgemeinen abspielen wird. Von diesem Gesichtspunkt ist die Mehrheit des Organisationsausschusses ausgegangen. Sie ist der Ansicht gewesen, daß, bevor der Präsident sein Amt antritt, zunächst einmal abgewartet werden muß, wie sich diese Übertragung von mehr Souveränitätsrechten auf das deutsche Volk abspielt. Es sollen sozusagen peinliche Situationen vermieden werden; es soll vermieden werden, daß dem Präsidenten unter Umständen Dinge zugemutet werden, die unter der Würde eines Staatsoberhauptes liegen. Das soll klargestellt werden, ehe der Präsident sein Amt antritt. Wir halten es für richtiger, die Amtsübernahme des Präsidenten solange hinauszuschieben, bis das klargestellt ist, damit nicht eine Situation eintritt, die unter Umständen den Präsidenten nötigen könnte, sein Amt niederzulegen. In diesem Fall wären die Komplikationen weitaus größer. Daher wollen wir es einer Bestimmung der neuen Legislatur überlassen – die mit den Modalitäten eines einfachen Bundesgesetzes vollzogen wer-

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den kann; ein relativ einfacher Vorgang, der in ein bis zwei Wochen durchgeführt werden kann –, den Zeitpunkt festzusetzen, an dem der neue Präsident zum ersten Male in Erscheinung tritt. Daraus erklärt sich die Fassung des Art. 147a, den der Organisationsausschuß zur Beschlußfassung unterbreitet. Dieser Art. 147a kommt in die Übergangsbestimmungen. Er lautet (PR. 11.48 – 304): (1) Der Zeitpunkt der Wahl des ersten Bundespräsidenten wird durch Bundesgesetz bestimmt. (2) Bis zum Amtsantritt des ersten Bundespräsidenten werden seine Befugnisse durch den Präsidenten des Bundestags ausgeübt. Im Falle seiner Verhinderung wird er durch den ersten Vizepräsidenten des Bundestags vertreten. (3) In Erfüllung dieser Aufgaben bleiben der Präsident und der Vizepräsident des Bundestags bis zur Wahl ihrer Nachfolger im Amt.17) Der letzte Absatz bezieht sich nur darauf, daß im Falle einer Neuwahl des Bundestags, eben weil diese Funktionen bleiben müssen, die beiden Herren auch für die Zwischenperiode im Amt bleiben. Walter (CDU): Der Beschluß des Organisationsausschusses hinsichtlich der provisorischen Bestimmung des Bundespräsidenten ist von sehr großer Tragweite, sowohl politisch wie besonders staatsrechtlich. Der Antrag ist, so wie die Begründung von Herrn Dr. Katz gegeben wurde, meiner Auffassung nach denkbar schwach begründet. Es soll die Stellung des Bundespräsidenten nach außen garantiert werden. Er soll vorerst nicht in eigener Person in Erscheinung treten, damit ihm insbesondere gewisse Unannehmlichkeiten erspart bleiben, damit er nicht irgendwelchen Vexationen18) von irgendeiner Seite ausgesetzt wird. Das gleiche könnte bezüglich anderer Organe gesagt werden, namentlich bezüglich des Amtes des Bundeskanzlers. Auch dieses Amt könnte mit der gleichen Begründung nur provisorisch besetzt werden. Die Besatzungsmächte oder sonstige auswärtige Mächte werden sich in staatsrechtlichen Angelegenheiten nie an das Staatsoberhaupt wenden, sondern an den Bundeskanzler oder an die Bundesregierung als solche. Die alsbaldige Besetzung des Amtes des Bundespräsidenten ist, wie gesagt, aus sachlichen, politischen und staatsrechtlichen Gründen geboten. Soll ein Provisorium auf Jahre geschaffen werden oder nur für 1 bis 3 Monate, vielleicht bis zur Bekanntgabe des Besatzungsstatuts19)? Ich weiß nicht, ob die Antragsteller daran gedacht haben. Jeder Staat bedarf schließlich einer Staatsspitze, auch eine Republik, besonders aber eine Republik, die politisch und staatsrechtlich noch so schwach ist wie die künftige deutsche Regierung, die wir zu schaffen im Begriff sind. Sämtliche anderen Staaten in Europa haben einen ersten Repräsentanten des Staates, ein besonderes Staatsoberhaupt. Im Ausschuß ist vorgebracht worden, daß

17)

Im stenograph. Wortprot., S. 32, folgt hiernach die Bemerkung von Schmid: „Ich darf dazu bemerken, daß dieser Antrag mit einer Mehrheit von 7 : 5 Stimmen im Organisationsausschuß angenommen worden ist.“ 18) Französisch: Quälereien. – Nach dem Klavierstück des französischen Komponisten Erik Satie „Vexations“, daß ca. 1893 komponiert wurde und aus einem Thema und zwei Variationen besteht, die 840 Mal wiederholt werden sollen. 19) Zum Besatzungsstatut vom 10. April 1949 vgl. oben Dok. Nr. 2, Anm. 15. Vgl. zuletzt Dok. Nr. 9, S. 280 ff.

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kleinere Staaten in Europa längere Zeit ohne Staatsoberhaupt gewesen seien. Es ist von Lettland gesprochen worden. Das ist mir nicht genau bekannt, aber das kleine Lettland wollen wir uns nicht als Beispiel nehmen. Ein Staatsoberhaupt ist in politisch schwieriger Zeit besonders nötig. Es fehlt die erforderliche Autorität nach außen, wenn nur der Bundestagspräsident dieses Amt im Nebenamt verwaltet. Dieses bedeutsame Amt kann überhaupt nicht [S. 119] von einem anderen Organ im Nebenamt verwaltet werden, insbesondere nicht vom Bundestagspräsidenten. Ich glaube, daß der Bundestagspräsident voll ausgelastet ist, und Herr Reichstagspräsident Löbe, der zufällig im Organisationsausschuß anwesend war, hat bestätigt, daß es nur für ganz kurze Zeit möglich sein könnte, das wichtigste Amt im Staate von einem anderen Organ im Nebenamt versehen zu lassen20). Wir hätten in zahlreichen Fällen eine weitgehende Verbindung von Exekutive und Legislative. Das wird doch sonst von der Fraktion der Antragsteller weitgehend abgelehnt. Nun soll gerade in der wichtigen Spitze diese weitgehende Verbindung erfolgen. Ich darf bloß auf einzelne Bestimmungen verweisen. Nach der Verfassung hat der Bundespräsident, wenn die Wahl des Bundeskanzlers durch den Bundestag mißlingt, ein gesetzliches Initiativrecht, hier einzugreifen. Nun macht das ausgerechnet der Mann, der der höchste Repräsentant dieses Bundestags selber ist. Sodann ist in gewissen Fällen dem Bundespräsidenten ein Auflösungsrecht konzediert. Nun löst der höchste Repräsentant des Bundestags das Parlament, dem er selbst angehört, auf. Ich darf ferner auf das Begnadigungsrecht und auf das Recht zur Ernennung der Minister hinweisen. Der Bundestagspräsident ernennt dann den Bundeskanzler und auf dessen Vorschlag die einzelnen Minister. Sodann müßte er mitwirken, wenn gegen den Bundeskanzler ein Mißtrauensantrag gestellt wird. Es ist weiterhin die Anklage des Bundespräsidenten vor dem Bundesverfassungsgericht vorgesehen; der Hauptausschuß hat das genehmigt21). Die Anklageerhebung wird nun vom Bundestag beschlossen, also von einem Gremium, dem der Präsident selber angehört. Wir haben es als Grundsatz festgelegt, daß der Bundespräsident weder dem Bundestag, noch dem Bundesrat, noch der Volksvertretung eines Landes angehören darf. Sodann ist auch ein Wechsel in der Person des Bundestagspräsidenten möglich. Dann tritt nach dem Beschluß des Organisationsausschusses ohne weiteres ein Wechsel in der Person des Bundespräsidenten ein. Es handelt sich hier um eine glatte Umgehung der Verfassung. Wozu schreiben wir in die Verfassung alle diese Bestimmungen hinein? Dann können wir sie geradesogut herauslassen und abwarten, bis wir in der glücklichen Lage sind, eine Verfassung für Gesamtdeutschland zu schaffen. Sodann sind wir uns darüber einig – namentlich auch die Herren von der Sozialdemokratie –, daß wir eine Verfassung schaffen wollen gerade so, als wenn wir tatsächlich die volle Souveränität im deutschen Volk hätten und als wenn wir nicht

20)

Der ehemalige Reichstagspräsident und Berliner Vertreter im Parl Rat, Paul Löbe (SPD), erläuterte in der 9. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 1. Okt. 1948 seine Haltung zur Frage eines Nebenamtes Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/1, Dok. Nr. 11, S. 320 f. 21) Zur 1. Lesung des Grundgesetzentwurfes des Abschnitts VII im HptA am 16. und 17. Nov. 1948 vgl. bes. oben Dok. Nr. 3 und 4.

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die Besatzung durch vier fremde Mächte hätten. Wir wollen hier völlig souverän entscheiden. Der Beschluß des Organisationsausschusses, der auf Antrag der Sozialdemokraten erfolgt ist, widerspricht dem völlig. Hier wird in weitgehender Weise darauf Rücksicht genommen, daß wir die volle Gebietshoheit noch nicht errungen haben. Um ja jeglichen Konflikt mit den Besatzungsmächten zu vermeiden, wird eine der wichtigsten Bestimmungen der Verfassung völlig außer Kraft gesetzt. Aus diesem Grunde ist es dringend geboten, daß der Beschluß des Organisationsausschusses geändert wird, damit wir in der Lage sind, nach Verabschiedung der Verfassung und nach ihrer Verkündung alsbald zur Wahl des Bundespräsidenten zu schreiten. Dr. Seebohm (DP): Die ganze Arbeit, die wir hier in Bonn zu leisten haben, geht davon aus, daß wir die Grundlage eines neuen deutschen Staates zu schaffen haben. Ich bin der Auffassung, daß es bei diesem Kampf um die Wiedererringung der Souveränitätsrechte des deutschen Volkes, die zur Zeit durch andere Kräfte wahrgenommen werden, nötig ist, alle Institutionen zu schaffen, die in der Lage und bereit sind, diese uns zur Zeit noch vorenthaltenen Souveränitätsrechte selbst aufzunehmen. Aus diesem Grunde bin ich der Auffassung, daß es nötig ist, von vornherein ebenso, wie wir eine Regierung bilden und an ihre Spitze einen Bundeskanzler oder Ministerpräsidenten stellen, das Amt des Bundespräsidenten zu besetzen. Ich glaube, daß wir uns darin alle einig sind. Auch die Sozialdemokraten wünschen nach ihrem Antrag dieses Amt zu besetzen, nur nicht mit einem Mann, der als Bundespräsident in Erscheinung tritt, sondern mit einem, der die Befugnisse dieses Amtes wahrnimmt. Damit ist praktisch zum Ausdruck gebracht, daß ein Bundespräsident da sein muß, sowohl nach innen wie nach außen. Nun wird gesagt, es entstehe für den Bundespräsidenten eine untragbare Lage, wenn er durch die Besatzungsmächte in seiner Würde gekränkt werde. Ich glaube, man darf den Besatzungsmächten nicht unterstellen, daß sie die Würde eines solchen Amtes nicht voll zu wahren und zu würdigen wissen. Sie würden damit eine Ungeschicklichkeit begehen, wie man sie ihnen bei ihrem diplomatischen Geschick und Takt nicht zutrauen darf. Wenn sie Ungeschicklichkeiten begehen, wird das zweifellos nicht gegenüber dem Bundespräsidenten, sondern gegenüber anderen Organen geschehen, um die Würde des Amtes des Präsidenten unter allen Umständen zu wahren. Es wird nicht der Bundespräsident, sondern die Bundesregierung in peinliche Situationen kommen können. Wenn Herr Dr. Katz anführt, daß diese peinlichen Situationen zur Amtsniederlegung des Präsidenten führen könnten, so würde doch der gleiche Fall eintreten, wenn das Amt vorübergehend durch eine andere Person wahrgenommen würde. Es würde sich doch noch ungünstiger auf die Gesamtverhältnisse in Deutschland auswirken, wenn ein Ersatzmann, etwa der Präsident des Bundestags, dann zurücktreten müßte. Viel wichtiger wäre in einem solchen Fall, wenn etwa aus einem solchen Grund die Regierung zurücktritt, daß der Bundespräsident noch bleibt, um in der Lage zu sein, die Spannungen in etwa auszugleichen. Man sagt, daß es außerordentlich schwierig sei, in einer Zeit, in der das deutsche Volk seine volle Souveränität noch nicht wieder habe, den Posten des Staatsoberhauptes mit einem vollwertigen Mann zu besetzen. Ich darf darauf hinweisen, daß

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die Situation in Italien22) und Österreich23) bei Beendigung des Krieges ähnlich gewesen ist. Man hat sich aber in Italien und Österreich aus wohlerwogenen Gründen entschlossen, einen Bundespräsidenten zu bestellen. Die Entwicklung in Italien ist einfach verlaufen, da die Räumung dieses Landes durch die Besatzungsmächte sehr schnell erfolgt ist. Die Entwicklung in Osterreich zeigt, daß große Schwierigkeiten für seinen Bundespräsidenten bestehen. Sie sind dort erheblich größer als bei unserem vorläufigen Bundesgebiet, weil in Österreich der Bereich der vier Zonen, also auch die sowjetisch besetzte Zone, zum Staatsgebiet gehört und der Bundespräsident ständig mit den vier untereinander nicht einigen Besatzungsmächten verhandeln muß. Seine Lage ist dadurch sehr schwierig. Aber wenn Sie die österreichischen Verhältnisse überblicken, werden Sie zugeben, daß gerade das Vorhandensein des Bundespräsidenten in Österreich für das österreichische Volk in diesen Jahren von größter Bedeutung und größtem Wert gewesen ist. Das liegt zweifellos in der Person, die diesen Posten in Österreich innehat, Dr. Karl Renner24), ein Mann, der trotz seines Alters diese schwierige Situation mit größtem Takt und Geschick zu meistern versteht. Ich glaube, daß gerade die Herren von der Sozialdemokratie Verständnis und Anerkennung dafür haben, wie Herr Dr. Renner dieses Amt wahrnimmt und wie er es verwaltet. Ich glaube, das Beispiel, das der österreichische Bundespräsident Dr. Renner uns allen gibt, zeigt, daß wir in unserer Situation durchaus einen vollwertigen Bundespräsidenten wählen sollten, und daß wir anstreben müßten, uns die gleichen Voraussetzungen zu schaffen, wie sie in Österreich bestehen. Es ist darauf hingewiesen worden, daß es Länder gegeben hat, in denen das Amt des Bundespräsidenten auf die Dauer durch ein anderes Organ ausgeübt worden ist. Es handelt sich dabei um die kleineren baltischen Staaten, Estland und Lettland, die das Amt des Bundespräsidenten verbunden haben nicht mit dem Amt des Präsidenten des Bundestags, sondern mit dem Amt des Chefs der Regierung25). Das ist etwas anderes. Hier liegt eine Kombination zwischen zwei Exekutivorga22)

In Italien wurde nach der Landung der Alliierten auf Sizilien und bei Salerno am 11. Nov. 1943 eine Alliierte Kommission mit im wesentlich beratender Funktion eingesetzt; da Italien jedoch als mitkriegführendes Land eingestuft wurde, wurde der Staat zunächst nicht in die Vereinten Nationen aufgenommen. 23) Mit dem Kriegsende 1945 wurde Österreich als unabhängiger Staat wiederhergestellt. Am 27. April 1945 trat eine provisorische Staatsregierung mit Karl Renner als Staatskanzler zusammen und proklamierte die Wiedererrichtung der (Zweiten) Republik. Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920 in der Fassung von 1929 wurde im wesentlichen wieder in Kraft gesetzt. Österreich erhielt den Status einer gewaltenteilenden, repräsentativen, parlamentarischen und föderalistischen Demokratie zurück. Bis zur Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrages am 15. Mai 1955 durch die Bundesregierung und Vertreter der Siegermächte war Österreich in vier Besatzungszonen aufgeteilt, von denen die größte Zone die sowjetische war. 24) Karl Renner (1870–1950), Jurist, 1918–1920 Staatskanzler der Ersten Republik Österreich, Leiter der österreichischen Delegation bei den Verhandlungen in Saint-Germain, 1920–1934 Abgeordneter im Nationalrat 1931–1933 dessen erster Präsident, 1945–1950 österreichischer Bundespräsident. 25) In Lettland nahm 1918/19 der Vorsitzende des Lettischen Volksrates Janis Tschakste ˇ akste) (1859–1927) vorrübergehend die Aufgaben eines Staatsoberhauptes wahr. Vgl. (C dazu Der Parl. Rat, Dok. Nr. 11, S. 311, Anm. 44.

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nen vor, während bei dem vorliegenden Abänderungsvorschlag Dr. Katz die Verbindung zwischen einem Exekutivorgan und der Spitze des Legislativorgans vorgenommen wird. [S. 120] Ich glaube, daß diese Kombination sich sehr ungünstig auswirken würde, wenn wir uns überlegen, daß es sich nicht nur um die Würde des Amtes nach außen, sondern auch um die Würde des Amtes nach innen handelt. Mir scheint es bedeutungsvoll, daß von Anfang an das deutsche Volk zu dieser hohen Einrichtung in dem entsprechenden Verhältnis steht. Das Volk muß von vornherein die außerordentlich hohe Würde des Staatsoberhauptes richtig begreifen und erfassen. Es bestehen große Gefahren für die Würde dieses Amtes, wenn es durch den Präsidenten des Bundestags wahrgenommen wird. Das Volk wird ihn als den Bundespräsidenten sehen, aber es wird ihn andererseits auch in der Ausübung seines Amtes im Bundestag sehen. Ich kann mir nicht gut vorstellen, daß man eine Persönlichkeit findet – es mag sie geben –, die in der Lage ist, die oft stürmisch verlaufenden Verhandlungen im Bundestag zu meistern, und die gleichzeitig die hohen diplomatischen Fähigkeiten besitzt, die zur Wahrung des Amtes des Bundespräsidenten notwendig sind. Jedenfalls wird diese Persönlichkeit bei der Ausübung des Amtes als Bundestagspräsident sehr viel stärker in den ganzen politischen Kampf einbezogen, als es für die Würde des Amtes des Bundespräsidenten nach innen richtig ist. Dieser Mann wird sich nicht ohne weiteres den Auswirkungen der Tatsache entziehen können, daß er an den Beratungen und Abstimmungen innerhalb des Bundestags teilzunehmen hat. Er wird sich ferner bei wichtigen Debatten gelegentlich nicht der Notwendigkeit entziehen können, auch einmal – wie das in den Parlamenten der Fall ist – als persönlich gewählter Abgeordneter seines Wahlkreises das Wort zu ergreifen. Oder er muß dort sogar in einen Wahlkampf selber eingreifen. Alle diese Dinge werden ihn in seiner Tätigkeit als Bundespräsident herabsetzen; sie werden nicht nur ihn, sondern auch die Würde des Amtes nach innen herabsetzen. Dagegen habe ich die allergrößten Bedenken. Demzufolge habe ich meinen Antrag eingebracht26), der dahin geht, daß für den Fall, daß der Antrag Dr. Katz angenommen wird, eine Vertretung des Bundespräsidenten nicht durch den Präsidenten des Bundestags, sondern durch den Präsidenten des Bundesrats zu erfolgen hat. Wir haben in Art. 79 des Verfassungsentwurfs die Bestimmung aufgenommen, daß der Bundespräsident im Falle seiner Verhinderung durch den Präsidenten des Bundesrats vertreten wird. Es erscheint mir daher nur logisch, daß bis zur Wahl eines Bundespräsidenten seine Vertretung in gleicher Weise und nicht durch den Präsidenten des Bundestags wahrgenommen wird. In der Verfassung erscheint der Präsident des Bundesrats gleichzeitig als Vertreter der Exekutive. Insofern würden hier die Bedenken einer Mischung zwischen Exekutive und Legislative nicht so stark in Erscheinung treten. Er ist außerdem Repräsentant der gesamten Länder, und ebenso wie bisher die Militärgouverneure mit der Konferenz der Ministerpräsidenten und dem Vorsitzenden dieser Konferenz zu verhandeln hatten, würde das von dem Präsidenten des Bundesrats solange übernommen werden, bis ein Bundespräsident gewählt werden kann.

26)

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Für den Antrag von Seebohm vgl. oben S. 287 f.

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Grundsätzlich lehne ich den Antrag von Herrn Dr. Katz ab, weil ich der Auffassung bin, daß das deutsche Volk dringend eines Bundespräsidenten bedarf. Ich lehne den Antrag weiterhin deshalb ab, weil bei der Durchführung des Antrages Dr. Katz die Würde des Amtes nach innen gefährdet ist und weil das für die Zukunft und die Entwicklung des neuen Deutschland eine starke Belastung sein könnte. Ich bin ferner der Auffassung, daß, falls der Antrag Dr. Katz angenommen wird und der Bundespräsident jetzt noch nicht gewählt werden soll, nur der Präsident des Bundesrats seine Vertretung übernehmen kann. Dr. Süsterhenn (CDU): Wir sind nach der ganzen politischen Situation darauf angewiesen, dieses Verfassungswerk auf der Basis eines Vertrauensverhältnisses auch zu den Besatzungsmächten zustande zu bringen. Wenn wir das nicht wollten, würden wir die politische Situation verkennen, in der wir uns befinden. Es scheint mir nicht zweckmäßig zu sein, dieses Vertrauensverhältnis von vornherein dadurch zu belasten, daß wir die Vermutung einer politischen Taktlosigkeit der Besatzungsmächte geradezu verfassungsrechtlich in einem besonderen Artikel, wenn auch in den Übergangsbestimmungen, verankern. Aus diesen außenpolitischen Erwägungen würde ich eine solche Regelung für äußerst bedenklich halten. Wir sind uns alle darüber klar, daß die wesentlichste Funktion eines Bundespräsidenten darin besteht, die pouvoir neutre auszuüben, das heißt den ausgleichenden Faktor zu bilden, die vielfach divergierenden politischen und wirtschaftlichen Interessen zusammenzufassen und miteinander zu versöhnen. Gerade der Bundestagspräsident wird aber niemals in der Lage sein, diese pouvoir neutre27) auszuüben. Wie Herr Dr. Seebohm bereits richtig ausgeführt hat, wird es mitunter unvermeidlich sein, daß der Bundestagspräsident lebhaft und aktiv in die politischen Streitigkeiten des Parlaments eingreift. Ich erinnere an seine Gewalt bei der Wahrung der Geschäftsordnung. Er wird Abgeordneten Ordnungsrufe erteilen müssen und Abgeordnete sogar unter Umständen von der Sitzung ausschließen müssen. Alles das zieht den Bundespräsidenten, der die pouvoir neutre zu repräsentieren hätte, mitten in den parteipolitischen Streit hinein. Weiter habe ich erhebliche Bedenken dagegen, eine so enge Verknüpfung zwischen Exekutive und Legislative vorzunehmen, und zwar in einer Form, die nur in den Länderverfassungen der Ostzone ein Vorbild hat, wo die gesamte Kompetenz beim Landtagspräsidenten vereinigt ist und wo man den Landtagspräsidenten geradezu zum Staatsoberhaupt gemacht hat, weil man von dem Gedanken der totalen Machtkonzentration beim Parlament ausgeht. Wenn hier als Begründung vorgebracht wurde, daß die beantragte Übergangsregelung notwendig sei, weil Schwierigkeiten entstehen könnten, die mit der Würde des Präsidenten und damit des deutschen Volkes nicht vereinbar seien, und daß man deshalb abwarten müsse, bis die Staatshoheit des deutschen Volkes wieder voll gesichert sei, so bin ich demgegenüber der Auffassung, daß gerade ein Bundespräsident in der Lage wäre, auf Grund seines Amtes an der Wiedergewinnung der 27)

Den Begriff des „pouvoir neutre“ brachte der Abg. Lehr (CDU) in der 5. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 23. Sept. 1948 in die Diskussion ein. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/1, Dok. Nr. 5, S. 119.

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vollen deutschen Staatshoheit sehr aktiv und sehr entscheidend mitzuwirken. Je stärker das deutsche Volk sein politisches Selbstbewußtsein und seinen Staatswillen in dieser Verfassung zum Ausdruck bringt, desto weniger wird die internationale Welt in der Lage sein, dem deutschen Volk die totale politische Gleichberechtigung in der internationalen Sphäre vorzuenthalten. Ich erblicke gerade in dem Bundespräsidenten einen erheblichen Faktor zur Wahrung des Souveränitätsrechts des deutschen Volkes, einen Faktor, der uns in unserem Kampf um die Aufrichtung der deutschen Selbständigkeit unterstützen kann. Dr. von Brentano (CDU): Ich möchte nicht wiederholen, was bereits gesagt wurde; ich stimme dem, was Herr Walter und Herr Dr. Süsterhenn ausgeführt haben, vorbehaltlos zu. Ich möchte mich darauf beschränken, festzustellen, daß auch ich keinen sachlichen Grund dafür einsehe, warum wir uns bereits bei der Schaffung der Verfassung selber entmachten und auf eine meines Erachtens integrale Voraussetzung zur Stabilisierung der politischen Verhältnisse und zur Wiedererrichtung einer vollen Souveränität verzichten sollten. Ich möchte vor allem auf einen Gesichtspunkt hinweisen, der vielleicht noch nicht deutlich herausgestellt wurde, und ich möchte die Herren, die diesen Antrag gestellt haben, bitten, unter dieser Erwägung den Antrag noch einmal zu überprüfen. Ich würde in der Annahme des vorgeschlagenen Artikels den Beginn einer höchst bedenklichen, um nicht zu sagen gefährlichen, staatsrechtlichen Fehlentwicklung sehen. Der Parlamentspräsident ist kein Organ des Staates, sondern des Parlaments. Der Parlamentspräsident beruht, geschichtlich gesehen, auf den Erfahrungen im englischen Parlament. Seine Wurzeln gehen auf den Speaker des englischen Parlaments zurück28). Er ist derjenige, der die Ordnungsgewalt im Parlament ausübt, der erste Mann im Parlament. Aber – ich wiederhole – er [S. 121] ist kein Organ des Staates. Wir sollten ihn nicht dazu machen. Wenn wir uns zum Beispiel daran erinnern, daß der Parlamentspräsident in Frankfurt die vom Wirtschaftsrat beschlossenen Gesetze ausgefertigt hat29), so ist das etwas, was wir alle als staatsrechtliche Anomalie empfunden haben. Es kommt folgendes hinzu: Es ist gute parlamentarische Usance, daß der Parlamentspräsident von der stärksten Partei gestellt wird und daß der Repräsentant der stärksten Partei dieser Ursache entsprechend ohne Diskussion zum Sprecher des Parlaments bestimmt wird30). Wenn wir den Art. 147a in dieser Fassung annehmen, wird schon bei der Bestellung des Parlamentspräsidenten ein politischer Machtkampf ausgetragen werden. Denn die Frage, wie lange diese Personalunion zwischen Sprecher des Parlaments und Bundespräsident bestehen wird, ist nicht abzusehen. Ich würde außerdem der Meinung sein, daß es mit der Würde eines neuen Präsidenten schwer vereinbar wäre, wenn er letzten Endes seine Existenz nicht der Verfassung, sondern einem ad hoc geschaffenen Bundesgesetz verdanken würde. Ich sehe die staatsrechtliche Fehlentwicklung gerade darin, daß 28)

Zum Amt des Speaker im Kontext der Entwicklung des Amtes des Parlamentsspräsidenten vgl.: Feldkamp: Bundestagspräsident, S. 91–93. 29) Dazu keine Hinweise bei Vogel: Westdeutschland, Teil I, S. 36–38. 30) Die ungeschriebene Regelung, dass der Parlamentspräsident von der stärksten Partei gestellt wird, wurde erst im Deutschen Reichstag der Weimarer Republik im Juni 1920 begründet, blieb aber schon bei der Wahl des Reichstagspräsidenten Max Wallraff im Mai 1924 unbeachtet. Vgl. dazu Feldkamp: Bundestagspräsident, S. 99–101.

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wir – darin stimme ich Herrn Süsterhenn bei – dann eine Entwicklung erleben würden, die der der Volksdemokratien entspricht, wo man aus ganz anderen Gründen den Parlamentspräsidenten zum ersten Mann im Staate gemacht hat, an Stelle des Mannes, der in dem von uns beschlossenen Wahlmodus auf breitester Basis durch das Vertrauen des gesamten deutschen Volkes erkoren wird und der auch Sprecher des deutschen Volkes und dessen Repräsentant sein soll. Ich würde bitten, unter diesem Gesichtspunkt den Antrag einer Nachprüfung zu unterziehen, weil ich glaube, daß die Entwicklung, die wir dadurch einleiten, nicht im Interesse des Staates liegt, den wir schaffen wollen. Dr. Heuss (FDP): An diesem Antrag ist ungeschickt, daß die Situation des Bundestagspräsidenten stärker in der Legislative verankert ist als in der Exekutive. Das ist unzweifelhaft ein Konstruktionsfehler, der aber in sich bereits das Provisorische anzeigt. Wenn ich den Antrag richtig verstehe, so ist in unserer Situation mit der Heraushebung der Institution des Bundespräsidenten als solcher gegenüber dem, was in Herrenchiemsee geplant war, für mein Gefühl ein wesentlicher Fortschritt erzielt, weil dort das Provisorische in dem Direktorium einen etwas zu offenen Charakter gehabt hat. Wenn ich den Antrag richtig interpretiere, so braucht er nicht als eine Mißtrauenskundgebung an die Besatzungsmächte gedeutet zu werden, wie er ein paarmal hier beschrieben worden ist. Wenn der ursprünglich rein provisorische Charakter des ganzen Unternehmens betont ist, dann ist mit der Zustimmung zur Institution des Bundespräsidenten das Tor schon aufgemacht, und es handelt sich nur um das Problem des Zeitpunktes. Von der Seite her hat es einen politischen Sinn, nicht einen staatsrechtlichen Sinn. Vom staatsrechtlichen Gesichtspunkt ist die Vermischung von Legislative und Exekutive zweifellos etwas, was die Sozialdemokraten selber nicht als eine Lösung, die für die Dauer gedacht sein könnte, ansehen. Es ist eine Bereitschaft, nun den Übergangszeitpunkt wahrzunehmen und zu sehen, wie die gesamtpolitische Lage sich entwickelt. Von der Seite her begreife ich den Antrag und bin bereit – ohne daß das eine Fraktionsbindung für uns bedeuten soll –, diesen Gesichtspunkt zu akzeptieren in der sicheren Erwartung, daß die Trennung zwischen Legislative und Exekutive sich aus der Entwicklung ergeben wird, wenn der politische Zeitpunkt dafür da ist. Dr. Katz (SPD): Ich darf wiederholen, es handelt sich nicht um einen eigentlichen Verfassungsartikel, sondern um einen Artikel der Übergangsbestimmungen. Es soll lediglich durch die kommende gesetzgebende Körperschaft festgestellt werden, wann diese Verfassungsbestimmung, die wir bereits erledigt und beschlossen haben, in Kraft treten soll. Infolgedessen gehen die staatsrechtlichen Erwägungen, die vorgebracht wurden, am Kern der Sache vorbei. Es handelt sich um echte politische, nicht staatsrechtliche Erwägungen. Wir kommen in ein Stadium der Ungewißheit, wenn das Bonner Verfassungswerk in Kraft tritt. Dieses Bonner Verfassungswerk soll bestimmte außen- und innenpolitische Veränderungen bringen. Es soll ein Teil der fehlenden Souveränität auf uns zurückübertragen werden; nicht die volle Souveränität – das wissen wir –, aber ein Teil. Ein Schaden geschieht durch ein solches Provisorium nicht, das, wie gesagt, keinen verfassungsrechtlichen Charakter hat, sondern nur eine Wartefrist einschaltet. Ich glaube, die Herren von den Parteien, die sich gegen den Vorschlag ausgesprochen haben, sind sich darüber klar, daß die Stellung des Staatspräsidenten durch die heutigen Zustände

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beengt, wenn nicht unmöglich wäre. Er wäre, wenn die Eingriffsmöglichkeiten der Besatzungsmächte in dem Umfang weiterbestehen, in eine unwürdige Position gedrängt. Wir wollen – das ist der Sinn unseres Antrags – abwarten, wie das Bonner Grundgesetz sich in der politischen Praxis auswirkt, um dann die gesamten Artikel aus dem Abschnitt über den Präsidenten in Kraft zu setzen. In dieser kurzen Zwischenzeit muß ein Vertreter gefunden werden, und ich glaube, daß das der Bundestagspräsident sein kann. Von den drei klassischen Funktionen eines Präsidenten – Oberbefehl über die Wehrmacht, Vertretung in außenpolitischen Angelegenheiten und pouvoir neutre bei einer Kabinettskrise – fallen die beiden ersten automatisch weg. Es bleibt nur die dritte Funktion, die pouvoir neutre übrig; diese kann für kurze Zeit sehr wohl vom Bundestagspräsidenten wahrgenommen werden. Ich hoffe mit den Herren von den anderen Parteien, daß diese Übergangsregelung nur sehr kurz sein wird. Daher bitte ich, dem Antrag stattzugeben. Dr. Lehr (CDU): Herr Dr. Katz sprach von einem Stadium der Ungewißheit, einem Stadium des Abwartens. Wenn sich ein Volk eine Verfassung gibt, ist es selbstverständlich, daß alle in der Verfassung vorgesehenen Organe, welche immer es sein mögen, möglichst schnell in Wirksamkeit treten. Es ist ein Unding, daß man in der Verfassung die Möglichkeit vorsieht, das Wirksamwerden solcher für notwendig erkannten Organe auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben. Ich möchte aus diesem Grund das Stadium der Ungewißheit durch die in der Verfassung klar ausgesprochene Verpflichtung beseitigt sehen, sofort die erforderlichen Organe zu schaffen. Wir vertreten stets das machtverteilende Prinzip. Hier versuchen wir wieder eine Gewaltanhäufung. Es liegt weiterhin ein Antrag des Redaktionsausschusses vor, den Bundeskanzler gleichzeitig zum Präsidenten der zweiten Kammer zu machen. Ich sehe in allen diesen Vorgängen einen Verstoß gegen das machtverteilende Prinzip. Es ist leider eine Tatsache, daß das Sprichwort: „Viele Köche verderben den Brei“ auch auf unsere Beratungen Anwendung findet. Ich bin der Ansicht, daß in manchen Teilen die Beschlüsse der Fachausschüsse besser sind als das, was nachher in sie hineingeheimnißt wird. Ich muß mich gegen die Annahme des vorgeschlagenen Art. 147a aussprechen. Dr. Pfeiffer (CSU): Herr Dr. Katz hat ausgeführt, es würde durch sein Provisorium kein Schaden angerichtet. Er hat auf die politische Seite des hier in Frage stehenden Vorschlags hingewiesen. Ich glaube, daß durch ein solches Provisorium ein außerordentlich großer politischer Schaden entstehen wird. Man würde im ganzen deutschen Volk der Auffassung sein, daß wir selber nicht das Vertrauen zu dem Werk haben, das wir hier in Bonn schaffen, und daß wir selber nicht an den großen Schritt nach vorwärts glauben. Es ist möglich, daß, wenn wir im Augenblick eine Art von Präsidenten hätten, seine Stellung sehr unangenehm, unwürdig und vielleicht geradezu unmöglich wäre. Aber der Sinn unserer Aufgabe ist, uns einen großen Schritt voranzuführen. Die Würde des Bundespräsidenten, der als erster an die Spitze des Bundes zu treten hat, rührt nicht von fremder Seite her. Seine Würde kommt von den Vertretern des deutschen Volkes, die ihn wählen werden, und es wird seine Hauptaufgabe sein, die Verkörperung der Würde des deutschen Volkes darzustellen. Wenn Herr Kollege Katz [S. 122] gesagt hat, daß das klassische Recht der Vertretung in außenpolitischen Dingen wegfalle, so glaube ich gerade umgekehrt, daß für den Mann, der als erster an die Spitze des Bundes treten wird, die

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Vertretung des deutschen Volkes nach außen hin eine seiner Hauptaufgaben darstellen wird. Den staatsrechtlichen Ausführungen der Herren Vorredner habe ich nichts hinzuzufügen. Ich bin aber auch aus praktischen Gründen dagegen, daß man die Institution des Bundespräsidenten aussetzt. Es muß für den Bundespräsidenten, der vielfach umrissene und umschriebene Aufgaben zu erfüllen hat, ein eigener Apparat aufgebaut werden, ebenso ein eigener Apparat für den Präsidenten des Parlaments. Soll nun der Apparat für den Bundespräsidenten in diesem entscheidenden Zeitpunkt von Kräften aufgebaut werden, die noch gar keine Vorstellung haben, wer sich dieses Apparates bedienen soll? Man wird zum Bundespräsidenten einen Mann wählen, der große Erfahrung in allem hat, was zur Führung der Geschäfte eines großen Staatsgebietes gehört. Ich halte es für schlechterdings unmöglich, daß ein und die gleiche Person den Pflichten des Amtes eines Parlamentspräsidenten und gleichzeitig den Pflichten des Amtes eines Bundespräsidenten gerecht wird. Wenn wir so überlegen, wird wohl eine ganze Anzahl von Monaten des neuen Jahres vergehen, bis die in der Verfassung vorgesehenen Organisationen stehen und ihre Arbeit aufnehmen können. Wir werden in dieser Zeit sicher eine große Reihe von Aufgaben zu bewältigen haben, so daß jede Institution, die in der Verfassung vorgesehen ist, mit Arbeiten und Pflichten eingedeckt sein wird. Ich halte es für unmöglich, daß gerade dann, wenn sowohl der Parlamentspräsident wie insbesondere auch der Bundespräsident ganz ungewöhnliche einmalige und erstmalige Aufgaben von größter Tragweite zu erfüllen haben, ein und dieselbe Person geistig und körperlich die Aufgaben beider Ämter gleichzeitig erfüllt. Man sagt, das Provisorium werde wohl nur von kurzer Dauer sein. Dagegen habe ich etwas einzuwenden. Wenn dieses Grundgesetz beschlossen ist, werden wir in Deutschland Wogen von politischen Vorgängen und Erregungen haben. Es kommt die Entscheidung über die Verfassung, erst durch die Besatzungsmacht, dann die Ratifizierung durch die Länder, dann die Wahl des Bundestags, die Konstituierung des Parlaments, die Konstituierung des Bundesrats; die wird einfacher und rascher gehen. Dann soll man es nicht zu einem Interregnum kommen lassen, um schließlich einige Zeit später die ganzen politischen Kräfte noch einmal wegen der Wahl des Bundespräsidenten zu mobilisieren. Die staatsrechtlichen Erwägungen allein halte ich schon für maßgebend und entscheidend. Die technischen Dinge, die ich vorgebracht habe, halte ich für noch wichtiger. Die moralisch-politische Seite halte ich für ganz ungewöhnlich bedeutsam, daß wir nämlich dahin kommen sollten, nicht nur die in diesem Grundgesetz vorgesehenen Körperschaften und Institutionen ins Leben treten zu lassen, sondern vor allem den Blick des deutschen Volkes auf bedeutende Persönlichkeiten zu richten, die im Vordergrund stehen und die die Verantwortung für das Geschehen der kommenden Jahre tragen. Renner (KPD): Bisher konnte man der Auffassung sein, daß die Sozialdemokratische Partei nur deshalb zu dieser Zwischenlösung greift, weil ihr die Notwendigkeit gegeben scheint, den Charakter des westdeutschen Separatstaates, der geschaffen wird, zu verwischen. Man konnte der Meinung sein, daß die SPD diesen westdeutschen Staat als Provisorium ansieht und daß möglichst bald der Anschluß Ostdeutschlands erwartet wird. Heute hat uns Herr Dr. Katz eine andere Erklärung

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gegeben. Er hat gesagt: Da der Bundespräsident die Funktionen nicht ausüben kann, die ihm normalerweise und üblicherweise zustehen – wie die Ausübung der obersten Befehlsgewalt über die Land-, Luft- und Seestreitkräfte usw. –, da wir damit rechnen müssen, daß dieser Bundespräsident die Vollmachten nicht erhält, die er nötig hat, um sein Amt vollkommen ausüben zu können, schlagen wir diese Zwischenlösung vor. Meiner Meinung nach ist die ganze Streitfrage nur die, ob man mehr oder minder offen zugeben und aussprechen will, daß dieser zu bildende Weststaat ein Dauerzustand sein soll. Das ist meines Erachtens der einzige Inhalt dieser Streitfrage. Wenn die Tätigkeit des Bundespräsidenten von Österreich lobend zitiert und wenn gesagt worden ist, daß dessen Tätigkeit sehr gute Auswirkungen für das gesamte Volk nach sich ziehe, dann darf man doch nicht übersehen, daß der Bundespräsident von Österreich Bundespräsident von ganz Österreich ist und daß er die Möglichkeit hat, mit allen Besatzungsmächten zusammenzuarbeiten und gegen eventuelle schädliche Absichten der einen oder anderen Besatzungsmacht seinen Einfluß geltend zu machen. Der Bundespräsident, den Sie hier verfassungsmäßig unterbauen, ist Bundespräsident eines Teiles von Deutschland. Die Vollmachten, die er hat, gibt ihm die Militärregierung und nicht das deutsche Volk. Wie die Vollmachten aussehen werden, das wissen wir in etwa, nachdem uns bekanntgegeben wurde, daß unser Verfassungsentwurf zweitrangig rangiert hinter dem Besatzungsstatut, das wir immer noch nicht kennen. Ich bin also der Meinung, daß wir es langsam aufgeben sollten, die Fiktion aufrechtzuerhalten, daß Sie nur ein Provisorium schaffen wollen. Weil der ganze Streitfall, wie er heute diskutiert worden ist, nur darum geht, das Gesicht zu wahren, bin ich an dieser Streitfrage und ihrer Fortsetzung nicht interessiert. Ich werde mich bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Aufnahme des Art. 47a. – Der Antrag ist mit 10 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Man muß dann vielleicht noch einen Wahlmodus für den ersten Bundespräsidenten Vorsehen. Dr. Katz (SPD): Das muß in die Übergangsbestimmungen hinein. Wir können nicht warten, bis ein Gesetz ergangen ist. Die Bestimmung muß vorher dasein. Es ist Sache des Organisationsausschusses, sich darüber Gedanken zu machen31). 31)

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Im stenograph. Wortprot., S, 53, folgt danach: „Ich nehme an, daß der Plan besteht, daß das Kapitel über die Länderkammer nunmehr zur Diskussion gestellt wird. Ich möchte aus zwei Gründen bitten, schon jetzt die Mittagspause eintreten zu lassen und heute Nachmittag früher zusammenzutreten. Der erste Grund ist, daß eine Fraktion überhaupt noch nicht vertreten ist, weil der Anmarschweg wegen des Nebels schwierig ist, daß es aber angebracht ist, daß bei diesem wichtigen Kapitel alle Fraktionen vertreten sind. Der zweite Grund ist, daß von der CDU/CSU ein neuer Antrag zugegangen ist über dieses Kapitel und daß daher unsere Fraktion darüber noch zur Beratung zusammentreten muß. Walter (CDU): Vielleicht könnten wir noch über den letzten Antrag oder Beschluß des Redaktionsausschusses, der hier auf der Rückseite steht, beraten. Das würde keine Schwierigkeiten machen; es ist eine ganz einfache Sache. Dr. Katz (SPD): Das könnten wir jetzt schon erledigen. Ich wäre damit einverstanden. Es handelt sich um die Frage, daß der Rücktritt des Bundespräsidenten incidenter in der Verfassung verankert werden soll.“

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können noch den Abs. 1 von Art. 79 der Vorlage des Organisationsausschusses (PR. 12.48 – 304)32) erledigen. Es heißt dort: (1) Der Bundespräsident wird im Falle seiner Verhinderung durch den Präsidenten der Länderkammer vertreten. Das gleiche gilt für die einstweilige Vertretung beim Rücktritt des Bundespräsidenten oder bei sonstiger vorzeitiger Erledigung des Amtes. Auf diese Weise ist festgestellt, daß der Präsident zurücktreten kann. Die Modalitäten werden in das Wahlgesetz hingenommen. Das Wort wird hierzu nicht gewünscht. – Dann erkläre ich die Fassung in der verlesenen Form für angenommen33). Der Hauptausschuß vertagt sich auf den Nachmittag des 30. November 1948, 15 Uhr. Schluß der Sitzung 11.40 Uhr.

32)

Drucks. Nr. 304 enthält das Kurzprot. der 22. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes vom 24. Nov. 1948. Vgl. dazu die Edition des stenograph. Wortprot. in: Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 30, S. 831–833. Das Kurzprot. enthält ferner im Anhang eine Zusammenstellung der in der 22. Sitzung des Ausschusses beschlossenen Fassung der Art. 75, 79 Abs. 1 und 147a. vom 24. Nov. 1948; ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 31, S. 837 f. 33) Im stenograph. Wortprot. S. 54, folgt danach: „Wir haben das letzte Mal beschlossen, nunmehr durchzutagen und ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wie wir das Programm einrichten könnten. Ich meine, es wäre möglich, daß wir bis 4. 12. in erster Lesung durchkommen, daß wir weiter bis 8. 12. mit der zweiten Lesung im Hauptausschuß durchkommen und daß dann bis 15. 12. die erste Lesung im Plenum sollte durchgeführt werden können. Weiter hinaus zu denken wage ich noch nicht. Dann wären noch die Berichterstatter zu bestimmen für die Berichterstattung des Hauptausschusses im Plenum. Folgende Abschnitte sind fertig und es könnte sich empfehlen, hierfür schon die Berichterstatter zu bestimmen: Die allgemeinen Bestimmungen Art. 21 bis 29, Bund und Länder, Art. 30 bis 44, Bundestag, Art. 45 bis 64, Bundespräsident, Art. 75 bis 85, Bundesregierung, Art. 86 bis 96. Ich glaube, diese Einteilung würde sich auch für die Berichterstattung empfehlen. Vielleicht können bis heute Nachmittag von den Fraktionen Vorschläge gemacht werden über die Mitglieder dieses Ausschusses oder des Hauses, die mit der Berichterstattung beauftragt werden. Dr. Seebohm (DP): Sollte man nicht die Berichterstatter der betreffenden Fachausschüsse bitten, die Berichterstattung im Plenum zu übernehmen? Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir werden uns morgen darüber schlüssig werden. Dr. Seebohm (DP): Es ist das letzte Mal besprochen worden, daß wir am Mittwoch mit der Finanzfrage beginnen sollen und daß die Herren von den Länderregierungen nur zu dieser zeit hier sein können. Darf ich fragen, zu welchem Zeitpunkt wir damit rechnen können, daß wir mit dem Finanzwesen beginnen? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich nehme an, daß wir morgen Nachmittag beginnen und ich denke, daß wir zunächst eine Art allgemeine Aussprache halten werden. Die Herren der Länderregierungen haben dann die Möglichkeit, sich zum Wort zu melden. Dr. Lehr (CDU): Ich bitte, den morgigen Nachmittag für Fraktionssitzungen freizuhalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wollen wir nicht grundsätzlich den Donnerstag nehmen? Dr. Seebohm (DP): Es ist von verschiedenen Finanzministern gebeten worden, die Beratungen am Mittwoch zu halten, da die Herren nur am Mittwochnachmittag anwesend sein können, weil sie am Donnerstag eine Sitzung in Frankfurt haben. Ich bin der Auffassung, daß wir den Herren, nachdem sie sich zur Verfügung halten, am Mittwochnachmittag Gelegenheit geben müssen, das Wort zu ergreifen.“

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Nr. 11 Elfte Sitzung des Hauptausschusses 30. November 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 123–138. PA 2004. Ungez. von Koppert gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 515 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: von Brentano, de Chapeaurouge, Fecht, Kaufmann, Laforet, Lehr, Strauß, Süsterhenn SPD: Bergsträsser, Greve, Katz, Löwenthal, Maier, Schmid (Vors.), Stock, Wolff FDP: Becker, Heuss DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Wessel (Zentrum), Zinn (SPD) Stenographischer Dienst: Koppert Dauer: 15.16–18.15 Uhr

[1. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT V: DER BUNDESRAT]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich schlage vor, heute nachmittag den Abschnitt V Der Bundesrat zu beraten, und zwar am besten wohl nach der Vorlage, die wir dem Allgemeinen Redaktionsausschuß (PR. 11.48 – 310)3) verdanken. Zu diesem Abschnitt sind eine Reihe von Anträgen angekündigt worden, teils Anträge zu Einzelfragen, teils Anträge, die in einem systematischen Zusammenhang zum ganzen Abschnitt stehen. Das richtige Verfahren wird sein, über die Anträge jeweils bei den einzelnen Artikeln abzustimmen. Es dürfte sich auch gelegentlich empfehlen, Gruppen von Artikeln zusammenzufassen, weil Inhalt und Fassung einzelner Artikel sich nach vorausgehenden Formulierungen richten.

[1.1. ART. 65: MITWIRKUNG DER LÄNDER]

Ich rufe auf

Art. 65 Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mit. Dr. Katz (SPD): Dieser Artikel war in den Anträgen, die die SPD-Fraktion zu die-

1)

Protokollführer von Viereck und Matz. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Die Drucks. Nr. 310 vom 26. Nov. 1948 ist ediert im Zusammenhang mit den übrigen Stellungnahmen des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 10. Nov. bis 5. Dez. 1948 in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 56 f. 2)

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sem Abschnitt (PR. 11.48 – 300)4) eingereicht hat, gestrichen. Es handelt sich hier um eine relativ unwichtige Frage; denn dieser Artikel hat nicht konstitutiven, sondern rein deklaratorischen Charakter. Wir wären auch mit der Fassung, die uns der Redaktionsausschuß vorlegt, einverstanden, weil wir nicht sehen, daß dadurch irgendein Schaden geschehen kann. Dagegen halte ich den Antrag der CDU/CSU-Fraktion, wonach die Länder durch den Bundesrat nicht nur bei der Gesetzgebung und Verwaltung, sondern auch bei der Regierung des Bundes mitwirken, nicht für angebracht. Die Mitwirkung des Bundesrats erstreckt sich in erster Linie auf die Gesetzgebung, in einigen Fällen auch auf die Verwaltung. Das Wort „Regierung“ halten wir auf jeden Fall für überflüssig. Wir stimmen daher der Fassung des Redaktionsausschusses zu. Dr. Süsterhenn (CDU): Die Formulierung, daß der Bundesrat auch bei der Regierung des Bundes mitzuwirken hat, ist aus dem Herrenchiemseer Entwurf5) übernommen. Wir haben dabei an die Funktion der sogenannten Legalitätsreserve des Bundesrats gedacht. Wir haben diesen Gedanken grundsätzlich noch nicht abgeschrieben. Angesichts des deklaratorischen Charakters dieser Bestimmung klammern wir uns aber nicht unbedingt an die Beibehaltung des Wortes „Regierung“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie können sich für die zweite Lesung noch einen entsprechenden Antrag vorbehalten. Man wird dann sehen, wie es um die Legalitätsreserve des Bundesrats bestellt ist. Dr. Becker (FDP): Der Antrag der FDP vom 18. November 1948 (PR. 11.48 – 296)6) geht dahin, den Art. 65 in der Fassung des Organisationsausschusses zu streichen. Der Artikel bringt an sich nichts Neues. Die Funktionen des Bundesrats ergeben sich klar aus den nachfolgenden Bestimmungen. Ich möchte daher den Antrag der FDP auf Streichung des Art. 65 zur Abstimmung stellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zunächst über den Art. 65 in der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Art. 65 ist mit 14 Stimmen angenommen.

[1.2. ART. 66 UND 67: ZUSAMMENSETZUNG DES BUNDESRATES]

Wir kommen zu Art. 66. Dr. Katz (SPD): Ich empfehle, die Art. 66 und 67 gemeinschaftlich zu beraten, weil sie zusammengehören. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dieses Verfahren scheint mir zweckmäßig zu sein. Vor allem in Anbetracht der uns vorliegenden Varianten empfiehlt es sich nicht, über Art. 66 zu beschließen, ohne uns gleichzeitig bei Art. 67 über die Variante II des Redaktionsausschusses und über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU7) schlüssig 4)

Vgl. Drucks. Nr. 300. Art. 65 des Grundgesetzentwurfes des Verfassungskonventes auf Herrenchiemsee: „Durch den Bundesrat (Senat) wirken die Länder bei der Gesetzgebung, der Regierung und der Verwaltung des Bundes mit.“ Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 592. 6) Vgl. Drucks. Nr. 296. 7) Für den Wortlaut des Antrags der CDU/CSU-Fraktion vom 29. Nov. 1948 vgl. die Umdrucks. Nr. S 6; abgedruckt bei Ley: Föderalismusdiskussion, S. 161–163, sowie Salzmann, S. 236–238. 5)

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zu werden. Wir haben hier keine eindeutige Vorlage, sondern eine Vorlage mit Varianten. Es heißt: Variante I: Der Bundesrat besteht aus Mitgliedern der Landesregierungen; sie werden von den Landesregierungen bestellt und abberufen. Jedes Land entsendet ein Mitglied; es kann durch ein anderes Mitglied seiner Landesregierung vertreten werden. Berlin steht insofern einem Lande gleich. Variante II: Der Bundesrat besteht aus Mitgliedern der Landesregierungen; sie werden von den Landesregierungen bestellt und abberufen. Sie können durch andere Mitglieder ihrer Landesregierungen vertreten werden. Dazu gehört die Variante II zu Art. 67: (1) Im Bundesrat hat jedes Land mindestens eine Stimme. Länder mit mehr als 2 Millionen Einwohnern haben zwei Stimmen, Länder mit mehr als 6 Millionen Einwohnern haben drei Stimmen. (2) Berlin hat zwei Stimmen. (3) Jedes Land kann so viel Mitglieder entsenden, wie es Stimmen führt. (4) Die Stimmen eines Landes können nur einheitlich abgegeben werden8). Dr. Katz (SPD): Die Fraktion der SPD beantragt, die Art. 66 und 67 zusammenzuziehen und sie in folgender Weise zu fassen: (1) Der Bundesrat besteht aus Mitgliedern der Landesregierungen. Sie werden von den Landesregierungen bestellt und abberufen. Sie können durch Bevollmächtigte vertreten werden. (2) Jedes Land entsendet drei Mitglieder. Die Stimmen eines Landes können nur einheitlich und nur durch ein anwesendes Mitglied oder einen Bevollmächtigten abgegeben werden. (3) Berlin hat das Recht, ebenfalls drei Mitglieder zu entsenden. An sich bedarf der Antrag überhaupt keiner Begründung; er ist aus sich selbst heraus verständlich. Der Kern des Antrags ist, daß die Länder als gleichberechtigte [S. 124] Staatspersönlichkeiten auch gleich behandelt werden sollen. Wir gehen hierbei vom föderativen Prinzip aus. Ich habe das Gefühl, als ob die Norddeutschen in diesem Punkt etwas föderativer sind als manche süddeutschen Länder, wie etwa Bayern. Wir wollen die gleiche Staatspersönlichkeit für jedes Bundesmitglied festgelegt sehen. Grundsätzlich soll jedes Land, jedes Glied des Bundes die gleiche Stimmenzahl haben. Die Differenzen sind gar nicht so groß, wie es zunächst erscheinen mag. Die Größendifferenzen sind in den Vereinigten Staaten weit erheblicher; sie schwanken zwischen 80000 bis 100 000 Einwohnern in Nevada und North-Dakota und 12 bis 13 Millionen in New York und Pennsylvania. Da ist also ein Bundesstaat 130mal so groß wie ein anderer. Aber jeder Amerikaner, der den Antrag stellen würde, daß die Bundesstaaten im Senat verschieden stark vertreten sind, würde als geisteskrank behandelt werden. In Deutschland sind die 8)

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Im stenograph. Wortprot., S. 4, folgt danach der Wortwechsel Heuss/Schmid: Dr. Heuss (FDP): Dann liegt auch noch ein Antrag der FDP vor. Es wird zwar ein Grabgesang sein, aber ich möchte ihn doch zur Debatte stellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ein Requiem kann auch sehr schön sein.“

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Differenzen weit geringer. Die zahlenmäßig kleinsten Staaten sind die Hansestädte. Aber diese haben eine Bedeutung, die über die Bevölkerungszahl hinausgeht. Sie sind Handels- und Schiffahrtszentren, teilweise auch Industriezentren. Wir glauben, daß bezüglich der Stimmen Unterschiede unter den Ländern nicht gemacht werden sollten. Unser Antrag sieht daher das gleiche Vertretungsrecht für alle Länder im Bundesrat vor. Dr. Süsterhenn (CDU): Mit der Beratung des Komplexes Bundesrat kommen wir an eines der Hauptprobleme des Staatsgrundgesetzes, vielleicht sogar an das Hauptproblem. Bevor ich deshalb zu den aufgerufenen Artikeln und den dazu gestellten Änderungs- und Ergänzungsanträgen Stellung nehme, möchte ich namens meiner Fraktion grundsätzlich folgendes erklären. Wir waren uns über zwei Punkte von vornherein im klaren, die wir für absolut wesentlich halten und an denen wir unter allen Umständen festzuhalten gewillt sind. Wir sind zunächst grundsätzlich der Meinung, daß wir hier nicht eine Verfassung à la Rousseau9) schaffen dürfen, also eine Konzentration der totalen Kompetenzenfülle bei dem Parlament, sondern daß wir daneben auch mit Montesquieu10) den Gedanken der Gewaltenteilung berücksichtigen müssen. Der Gedanke der Volkssouveränität würde in Form der repräsentativen Demokratie voll zum Durchbruch kommen, wenn das vom Volk gewählte Parlament der totale Träger aller Gewalt sein würde. In diesem Sinne erscheint mir cum grano salis die Gegenüberstellung von Rousseau und Montesquieu sachlich gerechtfertigt. Wir sind der Meinung, daß jede Konzentration der Machtmittel bei einer Instanz vom Bösen ist. Wie Kollege Dr. Lehr heute morgen in einem anderen Zusammenhang ausgeführt hat, vertreten wir grundsätzlich das machtverteilende Prinzip11). Wir wollen eine pluralistische Staatsgestaltung haben, eine Verteilung der Staatsgewalt auf eine Reihe von Organen nicht nur im Sinne der Gewaltenteilung in Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz gemäß der klassischen Theorie, sondern darüber hinaus im Sinne einer weiteren Verteilung der Macht. Diesen Gedanken der Machtverteilung glauben wir unter anderem am besten dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß neben dem Volksparlament, das aus der Volkswahl hervorgegangen ist, völlig gleichberechtigt in der Legislative eine andere Körperschaft in Gestalt der sogenannten zweiten Kammer steht. Daher sind wir uns innerhalb unserer Fraktion von vornherein auch darüber klar geworden, daß wir, gleichgültig wie die Struktur dieser zweiten Kammer im einzelnen sein mag, unter allen Umständen an der Forderung der Gleichberechtigung festhalten. Der zweite Grundsatz, der für uns maßgebend war, ist der: Wenn wir wirklich einen föderativen Staat aufbauen wollen, wird es notwendig sein, in entsprechender 9)

Jean Jacques Rousseau (1712–1778), franz. Schriftsteller und Wegbereiter der Französischen Revolution. Seine politischen Ideen fasste er in dem Werk „Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes“ zusammen. 10) Charles de Montesquieu (1689–1755), franz. Schriftsteller und Philosoph. Sein Werk „Vom Geist der Gesetze“ war eines der zentralen philosophischen Schriften der Aufklärung. 11) In der 10. Sitzung des HptA am 30. Nov. 1948 führte Lehr aus: „Wir vertreten stets das machtverteilende Prinzip. Hier versuchen wir wieder eine Gewaltanhäufung“. Vgl. dazu oben Dok. Nr. 10, S. 304.

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Weise die Länder als solche, als politische Einheiten, als in sich geschlossene Organismen an der politischen Willensbildung im Bund zu beteiligen. Abgesehen von diesen beiden Grundsätzen, über die wir uns a priori klar waren, haben wir erwogen, ob es nicht möglich ist, darüber hinaus noch die guten und fruchtbaren Gedanken irgendwie in das Staatsgrundgesetz einzubauen, die das Senatsprinzip in sich birgt. Wir haben nach Mitteln und Wegen gesucht, diesen Gedanken unter voller Aufrechterhaltung der beiden von mir soeben gekennzeichneten Grundsätze zum Zug kommen zu lassen. Kollege Dr. Heuss hat in der ersten Plenarsitzung den Gedanken einer Mischform aufgeworfen12), der dann später durch den Antrag Dr. Dehler konkretisiert worden ist13). Unser Kollege Dr. Lehr hat in einer späteren Plenarsitzung in weitgehender Übereinstimmung mit der Anregung von Dr. Heuss und Dr. Dehler namens meiner Fraktion und auch von sich aus den Gedanken eines Bundesrats mit senatorialer Schleppe, wie man es einmal genannt hat, entwickelt14). Nun mußten wir bei den späteren Beratungen feststellen, daß eine andere große Fraktion dieses Hauses jede Mischung von Bundesratsprinzip und Senatsprinzip kategorisch ablehnte, mit der Begründung, eine solche Mischung von Prinzipien trage eine Unklarheit in das ganze System hinein, sie verwische die eigentlichen Verantwortlichkeiten; man könne nicht feststellen, ob im Einzelfall Vertreter von Länderregierungen oder von den Landtagen gewählte Senatoren ein Gesetz zu Fall gebracht oder ihm zur Annahme verholfen hätten15). Um diese Kritik der mangelnden Klarstellung der Verantwortlichkeiten auszuräumen, hat unser Fraktionskollege Dr. Adenauer den Gedanken entwickelt, diese Verantwortlichkeiten nach außen hin dadurch zu klären, daß auf der einen Seite ein reines Zweikammersystem mit Abgeordnetenhaus und Senat entwickelt wird, auf der anderen Seite die berechtigten Interessen der Länder und die gesammelten Verwaltungserfahrungen der Länder in einem besonderen Länderorgan zur Geltung kommen16). Dieser Gedanke hat bei den anderen Parteien des Hauses, obwohl er zweifellos eine absolute Klarstellung der Verantwortlichkeiten beinhaltet, keine Gegenliebe gefunden. Dieser Vorschlag hätte durchaus die Grundlage zu einer Vereinigung der Gegensätze abgegeben; er konnte aber nicht weiter verfolgt werden, weil auf Grund interfraktioneller Besprechungen feststand, daß die CDU/CSU mit dem Vorschlag Dr. Adenauer allein auf weiter Flur gestanden hätte.

12) 13) 14) 15)

16)

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Vgl. dazu die Rede von Heuss in der 3. Sitzung des Plenums am 9. Sept. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 9, Dok. Nr. 3, S. 110 f. Für den Wortlaut des von Dehler gez. Antrags der FDP-Fraktion vom 23. Sept. 1948 vgl. Drucks. Nr. 77; ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 13, Dok. Nr. 5, S. 117 f., Anm. 8. Für den Wortlaut der Rede von Lehr in der 7. Sitzung des Plenums am 21. Okt. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 9, Dok. Nr. 7, S. 217–224. Zur Haltung der SPD vgl. die Rede von Katz in der 7. Sitzung des Plenums am 21. Okt. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 9, Dok. Nr. 7, S. 231–233. Vgl. dazu insbesondere die Darstellung in: Der Parl. Rat, Bd. 13/1, S. LXI–LXV. Der in der interfraktionellen Besprechung am 10. Nov. 1948 von der SPD abgelehnte Vorschlag von Präs. Adenauer über die Gestaltung von Bundesparlament und Länderkammer (Senat/Bundesrat) wurde am 16. Nov. 1948 als Drucks. Nr. 285 vervielfält. Der Vorschlag ist ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 11, Dok. Nr. 11, S. 48, Anm. 5.

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Unter diesen Umständen haben wir uns, um die beiden Hauptprinzipien, die Gleichberechtigung einer zweiten Kammer und eine entsprechende Vertretung der Länder als solcher, zu gewährleisten, entschlossen, uns zum reinen Bundesratsprinzip zu bekennen, und haben einen entsprechend artikulierten Antrag eingereicht. Wir wollten dabei in der Ausgestaltung des Bundesrats strukturell von der deutschen verfassungspolitischen Tradition ausgehen, wie sie im Bismarckschen Bundesrat und im Weimarer Reichsrat begründet ist. So soll sich der Bundesrat zusammensetzen aus Mitgliedern der Länderregierungen, die von ihren Regierungen bestellt und abberufen werden, die, ohne daß das ausdrücklich gesagt zu werden braucht, selbstverständlich den Weisungen ihrer Regierungen unterliegen, und die einzelnen Länder sollen entsprechend der Einwohnerzahl ein abgestuftes Stimmrecht im Bundesrat erhalten. In der Weimarer Verfassung war eine Bevölkerungsziffer von 750 000 Einwohnern für eine Stimme zugrunde gelegt17). Wir haben unserem Vorschlag eine Bevölkerungsziffer von 1 Million Einwohnern zugrunde gelegt, auf die jeweils eine Stimme fallen soll. Ein Land mit einer Einwohnerzahl unter 1 Million soll selbstverständlich auch eine Stimme erhalten, und auf einen Rest-Bevölkerungsbetrag von mindestens einer halben Million soll dem betreffenden Land eine weitere Stimme gegeben werden. Wenn wir dem Bundesrat die Eigenschaft eines Regulativs gegenüber der Volkskammer geben wollen, müssen wir grundsätzlich an dem Gedanken der Gleichberechtigung des Bundesrats festhalten. Selbst auf die Gefahr hin, von Amerikanern, wie Herr Kollege Dr. Katz so liebenswürdig erklärte, für geisteskrank angesehen zu werden, vertreten wir weiterhin den Standpunkt, daß es durchaus demokratisch ist, die Länder entsprechend ihrer Bevölkerungsstärke zur Geltung zu bringen. Wir halten es für unmöglich und untragbar, ein Land wie Bremen mit 400 000 Einwohnern mit derselben Stimmenzahl auszustatten und ihm denselben Einfluß zu gewähren wie etwa dem Land [S. 125] Nordrhein-Westfalen mit 12 Millionen Einwohnern. Eine solche Gleichmacherei würde an den Realitäten und den realen Machtfaktoren vorübergehen. Ohne die Bedeutung der Hansestädte schmälern zu wollen, sind wir der Meinung, daß in der Demokratie das Gesetz der Zahl herrscht. Dieses Gesetz kann nicht mit einer Handbewegung beiseite geschoben werden. Wir müssen daher an dem Prinzip der Verteilung der Stimmen unter Berücksichtigung der Bevölkerungsstärke der einzelnen Länder festhalten. Nach dem Vorschlag der SPD sind die einzelnen Länder im Bundesrat mit gleicher Stimmenzahl vertreten, während die Variante II, der Vorschlag des Redaktionsausschusses, eine gewisse Staffelung entsprechend der Bevölkerungsziffer bringt. Diese Staffelung genügt aber unseres Erachtens nicht; sie macht uns einen ziemlich groben, rein technischen Eindruck. Wir halten das Prinzip, den Ländern auf 1 Million Einwohner eine Stimme zu geben, für sauberer und mehr demokratisch. Dr. Seebohm (DP): Sie wissen, daß in den ersten Vollsitzungen des Parlamentarischen Rates sowohl der Vertreter des Zentrums wie der Vertreter der Deutschen Partei die Forderung nach einem echten Bundesrat erhoben hat. Auch ich habe da17)

Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 kannte eine solche Regelung nicht. Das Modellgesetz über den Parl. Rat nannte je 750000 Einwohner einen Abgeordneten. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 1, Dok. Nr. 15, S. 286.

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mals einen Bundesrat verlangt, der volle Kompetenzen hat. Ich ging davon aus, daß in einem föderalen Staat Volk und Länder den Bund aufbauen und daß auf des Bundesebene beide ihre gleichberechtigten Vertretungen haben müssen, das Volk durch den Bundestag, die Länder durch den Bundesrat. Der Versuch der beiden großen Fraktionen, an die Stelle des Bundesrats einen Senat zu setzen, ist bei uns vor allem deshalb auf Widerspruch gestoßen, weil wir im Senat keine echte Vertretung der Länder sehen können, sondern im Gegenteil befürchten müssen, daß durch einen Senat sich eine Art Überparlamentarismus einstellt. Wir haben aus den Erfahrungen anderer Demokratien den Schluß zu ziehen, daß ein solcher Überparlamentarimus eine der gefährlichsten Krankheiten der Demokratie überhaupt ist. Ich habe seinerzeit noch darauf hingewiesen, daß man in den alten föderalistischen Verfassungen gelegentlich auch mit drei Gremien gearbeitet hat, und zwar mit einem Bundesrat, der ein Exekutivorgan war, daneben mit einem Volkstag und einem Senat, aber dann mit einem Senat, der nicht in indirekter18) Wahl durch Länderlandtage gewählt wurde, sondern der, wie in den Vereinigten Staaten durch direkte Wahl in großen Wahlkreisen gebildet wurde. Als es schien, daß sich eine Mehrheit für den Bundesrat nicht finden läßt, hat man versucht, eine Verbindung zwischen den beiden Prinzipien herzustellen. Weil ein erheblicher Teil der Fraktionen sich einer solchen Verbindung zugeneigt hat, haben wir einen Eventualantrag eingebracht, der für den Senat das System der direkten Wahl vorsieht. Nachdem wir nunmehr zu unserer Freude feststellen können, daß die beiden großen Fraktionen sich im wesentlichen auf das Bundesratsprinzip geeinigt haben und von dem Gedanken des Senats und auch von dem Gedanken einer Verbindung zwischen Senat und Bundesrat abgegangen sind, also die Dreiteilung keinen Anklang gefunden hat, haben wir unseren Eventualantrag zurückgezogen und unterstützen voll und ganz die Bildung eines Bundesrats. Dabei vertreten wir allerdings die Auffassung, daß Volk und Länder auf der Bundesebene gleichberechtigt vertreten sein müssen, daß also der Bundesrat möglichst die gleichen gesetzgeberischen Kompetenzen wie der Bundestag erhalten muß. Darüber hinaus ist der Bundesrat auch bei gewissen Exekutivaufgaben einzuschalten, nämlich bei der Beurteilung der Durchführungsverordnungen aller Art, der Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsanordnungen, die von der Bundesregierung in Ausführung der Bundesgesetze erlassen werden. Ich darf noch darauf hinweisen, daß dieses Problem in den letzten Wochen und Monaten außerhalb des Parlamentarischen Rates eingehend diskutiert worden ist, vor allem auch von den verschiedenen Gremien der Wirtschaft, von den Gewerkschaften, von den Unternehmern, von ihren Verbänden und von den Industrieund Handelskammern. Im Hauptausschuß des Industrie- und Handelstags ist Anfang Oktober eine Entschließung gefaßt und mit Zustimmung der Wirtschaftsverbände dem Parlamentarischen Rat zugeleitet worden, die ausdrücklich einen Bundesrat mit voller gesetzgeberischer Kompetenz fordert, weil es im Interesse der Wirtschaft als richtig und zweckmäßig erscheint, daß die beiden Institutionen auf

18)

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Statt „indirekter“ im stenograph. Wortprot., S. 12: „direkter“.

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Bundesebene in richtiger Ausgewogenheit miteinander arbeiten19). Ich glaube, es ist möglich, für eine solche Regelung eine Mehrheit zu finden. Zur Frage der Verteilung der Stimmen der Länder im Bundesrat ist zu sagen, daß es einem alten föderalen Prinzip entspricht, jedem Land die gleiche Stimmenzahl zuzuweisen. Andererseits ist die historische Entwicklung in Deutschland bisher so verlaufen, daß die Länder unterschiedliche Stimmenzahlen hatten. Der Nachteil dieses Systems scheint der gewesen zu sein, daß ein zu starkes Überwiegen bestimmter Ländergruppen im Bundesrat zu unangenehmen Konsequenzen geführt hat. Man sollte daher die Verteilung der Stimmen im Bundesrat nicht so weitgehend differenzieren, wie es der Antrag der CDU/CSU wünscht. Wir neigen mehr der Regelung des Redaktionsausschusses zu, das Prinzip der Differenzierung nicht so stark zu verfeinern, damit ein allzu starkes überwiegen der größeren Länder nicht zu einer Vergewaltigung der kleineren Länder führt. Dr. Katz (SPD): Ich darf feststellen, daß wir über die Zusammensetzung und nicht über die Funktion des Bundesrats sprechen. Die letztere werden wir beim Kapitel Gesetzgebung behandeln. Ich möchte daher über die Funktion der Länderkammer jetzt nicht sprechen20). Ich möchte dann einen Irrtum berichtigen. Wir haben die Idee des Senats fallengelassen, weil wir erkennen mußten, daß für diesen Gedanken in seiner reinen und unverfälschten Form eine Mehrheit nicht zu gewinnen war. Wir stehen vor der Tatsache, daß die Mehrheit der Abgeordneten dem Bundesratsprinzip zuneigt. Daher haben wir uns entschlossen, unsere Lieblingsidee, einen Senat zu schaffen, fallenzulassen und dem Bundesratsprinzip zuzustimmen. Wenn es allerdings innerhalb der Fraktionen über die volle oder nicht volle Gleichberechtigung des Bundesrats zu Meinungsverschiedenheiten kommen sollte, müßten wir uns vorbehalten, in einer späteren Lesung einen neuen Antrag, eventuell unter Wiederaufnahme des Senatsprinzips, zu stellen. Die Hauptdifferenz, die wir jetzt zu diskutieren haben, ist die Frage der Stimmenverteilung innerhalb des Bundesrats. Da scheint mir nun der Vorschlag der CDU/ CSU-Fraktion, rein von der Bevölkerungsziffer des einzelnen Landes auszugehen, gänzlich untragbar. Nehmen Sie Nordrhein-Westfalen! Nordrhein-Westfalen hat 12 bis 13 Millionen Einwohner. Es würde nach der Einwohnerzahl 12 oder 13 Sitze im Bundesrat beanspruchen können. Wenn ich recht unterrichtet bin, verfügt die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen gar nicht über so viele Kabinettmitglieder, um alle Sitze zu besetzen. Nach dem Vorschlag der CDU/CSU müßte das Land

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Vgl. die Resolution „Zum Westdeutschen Grundgesetz“, in der die Leitsätze „vom Standpunkt der gewerblichen Wirtschaft“ enthalten sind Die Resolution wurde von einer Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern des Vereinigten Wirtschaftsgebietes am 5. Okt. 1948 verabschiedet. Hier heißt es in Punkt II „Organisation des Bundes“: „Zur Sicherstellung des erforderlichen Einflusses der Länder auf der Bundesebene ist ein Bundesrat, der sich ausschließlich aus Vertretern der Länderregierungen zusammensetzt, mit den vollen gesetzgebenden Rechten einer zweiten Kammer zu bilden.“ Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 11, S. 18 f., Anm. 18. 20) Im stenograph. Wortprot., S. 15, folgt danach: „Dazu nur einen Satz: Wir sind für eine volle Gleichberechtigung der Länderkammer, wie aus unseren Anträgen klar hervorgeht.“

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Nordrhein-Westfalen mehrere neue Minister ernennen, um seine Bundesratssitze besetzen zu können. Dr. Süsterhenn (CDU): Die 13 Stimmen von Nordrhein-Westfalen können durch einen Bevollmächtigten vertreten werden. Dr. Katz (SPD): Richtig! Aber sie müssen zunächst die Sitze besetzen. Jedes Land muß seine Bevollmächtigten ernennen. Ich weise nur auf die Unlogik Ihres Antrags hin. Dr. Süsterhenn (CDU): Wir reden nicht von Sitzen, sondern von Stimmen. Dr. Katz (SPD): Es heißt in Art. 66 des Antrags der CDU/CSU: Der Bundesrat besteht aus Mitgliedern der Landesregierungen. Die Bundesratsmitglieder werden durch Beschluß der Landesregierung bestellt und abberufen. [S. 126] Es heißt dann weiter: Jedes Land muß soundso viele Herren entsenden. Das bedeutet, das Land Nordrhein-Westfalen muß sein Kabinett erweitern, um die ihm zustehenden Sitze überhaupt besetzen zu können. Aber über diese technische Schwierigkeit würde ein Land wie Nordrhein-Westfalen ohne weiteres hinwegkommen können. Mir kommt es mehr darauf an darzulegen, daß ein derartiges Verhältnis gänzlich unmöglich ist. Wie soll es später im Bundesrat zugehen, wenn etwa der Vertreter von Hamburg den Vertreter von Nordrhein-Westfalen trifft? Soll er vielleicht den Hut vor ihm abnehmen, weil der Herr dreizehn mal soviel zu sagen hat? Es ist völlig unmöglich, die kleinen Länder auf diese Weise zu entmachten, so daß sie überhaupt nicht mehr ins Gewicht fallen. Ich halte das geradezu für eine Beleidigung der Staatspersönlichkeit der Länder, auf die gerade die Herren von der CDU/CSU soviel Wert legen. Mir erscheint eine derartige Konstruktion völlig unmöglich. Es geht nicht an, die Vertretung der Länder im Bundesrat nach ihren Einwohnerzahlen zu bemessen. Das war nicht einmal im Bismarckschen Reich der Fall, wo Preußen sich mit zwei Fünfteln der Stimmen begnügen mußte. Es war auch nicht in der Weimarer Republik der Fall, wo die Hälfte der Reichsratsstimmen auf die Provinzen entfielen. Das Prinzip der Gleichberechtigung der Länder entspricht einem echten föderativen Grundsatz. Die gleichmäßige Anerkennung der Staatspersönlichkeit der Länder ist auch im Länderrat der Bizone in Frankfurt21) durchgeführt. Dort funktioniert sie, und es ist nicht einzusehen, warum diese Regelung nicht auch in unser Grundgesetz eingeführt werden sollte. Dr. Heuss (FDP): Am Anfang stand die Forderung, das Grundgesetz soll ein Zweikammersystem haben. Wenn der Bundesrat nach den jetzigen Vorschlägen gebildet wird, ist das Prinzip des Zweikammersystems fallengelassen. Der Bundesrat ist keine echte Kammer. Der Bundesrat des Bismarckschen Reiches war nur das Organ der „Verbündeten Regierungen“. Was würde Bismarck wohl gesagt haben, hätte man da von einer „Kammer“ gesprochen! Dies nur zur Klarstellung des Sprachgebrauchs. Es gilt, eine zweckmäßige Form für die deutschen Dinge zu schaffen. Von diesem Blickpunkt aus wird man für den Bundesrat viel sagen können. In der Auseinan21)

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Zum 1945 eingerichteten Länderrat des amerikanischen Besatzungsgebietes, dessen Aufgaben vom Exekutivrat und Länderrat des Vereinigten Wirtschaftgebietes übernommen wurden vgl. Vogel: Westdeutschland, Teil I, S. 57–70.

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dersetzung, ob Senat oder Bundesrat, habe ich persönlich mich für den Bundesrat ausgesprochen, weil mir der Senat nur als eine Mikroskopie des Parlaments erschien, weil ich die Sorge hatte, daß im Grunde durch fraktionelle Bindungen im Senat die gleiche Temperatur und der gleiche Atem wie in der Volkskammer sein wird. Unser Vorschlag geht dahin, einen echten Bundesrat zu schaffen für die spezifische Aufgabe, die der Bundesrat hat, nämlich die Beteiligung der Länderregierungen namentlich an den Aufgaben, die vom Bund an die Länder gegeben werden bzw. die die Länder für den Bund auszuführen haben. Hier sollten die Länder in vollkommen organischer Weise zum Zuge kommen. Als wir zuerst hier im Hauptausschuß zusammengekommen sind, war es interessant zu beobachten, wie die Fraktionen in einigen wichtigen Fragen – technisch genommen erfreulich – auseinandergefallen sind. Damals haben die SPD und CDU wiederholt verschieden gestimmt. Das war eigentlich ganz nett, weil sich zeigte, daß für solche bestimmten Verfassungsdinge eine dogmatische Parteimeinung nicht vorhanden ist. Die Herren haben zunächst einmal nach ihrer eigenen Meinung und Überzeugung abgestimmt. Das war ein ganz lehrreicher Vorgang. Ich möchte hier das Experiment machen und meinen Vorschlag wiederholen, der bei der CDU so lebhafte Sympathie gefunden hat. Die Sozialdemokraten sind da etwas obstinat. Ich wollte den Gedanken noch einmal zur Debatte stellen. Wir werden auf ihn vielleicht zurückkommen; denn Herr Dr. Katz hat soeben angemeldet, die SPD werde zur Senatslösung zurückkehren, wenn wir das und das nicht machten. Wir haben, wie mir scheint, noch allerhand schnurrige Situationen vor uns. Jetzt ist es jedenfalls so, daß Sie zunächst an dem Bundesratsprinzip festhalten. Es hat keinen Sinn, in grundsätzlichen Fragen mit Mehrheiten hin und her die Fraktionen in Verlegenheit zu bringen. Ich lasse die Durchführung meines Gedankengangs betreffend den Bundesrat nicht grundsätzlich fallen. Aber ich will darüber jetzt nicht weiter diskutieren, sondern nur noch einige Worte zur Zusammensetzung des Bundesrats sagen, wobei, wenn ich mich paradox ausdrücken darf, die SPD jetzt für die Gleichberechtigung aller Länder eintritt, während die CDU/CSU auf einmal im Grunde genommen das Senatsprinzip, die prozentuale Vertretung als den Gipfelpunkt einer demokratischen Vertretung der Länder ansieht. Das ist für jeden, der Sinn für politische Ironie hat ein reizvoller Vorgang. Was die CDU vorgeschlagen hat, schafft ein demokratisch-repräsentatives System; so hat es wenigstens den Anschein. Dabei fehlt aber in der Sache selbst das Repräsentative. Denn die Instruktion herrscht. Dann hat das Ganze keinen inneren Sinn mehr. Ich halte die Meinung, die Herr Dr. Katz vorgetragen hat, daß zum echten Föderativsystem die gleiche Repräsentation gehöre, für eine falsche These. Die Berufung auf die fremden Vorbilder stimmt nicht, weil sowohl in der Schweiz wie in Amerika der Bundesstaat sich aus kleinräumigen, sich ziemlich entsprechenden Gebieten aufgebaut hat. Sehr groß waren die Unterschiede bei den amerikanischen Staaten 1776 nicht. Die Staaten waren noch klein, sie waren noch nicht industrialisiert; sie waren landwirtschaftliche Kolonialgebiete, aber mehr nicht. Bei der konservativen Grundhaltung, die die Amerikaner ihrer Verfassung, zum Teil mit etwas Unbehagen, entgegengebracht haben, haben sich die Dinge dort gehalten. In der Schweiz verlief die Entwicklung ähnlich. Die Kantone sind, wie sie heute dastehen, in ihrer Struktur durch das 19. Jahrhundert bestimmt. In beiden Fällen wir-

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ken nicht instruierte, sondern Parteivertreter. Dort ist eine echte zweite Kammer vorhanden. Wir haben unseren Antrag ein bißchen abgetönt. Wir haben vorgeschlagen, daß jedes Land drei Stimmen erhalten soll. Länder mit mehr als 3 Millionen Einwohnern sollen vier Stimmen, mit mehr als 5 Millionen Einwohnern fünf Stimmen, mit mehr als 7 Millionen Einwohnern sechs Stimmen erhalten. Das ist also eine gewisse Abstufung, die auch auf die spätere Bevölkerungsbewegung Rücksicht nimmt. Ich halte einen echten Kompromiß in der Frage des Bundesrats und seiner Gestaltung für möglich. Die sozialdemokratische Fraktion hat die gleiche Stärke der Ländervertretung als ein Grunderfordernis föderalistischer Ideologie angesehen. Andererseits muß der Vorschlag der CDU/CSU von der bloßen demokratischen Arithmetik abgehen und sich auf die Staatspersönlichkeit reduzieren, die nicht nach dem Gewicht der Bevölkerung allein bemessen werden kann. Darüber muß es zwischen den Fraktionen zu einer Einigung kommen; sie müssen sich auf einer mittleren Linie begegnen. Das müßte möglich sein, ohne daß dabei die einzelnen Länder zu gut oder zu schlecht behandelt werden. Es ist selbstverständlich, daß die Hansestädte für Deutschland eine größere Bedeutung haben, als es ihren Einwohnerzahlen entspricht. Es muß ein Ausgleich gefunden werden, ohne daß sich ein Stück deutscher Geschichte wiederholt. Wir haben in Deutschland den Kampf um die Vorherrschaft zwischen Preußen und Österreich gehabt. Wir wollen in Zukunft unsere Geschichte nicht mit einem hegemonialen Kampf zwischen NordrheinWestfalen und Bayern belasten. Daher wollen wir einerseits eine gewisse Herabsetzung, andererseits eine gewisse Erhöhung. Darüber müßte unter verständigen Männern eine Einigung, ein echter Kompromiß möglich sein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe den Eindruck, daß die Diskussion sich zu einer Lehrstunde über die praktische Handhabung demokratischer Prinzipien auszuwachsen beginnt. Es ist vielleicht ganz gut, daß in diesem Gremium vor aller Öffentlichkeit die Interessen, die im Spiele sind, von beiden Seiten ausgesprochen werden. Wir Sozialdemokraten haben den Standpunkt vertreten, daß die beste Vertretung der Länder im Gefüge Deutschlands ein Senat wäre. Wir haben die Gründe dargetan, warum wir dieser Figur den Vorzug vor dem [S. 127] Bundesrat geben wollten. Es hat sich aber im Laufe der Verhandlungen gezeigt, daß man damit nur würde durchkommen können, wenn man beträchtliche Minoritäten in diesem Hause überstimmen würde, und dies in einer sehr grundsätzlichen Frage. Weiter hat sich ergeben, daß diese Minorität eine territorial kompakte Gruppe des deutschen Volkes darstellen würde. Das schien uns keine gute Aussicht zu sein. So haben wir nach sehr ernsten Besprechungen in unserer Fraktion – sie sind wohl keinem leicht gefallen – beschlossen, von der ursprünglich geltend gemachten Forderung abzugehen, auf das Senatsprinzip zu verzichten und zum Bundesratsprinzip überzugehen, um so eine Chance dafür zu schaffen, daß sich für dieses Gelenkstück des Grundgesetzes eine möglichst große Mehrheit findet, und zwar auf dem Wege eines Kompromisses in der Frage der Zuständigkeit dieser zweiten Kammer. So sollte für die Andersdenkenden die Möglichkeit geschaffen werden, sich unseren Vorstellungen zu nähern, ohne auf das verzichten zu müssen, was ihnen nach ihrer

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Grundanschauung unverzichtbar erscheinen muß. Das sind die Erwägungen, die uns bei unserem Antrag geleitet haben. Nun zur Materie selbst. Ich möchte hier nur über die Zusammensetzung des Bundesrats sprechen. Das quantitative Prinzip22) kommt in der Zusammensetzung des Bundestags zum Ausdruck. Dort vertreten Parteien und Gruppen pro rata die Bürger, die sich individuell für einen bestimmten politischen Standpunkt erklärt haben. Man kann natürlich das quantitative Prinzip, wenn man will, auch in einem Bundesrat zum Ausdruck bringen. Es fragt sich nur, ob sich das empfiehlt. In anderen Bundesstaaten – ich denke an die Schweiz, an die Vereinigten Staaten und die anderen Bundesstaaten der Welt – verzichtet man bewußt darauf, in der „Bundeskammer“ das quantitative Prinzip zum tragenden Grundsatz zu machen. Man geht davon aus, daß die Länder als Glieder des Bundes in sich geschlossene Individualitäten sind, und man sagt meines Erachtens mit vollem Recht: wenn man die Stimmen quantitativ differenziert, also einem Land, nur weil es größer ist als ein anderes, mehr Stimmen zuweist als einem kleineren Land, dann fügt man in den Aufbau der Organe des Bundes das Prinzip der Macht ein. Man kann das tun, wenn man es so haben will. Nur muß man wissen, was man tut, ob man den Bundesrat unter dem Gesichtspunkt der Macht, das heißt der Machtverschiedenheit der einzelnen Glieder bilden will oder ob man den Bundesrat unter dem Gesichtspunkt der Gleichwertigkeit der einzelnen Länder organisieren will, also unter dem Gesichtspunkt der Solidarität und der gleichen Chance für alle Länder, sich im Bundesrat zur Geltung zu bringen. Man kann das eine tun oder das andere tun; nur sollte man sich darüber klar sein, was man tut. Wenn man sich für die Differenzierung ausspricht, dann tritt man dafür ein, daß die individuell verschiedene Macht in unserer Verfassung ein konstitutiver Faktor ist. Ob das gut ist oder nicht, will ich nicht zur Debatte stellen. Man beruft sich auf die deutsche Geschichte. Doch als man den Deutschen Bund und das Bismarcksche Reich schuf, handelte es sich um das Aushandeln von Machtpositionen, um das Koordinieren von Individualitäten, die kaum daran dachten, ein Ganzes werden zu wollen. Das war im Zeitalter des sich verabsolutierenden Nationalstaates selbstverständlich. Wollte man so verfahren, dann mußten die kleineren Länder wenig, die mittleren mehr, die größeren noch mehr Stimmen erhalten. Um nun aber die Macht des größten Landes nicht zur schlechthin alles niederschlagenden Übermacht werden zu lassen, hat man Preußen weniger Stimmen gegeben, als ihm nach dem Schema an und für sich zustanden. Ich weiß nicht, ob man sich den Gedanken zu eigen machen soll, daß es bei der Koordinierung der deutschen Länder und bei der Organisierung ihres Zusammenwirkens um Macht geht, als ob dabei Machtgesichtspunkte irgendeine Rolle zu spielen hätten. Man spricht so oft davon, daß die gesammelten Verwaltungserfahrungen der Länderregierungen im Bundesrat zum Zuge kommen sollen. Eine ausgezeichnete Vorstellung! Nur kann ich mir nicht vorstellen, daß die gesammelten Verwaltungserfahrungen des Landes Württemberg-Baden ein so viel höheres spezifisches Gewicht haben sollen als die Verwaltungserfahrungen etwa von Hamburg und Bremen. Wenn man sagt, ein Land sei nicht wie das andere, dann erklärt man in verblümter Weise nur, daß es einem um Macht geht. 22)

Statt „Prinzip“ im stenograph. Wortprot., S. 23: „Verfassungsprinzip“.

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Man spricht immer davon, daß in den Ländern die verschiedenen Interessen einen filtrierten Ausdruck finden. Herr Kollege Süsterhenn, wir haben darüber in Herrenchiemsee viel gesprochen, und Sie haben gesagt, daß gerade darin der Vorzug des Bundesrats vor dem Senat liege. Aber hier kann ich mich nicht davon überzeugen lassen, daß das Filtrat, das bei gestuften Stimmenzahlen zum Zuge kommt, ein verschiedenes spezifisches Gewicht zu bekommen braucht, wenn es gilt, den Bundeswillen mitzubestimmen. Auch hier handelt es sich um eine Qualitätsfrage und nicht um eine Quantitätsfrage. Mit dieser Filtrierung ist es so eine Sache. Es kann sich dabei nämlich noch ein etwas anderes Bild ergeben: es können sich in den verschiedenen Ländern Konzentrationen einseitiger Interessen bilden, die in der Lage sind, im Lande selber die Majorität zu erhalten. Dann haben wir in Wirklichkeit nicht eine Filtrierung der Gesamtinteressen der verschiedenen Einzelwillen vor uns, sondern etwas ganz anderes, nämlich eine Integration des Ganzen auf sehr starke Einzelinteressen hin. Wenn sich das nun nach oben hin machtmäßig, das heißt mit quantitativ differenzierenden Multiplikationen auswirkt, dann kann der Bundesrat unter Umständen eine Wirksamkeit entfalten, die im Interesse des Ganzen nicht gut sein kann. Vielleicht sind es Gedankengänge dieser Art, die gelegentlich im Auslande eine so beschaffene Bundesratsverfassung als besonders wünschenswert erscheinen lassen; vielleicht, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall würden wir gut daran tun, auch diese Gesichtspunkte in unsere Betrachtung einfließen zu lassen. Aus all diesen Gründen möchte ich dem Vorschlag den Vorzug geben, den Herr Kollege Dr. Katz formuliert hat. Renner (KPD): Wir Kommunisten haben zu der Frage, die heute zur Diskussion steht, ebenfalls einen Antrag eingereicht. Wo der gelandet ist, entzieht sich im Augenblick meiner Kenntnis. Er liegt jedenfalls noch nicht vor. Ich will aus dieser Tatsache noch keine Schlüsse ziehen, weil ich nicht von vornherein gehässig werden will. Vielleicht ist der Antrag bei Herrn Adenauer oder bei Herrn Carlo Schmid im Papierkorb gelandet. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wie lautet der? Renner (KPD): Reiner Senat, so wie er ursprünglich in dem Antrag des Herrn Dr. Katz geplant war, eine zweite Kammer, gebildet aus Vertretern der Parlamente der Länder. Nun sagen die Herren Sozialdemokraten, sie seien von diesem ursprünglichen Prinzip des reinen Senats abgekommen, weil sie sich davon überzeugt hätten, daß sich dafür keine Mehrheit finden würde. Herr Dr. Schmid hat uns soeben in bewegten Worten geschildert, wie diese neue Stellungnahme der sozialdemokratischen Fraktion zustande gekommen ist. Mir kam dabei die Erkenntnis hoch, daß sich da wieder einmal der kompromißfreudige Dr. Carlo Schmid gegen die Prinzipientreue eines Teiles seiner Fraktion durchgesetzt hat. Alle Versuche, diesen Tatbestand zu verschleiern, führen an den Dingen vorbei. Wenn man schon, wie Herr Carlo Schmid eingangs betonte, die wahren, zur Entscheidung stehenden Interessen nennen will, so soll man das auch offen tun. Auch ich will mich bemühen, das einmal zu versuchen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das wird eine wertvolle Ergänzung meiner Ausführungen sein. Renner (KPD): Nein; Sie sind schon wiederholt umgefallen.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): So kann man es auch nennen. Renner (KPD): Herr Schmid, Sie haben in dieser Beziehung ja kürzlich eine aufschlußreiche Rede gehalten und dabei die Kompromißfreudigkeit und Kompromißbereitschaft als Prinzip der SPD herausgestellt. [S. 128] Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich dachte, Sie sind auch Demokrat. Renner (KPD): Ich glaube nicht, daß das Wesen der Demokratie das besteht, daß man von Zeit zu Zeit umfällt. Worin besteht nun der wesentliche Unterschied zwischen dem Bundesratsprinzip und dem Senatsprinzip? Wenn man sich für den Vorschlag einsetzt, der im Prinzip von der SPD, der CDU, der CSU und auch von anderen Parteien geteilt wird, dann läuft die Sache auf folgendes hinaus: Sie wollen einen Bundesrat schaffen, der zusammengesetzt ist aus Vertretern der einzelnen Länderregierungen. Sie wollen also der einzelnen Landesregierung das Recht geben, im Bundesrat zu sitzen. Aber Sie gehen noch einen Schritt weiter: Diese Mitglieder des Bundesrats sollen auch Bevollmächtigte ernennen können. Damit ist klar erwiesen, daß man auch den Herren Ministerialdirektoren die Möglichkeit geben will, im Bundesrat zu sitzen und zu optieren. Man muß sich klar werden, was es eigentlich mit der sogenannten Dreiteilung der Gewalten auf sich hat, die Sie hier so als Optimum herausstellen wollen. Übrigens noch eine kleine historische Richtigstellung: Man sollte keine Leichenschändung begehen, wenn man von Toten wie Montesquieu spricht. Nach der Lehre Montesquieus von der Dreiteilung der Gewalten, die Sie bejahen, sind die gewählten Vertreter des Volkes nicht die entscheidenden Willensträger. Sie wollen aber der Bundeskammer nur das Recht der Legislative geben. Die Regierungsgewalt, die Verwaltung, der Staatsgerichtshof und die gesamte Justiz sollen nach Ihrer Meinung der reaktionären Staatsbürokratie vorbehalten sein. Die Souveränität des Volkes wird also aus diesen Gebieten vollkommen ausgeschaltet. Ich weiß nicht, ob das mit Demokratie noch etwas zu tun hat. Jedenfalls bedeutet heute die Dreiteilung der Gewalten nichts anderes, als daß die reaktionäre, „bewährte“ Verwaltungsbürokratie uneingeschränkt an der Macht bleibt. Wenn man im Bundesrat diese Reaktion, verkörpert durch die Herren Minister bzw. die Herren Ministerialdirektoren, die ja die Hauptrolle spielen werden in den Sattel setzt, dann verstärkt man noch den unheilvollen Einfluß der Verwaltungsbürokratie auf allen diesen Gebieten. Darum sind wir gegen eine derartige Regelung. Wir halten einen Bundesrat für notwendig. Man braucht eine Körperschaft, die die Beschlüsse des Bundestags überprüft. Wir haben klar ausgesprochen, welche Funktionen dieser Bundesrat haben soll. Er soll ein sogenanntes sistierendes Veto haben. Das muß genügen, und das ist die einzige wirklich demokratische Lösung der Frage. Herr Dr. Katz hat heute erklärt, er wolle zunächst nur die Besetzung des Bundesrats diskutieren, dagegen die Frage seiner Funktion offenlassen. Er hat aber angedeutet, wenn dieser Bundesrat die volle Gleichberechtigung erhalten sollte, dann würde die SPD auf ihren ursprünglichen Antrag zurückgreifen, also wieder den reinen Senat verlangen. Nun, Herr Dr. Katz, sind Sie sich nicht darüber klar, wenn Sie zum Bundesratsprinzip auf der Basis der Länderregierungen ja sagen, daß Sie in der Frage der Funktion des Bundesrats auf der anderen Seite des Hauses eine Mehrheit finden werden, die Ihr System zerschlagen wird?

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Dr. Katz (SPD): Ich bin nicht so sicher. Renner (KPD): Ich befürchte, Sie haben der CDU/CSU Ihr Kompromiß angeboten, ohne eine Garantie dafür zu haben, daß diese auf die Gleichberechtigung beider Kammern verzichten wird. Gib dem Teufel den kleinen Finger, so nimmt er die ganze Hand! Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich nehme an, Sie haben mit dem Teufel nicht die CDU gemeint; sonst müßte ich Sie zur Ordnung rufen. Renner (KPD): Die habe ich nicht gemeint; ich habe nur das Prinzip gemeint. Herr Dr. Katz, Sie haben ein hochwichtiges Prinzip der Demokratie kompromißfreudig wie immer preisgegeben, ohne die Garantie dafür zu haben, daß Sie nachher von der Gegenseite das Äquivalent erhalten, das Sie brauchen, nämlich die Aufgabe der Forderung, daß die beiden Kammern gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Ich fürchte, Sie fallen noch einmal um. Damit wäre eklatant erwiesen, daß Sie auch in der entscheidenden Frage der Funktion des Bundesrats ein absolutes Kompromiß schließen, zum Schaden des Volkes und des Prinzips der Demokratie. Dr. Lehr (CDU): Der Herr Kollege Dr. Schmid hat das Prinzip der Macht vorhin eingehend erläutert. Es ist richtig, daß die Bewertung der Zahl ein gewisses Machtprinzip verkörpert. Aber das Prinzip der Zahl verkörpert gleichzeitig ein zweites Prinzip, das Prinzip der Leistung. Denn die Länder werden nach ihrer Größe auch verschiedenartige Leistungen für den Bund, für das Ganze zu bewirken haben. Es ist nicht mehr als recht und billig, daß der, der vorwiegend leistet, auch ein entsprechendes Maß an Mitbestimmung erhält. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich darf Sie kurz unterbrechen! Was Sie gesagt haben, ist die gleiche Begründung, mit der man seinerzeit das Dreiklassenwahlrecht23) gerechtfertigt hat. Renner (KPD): Richtig! Genau dieselbe Begründung. Wer leistet da eigentlich? Dr. Lehr (CDU): Es mag sein, daß man solche Gesichtspunkte auch zur Rechtfertigung des Dreiklassenwahlrechts herangezogen hat. Aber das Leistungsprinzip ist ein durchaus gerechtes Prinzip, wenn man es verständig abwägt. Zum Prinzip der Macht noch ein kurzes Wort nach einer anderen Seite hin! Sollte in dem Streben der SPD nach einer Gleichbewertung der Länder nicht auch ein Machtprinzip verkörpert sein? Sollte es nicht so sein, daß derjenige, dem es nicht gelingt, in den großen Ländern selber Einfluß zu gewinnen, durch das Mittel der Gleichberechtigung und durch die Mehrzahl der kleinen Länder die großen Länder zu majorisieren versucht? Auch in diesem Bestreben ist ein Machtprinzip zu sehen, das Herr Kollege Schmid so sehr bekämpft hat. In dem Bestreben, in der großen Linie zu einer Einigkeit zu kommen, möchte ich es doch für möglich halten, daß wir uns in bezug auf die Abstufung des Stimmrechts der Ländervertreter im Bundesrat in einer Form einigen, die auch Ihre Zustimmung findet. Ich möchte dazu einige Lösungsmöglichkeiten andeuten. Man kann eine Mindestziffer für die kleinen Länder festsetzen, die auf jeden Fall gewährt werden muß. Man kann die Stimmenzahl nach oben hin begrenzen, kann also 23)

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Bei dem Dreiklassenwahlrecht, das 1849–1918 zur Wahl des preußischen Abgeordnetenhauses gebräuchlich war, besaßen die Wähler ein je nach ihrer Steuerleistung in drei „Klassen“ abgestuftes Stimmengewicht.

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auch auf diese Weise abstufen. Wenn wir auch grundsätzlich für die Abstufung eintreten, so sind meine Freunde der Auffassung, daß wir uns über die Art der Abstufung durchaus verständigen können. Zu diesem Zweck schlage ich vor, die Frage dem Organisationsausschuß zur Überprüfung zuzuleiten, ehe wir hier zu einem Beschluß kommen. Heute könnten wir die anderen Fragen zu klären suchen. Für uns ist das A und O unserer Zustimmung die volle Berechtigung der zweiten Kammer. Das ist der Kernpunkt, an dem wir festhalten. Dann kommt die Abstufung und schließlich das Prinzip der weisungsgebundenen Vertretung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, Sie haben mich mißverstanden, Herr Kollege Dr. Lehr. Was ich mit den Ausführungen über die Macht meinte, ist die Frage, ob wir im Verhältnis der Länder zueinander den Faktor Macht eine Rolle spielen lassen sollen oder nicht, also die Macht des Landes A gegenüber dem Lande B. Nun glaube ich in der Tat, daß es nicht mehr unseres Jahrhunderts wäre, wenn wir in Deutschland die Länder im Verhältnis zueinander noch unter dem Gesichtswinkel der Macht betrachten würden. Das sagte ich, und aus diesem Grunde habe ich mich gegen den differenzierenden Multiplikator gewendet. [S. 129] Dr. Lehr (CDU): Auch ich bin nicht der Meinung, daß in der zukünftigen zweiten Kammer die Zahl die ausschlaggebende Rolle spielen soll. Ich habe schon im Plenum vorgetragen: Meine ganzen Bestrebungen gehen dahin, Persönlichkeiten herauszustellen, so daß man in Zukunft die Stimmen mehr wägt als zählt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Hier haben Sie eine vortreffliche Gelegenheit, diesem Gedanken konstitutionell Ausdruck zu verleihen. Dr. Katz (SPD): Ich habe meinen Herrn Vorredner dahin verstanden, daß er die Frage des Stimmrechts im Bundesrat noch einmal im Organisationsausschuß besprechen will. Ich halte eine derartige Verzögerung nicht für möglich. Hic Rhodus, hic salta!24) Wir können sofort über die verschiedenen Ziffern abstimmen, wenn unser Antrag abgelehnt werden sollte. Der Kollege Dr. Heuss hat auch einen Vorschlag gemacht, wenn ich recht verstanden habe, über den wir ebenfalls abstimmen müssen. Vielleicht kann dieser Vorschlag noch irgendwie modifiziert werden. Jedenfalls halte ich eine erneute Stellungnahme des Organisationsausschusses nicht für notwendig. Das würde die Sache wieder hinausziehen. Wir haben sehr wenig Zeit. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wird der Antrag auf Vertagung der Abstimmung, den der Herr Kollege Dr. Lehr gestellt hat, auch von anderer Seite unterstützt? Dr. Lehr (CDU): Ich wollte nicht einen Antrag auf Vertagung stellen, sondern einen Versuch machen, uns im Organisationsausschuß über ein abgestuftes Stimmrecht zu verständigen. Wenn wir uns heute über die volle Gleichberechtigung verständigen, können wir auch eine Einigung über die Abstufung des Stimmrechts versuchen. Dr. Katz (SPD): Was die Abstimmung angeht, so sollten wir zunächst feststellen, ob der Antrag auf Gleichheit der Vertretungen der Länder Aussicht auf eine Mehrheit hat. Ist das nicht der Fall, dann wäre ich mit einer kurzen Besprechung im Organi24)

Lateinisch: „Hier ist Rhodos, hier springe!“ – bedeutet: Zeig hier, was du kannst. Aus der Fabel „Der Fünfkämpfer als Prahlhans“ von Äsop in der Übersetzung von Erasmus von Rotterdam, Adagia, III.3.28.

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sationsausschuß einverstanden, um vielleicht auf diesem Wege eine Modalität zu finden. Der Vorschlag des Herrn Dr. Heuss bedarf noch einer gewissen Modifikation, um für alle Parteien annehmbar zu werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich zunächst abstimmen über den Antrag der SPD zu Art. 66 und 67, der wohl am weitesten geht, und zwar absatzweise. (1) Der Bundesrat besteht aus Mitgliedern der Landesregierungen. Sie werden von den Landesregierungen bestellt und abberufen. Sie können durch Bevollmächtigte vertreten werden. – Der Abs. 1 ist mit 16 gegen 1 Stimme angenommen. Wir kommen zu Abs. 2 der Fassung der SPD: (2) Jedes Land entsendet drei Mitglieder. Die Stimmen eines Landes können nur einheitlich und nur durch anwesende Mitglieder oder Bevollmächtigte abgegeben werden. Dr. Seebohm (DP): Ich glaube, man sollte über die beiden Sätze getrennt abstimmen. Renner (KPD): Man hat vorhin mit großen Tönen davon gesprochen, daß man dem Persönlichkeitsgedanken Rechnung tragen soll. Wenn nun ein einziger Vertreter eines Landes berechtigt ist, die Stimmen für alle drei abzugeben, ist das vielleicht nicht auch schon eine Herausstellung des Machtgedankens? Es heißt doch hier, daß die Stimmen eines Landes nur einheitlich durch anwesende Mitglieder oder Bevollmächtigte abgegeben werden können. Einheitlich! Dann dürfen also die drei Mitglieder des Landes nicht differenziert abstimmen. Wo bleibt da noch der Wert der Persönlichkeit? Wir haben es da mit Delegierten zu tun, die eine festgelegte Meinung ihres Landes zu vertreten haben. Da soll man uns doch nicht vom Persönlichkeitsgedanken reden! Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich würde es für richtig halten, wenn zunächst über die grundsätzliche Frage abgestimmt wird: Wollen wir Gleichberechtigung oder Staffelung? Vors. Dr. Schmid (SPD): Darüber wird beim ersten Satz entschieden, wonach jedes Land drei Bundesratsmitglieder entsendet. Wird dieser Vorschlag abgelehnt, dann fällt die Gleichberechtigung. Renner (KPD): So leicht kann ich Ihnen die Abstimmung nicht machen. Herr Dr. Katz hat vorhin deutlich gemacht, daß die Frage der Gleichberechtigung für die SPD entscheidend ist. Man müßte also zunächst über diese grundsätzliche Frage abstimmen. Erst dann kann man sich darüber einigen, wie der Bundesrat zusammengesetzt sein soll. Die SPD hat doch ihre Entscheidung zu dieser Frage davon abhängig gemacht, wie die Abstimmung über die Frage der Gleichberechtigung der Länder ausfällt. Daher muß darüber zunächst abgestimmt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie schlagen vor, daß wir die Beratung über die Art. 66 und 67 aussetzen und zunächst zu den Artikeln 102, 104, 105 übergehen. Das ist der Antrag Renner. Renner (KPD): Das letztere hat nur die CDU angeregt. Ich habe den Antrag gestellt, ehe man über die Zusammensetzung spricht, soll man über die Frage entscheiden, ob der Bundesrat gleichberechtigt neben dem Bundestag stehen soll. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann habe ich doch recht verstanden. Ich lasse also über den Antrag abstimmen, daß die Beratung über die Art. 66 und 67 jetzt abgebrochen

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und zu der Frage der Gleichberechtigung beider Kammern übergegangen wird. – Der Antrag ist mit 9 gegen 4 Stimmen abgelehnt. Ich stelle den ersten Satz des Abs. 2 in der Fassung des Antrags der SPD zur Abstimmung: „Jedes Land entsendet drei Mitglieder“. – Der Antrag ist mit 12 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Dr. Katz (SPD): Unter diesen Umständen komme ich auf die Anregung zurück, daß wir im Organisationsausschuß die Frage der Abstufung noch einmal besprechen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich darf präzisieren: im Organisationsausschuß soll nur über das Ausmaß der Abstufung verhandelt werden, über alles weitere nicht. – Es ist so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über den Satz 2 von Abs. 2: „Die Stimmen eines Landes können nur einheitlich und nur durch anwesende Mitglieder oder Bevollmächtigte abgegeben werden.“ – Dieser Satz ist mit 19 gegen 1 Stimme angenommen. Dr. Katz (SPD): Die Abstimmung über Abs. 3 muß auch zurückgestellt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja. Dann wären provisorisch die Art. 66 und 67 beraten. Dr. Heuss (FDP): Ich bitte, unseren Antrag als schätzbares Material auch dem Organisationsausschuß zuzuleiten. Renner (KPD): Ich lege Wert darauf, daß über den grundsätzlichen Antrag der KPD eine Abstimmung herbeigeführt wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie müssen sich an die richtige Stelle wenden: das Sekretariat des Parlamentarischen Rates. Da müssen Sie nachforschen. Ich habe Ihren Antrag nicht erhalten. Dr. Süsterhenn (CDU): Ehe wir zur Beratung des Art. 68 übergehen, bitte ich, über den Antrag der CDU/CSU zu Art. 67 Abs. 3 abzustimmen. Dr. Katz (SPD): Das müssen wir auch im Organisationsausschuß vorberaten. Das hängt eng mit der Frage der Abstufung zusammen. Dr. Heuss (FDP): Über meinen Antrag muß auch noch abgestimmt werden. Ordnung muß sein. [S. 130] Vors. Dr. Schmid (SPD): Nach dem Antrag der FDP vom 18. November 1948 (PR. 11.48 – 296)25) ist Art. 87 in der Fassung des Organisationsausschusses wie folgt abzuändern: Soweit der Bundesrat zur Gesetzgebung berufen ist, gesellen sich zu den Vertretern der Landesregierungen Ländervertreter, die von den Landtagen gewählt werden, und zwar je ein Vertreter für eine Million Einwohner oder einen Überschuß von 500 000 Einwohnern. Diese Ländervertreter sind nur ihrem Gewissen unterworfen und an keine Weisungen gebunden. Sie werden auf 6 Jahre nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt, alle 2 Jahre scheidet ein Drittel aus. Kaufmann (CDU): Meiner Ansicht nach kann über diesen Antrag jetzt nicht abgestimmt werden, nachdem die Mehrheit des Hauses dem Abs. 1 Satz 126) des SPD-

25)

Für den Wortlaut des als Drucks. Nr. 296 vervielfält. Antrags der FDP-Fraktion vom 18. Nov. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 32, S. 840, Anm. 5. 26) Statt „dem Abs. 1 Satz 1“, im stenograph. Wortprot., S. 37–45: „dem ersten Satz“.

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Antrags zugestimmt hat. Ich bitte übrigens feststellen zu dürfen, daß ich mich bei dieser Abstimmung der Stimme enthalten habe. Dr. Heuss (FDP): Wir sind durchaus für den Antrag der SPD. Aber unser Antrag stellt eine Ergänzung dazu dar, und darüber kann und muß abgestimmt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag der FDP abstimmen. – Der Antrag ist mit 18 Stimmen abgelehnt. Herr Kaufmann hat sich der Stimme enthalten. Renner (KPD): Ich muß darauf bestehen, daß über unseren Antrag abgestimmt wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Legen Sie ihn vor, dann lasse ich über ihn abstimmen. Haben Sie kein Exemplar dieses Antrags? (Renner [KPD]: Nein.) – Ja, wenn nicht einmal Sie ein Exemplar des Antrags, den Sie stellen wollen, haben. Renner (KPD): Ich habe mich darauf verlassen, daß Ihr Apparat funktioniert. Das war aber nicht der Fall. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Ihrige offenbar leider auch nicht. Dr. Seebohm (DP): Kann man nicht den Text unterstellen, wenn der Antrag nach seinen Grundsätzen bekannt ist? Vors. Dr. Schmid (SPD): Man kann nicht gut abstimmen, ohne den Text zu haben.

[1.3. ART. 68: VORSITZ IM BUNDESRAT]

Ich rufe auf

Art. 68 Variante A: Der Bundeskanzler oder sein Stellvertreter führt den Vorsitz im Bundesrat, er hat kein Stimmrecht. Variante B: Der Präsident des Bundesrats wird aus dessen Mitte auf ein Jahr gewählt. Wiederwahl ist zulässig. Wird das Wort zu diesen beiden Varianten gewünscht? Zinn (SPD): Der Redaktionsausschuß hat geglaubt, Variante A nehmen zu sollen, weil er der Auffassung ist, daß es zweckmäßig ist, dem Bundeskanzler bzw. seinem Stellvertreter den Vorsitz sowohl im Kabinett als auch im Bundesrat zu geben. Der Redaktionsausschuß glaubt, daß dadurch eine ersprießliche Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundesrat ermöglicht wird. Beide können sich rechtzeitig über die politischen Fragen, die zur Erörterung stehen, unterrichten. Umgekehrt kann die Bundesregierung ihre Ansicht vortragen und dadurch die Möglichkeit gewinnen, unter Umständen im Bundesrat schnell und unmittelbar – wenn der Bundesrat ein Vetorecht haben soll – ein Veto zu veranlassen. Es sind also Gründe der Zweckmäßigkeit gewesen, die zu diesem Vorschlag geführt haben. Dadurch wird nach Auffassung des Redaktionsausschusses auch der Bundesrat mehr in die Ebene eines echten Bundesorgans hinaufgehoben. Diese Regelung entspricht der tatsächlichen Regelung, wie sie unter der Bismarck’schen Verfassung bestand, wonach der Bundeskanzler seiner Eigenschaft als preußischer Ministerpräsident den Vorsitz geführt hat. (Zuruf: Nicht als Reichskanzler!)

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– Nein, in seiner Eigenschaft als Ländervertreter. Entscheidend ist aber, daß hier tatsächlich der Mann, der die Geschicke der Reichspolitik in der Hand hatte, zugleich den Vorsitz im Bundesrat geführt hat. Ein Stimmrecht soll der Bundeskanzler bzw. sein Stellvertreter nicht haben, sondern er soll nur den Vorsitz führen, die Geschäfte leiten und so zu einer Zusammenarbeit kommen. Dr. Süsterhenn (CDU): Die Bestellung des Bundeskanzlers zum Präsidenten des Bundesrats würde nach unserer Auffassung eine capitis deminutio27) des Bundesrats, eine Köpfung darstellen. Wenn wir den Bundesrat als gewichtiges Organ haben, sollen wir ihm auch die Autonomie belassen, daß er selbst den Präsidenten bestimmen kann. Gerade aus dem Beispiel der Bismarckschen Ära, das Herr Abgeordneter Zinn gebracht hat, geht hervor, daß damals der Reichskanzler den Vorsitz im Bundesrat nicht als Reichskanzler, sondern als Ländervertreter, als Ministerpräsident des Landes Preußen geführt hat. Meine Fraktion lehnt die Variante A des Redaktionsausschusses ab. Wir werden für die Variante B stimmen, wonach der Präsident des Bundesrats aus dessen Mitte für ein Jahr gewählt wird und Wiederwahl zulässig ist. Dr. Greve (SPD): Ich möchte den Ausführungen von Herrn Süsterhenn widersprechen und verweise dabei nicht auf die Verfassung des Bismarckschen Reiches, sondern auf die Weimarer Verfassung, nach der im Reichsrat ein Mitglied der Reichsregierung den Vorsitz geführt hat28). Das ist auch ganz logisch. Der Bundesrat, soweit wir ihn beschließen, soll ein Organ sein, in dem die Länder in Bundesangelegenheiten mitwirken, nicht aber ein Organ, in dem die Länder in Angelegenheiten der Länder selbst mitwirken. Es handelt sich beim Bundesrat schon um ein ganz echtes Bundesorgan und nicht um ein Organ, in dem die Länder zu den Länderaufgaben selbst Stellung nehmen. Aus diesem Grunde halte ich es nicht nur für staatsrechtlich richtig, sondern auch für logisch, daß in diesem Bundesorgan der Bundeskanzler den Vorsitz führt, allein schon deswegen, weil er auf diese Weise mit dem föderativen Element unseres staatlichen Organismus in viel engere Berührung gebracht wird, als es sonst der Fall sein könnte. Ich muß Sie insofern mit Ihren eigenen Waffen schlagen: Wenn Sie annehmen wollen, daß der Bundesrat nicht ein Organ der Länder, sondern ein Bundesorgan sein soll, entspricht es den Aufgaben, die er zu erfüllen hat, daß in ihm der Bundeskanzler – es ist nicht etwa gesagt, ein Mitglied der Bundesregierung, sondern es ist viel konkreter abgestellt auf den Bundeskanzler – den Vorsitz zu führen hat. Zinn (SPD): Ich darf darauf hinweisen, daß es kaum möglich sein wird, einen Bundesratspräsidenten zu finden, der irgendeinem Kabinett angehört und außerdem jahrelang die Geschäfte des Bundesrats führt. Er wird in den ganzen Jahren nie persönlich auftreten können. Rein diese praktischen Erwägungen haben uns bestimmt, diese Lösung, die der Tradition entspricht, vorzuschlagen. 27)

Begriff aus dem römischen Recht; bedeutet hier sinngemäß: Schmälerung des rechtlichen Status. 28) Art. 65. der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Den Vorsitz im Reichsrat und in seinen Ausschüssen führt ein Mitglied der Reichsregierung. Die Mitglieder der Reichsregierung haben das Recht und auf Verlangen die Pflicht, an den Verhandlungen des Reichsrats und seiner Ausschüsse teilzunehmen. Sie müssen während der Beratung auf Verlangen jederzeit gehört werden.“ RGBl. S. 1395.

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Dr. Fecht (CDU): Wenn ich aus der Zeit des Reichsrats sprechen darf, dem ich 15 Jahre angehört habe29), so kann ich sagen, daß gerade die Tatsache, daß der Reichsrat nicht in der Lage war, seinen Vorsitzenden selbst zu wählen, mit dazu beigetragen hat, das Ansehen des Reichsrats herabzumindern. Es ist seinerzeit, als der Reichsrat geschaffen wurde, bei den Verhandlungen in Weimar auch die Tatsache, daß der Bundesrat früher als Vorsitzenden den Reichskanzler hatte, in Erwägung gezogen worden, und man hat erwogen, ob der Reichsrat ebenfalls den Reichskanzler zum Vorsitzenden haben sollte. Man hat sich schließlich darauf geeinigt, als die ganze Frage des Einflusses der Länder zur Entscheidung kam. Es ist bekannt, daß bei der Schaffung der Weimarer Verfassung in sehr weitgehendem Umfang unitaristische [S. 131] Tendenzen vorhanden waren und daß man nach Möglichkeit den Einfluß der Länder herabdrücken wollte. Man kam zu einem Kompromiß, und darunter war auch die Bestimmung, daß der Reichskanzler der Vorsitzende des Reichsrats sein sollte. In Wirklichkeit hat aber der Reichskanzler nur äußerst selten selber den Vorsitz geführt und meistens nur dann, wenn ein Regierungswechsel stattfand und auf Grund des Regierungswechsels der Reichskanzler sich dem Reichsrat vorstellte, um seine föderalistische Einstellung zu betonen. Das war im wesentlichen die Tätigkeit des Reichskanzlers im Reichsrat. Normalerweise führte den Vorsitz der Reichsminister des Innern, der meist ressortmäßig zuständig war, oder ein Staatssekretär. Es ist ganz selbstverständlich, daß das Ansehen, das eine Körperschaft hat, mit davon abhängt, ob sie ihren Vorsitzenden aus sich selbst stellt und stellen kann. Ich würde im Interesse des künftigen Bundesrats dringend bitten, davon abzusehen, wieder auf die Regelung zurückzugreifen, daß der Reichskanzler bzw. ein von ihm bestimmter Stellvertreter den Vorsitz führt. In der Bismarckschen Verfassung war die Sache anders. Der Reichskanzler oder wer sonst in seiner Stellvertretung im Bundesrat den Vorsitz führte, war Bundesratsbevollmächtigter Preußens; er war selbst Mitglied des Bundesrats. Hier kann man also keinen Vergleich nach dieser Richtung ziehen. Der neue Bundesrat muß seinen Vorsitzenden selbst wählen. Das Verhältnis zur Bundesregierung wird nach meiner Auffassung dadurch gar nicht beeinträchtigt. Der Bundeskanzler kann jederzeit im Bundesrat seine Auffassung darlegen, er ist durch seine eigenen Minister vertreten und er kann jederzeit das Wort ergreifen. Auch die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundesrat nach anderen Richtungen wird nicht tangiert. Wir haben auch einen Artikel im Grundgesetz, wonach die Reichsregierung den Bundesrat über die Geschäfte auf dem laufenden halten und außerdem die Ausschüsse des Bundesrats zuziehen muß, wenn besonders wichtige Vorlagen in Vorbereitung sind. Alle diese Bestimmungen geben eine Gewähr dafür, daß die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundesrat gesichert ist. Die Meinung, daß es nicht möglich sein sollte, aus der Mitte des Bundesrats einen Vorsitzenden zu finden, kann ich nicht teilen; denn ich nehme an, daß im Bundesrat, in dem nur die Minister die ordentlichen Mitglieder sind, der 29)

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Hermann Fecht war 1918 Bevollmächtigter des Großherzogs von Baden im Bundesrat und von 1919–1931 badischer stellvertretender Reichsratbevollmächtigter sowie 1931–1933 stimmführender Bevollmächtigter Badens im Reichsrat und Leiter der Vertretung Badens in Berlin. Vgl. Feldkamp: Der Parl. Rat, S. 210.

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eine oder andere sich findet, der in der Lage ist, die Geschäfte des Bundesratspräsidenten zu besorgen. Dr. Seebohm (DP): Ich wundere mich über die ganze Debatte, und zwar deshalb, weil es Aufgabe des Redaktionsausschusses ist, die verschiedenen Bestimmungen zu koordinieren. Wir haben in Art. 79 Abs. 1 festgelegt, daß der Präsident des Bundesrats den Bundespräsidenten im Falle seiner Verhinderung vertritt. Infolgedessen ist es nicht möglich, daß der Bundeskanzler den Vorsitz im Bundesrat übernimmt. Ich verstehe nicht, wie der Redaktionsausschuß zu dieser Variante gekommen ist. Dr. Süsterhenn (CDU): Wenn ich Herrn Dr. Greve recht verstanden habe, hat er so argumentiert: Der Bundesrat ist Bundesorgan, infolgedessen kann er seinen Präsidenten nicht selbst wählen, sondern ist auf die Präsidentschaft des Bundeskanzlers angewiesen. Dasselbe könnte man auf den Bundestag anwenden. Aber abgesehen davon ist folgendes zu erwägen. Der Bundeskanzler geht im Normalfall aus dem Bundestag hervor. Da wir an dem Grundsatz der Nichtvereinbarkeit der Mitgliedschaft in Bundestag und Bundesrat festhalten, würde es dem System widersprechen, wenn wir den aus dem Bundestag hervorgegangenen Bundeskanzler zum Präsidenten des Bundesrats machen würden. Eine saubere Trennung beider Aufgaben scheint erforderlich zu sein. Um dem Bundesrat das entsprechende Gewicht zu geben, muß er auch das Recht der eigenen Autonomie, der Selbstorganisation haben. Dazu gehört eine aus seiner Mitte gewählte Spitze. Die Fühlungnahme mit der Bundesregierung kann dadurch hergestellt werden, daß die Regierung verpflichtet ist, den Bundesrat über die Geschäfte auf dem laufenden zu halten, und daß der Bundeskanzler jederzeit im Bundesrat erscheinen kann. Dadurch ist eine hinreichende Fühlungnahme unter allen Umständen gewahrt. Dr. Katz (SPD): Die Variante A ist nicht ein sozialdemokratischer Vorschlag gewesen. Sie ist vom Redaktionsausschuß gekommen und, wie ich annehme, vom Redaktionsausschuß – Dr. von Brentano, Dr. Dehler, Zinn – einstimmig vorgeschlagen. Wir haben den Vorschlag in unserer Fraktion geprüft und wir müssen sagen, es handelt sich nicht um eine große prinzipielle oder weltanschauliche Frage, sondern um eine rein praktische Frage. Wir haben sie unter praktischen Gesichtspunkten geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß nach den Gründen, die Herr Zinn vorgetragen hat, die Variante A vor der Variante B den Vorzug verdient. Wir wollen dabei nicht auf die Position des Bundesrats als solche abstellen, das hat damit gar nichts zu tun, sondern es handelt sich nur um die Frage, wie es am praktischsten funktioniert. Da scheint es mir, daß die Gründe, die Herr Zinn vorgetragen hat, nicht ohne Gewicht sind. Eine Verhinderung der Tätigkeit des Bundesrats kommt nicht in Frage; denn im nächsten Artikel ist vorgesehen, daß der Bundesrat einberufen werden muß, wenn die Vertreter von mindestens zwei Ländern es verlangen. Ich habe auch keine Bedenken, daß die Dignität der Körperschaft dadurch beeinträchtigt wird, daß der Reichskanzler oder sein Stellvertreter dort ständig den Vorsitz führt. Ich sehe also, wie gesagt, keine Schwierigkeit und ich glaube, aus Gründen des praktischen Ergebnisses ist es richtiger, bei der Variante A zu bleiben und nicht die große Prinzipienfrage aufzurollen. Es handelt sich um eine rein technische Frage, und sie sollte als solche bewertet werden. Selbstverständlich hat Herr Kollege Seebohm recht, wenn er sagt, daß wir die Frage der Vertretung des Bundespräsidenten anders regeln müssen, wenn wir nach

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dem Vorschlag des Redaktionsausschusses entscheiden. Die Frage des Vorsitzes im Bundesrat war noch nicht vorgesehen, als wir das Kapitel über den Bundespräsidenten beraten haben. Dr. Laforet (CSU): Der Redaktionsausschuß hat keine eindeutige Stellung genommen, sondern zwei Varianten zur Auswahl gestellt. Die Herren des Redaktionsausschusses haben nicht etwa Variante A von sich aus einstimmig empfohlen. Was mit dem Bundesrat geschaffen werden soll, ist gewiß ein Organ des Bundes. Das ist aber auch der Bundestag. Es wäre völlig unrichtig, wenn man aus dem Umstand, daß der Bundesrat ein Bundesorgan ist, den Schluß ziehen wollte, daß die Bundesregierung den Vorsitz haben muß. So ist das nicht gemeint gewesen. Denn das würde, wie Kollege Süsterhenn sagt, ebensogut für den Bundestag zutreffen. Der Bundesrat ist ein Länderorgan, ein selbständiges Organ im Bundesgefüge, das einen eigenen Willen besitzt. Zu einem eigenen Willen gehört nach meiner Ansicht und nach allgemeiner Auffassung auch die Wahl seines eigenen Vorsitzenden. Man hat Schwierigkeiten darin gesehen, daß der Vorsitzende geschäftlich überlastet wird. Ja, sollte denn der Bundeskanzler, der jeder Bundesratssitzung präsidieren müßte, nicht auch überlastet sein? (Zuruf: Das ist ein Geschäft des Vizekanzlers!) Ich halte die Fassung, daß der Bundeskanzler oder sein Stellvertreter den Vorsitz im Bundesrat führt, für falsch; sie stimmt mit den bisherigen Beschlüssen nicht überein. Gewiß, Herr Kollege Katz hat betont, daß es keine entscheidende, lebenswichtige Frage ist. Aber die Frage sollte doch zweckmäßig geregelt werden. Es müssen doch klare Grundsätze entscheiden, und zu diesen klaren Grundsätzen gehört es, daß ein selbständiges Länderorgan geschaffen wird, das einen eigenen Willen besitzt und zum mindesten seinen Präsidenten selbst wählen kann. Dr. Heuss (FDP): Mir scheint das Problem der Inkompatibilität, das von Herrn Süsterhenn angeschnitten wurde, entscheidend zu sein, nämlich daß [S. 132] jemand gleichzeitig Mitglied des vom Volke gewählten Bundestags und Vorsitzender bzw. stellvertretender Vorsitzender des Bundesrats sein soll. Ich kenne die Motive des Redaktionsausschusses nicht, halte es jedoch für möglich, daß der Blick auf Amerika vielleicht die Ursache war, wo der Vizepräsident, wie Sie wissen, der Vorsitzende des Senats ist, allerdings ohne Stimmrecht. Aber der Vizepräsident in Amerika hat, soweit ich sehe, außer dieser keine wesentliche Funktion. Diese ist eine rein technische Funktion, die vielleicht je nach der Art der Persönlichkeit auch eine politische werden kann. Hier ist eine politische Figur wie der Bundeskanzler in eine Situation gesetzt, die nur technischen Charakter haben soll, und von der Seite her habe ich ein Unbehagen, daß der der Volkskammer verantwortliche Bundeskanzler nun gleichzeitig der geschäftsführende Chef der Ländervertretung sein soll. Da stimmt etwas nicht. Wenn wir uns schon für eine Bundesratsfunktion ausgesprochen haben, dann sollten wir auch konsequent sein und bestimmen, daß der Bundesrat in der Bildung seiner Organe autonom ist. Die politische Beeinflussung der Regierung wird durch Zitierung des Reichskanzlers oder seines Vertreters gegeben sein; sonst müssen sie die Konsequenzen ziehen. Jetzt schon sozusagen ein kommendes Statut für eine Bundesregierung zu schaffen, wo dann ein Länderminister eingesetzt wird, der Dauervertreter des Verkehrs mit den Ländern ist, wäre auch eine dumme Geschichte, weil sich daraus wieder eine Spezialisierung erge-

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ben würde. Das würde die Funktionen der einzelnen Ressorts in ihrem Verhältnis zu den Ländern erschweren. Das wird vermieden, wenn wir dem Bundesrat auch seine technische und politische Autonomie geben. Dr. Greve (SPD): Wenn ich gesagt habe, daß der Bundesrat ein Bundesorgan sein soll, so habe ich nicht schon aus dieser Feststellung allein den Schluß gezogen, daß der Bundeskanzler Vorsitzender des Bundesrats sein soll. Ich bin der Auffassung, daß dieser Bundesrat anders zu behandeln ist als eine echte erste Kammer. Das hat auch Herr Kollege Heuss in seinen Ausführungen zum Ausdruck gebracht. Ich frage Herrn Kollegen Heuss, der von 1924 bis 1933 Mitglied des deutschen Reichstags gewesen ist, ob er damals auch ein Unbehagen gehabt hat, daß ein Mitglied der Reichsregierung Mitglied des Reichsrats war. Es ist etwa dasselbe, was wir damals gehabt haben, wenn wir jetzt den Bundeskanzler, der ein Mitglied der Bundesregierung ist, oder seinen Stellvertreter den Vorsitz im Bundesrat führen lassen. Nach der Formulierung des Art. 68 Variante A soll der Bundeskanzler oder sein Stellvertreter nur den Vorsitz im Bundesrat führen und kein Stimmrecht haben. Er ist nicht zugleich Mitglied des Bundestags und des Bundesrats, sondern er soll nur in seiner Eigenschaft als Bundeskanzler geschäftsordnungsmäßig den Vorsitz im Bundesrat führen. Das wird sich deshalb als richtig erweisen, weil der Bundesrat keine echte erste Kammer ist. Aus diesem Gesichtspunkt halte ich den vom Redaktionsausschuß gemachten Vorschlag für so wertvoll, daß ich bereit bin, ihm meine Zustimmung zu geben. Brockmann (Z): Der Umstand, daß die Frage der Vertretung des Bundespräsidenten mit dieser Frage in Zusammenhang steht, ist sehr wichtig. Diese Frage müßte vorher geklärt werden. Ich werde für meine Person zunächst für Variante B stimmen, bis die Frage der Vertretung des Bundespräsidenten endgültig geklärt ist.30) Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann stelle ich zunächst die Variante A von Art. 68 zur Abstimmung. – Die Variante A ist mit 10 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Ich lasse über Variante B abstimmen. – Die Variante B ist mit 12 Stimmen bei Stimmenthaltung des Abgeordneten Renner angenommen.

[1.4. ART. 69 EINBERUFNUG DES BUNDESRATES]

Die Variante A von Art. 69 entfällt, und es bleibt die Variante B: Der Präsident des Bundesrats beruft den Bundesrat ein. Er muß ihn einberufen, wenn die Vertreter von mindestens zwei Ländern oder die Bundesregierung es verlangen. In dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU sind noch einige weitere Einberufungsvoraussetzungen enthalten. Es heißt dort: Der Bundesrat muß auf Antrag des Bundespräsidenten, der Bundesregierung oder auf Verlangen eines Fünftels der gesetzlichen Stimmenzahl einberufen werden. Dr. Süsterhenn (CDU): Das letztere deckt sich mit dem Antrag der SPD. 30)

Im stenograph. Wortprot., S. 57, folgt danach: „Dr. Lehr (CDU): Ich beantrage Schluß der Debatte.“

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Dr. Katz (SPD): Wir nehmen unseren Antrag bezüglich des Fünftels zurück. Es ist praktisch kein großer Unterschied. Um die Sache nicht zu komplizieren, erklären wir uns mit der Fassung „von mindestens zwei Ländern“ einverstanden. Bezüglich des Bundespräsidenten bin ich der Ansicht, daß er mit den Sitzungen des Bundesrats nichts zu tun haben sollte. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich bin der Meinung, daß dem Bundespräsidenten ebenso wie der Bundesregierung daran gelegen sein könnte, gerade mit dem Länderorgan eine Sitzung abzuhalten, um eine Frage von wichtiger Bedeutung zu erörtern. Man sollte daher dem Bundespräsidenten diese Möglichkeit einräumen. Dr. Greve (SPD): Wenn wir dem Bundespräsidenten die Möglichkeit geben, den Bundesrat einzuberufen, dann geben wir ihm eine politische Entscheidung, die er nach den bisherigen Beratungen nicht hat. Es ist nicht einzusehen, warum der Bundespräsident die Gelegenheit haben soll, den Bundesrat einzuberufen, der einen eigenen Präsidenten hat, wenn wir ihm nicht zugleich die Möglichkeit geben, den Bundestag oder die Bundesregierung einzuberufen. Der Antrag, der hier gestellt ist, bringt eine neue Situation in die Debatte, insofern als der Bundespräsident Funktionen bekommt, die er bisher nicht erhalten hat. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die CDU/CSU stellt den Antrag, in Art. 69 zu sagen: Er muß ihn einberufen, wenn die Vertreter von mindestens zwei Ländern oder der Bundespräsident oder die Bundesregierung es verlangen. Dr. Heuss (FDP): Ich bin gegen die Einfügung des Bundespräsidenten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zuerst über die Einfügung des Bundespräsidenten abstimmen. – Der Zusatz ist mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Dann lasse ich über den Art. 69 in der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Der Art. 69 ist mit 16 Stimmen bei Stimmenthaltung des Abgeordneten Renner angenommen.

[1.5. ART. 70: GESCHÄFTSORDNUNG DES BUNDESRATES]

Wir kommen zu

Art. 70 Der Bundesrat gibt sich eine Geschäftsordnung. Zinn (SPD): Wir können diesen Artikel als Antrag der Fraktion der CDU/CSU aufnehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich stelle allgemeines Einverständnis fest. Damit ist Art. 70 angenommen.

[1.6. ART. 71: ÖFFENTLICHKEIT DER SITZUNGEN DES BUNDESRATES]

Art. 71 Der Bundesrat verhandelt öffentlich. Nach Maßgabe der Geschäftsordnung kann die Öffentlichkeit für einzelne Beratungsgegenstände ausgeschlossen werden. Es besteht Einverständnis. Der Artikel ist gegen die Stimme des Abgeordneten Renner angenommen.

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Renner (KPD): Ich stimme gegen den zweiten Satz, daß die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden kann.

[1.7. ART. 72: AUSSCHÜSSE IM BUNDESRAT]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir kommen zu Art. 72 Der Bundesrat bildet Ausschüsse, denen nach Maßgabe der Geschäftsordnung auch andere [S. 133] Beauftragte der Landesregierungen angehören können. Es besteht allgemeines Einverständnis. Der Artikel ist angenommen.

[1.8. ART. 73: ANTRAGSRECHT UND TEILNAHME DES BUNDESKANZLERS IM BUNDESRAT]

Art. 73 (1) Der Bundeskanzler oder sein Stellvertreter ist befugt, im Bundesrat Anträge zu stellen. (2) Die Mitglieder der Bundesregierung haben das Recht und auf Verlangen die Pflicht, an den Verhandlungen des Bundesrats und seiner Ausschüsse teilzunehmen. Sie müssen während der Beratung auf Verlangen jederzeit gehört werden. (3) Der Bundesrat ist von dem Bundeskanzler und von den Bundesministern über die Führung der Bundesgeschäfte auf dem laufenden zu halten. Zur Beratung über wichtige Gegenstände ziehen die Bundesminister den zuständigen Ausschuß des Bundesrats zu. Dr. Süsterhenn (CDU): Die Abs. 2 und 3 dieses Artikels entsprechen unseren Anträgen. Der Abs. 1 stellt ein Novum dar, gegen das wir keine grundsätzlichen Bedenken haben. Wir bitten aber, daß das Antragsrecht nicht dem Bundeskanzler oder seinem Stellvertreter, sondern allenfalls der Bundesregierung zugebilligt wird. Zinn (SPD): Den Vertretern der Bundesregierung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Man kann sagen: „Der Bundeskanzler oder sein Stellvertreter ist befugt, namens der Bundesregierung im Bundesrat Anträge zu stellen.“ Dr. Süsterhenn (CDU): Der Bundeskanzler tritt nie persönlich in Erscheinung, sondern als Chef der Bundesregierung.31) Das scheint logisch zu sein. Dr. von Brentano (CDU): Schreiben wir: „Die Bundesregierung“. Dr. Becker (FDP): Ich bitte zu erwägen: Wenn der Bundeskanzler nach unseren Beschlüssen nicht Sitz im Bundesrat hat, kann er logischerweise keine Anträge stellen, sondern nur als Vertreter der Regierung Vorlagen machen. Das Wort Anregungen wird zu eng sein. Ich bitte zu erwägen, ob diese Bestimmung nicht anders formuliert werden könnte oder ob man Abs. 1 überhaupt weglassen könnte. 31)

Statt „Der Bundeskanzler tritt nie persönlich in Erscheinung, sondern als Chef der Bundesregierung.“ im stenograph. Wortprot., S. 61: „Es tritt nie der Bundeskanzler persönlich in Erscheinung als Chef der Bundesregierung.“

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Dr. Greve (SPD): Wir müssen anders vorgehen und zunächst im Art. 73 sagen, daß die Mitglieder der Bundesregierung das Recht und nötigenfalls auf Verlangen die Pflicht haben, an den Verhandlungen des Bundesrats teilzunehmen. Erst wenn wir das gesagt haben, können wir entweder der Bundesregierung als Organ oder einem Mitglied der Bundesregierung, das auch der Bundeskanzler ist, die Möglichkeit geben, Anträge im Bundesrat zu stellen. Ich möchte bitten, der Bundesregierung als Organ und jedem ihrer Mitglieder die Möglichkeit zu geben, Anträge im Bundesrat zu stellen. Dr. Fecht (CDU): Nach meiner Auffassung ist Abs. 1 lediglich deswegen hineingekommen, weil man davon ausgegangen ist, daß die Variante A des Art. 68 angenommen wird. Nachdem das nicht der Fall ist, glaube ich, daß der Abs. 1 des Art. 73 gegenstandslos ist. Dr. Greve (SPD): Ich stelle zu Art. 73 folgenden Abänderungsantrag: Abs. 2 wird Abs. 1; als neuer Abs. 2 wird eingefügt: Die Bundesregierung und jedes ihrer Mitglieder haben das Recht, im Bundesrat Anträge zu stellen. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich glaube, daß die Bedenken von Herrn Dr. Becker und Herrn Dr. Fecht wirklich triftig sind. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, Vorlagen sowohl an den Bundestag wie an den Bundesrat zu machen. Wenn wir das Wort „Anträge“ einführen würden, würden die Mitglieder der Bundesregierung auch das Recht haben, Anträge auf Schluß der Debatte oder sonstige Anträge geschäftsordnungsmäßiger Art zu stellen. Das würde der Stellung, die die Bundesregierung gegenüber dem Bundesrat einnimmt, widersprechen und würde sie geradezu zu einem Mitglied des Hauses machen. Ich habe mich auf Grund der Ausführungen überzeugt, daß es richtiger ist, den Abs. 1 zu streichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich über Abs. 1 von Art. 73 abstimmen. – Für die Annahme ist niemand. Der Abs. 1 ist also gestrichen. Ich lasse über Abs. 2 von Art. 73 abstimmen. – Der Abs. 2 ist gegen die Stimme des Abgeordneten Renner angenommen. Der bisherige Abs. 2 ist jetzt Abs. 1. Ich lasse über Abs. 3 von Art. 73 abstimmen. – Der Abs. 3 ist gegen die Stimme des Abgeordneten Renner angenommen. Das ist nunmehr Abs. 2.

[1.9. ART. 74: PRIVILEGIEN FÜR DIE MITGLIEDER DES BUNDESRATES]

Art. 74 ist vom Redaktionsausschuß gestrichen. Dr. Süsterhenn (CDU): Wir halten den Art. 74 aufrecht: Die Mitglieder des Bundesrats und die ständigen Mitglieder seiner Ausschüsse32) haben das Recht zur freien Benutzung aller staatlichen Verkehrsmittel. Das ist eine Aufrechterhaltung des Zustandes, der im früheren Bundesrat und Reichsrat üblich war. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag auf Aufnahme des Art. 74 abstimmen. – Der Antrag ist angenommen. 32)

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„und die ständigen Mitglieder seiner Ausschüsse“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 63.

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[1.10. ANTRAG DER KPD-FRAKTION ZUR LÄNDERVERTRETUNG]

Ich kann jetzt über den Antrag der KPD33) abstimmen lassen. Dieser Antrag ist nicht an den Hauptausschuß adressiert gewesen, sondern an den Vorsitzenden des Organisationsausschusses34). Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist eigentlich kein Antrag. Es sind mehr Grundsätze, die Sie niedergelegt haben. Es heißt hier: In das Grundgesetz bitten, wir folgende Bestimmungen über die Ländervertretung beim Bund aufnehmen zu wollen: A. Allgemein. 1. Die Ländervertretung hat den Charakter des Senats. 2. Die Vertreter der Länder werden von den Landtagen aus ihrer Mitte gemäß der Stärke der einzelnen Landtagsfraktionen für die Dauer der Wahlperiode des Landtags gewählt. Sie sind an Weisungen ihrer Landesregierungen nicht gebunden. 3. Auf 500 000 Einwohner eines jeden Landes entfällt ein Abgeordneter zur Ländervertretung. B. Aufgaben der Ländervertretung: 1. Die Ländervertretung hat das Recht der Gesetzesinitiative. 2. Die Ländervertretung hat das Recht, gegen vom Bundestag beschlossene Gesetze Einspruch zu erheben. Ein Einspruch muß innerhalb 14 Tagen nach der Schlußabstimmung beim Präsidenten des Bundestags eingebracht und spätestens innerhalb weiterer 14 Tage mit Gründen versehen werden. Der Einspruch kann vom Bundestag mit einfacher Mehrheit zurückgewiesen werden. Die Zurückweisung des Einspruchs muß vom Bundestag mit zwei Dritteln Mehrheit erfolgen, wenn er von der Ländervertretung mit zwei Dritteln Mehrheit eingelegt wurde. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich bin der Meinung, daß die erste Gruppe der Anträge des Herrn Abgeordneten Renner durch die bisherigen Abstimmungen abgelehnt ist und daß darüber weder beraten noch abgestimmt werden kann. Was die zweite Gruppe anlangt, so ist es Herrn Renner unbenommen, zur Beratung der kommenden Artikel jeweils die entsprechenden Anträge zu stellen. Renner (KPD): Ich bin mir darüber klar, daß der Antrag bereits abgelehnt ist. Aber um der historischen Wahrheit willen und um festzuhalten, daß wir [S. 134] Kommunisten die einzigen sind, die dieses Prinzip hochgehalten haben, lege ich Wert darauf, im Protokoll zu vermerken, daß unser Antrag wenigstens vorgelegt wurde. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist geschehen und wird festgestellt. Dr. Greve (SPD): Entgegen der Auffassung des Herrn Renner bin ich der Ansicht, daß das nicht ein Antrag ist. Was Sie hier vorgelegt haben, ist nicht in die Form 33)

Der Antrag der KPD-Fraktion vom 27. Okt. 1948 wurde vervielfältigt als Drucks. Nr. 235 und am 3. Nov. 1948 in der 19. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes behandelt. Für den Wortlaut des Antrags einschließlich der in dieser Stelle nicht wiedergegebenen kurzen Begründung vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 25, S. 709. 34) Im stenograph. Wortprot., S. 64, folgt danach: „Herr Abg. Renner, Sie sagten vorhin, daß Sie auf eine Abstimmung über diesen Antrag keinen Wert legen.“ Renner (KPD): Gerade Wert lege! Auf die Drucklegung lege ich keinen Wert.“

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eines Antrags gekleidet. Ich würde bitten, Herrn Renner Gelegenheit zu geben, das wahr zu machen, was er gesagt hat. Renner (KPD): Ich möchte die Verhandlungen nicht allzu lange hinziehen. Heute morgen35) ist festgestellt worden, daß nach dem 15. Dezember36) auch noch getagt wird. Am Samstag hat General Robertson37) den Ministerpräsidenten eine andere Weisung gegeben38). Es liegt mir daran festzuhalten, daß der Organisationsausschuß über den Antrag hinweggegangen ist und daß der Antrag dem Hauptausschuß nicht vorgelegt worden ist. Dr. Lehr (CDU): Zur Geschäftsordnung! Herr Kollege Renner, Sie haben hier allgemeine Richtlinien und Gedanken ausgesprochen, ohne sie in die Form von Anträgen zu kleiden. Diese Richtlinien und Gedanken haben wir auch im Organisationsausschuß behandelt, und sie haben sich dadurch erledigt, daß wir zu den einzelnen Artikeln Stellung genommen haben. Dann ist entweder von Ihren Grundsätzen etwas hereingekommen oder es ist abgelehnt worden; es ist aber jedenfalls erledigt worden. Renner (KPD): Im Organisationsausschuß ist über diesen Antrag gesprochen worden. (Zuruf: Nein!) – Dann ist er bei Ihnen in der Schublade liegen geblieben. Mir genügt die Feststellung, daß er bei Ihnen im Papierkorb liegen geblieben ist. (Dr. Lehr [CDU]: Ich habe keinen Papierkorb.) – Aber Sie haben eine Schublade. Sie sind doch ein alter Verwaltungsbeamter.39) 35) 36)

37) 38)

39)

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Am Vormittag des 30. Nov. 1948 tagte der Ältestenrat. In der Sitzung wurden die zukünftigen Beratungstermine besprochen. Vgl. dazu Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. A 15, S. 41. Der Vorsitzende des HptA Schmid hatte den 15. Dez. 1948 als Termin für den Abschluß der ersten Lesung des Grundgesetzentwurfes im HptA bekannt gegeben. Dieses wurde zuletzt auf der Konferenz der MilGouv. mit den MinPräs. der Bizone am 29. Nov. 1948 bestätigt. Vgl. Akten zur Vorgeschichte, Bd. 4, Dok. Nr. 102, S. 965. Zum brit. MilGouv. Robertson vgl. oben Dok. Nr. 6, S. 169 Anm. 5. Für Samstag, den 27. Nov. 1948 konnte keine Zusammenkunft mit dem britischen MilGouv. Gen. Robertson nachgewiesen werden. Möglicherweise bezieht sich Abg. Renner auf die Konferenz der MilGouv. mit den MinPräs. der Bizone am 29. Nov. 1948 im Büro von Gen. Robertson. Hier hatte Robertson an das Memorandum der MilGouv. vom 22. Nov. 1948 erinnert und darauf hingewiesen, dass auch die MilGouv. ca. einen Monat Zeit für die Genehmigung des Grundgesetzentwurfes bräuchten. Vgl. Akten zur Vorgeschichte, Bd. 4, Dok. Nr. 102, S. 965. N achfolgende Wortbeiträge fehlen im stenograph. Wortprot., S. 65: „Dr. Greve (SPD): Entgegen der Auffassung des Herrn Renner bin ich der Ansicht, daß das nicht ein Antrag ist. Was Sie hier vorgelegt haben, ist nicht in die Form eines Antrags gekleidet. Ich würde bitten, Herrn Renner Gelegenheit zu geben, das wahr zu machen, was er gesagt hat. Renner (KPD): Ich möchte die Verhandlungen nicht allzu lange hinziehen. Heute morgen ist festgestellt worden, daß nach dem 15. Dezember auch noch getagt wird. Am Samstag hat General Robertson den Ministerpräsidenten eine andere Weisung gegeben. Es liegt mir daran festzuhalten, daß der Organisationsausschuß über den Antrag hinweggegangen ist und daß der Antrag dem Hauptausschuß nicht vorgelegt worden ist. Dr. Lehr (CDU): Zur Geschäftsordnung! Herr Kollege Renner, Sie haben hier allgemeine Richtlinien und Gedanken ausgesprochen, ohne sie in die Form von Anträgen zu kleiden. Diese Richtlinien und Gedanken haben wir auch im Organisationsausschuß behandelt, und sie haben sich dadurch erledigt, daß wir zu den einzelnen Artikeln Stellung

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[2. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT IX: DIE GESETZGEBUNG]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich schlage vor, nunmehr den Abschnitt IX Die Gesetzgebung zu behandeln. Als Vorlage dienen die Arbeiten des Allgemeinen Redaktionsausschusses nach dem Stand vom 26. November 1948 (PR. 11.48 – 318)40). Dr. Katz (SPD): Ich würde zunächst die Art. 101 und 102 zusammen behandeln. Ich ersehe aus der Vorlage des Redaktionsausschusses, daß diese Artikel gestrichen werden sollen. In der Begründung ist gesagt, daß der Inhalt des bisherigen Art. 101 bereits in den allgemeinen Artikeln 20 und 21 enthalten ist. Er kann hier wegfallen. In Art. 102 handelt es sich darum, in welchem Umfang die Gesetzgebung durch Rechtsverordnungen wahrgenommen werden kann. Der Redaktionsausschuß empfiehlt die Behandlung an anderer Stelle, nämlich hinter Art. 111. Ich bin damit einverstanden. Beide Streichungen werden das Werk erheblich vereinfachen. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich glaube, Herr Dr. Katz hat die Artikel nicht als überflüssig bezeichnet. Dr. Katz (SPD): Ich habe gesagt, sie werden an anderer Stelle gebracht. Dr. Süsterhenn (CDU): Darüber läßt sich selbstverständlich reden. Es handelt sich andererseits bei Art. 102 auch um die Frage, ob solche Rechtsverordnungen, die Ausführungsbestimmungen zu einem Bundesgesetz enthalten, der Zustimmung des Bundesrats bedürfen. Wenn das bei der Bestimmung betreffend die Rechtsverordnungen wiederkehrt, bin ich mit der Streichung von Art. 101 und 102 an dieser Stelle einverstanden41). Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir nehmen das zur Kenntnis.

genommen haben. Dann ist entweder von Ihren Grundsätzen etwas hereingekommen oder es ist abgelehnt worden; es ist aber jedenfalls erledigt worden. Renner (KPD): Im Organisationsausschuß ist über diesen Antrag gesprochen worden. (Zuruf: Nein!) – Dann ist er bei Ihnen in der Schublade liegen geblieben. Mir genügt die Feststellung, daß er bei Ihnen im Papierkorb liegen geblieben ist. (Dr. Lehr [CDU]: Ich habe keinen Papierkorb.) – Aber Sie haben eine Schublade. Sie sind doch ein alter Verwaltungsbeamter.“ 40) Die Drucks. Nr. 318 vom 26. Nov. 1948 mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zum Abschnitt IX ist ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 63–71. 41) N achfolgende Wortbeiträge fehlen im stenograph. Wortprot., S. 66: „Dr. Süsterhenn (CDU): Ich glaube, Herr Dr. Katz hat die Art. nicht als überflüssig bezeichnet. Dr. Katz (SPD): Ich habe gesagt, sie werden an anderer Stelle gebracht. Dr. Süsterhenn (CDU): Darüber läßt sich selbstverständlich reden. Es handelt sich andererseits bei Art. 102 auch um die Frage, ob solche Rechtsverordnungen, die Ausführungsbestimmungen zu einem Bundesgesetz enthalten, der Zustimmung des Bundesrats bedürfen. Wenn das bei der Bestimmung betreffend die Rechtsverordnungen wiederkehrt, bin ich mit der Streichung von Art. 101 und 102 an dieser Stelle einverstanden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir nehmen das zur Kenntnis.“

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Elfte Sitzung des Hauptausschusses 30. November 1948 [2.1. ART. 103: GESETZESVORLAGEN]

Dann rufe ich auf

Art. 103 (1) Gesetzesvorlagen können beim Bundestag durch die Bundesregierung, durch den Bundesrat oder aus der Mitte des Bundestags eingebracht werden. (2) Vorlagen der Bundesregierung sind dem Bundestag und dem Bundesrat zu gleicher Zeit zu unterbreiten. (3) Vorlagen des Bundesrats oder eine Stellungnahme des Bundesrats zu einer Vorlage sind dem Bundestag durch die Bundesregierung zuzuleiten, sie hat hierbei ihre Auffassung darzulegen. (4) Der Präsident des Bundestags hat jede vom Bundestag angenommene Gesetzesvorlage dem Bundesrat alsbald zuzustellen. Dr. Strauß (CDU): Wäre es nicht besser, in Abs. 1 zu sagen: „Gesetzesvorlagen werden . . . eingebracht“ statt: „Gesetzesvorlagen können . . . eingebracht werden“? So war die Fassung der Weimarer Reichsverfassung42). Wir sollten die gleiche textliche Fassung bewahren. Wie ist es mit Vorlagen des Bundestags, die an den Bundesrat gehen? Muß da nicht in gleicher Weise die Bundesregierung die Vorlage dem Bundesrat zuleiten, wie es in Abs. 3 für den umgekehrten Fall vorgesehen ist? Gerade in solchen Fällen sollte die Bundesregierung Bemerkungen zu einer solchen Vorlage machen können. Zinn (SPD): Vorlagen des Bundestags können erst vorhanden sein, wenn der Bundestag als solcher einen Beschluß gefaßt hat. In anderen Fällen kann es sich höchstens um den Antrag von Fraktionen handeln. Ist aber ein Beschluß gefaßt worden, so ist der Beschluß formell zuzustellen, schon um das Einspruchsrecht auszulösen. Das steht in Abs. 4 des Artikels. Dr. Strauß (CDU): Damit erledigt sich das. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich schlage vor, Abs. 1 dahingehend zu ändern: „Gesetzesvorlagen werden . . . eingebracht“. (Zustimmung.)43) Ich lasse über Abs. 1 von Art. 103 in der veränderten Form abstimmen. – Abs. 1 ist angenommen. Ich lasse über Abs. 2 abstimmen. – Abs. 2 ist angenommen. Ich lasse über Abs. 3 abstimmen. – Abs. 3 ist angenommen. Ich lasse über Abs. 4 abstimmen. – Abs. 4 ist angenommen. Damit ist Art. 103 in der Fassung des Redaktionsausschusses angenommen. Dr. Süsterhenn (CDU): Bei Abs. 4 müßte für das Verhältnis vom Bundesrat zum Bundestag gesagt werden, daß die vom Bundesrat angenommenen Vorlagen durch den Präsidenten des Bundesrats44) dem Bundestag unverzüglich zuzuleiten sind. Dr. Strauß (CDU): Das steht in Abs. 3. 42)

Vgl. Art. 68 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Die Gesetzesvorlagen werden von der Reichsregierung oder aus der Mitte des Reichstags eingebracht. Die Reichsgesetze werden vom Reichstag beschlossen.“ RGBl. S. 1396. 43) Die Notiz des stenograph. Dienstes „(Zustimmung)“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 67. 44) „durch den Präsidenten des Bundesrats“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 67.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): In Abs. 3 heißt es: „sind dem Bundestag . . . zuzuleiten“. Dr. Süsterhenn (CDU): Bei der Formulierung des Abs. 3 ist der Redaktionsausschuß offensichtlich davon ausgegangen, daß Bundesrat und Bundestag keine gleichberechtigten Gesetzgebungsorgane sind, sondern daß der Bundesrat lediglich Vorlagen bringt. Dagegen heißt es in Abs. 4, daß die vom Bundestag angenommenen Gesetzesvorlagen bereits Gesetzescharakter haben sollen. [S. 135] Dr. Katz (SPD): Herr Kollege Süsterhenn mag recht haben, daß dies das Motiv für diese Fassung gewesen ist. Aber auch bei voller Gleichberechtigung der beiden Kammern sieht Abs. 3 vor, daß die Vorlage des Bundesrats dem Bundestag zuzuleiten ist, und zwar durch die Bundesregierung mit ihrer Stellungnahme. Also auch für den Fall, daß seine Auffassung später den Sieg erringen sollte, ist technisch die Sache völlig gedeckt, so daß wir an dieser Stelle eine Diskussion nicht zu führen brauchen.

[2.2. ART. 104, 105 UND 105a: ZUSTIMMUNGSPFLICHTIGE UND EINSPRUCHSGESETZE]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe auf Art. 104, 104a und 105, wobei Art. 104a als Art. 105a behandelt wird. Wir können nicht gut die einzelnen Artikel für sich allein behandeln, sondern müssen sie in dem Zusammenhang behandeln, in welchen sie gehören. Die drei Artikel betreffen einen Komplex. Art. 104 (1) Die Bundesgesetze werden vom Bundestag beschlossen. (2) Gegen ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz steht dem Bundesrat der Einspruch zu. Der Einspruch ist binnen eines Monats nach Zustellung des Gesetzesbeschlusses bei dem Präsidenten des Bundestags einzulegen. Der Bundestag beschließt über den Einspruch. Er kann den Einspruch mit Zweidrittelmehrheit, zumindest mit der Mehrheit seiner Mitglieder überstimmen. Art. 105 Der Zustimmung des Bundesrats bedürfen Gesetze 1. über Steuern, deren Reinaufkommen den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden zufließt oder gemeinsame Einnahmen des Bundes und der Länder sind, 2. über den Finanzausgleich, 3. durch die neue Bundesoberbehörden oder neue der unmittelbaren Bundesaufsicht unterstehende Körperschaften des öffentlichen Rechts geschaffen werden, 4. durch die ein neues Weisungsrecht gegenüber den Landesbehörden begründet wird, 5. durch die ein neuer bundeseigener Behördenunterbau geschaffen wird. In den Fällen 1 bis 4 ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmen, im Falle 5 die Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen erforderlich. Art. 105a Ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz ist zustande gekommen, wenn der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt, innerhalb der gesetzlichen Frist keinen Einspruch eingelegt oder ihn zurückgenommen hat oder wenn der Einspruch vom Bundestag überstimmt worden ist.

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Dr. Katz (SPD): Diese drei Artikel stellen naturgemäß das Kernproblem dar, ob die beiden Kammern gleichberechtigt sein sollen oder ob eine der beiden Kammern den Vorrang verdient. Wir haben dieses Problem bereits vorhin bei der Frage des Bundesrats angeschnitten. An dieser Stelle muß es entschieden werden. Die Stellungnahme meiner Fraktion ist bekannt. Wir sind der Ansicht, daß der Bundestag, die Volkskammer, die Superiorität verdient. Sie ist die vom Volk zur Gesetzgebung berufene Kammer. Sie soll die Superiorität bei der Gesetzgebung haben. Wir sind gegen eine Gleichberechtigung beider Kammern, weil sich daraus später unlösbare Konflikte entwickeln können in dem Fall, daß der Bundesrat, die Länderkammer, einem Gesetz, das von der Mehrheit im Bundestag beschlossen worden ist, nicht zustimmt. Wo kämen wir dann hin? Wir hätten dann keine Möglichkeit, irgendeine Lösung zu finden. Daher verdient die Fassung, die sich jetzt auch der Redaktionsausschuß zu eigen gemacht hat, daß dann mit Zweidrittelmehrheit des Bundestags eine Überstimmung des Bundesrats stattfinden kann, aus allgemein-politischen Gründen den Vorzug. Wir folgen dem Redaktionsausschuß insofern, als wir gewisse Gattungen von Gesetzen hiervon ausnehmen wollen, von Gesetzen, die gerade für die Länder von besonderer Wichtigkeit sind. Wir folgen dem Katalog, der etwas weiter ist als der in unseren eigenen Anträgen aufgestellte Katalog. Der Redaktionsausschuß hat in Ziffer 1 des Art. 105 vorgeschlagen: „der Zustimmung des Bundesrats bedürfen Gesetze über Steuern, deren Reinaufkommen den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden zufließt oder gemeinsame Einnahmen des Bundes und der Länder sind.“ Bei solchen Gesetzen soll eine Gleichwertigkeit der Kammern in bezug auf die Gesetzgebung stattfinden. Das ist neu für uns gewesen. Wir sind früher nicht so weit gegangen. Wir verschließen uns nicht den Gründen, aus denen man in diesen Fragen, an denen die Länder ungemein interessiert sein können, der Länderkammer das volle Gesetzgebungsrecht zubilligen will. In Ziffer 2 deckt sich der Vorschlag des Redaktionsausschusses mit dem unserer Fraktion, ebenso in Ziffer 3 und 4. Zu Ziffer 5 sind wir nicht der gleichen Ansicht wie der Redaktionsausschuß, daß nämlich eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat erforderlich sein soll, wenn ein neuer bundeseigener Behördenunterbau geschaffen wird. Das kann der Fall sein, wenn der Bund von der ihm zustehenden Vorranggesetzgebung Gebrauch macht und dazu irgendein neuer Behördenunterbau geschaffen werden muß. Da hier die Länder beteiligt sind, konzedieren wir eine Gleichwertigkeit der beiden Kammern. Wir halten es aber nicht für nötig, eine Zweidrittelmajorität des Bundesrats einzuführen. Insgesamt läuft unser Vorschlag darauf hinaus, die Vorschläge des Redaktionsausschusses in der vorgelegten Fassung anzunehmen und nur den zweiten Halbsatz des letzten Satzes von Art. 105 zu streichen, wonach im Falle der Ziffer 5 die Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen erforderlich ist. Damit fällt auch der erste Halbsatz weg, wonach in den Fällen der Ziffern 1 bis 4 die Mehrheit der Stimmen erforderlich ist. Dr. Lehr (CDU): Wir sind an dem entscheidenden Punkt angelangt, an der Frage der Gleichberechtigung beider Kammern oder der Superiorität der einen Kammer über die andere. Wir vertreten den Standpunkt, daß beide Kammern gleichberechtigt

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sein müssen, und können nicht unsere Zustimmung dazu geben, daß die Volkskammer von vornherein die überlegene ist. Im Gegenteil, wir glauben, daß im Interesse einer wahren Demokratie eine echte Polarität in der Gesetzgebung vorhanden sein muß und daß es, um das föderative Prinzip richtiger zum Ausdruck zu bringen, möglich sein muß, in dieser zweiten Kammer die Stimme der Länder entscheidend in die Waagschale zu werfen. Die Rechte der Länder werden dadurch wesentlich geschützt, daß die Länder die Möglichkeit haben, erstens vollberechtigt beim Zustandekommen von Gesetzen mitzustimmen und zweitens ein qualifiziertes Stimmrecht bei der Finanzgesetzgebung, namentlich beim Finanzausgleich, auszuüben. Die Länder werden ganz besonders in ihrem Abstimmungsrecht geschützt, wenn es sich um verfassungsändernde Gesetze handelt. Das sind für uns Grundsätze, von denen wir nicht abgehen können. Infolgedessen stimmen wir für eine Gesetzgebung, die grundsätzlich übereinstimmende Beschlüsse der beiden Häuser vorsieht. Wenn keine Übereinstimmung erzielt werden kann, muß aus beiden Häusern ein Gremium gefunden werden, das noch einmal berät. Dann muß auf Grund seiner Beratungen noch einmal in den beiden Häusern beraten werden. In besonderer Weise nehmen wir uns der Steuergesetzgebung und der Finanzgesetzgebung an und verlangen bei solchen Gesetzen, wie sie in unserem Vorschlag zu Art. 105 vorgesehen sind, die Mehrheit der gesetzlichen Stimmenzahl des Bundesrats. Dann kommt für uns der sehr wichtige Art. 106, wonach das Grundgesetz nur durch ein Gesetz geändert werden kann, das ausdrücklich den Wortlaut des Grundgesetzes ändert oder ergänzt. Hier halten wir eine Zweidrittelmajorität für notwendig. Im Falle des Art. 107 verlangen wir eine einstimmige Annahme im Bundesrat. [S. 136] Ich wollte nur das Prinzip herausstellen: Die Vollberechtigung und die qualifizierte Stimmabgabe im Bundesrat in den Fällen, in denen es sich um wesentliche Rechte der Länder handelt. Zinn (SPD): Ich möchte nur darauf hinweisen, daß dem Bundesrat in dem Abschnitt Gesetzgebung noch weitere Funktionen zugewiesen sind, Funktionen, die der Bundestag selber nicht hat, nämlich das Recht zur Zustimmung bei gewissen Rechtsverordnungen. Wir werden auch in Aussicht nehmen müssen, daß der Bundesrat beim Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften unter Umständen bei der Organisation der Behörden irgendwie eingeschaltet wird. Wenn Sie das berücksichtigen und den Bundesrat dem Bundestag auf dem Gebiet der Gesetzgebung völlig gleichstellen, so ist das de facto keine Gleichstellung mehr, sondern Sie machen den Bundesrat zu dem Organ, bei dem eigentlich die überwiegende Machtfülle liegt und das Funktionen sowohl auf dem Gebiet der Gesetzgebung als auch auf dem Gebiet der Verwaltung und der Durchführung der Gesetze hat. Wenn Sie schon eine echte Gleichstellung wollen, müssen Sie den Bundesrat auf irgendeinem Gebiet beschneiden, um nicht eine Suprematie des Bundesrats über den Bundestag zu schaffen. Frau Wessel (Z): Wir sind hier an dem Punkt angekommen, wo wir uns einmal darüber klarwerden müssen, welchen Aufbau, im ganzen gesehen, wir dem Bund geben wollen. Die Vorlage des Redaktionsausschusses muß nach der Seite gesehen werden: Wollen wir den Bund stark machen, wollen wir vor allen Dingen die Re-

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präsentation des Bundes auch im Ansehen des Volkes stark machen? Ich halte es für unbedingt erforderlich, nicht von vornherein Konfliktstoffe, wie sie durch eine Gleichberechtigung beider Kammern herbeigeführt werden können, miteinzukalkulieren. Wenn das Bundesratsprinzip in der Form angenommen wird, daß der Bundesrat Vertreter der Länderregierungen ist, ist er in sich etwas anderes als die Volkskammer. Wenn ich einen echten Bund schaffen will, muß ich ihn repräsentativ so stark wie möglich machen. Aus diesem Gedanken möchte ich glauben, daß irgendein Unterschied in der Bewertung der beiden Kammern Platz greifen muß. Die Repräsentation, wie sie der Bundesrat im Bismarckschen Reich gehabt hat, war etwas ganz anderes. Das damalige Reich war ein starkes Reich und hatte eine feste Regierung. Wenn heute der Bundesrat dieselben Befugnisse auch hinsichtlich der Stellung der Regierung usw. bekommen soll, dann ist das etwas ganz anderes als zur Zeit des Bismarckschen Staates. Hier liegt nach meiner Meinung ein grundsätzlicher Unterschied, den wir sehen sollten. Wir müssen diesen Bund von allen Konfliktstoffen freihalten. Wenn wir bestimmen, daß beide Kammern übereinstimmende Beschlüsse fassen müssen, damit überhaupt gesetzgeberische Maßnahmen zustandekommen, schaffen wir ein System, bei dem der Parlamentarismus von vornherein gefährdet ist. Es muß eine Stelle sein, die den Bund stärker repräsentiert. Das muß die Volkskammer sein. Wenn so stark vom föderativen Prinzip gesprochen wird, so bin ich der Auffassung, daß auch die gewählten Abgeordneten dieses föderative Prinzip vertreten und daß der Föderalismus nicht einzig und allein in der Zusammensetzung der Bundeskammer gesehen werden darf. Wenn der föderative Gedanke in der Form des Senatsprinzips geregelt worden wäre, könnte ich noch eine Berechtigung in der Forderung sehen, daß beide Kammern gleichgestellt werden. Aber wenn man davon ausgeht, daß die Mitglieder des Bundesrats Vertreter der Länderregierungen sein sollen, muß, glaube ich, ein Unterschied grundsätzlicher Art gesehen werden. Daher neige ich zu der Auffassung, die Fassung des Redaktionsausschusses als die gegebene Form anzusehen, besonders wenn weiterhin die Möglichkeit gegeben wird, daß die Länder in allen jenen Fragen gehört werden, die Länderinteressen betreffen. Das ist in dem uns gegebenen Katalog genügend berücksichtigt. Dr. Strauß (CDU): Bei der Beratung einer bundesstaatlichen Verfassung und bei unseren Arbeiten in Bonn haben sich drei Problemkreise herausgestellt, die für die Beurteilung des bundesstaatlichen Charakters eins Staates von Bedeutung sind: 1. die Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Einzelstaaten bei Gesetzgebung und Verwaltung, 2. als Sonderproblem aus diesem Problemkreis die Aufteilung der Finanzzuständigkeit, 3. die Frage der Mitwirkung bei der Willensbildung im Bund. Nun haben bei unseren Arbeiten in den Fachausschüssen ganz bewußt, unabhängig von der sonstigen Einstellung der Fraktionen, den Bund bei der Aufteilung der Kompetenzen sehr stark gemacht, weil wir alle der Überzeugung sind, daß unter modernen Verhältnissen, insbesondere unter den Notverhältnissen unseres Landes, die noch lange dauern werden, das Grundgesetz keine Möglichkeiten verbauen darf, indem es etwa dem Bund zu geringe Kompetenzen zuweist. Wir haben das insbesondere bei den Finanzen getan. Auch solche Mitglieder, die ursprüng-

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lich mit anderen Ansichten an die Arbeit herangegangen sind, haben sich von dem Schwergewicht der vorgetragenen Tatsachen und von den Ausführungen der Sachverständigen überzeugen lassen. Sie haben aber einen Vorbehalt gemacht und haben stets betont: Wir können das nur tun, wenn bei der Willensbildung des Bundes die Einzelstaaten entsprechend stark mitwirken, sowohl bei der Verwaltung als auch, was in diesem Zusammenhang entscheidend ist, bei der Gesetzgebung. Wir haben im Bismarckschen Reich für ein Gesetz stets den übereinstimmenden Beschluß von Reichstag und Bundesrat nötig gehabt. Konfliktmöglichkeiten, wie sie heute angedeutet wurden, sind damals nicht entstanden. Sie sind nicht etwa deshalb nicht entstanden, weil es ein monarchisches Reich war, sondern weil beide Körperschaften von dem Willen getragen waren, zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen. Wir sollten bei unseren gesamten Beratungen immer davon ausgehen, daß die künftigen Mitglieder vom Bundestag und Bundesrat von dem Willen getragen sind, ein vernünftiges Ergebnis zu erzielen. Man hat bei der Weimarer Verfassung die kritische Sonde hinsichtlich des Verhältnisses von Reichsrat und Reichstag angelegt und hat frühzeitig, unter den Eindrükken des Winters 192345), erwogen, ob man die Weimarer Verfassung nicht in dem Punkt ändern sollte, der das Verhältnis von Reichsrat und Reichstag betrifft. Ein so betont unitarisch eingestellter Staatsrechtler wie Professor Anschütz46) hat im Jahre 1924 als einzigen Änderungsvorschlag für eine Verbesserung der Weimarer Verfassung die Gleichberechtigung des Reichsrats gefordert47). Diese Frage ist in den großen Verfassungskonferenzen der Reichsregierung mit den Ländern in den Jahren 1928 bis 1930 Gegenstand der Erörterung gewesen48). 45)

Gemeint waren die separatistischen und umstürzlerischen Bemühungen im Herbst und Winter 1923: Im Okt. 1923 wurde in Aachen, Duisburg und Koblenz wird die „Rheinische Republik“ ausgerufen; der ehemalige bayerische Ministerpräsident Johannes Hoffmann beabsichtigte einen unabhängigen Pfälzischen Staat innerhalb des Deutschen Reiches zu gründen. In Hamburg und Schleswig-Holstein gab es Aufstände der KPD. Sachsen (im Nov. 1923 auch Thüringen) verfiel der Reichsexekution wegen der Regierungsbeteiligung der KPD; am 9. Nov. 1923 kam es in München zum sog. Hitler-Putsch. Am 12. Nov. proklamierte Heinz Orbis in Speyer die Autonome Pfälzische Republik. Am 23. Nov. 1923 verbot General Hans von Seeckt nach Aufstandsversuchen in Deutschland die KPD, die NSDAP und die Deutschvölkische Freiheitspartei. Erst am 27. Nov. 1923 löste sich die Regierung der Rheinischen Republik in Koblenz auf. 46) Über den deutschen Staatsrechtler Gerhard Anschütz vgl. oben Dok. Nr. 3, S. 94, Anm. 38. 47) Vgl. Gerhard Anschütz: Der deutsche Föderalismus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in: Der deutsche Föderalismus. Die Diktatur des Reichspräsidenten. Referate von Gerhard Anschütz, Karl Bilfinger, Carl Schmitt und Erwin Jacobi Verhandlungen der Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer zu Jena am 14. und 15. April 1924 (= Verhandlungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Bd. 1). Berlin/Leipzig 1924. 48) Zu den Sitzungen des von der Länderkonferenz eingesetzten Ausschusses für Verfassungs- und Verwaltungsreform am 22., 23. und 24. Oktober 1928, 10. Nov. 1928 und 18./19. Nov. 1929 vgl. die Aufzeichnungen ediert in: Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Hrsg. für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften von Karl Dietrich Erdmann und für das Bundesarchiv von Wolfgang Mommsen (bis 1972) unter Mitwirkung von Walter Vogel (bis 1978), Hans Booms: Das Kabinett Müller II (1928–1930). Bearb. von Martin Vogt, 2 Bde. Boppard am Rhein 1970, Dok. Nr. 46, 61, 356

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Wir können den deutschen Bundesstaat der Vergangenheit und der Zukunft nur mit dem amerikanischen und dem schweizerischen Bundesstaat vergleichen. In beiden Staaten ist ein gleichberechtigtes Mitwirken beider Kammern vorgesehen und üblich gewesen. Ich glaube, daß die entscheidende Mitwirkung der Länder nur gesichert werden kann, wenn die von den Ländern gebildete zweite Kammer bei der Gesetzgebung gleichberechtigt mitwirkt. Nun ist eingeworfen worden, es würde ein Übergewicht des Bundesrats eintreten, weil der Bundesrat noch zur Mitwirkung bei anderen Maßahmen berufen sein wird als nur bei der Gesetzgebung. Auch das ist in den beiden anderen Bundesstaaten, den Vereinigten Staaten und der Schweiz, der Fall. Neben der gleichberechtigten Mitwirkung bei der Gesetzgebung sind gewisse Zustimmungsrechte, gewisse Mitwirkungsrechte bei der Ernennung von Beamten sowohl beim Ständerat der Schweiz wie beim Senat der Vereinigten Staaten vorgesehen. Insofern hat die zweite Kammer in allen diesen Ländern ein doppeltes Gesicht: eine Mitwirkung sowohl bei der Gesetzgebung wie bei gewissen Verwaltungsmaßnahmen. Für uns gilt das besonders deswegen, weil bei uns [S. 137] die Bundesgesetze, die von den im Grundgesetz festgelegten Organen ausgehen, von den Ländern ausgeführt werden. Man kann daher nicht von einem Übergewicht reden, sondern muß die Gebiete der Gesetzgebung und Verwaltung trennen. Der Bundestag hat ausschließlich gesetzgeberische Aufgaben und ist ein reines Legislativorgan, während der Bundesrat ein doppeltes Gesicht hat. Ich glaube, der Charakter des neuen Staatswesens als Bundesstaat erfordert, daß die von den Ländern gebildete zweite Kammer bei der Bundesgesetzgebung gleichberechtigt mitwirkt. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich habe in allen Ausführungen über die Gleichberechtigung des Bundesrats den Unterton vernommen, als ob der Bundesrat an demokratischer Legitimation dem vom Volk gewählten Parlament nachstehe. Ich glaube, man kann nicht ohne weiteres sagen, daß nur ein unmittelbar vom Volk gewähltes Parlament demokratischen Charakter hat. Wenn der Bundesrat die Repräsentanz der Länderregierungen ist, so möchte ich darauf hinweisen, daß auch die Länderregierungen nicht etwa aus eigener Machtvollkommenheit existieren, sondern daß sie gleichfalls aus den vom Volk gewählten Länderparlamenten hervorgegangen sind und der Kontrolle dieser Länderparlamente unterstehen. Also auch hier kann man die demokratische Legitimation ohne weiteres bejahen, so daß sich aus diesem Punkt nicht die Notwendigkeit einer Superiorität der Volkskammer folgern läßt. Die Möglichkeit von Konfliktstoffen zwischen beiden Kammern, die insbesondere Frau Wessel angedeutet hat, scheint mir nicht besonders tragisch zu sein. Wir haben in den zahlreichen Bundesstaaten, in denen eine Gleichberechtigung beider Kammern besteht, von derartigen Konflikten, die sich schädlich auf die politische Entwicklung hätten auswirken können, sehr wenig wahrgenommen. Im übrigen haben wir in Art. 104 vorgesehen, daß für den Fall, daß eine Übereinstimmung zwischen beiden Häusern nicht zustande kommt, ein Ausschuß zusammentreten wird, der eine Koordinationsfunktion auszuüben hat. Auch wir bejahen einen starken Bund, und ich darf darauf hinweisen, daß diese Stärke des Bundes insbesondere bei der Aufstellung des Gesetzgebungskatalogs in eklatanter Weise zum Zuge gekommen ist. Man darf die Länder nicht ohne weiteres als Gegner des Bundes an-

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sehen. Auch im Bundestag sind Abgeordnete, die Vertreter föderalistischer Tendenzen und Überzeugungen sind. Ich möchte auch für die Mitglieder des Bundesrats oder der Länderregierungen reklamieren, daß sie nicht Outsider sind oder gar das Ausland repräsentieren, sondern daß sie sich als Träger des deutschen Bundes und als verantwortlich für die gesamtdeutsche Entwicklung fühlen. So gut wie man die Hinneignung zum Föderalismus den Mitgliedern des Bundestags nicht abstreiten kann, kann man den Ländern und ihren Regierungen nicht den Willen abstreiten, dem Bund zu geben, was des Bundes ist. Die augenblickliche politische Entwicklung ist von den deutschen Ländern inauguriert und getragen worden, und wir sind in einer Entwicklung, über die deutschen Länder hinaus zu einer Einheit des deutschen Bundes zu gelangen. Infolgedessen bin ich der Meinung, daß es richtiger ist, an der Gleichberechtigung beider Kammern festzuhalten. Wenn wir das nicht tun, ist der Bundesrat von vornherein psychologisch in den Augen des Volkes abgewertet. Ich habe mir von verschiedenen Mitgliedern des Reichsrats sagen lassen: Weil man den Reichsrat auf ein bloßes Vetorecht beschränkt hat, ist er schließlich dazu gekommen, überhaupt kein Veto mehr einzulegen. Denn das Volksparlament – und das gleiche galt im Verhältnis zwischen preußischem Staatsrat und preußischem Landtag – hat ein solches Veto als Prestigefrage aufgefaßt. Wenn ein Gesetz ursprünglich nur mit 51% der Stimmen beschlossen worden war, fanden sich, wenn ein Veto eingegangen war, auch aus den Reihen der Opposition gegen das betreffende Gesetz ohne weiteres die notwendigen 662/3 % der Stimmen zusammen, um das Veto auszuräumen, weil man es, wie gesagt, zu einer Prestigefrage machte. (Zuruf: Das war doch sehr klug, daß die Leute aus der Opposition sich fanden.) – Es ist eine Frage, ob sie sich aus sachlichen Gründen oder lediglich aus Gründen des politischen Prestiges gefunden haben. Hätten sie sich aus sachlichen Gründen gefunden, dann hätte schon bei der ersten Abstimmung die Mehrheit von 662/3 % zustande kommen können, die sich hinterher nur aus Gründen der Opposition gefunden hat. Wenn man dem Bundesrat in seiner jetzt gefundenen Struktur eine achtunggebietende Stellung sichern will, so ist das nur dadurch möglich, daß man ihm die volle Gleichberechtigung bei der Legislative zuerkennt. Renner (KPD): Was ist der Bundesrat? Innerhalb einer Stunde haben wir in diesem Hause Meinungen gehört, die im diametralen Gegensatz zueinander stehen. Ein Sprecher der SPD hat gesagt, daß der Bundesrat ein Organ des Bundes ist und daß er Bundesinteressen und nicht Länderinteressen zu vertreten hat. Dem wurde von dem Redner der CDU widersprochen, der mit Entschiedenheit den Standpunkt vertrat, daß der Bundesrat die Länderinteressen zu vertreten hat. (Widerspruch bei der CDU.) Wenn der Bundesrat keine Länderinteressen zu vertreten hat, keine Interessen, die manchmal gegensätzlicher Art sein können, erübrigt sich doch überhaupt die Schaffung des Bundesrats. Der Bundestag ist von demselben Volk gewählt, das die Länderparlamente wählt, und die Regierungen in den Ländern sind von den Volksvertretungen in den Länderparlamenten gewählt. Es dürfte an sich gar keine Divergenz der Interessen zwischen Länderregierungen, Länderparlamenten, Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung geben. Das müßte einheitlich laufen, wenn alles

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wirklich demokratisch spielt. Was unter demokratischen Mehrheiten festgestellt ist, müßte sowohl bei den Länderregierungen wie bei der Bundesregierung, beim Bundestag und beim Bundesrat einheitlich in Erscheinung treten. Das wollen Sie aber offensichtlich nicht, weil Sie von der Tatsache ausgehen, daß Interessengegensätze bestehen. Daß sie bestehen, wird sehr eindeutig von Ihnen selber dadurch bekundet, daß Sie sich über die zahlenmäßige Vertretung der Länder im Bundesrat streiten. Sie sagen zwar, daß das eine Frage von untergeordneter Bedeutung ist. Aber Tatsache ist, daß in einigen Ländern Regierungen gebildet werden können, die in für den Bund entscheidenden Fragen einen grundsätzlich anderen Standpunkt vertreten. Ein praktisches Beispiel: Bei uns in Nordrhein-Westfalen haben wir im Sommer dieses Jahres ein Gesetz bezüglich Verstaatlichung des Bergbaus angenommen49). Herr Dr. Adenauer mit seiner Fraktion ist unterlegen. Am selben Abend hat der Herr Präsident Dr. Adenauer ein Interview gegeben und dabei geäußert, es sei kein Zustand, daß in einem Land der Bizone eine politische Entscheidung von derartiger Tragweite getroffen werden könne, ohne daß die übrigen Länder der Bizone ein Wort mitreden dürften. Er hat damit zum Ausdruck gebracht, daß, wenn alle Länder der Bizone sich hätten äußern können, ein anderes Ergebnis zustande gekommen wäre. Damit hat er recht geurteilt. Es ist schon so: Sie halten an diesem Bundesrat fest, weil Sie die reaktionäre Haltung gewisser Staaten der Trizone gegen eine fortschrittliche Haltung in einigen anderen Ländern zur Wirkung bringen wollen. Hier steht nicht die Gleichberechtigung zwischen Bundesrat und Bundestag in Frage, sondern hier dreht es sich darum, daß Sie dem Bundesrat eine Superiorität verschaffen wollen. Damit – ich kann es mir nicht verkneifen, diese Feststellung zu machen – nähern Sie sich dem Befehl, den wir am 22. 11. 1948 von den Militärgouverneuren bekommen haben50). Es geht um nichts anderes, als diese Einschränkungen der Stellung des Bundestags gemäß den Befehlen der Militärregierungen vom vergangenen Montag zu vertuschen. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß das Bundesparlament für die Gesetzgebung allein zuständig ist und für die Ausführung der Beschlüsse allein verantwortlich ist. Wenn wir eine zweite Kammer konzedieren, dann nur insoweit, als wir diese zweite [S. 138] Kammer mit dem Recht einer gewissen Kontrolle der Beschlüsse des Bundestags ausgestattet wissen wollen. Sie soll einen regulierenden Einfluß ausüben können. Die Ländervertretungen sollen meinetwegen noch das Recht zu einer eigenen Gesetzesinitiative haben. Sie sollen auch das Recht haben, gegen vom Bundestag beschlossene Gesetze einen Einspruch geltend zu machen. Nun 49)

Der Antrag der SPD-Fraktion im Landtag für Nordrhein-Westfalen betr. die Ermächtigung des Landes Nordrhein-Westfalen zur Überführung der Kohlewirtschaft in Gemeinwirtschaft wurde am 6. Aug. 1948 als „Gesetz zur Sozialisierung der Kohlewirtschaft im Lande Nordrhein-Westfalen“ mit Mehrheit angenommen. Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen. 1. Wahlperiode. Stenographischer Bericht über die 56–59 Sitzung am 5. und 6. August 1948. Düsseldorf 1948, S. 894–983. Die Regelung der Eigentumsverhältnisse des Bergbaus wurde von den alliierten MilGouv. einer späteren Entscheidung vorbehalten. Vgl. Akten zur Vorgeschichte, Bd. 4, S. 864–867, bes. Anm. 23 und 24. 50) Zum Memorandum der Militärgouverneure vom 22. Nov. 1948 vgl. die Stellungnahme des Parl. Rates in der 7. Sitzung des HptA am 23. Nov. 1948, oben Dok. Nr. 7, TOP 1, S. 206, besonders Anm. 3.

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kommt aber das Entscheidende: Wie wird das Veto zu behandeln sein? Es kann nicht so behandelt werden, daß eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig ist, um dieses Veto aus der Welt zu schaffen. Darin allein läge schon eine Superiorität des Bundesrats. Der Einspruch des Bundesrats soll mit einfacher Mehrheit vom Bundestag zurückgewiesen werden können. Konzedieren könnte man allenfalls, daß, wenn im Bundesrat ein Veto mit Zweidrittelmehrheit eingelegt ist, auch im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit nötig ist, um das Veto aus der Welt zu schaffen. Wir werden als Kommunisten gegen jede Regelung stimmen, die dieses Prinzip verletzt. Dr. Becker (FDP): Die Auffassung meiner Fraktion steht bei der Lage, die nun nach der Schaffung des reinen Bundesratssystems gegeben ist, noch nicht eindeutig fest. Wir hätten, wenn es sich um einen Senat gehandelt hätte, für Gleichberechtigung in vollem Umfang eintreten können. Der Bundesrat unterscheidet sich aber vom Senat dadurch, daß im Bundesrat die einzelnen Ländervertreter nicht die Gesamtbevölkerung vertreten, sondern nur die regierende Partei oder Koalition. Er unterscheidet sich ferner dadurch, daß die Vertreter an bestimmte Weisungen gebunden sind. Nachdem heute beschlossen worden ist, den Bundesrat in dieser reinen Form zu schaffen, ohne die senatoriale Beigabe, die wir beantragt hatten, liegt uns daran, noch einmal mit unseren Freunden zusammenzutreten und darüber zu sprechen. Was die Frage des Suspensivvetos betrifft, das für alle Gesetze vorgeschlagen wird, die nicht in Art. 105 aufgenommen sind, so würden wir den Wunsch haben, daß über einen solchen Einspruch im Unterhaus nicht unmittelbar abgestimmt wird, sondern daß erst eine gewisse Mindestfrist dazwischen liegen muß. Es entspricht einem Grundsatz der Demokratie, daß über eine Streitfrage in der Öffentlichkeit erst diskutiert werden darf, wenn eine gewisse Frist zwischen den beiden Abstimmungen liegt. Es kann nicht so gehen wie in Frankfurt/Main, wo in ganz kurzer Frist über das Veto des Länderrats hinweggegangen werden kann. Eine weitere Voraussetzung würde eine qualifizierte Mehrheit sein. Ich kann aus der Formulierung nicht ersehen, ob eine Zweidrittelmehrheit der Abstimmenden oder der gesetzlichen Zahl der Mitglieder gemeint ist. Über beide Variationen läßt sich reden. Ich muß also bitten, die Abstimmung auszusetzen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, die Abstimmung über die Art. 104, 105, und 105a bis zur nächsten Zusammenkunft auszusetzen51). Ich lasse über den Antrag abstimmen. – Der Antrag ist angenommen. Der Hauptausschuß vertagt sich auf den 1. Dezember 1948, 10 Uhr. Schluß der Sitzung 18.15 Uhr.

51)

Die Beratung wurde am 1. Dez. 1948 in der 12. Sitzung des HptA fortgesetzt; vgl. unten Dok. Nr. 12, TOP 2.1.

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Nr. 12 Zwölfte Sitzung des Hauptausschusses 1. Dezember 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 139–149. PA 2004. Ungez. von Herrgesell gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 447 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: von Brentano, de Chapeaurouge, Fecht, Laforet, Lehr, von Mangoldt, Schwalber (zeitweise vertreten durch Strauß), Süsterhenn SPD: Bergsträsser, Greve, Katz, Löwenthal, Maier, Schmid (Vors.), Schönfelder, Wolff FDP: Becker, Schäfer DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Stock (SPD) Stenographischer Dienst: Herrgesell Dauer: 10.15–12.15 Uhr

[1. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT V: DER BUNDESRAT, ART. 66 ABS. 2 UND 3: ZUSAMMENSETZUNG DES BUNDESRATES]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben gestern3) eine Reihe von Artikeln an den Organisationsausschuß zurückverwiesen mit der Bitte zu versuchen, eine Einigung unter den verschiedenen geltend gemachten Standpunkten herbeizuführen. Das betraf zunächst in dem Abschnitt V Der Bundesrat den Art. 66 Abs. 2 und 3. Dr. Lehr (CDU): Wir haben heute morgen im Organisationsausschuß (PR. 12.48 – 347)4) die Frage der verschiedenen Staffelung der Länder durchgesprochen5) und haben uns auf den Grundgedanken geeinigt, kleine Länder, mittlere Länder und große Länder zu unterscheiden. In dieser Dreier-Gruppierung waren verschiedene Vorschläge möglich. Um die Sache möglichst einfach und kurz zu gestalten, darf ich das Endergebnis herausgreifen. Wir wurden uns mit großer Mehrheit dahin schlüssig, bis 2 Millionen Einwohner drei Vertreter, von 2 bis 6 Millionen Einwohner[n] vier Vertreter und über 6 Millionen Einwohner fünf Vertreter zuzulassen. 1)

Protokollführer Strätling. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Vgl. die 11. Sitzung des HptA am 30. Nov. 1948; oben Dok. Nr. 11, TOP 1.2, S. 309–326. 4) Drucks. Nr. 347 enthält das Kurzprot. der 24. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes vom 1. Dez. 1948. Hier sind Art. 111 und 111a (Notstandsgesetzgebung) beraten worden. Bezugsdokument ist hier jedoch Drucks. Nr. 334 mit dem Kurzprot. der 23. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 1. Dez. 1948. Zum Schluß dieser Sitzung hat Abg. Lehr die Neufassung des Art. 66 verlesen; vgl. auch das stenograph. Wortprot. gedruckt in: Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 32, S. 844. 5) Vgl. 23. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 1. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 32, S. 839–844. 2)

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Auf diese Weise würden die Stadtstaaten Bremen und Hamburg sowie die Länder Württemberg-Hohenzollern und Baden zusammen 12 Stimmen haben. Die vier mittleren Länder würden 16 Stimmen haben, die drei größeren Länder 15 Stimmen. Das würde zusammen 43 Stimmen ergeben. Über dieses Ergebnis des Organisationsausschusses müßte wohl jetzt abgestimmt werden. Dr. Schwalber (CSU): Ich muß auch hier6) meine Bedenken gegen die getroffene Regelung geltend machen. Der Sprung von 6 Millionen auf 12 Millionen Einwohner erscheint mir zu groß. Man sollte den Verhältnissen Rechnung tragen, wie sie bei uns in Erscheinung treten. Wir haben auf der einen Seite vier kleine Staaten, auf der anderen Seite zwei große Länder, Nordrhein-Westfalen und Bayern. (Dr. Greve [SPD]: Auch Niedersachsen ist sehr groß). – Darüber wollen wir uns jetzt unterhalten. Wenn wir schon nach Größenverhältnissen abstufen, müssen wir auch den Tatsachen einigermaßen Rechnung tragen. (Dr. Greve [SPD]: Hier ziehe ich mit dem Herrn Kollegen Seebohm an einem Strang.) Was zwischen den kleineren Ländern und den großen Ländern liegt, würde ich zu der Kategorie der mittleren Länder rechnen. Diese würde ich mit gleichem Stimmrecht ausstatten. Das wäre wohl die zweckmäßigste und gerechteste Stimmverteilung. Abgesehen davon scheint mir auch der Antrag der Freien7) Demokratischen Partei nicht ganz unglücklich zu sein, der eine Vierteilung vornimmt, der bis zu 2 Millionen Einwohnern geht, dann bis zu 4 Millionen Einwohnern, bis zu 7 Millionen Einwohnern und dann darüber hinaus. Ich glaube, auch diese Einteilung würde wesentlich mehr den Verhältnissen gerecht werden, wie sie uns tatsächlich entgegentreten. Dr. Katz (SPD): Eine Fortsetzung der Debatte des Organisationsausschusses hier im Hauptausschuß hat wenig Zweck. Wir haben die verschiedenen Gesichtspunkte im Organisationsausschuß besprochen. Wir schließen uns nunmehr dem Vorschlag an, wie er aus dem Organisationsausschuß gekommen ist. Es kann darüber abgestimmt werden. Wenn der Herr Kollege Dr. Schwalber einen Sondervorschlag machen will, so ist es wohl angebracht, daß er ihn in präzisierter Form vorlegt. Wenn über den Ausschußantrag abgestimmt wird, wird sich herausstellen, ob sich eine Majorität auf ihn vereinigt oder nicht. Dr. Seebohm (DP): Bezüglich der Größe der Länder möchte ich nur darauf hinweisen, daß Niedersachsen der Fläche nach das zweitgrößte Land ist. Bayern hat 70 000 qkm, Niedersachsen 47 000 qkm; dann kommt Nordrhein-Westfalen mit 34 000 qkm. Wenn sich die Reihenfolge nach der Bevölkerungszahl etwas verschiebt, so daß Niedersachsen an die dritte Stelle rückt, so kann man doch nicht davon sprechen, daß es sich nicht in den Rahmen der sogenannten großen Länder einbeziehen läßt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich bitte, bei der gegenseitigen Abstufung der Länder nicht neben der Bevölkerungszahl noch die Quadratkilometer zu bemühen. Das würde die Möglichkeit der Kombination ins Uferlose steigern. 6)

Vgl. die Äußerungen des Abg. Schwalber in der 23. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 1. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 32, S. S. 841. 7) „Freien“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 2.

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Dr. Lehr (CDU): Bei den Beratungen im Organisationsausschuß hatte ich nach Rücksprache mit einem Teil meiner Freunde, soweit das bei der Kürze der Zeit von gestern bis heute morgen möglich war, noch eine zweite Berechnung vorgeschlagen, die der Anschauung von Herrn Dr. Schwalber etwa entspricht. Ich will sie hier auch nennen, damit sie eventuell abgestimmt werden kann: bis 3 Millionen Einwohner drei Vertreter, bis 7 Millionen Einwohner fünf Vertreter, über 7 Millionen Einwohner sieben Vertreter. Dr. Schwalber (CSU): Dann würde ich den Antrag Dr. Lehr aufnehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zuerst über den Antrag des Organisationsausschusses abstimmen. Die Fassung von Art. 66 Abs. 2 Satz 1 lautet: Jedes Land entsendet drei Mitglieder; Länder mit mehr als 2 Millionen Einwohnern entsenden vier, Länder mit mehr als 6 Millionen Einwohnern entsenden fünf Mitglieder. Dr. Lehr (CDU): Ich bitte, über meinen Antrag als den weitestgehenden zuerst abzustimmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja. Ich verlese den dem Vorschlag von Dr. Lehr entsprechenden Antrag Dr. Schwalber: Jedes Land entsendet drei Mitglieder, Länder bis zu 3 Millionen Einwohnern entsenden drei Mitglieder, Länder bis zu 7 Millionen Einwohnern entsenden fünf Mitglieder, Länder Über 7 Millionen Einwohnern entsenden sieben Mitglieder. [S. 140] Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 13 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Nunmehr lasse ich über den Antrag des Organisationsausschusses abstimmen. – Die Fassung des Organisationsausschusses zu Abs. 2 Satz 1 von Art. 66 ist mit 18 gegen 1 Stimme bei 2 Enthaltungen angenommen. Der Abs. 3 des Antrags des Organisationsausschusses lautet: Berlin hat das Recht, eine entsprechende Zahl8) von Mitgliedern zu entsenden. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Abs. 3 von Art. 66 ist mit 20 gegen 1 Stimme angenommen.

[2. ABSCHNITT IX: DIE GESETZGEBUNG] [2.1. ART. 104 UND 105: EINSPRUCHSGESETZE UND ZUSTIMMUNGSPFLICHTIGE GESETZE]

Wir haben damit den Abschnitt V Der Bundesrat in erster Lesung erledigt und fahren fort bei Abschnitt IX Die Gesetzgebung. Wir sind gestern bei der Diskussion der Art. 104, 105 und 105a stehengeblieben9). Grundlage der Beratung ist die Fassung

8)

Statt „Zahl“ im Kurzprot. 23. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 1. Dez. 1948, Drucks. Nr. 334: „Anzahl“. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 32, S. 844 mit Anm. 11. 9) Vgl. die 11. Sitzung des HptA am 30. Nov. 1948; oben Dok. Nr. 11, TOP 2.2.

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des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 26. November 1948 (PR. 11.48 – 318)10). Dr. Laforet (CSU): Die Fragen sind in den Ausschüssen, in den Fraktionen und in der Presse so eingehend erörtert worden, daß mir nur eine kurze, aber auch klare Stellungnahme notwendig erscheint. Wir gehen von dem Grundgedanken des Bundesstaates aus. Der Bundesstaat ist aus Gliedstaaten zur Zusammenfassung aller Deutschen in einem Oberstaat gebildet. Bund und Länder müssen in der Bildung des Willens des Bundes zusammenwirken, soweit nicht dem Bund eine ausschließliche Befugnis zugewiesen ist. Es gibt in besonderen Fällen Länderinteressen. Allein die Länderkammer ist in ihrer entscheidenden Aufgabe nicht ein Organ zur Wahrung von Länderinteressen besonderer Art, sondern ein Organ des Bundes, das ebenso wie die Volkskammer, der Bundestag, das Gesamtwohl aller als Richtschnur zu nehmen hat. Es ist zwar der Blickpunkt dafür, was das Gesamtwohl erfordert, durch die Verschiedenheit der geschichtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der einzelnen Gebiete bedingt; aber Bundestag und Länderkammer beurteilen beide die entscheidende Frage, was das Gesamtwohl erfordert. Es kann nicht genug betont werden, daß der Grundcharakter des Staates als Bundesstaat eine Reihe von Forderungen stellt, die durch die gesamte Gestaltung des Grundgesetzes hindurchziehen. Aber unerläßlich ist es, aus dem Grundgesetz die klare Forderung zu entnehmen, daß bei der Bildung des Willens des Bundes zwei Organe in gleicher Aufgabensetzung und in gleicher Macht, in gleicher Willensstärke mitwirken. Die Gestaltung eines Bundesstaates bringt es wie in anderen Bundesstaaten – in den Vereinigten Staaten, in der Schweiz – mit sich, daß das Länderorgan nicht nur bei der Bildung des Willens des Bundes mitwirkt, sondern auch beim Vollzug des Bundeswillens entscheidend herangezogen wird. Denn die Bundesgesetze werden, von besonderen Ausnahmen abgesehen, durch die Länder vollzogen. Das Länderorgan ist deshalb ein Organ der Exekutive des Bundeswillens. Die Sicherung des Vollzuges verlangt deshalb die Heranziehung des Länderorgans für den Erlaß der Ausführungsvorschriften zu den Bundesgesetzen. Es kann keine Rede davon sein, daß dadurch das Länderorgan ein Übergewicht erhält. Es wirkt nur nicht allein bei der Bildung des Bundeswillens, sondern auch beim Vollzug des Bundeswillens mit. Der Bundeswille selbst kann in einem Bundesstaat, soweit nicht eine ausschließliche Zuständigkeit des Bundes gegeben ist, nur so gebildet werden, daß sich zwei Faktoren gleichberechtigt gegenüberstehen; denn auf beiden Pfeilern ist der Bund gebaut. Daraus ergibt sich als grundsätzliche Forderung die unbedingte Gleichwertigkeit beider Faktoren. Das gilt ganz besonders für die Gesetzgebung. Dr. Schmid (SPD): Ich weiß nicht, ob die Debatte über die bestmögliche Konstruktion eines Bundesstaates hier neu eröffnet werden soll. Ich möchte jedoch eine Bemerkung methodischer Art machen. Ich glaube, daß wir uns auf einen Holzweg begeben, wenn wir versuchen, mit sogenannten denknotwendigen Folgen absoluter Prämissen zu arbeiten. Es ist sicher, daß wir einen Bundesstaat machen. Den wol10)

Die Drucks. Nr. 318 vom 26. Nov. 1948 mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zum Abschnitt IX ist ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 63–71.

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len wir, glaube ich, alle, vielleicht in einem gewissen Umfang sogar der Herr Abgeordnete Renner. (Renner [KPD]: Ich pflege immer für mich allein zu sprechen – Heiterkeit.) Die Frage, wie man diesen Bundesstaat im einzelnen aufbaut, welche Organe man ihm gibt und wie man diese Organe zueinander ins Verhältnis setzt, wird durch eine Folge von Entscheidungen beantwortet, die in diesem Hause getroffen werden. Alle Bundesstaaten der Welt sind Produkte der Geschichte und nicht die Selbstverwirklichung eines juristischen oder logischen Systems oder gar einer Idee. Man kann einen Bundesstaat so aufbauen, wie der Herr Abgeordnete Dr. Laforet es vorgeschlagen hat. Es hätte dies vielleicht große Vorzüge; ich lasse es dahingestellt. Man kann ihn aber auch anders aufbauen, ohne dem Gebilde dadurch den Charakter eines Bundesstaates zu nehmen. Wir müssen uns schlüssig werden, wie wir unseren Bundesstaat haben wollen. Wir sollten nicht glauben, daß wir lediglich einer systematisch-logischen Deduktion eine juristische Fixierung zu geben hätten. Dr. Becker (FDP): Ich hatte bereits gestern hier zum Ausdruck gebracht, daß die Fraktion der FDP, falls ein Senat gebildet worden wäre, wahrscheinlich der Gleichberechtigung zugestimmt haben würde. Der Bundesrat, der jetzt geschaffen worden ist, entspricht nicht einer ersten Kammer, sondern ist ein Mehr und ein Weniger. Er ist ein Mehr insofern, als er die Vertretung der Exekutive der Länder ist, etwa, als wenn im amerikanischen Senat die Gouverneure der einzelnen Staaten säßen. Er ist ein Mehr insofern, als er bei der Feststellung der Ausführungsbestimmungen mitwirken kann. Er ist weniger insofern, als er nicht eine Vertretung der Bevölkerung dieser einzelnen Länder ist, sondern nur eine Vertretung der dort gerade herrschenden Partei oder Koalition. Er ist weniger als eine zweite Kammer, weil er an Weisungen gebunden ist, also nicht frei entscheiden kann. Unter diesen Umständen hat unsere Fraktion sich auf den Standpunkt gestellt, der Vorlage des Redaktionsausschusses zuzustimmen. Wir sehen in Art. 105 die Kautelen, die auch wir für erforderlich halten, um einerseits das retardierende Moment, das jedes Oberhaus haben soll, und andererseits das föderalistische Element, das beim Bundesstaat in einer Länderkammer vertreten sein soll, genügend zu wahren. In Art. 105 finden Sie, daß für die Entscheidung über Steuern, deren Reinaufkommen den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden zufließt, gleichberechtigtes Stimmrecht gegeben ist. Sie finden weiter, daß für die Entscheidung über Steuern, die auch nur gemeinsame Einnahmen des Bundes und der Länder sind, gleiches Stimmrecht gegeben ist. Dem stimmen wir zu. Das bedeutet praktisch gesehen, daß außer bei Zöllen und indirekten Steuern bei allen anderen Steuervorlagen die Gleichberechtigung der beiden Kammern gegeben ist. Das ist ein so großes Gebiet der Steuergesetzgebung, daß nach der Richtung hin auch vom Standpunkt des finanziellen Eigenlebens der Länder aus gesehen deren Interessen vollkommen gewahrt sind. Wenn die Ziffer 2, der Finanzausgleich, ebenfalls zu denjenigen Vorlagen gehört, denen beide Kammern gleichberechtigt zustimmen müssen, so ist auch nach dieser Richtung hin finanziell die Stellung der Länder unserer Auffassung nach vollkommen gewahrt. Die Ziffern 3, 4 und 5 des soeben genannten Art. 105 sichern nach der anderen Seite hin, daß strukturelle Veränderungen an dem föderalistischen Aufbau unseres Bundesstaates – soweit sie keine Verfassungsänderun-

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gen darstellen – nur unter Gleichberechtigung beider Kammern vorgenommen werden können. Wenn Sie dann noch hinzunehmen, daß für Verfassungsänderungen selbst besondere Sicherungen in den Artikeln stehen, die wir anschließend durchgehen werden, so ist nach [S. 141] unserer Auffassung sowohl das retardierende Element, das in jedem Oberhaus stecken soll, wie auch das föderalistische Element genügend gewahrt. Wir haben gestern gehört, daß für den Fall, daß die Gleichberechtigung beider Kammern beschlossen wird, eine große Fraktion dieses Hauses sich vorbehalten hat, auf die Senatslösung zurückzukommen. Diese Erwägungen haben uns bei unserer Entschließung nicht geleitet. Wohl aber darf ich auf Konsequenzen aufmerksam machen, die sich aus unserer Stellungnahme nunmehr ergeben. Unsere Stellungnahme wird bedeuten, daß diese Ankündigung nicht mehr zur Debatte stehen wird und daß die Frage Bundesrat oder Senat, die den Parlamentarischen Rat sicherlich sechs Wochen lang nach allen Richtungen hin beschäftigt hat, praktisch ein für allemal erledigt ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich verlese Art. 104 (1) Die Bundesgesetze werden vom Bundestag beschlossen. (2) Gegen ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz steht dem Bundesrat der Einspruch zu. Der Einspruch ist binnen eines Monats nach Zustellung des Gesetzesbeschlusses bei dem Präsidenten des Bundestags einzulegen. Der Bundestag beschließt über den Einspruch. Er kann den Einspruch mit Zweidrittelmehrheit, zumindest mit der Mehrheit seiner Mitglieder überstimmen. Ich lasse über den Artikel ausschließlich des letzten Satzes von Abs. 2 abstimmen. Dr. Süsterhenn (CDU): Die Fraktion der CDU/CSU hat den Antrag gestellt, daß ein Bundesgesetz nur durch übereinstimmenden Mehrheitsbeschluß beider Häuser zustande kommt. Das ist zweifellos der weitestgehende Antrag. Ich beantrage daher, zuerst über unseren Antrag abzustimmen. Dr. Katz (SPD): Es kommt darauf an, was man als weitergehend betrachtet. Dr. Süsterhenn (CDU): Wir verlangen die volle Gleichberechtigung, während Sie nur eine eingeschränkte Mitwirkung zubilligen wollen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir wollen uns hier nicht über Logik unterhalten. Es wäre sehr schwer, „logisch“ zu entscheiden, welches der weitergehende Antrag ist. Es kommt darauf an, in welcher Richtung der eine oder andere Antrag weiter geht. Man könnte das Bezugssystem auch anders bestimmen, als Sie es tun. Dr. Süsterhenn (CDU): Wir stimmen hier über die Rechte ab, die der Bundesrat haben soll. In unserem Antrag sind dem Bundesrat weitergehende Rechte zugedacht als in Ihrem Antrag. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich wollte durchaus Ihrem Antrag folgen. Nur weiß ich nicht, ob Ihre Behauptung, dieser Antrag sei der weitergehende, ganz unbestreitbar ist. Ich lasse über den Antrag der CDU/CSU abstimmen, der lautet: Ein Bundesgesetz kommt durch übereinstimmenden Mehrheitsbeschluß beider Häuser zustande. – Der Antrag ist mit 12 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Dann lasse ich über die Fassung des Redaktionsausschusses ausschließlich des

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letzten Satzes von Abs. 2 abstimmen. – Art. 104, ausschließlich des letzten Satzes von Abs. 2, ist mit 12 gegen 9 Stimmen angenommen. Ich lasse über den letzten Satz von Abs. 2 abstimmen, der lautet: „Er kann den Einspruch mit Zweidrittelmehrheit, zumindest mit der Mehrheit seiner Mitglieder überstimmen.“ Dr. Süsterhenn (CDU): Ich möchte zu diesem Satz einen Antrag stellen. Wir halten unseren grundsätzlichen Standpunkt aufrecht, daß wir die Gleichberechtigung des Bundesrats mit der Volkskammer fordern. Wir behalten uns vor, bei der zweiten Lesung im Hauptausschuß unsere Anträge in dieser Richtung erneut zu stellen. Dieser unser grundsätzlicher Standpunkt kann uns allerdings nicht davon abhalten, bei der Ausarbeitung der nunmehr folgenden Artikel positiv mitzuwirken, ohne daß aus dieser positiven Mitwirkung eine Preisgabe unserer grundsätzlichen Auffassung geschlossen werden kann. Unter dem Gesichtspunkt dieser positiven Mitwirkung stelle ich nunmehr den Antrag, den letzten Satz des Abs. 2 von Art. 104 der Vorlage des Redaktionsausschusses dahin abzuändern, daß es heißt: Er kann den Einspruch mit Dreiviertelmehrheit seiner Mitglieder überstimmen. Renner (KPD): Ich stelle – auch bei grundsätzlicher Wahrung meines ablehnenden Standpunktes gegenüber diesem Bundesrat – den Antrag, daß der eventuelle Einspruch mit einfacher Mehrheit abgelehnt werden kann. Maier (SPD): Im Hinblick darauf, daß bei Annahme des Art. 105 der Länderkammer weitestgehende Rechte eingeräumt sind, beantrage ich, daß das Wort „Zweidrittelmehrheit“ im letzten Satz des Art. 104 durch „absolute Mehrheit“ ersetzt wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben damit drei Anträge. Herr Abgeordneter Maier hat seinen Antrag unter der Bedingung gestellt, daß Art. 105 angenommen wird. Dr. Seebohm (DP): Für den Fall, daß die Dreiviertelmehrheit abgelehnt wird, stelle ich den Antrag, es bei der Zweidrittelmehrheit zu belassen, unter Streichung der Worte „zumindest mit der Mehrheit seiner Mitglieder“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Unter diesen Umständen werden wir zuerst über Art. 105 abstimmen müssen. Denn hier wurde der Abänderungsantrag durch die Annahme des Art. 105 konditioniert. (Zustimmung.) Dr. Süsterhenn (CDU): Bezüglich des Art. 105 möchte ich auch Abänderungsanträge stellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nachdem darüber beschlossen ist, können wir zu Art. 104 zurückkehren und diese Abstimmungen vornehmen. Ich rufe auf Art. 105 Der Zustimmung des Bundesrats bedürfen Gesetze 1. über Steuern, deren Reinaufkommen den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden zufließt oder gemeinsame Einnahmen des Bundes und der Länder sind; 2. über den Finanzausgleich; 3. durch die neue Bundesoberbehörden oder neue der unmittelbaren Bundesaufsicht unterstehende Körperschaften des öffentlichen Rechts geschaffen werden;

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4. durch die ein neues Weisungsrecht gegenüber den Landesbehörden begründet wird; 5. durch die ein neuer bundeseigener Behördenunterbau geschaffen wird. In den Fällen 1 bis 4 ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmen, im Falle 5 die Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen erforderlich. Dr. Seebohm (DP): Ich stelle zu Abs. 1 den Antrag, die Ziffer 1 wie folgt zu fassen: Der Zustimmung des Bundesrats bedürfen 1. alle Steuergesetze – also auch Gesetze, die die Bundessteuern betreffen – und 2. Gesetze über Anleihen des Bundes. Ich bitte, auch das Wort „Anleihen“ aufzunehmen, da sonst Gesetze über Anleihen nicht der Zustimmung des Bundesrats bedürfen. Es würde dann heißen: 1. über Steuern und Anleihen. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich möchte zu Ziffer 1 den Antrag stellen, einfach zu sagen: Finanz- und Steuergesetze. Damit könnte man sich mit dem Antrag Dr. Seebohm vereinen, weil alles darunter fällt. [S. 142] Außerdem möchte ich den Antrag stellen, es für derartige Gesetze nicht genügen zu lassen, daß die einfache Mehrheit des Bundesrats zustimmt. Ich möchte da vielmehr eine gewisse Qualifizierung in der Form haben, daß es heißt: der Mehrheit der gesetzlichen Stimmenzahl des Bundesrats oder: Der Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundesrats bedürfen 1. Finanz- und Steuergesetze. Dr. Greve (SPD): Man kann Steuern und Anleihen in diesem Zusammenhang nicht auf die gleiche Ebene stellen. Anleihen sind in der Systematik etwas anderes als Steuern, so daß ich bitten muß, den Antrag des Herrn Kollegen Dr. Seebohm insoweit abzulehnen, als Steuern und Anleihen in gleicher Weise genannt werden. Dr. Becker (FDP): Die Situation ist doch folgende. In den Ländern haben wir sämtlich ein Einkammersystem. Diese Einkammern bestimmen doch in ihren eigenen Ländern sowohl über Anleihen als auch über sämtliche Ländersteuern. Zum zweiten: Der Bund überläßt den Ländern eine Reihe von Steuern zur unmittelbaren Gesetzgebung und Verwaltung. Dort wird auch im Einkammersystem über diese Dinge abgestimmt. Da vermissen die Länder weder das retardierende Moment, das in einer weiteren Kammer enthalten ist, noch sehen sie irgendeine Veranlassung, sich ihrerseits von anderen hineinreden zu lassen. Auf der anderen Seite ist hier der Bund nur bei den Zöllen und indirekten Steuern selbständig. Wenn ihm jetzt durch den Antrag des Kollegen Dr. Seebohm die Möglichkeit genommen wird, einen Widerspruch der Länderkammer bei dieser Erhebung von Steuern zu überwinden, ist ihm die letzte Möglichkeit der eigenen Einnahme ohne Zustimmung der Länder weggenommen. (Sehr richtig! bei der SPD.) Wir sind doch hier zusammengekommen, um einen Bundesstaat, das heißt etwas Gemeinsames, zu schaffen. Dr. Seebohm (DP): Einmal ist das Problem der Anleihen doch sehr wesentlich. Denn durch die Möglichkeit des Bundes, in sehr starkem Umfange den Anleihemarkt zu belasten, wird die Anleihemöglichkeit der Länder entsprechend eingeschränkt. Insofern muß eine Zustimmung der Ländervertretung bei der Frage der Bundesanleihen unbedingt vorgesehen werden, weil sich der Bedarf des Bundes mit der Anleihemöglichkeit auf der Länderebene ausgleichen muß. Bei den Zöllen

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und indirekten Steuern bin ich der Auffassung, daß die Länder auch sehr wesentliche Interessen insbesondere wirtschaftlicher Art haben können. Durch die Zollgesetzgebung können die Interessen eines Landes, zum Beispiel eines Agrarlandes, ganz besonders stark betroffen werden. Auf der anderen Seite können dadurch die Interessen bestimmter Industriezweige, die in dem einen Land besonders stark vertreten sind, betroffen werden. Deswegen glaube ich, daß eine Mitwirkung der Länder bei diesen Gesetzen unbedingt notwendig und richtig ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Würden Sie Ihren Antrag nicht durch den Antrag Dr. Süsterhenn gedeckt sehen, Finanz- und Steuergesetze zu sagen? Dr. Seebohm (DP): Würden bei dieser Fassung die Anleihen eingeschlossen sein? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja. Dann nehmen Sie Ihren Antrag insoweit zurück? Dr. Seebohm (DP): Ja. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich würde dann auf die qualifizierte Mehrheit auch verzichten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lautet Ihr Antrag nur noch, die Ziffer 1 abzuändern in: über Finanz- und Steuergesetze. Dr. Süsterhenn (CDU): Ja. Dr. Laforet (CSU): Ich bitte dann, zu Protokoll zu nehmen, daß die Anleihe damit als Finanzgesetz erklärt ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das hatten wir bisher immer getan. Dr. Laforet (CSU): Das nahmen wir überwiegend an. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das Gesetz einer gesetzgebenden Körperschaft über eine Anleihe fällt systematisch unter Finanzgesetze. Ich lasse über die weitergehende Fassung von Dr. Süsterhenn abstimmen. – Der Antrag ist mit 11 gegen 9 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung abgelehnt. Nun lasse ich über Ziffer 1 der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Die Ziffer 1 von Art. 105 ist mit 10 gegen 2 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen angenommen. Ich lasse über Ziffer 2 von Art. 105 abstimmen. – Die Ziffer 2 ist mit 19 Stimmen angenommen. Ich lasse über Ziffer 3 von Art. 105 abstimmen. – Die Ziffer 3 ist mit 19 Stimmen angenommen. Wir kommen zu Ziffer 4. Dr. Süsterhenn (CDU): Wir haben uns bereits, wenn auch nicht im Hauptausschuß, so doch in sonstigen Besprechungen, über den Art. 42 unterhalten, worin zum Ausdruck gebracht werden sollte, in welchen Fällen ein neues Weisungsrecht gegenüber den Landesbehörden zugunsten des Bundes begründet werden kann. Aus diesem Gesichtspunkt bitte ich, unter Ziffer 4 zu sagen: durch die in den durch das Grundgesetz zugelassenen Fällen ein neues Weisungsrecht gegenüber den Landesbehörden begründet wird. Dr. Katz (SPD): Ich halte das für eine Selbstverständlichkeit. Wir brauchen die Verfassung nicht durch Selbstverständlichkeiten zu erweitern. Denn ein Weisungsrecht kann nicht in Fällen begründet werden, in denen es unzulässig oder verfassungswidrig ist. Dr. Süsterhenn (CDU): Dann stelle ich keinen Antrag. Ich wollte nur feststellen,

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daß es ohne weiteres darunter fällt. Vorbehaltlich der Regelung des Art. 42 bin ich mit der Fassung einverstanden. Dr. Strauß (CDU): Der Zuständigkeitsausschuß wollte sich, falls er heute zusammentritt, noch mit der Frage des Weisungsrechts beschäftigen. Wir haben es noch nicht durchgesprochen. Die Formulierung muß wahrscheinlich erst bei dem Abschnitt Bundesverwaltung gefunden werden. Könnten Sie diese einzelne Ziffer hier noch zurückstellen? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, das ist nicht notwendig, weil die Ziffer nur in den Fällen zum Zuge kommt, die Sie nunmehr behandeln. Dr. Strauß (CDU): Wenn wir eine Lösung finden, können wir bei der zweiten Lesung noch darauf zurückkommen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Ziffer 4 von Art. 105 abstimmen. – Die Ziffer 4 ist mit 19 Stimmen angenommen. Wir kommen zu Ziffer 5. Dr. Katz (SPD): Wir sind dagegen, daß für diesen Fall, der in dem letzten Absatz vorgesehen wird, eine qualifizierte Mehrheit geschaffen wird. Infolgedessen halte ich es für angebracht, daß wir über die Streichung des letzten Absatzes zunächst abstimmen, um klarzustellen, daß diese Ziffer 5 den übrigen vier Ziffern gleichsteht. Dies ist ein Vorschlag des Redaktionsausschusses11), den ich für unangemessen halte. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich glaube, daß es sich bei Ziffer 5 eigentlich um einen echten Fall von Verfassungsänderung handelt. Denn es ist in der Verfassung vorgesehen, daß die Verwaltung grundsätzlich Sache der Länder ist, soweit nicht in diesem Grundgesetz ausdrücklich Verwaltungsbefugnisse des Bundes begründet sind. Wenn also ein neuer bundeseigener Verwaltungsunterbau über den Rahmen der in der Verfassung vorgesehenen Gebiete hinaus geschaffen wird, so handelt es sich um eine echte Verfassungsänderung. Ich bitte also, die Ziffer 5 zu streichen, weil sie unter den Abschnitt Verfassungsänderungen fällt. [S. 143] Dr. Katz (SPD): Ich hätte gegen die Streichung nichts einzuwenden, wenn die Auslegung des Kollegen Dr. Süsterhenn stimmte. Ich persönlich war der Auffassung, daß bei der Vorranggesetzgebung, falls der Bund für gewisse Sachen, die ihm offenliegen, die Zuständigkeit an sich zieht und hier unter Umständen ein Behördenunterbau in Frage kommt, die Möglichkeit gegeben ist, einen Behördenunterbau ohne Verfassungsänderung zu schaffen. Diese wollten wir an die kompliziertere Genehmigung, das heißt die völlige Gleichberechtigung des Bundesrats in derartigen Fällen, binden. Aber ich bin mit der Streichung der Ziffer 5, wie der Herr Kollege Dr. Süsterhenn es beantragt hat, vollkommen einverstanden. Damit fällt automatisch der letzte Satz, so daß der Artikel mit den Worten „begründet wird“ beendigt ist und der Rest weggestrichen werden kann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Ziffer 5 von Art. 105 abstimmen. – Die Ziffer 5 ist mit 9 gegen 3 Stimmen abgelehnt.

11)

Vgl. die Drucks. Nr. 318 vom 26. Nov. 1948 mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zum Abschnitt IX; Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 64.

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Der letzte Satz wird damit überflüssig. Wir brauchen das nicht erst zum Antrag zu erheben. (Zustimmung.)12)

[2.2. ART. 105a: EINSPRUCHSFRISTEN DES BUNDESRATES]

Wir kommen nunmehr zu

Art. 105a (bisher 104a) Ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz ist zustande gekommen, wenn der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt, innerhalb der gesetzlichen Frist keinen Einspruch eingelegt oder ihn zurückgenommen hat oder wenn der Einspruch vom Bundestag überstimmt worden ist. Das ist praktisch nur eine Legaldefinition für den Fall, daß streitig ist, ob ein Gesetz zustande gekommen ist oder nicht. Wir haben in Art. 105a umnumeriert, weil der als Art. 104a stehende Artikel systematisch hinter Art. 105 gehört. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich wollte zu Art. 104 beantragen, daß das Suspensivveto nicht ohne weiteres innerhalb kürzester Frist überstimmt werden kann, wie das zum Beispiel jetzt in Frankfurt wiederholt der Fall gewesen ist. Ich erinnere an die Einrichtung in England, wo ein Veto des Oberhauses erst nach einer längeren Frist von ein oder zwei Jahren überstimmt werden kann. Es müßte zumindest, wenn hier eine Meinungsverschiedenheit zwischen Bundesrat und Bundestag auftritt, eine so lange Frist eingefügt werden, daß es auch möglich ist, das strittige Problem in der Öffentlichkeit zu diskutieren und sich mit den Dingen wirklich auch auseinanderzusetzen. Ich würde daher vorschlagen, daß die Überstimmung des Einspruchs des Bundesrats frühestens nach drei Monaten erfolgen kann. Infolgedessen müßte in den Art. 105a auch eingefügt werden: „wenn der Einspruch vom Bundestag innerhalb der vorgesehenen Frist überstimmt wird.“ Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde vorschlagen, diesen Antrag bei Art. 104 zu stellen. Dr. Katz (SPD): Ich glaube, der Herr Kollege Dr. Süsterhenn übersieht, daß wir über die Einspruchsfrist bereits entschieden haben. In Art. 104 Abs. 2 Satz 2 ist die Einmonatsfrist für den Einspruch festgelegt. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich will eine Frist für die Überstimmung des Einspruchs haben. Dr. Katz (SPD): Ich sehe die Bedeutung des Art. 105a, bisher 104a, eigentlich nur darin, daß der Bundesrat unter Umständen bei eigenen Gesetzen innerhalb kürzester Frist, innerhalb von drei oder vier Tagen zustimmen könnte und dann das Gesetz schon zustande gekommen ist. Das ist die einzige praktische Bedeutung. Um Zweifel über das Zustandekommen des Gesetzes zu beseitigen, ist der gesamte Art. 105a, vorher 104a, nichts anderes als eine Legaldefinition über den Zeitpunkt, wann das Gesetz zustande gekommen ist. Wenn er nicht dastehen würde, würde es wahrscheinlich auch nicht viel ausmachen. Infolgedessen glaube ich, daß hier gar nicht viel Raum für eine Debatte ist. 12)

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„(Zustimmung.)“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 18.

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Dr. Süsterhenn (CDU): Ich kann dann den Antrag zu Art. 104 stellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 105a, bisher 104a, abstimmen. – Der Artikel ist mit 11 Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über Art. 104 Abs. 2 letzter Satz. Ihr Antrag, Herr Dr. Süsterhenn, würde etwa so lauten: Der Beschluß des Bundestags darf nicht vor Ablauf von drei Monaten erfolgen. Dr. Süsterhenn (CDU): Ja. Außerdem besteht der Antrag auf Dreiviertelmehrheit. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist zunächst der Antrag Dr. Süsterhenn gestellt: Er kann den Einspruch mit Dreiviertelmehrheit überstimmen. Das übrige wäre zu streichen. Dann ist der Antrag gestellt: mit einfacher Mehrheit. Weiter ist der Antrag gestellt: mit absoluter Mehrheit. Schließlich ist für den Fall der Verwerfung des Antrags Dr. Süsterhenn der Antrag Dr. Seebohm gestellt zu streichen: „zumindest mit der Mehrheit seiner Mitglieder“. Dr. Seebohm (DP): Aber einzusetzen: „Zweidrittelmehrheit der gesetzlichen Zahl der Mitglieder“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Am weitesten geht in diesem Fall der Antrag Renner: einfache Mehrheit. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 12 gegen 6 Stimmen abgelehnt. Der Antrag Maier lautet: mit absoluter Mehrheit, das heißt mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 12 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Nunmehr stelle ich den Text des Art. 104 Abs. 2 letzter Satz nach der Vorlage zur Abstimmung. – Der Satz ist mit 11 gegen 9 Stimmen angenommen. Es ist noch der Zusatzantrag Dr. Süsterhenn zur Abstimmung zu stellen: „Der Beschluß des Bundestags darf nicht vor Ablauf von drei Monaten erfolgen.“ Renner (KPD): Das kommt mir so vor wie in meiner Kommißzeit: Beschwerden gegen den Vorgesetzten dürfen erst nach Ablauf einer Nacht, nach 24 Stunden eingebracht werden. (Dr. Süsterhenn [CDU]: Eine sehr gesunde Bestimmung!) – Ja, für die Vorgesetzten. Wir haben jetzt schon konzediert, daß die Zweidrittelmehrheit aller vorhandenen Mitglieder notwendig ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist nicht richtig. Es heißt: „Zweidrittelmehrheit, zumindest mit der Mehrheit seiner Mitglieder“. Renner (KPD): Das ist die absolute Verschlechterung, die jetzt kommt. Dann müssen die Herren Abgeordneten des Bundestags drei Monate darüber schlafen, was sie mit einem Einspruch des Bundesrats machen wollen. Die Bürokratie zwingt also der gewählten Volksvertretung drei Monate Schlafenszeit, Ruhezeit, Überlegungszeit auf. Weiter geht es nun wirklich nicht. (Zuruf.) – Wer hat es denn mehr notwendig zu überlegen, die Verwaltung oder die Vertretung des Volkes? Dr. Katz (SPD): Der Herr Kollege Renner irrt mit der Frist, es sind nicht drei Monate, sondern vier Monate, ein Monat für den Einspruch und weitere drei Monate als Überlegungsfrist. Das würde unter Umständen bei dringenden Gesetzen, für die sich zwei Drittel des Bundestags eingesetzt haben, eine geradezu untragbare Verschleppung bedeuten. Ich bitte daher, diesen Antrag abzulehnen.

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Schönfelder (SPD): Ich wollte dasselbe sagen. Es ist manches Mal in unserer Notzeit und bei den Wechselfällen, denen wir vorläufig noch lange Zeit unterworfen sein werden, in wenigen Tagen möglich gewesen, diesen Widerspruch zu überwinden. Dann soll der Bundestag nicht beschließen können? Wir legen uns da einen Hemmschuh an, den wir selber nachher nicht wünschen können. Dr. Seebohm (DP): Ich bin der Auffassung, daß einer öffentlichen Diskussion in einer wichtigen Frage Raum gelassen werden sollte. Andererseits bin ich der Meinung, daß durch die Zeit von drei Monaten in dringenden Fällen ein zu langer Aufschub erfolgt. Man sollte aber doch mindestens die Möglichkeit geben, daß im Verlauf von einem Monat diese Diskussion [S. 144] erfolgt. Ich würde den Antrag dahin stellen: Es darf die erneute Abstimmung im Bundestag nicht früher als einen Monat nach der Abstimmung im Bundesrat erfolgen. Renner (KPD): Alle diese Anträge zeigen eine geradezu hysterische Angst vor den gewählten Vertretern des Volkes. (Dr. Seebohm [DP]: Ich möchte doch gern Ihrer Presse Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte nur darauf hinweisen, daß wir in dieser Zeit Gesetze erlassen müssen, an die man früher überhaupt nicht zu denken brauchte, zum Beispiel ein Gesetz über das Einbringen und das Erfassen von Kartoffeln13). Ich könnte mir vorstellen, daß die Kartoffeln erfroren sind, bis die Respektsfrist von drei Monaten abgelaufen ist. Der Fall ist schon einmal passiert. Allerdings war die Stelle, die zu genehmigen hatte, kein Bundesrat, sondern eine Militärregierung. Stock (SPD): Wir in Bayern haben, wie Sie wissen, eine zweite Kammer, einen Senat. Dieser hat ein Einspruchsrecht von vier Wochen. Wenn der Landtag glaubt, daß die Zeit zu lang ist, wird das Gesetz als dringend bezeichnet. In diesem Fall muß der Senat seinen Einspruch innerhalb von acht Tagen geltend machen. Wir könnten es auch so regeln, daß der Bundestag das Recht hat, ein Gesetz als dringend zu bezeichnen. Dann müßte die Länderkammer oder der Bundesrat – oder wie man das Kind später einmal nennen will – innerhalb von 14 Tagen seinen Einspruch geltend machen. Innerhalb von weiteren 14 Tagen könnte noch eine Beratung in der Öffentlichkeit erfolgen, so daß bei den dringenden Gesetzen insgesamt ein Monat herauskäme. Das wäre ein Fall, den der Herr Vorsitzende erwähnt hat. Aber ich glaube, es wird in politisch unruhigen Zeiten noch viel wichtigere Fälle geben. Wir könnten uns also darüber hinweghelfen, wenn von seiten des Bundesrats irgendeine Verschleppungstaktik oder sogar eine Sabotage betrieben werden sollte. Dr. Süsterhenn (CDU): Man muß den Bundesrat nicht gerade als ein Organ der Sabotage und der Verschleppungstaktik bezeichnen. Stock (SPD): Aber nach diesen Ausführungen muß man darauf kommen. Dr. Süsterhenn (CDU): Es kommt auf die Anwendung dieser Rechte an. Man kann 13)

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Der Wirtschaftsrat für das Vereinigten Wirtschaftsgebiet hatte am 3. Okt. 1947 ein Gesetz zur Sicherung der Kartoffelversorgung im Wirtschaftsjahr 1947/48 verabschiedet, das aber schon am 7. Okt. 1947 von der MilReg. genehmigt worden war. Vgl. Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftrats, Nr. 2 vom 9. Okt. 1947, S. 3 f.

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mit jedem Recht Mißbrauch treiben, auch mit solchen Vetorechten, wie sie für den Bundesrat in der Verfassung festgelegt sind. Aber man soll nicht ohne weiteres den Ländervertretern unterstellen, daß sie ein Interesse daran hätten, die Kartoffeln erfrieren zu lassen oder auf sonstigen Gebieten Sabotage zu treiben. Ich verkenne nicht, daß es Dinge geben kann, die eilbedürftig sind. Ich bin damit einverstanden, den Antrag zu modifizieren und mit dem Antrag von Dr. Seebohm auf eine Monatsfrist zu vereinen. Aber ich glaube, daß man das im Interesse einer gesund funktionierenden Demokratie und einer wirklichen Beteiligung des Volkes an der Entscheidung zulassen müßte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Antrag Dr. Süsterhenn lautet also: Der Beschluß des Bundestags darf nicht vor Ablauf eines Monats erfolgen. Ich stelle diesen Zusatzantrag zur Abstimmung. – Der Antrag ist bei 10 gegen 10 Stimmen, also bei Stimmengleichheit, abgelehnt.

[2.3. ART. 106: GRUNDGESETZÄNDERUNGEN]

Wir kommen zu Art. 106, der die Verfassungsänderung betrifft. Er lautet: (1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das ausdrücklich den Wortlaut des Grundgesetzes ändert oder ergänzt. (2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats. (3) Seine Verkündung ist erst 14 Tage nach der Annahme zulässig. Ein Viertel der Mitglieder des Bundestags oder der Stimmen des Bundesrats können innerhalb dieser Frist verlangen, daß das Gesetz nicht verkündet, sondern zum Volksentscheid gebracht wird. Das Gesetz ist nur angenommen, wenn beim Volksentscheid zwei Drittel aller Abstimmenden sowie in der Mehrzahl der Länder jeweils die Mehrheit der Abstimmenden dem Gesetz zugestimmt haben. Das Verfahren über den Volksentscheid regelt ein Gesetz. Dr. Katz (SPD): Der Art. 106 beschäftigt sich mit dem wichtigen Problem der Änderung des Grundgesetzes. Die Absätze 1 und 2 sehen vor, daß eine Verfassungsänderung nur mit einer qualifizierten Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags und zwei Drittel der Mitglieder des Bundesrats beschlossen werden kann. Meine Fraktion hat gegen den Abs. 3 Bedenken, nämlich gegen die fakultative Einschaltung des Volksentscheids, und zwar bereits mit einem Viertel der Mitglieder des Bundestags oder des Bundesrats. Das könnte bei etwa notwendig werdenden dringenden Verfassungsänderungen eine ungeheure Verschleppung einer derartigen Verfassungsänderung, unter Umständen sogar ihre Unterbindung zur Folge haben. Wir sind der Ansicht, daß es nicht zweckmäßig ist, einer Minderheit von einem Viertel das Recht zu geben, in diesem Falle ein Referendum zu beantragen, sondern wir sind der Ansicht, daß, wenn zwei Drittel der Mitglieder des Bundestags und zwei Drittel der Mitglieder des Bundesrats einer Verfassungsänderung zugestimmt haben, der überwiegende Wille der Volksvertretung bereits hinreichend zum Ausdruck gekommen ist und diese Manipulation in Abs. 3 vollkommen überflüssig ist. Sie führt nichts anderes als eine Verzögerung oder eine Verschleppung

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herbei; sie gibt die Möglichkeit zu etwaigen demagogischen Experimenten. Wir beantragen daher, den Abs. 3 zu streichen. Dr. Süsterhenn (CDU): Wir sind uns darüber im klaren, daß wir das Grundgesetz auf der Grundlage des Dokuments Nr. 1 schaffen wollen. In diesem Dokument Nr. 1 ist vorgesehen, daß auch Verfassungsänderungen in Zukunft nur in der gleichen Form erfolgen können, in der diese Verfassung zustande kommt, also auf der Grundlage eines Volksentscheids14). Infolgedessen wird also eine Verfassungsänderung wohl auch nicht gut ohne einen solchen Volksentscheid möglich sein. (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Die Frage ist noch offen15).) Aber abgesehen davon bin ich grundsätzlich der Meinung, man sollte zu dem guten demokratischen Brauch zurückkehren, daß Verfassungsänderungen nicht nur durch die beiden gesetzgebenden Körperschaften gemacht werden, sondern daß sie grundsätzlich der Zustimmung des Volkes bedürfen, da eine Verfassung doch die Grundlage des gesamten öffentlichen Gemeinschaftslebens darstellt. Ich finde die Formulierung des Redaktionsausschusses hier durchaus glücklich. Hier ist nicht die obligatorische Zustimmung des Volkes in jedem Falle gefordert, sondern nur dann, wenn eine immerhin beachtliche Minderheit in einer der gesetzgebenden Körperschaften es für wichtig erachtet, daß das Volk zu diesen Dingen Stellung nimmt. Ich stimme deshalb der Formulierung des Abs. 3 in dieser Fassung zu. Dr. Strauß (CDU): Im Abs. 1 kann das Wort „ausdrücklich“ wegfallen. Man kann den Wortlaut nur ändern oder ergänzen, wenn man textlich etwas hinzufügt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, es ist doch gut, wenn dieses Wort stehenbleibt. Wir haben seinerzeit bei der Beratung der Verfassung von Württemberg-Baden16) auch über diese Dinge gesprochen, und es hat sich gezeigt, daß Zweifel übrigbleiben. Man kann der Meinung sein, daß es genügen könnte, wenn der Wortlaut des Grundgesetzes auch implizite geändert wird. Gerade das soll verhindert werden. Verfassungsänderungen sollten eigentlich – im Idealfall – so geschehen, daß sämtliche alten Ausgaben eingezogen, eingestampft und neue Texte gedruckt werden. Ich bitte, das nicht wörtlich zu nehmen. Aber der Sinn dessen, was gemeint ist, kommt in diesem Beispiel wohl besonders plastisch zum Ausdruck. – Ich würde das Wort stehenlassen. (Dr. Strauß [CDU]: Gut!) [S. 145] 14)

In Dokument Nr. I der drei Dokumente zur zukünftigen Entwicklung Deutschlands („Frankfurter Dokumente“) legten die Alliierten MilGouv. fest: „Jede Abänderung der Verfassung muß künftig von einer gleichen [zwei Drittel] Mehrheit der Länder ratifiziert werden.“ Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 1, Dok. Nr. 4, S. 32. – Zu den Frankfurter Dokumenten vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 8, Anm. 30. 15) Die Frage, ob die Verfassung durch Referendum oder durch die Landtage angenommen werden sollte, ist erst am 12. Mai 1949 anläßlich der Überreichung des Genehmigungsschreibens der Alliierten vom 12. Mai 1949 entschieden worden. Vgl. dazu die Aufzeichnung über die Besprechung einer Delegation des Parl. Rates mit den MilGouv. am 12. Mai 1949; Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 78, S. 269 f., Anm. 13. 16) Zur Diskussionen der Verfassunggebenden Versammlung von Württemberg-Baden über eine zukünftige Verfassungsänderung, vgl.: Quellen zur Entstehung der Verfassung von Württemberg-Baden, berab. von Paul Sauer (= Veröffentlichungen zur Verfassungsgeschichte von Baden-Württemberg seit 1945, Bd. 12), 3. Teile. Stuttgart 1995, Bd. 3, S. 672 (Stichwort „Verfassungsänderung“).

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Dann lasse ich über Abs. 1 abstimmen. – Der erste Absatz von Art. 106 ist mit 16 Stimmen angenommen. Ich lasse über Abs. 2 abstimmen. – Abs. 2 ist mit 15 gegen 1 Stimme angenommen. Dr. Schäfer (FDP): Mir scheint es in Abs. 3 zu weit zu gehen, daß schon ein Viertel der Mitglieder des Bundestags in der Lage sein soll, die Verkündung eines Gesetzes aufzuhalten, das vorher von zwei Dritteln sowohl des Bundesrats als auch des Bundestags angenommen worden ist. Ich möchte daher vorschlagen, statt „ein Viertel“ zu sagen: „die Mehrheit“. Dr. Süsterhenn (CDU): Das scheint mir unlogisch zu sein. Wenn zunächst einmal zwei Drittel des Bundestags zugestimmt haben, wo soll sich die Mehrheit aus dem Bundestag finden, die gegen die Verkündung dieses Gesetzes protestiert? Die überstimmte Minderheit soll ja gerade in die Lage versetzt werden, die Entscheidung des Volkes anzurufen. Im übrigen geht dieser Artikel, wie auch die vom Redaktionsausschuß gegebene Begründung zeigt, davon aus, daß man grundsätzlich den Gedanken hatte: Eine Verfassungsänderung ist nur mit Zustimmung des Volkes möglich. Um das aber nicht technisch zu sehr zu komplizieren, insbesondere bei notwendig werdenden Verfassungsänderungen, bei denen praktisch alle mit den Dingen einverstanden sind, um also in solchen Fällen nicht den ganzen Apparat der Volksabstimmung in Bewegung zu setzen, hat man vorgeschlagen, daß die Verfassungsänderung nicht obligatorisch an die Zustimmung des Volkes gebunden ist, sondern nur in dem Fall, daß eine immerhin beachtliche Minderheit das für notwendig hält. Der Grundgedanke ist also immer der: keine Verfassungsänderung ohne Zustimmung des Volkes. Dr. Katz (SPD): Ich halte die Idee des Herrn Dr. Schäfer nicht für schlecht und möchte zunächst einmal sagen, daß ich bei meinem Antrag bleibe, diese Volksabstimmung überhaupt zu streichen. Wenn man aber der Ansicht ist, daß eine fakultative Volksentscheidung in die Verfassung hineingebaut werden müsse, so hat die Idee des Kollegen Dr. Schäfer doch ihre Berechtigung; denn die Abgeordneten selber können sich darüber schlüssig werden, nachdem sie mit einer Zweidrittelmehrheit eine Verfassungsänderung beschlossen haben, daß in einem bestimmten Fall eine so grundsätzliche Entscheidung vorliegt, daß das Volk gehört werden soll. Das ist das, was Herr Kollege Schäfer – wenn ich ihn recht verstanden habe – sagen will. Dann soll mit einfacher Mehrheit gesagt werden: Wir stimmen zwar zu, aber die Verfassungsänderung ist so wichtig, daß wir auch einen Volksentscheid haben wollen. Der Antrag Dr. Schäfer hat also doch eine innere Berechtigung. Renner (KPD): Ich stimme gegen diese Fassung, weil sie mir nicht weitgehend genug ist. Ich bin der Auffassung, daß jede Minderheit, auch die kleinste, im Bundestag das Recht haben muß, gegen jede Änderung des Grundgesetzes wie auch gegen jedes andere Gesetz den Volksentscheid herbeizuführen. Das sind die Gründe, die mich veranlassen, gegen diese Formulierung zu stimmen. Dr. Süsterhenn (CDU): Gerade die Bemerkungen des Herrn Renner haben in mir doch die Überzeugung geweckt, daß es vielleicht richtiger ist, eine gewisse Erschwerung einzuführen. (Dr. Greve [SPD]: Das wollte ich auch gerade sagen!) Infolgedessen möchte ich den Vorschlag machen, in der Vorlage des Redaktionsausschusses des Wort „oder“ zwischen „des Bundestages“ und „der Stimmen des

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Bundesrats“ durch das Wort „und“ zu ersetzen, so daß ein Viertel der Mitglieder des Bundestags und der Stimmen des Bundesrats dafür sein muß, daß eine Volksabstimmung durchgeführt wird. Dann haben wir doch mit Wahrscheinlichkeit die Garantie, daß wir nicht in einen unnötigen Strudel von Volksabstimmungen gerissen werden. Dr. Schäfer (FDP): Ich bin bereit, meinen Antrag zugunsten des Antrags Dr. Süsterhenn zurückzuziehen. Renner (KPD): (KPD): Nachdem Herr Abgeordneter Katz grundsätzlich seine Meinung dahin ausgesprochen hat, daß er gegen den Volksentscheid überhaupt ist, schien es mir von vornherein eine Anomalität zu sein, daß Herr Süsterhenn von der CDU/CSU hier einen scheinbar demokratischen Gedanken verfochten hat. (Dr. Greve [SPD]: „Anscheinend“ nicht „scheinbar“! Das ist ein großer Unterschied! – Heiterkeit.) – Nein, daß er scheinbar einen demokratischen Grundsatz verfochten hat! Sie unterstellen wieder etwas ganz anderes. Sie haben ja das Volk nicht nötig, nachdem Sie das Mandat bekommen haben! Was schert Sie dann noch das Volk! (Dr. Süsterhenn [CDU]: Was Ihnen demokratisch scheint, ist für uns von vornherein vermutlich volksdemokratisch!) Dr. Katz (SPD): Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß die Auffassung des Kollegen Renner, daß die SPD grundsätzlich gegen Volksentscheide sei, vollkommen irrig ist. Wir sind in diesem Falle nur deshalb für die Streichung des Volksentscheids, weil wir uns sagen, wenn eine Zweidrittelmehrheit sowohl im Bundestag wie im Bundesrat vorliegt, ist eine so überwältigende Willenskundgebung sämtlicher Volksvertreter gegeben, daß das Verfahren über den Volksentscheid lediglich eine Hinausziehung, eine Verschleppung und vielleicht eine Propagandamöglichkeit und eine Möglichkeit der Unruhestiftung schaffen würde. Wir sind in diesem Fall nur deshalb gegen den Volksentscheid, weil wir glauben, daß eine so große Majorität wie die Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten des Bundestags und die Zweidrittelmehrheit der Stimmen des Bundesrats bereits eine so überwiegende Majorität des Volkes darstellt, daß der Volksentscheid überflüssig ist und eine unnötige Verzögerung des Verfahrens darstellt. Das ist der Grund dafür, daß ich den Antrag gestellt habe, und nicht etwa, wie Herr Kollege Renner unterstellt hat, ein Mißtrauen gegen das Volk im ganzen. (Renner [KPD]: Ich stelle nur fest: der geruhsame Bundesrat und das unruhige Volk. Das klang sehr deutlich aus Ihren Ausführungen heraus!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich abstimmen. Der Antrag Dr. Süsterhenn lautet, dem Satz 2 von Abs. 3 folgende Fassung zu geben: Ein Viertel der Mitglieder des Bundestags und der Stimmen des Bundesrats können innerhalb dieser Frist verlangen .. . Dr. Katz (SPD): Ich schlage vor, über meinen Antrag zunächst abstimmen zu lassen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir stimmen nicht über das ab, was gestrichen werden soll, sondern über das, was angenommen wird. Sie können ja dagegen stimmen. Dr. Katz (SPD): Wenn unser Antrag abgelehnt werden sollte, würden wir eventuell den Antrag Dr. Süsterhenn unterstützen. Wir können ihn nicht unterstützen, wenn wir nicht wissen, was mit unserem Antrag geschieht. Mein Antrag ist der weitergehende.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Nein, es ist ein Antrag da, daß der Hauptausschuß beschließen solle, Bestimmungen im Sinne dieses Abs. 3 anzunehmen. Dr. Katz (SPD): Ich halte meinen Antrag, den Abs. 3 ganz zu streichen, für den weitergehenden. Für den Fall, daß dieser Antrag fallen sollte, müßte man sich neu über den Antrag Dr. Süsterhenn schlüssig werden. Dr. Seebohm (DP): Ich würde darüber abstimmen lassen, ob für den Fall der Annahme des Abs. 3 der Antrag Dr. Süsterhenn angenommen wird, und dann würde ich über Abs. 3 abstimmen lassen. [S. 146] Dr. Greve (SPD): In jedem Fall ist der Antrag auf Streichung einer Vorlage der weitestgehende Antrag, so daß ich schon bitten muß, in diesem Fall dem Antrag Dr. Katz auf Streichung von Art. 106 Abs. 3 den Vorzug zu geben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Besteht Übereinstimmung? (Zustimmung.) – Ich lasse über den Antrag auf Streichung des Abs. 3 der Vorlage abstimmen. – Der Antrag auf Streichung ist mit 12 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Dann lasse ich über Art. 106 Abs. 3 in der gemäß dem Antrag Dr. Süsterhenn abgeänderten Form abstimmen. Der Antrag ist mit 14 Stimmen angenommen.

[2.4. ART. 107: ÄNDERUNG DER BUNDESSTAATLICHEN GRUNDORDNUNG]

Wir kommen zu

Art. 107 Ein Gesetz, durch das von der bundesstaatlichen Grundordnung abgegangen wird, bedarf außer den sonstigen Erfordernissen des Art. 106 der einstimmigen Annahme im Bundesrat. Dr. Katz (SPD): Ich beantrage Streichung des Art. 107. Wir haben im Organisationsausschuß über diesen Artikel eingehend debattiert17). Ich kann die Hauptgründe, die uns zur Streichung dieses Artikels veranlaßt haben, kurz wiederholen. Die Frage, was die bundesstaatliche Grundordnung ist, ist sehr schwer zu beantworten. Ist es eine Änderung der bundesstaatlichen Ordnung, wenn irgendwo eine Kompetenzverschiebung vorgenommen werden soll, wenn irgendwo sonstige Kleinigkeiten im Verhältnis zwischen Bundesverwaltung und Länderverwaltung verschoben werden sollen, oder nicht? Man sieht eine Fülle von Prozessen vor dem kommenden Staatsgerichtshof über diese Frage entstehen. Denn die Frage, ob es sich um eine einfache Verfassungsänderung oder um eine Verfassungsänderung gemäß Art. 107 handelt, ist sehr schwierig zu beantworten. Wir sind der Ansicht, bei Annahme dieses Artikels wird eine solche Unklarheit in das gesamte Gefüge hineingebracht, daß es unmöglich ist, noch irgendeine klare Rechtsentscheidung zu treffen. Ich befürchte, daß künftighin jede Verfassungsänderung von irgendeinem Mitglied des Bundes als unter Art. 107 fallend angesehen werden wird, so daß also statt der Zweidrittelmehrheit im Bundesrat praktisch Einmütigkeit erzielt

17)

Der Ausschuß für die Organisation des Bundes befaßte sich in seiner 19. Sitzung am 3. Nov. 1948 mit Art. 107; vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 25, S. 715–720.

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werden müßte. Ich halte diesen Art. 107 für ein Ding der Unmöglichkeit. Infolgedessen beantragt die Fraktion der SPD die Streichung. Dr. Laforet (CSU): Es handelt sich um eine Frage von ganz grundsätzlicher Bedeutung. Nach dem, was die Herren jetzt im Ausschuß beschlossen haben, kann ein Gliedstaat mit der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats seiner Staatlichkeit entkleidet werden, und es kann das geschehen, was in der unseligen Nazizeit erfolgt ist. Meiner Ansicht nach kann ein Staat, auch der Gliedstaat eines Bundesstaats, nur mit seinem eigenen Willen seine Staatlichkeit verlieren. Es fragt sich, wie dieses Ergebnis gesichert werden kann. Ich gebe zu, daß die Fassung hier sehr schwierig ist. Ich habe auch nichts dagegen, wenn die Worte „der einstimmigen Annahme im Bundesrat“ ersetzt werden durch die Worte: „der Zustimmung aller Länderregierungen“. Aber eine Sicherung gegen den Verlust der Staatlichkeit muß unter allen Umständen gegeben sein, selbst auf die Gefahr hin, daß hier ein Rechtsbegriff in das Gesetz kommt, der zu verfassungsrechtlichen Streitigkeiten Anlaß geben kann. Man wird zu diesem Mittel, den Verfassungsgerichtshof anzurufen, natürlich nur dann schreiten, wenn es sich um die Existenzfrage eines Landes handelt. Die Begriffsbestimmung läßt sich leider nicht genauer geben. Aber es unterliegt doch keinem Zweifel, daß die Staatspraxis klar entscheiden kann, ob hier von der ganzen bundesstaatlichen Grundordnung abgewichen wird oder nicht. Für mich ist entscheidend, eine Sicherung dagegen zu schaffen, daß der Bund einen Gliedstaat seiner Eigenstaatlichkeit im Bundesstaat entkleidet. Ich sehe deshalb hier eine Bestimmung vor mir, die für die ganze Grundkonstruktion des Bundesstaats und für die Erhaltung der Eigenstaatlichkeit der Länder von ganz besonderer Bedeutung ist. Ich nehme an, daß der Versuch gemacht werden soll, den Begriff der Grundordnung noch näher zu umschreiben. Das gelingt nicht. Wir müssen uns damit abfinden, daß auch diejenigen, die an den Verfassungsgerichtshof gehen, zum mindesten eine weit überwiegende Sicherheit haben, daß die Voraussetzungen des Art. 107 gegeben sind. Aber die Möglichkeit eines verfassungsgerichtlichen Schutzes gegen die Vernichtung eines Gliedstaates muß gegeben sein. Die Sicherungen des Art. 106 reichen meiner Ansicht nach hier nicht aus. Trotz der Schwierigkeit, die die Fassung der Worte „bundesstaatliche Grundordnung“ mit sich bringt, muß eine weitere Sicherung für die Erhaltung des Bundes als Bundesstaat mit bleibender Staatlichkeit aller Gliedstaaten gewährleistet sein. Dr. Süsterhenn (CDU): Wir haben uns mit diesem Art. 107 bereits eingehend in interfraktionellen Besprechungen beschäftigt18). Da waren sich alle Anwesenden darüber im klaren, daß der Artikel in der jetzigen Fassung wegen der juristischen Unschärfe des Begriffs „bundesstaatliche Grundordnung“ nicht tauglich ist, sondern geradezu eine Quelle für eine Fülle von Verfassungsstreitigkeiten bietet. Daher ist es notwendig, wie Herr Kollege Laforet angedeutet hat, diesen Artikel etwas schärfer zu fassen. Wir waren uns in dieser Besprechung alle darüber einig, daß die Exi-

18)

366

Vgl. dazu z. B. die interfraktionellen Besprechungen am 2. und 10. Nov. 1948; Der Parl. Rat. Bd. 11, Dok. Nr. 8, S. 38–41 und Dok. Nr. 11, S. 47–54.

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stenz von Ländern, der Aufbau des Bundesstaats auf der Grundlage von Ländern nicht berührt werden darf. (Vors. Dr. Schmid [SPD]: „Die Gliederung des Bundes in Länder“ haben wir damals gesagt19)!) – „Die Gliederung des Bundes in Länder“, und dazu gehört auch die Mitwirkung der Länder bei der Bildung des Bundeswillens. Dagegen waren wir uns alle darüber im klaren, daß unter den Begriff der Veränderung oder des Abgehens von der bundesstaatlichen Grundordnung keineswegs der Fall gehören darf, daß sich etwa einmal eine legislative Kompetenzerweiterung als notwendig herausstellen könnte. Um nun da eine Lösung zu finden, haben wir für Art. 107 folgende Fassung vorgeschlagen: Ein Gesetz, durch das der bundesstaatliche Aufbau wesentlich verändert wird, bedarf außer den Erfordernissen des Art. 106 der einstimmigen Annahme im Bundesrat. Eine restlos befriedigende Formulierung zu finden, ist sehr schwer. Ich glaube, daß mit dieser Formulierung annähernd dem Ausdruck verliehen ist, worüber wir uns in der interfraktionellen Besprechung alle einig geworden sind. Ich möchte deshalb bitten, Art. 107 in der Vorlage des CDU-Entwurfs einmal daraufhin zu prüfen, ob er nicht in dieser Form angenommen werden kann. Dr. Strauß (CDU): Ich möchte das Bukett der Formulierungen noch um eine weitere Blume vermehren. Ich habe gegen die Verwendung des Wortes „wesentlich“, das zu Auslegungsschwierigkeiten in großem Umfange führen kann, doch Bedenken und schließe mich der Kritik des Herrn Kollegen Katz gegen die ursprüngliche Fassung durchaus an. Vielleicht werden die Dinge klarer herausgestellt, wenn man folgendes versucht: Ein Gesetz, welches die Rechtsstellung der Länder im Verhältnis zum Bund nach diesem Grundgesetz ändert . . . Die Rechtsstellung der Länder wird nicht dadurch geändert, daß der Bund von seiner Vorranggesetzgebung Gebrauch macht, sondern die Rechtsstellung im Verhältnis zum Bund bedeutet einmal die Staatlichkeit der Länder und bedeutet zum andern einen Hinweis auf die verschiedenen Bestimmungen des Grundgesetzes, die eine Mitwirkung der Länder sichern, die die Abgrenzung der Verwaltungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern gewährleisten. Ich glaube, wenn der Verfassungsgerichtshof mit einer solchen [S. 147] Formulierung zu arbeiten hat, wird er durchaus zu praktischen Resultaten kommen. Dr. Becker (FDP): Ich kann durchaus verstehen, daß theoretische Bedenken obwalten, ob nicht auch einmal die Mehrheit des Bundesrats, also diese Inkarnation des Föderalismus, auf die Idee kommen könnte, ein einzelnes Land sozusagen strangulieren. Daß die zur Verfassungsänderung nötige Mehrheit des Bundesrats aber auf die Idee kommen könnte, alle Länder umzubringen, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Diese Bestimmung gibt mit dem Erfordernis der Einstimmigkeit noch zu weiteren Bedenken Anlaß, die ausgeräumt werden sollten. Wir haben mit der

19)

Vgl. z. B. in der 19. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 3. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 25, S. 716.

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Einstimmigkeit vom polnischen Reichstag20) über den Kontrollrat21) bis zum Sicherheitsrat der UN22) doch reichlich Erfahrungen gemacht, und zwar Erfahrungen, die davor zurückschrecken lassen, irgendwo noch eine Einstimmigkeit hineinzubringen. Bringen Sie die Dreiviertelmehrheit hinein! Das soll mir recht sein. Aber vor der Einstimmigkeit warne ich ganz dringend. Ich fürchte darüber hinaus, auch eine solche Formulierung wird dazu führen, daß nun eindeutige Verfassungsänderungen ebenfalls unter dem Gesichtspunkt dieses Artikels betrachtet werden und vor dem Verfassungsgerichtshof unendlich lange, vielleicht auch interessante, aber vor allem lange, langwierige Streitigkeiten darüber ausgetragen werden, ob eine einfache Verfassungsänderung oder ein Fall dieses Artikels vorliegt, – Verhandlungen, die einen Fortschritt unter Umständen recht erheblich verzögern können. Ich neige also dazu, diese Bestimmung zu streichen. Dr. Katz (SPD): Ich halte die Fassung, die Herr Kollege Dr. Strauß hier vorgelegt hat, für untragbar. Wenn er sagt: „welches die Rechtsstellung der Länder im Verhältnis zum Bund nach diesem Grundgesetz ändert“, so betrifft das den Kernfall, daß sich etwa später kleine Kompetenzänderungen als notwendig erweisen könnten. Die würden dann ausgeschlossen sein. Das ist eigentlich der wichtigste Fall der Verfassungsänderung, den wir zunächst im Auge haben sollten. Derartige Verfassungsänderungen würden durch den Antrag des Herrn Kollegen Dr. Strauß unmöglich gemacht werden. Der Sinn unseres Antrages ist der gewesen, daß es für uns selbstverständlich ist, daß ein Gesetz, durch das die Gliederung des Bundes in Länder aufgehoben wird, unzulässig ist. Wir halten es aber nicht für notwendig, das besonders zu betonen, weil es bei dem bundesstaatlichen Charakter unseres neuen Gebildes selbstverständlich ist. Ich glaube, daß eine Klage vor dem Staatsgerichtshof auch dann Erfolg haben würde, wenn es in der Verfassung nicht ausgesprochen ist. Ich bin also in erster Linie der Auffassung, daß Art. 107 gestrichen werden sollte. Falls dieser Antrag abgelehnt werden sollte, würde ich notfalls einem Artikel zustimmen, der etwa besagt: Ein Gesetz, durch das die Gliederung des Bundes in Länder aufgehoben wird, bedarf der einstimmigen Annahme im Bundesrat. Damit könnte man sich einverstanden erklären. Aber ich halte diesen Artikel auch deshalb für unnötig, weil er sinnwidrig ist; denn das wäre ein so revolutionärer Akt, daß er auf keinen Fall durch die Verfassung gedeckt werden könnte. 20)

Der polnischer Sejm kannte von 1652 bis 1764/1791 ein Einspruchsrecht (sogenannte „Liberum Veto“), daß jedem Abgeordneten die Möglichkeit gab, durch seinen Einspruch (Veto) einen Beschluß zu verhindern. In der Folge war der Sejm kaum beschlussfähig. 21) Dem – gemäß der Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945 errichteten – Alliierten Kontrollrat wurde die Durchführung des Potsdamer Abkommens übertragen. Er hatte als oberstes Regierungs- und Kontrollorgan der vier Besatzungsmächte einheitliche Beschlüsse zu fassen, weswegen faktisch seit Sommer 1946 seine Arbeit faktisch zum erliegen kam. 22) Der am 17. Jan. 1946 gegründete Sicherheitsrat der Vereinten Nationen setzt sich aus fünf ständigen und zehn nichtständigen Mitgliedern bzw. Staaten zusammen. Die fünf ständigen Mitglieder (Frankreich, Großbritannien, Russland, Vereinigte Staaten und Volksrepublik China) besaßen bei der Verabschiedung von Resolutionen ein erweitertes Vetorecht

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Dr. Süsterhenn (CDU): Hinsichtlich der Kritik an dem Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. Strauß schließe ich mich den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Katz in vollem Umfange an. Im übrigen bin ich der Meinung, daß der Vorschlag Dr. Katz „Gliederung des Bundes in Länder“ nicht genügt; denn es kommt nicht nur die Gliederung in Länder und der Aufbau des Bundesstaats auf diesen Ländern in Frage, sondern zum Wesen des Bundesstaat gehört nach unserer Auffassung auch die Mitwirkung der Länder bei der Bildung des Bundeswillens, wie dies hier im Grundgesetz auch vorgesehen ist. Dr. Katz (SPD): Das wird ja dadurch erfaßt; denn die Mitwirkung der Länder wird aufgehoben, wenn man den Bundesrat wegstreicht. Dr. Süsterhenn (CDU): Nein, dadurch wird die Gliederung des Bundes in Länder nicht aufgehoben. Es wäre durchaus möglich, daß die Länder als Länder irgendwie bestehen bleiben, daß aber trotzdem ihre Mitwirkung bei der Bildung des Bundeswillens gestrichen wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Mit andern Worten: Der Übergang zu einem Senatssystem wäre für Sie ein Fall, der der Einstimmigkeit bedürfte? (Dr. Süsterhenn [CDU]: Ja, das würde es praktisch bedeuten.) Der Übergang vom Bundesrat auf den Senat würde für Sie einen Fall des Art. 107 bedeuten? Dr. Süsterhenn (CDU): Es sei denn, daß man bei einem solchen Übergang auf den Vorschlag Dr. Adenauer zurückkommt, in welchem die Mitwirkung der Länder in einem besonderen Länderorgan sichergestellt wird23). Eine Nichtmitwirkung der Länder bei der Bildung des Bundesrats würde ich als eine Verletzung des bundesstaatlichen Aufbaus in wesentlicher Hinsicht betrachten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Also präziser: eine Beteiligung der Länderregierungen! Dr. Süsterhenn (CDU): Der Bundesrat mit senatorialer Schleppe würde nicht ausgeschlossen sein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Und der Senat mit bundesrätlicher Schleppe würde darunter fallen? Dr. Süsterhenn (CDU): Es kommt darauf an, welche Gelegenheit dieser Schleppe zum Windmachen gegeben wird. Dr. Bergsträsser (SPD): Aber die Länder sind für Sie die Regierungen, und nicht das Volk! Dr. Süsterhenn (CDU): Die Regierungen schweben auch nicht im luftleeren Raum, Herr Kollege Bergsträsser: sie sind demokratisch gebildet und unterliegen der laufenden demokratischen Kontrolle durch die vom Volk gewählten Parlamente. (Dr. Greve [SPD]: Aber sehr unmittelbar, Herr Kollege Süsterhenn.) Dr. Laforet (CSU): Durch die Ausführungen des Herrn Kollegen Katz ist der Kern der Sache in den Vordergrund gerückt. Herr Abgeordneter Katz spricht die Gliederung des Bundes in Länder als das Wesentliche an. Die entscheidende Frage ist: was sind denn diese Länder? Ich kann mir auch vorstellen, daß man diese Länder nur noch als Provinzen eines dezentralisierten Einheitsstaates betrachtet. (Dr. Greve [SPD]: Das soll der Staatsgerichtshof dann entscheiden!) 23)

Zum Vorschlag von Präs. Adenauer vgl. oben Dok. Nr. 11, S. 312, Anm. 16.

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Wenn außer Zweifel gestellt ist, daß mit diesen Worten die Gliederung des Bundes in Länder, der grundsätzliche Aufbau des Bundes aus Gliedstaaten ausgesprochen wird, und wenn der Zweifel beseitigt ist, daß eine qualifizierte Mehrheit wider den Willen des Staatsvolkes der Länder, der in der Bildung ihrer Regierungen zum Ausdruck kommt, die Länder um die Staatlichkeit bringt, wenn mir diese Gewähr gegeben ist, dann treten meine Bedenken mehr in den Hintergrund. Wir haben ja erlebt, daß in allmählicher Weiterbildung – auch von der unseeligen Nazizeit abgesehen – die Staatlichkeit der Länder ausgehöhlt wird und sie zu besseren Selbstverwaltungskörpern eines Einheitsstaates umgebildet werden. Dagegen muß meiner Ansicht nach jetzt, da das Grundgesetz bestimmt wird, mit allem Nachdruck eine Sicherung eingebaut werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Am weitesten geht der Antrag, den Art. 107 zu streichen. Ich lasse darüber abstimmen. – Der Artikel ist mit 11 gegen 9 Stimmen gestrichen. [S. 148] Nunmehr lasse ich über den Antrag Dr. Süsterhenn abstimmen, in Art. 107 die von ihm verlesene Fassung aufzunehmen. – Der Antrag ist mit 10 gegen 10 Stimmen, also Stimmengleichheit, abgelehnt. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich stelle nunmehr folgenden Antrag: Ein Gesetz, durch das der bundesstaatliche Aufbau wesentlich verändert wird, bedarf außer den Erfordernissen des Art. 106 der Annahme im Bundesrat mit Dreiviertelmehrheit24). Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich stelle den Antrag Dr. Süsterhenn zur Abstimmung. – Der Antrag ist mit 12 gegen 9 Stimmen angenommen.

[2.5. Art. 108a: RECHTSVERORDNUNGEN]

Wir kommen zu

Art. 108a Durch Gesetz können die Bundesregierungen, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen, wenn Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt sind. Die Rechtsgrundlage der Ermächtigung soll in der Verordnung angegeben sein. Die weitere Übertragung der Ermächtigung kann zugelassen werden, bedarf aber selbst der Form der Rechtsverordnung. Der Zustimmung des Bundesrats bedürfen Rechtsverordnungen über den Bau, Betrieb und Verkehr der Eisenbahnen (das Post- und Fernmeldewesen) sowie zur Durchführung von Bundesgesetzen im Sinne des Art. 105 und von Bundesgesetzen, die von den Ländern in eigener Verwaltung oder nach Weisung des Bundes ausgeführt werden. Dr. Strauß (CDU): Hier ist das Post- und Fernmeldewesen vom Redaktionsausschuß in Klammern gesetzt worden. Ich weiß nicht recht, was sich der Redaktionsausschuß dabei gedacht hat. Hier ist nämlich in Fortsetzung der Weimarer Verfas24)

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Im stenograph. Wortprot., S. 50, folgt danach der Beitrag von Greve: „Dr. Greve (SPD): Wieweit gehen Sie noch herunter, Herr Kollege?“

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sung25) bei dem Bahnwesen genau ausgeklammert worden „Bau, Betrieb und Verkehr“, also nicht sämtliche sonstigen Verordnungen, die etwa auf dem Gebiete der Reichsbahn erlassen werden. Will man diese Beschränkung der Weimarer Verfassung festhalten, dann gehört das Post- und Fernmeldewesen in diesen Zusammenhang nicht hinein. Dann möchte ich darauf hinweisen, daß in diesen Zusammenhang auch die allgemeinen Verwaltungsvorschriften gehören; die werden in Art. 112 geregelt und brauchen hier nicht erwähnt zu werden. Ferner bitte ich, um die Terminologie, die wir in Art. 112 festgehalten haben, einzuhalten, statt „Durchführung“ zu sagen: „Ausführung von Bundesgesetzen“. Und endlich bitte ich zu sagen: „über den Bau, den Betrieb und den Verkehr“, und nicht „über den Bau, Betrieb und Verkehr“. Darüber haben wir uns im Ausschuß wiederholt unterhalten26). Dr. Greve (SPD): Was Herr Kollege Dr. Strauß sagt, ist zutreffend. Ich möchte nur darüber hinaus noch bemängeln, daß nur von Eisenbahnen die Rede ist, während sowohl die Bundesbahn als auch die Post den Verkehr nicht nur mit Eisenbahnen, sondern auch weitgehend mit Kraftomnibussen betreibt. Der Begriff Eisenbahnen scheint mir also nicht alles zu decken, was gemeint sein soll. Dr. Seebohm (DP): Mir scheint ein Mangel des Abs. 2 darin zu liegen, daß die Ausführung von Bundesgesetzen, welche Fragen regeln, die in bundesunmittelbarer Selbstverwaltung ausgeführt werden, hier nicht aufgenommen ist. Es scheint mir aber notwendig zu sein, daß gerade in diesem Fall der Bundesrat mit eingeschaltet wird. Ich denke zum Beispiel an die Ausführung eines neuen Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, für die ein besonderer Selbstverwaltungskörper geschaffen wird. Einzig und allein an dieser Stelle kann der Länderwille mit eingeschaltet werden. Das ist sehr wesentlich, weil in einem solchen Gesetz auch Bestimmungen enthalten sein können, nach denen zum Beispiel die Reichsanstalt in den Bestand der Länder an Arbeitskräften, die an anderer Stelle benötigt werden, zum Beispiel im Steinkohlenbergbau, eingreifen kann. Es ist hier notwendig, daß bei der Ausführung solcher Gesetze der Bundesrat mitwirkt, da die Länder sonst keine Möglichkeiten haben, bei solchen Ausführungsverordnungen in irgendeiner Weise mitzuarbeiten und ihre Auffassungen zur Geltung zu bringen. Dr. Strauß (CDU): Ich darf einmal versuchen zu erklären, was sich wahrscheinlich auch der Redaktionsausschuß hierbei gedacht hat. Man ist hier offenbar wie bei der Weimarer Verfassung davon ausgegangen, daß wir einmal eine bundeseigene Verwaltung haben, für die Ausführungsvorschriften erlassen werden müssen, daß wir zweitens die Ausführung der Bundesgesetze durch landeseigene Verwaltung haben und drittens das, was jetzt als landeseigene Verwaltung nach Weisung des Bundes bezeichnet wird. Es ist ohne weiteres klar – wie das zur Weimarer Zeit auch der Fall war –, daß in den Fällen, in denen die Länder in eigener Verwaltung 25)

Art. 91 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Die Reichsregierung erläßt mit Zustimmung des Reichsrats die Verordnungen, die den Bau, den Betrieb und den Verkehr der Eisenbahnen regeln. Sie kann diese Befugnis mit Zustimmung des Reichsrats auf den zuständigen Reichsminister übertragen.“ 26) Vgl. dazu die 14. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 10. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 19, S. 576 f.

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oder als Auftragsverwaltung Bundesgesetze ausführen oder durchführen, eine Zustimmung des Bundesrats bei Rechtsverordnungen notwendig ist. Ebenso hat man wegen der großen Bedeutung für die Länder und die Eigentumsverhältnisse in den Ländern bei dem Erlaß der Eisenbahn-, Bau- und Betriebsordnung sowie der Eisenbahn-Verkehrsordnung, die ja nicht nur für die Reichsbahn, sondern auch für alle sonstigen Schienenbahnen gelten, welche nicht in der Hand des Bundes oder in der Hand von Gemeinden oder Gemeindeverbänden sind, eine Zustimmung der Länder im Bundesrat für notwendig gehalten. Man hat aber im übrigen entsprechend der Weimarer Regelung davon abgesehen, eine Zustimmung des Bundesrats in den Fällen zu verlangen – wenn ich jetzt einmal von Art. 105 absehe –, in denen es sich um die bundeseigene Verwaltung handelt. Wenn man diesen Gedanken akzeptiert, dann ist die Formulierung hier zutreffend, und dann wurde allerdings auch das Post- und Fernmeldewesen, das ja eine ausschließliche Bundesverwaltung ist, nicht dazugehören. Das ist das, was gedanklich der Fassung des Abs. 2 zugrunde liegt. Die Frage ist, ob man sich dem auch inhaltlich anschließen will oder ob man weiter gehen will. Dr. von Brentano (CDU): Ich glaube, Herr Kollege Strauß ist von der Fassung der Weimarer Verfassung ausgegangen, die nach der Neuordnung durch das Reichspostfinanzgesetz galt. Art. 88 der Weimarer Verfassung in der ursprünglichen Fassung sagt in Abs. 3 ganz klar: Die Reichsregierung erläßt mit Zustimmung des Reichsrats die Verordnungen, welche Grundsätze und Gebühren für die Benutzung der Verkehrseinrichtungen festsetzen27). Wir haben vorgeschlagen, die ursprüngliche Fassung der Weimarer Verfassung wiederherzustellen, weil wir der Meinung waren, daß zum mindesten die Mehrheit des Hauses der Auffassung ist, daß diese Mitwirkung des Bundesrats auch auf dem Gebiete des Post- und Fernmeldewesens erforderlich ist. Dr. Strauß (CDU): Sie müssen es nur anders formulieren und für die Eisenbahntarife auch machen. (Dr. von Brentano [CDU]: Das ist richtig.) Ich glaube, das muß noch einmal im Ausschuß formuliert werden. (Dr. Greve [SPD]: Jawohl.) Dr. Laforet (CSU): Es ist mißlich, daß dadurch, daß einzelne Mitglieder unseres Zuständigkeitsausschusses durch anderweitige dienstliche Inanspruchnahme verhindert waren, an unseren Verhandlungen im Zuständigkeitsausschuß teilzunehmen, der Vorschlag des Zuständigkeitsausschusses betreffend die Verwaltung noch nicht abgeschlossen ist. Wir haben im Zuständigkeitsausschuß weiter in Betracht gezogen, Ihnen vorzuschlagen, [S. 149] die Organisationsverordnung, überhaupt das ganze Organisationsrecht im Bundesgesetz zu regeln. Das Organisationsrecht ist bisher nicht geregelt, und auch in dem Herrenchiemseer Entwurf ist eine Rege27)

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Art. 88 Abs. 3 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Die Reichsregierung erläßt mit Zustimmung des Reichsrats die Verordnungen, welche Grundsätze und Gebühren für die Benutzung der Verkehrseinrichtungen festsetzen. Sie kann diese Befugnis mit Zustimmung des Reichsrats auf den Reichspostminister übertragen.“ RGBl. S. 1400.

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lung nicht vorgesehen28). Der Zuständigkeitsausschuß wird hoffentlich heute nachmittag die Möglichkeit haben, sich mit diesen Fragen zu befassen und Ihnen dann einen Antrag des Ausschusses vorzulegen29). Dabei wird insbesondere die Frage zu klären sein, wie es mit der bundesunmittelbaren Selbstverwaltung steht. Dieser Gegenstand ist auch in den interfraktionellen Besprechungen aufgerollt worden. Bisher war die bundesunmittelbare Selbstverwaltung nur für Versicherungsträger vorgesehen, bei denen der Gefahrenausgleich im ganzen Bunde die Zusammenfassung in einem Versicherungsträger notwendig erscheinen läßt. – Der Anwendungsfall ist die Angestelltenversicherung. Es steht aber in Frage, daß der Bund auch unter bestimmten Voraussetzungen auf anderen Gebieten bundesunmittelbare Selbstverwaltungseinrichtungen schaffen kann. Hierzu wird ein Antrag des Zuständigkeitsausschusses an den Hauptausschuß noch erfolgen müssen. Sie werden deshalb den Art. 108a abschließend erst dann richtig beurteilen können, wenn Ihnen auf dem Gebiet der Verwaltung klare Vorschläge des zuständigen Ausschusses zur Entscheidung vorgelegt worden sind. Ich begrüße es, daß das Grundsätzliche in Art. 108a ausgesprochen ist, daß Rechtsverordnungen nur erlassen werden können, wenn Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetze bestimmt sind, und daß die Subdelegation ausdrücklich in diese grundsätzliche Regelung aufgenommen worden ist. So wie die Dinge Ihnen jetzt vorliegen, halte ich es weiter für richtig, die Fassung so zu wählen, wie es der Redaktionsausschuß im zweiten Absatz vorgesehen hat. Ich bitte aber, erwägen zu wollen, daß Sie vielleicht bei der zweiten Lesung hier die bundesunmittelbare Selbstverwaltung mit einbeziehen müssen. Für die erste Lesung kann der vorliegende Gesetzestext hinreichend sein, aber es muß vorbehalten werden, ihn vor der zweiten Lesung noch entsprechend zu ergänzen, sobald Sie sich selber entschieden haben, wie das Bundesgesetz die Verwaltung regelt. Dr. Strauß (CDU): Ich glaube, wir können den Art. 108a aus dem Abs. 1 bestehen lassen und hier darüber abstimmen. Der Abs. 2 gehört auch systematisch gar nicht in den Art. 108a, sondern gehört einige Artikel später hin, zu Bahn und Post. Da werden wir versuchen, eine zutreffende Formulierung zu wählen, die auch den Wunsch von Dr. Greve, die sonstigen Verkehrseinrichtungen nach der technischen Seite mit zu erfassen, erfüllt. Dr. Seebohm (DP): Ich darf den Ausführungen von Geheimrat Laforet noch folgende Ergänzung hinzufügen. Ich würde es für zweckmäßig halten, daß wir den Abs. 2 vorläufig annehmen unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der Zuständigkeitsausschuß noch Vorschläge zu machen hat, und daß wir hinter den Worten „nach Weisung des Bundes“ noch die Worte anfügen: „oder in bundesunmittelbarer Selbstverwaltung“. (Dr. Laforet [CSU]: Einverstanden!) Wir haben dann, falls die Sache in anderen Artikeln eindeutig geregelt wird, die 28)

Für den Wortlaut des Berichts über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 504–630. 29) Der Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung befaßte sich noch am 1. Dez. 1948 in seiner 19. Sitzung erneut mit den Rechtsverordnungen. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 25, S. 714–716.

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Möglichkeit, einen Zusatz in der zweiten Lesung wieder zu streichen. Ich halte es für unbedingt notwendig, daß dieser Zusatz hier aufgeführt wird. Dr. Süsterhenn (CDU): Hier ist jetzt sozusagen die Möglichkeit einer Art von Ermächtigungsgesetzen geschaffen worden, so daß die Bundesregierung also Rechtsverordnungen mit gesetzesvertretender Kraft erlassen kann. Das ist ein Zustand, der prinzipiell unerwünscht ist, und der deshalb in der Fassung des Art. 108a noch dadurch wesentlich eingeschränkt ist, daß Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden müssen. Wir sind uns aber wohl alle darüber im klaren, daß sich solche Ermächtigungsgesetze nur auf einige Dinge erstrecken sollten, die einen mehr administrativen Einschlag haben. Hier soll also keine Ersatzgesetzgebung durch die Bundesregierung stattfinden. Weil es sich hier also nur um Dinge mit typisch administrativem Charakter handeln kann, würde ich es für richtig halten, bei dem Erlaß solcher Rechtsverordnungen auf Grund eines Ermächtigungsgesetzes generell die Zustimmung des Bundesrats vorzusehen. Damit kämen wir auch über die Einzelformulierung des Abs. 2 vollständig hinweg, indem wir einfach den Abs. 1 beschließen und einen Zusatz anfügen würden: „Rechtsverordnungen der Bundesregierung oder der Bundesminister bedürfen der Zustimmung des Bundesrats.“ Dr. Greve (SPD): Ich mache darauf aufmerksam, daß in Art. 113 gesagt worden ist: Soweit die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder nach Weisung des Bundes erfolgt, bedürfen die Ausführungsvorschriften (Rechtsverordnungen und allgemeine Verwaltungsvorschriften) der Bundesregierung der Zustimmung des Bundesrats. Was hier in Abs. 2 gesagt worden ist, wird also überflüssig, wenn der Art. 113 in dieser Fassung Annahme findet. Somit müßte der Abs. 2 des Art. 108a nach dem Vorschlag von Herrn Kollegen Dr. Strauß ohne weiteres gestrichen werden. Dr. Laforet (CSU): Herr Kollege Dr. Süsterhenn hat bereits darauf hingewiesen, daß es nach dem Wortlaut keine Ersatzgesetzgebung durch Verordnungen gibt. Es gibt Rechtsverordnungen nur dann, wenn ein Bundesgesetz dazu die Ermächtigung erteilt. Das ist von grundsätzlicher Wichtigkeit. Diesen Rechtsgedanken sehe ich in Art. 108a Abs. 1. Es ist weiter völlig richtig, was hier Herr Kollege Dr. Greve ausgeführt hat, daß dieser Art. 108a Abs. 2 in die Art. 112, 113 und 114 übergreift. Ich möchte Ihnen vorschlagen, die Abstimmung und die Erledigung des Art. 108a Abs. 2 zurückzustellen, bis Sie über die Art. 111, 112, 113 und 114 entscheiden können. (Zustimmung.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann stellen wir die Abstimmung über Art. 108a Abs. 2 zurück. Dr. Laforet (CSU): Ich bin doch wohl richtig verstanden worden in dem, was ich vorhin über die Möglichkeit einer Rechtsverordnung ausgeführt habe, und darf es wohl als Meinung des Hauptausschusses annehmen. (Dr. Greve [SPD]: Ja.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja. Ich lasse über Art. 108 Abs. 1 abstimmen. Der Abs. 1 von Art. 108 ist mit 20 gegen 1 Stimme angenommen. Die Art. 109 und 110 sollen nach der Vorlage des Redaktionsausschusses entfallen. Wir kommen zu Art. 111.

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Dr. Katz (SPD): Die Art. 111, 111a und 111b, wie sie uns jetzt von dem Redaktionsausschuß vorgelegt worden sind, bedürfen noch einer Durchsprache. Der Organisationsausschuß hat noch keine Gelegenheit gehabt, sie vorzunehmen. Ich empfehle, diese drei Artikel an den Organisationsausschuß zurückzuverweisen. (Zustimmung.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Art. 111, 111a und 111b werden also an den Organisationsausschuß verwiesen30). Der Hauptausschuß vertagt sich auf den Nachmittag des 1. Dezember 1948, 16 Uhr. Schluß der Sitzung 12.15 Uhr.

30)

Der Ausschuß für die Organisation des Bundes befaßte sich in seiner 24. Sitzung am 1. Dez. 1948 mit der Notstandsgesetzgebung. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 33, S. 845–857. Der HptA befaßte sich am gleichen Tag in seiner 13. Sitzung am 1. Dez. 1948 mit der Notstandsgesetzgebung. Vgl. unten Dok. Nr. 13.

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Nr. 13 Dreizehnte Sitzung des Hauptausschusses 1. Dezember 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 151–162. PA 2004. Ungez. von Haagen und Hergesell1) gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 521 vervielf.2) Anwesend 3): CDU/CSU: Binder, von Brentano, de Chapeaurouge, Kaufmann, Laforet, Lehr, Mayr, Schlör SPD: Bergsträsser, Greve, Katz, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Wolff FDP: Becker, Schäfer DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Brockmann Vertreter der Länder4): Senator Dudek5) (Hamburg), Ministerialdirektor Ringelmann6) 1) 2) 3) 4) 5)

6)

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Das stenograph. Wortprot. wurde ab dortiger S. 48 von Hergesell gefertigt. Protokollführer Röttgen. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Die Anwesenheitsliste führt die Gäste nicht auf, so dass hier nur jene Teilnehmer aufgeführt wurden, die sich auch in der Diskussion zu Wort gemeldet haben. Walter Dudek (1890–1976), Jurist, Dr. iur., Mitglied der SPD, 1919–1922 Erster Bürgermeister in Fürstenwalde/Spree, 1922–1924 besoldeter Stadtrat (Dezernent) für Wohlfahrt in Dortmund, 1925–1933 Bürgermeister von Harburg, später von Harburg-Wilhelmsburg, während des Zweiten Weltkrieges Handelsvertreter, 1945–1954 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft, 1946 Senator für die Stadtkämmerei Hamburg, 1946/47 Mitglied des Verwaltungsrates des Gemeinsamen Deutschen Finanzrates der Bizone, 1947 Sachverständiger der Sonderstelle für Geld und Kredit in Bad Homburg, 1948 stellv. Vors. des Ausschusses für Finanzen des Länderrates, 1948 Vors. der Gutachterkommission des Wirtschaftsrates für den Lastenausgleich, 1948 Mitglied des Kreditbewilligungsausschusses der Kreditanstalt für Wiederaufbau, 1949 Mitglied des Finanzausschusses der Ministerpräsidentenkonferenz, 1950 Senator für Finanzen der Stadt Hamburg, später Finanzberater des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Vgl. Erich Lüth: Walter Dudek. Erinnerungen an Harburgs letzten Oberbürgermeister, in: Harburger Jahrbuch 15 (1975–1979), S. 125–138. Dudek war in der 10. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen am 30. Sept. 1948 als Sachverständiger gehört worden. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 11, S. 307, 316–321. Richard Ringelmann (1889–1965), Jurist, Dr. iur., in der Weimarer Zeit Mitglied der Bayerische Volkspartei, 1920 im bayerischen Staatsministerium der Finanzen, 1923 Regierungsrat, 1929 Oberregierungsrat, 1934 Ministerialrat und Abteilungsleiter im bayerischen Staatsministerium der Finanzen, 1946 entlassen, nach Einstellung des Spruchkammerverfahrens Wiederanstellung, Finanzsachverständiger beim Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, 1948 bayerischer Beauftragter für Finanzfragen beim Parl. Rat, 1950 1954 Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen, 1948 als Sachverständiger im Unterausschuß II für Zuständigkeitsfragen im Verfassungskonvent von Herrenchiemsee (vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, S. LXXXVII ff.), am 23. Nov. 1948 als Vertreter der Bayerischen Staatsregierung in Bonn während der Beratungen des Parl. Rates. Ringelmann unterrichtete Ministerpräsident Hans Ehard laufend über den Stand der Bonner Beratungen. Ringelmann wurde außer in der 13. auch in der 14., 15. und 41. Sitzung des Hauptausschusses des Parl. Rates auch in der 6., 18. und 20. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen als Sachverständiger angehört. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 7, S. 161, Anm. 77. Gelberg: Hans Ehard, S. 193 f.; Dieter Düding: Bayern und der Bund. Bayerische „Opposition“ während der Grundgesetzberatungen im Parlamentari-

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(Bayern), Finanzminister Schenck7) (Schleswig-Holstein), Finanzminister Strickrodt8) (Niedersachsen), Regierungsdirektor Vowinkel9) (Württemberg-Hohenzollern), Ministerialdirektor Weisser10) (Nordrhein-Westfalen) Stenographischer Dienst: Haagen Dauer: 16.15–18.13 Uhr

[1. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT IX: DIE GESETZGEBUNG, ART. 111 ff.: NOTSTANDSRECHT]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben zunächst aus dem Abschnitt IX Die Gesetzgebung die Art. 111 ff. zu behandeln. Dr. Lehr (CDU): Sie hatten uns heute morgen beauftragt, im Organisationsausschuß noch einmal die Frage des Notstandsrechts der Art. 111 ff. zu überprüfen11). Der Organisationsausschuß hat in den frühen Nachmittagsstunden getagt12) und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die bisherige Behandlung der Artikel betreffend den Notstand eine Lücke aufweist. Wir haben uns bisher in der gegenwärtigen Fassung des Art. 111 mit dem sogenannten technischen Notstand beschäftigt, daß heißt mit

7)

8) 9)

10)

11) 12)

schen Rat 1948/49, in: Der Staat 29 (1990), S. 355–370, bes. S. 360. Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1945–1954, Das Kabinett Ehard II. 20. Sept. 1947 bis 18. Dez. 1959, bearb. von Karl-Ulrich Gelberg, München 2003, S. 118, Anm. 66. Richard Schenck (1900–1979), Dr. phil., SPD, studierte Wirtschafts- und Staatswissenschaften in Heidelberg, 1926 wissenschaftlicher Hilfsarbeiter bei der Handelskammer Flensburg, bis 1933 Sekretär beim Verband Deutscher Schiffsingenieure in Hamburg, 1933 fristlos entlassen, 1934–1935 in Schutzhaft, 1936–1946 Volkswirt und Pressereferent der Rhenania-Ossag Mineralölwerke A.G. in Hamburg, 1946–1947 Geschäftsführer der Handelkammer in Hamburg, 1946–1950 Mitglied des Landtages Schleswig-Holstein, 1947–1949 Finanzminister in Schleswig-Holstein, 1949–1950 Stellv. Minister für Volksbildung, 1949 geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Wiederaufbaukasse SchleswigHolstein A.G. in Kiel. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 7, S. 144, Anm. 55. Zu Strickrodt vgl. oben Dok. Nr. 8, S. 249, Anm. 5. Paul Vowinkel, Regierungsdirektor, später Ministerialdirektor im Baden-Württembergischen Finanzministerium, erhielt im Sept. 1951 in Anerkennung seiner Verdienste die Titularwürde eines Staatsrats. Gerhard Weisser (1898–1989), Sozialwissenschaftler, 1917 Abitur in Magdeburg, Kriegsdienst, 1918 Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Göttingen, 1923 Dr. rer. pol. in Tübingen, 1923 wissenschaftlicher Hilfsarbeiter der Stadtverwaltung Magdeburg, Stellvertreters des Leiters des Städtischen Wohnungsamtes, 1927 Städtischer Finanzverwalter, 1930–1933 Bürgermeister der Stadt Hagen, Geschäftsführer der Firma Otto Schwartz & Co., 1943 Habilitation in Rostock, 1945 Leitung des Finanz- und Wirtschaftsministeriums in Braunschweig, 1946 Generalsekretär des Zonenbeirats der britischen Zone in Hamburg, 1948–1950 Finanzministers in Nordrhein-Westfalen, 1950– 1966 ordentlicher Professor für Sozialpolitik und Genossenschaftswesen an der Universität Köln, 1954–1970 Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung, Mitarbeiter der Programmkommissionen der SPD bis zum Godesberger Programm, auch gehörte er der SPD-Grundwertekommission an. Der HptA hatte in seiner 12. Sitzung am 1. Dez. 1948 den Ausschuß für die Organisation des Bundes beauftragt, das Notstandsrecht zu beraten. Vgl. oben Dok. Nr. 12, Anm. 14. Der Ausschuß für die Organisation des Bundes befaßte sich in seiner 24. Sitzung am 1. Dez. 1948 mit dem Notstandsrecht. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 33, S. 845–857.

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dem Fall, in dem die normale Bundesgesetzgebung so, wie sie verfassungsmäßig vorgesehen ist, infolge höherer Gewalt nicht funktionieren kann. Wir haben uns aber heute nachmittag überlegt, daß auch der Gesetzgebungsnotstand bestehen kann, und zwar neben einem dritten Notstand, dem allgemeinen Notstand, der durch Unruhen und dergleichen hervorgerufen worden ist, und sind der Meinung gewesen, daß wir uns über den Gesetzgebungsnotstand doch noch einmal unterhalten und zu einem neuen ergänzenden Vorschlag kommen müßten. Dabei hat sich auch herausgestellt, daß sich die in wochenlangen Verhandlungen gewählte Fassung betreffend den technischen Notstand als hieb- und stichfest erwiesen hat. Wir möchten Sie heute bitten, die Beratung dieses Gegenstandes noch einmal auszusetzen, um uns Gelegenheit zu geben, vielleicht morgen13) schon die Endlösung zu finden, die wir Ihnen in der kurzen Zeit und ohne Fühlungnahme mit unseren Fraktionen nicht heute schon vortragen zu können glaubten. Wir sind durchaus auf dem Wege zu einer einstimmigen oder jedenfalls zu einer Lösung mit starker Mehrheit. Ich bitte Sie deshalb, uns diesen Ausstand noch kurze Zeit zu geben und den Gegenstand von der heutigen Tagesordnung abzusetzen14). (Zustimmung.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir werden dann so verfahren.

[2. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT XI: DAS FINANZWESEN] [2.1. ZUR VERFAHRENSWEISE]

Dann rufe ich trotz der Abwesenheit des Herrn Abgeordneten Dr. Höpker Aschoff15) den Abschnitt IX Das Finanzwesen auf. Am besten ist es wohl, so zu verfahren, daß wir Herrn Minister Dr. Strickrodt bitten, uns den Standpunkt des Landes Niedersachsen bzw. der Regierung des Landes Niedersachsen darzulegen. Wozu gesprochen werden soll, ergibt sich aus den ihm zweifellos bekannten Beschlüssen des Finanzausschusses16). Finanzminister Dr. Strickrodt (Niedersachsen): Die Einladung, die an mich persönlich ergangen ist, ließ nicht erkennen, daß hier eine Meinungsäußerung der Regierung Niedersachsens, also des Kabinetts, gefordert wird. Ich habe diese Einladung 13)

Der Ausschuß für die Organisation des Bundes befaßte sich in seiner 25. und 26. Sitzung am 2. und 3. Dez. 1948 erneut mit dem Notstandsrecht. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 34, S. 858–872 und 875–887. 14) Zum Fortgang der Beratung vgl. unten Dok. Nr. 20, TOP 1. 15) Höpker Aschoff war in der 1. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen am 15. Sept. 1948 zum 1. Berichterstatter bestellt worden. Im Ausschuß für Finanzfragen war er die treibende Kraft, weshalb er auch als „heimlicher Vorsitzender“ bezeichnet werden kann (vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, S. XXIII, mit Anm. 68). Vorsitzender des Ausschusses für Finanzfragen war Abg. Binder (CDU). Höpker Aschoff teilte am Tag zuvor dem Sekretariat des Parl. Rates per Telegram mit, daß er kein Flugzeug habe bekommen können, um zu den Beratungen nach Bonn zu kommen. Vgl. stenograph. Wortprot. des HptA, 12. Sitzung, S. 62. 16) Vgl. dazu die vom Ausschuß für Finanzfragen in der ersten Lesung angenommene Fassung vom 13. Okt. 1948 des Abschnitts XI: Das Finanzwesen; Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 18, S. 483–498; ebenfalls abgedruckt in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 1, S. 32–35.

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als eine persönliche aufgefaßt. Die Angelegenheit ist zwar in unserem Kabinett erörtert worden; da aber eine Stellungnahme der Regierung Niedersachsens nicht gefordert worden ist, ist im Kabinett des Landes Niedersachsen kein Beschluß zu diesem Thema, das uns übrigens auch nicht formuliert vorlag, gefaßt worden. Ich kann deshalb zu diesem Thema nur meine Ansicht als Finanzminister des Landes Niedersachsen sagen – ich weiß nicht, ob das in den Intentionen des Ausschusses liegt –, aber ich kann nicht eine formulierte Stellungnahme der niedersächsischen Regierung wiedergeben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, wir können hier nur Erklärungen der Länderregierungen entgegennehmen. (Finanzminister Dr. Strickrodt [Niedersachsen]: Das ließ die Einladung nicht erkennen.) – Das tut mir leid. Ich glaube, es wird die allgemeine Meinung des Ausschusses sein, daß hier die Stellungnahme der Länderregierungen dargetan werden soll. Im anderen Falle müßte man beschließen, die betreffenden Herren als Sachverständige zu hören. Aber das scheint nicht die Absicht des Hauptausschusses zu sein. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich würde doch bitten, Herrn Minister Dr. Strickrodt die Gelegenheit zu geben, sich als Sachverständiger zu äußern. Soweit ich vorhin gehört habe17), hat er uns recht interessante Mitteilungen zu machen, und wir sollten die Anwesenheit des Herrn Ministers benutzen, ihn zu bitten, die Mitteilungen zu machen. Dr. Menzel (SPD): Über die Frage, ob erneut Sachverständige vernommen werden sollen, nachdem im Finanzausschuß schon drei Wochen lang eine Beweisaufnahme stattgefunden hat18), haben wir uns bereits neulich im Hauptausschuß unterhalten und auch einen Beschluß gefaßt, als angeregt worden war, Herrn Dr. Hartmann als Sachverständigen zu vernehmen. Ich glaube, wenn wir uns heute entscheiden, in Abweichung von dem bisherigen Beschluß nicht nur Länder, sondern auch Sachverständige zu hören, dann ist es eben nicht zu umgehen, daß wir aus der Fülle der Sachverständigen, die vom Finanzausschuß gehört worden sind, wieder eine große Anzahl nehmen, um allen Beteiligten und allen an den Finanzfragen interressierten Volkskreisen die Möglichkeit zu geben, gehört zu werden. Das ist nicht nur eine Frage der Loyalität, sondern auch eine Frage, auf welchen Tatsachen und Fakten wir unsere Arbeit aufbauen wollen. Die Entscheidung, die darüber zu fällen wäre, würde zugleich darüber entscheiden, ob wir in toto noch einmal in eine umfangreiche Beweisaufnahme eintreten. Kaufmann (CDU): In der Sitzung, in der wir die Einladung besprochen und beschlossen haben19), ist meiner Erinnerung nach von Regierungsstellen nicht die Rede gewesen, sondern der Herr Vorsitzende hat erklärt, daß die Absicht bestehe, eine Anzahl von Finanzministern der Länder einzuladen. Das Protokoll dürfte 17)

Der Abg. de Chapeauroge bezieht sich hier auf die Sitzung der CDU/CSU-Fraktion, die unmittelbar vor der HptA-Sitzung stattgefunden hatte, und an der Strickrodt persönlich teilgenommen hatte und seine Idee einer Länderfinanzverwaltung von Süsterhenn kurz vorgestellt wurde. Vgl. Salzmann, S. 243 und S. 245. 18) Der Ausschuß für Finanzfragen hatte vom 21. Sept. bis 5. Okt. 1948 Sachverständige angehört. Vgl. dazu: Der Parl. Rat, Bd. 12, S. XXVIII–XXXII. 19) Vgl. die 8. Sitzung des HptA vom 24. Nov. 1948; vgl. oben Dok, Nr. 8, S. 249.

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[S. 152] es ausweisen. Dabei in allerdings dieser Gegensatz zwischen Länderministern und Sachverständigen erwähnt worden, aber es ist in keinem Augenblick ausgesprochen worden, daß die Herren den Auftrag erhalten, die Angelegenheit der und der Art in ihrem Kabinett zu behandeln und uns die Beschlüsse ihrer Kabinette mitzuteilen. Wenn also hier ein Versehen vorgekommen ist, so müssen wir dieses formale Versehen irgendwie wiedergutmachen. Man kann die Herren die ja alle nicht in Vertreter ihrer Kabinette, sondern als Finanzminister oder deren Vertreter eingeladen sind und die nun hier sind, nicht wieder wegschicken nur damit der formale Standpunkt aufrechterhalten wird, daß wir sie nicht als Sachverständige, sondern nur als Ländervertreter hören wollen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wird keine weitere Stellungnahme mehr gewünscht. Auch ich bin der Meinung, daß wir in der Sitzung, in der wir beschlossen haben, die Herren um ihr Kommen zu bitten, nicht davon gesprochen haben, daß vorher Kabinettsbeschlüsse gefaßt werden sollten. Ich für meinen Teil ging davon aus, daß jemand, der als Finanzminister spricht, im Rahmen der politischen Richtlinien spricht, die dem Kabinett durch den Ministerpräsidenten gegeben sind. Insoweit ist ein Finanzminister, wenn er zum Finanzwesen spricht, in einer Situation wie der jetzigen der Sprecher der Regierung. In diesem Sinne glaube ich, daß Herr Minister Dr. Strickrodt auch ohne vorherigen Kabinettsbeschluß den Standpunkt der niedersächsischen Regierung in Finanzsachen zum Ausdruck bringen wird. (Dr. Menzel [SPD]: Ich bin mit dieser Maßgabe einverstanden.)

[2.2. ANHÖRUNG DES SACHVERSTÄNDIGEN STRICKRODT]

Finanzminister Dr. Strickrodt (Niedersachsen): Ich habe hierzu noch zu bemerken, daß die niedersächsische Regierung in die Richtlinien ihrer Politik keine Stellungnahme zu der Frage, die hier zur Erörterung steht, zur Landesfinanzverwaltung, aufgenommen hat. Ich trage aber hier einen Standpunkt vor, den ich auch im Kabinett vertreten habe, der dort bekannt ist, der auch dort diskutiert worden ist, ohne daß zu diesem Thema ein Beschluß gefaßt worden ist. – Das zu meiner Salvierung. Ich werde nur zu dem Thema: Bundesfinanzverwaltung oder Landesfinanzverwaltung sprechen. Ich möchte dieses Thema nicht als eine politische Grundsatzfrage, sondern als eine praktische Frage behandeln. Ich sehe sehr wohl, daß es eine politische Grundsatzfrage sein könnte, und sehe dies besonders nach den Erfahrungen, die ich zwei Jahre hindurch in der Zusammenarbeit zwischen den Finanzminister der britischen Zone, der amerikanischen Zone und der französischen Zone habe machen können. Ich sehe die politische Grundsatzfrage dieses Themas darin, daß unter allen Umständen verhindert werden müßte, daß durch eine Entscheidung zu diesem Punkt die Bundesfreudigkeit in irgendeinem Teil unseres Landes beeinträchtigt wird. Die grundsätzliche politische Frage wäre auch dann gestellt, wenn eine reibungslose Überleitung aus dem gegenwärtigen Zustand in einen von Ihnen zu beschließenden Zustand nicht möglich sein sollte. Außenpolitische Fragen, die für Bundes- oder Landesfinanzverwaltung eine Rolle spielen könnten, lasse ich absichtlich beiseite. Es ist durchaus zu erörtern – aber nicht von mir –, ob eine Zen-

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tralisierung der Finanzhoheit in der Bundesspitze außenpolitisch zweckmäßig wäre. Die Bedeutung einer Bundesfinanzverwaltung wird nach meiner Ansicht finanzpolitisch erheblich überschätzt. Die Einheit der Wirtschaftspolitik fordert eine Einheit der Finanzpolitik, aber deswegen noch nicht eine Einheit der Finanzverwaltung. Es ist eine Aufgabe der Gesetzgebung und der Rechtsprechung, die Einheit der Finanzpolitik zu sichern, auch wenn die Finanzverwaltung nicht eine Bundesfinanzverwaltung sein sollte. Auch die für alle Beteiligten befriedigende Regelung des Finanzausgleichs hängt nicht davon ab, ob wir eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung oder ob wir nur Länderfinanzverwaltungen haben. Es kommt auch hier allein auf die Gesetzgebung an, weil bei einem vertikalen Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern die Interessen des Bundes maßgebend sein werden. Bei dem horizontalen Finanzausgleich – soweit nach der Verfassung, die Sie zu schaffen haben, für diesen noch ein bedeutender Raum vorhanden sein sollte –, bei dem Finanzausgleich zwischen den Ländern wird es entscheidend darauf ankommen, daß die Länder untereinander zu einer Regelung kommen, nötigenfalls unter einer Art schiedsrichterlicher Mitwirkung der Bundesspitze. Voraussetzung für das Funktionieren eines Finanzausgleichs ist nicht so sehr eine einheitliche Bundesverwaltung wie eine erschöpfende Finanzstatistik, die alle Vorgänge in den Länderfinanzen erfaßt. Eine solche Finanzstatistik wird sich ganz selbstverständlich auf alle Einnahmen und nicht nur auf die Steuereinnahmen – unter dem Gesichtspunkt der Finanzstatistik sind vielleicht andere Einnahmen noch interessanter – zu erstrecken haben; sie wird sich auf alles zu erstrecken haben, was zur Beurteilung der Länderfinanzen notwendig ist. In der Finanzstatistik liegt also die wesentliche Voraussetzung für einen Finanzausgleich. Ich wiederhole: die Bundesfinanzverwaltung ist nicht Voraussetzung für einen gut funktionierenden, einwandfreien Finanzausgleich. Ich darf nun zu den praktischen Gesichtspunkten kommen, die nach meiner Ansicht dafür sprechen, daß wir zu einer Landesfinanzverwaltung kommen müssen. Der Hauptgesichtspunkt ist der der Sicherung der zugewiesenen Einnahmequellen. Bundes- und Landesabgaben sind von einer gemeinsamen Verwaltung zu erheben. Ich setze dies voraus. Ich glaube, daß nach Ihren Verhandlungen dies auch in Ihrer Verfassung stehen wird. Demzufolge aber müssen Bund und Länder in gleicher Weise auf ihre Abgaben Einfluß nehmen können. Würden wir zu einer Bundesfinanzverwaltung kommen, so wären Weisungen des Landes an die Bundesfinanzverwaltung praktisch ausgeschlossen. Das Land würde keinen Einfluß auf die Gestaltung seiner Einnahmequellen haben. Wenn wir aber zu einer Landesfinanzverwaltung kommen, ist es selbstverständlich, daß die Aufsicht und das Weisungsrecht des Bundes gegenüber einer Landesfinanzverwaltung durchgesetzt wird. An dieser Aufsicht, an dieser Beeinflussung der Abgabenerhebung liegt ungeheuer viel. Wahrscheinlich wird sich der Bund – diejenigen Einnahmequellen sichern, die mit einer gewissen Konstanz, quasi automatisch fließen. Es wird sicherlich dahin kommen, daß den Ländern Einnahmequellen zugewiesen werden, die nicht mit Sicherheit fließen, die also erst noch gestaltet werden müssen. Um so wichtiger ist es deshalb, daß den Ländern ein aktiver Einfluß auf die Verwaltung gegeben

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wird. Einen solchen Einfluß können sie bei einer Bundesfinanzverwaltung nicht nehmen. Zur organisatorischen Seite ist zu sagen, daß die Autorität eines künftigen Bundesfinanzministers erst begründet werden müßte. Ein künftiger Bundesfinanzminister wird mit der Gesetzgebung so viel zu tun haben, daß er sich dem Aufbau seiner Verwaltung kaum widmen kann. Zum mindesten wird von der Bundesspitze her wenigstens in den ersten Jahren eine tatsächliche Beherrschung des Finanzapparats bis in die Kreisstädte hinein, bis zu den Finanzämtern hin kaum möglich sein. In der amerikanischen und in der französischen Zone ist die Finanzverwaltung weitgehend mit der Landesverwaltung verschmolzen. Dort würde also eine Bundesfinanzverwaltung die Aufgabe haben, eine Loslösung durchzuführen, die sicherlich nicht sehr einfach zu gestalten wäre. Ganz besonders liegen aber die Verhältnisse in der britischen Zone. Hier hat die frühere Reichsfinanzverwaltung unter der von der Militärregierung dirigierten Finanzleitstelle in ihrem organisatorischen Zusammenhang, in ihrer Unabhängigkeit auf personellem Gebiet und im öffentlichen, politischen Ansehen in den Jahren nach 1945 nicht gewinnen können. Erst nach Übernahme der Aufsicht über diese Finanzverwaltung durch parlamentarisch verantwortliche [S. 153] Landesregierungen im letzten Sommer20) beginnt die Konsolidierung auf organisatorischem und personellem Gebiet und die Wiedereingliederung dieser Verwaltung in das deutsche öffentliche Leben Fortschritte zu machen. Besonders die Personalpolitik kann mit der nötigen Klarheit und Festigkeit nur dann geführt werden, wenn der Verwaltung der nötige Schutz in der Öffentlichkeit gewährt wird. Beamte an der Spitze solcher Finanzverwaltungen, selbst vom Range eines Oberfinanzpräsidenten, werden zur Zeit diese Aufgaben, wenn sie für sich allein stehen und nur einer fernen Bundesspitze Rechenschaft schuldig sind und nur in mehr oder weniger lockerer Weise kontrolliert werden, allein nicht erfüllen können. Der Schutz und die Direktion von der Zentrale her werden sich erst langsam entwickeln können. Ich möchte wiederholen: Die organisatorische Festigung, besonders auf personellem Gebiet, und die Eingliederung in das öffentliche, politische Leben werden nur dann fruchtbar gestaltet werden können – ich spreche von der britischen Zone –, wenn die Finanzverwaltung den Ländern, den Landeskabinetten irgendwie an die Hand gegeben wird, wenn von dorther dieser Prozeß der Wiedereingliederung und der Reorganisierung durchgeführt werden kann. Selbstverständlich muß man alles tun, um die Gleichmäßigkeit in der Durchführung der Steuergesetze zu gewährleisten, auch dann – oder gerade dann –, wenn die Steuerverwaltung Landesfinanzverwaltung sein soll. Die vom Bund als eigene Finanzquellen in Anspruch genommenen Abgaben werden selbstverständlich von der Landesfinanzverwaltung unter Aufsicht des Bundesfinanzministeriums und nach seiner Anweisung erhoben. Auch die bundesgesetzlich geregelten Verbrauchssteuern müssen in dieser Weise unter Aufsicht und nach Anweisung der Zentrale erhoben werden. Die übrigen bundesgesetzlich geregelten Steuern wer20)

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Zu der am 30. Juni 1948 aufgelösten Leitstelle der Finanzverwaltung für die britische Zone (Finanzleitstelle) in Hamburg vgl. oben Dok. Nr. 8, S. 252, Anm. 19.

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den nach allgemeinen Richtlinien des Bundesfinanzministeriums und unter der Rechtsprechung des obersten Bundesfinanzgerichts zu erheben sein. Ich glaube, daß dieses genügen würde, um die Einheitlichkeit auf diesen Gebieten zu gewährleisten. Für die gesamten den Ländern auf Grund bundesrechtlicher Regelung zufließenden Abgaben wird zum Zwecke der Durchführung eines Finanzausgleichs zwischen den Ländern eine fortlaufende Statistik nach Grundsätzen zu führen sein, die von der Gesamtheit der Länder festgelegt werden müßten. Dabei wird auch die Stundungs- und Erlaßpraxis nach einheitlichen Gesichtspunkten unter einer gemeinsamen, von der Gesamtheit der Länder einzurichtenden Kontrolle zu führen sein. Auf diese Weise wären die Grundlagen für einen gerechten Finanzausgleich zu schaffen. Unter diesen Kautelen, von denen ich zu wissen glaube, daß sie auch in Ihren Beratungen eine maßgebliche Rolle gespielt haben, trete ich aus praktischen, nicht aus irgendwelchen prinzipiellen, politischen Gesichtspunkten, insbesondere von den Verhältnissen der britischen Zone her, für eine Landesfinanzverwaltung ein.

[2.3. STELLUNGNAHME DES ABGEORDNETEN MENZEL]

Dr. Menzel (SPD): Im Finanzausschuß haben wir sehr viele Herren auch der Finanzverwaltung gehört21). Dort wurde uns immer gesagt, gerade vom Standpunkt einer praktischen Steuerdurchführung Veranlagung usw. – sei es notwendig, eine von einem Bundesministerium geführte Verwaltung zu haben. Und nur aus gesamtpolitischen Gründen waren ein oder zwei Herren trotzdem für eine Länderfinanzverwaltung. So hat Herr Dr. Hartmann22) ganz klar erklärt, vom Standpunkt der steuerlichen Gerechtigkeit, der Gleichmäßigkeit der Veranlagung, auch vom Standpunkt einer möglichst weitgehenden technischen Vereinfachung trete er für eine Bundesfinanzverwaltung ein; und lediglich aus politisch-psychologischen Gründen in einem besonderen Teil Deutschlands, den er auch nannte, glaubte er, daß man doch für eine Länderfinanzverwaltung eintreten müßte23). Nun ist es interessant, heute von Ihnen zu hören, daß gerade von praktischen Gesichtspunkten aus eine Länderfinanzverwaltung richtig wäre. Das würde also bedeuten, daß die Erzbergersche Finanzreform24) gegenüber dem früheren Zustand der Aufteilung in viele Finanzverwaltungen der einzelnen Länder nicht ein Fort21)

Vgl. dazu die Übersicht über die im Ausschuß für Finanzfragen angehörten Sachverständigen: Der Parl. Rat, Bd. 12, S. XXVII. 22) Zu Alfred Hartmann vgl. oben Dok. Nr. 8, S. 250, Anm. 13. 23) Zur Anhörung des Sachverständigen Hartmann in der 7. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen am 24. Sept. 1948 vgl. das stenograph. Wortprot. abgedruckt in: Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 8, S. 192–237. 24) Die Erzbergersche Steuerreform von Juni 1919 bis März 1920 regelte den Aufbau einer einheitlichen Reichsfinanzverwaltung und die neue Verteilung der Gesetzgebungs- und Ertragshoheit. Die Steuerreform wurde schrittweise in insgesamt sechzehn Gesetzen durchgeführt. Das Reich war für die finanzielle Ausstattung der Länder zuständig. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 2, S. 21. Zu Reichsfinanzminister Matthias Erzberger vgl. oben Dok. Nr. 6, S. 196, Anm. 34.

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schritt – was bisher an sich allgemeine Ansicht war –, sondern ein Rückschritt gewesen ist. Dazu habe ich nun einige Fragen. Sie sagen selber, daß man für eine Gleichmäßigkeit der Veranlagung Sorge tragen müsse. Gerade wenn man bedenkt, wie hoch die Steuersätze heute sind, muß man darauf Wert legen, daß die effektive Belastung der Deutschen, ganz gleich, ob sie in Kiel oder in Konstanz, in Hannover oder Bonn wohnen, auch tatsächlich, nicht nur rechtlich gleichmäßig ist. Denn nichts trifft die Menschen empfindlicher als das Gefühl, von der Finanzverwaltung ungerecht behandelt worden zu sein. Glauben Sie nicht, daß es notwendig wäre, daß die Ausführungsanweisungen, sogar Einzelanweisungen, zum Beispiel über Stundungen und Erlasse, vom Bundesfinanzminister auch dann erlassen werden, wenn wir eine Länderfinanzverwaltung hätten? Es wäre weiterhin recht einfach für einen Länderfinanzminister, sich sehr beliebt zu machen, indem er von sich aus durch Stundung von Steuern oder durch generelle oder im Einzelfall sehr weitgehende Steuererlasse seine „Landeskinder“ schont, mit der Einstellung, der kleine Ausfall, der hindurch entsteht, wird durch den gesamten Bund wieder eingebracht und praktisch also von den übrigen Ländern getragen werden müssen. Ihre Auffassung, daß man solche Anweisungen auf allen Gebieten, bei der Erhebung, bei der Veranlagung, bei der Stundung und beim Erlaß vereinbaren müsse, erinnert mich an den Grundsatz, den man früher in der preußischen Verwaltung vertrat: Warum etwas einfach machen, wenn es auch kompliziert geht? Ich glaube, daß wir hier ohne Bundesanweisungen selbst in dem Fall, daß wir Länderfinanzverwaltungen haben, nicht auskommen können. Das haben alle Sachverständigen im Finanzausschuß erklärt. Der beste Beweis dafür ist, glaube ich, die Entwicklung seit dem 1. April dieses Jahres in der britischen Zone. Seit diesem Tag ist das Zentralfinanzamt in Hamburg25) weggefallen. Seit diesem Tag ist nicht nur ein Land der britischen Zone in finanzielle Schwierigkeiten geraten, weil es keinen Finanzausgleich mehr gibt, sondern seit diesem Tag hat sich die Arbeit auf dem Steuersektor für die Verwaltung dadurch erheblich vermehrt, daß nun vier Länder immer wieder versuchen müssen ihre Grundsätze zu koordinieren, und dazu viel mehr Sitzungen brauchen, als es früher notwendig gewesen ist, da Hamburg noch für die vier Länder diese Richtlinien festgelegt hat. Wir haben seitdem eine erhebliche Vermehrung der Verwaltungsarbeit in dem Ministerium und müssen trotzdem feststellen, daß es gar nicht zu einer echten Koordinierung gekommen ist, weil man sich eben nicht immer einigen konnte. Ich möchte gerade aus der früheren deutschen Finanzgeschichte auf eine Erfahrung hinweisen, die aktuell ist. Deutschland erhob im Jahre 1914 die erste größere Vermögensabgabe, den sogenannten Wehrbeitrag von 191326). Diejenigen Herren 25)

Die Leitstelle der Finanzverwaltung für die britische Zone (Finanzleitstelle) in Hamburg wurde am 30. Juni 1948 aufgelösten vgl. oben Anm. 20. 26) Zur Deckung der gestiegenen Wehrkosten wurde 1913 von denen, die ein Vermögen von über 10 000 RM besaßen, ein einmaliger Wehrbeitrag erhoben sowie ferner die Besitzsteuer eingeführt. Vgl. das Gesetz vom 3. Juli 1913 über einen einmaligen außerordentlichen Wehrbeitrag; RGBl. 1913, S. 505–521. Vgl. dazu auch das Besitzsteuergesetz vom 3. Juli 1913; RGBl. 1913, S. 524–543. Vgl. dazu auch: Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 2, S. 20, Anm. 51.

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aus der Finanzverwaltung, die bereits damals in der Finanzverwaltung tätig waren, haben uns berichtet – und das wissen die Herren, die damals in der Politik standen, ebenso –, daß der Wehrbeitrag in den verschiedenen Ländern, obwohl die Tarife übereinstimmten, in der Praxis verschieden hoch war, weil die Länder die Erhebung des Wehrbeitrags in ihrer eigenen Zuständigkeit hatten. (Dr. Binder [CDU]: Weil es noch keine einheitlichen Unterlagen gab!) – Sehr richtig. Aber wir haben dasselbe Problem auch jetzt hier wieder. Ich erinnere daran, daß wir wahrscheinlich auf weiten Gebieten zu neuen Einheitswertfeststellungen kommen müssen. Damals, Herr Kollege Dr. Binder, lag es nicht nur daran, daß die [S. 154] Unterlagen fehlten, sondern es lag auch an der verschiedenen Verwaltungspraxis der Finanzverwaltungen der Länder. Es lag auch daran, daß bei der gleichen Vermögenshöhe die praktische Beitreibung, die Durchführung der Wehrbeitragsveranlagung nicht überall gleichmäßig war. Wir stehen nicht nur vor der Notwendigkeit, vor allem bei der Landwirtschaft, die Einheitswerte in großen Teilen Deutschlands neu festsetzen zu lassen; wir stehen bei dem großen Problem des allgemeinen Lastenausgleichs, bei dem die Vermögenswerte als Unterlage dienen sollen vor der gleichen Notwendigkeit. Glauben Sie in der Tat, daß es möglich sein wird, elf Länder durch eine gegenseitige Verständigung dazu zu bekommen, daß diese Einheitswertfestsetzung, die Beschaffung der Unterlagen für die Vermögensabgabe zum Lastenausgleich usw. bis ins kleinste hinein überhaupt möglich sein wird? Nach den bisherigen Erfahrungen, die wir gerade in der britischen Zone gemacht haben, möchte ich das bezweifeln. Daher wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie auf Grund dieser Erklärung nochmals dazu Stellung nehmen wollten. Finanzminister Dr. Strickrodt (Niedersachsen): Ich glaube, mein verehrter Herr Kollege hat meine Ausführungen zu dem Thema „Gesetzgebung und Verwaltung“ nicht voll gewürdigt. Ich darf meine Ausführungen zu diesem Punkt deshalb noch einmal vortragen. Die vom Bund als eigene Finanzquellen in Anspruch genommenen Abgaben werden von der Landesfinanzverwaltung unter Aufsicht und nach Anweisung des Bundesfinanzministeriums erhoben. Das Thema der Gesetzgebung ist ganz klargestellt. Der Bund hat die volle Gesetzgebung über diese Abgaben. Er hat aber auch bei den Abgaben, die er für sich selbst in Anspruch nimmt, die Aufsicht und das Weisungsrecht. Er allein bestimmt darüber, in welchem Umfange Stundungen und Steuererlasse durchzuführen sind. Das gleiche, Aufsicht und Anweisung der Bundesfinanzverwaltung, soll für die bundesgesetzlich geregelten Verbrauchssteuern gelten, auch soweit diese den Ländern zufallen. Auch da wird das Bundesfinanzministerium, da es die Aufsicht hat und Weisungen geben kann, über die Stundungs- und Erlaßpraxis zu entscheiden haben. Die übrigen bundesgesetzlich geregelten Steuern, in diesem Fall also die den Ländern als Einnahmen zugewiesenen Steuern, werden nach den allgemeinen Richtlinien des Bundesfinanzministeriums erhoben. Ich habe mich allgemein ausgedrückt, indem ich von Richtlinien sprach. Das Bundesfinanzministerium kann hier alle die Dinge, die über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sind, durch allgemeine Richtlinien regeln. Und diese vom Bundesgesetzgeber geregelten, aber den Ländern zugewiesenen Steuern sollen unter der Rechtsprechung des obersten Bundesfinanzgerichts stehen.

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Ich glaube, daß die Einwände, die der Herr Vorredner27) gegen meinen Vortrag erhoben hat, nicht verfangen, da sowohl die Gesetzgebung wie die Aufsicht und die Rechtsprechung einheitlich sein sollen – nicht nur, und das in verstärktem Maße, bei den Steuern die dem Bunde zustehen, sondern in weiterem Umfang auch bei den Steuern, die zwar bundesgesetzlich geregelt sind, aber den Ländern zustehen. Nur bei den Steuern, die von den Ländern selber in einem gewissen Rahmen normiert werden und ihnen ausschließlich zufallen, werden sie eine gewisse Beweglichkeit haben. Aber auch dort habe ich vorgeschlagen: für die Gesamtheit der auf Grund bundesgesetzlicher Regelung den Ländern zufließenden Abgaben wird zum Zwecke der Durchführung eines Finanzausgleich zwischen den Ländern eine fortlaufende Statistik nach Grundsätzen geführt, die von der Gesamtheit der Länder festgelegt werden; denn das ist ihre Angelegenheit. Dabei – ich spreche jetzt nur von den Abgaben, die den Ländern zufließen – ist sogar die Stundungs- und Erlaßpraxis für diese Abgaben nach gewissen einheitlichen Richtlinien zu regeln; zum mindesten ist darüber eine nachhaltige Kontrolle, die allen beteiligten Ländern im Finanzausgleich gemeinsam zusteht, zu führen. Nun zu dem angeführten Beispiel der Nachfolgebildung im Anschluß an die von der Militärregierung aufgelöste Finanzleitstelle. Diese gemeinsame Steuer- und Zollabteilung der Länder war notwendig, solange die Gesetzgebung, die Sie auf dem Steuergebiet dem Bund zu geben beabsichtigen, noch nicht im vollen Umfange von einer bundeseigenen Zentralbehörde wahrgenommen wird. In dem Augenblick, in dem die nach Ihren Intentionen beabsichtigte Gesetzgebungsbefugnis geregelt und eine Bundeszentralverwaltung eingerichtet wird, werden die Aufgaben die zur Zeit bei der Stelle in Hamburg erfüllt werden zum Bund fließen. Andere Aufgaben koordinierender Art auf den Gebieten, die ausschließlich die Länder angehen, die auch nach den Bundesgesetzen diese Länder angehen, werden die Länder untereinander zu erledigen haben. (Dr. Menzel [SPD]: Dazu können wir ja den Bundesrat nehmen!) – Das kommt darauf an! Wenn diese Aufgaben bundesgesetzlich geregelt sind, wird der Bund ein Verfahren vorschreiben, wie sie zu behandeln sind. Soweit sie nicht bundesgesetzlich normiert sind, kann es den Ländern überlassen bleiben und wird es ihnen überlassen bleiben, wie sie sich in ihrer Verwaltungspraxis untereinander koordinieren. Ich kann vom Finanzgebiet sagen, daß die Länder auch in den Angelegenheiten, in denen sie absolut selbständig sind, in den letzten zwei Jahren die Koordinierung sehr weit getrieben haben. Wir sind in ständigem Kontakt miteinander und üben diese Arbeit auch zur Unterstützung der sehr kleinen bizonalen Homburger Finanzverwaltung aus. Ich möchte zum Abschluß noch etwas Praktisches sagen. Wenn die Verwaltung für Finanzen der Bizone in der Vergangenheit überhaupt hat funktionieren können, so nur deswegen, weil die Länder mit ihrem Stab von Sachverständigen dieser Finanzverwaltung auf allen Gebieten zur Seite gestanden haben. Diese Koordinierungsarbeit war von großem Erfolg begleitet. Wer den Haushalt der Bizone kennt, wird sich sicherlich darüber wundern, wie klein deren Finanzverwaltung gehalten 27)

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Der Abg. Walter Menzel.

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worden ist. Und sie ist durchaus leistungsfähig. Wenn wir den Weg gehen, den ich vorgeschlagen habe, die Finanzverwaltung bei den Ländern zu belassen, wird dieser Vorgang sicherlich fortgesetzt werden. Die Bundesfinanzverwaltung wird von seiten der Länder die allerstärkste Unterstützung haben und mit einem verhältnismäßig kleinen Apparat auskommen können. Aber das soll keine Norm sein. Es liegt am Bundesgesetzgeber, wie er seine Zentrale organisieren will und wieweit er von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch machen will. Ich glaube dargelegt zu haben, daß die von dem Herrn Vorredner allein aus der Sphäre der Gesetzgebung gestellte Frage nach der richtigen Ordnung der Verwaltung – die ich, und zwar aus praktischen Gesichtspunkten, zugunsten der Landesfinanzverwaltung beantwortet habe – die Frage der Verwaltung nicht entscheidend berührt und daß neben einer einheitlichen Gesetzgebung durchaus eine Landesverwaltung als Auftragsangelegenheit Bestand haben kann. Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Beispiel aus einer anderen Sphäre bringen. Wenn Sie meinen, wo eine einheitliche Gesetzgebung nötig ist, ist auch eine einheitliche Verwaltung nötig, müssen Sie auch wieder eine einheitliche Justizverwaltung einführen und alle Gerichte zu Bundesgerichten machen. Ich glaube, das ist nicht beabsichtigt; dort begnügt man sich mit der Bundesgesetzgebung und läßt die Gerichte durchaus als Landesangelegenheit bestehen. Das gleiche wird ohne weiteres auch für die Finanzverwaltung unter den von mir genannten Kautelen der Aufsicht des Bundes zu gelten haben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wenn ich Sie richtig verstanden habe, so meinen Sie, daß auf dem Gebiet der Bundessteuern – also der Steuern, die vom Bunde [S. 155] beschlossen werden und die nach dem Grundgesetz oder nach dem Gesetz auch dem Bund zufließen sollen –, sich die Tatsache der Landesverwaltung im wesentlichen dahin auswirkt, daß diese Verwaltung zwar in Auswirkung der eigenen Organisationsgewalt des Landes geführt wird, (Finanzminister Dr. Strickrodt [Niedersachsen]: Als Auftragsangelegenheit.) daß dieser Verwaltung aber Weisungen des Bundes erteilt werden. Nun habe ich die Frage – denn ich habe Sie nicht ganz verstanden –: Werden diese Steuern von der Landesverwaltung für den Bund oder für das Land kassiert? (Dr. Binder [CDU]: Gemeinsam.) Finanzminister Dr. Strickrodt (Niedersachsen): Es ist wohl eine Angelegenheit der Praxis, daß eine besondere Rechnung zu führen und täglich dem Bund mitzuteilen ist, was ihm auf Konto zur Verfügung steht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie sollen also für den Bund kassiert werden? Finanzminister Dr. Strickrodt (Niedersachsen): Ja. Dr. Greve (SPD): Demjenigen, der an den Sitzungen des Finanzausschusses teilgenommen hat, muß Niedersachsen als ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten erscheinen. Am Dienstag, dem 5. Oktober 1948, hatten wir die Ehre, Herrn Staatsminister Dr. Dr. Gereke28) zu hören29), der der Ministerkollege des Herrn Ministers 28)

Günther Gereke (1893–1970), Dr. iur. et. pol., 1924–1928 und 1930–1932 Mitglied des Reichstags (Deutschnationale Partei), 1932 Reichskommissar für die Arbeitsbeschaffung, 1945 Präsidialdirektor bei der Provinzialregierung in Halle (CDU), 1946–1947 Innenminister in Niedersachsen, 1948 Minister für Ernährung, Landwirtschaft und For-

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Dr. Strickrodt und stellvertretender Ministerpräsident des Landes Niedersachsen und zugleich Vorsitzender des Landesausschusses der Christlich-Demokratischen Union in Niedersachsen ist. Herr Minister Dr. Gereke hat in dem, was er zur Finanzgesetzgebung und zur Finanzverwaltung zu sagen hatte, ganz klar zum Ausdruck gebracht, daß nicht nur auf dem Gebiet der Gesetzgebung dem Bund die Kompetenz gebühre und daß nicht nur der Finanzausgleich in gleicher Weise wie die Bundesfinanzgesetzgebung eine erhebliche Bedeutung habe, sondern Herr Minister Dr. Gereke hat sich auch im Hinblick auf einzelne Steuern, insbesondere auf die Einkommensteuer, über die Erzbergersche Steuerreform insoweit geäußert, als er gebeten hat, die bewährte Erzbergersche Steuerreform nicht anzutasten. Er hat laut Protokoll zur Finanzverwaltung gesagt, sie müsse sowohl aus grundsätzlichen wie aus praktischen Erwägungen bundeseigen sein. Den Ländern, namentlich den kleineren, sei es nicht möglich, die erforderlichen Kräfte heranzubilden, so daß in der Länderverwaltung das Niveau absinken würde. Auch eine Auftragsverwaltung sei nicht zu empfehlen. Das sind die Ausführungen, die Herr Dr. Gereke gemacht hat. Mir scheint innerhalb der niedersächsischen Staatsregierung keine einheitliche Auffassung zu bestehen. Wenn Herr Minister Dr. Strickrodt uns heute vortragen zu sollen meint, daß die Finanzverwaltung eine Angelegenheit der Länder sei, weil die Länder auf Grund der in der britischen Zone gemachten Erfahrungen eher in der Lage seien, sich mit ihrer Finanzverwaltung Eingang in die Öffentlichkeit, in das politische Leben zu verschaffen, so bin ich der Auffassung, daß sich eine Steuerverwaltung in den nächsten Jahrzehnten wohl sehr selten beim Volk das Ansehen verschaffen wird, das sie wirklich für sich in Anspruch nehmen möchte, schon deswegen nicht, weil die Steuern in den nächsten Jahrzehnten sehr hoch sein werden. Ich glaube, daß gerade aus den Gründen, die in den nächsten Jahrzehnten noch gegeben sein werden, die ganze Autorität des Bundes hinter der Finanzverwaltung stehen sollte, damit wirklich die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht nur nach den gesetzlichen Vorschriften, sondern auch nach der auf Grund der gesetzlichen Vorschriften zu handhabenden Verwaltungsarbeit gewährleistet ist. Ich bin überrascht, daß Herr Minister Dr. Strickrodt die Koordinierungsarbeit der Finanzminister in der Bizone als ein Argument für die Landesfinanzverwaltung anführt. Wenn wir schon auf dem Gebiet der Finanzen wieder koordinieren müssen, dann ist das meines Erachtens ein Argument gegen die Länderfinanzverwaltung und beweist, daß es ohne eine sehr weitgehende Abstimmung der einzelnen Länderfinanzverwaltungen heute überhaupt nicht geht. Das ist auch von seiten anderer Kollegen30) des Herrn Ministers Dr. Strickrodt zum Ausdruck gebracht worden. sten und stellv. Ministerpräsident, 1950 Rücktritt und Parteiausschluß, Gründungsmitglied der „Deutschen Sozialen Partei“, 1952 Übersiedelung in die DDR. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 13, S. 377, Anm. 2. 29) Für den Wortlaut der Äußerungen des Sachverständigen Gereke in der 12. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen am 5. Okt. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 13, S. 387 f. 30) Die Mehrheit der Sachverständigen sprach sich bei den Anhörungen im Ausschuß für Finanzfragen dafür aus, dem Bund die Finanzverwaltung zu überlassen. Der Parl. Rat, Bd. 12, S. XXIX.

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Eine klare Vorstellung über das, was der Herr Vorsitzende31) den Herrn Minister Dr. Strickrodt gefragt hat, vermag ich mir aus den Ausführungen des Herrn Ministers Dr. Strickrodt noch nicht zu bilden. Die Landesfinanzverwaltungen sollen diejenigen sein, die die Steuern und Abgaben erheben. Es ist nicht möglich gewesen, festzustellen, ob sie nun diese Steuern und Abgaben im eigenen Namen erheben und dem Bund nur das zuweisen, was der Bund auf Grund der Gesetzgebung in Anspruch nehmen will, oder ob sie hier im Auftrag des Bundes nur den Teil der Steuern erheben, der dem Bund zufließt, oder ob sie im Auftrag des Bundes die gesamten Steuern erheben und nachher erst festzustellen sein wird, welche Teile dem Bund zufließen und welche Teile den Ländern zustehen sollen. Ich bin der Auffassung, Herr Minister Dr. Strickrodt, daß nicht nur das, was uns Herr Dr. Gereke vom Standpunkt Niedersachsens aus gesagt hat32) – ich spreche hier einmal als Abgeordneter, der aus Niedersachsen kommt –, sondern auch zum Teil das, was Sie nicht nur auf dem Gebiet der Gesetzgebung und auf dem sehr schwierigen Gebiet des Finanzausgleichs, sondern gerade auch auf dem Gebiet der Finanzverwaltung ausgeführt haben, es erforderlich macht, daß die Finanzverwaltung eine bundeseigene ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, daß mir dieser Aufbau der bundeseigenen Verwaltung nicht als ein Kriterium föderaler oder unitarischer Prägung des Bundes erscheinen will, sondern daß die sachlichen und die fachlichen und die sich aus der Erfahrung ergebenden Überlegungen allein für eine Bundesfinanzverwaltung sprechen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Darf ich mir den Vorschlag erlauben, in diesem Stadium unserer Beratungen nicht zu polemisieren, sondern sich damit zu begnügen, an den Herrn Regierungsvertreter, der gerade zu uns gesprochen hat, Fragen zu stellen. Wir stehen ja nicht in kontradiktorischen33) Beziehungen zu ihm, sondern wir haben ihn gebeten, uns seinen Standpunkt darzulegen. Ich glaube, es empfiehlt sich, daß wir uns damit begnügen, zu fragen, wie dieses oder jenes gemeint ist, oder um weitere Aufklärungen zu bitten, als man geglaubt hat uns geben zu müssen. Dr. Binder (CDU): Ich habe Herrn Minister Dr. Strickrodt folgendes zu fragen: Ist die beachtliche Koordinierungsarbeit in der Vergangenheit nicht in erster Linie darauf zurückzuführen, daß bei einheitlichen Kontrollratsgesetzen die Militärregierungen in den einzelnen Besatzungsgebieten unterschiedliche Anweisungen erteilt haben? Zweitens: Glauben Sie, daß die Koordinierungsarbeit zwischen den einzelnen Landesfinanzverwaltungen ein größeres Ausmaß annehmen wird als die Koordinierungsarbeit, die ein Reichsfinanzminister bisher schon zu leisten hatte, wenn er die Durchführung der Reichsfinanzgesetze auf die besonderen Verhältnisse der einzelnen Finanzamtsbezirke abzustimmen hatte? Drittens: Glauben Sie, daß wir dadurch, daß nun die Länder über den Bundesrat an der Bundesfinanzgesetzgebung beteiligt sind, eine wesentliche Verteuerung unse-

31)

Abg. Schmid. Vgl. Anm. 28. 33) Vorlage: „kontradiktatorischen“. 32)

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rer Verwaltung über das Maß hinaus bekommen, das gegeben wäre, wenn wir eine Bundesfinanzverwaltung an Stelle einer Länderfinanzverwaltung hätten? Oder sind Sie der Auffassung, daß die Durchführung der Bundesgesetze durch die Länderfinanzverwaltungen keine zusätzlichen Kräfte bei den leitenden Stellen beansprucht? Außerdem wollte ich Sie als vierten Punkt fragen: Glauben Sie, daß die Verwaltung einer so großen Menschenmasse, wie sie das Reichsfinanzmisterium zum Schluß dargestellt hat, einfacher und billiger ist, [S. 156] als wenn wir in den Ländern nur umgrenzte Verwaltungsbezirke haben, in denen die Chefs einen sehr viel besseren Einblick nehmen und daraus unter Umständen sehr viele Vorteile für eine Rationalisierung ziehen können? Finanzminister Dr. Strickrodt (Niedersachsen): Ich darf die letzte Frage mit ja beantworten. Es wird durchaus möglich sein, besonders in den Ländern, die eine ältere Tradition mit einer eigenen Landesfinanzverwaltung haben, wie etwa die süddeutschen Länder, an Verwaltungsaufwendungen zu sparen, wenn sie ihre Landesfinanzverwaltung auch für sonstige Aufgaben, etwa auf dem Gebiete der Vermögensverwaltung usw., heranziehen können. Die weitere Frage nach den Kosten der Verwaltung, wenn sie Landesverwaltung ist, ist dahin zu beantworten, daß eine Verteuerung keineswegs stattfinden wird. Der Apparat der Oberfinanzpräsidien mit den nachgeordneten Finanzämtern wird genau derselbe sein, gleichgültig ob er sich beim Bund oder beim Land befindet. Eine Gesetzgebung auf dem Gebiet der Bundessteuern erfolgt ja nicht bei den Ländern. Diese Gesetzgebung wird vom Bund aus zu bearbeiten sein, denn dort sitzen die Experten. Selbstverständlich werden die Länder, soweit sie über einen künftigen Bundesrat an der Gesetzgebung des Bundes mitzuwirken haben, sich auch mit diesen Fragen zu befassen haben. Sie werden also in ihrem eigenen Interesse einen kleinen Stab von Sachverständigen in ihrem Finanzministerium haben; und das wird der gleiche Stab sein, gleichgültig ob die Verwaltung nun Bundesangelegenheit oder Landesangelegenheit ist. Zur Frage der Koordinierung. Sie haben durchaus mit Recht ausgeführt, daß die Koordinierung, die in Frankfurt zwischen den Ländern zu leisten war, in der Hauptsache auf das unterschiedliche Zonenrecht der Militärregierungen zurückzuführen ist. In dem Augenblick, in dem wir eine Bundesfinanzverwaltung haben, fällt diese Aufgabe der Koordinierung weg. Dort ist nichts mehr zu koordinieren, soweit die Gesetzgebung des Bundes Platz greift. Die Koordinierung hat nur dort eine Bedeutung, wo die Länder die Möglichkeit einer freieren Gestaltung der Abgaben besitzen, das heißt, wo ihnen eine solche freiere Gestaltungsmöglichkeit vom Bundesgesetzgeber belassen worden ist. Ich habe das Beispiel der Koordinierung vorhin nur erwähnt, um zu zeigen, daß ein freies Zusammenwirken der Länder auf dem Finanzgebiet, wie wir es gehabt haben, durchaus mit Recht zu wünschen und zu erreichen wäre. Zur Frage der Erzbergerschen Steuerreform. Dieses Thema habe ich gar nicht berührt. Ich habe eine klare Unterscheidung zwischen Gesetzgebung und Verwaltung gemacht. Ich habe nur zum Thema der Verwaltung gesprochen. Selbstverständlich gehört zur Gesetzgebung auch die Regelung des Verfahrens für die Bundessteuern. Die Erzbergersche Finanzreform wird in keiner Weise, die ganze Reichsabgaben-

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ordnung34) in kaum einem Paragraphen angerührt werden, wenn wir zu einer Landesfinanzverwaltung kommen. Wenn der Herr Redner aus Niedersachsen35) eine Diskrepanz zwischen meinen Ausführungen und denen meines hoch geschätzten Kollegen Dr. Gereke, des Landwirtschaftsministers von Niedersachsen, festgestellt hat, so ist, glaube ich, eine solche Gegenüberstellung durchaus nicht als Argument gegen meine Darlegungen zu betrachten. Das Hohe Haus hat Herrn Dr. Gereke als Persönlichkeit zu gewissen Grundsatzfragen gehört. Herr Dr. Gereke hat als Politiker zu Ihnen gesprochen. Herr Dr. Gereke hat keineswegs für das Finanzressort oder als besonderer Experte auf dem Finanzgebiet zu Ihnen gesprochen. Er hat bestimmt nicht diese Absicht gehabt. Hätte er diese Absicht gehabt, so bin ich sicher, daß er bei dem ausgezeichneten Zusammenarbeiten zwischen ihm und mir zuvor, also ehe er zu Ihnen kam, meine Meinung zu diesem Thema erfragt hätte. Da Sie aber Herrn Dr. Gereke als Persönlichkeit gehört haben, glaube ich, haben Sie mich heute als einen Finanzminister der britischen Zone hören wollen, und ich habe meine Meinung gesagt. (Schönfelder [SPD]: Was meint denn nun die Regierung?) – Ich habe eingehend dargelegt, daß die Regierung in ihr Programm, in die Richtlinien der Politik dieses Thema nicht aufgenommen hat und sich durch keinen Kabinettsbeschluß zu diesem Thema geäußert hat, insbesondere deshalb nicht, weil dieses Thema ihr auch vom Parlamentarischen Rat nicht formuliert gestellt worden ist. Wenn Sie hier einzelne Herren zu diesem Thema fragen, dann können sich nur die einzelnen Herren äußern, und man kann kein Argument von dem einen, weil er derselben Regierung angehört, gegen den anderen herleiten. Herr Dr. Gereke hat als Politiker gesprochen; ich spreche als Politiker und als Finanzminister. Eine Stellungnahme der CDU Niedersachsens ist weder durch Dr. Gereke, meinen Kollegen in der Leitung der CDU Niedersachsens – ich darf bemerken, daß Herr Dr. Gereke Vorsitzender des Landesverbandes Hannover ist, während ich Vorsitzender des Landesverbandes Braunschweig bin –, noch durch mich zum Ausdruck gekommen. Ich habe das nur dargelegt, weil es hier als Argument verwendet worden ist. Ich glaube, die Darlegungen des Kollegen aus Niedersachsen werden eine Klarstellung finden, wenn Sie die Unterscheidung zwischen Gesetzgebung und Verwal34)

Die Reichsabgabenordnung vom 13. Dez. 1919 ist in 3. Lesung am 27. Nov. 1919 von der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung angenommen und mit Zustimmung des Reichsrats verkündet worden. Sie bildete das Rahmengesetz zur Steuererhebung. Die Reichsabgabenordnung von 1919 (RGBl. 1919, S. 1993, sowie RGBl. 1920, S. 128) wurde durch die Reichsabgabenordnung vom 22. Mai 1931 ersetzt (RGBl. 1931, Teil I, S. 161). Die Reichsabgabenordnung vom 1931 wurde geändert durch: Steueranpassungsgesetz vom 16. Okt. 1934 (ebd. Teil I, S. 925); Urkundensteuergesetz vom 5. Mai 1936 (ebd. Teil I, S. 407); Einführungsgesetz zu den Realsteuergesetzen vom 1. Dez. 1936 (ebd. Teil I, S. 961); Gesetz über die Besteuerung des Wandergewerbes vom 10. Dez. 1938 (ebd. Teil I, S. 1348); Drittes Gesetz zur Änderung des Finanzausgleichs vom 31. Juli 1938 (ebd. Teil I, S. 966); Feuerschutzsteuergesetz vom 1. Febr. 1939 (ebd. Teil I, S. 113); Gesetz zur Änderung der Reichsabgabeordnung vom 4. Juli 1939 (ebd. Teil I, S. 1181); Grunderwerbssteuergesetz vom 29. März 1940 (ebd. Teil I, S. 585) und Lohnpfändungsverordnung vom 30. Okt. 1940 (ebd. Teil I, S. 1451). Zur Entstehung der Reichsabgabenordnung vgl. auch Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 10, S. 286, Anm. 8. 35) Der Abg. Greve (SPD).

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tung so berücksichtigen, wie ich sie in meinen Worten klar zum Ausdruck gebracht habe. Dann wird nämlich die Gesetzgebung, so wie der Bund sie verlangt, eine reine Bundesangelegenheit sein und wird ihre Durchführung unter Bundesaufsicht stehen. Wenn ich dargelegt habe – diese Worte sind ebenfalls von dem Mitglied aus Niedersachsen kritisiert worden –, daß die Finanzverwaltung in der britischen Zone in den letzten Monaten, seitdem sie unter Aufsicht der parlamentarisch kontrollierten Minister tätig ist, an öffentlichem Ansehen gewonnen hat, so habe ich damit etwas durchaus Spezifisches gemeint. Ich möchte mich hier nicht in einer Kritik der verflossenen Ära von Hamburg ergehen. Die Herren werden sicher durch Experten auch aus ihren Kreisen, die aus Hamburg stammen, unterrichtet sein. Ich lege aber entscheidenden Wert darauf, daß die Finanzverwaltung in Zukunft nicht der Prügelknabe der Öffentlichkeit ist, weil sie eine schwere und unpopuläre Aufgabe durchzuführen hat. Ich lege entscheidenden Wert darauf, daß sie an das Vertrauen der Öffentlichkeit herangeführt wird. Das kann aber nur geschehen, wenn sie den notwendigen politischen Schutz gerade auch auf der Landesebene genießt. Wenn wir dahin kommen sollten, daß der Bundesfinanzminister über die nötige Autorität verfügt, diese Autorität auch bis in den letzten Winkel des Landes ausüben kann, um dann diese Finanzverwaltung, die eine unerhört schwere Aufgabe zu erfüllen hat, mit seinem Ansehen im öffentlichen Leben zu tragen, dann werden wir sehr dankbar sein. Ich möchte meinen Vortrag damit schließen, daß ich eigentlich nur wünsche, daß, solange dies nicht möglich ist, politisch verantwortliche Männer in der britischen Zone der Finanzverwaltung diesen Hilfs- und Liebesdienst erweisen. Dr. Becker (FDP): Die Frage der Grundsätze der Einheitswertfestsetzung, die Frage der Grundsätze der Betriebs- und Buchführung, die Frage des Erlasses und die Frage der Stundung und verschiedene andere Dinge sind doch wohl Sache der Verwaltung. Nun frage ich: Müssen diese Grundsätze nicht eventuell fortlaufend – koordiniert werden? Wenn ja, was geschieht, wenn die Koordinierung unter den elf Ländern zu keiner Übereinstimmung führt? Finanzminister Dr. Strickrodt (Niedersachsen): Ich bin der Ansicht, daß der Bundesfinanzminister diese Grundsätze in eigener Zuständigkeit zu erlassen hat, weil dies eben zur Bundesgesetzgebung gehört. Die Unterscheidung zwischen Verwaltung und Gesetzgebung habe ich meinen Ausführungen zugrunde gelegt und für die Gesetzgebung – ich habe darunter auch die Richtlinien gemeint – dem Bundesgesetzgeber den weitesten Spielraum, den er in Anspruch nimmt, ohne weiteres unangetastet belassen. [S. 157] Vors. Dr. Schmid (SPD): Glauben Sie, daß es möglich sein wird, die Besatzungskosten nicht dem Bund aufzugeben und nicht den Bund für die Deckung sorgen zu lassen, sondern die Besatzungskosten den Ländern aufzugeben und die Länder für die Deckung sorgen zu lassen? Und zwar auch in dem Falle, daß ein dem Bund aufgegebenes Pauschale vom Bund nach irgendeinem Schlüssel auf die Länder umgelegt werden soll? Halten Sie es für möglich, daß in diesem Falle die Länder selber für die Mittel zur Deckung sorgen? Finanzminister Dr. Strickrodt (Niedersachsen): Die Besatzungskosten sind durchaus unterschiedlich. Zu diesem Zweck muß ein Finanzausgleich durchgeführt

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werden, wenn die Länder diese Ausgaben über ihren Haushalt zu decken haben. Wenn es zu erreichen wäre, die Besatzungskosten über den Bundeshaushalt zu leiten, wäre dies durchaus erwünscht. Sie müßten dann natürlich hierfür eine Finanzquelle für den Bund heranziehen. Dr. Menzel (SPD): Wenn Sie jetzt auf die Frage des Kollegen Dr. Becker meinen, daß alle Anweisungen für die Veranlagung, die Erhebung, die Stundung und den Erlaß nicht koordiniert werden können, sondern vom Bundesfinanzminister herausgegeben werden müssen, so frage ich Sie: Was bleibt dann für die Länder auf diesem Gebiet noch zu tun übrig? Dr. Becker (FDP): Und wer übt die Kontrolle über die Einhaltung der Richtlinien aus? (Dr. Menzel [SPD]: Das kommt hinzu.) Finanzminister Dr. Strickrodt (Niedersachsen): Der Bund hat durch seine Verwaltungsspitze die Möglichkeit, auf den Steuergebieten, die er sich vorbehalten hat, Kontrolleure zu den betreffenden Finanzverwaltungen zu schicken. Es geht ja um seine Einnahmen. Ich glaube nicht, daß da irgendwelche Schwierigkeiten entstehen könnten und eine unrichtige Berichterstattung seitens der Verwaltungen an den Bund Platz greifen könnte. Diese Möglichkeit müssen wir von vornherein ausschließen. Zu der Frage nach den einheitlichen Richtlinien darf ich bemerken, die Bewertungsrichtlinien sind auf den verschiedensten Gebieten, bei Steinen und Erden oder beim Bergbau, früher auch von gewissen Vororten der Finanzverwaltung aufgestellt worden. Münster36) war zum Beispiel für die Bewertung auf dem Gebiet des Bergbaus zuständig. Bei Steinen und Erden war es ein anderer Ort. Diese Grundsätze wurden dort federführend behandelt, galten aber für alle Oberfinanzpräsidien. Eine solche Regelung wird auch unter der Autorität der Bundesfinanzverwaltung in Zukunft ohne weiteres möglich sein. Für die Landesfinanzverwaltung bleibt noch sehr viel zu tun. Zunächst einmal kommt eine pflegliche Behandlung der Steuerquellen der Länder in Betracht. Es ist anzunehmen, daß die den Ländern zugewiesenen Einnahmequellen die schwächsten sein werden und einer nachhaltigen Gestaltung bedürfen, während die Einnahmequellen des Bundes mehr oder weniger automatisch fließende Quellen sein werden. Es ist von höchster Bedeutung für die Finanzwirtschaft der Länder, auf die Erhebung dieser Steuern, auf die nachdrückliche Gestaltung dieser Steuern Einfluß nehmen zu können und nicht auf eine Verwaltung angewiesen zu sein, die ihnen praktisch entzogen ist und als Bundesfinanzverwaltung weder ihrer Kontrolle noch ihren Weisungen untertan sein wird. Es ist durchaus ein vitales Interesse der Landesfinanzverwaltung, bei der Erhebung ihrer eigenen Einnahmen die Klinke in der Hand zu haben. Ich fürchte, wir würden andererseits dazu kommen, daß die Länder sich eigene Stäbe einrichten, um insbesondere in Notzeiten ihre Einnahmen zum Fließen zu bringen. Auch auf anderen Gebieten bleibt genug zu tun, zum Beispiel auf dem wichtigen Gebiet der Personalien. Es ist sehr wichtig, durch eine ortsnahe politische Autori36)

Das Oberfinanzpräsidium Münster war neben den Oberfinanzpräsidien Düsseldorf, Hamburg, Kiel und Köln, eines der fünf Oberfinanzpräsidien in der britischen Zone, denen gegenüber die Finanzleitstelle weisungsberechtigt war. Schweigert, S. 65.

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tät, wie sie die Kabinette darstellen, diese Verwaltung so einzurichten, daß sie sich den modernen demokratischen Grundsätzen anpaßt. Ich fürchte, daß bei einer den örtlichen Verhältnissen fernen Bundesfinanzverwaltung eine solche Gestaltung auch des personellen Apparats der Finanzverwaltung nicht in der erwünschten Weise durchgeführt werden könnte. Die Frage ist also dahin zu beantworten: auch bei einer weitgedehnten Weisungsbefugnis des Bundes bleibt für eine Landesfinanzverwaltung noch sehr viel Entscheidendes zu tun übrig.

[2.4. ANHÖRUNG DES SACHVERSTÄNDIGEN DUDEK]

Finanzsenator Dr. Dudek (Hamburg): Es ist sehr schwierig, zu den Dingen zu sprechen, wenn man nicht weiß, wie Herr Dr. Höpker Aschoff als Referent37) des Finanzausschusses die Arbeiten des Finanzausschusses zusammenfaßt. Ich habe mich im Finanzausschuß zu dieser Frage schon gutachtlich geäußert und werde im Anschluß an das, was ich gesagt habe, noch einmal kurz auf die Dinge zurückkommen. Ich bin ganz dezidiert für die Erzbergersche Steuerreform. Ich halte die Maßnahmen, die damals getroffen worden sind, aus staatspolitischen, finanzpolitischen und anderen Gründen für zweckmäßig und gut. Ich halte die Frage der Finanzverwaltung, genau so wie Herr Dr. Strickrodt, nicht für eine Frage der politischen, sondern für eine Frage der praktischen Zweckmäßigkeit. Wenn man die Diskussion darüber liest, kommt man allerdings beinahe zu der Überzeugung, daß es eine Weltanschauungsfrage ist. Ich teile diese Ansicht nicht. Steuern sind für mich überhaupt keine Weltanschauungsfrage. Die Frage ist vielmehr, wie eine Steuer möglichst wirtschaftlich, mit möglichst geringen Kosten, möglichst rasch, möglichst gerecht und möglichst gleichmäßig eingetrieben wird. Ich bin der Ansicht, daß die großen Steuern nur auf dem Wege über eine Bundesfinanzverwaltung in dem Sinne, wie ich es soeben skizziert habe, verwaltet werden können. In der Frage, ob die Finanzverwaltung besser politisch abgeschirmt wird, wenn sie Landessache ist, als wenn sie Bundessache ist, kann man sehr verschiedener Meinung sein. Ich bin der Ansicht, wenn eine starke, politisch verantwortliche Bundesregierung besteht, wird sie wahrscheinlich mindestens genau so gut wie irgendeine Landesregierung in der Lage sein, ihre eigene Finanzverwaltung politisch zu vertreten. Es mag sein, daß in manchen Ländern der Wunsch besteht, die Oberfinanzpräsidenten – sagen wir einmal – landschaftlich zu binden. Nach meiner Kenntnis ist das früher in Süddeutschland trotz der Finanzverwaltung des Reiches schon in sehr großem Umfang geschehen. Ja, man hat manchmal den Eindruck gehabt, daß gerade die süddeutschen Länder in der Reichsverwaltung, zuletzt auch in der Reichsfinanzverwaltung, einen größeren Einfluß gehabt haben als die preußischen Vertreter. Ich habe das wenigstens von alten Sachverständigen auf diesem Gebiet des öfteren erwähnen gehört.

37)

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Höpker Aschoff war Berichterstatter des Ausschusses für Finanzfragen.

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Wenn vorhin das Beispiel des Wehrbeitrages erwähnt worden ist, so ist es richtig, daß die Unterlagen verschieden waren. Aber es ist ein öffentliches Geheimnis, daß gewisse Länder ihre Wehrbeitragspflichtigen in einer außerordentlich entgegenkommenden Weise behandelt haben. Darüber kann man in den Annalen der damaligen Zeit sehr ergötzlich nachlesen. Das ist aber im allgemeinen Interesse höchst unerwünscht. Ich halte also die klare und eindeutige Entscheidung für eine Bundesfinanzverwaltung aus diesen verschiedenen Gründen für gut und zweckmäßig. Soweit das Land selber eigene Steuern erhebt, mag man es in die Lage versetzen, eine eigene Finanzverwaltung einzuführen. Diese kann sich aber nur auf einige kleinere und entsprechend billigere Maßnahmen erstrecken. Die auch sehr wichtigen Gemeindesteuern spielen bei dieser Diskussion leider keine Rolle. Sie müssen aber besonders beachtet werden. Die Zuständigkeit der Gemeinden auf diesem Gebiet muß besonders klar und eindeutig gegenüber der Länderzuständigkeit herausgehoben werden. [S. 158] Die Frage des Finanzausgleichs ist um so einfacher zu lösen, je mehr Zuständigkeit wir in der Bundeszentrale vereinigen. Daß die Besatzungskosten zentral verwaltet und zentral ausgegeben werden müssen, halte ich aus den verschiedensten Gründen für unbedingt notwendig. Es mag hier und da zweckmäßig sein, in den Länderparlamenten die individuellen Verhältnisse des betreffenden Landes zu erörtern. Diese Möglichkeit hat man bei der Behandlung des Länderhaushalts jederzeit. Ich glaube damit die Stellungnahme des Senats der Hansestadt Hamburg eindeutig und klar skizziert zu haben. Mayr (CSU): Halten Sie die Durchführung einer Bundesfinanzverwaltung mit einem Optionsrecht der Länder für eine Landesfinanzverwaltung für möglich? Ist es möglich, daß auf diese Art eine neue Entwicklung vorwärtsgetrieben wird? Finanzsenator Dr. Dudek (Hamburg): Darf ich Sie dahin verstehen, daß die Länder eine Auftragsverwaltung des Reiches haben sollen? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, der Herr Kollege Mayr meinte, ein Land kann sich dahin erklären, daß es als das Land a oder b seine Steuern in seiner eigenen Verwaltung einziehen will. Finanzsenator Dr. Dudek (Hamburg): Das wäre ein Ausweg, wenn auch nicht gerade ein guter. Man könnte damit gewisse Empfindlichkeiten schonen. Andererseits befürchte ich, es wird in den Ländern eine starke Verschiedenheit geben. Wenn es aber keinen anderen Weg gibt, wäre das das kleinere Übel. Dr. Seebohm (DP): Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Senator? Sie sprachen davon, daß die Länder für ihre eigenen Steuern eigene Finanzverwaltungen, also eigene Finanzämter, einrichten sollten oder könnten. Bei uns ist wiederholt die Frage erörtert worden, ob wir – wie in Amerika – zwei verschiedene Finanzverwaltungen haben sollten, eine Finanzverwaltung des Bundes für die Eintreibung der Bundessteuern und eine Finanzverwaltung der Länder für die Eintreibung der Ländersteuern, eventuell auch eine eigene Finanzverwaltung der Gemeinden für die Eintreibung der Gemeindesteuern. Wir haben bisher immer den Standpunkt vertreten, daß eine solche Aufgliederung eine starke Erhöhung der Kosten mit sich bringen müßte und außerdem auch zu einer sehr starken Differenzierung in den Methoden führen könnte, die im Interesse der Wirtschaft vermieden werden muß.

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Wir haben deshalb die Auffassung vertreten, es müsse an dem Grundsatz festgehalten werden, daß es nur eine Finanzverwaltung gibt, die die Steuern einnimmt, gleichgültig ob die Steuern dem Bund allein, den Ländern allein oder dem Bund und den Ländern zusammen zufließen. Finanzsenator Dr. Dudek (Hamburg): Ich würde es für zweckmäßig halten, daß das Land in diesem Falle seine Steuerverwaltung aus Zweckmäßigkeitsgründen im Auftragswege der Bundesfinanzverwaltung überträgt.

[2.5. ANHÖRUNG DES SACHVERSTÄNDIGEN SCHENCK]

Finanzminister Dr. Schenck (Schleswig-Holstein): Der Standpunkt der schleswigholsteinischen Landesregierung, den ich hier kurz darzulegen habe, ergibt sich mit zwingender Logik aus der Lage des Landes, die Ihnen im einzelnen soweit bekannt sein wird, daß ich sie hier nicht näher zu schildern brauche. Die schleswig-holsteinische Landesregierung ist der Überzeugung, daß es notwendig ist, 1. die Besatzungskosten, 2. alle übrigen direkten und indirekten Kriegsfolgelasten und 3. endlich die Zuschüsse zu den Sozialversicherungen von den Länderhaushalten auf einen Haushalt höherer Ebene, nämlich auf den Haushalt des Bundes, zu verlagern. Daraus ergibt sich schon, daß das überwiegende Steuerinteresse beim Bund liegen wird. Schon aus diesem überwiegenden Steuerinteresse des Bundes folgt, daß der Bund außer der Gesetzgebung auch die Verwaltung haben muß. Der zweite Grund ist der folgende. Wir wissen aus unseren Erfahrungen, daß die gleichmäßige Besteuerung nur über eine Bundesfinanzverwaltung, nur über die Wiederherstellung der früheren Reichsfinanzverwaltung erzielt werden kann. Alle Koordinationsbemühungen, die nur dadurch erforderlich geworden sind, daß die Bundesinstanz fehlte, waren doch in ihrem Erfolg sehr problematisch. Ich erinnere mich an eine Sitzung der Finanzminister vor einigen Wochen, in der der Kollege Köhler – Reichsfinanzminister a. D., jetzt Finanzminister in Württemberg-Baden38) – seine Unterschrift unter eine Denkschrift der süddeutschen Herren Finanzminister feierlich zurückgezogen hat. In dieser Denkschrift hatten sich die süddeutschen Finanzminister aus politisch-psychologischen Gründen – um den Ausdruck des Herrn Dr. Hartmann zu wiederholen – für die Landesfinanzhoheit ausgesprochen39). Nach den Erfahrungen, die Herr Minister Köhler mit den Koordinations38)

Heinrich Köhler (1878–1949), Zentrum, CDU, 1913 Mitglied des badischen Landtages, 1920 badischer Finanzminister, 1923/24 und 1926/27 badischer Staatspräsident, 1928–1932 Mitglied des Reichstags, 1927/28 Reichsminister der Finanzen, 1945–1949 stellv. Ministerpräsident von Württemberg Baden und 1946 Wirtschaftsminister, 1946–1949 Finanzminister in Württemberg Baden. 39) Die Denkschrift trug den Titel: Noch einmal eine Reichssteuer- und Reichszollverwaltung? Eine Veröffentlichung des Bayerischen Staatsministers der Finanzen Dr. Kraus vom 28. April 1948. Stellungnahme der Finanzminister von Bayern, Hessen und Württemberg Baden zur Denkschrift der Finanzleitstelle Hamburg, München 1948. Zu der Denkschrift der Finanzminister der im Länderrat vereinigten süddeutschen Länder vgl. Schweigert, S. 151 f. Initiator der Denkschrift war der Bayerische Finanzminister Johann-Georg Kraus. In der Denkschrift wurde bestritten, daß die Zentralisierung der Finanzverwaltung unabdingbare Voraussetzung für eine gleichmäßige Gesetzesan-

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erfolgen speziell im Verhältnis zwischen Württemberg-Baden und Bayern gemacht hatte, hat er diese Unterschrift feierlich zurückgezogen und sich mit einer gewissen Begeisterung für die Wiederherstellung der Reichsfinanzverwaltung ausgesprochen, mit derselben Begründung, die ich soeben angeführt habe, daß es nach allen Erfahrungen nur auf diesem Wege möglich ist, eine gleichmäßige Besteuerung durchzuführen. Wir haben doch jetzt schon Beispiele, daß die Firmen zu uns, zu den Oberfinanzpräsidenten und zu dem Finanzminister kommen und Steuervorteile einhandeln wollen. Sie weisen uns dabei daraufhin, daß ihnen in anderen Ländern solche Steuervorteile oder viel größere Steuervorteile bereits in Aussicht gestellt worden seien. Neulich war ein Mann von einem nicht unbedeutenden Unternehmen bei mir – ich will das Unternehmen hier nicht mit Namen nennen –, der erklärte, daß ein anderes Land ihm sogar die Umzugskosten erstatten wolle und außerdem eine fünfjährige Steuerfreiheit eingeräumt habe, wenn das Unternehmen nur aus Schleswig-Holstein herausginge. Das geht nicht! Das können wir nur beseitigen, wenn wir die Bundesfinanzverwaltung einrichten. Dr. Becker (FDP): Ich möchte einen Zwischenruf meines verehrten Herrn Nachbarn zur Linken zu der Frage des Optionsrechts aufgreifen, die der Kollege Mayr berührt hat. War die Frage betreffend das Optionsrecht so gemeint, daß es sich nur auf die Landessteuern, oder so, daß es sich auf die in dem Lande erhobenen bzw. anfallenden Steuern beziehen sollte? Das ist die erste Frage. Weiter habe ich folgende Frage zu stellen. Nach den Schilderungen, die der Herr Minister für Schleswig-Holstein gegeben hat, sieht es doch beinahe so aus, als wenn ein leistungsschwaches Land, das genötigt ist, eventuell höher in die Steuern hineinzugehen oder Vorteile nicht zu gewähren, die anderweitig gewährt werden, mit dem Fortzug von Steuerzahlern zu rechnen hat und dadurch erst recht leistungsschwach wird, während leistungsstärkere Länder, die in der Lage sind, Vorteile zu gewähren, durch den Zuzug solcher Firmen leistungsstärker werden. Würde sich dadurch nicht eine finanzielle Verlagerung oder Differenzierung der einzelnen Länder untereinander ergeben? Könnte man nicht eventuell davon sprechen, daß gegebenenfalls – etwas übertrieben ausgedrückt – finanzielle Hegemonieerscheinungen zutage treten werden? (Dr. Menzel [SPD]: Steueroasen!) Dr. Seebohm (DP): Wenn die Finanzgesetzgebung und Rechtsprechung beim Bund liegt und auch die Verwaltung nach Weisung des Bundes erfolgt, kann ich mir eigentlich nicht recht vorstellen, in welchem Umfang ein Land einem Industriebetrieb oder einem andersartigen Betrieb derartige Versprechungen machen könnte, wie das Herr Minister Schenck soeben zum Ausdruck gebracht hat. Das ist doch nur möglich, solange die Bundesfinanzgesetzgebung noch nicht gegeben ist. In dem Augenblick, in dem wir eine einheitliche Gesetzgebung mit entsprechenden Anweisungen an die Landesfinanzverwaltungen haben, können solche Fälle eiwendung und für eine gerechte Abgabenerhebung in den Ländern sei. Das habe sich insbesondere an der gleichermaßen angewendeten Reichsbesitzsteuergesetzes vom 3. Juli 1913 sowie der Kriegssteuergesetzgebung in den Jahren 1916–1918 gezeigt. Zur Denkschrift vgl. auch Der Parl. Rat. Bd. 12, Dok. Nr. 2, S. 23 mit Anm. 56, und Dok. Nr. 11, S. 316 mit Anm. 31 und 32.

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gentlich nicht mehr eintreten. Ich kann mir nicht denken, daß das ein Argument gegen die [S. 159] Landesfinanzverwaltungen ist. Es ist zweifellos ein sehr starkes und entscheidendes Argument gegen die Landesfinanzgesetzgebung. Aber wir waren doch alle darüber einig, daß die Finanzgesetzgebung einheitlich beim Bund liegen soll. Finanzminister Dr. Schenck (Schleswig-Holstein): Es ist auch ein Argument gegen die Landesfinanzverwaltungen. Ich darf daran erinnern, daß wir in der britischen Zone die Gemeinsame Steuer- und Zollabteilung40) haben – die der Herr Kollege Strickrodt so gerühmt hat –, daß diese Gemeinsame Steuer- und Zollabteilung die Grundsätze für Stundung und Erlaß verbindlich festsetzt und daß trotzdem in den einzelnen Länder davon abgewichen wird. Schlör (CSU): Ich glaube, dem wird nicht dadurch abgeholfen, daß man eine Bundesfinanzverwaltung hat. Es besteht auch die Möglichkeit, daß unter Umständen ein Oberfinanzpräsident davon abweicht. Es kann also kein Allheilmittel sein, wenn eine Bundesfinanzverwaltung geschaffen wird. Wenn bei der Landesfinanzverwaltung ein einheitliches Weisungsrecht, ein Aufsichtsrecht vorhanden ist und einheitliche Erlaßrichtlinien gegeben sind, wird genau so wenig etwas geschehen können oder genau so viel geschehen können, als wenn Oberfinanzpräsidenten darüber zu entscheiden haben. Finanzsenator Dr. Dudek (Hamburg): Ich glaube, das ist ein Irrtum. Wenn wir eine Landesfinanzverwaltung haben, haben die Länder von sich aus die Möglichkeit, die Stundungs- und Erlaßvorschriften zu geben. Wenn die Länder diese Möglichkeit nicht haben, was bleibt dann für sie überhaupt noch übrig? Dann war die Frage von Herrn Dr. Menzel völlig berechtigt. Ich verstehe überhaupt nicht, wozu man noch Landesfinanzverwaltungen haben will, wenn man nur das Recht haben will, den Beamten das Gehalt zu bezahlen. Das hat nach meiner Meinung nicht viel Sinn. Wenn die Landesfinanzverwaltung einen Sinn haben soll, muß das Land einen Einfluß haben. Den kann es, wenn alles übrige reichsgesetzlich festgelegt ist, nur auf Erlaß und Stundung haben.

[2.6. ANHÖRUNG DES SACHVERSTÄNDIGEN WEISSER]

Ministerialdirektor Dr. Weisser: Ich spreche im Auftrage von Herrn Minister Dr. Weitz41), des Finanzministers von Nordrhein-Westfalen, der heute nicht in der 40)

N ach Auflösung der Leitstelle der Finanzverwaltung für die britische Zone (Finanzleitstelle) in Hamburg 30. Juni 1948 übernahm die Gemeinsame Steuer- und Zollabteilung Finanzminister der Länder Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein und des Finanzsenators der Hansestadt Hamburg mit Wirkung vom 1. Juli 1948 deren Aufgaben. Vogel: Westdeutschland, Teil III, S. 66 f., Anm. 18. 41) Dr. iur. Heinrich Weitz (1890–1962), 1920–1927 Beigeordneter der Stadt Duisburg, 1927–1933 OB in Trier, Mitglied des Rheinischen Provinziallandtages (Zentrum); Mitbegründer der CDU, 1945 1947 Oberbürgermeister von Duisburg, 1946–1950 Mitglied der Landtags Nordrhein-Westfalen, 1947 Mitglied des Verwaltungsrates des Gemeinsamen Deutschen Finanzrates der Bizone, 1948 im Fünfzehnerausschuß, der Gutachterkommission für den Lastenausgleich, 1947–1951 Finanzminister in Nordrhein Westfalen, 1949 im Finanzausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz, 1952–1961 Präsident des

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Lage ist, hier zu sein. Er hat mich nicht mit speziellen Weisungen versehen. Es ist aber bekannt, daß er im Prinzip mehr der Bundesverwaltung zuneigt. Ich möchte von diesem Ausgangspunkt her, der mir besonders auch unter dem Gesichtspunkt eines großen und zentralen Wirtschaftsgebiets wie Nordrhein-Westfalen angemessen zu sein scheint, die Frage erörtern, ob denn die beiden Modelle Bundesverwaltung oder Verwaltung durch die Länder nicht von zwei Seiten her einander angenähert werden können. Mir scheint, daß in den bisherigen Debatten, die schon seit Jahr und Tag in diese Richtung gingen, zum Beispiel seinerzeit im Zonenbeirat42), mehr die Frage erörtert worden ist, wie man eine Verwaltung durch die Länder dem Modell der Erzbergerschen Regelung annähern könne, indem man eine Reihe von Schutzvorschriften zugunsten des Bundes schafft, wenngleich die Verwaltung in den Händen der Länder liegt. Es ließe sich nun auch erörtern, inwiefern umgekehrt das Modell, bei dem die Steuern vom Bund verwaltet werden, so gestaltet werden kann, daß den berechtigten und lebenswichtigen Bedürfnissen der Länder dabei in einer geeigneten Weise Rechnung getragen wird. Wenn man also auf diesem Standpunkt steht – die vielen Gründe, die hier und früher in dem Ausschuß43) des Parlamentarischen Rates von Herrn Minister Dr. Höpker Aschoff erörtert worden sind, sprechen prinzipiell für die Erzbergersche Lösung –, so muß man sich fragen, welche wichtigen Interessen der Länder in diesem Falle zu schützen sind. Es sind wohl einerseits fiskalische Interessen der Länder, andererseits wirtschaftspolitische Interessen der Länder und schließlich allgemeinpolitische Interessen der Länder. Die fiskalischen Interessen der Länder scheinen mir nicht bedroht zu sein, wenn die Verwaltung beim Bund liegt. Immerhin hat die aufmerksame Verfolgung des Steueraufkommens durch die Landesfinanzminister in den Monaten nach der Währungsreform mit dazu beigetragen, daß man auf den sehr unbefriedigenden Eingang aufmerksam geworden ist. Die Initiative der Landesfinanzminister hat dazu beigetragen, daß die Steuern jetzt besser eingehen. Es ist aber nicht zu befürchten, daß eine solche Einwirkung der Länder auf das Aufkommen nicht auch auf anderem Wege erreicht werden könnte. Hier scheint mir die Einblicknahme der Länder in die Finanzverwaltung auf ihrer Stufe, also in der Mittelstufe, das Wesentliche zu sein. Die Einblicknahme in die Statistik kann den Ländern aber ohne weiteres auch gewährt werden, wenn eine Bundesverwaltung der Steuern durchgeführt wird. Diese Einblicknahme in alle statistischen Unterlagen ist ohne weiteres möglich. Wichtiger ist die Frage, welche wirtschaftspolitischen Gesichtspunkte für die Länder es als wesentlich erscheinen lassen, daß sie auf der Landesstufe Einfluß auf diese als bundeseigene gedachte Verwaltung nehmen. Das sind Fragen, die sich daraus ergeben, daß die einzelnen Länder sowohl Besonderheiten in der wirtDeutschen Roten Kreuzes. Weitz war am 30. Sept. 1948 Sachverständiger in der 10. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen; vgl. Der Parl. Rat. Bd. 12, Dok. Nr. 11, S. 307–310 und 316–323. 42) Vgl. Zonenbeirat. Zonal Advisory Council 1946–1948. Protokolle und Anlage 1. 11. Sitzung 1946/47. Bearb. von Gabriele Stüber, 2. Halbbd. (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, IV. Reihe, Bd. 9/I). Düsseldorf 1994, bes. S. 914, 1480 und 1551. 43) Der Ausschuß für Finanzfragen.

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schaftlichen Struktur als auch Besonderheiten im Verlauf der Konjunkturen haben können. Diese Besonderheiten sind zwar in unserem eng zusammengedrängten politischen Raum von Westdeutschland keineswegs groß genug, daß sie dafür ausschlaggebend sein könnten, die Steuerverwaltung in die Hände der Länder zu legen. Sie sind aber gleichwohl vorhanden. Es würde also die Frage sein, inwieweit man etwa diese immerhin vorhandenen Besonderheiten auf der Mittelstufe der bundeseigenen Steuerverwaltung berücksichtigen könnte. Man könnte die Frage aufwerfen, ob sich bei den Oberfinanzpräsidenten Beiräte bilden lassen und ob diese Beiräte auf die Erhebungs- und Stundungspraxis Einfluß nehmen können, ob sie in das gesamte Material Einblick nehmen und laufend mitwirken können. Eine solche Mitwirkung dürfte einerseits den Kontakt der Landesbehörden mit der Steuerverwaltung als einer für das gesamte Wirtschaftsleben äußerst wichtigen Einrichtung hinreichend herstellen. Ein solcher Beirat würde, wenn man will, außer aus Vertretern der Landesregierungen auch aus Vertretern des Landtags, der Wirtschaft, der Gewerkschaften usw. zusammengesetzt sein können und würde jede Sicherung bieten, daß die berechtigten wirtschaftspolitischen Interessen des Landes, wenn es zu einer bundeseigenen Verwaltung kommt, auf dieser Ebene gewahrt bleiben. Den allgemeinpolitischen Interessen, die die Länder daran haben können, auf die Steuerverwaltung wesentlichen Einfluß zu nehmen, läßt sich in erheblichem Maße – wie das hier in Ihrem Kreise schon erörtert worden ist – auf personalpolitischem Gebiet Rechnung tragen, so daß das Land auf die Personalien der Mittelstufe dieser bundeseigenen Verwaltung Einfluß hat. Mir scheint, daß man das ganze Problem auch einmal von dieser Seite her untersuchen sollte. Die beiden möglichen Modelle sind von niemand hier in ihrer Extremheit gewünscht, und bisher ist überwiegend darüber gesprochen worden, wie man das Modell: Verwaltung der Steuern durch die Länder so veredeln kann, daß keine Gefahren für den Bund entstehen. So ist es vielleicht zweckmäßig, einmal das Modell: bundeseigene Steuerverwaltung unter dem Gesichtspunkt zu erörtern, daß die Gefahren für die Länder, die man berechtigterweise befürchten könnte, ausgeschaltet werden. Dr. Menzel (SPD): Ich möchte die Aufmerksamkeit des Hauptausschusses auf das Protokoll des Finanzausschusses vom 30. September 1948 lenken, aus welchem sich die Stellungnahme des Herrn Finanzministers von Nordrhein-Westfalen, Dr. Weitz, zum Punkt der Verwaltung klar ergibt. Es heißt dort: „Dr. Weitz erklärt auf eine Frage des Abgeordneten Dr. Greve, daß nach seiner Auffassung keinerlei psychologisch-politische Gründe für Länderverwaltung [S. 160] sprächen. Mit dem Sachverständigen Dr. Dudek steht er auf dem Standpunkt einer bundeseigenen Verwaltung mit der Maßgabe, daß bei der Besetzung der Spitzenstellen bei den Landesfinanzämtern den Finanzministern der Länder ein Mitwirkungsrecht eingeräumt werden müsse.“44)

44)

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Für den Auszug aus dem Kurzprot. über die 10. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen am 30. Sept. 1948 vgl. Drucks. Nr. 138, S. 3. Vgl. dazu auch das stenograph. Wortprot., abgedruckt in: Der Parl. Rat, Bd. 12, Nr. 10, S. 330.

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Dr. Weitz hat damals diese Erklärung als Sachverständiger abgegeben. Sie entspricht aber der Stellungnahme der Landesregierung Nordrhein-Westfalen. Dr. Binder (CDU): Halten Sie es für einen so großen Vorzug, wenn bei den Oberfinanzpräsidien derartige Beiräte eingerichtet würden? Glauben Sie nicht, daß alle von Ihnen im Interesse der Länder vorgebrachten Gesichtspunkte besser gewahrt werden, wenn es nur ein Mann macht, nämlich der Landesfinanzminister, der an der Spitze der Landesfinanzverwaltung steht? Ministerialdirektor Dr. Weisser: Nein. Dr. Becker (FDP): Es ist vielleicht erwünscht, daß alle Herren, die gesprochen haben, sich noch zu folgender Frage äußern. Man kann sich auf den Standpunkt stellen, daß es vielleicht in ferner Zukunft, nämlich in einer Zukunft, in der die Einkommensteuer wieder auf einen geringeren Satz herabgesetzt ist, notwendig sein könnte, den Gemeinden ein selbständiges Zuschlagsrecht zu geben, wie wir das früher in der preußischen Landesfinanzverwaltung hatten. Ich möchte die Frage stellen, ob dieser Gesichtspunkt auf die Frage der Landesfinanzverwaltung oder der Bundesfinanzverwaltung von Einfluß sein könnte. Finanzminister Dr. Strickrodt (Niedersachsen): Wenn überhaupt neue Gemeindesteuern entwickelt werden sollen, so ist die Frage gestellt – die Dinge werden in den zuständigen Kreisen zur Zeit erörtert –, ob diese in Form eines Zuschlages zu einer vorhandenen reichsrechtlich normierten Steuer oder als eine neuartige Gemeindesteuer zu entwickeln sind. Dann wird die Frage auftreten, wer diese Steuer verwalten soll. Es wäre durchaus notwendig, daß die Gemeinden die Verwaltung dieser Steuer einer einheitlichen Finanzverwaltung übertragen.45)

[2.7. ANHÖRUNG DES SACHVERSTÄNDIGEN RINGELMANN]

MinDir. Dr. Ringelmann: Ich möchte zunächst von der verfassungsrechtlichen Seite ausgehen. Die Verfassung stellt den Grundsatz auf, daß Bundesgesetze von den Ländern zu vollziehen sind. Die Landesverwaltung stellt sich hier also in den Dienst des Bundes und vollzieht die Gesetze des Bundes. Dieser Grundsatz soll und darf nur durchbrochen werden, wenn zwingende Notwendigkeiten eine solche Durchbrechung rechtfertigen. Wenn ich nunmehr prüfe, ob eine solche Not45)

Im stenograph. Wortprot., S. 45 f., folgt hier folgender Wortwechsel: „Vors. Dr. Schmid (SPD): Genügt Ihnen diese Antwort? Dr. Becker (FDP): Ich hatte präzise die Frage gemeint: ein Zuschlagsrecht zu einer herabgesetzten Einkommensteuer. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie sind offenbar durch die Antwort nicht befriedigt? Dr. Becker (FDP): Ich wollte fragen, ob aus diesem Grund eine Landesgesetzgebung erforderlich ist oder ob sich einfach bundesrechtlich eine Meßzahl errechnen läßt und ob auf Grund dieser bundesgesetzlich errechneten Meßzahl dann die Gemeinden Zuschläge erheben können. Vors. Dr. Schmid (SPD): Glauben Sie nicht, daß Fragen dieser Art eher in dem Finanzausschuß des künftigen Bundestags am Platze wären? (Dr. Menzel [SPD]: Im Jahre 1960!) Offenbar werden keine Fragen mehr an Herrn Dr. Weisser gestellt. Dann ist Herr MinDir. Ringelmann für Bayern an der Reihe.“

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wendigkeit vorliegt, so komme ich zu dem Ergebnis, daß die Frage verneint werden muß. Man darf diese Frage nicht mit der Steuergesetzgebung und mit dem Erlaß der Durchführungsvorschriften für den Vollzug der Steuergesetze in Zusammenhang bringen. Man muß sie vielmehr darauf beschränken, ob die Maschine – wie ich sie einmal nennen will – in der Hand der Länder oder in der Hand des Bundes sein soll, ob es eine bundeseigene Maschine oder eine landeseigene Maschine sein soll. Hier frage ich nach den einzelnen Bestandteilen dieser Maschine. Ich frage zunächst nach der personellen Seite. Haben Sie die bundeseigene Verwaltung, so kommen Sie zwangsläufig wieder zum System der Reichsfinanzverwaltung, wonach alle Stellen herab bis zum Oberinspektor, vielleicht noch weiter herunter, von der Zentrale aus besetzt werden. Dann kommen Sie wieder zu dem Zustand, daß sowohl die Planstelle 214 wie die Planstelle 3745 von der Zentralstelle aus besetzt wird, daß für jede Stelle von unten herauf Vorschläge gemacht, unten und oben Listen geführt werden müssen und die Zentrale über einen ungeheuer großen Personalkörper zu befinden hat. Wenn Sie bedenken, daß die bayerische Finanzverwaltung allein 12 000 Leute beschäftigt, so können Sie sich wohl ein Bild von der Arbeit machen, die bei der Bundeszentrale anfallen wird. In personeller Hinsicht kommt noch etwas anderes hinzu, das zwar ein Imponderabile ist, aber für den Steuereingang, für die reibungslose Durchführung der Steuergesetzgebung von sehr großer Bedeutung ist. Es ist nämlich das Fingerspitzengefühl bei der Auswahl der Persönlichkeiten, die man als Oberfinanzpräsidenten, als Finanzamtsvorstände und als Sachbearbeiter an die einzelnen Stellen setzt. Je weiter entfernt die Stelle ist, die die Bestimmung über die Person trifft, um so größer ist die Gefahr, daß ein Mißtrauen an die Stelle des Vertrauens tritt. Ich will nicht irgendwie auf die Besonderheiten abstellen, die nach dieser Richtung in Bayern gegeben sind; das liegt mir vollkommen fern. Aber rein sachlich betrachtet macht es doch einen Riesenunterschied aus, ob das Land für seinen Bereich oder ob der übergeordnete Bund für die Gesamtheit der Länder Personalwirtschaft führt. Es wurde eingewendet, man könne ohne weiteres eine Mitwirkung der Länder sicherstellen. Das haben wir schon einmal gehabt. Wir hatten in der Abgabenordnung46) und in verschiedenen Abkommen die Bestimmung, daß die Länder bei der Besetzung der maßgebenden Stellen mitzuwirken haben. Was ist daraus geworden? Man hat eines Tages die Abgabenordnung geändert, hat die Bestimmung herausgestrichen, und kein Land ist mehr gefragt worden, kein Land hatte irgendwie noch einen Einfluß auf die Besetzung der Stellen der Oberfinanzpräsidenten und der Finanzamtsvorsteher. Auf diese Bemerkungen möchte ich mich hinsichtlich der personellen Seite beschränken. Die zweite Aufgabe der Verwaltung ist die organisatorische Aufgabe. Die organisatorische Aufgabe hat die Abgrenzung der Amtsbezirke der Oberfinanzpräsidien und der Finanzämter zum Gegenstand. Außerdem muß die Verwaltung die einzelnen Stellen für ihren eigenen Arbeitsbereich organisieren, die Stellen gliedern und die Aufgaben entsprechend verteilen. Sie muß dafür sorgen, daß das vorhandene Personal bestmöglich eingesetzt wird, und muß sofort eingreifen, wenn sie sieht, daß da oder dort Lücken vorhanden sind und Personal nachgeschoben werden 46)

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Zur Reichabgabenordnung vgl. oben Anm. 34.

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muß, damit die Veranlagung, die Einhebung und die Beitreibung der Steuern ordnungsmäßig vor sich geht. Auch hier hatten wir in der Abgabenordnung eine Bestimmung, wonach die Länder bei der Bestimmung des Sitzes der Oberfinanzpräsidien und der Finanzämter mitzuwirken haben. Nach einiger Zeit war diese Bestimmung aus der Abgabenordnung verschwunden, und man hat von der Zentrale aus bestimmt, ob dieses oder jenes Finanzamt aufgehoben wird, ob zwei Finanzämter zusammengelegt werden können, ob ein neues Finanzamt errichtet werden soll und wie das alles vor sich zu gehen hat. Man hat nicht einmal mehr die oberste Landesbehörde gefragt, obwohl das für den reibungslosen Gang der gesamten Verwaltung von größter Bedeutung gewesen wäre. Man muß doch auf die Verkehrsverhältnisse Rücksicht nehmen und auch darauf, welche anderen Behörden am gleichen Ort sind. Man muß auf die Bevölkerung Rücksicht nehmen und daran denken, daß die Ämter so liegen müssen, wie es den Interessen der Bevölkerung entspricht. Es soll doch der Bevölkerung möglich sein, zugleich zum Landrat und zum Finanzamt zu gehen. Alle diese Dinge müssen berücksichtigt werden. Nun frage ich Sie: Wer kann denn besser Rücksicht nehmen, ein Mann, der oben bei der Zentrale sitzt und über mehrere hundert Finanzämter und mehrere dutzend Oberfinanzpräsidien zu entscheiden hat, oder die Landesregierung, die die ganze Verzweigung der Verwaltungsbehörden innerhalb des Landes zu lenken und zu leiten hat? Nach der organisatorischen Seite werden Sie also niemals zu der Überzeugung kommen können, daß es besser ist, wenn diese Organisation in den Händen einer Bundeszentrale liegt, sondern Sie werden immer wieder zu dem Ergebnis kommen, je mehr dezentralisiert diese Organisation geregelt wird, desto besser ist es für einen raschen und reibungslosen Vollzug der Steuergesetzgebung. Ich komme nun zur ökonomischen Seite. Von Herrn Senator Dr. Dudek wurde auf ersten Anhieb nach der Frage, wie es dann mit den Landessteuern steht, [S. 161] gesagt: Ja, dann müssen sich die Länder eigene Finanzverwaltungen einrichten. Ich frage Sie: Können wir uns den Luxus einer Doppelverwaltung leisten? Können wir für die Bundessteuern und für die Landessteuern verschiedene Ämter haben? Ich verneine die Frage. Ich bin überzeugt, unter dem Druck unserer finanziellen Verhältnisse werden Sie diese Frage gleichfalls verneinen müssen. Nun frage ich aber weiter: Kann man die Regelung in der Weise vornehmen, daß der Bund die Steuern der Länder mitverwaltet oder daß die Länder die Steuern des Bundes mitverwalten? Auch nach dieser Richtung haben wir unsere Erfahrungen gemacht. Wir hatten den berühmten Paragraphen 19 der Abgabenordnung, in dem es hieß, daß die Reichsfinanzverwaltung auf Verlangen der Länder die Landessteuern mitzubesorgen hat. Wir haben in Bayern leider sehr trübe Erfahrungen gemacht. Die Landessteuern wurden schlecht und stiefmütterlich behandelt. Die Finanzämter sahen nach oben und dachten sich: Hier werde ich nicht so unter die Räder kommen, wenn ich zurückbleibe, als wenn ich mit den Reichssteuern zurückbleibe. Aber ich will sogar unterstellen – ich kann es nach den Erfahrungen nicht, aber ich bemühe mich, es zu unterstellen –, daß beide gleich behandelt werden. Dann bleibt immer noch ein wichtiger Punkt auf der ökonomischen Seite der Frage. Ich kann die Finanzverwaltung in einer ganz anderen Weise für die allgemeine Finanzverwaltung des Landes ausnützen, wenn ich sie als Landesverwaltung habe, als wenn die Finanzbehörden im Lande Bundesbehörden sind. Das hat einen sehr

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einfachen Grund. Wir haben doch eine ganze Reihe von Aufgaben, die sogenannten artfremden Geschäfte, früher durch die Finanzämter und Oberfinanzpräsidenten mitbesorgen lassen. Es wurde uns seinerzeit in Weimar zugesichert: Eure Geschäfte auf dem Gebiet der Liegenschaften, der sonstigen Vermögensverwaltung, des Kassenwesens, auf dem Gebiet der Beitreibung und auf X anderen Gebieten, nicht nur für das Land, sondern auch für Selbstverwaltungskörperschaften und sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts innerhalb des Landes, werden selbstverständlich von unseren Behörden weiter behandelt. Schon nach kurzer Zeit kamen die Anfragen der Reichsfinanzbehörden, aber nicht an unsere oberste Landesbehörde, sondern nach Berlin: Dürfen wir diese Geschäfte behandeln, ist es nicht zweckmäßiger, wir wälzen die Geschäfte ab? Es kam sogar so weit, daß ein Finanzamt, wenn es die Einhebung von Gemeindesteuern vertragsweise mitbesorgen wollte, in Berlin anfragen mußte. Ja, sind das Zustände? Das wird sich aber wiederholen. Wenn die Finanzverwaltung Landesverwaltung ist, wird man von dem Land aus ohne weiteres beurteilen können, welche weiteren Aufgaben die Verwaltung nach dem derzeitigen Stand übernehmen kann. Die Behörden werden die Interessen des Landes mitvertreten können, und es besteht auf der anderen Seite nicht die mindeste Gefahr, daß die Bundessteuern vernachlässigt werden. Nun klingt immer wieder der Gedanke durch: Wenn wir eine Landesverwaltung haben, könnte vielleicht der Bund zu kurz kommen. Auch hier gibt es zweifellos Abhilfemöglichkeiten. Die bayerische Staatsregierung ist jederzeit bereit, sich den Weisungen des Bundesfinanzministeriums zu unterwerfen und die Aufsicht, die Kontrolle der Verwaltung der Bundessteuern ohne weiteres anzuerkennen. Ich frage Sie: Wo liegen denn da noch Gefahren? Das Gefahrenmoment wird schon dadurch beseitigt, daß jedes Finanzamt das Interesse hat, das größtmögliche Maß an Aufkommen herauszuholen. Es liegt ja im Interesse des betreffenden Amtes selbst. Wir sind selber so klug, daß wir die Ämter hervorheben, die sich durch eine besonders tüchtige und gute Veranlagungsarbeit auszeichnen. Soll hier nun etwa der Schemen des Verdachts, daß der Bund zu kurz kommt, allein dafür ausschlaggebend sein, daß man alle anderen Vorteile, die ich Ihnen gerade dargelegt habe, über Bord wirft und sagt: Nein, wir wollen die Ausnahme von dem Grundsatz, daß die Bundesgesetze von den Ländern vollzogen werden, für das Gebiet der Steuern haben. Warum will man diese Ausnahme machen? Herr Senator Dudek hat vorhin dargelegt, daß die ganze Frage der Bundesverwaltung eine Bedeutung und einen Umfang angenommen habe, die zu ihrem inneren Wert in gar keinem Verhältnis mehr stünden. Als ich die Denkschrift der Finanzleitstelle gelesen habe, schoß mir der Gedanke durch den Kopf: „Ave, Caesar, morituri te salutant!“ Das war der Gedanke, unter dem ich den Ruf der Leitstelle nach der zentralen Finanzverwaltung betrachtet habe, und in diesem Sinne haben wir auch zu dieser Schrift Stellung genommen. Wenn nun Herr Finanzminister Schenck ausführt, daß Herr Minister Köhler jetzt seine Unterschrift unter die Erwiderung auf die Denkschrift zurückgezogen habe – mir ist es nicht bekannt, vielleicht ist es der Fall –, weil er hinsichtlich der Koordinierungsarbeit schwere Enttäuschungen erlebt habe – ich nehme an, daß es die Biersteuerfrage war –, so muß ich doch folgendes sagen. Die Biersteuerfrage in Ehren oder in Unehren! Hier haben Sie den typischen Beweis, daß es sich nicht etwa um eine Verwaltungssache handelt. Hier handelt es sich tatsäch-

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lich um eine Frage der Gesetzesauslegung, der Gesetzesdurchführung. Die Verwaltungsbehörden, die Oberfinanzpräsidenten und die Finanzämter haben damit gar nichts zu tun; sie vollziehen das, was ihnen vorgeschrieben wird. Der entscheidende Punkt war der, daß die Lücke, die durch die Unentschiedenheit der Senkung der Steuersätze eingetreten war, in irgendeiner Weise ausgeglichen werden mußte und daß sich dabei Differenzen ergeben haben. Für die Frage, ob bundeseigene oder landeseigene Finanzverwaltung, spielten diese Differenzen nicht die mindeste Rolle. Ich kann deshalb auch nicht verstehen, daß diese Erwägung für den Herrn Minister Köhler maßgebend gewesen ist, seine Unterschrift zurückzuziehen. Das hat wahrhaftig mit der Frage der Verwaltung nicht das mindeste zu tun. Ich möchte noch kurz zu der Frage Stellung nehmen, die mein Herr Vorredner aufgeworfen hat. Ich glaube, ich habe sie mit meinen Ausführungen schon behandelt. In der gegenwärtigen Zeit halte ich es nicht für zweckmäßig zu experimentieren. Unsere Verwaltungen werden in der allernächsten Zeit vor ganz ungeheure Aufgaben gestellt. Sie haben die Aufbringung der Mittel für den Lastenausgleich durchzuführen, sie haben dazu die gesamte Steuergesetzgebung, die reichlich kompliziert ist, auszuführen. Es geht nicht an, daß man hier eine Unordnung hineinbringt. In Bayern liegen die Verhältnisse außerordentlich einfach. Wir hatten vor der Erzbergerschen Finanzreform eine wohlgefügte Finanzverwaltung, bestehend aus Regierungsfinanzkammern und Rentämtern. Den Rentämtern hat man den Namen Finanzämter gegeben. Die Regierungsfinanzkammern haben wir zusammengelegt; aus ihnen wurden die Oberfinanzpräsidien gebildet. Dann ist die Sache etwas verschweißt worden und im allgemeinen sehr gut gelaufen. Ich habe das, was ich x-mal festgestellt habe, heute aus berufenem Munde bestätigt erhalten. Solange noch aus der früheren bayerischen Zeit die Ämter mit den Beamten besetzt waren, die in der bayerischen Finanzverwaltung gedient und sich eingelebt hatten, traten die Erscheinungen, von denen Herr Minister Strickrodt hinsichtlich der britischen Zone berichtet hat, nicht auf. Denn es war eine Tradition da, die die heutigen Staaten der britischen Zone auf diesem Gebiet noch nicht haben können, und die Nachteile der Zentralisierung konnten sich nicht so schnell bemerkbar machen. Aber ich habe dann miterlebt, wie im Dritten Reich die Länder systematisch ausgeschaltet wurden und wie man sich systematisch über alle Länderinteressen hinweggesetzt hat. Man hat den in die Abgabenordnung aufgenommenen bekannten Paragraphen 48047), wonach die artfremden Geschäfte, die die Finanzbehörden auf 47)

§ 480 der Reichsabgabenordnung vom 22. Mai 1931: „(1) Soweit die Finanzämter und Oberfinanzpräsidenten in dem Zeitpunkt, in dem der § 18 in Kraft tritt, für Körperschaften des öffentlichen Rechts Verwaltungsgeschäfte führen, die nicht unter die Vorschriften des § 18 fallen, führen die Finanzämter und Oberfinanzpräsidenten die Verwaltung fort. Von den im Satz 1 bezeichneten artfremden Geschäften sollen die Finanzämter und Oberfinanzpräsidenten möglichst bald entlastet werden; hierüber werden der Reichsminister der Finanzen und die beteiligten Landesregierungen die erforderlichen Vereinbarungen treffen. (2) Im übrigen werden die Finanzämter und Oberfinanzpräsidenten für Körperschaften des öffentlichen Rechts Verwaltungsgeschäfte, die nicht unter die Vorschriften des § 18 fallen, nur dann führen, wenn ihnen der Reichsminister der Finanzen auf Grund besonderer Vereinbarungen, die er mit der beteiligten Landesregierung getroffen hat, die Verwaltung überträgt.“ RGBl. Teil I, S. 161.

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Grund des seinerzeitigen Weimarer Abkommens48) und des Paragraphen 19 der Abgabenordnung49) wahrzunehmen hatten, allmählich abzubauen waren, in rücksichtsloser Weise durchgeführt und die Geschäfte der Landesfinanzverwaltung schlechthin liegen lassen. Da werden Sie wohl verstehen, daß die Gefahren der Zentralisation, die Gefahren einer bundeseigenen Finanzverwaltung von den Landesregierungen sehr ernst betrachtet werden. Deshalb habe ich den Auftrag, mich mit aller Entschiedenheit gegen die Einführung einer bundeseigenen Finanzverwaltung auszusprechen. Wir hatten vor der reichseigenen [S. 162] Steuerverwaltung mit den landeseigenen Finanzverwaltungsbehörden unsere Pflicht erfüllt. Wir haben in Bayern nach dem Zusammenbruch ohne weiteres und ohne jede Reibung die Reichsfinanzverwaltungsbehörden auf das Land übernommen. Sie arbeiten unter dem bayerischen Finanzministerium genau so gut, wie sie in ihrer besten Zeit als Reichsfinanzbehörden gearbeitet haben. Ich bin überzeugt, daß in dieser Pflichterfüllung keine Änderung eintreten wird und daß sie auch als Landesbehörden in der Lage sein werden, die schweren Anforderungen, die in den folgenden Jahren noch an sie herantreten werden, zu erfüllen.

[2.8. ANHÖRUNG DES SACHVERSTÄNDIGEN VOWINKEL]

Regierungsdirektor Vowinkel: Ich habe die Auffassung, die ich hier zum Vortrag bringe, mit dem Herrn Staatspräsidenten50) in Tübingen51) abgestimmt. Wir schließen uns der Auffassung der Gruppe an, die sich für die Finanzverwaltung der Länder eingesetzt hat. Ich darf es mir ersparen, auf die zahlreichen Argumente, die schon vorgebracht wurden, noch einmal einzugehen, und darf mir erlauben, diese Argumente in einigen Worten zu ergänzen. Die Einwendungen, die darin gipfeln, daß im Interesse der Einheit des Wirtschaftsgebiets, der Gleichmäßigkeit der Besteuerung usw. eine Bundesfinanzverwaltung zu fordern ist, sind nach unserem Dafürhalten um deswillen nicht stichhaltig, weil dieselben Gründe auch für die Einheitlichkeit jeder anderen Verwaltung sprechen 48)

Am 6. Juli 1919 lud Reichsfinanzminister Matthias Erzberger die Ministerpräsidenten der deutschen Länder ein, „persönlich zu einer Besprechung nach Weimar zu kommen“. Bei der Gelegenheit sollte „auch die Frage der materiellen Finanzgemeinschaft zwischen Reich, Ländern und Gemeinden einbezogen werden müssen“. Zur Besprechung des Reichsfinanzministers Erzberger mit Vertretern der Länder in Weimar, Fürstenhaus, am 13. Juli 1919 vgl. Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik, Das Kabinett Bauer 21. Juni 1919 bis 27. März 1920. Herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und Bundesarchiv, Bearbeiter: Anton Golecki, Boppard am Rhein 1980, Dok. Nr. 17, S. 71 f. und Dok. Nr. 24, S. 106–116. 49) § 19 der Reichsabgabenordnung vom 13. Dez. 1919 (RGBl. S. 1993) bez. § 18 in der Reichsabgabenordnung vom 22. Mai 1931 (RGBl. Teil I, S. 161) regelte ausführlich die Zuständigkeiten der Finanzämter und Landesfinanzämter. 50) Gebhard Müller (1900–1990), Jurist, 1947 Landesvorsitzenden der CDU WürttembergHohenzollern, 1948–1952 Staatspräsident von Württemberg-Hohenzollern, 1953–1958 Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, 1959–1971 Präsident des Bundesverfassungsgerichts. 51) Tübingen war 1947–1952 Landeshauptstadt von Württemberg-Hohenzollern.

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würden und in ihrer Bedeutung offenbar – es wurde vorhin schon das Beispiel der Justiz genannt – nicht zum Zuge kommen. Zweitens ist die Frage, ob Bundes- oder Landesfinanzverwaltung, auch sehr stark davon abhängig, in welchem Ausmaß man die Staatsaufgaben und damit die Mittelzuweisung den Ländern bzw. dem Bund überträgt. Wenn man davon ausgeht, wie wir das zunächst getan haben, daß immerhin die wesentlichsten und größten finanziellen Aufgaben nachher bei den Ländern verbleiben, wird man von dieser Seite her dazu kommen, daß es zweckmäßiger ist, die Länder auch mit der Verwaltung zu beauftragen. Ich darf drittens auf den Gesichtspunkt der Ökonomie der Verwaltung in dem einen oder anderen Fall hinweisen. Vorhin wurde die Frage gestellt, ob denn die Steuerverwaltung des Bundes nicht teurer wäre. Diese Frage wurde verneint. Ich möchte aber umgekehrt sagen, daß wir zum Beispiel gerade in unserem kleinen Land Württemberg-Hohenzollern – das ist zahlenmäßig exakt nachweisbar und zu belegen – heute eine mehr ökonomische Finanzverwaltung aufgezogen haben, als sie pro rata der früheren Reichsverwaltung wäre. Also die Ökonomie der Verwaltung in einem kleinen übersichtlichen Gebiet ist sicher eine größere als in einer Bundesverwaltung, in der die Dinge doch nicht so überblickt werden können. Selbstverständlich ist zuzugeben, daß in den letzten Monaten wie in jedem anderen Land die Steuerverwaltung durch die währungspolitischen Aufgaben und die Dinge, die jetzt noch zur Entscheidung heranstehen, zugenommen hat. Ein allerletzter Hinweis. Ich glaube, auch die Frage der dringend erforderlichen Einheitlichkeit der Entscheidungen in steuerpolitischen Fragen, etwa hinsichtlich der Stundung oder der Behandlung einheitlicher Steuergesetze, ist nicht so sehr eine Angelegenheit der Bundes- oder der Landesfinanzverwaltung, sondern scheint mir mehr eine Angelegenheit des jeweiligen Gebietes zu sein, wie vor allen Dingen die leidige – möchte ich schon sagen Biersteuerangelegenheit zwischen Württemberg und Bayern beweist. Ich glaube, daß gerade hier bei einer Bundessteuerverwaltung nicht die Gewähr gegeben ist, daß alle derartigen kleinen Dinge in Zukunft restlos unterbleiben. Eine solche Sicherheit kann in demselben Ausmaß auch bei einer Steuerverwaltung durch die Länder gegeben sein, wenn der Gesetzgeber – in diesem Falle der Bund – die entsprechende Ausführlichkeit bei der Erlassung der Gesetze und Durchführungsbestimmungen walten läßt52). Der Hauptausschuß vertagt sich auf Donnerstag, den 2. Dezember 1948, 10.30 Uhr. Schluß der Sitzung 18.13 Uhr.

52)

Im stenograph Wortprot., S. 59, folgt danach: „Vors. Dr. Schmid (SPD): Fragen werden offenbar nicht mehr gestellt. Ich glaube, daß sämtliche hier anwesende Herren Ländervertreter zu Wort gekommen sind. Es lohnt sich nicht, heute mit einem neuen Stoff zu beginnen. Die Eröffnung der Debatte unter den Mitgliedern des Hauptausschusses zu den heutigen Darlegungen scheint erst zweckmäßig zu sein, wenn Herr Dr. Höpker Aschoff als Berichterstatter des Finanzausschusses gesprochen hat.“

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Nr. 14 Vierzehnte Sitzung des Hauptausschusses 2. Dezember 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 163–176. PA 2004. Ungez. von Peschel gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 452 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: Binder, von Brentano, de Chapeaurouge, Kaufmann, Lehr, Lensing, von Mangoldt, Schlör SPD: Greve, Katz, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wolff FDP: Dehler, Höpker Aschoff DP: Seebohm KPD: – Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Fecht (CDU/CSU), Süsterhenn (CDU/CSU) Vertreter der Länder: Ministerialdirektor Ringelmann (Bayern) Stenographischer Dienst: Peschel Dauer: 10.49–13.14 Uhr

[1. EINRICHTUNG EINES UNTERAUSSCHUSSES FLAGGENFRAGE]

Vor Eintritt in die Tagesordnung beschließt der Ausschuß auf Vorschlag des Vorsitzenden, einen Unterausschuß für die Bereinigung der Flaggenfrage3) einzusetzen, bestehend aus den Abgeordneten Lensing, Dr. Reif und Dr. Bergsträsser.

[2. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT XI: DAS FINANZWESEN] [2.1. ART. 121: FINANZWIRTSCHAFT VON BUND UND LÄNDERN]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe auf Abschnitt XI Das Finanzwesen. Nach der Fassung des Finanzausschusses (PR. 10.48 – 203)4) lautet der Art. 121 Bund und Länder führen eine gesonderte Finanzwirtschaft.

1)

Protokollführer Röttgen. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Der Vorschlag zur Einrichtung eines Unterausschusses wurde bereit in der 4. Sitzung des HptA am 17. Nov. 1948 unterbreitet. Vgl. oben Dok. Nr. 4, TOP 4.3, S. 131. 4) Die Drucks. Nr. 203 enthielt die Ergebnisse der Beratungen der Fachausschüsse nach dem Stand vom 18. Okt. 1948; ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 1, S. 32–35. Vgl. die vom Ausschuß für Finanzfragen in der ersten Lesung angenommene Fassung vom 13. Okt. 1948 des Abschnitts XI: Das Finanzwesen ist auch als Drucks. Nr. 176 erschienen; vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 18, S. 483–498; ebenfalls abgedruckt in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 1, S. 32–35. 2)

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Hierzu hat der Herr Kollege Dr. Menzel den Antrag gestellt, Art. 121 zu streichen, hilfsweise ihm folgende Fassung zu geben: Bund und Länder führen eine voneinander getrennte Haushaltswirtschaft. Dr. Wolff (SPD): Ich schließe mich dem Antrag mit seinen zwei Möglichkeiten an. Der Begriff der gesonderten Finanzwirtschaft ist mißverständlich, weil der Begriff der Finanzwirtschaft sowohl die Einnahme- als auch die Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte enthält. Die nachfolgenden Bestimmungen der Vorlage des Finanzausschusses, die dem Art. 121 folgen, machen ersichtlich, daß von einer gesonderten Finanzwirtschaft im Hinblick auf die Einnahmeseite nicht gesprochen werden kann. Art. 121 kann also, wenn er mehr als lediglich eine Deklamation darstellen soll, nur im Zusammenhang mit den nachfolgenden Artikeln verstanden werden. Der Art. 121 hat aber darüber hinaus, wenn er in der bisherigen Form bestehen bleibt, den großen Nachteil, daß er unter Umständen bei Durchführung eines Bundesfinanzausgleichsgesetzes, das später im Wege der Gesetzgebung zu folgen hat, zu Schwierigkeiten in der verfassungsgerichtlichen Auslegung führen kann, da tatsächlich durch die Bestimmungen eines Finanzausgleichsgesetzes von einer gesonderten Finanzwirtschaft im Hinblick auf die Einnahmeseite nicht gesprochen werden kann. Sollte der Hauptausschuß beschließen, den Artikel aufrechtzuerhalten, muß er näher interpretiert werden. Dr. Menzel (SPD): Zur Begründung meines Antrages möchte ich auf folgendes hinweisen. Art. 121 wurde von uns zunächst dahin aufgefaßt, er sollte lediglich betonen, daß Länder und Bund voneinander getrennte Haushaltspläne aufzustellen hätten, um die Wiederkehr der Entwicklung nach 1933 zu vermeiden, wonach man auf dem Wege über einen gemeinsamen Haushaltsplan zwischen Reich und Ländern oder mehreren Ländern untereinander praktisch eine Art Einheitsstaat erreichen wollte. Die Debatten im Finanzausschuß5) haben aber ergeben, daß man diesen Artikel weitergehend interpretieren will und ihn als die Grundlage der Aufteilung der finanziellen Macht zwischen Bund und Ländern schlechthin ansehen will, daß er eine verfassungsmäßig geschützte Richtlinie auch für den Inhalt der künftigen Finanzausgleichs- und Steuergesetze sein soll. Bei der Unübersichtlichkeit der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern auf finanziellem Gebiet in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren, bei der Unübersichtlichkeit der Einnahmen, die diese oder jene Steuer bringen wird, werden wir wahrscheinlich gar nicht umhin können, ein alle Jahre neu zu fassendes Finanzausgleichsgesetz zu schaffen, während wir früher in den ruhigeren Zeiten die Finanzausgleichsgesetze im wesentlichen doch nur alle fünf oder zehn Jahre bekamen. Wenn wir nun den Grundsatz: „Bund und Länder führen eine gesonderte Finanzwirtschaft“ dahin interpretieren können, wie es im Finanzausschuß geschehen ist, daß er eine materielle Bindung an den Inhalt und eine materielle Weisung für das künftige Finanzausgleichsgesetz bedeutet, dann entsteht die große Gefahr, daß von Seiten eines oder mehrerer Länder jedes Jahr das neue Finanzausgleichsgesetz in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren zur Entscheidung gebracht wird, mit der zunächst vielleicht schlüssigen Begründung, daß neue Finanzaus5)

Vgl. dazu bes. die 13. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen am 6. Okt. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 14, S. 406–415.

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gleichsgesetz der These des Art. 121 widerspreche. Selbst wenn eine solche Klage erfolglos ist und der Petent abgewiesen wird, würde das zu dem Ergebnis führen, daß die Haushalte nicht nur des Bundes und der Länder, sondern auch der Gemeinden, die ihre Einnahmen wieder auf Grund eines Landesfinanzausgleichsgesetzes erhalten, das wiederum auf dem Bundesfinanzausgleichsgesetz beruhen wird, völlig in der Schwebe bleiben, so daß wir jeweils nur zu einer vorläufigen Haushaltsplanung kommen. Nun wissen wir gerade aus den Erfahrungen seit 1945, wie ungeheuer das politische und das Verwaltungsleben erschwert wird, wenn kein festes Fundament für die Haushalts- und Stellenpläne besteht. Bei der in Deutschland sehr positivistischen Einstellung unserer Richter – das ist lediglich eine Feststellung – fürchte ich, daß jedes Finanzausgleichsgesetz und damit die gesamte öffentliche Finanzgebarung dauernd in Rechtsstreitigkeiten verwickelt sind. Das möchte ich um einer ruhigen, geordneten Verwaltung Willen vermieden sehen. Ich glaube, man sollte sich darauf beschränken – zumal in den Art. 122 ff. auseinandergesetzt ist, wie die finanzielle Machtverteilung zwischen Bund und Ländern sein soll –, klar zum Ausdruck zu bringen, daß wir keine gemeinsamen Haushaltspläne von Bund und Ländern haben wollen, und so einen Satz, der nach meiner Ansicht überflüssig ist, streichen, um alle Unklarheiten zu vermeiden. Zur Klärung dessen, was in Wirklichkeit hier gemeint sein sollte, wäre ich aber hilfsweise damit einverstanden, daß wir uns darauf beschränken, lediglich zu erklären, daß die Haushaltspläne getrennt geführt und durchgeführt werden müssen. Dr. Binder (CDU): Herr Dr. Menzel hat mit Recht ausgeführt, dieser Art. 121 ist in erster Linie dem Gesichtspunkt entsprungen, klarzustellen, daß in Zukunft die Länder nicht mehr wie in den Jahren nach 1933 auf Dotationen6), auf Bedarfszuweisungen durch den Bund angewiesen sind. Er beinhaltet einen Rechtsanspruch der Länder auf Zuweisung eines bestimmten Anteils der gemeinsam aufzubringenden Steuern. Ich glaube, daß wir einer Streichung dieses Artikels nicht zustimmen können; denn dieser Rechtsanspruch muß klar und eindeutig in der Verfassung [S. 164] verankert werden. Zu klären wäre allerdings, inwieweit dieser Art. 121 einem Finanzminister mit schwachen Finanzen die Möglichkeit bietet, ein Finanzausgleichs- und Steueraufteilungsgesetz mit der Begründung anzufechten, daß die Fortführung seiner Finanzwirtschaft dadurch gefährdet werden würde. So weit dürfen wir allerdings nicht gehen, daß in Kleinigkeiten der Finanzausgleich angefochten wird. Im übrigen bin ich keineswegs der Meinung, daß eine derartige Regelung die Haushaltsgebarung der Länder und Gemeinden stören würde. Wir werden ohnedies bei der Aufstellung unserer Haushalte für das laufende Rechnungsjahr immer mit geschätzten Zahlen operieren müssen, weil wir die endgültigen Erträge aus den gemeinsamen Steuern im voraus nicht wissen. Wir werden die Spitzen dann bei der Aufstellung des nächstjährigen Etats zu berücksichtigen haben, weil wir sonst überhaupt nicht zu einem Abschluß kommen können. Wir müssen unbedingt von der jetzigen Lage, daß die Haushalte meist überhaupt erst ein halbes Jahr nach Abschluß der Rechnung aufgestellt und genehmigt werden, abkommen

6)

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Dotationen sind nicht zweckgebundene Zuwendungen des Bundes/Reiches an die Länder bzw. der Länder an die Gemeinden.

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und wieder zu der Praxis zurückkehren, daß der Haushalt vor Beginn des Rechnungsjahres rechtskräftig vorliegt. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich kann die Befürchtungen der Herren von der sozialdemokratischen Fraktion nicht teilen. Die Wissenschaft versteht unter „Finanzwirtschaft“ die Beschaffung der erforderlichen Einnahmen und ihre ordnungsmäßige und sorgfältige Verwendung zur Deckung der einem öffentlichen Verband obliegenden Aufgaben. In diesem Sinne führen innerhalb eines Bundesstaates sowohl der Gesamtstaat wie die Glieder eine gesonderte Finanzwirtschaft. Sogar die Gemeinden führen nach meinem Dafürhalten eine gesonderte Finanzwirtschaft. Es handelt sich bei einer solchen Finanzwirtschaft, wenn wir die Einnahmeseite ins Auge fassen, nicht nur um Steuern es handelt sich dabei auch um andere Einnahmen: Verwaltungseinnahmen, Erwerbseinkünfte. Ich glaube auch nicht, daß aus dieser Bestimmung, daß Bund und Länder eine gesonderte Finanzwirtschaft führen, irgendwelche Meinungsverschiedenheiten über die Abgrenzung der Finanzhoheit entstehen könnten, weil der Art. 121 auch bei der Auslegung durch Verfassungsgerichte doch nur im Zusammenhang mit den folgenden Artikeln gelesen werden kann und weil in den nachfolgenden Artikeln genau dargestellt ist, wie weit das Gesetzgebungsrecht des Bundes und der Länder gehen soll, wie der Finanzausgleich gestaltet, wie die Verwaltung sein soll. Ich kann mir also nicht denken, daß durch eine falsche Interpretation des Art. 121 irgendwelches Unheil angerichtet werden könnte. Ich habe den Eindruck, daß die Kollegen Dr. Menzel und Dr. Wolff dem Art. 121 eine viel zu große Bedeutung beimessen und daß sie in ihren Ausführungen eigentlich zu viel beweisen. Gesonderte Wirtschaft haben wir auch bei den Gemeinden, obwohl die Gemeinden auf dem Gebiet der Gesetzgebung in Steuersachen ganz gewiß keine Rechte haben. Dr. von Brentano (CDU): Ich glaube, man interpretiert mehr in den Artikel hinein als in ihm steht. Es ist darin lediglich das Recht auf eine eigene Wirtschaft zum Ausdruck gebracht, eine eigene Wirtschaft, die wir auch den Verwaltungseinheiten auf der unteren Stufe durchaus zubilligen, nämlich allen Körperschaften, die in der Selbstverwaltung leben. Die Neigung zu einem gewissen Rechtspositivismus möchte ich gar nicht bestreiten. Sie besteht in der deutschen Justiz und wird vielleicht auch weiterhin bestehen. Aber ich glaube, daß auch ein Rechtspositivist klarster Prägung aus Art. 121 nicht mehr herauslesen kann, als darin steht, gerade wenn man ihn mit den folgenden Artikeln vergleicht, die ja die Erläuterung dazu geben. Ich halte ihn für unerläßlich und würde gerade aus der Streichung eines solchen Artikels unheilvolle Konsequenzen befürchten, weil man dann auf Grund eines argumentum e contrario schließen könnte, daß man bei der Verfassungsberatung der Meinung gewesen ist, daß die Länder keine eigene Finanzwirtschaft führen sollen. Deswegen bin ich der Meinung, daß die Streichung des Artikels nicht in Frage kommt und auch nicht erforderlich ist. Dr. Menzel (SPD): Ich habe in diesen Artikel erst dann mehr hineininterpretiert, als uns dieses Interpretieren im Finanzausschuß von einer dritten Seite vorgetragen wurde. Auch Herr Kollege Binder erklärt heute7), daß dieser Artikel nicht nur die 7)

Vgl. die 18. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen am 1. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 20, S. 511.

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Forderung nach einer getrennten Finanzwirtschaft bedeuten solle, er viel mehr auch den Rechtsanspruch der Länder auf einen bestimmten Anteil an den Steuern beinhalte. Das Finanzausgleichsgesetz wird die Einkommen- und vor allem die Umsatzsteuer nach bestimmten Anteilen auf Bund und Länder aufteilen. Nun könnte erklärt werden, daß dieses Finanzausgleichsgesetz eben nicht den Rechtsanspruch auf diese bestimmten Anteile verwirklicht. Darum bin ich erst skeptisch geworden und so auf die Gefahren hingewiesen worden, die dieser Artikel mit sich bringt. Ich bin der Auffassung des Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff, daß man es hier nur auf eine getrennte Haushaltswirtschaft abstellen sollte. Darum habe ich hilfsweise den Antrag, der den Inhalt der Bestimmung klären soll, gestellt und ich weiß nicht, ob Herr Kollege Dr. Höpker Aschoff sich in der Lage sehen würde, diesem Hilfsantrag, der seinen Anregungen entspricht, zuzustimmen, daß wir lediglich sagen: „Bund und Länder führen eine voneinander getrennte Haushaltswirtschaft“. Man hat außerdem im Finanzausschuß den Standpunkt vertreten, bei der Abfassung der Steuergesetze würde Art. 121 in dieser Fassung eine Richtlinie dahingehend sein, daß, wenn man es zum Beispiel durch ein zu starkes Anziehen der Steuerschraube bei den für den Bund bestimmten Steuern unmöglich machen würde, daß die Länder auf den ihnen verbleibenden Steuergebieten die Steuerschraube anziehen weil das gesamte Steuerpotential eines Tages erschöpft sein könnte –, ein „Überdrehen“ der Steuerschraube für die dem Bund verbleibenden und vom Bund festzusetzenden Steuern unterbunden wird. Diese Gefahren möchte ich alle ausgeschaltet sehen und ich bitte, zumindest dem Hilfsantrag zuzustimmen. Schlör (CSU): Der Antrag von Herrn Dr. Menzel will von vornherein eine eigenverantwortliche Wirtschaftsführung der Länder ausschalten. Ich bin der Meinung, Art. 121 bedeutet, daß die Bestimmungen der Weimarer Verfassung, wonach die Länder mehr oder weniger bloß auf Dotationen durch den Bund angewiesen waren, ausgeschaltet werden. MinDir. Dr. Ringelmann: Ich glaube, die unterschiedlichen Meinungen wären vermieden worden, wenn diese Bestimmung nicht an der Spitze dieses Abschnitts stünde, sondern erst nach den Bestimmungen über das Gesetzgebungsrecht käme. Was will diese Bestimmung von der gesonderten Finanzwirtschaft sagen? Sie greift auf Verhältnisse in der Finanzwirtschaft zurück, die wir schon seit der Bismarckschen Verfassung8) beklagen. Wir hatten bei der Bismarckschen Verfassung das System der Matrikularbeiträge9) und der Überweisungen. Die Folge dieses Systems war, daß die Bundesstaaten immer erst nach Verabschiedung des Reichshaushalts 8)

Vgl. das „Gesetz betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs“ vom 16. April 1871; Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1871, S. 63–85. 9) In der Gesamtheit der zwischen den verschiedenen Gemeinwesen eines Finanzausgleichssystems stattfindenden Überweisungen werden freie, d.h. weder einnahmegebundene noch zweckgebundene Beiträge als Matrikularbeiträge bezeichnet, wenn sie von nachgeordneten an übergeordnete öffentliche Verbände, insbesondere von den Gliedstaaten an den Bund oder von Mitgliedstaaten an einen supranationalen Staatenbund gezahlt werden. Nach Art. 70 der Reichsverfassung von 1871 wurden zur Unterstützung des Reiches von den Bundesstaaten Matrikularbeiträge eingefordert. Mit Einführung der Reichssteuern 1919 erübrigten sich die Matrikularbeiträge. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 7, S. 162, Anm. 79.

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in Erfahrung bringen konnten, mit welchen Matrikularbeiträgen und mit welchen Überweisungen sie zu rechnen hatten. Wir haben auch unter der Weimarer Verfassung diese Verhältnisse gehabt, die eine Abhängigkeit des Haushalts der Länder vom Haushalt des Reiches bewirkten. Ich brauche bloß an die Plafondgesetzgebung zu erinnern, die bis zu einem gewissen Betrag Aufkommen an Steuern von der Verteilung ausschloß und dem Reich zuwies. Wir hatten schließlich in der Folgezeit das Dotationssystem, das dazu führte, daß von Jahr zu Jahr ein Finanzausgleich vorgenommen werden mußte und erst, wenn diese Finanzausgleichsgesetzgebung, die niemals eine endgültige, sondern immer nur eine vorläufige war, abgeschlossen war, die Länder wußten, mit welchen Beträgen sie in ihrem Haushalt rechnen konnten. Die Folge war, daß man in den Ländern niemals in der Lage war, den Haushalt rechtzeitig, das heißt vor Beginn des Rechnungsjahres, zu verabschieden. [S. 165] Wir haben leider auch im Verhältnis zwischen Ländern und Gemeinden diese trübe Erfahrung gemacht. Auch hier haben wir seit Jahren in fast allen Ländern vorläufige Finanzausgleiche, die oft erst gegen Ende des Rechnungsjahres zustande kommen und es den Gemeinden unmöglich machen, ihren Haushalt vor Ende des Rechnungsjahres abzuschließen. Das ist der grundsätzliche Fehler unserer Finanzverfassungen gewesen. Dieser grundsätzliche Fehler wirkt sich dahin aus, daß infolge des Mangels einer reinlichen Steuerverteilung ein Abhängigkeitsverhältnis der Finanzen der Länder bzw. der Gemeinden von den Finanzen des Reiches bzw. der Länder besteht, das dazu führt, daß die Haushalte nicht mit der erforderlichen Sorgfalt aufgestellt werden können, daß dringende Bedürfnisse einerseits zurückgestellt werden müssen, andererseits mit Unsicherheitsfaktoren bei der Verabschiedung der Haushaltsgesetze gerechnet werden muß. Nach meiner Anschauung soll der Zweck der Bestimmung der sein, an die Spitze der Verteilung des Steueraufkommens den Grundsatz zu stellen, daß diese Verteilung und die Regelung so erfolgen muß, daß tatsächlich eine gesonderte, unabhängige Finanzwirtschaft des Bundes und der Länder besteht. Man kann sich nicht darauf beschränken, lediglich den Grundsatz einer voneinander getrennten Haushaltswirtschaft auszusprechen, sondern die Gesetzgebung soll auch für die Folgezeit von dem Grundsatz beherrscht sein, daß nicht beiderseitige Abhängigkeiten Platz greifen, die es mindestens einem Teil, mitunter auch beiden Teilen unmöglich machen, eine gesunde, ordentliche Finanzwirtschaft zu führen. Das soll ein Programmsatz für die Gestaltung der Grundsätze sein, die im Anschluß an diese Bestimmung im Art. 122b entwickelt werden. So habe ich die Bestimmung aufgefaßt, und so wurde sie meines Wissens auch bei den Beratungen in Herrenchiemsee10) aufgefaßt. Also Grundgedanke: Unabhängigkeit der beiderseitigen Finanzwirtschaft, Vermeidung der Herstellung von Abhängigkeitsverhältnissen, die mindestens einem Teil eine geordnete Finanzwirtschaft erschweren. Das ist der Sinn dieser Bestimmung. Nicht aber ist etwa der Sinn dieser Bestimmung, daß hier den Ländern verfassungsrechtliche Ansprüche auf die Zuteilung bestimmter Beträge gegeben werden. Das würde dem Übel nicht abhelfen. Es muß eben von vornherein zwischen den 10)

Zum Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14.

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Einkünften des Bundes und den Einkünften der Länder eine so klare Scheidung getroffen werden, daß jeder Teil seine Haushaltsgebarung danach bemessen kann. Dr. Wolff (SPD): Die Ausführungen des Herrn Ministerialdirektors Ringelmann und des Kollegen Schlör haben mich in der Meinung bestärkt, daß der letzte Sinn dieses Art. 121 darin besteht, nach Möglichkeit von einem Finanzausgleich überhaupt abzukommen. Das ist ein Fernziel. Es wird als das Ideal angesehen, eine gesonderte Finanzwirtschaft in dem Art Sinne – auch als Vorbereitung für die künftige Praxis – zu führen, daß jeder einzelnen Körperschaft, sowohl dem Bund wie den Ländern, die entsprechenden eigenen Steuerquellen zur Verfügung stehen und deshalb auf einen zentralen Ausgleich überhaupt verzichtet werden kann. Diese Möglichkeit ist bei uns in Deutschland nicht nur jetzt, sondern auf lange Zeit hinaus sicher nicht gegeben, da die verfügbare Einnahmedecke für die Deckung aller Ausgaben zu klein ist. Das Beispiel aus der Bismarckschen Zeit mit den Matrikularbeiträgen, das Herr Dr. Ringelmann hinsichtlich der Schwierigkeiten einer Finanzwirtschaft, die auf Überweisungen beruht, angeführt hat, kann wohl nicht gewählt werden. Es ist auch bei den Regelungen, die vom Finanzausschuß getroffen worden sind, nicht vorgesehen, das Dotationsprinzip einzuführen. Das hat während der Weimarer Verfassung doch kaum eine Rolle gespielt, sondern erst im Dritten Reich. Es soll vielmehr neben den eigenen Steuerquellen der Länder in beschränkter Form und nach sicheren Prozentsätzen, die das Bundesfinanzausgleichsgesetz festlegt, ein Überweisungssystem durchgeführt werden, das durchaus etwas anderes ist als ein Dotationssystem und das die von Herrn Dr. Ringelmann kritisierte Unsicherheit der Haushaltsgebarung der Länder zu einem ganz erheblichen Teil hintanstellt. Ich bin daher der Überzeugung, daß in diesen Artikeln entgegen allen andersartigen Auffassungen mehr hineingelegt wird, als er seinem Wortlaut nach bedeuten kann. Wenn man sich nicht für die Streichung des Artikels entscheidet, wenn man nicht mit dem Wort „gesonderte Haushaltswirtschaft“ einverstanden ist, was nach meiner Überzeugung alle begründeten Ansprüche decken würde, dann würde ich den Antrag stellen, daß der Artikel formuliert wird: Bund und Länder führen eine gesonderte Finanzwirtschaft nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen. Dann dürfte alles klar sein. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Die Interpretation, die der Vertreter der bayerischen Staatsregierung dem Art. 121 gibt, kann gar nicht scharf genug zurückgewiesen werden. Davon ist gar nicht die Rede, daß Art. 121 die völlige Unabhängigkeit der Länder auf dem Gebiet der Finanzen gewährleistet; die Länder bleiben vielmehr abhängig. Die Interpretation ist auch völlig falsch. Da wir die Gesetzgebung mit klaren Worten dem Bund beigelegt und weiter bestimmt haben, daß die Bundessteuern nach Maßgabe eines Finanzausgleichsgesetzes zwischen dem Bund und den Ländern verteilt werden sollen, bleibt natürlich eine Abhängigkeit der Länder von dieser Gesetzgebung. Das Gesetz entscheidet darüber, was der Bund und was die Länder bekommen; insofern bleibt eine Abhängigkeit bestehen. Diese Abhängigkeit muß einfach in Kauf genommen werden. Sie muß auch in einem Einheitsstaat in Kauf genommen werden, wo doch die Gemeinden auch auf Zuwendungen angewiesen sind, die sie vom Staat bekommen. Das läßt sich einfach nicht vermei-

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den. Auch der Gemeindekämmerer hat, wenn er seinen Haushalt aufstellt, mit Zuweisungen zu rechnen, Dotationen für das Schulwesen oder die Polizei, die er von seinem Lande bekommt. Er weiß bei der Aufstellung des Etats auch nicht auf Heller und Pfennig, wieviel das sein wird. Das richtet sich nach den Zuweisungen des vorherigen Etats, und er wird auch über die Änderungen unterrichtet, die geplant sind. Die Abhängigkeit der Länder vom Bund bleibt also bestehen, und die Abhängigkeit der Gemeinden vom Land bleibt bestehen. So wie der Vertreter der bayerischen Staatsregierung es will, kann man den Art. 121 nicht interpretieren. Diese Interpretation ist grundfalsch, und eine grundfalsche Interpretation gibt uns keinen Anlaß, den Art. 121 zu streichen. Wenn er richtig ausgelegt und im Zusammenhang mit den nachfolgenden Artikeln gelesen wird, kann das zu gar keinen Meinungsverschiedenheiten führen. Der Zusatz, den die Herren Sozialdemokraten beantragen: „nach Maßgabe der folgenden Artikel“, ist doch eine Selbstverständlichkeit. Die Artikel sind ja der Reihenfolge nach aufgegliedert. Der Vertreter der bayerischen Regierung hat seiner Regierung mit seinen Ausführungen einen Bärendienst erwiesen; denn sie sind falsch. MinDir. Dr. Ringelmann: Ich glaube von Herrn Minister Dr. Höpker Aschoff falsch verstanden worden zu sein. Ich wende mich nicht dagegen, daß ein Gesetz Überweisungen vorsieht, auch nicht dagegen, daß eine Aufteilung von Steuerquellen vorgenommen wird. Ich wende mich nur dagegen, daß eine Abhängigkeit eintritt, die das Schwergewicht in die Hände des Bundes legt und dem Bund gewissermaßen die Möglichkeit gibt, daß er die Länder in irgendeiner Weise darüber, was ihnen zusteht, in Unsicherheit läßt. Es ist selbstverständlich, daß ein Bundesfinanzausgleichsgesetz noch vorgesehen werden wird. Das ergibt sich aus den nachfolgenden Bestimmungen. Es fällt mir nicht im Traum ein, die Notwendigkeit eines solchen Finanzausgleichs, eines solchen Belastungsausgleichs zu bestreiten. Der Zweck meiner Auslegung geht lediglich dahin, daß in der Verfassung der Grundsatz einer reinlichen Teilung der einzelnen [S. 166] Einkünfte für alle Zukunft aufgestellt werden soll, nach dem sich die künftige Steuergesetzgebung zu richten haben wird, damit nicht Jahr für Jahr eine Aufteilung vorgenommen werden muß. Deshalb habe ich mich dafür ausgesprochen, daß man die Bestimmung nicht etwa vor die Vorschriften über das Gesetzgebungsrecht legt, sondern nach diesen Bestimmungen einsetzt. Wenn beantragt worden ist, hinzuzufügen: „nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen“, so betrachte ich das als eine Selbstverständlichkeit. Es ist ganz klar, daß der Artikel nur die Spitze der Vorschriften sein soll, die sich mit der Verteilung des Steueraufkommens befassen und die Möglichkeit des Bundesfinanzausgleichs vorsehen. Es liegt mir absolut fern, dem Bund die Möglichkeit zu verbauen, im Finanzausgleichsgesetz nähere Regelungen dieser Art zu treffen. Aber die Regelungen müssen unter der Zielsetzung der Ermöglichung einer gesonderten Finanzwirtschaft zwischen Bund und Ländern getroffen werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte mir die Anregung erlauben, ob es sich nicht gerade nach diesen Ausführungen empfiehlt, den Artikel systematisch umzustellen und ihn hinter Art. 122b einzureihen, also hinter das materielle Finanzrecht. Damit erschiene diese Bestimmung lediglich als eine weitere Ordnungsbestimmung für das Verhältnis zwischen Bund und Ländern. Vorn hingestellt sieht es so aus, als schränke die Bestimmung das ein, was nachher kommt.

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Dr. Menzel (SPD): Dann müßte es ungefähr so gefaßt werden: Nach Maßgabe dieser Artikel führen Bund und Länder eine gesonderte Finanzwirtschaft. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich halte das an sich nicht für notwendig. Es ist doch ganz klar, daß jede Bestimmung in einem Abschnitt im System des Abschnitts steht und vom System aus interpretiert werden muß. Dr. Menzel (SPD): Dann ist es besser, wir lassen es vorn mit der Einschränkung: „gemäß den Artikeln 122 bis 122b“. Das ist inhaltlich klar. Vors. Dr. Schmid (SPD): Am weitesten geht der Antrag, den Art. 121 zu streichen. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 12 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Jetzt ist über den Abänderungsantrag abzustimmen: „Bund und Länder führen eine voneinander getrennte Haushaltswirtschaft.“ – Der Antrag ist mit 12 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Dr. Binder (CDU): Wenn wir den Artikel umstellen, müssen wir ihn meines Erachtens zwischen Art. 123 und 124 vor dem eigentlichen Haushaltsrecht einfügen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wird beantragt, den Art. 121 hinter Art. 123 zu stellen. Das würde dann Art. 123a werden. Ich würde es für richtig halten, ihn hinter Art. 122b zu stellen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Mit Art. 124 beginnt gewissermaßen der zweite Teil des ganzen Abschnitts, das Budgetrecht. Der Artikel würde am besten zwischen Art. 123 und 124 stehen. Dr. Menzel (SPD): Der Artikel muß vor Art. 123. Ich wende mich dagegen, ihn hinter Art. 123 zu stellen. Dr. Binder (CDU): Ich stelle den Antrag, ihn hinter Art. 123 zu setzen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, wir könnten uns doch einigen, ihn hinter Art. 122b zu stellen. Ich lasse hierüber abstimmen. – Der Antrag ist mit 12 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Dr. von Brentano (CDU): Dann stelle ich den Antrag, ihn hinter Art. 123 zu stellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag von Dr. von Brentano abstimmen. – Der Antrag ist mit 14 gegen 3 Stimmen angenommen. Jetzt kommt der Zusatzantrag Dr. Wolff, einzufügen: „nach Maßgabe der vorstehenden Bestimmungen“. Ich lasse abstimmen. – Der Antrag ist abgelehnt. Dann lasse ich über die Fassung des Finanzausschusses abstimmen: „Bund und Länder führen eine gesonderte Finanzwirtschaft.“ – Die Fassung ist mit 12 gegen 6 Stimmen angenommen. Dieser Artikel ist hinter Art. 123 der Vorlage einzufügen.

[2.2. ART. 122: DECKUNG DER AUSGABEN DES BUNDES]

Art. 122 Zur Deckung der Ausgaben des Bundes, insbesondere 1. der Kosten der Bundesverwaltung, 2. der Aufwendungen des Bundes für Besatzungskosten und sonstige äußere und innere Kriegsfolgelasten,

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3. der Zuschüsse des Bundes zu den Lasten der Sozialversicherung mit Einschluß der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge, dienen folgende Einnahmen: 1. die Ablieferungen der Bundesbahn und Bundespost, die Überschüsse der dem Bund gehörigen Unternehmungen, die Erträge der Beteiligungen des Bundes und der Anteil am Gewinn der Bundesnotenbank, 2. die Verwaltungseinnahmen des Bundes, 3. das Aufkommen der Zölle und der durch Bundesgesetz geregelten Steuern (Bundessteuern), soweit es nicht den Ländern und Gemeinden zufällt, und die Erträge der Finanzmonopole. Dr. Binder (CDU): Der Redaktionsausschuß (PR. 12.48 – 324)11) hat hier einige Abänderungsvorschläge eingereicht und vorgeschlagen, die Aufzählung im ersten Teil des Artikels zu streichen. Der Finanzausschuß ist seinerzeit in Anlehnung, glaube ich, an die Herrenchiemseer Beschlüsse12) zu einer anderen Auffassung gekommen und wollte vor allen Dingen klargestellt haben, daß, gleichgültig ob die Besatzungsmächte die Besatzungskosten von den Ländern oder vom Bund erheben, die Länder die Möglichkeit haben sich für ihre Zahlungen an die Besatzungsmächte beim Bund zu erholen, damit der gesamte Schutt dieser Besatzungskosten an einer Stelle im Reich zusammengeführt wird und man auf diese Weise die Höhe der Belastung eindeutig klarstellt. Außerdem werden die Länder ohne Zuweisung von Steuermitteln gar nicht in der Lage sein, diese Kosten zu bestreiten. Wir dürfen, wenn wir schon einen Teil unserer staatlichen Organisation mit einer Überlastung an Besatzungskosten gefährden, nicht die Gesamtheit unserer staatlichen Organisation gefährden, sondern allenfalls den Bund, so daß die Länder finanziell lebensfähig bleiben. Wir haben uns bei unserer Finanzpolitik bisher auf den Standpunkt gestellt, daß in erster Linie die Gemeinden und Gemeindeverbände funktionsfähig sein müssen, auch wenn die Staaten finanziell überlastet sind. Dasselbe Prinzip, das wir bisher bei der Länderfinanzgebarung angewendet haben, müssen wir jetzt im Verhältnis zwischen den Ländern und dem Bund anwenden und dafür sorgen, daß die Länder in jedem Fall die Entlastung, die sie brauchen, auf Kosten des Bundes erhalten. Dr. Dehler (FDP): Nach den Erwägungen des Redaktionsausschusses ist es ungewöhnlich, in einer Verfassung festzulegen, wozu Einnahmen zu verwenden sind. Überdies sind die Ausgaben, die hier als Besatzungskosten und sonstige Kriegsfolgelasten vorgesehen sind, temporäre Ausgaben. Die Frage, wer sie zu tragen hat, ist in den Übergangsbestimmungen zu regeln, aber nicht an dieser Stelle, an der die Einnahmen verteilt werden. [S. 167] Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe Art. 122 so verstanden, als ob durch die Fassung zum Ausdruck gebracht werden soll, daß bestimmte Ausgaben zur Bundeskompetenz gehören. Deswegen enthält diese Bestimmung nicht nur eine deklaratorische 11)

Die Drucks. Nr. 324 ist ediert im Zusammenhang mit den übrigen Stellungnahmen des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 10. Nov. bis 5. Dez. 1948 in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 73–77. 12) Für den Wortlaut des Berichts über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 504–630; hier zu den Finanzfragen bes. S. 533–536, 566–572, 586 f., 607–610.

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Aufzählung, sondern sie ist eine konstitutive Festsetzung. Sie sagt nämlich, daß Besatzungskosten und Kriegsfolgelasten zur Zuständigkeit des Bundes gehören, ferner daß die Sozialversicherung, Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge, soweit es sich um Zuschüsse dazu handelt Sache des Bundes sind und nicht Sache der Länder. Das scheint mir der Sinn der Fassung zu sein. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich gebe zu, daß es ungewöhnlich ist, etwas Derartiges in eine Verfassung hineinzuschreiben. Wir sind hier einem Wunsch der Länder gefolgt. Im Herrenchiemseer Entwurf sind diese Bestimmungen enthalten. Außerdem haben diese Bestimmungen eine materielle Bedeutung. Sie bringen ein Stück Lastenausgleich zum Ausdruck. Sie sollen eben ausdrücken, daß diese wesentlichen Ausgaben vom Bund getragen werden sollen, und bieten insofern auch die Begründung dafür, daß wir im Finanzausgleich dem Bund erhebliche Steuereinnahmen zuweisen. Ich möchte nur noch eines richtigstellen, damit kein Irrtum entsteht. Wir haben in Ziffer 2 ausdrücklich gesagt: „der Aufwendungen des Bundes für Besatzungskosten“ und haben diesen Ausdruck gewählt, weil wir der Meinung sind, daß durch ein späteres Gesetz bestimmt werden muß, welchen Teil der Besatzungskosten der Bund zu tragen hat. Es wurde von vielen Seiten geäußert, daß es unter Umständen wünschenswert sein könne, die Länder im Interesse einer sparsamen Bewirtschaftung mit einer sogenannten Interessenquote zu beteiligen. Es ist also hiermit nicht gewährleistet, daß der Bund alle Besatzungskosten trägt, sondern der Gedanke ist, er soll einen erheblichen Teil tragen, und das Nähere soll durch späteres Gesetz bestimmt werden. Dr. Menzel (SPD): Ich schließe mich den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff an; wir müssen die Frage der Lastenverteilung jetzt klarstellen. Ich würde es aber auch für richtig halten, Ziffer 1 zu streichen; denn daß die Kosten der Bundesverwaltung vom Bund zu tragen sind, ist selbstverständlich. Es wäre eine bessere Formulierung, wenn man das streichen würde. Dr. Binder (CDU): Ich glaube, daß es bei einer Aufzählung kein Schade ist, wenn die Kosten der Bundesverwaltung, die eine Selbstverständlichkeit darstellen, mit aufgezählt werden. Wichtig ist durch das Wort „insbesondere“ zum Ausdruck zu bringen, daß auch noch weitere Kosten, die hier nicht besonders erwähnt worden sind, vom Bund zu bestreiten sind. Ich denke vor allen Dingen daran, daß der Bund möglicherweise in größerem Umfang auch Ausgaben für produktive Zwecke oder für den sozialen Wohnungsbau zu machen hat. Wir können in Zukunft auf eine konjunkturpolitische Gestaltung unserer Steuern nicht verzichten und müssen infolgedessen unter Umständen in guten Jahren auch gewisse Steuerüberschüsse beim Bund ansammeln, die zu einer Erleichterung der Finanzlage in Depressionsjahren verwendet werden können. Vors. Dr. Schmid (SPD): Also keine Frankensteinsche Klausel13) mehr! 13)

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N ach seinem „Schöpfer“, dem Zentrumspolitiker Georg Arbogast Freiherr von und zu Franckenstein (1825–1890) benannte Klausel in § 7 des Zollgesetzes vom 9. Juli 1879, derzufolge alle Erträge von Zöllen und indirekten Steuern, die den Betrag von 130 Millionen Mark überstiegen, vom Reich den einzelnen Bundesstaaten überwiesen und von diesen nötigenfalls als Matrikularbeiträge zückgefordert werden mußten. Das Reich blieb dadurch von den Einzelstaaten abhängig. Die Klausel blieb bis 1904 für die Zölle, bis 1906 für die Stempelsteuer und bis 1919 für die Branntweinsteuer in Kraft.

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Dr. Binder (CDU): Richtig, das wollte ich klargestellt haben, damit nicht beim späteren Finanzausgleich die Länder die Forderung stellen, daß sämtliche Überschüsse des Bundes abgeliefert werden; denn das würde praktisch das Instrument einer vernünftigen Finanzpolitik des Finanzministers des Bundes als Pendant zur Wirtschaftspolitik lahmlegen. Schlör (CSU): Ich halte es für unbedingt erforderlich, die Besatzungskosten in die Übergangsbestimmungen zu bringen. Es handelt sich bei den Besatzungskosten um außerordentliche Ausgaben. Selbst wenn die Besatzungskosten vom Bund getragen werden oder eine sonstige Regelung erfolgt, kann man bei der Aufteilung in der Verfassung nicht dem Bund für die Besatzungskosten, die nicht als dauernde Belastung anzusehen sind, die Steuern endgültig zuweisen. MinDir. Dr. Ringelmann: Ich möchte dringend bitten, die Entscheidung über die Frage der Besatzungskosten noch zurückzustellen. Wir sollen schon in den allernächsten Tagen bezüglich des Besatzungsstatuts14) Mitteilung erhalten. Das Besatzungsstatut wird hinsichtlich der Leistungen gewisse Klärungen bringen. Wenn Herr Minister Höpker Aschoff ausgeführt hat, daß der Begriff „Aufwendungen für Besatzungskosten“ usw. nicht als feststehender Begriff angesehen werden könne, sondern daß noch geprüft werden müsse, was darunter falle, so kann ich um so weniger zustimmen, daß eine Bestimmung getroffen wird, die die Steuern so verteilt, als wenn die gesamte derzeitige Besatzungskostenlast vom Bund übernommen wird. Es geht nicht an, daß ich nachher aussondere, welche Lasten der Bund zu tragen hat und welche bei den Ländern bleiben aber die zur Bestreitung der derzeitigen Besatzungskosten erforderlichen Beträge im gesamten Umfange dem Bund zuweise. Denn dann würde der Bund zu Lasten der Länder über Mittel verfügen, die er nicht für seine Zwecke braucht. Es ist vorher eine unbedingte Klarstellung erforderlich, wie es sich mit dem Ausmaß der Besatzungskosten verhält, die der Bund tragen soll, und welche Bestimmungen das Besatzungsstatut hierüber bringt. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Es bleibt natürlich eine Ungewißheit darüber, was der Bund einmal zu tragen haben wird. Aber mit Rücksicht darauf haben wir bei dem Einnahmefinanzausgleich einen Puffer eingeschaltet. Wir sagen doch ausdrücklich, daß Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer gemeinsame Einnahmen des Bundes und der Länder sind und daß demgemäß durch das jeweilige Finanzausgleichsgesetz festgestellt werden muß, welchen Anteil an der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und der Umsatzsteuer der Bund einerseits und die Länder andererseits erhalten. Übernimmt der Bund alle Besatzungskosten, so muß er höhere Anteile an der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und der Umsatzsteuer haben. Übernimmt er nur 75%, braucht er geringere Anteile. Das steht also alles in Verbindung, und es ist nicht so, als ob wir endgültig beim Finanzausgleich schon bestimmt hätten, der Bund bekommt das alles und es nun offenließen, um den Bund von Ausgaben zu entlasten. Dr. Binder (CDU): Die Frage der Abgrenzung der Besatzungskosten zwischen Bund und Ländern hat einen doppelten Aspekt, nämlich einen rein politischen und zum 14)

Zum Besatzungsstatut vom 10. April 1949 vgl. oben Dok. Nr. 2, Anm. 15. Vgl. zuletzt Dok. Nr. 10, S. 296.

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anderen einen rein finanziellen, nämlich die Länderfinanzen von einer variablen Größe freizuhalten. Die Länderfinanzen werden ja in der Hauptsache dadurch bestimmt, daß die Länder die ziemlich konstanten Verwaltungskosten zu tragen haben, während beim Bund die variablen Ausgaben anfallen, einmal die Spitze der Besatzungskosten und vor allen Dingen die Zuschüsse für die Sozialversicherung und Arbeitslosenfürsorge. Es ist völlig falsch, anzunehmen, daß, wenn eine Erleichterung der Besatzungskosten eintritt, die Länder davon profitieren können. Bei der außerordentlich starken Überlastung des deutschen Steuerzahlers wird eine Senkung der Besatzungskosten sich dahin auswirken müssen, daß wir erst einmal eine Steuerreform zur Entlastung der Steuerzahler vornehmen, vor allen Dingen im Interesse einer stärkeren Kapitalbildung. Ich sehe also gar kein Interesse der Länder, hier den Anspruch zu erheben, daß eventuell ein größerer Teil der Besatzungskosten ihnen aufgebürdet wird, weil eine Senkung dieses Postens im Länderetat zwangsläufig eine Kürzung der Zuweisungen aus den gemeinsamen Bundessteuern nach sich ziehen muß, damit wir endlich einmal die schon längst überfällige Steuersenkung [S. 168] vornehmen können. Ich glaube infolgedessen, daß wir bei der jetzigen Fassung des Art. 22 erster Teil bleiben sollten. Zu dem zweiten Teil betreffend die Einnahmen ist vom Redaktionsausschuß vorgeschlagen worden, eine andere Gliederung vorzunehmen, ohne daß ein besonderer Gegenvorschlag gemacht worden ist. Ich möchte Herrn Dr. Höpker Aschoff bitten, zu begründen, daß die Aufzählung, wie wir sie hier haben, geradezu eine klassische ist und infolgedessen nicht geändert werden sollte. Dr. Dehler (FDP): Die Stellungnahme des Redaktionsausschusses liegt schriftlich vor. Wir wollten eine klarere Aufteilung der Einnahmen nicht nur in Abänderung des Art. 122, sondern auch des Art. 122a haben, eine klare Scheidung der Steuern, die ausschließlich dem Bunde zustehen, der gemeinsamen Einnahmen des Bundes und der Länder, der Steuern, die ausschließlich den Ländern zustehen, und dann der Steuern, bei welchen durch das Finanzausgleichsgesetz oder durch die spätere Bundesgesetzgebung zu bestimmen ist, ob sie dem Bund oder den Ländern oder beiden zufließen. Das ist lediglich eine Anregung. Die Sache ist deswegen schwierig, weil sie von der Entscheidung abhängig ist, wie sich die Finanzverwaltung gestaltet. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wird ein Antrag gestellt oder nicht? (Dr. Dehler [FDP]: Nein.) Dr. Höpker Aschoff (FDP): Wir haben die Dreigliederung gemacht, die die Finanzwissenschaft macht. Es gibt drei ordentliche Einnahmen des Staates, die Erwerbseinkünfte, die Verwaltungseinnahmen und die Steuern. Dazu kommen noch alle außerordentlichen Einnahmen und die Anleihen. Dieser wissenschaftlichen Einteilung entspricht die Gliederung. Ich glaube, sie ist klar und gut. Dr. Binder (CDU): Die Monopole könnten vielleicht in Ziffer 1. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Nein, die Monopole gehören nicht unter Ziffer 1. Wir müssen unterscheiden. Monopole können unter Umständen Erwerbsunternehmungen sein wie die Eisenbahn und meinetwegen das Schleppmonopol. Dann würden sie unter Ziffer 1 gehören. Bei Finanzmonopolen handelt es sich nicht um Erwerbsunternehmungen, sondern im Grunde genommen um eine andere Form der Erhebung von Steuern.

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Dr. Menzel (SPD): Wir haben im ersten Teil des Artikels keine erschöpfende Aufzählung der Ausgaben – das beweist das Wort „insbesondere“ –, während wir im zweiten Teil nach der jetzigen Fassung eine erschöpfende Aufzählung der Einnahmen haben. Das halte ich für bedenklich; denn wir haben wahrscheinlich auch aus Vermögensanlagen des Bundes Einnahmen zu erwarten. Ich erinnere daran, daß vorgesehen ist, daß das frühere Reichsvermögen in das Eigentum des Bundes übergeht. Wir haben ferner nicht aufgezählt, daß der Bund auch durch etwaige Vermögensabgaben – sei es einmaliger, sei es laufender Art – seine Einnahmen beziehen kann. Wir stellen diese erschöpfende Aufstellung der Einnahmen hier unter verfassungsändernden Schutz. Das ist eine große Gefahr. Wir würden bei der Einnahmegestaltung nicht elastisch bleiben. Ich beantrage daher, hinter das Wort „dienen“ das Wort „insbesondere“ einzuschalten, weil damit auch ein Zusammenspiel mit dem ersten Teil gegeben ist. Dr. Binder (CDU): Herr Dr. Menzel hat übersehen, daß durch die erschöpfende Aufzählung auch die beiden Punkte, die er erwähnt hat, mit gedeckt sind. Einmal steht drin: „der dem Bund gehörigen Unternehmungen“. Dr. Menzel (SPD): Ein Grundstück ist kein Unternehmen. Dr. Binder (CDU): Gut. Aber vor allen Dingen die Vermögensabgabe fällt unter „Steuern“. Durch die Bundessteuern ist auch eine außerordentliche Vermögensabgabe gedeckt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Man könnte vielleicht sagen: „die Erträge des Vermögens und der Beteiligungen“. Dr. Menzel (SPD): Warum wollen wir das ein für allemal hier blockieren? Bei allen diesen Fragen spricht doch der Bundesrat in vollem Umfange mit. Er hat nicht nur ein Vetorecht, sondern muß zustimmen. Hier sind die Länderinteressen durchaus gewahrt. Ich habe erhebliche Bedenken, zu blockieren und die Einnahmemöglichkeiten des Bundes erschöpfend aufzuzählen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich gebe zu, daß es auch Vermögen geben kann, das man nicht als Unternehmen bezeichnen kann. Aber dem könnte man leicht abhelfen, indem man noch einschalten würde: „die Erträge des Bundesvermögens“. Das Bedenken wegen der Vermögensabgaben kann ich nicht teilen. Wir haben ausdrücklich den Ausdruck „Vermögensteuern“, also den Plural, gewählt und waren uns im Ausschuß darüber einig, dieser Begriff „Vermögensteuern“ deckt periodische Vermögensteuern, einmalige Vermögensteuern, in der Regel als Vermögensabgaben bezeichnet, und auch Vermögenszuwachssteuer. So war unser Gedankengang. Dr. Menzel (SPD): Ich würde meinen Antrag nicht aufrechterhalten, wenn einmal das Wort „Unternehmungen“ durch „Vermögensanlagen“ ersetzt wird und zur Klarstellung bei „Steuern“ noch ausdrücklich „Vermögensabgaben“ hinzugefügt wird. Diese Verfassung wird auch von Leuten gelesen, die nichts von Staatsrecht verstehen und keine Juristen sind. Auch ihnen wollen wir ein plastisches Bild dessen, was hier gemeint ist, vermitteln. Da wir uns in der Sache einig sind, sollte man in der Form auch die Möglichkeit einer Klarstellung bieten. Dr. Binder (CDU): Ich habe gegen den Vorschlag des Herrn Abgeordneten Menzel politische Bedenken. Wir werden im Zuge des Lastenausgleichs eine einmalige Vermögensabgabe durchzuführen haben. Der Erlös dieser Vermögensabgabe wird nicht dem Bund, sondern einem Sondervermögen zufließen. Wenn wir in so pro-

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nocierter Weise die Vermögensabgaben hier aufzählen, laufen wir Gefahr, bei der Bevölkerung die Vorstellung zu erwecken, daß Vermögensabgaben zu wiederholten Malen durchgeführt werden können. Das ist völlig ausgeschlossen. Wenn wir bei der einmaligen Vermögensabgabe für den Lastenausgleich an die Grenze des Möglichen gehen, dann ist in den nächsten zwei Generationen, für die diese Verfassung allenfalls gelten mag, wenn sie nicht schon vorher liquidiert wird, überhaupt kein Spielraum für eine weitere Vermögensabgabe. Brockmann (Z): Ich finde keinen Grund, warum man sich gegen den Antrag Dr. Menzel wendet, das Wörtchen „insbesondere“ einzusetzen. Dagegen ist kein plausibler Einwand angeführt worden. Man könnte dem Antrag zustimmen. Dann würden all die Bedenken beseitigt sein, die Herr Kollege Dr. Binder angeführt hat. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Meiner Meinung nach haben wir wirklich eine vollzählige Aufzählung gebracht, wenn wir am Schluß von Ziffer 1 noch hinzusetzen: „und die Erträge sonstigen Bundesvermögens“; dann ist wohl alles gedeckt. Die Frage der einmaligen Vermögensabgabe gehört nicht zu Art. 122, sondern würde bei der Frage der Gesetzgebung auftauchen. Da bin ich allerdings der Meinung, dadurch daß wir den Plural „Vermögensteuern“ gewählt haben, bringen wir zum Ausdruck, daß der Bund die Gesetzgebung auch über die Vermögensabgabe hat, einerlei ob die Vermögensabgabe nachher zur Deckung der ordentlichen Ausgaben des Bundes dient oder ob diese Vermögensabgabe einem Ausgleichsfonds zugeführt wird. [S. 169] Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse nach Ziffern und zum Teil innerhalb der Ziffern über die einzelnen Teile abstimmen, zunächst über den Teil: „Zur Deckung der Ausgaben des Bundes, insbesondere 1. der Kosten der Bundesverwaltung“. – Dieser Teil des Art. 122 ist einstimmig angenommen. „2. der Aufwendungen des Bundes für Besatzungskosten und sonstige äußere und innere Kriegsfolgelasten“. – Dieser Teil ist mit 18 gegen 1 Stimme angenommen. „3. der Zuschüsse des Bundes zu den Lasten der Sozialversicherung mit Einschluß der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge“. – Dieser Teil ist einstimmig angenommen. Es heißt weiter: „. . . dienen folgende Einnahmen“. Es ist der Antrag gestellt, „insbesondere“ einzufügen. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Nun lasse ich über die Fassung der Vorlage: „. . . dienen folgende Einnahmen“ abstimmen. – Diese Fassung ist mit 13 Stimmen bei Enthaltungen angenommen. „1. die Ablieferungen der Bundesbahn und Bundespost“. – Dieser Teil ist einstimmig angenommen. „die Überschüsse der dem Bund gehörigen Unternehmungen“. – Dieser Teil ist einstimmig angenommen. „die Erträge der Beteiligungen des Bundes und der Anteil am Gewinn der Bundesnotenbank“. Hier ist beantragt, hinzuzufügen: „und die Erträge sonstigen Bundesvermögens“. Da müßte das erste „und“ gestrichen werden. (Dr. Menzel [SPD]: Ich würde es hinter „Unternehmungen“ bringen.) Ich würde es nach dem Vorschlag von Dr. Höpker Aschoff an das Ende bringen. Gerade durch die Stellung am Ende der Ziffer ist eine Art von Generalklausel gesetzt.

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Ich lasse über den genannten Teil der Vorlage mit dem Zusatz am Ende: „und die Erträge sonstigen Bundesvermögens“ abstimmen. – Der Teil mit dem Zusatz ist einstimmig angenommen. „2. die Verwaltungseinnahmen des Bundes“. – Dieser Teil ist einstimmig angenommen. „3. das Aufkommen der Zölle“. – Der verlesene Teil ist angenommen. „und der durch Bundesgesetz geregelten Steuern (Bundessteuern), soweit es nicht den Ländern und Gemeinden zufällt, und die Erträge der Finanzmonopole“. – Dieser Teil ist einstimmig angenommen. Nun lasse ich über den gesamten Art. 122 in der neu beschlossenen Form abstimmen, weil sich in einem Fall eine Gegenstimme gezeigt hat. – Der Art. 122 ist einstimmig angenommen. Dr. Binder (CDU): Wir haben jetzt beschlossen, daß die Erträge des Bundesvermögens dem Bund zufließen. Daraus ergibt sich meines Erachtens die Notwendigkeit, in den Übergangsbestimmungen zu dieser Verfassung festzuhalten, daß das alte Reichsvermögen auf den Bund übergeführt wird und nicht etwa den Ländern bleibt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist vorgesehen. Dr. Dehler (FDP): Soweit früheres Reichsvermögen jetzt der Verwaltung der Länder unterliegt, zum Beispiel der Justizverwaltung, wird es natürlich den Ländern zugewiesen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Soweit früheres Landesvermögen Reichsvermögen wurde und nunmehr wieder in Länderverwaltung ist, soll es wieder Landesvermögen werden, während Reichsvermögen – sagen wir Kasernen –, das nunmehr den Ländern zur Verwaltung gegeben ist, weil keine übergeordnete deutsche Instanz da ist, natürlich dem Bund zufließen müßte. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich denke mir die Übergangsbestimmung so, daß man sagt: 1. Grundsätzlich gehört Reichsvermögen der Bundesverwaltung, 2. Verwaltungsvermögen von Verwaltungen, die jetzt Länderverwaltungen werden, wird Landesvermögen, und daß man hinzufügt: Das Nähere regelt ein Gesetz. Es wäre denkbar, daß der Bund unter Umständen großzügig ist und meinetwegen für landwirtschaftliche Zwecke von irgendwelchen Übungsplätzen etwas den Ländern abgibt. Das kann man im Einzelfall vereinbaren.

[2.3. ART. 122a: AUSSCHLIESSLICHE UND VORRANGGESETZGEBUNG DES BUNDES]

Vors. Dr. Schmid (SPD):

Art. 122a Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über Zölle und Finanzmonopole und die Vorranggesetzgebung über folgende Steuern (Bundessteuern): 1. die Verbrauchs- und Verkehrssteuern mit Ausnahme der Grunderwerbsteuer, Wertzuwachssteuer, Wandergewerbesteuer, Feuerschutzsteuer, Vergnügungssteuer und anderer Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungsbereich,

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2. die Besitzsteuern: Einkommen- und Körperschaftsteuer, Vermögensteuern und Erbschaftsteuer, 3. die Realsteuern mit Ausnahme der Festsetzung der Hebesätze. Dr. Binder (CDU): Ich habe den Antrag zu stellen, diesen Artikel etwas abzuändern. Es ist vielleicht nicht unbedingt notwendig, die Wandergewerbesteuer, die Feuerschutzsteuer und die Vergnügungssteuer besonders aufzuführen. Es genügt, wenn wir diese drei Steuern streichen und die anderen Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungsbereich belassen. Darunter fallen auch die Vergnügungssteuer und die Feuerschutzsteuer. Eine wesentliche Änderung möchte ich aber bei Ziffer 2 haben. Ich möchte nur die Steuern vom Einkommen, vom Vermögen und von Erbschaften erwähnt haben, und zwar aus folgenden Überlegungen. Es ist durchaus möglich, daß die jetzigen Formen der Einkommen- und Körperschaftsteuer im Laufe der weiteren Entwicklung abgewandelt werden, eventuell in der Weise, daß wir zu dem französischen System der Schedulensteuern übergehen und eine besondere Bodenertragssteuer und Betriebssteuer einführen, Vorschläge, an denen zum Teil bereits gearbeitet wird. Wir würden uns unter Umständen diese Möglichkeit verbauen, wenn wir uns in der Verfassung an die Form der Steuern und nicht an das Besteuerungsobjekt halten würden. Das ist ein Gesichtspunkt, der neu aufgekommen ist, und es wäre interessant, zu erfahren, was Herr Dr. Höpker Aschoff zu dieser Überlegung sagt. Wir möchten also nicht sagen: „die Einkommen- und Körperschaftsteuer usw.“, sondern nur: „die Steuern vom Einkommen, Vermögen und von Erbschaften“, um die Steuerart nicht besonders erwähnt zu haben und hier frei zu bleiben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie wollen gewissermaßen bestimmte Vermögensbereiche, soweit aus diesen Bereichen Steuern irgendwelcher Art und Form erhoben werden sollen, schlechthin zur Vorranggesetzgebung des Bundes ziehen und nicht etwa nur die Steuern in der jetzigen Form. (Dr. Binder [CDU]: Richtig.) Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich würde im Augenblick keine Bedenken haben. Dr. Binder (CDU): Bei Ziffer 1 wäre zu streichen: „Wandergewerbesteuer, Feuerschutzsteuer, Vergnügungssteuer“. Ziffer 2 würde heißen: „die Steuern von Einkommen, Vermögen und von den Erbschaften“. Dr. Greve (SPD): Gegen die Worte „von Einkommen und Vermögen“ habe ich keine Einwendungen, wohl aber gegen den Ausdruck „von den Erbschaften“, da die Erbschaftsteuer bei uns zu gleicher Zeit auch Schenkungsteuer ist. Wenn wir sagen: „die Steuern von den Erbschaften“, werden die Schenkungen in [S. 170] diesem Zusammenhang nicht erfaßt. Wir müßten dann sagen: „von Erbschaften und Schenkungen“. (Dr. Binder [CDU]: Ja.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Mit diesen Abänderungen sind die Ausschußmitglieder einverstanden. (Zustimmung.) MinDir. Dr. Ringelmann: Ich wäre dankbar, wenn zur Vermeidung von Zweifeln die Ziffer 1 des Art. 122a eine etwas andere Fassung erhalten würde, nämlich dahingehend, daß die Worte „und anderer Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungsbereich“ vorausgestellt und die nachfolgenden Steuern „Grunderwerbsteuer, Wert-

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zuwachssteuer, Feuerschutzsteuer“ etwa mit dem Wort „insbesondere“ eingeleitet werden, so daß es also heißen würde: „die Verbrauchs- und Verkehrssteuern mit Ausnahme der Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungsbereich insbesondere der Grunderwerbsteuer, Wertzuwachssteuer, Feuerschutzsteuer und ähnlicher Abgaben“. (Dr. Greve [SPD]: Nein, das geht nicht.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich abstimmen, zunächst über den Satz: „Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über Zölle und Finanzmonopole“. – Dieser Teil ist einstimmig angenommen. Es heißt weiter: „und die Vorranggesetzgebung über folgende Steuern (Bundessteuern): 1. Die Verbrauchs- und Verkehrssteuern mit Ausnahme der Grunderwerbsteuer, Wertzuwachssteuer und anderer Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungsbereich“. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich hätte an sich keine Bedenken, den Wunsch des bayerischen Regierungsvertreters zu erfüllen. Dr. Greve (SPD): Ich muß mir allerdings vorbehalten, in der zweiten Lesung Abänderungsanträge zu stellen. MinDir. Dr. Ringelmann: Ich habe diesen Antrag unter der Voraussetzung gestellt, daß das Wort „insbesondere“ hineinkommt. Wenn es nicht hineinkommt, würde ich bitten, die Feuerschutzsteuer stehenlassen; denn dann bekommt die Sache ein ganz anderes Gesicht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir halten das für eine Anregung, die im Ausschuß aufgegriffen werden müßte, wenn sie in einen Antrag verwandelt werden soll. Dr. Binder (CDU): Dann würde es heißen: „Die Verbrauchs- und Verkehrssteuern mit Ausnahme der Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungsbereich, insbesondere der Grunderwerbsteuer, Wertzuwachssteuer und Feuerschutzsteuer“. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Es ist uns vielleicht ein Lapsus insofern passiert, als die Wandergewerbesteuer weder zu den Verbrauchs- noch zu den Verkehrssteuern gehört, sondern eine Art Ertragssteuer ist. Insofern ist die bayerische Anregung, die Wandergewerbesteuer hier wegzulassen, wohl richtig. Gegen die Umstellung: „Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungsbereich, insbesondere“ und dann als Beispiele die drei Steuern hätte ich keine Bedenken. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie stellen den Antrag, Herr Dr. Binder? (Wird bejaht.) Der Antrag lautet: „die Verbrauchs- und Verkehrssteuern mit Ausnahme der Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungsbereich, insbesondere der Grunderwerbsteuer, Wertzuwachssteuer und Feuerschutzsteuer“. Ich lasse über den Antrag Dr. Binder abstimmen. – Der Antrag ist mit 15 Stimmen angenommen. „2. die Steuern vom Einkommen, Vermögen, von Erbschaften und Schenkungen.“ Ich lasse über diesen Teil abstimmen. – Der Teil ist einstimmig angenommen. „3. die Realsteuern mit Ausnahme der Festsetzung der Hebesätze“. Ich lasse hierüber abstimmen. – Dieser Teil ist angenommen. Ich lasse über den ganzen Art. 122a abstimmen. – Der Artikel ist einstimmig angenommen.

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Vierzehnte Sitzung des Hauptausschusses 2. Dezember 1948 [2.4. ART. 122b: STEUEREINNAHMEN FÜR BUND UND LÄNDER]

Art. 122b (1) Die Länder erhalten für sich und ihre Gemeinden (Gemeindeverbände) von dem Aufkommen der Bundessteuern das Reinaufkommen der Biersteuer, der Rennwettsteuer, der Kraftfahrzeugsteuer, der Vermögenssteuer (mit Ausnahme der für den Vermögensausgleich erhobenen Vermögensabgaben), der Erbschaftssteuer und die Realsteuern. (2) Umsatzsteuer und Einkommen- und Körperschaftsteuer sind gemeinsame Einnahmen des Bundes und der Länder; die beiden zufallenden Anteile werden durch Bundesgesetz bestimmt. (3) Das Nähere regelt das Bundesfinanzausgleichsgesetz. Es hat einem angemessenen Lastenausgleich Rechnung zu tragen. Hier liegt ein gemeinschaftlicher Antrag der Abgeordneten Dr. Fecht und Maier vor, in Art. 122b Abs. 1 hinter „Biersteuer“ einzufügen: „der Tabaksteuer“15). Maier (SPD): Wenn hier für Bayern die Biersteuer als Sonderrecht gewährt wird, dann erhebt sich für Baden hinsichtlich der Tabaksteuer die gleiche Forderung. Die Tabaksteuer ist einer der wesentlichen Einnahmeposten unseres Landes und betrug im Jahre 1947 rund 193 Millionen Mark. Sie hat aber auch in früheren Jahren 32 bis 37% der Einnahmen ausgemacht. Wenn also für Bayern eine Sonderregelung bei den Verbrauchssteuern gelten soll, dann müssen wir für das Land Baden in Anspruch nehmen, daß ihm die Tabaksteuer verbleibt, zumal sie die gleiche Bedeutung für die Einnahmeseite unseres Haushalts hat wie für das Land Bayern die Biersteuer. Dr. Binder (CDU): Es liegt uns daran, den Abs. 2 des Art. 122b, zu dem wir möglicherweise noch einen Zusatzantrag zu stellen haben, bis heute nachmittag zurückzustellen, weil sich die Dinge sonst komplizieren und wir in der zweiten Lesung mit einem Gegenvorschlag kommen müßten, den wir heute nachmittag schon zur Diskussion bringen können. Was die Wünsche der Badener und der Bayern anbelangt, so glaube ich, daß die Tabaksteuer nach der ganzen wirtschaftlichen Struktur Bundessteuer bleiben muß. Bei der Biersteuer liegen die Dinge ganz anders. Da ist es tatsächlich so, daß in Bayern der Bierkonsum einen wesentlichen Teil der Ausgaben der Bevölkerung darstellt und infolgedessen mit Recht verlangt werden kann, daß auch die Biersteuer im größeren Umfang dem bayerischen Land zufließt. Bei der Tabaksteuer wird man aber nicht behaupten können, daß der Umstand, daß die Herstellung von Tabakwaren in ganz bestimmten Ländern konzentriert ist, für diese Länder eine zusätzliche Belastung bedeutet. Denn die Tabakwarenfabriken stellen bekanntlich eine Betriebsform dar, die keine besondere Belastung für die Länder und Gemeinden bedeutet, im Gegensatz beispielsweise zur chemischen Industrie. Ebensowenig wird 15)

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Vgl. den Antrag der Abg. Dr. Fecht (CDU) und Maier (SPD) vom 2. Dez. 1948 (BayHStA NL Pfeiffer 184). Der Anspruch Badens auf die Tabaksteuer war auch am 14. Dez. 1948 auf der Konferenz des französischen MilGouv. Koenig mit den Länderchefs der französischen Besatzungszone behandelt worden. Akten zur Vorgeschichte, Bd. 4, Dok. Nr. 107, S. 1004. Zur Sache vgl. auch die 19. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen am 15. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 21, S. 520–523.

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behauptet werden können, daß in diesen Ländern mehr geraucht wird. Hier müssen wir also schon dabei bleiben, daß diese Einnahmen dem Bund zufließen. Es wäre auch für das Land Baden ein außerordentlicher Segen gewesen, wenn es nicht in den Besitz der Tabakzölle gekommen wäre, weil es dann zu einer ganz anderen Wirtschaftlichkeit seiner Haushaltsgebarung angeregt worden wäre. In Baden sind Ausgaben bewilligt worden, die wir in Württemberg längst gestrichen haben. Dr. Greve (SPD): Ich schließe mich den Ausführungen des Abgeordneten Binder voll an. Die Gründe, die die Vertreter aus Baden veranlaßt haben, auf die Tabaksteuer zurückzugreifen sind rein fiskalischer Natur. Da leider Gottes in den letzten Zeiten die Tabaksteuer dazu beigetragen hat, die Länderfinanzen zu [S. 171] verbessern, ist es überhaupt nur zu diesem Antrag gekommen. Mit mehr Recht könnten wir von Niedersachsen aus etwa den Zoll, der auf Tee liegt, in Anspruch nehmen, da der größte Teil des Tees in der ostfriesischen Gegend verbraucht wird und man versucht sein könnte, aus denselben Gründen, die für die Biersteuer vorgetragen worden sind, hier auch etwas in Anspruch zu nehmen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Es ist sehr gefährlich, Verbrauchssteuern und Verkehrssteuern überhaupt aufzuteilen; denn das sind nun einmal spezifische Steuern, die sich in den Produktionskosten der Wirtschaft niederschlagen, auf den letzten Verbraucher abgewälzt werden und daher eigentlich besonders dazu geeignet sind, gemeinsame Steuern des Bundes zu sein. Wir haben hier bei der Rennwettsteuer gewisse Ausnahmen gemacht, weil die Länder das Aufkommen der Rennwettsteuer für die Pferdezucht verwenden, bei der Kraftfahrzeugsteuer, weil die Länder das Aufkommen zur Unterhaltung der Straßen verwenden. Das ist immer so gewesen und entspricht der historischen Entwicklung. Bei der Biersteuer haben wir die Ausnahme gemacht, weil die Bayern hier immer ein gewisses Reservat gehabt haben und weil wir auch einmal dokumentieren möchten, daß wir etwas für die Bayern tun und wir gar nicht so grimmig auf die Bayern sind, wie sie manchmal annehmen. Dr. Fecht (CDU): Ich habe den Ausführungen des Herrn Kollegen Maier, weshalb wir Badener diesen Antrag gestellt haben, nichts hinzuzufügen. Zu dem, was Kollege Binder gesagt hat, einige Bemerkungen. Es ist nicht richtig, daß das Land, in dem der Tabak verarbeitet wird, dadurch nicht auch gelegentlich sehr starke Ausgaben hat. Es hat eine Zeit gegeben, in der in der Tabakindustrie eine sehr große Arbeitslosigkeit geherrscht hat. Da hat man nicht gefragt, wo der Tabak verraucht wird, sondern wo er verarbeitet wird. Es ist auch nicht richtig, daß nur Baden ein Interesse hat. Auch Württemberg hat seine Interessen auf diesem Gebiet, insbesondere das neue Württemberg, das wir Nordbaden nennen, hat die gleichen Interessen wie wir. Auch Nordwürttemberg hat seine Einnahmen daraus bezogen. Wenn ich boshaft wäre, könnte ich sagen: im Hinblick auf die Zusammenlegungsbestrebungen können die Badener wieder einmal sehen, wie wohlwollend man in Württemberg ihnen gegenüber ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zunächst über folgenden Teil von Abs. 1 abstimmen: „Die Länder erhalten für sich und ihre Gemeinden (Gemeindeverbände) von dem Aufkommen der Bundessteuern das Reineinkommen der Biersteuer“. – Dieser Teil ist gegen 3 Stimmen angenommen.

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Ich lasse über den Antrag Dr. Fecht, Maier abstimmen, hinzuzufügen: „der Tabaksteuer“. – Der Antrag ist mit 14 gegen 3 Stimmen abgelehnt. Ich lasse abstimmen über: „der Rennwettsteuer“. – Dieser Teil ist einstimmig angenommen. „der Kraftfahrzeugsteuer“. – Dieser Teil ist einstimmig angenommen. Es heißt weiter: „der Vermögensteuer (mit Ausnahme der für den Vermögensausgleich erhobenen Vermögensabgaben)“. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Wir müssen hier anpassen. Wir haben oben die Fassung gewählt: „die Steuern vom Einkommen, Vermögen, Erbschaften und Schenkungen“. Dann müßten wir hier konsequent sein Dr. Binder (CDU): Hier handelt es sich nur um die derzeit geltende Vermögensteuer. Es ist nun keine Veranlassung, alle künftigen Besteuerungen des Vermögens, die denkbar sind, den Ländern zuzuweisen. Ich glaube, wir können es in diesem Fall bei der jetzigen Formulierung belassen. Schlör (CSU): Ich stelle den Antrag, zu sagen: „der Steuern vom Vermögen, von den Erbschaften und Schenkungen und die Realsteuern“. Dr. Menzel (SPD): Bei Art. 122 zweiter Teil Ziffer 3 hatte ich vorhin beantragt, hinzuzusetzen „Vermögensabgaben“. Da wurde mir erklärt, das falle unter den Begriff „Steuer“. In Art. 122 ist der Ertrag dieser Vermögensabgaben bereits dem Bund zugeteilt. In Art. 122b wird der Ertrag wieder den Ländern zugeteilt. Dr. Binder (CDU): In Art. 122 steht: „soweit es nicht den Ländern und Gemeinden zufällt“. Es ist also durchaus die Möglichkeit vorhanden, einzelne dieser Steuern auch den Ländern und Gemeinden zuzuweisen. Infolgedessen besteht meines Erachtens dort kein Widerspruch. Dr. Menzel (SPD): Wenn erklärt wird, daß unter Art. 122 Teil 2 Ziffer 3 auch Vermögensabgaben fallen, dann ist die Einnahme aus einer solchen Abgabe zugunsten des Bundes verteilt. In Art. 122b wird sie den Ländern gegeben. Ich möchte nur die Klarstellung haben. Dr. Greve (SPD): Ich glaube, ich kann den Kollegen Menzel insofern berichtigen, als ich auf das Bezug nehme, was Herr Kollege Binder gesagt hat. Wenn hier gesagt worden ist: „der Vermögensteuer (mit Ausnahme der für den Vermögensausgleich erhobenen Vermögensabgaben)“, dann ist mit dieser Vermögensteuer die durch das Vermögensteuergesetz geregelte Vermögensteuer, wie es jetzt ist, gemeint bzw. die Vermögensteuer, die materiell in einem zukünftigen Vermögensteuergesetz geregelt wird; nicht aber sind damit andere Steuern oder Abgaben gemeint, die in Zukunft auch auf das Vermögen gelegt werden sollten. Dies ist also ein Spezialausdruck, der aus der Vermögensteuergesetzgebung, wie sie derzeit ist, stammt. Dr. Binder (CDU): Die Dinge sind doch sehr einfach. In Art. 122a ist die Gesetzgebung geregelt. In Art. 122 ist gesagt: „das Aufkommen der Zölle und der durch Bundesgesetz geregelten Steuern (Bundessteuern), soweit es nicht den Ländern und Gemeinden zufällt . . .“ Nun haben wir in Art. 122b nur eine einzelne Vermögensteuer den Ländern zugewiesen. Das ist doch kein Widerspruch zu Art. 122, das läßt sich durchaus miteinander vereinbaren. Es ist doch ausdrücklich gesagt: „soweit es nicht den Ländern und Gemeinden zufällt“. Dr. Menzel (SPD): Dann war die Aufklärung vorhin nicht ganz richtig. Ich habe ausdrücklich erklärt, wir müßten auch bei den Einnahmen zugunsten des Bundes

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die vielleicht eines Tages entstehende Notwendigkeit berücksichtigen, durch eine einmalige oder laufende Vermögensabgabe seine Einnahmen zu erlangen. Daraufhin ist gesagt worden, dieser Zusatz brauche nicht hineingenommen zu werden, weil er schon in dem Begriff „Steuern“ liege. Dr. Binder (CDU): Richtig, und jetzt wird eine einzelne Steuer auf das Vermögen den Ländern zugewiesen. Dr. Menzel (SPD): Dann muß es anders formuliert werden. (Dr. Binder [CDU]: Nein.) Dr. Höpker Aschoff (FDP): Das Bedenken richtet sich dahin, daß der Begriff Vermögensteuer den Begriff Vermögensabgabe nicht deckt. Man könnte dieses Bedenken dadurch ausräumen, daß man in Art. 122b in Klammern hineinschreibt: „mit Ausnahme der für den Vermögensausgleich erhobenen einmaligen Vermögensteuern“; denn die Abgabe, die in Frankfurt16) die Bezeichnung Vermögensabgabe bekommen hat, ist eine einmalige Vermögensteuer. (Dr. Greve [SPD]: Das deckt das nicht.) Dr. Wolff (SPD): Das Bedenken des Herrn Kollegen Menzel richtet sich offensichtlich dagegen, daß ihm der Klammerausdruck „mit Ausnahme der für den Vermögensausgleich erhobenen Vermögensabgaben“ [S. 172] nicht ausreichend erscheint. Es sind nämlich neben der Vermögensteuer in ihrer bisherigen Konstruktion, neben den Vermögensabgaben im Zuge des Lastenausgleichs auch andere einmalige Vermögensabgaben möglich, die nicht auf den Vermögensausgleich abzielen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Diese werden aber durch den Begriff „Vermögensteuern“ gedeckt. Dr. Wolff (SPD): Wenn Sie das meinen, sind die Einwendungen von Dr. Menzel um so mehr berechtigt. Wir müssen zunächst die Vermögensteuer in ihrer bisherigen Konstruktion unterscheiden. Diese soll nach der Regelung des Art. 122b den Ländern zufließen. Dann müssen wir die Vermögensabgaben unterscheiden, die für den Vermögensausgleich erhoben werden. Sie sollen dem Bund zufließen. Sie sind unter Ausnahme gestellt. Darüber hinaus ist für eine andere Zweckbestimmung eine dritte Form von Vermögensabgaben möglich; dafür ist keine Regelung vorhanden. Dr. Menzel wehrt sich dagegen, daß diese Vermögensabgaben dritter Art mit anderer Zweckbestimmung nicht für den Vermögensausgleich – unter Umständen unter dem Begriff „Vermögensteuer“ alter Konstruktion subsumiert werden könnten und den Ländern ohne weiteres zufließen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Mir scheint dieser Einwand richtig zu sein. Dr. Greve (SPD): Er trifft Art. 122 und nicht Art. 122b. (Dr. Wolff [SPD]: Auch Art. 122b.) Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ganz klar bin ich mir über unsere Meinungsverschiedenheit noch nicht. Wir haben in Art. 122a, wo wir von der Gesetzgebung sprechen, gesagt: Der Bund hat das Recht der Gesetzgebung über die Steuern vom Einkommen, Vermögen, von Erbschaften und Schenkungen. Diese Steuern sind somit Bundessteuern. Diese Bundessteuern fallen an sich nach Art. 122 dem Bund zu, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist. Etwas anderes ist nun in Art. 122b be16)

Frankfurt war Sitz des Wirtschaftrates des Vereinigten Wirtschaftgebietes.

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stimmt, indem dort gesagt wird, daß die Vermögensteuer den Ländern zufließt, wiederum mit Ausnahme der für den Vermögensausgleich erhobenen – da würde ich nun sagen: einmaligen – Vermögensteuern. Dann ist es doch in Ordnung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Vielleicht könnte man dem Bedenken abhelfen, indem man in der Klammer sagt: „mit Ausnahme der für den Vermögensausgleich erhobenen Vermögensabgaben oder sonstiger einmaliger oder laufender Vermögensabgaben außerhalb der allgemeinen Vermögensteuer“. Dr. Menzel (SPD): Es läßt sich noch leichter machen, indem man die Klammer so formuliert: „mit Ausnahme von Vermögensabgaben“. Zu welchem Zweck, ist dann gleich. Dr. Binder (CDU): Das Vorbringen von Herrn Dr. Menzel hat natürlich einen ganz konkreten Gegenstand im Auge. Neben der einmaligen Vermögensabgabe und der derzeit besteheden Vermögensteuer möchte er die Möglichkeit gewahrt sehen, das Vermögen noch ein drittes Mal zu besteuern. Die Frage ist, ob man überhaupt eine solche Möglichkeit offenlassen soll. Meines Erachtens ist wirtschaftlich überhaupt keine Möglichkeit mehr vorhanden. Das ist auch der Grund, weswegen sämtliche Finanzminister17) erklärt haben: Auf die Vermögensteuer legen wir gar keinen Wert mehr, sie bringt sowieso nicht sehr viel; damit könnt ihr machen, was ihr wollt, ihr könnt sie entweder dem Bund oder den Ländern vorbehalten. Denn die Vermögensteuer ist durch die Vermögensabgaben in ihrer Ausgestaltung so beengt, daß hier praktisch nichts mehr zu holen ist. Aus diesem Grunde fällt die Überlegung von Herrn Dr. Menzel eigentlich völlig weg. Neben der einmaligen Vermögensabgabe und der laufenden Vermögensteuer ist ein weiterer Spielraum für eine Belastung der Vermögen nicht vorhanden. Ich bin deswegen der Meinung, daß wir es bei der jetzigen Regelung belassen können oder unter Umständen sogar noch weiter gehen und sagen können: „Sämtliche Steuern auf das Vermögen werden den Ländern vorbehalten.“ Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, daß Sie damit den Einwand nicht treffen. Ich glaube, Herr Dr. Menzel wollte nicht auf subversive Weise einen zweiten Lastenausgleich einführen, sondern wollte lediglich für den Fall, daß außer der normalen Vermögensteuer und außer dem in der Klammer vorgesehenen Lastenausgleich eine weitere Vermögensabgabe ähnlicher Art durch die gesetzgebenden Körperschaften des Bundes beschlossen werden sollte, diese anders als die normale Vermögensteuer nicht den Ländern zufallen lassen, sondern dem Bund oder einem dritten Rechtsträger. Das sollte wohl gesagt werden. Ich glaube, daß wir dem mit dem Antrag Dr. Menzel Rechnung tragen könnten, zu sagen: „mit Ausnahme von Vermögensabgaben“, wenn wir klar definieren, was wir hier an dieser Stelle unter „mit Ausnahme von Vermögensabgaben“ meinen, nämlich, daß wir nicht meinen, was man normalerweise „Vermögensteuern“ nennt. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Der Ausdruck „Vermögensabgaben“ ist kein feststehender Ausdruck. Meiner Meinung nach würden wir am besten tun, wenn wir den Ausdruck „Vermögensabgaben“ vermeiden und sagen würden: „mit Ausnahme 17)

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Gemeint sind die Finanzminister, die im Ausschuß für Finanzfragen als Sachverständige angehört worden waren. Vgl. die Aufzählung der Sachverständigen in: Der Parl. Rat, Bd. 12, bes. S. XXVII.

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der für den Vermögensausgleich erhobenen einmaligen Vermögensteuer“. Da bliebe die theoretische Möglichkeit, auf Grund des Art. 122 eine einmalige Vermögensteuer zu erheben, die ich allerdings ebenso wie Herr Dr. Binder für Theorie halte. (Dr. Greve [SPD]: Aber die Zuweisung!) Dr. Menzel (SPD): Die Argumente des Herrn Kollegen Dr. Binder bewegen sich auf einem ganz anderen Gebiet, nämlich auf dem Gebiet der etwaigen Finanz- und Wirtschaftspolitik. Diese können wir nicht verfassungsmäßig schützen und jetzt bereits festlegen. Für mich handelt es sich darum, zu bestimmen, wer Empfänger des Geldes ist wenn der Bund sich eines Tages zu einer weiteren Vermögensabgabe entschließen sollte. Diese Lücke müssen wir hier schließen. Wenn auch das Wort „Vermögensabgabe“ vielleicht kein finanztechnischer Ausdruck ist, so ist es doch für alle, die das lesen, klar, was darunter gemeint ist. Ich glaube, man sollte es schon dabei belassen, die Klammer zu formulieren: „mit Ausnahme von Vermögensabgaben“. Dr. Binder (CDU): Der Begriff ist steuerrechtlich eben nicht scharf genug gefaßt. Dann müssen Sie schon hineinschreiben: „mit Ausnahme einmaliger Vermögensabgaben“. (Dr. Wolff [SPD]: „Vermögensteuern“!) Vors. Dr. Schmid (SPD): „mit Ausnahme einmaliger Vermögensteuern“. Dr. Greve (SPD): Dann können wir auch sagen: „mit Ausnahme einmaliger Belastungen des Vermögens“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Eine Steuer oder eine Vermögensabgabe ist keine Belastung des Vermögens, sondern ein Wegschneiden vom Vermögen. Dann lasse ich abstimmen über die Fassung: „der Vermögensteuer (mit Ausnahme einmaliger Vermögensteuern)“. – Die Fassung ist mit 13 gegen 4 Stimmen angenommen. Es heißt weiter: „der Erbschaftsteuer“. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Müssen wir nicht wie oben „Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer“ sagen? Dr. Binder (CDU): Die Erbschaftssteuer umfaßt die Besteuerung der Erbschaften und Schenkungen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der zuletzt verlesene Teil ist einstimmig angenommen. [S. 173] „und die Realsteuern“. – Einstimmig angenommen. Zu Abs. 2 ist der Antrag gestellt, die Abstimmung bis heute Nachmittag auszusetzen. Ich stelle das Einverständnis aller Mitglieder des Hauptausschusses hiermit fest18): Nunmehr lasse ich über Art. 122b Abs. 3 abstimmen. – Der Abs. 3 ist einstimmig angenommen.

18)

Die Verhandlungen zu Art. 122 b wurde am 2. Dez. in der 15. Sitzung des HptA wieder aufgenommen. Vgl. unten Dok. Nr. 15, TOP 1.1, S. 441.

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Art. 123 (1) Die Bundessteuern werden durch Bundesfinanzbehörden verwaltet. Der Aufbau der Bundesfinanzbehörden und der Finanzgerichte und das von ihnen anzuwendende Verfahren werden durch Bundesgesetz geregelt. (2) Die Länder können die Verwaltung der Landessteuern den Bundesfinanzbehörden übertragen. (3) Die Erhebung der Realsteuern wird durch Landesgesetz geregelt. Hierzu liegt ein Minderheitsvotum der CDU/CSU-Fraktion vor. Wird das in einen Antrag umgewandelt? Dr. Binder (CDU): Ja. Es ist etwas anders zu formulieren, es muß so heißen: (1) Die Erhebung und Verwaltung der Zölle, Finanzmonopole und Bundessteuern ist Aufgabe der Länder. Der Bund kann durch Bundesgesetz den Aufbau der Zoll- und Steuerverwaltungsbehörden der Länder, das von ihnen anzuwendende Verfahren und die Steuergerichtsbarkeit regeln. Als oberstes Steuergericht ist ein Bundesfinanzgericht einzusetzen. (2) Dem Bund steht hinsichtlich der Zölle, Finanzmonopole und bundesgesetzlich geregelten Steuern das Recht der Anweisung und der Überwachung der Verwaltung zu. Er vergütet den Ländern einen bestimmten Hundertsatz für die Erhebung und Verwaltung der dem Bund zustehenden Abgaben und einen nach der Länge der Zollgrenzen zu bemessenden Betrag. Ich glaube, daß die Begründung des Antrages im Finanzausschuß und nach Anhören der Finanzminister gestern von unserer Seite ausreichend erfolgt ist. Wir legen entscheidendes Gewicht darauf, daß nicht nur die übrigen Verwaltungszweige den Ländern übertragen werden, sondern auch die Finanzverwaltung. Nach der jetzt vorgeschlagenen Regelung besteht ein weitgehendes Weisungsrecht des Bundes gegenüber den Landesfinanzverwaltungen, so daß die Einheitlichkeit der Veranlagung, der Stundung, der Niederschlagung und der Steuererlasse sichergestellt ist. Außerdem ist das Überwachungsrecht dadurch sichergestellt, daß sich die Landesfinanzverwaltungen an die Weisungen des Bundes zu halten haben. Ich glaube nicht, daß eine Landesfinanzverwaltung sich diesen Weisungen widersetzen würde, weil sie sonst der Gefahr ausgesetzt sein würde, beim Finanzausgleich auf Schwierigkeiten zu stoßen. Schlör (CSU): Wir verlangen eine volks- und wirtschaftsnahe Verwaltung mit verwaltungsnaher parlamentarischer Kontrolle. Aus diesem Grunde sind wir für die Landesfinanzverwaltung. Es ist unbedingt erforderlich, daß, wenn schon die Gesetzgebung dem Bund übertragen ist, die Verwaltung durch die Länder erfolgt. Die Verwaltung muß volks- und wirtschaftsnahe sein. Die Beamten müssen unbedingt von den einzelnen Ländern gestellt werden. Man kann vielleicht einwenden, daß durch die Gesetzgebung die frühere Regelung nach dem landsmannschaftlichen Prinzip wieder eingeführt werden könnte. Wir haben aber gesehen, daß das ursprünglich gesetzlich verankerte landsmannschaftliche Prinzip nach und nach beseitigt worden ist. Es ist unbedingt notwendig, daß der Bauer in Süddeutschland auch von einem Süddeutschen veranlagt wird. Die Bundesfreudigkeit wird sicher gehoben, wenn gerade die schwierigste Arbeit, die Steuererhebung, durch Einhei-

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mische vorgenommen wird, schon aus sprachlichen Gründen. Es kommt oft folgendes vor. Da ist mal ein Mann gekommen, der mit der ursprünglichen Auskunft nicht zufrieden war. Dann ist er zu einem anderen Beamten gegangen, der seine Sprache gesprochen hat; da ist er am Schluß voll befriedigt wieder davongegangen. Irgendwelche wirtschaftlichen Gründe können gegen die Landesfinanzverwaltung nicht vorgebracht werden, weil bei der vorgesehenen Regelung ein weitgehendes Weisungs- und Aufsichtsrecht der Bundesbehörden gegeben ist, so daß von einem Steuergefälle oder von einer Steueroase keine Rede sein kann. Es besteht auch kein Grund, ausgerechnet bei der Finanzverwaltung eine Bundesverwaltung einzuführen. In der Rechtsprechung hat man auch Bundesgesetzgebung, aber Verwaltung durch die lokalen Behörden. Auch hier könnte man den Einwand erheben, die Einheit der Rechtsprechung werde dadurch beeinflußt, daß die Richter der Landesfinanzverwaltung unterstehen. Vielfach wird eingewendet, daß die Einheitlichkeit der ganzen Veranlagung unter der Landesfinanzverwaltung leide. Es denkt niemand daran, irgendeine Änderung der Erzbergerschen Gesetzgebung, der Reichsabgabenordnung19) vorzunehmen. Der Aufbau der Behörden, die ganze Verwaltung, die Erlaßfragen sollen in der nämlichen Weise geregelt sein wie bisher. Irgendwelche Gründe, die von anderer Seite immer dafür geltend gemacht werden, daß vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus die Landesverwaltung nicht tragbar sei, können also kaum durchschlagen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Wir haben im Ausschuß so viel über diese Dinge gesprochen, daß keiner den anderen durch weitere Reden mehr überzeugen kann. Ich habe mich auch nur zum Wort gemeldet, um in diesem Zusammenhang auf unseren Antrag hinzuweisen, der den Bayern die Bundesfinanzverwaltung etwas erleichtern soll. Wir haben zu Art. 123 Abs. 1 beantragt, den Zusatz zu machen: Die Richter des Bundesfinanzhofs werden mit Zustimmung des Bundesrats, die leitenden Beamten der Finanzverwaltung innerhalb der Länder im Einvernehmen mit den Landesregierungen ernannt. Wenn dieser Zusatzantrag angenommen wird, wird das von Herrn Kollegen Schlör dagegen vorgebrachte Bedenken, daß die Bayern durch landfremde und ihrer Sprache nicht mächtige Beamte veranlagt werden könnten, ausgeräumt. Wir haben weiter angeregt, dem Art. 112 eine Fassung zu geben, die auch die Ausführungsbestimmungen zu Steuergesetzen und Finanzausgleichsgesetzen an die Zustimmung des Bundesrats bindet20). Auch das ist ein Beweis dafür, daß wir nach Möglichkeit einen Ausgleich versuchen wollen. An unserem grundsätzlichen Standpunkt, daß die Verwaltung Bundesfinanzverwaltung sein muß, kann das allerdings nichts ändern. Dr. Seebohm (DP): Zur Begründung der Landesfinanzverwaltung hat Herr Minister Dr. Strickrodt gestern so eingehende Ausführungen gemacht21), daß darüber nichts weiter zu sagen ist. Wenn man immer wieder die Steuerreform Erzbergers zur Be19)

Zur Reichsabgabenordnung vom 13. Dez. 1919 vgl. oben Dok. Nr. 13, S. 391, Anm. 34. Im stenograph. Wortprot., S. 55, folgt hier der Zwischenruf von Katz: „(Dr. Katz [SPD]: Ist bereits angenommen!)“ 21) Vgl. dazu die 13. Sitzung des HptA am 1. Dez. 1948; oben Dok. Nr. 13, TOP 2.2, S. 380 ff. 20)

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gründung der Bundesfinanzverwaltung heranzieht, so möchte ich darauf hinweisen, daß der Kern der Erzbergeschen Steuerreform nicht darin liegt, ob es eine Landesfinanzverwaltung oder eine Bundesfinanzverwaltung geben soll, sondern der Kern der Erzbergerschen Steuerreform, der in keiner Weise angegriffen werden soll, liegt in ganz anderen Punkten, die wir alle bejahen. Ich möchte darauf hinweisen, daß leider die Anträge, die zu Art. 105 Ziffer 1 von uns gestellt worden sind, abgelehnt worden sind. Die Annahme dieser Anträge hätte eine wesentliche Annäherung der Standpunkte herbeigeführt. Da diese Anträge abgelehnt sind, muß ich mich nach wie vor für die Landesfinanzverwaltung aussprechen. Schlör (CSU): Ich glaube nicht, daß die vorgeschlagenen Änderungen die ein Entgegenkommen gegenüber Bayern sein sollen, unsere Bedenken voll ausräumen können. Es wird verlangt, daß die Beamtenschaft genau so wie bei den übrigen Verwaltungen [S. 174] von den Ländern gestellt wird. Und zwar sprechen bei uns – der Minister Dr. Strickrodt hat gestern wohl auch derartige Ausführungen gemacht – dafür in erster Linie die Bedenken, daß man zumindest im jetzigen Zeitpunkt wohl kaum in der Lage sein wird, den heterogenen Beamten- und Behördenkörper der Finanzverwaltung, wenn er von einer zentralen Stelle geleitet wird – bei der man im übrigen noch nicht weiß, ob sie stark genug ist –, in Ordnung zu bringen. Auch von Seiten des Herrn Weisser, der zwar den gegenteiligen Standpunkt eingenommen hat, ist darauf hingewiesen worden, daß der Landesfinanzminister eingreifen mußte, damit eine ordentliche Steuerveranlagung und Steuererhebung durchgeführt wurde. Außerdem ist von Herrn Weisser angeführt worden, es sei unbedingt erforderlich, daß man die Länder mehr bei der ganzen Veranlagung beteilige. Er hat erklärt, daß in Nordrhein-Westfalen beim Ministerium ein Beirat gebildet worden sei, um der Wirtschaft die Möglichkeit zu geben, ihre Beschwerden vorzubringen, ihre Verhältnisse besonders klarzulegen und die Berücksichtigung ihrer Verhältnisse durchzusetzen. Also auch von seiten eines Herrn, der erklärt hat, er sei gegen die Landesfinanzverwaltung, ist es als unbedingt notwendig bezeichnet worden, daß die Länderfinanzminister eingeschaltet werden. Im übrigen erinnere ich mich, daß in früherer Zeit die Abteilung für Steuern der Reichsfinanzverwaltung gleichzeitig die Geschäfte des Länderfinanzministeriums mit erledigt hat. Heute ist es vielfach auch so, daß in den einzelnen Ländern nur ein Oberfinanzpräsidium besteht, die Beamten dieses Oberfinanzpräsidiums gleichzeitig mit herangezogen werden müssen, um Geschäfte des Finanzministeriums zu erledigen. Ich glaube nicht, daß es möglich sein wird, ein Finanzministerium ohne Referenten zu lassen. Es ist erforderlich, daß die Referenten des Finanzministeriums – sei es als Beauftragte im Bundesrat, sei es als Vertreter im Bundesrat – bei der Steuergesetzgebung mitwirken. Aus diesem Grund ist es zweckmäßig, die Finanzministerien als Mittelbehörden in all den Fällen einzuschalten, in denen in einem Land nur ein Oberfinanzpräsidium vorhanden ist. Kaufmann (CDU): Ich glaube, die Angelegenheit ist parlamentarisch nicht damit abgeschlossen, daß sich im Hauptausschuß gewisse Abgeordnetengruppen auf die Bundesfinanzverwaltung festgelegt haben. Wir müssen hier und wohl auch im Plenum noch Grundsätzliches dazu sagen. Es sind grundsätzliche Erwägungen, die die Frage zu entscheiden haben. Nach meiner Überzeugung greifen die Probleme, die von den Justizbehörden zu lösen sind – das ist die Einheitlichkeit der Recht-

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sprechung und damit des Rechts –, viel tiefer in das Schicksal des Volkes ein als die finanziellen Dinge, so sehr sie auch heute im Vordergrund stehen. Trotzdem haben wir die Justiz den Ländern bedenkenlos in die Hand gegeben. (Dr. Greve [SPD]: Bedenkenlos nicht! Weiterer Zuruf: Unabhängige Richter!) – Unabhängige Richter, das ist ein Kapitel für sich. Übrigens werden die endgültigen Entscheidungen in Finanzfragen auch in unabhängiger Weise getroffen werden müssen. Das ist auch in Bezug auf die oberste Spitze von uns beantragt worden. Ich habe die Beratungen im Finanzausschuß nicht gehört, sondern nur die gestrigen Besprechungen im Hauptausschuß. Ich habe mit voller Absicht an die Herren Ländervertreter keine Fragen gestellt. Aus den Ausführungen, die nicht nur Herr Finanzminister Dr. Strickrodt, sondern auch Herr Ministerialdirektor Dr. Weisser gemacht hat und die selbst Herr Senator Dudek andeutend gemacht hat – obwohl der letztere sich sonst trotz anderer hanseatischer Erfahrungen fest an seine Weisung gehalten hat –, ging doch hervor, daß in der Finanzverwaltung, die für die britische Zone zentral besteht oder bestand, höchst merkwürdige Dinge vor sich gegangen sind. Ich kenne die Dinge in ihren Einzelheiten nicht, ich erinnere nur an die Bemerkungen in Hinsicht auf personelle Zustände, auf die Fragen der Steuerveranlagung auf die Notwendigkeit des Eingreifens der Finanzminister und auf die Feststellung, daß die Dinge erst in Ordnung gekommen sind, nachdem die langsam herangewachsenen Länder durch ihre Landesfinanzminister direkt Einfluß genommen haben. Ich kenne die Finanzlage der Länder in der britischen Zone und bin in der Lage, sie mit der der Länder zu vergleichen, die insbesondere in der amerikanischen Zone liegen. Sie werden nicht behaupten wollen, daß die Finanzlage der Länder der britischen Zone mit derjenigen der Länder der amerikanischen Zone vergleichbar gewesen ist. Bei einer Gegenüberstellung der Haushalte werden. Sie feststellen, daß in der amerikanischen Zone durch die parlamentarische Verhandlungsform, wie sie in allen Ländern Süddeutschlands möglich ist, trotz aller Schwierigkeiten eine ganz andere, klarere und sicherere Finanzordnung geschaffen werden konnte als oben im Norden. Ich weiß, welchen Einfluß die Subventionen auf die Norddeutschen Etats haben. Ich bin einer von denjenigen, die den Anstoß dazu gegeben haben, daß diese wirtschaftliche Unehrlichkeit beendet worden ist. Aber die Subventionen allein erklären die schlechte Finanzlage der Länder in der britischen Zone nicht, sondern ich bin fest überzeugt und bin durch die Ausführungen von Herrn Dr. Strickrodt und von einigen anderen Herren gestern noch stärker davon überzeugt worden, als ich es vorher war, daß die zentrale Finanzbehörde mit allen Schäden, die sie grundsätzlich hat und die sie offenbar in den letzten Jahren gehabt hat, wesentlich mit daran die Schuld trägt, daß die Finanzlage dieser Länder mangelhaft geworden ist. Ich bin der festen Überzeugung, daß, wenn die Länder die Möglichkeit gehabt hätten, ihre Finanzgestaltung selber in einer zuverlässigen Form vorzunehmen, man auch in der britischen Zone besser daran gewesen wäre. Ich bin zum Beispiel für Hamburg und auch noch für andere Länder hundertprozentig davon überzeugt. Die Finanznot Schleswig-Holsteins22) hätte 22)

Auf die Finanzlage Schleswig-Holsteins wurde im Ausschuß für Finanzfragen wiederholt hingewiesen. Vgl. z. B. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 8, S. 197 f.

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sich durch eine rein ländermäßige Behandlung viel früher deutlich herausgestellt. Dann wäre meiner Überzeugung nach auch die Hilfe früher gekommen, als sie jetzt auch nur in sehr bescheidener Form gekommen ist. Das ist der Grund, weshalb ich, ohne mich in solchen Fällen theoretisch auf Land oder Bund festzulegen, absolut dafür bin, daß hier, wie auch in anderen wichtigen Dingen, die Länderverwaltungen eingeschaltet werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wird immer von der Finanzverwaltung auf die Justizverwaltung exemplifiziert. Ich glaube, daß dies wirklich nicht zulässig ist. Der Justizminister kann nicht den geringsten Einfluß auf die Tätigkeit seiner Gerichte nehmen. Die Gerichte sprechen Recht, indem sie ohne Ansehung der Person und ohne irgendwelche Zwecke das Gesetz anwenden. Sie sind per definitionem keiner Anweisung unterworfen. Insoweit die Gerichte Recht sprechen, also ihre eigentliche Tätigkeit ausüben, gibt es für sie gewissermaßen keinen Justizminister. Bei den Finanzbehörden ist das anders. Ihre Tätigkeit ist per definitionem Auswirkung des zweckgerichteten Willens ihres Finanzministers. Zwar ist ein Gesetz da; aber die Art und Weise, wie das Gesetz ausgeführt werden soll, geschieht auf Weisung, auf Anordnung des Finanzministers, der sein Finanzamt, sein Oberfinanzpräsidium zur Rechenschaft ziehen wird, wenn bestimmte Dinge geschehen, die er nicht will, oder bestimmte Dinge, die er will, nicht geschehen. Ich glaube, aus dieser Gegenüberstellung zeigt sich, daß man aus dem Umstand, daß ohne irgendwelchen Schaden für das Ganze die Justizverwaltung den Ländern gegeben werden kann – ich persönlich, im Gegensatz zu einigen meiner Parteifreunde freue mich, daß das geschehen ist –, nicht folgern kann, daß dies bei der Finanzverwaltung notwendigerweise auch so sein müßte. Dr. Greve (SPD): Die Mängel, die die Finanzleitstelle der britischen Zone23) hat offenbar werden lassen, sind nicht erst gestern hier erkannt worden, sondern diese Mängel sind von uns schon sehr lange erkannt worden. Der größte Mangel der Finanzleitstelle in der britischen Zone beruht nicht darin, daß sie in gewissem Sinne die Aufgaben des früheren [S. 175] Reichsfinanzministeriums im Gebiet der britischen Zone wahrnahm, sondern darin, daß sie parlamentarisch nicht kontrolliert war. Nun werden wir in Zukunft kein Bundesfinanzministerium haben, das nicht parlamentarisch kontrolliert ist, so daß man aus diesen Mängeln, die in der britischen Zone bestanden haben, nichts gegen eine Bundesfinanzverwaltung der Zukunft herleiten und nicht sagen kann, daß diese Mängel wieder auftreten müssen, wenn wir eine Bundesfinanzverwaltung bekommen. In der britischen Zone lagen alle Verhältnisse sehr viel schwieriger, weil sie gerade dasjenige Gebiet war, das durch die Auflösung des Deutschen Reiches und darüber hinaus des Landes Preußen am meisten betroffen worden ist. Wir hatten mit sehr viel schwierigeren Verhältnissen zu kämpfen. Es ist hier auch so, daß das nicht uns Deutsche allein trifft, sondern daß ein gut Teil der Vorwürfe, die zu machen sind, die britische Militärregierung angeht. Wir sind aber nicht dazu da, diese Auseinandersetzungen, die seit Jahr und Tag geführt werden, hier noch einmal zu wiederholen.

23)

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Zu der am 30. Juni 1948 aufgelösten Leitstelle der Finanzverwaltung für die britische Zone (Finanzleitstelle) in Hamburg vgl. oben Dok. Nr. 8, S. 252, Anm. 19.

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Man kann auch nicht annehmen, daß, wenn wir in der britischen Zone Länderfinanzverwaltungen gehabt hätten, die Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen etwas weniger notleidend gewesen wären. Daß die Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen notleidend waren, heute notleidend sind und im Verhältnis zu anderen viel günstiger dastehenden Ländern immer notleidend sein werden, das liegt an der Struktur dieser Länder. Das liegt daran, daß hier wesentliche Einnahmequellen nicht vorhanden sind. Es liegt insbesondere daran, daß die Landwirtschaft heute noch in einem ganz anderen Umfange nicht steuerertragsfähig ist, wie es etwa bei der Industrie und beim Handel der Fall ist. Das liegt auch daran, daß in der britischen Zone, insbesondere in den Ländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen, Kriegsfolgelasten in einem ganz anderen Umfange zu tragen sind als etwa in einem großen Teil der amerikanischen Zone und in der französischen Zone insgesamt. Die Lasten aller Art die den Ländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen allein durch die Flüchtlinge entstanden sind, übersteigen die Finanzkraft dieser beiden Länder um ein Vielfaches, so daß wir in Niedersachsen und SchleswigHolstein auf Jahre, ja vielleicht auf Jahrzehnte hinaus notleidend sein werden, gleichviel ob wir Länderfinanzverwaltung oder Bundesfinanzverwaltung haben. Das kann eben nur in einem ganz anderen Rahmen, auf einer überregionalen Ebene in irgendeiner Art und Weise zum Ausgleich gebracht werden. Es ist auch nicht zutreffend, was der Minister Strickrodt gestern sagte, daß unsere Finanzen sich gebessert hätten, seitdem wir die Länderfinanzverwaltung auch in Niedersachsen haben. Vor dem Tage X hatten alle Länder das Geld, das sie brauchten. Nach dem Tage X sind wir in Niedersachsen fast genauso notleidend wie Schleswig-Holstein. Nur scheuen wir uns vielleicht, das so zu sagen; es ist vor der gesamten Öffentlichkeit noch nicht so evident geworden. Es sind nur graduelle Unterschiede, die aber in Wirklichkeit eine andere Beurteilung gar nicht zulassen. Also etwa die Länder in der britischen Zone hier zu einem Argument gegen eine Bundesfinanzverwaltung zu nehmen, das geht nicht an, weil die Verhältnisse in der britischen Zone absolut anomal waren und sind. Dr. Binder (CDU): Bei der Frage Landesfinanzverwaltung oder Bundesfinanzverwaltung gibt es unabhängig von der politischen Seite des Problems zwei fachliche Fragen, um die es geht, einmal die Sicherstellung einer gleichmäßigen Besteuerung im ganzen Bundesgebiet und zweitens eine optimale Führung der Finanzverwaltung. Gegen unseren Vorschlag einer Landesfinanzverwaltung wird immer wieder der Einwand gemacht, daß dadurch die Einheitlichkeit der Besteuerung nicht sichergestellt sei. So wie wir es jetzt vorgeschlagen haben, hat der Bundesfinanzminister aber ein vollständiges Weisungsrecht bei der Erhebung der gemeinsamen Steuern, ein Aufsichtsrecht und letzten Endes das Machtmittel, daß ein Land, das sich nicht strikt an seine Weisungen hält, bei einem Finanzausgleich keine Berücksichtigung findet. Ich möchte den Landesfinanzminister sehen, der nicht bereit ist, um seine Position im Finanzausgleich aufrechtzuerhalten, die Steuern des Bundes in exaktester Weise einzukassieren, insbesondere dann, wenn er noch mit einem erheblichen Prozentsatz am Steueraufkommen beteiligt ist. Die Frage der optimalen Führung der gesamten Finanzverwaltung läßt mich absolut für die Landesfinanzverwaltung eintreten. Wir haben heute bei den einzelnen Finanzämtern eine so schwierige Geschäftslage, eine derartige Überbürdung mit

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Arbeit, daß ein Bundesfinanzminister nicht in der Lage wäre, für eine ordnungsgemäße Abwicklung dieser Dinge zu sorgen. (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Das ist nicht seine Aufgabe, sondern die seiner Oberfinanzpräsidenten.) – Sicher, aber diese Oberfinanzpräsidenten sind sehr viel schwächer gestellt, als wenn sie die Autorität des ortsansässigen Landesfinanzministers hinter sich haben. (Dr. Greve [SPD]: Umgekehrt!) Es hat sich gezeigt – das ist die Erfahrung des Ministers Hilpert24) als auch von mir und offenbar auch von Herrn Weisser25) –, daß in kleineren Verwaltungsbezirken eine optimale Ausnutzung des Behördenapparates sehr viel mehr sichergestellt ist, als wenn wir diesen Behördenapparat nach Weisung einer Zentrale zu organisieren haben26). Diese Weisungen passen nicht auf die einzelnen Fälle, insbesondere dann nicht, wenn es sich darum handelt, nicht zwei nebeneinander herlaufende Finanzverwaltungen aufzuziehen, weil wir hierfür einfach nicht reich genug sind. Infolgedessen sprechen alle Gesichtspunkte dafür, die Finanzverwaltung bei den Ländern zu lassen, wo sie in der Lage ist, die Belange der Länder mit wahrzunehmen, und wo wir die Möglichkeit haben, die Dinge in einer optimalen Weise zu steuern. Das Bundesinteresse wird dabei ausreichend berücksichtigt sein, weil der Bundesfinanzminister letzten Endes durch den Finanzausgleich die Dinge in der Hand hat. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Wenn in der britischen Zone die Haushalte der vergangenen Jahre schlechter als in der amerikanischen Zone ausgeglichen worden sind, so hat das seine besonderen Gründe. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß große Subventionen für den Kohlenbergbau und die Eisenindustrie in der britischen Zone für die anderen Zonen mit getragen worden sind. Wenn darüber hinaus in den Ländern der britischen Zone wirklich eine schlechte Finanzwirtschaft geführt worden wäre, was in aller Welt hat das mit der Finanzverwaltung zu tun? Gar nichts! Denn Aufgabe der Finanzverwaltung ist es, auf Grund der bestehenden Gesetze die Steuern einzuziehen. Wenn Sie also behaupten wollen, daß die Finanzverwaltung in der britischen Zone auf ihrem eigentlichen Aufgabengebiet 24)

Werner Hilpert (1897–1957), Dr. phil., Syndikus, Steuer- und Wirtschaftsberater, 1932/33 Vors. der thüringischen Zentrumspartei, nach 1945 Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Frankfurt, 1945–1947 Mitbegründer und Vors. der hessischen CDU, 1948 Vors. des Ausschusses für Finanzen des Länderrates in Stuttgart, 1947–1950 stellv. Ministerpräsident, 1946/47 Minister für Wirtschaft und Verkehr, 1947–1950 Minister der Finanzen, 1946/47 und 1950–1952 Mitglied des hessischen Landtags, 1948 in der Gutachterkommission für den Lastenausgleich (Fünfzehner-Ausschuß) und im Ausschuß für Finanzen des Länderrates des VWG, 1949 Mitglied des Technischen Ausschusses und des Ausschusses für Finanzen der Ministerpräsidentenkonferenz, 1952 Direktor der Deutschen Bundesbank. 25) Zur Anhörung des Sachverständigen Weisser vgl. die 13. Sitzung des HptA am 1. Dez, 1948 vgl. oben Dok. Nr. 13, TOP 2.6, S. 398–401. 26) Der Hessische Finanzminister Werner Hilpert wurde am 23. Sept. 1948 in der 6. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen angehört; vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 7, 133–142, hier bes. S. 140 f. Zur Anhörung von Gerhard Weisser in der 13. Sitzung des HptA vgl. oben Dok. Nr. 13, TOP 2.6, hier S. 399 f.

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schlechter gearbeitet habe als die Finanzverwaltung in der amerikanischen Zone, so müssen Sie uns nachweisen, daß die Unkostenquote größer ist oder daß das Steueraufkommen in wirtschaftlich gleichgelagerten Gebieten der britischen Zone geringer gewesen ist. (Kaufmann [CDU]: Das hat Weisser gestern gesagt27).) – Diesen Beweis können Sie nicht führen, das ist völlig unmöglich. Die Zahlen beweisen das Gegenteil, wir haben darüber sehr ausführliche Darstellungen von der Finanzleitstelle in Hamburg. Schließlich hat es eine geordnete Bundesfinanzverwaltung in der britischen Zone nie gegeben, sondern es ist notdürftig eine Finanzleitstelle in Hamburg aus dem Boden gestampft worden, die, wie wir alle wissen, nicht mit genug Leuten besetzt war. Wenn Sie das mit einem geordneten Bundesministerium vergleichen wollen, dann tun Sie uns in unserer Auffassung ein Unrecht. Es bleibt bestehen, und das lehrt alle geschichtliche Erfahrung, daß eine gleichmäßige und damit gerechte Veranlagung von Bundsteuern nur durch eine Bundesfinanzverwaltung gewährleistet ist. MinDir. Dr. Ringelmann: Die bayerische Regierung legt das größte Gewicht auf eine landeseigene Steuerverwaltung. Käme es zur bundeseigenen Steuerverwaltung, so wäre sie in die Zwangslage versetzt, eine eigene Finanzverwaltung zu errichten, weil in Bayern die Finanzverwaltung noch eine [S. 176] Reihe von anderen Geschäften besorgt, die man als „artfremde Geschäfte“ bezeichnet. Eine Doppelorganisation die man schon in der Reichsabgabenordnung zu vermeiden suchte, wäre zu kostspielig und für das Land Bayern überhaupt nicht tragbar. Die ökonomischen Vorteile, die mit einer landeseigenen Abgabenverwaltung verbunden sind, sind so hoch zu veranschlagen, daß die Bundesfinanzverwaltung von Bayern schon aus rein wirtschaftlichen Gründen nicht verantwortet werden könnte. Die organisatorischen Gründe, die für die Landesabgabenverwaltung sprechen, habe ich bereits dargelegt. Bezüglich der Personalwirtschaft möchte ich nur bemerken, daß der Ergänzungsvorschlag, der seitens des Herrn Ministers Höpker Aschoff vertreten wurde, für Bayern ebenfalls nicht tragbar ist; denn der mißliche Zustand, daß ein ungeheurer Personalkörper von einer Zentrale aus bewirtschaftet wird, würde grundsätzlich einem föderativen Staatsaufbau widersprechen. Es besteht kein Anlaß, den allgemeinen Grundsatz, daß die Bundesgesetze von den Ländern vollzogen werden, auf diesem Gebiete zu durchbrechen. Die von uns für die Bundesfinanzen vorgesehenen Sicherheiten sind völlig ausreichend, um eine gleichmäßige und einheitliche Veranlagung der Steuern und eine restlose Erfüllung der Pflichten der Landesfinanzverwaltung gegenüber dem Bund zu gewährleisten. Schlör (CSU): Ich möchte erklären, daß Bayern sich auf keinen Fall mit einer Bundesfinanzverwaltung einverstanden erklärt. (Zuruf: Was heißt Bayern? Sind Sie Regierungsvertreter?) – Ich spreche für die CSU. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen, und zwar zuerst über den Abände-

27)

Vgl. oben Dok. Nr. 13, TOP 2.6, hier S. 399.

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rungsantrag der CDU/CSU, der von dem Herrn Abgeordneten Dr. Binder verlesen wurde. – Der Antrag ist mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über Art. 17 Abs. 1 der Vorlage. – Der Abs. 1 von Art. 123 ist mit 11 gegen 9 Stimmen angenommen. Nunmehr lasse ich über den Zusatzantrag der FDP zu Art. 123 Abs. 1 abstimmen, zuerst über Satz 1: „Die Richter des Bundesfinanzhofes werden mit Zustimmung des Bundesrates ernannt.“ – Dieser Teil des Zusatzantrags ist mit 15 Stimmen angenommen. Satz 2: „die leitenden Beamten der Finanzverwaltung innerhalb der Länder im Einvernehmen mit den Landesregierungen“. – Dieser Teil des Antrags der FDP ist mit 11 gegen 8 Stimmen angenommen. Dann kommt Art. 123 Abs. 2 der Vorlage. Ich lasse abstimmen. – Abs. 2 von Art. 123 ist mit 11 Stimmen angenommen. Ich lasse über Abs. 3 von Art. 123 abstimmen. – Der Abs. 3 ist einstimmig angenommen. Nun lasse ich über den ganzen Art. 123 mit dem beschlossenen Zusatz abstimmen. – Der Art. 123 ist mit 11 gegen 8 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung angenommen. Der Hauptausschuß vertagt sich auf den Nachmittag des 2. Dezember 1948, 15.30 Uhr28). Schluß der Sitzung 13.14 Uhr.

28)

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„Der Hauptausschuß vertagt sich auf den Nachmittag des 2. Dezember 1948, 15.30 Uhr.“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 68.

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Nr. 15 Fünfzehnte Sitzung des Hauptausschusses 2. Dezember 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 177–187. PA 2004. Ungez. stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 453 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: Binder, von Brentano, de Chapeaurouge, Kaufmann, Kroll, Lensing, von Mangoldt, Schlör SPD: Greve, Katz, Löwenthal, Maier, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock FDP: Dehler, Höpker Aschoff DP: Seebohm KPD: Reimann Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Fecht (CDU/CSU), Gayk (SPD), Menzel (SPD), Schrage (SPD), Wolff (SPD) Vertreter der Landesregierungen: Ministerialdirektor Ringelmann (Bayern) Stenographischer Dienst: Peschel Dauer: 15.40–17.47 Uhr

[1. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT XI: DAS FINANZWESEN] [1.1. ART. 122b ABS. 2: STEUEREINNAHMEN FÜR BUND UND LÄNDER]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe auf Art. 122b Abs. 2; wir hatten ihn zurückgestellt3). Schlör (CSU): Ich stelle namens der CDU/CSU den Antrag, dem Abs. 2 von Art. 122b folgenden Satz anzufügen: Der Anteil des Bundes darf nicht höher sein, als zur Erfüllung der ihm verfassungsmäßig obliegenden Aufgaben bei Berücksichtigung seiner sonstigen Einkünfte erforderlich ist.4) Nach dem Grundsatz, daß weder der Bund noch die Länder Kostgänger des anderen sein sollen, soll dem Bund selbstverständlich das, was er für seine Aufgaben benötigt, überlassen bleiben. Für den Bund sind die Aufgaben verfassungsmäßig festgelegt. Bei den Ländern ist es insofern anders, als ihnen die Durchführung sämtlicher übrigen Aufgaben obliegt, die der Bund nicht übernommen hat. Es muß daher die Gewähr dafür gegeben sein, daß der Bund die Beträge, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben nicht benötigt, an die Länder weitergibt und zwar schon aus dem einen Gedanken, daß die große Masse der Steuern dem Bund zur Verfügung 1)

Protokollführer Röttgen. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Vgl. oben Dok. Nr. 14, S. 431. 4) Vgl. dazu auch die Formulierung des Memorandums der Militärgouverneure vom 22. Nov. 1948: Parl. Rat Bd. 8, Dok. Nr. 18, S. 38. 2)

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steht, während sich, wenn man von der Aufstellung des Berichterstatters, Herrn Dr. Höpker Aschoff, ausgeht, die in dem Kurzprotokoll der 13. Sitzung des Finanzausschusses5) angeführt worden ist, der Betrag von 1,4 Milliarden als eigentliches Aufkommen der Länder ergibt; denn die dort aufgeführte Gewerbesteuer und Grundsteuer sind ausgesprochene Gemeindesteuern. Die Vermögensteuer, die dort mit 1,3 Milliarden angesetzt ist, wird unter Berücksichtigung der großen Vermögensabgabe des Lastenausgleichs höchstens 450 Millionen bringen, die Erbschaftsteuer vielleicht 60 Millionen, die übrigen Steuern 900 Millionen, so daß wir auf einen Betrag von höchstens 1,4 Milliarden kommen, der den Ländern zur Verfügung steht. Nimmt man eine Bevölkerung von ungefähr 45 Millionen an, so ergibt sich pro Kopf der Bevölkerung ein Betrag von ungefähr 40 Mark. Die Bedürfnisse der Länder sind sicher pro Kopf der Bevölkerung rund 200 Mark. Es muß daher die Gewähr gegeben sein, daß das, was der Bund für seine Zwecke nicht benötigt, an die Länder weitergegeben wird. Dr. Wolff (SPD): Ich kann mich nicht dazu entschließen, dem Antrag des Herrn Abgeordneten Schlör zuzustimmen. Die aktualisierte „Franckensteinsche Klausel“6), die Herr Kollege Schlör mit seinem Antrag vorlegt, dürfte schon aus den Gründen abzulehnen sein, die heute morgen in überzeugender Weise Herr Dr. Binder vorgetragen hat7). Er konnte gerade mit Nachdruck darauf hinweisen, es kann durchaus erwünscht und sogar notwendig sein, daß die Bundesregierung finanzielle Überschüsse erzielt, die für bestimmte konjunkturpolitische Aufgaben notwendig sind. Die gesamtwirtschaftliche Aufgabe der Steuerpolitik kann in ihrer Bedeutung überhaupt noch nicht voll gewürdigt werden. Gerade die Maßnahmen, die mit der Politik der Vollbeschäftigung in Zusammenhang stehen, die in der Konjunkturpolitik aller Länder eine Rolle spielen, die Maßnahmen, die mit einer maßvollen Wirtschaftslenkung in Zusammenhang stehen, die wichtigen Aufgaben der Verteidigung der Währung können gar nicht gelöst werden, wenn man eine solche Schranke für die Bundesfinanzgewalt zieht. Man muß sich weiter überlegen, daß aus steuerlichen Gründen in absehbarer Zeit auch die Außenhandelspolitik – angesichts der auf vielen Gebieten schon wieder ansteigenden Kosten der deutschen Industrieproduktion – in ganz bestimmter Weise wird beeinflußt werden müssen, daß unter Umständen gewisse Verfahren zur Verbesserung der Ausfuhrsituation für deutsche Güter erforderlich sind. Weil diese Dinge so sind, weil die Politik der Vollbeschäftigung ein bestimmendes Merkmal für die Konjunkturpolitik aller Staaten darstellen muß, bin ich der Überzeugung, daß eine solche Schranke überhaupt nicht errichtet werden kann. Wenn Herr Schlör darauf hinweist, daß der Anteil der eigentlichen Ländersteuern, die nach dem Katalog zu Nr. 1 als Ländersteuern vorgesehen sind, außerordentlich gering ist, so erklärt sich das zu einem großen Teil daraus, daß es ausgesprochen prädestinierte Ländersteuern überhaupt nicht gibt und geben kann, sondern daß 5)

Für den Wortlaut des Kurzprot. der 13. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen am 6. Okt. 1948 vgl. Drucks. Nr. 145. Für den Wortlaut des stenograph. Wortprot. vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 14, S. 400–443, hier bes. S. 405. 6) Zur Frankensteinschen Klausel vgl. oben. Dok. Nr. 14, S. 418, Anm. 13. 7) Vgl. dazu oben Dok. Nr. 14, S. 418 f.

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im wesentlichen auch bei diesen Steuern, schon im Interesse der Schaffung einer eigenen Finanzgrundlage der Länder, Zugeständnisse von uns in ausreichender Weise gemacht worden sind. Es ist aber für die Bemessung der eigenen Finanzkraft der Länder gar nicht entscheidend, lediglich auf die eigenen Ländersteuern hinzuweisen, sondern dazu gehören in gleicher Weise die auch zahlenmäßig festgelegten Anteile aus den Überweisungen an Einkommen-, Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer. Diese Anteile dürften sich nach den Berechnungen, die der Herr Berichterstatter uns im Finanzausschuß vorgelegt hat8), auf etwa 4,5 Milliarden belaufen. Wenn ich die Ziffern noch richtig im Gedächtnis habe, dürften auf der Basis des Art. 122b für den Bund insgesamt höchstens 5,5 bis 5,8 Milliarden Steuereinnahmen zur Verfügung stehen, während für die Länder fast 8 Milliarden zur Verfügung stehen. Ich bin der Überzeugung, daß bei diesen Größenordnungen auch in der Verteilung der Finanzquellen die Lösung nach Art. 122b föderalistischer ist als in irgendeinem großen Bundesstaat der Welt. Dr. Kroll (CSU): Im Zusammenhang mit dem Zusatzantrag des Herrn Schlör ist der Gedanke der Vollbeschäftigung in die Debatte geworfen worden. Wir werden im Zusammenhang mit Art. 124 oder 126 über diese Dinge zu sprechen haben9). Der Hauptausschuß wird nicht die Möglichkeit haben, diese Dinge bis zu Ende durchzudiskutieren. Aber eine Verquickung von Steuerpolitik und Konjunkturpolitik, wie sie hier vorgeschlagen wurde, dürfte der modernen ökonomischen Überzeugung nicht entsprechen. (Widerspruch.) Das Steueraufkommen dient allein den wirklichen Ausgaben des Staates, sei es der Länder, sei es des Bundes. Eine Vorratswirtschaft an Steuern, also eine Thesaurierungs- oder Hortungspolitik ist praktisch aus [S. 178] den verschiedensten Gründen undurchführbar. Entweder würden Sie zu einer effektiven Geldhortung kommen, was ganz allgemein abgelehnt wird, oder aber Sie würden zu sogenannten neuen werbenden Anlagen kommen, die im Fall der Not praktisch nicht realisierbar sind und nicht zur Verfügung stehen. Ich möchte daher allgemein warnen, an dieser Stelle – an anderer Stelle werden wir es tun müssen – die Konjunkturpolitik einzubauen; denn die Steuermittel haben nicht die Aufgabe, konjunkturpolitisch eingesetzt zu werden. Wohl sind es Angelegenheiten der Kreditschöpfung und der Kreditregulierung, mit denen wir uns dann noch befassen werden. Dr. Binder (CDU): Ich glaube, daß Herr Kollege Wolff den Inhalt dieses Zusatzantrages etwas falsch interpretiert hat. Zu den Aufgaben des Bundes gehört es selbstverständlich, eine Finanzpolitik zu betreiben, die auf die gesamtwirtschaftliche Lage Rücksicht nimmt. Es ist durchaus richtig, daß der Bund in gewissen Zeiten Rücklagen finanzieller Art zu bilden hat, um in wirtschaftlich schlechten Zeiten den Sonderaufwand für die Zuschüsse zur Arbeitslosenfürsorge und Sozialversicherung aufzubringen. Außerdem muß der Bundesfinanzminister die Möglichkeit haben, Anleihen vorzeitig zu tilgen, um seine Finanzpolitik mit der Politik des 8)

Vgl. den Bericht von Höpker Aschoff in der 13. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen am 6. Okt. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 14, hier S. 405. 9) „Wir werden im Zusammenhang mit Art. 124 oder 126 über diese Dinge zu sprechen haben.“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 5.

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Wirtschaftsministers abzustimmen. Das sind verfassungsmäßig obliegende Aufgaben, die durch diese Einschränkung nicht berührt werden dürfen. Etwas ganz anderes ist es jedoch, wenn man für die laufende Aufteilung der Steuern zwischen Bund und Ländern, soweit es sich um gemeinsame Steuern handelt, eine gewisse Richtlinie gibt, nach der diese Steuern aufzuteilen sind, und zum Ausdruck bringt, daß der Bund nicht mehr zu erhalten hat, als er der Sache nach braucht. Ich glaube, das wird in absehbarer Zeit nicht dazu führen, daß sich eine Thesaurierungspolitik der Länder auf diesen Artikel stützt; denn wenn der Bund nicht den vollen Anteil an Steuern benötigt, müssen wir zunächst einmal an eine Steuersenkung denken. Es ist keineswegs unsere Absicht, den Bund finanziell von den Ländern abhängig zu machen oder einen finanziell schwachen Bund herbeizuführen, sondern es kam uns nur darauf an, eine Richtlinie zu geben, wie verfahren werden muß, wenn nach Abs. 2 die gemeinsamen Steuern zwischen Bund und Ländern aufgeteilt werden. Dr. Menzel (SPD): Ich möchte die Herren Antragsteller zunächst fragen, wer denn entscheiden soll, ob die Voraussetzungen dieses Art. 122b Abs. 2 vorliegen, ob also verfassungsmäßig obliegende Aufgaben vorliegen, die finanziert werden müssen, oder nicht. Das dafür zuständige Organ, das im Interesse der Länder handeln würde, wäre doch der Bundesrat. Wir haben in Art. 105 beschlossen, daß der Bundesrat bei den Finanzausgleichsgesetzen nicht nur auf das Vetorecht beschränkt ist, sondern voll zustimmen muß. Sie haben mithin bereits das Länderorgan bei der Verteilung der Steuern vorweg eingeschaltet. Dann möchte ich die Herren der CDU/CSU auf das Protokoll der Finanzausschußsitzung zu Art. 122b verweisen. Dort heißt es in einer Anmerkung: Bei der Abstimmung wurden die Ja-Stimmen der DP und der CDU/CSU-Fraktion unter dem protokollarischen Vorbehalt abgegeben, daß im Grundgesetz die Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung durch einen gleichberechtigten Bundesrat gewährleistet wird10). Die Voraussetzungen, unter denen damals die Herren der CDU/CSU zugestimmt haben, sind also erfüllt. (Zuruf: Nicht voll!) Es steht in Art. 105, daß beim Finanzausgleich der Bundesrat voll zustimmen muß; er ist dort nicht nur auf ein Vetorecht beschränkt worden. Ich glaube, Sie würden den Art. 105 in der vorgestern beschlossenen Fassung gefährden, wenn Sie nun noch zusätzlich die Aufnahme dieses Artikels in der jetzigen Form verlangen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wurde soeben gefragt, wer feststellen wird, ob der Anteil des Bundes nicht höher ist, als es zur Erfüllung der ihm verfassungsmäßig obliegenden Aufgaben erforderlich ist. Es wurde vom Bundesrat gesprochen. Dieser fällt aber wohl aus, denn ohne bundesrätliche Zustimmung wäre ja ein solches Gesetz gar nicht beschlossen worden. Es gibt in der Tat eine Stelle, die eine solche Nachprüfung vornehmen könnte. Nach dem Dokument Nr. 1 haben sich die Besatzungsmächte vorbehalten zu kontrollieren, ob das staatliche Leben in Deutschland 10)

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Vgl. das Kurzprot. der 13. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen vom 6. Okt. 1948; Drucks. Nr. 145. Für den Wortlaut des stenograph. Wortprot. vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 14, hier S. 443.

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in verfassungsmäßiger Weise vor sich geht11). Es könnte also sein, daß es die Besatzungsmächte übernehmen, uns darüber zu belehren, ob der Anteil des Bundes zu hoch ist oder nicht, ob er im Verhältnis zu den verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundes steht oder nicht. Die Frage nach dem Bestehen einer „Instanz“ glaube ich damit beantwortet zu haben. Dr. Menzel (SPD): Ich möchte sie gern von den Herren Antragstellern beantwortet wissen. Schlör (CSU): Der Verfassungsgerichtshof. (Dr. Greve [SPD]: Wo steht das?) Dr. Seebohm (DP): Grundsätzlich sollte man es bei der Auslegung eines Antrags nicht darauf abstellen, ob irgendeine alliierte Stelle die Entscheidung zu fällen haben wird. Die Alliierten werden sich sowieso immer wieder Eingriffe erlauben, die wir alle nicht schätzen und nicht anerkennen können und die wir möglichst bald abgestellt zu sehen wünschen. Über Fragen der Verfassung und über Streitigkeiten aus der Verfassung hat der Verfassungsgerichtshof zu entscheiden. Er könnte auch in einem solchen Fall eine Entscheidung fällen, indem er Sachverständigenvernehmungen und ähnliche Erhebungen durchführt. Es gibt keine andere Stelle, die darüber entscheiden kann, ob eine Maßnahme oder ein Gesetz der Bundesregierung mit der Verfassung in Übereinstimmung steht oder nicht. Normalerweise wird es wahrscheinlich gar nicht notwendig sein, daß der Verfassungsgerichtshof in Tätigkeit tritt, sondern die Entscheidung würde sich ohne weiteres aus dem Etat des Bundes ergeben, in dem Einnahmen und Ausgaben festgestellt sind, so daß man genau weiß, ob der Bund höhere Einnahmen als Ausgaben hat. Wenn er also höhere Einnahmen hat, dann bedeutet diese Vorschrift, daß das nicht sein darf, sondern daß die Einnahmen dann den Ländern zur Verfügung stehen, soweit sie nicht zur Steuersenkung verwendet werden. Dr. Greve (SPD): Ich muß mich gegen die Ausführungen des Herrn Kollegen Seebohm wenden, weil die Frage, welche Aufgaben vom Bund zu erfüllen sind, in sehr vielen Fällen eine politische Frage sein wird und es meines Erachtens nicht angängig ist, einen Verfassungsgerichtshof darüber entscheiden zu lassen, ob es im Interesse politischer Aufgaben notwendig ist, daß der Bund aus den Einnahmequellen, die ihm zugewiesen worden sind, für sich auch die entsprechenden Mittel in Anspruch nimmt. Es würde hier meines Erachtens ein so weitgehender Eingriff seitens des Verfassungsgerichtshofs in Fragen politischer Art stattfinden, daß mir die insbesondere von der Gegenseite gewünschte Gewaltenteilung gefährdet zu sein scheint. Herr Kollege Schlör, mit demselben Recht könnte man sagen: Der Anteil der Länder darf nicht höher sein, als zur Erfüllung der ihnen verfassungsmäßig obliegenden Aufgaben bei Berücksichtigung ihrer sonstigen Einkünfte erforderlich ist. Warum die Formulierung, die Sie gebracht haben, und nicht die Formulierung, die durch einen Zwischenruf angeregt worden ist? Ich möchte Herrn Dr. Menzel 11)

In Dokument Nr. I der drei Dokumente zur zukünftigen Entwicklung Deutschlands („Frankfurter Dokumente“) heißt es: „Wenn die Verfassung in der von der Verfassunggebenden Versammlung ausgearbeiteten Form mit diesen allgemeinen Grundsätzen nicht in Widerspruch steht, werden die Militärgouverneure ihre Vorlage zur Ratifizierung genehmigen.“ Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 1, Dok. Nr. 4, S. 32. – Zu den Frankfurter Dokumenten vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 8, Anm. 30.

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noch durch die Bemerkung ergänzen, daß nicht nur beim Finanzausgleich, sondern nach Ziffer 1 von Art. 105 auch bei den Steuern, deren Reinaufkommen dem Bund und den Ländern gemeinsam zugewiesen ist, eine so weitgehende Mitwirkungsmöglichkeit des Bundesrats als des Organs der Länder sichergestellt ist, daß über das hinaus, was wir bisher im Art. 122b formuliert haben, nichts weiter notwendig erscheint. [S. 179] Dr. Seebohm (DP): Die Ausführungen des Herrn Kollegen Greve im ersten Teil seiner Rede gehen an der Sache vorbei. Der Anteil des Bundes bemißt sich ja nach dem Etat. In Art. 122 sind verfassungsmäßig nicht alle Aufgaben des Bundes aufgezählt. Die etwa hinzutretenden Aufgaben des Bundes werden durch die laufenden Gesetze und andere gesetzliche Maßnahmen bestimmt. Es ist also ganz abwegig zu sagen, daß politische Aufgaben, die der Bund zu erfüllen hat, der Jurisdiktion des Verfassungsgerichtshofs unterstehen. Ihm untersteht etwas ganz anderes. Es steht ihm allenfalls eine Prüfung zu, wenn im Etat Einnahmen vorliegen, die höher sind als die bewilligten Ausgaben. Dann muß der Bund sich entscheiden, was er mit den zu hohen Einnahmen macht. In dem Antrag steht ausdrücklich, daß der Anteil des Bundes dann nicht höher sein darf, als es für ihn zur Erfüllung seiner Aufgaben nötig ist12). In diesen politischen Dingen wird niemals ein Streitfall entstehen. Die Entscheidung wird sich vielmehr auf die Frage des Finanzausgleichs, erstrekken, darauf, ob die Mittel, die den Ländern zuzuführen sind, entsprechend zu erhöhen sind, wenn sich hier eine Differenz ergibt. (Dr. Greve [SPD]: Das ist Ihre Annahme, aber ich habe eine andere.) Die Bezugnahme auf Art. 105 Ziffer 1 ist insofern nicht richtig, als wir dort nur bestimmte Teile der Steuergesetzgebung der Zustimmung des Bundesrats unterworfen haben, während der Antrag, alle Finanz- und Steuergesetze, also auch diejenigen, die über Bundeseinnahmen bestimmen, der Zustimmung des Bundesrats zu unterwerfen, nicht die Billigung der Mehrheit des Ausschusses gefunden hat. Wenn das in Art. 105 zum Ausdruck gekommen wäre, wäre dieser Zusatzantrag nicht notwendig. Man kann nicht argumentieren: wenn dieser Zusatzantrag angenommen wird, wollen wir Art. 105 wieder ändern; weil vielmehr Art. 105 im Sinne der Mehrheit nicht so gefaßt worden ist, wie die Anträge der Minderheit es gewünscht haben, deshalb wird jetzt dieser Antrag gestellt. Dr. Höpker Aschoff (FDP): In Wirklichkeit handelt es sich doch darum, daß zu gegebener Zeit ein Finanzausgleichsgesetz gemacht werden muß. Bei der Beratung dieses Finanzausgleichsgesetzes beginnt natürlich ein harter Kampf zwischen dem Bund und den Ländern. Jeder will möglichst viel von der Einkommensteuer und von der Umsatzsteuer haben. Ich kann mir nicht denken, daß in absehbarer Zeit so reichliche Überschüsse vorhanden sein werden, daß diese Auseinandersetzung eine sehr einfache sein wird. Schreiben Sie diese Geschichte in die Verfassung hinein, so könnte ein beschlossenes Finanzausgleichsgesetz nachträglich mit der Begründung angefochten werden, daß es dem Bund mehr gegeben hat, als zur Dek12)

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Im stenograph. Wortprot., S. 10, folgt danach: „Die Aufgaben sind im Grundgesetz nicht voll aufgezählt, sondern in Art. 122 Abs. 1 ist nur eine Teilaufzählung der Aufgaben enthalten. Sie können durch Gesetz und andere gesetzliche Maßnahmen beliebig erweitert werden.“

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kung seiner verfassungsmäßigen Aufgaben nötig ist. Das wäre doch die Konsequenz, und die scheint mir eben sehr bedenklich zu sein. Wenn Sie sich vorstellen, daß wir wirklich einmal in Jahre einer guten Konjunktur kommen und Überschüsse vorhanden sind, dann bedeutet diese Bestimmung, daß die Überschüsse immer nur an die Länder fallen, daß die Länder in die Lage kommen, eine Schuldentilgung vorzunehmen, der Bund hingegen nicht. Es kann aber sehr bedeutsam sein, daß der Bund eine Schuldentilgung vornimmt. Hier halte ich die Ausführungen des Kollegen Dr. Kroll vom Standpunkt der modernen Konjunkturpolitik aus für abwegig. Wenn wir wieder einmal in die Lage kommen, Konjunkturpolitik zu treiben, müssen wir allerdings in guten Jahren Überschüsse zurücklegen, das heißt Schulden tilgen können. (Dr. Kroll [CSU]: Darum geht es gar nicht!) Durch diese Bestimmung lenken Sie alle Überschüsse in die Taschen der Länder. Sie geben den Ländern die Möglichkeit, Konjunkturpolitik zu treiben und Schulden zu tilgen. Dem Bund dagegen nehmen Sie diese Möglichkeit. Es ist eine sehr schwierige Bestimmung, die in ihrer Tragweite gar nicht zu übersehen ist. Das Heilmittel liegt tatsächlich da, wo der Herr Kollege Menzel es gesehen hat. Wir haben bestimmt, daß über den Finanzausgleich Bundesrat und Parlament gemeinsam beschließen, daß es hier also nicht einen Einspruch gibt, der überwunden werden kann, sondern daß die Zustimmung des Bundesrats erforderlich ist. Dadurch ist dafür gesorgt, daß die Länder beim Finanzausgleich zum Zuge kommen und nicht überfahren werden. Dr. Kroll (CSU): Die Frage, was verfassungsmäßig obliegende Aufgaben sind, kann doch nicht so ausgelegt werden, daß zu diesen Aufgaben nicht auch die Schuldentilgung gehört. Sie gehört selbstverständlich dazu. Von dem Augenblick an, in welchem der Bund Schulden macht, Anleihen aufnimmt, muß er sie auch zurückzahlen. Kein Mensch wird auf die Idee kommen, daß durch eine derartige Formulierung eine Schuldentilgung unmöglich gemacht wird. Wogegen ich mich gewandt habe, ist etwas ganz anderes; da bin ich wohl mißverstanden worden. Ich habe mich gegen eine reine Thesaurierungspolitik gewandt – und ich wüßte sehr entscheidende und durchschlagende ökonomische Argumente dafür anzugeben –, also gegen eine Geldhortung des Staates bzw. gegen eine Verwendung von Überschüssen in sogenannten werbenden Anlagen, auf die man in Notzeiten zur Dekkung eines Etatdefizits nicht zurückgreifen kann. Die Schuldentilgung wird meines Erachtens hiervon überhaupt nicht berührt. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Eine Thesaurierung kann aus Gründen der Konjunkturpolitik sehr wohl nötig sein. In guten Jahren muß ich tatsächlich thesaurieren. Was heißt denn thesaurieren? Thesaurieren heißt überplanmäßige Schuldentilgung, weiter gar nichts. Sie haben vielleicht nicht die erforderlichen Erfahrungen. Wenn wir in Preußen Überschüsse gehabt haben, wurden sie nicht etwa auf die Staatsbank gelegt, sondern sie wurden zur außerplanmäßigen Schuldentilgung verwandt. (Dr. Kroll [CSU]: Die Schuldentilgung wird ja hiervon nicht berührt.) Natürlich ist sie berührt. Es handelt sich nicht um die gesetzliche und in Verträgen vorgesehene Tilgung, sondern es handelt sich darum, ob überschüssige Mittel zur Schuldentilgung verwandt werden sollen. Das kann aus Gründen der Konjunkturpolitik sehr wohl notwendig sein.

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MinDir. Dr. Ringelmann: In der Verfassung sind die Aufgaben des Bundes festgelegt. Alle übrigen Aufgaben sind von den Ländern zu erfüllen. Wenn die Länder zur Erfüllung ihrer Aufgaben imstande sein sollen, müssen ihnen auch die erforderlichen Mittel im Rahmen der Verfügbarkeit zur Verfügung stehen. Es wurde nun der Gedanke erwogen, ob man nicht sagen soll, daß die Länder die Mittel erhalten sollen, die sie zur Bewältigung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben benötigen. Diese verfassungsmäßigen Aufgaben lassen sich aber nicht umschreiben, während die verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundes durch die Verfassung umschrieben sind. Infolgedessen kann es sich nur darum handeln, daß dem Bund all das zugestanden wird, was er zur Erfüllung der im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Zuständigkeit liegenden Aufgaben benötigt. Daß es Streit geben kann, ist ganz klar. Über jede Verfassungsbestimmung kann es Streit geben. Auch mit der Möglichkeit, daß der Verfassungsgerichtshof angerufen wird, muß man rechnen. Dazu ist die Institution da, daß sie in derartigen Streitigkeiten entscheidet. Es wird gesagt, der Bundesrat sei in Finanzangelegenheiten gleichberechtigter Faktor neben dem Bundestag. Wenn aber die Verfassung hier eine Richtlinie für den Gesetzgeber aufstellt, so ist das nach meiner Anschauung das beste Mittel, um künftigen Streitigkeiten vorzubeugen. Die Verfassung gibt eben dann bestimmte Anhaltspunkte dafür, wie die Ausscheidung der Mittel durchzuführen ist. Ich halte es für notwendig, auch zum Schutz der Länder, dafür Sorge zu tragen, daß der Bund zwar diejenigen Mittel erhält, die zur Bestreitung [S. 180] seiner Aufgaben erforderlich sind, daß aber durch Beschränkung dieser Mittel auf die verfassungsmäßigen Aufgaben eine Politik vermieden wird, die schließlich zur Armut der Länder führt.13) Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zuerst über den Abs. 2 des Art. 122b in der Fassung des Finanzausschusses abstimmen. – Die Fassung ist mit 18 Stimmen angenommen. Ich stelle weiter den Zusatzantrag Schlör zur Abstimmung. – Der Antrag ist mit 11 gegen 4 Stimmen abgelehnt. Schönfelder (SPD): Der Deutsche Städtetag14) hat sich in der letzten Sitzung seines Hauptausschusses in Münster mit den Finanzfragen befaßt, insbesondere mit den Interessen der Gemeinden, und einstimmig folgenden Beschluß gefaßt: Das Nähere über die Verteilung der Steuerquellen zwischen den Ländern und Gemeinden und über die Regelung des Finanzausgleichs zwischen den Ländern untereinander sowie den Ländern und Gemeinden regelt ein Finanzausgleichsgesetz des Bundes15).

13)

Im stenograph. Wortprot., S. 16, folgt danach: „Schönfelder (SPD): Für die zweite Lesung hätte ich vielleicht einen andern Vorschlag anzukündigen.“ 14) Der Deutsche Städtetag war seit 1905 Spitzenverband der kreisfreien und eines Teils der kreisangehörigen Städte. Vgl. Otto Ziebill: Geschichte des Deutschen Städtetages, Stuttgart/Köln 1955. 15) Der Städtetag der Bizone vertrat die Ansicht, daß die Gemeinden nicht in eine Abhängigkeit zu den Ländern geraten dürften, deswegen setzte er sich für eine entsprechende Neuregelung der Finanzverfassung im Parl. Rat ein. Vgl. O. Ziebill, Geschichte des Deutschen Städtetages, S. 245 ff. Vgl. auch Sörgel, S. 158–166. Vgl. Deutscher Städtetag. Hauptausschuß 23. Okt. 1948. Gemeinden und Grundgesetz, Finanzlage der Städte, Kommunale Kulturpflege und Völkerverständigung. Tagungsberichte Münster in West-

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Hier wünschen die Städte und Gemeinden gegenüber den Ländern in bezug auf den Finanzausgleich gesichert zu sein. Es war mir besonders interessant, daß im Hauptausschuß auch alle Vertreter bayerischer Städte für diesen Antrag gestimmt haben. Mir scheint also, daß das Mißtrauen der Länder gegen den Bund nicht größer ist als das Mißtrauen der Städte in Bayern gegen ihre Landesregierung. Wir müssen uns in Hinsicht auf diesen Beschluß des Städtetages für die zweite Lesung einen Antrag vorbehalten. Dr. von Brentano (CDU): Ich möchte feststellen, daß es sich bei diesen Dingen nicht nur um bayerische Interessen handelt, sondern daß es noch mehr Länder gibt, die mit gleichem Nachdruck die gleichen Ziele verfolgen wie Bayern. Ich glaube, es würde der sachlichen Arbeit dienen wenn wir mit derartigen kritischen Bemerkungen etwas mehr Zurückhaltung üben würden.

[1.2. ART. 124: HAUSHALTSPLAN]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe auf

Art. 124 (1) Alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes müssen für jedes Rechnungsjahr veranschlagt und in den Haushaltsplan eingesetzt werden. (2) Der Haushaltsplan wird vor Beginn des Rechnungsjahres durch Gesetz festgestellt. Er ist in Einnahme und Ausgabe auszugleichen. Die Ausgaben werden in der Regel für ein Jahr bewilligt, sie können in besonderen Fällen auch für eine längere Dauer bewilligt werden. Im übrigen sind Vorschriften im Bundeshaushaltsgesetz unzulässig, die über das Rechnungsjahr hinausgehen oder sich nicht auf die Einnahmen und Ausgaben des Bundes oder seiner Verwaltung beziehen. (3) Ist bis zum Schluß eines Rechnungsjahres der Haushaltsplan für das folgende Jahr nicht durch Gesetz festgestellt, so ist bis zu seinem Inkrafttreten die Bundesregierung ermächtigt: 1. alle Ausgaben zu leisten, die nötig sind, a) um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen, b) um die rechtlich begründeten Verpflichtungen des Bundes zu erfüllen, c) um Bauten, Beschaffungen und sonstige Leistungen fortzusetzen oder Beihilfen für diese Zwecke weiter zu gewähren, sofern durch den Haushaltsplan eines Vorjahres bereits Beträge bewilligt worden sind, 2. Schatzanweisungen bis zur Höhe eines Viertels der Endsumme des abgelaufenen Haushaltsplanes für je 3 Monate auszugeben, soweit nicht auf besonderen Gesetzen beruhende Einnahmen aus Steuern, Abgaben und sonstigen Quellen die Ausgaben unter 1 decken.

falen. Köln 1948, S. 24. Für einen Auszug aus der Resolution des Hauptausschusses des Städtetages vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 20, S. 506, Anm. 9

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(4) Bei kaufmännisch eingerichteten Betrieben des Bundes brauchen nicht die einzelnen Einnahmen und Ausgaben, sondern nur das Endergebnis in den Haushaltsplan eingestellt zu werden. Dr. von Brentano (CDU): Der Redaktionsausschuß hat aus redaktionellen Gründen vorgeschlagen, den Notetat von dem ordentlichen Etat zu trennen, also eine Aufteilung in Art. 124 und 124a vorzunehmen. Das scheint uns richtiger und klarer zu sein. Wir haben weiter in Art. 124 einen neuen Abs. 3 eingefügt. Er lautet: Das Vermögen und die Schulden sind in einer Anlage des Haushaltsplanes nachzuweisen. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Zur Begründung darf ich vortragen, es bedarf einer Vorschrift, die außer den Einnahmen und Ausgaben auch das Vermögen und die Schulden des Bundes erwähnt und ihre künftige gesetzliche Regelung vorsieht. Vergleichen Sie die einschlägigen Vorschriften neuerer Länderverfassungen. Wir waren weiter der Meinung, daß die bisherige Vorschrift des Abs. 4 sich erübrigt, weil sie in die Haushaltsordnung, aber nicht in die Verfassung gehört. Es entspricht der üblichen Formulierung der Haushaltsordnung, daß bei kaufmännisch eingerichteten Betrieben des Bundes nicht die einzelnen Einnahmen und Ausgaben, sondern nur das Endergebnis eingestellt wird. Ich stelle diese Änderungsanträge, die im wesentlichen redaktioneller Art sind und wohl nur in Abs. 3 des Art. 124, betreffend die Hinzufügung eines Vermögensverzeichnisses, eine materielle Änderung bedeuten. Dr. Wolff (SPD): Die Änderungen, die der Redaktionsausschuß vorgenommen hat, stimmen, soviel ich sehe, im wesentlichen mit den Empfehlungen überein, die der Rechnungshof des Deutschen Reiches für die britische Zone gegeben hat und die in einer Drucksache allen Abgeordneten des Rates zugegangen sind16). Es ist wahrscheinlich lediglich auf ein Versehen zurückzuführen, daß nicht auch der Vermögens- und Schuldennachweis in den Vorschlag des Finanzausschusses einbezogen ist. Das ist sicherlich zweckmäßig und auch erforderlich. Der Rumpffinanzausschuß, der gestern getagt hat, hat sich mit der Einfügung der Bestimmung einverstanden erklärt. Ich halte es auch für zweckmäßig, den wichtigen Absatz betreffend den Notetat, der in der Vorlage des Finanzausschusses17) bei Art. 124 erscheint, wegen seiner besonderen Bedeutung als einen besonderen Artikel zu bringen. Ich bin dagegen nicht der Auffassung, daß es nützlich ist, die Bestimmung in Abs. 4 der Vorlage des Finanzausschusses, wonach bei kaufmännisch eingerichteten Betrieben des Bundes nur das Endergebnis in den Haushaltsplan eingestellt zu 16)

Auf Veranlassung von Präs. Adenauer nahm der Rechnungshof des Deutschen Reiches (Britische Zone) zum bisherigen Grundgesetzentwurf Stellung. Die Stellungnahme wurde am 25. Nov. 1948 als Drucks. Nr. 306 und Nr. 307. vervielfältigt. Für den Wortlaut der Empfehlung des Rechnungshofes des Deutschen Reiches vgl. die Auszüge zum Finanzwesen in Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 20, S. 509 f., 512–515 und 517. 17) Die Drucks. Nr. 203 enthielt die Ergebnisse der Beratungen der Fachausschüsse nach dem Stand vom 18. Okt. 1948; ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 1, S. 32–35. Vgl. die vom Ausschuß für Finanzfragen in der ersten Lesung angenommene Fassung vom 13. Okt. 1948 des Abschnitts XI: Das Finanzwesen ist auch als Drucks. Nr. 176 erschienen; vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 18, S. 483–498; ebenfalls abgedruckt in: Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 1, S. 32–35.

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werden braucht, herauszunehmen. Ich halte es für nützlich, diese Fassung weiterbestehen zu lassen. Ich bitte also, sich dem Vorschlag des Redaktionsausschusses insoweit anzuschließen, daß insbesondere die Bestimmung betreffend den Nachweis des Vermögens und der Schulden als besonderer Abs.18) 3 in Art. 124 eingefügt wird und daß ein neuer Art. 124a betreffend den Nothaushalt gemacht wird, wobei noch darauf hinzuweisen ist, daß die vom Finanzausschuß gewählte Fassung in Abs. 3, die im wesentlichen der alten preußischen Verfassung entspricht, durch eine andere Formulierung ersetzt worden ist, die vom Rechnungshof mit der Fortentwicklung des Haushaltsrechts begründet worden ist. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Es ist nichts dagegen einzuwenden, daß man aus dem einen Artikel zwei Artikel macht. Wenn der Redaktionsausschuß das vorschlägt und der Finanzausschuß das billigt, habe ich nichts dagegen zu sagen. Ich habe nur Bedenken, den Abs. 4 [S. 181] zu streichen. Diese Bestimmung der Haushaltsordnung ist seinerzeit mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossen worden, weil man Bedenken hatte, ob sie nicht im Widerspruch zur Verfassung steht. Mit Rücksicht darauf habe ich es für notwendig gehalten, diesen Abs. 4 in Art. 124 aufzunehmen. Dr. von Brentano (CDU): Ich ziehe den Antrag zurück. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Dann ist die Frage, ob man nach dem Vorschlag des Rechnungshofs in den jetzigen Abs. 3 Ziffer 2 von Art. 124 auch noch die Betriebsmittelrücklage einsetzen will. Man kann es tun. Ich habe in Preußen eine Betriebsmittelrücklage nie gehabt, das Reich hat sie auch nie gehabt. Ob der Bund eine Betriebsmittelrücklage bilden wird, weiß ich nicht. Es ist im allgemeinen bisher nicht üblich gewesen. Die Bildung von Betriebsmittelrücklagen kannten wir nur bei den Gemeinden; denen war sie allerdings durch Gesetz vorgeschrieben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich an Hand der Vorlage des Finanzausschusses abstimmen, zunächst über Art. 124 Abs. 1. – Der Abs. 1 ist einstimmig angenommen. Ich lasse über Abs. 2 abstimmen. – Der Abs. 2 ist einstimmig angenommen. Es ist der Antrag gestellt, den bisherigen Abs. 3 des Art. 124 herauszunehmen, einen besonderen Art. 124a zu machen und als Abs. 3 von Art. 124 einzufügen: „Das Vermögen und die Schulden sind in einer Anlage des Haushaltsplanes nachzuweisen. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“ Ich lasse über die Aufnahme dieser Bestimmung in Art. 124 abstimmen. – Der Antrag ist angenommen. Dann lasse ich über den bisherigen Abs. 4 von Art. 124 abstimmen. – Der Abs. 4 ist einstimmig angenommen. Dann stimmen wir über den Antrag ab, den bisherigen Abs. 3 des Art. 124 zu einem Art. 124a zu machen. – Der Antrag ist einstimmig angenommen.

18)

Statt „besonderer Absatz“ im stenograph. Wortprot., S. 19: „besondere Ziffer“.

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Fünfzehnte Sitzung des Hauptausschusses 2. Dezember 1948 [1.3. ART. 124a: SCHLUSS DES RECHNUNGSJAHRES]

Dann lasse ich unter Zugrundelegung der Fassung des Finanzausschusses über diese Bestimmung abstimmen, zunächst über folgenden Teil: Ist bis zum Schluß eines Rechnungsjahres der Haushaltsplan für das folgende Jahr nicht durch Gesetz festgestellt, so ist bis zu seinem Inkrafttreten die Bundesregierung ermächtigt: 1. Alle Ausgaben zu leisten, die nötig sind, a) um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen, Der verlesene Teil ist einstimmig angenommen. Es heißt weiter: b) um die rechtlich begründeten Verpflichtungen des Bundes zu erfüllen, Dieser Teil ist einstimmig angenommen. Dann heißt es: c) um Bauten, Beschaffungen und sonstige Leistungen fortzusetzen oder Beihilfen für diese Zwecke weiter zu gewähren, sofern durch den Haushaltsplan eines Vorjahres bereits Beträge bewilligt worden sind. Dieser Teil ist angenommen. Ferner heißt es: 2. Schatzanweisungen bis zur Höhe eines Viertels der Endsumme des abgelaufenen Haushaltsplanes für je 3 Monate auszugeben, soweit nicht auf besonderen Gesetzen beruhende Einnahmen aus Steuern, Abgaben und sonstigen Quellen die Ausgaben unter 1 decken. Dr. von Brentano (CDU): Hier liegt der Ergänzungsantrag des Redaktionsausschusses vor, hinter die Worte „sonstigen Quellen“ einzufügen: „oder die Betriebsmittelrücklage“. Dr. Greve (SPD): Nicht nur dieser Abänderungsantrag. Der Abs. 2 des vom Redaktionsausschuß vorgeschlagenen neuen Art. 124a lautet noch anders: Soweit nicht auf besonderem Gesetz beruhende Einnahmen aus Steuern, Abgaben und sonstigen Quellen oder die Betriebsmittelrücklage die Ausgaben unter Abs. 1 decken, darf die Bundesregierung die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftsführung erforderlichen Mittel bis zur Höhe eines Viertels der Endsumme des abgelaufenen Haushaltsplanes im Wege des Kredits flüssig machen. Dr. von Brentano (CDU): Sprachlich ist es das gleiche. Wir haben nur Satz 1 an die Stelle von Satz 2 gesetzt. Dr. Binder (CDU): Ich stelle den Antrag, den Abs. 2 in der Fassung des Redaktionsausschusses zur Abstimmung zu bringen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist sachlich dasselbe. Es liegt nur eine Umstellung vor, und es ist die Betriebsmittelrücklage eingefügt. Ich lasse über die Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Die Fassung des Redaktionsausschusses ist einstimmig angenommen.

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[1.4. ART. 124b: HAUSHALTSÜBERSCHREITUNGEN UND AUSSERPLANMÄSSIGE AUSGABEN]

Der bisherige Art. 124a wäre jetzt als Art. 124b zu setzen. Er lautet: Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der Zustimmung des Bundesministers der Finanzen. Sie darf nur im Falle eines unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden. Dr. von Brentano (CDU): Auch hier hat der Redaktionsausschuß eine etwas andere Fassung gewählt. Sie lautet: Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der Zustimmung des Bundesministers für Finanzen und der nachträglichen Genehmigung des Bundestags. Die Zustimmung des Bundesministers für Finanzen darf nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden. Die nachträgliche Genehmigung des Bundestags ist im Laufe des nächsten Rechnungsjahres einzuholen. Der Redaktionsausschuß war der Auffassung, daß auch solche Haushaltsüberschreitungen zumindest einer nachträglichen parlamentarischen Kontrolle bedürfen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Meiner Meinung nach liegt hier ein Denkfehler vor. Was der Finanzminister außerplanmäßig zur Verfügung gestellt hat und was ausgegeben ist, das bleibt ausgegeben, gleichgültig ob es nachher genehmigt wird oder nicht. Eines bleibt richtig – und das ist durch die weiteren Bestimmungen gedeckt –, daß der Finanzminister auch über solche außerplanmäßigen Ausgaben Rechnung legen muß und daß er zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn man bei der Rechnungslegung zu dem Ergebnis kommt, daß er diese Genehmigung nicht hätte erteilen dürfen. Aber die nachträgliche Genehmigung der außerplanmäßigen Ausgaben nützt und schadet nichts. Das Geld ist ausgegeben und kommt nicht wieder. Das ist sehr wohl überlegt worden. Dr. von Brentano (CDU): Ich darf darauf hinweisen, daß die gleiche Bestimmung in § 81 der Reichshaushaltsordnung19) zu finden ist, auf die wir in unserer Anmerkung20) Bezug genommen haben. Sie muß auch einen tieferen Sinn gehabt haben. Schönfelder (SPD): Mir scheint, daß aus formalen Gründen diese nachträgliche Genehmigung notwendig ist. Sonst sind Ausgaben geleistet, die nicht bewilligt sind. 19)

Vgl. Reichshaushaltsordnung vom 31. Dez. 1922 (RGBl. 1923, II, S. 17) in der Fassung vom 30. April 1938 der Bekanntmachung vom 14. April 1930 (RGBl. II, S. 693), des Gesetzes über die zweite Änderung der Reichshaushaltsordnung und die zehnte Änderung des Besoldungsgesetzes vom 13. Dez. 1933 (RGBl. II, S. 1007), des § 3 Art. 7 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung von Vorschriften auf dem Gebiet des Finanzwesens vom 23. März 1934 (RGBl. I, S. 232) des Gesetzes über die Haushaltsführung, Rechnungslegung und Rechnungsprüfung der Länder und über die vierte Änderung der Reichshaushaltsordnung vom 17. Juni 1936 (RGBl. II, S. 209) und des Gesetzes über die fünfte Änderung der Reichshaushaltsordnung vom 30. April 1938 (RGBl. II, S. 145). § 81 der Reichshaushaltsordnung lautet: „Der Rechnungshof kann im Einvernehmen mit dem zuständigen Reichsminister und mit dem Reichsminister der Finanzen für die Rechnungslegung Erleichterungen anordnen oder von der Rechnungslegung in einzelnen Fällen ganz absehen lassen.“ 20) Vgl. die Anmerkung des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu Art. 124 b; Der Parl. Rat. Bd. 7, Dok. Nr. 1, S. 35.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Wenn sie nun nicht genehmigt werden, was ist dann? Schönfelder (SPD): Dann ist es eben ein Konflikt in der Regierung. Dann muß man sehen, wie man den Konflikt austrägt. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Die Regierung muß bei der Rechnungslegung geradestehen. Aber diese Genehmigung ist sinnlos. Was ausgegeben ist, bleibt ausgegeben: Die preußische Verfassung war in dieser [S. 182] Beziehung sehr klar und eindeutig. Die Bestimmung der Reichshaushaltsordnung ist in diesem Punkt nicht durchdacht. Ich habe mir das wohl überlegt. Dr. von Brentano (CDU): Ich kann mich Herrn Dr. Höpker Aschoff nicht ganz anschließen. Die nachträgliche Genehmigung bedeutet, daß nachträglich, weil es vorher nicht möglich war, das Parlament, das Kontrollorgan, zu prüfen hat, ob die Voraussetzung des Art. 124a erfüllt ist. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Das tut es ja auch bei der Rechnungslegung. Dr. Wolff (SPD): Ich glaube, wenn wir die Rechnungslegung kontrollieren, kommen wir hin. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse unter Zugrundelegung der Fassung des Finanzausschusses abstimmen. Dr. Greve (SPD): Darf ich dann bitten, den Absatz folgendermaßen abzuändern: Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der Zustimmung des Bundesministers der Finanzen. Die Zustimmung des Bundesministers der Finanzen darf nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag auf Einfügung von „unvorhergesehenen und“ abstimmen. – Der Antrag ist einstimmig angenommen. Nun lasse ich über den ganzen Art. 124b abstimmen. – Der Art. 124b ist einstimmig angenommen.

[1.5. ART. 124c: HAUSHALTSPLAN]

Der bisherige Art. 124b würde jetzt Art. 124c werden. Er lautet: Beschlüsse des Bundestags und des Bundesrats, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, bedürfen der Zustimmung der Bundesregierung. Dr. Greve (SPD): Diese Formulierung des Art. 124b bedeutet meines Erachtens einen Eingriff der Exekutive in die Legislative. Wenn vom Bundestag und Bundesrat beschlossen worden ist, daß Ausgaben im Haushaltsplan erhöht oder neue Ausgaben geleistet werden sollen, kann man diesen Beschluß von Bundestag und Bundesrat nicht davon abhängig machen, daß die Bundesregierung diesem Beschluß die Zustimmung erteilt. Das würde bedeuten, daß außerhalb des vom Parlament genehmigten Haushaltsplanes der Bundestag kein Gesetz beschließen kann, das irgendwelche Ausgaben in sich schließt, ohne daß die Bundesregierung diesem Gesetz ihre Zustimmung geben muß. Ich glaube nicht, daß es angängig ist, der Bundesregierung eine so weitgehende Eingriffsmöglichkeit in das Beschlußfassungsrecht beider Parlamente zu geben. Ich habe schon im Finanzausschuß darauf hin-

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gewiesen, es ist möglich, daß der Bundestag einen Beschluß faßt, der die Einsetzung einer Untersuchungskommission gegen die Bundesregierung vorsieht. Mit der Einsetzung einer Untersuchungskommission gegen die Bundesregierung können zwangsläufig Ausgaben verbunden sein, die nicht aus Mitteln des ordentlichen Etats zu leisten sind. Auch in diesem Falle wäre die Zustimmung der Bundesregierung zu einem derartigen Beschluß des Parlaments erforderlich. Das wollen wahrscheinlich selbst diejenigen nicht, die den Artikel in der vorliegenden Fassung beschlossen haben. Die unausbleibliche Konsequenz dieses Artikels ist aber, daß die Bundesregierung jeden Beschluß des Parlaments illusorisch machen kann, wenn die Durchführung eines solchen Beschlusses an ihre Zustimmung gebunden ist. Dr. Binder (CDU): Es ist richtig, daß der Art. 124b eine große politische Tragweite hat und keineswegs lediglich einen finanziellen Gegenstand der Verfassung berührt. Er ist von uns gewollt, um auf diese Weise zu verhindern, daß die Parlamentsmehrheit in ungehemmter Weise Ausgaben bewilligt, für die die Deckung nachher nur in formeller, aber nicht in tatsächlicher Weise dadurch herbeigeführt wird, daß man wissentlich oder unwissentlich Einnahmen höher ansetzt oder Ausgaben, die zwangsläufig doch kommen, im Haushalt niedriger ansetzt. Die Bestimmung ist der englischen Verfassung entnommen und bedeutet nichts weniger, als daß die Bundesregierung die Führerin der hinter ihr stehenden Parlamentsmehrheit ist und daß, wenn diese Mehrheit ein Gesetz gegen ihre Regierung durchbringen will, sie zunächst die Regierung zur Demission zwingen muß. Solange die Bundesregierung amtiert, kann weder die Opposition noch ihre eigene Gefolgschaft eine Erhöhung der Ausgaben vornehmen, ohne die Zustimmung der Regierung zu haben. Wir haben mit unserem bisherigen Verfahren sowohl im Reich als auch in den Ländern denkbar schlechte Erfahrungen gemacht. Weil eine derartige Einschränkung nicht bestand, haben die Parteien aus rein propagandistischen Absichten Anträge gestellt, Ausgaben zu bewilligen, von denen sie zum Teil wußten, daß sie abgelehnt worden sind und abgelehnt werden würden, und damit nur die Gesetzgebungstätigkeit des Parlaments in einer völlig unnötigen Weise gehemmt. Alle derartigen Anträge sind in Zukunft nicht mehr möglich, sondern es können nur solche Dinge zur Diskussion gestellt werden, bei denen man von vornherein weiß, daß die Regierung der Sache wohlwollend gegenübersteht und grundsätzlich einig ist. Eine Einschränkung für das Parlament sehe ich darin nicht. Es hat jederzeit, wenn es eine Ausgabe zu vertreten hat, die wichtig genug ist, die Möglichkeit, die Demission der Regierung zu erzwingen. Aber wegen Bagatellsachen die ganze Finanzgebarung des Landes auf den Kopf zu stellen, ist praktisch ausgeschlossen. Brockmann (Z): Der Art. 124b behandelt Beschlüsse des Bundestags und des Bundesrats. Ich nehme an, daß hier eine Übereinstimmung zwischen Bundestag und Bundesrat vorausgehen muß. Das sagt ja der Wortlaut. Es ist nach den bisherigen Bestimmungen der Verfassung nicht anders möglich. Daß dann die Bundesregierung ein Vetorecht haben soll, also in die Legislative soll eingreifen können, wofür ihr jede Aktivlegitimation fehlt, das möchte ich aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Wir haben diese Frage im Jahre 1928 auf dem Salzburger

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Juristentag eingehend erörtert21). Es herrschte damals auf allen Seiten Übereinstimmung, daß der Ausgabefreudigkeit der Parlamente ein gewisser Riegel vorgeschoben werden müßte. Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung22) sagen, daß bei der Beratung des Haushaltsplanes die Ausgabenanträge der Regierungsparteien wie der Opposition sich überstürzten. Wir haben uns schließlich dadurch geholfen, daß wir nach den Beratungen des Hauptausschusses einen Unterausschuß – er hieß der Köpfungsausschuß – einsetzten und daß dieser Köpfungsausschuß dann versuchte, all die Mehrausgaben, die der Hauptausschuß beschlossen hatte, wieder zu streichen. In vollem Umfange ist das nie gelungen. Dieselben Erfahrungen hat man im Reichstag gemacht. Es wurde nach Abhilfemitteln gesucht, und die beiden Abhilfemittel, die zur Verfügung standen, waren einmal die Deckungspflicht – wer Mehrausgaben beantragt, muß auch für Deckung sorgen – und zweitens die weitergehende Möglichkeit: Mehrausgaben dürfen nur mit Zustimmung der Bundesregierung beschlossen werden. Nun ist dieser zweite Gedanke nicht etwa auf deutschem Boden gewachsen, sondern er entspricht uraltem Brauch in England. England hat zwar keine geschriebene Verfassung; aber es ist in England seit den Tagen der Königin Anna23), also seit über 200 Jahren, Brauch, daß Anträge, die Mehrausgaben in sich schließen, vom Sprecher nur zur Beratung gestellt werden, wenn Ihre Majestät Regierung zustimmt. Die klugen Engländer haben wohl gewußt, was sie taten. Sie haben auch ihrer eigenen Regierung das Geschäft erleichtert, die sich dann gegen solche Mehrausgabenanträge, mochten sie aus den Reihen der Opposition [S. 183] oder der Regierungsparteien kommen, nicht immer zur Wehr zu setzen brauchte. Schließlich weiß die Regierung am besten – denn sie hat ja die Verwaltung zu führen –, welche Ausgaben notwendig sind und geleistet werden müssen. Die Aufgabe des Parlaments ist es dann zu prüfen, ob die Regierung das Richtige trifft, und den Daumen auf den Beutel zu halten. So sollte es doch meiner Ansicht nach sein. Die Deckungspflicht kann sehr leicht umgangen werden, indem Einnahmeansätze erhöht oder Ausgabeansätze gekürzt werden, und zwar bei Ausgaben, die nachher doch geleistet werden müssen und die dann überplanmäßig überschritten werden. Wenn man also wirklich eine gute Waffe gegen solche Agitationsanträge haben will, die nach meiner Erfahrung von beiden Seiten gestellt werden, dann ist es nur dieser Brauch, den die Engländer seit 200 Jahren kennen. Ich würde also dringend raten, an dieser Bestimmung festzuhalten. Schönfelder (SPD): Man kann fast alles unterschreiben, was Herr Dr. Binder gesagt hat, und kann auch sehr beherzigen, was Herr Dr. Höpker Aschoff ausgeführt hat. Aber politisch ist die Sache so weitgehend, daß wir quasi einen dritten Faktor bei der Legislative einschalten. Mir scheint das doch so schwerwiegend zu sein, daß man sich das eingehend überlegen müßte. Das Beispiel von Herrn Dr. Höpker 21)

Zum Salzburger Juristentag vom 12. bis 15. Sept. 1928 vgl.: Festschrift dem 35. Deutschen Juristentag (Salzburg, 12.–15. September 1928) bei seinem Zusammentritt auf österreichischem Boden gewidmet von österreichischen Juristen (= Zentralblatt für die Juristische Praxis), Wien 1928. 22) Höpker Aschoff war von 1925 bis 1931 preußischer Finanzminister. 23) Anne Stuart (1665–1714), 1702–1707 Königin von England und Schottland, 1702–1714 Königin von Irland, 1707–1714 Königin von Großbritannien.

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Aschoff beweist, daß man auch dort nicht der Regierung dieses Einspruchsrecht gegeben hat, sondern einer vom Parlament eingesetzten Körperschaft. (Dr. Binder [CDU]: Nur weil die Verfassung nicht da war.) Vielleicht können die Herren Finanztechniker sich überlegen, ob es nicht einen anderen Weg gibt, der dem Parlament und der parlamentarischen Idee mehr Rechnung trägt als diese einfache Vorschrift, die der Bundesregierung über Bundestag und Bundesrat ein Übergewicht gibt. Brockmann (Z): In England handelt es sich darum, daß Anträge auf Ausgaben, für die keine Deckungsvorschläge vorliegen, von vornherein abgedrosselt werden, soweit ich die Darlegungen des Kollegen Dr. Höpker Aschoff verstanden habe. (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Nein, denen die Regierung nicht zugestimmt hat.) Aber mit der Begründung, daß kein Deckungsvorschlag gemacht ist. Doch dann befindet sich der ganze Vorgang parlamentarisch gesehen noch im Stadium der Möglichkeit, einen Antrag zu stellen. Hier sagen wir etwas ganz anderes. Wir sagen hier, Beschlüsse des Bundestags und des Bundesrats, nicht nur Beschlüsse des Bundestags oder des Bundesrats, sondern beider Körperschaften, können von der Bundesregierung zunichte gemacht werden. Das scheint mir doch viel zu weit zu gehen. Ich bin durchaus dafür, daß man im Sinne der Darlegungen des Kollegen Dr. Höpker Aschoff überlegt, welche Möglichkeiten man schaffen soll, wilden Anträgen, die sich nicht gleichzeitig mit der Deckung befassen, einen Riegel vorzuschieben. Aber ich kann unmöglich zugeben, daß wir – da stimme ich meinem Kollegen Schönfelder durchaus zu – hier beginnen, in die Legislative noch ein drittes Element einzuschalten, das gar keine Aktivlegitimation hat. Dr. Greve (SPD): Ich glaube, daß wir die Fassung des Herrenchiemseer Entwurfs24) in Art. 124 Abs. 5 und 6 als genügend ansehen können, um das sicherzustellen, was von den Herren, die den Art. 124b in der vorliegenden Form beschlossen haben, gewünscht wird. In Art. 124 Abs. 5 und 6 des Herrenchiemseer Entwurfs heißt es: (5) Beschlüsse des Bundestags oder des Bundesrats, welche die im Entwurf des Haushaltsplanes eingesetzten Ausgaben erhöhen, sind auf Verlangen der Bundesregierung noch einmal zu beraten. Diese Beratung darf ohne Zustimmung der Bundesregierung nicht vor Ablauf von zwei Wochen stattfinden. (6) Maßnahmen, welche Ausgaben verursachen, für die im Haushaltsplan kein entsprechender Betrag bereitgestellt ist, – das heißt, daß ein entsprechender Betrag im Haushaltsplan nicht schon drinsteht – dürfen vom Bundestag oder Bundesrat nur beschlossen werden, wenn gleichzeitig die Deckung der Mehrausgaben beschlossen wird. Entsprechendes gilt für die Beschlußfassung über Maßnahmen, die Einnahmeausfälle zur Folge haben. Darin ist klar zum Ausdruck gebracht, daß in den Fällen, in denen entsprechende Beträge nicht in den Haushaltsplan eingestellt worden sind, die Antragsteller eines Antrags, der Kosten verursacht, zu gleicher Zeit sagen müssen, wie die Mittel für 24)

Für den Wortlaut des Berichts über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 504–630, hier S. 609.

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die Durchführung dieses Antrags aufzubringen sind. Es wird sich, wenn im Haushaltsplan Beträge für die Durchführung eines solchen Antrags nicht eingestellt sind, jeder Antragsteller überlegen, wie die Mittel aufzubringen sind. Das heißt also, es geht nicht an, daß er die Deckung einfach in der Form vornimmt, daß er sagt: im Kapitel sowieso Titel sowieso wird der Kostenansatz verringert, und die dadurch eingesparten Kosten werden zur Durchführung des von uns gestellten Antrags als Deckung angesehen. Nach der Formulierung von Herrenchiemsee ist das nicht möglich, sondern die Deckung der Mehrausgaben muß beschlossen werden, und das kann eben nur dadurch geschehen, daß man Steuern erhöht oder sonstige Maßnahmen ergreift. Wir haben schon im Finanzausschuß diese Bestimmung der Absätze 5 und 6 für ausreichend erachtet. Sie sind auch anders, als es früher im Reichstag gewesen ist. Ich stelle daher den Antrag, an Stelle des Art. 124b die Absätze 5 und 6 des Art. 124 des Herrenchiemseer Entwurfs zu beschließen. Dr. Katz (SPD): Herr Kollege Greve hat das vorweggenommen, was ich sagen wollte. Ich habe an der Beratung im Finanzausschuß nicht teilgenommen. Ich habe bisher kein Wort der Erklärung dafür gehört, warum man diese weitgehende Fassung des Art. 124b vorgenommen und dadurch die Absätze 5 und 6 des Art. 124 des Herrenchiemseer Entwurfs gestrichen hat. Wenn ich es richtig verstehe, ist nach der neuen Fassung gegen das Veto der Bundesregierung während eines ganzen Jahres überhaupt kein Beschluß möglich, der Ausgaben mit sich bringt. Das halte ich doch für eine sehr bedenkliche und viel zu weitgehende Maßnahme. (Dr. Höpker Aschoff [FDP]: Die Engländer haben es!) Dr. Binder (CDU): Ich darf dem Herrn Kollegen Katz antworten, daß die Begründung sowohl von mir als auch vom Kollegen Höpker Aschoff bereits gegeben worden ist. Es hat sich sowohl in den Ländern als auch im Reich gezeigt, daß die Bestimmung, daß eine Ausgabe nur dann bewilligt werden darf, wenn auch für die notwendige Deckung gesorgt ist, nicht ausreichend ist, weil man nämlich in der Praxis nicht dazu übergegangen ist, entsprechende Sondersteuern zu bewilligen und die Steuern zu erhöhen. Man hat sich vielmehr damit begnügt, entweder die Einnahmeansätze in mehr oder weniger fiktiver Weise heraufzusetzen oder unumgängliche Ausgaben niedriger zu veranschlagen. Sie wissen, daß wir bei allen Steuereinnahmen immer nur mit geschätzten Ziffern arbeiten. Infolgedessen besteht immer die Möglichkeit, je nach der Beurteilung der Lage herauf- oder herunterzugehen. Praktisch hat die Anwendung der Bestimmung, daß für die Deckung der Ausgabe gesorgt werden muß, dazu geführt, daß man in etwas lascher Weise die Einnahmeansätze heraufgesetzt oder die Ausgaben niedriger angesetzt hat, was meist einen so zwangsläufigen Charakter hatte, daß praktisch nachher die Haushaltsansätze überschritten worden sind. Wir sind deswegen zu der Auffassung gekommen, daß diese Bestimmung nicht ausreicht, und haben die Regelung des Art. 124b gewählt. Sie lehnt sich nicht ganz an das englische Vorbild an, insofern als Anträge auf Ausgabenerhöhungen diskutiert werden können [S. 184] und die Regierung erst hinterher sich zu entscheiden hat, ob sie diese Ausgabe bewilligen will oder nicht, während in England überhaupt die Möglichkeit, einen Antrag zur Diskussion zu stellen, von vornherein abgeschnitten ist. Ich bin der Meinung, daß unsere Fassung gegenüber dem englischen Brauch die liberalere ist. Man kann auch schon den Antrag auf Ausgaben-

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erhöhung von der Zustimmung der Bundesregierung abhängig machen; dann ist dasselbe erreicht. Darin würde ich keinen wesentlichen Unterschied sehen. Aber daß das eine oder das andere in die Verfassung hinein muß, ist für mich und meine Fraktionskollegen eine Selbstverständlichkeit. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es könnte also der Fall eintreten, daß der Bundestag und der Bundesrat die Einführung eines zehnten Schuljahres beschließen, daß die Regierung aber nicht will und sagt: Nein, das geht über die vorgesehenen Ausgaben hinaus. Dann wäre insoweit das Initiativrecht des Parlaments und auch die Legislativbefugnis des Bundestags durch diese der Regierung gegebene zusätzliche Vollmacht geschlagen. Dann bliebe nur übrig, die Regierung zu stürzen und eine neue Regierung zu wählen. (Dr. Binder [CDU]: Durchaus richtig!) Ist das nicht unter Umständen ein unechter politischer Anlaß für den Sturz einer Regierung? (Dr. Binder [CDU]: Das hat eben zur Folge, daß sich die Parteien über die Bedeutung der einzelnen Maßnahme klar sein müssen.) Sie dürfen sie nicht überfordern. Dr. Binder (CDU): Dadurch erreichen Sie, daß erst dann, wenn sich genügend Stoff für eine Änderung des Kurses angesammelt hat, auch die Konsequenz gezogen und die Regierung ausgewechselt wird. Solange das nicht notwendig ist, werden derartige Dinge nur angesammelt, und Sie bekommen im Wahlkampf auch klare Parolen, weil die andere Partei sich zu den in der Öffentlichkeit diskutierten, aber von der Regierung nicht zugelassenen Ausgaben äußern kann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich nehme einen andern Fall. Es ist ein Gesetz von der Regierung selber eingebracht – ich denke an das Bodenreformgesetz bei uns –, und nun kommt das Parlament darauf bestimmte Institutionen, die darin vorgesehen sind, in einer Weise zu ändern, daß eine Erhöhung der Ausgaben entsteht. Dann hätte es die Regierung durch dieses ihr Veto in der Hand zu verhindern, daß das Parlament eine Sache, die auch die Regierung will, technisch anders erledigt, als es der Regierung paßt. Dr. von Brentano (CDU): Ich glaube, das ist eine Fiktion. Wir haben eine parlamentarische Regierung, die mit einer Mehrheit arbeitet. Wenn sie ein Gesetz vorlegt, wird sie sich mit ihrer Mehrheit verständigen. Das ist üblich. Ebenso wird eine parlamentarische Mehrheit, wenn sie ein Gesetz einbringt, das im allgemeinen mit der eigenen Regierung besprechen. Dr. Katz (SPD): Der Art. 124b25) ist doch ein ungeheurer Eingriff in das Budgetrecht des Parlaments. Wir haben festgelegt, daß beide Kammern zustimmen müssen. Der hier vorgebrachte Einwand, daß unter Umständen propagandistische oder demagogische Anträge gestellt werden, die mit Ausgaben verbunden sind, paßt doch nicht auf das instruierte Votum des Bundesrats. Wir gehen doch davon aus, daß auch der Bundesrat zuzustimmen hat. Ich halte es nicht für möglich, ein so wichtiges Recht wie das Budgetrecht des in beiden Kammern verkörperten Parlaments hier so einfach außer Kraft zu setzen. Ich möchte Sie bitten, es bei der Herrenchiemseer Regelung zu belassen, und möchte darauf hinweisen, daß in den Verei25)

Statt „124b“ im stenograph. Wortprot., S. 39: „124c“.

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nigten Staaten das Budgetrecht des Kongresses, der beiden Kammern heilig ist und daß niemals die Exekutive auf den Gedanken kommen könnte, irgendwelche Einnahme- oder Ausgabeposten, die von beiden Kammern beschlossen sind, irgendwie zu beschneiden. Dies ist ein ganz gewaltiger Eingriff in feststehende parlamentarische Rechte. Der Einwand, der von der anderen Seite gemacht wird, daß demagogische oder propagandistische Anträge durchkommen können, entfällt, wenn man davon ausgeht, daß nach der Fassung, die wir den Vollmachten des Bundesrats gegeben haben, der Bundesrat zugestimmt haben muß. Deswegen möchte ich den Antrag des Kollegen Greve unterstützen, die in Herrenchiemsee vorgesehene Regelung hier wieder einzufügen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Der Einwand, daß es einen Eingriff in parlamentarische Rechte bedeutet, widerlegt sich wohl am besten dadurch, daß das Mutterland des Parlamentarismus diese Einrichtung hat. Die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten liegen insofern etwas anders, als der Präsident, also die Regierung, gegen die Beschlüsse des Senats und des Repräsentantenhauses ein Vetorecht hat, das nur durch Zweidrittelmehrheit überwunden werden kann. Das ist auch schon eine sehr starke Sicherung. (Dr. Greve [SPD]: Das Veto der Regierung kann hier überwunden werden.) Das ist richtig. Ich sage nur, England, das Mutterland des Parlamentarismus, hat diesen Brauch. Wenn wir den Art. 124b26) ablehnen und auf die Absätze 4, 5 und 6 des Art. 124 des Herrenchiemseer Entwurfs zurückgreifen, haben wir zwei Sicherungen, eine Sicherung in Abs. 4 (Dr. Greve [SPD]: Die entfällt) insofern, als Mehrausgaben der Zustimmung des Bundesrats bedürfen, und eine zweite Sicherung in den Absätzen 5 und 6 insofern, als für Deckung gesorgt werden muß. Nun stehen diese Absätze 4, 5 und 6 in dem Artikel über das Haushaltsgesetz. Sie beziehen sich also nur auf Beschlüsse, die Erhöhungen der Haushaltsausgaben mit sich bringen, während sich der von mir vorgeschlagene Art. 124b, wie ihn der Finanzausschuß beschlossen hat, nicht nur auf die Erhöhung der Haushaltsansätze bezieht, sondern auch auf Gesetze, die außerhalb des Haushaltsplanes beschlossen werden und Mehrausgaben mit sich bringen, etwa ein Gesetz über die Erhöhung der Besoldung. Aus diesem Grunde habe ich auch den Art. 124b27) weiter nach unten gerückt, weil er nicht nur zum Haushalt gehört, sondern sowohl zu den Mehrausgaben des Haushaltsplanes wie zu anderen Gesetzen, die Mehrausgaben mit sich bringen. Wenn Sie nach Ablehnung des Art. 124b28) nur die Absätze 4, 5 und 6 des Art. 124 des Herrenchiemseer Entwurfs annehmen, bleibt noch die Frage offen, was außerhalb des Haushaltsplanes geschieht. Wenn etwa vom Parlament durch eine Besoldungsordnung erhöhte Besoldung beschlossen werden, so kann das Parlament das allein beschließen. Der Bundesrat hätte nur ein Vetorecht, das überwunden werden könnte; denn Art. 124 Abs. 4 des Herrenchiemseer Entwurfs bezieht sich nur auf den Haushaltsplan. Die Absätze 5 und 6 26)

Statt „124b“ im stenograph. Wortprot., S. 40: „124c“. Statt „124 b“ im stenograph. Wortprot., S. 41: „124c“. 28) Statt „124 b“ im stenograph. Wortprot., S. 41: „124c“. 27)

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des Herrenchiemseer Entwurfs beziehen sich auch nur auf den Haushaltsplan; denn sie stehen alle in Art. 124, der vom Haushalt handelt. (Dr. Greve [SPD]: Bei uns aber nicht!) Also für den Fall – was ich nicht hoffe –, daß Art. 124b29) hier nicht gebilligt wird, müssen wir im Finanzausschuß überlegen, ob wir nicht die Absätze 4, 5 und 6 etwas anders fassen müssen, so daß sie auch bei Beschlüssen, die außerhalb des Haushaltsplanes gefaßt werden und die Mehrausgaben mit sich bringen – ich wähle das Beispiel der Besoldungsordnung –, Anwendung finden. In der Verfassung von Rheinland-Pfalz30), glaube ich, findet sich diese Bestimmung auch. Dr. Greve (SPD): Die Ausführungen des Kollegen Dr. Höpker Aschoff sind insofern nicht zutreffend, als in Abs. 6 des Art. 124 des Herrenchiemseer Entwurfs gesagt wird: Maßnahmen, welche Ausgaben verursachen, für die im Haushaltsplan kein entsprechender Betrag bereitgestellt ist, dürfen vom Bundestag oder [S. 185] Bundesrat nur beschlossen werden, wenn gleichzeitig die Deckung der Mehrausgaben beschlossen wird. Das berührt also nicht nur Ausgaben, die den Haushaltsplan betreffen, sondern Maßnahmen, die außerhalb des Haushaltsplanes Kosten verursachen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Soll in diesem Fall auch Abs. 4 gelten? Dr. Greve (SPD): Nein. Ich habe nicht beantragt, Abs. 4 aufzunehmen, sondern nur Abs. 5 und 6, weil Abs. 4 dadurch ersetzt worden ist, daß wir die Mitwirkung des Bundesrats bei Art. 105 beschlossen haben. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Für Steuergesetze und den Finanzausgleich, aber nicht für Besoldungsgesetze. Dr. Greve (SPD): Im übrigen finden die Bestimmungen, die für den Bundesrat gelten, Anwendung. Also die Befürchtung trifft nicht zu. Jeder Beschluß, der Kosten verursacht, hat zu gleicher Zeit vom Parlament aus die Vorschrift zu enthalten, wie diese Kosten zu decken sind. Dadurch, daß wir die Absätze 5 und 6 statt des bisherigen Satzes in Art. 124b31) nehmen, steht der von uns beschlossene Artikel zu diesem in einem anderen Zusammenhang, als die Absätze 5 und 6 in Art. 124 des Herrenchiemseer Entwurfs stehen. Aber ich habe nichts dagegen, daß wir die Frage noch einmal im Finanzausschuß beraten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der weitergehende der beiden Anträge ist der Antrag des Finanzausschusses. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Die Fassung des Finanzausschusses ist mit 11 gegen 9 Stimmen angenommen. Dieser Art. 124b wird jetzt Art. 124c.

29)

Statt „124b“ im stenograph. Wortprot., S. 41: „124c“. Vgl. dazu Art. 118 der Verfassung für Rheinland-Pfalz vom 18. Mai 1947: Der Landtag kann Ausgaben, die über den Vorschlag der Regierung oder den festgestellten Haushaltsplan hinausgehen, nur beschließen, wenn Deckung gewährleistet ist. Der Beschluß bedarf der Zustimmung der Landesregierung“. Vgl. dazu auch: Kommentar der Verfassung für Rheinland-Pfalz mit Berücksichtigung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland von Adolf Süsterhenn und Hans Schäfer, Koblenz o. J. [1950], S. 419. 31) Statt „124b“ im stenograph. Wortprot., S. 42: „124c“. 30)

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Fünfzehnte Sitzung des Hauptausschusses 2. Dezember 1948 [1.6. ART. 125: RECHNUNGSLEGUNG UND RECHNUNGSPRÜFUNG]

Wir kommen zu Art. 125, der in der Fassung des Finanzausschusses lautet: Der Bundesminister der Finanzen hat dem Bundestag und dem Bundesrat über alle Einnahmen und Ausgaben jährlich Rechnung zu legen. Die allgemeine Rechnung wird durch einen Rechnungshof geprüft. Die allgemeine Rechnung und eine Übersicht über die Bundesschulden sind dem Bundestag und dem Bundesrat im Laufe des nächsten Rechnungsjahres mit den Bemerkungen des Rechnungshofes zur Entlastung der Bundesregierung vorzulegen. Die Rechnungsprüfung wird durch Bundesgesetz geregelt. Dr. von Brentano (CDU): Der Redaktionsausschuß hat vorgeschlagen, entsprechend der Änderung des Art. 124 im ersten Absatz einzufügen: „sowie über das Vermögen und die Schulden“. Als Abs. 2 hat der Redaktionsausschuß vorgeschlagen: Die allgemeine Rechnung wird durch einen Rechnungshof überprüft, dessen Mitglieder richterliche Unabhängigkeit besitzen. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Wir hielten es einer Anregung folgend für zweckmäßig, auch hier die richterliche Unabhängigkeit der Mitglieder des Rechnungshofes zu verankern. Dr. Binder (CDU): Ich habe noch zwei Abänderungsanträge zu stellen, erstens den Antrag, das Wort „allgemeine“ bei „allgemeine Rechnung“ zu streichen, damit wir mit der Reichshaushaltsordnung in Übereinstimmung kommen, die nur die Rechnung und nicht die allgemeine Rechnung kennt. Die Formulierung stammt, glaube ich, aus der Preußischen Haushaltsordnung und stimmt nicht mit der Reichshaushaltsordnung überein. Das zweite wäre der Antrag, daß hinter „Rechnung“ in Zeile 3 gesetzt wird: „und Wirtschaftsführung“, so daß also nicht nur die Rechnungslegung, sondern auch die Wirtschaftsführung mit geprüft wird. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Daß das Wort „allgemeine“ in Art. 125 Zeile 3 gestrichen wird, ist unbedenklich. Die Einschaltung von „Wirtschaftsführung“ hinter „Rechnung“ ist nicht gut möglich. Man kann nicht eine Rechnung und eine Wirtschaftsführung zur Prüfung vorlegen. Außerdem wird bei der Nachprüfung der Rechnung auch die Wirtschaftsführung mit geprüft. Statt des Relativsatzes von der richterlichen Unabhängigkeit, den ich der Sache nach billige, könnten wir wohl die Herrenchiemseer Fassung wählen: „durch einen mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestatteten Rechnungshof“; das ist einfacher. Ich nehme an, daß Sie damit einverstanden sind. (Zustimmung.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Also ist beschlossen zu sagen: „durch einen mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestatteten Rechnungshof“. Dr. Binder (CDU): Ich weiß nicht, ob wir nicht doch die Wirtschaftsführung mit einbeziehen sollten. Die Rechnungslegung als solche kann auch nach sehr formalen Gesichtspunkten geprüft werden, während es uns darauf ankommt, bei dieser Gelegenheit auch eine Wirtschaftlichkeitsprüfung durch den Rechnungshof zu bekommen und damit für die weitere Haushaltsberatung des nächstfolgenden Jahres Unterlagen zu schaffen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich stelle fest, daß keine Einwendungen gegen den Zusatz:

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„sowie über das Vermögen und die Schulden erhoben worden sind, ebenso nicht gegen die Streichung des Wortes „allgemeine“ vor „Rechnung“. Weiter heißt es jetzt in Satz 2: „durch einen mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestatteten Rechnungshof“. Streit besteht darüber, ob es im zweiten Satz heißen soll: „Die Rechnung und Wirtschaftsführung“ oder nur: „Die Rechnung“. Ich lasse über den Antrag auf Hinzufügung von: „und Wirtschaftsführung“ abstimmen. – Der Antrag ist mit 10 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Wir müssen das Wort „Vermögen“ noch einmal einschalten, nicht nur vorn, sondern auch nachher und müssen im dritten Satz sagen: „und eine Übersicht über Vermögen und Schulden“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja. Dann muß der dritte Satz lauten: Die allgemeine Rechnung und eine Übersicht über Vermögen und Schulden sind dem Bundestag und dem Bundesrat .. . vorzulegen. Ich lasse über Art. 125 in der mehrfach abgeänderten Fassung abstimmen. – Der Artikel ist einstimmig angenommen.

[1.7. ART. 126: KREDITGEWÄHRUNG]

Art. 126 Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden. Kreditgewährungen und Sicherheitsleistungen zu Lasten des Bundes, deren Wirkung über ein Rechnungsjahr hinausgeht, dürfen nur auf Grund eines Bundesgesetzes erfolgen. Dr. von Brentano (CDU): Hier hat der Redaktionsausschuß folgende Fassung vorgeschlagen: Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur beschafft werden zur Deckung eines außergewöhnlichen Bedarfs, wenn Verzinsung und Tilgung aus den regelmäßigen Einnahmen des Bundes gesichert sind. Die Aufnahme von Krediten sowie der Abschluß von Bürgschafts-, Gewähr- oder anderen, ähnlichen wirtschaftlichen Zwecken dienenden Verträgen bedürfen gesetzlicher Ermächtigung. In dem Gesetz muß die Höhe des Kredits oder der Umfang der Verpflichtung, für die der Bund die Haftung übernimmt, bestimmt sein. Ich darf vielleicht die kurze Begründung auch vortragen32): Der Vorschlag des Finanzausschusses knüpft an die Fassung der Weimarer Verfassung33) an, gegen [S. 186] die in Wissenschaft und Praxis erhebliche Bedenken geltend gemacht worden sind. Die Formulierung „außerordentlicher 32)

Zur Begründung vgl. die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 1. Dez. 1948 vervielfält. auf Drucks. Nr. 324; Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 76 f. 33) Art. 87 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden. Eine solche Beschaffung sowie die Übernahme einer Sicherheitsleistung zu Lasten des Reichs dürfen nur auf Grund eines Reichsgesetzes erfolgen.“ RGBl. S. 1400.

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Bedarf“ ist zu wenig präzise und hat zu Verwechslungen mit dem Begriff des außerordentlichen Haushalts geführt. Die Abweichung vom gewöhnlichen und regelmäßigen dürfte mit dem Begriff „außergewöhnlicher Bedarf“ besser zum Ausdruck gebracht werden. Auch die Formulierung „zu werbenden Zwecken“ ist zu unklar und hat in der Vergangenheit die ungesunde Ausweitung der Kreditpolitik nicht verhindern können; statt dessen erscheint die Bindung der Kredite an die Sicherstellung durch Verzinsung und Tilgung aus den regelmäßigen Einnahmen wirksamer. Die Anführung der Kreditgewährung im Satz 2 des Vorschlags des Finanzausschusses entspringt möglicherweise einem Mißverständnis (vgl. Art. 87 Weimarer Verfassung); die Beibehaltung würde zu unabsehbaren Folgen führen, zum Beispiel würde jeder Gehaltsvorschuß über den Schluß eines Rechnungsjahres hinaus eines Bundesgesetzes bedürfen. Die vom Redaktionsausschuß vorgeschlagene Formulierung an Stelle der Bezeichnung „Sicherheitsleistungen“ entspricht der Fortentwicklung des Haushaltsrechts (vgl. § 8b Reichshaushaltsordnung34)). Der Halbsatz: „deren Wirkung über ein Rechnungsjahr hinausgeht“ dürfte nicht notwendig sein. Innerhalb eines Rechnungsjahres kommt normalerweise die Ermächtigung durch das Haushaltsgesetz in Frage. In anderen Fällen ist ein besonderes Gesetz erforderlich. Der Ausschuß hält es ferner für notwendig, die auf diese Weise entstehenden Verpflichtungen des Bundes gesetzlich der Höhe nach zu limitieren. Die Anregung entspricht im wesentlichen einer Anregung des Rechnungshofs. Dr. Binder (CDU): Die Änderungen des Redaktionsausschusses sind insoweit zu begrüßen, als bei der Kreditgewährung und vor allen Dingen bei der Sicherheitsleistung, aber auch bei der Ermächtigung zur Kreditaufnahme feste Beträge ausbedungen werden müssen. Wenn wir das nämlich nicht tun, bekommen wir einerseits eine unbegrenzte Kreditermächtigung, die praktisch die Tätigkeit des Parlaments ausschaltet, und auf der anderen Seite bei den Sicherheitsleistungen die Möglichkeit, daß die Regierung unter Umgehung des Parlaments Sicherheiten leistet, um auf diese Weise eine unmittelbare Kreditaufnahme zu verhindern, mittelbar aber die Sicherheitsleistung im Interesse der Wirtschaft für bestimmte Zwecke zum Einsatz zu bringen. Ich bin jedoch nicht der Auffassung, daß die Kreditaufnahme an die Sicherstellung des Zinsen- und Tilgungsdienstes geknüpft werden sollte. Ich könnte mir vorstellen, daß derartige Kredite gerade in einem Augenblick aufgenommen werden, in dem der Haushalt ein Defizit hat, und man könnte den Einwand erheben, daß im Augenblick der Zinsen- und Tilgungsdienst keineswegs gesichert ist, wie es sich überhaupt fragt, ob man Kredite nur für außerordentliche Aufwendungen aufzunehmen hat. Die Fassung des Art. 126, wie sie der Finanzausschuß vorgesehen hat, ist elastischer und erlaubt es, Kredite in Depressionszeiten aufzunehmen, in denen es völlig töricht wäre, die Steuerschraube weiter anzu-

34)

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§ 8b Reichshaushaltsordnung: „Zum Ausgleich für die etwaige Inanspruchnahme des Reichs aus Bürgschafts-, Gewähr- oder anderen, ähnlichen wirtschaftlichen Zwecken dienenden Verträgen sind in den Haushaltsplan Ausgabenmittel in entsprechender Höhe einzustellen.“

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ziehen. Ich möchte also in diesem Punkt auf die erste Formulierung wieder zurückkommen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß der Art. 126 in der Fassung des Finanzausschusses einen Schreibfehler enthält. Es fehlen hinter dem ersten Satz die Worte: „und nur auf Grund eines Bundesgesetzes“. Wir haben es so beschlossen. (Zustimmung.) Das ist infolge eines Schreibfehlers nicht in die Reinschrift hineingekommen; es muß hier unbedingt stehen. Ob man im übrigen „außergewöhnlich“ oder „außerordentlich“ sagt, halte ich für ziemlich gleichgültig. Es ist sehr schwer, für die Aufnahme von Krediten eine befriedigende Fassung zu finden. Der Rechnungshof hat vorgeschlagen, es davon abhängig zu machen, daß die Verzinsung gewährleistet ist. Wenn ich sage: „für werbende Zwecke“, ist in der Regel auch die Verzinsung gewährleistet. Es werden in der Tat auch Fälle vorkommen, bei denen sich nicht voraussehen läßt, ob bei der Aufnahme einer Anleihe die Verzinsung wirklich durch die Einnahmen der kommenden Jahre gewährleistet ist. Insofern bin ich, da die Fassung des Rechnungshofs mich auch nicht befriedigt, etwas konservativ und schlage vor, bei der Fassung zu bleiben, die wir in unseren alten Verfassungen haben: „in der Regel nur für werbende Zwecke“. Der Ausdruck „in der Regel“ läßt die Möglichkeit offen, Kredite auch für andere Zwecke aufzunehmen. Über das Wort „Kreditgewährungen“ in Satz 2 haben wir uns sehr eingehend unterhalten. Ich war im Ausschuß der Meinung, daß das Wort „Kreditgewährungen“ nicht am Platze ist. Ich stimme hier mit dem Rechnungshof überein. Wenn einmal Gelder für Kredite zur Verfügung gestellt sind, sei es durch den Haushalt, sei es durch ein Anleihegesetz, dann hat das Parlament die Sache genehmigt, und dann bedarf es nicht noch eines besonderen Gesetzes für die Kreditgewährung selber. Der Einwand des Rechnungshofs, daß dies unter Umständen die Kreditgewährung in einzelnen Fällen sehr erschweren würde, scheint mir richtig zu sein. Ich würde also im zweiten Satz das Wort „Kreditgewährungen“ streichen. Dr. Kroll (CSU): Ich hatte die Formulierung des Redaktionsausschusses vorliegen und hatte hinzugefügt: Ausgenommen sind finanzielle Maßnahmen des Bundes zur Verhütung von Konjunkturschwankungen oder zur Behebung einer allgemeinen Wirtschaftskrisis. Die Fassung des Finanzausschusses von Art. 126 läßt an sich Möglichkeiten offen, hier einzugreifen. Es ist aber die Frage, ob man die Behandlung der Konjunkturprobleme völlig außer acht lassen will, indem man sie nur dadurch deckt, daß man sagt: „in der Regel für die und die Zwecke“ und offenläßt, was außerhalb der Regel vielleicht auch zur Glättung von Konjunkturschwankungen, zur Überwindung einer Depression geschieht. Wir müssen uns darüber klar sein, daß, wenn eine Wirtschaftskrisis bereits ausgebrochen ist, zwar vielleicht Kredite aufgenommen werden, um eine beginnende Arbeitslosigkeit in Richtung auf eine Vollbeschäftigung abzufangen, daß aber die Sicherheit des Begriff „werbende Zwecke“ oder gar der regelmäßigen Tilgung dieser Kredite in diesem Sinne nicht gegeben ist. Es ist also

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die Frage, ob wir die Konjunkturpolitik hier verankern wollen oder nicht, ob wir sie gewissermaßen nur nebenher außerhalb der Regel laufen lassen wollen oder ob wir ganz bewußt sagen, der Staat hat in diesen Fällen das Recht, mit der Kreditpolitik etwa im Sinne der offenen Marktpolitik Konjunkturpolitik zu treiben. Das würde ich an sich für richtig halten. Dr. Binder (CDU): Der Einwand von Herrn Dr. Höpker Aschoff ist in den heutigen Zeiten vielleicht nicht ganz stichhaltig. Wir haben zur Zeit im Lande WürttembergHohenzollern den Fall, daß eine Kreditgewährung der Regierung gegen den Willen des Parlaments möglich wäre, wenn wir nicht bereits eine derartige Bestimmung in unserer Verfassung drin hätten. Es handelt sich dabei um die Stützung eines Betriebes. Dadurch, daß die Regierung verpflichtet ist, die Kreditgewährung vor den Landtag zu bringen, können wir uns von Anfang an entscheiden, ob die Sache gefördert werden soll oder nicht. Hätten wir die Bestimmung nicht, dann hätte die Regierung jetzt aus Bequemlichkeitsründen einen Kredit gewährt, der nachher zwangsläufig in eine Subvention hätte umgewandelt werden müssen, weil der Betrieb gar nicht in der Lage ist, den Kredit nachher zurückzuzahlen. Aus diesem Grunde habe ich seinerzeit dafür gestimmt, daß ein solcher Passus hier aufgenommen wird, um uns nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen. Wir hatten zum Teil bei den Ländern, zum Teil beim Reich Geldvermögen, das sich immer wieder dadurch bildet, daß Staatsunternehmen oder sonstige Aktiven verkauft werden und ein Vermögensstock zur Entstehung [S. 187] gelangt, der möglicherweise zur Dekkung laufender Ausgaben benutzt wird oder auch weitergeführt werden kann. Das gibt die Möglichkeit, unter Umgehung des Parlaments eine Kreditpolitik zu betreiben. Deshalb haben wir mit guten Gründen diese Bestimmung des Art. 126 aufgenommen. Dr. Wolff (SPD): Gegenüber Herrn Dr. Kroll möchte ich bemerken, daß das Problem, das er hier berührt hat, wohl kaum durch die Möglichkeiten gedeckt wird, die mit Art. 126 gegeben werden sollen. Sofern das Kreditinstrument eine konjunkturpolitische Rolle spielt, wird es in erster Linie die Aufgabe der Notenbank und der etwa von ihr abhängigen oder von ihr gebildeten Institute sein, die kreditpolitische Linie im Hinblick auf die Konjunkturpolitik zu bestimmen. Das dürfte nicht etwa im Wege von Kreditermächtigungen durch die Bundesregierung zu erfolgen haben. Diese Kreditermächtigungen dürften in der Regel nur kurzfristiger Natur sein und demgemäß in diesem Zusammenhang nicht eine besonders große Rolle spielen. Zum zuletzt behandelten Thema bin ich der Auffassung, daß die Fassung des Finanzausschusses den Vorzug verdient, insbesondere hinsichtlich der Formulierung des ersten Absatzes, wobei man das Wort „außerordentlich“ oder „außergewöhnlich“ nicht als wesentlich wird ansehen können. Bei der Frage der Kreditgewährung bitte ich aber doch zu bedenken, ob nicht unter Umständen, insbesondere für kurzfristige Kreditgewährungen, die bei sehr akuten Stützungsaktionen notwendig sind – man kann sich an Situationen wie 1931 erinnern, als das Reich zur Stützung der Banken rasch eingreifen mußte, ehe die dann später gebildeten Institute Tilka35) und Finag36) errichtet waren –, eine Möglichkeit gegeben werden 35) 36)

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Tilgungskapital. Finanzausgleichsgesetz.

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soll, auch ohne ausdrückliche gesetzliche Genehmigung kurzfristige Kreditgewährungen vorzunehmen. Dr. Binder (CDU): Das Geld war zum Teufel. Es wäre viel richtiger gewesen, die Gläubiger hätten den Verlust bezahlt. Dr. Wolff (SPD): Das Beispiel braucht nicht in bezug auf die Bewertung herangezogen zu werden. Ich meine nur, daß es kurzfristige Aktionen gibt, die im Wege eines Notstandes durchgeführt werden müssen. Ich bitte also, zumindest für diesen Teil des Artikels keine Fassung zu wählen, die solche kurzfristigen Notstandsaktionen verhindert. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Herr Kollege Binder, ich habe Ihre Ausführungen nicht ganz verstanden. Wenn Sie Kredite zur Unterstützung eines Unternehmens gewähren, müssen die Mittel entweder durch den Haushaltsplan oder durch ein Anleihegesetz zur Verfügung gestellt sein. Dann liegt die gesetzliche Ermächtigung vor. Wenn Sie Vermögensbestände haben und die Kredite aus den Vermögensbeständen oder aus Zinsen der Vermögensbestände geben, so dürfen Sie das gar nicht. Die Zinsen der Vermögensbestände erscheinen als Einnahmen im Haushalt, und Sie können sie für Stützungszwecke auch nur verwenden, wenn das im Haushaltsgesetz genehmigt ist. Die Deckung ist immer da. Es gibt dann noch den Fall, daß der Finanzminister außerplanmäßig Kredite gibt. Diese Möglichkeit müssen Sie offenhalten. Gerade so gut, wie der Finanzminister außerplanmäßig Geld zur Verfügung stellt, muß er unter Umständen auch die Möglichkeit haben, meinetwegen einer Gemeinde, die durch eine Überschwemmung heimgesucht ist, zur Wiederherstellung von Brücken oder so etwas, wenn die Arbeit notwendig ist, einen außerplanmäßigen Kredit zu geben. Natürlich muß er dafür geradestehen. Das muß in die Rechnung aufgenommen werden, und er muß darüber Rechnung legen. Aber die Kreditgewährung als solche sollte nicht an ein Gesetz gebunden werden. Dr. Greve (SPD): Ich vermag mich gerade im Hinblick auf die letzten Ausführungen des Kollegen Dr. Höpker Aschoff nicht davon überzeugen zu lassen, daß es notwendig ist, Kreditgewährungen aus der jetzigen Formulierung herauszunehmen. Es ist richtig, wenn gesagt wird, daß für die Gewährung von Krediten die gesetzliche Grundlage gegeben sein muß. Wenn im Haushaltsgesetz bereits die Gewährung von Krediten vorgesehen ist, ist es selbstverständlich nicht mehr notwendig, ein besonderes Gesetz zu verabschieden. Es handelt sich also um diejenige Kreditgewährung, die außerhalb der im Haushaltsplan vorgesehenen Mittel erfolgen kann. Hier bin ich allerdings der Auffassung, daß es notwendig ist, diese Kreditgewährungen im Rahmen eines Gesetzes zu verabschieden. Das Weniger, nämlich die Sicherheitsleistungen zu Lasten des Bundes, soll durch ein Bundesgesetz geschehen. Das Mehr, nämlich die sofortige Hingabe des Geldes im Rahmen außerplanmäßig zur Verfügung stehender Mittel, wollen Sie nicht an ein Gesetz binden. Das vermag ich nicht einzusehen. Das hat uns auch im Finanzausschuß bewogen, das Mehr, das sofort zu Zahlende an die Bestimmung zu binden, daß eine derartige Kreditgewährung durch Bundesgesetz erfolgen muß. Dr. Binder (CDU): Ein sofortiges Handeln des Bundesfinanzministers wird durch eine derartige Bestimmung nicht völlig ausgeschlossen. Der Bundesfinanzminister kann mit Zustimmung der Parteiführer unter Umständen schon vorher in Vorlage

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treten. Wenn er die Zustimmung der Parteien hat, wird ein nachträglicher Antrag als Gesetz genehmigt werden. So sind wir in diesen Tagen in Württemberg-Hohenzollern praktisch verfahren, indem wir der Regierung gesagt haben, daß das Gesetz, wenn sie es einbringt, angenommen wird. Sie wußte dadurch, woran sie ist. Solche Fälle können eintreten. Wenn man die Sache ganz herausläßt, wird meines Erachtens die Folge sein, daß der Bundesfinanzminister unter dem Druck der öffentlichen Meinung irgendwelche Stützungskredite gibt, für die er keinerlei Ermächtigung hat, und daß wir nachher praktisch vor der Notwendigkeit stehen, die bereits gezahlten Kredite im nächsten Haushalt als Subventionen aufzunehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir kommen zur Abstimmung. Ich meine, daß der Entwurf des Redaktionsausschusses zu Art. 126 der weitergehende ist. Werden zu dieser Fassung Abänderungsanträge gestellt? Dr. Kroll (CSU): Ich hatte zur Fassung des Redaktionsausschusses den Antrag gestellt hinzuzufügen: „Ausgenommen sind finanzielle Maßnahmen des Bundes zur Verhütung von Konjunkturschwankungen oder zur Behebung einer allgemeinen Wirtschaftskrise.“ In der Fassung des Redaktionsausschusses ist eine enge Begrenzung des Kredits nur zur Deckung eines außergewöhnlichen Bedarfs, dessen Verzinsung und Tilgung sichergestellt ist, vorgesehen. Wenn die Fassung des Finanzausschusses angenommen wird, brauche ich den Antrag nicht zu stellen. Für den Fall, daß die Fassung des Redaktionsausschusses angenommen wird, stelle ich meinen Zusatzantrag. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Zusatzantrag Dr. Kroll abstimmen. – Der Antrag ist abgelehnt. Ich stelle die Fassung des Redaktionsausschusses als Ganzes zur Abstimmung. – Die Fassung ist abgelehnt. Dann stelle ich die Fassung des Finanzausschusses zur Abstimmung, wobei ich bemerke, daß in der Vorlage ein Schreibfehler enthalten ist und es am Ende von Satz 1, also in Zeile 3, heißen muß: „beschafft werden und nur auf Grund eines Bundesgesetzes“. – Die Fassung ist einstimmig angenommen. Dr. Binder (CDU): Jetzt habe ich noch den Antrag zu stellen, daß gemäß der Vorlage des Redaktionsausschusses hinzugesetzt wird: In dem Gesetz muß die Höhe des Kredites oder der Umfang der Verpflichtung, für die der Bund die Haftung übernimmt, bestimmt sein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über diesen Zusatzantrag abstimmen. – Der Antrag ist einstimmig angenommen. Art. 127 entfällt nach der Vorlage. Damit ist der Abschnitt XI erledigt. Der Hauptausschuß vertagt sich37) auf Freitag, den 3. Dezember 1948, 10 Uhr.

37)

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Das stenograph. Wortprot., S. 57, erwähnt noch eine kurze „Geschäftsordnungsdebatte über die Geschäftslage“.

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Nr. 16 Sechzehnte Sitzung des Hauptausschusses 3. Dezember 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 189–2031). PA 2004. Ungez. von Senz gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 458 vervielf.2); korrigiert mit Drucks. Nr. 669 Anwesend 3): CDU/CSU: von Brentano, de Chapeaurouge, Kaufmann, Fecht, Finck, Laforet, Lehr, Walter SPD: Katz, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wolff, Zimmermann FDP: Heuss, Höpker Aschoff DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Hoch (SPD), Löwenthal (SPD), Zinn (SPD) Stenographischer Dienst: Senz Dauer: 10.25–13.00 Uhr

[1. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT IX: DIE GESETZGEBUNG] [1.1. ART. 111: NOTSTANDSRECHT]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir fahren fort mit der Beratung von Abschnitt IX Die Gesetzgebung4). Ich glaube, daß der Organisationsausschuß in der Lage ist, eine Beratungsgrundlage für die in Art. 111 der Vorlage des Organisationsausschusses vom 15. Oktober 1948 (PR. 10.48 – 206)5) behandelte Materie zu geben. 1)

In der Druckausgabe wurde die Sitzung irrtümlich auf den 13. Dez. 1948 datiert. Protokollführer Pauls; geschrieben von Frau Wistorf; gelesen von Gertraut und Frau Wistorf; verlesen von Kelz und von Zitzewitz. 3) Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 4) Statt „Wir fahren fort mit der Beratung von Abschnitt IX Die Gesetzgebung.“ beginnt im stenograph. Wortprot. S. 1–2, Schmid zunächst mit einer kurzen Übersicht über die erledigten und unerledigten Artikel. Dann ergreift von Brentano (CDU) das Wort: „Ich darf mir ein Wort außerhalb der Geschäftsordnung erlauben. Ein glücklicher Zufall hat mir die Kenntnis einer Tatsache übermittelt, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte: unser Vorsitzender hat heute Geburtstag. Ich glaube, in Ihrer aller Namen zu sprechen, wenn ich Herrn Professor Schmid unsere aufrichtigen Glückwünsche und unseren dank für seine bisherige Tätigkeit ausspreche und Ihn bitte, seine Tätigkeit wie bisher als bewährter Vorsitzender des Hauptausschusses fortzusetzen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich danke Ihnen sehr für den Glückwunsch. Offenbar ist es so, daß das wofür man am wenigsten kann, einem gelegentlich die größeren Freuden bereitet. (Heiterkeit.)“ 5) Drucks. Nr. 206 enthält das Kurzprot. der 15. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vom 15. Okt. 1948. In das Kurzprot. fand die Neuformulierung des Art. 111 Aufnahme. Für den Wortlaut des Art. 111 in der Formulierung auf Drucks. Nr. 206 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13, Dok. Nr. 20, S. 618 f., Anm. 43. 2)

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Dr. Lehr (CDU): Wir haben uns heute morgen im Organisationsausschuß erneut mit dieser Materie beschäftigt6). Wir haben Herrn Geheimrat Dr. Thoma7) zugezogen und sehr interessante Darlegungen entgegengenommen8), sind aber einstimmig zu der Erkenntnis gekommen, daß wir es gegenüber der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses zunächst einmal bei der von uns im Organisationsausschuß am 15. Oktober 1948 festgelegten Fassung bewenden lassen wollen, das heißt bei dem sogenannten technischen Notstand und der hierfür gewählten Formulierung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lese ich Art. 111 in der Fassung des Organisationsausschusses vor: (1) Ist eine der gesetzgebenden Körperschaften infolge höherer Gewalt nicht imstande, die ihr durch die Verfassung auferlegten Aufgaben zu erfüllen, so kann die Bundesregierung zur Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr für den verfassungsmäßigen Bestand des Bundes oder seiner freiheitlichen und demokratischen Grundordnung mit Zustimmung der Präsidenten des Bundestags und des Bundesrats im Rahmen der Bundeszuständigkeit Notverordnungen mit Gesetzeskraft erlassen. (2) Die Verordnungen treten außer Kraft, wenn eine der beiden Kammern ihre Aufhebung verlangt oder sie nicht binnen vier Wochen vom Bundestag und Bundesrat bestätigt werden. Sind infolge höherer Gewalt Bundestag und Bundesrat nicht in der Lage, eine Bestätigung vorzunehmen, so können die Notverordnungen in der gleichen Weise jeweils um vier Wochen verlängert werden. (3) Von den Grundrechten können durch Notverordnung nur die Grundrechte vorübergehend aufgehoben oder beschränkt werden, die die Pressefreiheit (Art. 7), die Versammlungsfreiheit (Art. 8), die Vereinigungsfreiheit (Art. 9) und die des Art. 11 betreffen, soweit es sich um das Fernsprech- und Telegraphengeheimnis handelt. In der Verordnung müssen die außer Kraft gesetzten oder eingeschränkten Grundrechte sowohl namentlich wie mit ihrer Artikelzahl bezeichnet sein. Änderungen des Grundgesetzes durch Notverordnungen sind unzulässig. (4) Solange gemäß Abs. 3 Grundrechte außer Kraft gesetzt sind, dürfen Wahlen zu politischen Körperschaften und Volksabstimmungen im gesamten Bundesgebiet nicht stattfinden. Die Wahlperioden verlängern sich entsprechend. (5) Die in diesem Artikel vorgesehenen Verordnungen und Beschlüsse sind im Bundesgesetzblatt zu verkünden. Ist dieses nicht möglich, so genügt jede andere Form der allgemeinen Bekanntgabe, insbesondere durch Rundfunk; die Verkündung im Bundesgesetzblatt ist unverzüglich nachzuholen.

6)

Vgl. die 26. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 3. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 35, bes. S. 875–887. 7) Richard Thoma (1874–1957), Jurist, 1900 Dr. iur., 1906 Habilitation, Privatdozent in Freiburg im Breisgau, 1909–1911 Professor für öffentliches Recht in Hamburg, 1911– 1928 Professor in Heidelberg, 1928–1945 Professor für öffentliches Recht und Staatslehre in Bonn. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 35, S. 873, Anm. 3. 8) Thoma nahm an der 26. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 3. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 35, S. 873–888.

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Es handelt sich in diesem Art. 111 um die Regelung eines eventuellen Notstandsrechts, und zwar nach seinen zwei Seiten hin: einmal nach der Seite der Delegation der Gesetzgebung für den Fall, daß der ordentliche Gesetzgeber technisch außerstande ist zu funktionieren, und dann nach der Seite der Möglichkeit, in beschränktem Umfange gewisse Grundrechte für Zeit außer Kraft zu setzen. Dr. Katz (SPD): Die Fraktion der SPD ist mit dieser Fassung, die im Organisationsausschuß tagelang eingehend beraten worden ist, einverstanden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es erfolgen keine weiteren Erklärungen. Ich lasse über Art. 111 in der Fassung des Organisationsausschusses abstimmen. – Art. 111 ist mit 18 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung angenommen. Dr. Katz (SPD): Nachdem dieser Artikel angenommen ist, möchte ich darauf hinweisen, daß noch eine Lücke in den Bestimmungen über den Gesetzgebungsnotstand besteht. Unsere Fraktion behält sich vor, unter Umständen bei der zweiten Lesung im Ausschuß noch Anträge zu stellen.

[1.2. ART. 111c UND 111d: MITWIRKUNG BEI BUNDESGESETZEN – VERKÜNDUNG UND INKRAFTTRETEN VON GESETZEN]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir kommen zu Art. 111c und 111d, beide in der Fassung des Redaktionsausschusses. Art. 111c Die Befugnis zur Mitwirkung bei der Bundesgesetzgebung kann nicht übertragen werden, auch nicht auf einen von einem Bundesorgan gebildeten Ausschuß. Ich lasse abstimmen. – Art. 111c ist einstimmig angenommen. Art. 111d (1) Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze werden vom Bundespräsidenten unter Gegenzeichnung des Bundeskanzlers oder des zuständigen Bundesministers ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet. Rechtsverordnungen werden von der erlassenden Stelle ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet. (2) Jedes Gesetz und jede Rechtsverordnung soll den Tag des Inkrafttretens bestimmen. Fehlt eine solche Bestimmung, so treten sie mit dem 14. Tage nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem das Bundesgesetzblatt ausgegeben worden ist. Ich lasse abstimmen. – Art. 111d ist in der verlesenen Fassung einstimmig angenommen. Ich stelle noch fest, daß Art. 111c nunmehr die Bezeichnung 111a und Art. 111d die Bezeichnung Art. 111b zu bekommen hat.

[2. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT X: DIE AUSFÜHRUNG DER BUNDESGESETZE UND DIE BUNDESVERWALTUNG]

Wir kommen jetzt zu Abschnitt X Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung. Zu den Artikeln dieses Abschnitts liegen jeweils zwei Fassungen

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vor, eine Fassung des [S. 190] Zuständigkeitsausschusses (PR. 12.48 – 331)9) und eine Fassung des Redaktionsausschusses (PR. 12.48 – 332)10). Dr. Laforet (CSU): Wir haben gestern im Zuständigkeitsausschuß abschließend die Art. 112 bis 117 einstimmig begutachtet11). Es fragt sich, ob der Hauptausschuß den Vorschlag des Zuständigkeitsausschusses zugrunde legen will. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich denke doch wohl; denn dieser Entwurf ist ja in Kenntnis der Vorschläge des Redaktionsausschusses angefertigt. Dr. Laforet (CSU): Ich kann das nicht beurteilen. Wir haben die Vorlage soeben bekommen. Wir können vielleicht der ersten Lesung die Fassung des Zuständigkeitsausschusses zugrunde legen; für die zweite Lesung kann der Redaktionsausschuß immer noch sein Gutachten abgeben und Anträge stellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir wollen darüber abstimmen. – Es ist mit 12 gegen 6 Stimmen beschlossen, der Beratung die Fassung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung zugrunde zu legen.

[2.1. ART. 112-1: AUSFÜHRUNG VON BUNDESGESETZEN DURCH LÄNDER]

Ich rufe auf

Art. 112-1 Soweit nicht dieses Grundgesetz etwas anderes bestimmt oder zuläßt, ist die Ausführung der Bundesgesetze eigene Angelegenheit der Länder. Sie regeln, soweit Bundesgesetze nichts anderes bestimmen, die Einrichtung der Behörden, das allgemeine Verwaltungsverfahren und das Verwaltungsgerichtsverfahren. Dr. Laforet (CSU): Der Redaktionsausschuß hat uns die Richtlinie gegeben, den Art. 42 aufzulösen und zuerst die Vermutung für die Zuständigkeit der Länder auszusprechen12). Das ist in dem neuen Art. 112-1 geschehen. Es schließen sich dann, wie im Herrenchiemseer Entwurf13), ganz organisch die einzelnen Fälle der besonderen Verwaltungen an, die bundeseigene Verwaltung, die Landesverwaltung nach Weisung, die eigene Landesverwaltung. Eine Meinungsverschiedenheit ergibt sich erst in Art. 118 bei den Reichswasserstraßen und in Art. 118a bei den Kraftfahrstraßen, den Autobahnen. Im übrigen ist der Zuständigkeitsausschuß in seiner Vorlage einstimmiger Ansicht. 9)

10)

11) 12) 13)

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Die vom Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung am 1. und 2. Dez. 1948 beschlossene Fassung des Abschnitts X (Art. 112–120 ChE) wurde maschinenschriftlich vervielfältigt als Drucks. Nr. 331. Für den Wortlaut der Drucks. Nr. 331 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 27, S. 751–754. Für den Wortlaut der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zum Abschnitt X vom Dez. 1948, vervielfältigt als Drucks. Nr. 332 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 71–73. Vgl. die 20. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung vom 2. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 26, S. 717–751. Vgl. die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 16. Nov. 1948, vervielfältigt als Drucks. Nr. 279; Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 50. Für den Wortlaut des Berichts über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 504–630.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann können wir abstimmen lassen. Wird der Antrag gestellt, an Stelle dieser Fassung die des Redaktionsausschusses zu setzen? Dr. Hoch (SPD): Wir kommen in gewisse Schwierigkeiten. Sachlich hat der Redaktionsausschuß nichts geändert. Aber die Formulierungen sind vielfach zweckmäßiger. Es ist schon so, daß diejenigen, die nicht in der Materie gearbeitet haben, leichter eine zweckmäßigere Form finden als diejenigen, die sich dauernd mit den Fragen beschäftigen und daher ohne weiteres wissen, was sie sagen wollen. Ich weiß nicht, wie Sie verfahren wollen; ich würde dafür sein, daß wir den Vorschlag des Redaktionsausschusses annehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Fassung des Redaktionsausschusses lautet: Die Länder führen die Bundesgesetze aus, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zuläßt. Sie regeln die Einrichtung der Behörden und das Verfahren, soweit nicht Bundesgesetze etwas anderes bestimmen. Das ist genau dasselbe, nur scheint es mir klarer zu sein. Dr. Laforet (CSU): Ich kann nicht beurteilen, ob der Redaktionsausschuß, der wiederholt schon sachlich eingegriffen hat, hier an der einstimmigen Auffassung des Zuständigkeitsausschusses etwas geändert hat. Vors. Dr. Schmid (SPD): Offensichtlich nicht. Dr. Laforet (CSU): An dieser Bestimmung nicht. Ob später, kann ich nicht beurteilen. Wir haben keine Zeit und Möglichkeit gehabt, diese Sache des Redaktionsausschusses zu prüfen, und es kommt auf jedes Wort an. Dr. Seebohm (DP): Es scheint mir, daß Herr Dr. Laforet recht hat. Wir haben die Vorschläge des Redaktionsausschusses noch nicht prüfen und vergleichen können. Bei oberflächlicher Betrachtung scheint die Systematik verschoben. Wir sind mehr davon ausgegangen, die Lösung dieser Fragen von den Ländern aus aufzubauen, während man hier die Dinge vom Standpunkt des Bundes aus sieht. Ich möchte nur davor warnen, die eine Fassung nach diesem Gesichtspunkt und die andere Fassung nach jenem Gesichtspunkt zu wählen; sonst könnte der ganze Aufbau durcheinanderkommen. Aber wir können dies noch einmal überarbeiten, so daß solche Fehler dann ausgeglichen werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich sage, daß beide Fassungen genau das gleiche ausdrücken, mit dem Unterschied, daß mir die Fassung des Redaktionsausschusses einfacher zu sein scheint. Ich lasse über die Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Diese Fassung ist einstimmig angenommen.

[2.2. ART. 112-2: AUSFÜHRUNG VON BUNDESGESETZEN DURCH DEN BUND]

Wir kommen zu Art. 112-2. Er lautet in der Fassung des Zuständigkeitsausschusses: (1) Soweit die Ausführung der Bundesgesetze Sache einer bundeseigenen Verwaltung oder einer bundesunmittelbaren Selbstverwaltung ist, erlassen, soweit die Gesetze nichts anderes bestimmen, die Bundesregierung und, nach Maßgabe ihrer Geschäftsordnung, die einzelnen Bundesminister die zur Ausführung erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einzelanweisungen.

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(2) Die Bestimmung über die Einrichtung der Bundesbehörden erläßt, soweit sie nicht gesetzlich geregelt wird, die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats. Der Redaktionsausschuß hat daraus zwei Artikel gemacht. Der eine lautet: Art. 112-2 Die Bundesregierung oder nach Maßgabe ihrer Geschäftsordnung die einzelnen Bundesminister erlassen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, die zur Ausführung der Bundesgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften. Sie bedürfen der Zustimmung des Bundesrats, wenn die Länder die Bundesgesetze nach Weisung des Bundes oder als eigene Angelegenheit ausführen. Der andere Artikel lautet: Art. 112-3 Soweit die Bundesgesetze von einer bundeseigenen Verwaltung oder einer bundesunmittelbaren Selbstverwaltung ausgeführt werden, regelt die Bundesregierung, sofern ein Gesetz nichts anderes bestimmt, mit Zustimmung des Bundesrats die Einrichtung der Behörden. Auch hier scheint mir genau dasselbe gesagt zu sein, nur flüssiger. Dr. Seebohm (DP): In der Fassung des Redaktionsausschusses zu Art. 112-2 fehlt das Wort „Einzelanweisung“. Dr. Hoch (SPD): Es ist selbstverständlich, daß jeder Minister für seine Verwaltung Einzelanweisungen geben kann. Deshalb ist das weggelassen. [S. 191] Vors. Dr. Schmid (SPD): Das war ein Superfluum, das man mit Recht gestrichen hat. Dr. Laforet (CSU): Das Entscheidende in der Bestimmung ist, daß wir die Organisationsvorschriften aufnehmen. Vielleicht darf ich ergänzend kurz berichten. Hier ist im Herrenchiemsser Entwurf eine Lücke. Das Organisationsrecht wurde nach Auslegung der Staatspraxis wie auch des Schrifttums dem Reichspräsidenten als dem Nachfolger des Kaisers nach der Bismarckschen Verfassung14) zugewiesen. Wir hielten es im Zuständigkeitsausschuß für zweckmäßig, daß diese Lücke ausgefüllt wird. Die Entscheidung fiel dahin, daß diese Organisationsbefugnis nicht dem Bundespräsidenten, sondern der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats zukommt. Das ist die entscheidende Abweichung gegenüber dem Herrenchiemseer Entwurf. Die beiden Vorschläge sind sachlich gleich. Ich habe gegen die Annahme des Vorschlags des Redaktionsausschusses keine Erinnerung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann stelle ich zuerst die Fassung des Redaktionsausschusses zur Abstimmung, und zwar die beiden Absätze, die in der Vorlage als Art. 112-2 und Art. 112-3 bezeichnet sind. – Die Fassung des Redaktionsausschusses ist einstimmig angenommen.

14)

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Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871; Deutsches Reichsgesetzblatt 1871, Nr. 16, S. 63–85.

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[2.3. ART. 113: AUSFÜHRUNG DER BUNDESGESETZE DURCH DIE LÄNDER NACH WEISUNG DES BUNDES]

Dann kommen wir zu Art. 113. Ich lese zuerst die Fassung vor, die der Zuständigkeitsausschuß gefunden hat: (1) Soweit die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder nach Weisung des Bundes erfolgt, bedürfen die Ausführungsvorschriften (Rechtsverordnungen und allgemeine Verwaltungsvorschriften) der Bundesregierung der Zustimmung des Bundesrats. (2) Die Einrichtung der Behörden bleibt im Rahmen der Bundesgesetze Sache der Länder. Der Bund kann Vorschriften über die einheitliche Ausbildung der Beamten und Angestellten sowie über seine Mitwirkung bei der Bestellung der Leiter der Ober- und Mittelbehörden erlassen. (3) Die Landesbehörden unterstehen den Anweisungen der zuständigen obersten Bundesbehörden. Die Fassung des Redaktionsausschusses lautet: (1) Soweit die Bundesgesetze durch die Länder nach Weisung des Bundes ausgeführt werden, bleibt die Einrichtung der Behörden im Rahmen der Bundesgesetze Angelegenheit der Länder. Der Bund kann Vorschriften über die einheitliche Ausbildung der Beamten und Angestellten sowie über seine Mitwirkung bei der Bestellung der Leiter der Ober- und Mittelbehörden erlassen. (2) Die Landesbehörden unterstehen den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörden. Dr. Laforet (CSU): Ich bedauere, daß der Redaktionsausschuß dem Zuständigkeitsausschuß in einem für die Rechtsauslegung bedeutsamen Vorschlag nicht gefolgt ist. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß der allgemeine Begriff „Ausführungsvorschriften“ gegeben ist, und haben das dann aufgelöst in „Rechtsverordnungen und allgemeine Verwaltungsvorschriften“. Der Begriff der Durchführungsvorschriften, der Ausführungsvorschriften war bisher nicht einheitlich. In unserem Vorschlag ist versucht, eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Begriffs zu bringen. Ich halte deshalb die Fassung, wie wir sie vorgeschlagen haben, für besser. Ich weiß nicht, ob der Redaktionsausschuß sich überhaupt mit dieser Erörterung befaßt hat, im Grundgesetz selber den Begriff der Ausführungsvorschriften festzulegen und genauer zu umgrenzen. Dr. Hoch (SPD): Der Redaktionsausschuß hat sich mit der Frage ebenfalls befaßt und diesen Artikel etwas geändert, ohne ihm sachlich einen anderen Inhalt zu geben. Er hat die Rechtsverordnungen nicht besonders aufgeführt, und er hat auch nicht die vom Zuständigkeitsausschuß vorgesehene Definition des Begriffs „Ausführungsvorschriften“ aufgenommen15), die nach der Auffassung aller Rechtswissenschaftler in zwei Gruppen zerfällt, nämlich in die Rechtsverordnungen, die Rechtswirkung gegenüber jedermann haben, und die allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die nur für die Behörden bindend sind, an die sie gerichtet sind. Daneben stehen noch die Einzelanweisungen. Die Rechtsverordnungen sind bereits 15)

Vg. dazu den Beitrag von Laforet in der 5. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 29. Sept. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 5, S. 241 f.

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vom Hauptausschuß in Art. 108 geregelt16). Dieser Artikel sieht nicht etwa eine generelle Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen vor, sondern legt fest, daß Rechtsverordnungen nur dann erlassen werden können, wenn in einem einzelnen Bundesgesetz eine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen vorgesehen ist. Man steht auf dem Standpunkt – eine Auffassung, die auch der Zuständigkeitsausschuß einstimmig gebilligt hat –, daß dann der Bundesgesetzgeber – und dabei darf ja auch nicht das Mitwirkungsrecht des Bundesrats außer Betracht bleiben – es in jedem einzelnen Fall in der Hand hat, festzulegen, inwieweit noch andere Instanzen beim Erlaß von Rechtsverordnungen mitwirken sollen. Im übrigen gilt diese Mitwirkung bei dem Erlaß von Rechtsverordnungen und allgemeinen Ausführungsvorschriften in erster Linie natürlich bei der Verwaltung nach Weisung oder in der landeseigenen Verwaltung. Im Grundgesetz ist als Grundsatz festgelegt, daß nur diejenigen Verwaltungen als Verwaltung nach Weisung geführt werden dürfen, die im Grundgesetz vorgesehen sind. In den folgenden Artikeln ist vorgeschrieben, wieweit der Bundesrat mitzuwirken hat. Deshalb ist dies hier weggelassen worden. Soweit Verwaltungsvorschriften eine Mitwirkung des Bundesrats voraussetzen, ist das im Art. 112a zusammengefaßt, wo ausdrücklich im letzten Satz vorgeschrieben ist, daß sie der Zustimmung des Bundesrats bedürfen, wenn die Länder die Bundesgesetze nach Weisung des Bundes oder als eigene Angelegenheit ausführen. Es ist das dasselbe, was vom Zuständigkeitsausschuß gewünscht worden ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Dr. Laforet, hat Sie diese Erläuterung befriedigt? Dr. Laforet (CSU): Nein. Ich kann mich nicht entschließen, auf eine Festlegung des Begriffs „Ausführungsvorschriften“ im Grundgesetz selbst zu verzichten. Ich halte es aus gesetztechnischen Gründen für zweckmäßig, daß dies auch im Grundgesetz selbst erfolgt, damit eine Bindung der ministeriellen Instanzen wie auch der Rechtsauslegung eintritt. Es ist außerordentlich mißlich und ganz sicher dem Beschluß des Ältestenrats17) widersprechend, daß in dem Augenblick, in dem eine sachliche Erörterung stattfinden soll, ganz neue Vorschläge kommen, bei deren Prüfung es auf jedes Wort ankommt. Eine Klarheit wäre nur dann gegeben, wenn wir die Möglichkeit hätten, im Zuständigkeitsausschuß zu dem Beschluß des Redaktionsausschusses Stellung zu nehmen, wie das in der grundlegenden Beschlußfassung des Ältestenrats auch vorgesehen war. So sind wir jetzt zwangsweise in die Lage versetzt, Stellung zu nehmen, ohne vollständig die Möglichkeit zu haben, den ganzen Komplex hier zu übersehen. Ich würde vorschlagen, daß uns die Möglichkeit gegeben wird, die Art. 113, 114, 114a und 115 noch einmal im Zuständigkeitsausschuß zumindest für uns persönlich durchsehen zu können, um Ihnen dann einen entscheidenden Bericht zu erstatten. Dr. Hoch (SPD): Ich verstehe durchaus die Abneigung meines verehrten Kollegen, hier ohne weiteres mitzumachen. Aber er kann überzeugt sein, daß gestern Nacht in unseren Beratungen, an denen Herr Dr. Strauß teilgenommen hat – ich bedauere, daß er nicht hier ist –, Herr Dr. Strauß mit dieser Regelung restlos einverstanden 16)

Vgl. dazu die Verhandlungen zu Art. 108a in der 12. Sitzung des HptA am 1. Dez. 1948, oben Dok. Nr. 12, S. 370–375, TOP 2.5. 17) Zum Beschluß des Ältestenrats vom 11. Nov. 1948, vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 5, Anm. 14.

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war. Wir haben bei jedem Artikel sehr gewissenhaft geprüft, wieweit wir von der Auffassung, die im Zuständigkeitsausschuß festgelegt worden ist, abweichen. Wir werden das im Laufe der Beratung bekanntgeben. Ich darf noch auf eines hinweisen, um ganz klarzustellen, was ich vorhin gesagt habe: auf der zweiten Seite18) des Vorschlags des Redaktionsausschusses finden Sie Art. 108a Abs. 2. [S. 192] Uns wurde mitgeteilt, daß die Entscheidung über diesen Artikel vom Hauptausschuß ausgesetzt und dem Zuständigkeitsausschuß überwiesen worden sei, um die Dinge zu klären19). Die Mitwirkung des Bundesrats stand dabei zur Debatte. Das übrige steht in Art. 108, der auf der zweiten Seite dieses Vorschlags wiedergegeben ist. Daraus ersehen Sie, daß hinsichtlich der Rechtsverordnungen das zutrifft, was ich vorher ausgeführt habe. Ich möchte bitten, es bei der Fassung des Art. 113 nach dem Vorschlage des Redaktionsausschusses zu belassen, und darf Herrn Dr. Laforet darauf aufmerksam machen, daß damit die wesentlichen Änderungen erledigt sind. Später kommen die materiellen Fragen, über die ich dann sprechen kann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich darf einmal Abs. 2 des Art. 108a vorlesen: (2) Rechtsverordnungen zur Ausführung der in Art. 105 bezeichneten Bundesgesetze oder von solchen Bundesgesetzen, die von den Ländern nach Weisung des Bundes oder als eigene Angelegenheiten ausgeführt werden, bedürfen der Zustimmung des Bundesrats. Das wäre die Generalklausel, die es uns erspart, jedem einzelnen Artikel etwas zuzufügen. Dr. Seebohm (DP): Ich bin der Ansicht, daß die Fassung von Art. 108a nicht das deckt, was ich neulich20 angeregt hatte, nämlich daß auch die Gesetze, die in bundesunmittelbaren Selbstverwaltungseinrichtungen zur Aufführung kommen, bezüglich ihrer Rechtsverordnungen an die Zustimmung des Bundesrats gebunden sind. Das ist nicht berücksichtigt. Außerdem ist es – da stimme ich Herrn Dr. Laforet zu – für uns sehr schwierig, so abweichenden Fassungen gegenüberzustehen und insbesondere auch nicht hören zu können, was Herrn Dr. Strauß zum Beispiel bewogen hat, von unseren in mühsamer Arbeit gefundenen Formulierungen abzugehen. Herr Dr. Hoch konnte seine Auffassung vertreten, aber zur Klärung wäre es gut, wenn Herr Dr. Strauß hier wäre. Ich möchte zur Abkürzung der Diskussion folgendes sagen. Wir werden doch zwischen der ersten und der zweiten Lesung einen oder zwei Tage Pause haben. Ich möchte deshalb anregen und Herrn Dr. Laforet bitten, daß wir uns zwischen der ersten und zweiten Lesung im Zuständigkeitsausschuß21) mit dem hier erarbeiteten Material noch einmal auseinandersetzen und unsere eventuell notwendigen Abän-

18)

Die Seitenangabe bezieht sich auf die Rückseite der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zum Abschnitt X vom Dez. 1948, vervielfältigt als Drucks. Nr. 332; vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 73. 19) Vgl. oben Dok. Nr. 12, S. 373. 20) Vgl. dazu den Beitrag von Seebohm in der 12. Sitzung des HptA am 1. Dez. 1948, oben Dok. Nr. 12, S. 371, TOP 2.5. 21) Der Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung hat sich nach der 16. Sitzung des HptA mit dieser Thematik nicht mehr befaßt. Vgl. die 21. Sitzung des Ausschusses am 7. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 28, S. 755–772.

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derungsanträge nochmals formulieren. Der Redaktionsausschuß müßte dann auf diese Lösungen bei der Vorbereitung der zweiten Lesung Rücksicht nehmen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich möchte noch auf einen Zusammenhang mit den Fragen der Finanzverwaltung hinweisen. Es ist so, daß die Steuergesetze, die den Bund und die Länder betreffen, jetzt nur mit Zustimmung des Bundesrats erlassen werden können. Das ist in der neuen Fassung von Art. 105 bestimmt. Es ist weiter in Art. 108a bestimmt, daß entsprechende Rechtsverordnungen auch mit Zustimmung des Bundesrats erlassen werden können. Wie aber steht es um die allgemeinen Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiete der Bundesfinanzverwaltung? Da werden die allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach Art. 112-2, wie wir eben beschlossen haben, von der Bundesregierung allein erlassen, während man nach unserer Auffassung hier auch die Zustimmung des Bundesrats einschalten sollte. Dr. Laforet (CSU): Das ist eben das Unglück. Ich habe schwere Bedenken gegen die Art dieser Tätigkeit. Gerade die dankeswerten Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff haben uns früher schon beschäftigt22), und in den Artikeln 112a und 113 der Fassung des Zuständigkeitsausschusses ist die Voraussetzung gedeckt. Jetzt treten plötzlich im Hauptausschuß die neuen Fragen wieder auf, und es ist ganz unmöglich, bei dieser verwickelten Materie sofort Stellung zu nehmen. An der objektiven Darlegung des Kollegen Hoch habe ich nicht die geringsten Zweifel. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich schlage vor, daß wir über die Fassung des Zuständigkeitsausschusses abstimmen. Wenn sich herausstellen sollte, daß die Fassung des Redaktionsausschusses größere Garantien gibt, wird sich das Zweckentsprechende in der zweiten Lesung noch erledigen lassen. Dr. Hoch (SPD): Herr Kollege Dr. Höpker Aschoff, die ganze Frage der Mitwirkung des Bundesrats auf dem Gebiete der Finanzverwaltung ist in besonderen Artikeln geregelt. Wenn da etwas vergessen worden ist, muß es nachgeholt werden; das gehört aber nicht hierher. Wenn der Bundesrat mitwirken soll, müssen Sie das, genau so wie bei den anderen Materien, im Abschnitt Finanzen vorsehen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich habe das gestern erwähnt und die Antwort bekommen, daß das an anderer Stelle berücksichtigt wird. In Ansehung der Rechtsverordnungen ist das in Art. 108a berücksichtigt, aber in Ansehung der allgemeinen Verwaltungsvorschriften ist es in Art. 112-2 nicht berücksichtigt. Dr. Hoch (SPD): Da ist kein Zweifel. Dr. Laforet (CSU): Das ist die Folge einer derartigen Geschäftsbehandlung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe vorgeschlagen, daß wir über die Fassung des Zuständigkeitsausschusses abstimmen. Dr. Laforet (CSU): Wir müssen die Anregung von Herrn Dr. Höpker Aschoff beachten, daß der Gegenstand, wenn er in der Materie Finanzverwaltung nicht geregelt ist, von uns im Hauptausschuß geregelt werden sollte. In Art. 112a ist die Ergänzung der Verwaltungsvorschriften jetzt nicht aufgenommen. Wäre es nicht zweckmäßig, uns die Möglichkeit zu geben, die Art. 112, 113, 114 noch einmal in Ruhe anzusehen, um Ihnen dann die entsprechenden Vorschläge zu machen? Keine Schwierigkeiten entstehen bei Art. 115, und es wird noch genug Gelegenheit zur 22

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Vgl. dazu die 13.–15. Sitzung des HptA am 1. und 2. Dez. 1948; oben Dok. Nr. 13–15.

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Erörterung sein, wenn hier die Frage der bundeseigenen Verwaltung und vor allem auch der bundesunmittelbaren Selbstverwaltung angezogen wird. Der Art. 108a, der uns plötzlich hier vom Redaktionsausschuß vorgelegt worden ist, berücksichtigt die bundesunmittelbare Selbstverwaltungseinrichtung nicht. Es geht nicht an, daß eine derartige, nicht genügend bis zum letzten überlegte Fassung ohne eine Möglichkeit des Fachausschusses, zu dem Gegenstand Stellung zu nehmen, hier sofort an den Hauptausschuß kommt. Zinn (SPD): Es ist mißlich, daß diese Vorlage des Redaktionsausschusses relativ spät dem Hauptausschuß oder dem einen oder anderen Herrn zugegangen ist. Aber, Herr Dr. Laforet, Sie sind es selbst gewesen, der gestern mittag dem Redaktionsausschuß mitgeteilt hat, er möge sich nicht vor gestern abend mit Ihrer Vorlage befassen, weil Sie nicht vorher fertig seien, so daß der Redaktionsausschuß erst heute in der Nacht dazu Stellung nehmen konnte. Es liegt also nicht am Redaktionsausschuß. Im übrigen darf ich folgendes sagen. Was die bundesunmittelbaren Selbstverwaltungskörperschaften anbelangt, so steht in dem Art. 105, der meines Wissens verabschiedet worden ist, daß bei Gesetzen über den Finanzausgleich oder über Steuern, die gemeinsame Einnahmen sind, und über die Errichtung bundesunmittelbarer Selbstverwaltungen, das heißt öffentlich-rechtlicher Körperschaften – über diesen Begriff müssen wir uns später noch unterhalten – die Zustimmung des Bundesrats erforderlich ist. Es heißt weiter in Art. 108a, daß Rechtsverordnungen zur Durchführung von Bundesgesetzen im Sinne des Art. 105 der Zustimmung des Bundesrats bedürfen. Die Angelegenheit ist also bereits dort geregelt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Hat es einen Sinn, wenn wir hier zwischen Zuständigkeitsausschuß und Redaktionsausschuß weitere Kontroversen austragen lassen, wie am besten verfahren worden wäre? Ich glaube, es [S. 193] ist besser, wir stellen den Art. 113 in der Fassung des Zuständigkeitsausschusses zur Abstimmung. Zwischen der ersten und der zweiten Lesung mögen die beiden Ausschüsse zusammenkommen. Ich bin überzeugt, daß wir dann eine Fassung für die zweite Lesung vorgelegt bekommen, die sämtliche Vorzüge der einen wie der anderen Fassung enthalten wird. Ich stelle den Art. 113 in der Fassung des Zuständigkeitsausschusses zur Abstimmung. – Art. 113 ist in dieser Fassung mit 17 Stimmen gegen die Stimme des Herrn Abgeordneten Renner angenommen.23)

[2.4. ART. 114: RECHTSVERORDNUNGEN]

Ich rufe auf

Art. 114 (1) Soweit die Ausführung der Bundesgesetze eigene Sache der Länder ist, bedürfen die Ausführungsvorschriften (Rechtsverordnungen und allgemeine

23)

Im stenograph. Wortprot., S. 21, folgt danach der Beitrag von Hoch: „Dr. Hoch (SPD): Das muß dann später noch ausgebügelt werden.“

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Verwaltungsvorschriften) der Bundesregierung der Zustimmung des Bundesrats. (2) Die Bundesregierung und nach der Geschäftsordnung die einzelnen Bundesminister üben die Aufsicht über die Ausführung der Gesetze in den Ländern aus. Die Bundesregierung kann zu diesem Zweck Beauftragte zu den obersten Landesbehörden und mit deren Zustimmung auch zu den unteren Behörden entsenden. (3) Werden Mängel, die die Bundesregierung bei der Ausführung der Bundesgesetze in den Ländern festgestellt hat, nicht beseitigt, so beschließt auf Antrag der Bundesregierung oder des Landes der Bundesrat, ob das Land durch die Art seiner Ausführung das Gesetz verletzt hat. Das Recht beider Teile, das Bundesverfassungsgericht oder nach näherer gesetzlicher Bestimmung ein anderes oberstes Bundesgericht anzurufen, bleibt unberührt. Die Fassung des Redaktionsausschusses lautet: (1) Bei der Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder als eigene Angelegenheit üben die Bundesregierung und nach der Geschäftsordnung die einzelnen Bundesminister die Aufsicht aus. Die Bundesregierung kann zu diesem Zweck Beauftragte zu den obersten Landesbehörden und mit deren Zustimmung auch zu den unteren Behörden entsenden. (2) Werden Mängel bei der Ausführung der Bundesgesetze auf Ersuchen der Bundesregierung nicht beseitigt, so entscheidet auf Antrag der Bundesregierung oder des Landes der Bundesrat, ob das Land das Gesetz verletzt hat. Nun kommt eine Klammer: (Das Recht beider Teile, das Bundesverfassungsgericht oder nach näherer gesetzlicher Bestimmung ein anderes oberstes Bundesgericht anzurufen, bleibt unberührt.) Der Redaktionsausschuß schlägt vor, diesen in Klammern gesetzten Schlußsatz in den Abschnitt Bundesverfassungsgericht zu übernehmen. Dr. Laforet (CSU): Vielleicht ist es zweckmäßig, das hier zu bestimmen. Ich weiß nicht, ob wir einen Katalog, eine Zusammenfassung der Fälle bekommen, in denen das Oberste Bundesgericht oder das Bundesverfassungsgericht – noch nicht einmal der Name steht fest – zuständig sein soll. Ich möchte empfehlen, für die erste Lesung den Wortlaut des Zuständigkeitsausschusses zu wählen. Es muß dann nach Beschlußfassung im Rechtspflegeausschuß eine Änderung vorgenommen werden. Es kommt hier auf jedes Wort an, und ich halte es für besser diesen Grundton habe ich auch in der ganzen sachlichen Arbeit des Parlamentarischen Rates gesehen –, lieber etwas langsamer, aber gründlicher zu arbeiten und sich nicht darauf zu verlassen, daß noch zwischen der ersten und der zweiten Lesung die Möglichkeit besteht, Lücken und Irrtümer auszugleichen. Wir werden bei dem Drang der Zeit auf manches verzichten müssen, was wir lieber ausführlicher erörtern würden. Hoffentlich ergeben sich nicht bei den weiteren Bestimmungen noch Lücken und Zweifel. Für den Art. 114 schlage ich vor, unter allem Vorbehalt die Fassung des Zuständigkeitsausschusses zugrunde zu legen und die entscheidende Tätigkeit dem Redaktionsausschuß vorzubehalten, wenn einmal der Abschnitt über das Bundesverfassungsgericht oder das Oberste Bundesgericht oder wie es heißen mag, vom zuständigen Fachausschuß erledigt ist.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Vorschlag gemacht, über die Fassung des Zuständigkeitsausschusses abzustimmen, mit dem Vorbehalt, den ich für die Behandlung des Art. 113 vorgeschlagen habe. Renner (KPD): Für den Fall, daß die Bundesregierung bei den Ländern Mängel in der Ausführung von Bundesgesetzen feststellt, ist hier als Instanz für die Austragung dieses Streites nur der Bundesrat bzw. die Bundesregierung vorgesehen. In dem Art. 115 beschäftigen Sie sich aber auch mit der Durchführung eines gewissen Bundeszwanges gegen solche Länder, bei denen derartige Mängel festgestellt werden. Ich bin der Meinung, daß der Bundestag unbedingt in die Austragung derartiger Streitigkeiten eingeschaltet werden muß. Ich weiß nicht, was Sie unter Bundeszwang verstehen. Man kann darunter eine ganze Menge verstehen, vor allen Dingen, wenn man an die Weimarer Zeit zurückdenkt. Aber ich bin der Meinung, daß die vom Volk gewählten Abgeordneten gerade in dieser Frage unbedingt das Recht der Beteiligung haben müssen. Ich beantrage die Einfügung der Worte: „und Bundestag“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wo möchten Sie das eingefügt haben? Renner (KPD): In Art. 114 Abs. 2 heißt es: „Werden Mängel . . . nicht beseitigt, so entscheidet auf Antrag der Bundesregierung oder des Landes der Bundesrat . . .“ Hier müßte vor den Worten „der Bundesrat“ eingefügt werden: „der Bundestag und“. Ich wehre mich nicht gegen den Bundesrat, bei Wahrung meiner grundsätzlichen Bedenken gegen diese Institution; aber hier muß der Bundestag eingeschaltet werden24). Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag des Abgeordneten Renner auf Einfügung der Worte „der Bundestag“ abstimmen. – Der Antrag ist mit 10 gegen 3 Stimmen abgelehnt. Ich lasse nun über Art. 114 in der Fassung des Zuständigkeitsausschusses abstimmen. – Art. 114 ist in dieser Fassung gegen 1 Stimme angenommen.

[2.5. ART. 114a: ÜBERTRAGUNG DER GESETZGEBUNG AUF DIE LÄNDER]

Art. 114a lautet in der Fassung des Zuständigkeitsausschusses: Auf den Gebieten, in denen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, kann durch Bundesgesetz der Bundesregierung das Recht übertragen werden, Landesverwaltungsbehörden unmittelbar mit Anweisungen zu versehen. Ein solches Bundesgesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags und von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats. Die Fassung des Redaktionsausschusses lautet: Auf den Gebieten, in denen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, kann durch Bundesgesetz der Bundesregierung das Recht übertragen werden, Landesverwaltungsbehörden unmittelbar mit Weisungen zu versehen. Das Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats. Der Redaktionsausschuß hat also den Bundestag nicht mit qualifizierter Mehrheit vorgesehen. 24)

Im stenograph. Wortprot., S. 24, folgt danach: „Die Ländervertreter müssen das Recht haben, gehört zu werden. Also Bundesrat und Bundestag.“

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Dr. Laforet (CSU): Das scheint mir die einzige sachliche Abweichung zu sein. Unsere Fassung scheint mir der Rechtslage besser zu entsprechen. Ich sehe keinen genügenden Grund, warum in einer solch bedeutsamen Sache nicht auch der Bundestag mitwirken soll. Gewiß wird man sagen können, hier ist eine Sachlage, bei der der Bundesrat entscheidend ist; denn es dreht sich ja um den Vollzug, der dem Lande zukommt. [S. 194] Gleichwohl möchte ich den Bundestag als den maßgebenden Vertreter der Gesetzgebung nicht ausgeschaltet wissen. Ich ziehe deshalb bei Art. 114a die Fassung des Zuständigkeitsausschusses vor. Dr. Hoch (SPD): Zunächst bitte ich, eine formale Änderung vorzunehmen, nämlich statt „Anweisungen“ „Weisungen“ zu sagen. Dieser ganze Artikel beruht auf einer Anregung des Herrn Kollegen Dr. Strauß, der auf Grund seiner Erfahrungen glaubt, daß man in der Praxis ohne eine solche Möglichkeit nicht auskommt. Er hat sich gestern abend damit einverstanden erklärt, von der Forderung abzusehen, daß ein solches Gesetz mit Zweidrittelmehrheit auch vom Bundestag beschlossen werden müsse, und hat sich überzeugt, daß es genügt, wenn eine Zweidrittelmehrheit des Bundesrats vorgesehen wird. Vom Bundestag wird das Gesetz mit der üblichen Mehrheit verabschiedet; der Bundesrat aber muß mit Zweidrittel-Mehrheit zustimmen, weil das, wenn man so sagen will, ein Eingriff in die Rechte der Länder ist und der Bundesrat die Instanz ist, die in erster Linie die Länderinteressen zu vertreten hat. Wir wollen den Einfluß des Bundesrats dadurch stärken, daß wir die Zweidrittelmehrheit vorschreiben. Aber es liegt keine Veranlassung vor, das auch für den Bundestag zu fordern. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sind Sie damit einverstanden, Herr Dr. Laforet, daß statt „Anweisungen“ gesagt wird: „Weisungen“? Dr. Laforet (CSU): Ich bin damit einverstanden, daß „Weisungen“ gesagt wird. Renner (KPD): Ich möchte darauf hinweisen, daß es völlig unlogisch ist, im Gegensatz zum vorigen Artikel hier den Bundestag einzuschalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse nun über Art. 114a in der Fassung des Zuständigkeitsausschusses abstimmen. Die Meinungsverschiedenheit ist auf die Frage begrenzt, ob die Zweidrittelmehrheit nur für den Bundesrat oder auch für den Bundestag erforderlich sein soll. Die Fassung des Zuständigkeitsausschusses sieht für beide gesetzgebenden Körperschaften qualifizierte Mehrheiten vor. Dr. Hoch (SPD): Ich habe die Streichung der Worte „von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags“ beantragt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über diesen Antrag auf Streichung der Worte „von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags“ abstimmen. – Die Streichung ist mit 14 gegen 6 Stimmen beschlossen. Nun stelle ich den Art. 114a in der durch die erfolgte Streichung abgeänderten Form zur Abstimmung, wobei ich noch einmal erwähnen möchte, daß es statt „Anweisungen“ nunmehr „Weisungen“ heißt. – Art. 114a ist gegen 1 Stimme angenommen. Er hat nunmehr folgenden Wortlaut: Auf den Gebieten, in denen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, kann durch Bundesgesetz der Bundesregierung das Recht übertragen werden, Landesverwaltungsbehörden unmittelbar mit Weisungen zu versehen. Ein solches Bundesgesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats.

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[2.6. ART. 115: BUNDESZWANG]

Dann kommen wir zu

Art. 115 (1) Wenn ein Land die ihm nach dem Grundgesetz oder einem anderen Bundesgesetz obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats das Land im Wege des Bundeszwanges zur Erfüllung seiner Pflichten anhalten. Die Zustimmung des Bundesrats bedarf der Mehrheit der gesetzlichen Stimmenzahl. (2) Zur Durchführung des Bundeszwanges hat die Bundesregierung oder ihr Beauftragter das Weisungsrecht gegenüber allen Ländern und ihren Behörden. Der Redaktionsausschuß hat folgende Fassung vorgeschlagen: (1) Wenn ein Land die ihm nach dem Grundgesetz oder einem anderen Bundesgesetz obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats die notwendigen Maßnahmen treffen, um das Land im Wege des Bundeszwanges zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten. Die Zustimmung des Bundesrats bedarf der Mehrheit der gesetzlichen Stimmenzahlen. (2) Zur Durchführung des Bundeszwanges hat die Bundesregierung oder ihr Beauftragter das Weisungsrecht gegenüber allen Ländern und ihren Behörden. Ich würde vorschlagen, die Fassung des Redaktionsausschusses zu wählen. Ich lasse darüber abstimmen. – Art. 115 ist in dieser Fassung einstimmig angenommen. Nun hat der Redaktionsausschuß einen Art. 115a in Vorschlag zu bringen, den ich verlese: (1) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche und demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats durch Verordnung die polizeiliche Hilfspflicht der Länder verkünden. Mit der Verkündung der polizeilichen Hilfspflicht untersteht die Polizei in den Ländern den Weisungen der Bundesregierung. Diese kann dabei die Polizei einem Bundesbeauftragten unterstellen. (2) Die Verordnung ist nach Beseitigung der Gefahr, im übrigen jederzeit auf Verlangen des Bundesrats aufzuheben. Wird zunächst zur Begründung das Wort gewünscht? Dr. Menzel (SPD): Ich würde zu Abs. 2 vorschlagen, zu sagen: „des Bundestags oder des Bundesrats“. Dr. Laforet (CSU): Diese Bestimmung des Redaktionsausschusses ist schon sachlich im Zuständigkeitsausschuß erarbeitet, aber es kommt hier auf jedes Wort an. Es ist einfach unmöglich, daß plötzlich derartige Anträge gestellt werden. Ich habe meine größten grundsätzlichen Bedenken gegen die Art der Geschäftsführung schon ausgesprochen. Soweit man beim ersten Blick diesen Art. 115a übersieht, ist eine wesentliche Erinnerung nicht zu erheben; aber es wäre mir sehr erwünscht gewesen, wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, eine derartig grundsätzlich bedeutsame Sache vorher den Fraktionen vorzutragen. Dr. von Brentano (CDU): Ich schließe mich dem an, was Herr Dr. Laforet sagte. Ich

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habe auch Bedenken gegen diesen Art. 115a. Ich bin mit Herrn Dr. Laforet der Meinung, daß es sich um eine Frage ähnlich wie die Frage des Notstandes handelt, die wir nicht in einer übereilten Abstimmung entscheiden wollen. Ich möchte bitten, daß wir das zurückstellen, bis wir in den Fraktionen Gelegenheit hatten, darüber zu reden, und im Zuständigkeitsausschuß uns damit befassen konnten. Die Tragweite ist im Moment nicht zu übersehen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie sind einverstanden? – Wir stellen die Abstimmung über Art. 115a zurück. Dr. Laforet (CSU): Es darf angenommen werden, Herr Kollege Dr. Menzel, daß Sie noch wünschen, einzufügen: „auf Verlangen des Bundesrats oder des Bundestags“? (Dr. Menzel [SPD]: Jawohl.)

[2.7. ART. 116: BUNDESVERWALTUNGEN UND BUNDESUNMITTELBARE SELBSTVERWALTUNGSEINRICHTUNGEN]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann kommen wir zu Art. 116 (1) In bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau werden geführt der Auswärtige Dienst, die Bundeseisenbahn und die Bundespost. [S. 195] (2) Außerdem können für Angelegenheiten, für die dem Bund die Gesetzgebung zusteht, im Falle des Bedarfs selbständige Bundesoberbehörden durch Gesetz errichtet werden. Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrats. (3) Als bundesunmittelbare Selbstverwaltungseinrichtungen werden diejenigen sozialen Versicherungsträger geführt, in deren Bereich der Gefahrenausgleich die einheitliche Zusammenfassung für das ganze Bundesgebiet erfordert. Neue bundesunmittelbare Selbstverwaltungskörperschaften können durch Bundesgesetz geschaffen werden. Ein solches Bundesgesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags und von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats. (4) Der Bund errichtet eine Währungsbank. Die Fassung des Redaktionsausschusses scheint mir kürzer zu sein. Sie lautet: (1) In bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau werden geführt der Auswärtige Dienst, die Bundeseisenbahn, die Bundespost und das Bundesfinanzwesen. (2) Als bundesunmittelbare Selbstverwaltungseinrichtungen werden diejenigen sozialen Versicherungsträger geführt, in deren Bereich der Gefahrenausgleich die einheitliche Zusammenfassung für das ganze Bundesgebiet erfordert. (3) Außerdem können für Angelegenheiten, für die dem Bund die Gesetzgebung zusteht, selbständige Bundesoberbehörden und neue bundesunmittelbare Selbstverwaltungskörperschaften durch Bundesgesetz errichtet werden. Die Errichtung selbständiger Bundesoberbehörden bedarf der Zustimmung

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der Mehrheit, die Errichtung bundesunmittelbarer Selbstverwaltungskörperschaften der Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats. (4) Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank. Dr. Hoch (SPD): Zunächst zu Abs. 1 eine rein formale Änderung. Das Bundesfinanzwesen ist hinzugefügt, weil der Hauptausschuß so beschlossen hat. Dann darf ich darauf aufmerksam machen, daß der Abs. 3 in der Fassung des Zuständigkeitsausschusses in zwei Absätze zerlegt und zum Teil etwas zusammengefaßt worden ist. Es bestand im Zuständigkeitsausschuß kein Zweifel darüber, daß der zweite Satz, der beginnt: „Neue bundesunmittelbare Selbstverwaltungskörperschaften . . .“ nicht etwa die Körperschaften meint, die im ersten Satz erwähnt sind, nämlich die Träger der sozialen Versicherung, sondern es soll die Möglichkeit geschaffen werden, auch andere bundesunmittelbare Selbstverwaltungskörperschaften, wenn ein Bedürfnis dafür eintritt, zu errichten. Es wurde von mir erwähnt, daß vielleicht die Notwendigkeit entstehen könnte, für die Ruhr eine Art Selbstverwaltungskörperschaft zu bilden, und daß dann der Weg der komplizierten Änderung des Grundgesetzes gegangen werden müßte, wenn es nicht auf anderem Wege ermöglicht wird. Außerdem glaubte man, daß es im Laufe der Entwicklung auch auf anderen Gebieten notwendig werden würde, neue unmittelbare Selbstverwaltungskörperschaften zu errichten. Es bedeutet nur eine ungeschickte Fassung, daß der zweite Satz sich an den ersten anschließt, keine sachliche Änderung. Man war der Auffassung, daß dadurch unter Umständen eine irrtümliche Auslegung veranlaßt werden könnte dahingehend, daß als Selbstverwaltungskörperschaften nur Versicherungsträger gemeint seien. Deshalb hat man die neue Fassung gewählt. Dann ist eine sachliche Änderung wie in Art. 111a vorgenommen. Sie ist mit Zustimmung des Herrn Dr. Strauß erfolgt. Die Zweidrittelmehrheit für die Entscheidung des Bundesrats ist gestrichen worden, eine Anregung, die ich wiederhole und zum Antrag erhebe. Dr. Laforet (CSU): Zu der Notwendigkeit, über den Kreis der unmittelbaren Selbstverwaltungseinrichtungen, wie sie der Entwurf von Herrenchiemsee vorsieht, hinauszugehen, ist bereits von Herrn Kollegen Dr. Hoch das Nötige gesagt worden. Ein solches Bedürfnis muß anerkannt werden. Es war der Wille des Zuständigkeitsausschusses, daß hier nichts verbaut, sondern dem Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet wird, in solchen Fällen weitere bundesunmittelbare Selbstverwaltungseinrichtungen zu errichten. Wir waren uns aber im Zuständigkeitsausschuß darüber klar, daß dann die qualifizierte Mehrheit in beiden Kammern gefordert wird. Davon weicht der Redaktionsausschuß ab. Ich halte die Abweichung für unrichtig. Weiter hat Art. 116 Abs. 3 in der Fassung des Zuständigkeitsausschusses den Vorzug, daß er die ganzen bundesunmittelbaren Selbstverwaltungseinrichtungen zusammen in einem Abschnitt regelt und einem Zweifel kaum mehr Raum gibt. Ich ziehe deshalb die Fassung des Zuständigkeitsausschusses vor. Wir kommen sonst wieder in die Schwierigkeit, uns zwischen der ersten und der zweiten Lesung jedes einzelne Wort genau zu überlegen und neue Anträge zu stellen. Ich bin der Meinung, daß die qualifizierte Mehrheit bei solchen grundsätzlichen Änderungen des ganzen Gebäudes unerläßlich ist, und zwar nicht nur im Bundesrat, sondern auch im Bundestag.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Eine Frage. Auch Sie sind der Meinung, Herr Dr. Laforet, daß in Ihrer Fassung im zweiten Satz des Abs. 3 die neuen bundesunmittelbaren Selbstverwaltungskörperschaften durch den Satz 1 nicht auf soziale Versicherungsträger usw. begrenzt sind? Dr. Laforet (CSU): Sie sind selbstverständlich auf allen Gebieten möglich. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es können also, übertrieben ausgedrückt, beliebige Selbstverwaltungskörper im Bereich der Zuständigkeit des Bundes gebildet werden. Renner (KPD): Ich beantrage, den Satz betreffend die sozialen Versicherungsträger, der in beiden Fassungen gleich ist, zu ändern. Ich bin der Meinung, daß bei allen sozialen Versicherungsträgern die Notwendigkeit eines Gefahrenausgleiches besteht. Ich beantrage, den Abs. 3 Satz 1 bzw. Abs. 2 folgendermaßen zu fassen: Als bundesunmittelbare Selbstverwaltungskörper werden die sozialen Versicherungsträger geführt. Ich bin in meiner Auffassung einig mit einer Forderung des Reichsbundes der Körperbeschädigten, die, wie ich annehmen darf, allen Fraktionen gestern oder heute zugegangen ist. Diese größte deutsche Kriegsopfer- und Körperbehindertenorganisation ist der Auffassung, daß die sozialen Versicherungsträger einheitlich der Gesetzgebung des Bundes zu unterstellen sind. Ich weiß, es ist an anderer Stelle ganz generell ausgesprochen, daß diese sozialen Versicherungsträger als unmittelbare Selbstverwaltungseinrichtungen geführt werden müssen. Ich sehe keine Notwendigkeit ein, da eine Ausnahme vom Standpunkt irgendeines Landes zu machen, weil die Notwendigkeit des Gefahrenausgleiches ganz allgemein und überall gegeben ist. Man sollte das deshalb positiv und generell in dieser Form formulieren. Dr. Menzel (SPD): Ich möchte mich für meine Person mit diesem Antrag Renner einverstanden erklären. Ich meine, man sollte in der Tat diese sozialen Versicherungsangelegenheiten in die Zuständigkeit des Bundes geben. Aber eine weitere Frage von mir geht dahin: Würde nach der Fassung des Art. 116 Abs. 3 der Übergang der Funktionen der jetzigen Zentralämter, vor allem des Zentralamts für Wirtschaft und für Ernährung, auf die neue Bundesregierung eines Gesetzes bedürfen, und zwar unter den erschwerenden Voraussetzungen, die hier festgelegt sind? Nach der jetzigen Fassung des Artikels muß man dies bejahen. Dann erinnere ich an die interfraktionellen Besprechungen, wo wir einig waren, daß es auf diesen Gebieten, vor allem der Ernährung und Wirtschaft, nicht erst eines solchen erschwerenden Gesetzes [S. 196] bedürfen sollte, um die Funktionen auf die Bundesregierung übergehen zu lassen, weil wir uns klar waren, daß die Kompetenzen des jetzigen Zentralamtes für Wirtschaft ohne weiteres auf das neue Wirtschaftsministerium überzugehen hätten, genau so wie die Kompetenzen des bizonalen Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich möchte im Zusammenhang mit den Abs. 2 und 3 des Art. 116 die Aufmerksamkeit auf einen Vorgang in Frankfurt richten. Die Bewirtschaftung der Rohstoffe sollte nach einem Gesetz des Wirtschaftsrats paritätisch besetzten Wirtschaftsausschüssen übertragen werden. Das wäre etwas wie die Einrichtung einer bundesunmittelbaren Selbstverwaltung. Eine solche Angelegenheit wäre durch den Art. 116 Abs. 3 gedeckt, allerdings nur unter dem erschwerenden Erfordernis der Zweidrittelmehrheit beider Kammern. Dieses Ge-

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setz des Wirtschaftsrats hat die Zustimmung der Besatzungsmächte nicht gefunden25). Infolgedessen will man nunmehr in Frankfurt statt dieser paritätischen Wirtschaftsausschüsse sogenannte Fachstellen einrichten. Diese werden vom Direktor für Wirtschaft eingesetzt, sind also keine Selbstverwaltungskörperschaften mehr, sondern Organe des Wirtschaftsgebietes, später des Bundes. Sie sind aber keine Bundesoberbehörden, infolgedessen wird eine solche Einrichtung durch den Art. 116 Abs. 2 nicht gedeckt. Ich bin zu keinem abschließenden Ergebnis gekommen, aber diese Frage der Bewirtschaftung der Rohstoffe ist eine Frage von eminenter Bedeutung und wird auf Jahre hinaus aufrechterhalten werden müssen. Irgendeine Möglichkeit muß da sein, und wir dürfen diese durch unser Grundgesetz nicht verbauen. Dr. Laforet (CSU): Wenn ich die Frage von Herrn Dr. Menzel richtig aufgefaßt habe, fragt er, ob die Forderungen, die er gestellt hat, hier gedeckt sind. Es war unsere Absicht, sie zu decken. Es ist gar keine Begrenzung für die Bildung neuer bundesunmittelbarer Selbstverwaltungskörperschaften gegeben. Dr. Menzel (SPD): Das sind keine Selbstverwaltungskörperschaften, sondern bundesunmittelbare Behörden. Dr. Laforet (CSU): Für bundesunmittelbare Behörden. Dann ist nach Meinung des Zuständigkeitsausschusses, wo es heißt „. . . im Falle des Bedarfs selbständige Bundesoberbehörden . . .“ der Abs. 2 entscheidend. Das Entscheidende ist, daß ein solches Gesetz der Zustimmung des Bundesrats bedarf. Bedeutsam ist weiter folgendes. Die Träger der sozialen Versicherung wurden in der Gesetzgebung im Vorrang durch das Reich bestimmt. Die Vorranggesetzgebung hatte den ganzen Gegenstand bereits sachlich erfaßt. Die Versicherungsträger wurden nach Maßgabe eines Reichsgesetzes gebildet. Es hat sich jedoch in der Gestaltung der Sozialversicherung herausgestellt, daß es zweckmäßig erscheint, wenn der Gefahrenausgleich für den ganzen Bund eine einheitliche Zusammenfassung erfordert, bundesunmittelbare Selbstverwaltungseinrichtungen zu schaffen, bei denen ein Versicherungsträger für das ganze Bundesgebiet zuständig ist. Im übrigen wird in das Recht der Sozialversicherung nicht eingegriffen. Es wird insbesondere die grundlegende Frage, ob es eine Einheitsversicherung für alle Gefahrenfälle infolge einer vollständigen grundsätzlichen Änderung unseres jetzigen Sozialversicherungsgesetzes gibt, nicht entschieden, sondern das ist dem Bundesgesetzgeber allein überlassen. Zu der Frage, die von Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff aufgeworfen worden ist, ob andere Rechtsformen für die Bewirtschaftung der Rohstoffe noch in Frage kommen, ist hier nicht Stellung genommen. Nach meinem Empfinden wäre damit einer gesetzgeberischen Regelung durch das Bundesgesetz hier nicht vorgegriffen. Wenn ein solcher wirtschaftlicher Zweck durch eine bundesunmittelbare Selbstverwaltungskörperschaft erfüllt werden sollte, wäre durch die Bestimmung des Art. 116 Abs. 3 Satz 2 einem Bundesgesetz die Rechtsgrundlage gegeben, unter der erschwerten Form, und zwar meiner Ansicht nach sowohl für den Bundestag wie für den Bundesrat. Darauf haben besonders Ihre Vertreter Wert gelegt. 25)

Im stenograph. Wortprot., S. 35, folgt danach der Zwischenruf von Renner: „(Renner [KPD]: Kunststück!)“

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Darf ich darauf hinweisen, daß wir vielleicht vor der Situation stehen werden – vielleicht auf Grund besonderer Rechtsanschauungen einiger Besatzungsmächte –, mit den beiden Figuren „Selbstverwaltung“ und „Bundesoberbehörde“ nicht mehr auszukommen, und daß wir da vielleicht eine dritte Möglichkeit ins Auge fassen müssen. Wir wissen, daß die Amerikaner und Engländer eine besondere Vorliebe für Stellen haben, die weder Selbstverwaltung in unserem Sinne noch unmittelbare Staatsorgane sind, nämlich die verschiedenen Boards, die sie zur Bewältigung bestimmter Aufgaben geschaffen haben. Wie wir das fassen könnten, weiß ich nicht. Es gab auch im Dritten Reich etwas Ähnliches, die „Reichsstellen“, die nicht Selbstverwaltungskörper und auch nicht unmittelbare staatliche Organe gewesen sind. Ich weiß nicht, ob wir dieser Möglichkeit Rechnung tragen sollten. Zinn (SPD): Die Frage von Herrn Dr. Höpker Aschoff ist durchaus berechtigt, auch das, was Herr Kollege Schmid sagte. Der Redaktionsausschuß war sich gestern abend klar, daß bei der vorliegenden Fassung die Bildung von Organen, die nicht als Bundesoberbehörden oder als Selbstverwaltungskörperschaften zu betrachten sind, ausgeschlossen sein kann, ebenso die Bildung von Fachstellen, von denen Herr Kollege Dr. Höpker Aschoff sprach. Es gibt öffentlich-rechtliche Körperschaften des Reiches, die bundesunmittelbar sind, der Bundesaufsicht unterstehen, aber nicht Selbstverwaltungskörperschaften darstellen. Nehmen Sie den Reichsstock für Arbeitslosenfürsorge, der in seiner letzten Gestalt zwar eine Körperschaft öffentlichen Rechts darstellte, aber keine Selbstverwaltungskörperschaft war. Infolgedessen ist die Fassung des Zuständigkeitsausschusses zu eng. Ich habe überlegt, ob wir vielleicht einen weiteren Begriff finden können, den man einfügen könnte, habe aber geglaubt, diese Frage, weil sie juristisch genau untersucht werden muß, zurückstellen zu sollen. Herr Dr. Strauß hat sich gefragt, ob wir von bundesunmittelbaren Einrichtungen sprechen können, um alle diese Fälle zu erfassen. Dr. von Brentano (CDU): Ein Wort zu dem Antrag des Herrn Kollegen Renner. Das würde das ganze System der Sozialversicherung auf den Kopf stellen. Wir kennen doch alle die land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften. Es gibt niemand, der all diese Dinge zu bundesunmittelbaren Selbstverwaltungseinrichtungen machen will, zum Beispiel die Ortskrankenkassen. Wir wollen es bei dem bewährten System, das wir hatten, belassen. Es ist richtig, was Herr Dr. Höpker Aschoff sagt, daß vielleicht einmal solche Zwischenstellen geschaffen werden; aber Herr Kollege Dr. Schmid hat einen sehr erheblichen Einwand vorweggenommen, der uns zwingen sollte, dagegen zu sein. Derartige Stellen gab es auch im Dritten Reich, und wir haben alle erlebt, was sie damals zu bedeuten hatten. Ich bin der Auffassung, daß wir allen Grund haben, in der Verfassung eindeutige und klare Verhältnisse zu schaffen und dafür zu sorgen, daß derartige anonyme Stellen, die sich jeder Verantwortung gegen Bund und Länder und jeder parlamentarischen Kontrolle zu entziehen pflegen, nicht fröhliche Urständ feiern können. Man sollte sich klar sein, welchen Rechtscharakter die Institution trägt und wem sie verantwortlich ist; dann kann man eine solche Institution schaffen im Rahmen der Möglichkeiten, die die Verfassung offenläßt. Ich bin der Meinung, daß die Verfassung einen guten Zweck verfolgt, wenn sie verhindert, daß Institutionen geschaffen werden, die zwischen diesen uns bekannten Formen stehen und über deren Tätig-

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keit und deren Auswirkung man sich, wenn man sie schafft, nicht ganz klar ist. [S. 197] Dr. Hoch (SPD): Einen Teil der Fragen, die ich beantworten wollte, hat Herr Kollege Zinn beantwortet. Ich möchte zur Frage der bizonalen Ämter nur sagen, daß es sich hier nicht um Bundesoberbehörden, sondern um Ministerien handelt. Das hat mit dem ganzen Artikel nichts zu tun.26) Renner (KPD): Ich kenne keine Sozialversicherungsträger, die nicht auf Reichsgesetz zurückgehen27). Niemand kann auch die Tatsache bestreiten, daß die Notwendigkeit eines Gefahrenausgleichs in jedem Falle und in jedem Lande gegeben ist. Die Sozialversicherungsträger können heute aus ihren Beiträgen heraus sowieso nicht existieren, zumal nach der Währungsreform28). Bei allen besteht die Notwendigkeit eines Gefahrenausgleichs, auch eines Lastenausgleichs. Ich habe mit keinem Gedanken an ein solches Problem gedacht wie die Einführung einer Einheitsversicherungsgesetzgebung, sondern ich habe an sehr konkrete Dinge gedacht. Da ist zum Beispiel die Rentenversorgung der Kriegsopfer völlig offengelassen. Sie ist heute in den verschiedenen Zonen nach verschiedenen Gesetzen oder Verordnungen der Militärregierungen geregelt29). Da ist das Problem der Rentenversorgung der Opfer des Faschismus, also derjenigen, die körperlichen Schaden erlitten oder ihren Ernährer verloren haben. Alle diese Dinge bedürfen einer bundesrechtlichen Regelung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das haben wir schon beschlossen. Renner (KPD): Das ist also angeblich schon beschlossen. Warum schafft man nicht hier die Voraussetzungen auf einer einheitlichen Basis? Warum wehrt man sich dagegen, daß diese sozialen Versicherungsträger als bundesunmittelbare Selbstverwaltungseinrichtungen geführt werden? Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Versorgung der Kriegsopfer und der Opfer des Faschismus wird nicht im Wege einer Versicherung geschehen, sondern im Wege der Rentengewährung unmittelbar durch den Staat. Renner (KPD): Die Frage ist offen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich kann mir nicht vorstellen, daß man sie, selbst wenn man wollte, auf Versicherungsgrundlage regeln könnte. Renner (KPD): Wir haben in der britischen Zone die Versorgung der Kriegsopfer auf dieser Basis aufgebaut. Das ist nicht das Wesentliche an der Frage. 26)

„Das hat mit dem ganzen Artikel nichts zu tun.“, fehlt im stenograph. Wortprot., S. 40. Im stenograph,. Wortprot., S. 40, folgt danach der namentlich nicht zugewiesene Zwischenruf: „(Richtig!)“ 28) Am 20. Juni 1948 trat in der britischen, französischen und US-amerikanischen Besatzungszone das Währungsgesetz in Kraft, in dem mit Wirkung vom 21. Juni 1948 die „Deutsche-Mark-Währung“ (§ 1) als Währung eingeführt worden war. Vgl. Gesetz Nr. 61 britisches bzw. amerikanisches Kontrollgebiet. Erstes Gesetz zur Neuordnung des Geldwesens (Währungsgesetz) vom 20. Juni 1948; Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1948, Beilage 5, S. 1. In der französischen Zone: Verordnung Nr. 158. Erstes Gesetz zur Neuordnung des Geldwesens (Währungsgesetz) vom 20. Juni 1948; Amtsblatt des französischen Oberkommandos in Deutschland 1948, S. 1506. 29) Vgl. dazu den grundlegenden Beitrag zur Kriegsopferversorgung von Wolfgang Rüfer in: Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Hrsg. vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und Bundesarchiv, Bd. 2/1 1945–1949. Die Zeit der Besatzungszonen, Bandverantwortlicher Udo Wengst. Baden-Baden 2001, S. 744–756. 27)

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Dr. Menzel (SPD): Für die Bemessung der Renten der Höhe nach werden die Sozialgesetze zugrunde gelegt, aber es ist dies nicht eine soziale Selbstverwaltungsangelegenheit. Renner (KPD): Das Durchführungsorgan für die Rentenversorgung der Kriegsopfer ist bei uns die Unfallversicherung. Da ist schon die Durchführungsbehörde. Ich bin der Meinung, man kann das nicht anders regeln als in Form meines Vorschlags. Außerdem steht die Forderung der größten deutschen Kriegsopferorganisation dahinter. Dr. Seebohm (DP): Ich darf die Ausführungen von Herrn Dr. von Brentano unterstreichen. Bei den Sozialversicherungsträgern haben wir als Voraussetzung ausdrücklich den Gefahrenausgleich im gesamten Bundesgebiet hereingenommen. Das gilt nicht für die Krankenkassen, auch nicht für die Berufsgenossenschaften. Bei den letzteren gilt das Umlageprinzip. Bei den Krankenkassen ist die Lage so, daß sie auch nach der Währungsreform finanziell als einigermaßen gesund anzusehen sind. Nur die Invaliden- und Rentenversicherung und die Knappschaftsversicherung machen Schwierigkeiten. Für die Versorgung der Kriegsbeschädigten haben wir in Art. 36 eine bundesgesetzliche Regelung vorgesehen. Wenn man hierfür eine besondere Sozialversicherungseinrichtung schaffen wollte, was ich mir nicht recht vorstellen kann, könnte man sie auch deshalb ohne weiteres auf Bundesebene einrichten, weil in diesem Falle der Gefahrenausgleich sich zweifellos über das ganze Bundesgebiet erstreckt. Aber ich bin der Auffassung, wie das auch Herr Kollege Dr. Schmid zum Ausdruck gebracht hat, daß man die Frage der Kriegsbeschädigtenversorgung nicht auf der Basis der Sozialversicherung regeln sollte. Auch die Anwendung der Verordnung Nr. 27 der britischen Militärregierung für die Kriegsbeschädigtenversorgung auf die sozialen Versicherungseinrichtungen30) halten wir von deutscher Seite für unzweckmäßig und falsch, auch deshalb, weil die von der Militärregierung nur beschränkt erlaubte Versorgung der Kriegsbeschädigten völlig ungenügend ist und ihnen nicht einmal die gleichen Rechte gibt wie unseren Unfallgeschädigten. Aus diesem Grunde glaube ich, daß es nicht notwendig ist, die Erweiterung, die Herr Kollege Renner vorgeschlagen hat, vorzunehmen. Es wird von den Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft mit allem Nachdruck das Wiederentstehen der Reichsstellen oder ähnlicher Wirtschaftsstellen abgelehnt. Es dürfen solche Institutionen nicht wiederkommen, die in keiner Weise kontrolliert werden, selbst wenn sie paritätisch zusammengesetzt sein sollten. Das würde eine sehr unglückliche Konstruktion sein, denn sie wäre der parlamentarischen Kontrolle entzogen. Infolgedessen sind wir der Auffassung, daß staatliche Aufgaben allein durch staatliche Stellen zu regeln sind, die parlamentarisch überwacht werden. Diese Stellen können sich Beratungskörperschaften schaffen. Damit sind diese Wünsche gedeckt. Ich lege großen Wert darauf, daß solche Möglichkeiten auf Grund der Verfassung nicht wieder eingeführt werden können, und daß man sich auch zu der Frage der jetzt von der Militärregierung geschaffenen Wirtschaftsstellen ablehnend äußert. Diese Konstruktion ist falsch. 30)

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Für den Wortlaut der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 der britischen Militärregierung vom 2. Mai 1947, die am 1. Aug. 1947 in Kraft trat, vgl. Amtsblatt für die britische Zone 1 (1947), S. 155.

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Dr. Laforet (CSU): Die Forderung auf Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegerhinterbliebenen ist berechtigt und wird von mir nach jeder Richtung unterstützt. Darum dreht es sich aber hier nicht. Der Bund hat die Gesetzgebung im Vorrang und wird diesen Gegenstand regeln. Er ist zuständig, und hoffentlich haben die Forderungen der Kriegsbeschädigten Erfolg. Wir wollen hier aber keinerlei sachliche Entscheidung treffen, sondern diesen Gegenstand der Würdigung des Bundes zuweisen. Jedes Herantragen von Gedanken dieser Art würde meiner Ansicht nach dem Gesetzgeber die Erledigung nur erschweren. Es wird hier nicht genügend beachtet, daß auch die ganze Sozialversicherung vom Bund geregelt wird, die Versicherungsträger von ihm bestimmt werden, und zwar in einfachen Gesetzen auf Grund der in der Verfassung gegebenen Grundlagen, soweit der Bund zuständig ist. Auch hier soll nicht hineingeredet werden. Das einzige, was geschieht, ist, daß bei dieser Regelung dem Bund die Möglichkeit gegeben wird, in einfacher Gesetzgebung bundesunmittelbare Selbstverwaltungseinrichtungen für das ganze Bundesgebiet zu schaffen, wenn nach seiner Meinung der Gefahrenausgleich die einheitliche Zusammenfassung für das ganze Bundesgebiet erfordert. Mehr wird nicht gegeben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, wir können abstimmen. Es liegen bisher zwei Abänderungsanträge vor. Der eine ist von Herrn Abgeordneten Renner. Er wäre für die beiden Vorlagen in gleicher Weise zu beschließen. Der zweite Antrag bezieht sich lediglich auf die Vorlage des Zuständigkeitsausschusses; er besagt, daß es dort in der drittletzten Zeile von Abs. 3 heißen soll: Ein solches Bundesgesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats, so daß das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit für den Bundestag wegfalle würde. Werden weitere Abänderungsanträge gestellt? Dr. Menzel (SPD): Ich verweise auf die Eingabe der Verwaltung für Verkehr des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, die den Abgeordneten zugegangen ist31), in [S. 198] Verbindung mit einem Antrag der Verwaltung für Seeschiffahrt32). Wenn ich beide Anträge zusammenziehe, ergibt sich daraus, daß Art. 116 Abs. 1 nach dem Wort „Bundespost“ die Ergänzung bekommt: „die Wasserstraßen der See- und Binnenschiffahrtsverwaltung.“ Die Denkschrift der bizonalen Verwaltung für Verkehr hat, glaube ich, in sehr eindeutiger und überzeugender Weise die Notwendigkeit ihrer Forderung dargelegt. Der Binnenschiffahrtsverkehr umfaßt nach dieser Denkschrift an Gütertransporten mehr als die Eisenbahn, und man verweist mit Recht darauf, daß, wenn wir die Eisenbahn bundesmäßig verwalten, es logisch wäre, dies auch bei der Binnenschiffahrt zu verlangen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Darf ich auf Art. 118 aufmerksam machen, wo es heißt: (2) Die Bundeswasserstraßen verwaltet der Bund durch eigene Behörden. 31)

Für den Wortlaut des von Friedrich Schiller gez. Antrags der Verwaltung für Verkehr des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vgl. Drucks. Nr. 482. – Zu Friedrich Schiller, der am 7. Dez. 1948 als Sachverständiger in der 21. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung angehört worden war, vgl. Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 28, S. 755, Anm. 3. 32) Gemeint war die Hauptverwaltung Binnenschiffahrt in der Verwaltung für Verkehr des Vereinigten Wirtschaftgebietes.

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Dr. Menzel (SPD): Dann würden noch See- und Binnenschiffahrt übrigbleiben. Dr. Laforet (CSU): Man hat schon auf den Vorschlag des Zuständigkeitsausschusses hingewiesen, diese Frage in getrennten Artikeln zu erledigen. Wenn Sie die Bestimmung weiterlesen, dann sehen Sie, daß dem Art. 117 ein Art. 118 folgt und daß hier die Frage der Reichswasserstraßen und der Binnenwasserstraßen bei der Bedeutung der Angelegenheit in einer besonderen Vorschrift geregelt werden soll. Es würde nur eine neue Erschwerung der Sache sein, wenn man versuchen wollte, die Entscheidung über den Art. 118 dadurch herbeizuführen, daß man ein Stück davon in den Art. 116 hineinzieht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das wird zurückgestellt. Kaufmann (CDU): Ich wollte nur zur Aufklärung sagen, daß es zumindest zweifelhaft ist, ob diese Eingaben mit dem Stempel „Verwaltung für Verkehr“ tatsächlich solche der Verwaltung für Verkehr sind. Es ist offenbar eine Eingabe, die von einer Abteilung, der Abteilung Binnenschiffahrt, hierhergeschickt worden ist, und zwar ohne Unterschrift. Ich habe gestern an den Direktor der Verwaltung für Verkehr33) geschrieben, ihm ein Exemplar dieser Eingabe geschickt und ihn gebeten, festzustellen, ob es sich um eine Eingabe der Verwaltung handelt oder, wie das mehrfach geschehen ist, um die Eingabe einer einzelnen Abteilung. Das ist in Frankfurt mehrfach vorgekommen. Ich werde Mitteilung machen, sobald ich eine Antwort habe. Dr. Hoch (SPD): In Art. 116 Abs. 4 ist eine Abänderung vorgesehen. In der Fassung des Redaktionsausschusses heißt es: „Währungs- und Notenbank“, während es in der Fassung des Zuständigkeitsausschusses nur „Währungsbank“ heißt. Diese Änderung des Redaktionsausschusses hat einen besonderen Grund. Es ist zweifelhaft geworden, ob in dem Begriff „Währungsbank“ auch die Möglichkeit liegt, dieser Zentralbehörde das Notenausgaberecht zu übertragen. Um diese Zweifel auszuschließen, muß die Fassung lauten, wie sie vom Redaktionsausschuß vorgeschlagen ist, „Währungs- und Notenbank“. Dr. Laforet (CSU): Ich möchte die Auffassung von Herrn Dr. Hoch unterstützen. Wir haben den Wortlaut von Herrenchiemsee34) genommen. Aber ich kann auf das Bezug nehmen, was Herr Dr. Hoch ausgeführt hat. Es ist zweifellos die Klärung einer Frage, die am besten in der Verfassung selber erfolgt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich abstimmen, und zwar zunächst über den Antrag Renner. Ich lege beide Vorschläge zugrunde, denn der Antrag würde für beide Vorlagen zutreffen. Der Antrag zu Abs. 3 Satz 1 bzw. Abs. 2 lautet: Als bundesunmittelbare Selbstverwaltungseinrichtungen werden die sozialen Versicherungsträger geführt. – Der Antrag Renner ist mit 13 Stimmen abgelehnt. 33)

Friedrich Edmund Frohne (1891–1971), Dr. iur., 1941 Honorarprofessor an der Technischen Hochschule in Braunschweig, 1945 Präsident der Verwaltung der Eisenbahn von Braunschweig, 1945 ehrenamtlicher Stadtrat in Braunschweig, 1945 Abteilungsleiter im Staatsministerium für Arbeit und Technik in Braunschweig, 1945 Ministerialdirektor und Staatssekretär im Verkehrsministerium in Hannover, 1947–1950 Direktor der Verwaltung für Verkehr des Vereinigten Wirtschaftgebietes, 1950–1952 Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, 1952–1956 Vorsitzender des Vorstands der Deutschen Bahn. Vogel: Westdeutschland, Teil III, S. 303 und 316. 34) Für den Wortlaut des Art. 116 ChE vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 606.

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Dr. Laforet (CSU): Ich verstehe durchaus, daß der Redaktionsausschuß das Wort „Bundesfinanzwesen“ aufgenommen hat. Vors. Dr. Schmid (SPD): Für den Fall, daß sich die Mehrheit für die Formulierung des Zuständigkeitsausschusses entscheiden sollte, möchte ich darüber abstimmen lassen, ob in Abs. 1 nach „Bundespost“ eingefügt werden soll: „Bundesfinanzwesen“. – Die Einfügung ist mit Mehrheit abgelehnt. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Wir haben doch die Gesetzgebung und Verwaltung auf dem Gebiet der Finanzen in einem Sonderabschnitt geregelt. Ebenso wie wir bei der Gesetzgebung die Finanzen nicht erwähnen, sondern auf einen besonderen Abschnitt verweisen, müssen wir konsequenterweise die Verwaltung auch in einem besonderen Abschnitt regeln. Es handelt sich meiner Auffassung nach nicht um eine sachliche Änderung, sondern um eine redaktionelle Frage. Das braucht nicht einmal erwähnt zu werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse jetzt abstimmen, ob die Worte im dritten Absatz „von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags“ gestrichen werden sollen. – Die Streichung ist mit 14 gegen 7 Stimmen beschlossen. Wir kommen dann zur Abstimmung darüber, ob für den Fall, daß sich die Mehrheit für die Fassung des Zuständigkeitsausschusses entscheiden sollte, in Abs. 4 eingefügt werden soll: „und Notenbank“. – Es ist einstimmig so beschlossen. Es ist nun die Frage, welche Formulierung vorzuziehen ist, die des Redaktionsausschusses oder die des Zuständigkeitsausschusses. Ich stelle zunächst die Formulierung des Zuständigkeitsausschusses zur Abstimmung. Die Fassung des Zuständigkeitsausschusses ist mit 11 gegen 7 Stimmen angenommen.

[2.8. ART. 117: VERWALTUNGEN DER BUNDESBAHN UND BUNDESPOST]

Wir kommen zu Art. 117. Zu diesem Artikel hat der Redaktionsausschuß keinen Vorschlag gemacht. Wir haben uns lediglich mit der Fassung des Zuständigkeitsausschusses zu beschäftigen. Sie lautet: (1) Die Bundeseisenbahnen sowie das Post- und Fernmeldewesen werden als einheitliche Verkehrsanstalten des Bundes verwaltet. (2) Die Bundesregierung erläßt mit Zustimmung des Bundesrats die Verordnungen, die den Bau, den Betrieb und den Verkehr der Eisenbahnen regeln, sowie die Verordnungen, welche Grundsätze und Gebühren für die Benutzung der Einrichtungen der Bundeseisenbahn und des Post- und Fernmeldewesens festsetzen. (3) Die Verwaltungen der Bundesbahn und der Bundespost bestellen je einen ständigen Vertreter bei den Landesregierungen. Wird die Bundesbahn in eine andere Verwaltungsform als die der Bundesverwaltung übergeführt, so gelten diese Bestimmungen entsprechend. (4) Das Nähere regeln die Bundesgesetze. Ich lasse über Art. 117 in dieser Fassung abstimmen. – Einstimmig angenommen.

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Sechzehnte Sitzung des Hauptausschusses 3. Dezember 1948 [2.9. ART. 118: WASSERSTRASSEN]

Dann kommen wir zu Art. 118. Es liegen hier zwei Varianten vor, Variante I von Dr. Hoch35), Variante II von dem Kollegen Blomeyer. Ich lese zunächst die Variante Dr. Hoch vor: (1) Der Bund ist Eigentümer der bisherigen Reichswasserstraßen. (2) Die Bundeswasserstraßen verwaltet der Bund durch eigene Behörden. Er kann die Verwaltung von Bundeswasserstraßen, soweit sie im Gebiet eines Landes liegen, diesem Land auf Antrag übertragen. Berührt eine Wasserstraße das Gebiet mehrerer Länder, so kann der Bund dasjenige [S. 199] Land mit der Verwaltung beauftragen, für das die beteiligten Länder dies beantragen. (3) Bei der Verwaltung, dem Ausbau und dem Neubau von Wasserstraßen sind die Bedürfnisse der Landeskultur und der Wasserwirtschaft im Einvernehmen mit den Ländern zu wahren. (4) Zur Mitwirkung in den Angelegenheiten der Wasserstraßen werden bei den Bundeswasserstraßen nach näherer Anordnung der Bundesregierung unter Zustimmung des Bundesrats Beiräte gebildet. (5) Das Nähere regelt das Gesetz. Nun die Variante Blomeyer36): (1) Der Bund ist Eigentümer der bisher im Eigentum des Reiches stehenden Wasserstraßen. (2) Die Länder verwalten die Bundeswasserstraßen nach Weisung des Bundes. (3) Die Verwaltung von mehrere Länder berührenden Wasserstraßen ist nach Strom- und Küstengebieten einheitlich zusammenzufassen. Ist eine Einigung unter den beteiligten Ländern nicht möglich, kann der Bund das Strom- oder Küstengebiet in eigene Verwaltung übernehmen oder einem der beteiligten Länder übertragen. (4) Auf Antrag eines Landes kann der Bund Wasserstraßen, soweit sie im Gebiet dieses Landes liegen, in bundeseigene Verwaltung übernehmen. Dr. Hoch (SPD): Wir haben uns im Zuständigkeitsausschuß eingehend über die Frage unterhalten, ob sowohl bei Landstraßen wie auch bei Wasserstraßen eine bundeseigene Verwaltung eingerichtet werden sollte. Hier sind unsere Meinungen auseinandergegangen, während wir uns sonst immer haben verständigen können37). Der Abs. 1 ist in beiden Fassungen derselbe. Er besagt, daß die bisherigen Reichswasserstraßen künftig Eigentum des Bundes sein sollen. In meinem Vorschlag wird vorgesehen, daß auch die Verwaltung der Bundeswasserstraßen von bundeseigenen Behörden geführt werden soll, daß also der Zustand, der jetzt besteht, beibehalten wird. Die Binnen- und die Seewasserstraßen – auf beide bezieht sich diese Fassung – sind von großer Wichtigkeit für unsere Wirtschaft. Wir haben gerade in dieser Notzeit den Eindruck bekommen und sind uns darüber einig, daß die Bedeutung der Binnen- und Seewasserstraßen in Zukunft noch größer sein 35)

Für den Wortlaut des Antrags des Abg. Hoch vom 25. Nov. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 25, S. 696 f., Anm. 4.; ebd. Dok. Nr. 27, S. 753. 36) Für den Wortlaut des Antrags des Abg. Blomeyer vom 29. Nov. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 25, S. 696, Anm. 3.; ebd. Dok. Nr. 27, S. 753 f. 37) Zusammenfassend dazu Werner: Einleitung, in: Der Parl. Rat, Bd. 3, S. XXXIV f.

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wird. Wir sind deshalb der Auffassung, daß nur eine einheitliche Verwaltung wirklich den Bedürfnissen unserer Wirtschaft Rechnung tragen kann. Man hat dagegen eingewandt, daß früher, auch schon vor 1933, keine einheitliche Reichswasserstraßenverwaltung bestand, sondern diese Verwaltung den Ländern überlassen war38). Man darf dabei aber nicht übersehen, daß in der damaligen Zeit noch das große einheitliche Preußen bestand, daß 80 Prozent der gesamten Wasserstraßen auf preußischem Staatsgebiet lagen und fast ebenso viel Prozent des gesamten Tonnageverkehrs sich auf diesen auf preußischem Staatsgebiet gelegenen Wasserstraßen abgespielt hat und dadurch die einheitliche Verwaltung gewährleistet war. Heute sind wir in kleine und kleinste Länder aufgesplittert. Wir sind uns darüber einig, daß im engen Kreise der Blick sich verengt und daß kleinliche Gesichtspunkte, die in einer großen Verwaltung überhaupt nicht aufkommen, in den kleinen Verwaltungen eine viel stärkere Rolle spielen. Deshalb ist es erforderlich, diese Verwaltungseinheitlichkeit im Interesse unserer Wirtschaft auch in Zukunft zu gewährleisten. Für den Fall, daß mehrere Länder, die an einer Wasserstraße beteiligt sind, sich einigen sollten, sieht meine Fassung die Möglichkeit vor, daß man diesen sich einigen Ländern dann auch die Verwaltung überträgt, weil dann anzunehmen ist, daß eine ordnungsmäßige und einheitliche Verwaltung gewährleistet ist. Es wird aber nicht vorgesehen, wie es in dem anderen Vorschlag enthalten ist, daß, wenn die Länder sich nicht einigen, der Bund einem Lande Auftrag geben und damit die anderen zwingen kann, sich dieser einheitlichen Leitung eines einzelnen Landes zu unterstellen. Die Wasserstraßen können nicht Stück für Stück verwaltet werden, sondern sie müssen einheitlich als Ganzes für ein ganzes Strom- und Verkehrsnetz betrachtet und ihre Verwaltung muß nach Stromgebieten, nicht nach Ländern, zusammengefaßt werden. Um aber die Interessen der Länder bei einer vom Bund geführten Wasserstraßenverwaltung zu wahren, habe ich die Absätze 3 und 4 vorgeschlagen, die ich wörtlich aus der Weimarer Verfassung39) übernommen habe. Insbesondere der Abs. 4 sieht die Bildung von Beiräten für die großen Wasserstraßen vor, und diese Beiräte haben ein Mitwirkungsrecht, nicht nur etwa ein Beratungsrecht, ebenso wie in der Weimarer Verfassung. Ich glaube, daß bei meiner 38)

Zur Neuregelung im Zusammenhang mit der Verordnung über die Reichswasserstraßen vom 15. April 1943 (RGBl. II, S. 131) vgl. Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 6, S. 284 mit Anm. 13. 39) Art. 97 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Aufgabe des Reichs ist es, die dem allgemeinen Verkehre dienenden Wasserstraßen in sein Eigentum und seine Verwaltung zu übernehmen. Nach der Übernahme können dem allgemeinen Verkehre dienende Wasserstraßen nur noch vom Reiche oder mit seiner Zustimmung angelegt oder ausgebaut werden. Bei der Verwaltung, dem Ausbau oder dem Neubau von Wasserstraßen sind die Bedürfnisse der Landeskultur und der Wasserwirtschaft im Einvernehmen mit den Ländern zu wahren. Auch ist auf deren Förderung Rücksicht zu nehmen. Jede Wasserstraßenverwaltung hat sich den Anschluß anderer Binnenwasserstraßen auf Kosten der Unternehmer gefallen zu lassen. Die gleiche Verpflichtung besteht für die Herstellung einer Verbindung zwischen Binnenwasserstraßen und Eisenbahnen. Mit dem Übergange der Wasserstraßen erhält das Reich die Enteignungsbefugnis, die Tarifhoheit sowie die Strom- und Schiffahrtspolizei. Die Aufgaben der Strombauverbände in bezug auf den Ausbau natürlicher Wasserstraßen im Rhein-, Weser- und Elbgebiet sind auf das Reich zu übernehmen.“ RGBl. S. 1402.

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Formulierung eine einheitliche Verwaltung unserer Wasserstraßen gewährleistet wird, daß aber auf der anderen Seite den Ländern jede Möglichkeit gegeben ist, ihre besonderen Interessen bei der Verwaltung der Wasserstraßen nachdrücklich zur Geltung zu bringen. Ich bitte daher, meinem Vorschlag zuzustimmen. Kaufmann (CDU): Ich habe mich noch einmal orientiert. Es ist sehr merkwürdig verfahren worden. Die verantwortliche Verwaltung für Verkehr ist in dieser ganzen Angelegenheit überhaupt nicht gehört worden, obwohl in Frankfurt Gesetze geschaffen worden sind, die diese Angelegenheiten regeln. Wir können nun an diesen Stellen nicht vorbeigehen und nicht einfach aus dem Handgelenk aus den sich aus einer solchen Debatte ergebenen Gesichtspunkten eine verfassungsmäßige Regelung festlegen, die an diesen Dingen völlig vorübergeht. Ich bitte dringend darum, diese Angelegenheit auszusetzen und dafür zu sorgen, daß die Verwaltung für Verkehr gehört wird und daß die Gesetzgebungsarbeit, die dort festgelegt ist, hier geprüft wird, bevor eine Entscheidung gefällt wird. Die Wasserstraßen- sowohl wie die Straßenverwaltung hat verschiedenartige Gesichtspunkte berücksichtigen müssen. Es ist in beiden Fällen, besonders bei den Wasserstraßen, durchaus die Möglichkeit, daß einzelne von den schiffbar gemachten Wasserläufen von Länderbehörden auftragsmäßig verwaltet werden. Dagegen ist man in all den Fällen, in denen Wasserstraßen mehrere Ländergebiete berühren und eine Koordination nicht möglich ist, dazu übergegangen, sie in zentrale Verwaltung zu nehmen, sofern nicht die Übertragung an ein einzelnes Land zweckmäßig erscheint. Ähnlich liegen die Dinge bei den Straßen. Alle diese Gesichtspunkte sind angeführt. Die Stellungnahme der Verwaltung für Verkehr muß von uns berücksichtigt werden. Wir können an dieser Körperschaft nicht einfach vorbeigehen und die Sache von uns aus erledigen. Man kann nicht an der bestehenden gesetzlichen Regelung und an der verantwortlichen Behörde achtlos vorbeigehen. Man kann nicht sich auf indirekte Informationen berufen und sich damit begnügen. Es wirkt sonderbar, wenn das eine Parlament an dem Parlament, das seit eineinhalb Jahren nur an diesen wirtschaftlichen Aufgaben arbeitet, offiziell und inoffiziell vorübergeht. Ich bitte darum, daß diese Angelegenheit an den Ausschuß zurückverwiesen und die Verwaltung für Verkehr gehört und zugezogen wird. Dr. Laforet (CSU): Ich bin nicht Fachmann auf diesem Gebiet. Ich bin von den Ausführungen meines Parteifreundes Kaufmann überrascht. Ich habe angenommen, daß die Herren, die in unserem Zuständigkeitsausschuß als Nächstbeteiligte gesprochen haben, die Leitung des Verkehrs in Frankfurt zumindest als Quelle für ihre Anschauung in Anspruch genommen haben. So wie die Dinge augenblicklich liegen – ohne dem Herrn Kollegen Dr. Hoch vorzugreifen –, möchte ich doch zu erwägen geben, ob wir nicht den Gegenstand noch einmal im Ausschuß behandeln und der Anregung des Kollegen Kaufmann entsprechen. Dr. Hoch (SPD): Wir haben die Frage, ob wir die Verwaltung noch einmal hören sollten, eingehend besprochen. Ich persönlich hätte durchaus nichts dagegen, zumal sie meine Vorschläge unterstützen würde; aber der Antrag ist abgelehnt worden40), und ich [S. 200] verspreche mir nicht viel von dieser Anhörung, zumal wir

40)

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Die Anhörung von Vertretern der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes lehnte

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mit Zeitnot zu kämpfen haben. Ich habe das Gefühl, daß man auch im Vorschlag Blomeyer versucht hat, den sachlichen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, daß aber doch die prinzipielle Frage Föderalismus und Zentralismus eine entscheidende Rolle gespielt hat, während ich mich von der sachlichen Notwendigkeit habe bestimmen lassen. Mein Kollege Dr. Eberhard hat mit soeben eine Denkschrift in die Hand gedrückt, die sein Verkehrsminister41), also ein Länderminister, herausgegeben hat42), in der er sich unter Benutzung amtlichen Materials der Verwaltung in Frankfurt lebhaft dafür einsetzt, die Verwaltung der Wasserstraßen um Gotteswillen nicht zu einer Auftragsangelegenheit zu machen, sondern die Sonderverwaltung der Reichswasserstraßen zu erhalten. Wenn das ein Landesminister in Württemberg-Baden tut, können wir wohl annehmen, daß er sachlich überzeugt ist, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Entwicklung dies erfordern. (Kaufmann [CDU]: Berührt das nicht auch die Finanzinteressen des betreffenden Landes?) – Die finanzielle Situation wird dadurch nicht berührt, da der Bund für alle Fälle, auch wenn es eine Auftragsangelegenheit wird, die großen Lasten dieser Wasserstraßen wird tragen müssen; denn keine einzige der Wasserstraßen dient nur der Wirtschaft eines kleinen Landes, sondern der gesamten Wirtschaft. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß im Abs. 2 meines Vorschlags ausdrücklich die Möglichkeit gegeben ist, den Ländern die Verwaltung zu überlassen, vor allen Dingen, wenn sie einig sind, wer sie übernehmen soll. Renner (KPD): Auf dem Standpunkt, daß die Verwaltung der Bundeswasserstraßen Sache des Bundes sein muß, standen wenigstens noch im Dezember vorigen Jahres alle Verkehrsminister der Länder der Bizone mit Ausnahme des Ministers Frommknecht43) von Bayern. Meines Wissens hat in dem Ausschuß auch Dr. Strauß mitgearbeitet, der doch in der Verwaltung für Verkehr sitzt. der Geschäftsordnungsausschuß am 24. Nov. 1949 ab; vgl. oben Dok. Nr. 8, S. 277, Anm. 60. 41) Otto Steinmayer (1876–1960), 1900–1904 Angestellter bei einer Krankenkasse, 1904–1906 im Hauptbüro des Deutschen Metallarbeiter-Verband (DMV), Mitglied der SPD, 1906–1909 Geschäftsführer des DMV in Pforzheim, 1910 im Sekretariat des Internationalen Metallarbeiterverbandes, 1919/20 Mitglied der Weimarer Nationalversammlung, 1920–1933 Mitglied des Württembergischen Landtages, kommissarischer Leiter des DMV-Bezirks Schlesien, nach 1933 mehrfach inhaftiert, 1944 im Konzentrationslager Dachau, 1945 Direktor im Innenministerium des Landes Württemberg Baden, 1945 Minister für Post und 1946–1951 Minister für Verkehr in Württemberg-Baden, 1946– 1950 Mitglied des Landtags Württemberg-Baden. 42) Für Auszüge der Stellungnahme des Verkehrsministers von Württemberg-Baden Steinmayer, an die Mitglieder des Parl. Rates aus Württemberg-Baden vgl. Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 25, S. 699 f., Anm. 8a. 43) Otto Frommknecht (1881–1969) Ingenieur, 1908 Staatsprüfung, 1909 Eintritt in den Dienst der bayerischen Staatsbahn, nach Kriegsdienst seit 1919 bei der Deutschen Reichsbahn, 1919 Mitglied der Bayerischen Volkspartei, Bürgermeister bz. Gemeinderat in Obermenzing, 1938 des Dienstes Enthoben, 1938 Verhaftung, 1939 vom Volksgerichtshof wegen versuchten Landesverrates zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt, 1945 im Dienst der Reichsbahndirektion München, 1946 Mitglied der CSU, 1947–1950 Bayerischer Staatsminister für Verkehr. Gelberg: Kabinett Ehard II, S. XLI.

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(Kaufmann [CDU]: Nein, der ist Leiter des Rechtsamtes44)!) – Aber man muß dann Herrn Dr. Strauß langsam den Rat geben, einen Stellungswechsel vorzunehmen, nachdem er dauernd von seinen Fraktionsfreunden desavouiert wird. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Die Frage ist für Hamburg und Bremen von größter Bedeutung. Ich habe mich deshalb auch in Hamburg erkundigt; ich glaube, Herr Schönfelder auch. Nach den mir [bekannt] gewordenen Informationen ist vom Standpunkt der Hansestädte die Fassung, die Herr Dr. Hoch vertritt, die einzig mögliche. Auf der anderen Seite sind die Bedenken von Herrn Kaufmann beachtlich. Wir können in einer solchen lebenswichtigen Frage heute nicht eine Entscheidung treffen, ohne zuvor der Verwaltung in Frankfurt noch einmal Gelegenheit gegeben zu haben, sich zu äußern. Ich möchte mich daher in erster Linie dafür aussprechen, daß der Ausschuß heute die Beschlußfassung über diesen Artikel aussetzt und ihn an den Zuständigkeitsausschuß zurückverweist. Sollte das nicht geschehen, dann erkläre ich, daß ich mich für den Antrag Dr. Hoch aussprechen muß. Schönfelder (SPD): Ich habe den Standpunkt vertreten den auch Herr Dr. de Chapeaurouge vertritt. Ich glaube, die Formulierung, wie wir sie hier haben, wird den Hansestädten genügen. Ich würde mich, weil der Antrag Dr. Hoch weiter geht, für diesen Antrag entscheiden. Ich glaube nicht, daß es nötig ist, noch einmal die Verwaltung für Verkehr in Frankfurt zu hören. Wenn die Sache noch einmal aufgerollt werden sollte, müßte man nicht nur die Bürokraten in Frankfurt, sondern auch Fachleute aus Hamburg und Bremen und von anderswo hören; das wäre das nötige Gegengewicht. Ich glaube aber, da beide Anträge die Möglichkeit schaffen, in der Zukunft die Sache so und so zu regeln, daß wir uns für den Antrag Dr. Hoch oder den Antrag Blomeyer entscheiden sollten. Wenn von Frankfurt ernste Bedenken geltend gemacht werden, würde das bis zur zweiten Lesung noch möglich sein. Ich kann mir denken, daß man in Frankfurt einverstanden ist und keine Veranlassung hat, Einspruch zu erheben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über die Geschäftsbehandlung abstimmen. Wer ist für die Aussetzung der Abstimmung? – Der Antrag auf Aussetzung ist abgelehnt. Dr. Laforet (CSU): Die Frage ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Sie wäre es nur gewesen, wenn wir irgendeinem der Gliedstaaten durch diese Fassung ein Hindernis gegeben hätten. Es war für meine persönliche Stellungnahme als Nichtfachmann von besonderer Bedeutung, daß die Vertreter von Hamburg, auch der Herr Vizepräsident Schönfelder, ihre Forderung in beiden Fassungen erfüllt sehen. Herr Dr. Hoch hat bereits meiner Ansicht nach in durchaus richtiger Art betont, daß eine ordnungsmäßige einheitliche Verwaltung unerläßlich ist. Das ist das Ziel der beiden Anträge. Sie weichen nur in der Art der Durchführung voneinander ab. Eine grundsätzliche Frage, Bundesstaat oder Einheitsstaat, wird nicht aufgerollt. Ich bin durchaus der Meinung, daß wir über eine reine Zweckmäßigkeitsfrage zu entscheiden haben. 44)

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Zu den Aufgaben des Rechtsamt vgl. das Gesetz über das Rechtsamt des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 20. Juli 1948; Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftgebietes 1947–1949, S. 77 f.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Die weitergehende Fassung ist die Variante I Dr. Hoch. Ich lasse über sie abstimmen. – Art. 118 ist in der Fassung der Variante I Dr. Hoch mit 11 gegen 8 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen angenommen.

[2.10. ART. 118a: SEE- UND BINNENSCHIFFAHRT]

Es liegt ein Antrag von Dr. Menzel vor, nach Art. 118 einen weiteren Art. 118a folgenden Inhalts einzufügen: Die See- und Binnenschiffahrt untersteht einer bundeseigenen Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau45). Dr. Menzel (SPD): Ich möchte meine Begründung im wesentlichen auf die Vorlage der Verwaltung für Verkehr beschränken, wobei dahingestellt bleiben möge, ob das eine amtliche Vorlage ist oder nicht. Auf jeden Fall halte ich die Begründung für überzeugend. Es heißt, daß der Binnenschiffahrtsverkehr zu 50 Prozent international und interzonal ist und daß es daher nicht richtig wäre, den Ländern die Verwaltung zu übergeben. Es wird vor allem auf den Rheinstrom hingewiesen. Noch wesentlicher ist die Begründung bei der Seeschiffahrt. Die ganzen Einrichtungen zugunsten der Seeschiffahrt – ich denke da an die Seeämter und die Seenotzeichen, an die Seeblinkzeichen und an die Hilfeeinrichtungen für die Seeschiffahrt – können wir gar nicht einem Lande allein übertragen. Abgesehen von der finanziellen Belastung sind das Aufgaben, die den gesamten Bund betreffen, weil er die Vorteile aus einer guten Seeschiffahrt hat. Ich bin der Meinung, gerade wenn wir den Anschluß an die internationalen Verbindungen suchen wollen – und wir müssen sie suchen –, dürfen wir die Verwaltung der Seeschiffahrt nicht den Ländern unterstellen, sondern müssen sie dem Bund allein unterstellen. Dr. von Brentano (CDU): Ich glaube, wir sind uns hier im wesentlichen einig. Eine praktische Notwendigkeit, einen bundesunmittelbaren Behördenunterbau zu schaffen, der sich etwa mit der Flußschiffahrt auf dem Neckar beschäftigt, halte ich nicht für gegeben. Ich sehe keinen Grund dafür, daß die Schiffahrt auf kleinen schiffbaren Flüssen durch bundesunmittelbare Behörden beaufsichtigt wird. Ich glaube, wir würden die ganze Verwaltung lediglich vergrößern und einen Wasserkopf schaffen, der zu den Aufgaben, die er hätte, in keinem rechten Verhältnis stehen würde. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Zu der Frage, ob für die Binnenschiffahrt eine Bundesbehörde geschaffen werden soll, möchte ich auf eine Einrichtung verweisen, die von Bedeutung zu sein scheint: das Schleppmonopol [S. 201] auf den Kanälen. Wir haben ein Reichsschleppmonopol auf den Kanälen im Rheinland, in NordrheinWestfalen und in Niedersachsen. Dieses Schleppmonopol ist später von Münster aus verwaltet worden, wenn ich recht unterrichtet bin, für Rechnung der Zonenverwaltung. Es scheint mir bedenklich, dieses Schleppmonopol zu zerschlagen. Irgendeine Möglichkeit muß da sein, es zu übernehmen. Man kann auf einer großen Wasserstraße wie dem Rhein die Schlepperei der Privatwirtschaft überlassen. Ich 45)

Statt „Verwaltungsunterbau“ im stenograph. Wortprot., S. 60: „Verwaltungsunterausschuß“.

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glaube nicht, daß es auf den künstlich angelegten Kanälen möglich ist, die ganze Schlepperei der Privatwirtschaft zu überlassen. Das Monopol ist nicht ohne Grund eingerichtet worden. Ich weiß nicht, wie man dieses Monopol aufrechterhalten kann. Ich könnte mir denken, daß es zu irgendeiner Vereinbarung unter den beteiligten Ländern kommen müßte. Aber zunächst handelt es sich dabei um Vermögensgegenstände. Das Schleppmonopol war ja Eigentum des Reiches und müßte Eigentum des Bundes werden. Wir können Bestimmungen in den Übergangsvorschriften treffen. Der Bund könnte durch Gesetz das Nähere regeln. Man könnte sagen, das wird den beteiligten Ländern übertragen. Aber man darf diese Frage nicht außer acht lassen. Dr. Laforet (CSU): Das sind ganz neue Gedanken, die hier auftauchen, und sie sind uns in ihrer Tragweite nicht klar ersichtlich. Wir besitzen nicht einmal den Wortlaut des Antrags Dr. Menzel. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich will ihn noch einmal verlesen: Die See- und Binnenschiffahrt untersteht einer bundeseigenen Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau46). Dr. Laforet (CSU): Man stelle sich vor, daß das auch all die Seen umfaßt! Das ist von einer Tragweite, von der wir uns noch gar kein Bild machen können. Kaufmann (CDU): Entschuldigen Sie, aber wir tappen mit der Stange im Nebel herum. Was heißt Binnenschiffahrt? Sie wissen, daß die Binnenschiffahrt, soweit es sich nicht um Schiffahrtsstraßen handelt, im Privateigentum ist, ausgenommen lediglich das Schleppmonopol, das etwa 1925 oder 1926 geschaffen worden ist47) und das im übrigen der Verwaltung für Verkehr in Frankfurt untersteht und auch im Etat dieser Verwaltung enthalten ist. Übrigens ist es kein Verdienstunternehmen, sondern zur Zeit ein Zuschußunternehmen, während es bei der Gründung als ein sehr vorteilhaftes Unternehmen dargestellt wurde, das dem Reich Gewinn bringt. Es hat zeitweise einen Gewinn gebracht, aber jetzt ist das anders geworden. Wir können keinen Antrag annehmen, der kurzerhand die Binnenschiffahrt, deren ganzer Betrieb ausschließlich in privater Bewirtschaftung ist und wo wir noch nicht einmal auf die Tarife einen direkten gesetzmäßigen Einfluß nehmen konnten, einer Bundesverwaltung unterstellt. Hier haben Sie einen weiteren Beweis, daß es nicht geht, wenn man ohne die Männer, die die verantwortliche Leitung dieser Sache haben und die die Gesetze handhaben, einfach eine solche Fassung macht. Ich bitte dringend, das zurückzustellen. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich möchte mich dem anschließen. Es ist ganz unmöglich, solche Sachen aus dem Handgelenk zu entscheiden. Diese Frage muß man genau prüfen, bevor man einen endgültigen Beschluß faßt. Eine Überweisung an den Zuständigkeitsausschuß scheint mir selbstverständlich, weil dieser sich noch nicht damit beschäftigt hat. Dr. Menzel (SPD): Ich bin einverstanden, möchte aber, damit kein falscher Eindruck entsteht, darauf hinweisen, daß der Antrag nicht etwa die Forderung ent46)

Statt „Verwaltungsunterbau“ im stenograph. Wortprot., S. 63: „Verwaltungsunterausschuß“. 47) Das Reichsschleppmonopol wurde 1922 eingeführt. Damit lag der Schleppbetrieb in staatlicher Hand.

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hält, das Eigentum an der Binnenschiffahrt auf den Bund zu übernehmen, wie aus den Ausführungen des Kollegen Kaufmann zu schließen war, sondern nur die Verwaltung, soweit auf diesem Gebiete etwas zu verwalten sein sollte, soll beim Bund liegen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es besteht allgemeines Einvernehmen, daß der Antrag zurückgestellt und der Zuständigkeitsausschuß damit befaßt wird. Können wir nicht beschließen, diesen Antrag erst in zweiter Lesung zu behandeln? – Es besteht hiermit Einverständnis48).

[2.11. ART. 188a: BUNDESKRAFTFAHRSTRASSEN]

Wir kommen nun zu Art. 118a in der Fassung des Zuständigkeitsausschusses. Es liegen zwei Varianten vor, von Dr. Hoch und von Dr. Strauß. Die Variante von Herrn Dr. Hoch lautet: (1) Der Bund ist Eigentümer der bisher im Eigentum des Reiches stehenden Kraftfahrstraßen (Autobahnen). Die bisherigen Reichsstraßen sind Eigentum des Landes, in dem sie liegen. (2) Die Bundeskraftfahrstraßen verwaltet der Bund durch eigene Behörden. Die übrigen Landstraßen des Fernverkehrs verwalten die Länder oder die nach Landesrecht damit beauftragten Selbstverwaltungskörperschaften nach Weisung des Bundes. (3) Das Nähere regelt das Gesetz. Variante Dr. Strauß: (1) Der Bund ist Eigentümer der bisher im Eigentum des Reiches stehenden Autobahnen (Bundeskraftfahrstraßen). Die bisherigen Reichsstraßen sind Eigentum des Landes, in dem sie liegen. (2) Die Länder verwalten die Bundeskraftfahrstraßen nach Weisung des Bundes. (3) Auf Antrag eines Landes kann der Bund Bundeskraftfahrstraßen, soweit sie im Gebiet dieses Landes liegen, in bundeseigene Verwaltung übernehmen. Dr. Hoch (SPD): Es liegt hier ähnlich wie bei den Wasserstraßen. Der Abs. 1 stimmt in beiden Fällen überein. Es müssen zunächst die Eigentumsverhältnisse geklärt werden. In dieser Hinsicht war kein Zweifel, daß das Eigentum an den Autobahnen dem Bund zustehen soll, und wir waren auch einig, daß die sogenannten Reichsstraßen, die großen Fernverkehrsstraßen, in das Eigentum der Länder übergehen sollen. Wir sind auch darüber einig, daß die bisherigen Reichsstraßen von den Ländern verwaltet werden sollen, mit einer Einschränkung. Es müßte dem Antrag Dr. Strauß noch eingefügt werden, daß die Verwaltung nicht nur durch die Länder geführt werden kann, sondern daß die Länder berechtigt sind, die Verwaltung ihren Selbstverwaltungskörpern zu übertragen. Im Gebiet des früheren Landes Preußen ist die Verwaltung dieser Straßen von den Provinzialverwaltungen geführt worden, und das geschieht noch heute, oder die Verwaltung wird von gewissen Rechtsnachfolgern, die je nach der Struktur des Landes verschieden sind, 48)

Zur Binnenschiffahrt vgl. weiter unten Dok. Nr. 26, TOP 3, S. 764 f.

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ausgeübt. Die Frage ist also: sollen die Autobahnen durch eine eigene Bundesverwaltung verwaltet werden oder von den Ländern nach Weisung des Bundes? Ich persönlich bin der Auffassung, daß die Autobahnen von einer bundeseigenen Verwaltung verwaltet werden sollten. Wer die Autobahnen und auch das übrige Straßennetz kennt, weiß, daß zwar die Reichsstraßen auch ein Stück des großen Straßensystems sind, daß aber die Autobahnen eine Anlage eigener Art bilden und durch die ganze Konstruktion, durch die Art, wie sie gebaut sind, durch die Linienführung und dadurch, daß sie nur durch besondere Verbindungsstücke an das übrige Straßennetz angeschlossen sind, ein Gebilde eigener Art darstellen. Ich glaube, daß dieses Gebilde eine eigene Verwaltung erfordert, die genau so weiträumig eingerichtet sein muß, wie es die Autobahnen sind, die auf weiten Strecken durch die Länder führen, ohne Rücksicht auf die Ländergrenzen. Bei diesen Autobahnen, die durch ihre Eigenheit zum Beispiel den Einsatz von besonders großen, umfangreichen Geräten erfordern, von denen jedes einzelne Stück einen Riesenkostenaufwand verursacht und die deshalb nicht von jeder Verwaltung selbst gehalten werden können, sondern hin- und hergeschoben werden müssen, ist eine bundeseigene Verwaltung erforderlich. Ich bin überzeugt, daß jeder, der [S. 202] mit Verkehrsdingen zu tun hat, sich wundern würde, wenn gesagt würde, man sollte die Verwaltung den einzelnen Ländern überlassen. Ich darf darauf hinweisen, daß wir heute eine Fülle kleiner Länder haben. Sie wissen, daß Sie bei einer Reise auf den Autobahnen, ohne daß Sie es merken, durch drei oder vier Länder kommen. Wenn Sie künftig die Verwaltung von den einzelnen Ländern ausführen lassen wollten, wird leicht Streit um die Vordringlichkeit einer Maßnahme entstehen. Wenn die Länder hier nur an eine Anweisung gebunden sind, habe ich um die Erhaltung und die Fortführung unserer Autobahnen große Sorge. Deshalb glaube ich, man sollte es für die Autobahnen bei der bundeseigenen Verwaltung belassen. Die Reichsstraßen dagegen würde ich den Ländern zur Betreuung überweisen. Hier glaube ich, daß man ohne weiteres mit einer Weisungsbefugnis auskommt. Mängel, die an diesen Straßen entstehen, empfindet ein größerer Teil unserer Bevölkerung; denn ein Teil des Orts- und Nahverkehrs spielt sich ja auf diesen Straßen ab, und es würde sehr bald eine lebhafte Kritik einsetzen, wenn sich Mängel zeigen. Bei den Autobahnen, über die man hinwegbraust, ist dies nicht der Fall. Daher bin ich der Auffassung, man sollte eine bundeseigene Verwaltung für die Autobahnen einrichten. Kaufmann (CDU): Der Vorschlag des Herrn Dr. Strauß entspricht ungefähr dem, was gegenwärtig Rechtens ist, mit Ausnahme der Frage des Eigentums der Autobahnen, die noch nicht geklärt ist, weil die Länder die ganze Bearbeitung übernommen haben und gewisse Ansprüche daraus herleiten. Der Länderrat in Frankfurt hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß in den Etat der Bizone auch für Unterhalt der Autostraßen überhaupt keine Mittel eingesetzt werden dürften, weil das eine Angelegenheit der Länder sei, hat also offenbar den Eindruck erwecken wollen, daß die Tatsache der Verwaltung in der Zwischenzeit durch die Länder auch die Eigentumsfrage in etwa regeln solle. Wir werden den Ländern übrigens keinen Dienst erweisen, wenn wir ihnen die Autostraßen oder die Reichsstraßen als Eigentum überweisen; denn das wird keine billige Angelegenheit, sondern das Umgekehrte davon. Es wird große Schwierigkeiten geben. Wenn Sie sich andererseits

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vorstellen, daß wir für Zuschüsse, die wir zum Bau einiger zerstörter Autobahnbrücken geben wollten, den Widerspruch des Länderrats bekommen haben, dann sehen Sie, daß diese ganze Angelegenheit noch keineswegs geklärt ist. Mein Standpunkt ist, daß der Ausschuß die Verwaltung für Verkehr noch einmal hören sollte, um alles einwandfrei klären zu können. Auch die Stellungnahme des Länderrats in Frankfurt wird damit dargetan. Ich könnte zwar viele Einzelheiten aus meiner Arbeit im Verkehrsausschuß in Frankfurt mitteilen. Das erscheint mir aber angesichts der jetzigen Zeitnot unzweckmäßig. Deshalb halte ich meinen Standpunkt aufrecht, daß es Sache des Ausschusses sein sollte, die Angelegenheit noch einmal zu klären. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Die Autobahnen waren Eigentum des Reiches, sie sollen nach beiden Anträgen Eigentum des Bundes sein. Die beiden Anträge gehen insofern auseinander, als der Antrag 1 die bundeseigene Verwaltung, der Antrag 2 die Auftragsverwaltung vorsieht. Nach meinem Dafürhalten kann man mit der Auftragsverwaltung auskommen. Wir haben in Westfalen nach dem Waffenstillstand49) auch die Reichsautobahnen durch die Provinzialverwaltung Westfalen verwalten lassen50). Es haben sich keine Schwierigkeiten ergeben, zumal die Verwaltung aller Straßen in einer Hand liegt. Ich würde sagen: Reichsautobahnen bundeseigen, Auftragsverwaltung durch die Länder. Die Reichsstraßen waren Eigentum des Reiches, sie sollen nach beiden Anträgen in Zukunft Ländereigentum werden. Nun zur Verwaltung der Reichsstraßen. Wenn Sie die Reichsstraßen zum Eigentum der Länder machen, können Sie auf diesem Gebiete keine Auftragsverwaltung des Bundes einsetzen. Wenn die Reichsstraßen Eigentum der Länder werden, fallen sie in die Verwaltung der Länder. Insofern scheint mir der Antrag Dr. Hoch widerspruchsvoll zu sein. Renner (KPD): Ich halte die Einbeziehung auch der Reichsstraßen in das Eigentum des Bundes für richtig, wie auch die Reichsautobahnen Bundeseigentum werden sollen. Für die Länder sind die Reichsautobahnen kein reines Geschenk. Wir mußten damals als Land die Verwaltung der Reichsautobahnen übernehmen. Daran hängen noch heute so viel ungeklärte Dinge, daß man nicht wünschen kann, daß die armen Länder mit diesen Lasten belegt werden. Ich bin auch der Meinung, wenn man die Reichsstraßen zu dem machen will, was sie sein sollen, nämlich durchgehende Verkehrsstraßen durch das gesamte Gebiet des Bundes bzw. des Reiches, dann muß man auch die Länder von der Verpflichtung entbinden, den Unterhalt dieser Straßen aus landeseigenen Mitteln aufzubringen. Das ist der Grund, der es mir wünschenswert erscheinen läßt, auch die Reichstraßen beim Bund zu lassen. Dr. von Brentano (CDU): Ich glaube, wir brauchen nicht mehr allzulange zu diskutieren. Die beiden Varianten weichen nur in ganz geringfügigen Punkten voneinander ab. Ich stimme dem zu, was Herr Kollege Dr. Höpker Aschoff gesagt hat. Ich sehe in dieser Frage kein Problem von Bund und Ländern, ich sehe lediglich die Frage einer gesunden Dezentralisation. Ich bin der Meinung, daß eine Straßenverwaltung zweifellos besser dort geführt wird, wo die Straße läuft. Das Weisungs49) 50)

8. Mai 1945. Im stenograph. Wortprot., S. 69, folgt danach: „(Zuruf: müssen!)“

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recht für diese Reichsstraßen wird von keiner Seite bestritten. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Ich persönlich würde mich unbedenklich, nicht aus politischen, sondern aus Zweckmäßigkeitsgründen, für die Formulierung des Herrn Dr. Strauß einsetzen, die ich für die einzig richtige halte. Dr. Hoch (SPD): Ich habe zum Ausdruck gebracht, daß es für mich eine Zweckmäßigkeitsfrage aus der Sache heraus ist. Ich habe die Kostenfrage absichtlich nicht angeschnitten, weil es selbstverständlich ist, daß die Länder die Kosten für den Unterhalt der Fernverkehrsstraßen gar nicht werden tragen können; denn sie können nichts dazu, ob eine Fernverkehrsstraße, die durch ihr Land verläuft, zufällig lang oder kurz ist. Das wird im Wege der Zuschüsse und des Finanzausgleichs in irgendeiner Form geregelt werden müssen. Der Auffassung des Herrn Dr. Höpker Aschoff kann ich mich nicht anschließen, daß ein Widerspruch darin liege, den Ländern die Reichsstraßen zu Eigentum zu überweisen, sie aber bei der Verwaltung der Weisung des Bundes zu unterstellen. Es ist nicht nur die Frage des Eigentums am Straßenkörper, sondern es gibt da eine Reihe von Nutzungsmöglichkeiten, die ich ohne weiteres den Ländern überlassen würde und die nicht anders geregelt werden können. Das Weisungsrecht halte ich für erforderlich, weil diese Fernverkehrsstraßen, die dem Fernverkehr dienen, von besonderer Bedeutung sind und sich diese Bedeutung nicht in den Bezirken eines einzelnen Landes erschöpft. Ich glaube, daß man hier eine einheitliche Planung braucht und daß der Bund die Möglichkeit haben muß, Anweisungen zu geben, wie dieses Netz zu unterhalten ist. Ich glaube, daß da eine gewisse Einwirkungsmöglichkeit des Bundes gegeben sein muß. Ich sehe keinen Weg, wie sonst dieser Einfluß gesichert werden könnte. Nur deshalb bin ich zu der Lösung gekommen, das Weisungsrecht vorzusehen. Die Frage zurückzustellen, hat keinen Sinn. Wir werden auf diesem Gebiete von den Herren der Verwaltung nichts Neues hören können. Ich glaube, daß das eine grundsätzliche Frage ist, die wir entscheiden sollten. Dr. Laforet (CSU): In der Frage der Autobahnen sind sich die beiden Antragsteller bei der eingehenden Behandlung im Zuständigkeitsausschuß im Prinzip einig gewesen. Es ist von Dr. Hoch schon alles gesagt worden, und ich brauche nichts zu wiederholen. Hinsichtlich der übrigen Straßen gilt meiner Ansicht nach, [S. 203] was Herr Dr. von Brentano gesagt hat, was die beiden Antragsteller wollen und was die Fassung des Art. 118a im Antrag Dr. Strauß ausdrücken will, nämlich, die Länderverwaltungen mit ihren besonderen technischen Kenntnissen entscheiden zu lassen. Es ist in der Nazizeit vorgekommen, daß fremde Techniker auf fremden Grund und Boden gekommen sind und dann Straßenkörper völlig umgebaut werden mußten, weil die Techniker sich wesentlich geirrt haben. Es spricht mancherlei dafür, hier die Landeskräfte heranzuziehen. (Dr. Hoch [SPD]: Das ist auch schon Landestechnikern passiert!) – Der kann sich ebenso irren, aber die Gefahr wird, wenn jemand lange Zeit in der Straßenverwaltung des betreffenden Gebiets tätig war, geringer sein; denn er kennt die Bodenbeschaffenheit und das Gelände. Denken Sie vor allem an das Klima, denken Sie an die Fragen, die sich im Süden in den Hochgebirgsstraßen ergeben. Das spricht dafür, die Linie zu nehmen, wie sie die beiden Anträge beabsichtigen. Die Möglichkeit, auch Provinzverbände heranzuziehen und ihnen Aufgaben zu

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übertragen, wird auch beim Antrag Dr. Strauß nicht entschieden. Es wird nur die Frage für die Autobahnen geregelt. Hier ist die Bundesverwaltung nach Weisung gegeben, und das ist, wie Herr Kollege Dr. Höpker Aschoff gesagt hat, vollständig entsprechend und erfüllt die Notwendigkeit einheitlicher Leitung. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Mir liegt vor allem daran, daß die Verwaltung aller Straßen in einer Hand liegt; und zwar gründet sich meine Ansicht auf Erfahrungen in Westfalen. Dort verwaltet heute die Provinzialverwaltung die Reichsautobahnen, die Reichsstraßen, die Landstraßen erster Ordnung, die ihr selbst gehören, und für Rechnung der Kreise die Landstraßen zweiter Ordnung. Dieser Zustand sollte aufrechterhalten werden, denn er ist gut und praktisch. Da hier die überwiegende Meinung ist, daß die Reichsstraßen Eigentum der Länder werden sollen, fällt auf diesem Gebiete die Auftragsverwaltung weg. Aber es würde folgendes möglich bleiben: Reichsautobahnen Auftragsverwaltung und die übrige Straßenverwaltung landeseigene Verwaltung oder Provinzialverwaltung nach Maßgabe der Gesetzgebung. Wenn Herr Dr. Strauß konsequent wäre, müßte er sagen, auch die Reichsstraßen werden Eigentum des Bundes und werden als Auftragsverwaltung ebenso wie die Autobahnen nach Weisung des Bundes verwaltet. Das wäre eine Lösung, mit der ich mich abfinden könnte. Aber es ist unmöglich, den Ländern die Reichsstraßen zu Eigentum zu geben und eine Auftragsverwaltung einzurichten. Renner (KPD): Die Linienführung der Autobahnen war, besonders soweit sie unter Hitler gebaut worden sind, von militärischen Gesichtspunkten bedingt. Sie sind durch die Länder durchgezogen worden, ohne dem örtlichen Verkehr genügend Rechnung zu tragen. Die Autobahnen sind für die Länder ein Danaergeschenk51), nichts anderes. Das Charakteristische an den Reichsautobahnen ist der einheitliche Baustil, der einheitliche Unterbau. Diese einheitliche technische Durchführung bedingt eine einheitliche Verwaltung, um die Wiederherstellungsarbeiten nach gleichen Gesichtspunkten im gesamten Bundesgebiet durchführen zu können. Es ist auf jeden Fall falsch, die Verwaltung der Reichsautobahnen den Ländern als Auftragsangelegenheit zu übertragen. Es kommen aber auch bei den einfachen Reichsstraßen eine Reihe von Momenten hinzu, die zu berücksichtigen sind, wie etwa Polizeiverkehrsbestimmungen oder die Frage der einheitlichen Beschilderung dieser Straßen, die eine große Rolle spielt. Das kann man nur regeln und sicherstellen, wenn man den Bund verantwortlich macht. (Dr. Laforet [CSU]: Der Verkehr gehört zur Reichszuständigkeit.) – Das ist eine weitere Unterstützung für die Berechtigung meiner Auffassung. Ich bin der Meinung, daß man auch zur Entlastung der Länder die Reichsstraßen zum Eigentum des Bundes machen sollte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, daß wir die Materie genügend erörtert haben. Ich lasse zunächst über den Antrag Kaufmann, die Abstimmung auszusetzen, abstimmen. – Der Antrag auf Aussetzung der Abstimmung ist abgelehnt. Dann lasse ich über die einzelnen Varianten abstimmen. Am weitesten scheint mir die Variante Dr. Hoch zu gehen. – Die Variante Dr. Hoch ist mit 11 gegen 10 Stimmen abgelehnt.

51)

Geschenk, das sich erst später als unheilbringend erweist.

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Dann lasse ich über die Variante Dr. Strauß abstimmen. – Mit 12 gegen 7 Stimmen angenommen.

[2.12. FLÜCHTLINGSWESEN]

Es liegt mir ein Antrag Dr. Mücke vor, einen weiteren Artikel hinter Art. 118a einzufügen, einen Artikel, der sich mit dem Flüchtlingswesen befaßt und folgendermaßen lautet52): (1) Soweit die Länder Bundesgesetze auf dem Gebiete des Flüchtlingswesens ausführen, erfolgt die Ausführung, sofern nichts anderes bestimmt wird, nach Weisung des Bundes. (2) Für das Flüchtlingswesen ist ein besonderes Bundesflüchtlingsministerium zu errichten. Dr. von Brentano (CDU): Der Antrag behandelt eine völlig neue Materie. Ich schlage vor, den Antrag dem Ausschuß zu überweisen, damit er dort besprochen wird. Dann werden wir mit einer kurzen Diskussion fertig werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. Ich empfehle, den Antrag erst in zweiter Lesung zur Abstimmung zu bringen. – Ich stelle Ihr Einverständnis fest. Der Hauptausschuß vertagt sich auf 16 Uhr. Schluß der Sitzung 13.00 Uhr.

52)

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Zum Antrag des Abg. Mücke (SPD) vom 4. Nov. 1948 an den HptA auf Drucks. Nr. 255 vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 6, Anm. 18.

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Nr. 17 Siebzehnte Sitzung des Hauptausschusses 3. Dezember 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 205–214. PA 2004. Ungez. von Herrgesell gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 378 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU3): Fecht4), Finck5), Kaufmann, Laforet, Lehr, Lensing6), von Mangoldt, Strauß7) SPD: Greve, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wolff, Zimmermann FDP: Becker8), Heuss DP: Heile9) KPD: Renner10) Zentrum: Weber11) Abgeordnete ohne Stimmrecht: Bergsträsser (SPD), Heiland (SPD), Löwenthal (SPD), Nadig (SPD), Schrage (CDU/CSU), Selbert (SPD), Wunderlich (SPD) Stenographischer Dienst: Herrgesell Dauer: 16.19–18.40 Uhr

[1. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT I: DIE GRUNDRECHTE]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte sich an alle Ausschußmitglieder eine herzliche Bitte richten. Ich bin überzeugt, daß jeder von uns zu jedem Artikel des Grundrechtskatalogs bessere Formulierungen als die uns hier vorgelegten in seiner Tasche hat. Trotzdem wird es im Interesse der Geschäftsbehandlung richtig sein, wenn wir insgesamt auf den Ehrgeiz verzichten, die Grundrechtskataloge der Welt um einen neuen Artikel oder eine neue Formulierung zu bereichern. Wenn wir mit dem materiellen Inhalt des jeweiligen Artikels einverstanden und nicht dringend zu der Annahme gezwungen sind, daß eine Formulierung so unklar ist, daß sich vor dem Verfassungsgerichtshof Schwierigkeiten ergeben könnten, sollten wir möglichst ohne allzu lange Diskussionen die Artikel in der uns vorgelegten Fassung annehmen. Ich wiederhole, daß das nur eine Bitte ist, die sich an uns alle richtet. 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

10) 11)

Protokollführer Wernicke; geschrieben von Frau Wistorf; gelesen von Kelz und von Zitzewitz. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Zu den Teilnehmern der CDU/CSU-Fraktion vgl. Salzmann, S. 253. Dort auch weitere Angaben zur Vorbereitung der Sitzung des HptA seitens der Fraktion. Vertreter für Süsterhenn. Vertreter für Adenauer. Vertreter für Pfeiffer. Vertreter für von Brentano. Vertreter für Dehler. Vertreter für Seebohm. Vertreter für Reimann. Weber (CDU) war Vertreterin für Brockmann (Zentrum).

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Wir beginnen nunmehr mit der Beratung von Abschnitt I Die Grundrechte unter Verwendung der Fassung des Grundsatzausschusses (PR. 12.48 – 326)12). Ich rufe auf

[1.1. ART. 1: WÜRDE DES MENSCHEN]

Art. 1 (1) Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Mit der Menschenwürde und als eine der Grundlagen für ihre dauernde Achtung erkennt das deutsche Volk jene gleichen und unveräußerlichen Freiheits- und Menschenrechte an, die das Fundament für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bilden. (3) In den nachstehenden Artikeln, für unser Volk aus unserer Zeit geformt und niedergelegt, binden diese Grundrechte Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung auch in den Ländern als unmittelbar geltendes Recht. Das Wort wird nicht verlangt. Ich lasse abstimmen. – Art. 1 ist einstimmig angenommen. Renner (KPD): Ich darf hierzu eine Feststellung treffen. Die kommunistische Fraktion hat mit Schreiben vom 12. Oktober13) und 27. Oktober14) 1948 an den Vorsitzenden des Ausschusses für Grundsatzfragen ihre Auffassung zu dem Problem der Grundrechte antragmäßig niedergelegt. Ich habe in der Zwischenzeit erfahren, daß der Grundsatzausschuß sämtliche dieser Forderungen abgelehnt hat. Da ich es für überflüssig halte, die Forderungen, die wir zu diesen Fragen gestellt haben, hier noch einmal lang und breit vorzutragen, und da ich es für richtiger halte, dies auf die Abschlußdiskussion zu verschieben, werde ich heute zu den Anträgen nicht sprechen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie werden auch keine Anträge stellen? Renner (KPD): Ich möchte aber bitten, im Protokoll zu vermerken, daß ich die Grundrechte in der vorgelegten Fassung ablehne. Ich kann mir dann das Abstimmen bei jeder Gelegenheit ersparen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich werde also immer davon ausgehen können, daß Sie dagegen gestimmt haben. Renner (KPD): Gehen Sie immer davon aus! Sie sind sehr summarisch mit der Feststellung „einstimmig“. Gestern habe ich bei einem immerhin interessanten Punkt in einer Zentrumszeitung bemerkt, daß die Berichte nicht stimmen. Dort ist mir nämlich unterstellt worden, daß ich dem Art. 75 zugestimmt habe. 12)

Die Drucks. Nr. 326 enthielt die Art. 1–21 in der vom Ausschuß für Grundsatzfragen in zweiter Lesung angenommene Fassung vom 1. Dez. 1948; ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 784–788. 13) Die Eingabe der KPD-Fraktion vom 12. Oktober 1948 ist gedruckt in: Der Parl. Rat, Bd. 5/1, Dok. Nr. 12, S. 253–259. Die Eingabe ist am 2. Mai 1949 als Antrag für die Plenarsitzung als Drucks. Nr. 759 vervielfältigt worden; vgl. Der Parl. Rat, Bd. 9, Dok. Nr. 9, S. 459, Anm. 64. 14) Die Eingabe der KPD-Fraktion vom 27. Oktober 1948 ist gedruckt in: Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 30, S. 612, Anm. 18.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Darf ich fragen, ob Sie mich dafür verantwortlich machen wollen? Renner (KPD): Nein, dafür sind Sie wirklich nicht verantwortlich. Vors. Dr. Schmid (SPD): Werden Sie die Anträge, die uns auf den Tisch gelegt worden sind, stellen oder behalten Sie sich die Stellung der Anträge vor? Renner (KPD): Wir behalten es uns für die zweite Lesung, für die Plenarsitzung vor. Es genügt hier, summarisch festzustellen, daß sie abgelehnt worden sind und daß ich hier nicht damit rechnen kann, daß irgendeiner der Anträge angenommen werden wird. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf zu den Ausführungen des Kollegen Renner nur bemerken, daß wir die Anträge der kommunistischen Fraktion zu unseren Beratungen in zweiter Lesung herangezogen haben und daß sie dort ganz eingehend erwogen worden sind15). Renner (KPD): Ich stelle dazu fest, daß ich das Gegenteil nicht behauptet habe. Ich habe nur behauptet, daß sie abgelehnt worden sind. Und dem widersprechen Sie ja auch nicht.

[1.2. ART. 2: RECHT AUF LEBEN]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe auf

Art. 2 (1) Jeder hat das Recht auf Leben, auf Freiheit und auf Sicherheit der Person. (2) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (3) In diese Freiheit darf nur im Rahmen der Rechtsordnung eingegriffen werden. Keinesfalls darf das Mindestmaß der zum Leben notwendigen Nahrung, Kleidung und Wohnung verweigert werden. (4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Dr. von Mangoldt (CDU): Meine Fraktion behält sich vor, zu dem Recht auf das Leben noch zwei Anträge zu stellen, die sich gegen gewisse Maßnahmen wenden, [S. 206] die wir in der Vergangenheit erlebt haben, nämlich gegen den organisierten Mord und gegen Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit. Diese Zusatzartikel waren schon formuliert, waren aber noch nicht hieb- und stichfest. Die CDUFraktion behält sich vor, hierzu noch entsprechende Anträge in zweiter Lesung zu stellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 2 abstimmen. – Art. 2 ist mit der üblichen Klausel, gegen die Stimme des Kollegen Renner, angenommen.

15)

Ebd.

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Siebzehnte Sitzung des Hauptausschusses 3. Dezember 1948 [1.3. ART. 3: FREIHEITSRECHTE]

Art. 3 (1) Die Freiheit der Person ist unverletzlich. (2) Niemand darf willkürlich festgenommen, verhaftet oder festgehalten werden. (3) Festgehaltene Personen dürfen weder körperlich noch seelisch mißhandelt werden. Es liegen keine Wortmeldungen vor. – Art. 3 ist gegen die Stimme des Herrn Abgeordneten Renner angenommen.

[1.4. ART. 4: GLEICHSTELLUNG]

Art. 4 (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandelt. Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden. (2) Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. (3) Niemand darf seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt werden. Hierzu liegt ein Antrag der SPD-Fraktion vor, den Art. 4 Abs. 2 wie folgt abzuändern: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Frau Dr. Selbert (SPD): Nachdem dieser Antrag, der bereits dem Ausschuß für Grundsatzfragen vorgelegen hat, dort abgelehnt worden ist, ist es nötig, ihn hier noch einmal zu stellen. Ich kann bei dieser Gelegenheit erklären: in meinen kühnsten Träumen habe ich nicht erwartet, daß der Antrag im Grundsatzausschuß abgelehnt werden würde. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß man heute weiter gehen muß als in Weimar und daß man den Frauen die Gleichberechtigung auf allen Gebieten geben muß. Die Frau soll nicht nur in staatsbürgerlichen Dingen gleichstehen, sondern muß auf allen Rechtsgebieten dem Manne gleichgestellt werden. Die Frau, die während der Kriegsjahre auf den Trümmern gestanden und den Mann an der Arbeitsstelle ersetzt hat, hat heute einen moralischen Anspruch darauf, so wie der Mann bewertet zu werden. Ich bin der Meinung, daß die jetzt in Art. 4 gewählte Fassung: „Niemand darf seines Geschlechtes .. . wegen benachteiligt oder bevorzugt werden“ nicht diesen Fall der Gleichberechtigung erfaßt. Ich könnte mir Doktoranden vorstellen, die uns nachweisen, daß im bürgerlichen Recht die Frau keineswegs benachteiligt oder der Mann bevorzugt ist. Ich halte es aber für dringend erforderlich, hier einzuhaken, um später im bürgerlichen Recht, insbesondere im Familienrecht – ich denke zunächst nur an dieses Rechtsgebiet –, die Gleichberechtigung zu verwirklichen. Nun wird man mir entgegenhalten: Durch diesen Artikel macht ihr mit einem Schlag das bürgerliche Recht insoweit verfassungswidrig, und das ist nicht angän-

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gig. Sie müssen jedoch den Art. 4 im Zusammenhang mit der Übergangsbestimmung sehen, die wir inzwischen geschaffen haben. Art. 148d sieht vor, daß bis zur Reform des bürgerlichen Rechts, die spätestens bis zum 31. März 1953 zu erfolgen hat, die bisherigen Bestimmungen des Familienrechts in Kraft bleiben. Das bedeutet, daß diese Zeit überbrückt wird, daß aber eines Tages, und zwar vor Ablauf des 31. März 1953, das bürgerliche Recht diesem Grundsatz angepaßt werden muß. Ich will mich heute auf diese wenigen Ausführungen beschränken. Sollte der Artikel in dieser Fassung heute wieder abgelehnt werden, so darf ich Ihnen sagen, daß in der gesamten Öffentlichkeit die maßgeblichen Frauen wahrscheinlich dazu Stellung nehmen werden, und zwar derart, daß unter Umständen die Annahme der Verfassung gefährdet ist. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf zu den Ausführungen meiner Frau Vorrednerin bemerken, daß wir uns im Ausschuß für Grundsatzfragen sehr eingehend mit diesem Antrag beschäftigt haben16). Wir waren durchaus der Auffassung, daß die Frauen den Männern gleichgestellt werden sollten. Wir waren nur der Auffassung, wenn wir den Antrag in der hier vorgeschlagenen Formulierung vorsehen würden, könnten sich daraus rechtliche Konsequenzen ergeben, die sich nicht übersehen lassen, einmal hinsichtlich der verschiedenen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts. Die Übergangsvorschrift, die uns bei unseren Verhandlungen unbekannt war, bezieht sich nur auf das Familienrecht17). Es ist durchaus möglich und sehr wahrscheinlich, daß sich Vorschriften in dieser Richtung auch im Eherecht, vor allen Dingen im Ehegüterrecht, befinden. (Frau Dr. Selbert [SPD]: Die meinen wir gerade. Das ist ja Familienrecht.) Wir waren uns darüber klar, daß hier gewisse Schwierigkeiten eintreten könnten und daß es bei einer so weitgehenden Fassung unmöglich ist, zu übersehen, was sich daraus ergeben wird. Auf Grund einer solchen Übergangsvorschrift würden diese Vorschriften sofort ungültig werden. Das bisher geltende Recht würde in sich zusammenfallen, und nichts würde an seine Stelle treten. Wir konnten um so eher diesen Standpunkt vertreten, als in Abs. 3 auf einen Wunsch aus dem Ausschuß ausdrücklich die Worte „seines Geschlechtes“ eingefügt worden sind. Wenn es in Abs. 3 heißt: „Niemand darf seines Geschlechtes .. . wegen benachteiligt oder bevorzugt werden“, so ist damit eine Sicherungsvorschrift für die Frauen ausdrücklich vorgesehen worden. Renner (KPD): Diese Formulierung ist eine der typisch inhaltlosen und unverbindlichen Formulierungen, die die ganzen Grundrechte hier kennzeichnen. Mit einer solchen Einwendung, daß durch eine derartige generelle Regelung des Rechtsverhältnisses der Frau das bisherige Gesetz zusammenbrechen könnte, ist wirklich nichts zu machen. Wenn durch die Schaffung der Gleichberechtigung der Frau gegenüber dem Mann in dem bisherigen Gesetz Lücken aufgerissen werden, müssen eben die bestehenden Gesetze modernisiert und den heutigen Forderungen der 16)

Vgl. dazu Zusammenfassend mit Belegen: Wolfram Werner: Einleitung, in: Der Parl. Rat. Bd. 5/1, S. XXXVII–XL. 17) Art. 148d wurde vom Allgemeinen Redaktionsausschuß vorgeschlagen. Vgl. die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu den Formulierungen der Fachausschüsse vom 10. Nov.–5. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 90. Vgl. auch unten Dok. Nr. 20, TOP 2.19, S. 591–593.

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Frau auf Gleichberechtigung angeglichen werden. Das ist doch die einzige Konsequenz, die man meines Erachtens ziehen muß. Ich gehe aber einen Schritt weiter. Das entscheidende Recht, das man der Frau geben muß, ist das Recht der im Berufsleben stehenden Frau auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Ich bitte die sozialdemokratische Fraktion, ihren Antrag in dieser Richtung zu ergänzen. Mit der Regelung dieser materiellen Frage ist ein entscheidender Schritt für die Schaffung der Gleichberechtigung der Frau gegenüber dem Mann getan. Dr. Laforet (CSU): Ich kann durchaus nicht damit einverstanden sein, daß der Satz: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ inhaltlos ist. Er ist ein unmittelbar wirkender Rechtssatz. Die verehrte Frau Kollegin hat uns das sehr sachlich vorgetragen. Würde das ohne Übergangsbestimmung in das Grundgesetz kommen, so wären meiner Ansicht nach alle Bestimmungen unseres BGB18), die diesem Gleichheitssatz widersprechen, nichtig. Die Frau Kollegin geht einen anderen Weg, der meiner Ansicht nach richtig ist. Entsprechend dieser Grundlinie müssen die bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen abgeändert werden. Da heißt es in Art. 148d: „Die dem Artikel entgegenstehenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Stellung der Frau bleiben bis zur Anpassung an diese Bestimmung des Grundgesetzes in Kraft, jedoch nicht länger als bis zum 31. März 1953.“ Ich sehe darin die Verpflichtung des Gesetzgebers, die Bestimmungen des [S. 207] Bürgerlichen Gesetzbuches mit dem allgemeinen Gleichheitssatz bis zu diesem Zeitpunkt in Übereinstimmung zu bringen. Frau Dr. Weber (CDU): Ich wiederhole, was ich schon im Grundsatzausschuß gesagt habe. Auch wir sind für die Gleichberechtigung der Frau. Ich hatte einen Antrag eingebracht, bei gleicher Leistung gleichen Lohn zu gewähren19). Es ist uns aber immer wieder erklärt worden, daß dieses Recht in der Formulierung dieser Absätze des Art. 4 schon enthalten sei. Wenn es heiße: Alle Menschen sind gleichberechtigt, seien wir Frauen selbstverständlich gemeint; es sei nur eine gewisse Vorsicht, wenn wir noch einmal besonders genannt würden. Eigentlich brauchten wir gar nicht mehr genannt zu werden. Dann waren wir auch der Meinung – ich kannte die Übergangsbestimmungen bis heute nicht –, daß eine Lücke im BGB entstehen würde, wenn man den Antrag der SPD aufnimmt. Aber die grundsätzliche Einstellung, daß wir Frauen gleichberechtigt sind und daß die Grundrechte dies zum Ausdruck bringen sollen, hat die CDU schon im Grundsatzausschuß vertreten. Ich behalte mir eine weitere Antragstellung für die zweite Lesung vor, wenn mir dieser Übergangsartikel, von dem ich heute nachmittag zum ersten Mal höre, näher bekannt ist. Dr. Becker (FDP): Es ist selbstverständlich, daß auch wir grundsätzlich Ihren Antrag begrüßen. Wir dürfen aber darauf verweisen, daß die Durchführung gerade nach der bürgerlich-rechtlichen Seite nicht so leicht sein wird, wie man sie sich denkt. Ich persönlich würde zum Beispiel der Meinung sein, daß die Einführung der Errungenschaftsgemeinschaft als gesetzlichen Güterstandes zugunsten der 18) 19)

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Bürgerliches Gesetzbuch. Für den Antrag von Weber vgl. die 26. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 30. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 33, S. 752.

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Frau der Tendenz dieses Antrages wohl am ehesten entsprechen würde. Es gibt aber Bestimmungen im Bürgerlichen Gesetzbuch, die nur entweder für den Mann oder für die Frau, aber nicht für beide gleich anwendbar sind. Welchen Namen führt zum Beispiel die Frau nach der Eheschließung, den des Mannes oder weiterhin ihren Familiennamen? Oder sollen, wenn Mann und Frau gleichberechtigt sind, Mann und Frau beide Namen führen? Welchen Familiennamen führen die Kinder, den Namen des Mannes oder den Namen der Frau oder beide? Wer hat während des Bestehens der Ehe die gesetzliche Gewalt über die minderjährigen Kinder, der Mann oder die Frau oder beide? Welche Meinung geht vor, wenn sie miteinander nicht übereinstimmen? Wird in jedem Falle erst das Vormundschaftsgericht gefragt oder was sonst? Sie sehen, es sind in der praktischen Durchführung erhebliche Schwierigkeiten. Und es besteht die Befürchtung, daß auch bis zum Jahre 1953 die Frage, wie die Gleichberechtigung beider mit der Tatsache zu vereinbaren ist, daß, wenn zwei eine Gemeinschaft führen, schließlich einer hinsichtlich des Namens – oder was es sonst sein mag irgendwie vorangehen muß, wohl nicht zu lösen sein wird. Welche Folge haben wir dann? Wir haben dann die Folge, daß dieser Satz als Verfassungsrecht gilt und daß die entsprechenden Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht mehr gelten. Was dann? Frau Dr. Selbert (SPD): Die Bedenken, die Herr Dr. Becker hat, kann man haben. Sie sind aber nicht gerechtfertigt. In allen Punkten, in denen die Gleichberechtigung nicht besteht, muß das Familienrecht, müssen überhaupt alle gesetzlichen Bestimmungen, die dem Grundsatz entgegenstehen, geändert werden. Es bedarf keiner Frage, daß dieser Schritt getan werden muß. Ich stelle ihn mir durchaus nicht leicht vor. Wir haben die Frist sehr weit gesetzt, weil ich weiß, daß es ein sehr umfangreiches Rechtsgebiet ist. Alle „Aber“ sollten hier ausgeschaltet sein, da mit den Stimmen der Frauen als Wählerinnen als denjenigen Faktoren gerechnet werden muß, die für die Annahme der Verfassung ausschlaggebend sind, nachdem wir in Deutschland einen Frauenüberschuß von 7 Millionen haben und wir auf 100 männliche Wähler 170 weibliche Wähler rechnen. Man wird kein Verständnis für unsere „Aber“ haben, die wir hier bei dieser Gelegenheit in die Waagschale werfen. Ich darf Herrn Dr. von Mangoldt kurz folgendes erwidern. Der dritte Absatz, der ja ein Negativum enthält, wird dem Grundsatz, den wir hier klar herausstellen, nicht gerecht. Ich sagte vorhin schon, daß es nicht schwer fällt, nachzuweisen, daß die Frau keineswegs irgendwo im Gesetz benachteiligt ist. Weshalb nach altem preußischen Grundsatz verfahren: Warum einfach, wenn es schwierig geht? Der klare Satz: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ ist so eindeutig, daß wir ihn nicht negativ zu umschreiben brauchen. Im übrigen noch ein kurzes Wort zu dem, was Herr Renner gesagt hat. Sein Gedanke, daß die Frauen bei gleicher Arbeit Anspruch auf gleichen Lohn haben sollen, wird von uns selbstverständlich gleichfalls vertreten. Aber man braucht das nicht noch einmal ausdrücklich zu sagen, da diese Forderung von der von uns vorgeschlagenen Formulierung mit umfaßt wird. Ein letztes Wort an Frau Dr. Weber. Der Satz: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ bedeutet nicht das, was wir wollen. Der Satz: Vor dem Gesetz gleich, be-

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zieht sich nur auf die Rechtsanwendung, nicht aber auf die Rechtsetzung. Deshalb bedarf es noch einer ausdrücklichen Bestimmung in der Art, wie wir sie hier vorgeschlagen haben. Renner (KPD): Die Stellung, die das BGB der Ehefrau gibt, ist meines Erachtens schlechthin der Ausdruck der Stellung überhaupt, die die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft der Frau einräumt. Alles, was bisher gesagt worden ist, kann mich nicht von der Notwendigkeit abbringen, daß man über die rein deklaratorische Erklärung hinaus, die hier vorgesehen ist, irgend etwas bezüglich der Frau in die Grundrechte hineinarbeiten muß. Der Anteil der Frauen an der werktätigen Bevölkerung ist heute so groß, daß das Gros der Frauen auf Arbeit und auf den Ertrag der Arbeit angewiesen ist. Darum muß in die Grundrechte die Formel hineingearbeitet werden, daß Frauen – selbstverständlich auch Jugendliche beider Geschlechter – einen Anspruch auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeit haben; nicht etwa: „bei gleicher Leistung“. Es ist nachher eine sehr strittige Angelegenheit zwischen Unternehmer und Arbeiter, abzuschätzen, was die „Leistung“ ist. Wir sollten es nicht allein auf die in der Verfassung vorgesehene Änderung des BGB abstellen, die spätestens bis zum Jahre 1953 eintreten soll. Wenn wir eine so lange Zeitspanne lassen, befürchte ich, daß überhaupt keine Änderung eintreten wird. Eine ähnliche Formulierung hatten wir bereits in den Grundrechten der Weimarer Verfassung, und die 14 Jahre des Weimarer Systems haben nicht ausgereicht, an der tatsächlichen Stellung der Frau etwas zu ändern. (Frau Dr. Selbert [SPD]: Wir hatten nur die staatsbürgerliche Gleichheit, nicht die Gleichberechtigung.) – Ja, mehr stand leider in der Weimarer Verfassung nicht drin. Darüber sind wir in der ganzen Weimarer Periode nicht hinausgekommen. Alle übrigen Fragen, auch die von sozialdemokratischer Seite aufgegriffene Frage der rechtlichen Stellung der Frau im BGB, sind in den 14 Jahren von Weimar nicht in einem einzigen Punkt geändert worden. Ich fürchte, wie gesagt, daß wir auch in dem neuen Staat, den Sie schaffen, zu keiner Änderung kommen werden, wenn wir nicht von vornherein klar und deutlich diesen verpflichtenden Passus in die Grundrechte hineinarbeiten. Kaufmann (CDU): Aus dieser Debatte entsteht beinahe der Eindruck, als ob hier eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit über dieses Problem besteht. Das ist ein grundlegender Irrtum. Es handelt sich lediglich um die Frage, ob die Formulierung, die jetzt in den Grundrechten steht, ausreicht, um das gemeinsame Ziel zu erreichen, oder ob man eine bessere Formulierung finden kann. [S. 208] Ich bin nicht der Meinung, daß die Gleichberechtigung der Frau, die Nichtbeeinträchtigung der Frau gegenüber dem Mann in dem Antrag der SPD eine ausreichende Formulierung gefunden hat. Es wird von den Bestimmungen des BGB ausgegangen. Es gibt eine ganze Anzahl von anderen, teils rechtlichen, teils anderen Lebensbeziehungen, die grundsätzlich geändert werden müssen, wenn die Gleichstellung der Frau im Recht und in den sonstigen Beziehungen innerhalb des Volkes hergestellt werden soll. Deshalb reicht mir weder die Übergangsbestimmung aus, noch scheint mir die Fassung des SPD-Antrages in dieser lapidaren Form richtig zu sein. Es gibt umgekehrt eine ganze Anzahl von Bestimmungen, die unmöglich auf den Mann angewendet werden können, die vielmehr Sonderschutzbestimmungen im

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Interesse der Frau, auf Grund ihrer Besonderheiten und ihrer besonderen Aufgaben, sind. Ich darf vielleicht darauf hinweisen, daß es eine ganze Anzahl von Leuten, auch auf Ihrer (nach links)20) Seite, gibt, die das sehr deutlich zum Ausdruck bringen. Vor mir liegt zum Beispiel gerade eine Erörterung über die Frage der Frauenarbeit, unter besonderer Berücksichtigung der Arbeit in der Sowjet-Union. Es heißt dort: „Man erlebt es immer mehr und in mannigfachen Situationen, daß die Frau dort“ – also in der Sowjet-Union „dem Mann gleichgestellt wird, und man hat in der rechtlichen sowie in der tatsächlichen Stellung im öffentlichen Leben der Frau keine Rücksicht auf die andere biologische Grundlage und auf die seelische Haltung der Frau genommen. Die Tatsache der absoluten Gleichsetzung zum Mann schafft sehr unschöne Erscheinungen vor allem im Produktionsprozeß.“ Das steht in der letzten Nummer des „Neuen Vorwärts“21). (Renner [KPD]: Ja, wenn das Ihre Quelle ist!) – Daß die Quelle Ihnen nicht paßt, nehme ich Ihnen nicht übel, Herr Renner. Aber ich verfolge sie immerhin aufmerksam, obwohl mir einiges daran auch nicht gefällt. Ich will damit nichts Polemisches sagen, sondern nur darauf hinweisen, daß wir mit dem einfachen Wort „Gleichberechtigung“ nicht das erfassen können, was wir in Wirklichkeit wollen. Es ist die Frage zu beantworten, ob das, was wir in Wirklichkeit unbedingt gemeinsam wollen, nicht in der vorliegenden Ausschußfassung drinsteht. Ich bin der Überzeugung, daß das der Fall ist. Denn wenn niemand auf Grund seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden darf, so bedeutet das, daß aus dieser Verfassungsbestimmung die Aufgabe erwächst, diejenigen Lebensbeziehungen und diejenigen Gesetzesbestimmungen, die diesem Grundsatz widersprechen, umzubilden. Ich beantrage daher, die Fassung, die in Art. 4 des Entwurfs des Grundsatzausschusses vorliegt, zu belassen, da sie unter allen Umständen das ausdrückt, was wir gemeinsam wünschen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist klar, daß die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, zum Beispiel die Bestimmungen, die die Frau in ihren Rechtshandlungen an gewisse Genehmigungen binden, nicht getroffen worden sind, um die Frau zu benachteiligen. Diese Bestimmungen sind getroffen worden, um die Frau zu schützen. (Renner [KPD]: Die Version ist neu! Für einen Sozialisten ist die Version absolut neu.) – Es ist so, Herr Renner. Wenn Sie das nicht verstehen oder nicht verstehen wollen, müssen Sie das mit sich ausmachen. (Renner [KPD]: Nein, ich verstehe die Sozialdemokratie nicht.) Es handelt sich hier also nicht darum, den Abs. 3 in der vorgeschlagenen Fassung etwa so auszulegen und zu verstehen, als ob es damit schon unmöglich wäre, die differentielle Behandlung von Mann und Frau im BGB als aufgehoben gelten zu lassen. Denn einer eventuellen Forderung aus dem Abs. 3 könnte entgegengehalten 20) 21)

Statt „(nach links)“ im stenograph. Wortprot., S. 13: „(zu den Abgeordneten der SPD)“. Seit dem 11. Sept. 1948 erschien die erstmals 1876 als Zentralorgan der deutschen Sozialdemokratie gegründete Zeitung „Vorwärts“ unter dem Titel „Neuer Vorwärts“.

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werden: Die Bestimmungen, etwa über das eingebrachte Gut, sind nicht dazu da, die Frau zu benachteiligen, sondern der Frau zu helfen; also trifft der Fall des Abs. 3 nicht zu. Ich möchte doch vorschlagen, daß wir uns auf den Antrag von Frau Dr. Selbert einigen. Es geht doch darum, daß die Frau in diesem Jahrhundert den Anspruch erhebt und erheben kann, als ein Wesen gleicher Mündigkeit wie der Mann angesehen zu werden. Die Frau kann den Anspruch erheben und erhebt den Anspruch, daß ihr zugetraut wird, mit der gleichen Verantwortlichkeit und mit der gleichen Fähigkeit für ihre Interessen zu sorgen und durch das Leben zu schreiten. Es handelt sich also genau gesehen darum, daß die Frau erwartet, daß diese fürsorgliche Vormundschaft über sie aufgehoben wird. Es geht den Frauen letzten Endes – und das ist ein großes Wort – um die Ehre und nicht um „Besserstellung“. Das scheint mir der wesentliche Sinn des Antrags von Frau Dr. Selbert zu sein. Es scheint mir selbstverständlich, daß die Formulierung: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ nicht etwa dazu führen könnte, Schutzbestimmungen des Arbeitsrechts oder des Sozialrechts zu tangieren, die zugunsten der Frau geschaffen worden sind, etwa für die stillende Mutter und für ähnliche Fälle. Es heißt in Abs. 1, daß Verschiedenes nach seiner Eigenart behandelt werden kann. Ich glaube also, daß die Befürchtungen, die gegen eine eventuelle Fassung im Sinne des Antrags Frau Dr. Selbert erhoben worden sind, nicht zutreffen, Herr Kaufmann. Ich glaube wirklich, daß man nichts zu fürchten braucht, daß man getrost, ohne etwa an Rechtsnachteile oder faktische Nachteile denken zu brauchen, diesem Artikel zustimmen kann. Kaufmann (CDU): Ich vermisse nur den Beweis, daß das nicht bereits in der Formulierung des Artikels drinsteht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, nicht. Sehr wohlmeinende Menschen könnten hier antworten: Was willst du denn, die Bestimmungen im Familienrecht sind nicht zur Benachteiligung der Frau geschaffen, sondern stellen eine Begünstigung der Frau dar, so wie es eine Begünstigung des Minderjährigen ist, daß das Gesetz verbietet, ihn an einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung festzuhalten, solange der Vater oder der Vormund nicht zugestimmt hat; daß es so ist, ist nicht eine Benachteiligung des Minderjährigen, sondern eine Privilegierung22). Kaufmann (CDU): Es ist aber keine Gleichberechtigung im Sinne des Gesetzes. Frau Dr. Weber (CDU): Die Grundrechte sind keine Deklamationen. In einem der Artikel ist vielmehr zum Ausdruck gebracht, daß sie Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung binden23). Die Artikel, wie sie bis jetzt formuliert sind, führen genau zu dem, was Sie wollen, nämlich zu einer besseren Rechtsstellung der Frau. Wir halten es also nicht für notwendig, daß ein solcher Satz noch hereinkommt. Ich behalte mir eine weitere Stellungnahme bei der zweiten Lesung vor. Bis jetzt habe ich mich nicht davon überzeugen können. Wir haben darüber eingehend im Grundsatzausschuß gesprochen. Dr. von Mangoldt (CDU): Wenn hier der Antrag gestellt worden ist, in Abs. 2 zu sagen: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, so bedeutet das: Männer und 22) 23)

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Vorlage: „Privilegisierung“. Vgl. dazu Art. 1 im Entwurf zum Grundgesetz in der vom Allgemeinen Redaktionsausschuß redigierten Fassung vom 13.–18. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 4, S. 135.

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Frauen haben gleiche Rechte. Wenn es nun, wie Sie selber, Herr Kollege Dr. Schmid, ausgeführt haben, gewisse Schutzbestimmungen für die Frauen gibt, so ist es eben nicht Wirklichkeit, daß Männer und Frauen gleiche Rechte haben. Es gibt gewisse Gebiete, auf denen die Männer auf Grund ihrer Verschiedenheit weniger Rechte als die Frauen haben. Deshalb ist dieser Satz, wenn wir ihn hier aufnehmen, nicht richtig. Renner (KPD): Niemand kann doch wohl unterstellen, daß dem das Wort geredet wird, die wenigen Sonderrechte sozialer Natur sonst kenne ich kein Sonderrecht –, die der Frau auf Grund ihrer körperlichen Konstitution eingeräumt sind, anzutasten. So steht die [S. 209] Frage gar nicht. Es ist die Frage, ob und inwieweit wir einen Ausbau der Rechte haben wollen. Ihnen, Herr Vorsitzender, möchte ich sagen, es ist für einen Sozialisten eine vollkommen neue Version, daß die Bestimmungen des BGB reine Schutzbestimmungen zugunsten der Frauen sind. Ich empfehle Ihnen, wenn Sie eine freie Stunde haben, darüber einmal im alten August Bebel24) nachzulesen, wie er es beurteilt, welche Rolle der kapitalistische Staat der Frau und vor allen Dingen der arbeitenden Frau konzediert hat25). Dann kommen solche Formulierungen bestimmt nicht mehr aus Ihrem Mund, oder Sie wechseln die Stellung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nein, Herr Renner, in aller Freundschaft gesagt: in diesem Buch stehen vortreffliche Dinge und einige falsche. (Renner [KPD]: Das genügt mir: „einige falsche“.) Ich lasse über die einzelnen Absätze des Art. 4 abstimmen, zuerst über Abs. 1. – Abs. 1 ist angenommen. Zu Abs. 2 lasse ich zunächst über den weitergehenden Antrag Frau Dr. Selbert abstimmen. Er lautet: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ – Der Antrag ist mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Dann lasse ich über die engere Fassung des Ausschusses für Grundsatzfragen abstimmen. „Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“26) – Abs. 2 ist in dieser Fassung angenommen. Ich lasse über Abs. 3 abstimmen. – Abs. 3 ist in der Ausschußfassung angenommen.

[1.5. ART. 5: RELIGIONSFREIHEIT]

Wir kommen zu

Art. 5 (1) Die Freiheit des Glaubens und des Gewissens wie die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Das Recht der Vereinigung zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wird anerkannt.

24)

Zu August Bebel vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 30, Anm. 64. August Bebel: Die Frau und der Sozialismus. 1. Auflage Bonn 1879, 62. Auflage, OstBerlin 1973. 26) Im stenograph. Wortprot., S. 18, folgt: „16 Stimmen. Gegenprobe!“ 25)

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(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. (3) Niemand darf gehindert oder gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder an religiösen Übungen teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu benutzen. (4) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft darf gefragt werden, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder wenn eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung es erfordert. Dazu liegt ein Zusatzantrag der SPD-Fraktion vor, als Abs. 5 einzufügen: Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere bestimmt das Gesetz. Renner (KPD): Es heißt hier in Abs. 4: „Nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft darf gefragt werden, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen .. .“ In Abs. 3 des vorhergehenden Artikels heißt es: „Niemand darf seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Ich bitte um Aufklärung darüber, welche Rechte – die Pflichten sind mir klar – aus der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft auf Grund der Verfassung resultieren. Dr. von Mangoldt (CDU): Es kann zum Beispiel der Fall auftreten, daß ein bestimmter Unterricht nur von einem Lehrer einer bestimmten Konfession erteilt werden kann. Dann muß es möglich sein, zu fragen, ob der Lehrer, der den Unterricht erteilt, diese Konfession hat. Dr. Laforet (CSU): Ein ganz einfaches Beispiel: in irgendeiner Stiftungsurkunde ist durch den Stifter die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bekenntnis festgelegt. Daraus erwächst nach herrschender Anschauung ein Rechtsanspruch auf den Genuß der Stiftung. Das ist ein echtes Recht. Renner (KPD): Höllisch interessant ist es, daß hier die Forderung aufgestellt worden ist, der Lehrer, der Religionsunterricht erteilt, muß der betreffenden Religionsgemeinschaft angehören. Ich würde das verstehen, wenn man die Forderung stellen würde, daß der Religionsunterricht außerhalb des obligatorischen Schulunterrichts gegeben werden soll. Wir haben aber praktisch erlebt, daß jetzt schon, noch in den letzten Monaten, in den Gemeinden, etwa in unserem Lande, zwischen den Vertretern der katholischen Kirche und der Schulaufsichtsbehörde Streit entstanden ist, ob etwa ein konfessionsloser Rektor in einem katholischen System Rektor über das gesamte System bleiben darf, auch wenn er keinen Religionsunterricht erteilt. Deshalb ist es wirklich erstaunlich, daß man diese Forderung in dieser klaren und eindeutigen Form hier zum Ausdruck bringt, womit man doch den Anspruch auf Erteilung des Religionsunterrichts im obligatorischen Lehrplan der Volksschulen anmeldet. Daß man übrigens von dem obligatorischen Religionsunterricht an den höheren Schulen auch diesmal, wie in der Vergangenheit, nicht redet, ist nur bezeichnend dafür, welchen Wert die Vertreter der Kirche, in diesem Falle durch die Herren von der CDU/CSU repräsentiert, dem Religionsunterricht überhaupt beimessen. Religionsunterricht ist eben nur eine Sache für die Jungen und Mädel des Volkes, die die Volksschule besuchen. In der höheren Sphäre braucht man ihn nicht mehr.

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Dr. Strauß (CDU): Gehört dieser Abs. 5, für den man sich vielleicht entscheiden könnte, in den Zusammenhang des Art. 5 hinein, der die Religionsausübung, die Freiheit des Glaubens und alle Dinge, die mit religiösen Fragen zusammenhängen, regelt? Wenn er an einer anderen Stelle stünde, könnten sich vielleicht mehr Mitglieder des Hauses für seine Annahme entscheiden. Dr. Bergsträsser (SPD): Wir haben diesen Zusatzantrag hier untergebracht, weil hier von der Freiheit des Glaubens und des Gewissens die Rede ist. Der Zusatzantrag hat gerade zum Inhalt, daß Menschen – wir haben dabei an Mennoniten, die Zeugen Jehovas und an Mitglieder anderer Sekten gedacht – auf Grund ihrer religiösen Überzeugung und ihres Gewissens keinen Kriegsdienst mit der Waffe machen wollen. Deshalb scheint mir die Bestimmung hierhin zu gehören. Renner (KPD): Ich finde den Einspruch von seiten der CDU wirklich beachtlich. Ich frage: Ist denn die Verweigerung des Kriegsdienstes, also des Mordes von Mitmenschen anderer Nationalitäten, nicht auch ein göttliches Gebot, für das die Kirche eintreten müßte? Es ist sehr aufschlußreich, daß Sie sich dagegen verwahren, das in einem Atemzug mit der Frage der Freiheit der religiösen Betätigung zu nennen. Den Antrag der SPD begrüße ich. Ich mache nur auf einen sehr beachtlichen Widerspruch aufmerksam. An einer anderen Stelle der Verfassung, die sich mit der Frage der Herstellung von Kriegsmaterial beschäftigt, haben auch die sozialdemokratischen Vertreter konzediert, daß Kriegsmaterial hergestellt werden darf, wenn es von der Regierung bestellt wird. Ich habe damals gesagt: wenn man der Regierung das Recht des Bestellens von Kriegsmaterial einräumt, bejaht man auch die Existenz der Kriegsrüstungsindustrie bei uns im Lande. Es sollte mich freuen, wenn die SPD auf Grund ihres Antrags zu Art. 5 Abs. 5 ihre Haltung zu dem Artikel betreffend die Herstellung von Kriegsmaterial ändern würde. Sonst ist ihr Antrag nämlich unlogisch. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen, und zwar absatzweise. – Abs. 1 ist gegen die Stimme des Abgeordneten Renner angenommen. Abs. 2! – Abs. 2 ist gegen die Stimme des Abgeordneten Renner angenommen. [S. 210] Abs. 3! – Abs. 3 ist gegen die Stimme des Abgeordneten Renner angenommen. Dr. Greve (SPD): Ich bitte, über Abs. 4 satzweise abzustimmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Satz 1 von Abs. 4 lautet: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.“ – Einstimmig angenommen. Abs. 4 Satz 2 lautet: „Nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft darf gefragt werden, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder wenn eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung es erfordert.“ – Satz 2 ist gegen 4 Stimmen angenommen. Ich lasse dann abstimmen über den Antrag der SPD-Fraktion, folgenden Abs. 5 anzufügen: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere bestimmt das Gesetz.“ – Abs. 5 ist mit 11 gegen 3 Stimmen, sonst mit Stimmenthaltung, angenommen.

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Siebzehnte Sitzung des Hauptausschusses 3. Dezember 1948 [1.6. ART. 6: MEINUNGS- UND PRESSEFREIHEIT]

Art. 6 (1) Die Freiheit der Meinungsäußerung und der Meinungsverbreitung in Wort, Schrift und Bild ist unverletzlich. (2) Die Unterrichtung und die Meinungsbildung aus allgemein zugänglichen Quellen, insbesondere der Rundfunkempfang und der Bezug von Druckerzeugnissen, dürfen nicht beschränkt werden. (3) Die Pressefreiheit wie die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film wird gewährleistet. Presse, Rundfunk und Film haben die Pflicht, wahrheitsgetreu zu berichten. Eine Zensur von Presse und Rundfunk findet nicht statt. Wegen Mißbrauchs dieser Rechte darf nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften über Presse, Rundfunk und Film eingeschritten werden. Die Entscheidung erfolgt im ordentlichen gerichtlichen Verfahren. (4) Diese Rechte finden ihre Grenze an den allgemeinen Vorschriften der Strafgesetze, an den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend, insbesondere im Filmwesen, und an dem Recht der persönlichen Ehre. (5) Niemand ist verpflichtet, seine politische Überzeugung bekanntzugeben. Hierzu ist ein Antrag angekündigt worden. Wunderlich (SPD): Die sozialdemokratische Fraktion behält sich vor, in der zweiten Lesung zu der Frage der Pressefreiheit einen Zusatzantrag zu stellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich kann wohl über den gesamten Art. 6 abstimmen lassen. – Art. 6 ist mit allen Stimmen gegen die Stimme des Abgeordneten Renner angenommen.

[1.7. ART. 7: FREIHEIT VON KUNST, WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG]

Art. 7 Die Kunst, Wissenschaft und Forschung und ihre Lehre sind frei. Dr. Strauß (CDU): Ich schlage vor, zu sagen: „Die Kunst, die Wissenschaft und die Forschung und ihre Lehre sind frei“ oder alle bestimmten Artikel wegzulassen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist noch besser. Wir sagen also: „Kunst, Wissenschaft und Forschung und ihre Lehre sind frei.“ Ich lasse über Art. 7 in dieser Fassung abstimmen. – Art. 7 ist angenommen.

[1.8. ART. 8: VERSAMMLUNGSFREIHEIT]

Art. 8 (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Bei Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz beschränkt werden. Sie können bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden. Ich lasse darüber abstimmen. – Der Art. 8 ist angenommen.

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[1.9. ART. 9: VEREINIGUNGSRECHT]

Art. 9 (1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. (2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten. (3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. (Vermerk: Abs. 3 Satz 2 und 3 Variante I:) Dieses Recht darf durch keinerlei Abreden und Maßnahmen eingeschränkt oder behindert, und es darf kein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden. Solche Abreden und Maßnahmen sind rechtswidrig und nichtig. (Vermerk: Abs. 3 Satz 2 und 3 Variante II:) Dieses Recht darf durch keinerlei Abreden und Maßnahmen eingeschränkt oder behindert werden. Solche Abreden und Maßnahmen sind rechtswidrig und nichtig. (4) Das Recht der gemeinschaftlichen Arbeitseinstellung zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wird anerkannt. Seine Ausübung wird durch Gesetz geregelt. Ich schlage vor, zunächst über die drei Absätze und dann über die Varianten abzustimmen. – Die drei Absätze sind bis zu dem Wort „gewährleistet“ gegen die Stimme des Abgeordneten Renner angenommen. Renner (KPD): Dann haben wir auch richtig die Unternehmerverbände wieder. (Dr. Heuss [FDP]: Ja, ganz klar.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Varianten unterscheiden sich dadurch, daß die Variante I den Halbsatz enthält: „und es darf kein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden.“ Die zweite Variante enthält diesen Satz nicht. Ich glaube, die Variante II hat diesen Satz weggelassen, weil befürchtet wird, daß die untere Rechtsprechung bestimmte im gewerkschaftlichen Leben üblich gewordene, durch Gewohnheit sanktionierte Maßnahmen als gesetzwidrigen Zwang auslegen könnte. Ich weiß nicht, ob ich die Fassung der Variante II damit richtig verstanden habe. Schönfelder (SPD): Der Unterschied müßte von den Herren, die in dem Ausschuß waren, einmal aufgeklärt werden. Wenn hier verboten werden soll, zum Beitritt aufzufordern, so denke ich an Tarifverträge, in denen Unternehmer und Arbeiter untereinander vereinbaren: der Tarifvertrag gilt nur für denjenigen, der der Organisation angehört. Das würde doch auch so ausgelegt werden können, daß diejenigen, die der Vorteile des Tarifvertrages teilhaftig werden wollen, auf diesem Wege zum Beitritt gezwungen sind. Ist das gemeint? Dr. Laforet (CSU): Das wird nie getroffen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist das amerikanische Closed-shop-System, bei welchem eine Abmachung zwischen Unternehmer und Gewerkschaft besteht, daß in dem Unternehmen nur Angehörige der Gewerkschaft beschäftigt werden dürfen. Würden Sie das für verboten halten? Im Sinne der Taft-Hartley Bill27). 27)

Im Juni 1947 wurde im US-amerikanischen Kongreß der Taft-Hartley Act verabschiedet.

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Dr. Laforet (CSU): Ja, das ist verboten. Wenn im Tarifrecht ein Tarifvertrag oder ein Schiedsspruch für verbindlich erklärt wird, erfaßt er ohne weiteres alle anderen. Aber die in Amerika übliche oder mögliche Regelung, von der der Herr Vorsitzende soeben gesprochen hat, ist ausgeschlossen. Schönfelder (SPD): Dann ist es sehr bedenklich. [S. 211] Schrage (CDU): Sie haben die Variante I richtig gedeutet; so muß sie verstanden werden. Die Gewerkschaften haben in ihrer Führung von jeher Wert darauf gelegt, daß der Beitritt zur gewerkschaftlichen Organisation freiwillig ist. An diesem Grundsatz haben sie festgehalten, auch wenn einmal hier und da eine Abweichung erfolgt sein sollte. Die Gewerkschaften wollen jetzt hier nicht ausdrücklich gesagt haben, daß kein Zwang ausgeübt werden darf. Der Zwang ist auch in der Vergangenheit von den Gewerkschaften nicht ausgeübt worden. Die Gewerkschaften sehen darin eine Bevorzugung bzw. eine Stärkung des nichtgewerkschaftlichen Arbeiters. Die Gewerkschaft appelliert selbstverständlich wie jeder Berufsstand an die Solidarität. Darauf baut die Gewerkschaft ihre Organisation auf und daran will sie auch nicht gehindert werden. Die Gewerkschaft sieht in der Variante I eine Erschwerung ihrer Bestrebungen. Dr. Heuss (FDP): Es handelt sich hier um Verbände aller Art, auch um Arbeitgeberverbände. Es handelt sich um Situationen, in denen ein Zwang viel unmittelbarer in Betracht kommt. Es handelt sich nicht um die moralische Beeinflussung, die ja eine Begebenheit bei jeder Organisation ist, welche werben will. Nach der ganzen Anlage des Gesetzes sollen hier die subjektiven, wenn Sie wollen, die individualistischen Rechte irgendwie geschützt werden. Die Bestimmung hat gar keine antigewerkschaftliche Tendenz. Heiland (SPD): Es ist noch die Frage zu klären, ob Sie es als einen Zwang auslegen, wenn Arbeitnehmer in einem Betrieb, die gewerkschaftlich organisiert sind, mit anderen Arbeitnehmern, die nicht der Gewerkschaft angehören – wie wir es aus der Gewerkschaftsgeschichte kennen –, nicht zusammenarbeiten wollen. Dr. Laforet (CSU): Jawohl. Heiland (SPD): Wir danken für die klare Antwort. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zunächst über die Variante I abstimmen. – Die Variante I ist mit 11 gegen 10 Stimmen angenommen. Wir kommen zu Art. 9 Abs. 4. Kaufmann (CDU): Ich sehe zunächst nicht ein, warum ein international gebräuchliches Wort, nämlich das Wort „Streik“, hier in einer Form umschrieben wird, die nach meiner Ansicht zweideutig ist. Ich bin dafür, hier das einfache Wort „Streik“ zu verwenden und es nicht in irgendeiner Weise zu umgehen. Er wurde nach den Antragstellern Senator Robert A. Taft und dem Abgeordneten F. A. Hartley benannt. Die Bestimmungen des Taft-Hartley Act betrafen die institutionelle Sicherheit der Gewerkschaften. Der closed shop wurde verboten, vor der Einführung eines union shop in einem Betrieb mußte sich die Mehrheit der Arbeitnehmer in einer Abstimmung dafür aussprechen, und vor der Kündigung eines Tarifvertrags mußte eine Frist von 60 Tagen eingehalten werden. Der Präsident bekam das Recht, bei Streiks, die eine Gefährdung der nationalen Sicherheit darstellten. Vgl. Harry A. Millis/Emily Clark Brown: From the Wagner Act to Taft-Hartley. A Study of National Labor Policy and Labor Relations, Chicago, London, 1950, S. 389–391.

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Mir fehlt in Abs. 4 noch etwas anderes. Das Recht, politische Streiks zu machen, darf hier nicht eingeschlossen sein. Ich weiß, daß man bei den Besprechungen über diese Dinge auf die bekannten Vorgänge beim Kapp-Putsch hingewiesen hat. Der Generalstreik, der beim Kapp-Putsch geführt wurde, war kein Streik gegen bestehende Rechtsordnungen, sondern ein Streik gegen eine bestehende Rechtsunordnung, die durch den Putsch veranlaßt worden war. Es muß eine Formulierung gefunden werden, um das erstere zu ermöglichen, den politischen Streik zur Opposition gegen die bestehende Rechtsordnung aber unmöglich zu machen. Zweitens ist die Frage nicht klargestellt, ob die Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes das Streikrecht in diesem Sinne haben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich eine Mehrheit in diesem Hause findet, die das für möglich erklärt. Sonst würden wir in ein Durcheinander geraten, das nicht nur die Versorgungsbetriebe lahmlegt oder unter den Willen einer beliebigen Streikleitung bringt, sondern auch unsere ganze staatliche Ordnung aus rein technischen Gründen auf den Kopf stellen kann. Ich schlage deshalb folgende Fassung vor: Das Recht des Streiks zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wird anerkannt. Seine Ausübung wird durch Gesetz geregelt. Politische Streiks zur Bekämpfung bestehender Rechtsordnungen sowie Streiks von Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes sind verboten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich darf mir hier eine Frage zur Aufklärung erlauben: Würden Sie einen Streik gegen die Demontage für einen solchen politischen Streik halten? Kaufmann (CDU): Das ist keine bestehende Rechtsordnung. Ich würde ihn aber bestimmt nicht begrüßen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Würden Sie ihn als verboten ansehen? Kaufmann (CDU): Ja, als unzweckmäßig. Renner (KPD): Streiks gegen die Demontage hält der Kollege für verboten! Kaufmann (CDU): Ich habe gesagt, der Anlaß ist keine deutsche Rechtsordnung. Aber ich würde solchen Streik nicht begrüßen, weil ich ihn in diesem Falle für ein unzweckmäßiges Mittel halte. Dr. Heuss (FDP): Ich halte eine Deklaration wie: Politische Streiks sind verboten, für eine verfassungsmäßig unmögliche Formulierung. Politische Streiks sind an sich politische Aktionen. Ich bin gar nicht dafür. Deshalb haben wir diese Formulierung gesucht. Wir wollten das Wort „Streik“ als solches vermeiden und wollten an sich die Organisation auf ihr natürliches und gegebenes historisches Arbeitsrecht zurückführen. Aber politische Streiks sind verfassungsmäßig nicht regulierbar, sondern sind irgendwie politische Machtkämpfe. Herr Kollege Kaufmann, welches ist die Konsequenz eines solchen Ausspruches: Politische Streiks sind verboten, für diejenigen, die streiken? Unter dem isolierten Satz: Politische Streiks sind verboten, kann ich mir gar nichts vorstellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde sagen, ein „politischer“ Streik ist kein Streik, sondern ist entweder ein Aufstand oder, wie beim Kapp-Putsch, die Niederschlagung eines Aufstandes. Oder es ist eine Waffe, deren sich ein Teil des Volkes im politischen Kampf bedient. Unter Streik ist doch hier jedenfalls der gewerkschaftliche Streik als Mittel des Arbeitskampfes zu verstehen.

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Schönfelder (SPD): Ich möchte doch dringend bitten, die Frage des Beamtenstreiks, die von so weittragender Bedeutung ist – die Frage ist in allen Kreisen strittig, nicht nur rechts, sondern auch links –, nicht in dem Grundgesetz zu regeln. Wir sollten uns, wenn hier von Streikrecht die Rede ist, auf den Satz beschränken: Das Nähere wird durch das Gesetz bestimmt. Ich halte es aber für außerordentlich gefährlich, hier den Beamten das Streikrecht zu versagen. Die Frage ist nicht ausdiskutiert. Wir werden sie erst noch mit den Gewerkschaften besprechen müssen. Es wird ein Weg gefunden werden, der dem Staatsleben und auch den Rechten der gewerkschaftlich organisierten Beamten gerecht wird. Ich darf dringend bitten, das nicht hier festzulegen, sondern dem späteren Gesetz zu überlassen. Dr. von Mangoldt (CDU): Über die hier angeschnittenen Fragen ist im Ausschuß eingehend gesprochen worden. Die hier gewählte Formulierung: „das Recht der gemeinschaftlichen Arbeitseinstellung zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen“ sollte gerade die Beschränkung auf die überkommenen Streikformen bedeuten. Damit ist gerade der Ausschluß des sogenannten politischen Streiks beabsichtigt gewesen. Zum anderen haben wir uns eingehend über die Frage unterhalten, ob ein Streik der Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes zugelassen sein soll. Im Ausschuß bestand Einigkeit, daß ein solcher Streik nicht zugelassen sein soll. Wir haben das aber nicht in die Verfassung hineingebracht – es ist mehrfach erwogen worden –, weil wir das der Regelung durch das Gesetz überlassen wollten. Es ist ausdrücklich darüber gesprochen worden, ob die Fassung nur [S. 212] ein Verbot des Streiks für die Beamten enthalten sollte. Man hat jedoch gesagt, man müsse weiter gehen, weil es nicht möglich sei, bestimmte Staatszweige einfach stillzulegen. Wenn wir an die Polizei denken, so würde es möglich sein, daß durch ein Streikrecht der öffentlichen Angestellten die Polizei lahmgelegt wird. Das kann nicht zugelassen werden. Es bestand also über diese Frage völlige Einigkeit. Es ist noch die Frage aufgetaucht, ob man nicht aus dem letzten Satz: „Seine Ausübung wird durch Gesetz geregelt“ herauslesen könnte, daß tatsächlich nur die Ausübung des Streikrechts geregelt werden kann, so daß ein Verbot des Beamtenstreiks nicht mehr in ein Gesetz aufgenommen werden könnte. Das würde der Auffassung widersprechen, die im Ausschuß ausdrücklich ausgesprochen worden ist und über die man sich im Ausschuß geeinigt hat. Vielleicht könnte man das, wenn man das nicht ausdrücklich sagen will, dadurch umgehen, daß man sagt: Das Nähere wird durch Gesetz geregelt. Renner (KPD): Ich bin der Auffassung, daß man die Formulierung „Arbeitseinstellung“ nicht einfach durch das Wort „Streik“ ersetzen kann. Unter Streik wird gewöhnlich die Arbeitseinstellung verstanden, die darin besteht, daß man den Betrieb verläßt, der Arbeit fernbleibt oder in anderer demonstrativer Form für die Durchsetzung seiner wirtschaftlichen Forderungen kämpft. Es gibt aber auch noch andere Methoden der Arbeitseinstellung, den Sitzstreik, die gewollte Senkung der Produktionsleistung usw. (Dr. Heuss [FDP]: Passive Resistenz!) – Passive Resistenz, um das Sammelwort zu gebrauchen. Man kann das nicht alles unter das Wort „Streik“ bringen.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie haben doch selbst in ihrem Antrag formuliert: Das Streikrecht ist anerkannt. Renner (KPD): Da haben wir es in seiner Gänze gemeint. Hier ist ausdrücklich eine Ausschaltung gemacht worden, es ist ausdrücklich nur das als Streik bezeichnet worden, was man generell darunter versteht. Nun zu anderen Dingen. Man soll uns doch nicht mit solchen Formulierungen kommen: Wir müssen dafür sorgen, daß die Versorgungsbetriebe nicht stillgelegt werden können. Der Regelfall ist doch der, daß der arbeitende Mensch zu der Waffe des Streiks nur unter dem Druck des Unternehmertums greift. Es ist doch eine vollkommen abwegige Auffassung, daß der arbeitende Mensch aus purer Willkür und aus Übermut zu der Waffe des Streiks greift. Zu der Frage des Streikrechts der Angestellten und Beamten ist hier behauptet worden, im Ausschuß – gemeint ist wohl der Ausschuß für Grundsatzfragen – habe Einstimmigkeit in der Ablehnung des Streikrechts für Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes bestanden. Ich wäre sehr dankbar, wenn das hier noch einmal öffentlich unterstrichen würde. Es wäre nämlich etwas Ungeheuerliches, wenn man jetzt sogar so weit geht, den Angestellten des öffentlichen Dienstes, die sich in ihrer Rechtsstellung und in ihrem arbeitsrechtlichen Schutz von den Angestellten der privaten Wirtschaft durch nichts unterscheiden, das Streikrecht zu versagen. Auch die Tatsache, daß der Deutsche Beamtenbund noch in den letzten Tagen den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates in einem Schreiben den Verzicht auf das Streikrecht der Beamten angeboten hat, kann mich in meiner Auffassung nicht beirren, daß man auch dem Beamten das Recht des Streiks zur Verbesserung seiner Arbeitsbedingungen und seiner Gehaltsverhältnisse einräumen muß. Dr. Becker (FDP): Wie ist das in der Sowjetverfassung formuliert? Renner (KPD): In der Sowjetverfassung ist der Lohn gesichert. In der Sowjet-Union besteht ja nicht die Tatsache, die hier bei uns besteht, daß der Arbeiter für das Unternehmertum arbeitet. Dort arbeitet er für sich. Das ist der grundsätzliche Unterschied. (Dr. Löwenthal [SPD]: Für die neuen Bonzen!) – Sie waren 10 Tage brav, Herr Dr. Löwenthal. Ich habe mich in der Zwischenzeit noch einmal erkundigt, wie das mit dem bewußten Brief war. Bitte, seien Sie auch in den nächsten Tagen noch still! Dr. Löwenthal (SPD): Ihre erpresserischen Bemerkungen können Sie sich ersparen. Renner (KPD): Mir genügt Ihre Antwort auf meine Feststellung laut Protokoll: Das gehört nicht hierher. So haben Sie damals meine Feststellung quittiert. Ich bin kein Erpresser. (Dr. Löwenthal [SPD]: Aber ein Schwindler!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Wollen wir diese Dialoge nicht bleiben lassen? Renner (KPD): Haben Sie das Wort „Schwindler“ gehört, Herr Vorsitzender? Vors. Dr. Schmid (SPD): Nein. Renner (KPD): Dieses Wort hat Herr Dr. Löwenthal soeben mir gegenüber angewendet. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann rufe ich Sie zur Ordnung, Herr Dr. Löwenthal. Dr. Löwenthal (SPD): Ich wiederhole es.

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Renner (KPD): Sie wiederholen es! Nur Ihr Alter verwehrt mir, Ihnen die Antwort zu geben, die Ihnen gebührt. Diese gesunde Faust in Ihr freches Maul. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nun rufe ich auch Sie zur Ordnung, Herr Abgeordneter Renner. Renner (KPD): Gut, rufen Sie mich ruhig zur Ordnung. – Das ist das, was ich zu sagen habe. Kaufmann (CDU): Ich habe vorhin durch meine Argumentation darzutun versucht, daß ich mit der Fassung, die ich zunächst einmal im Rohentwurf vorgeschlagen habe, die Sorte von politischer Demonstration, wie sie sich zum Beispiel aus dem Kapp-Putsch ergeben hat, nicht meine. Damit wir genau wissen, um was es sich handelt, und damit kein Mißverständnis entsteht, bin ich durchaus damit einverstanden, das Wort „politisch“ wegzulassen und einfach zu sagen: „Streik zur Bekämpfung der bestehenden Rechtsordnung“, diesen aber unter ein Verbot zu stellen. Dr. Heuss (FDP): Was ist die Konsequenz des Verbots? Das habe ich nicht begriffen. Das ist eine politische Deklaration. Kaufmann (CDU): Das heißt also, daß man das Recht zum Streik zum Zwecke der Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen anerkennt, daß man aber nicht ein Recht anerkennt, zum Zwecke der Bekämpfung der bestehenden Rechtsordnung einen Streik anzuzetteln. Das ist meiner Ansicht nach klar. Denn wir stellen hier ein Recht fest, müssen aber feststellen, daß es sich nicht auf Streiks gegen die bestehende Rechtsordnung, also gegen den bestehenden Staat und seine Gesetze, beziehen kann. Das kann wohl niemand hier anders wünschen. Dr. Heuss (FDP): Verhaften Sie die Leute, die streiken? Kaufmann (CDU): Die Konsequenzen haben wir meiner Ansicht nach nicht in diesem Verfassungsartikel zu ziehen. Das zweite ist die Frage des Streiks von Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes. Wenn mit der Fassung: „Seine Ausübung wird durch Gesetz geregelt“ diese Angelegenheit geordnet wäre, so daß die [S. 213] Möglichkeit bestünde, hier zu klassifizieren und dasjenige festzustellen, was nicht zulässig ist, also zum Beispiel Streik der Polizei und dergleichen mehr, so würde ich dagegen nichts einzuwenden haben. Aber sehen Sie sich, bitte, den Abs. 4 noch einmal an! Hier wird ein ausdrückliches, allgemeines Recht festgestellt, und es wird nichts gesagt, als daß die Ausübung dieses allgemein festgestellten Rechts durch ein Gesetz geregelt werden soll. Wenn wir also hier nicht anders formulieren, besteht das Recht für alle, und es besteht danach keine Möglichkeit, dieses Recht für bestimmte Beamte und bestimmte Angestellte des öffentlichen Dienstes einzuschränken. Es besteht lediglich die Möglichkeit, seine Ausübung zu regeln. Das geht aber nicht. Wenn Herr Renner – der ja so großen Wert auf protokollarische Feststellungen von Äußerungen legt davon spricht, daß man der ganzen Kategorie der Angestellten des öffentlichen Dienstes dieses Recht verweigern will, so mache ich ihn darauf aufmerksam – falls es ihm noch nicht bekannt sein sollte –, daß wir unter den heutigen Verhältnissen in den Behörden eine große Anzahl von Menschen haben, die ebenso wichtige und teilweise wichtigere Aufgaben als die noch vorhandenen Beamten zu erfüllen haben, die aber auf Privatdienstvertrag angestellt sind und deren Ausfall sofort zu einem großen Durcheinander im öffentlichen Dienst führen würde. (Renner [KPD]: Bezahlen Sie sie doch anständig!)

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– Dafür muß eine Regelung geschaffen werden. Die Angestellten haben Funktionen, die früher nur einem Beamten zugewiesen wurden. Ich halte diesen Zustand noch nicht einmal für unerfreulich. Ich halte ihn im Gegenteil deshalb für erfreulich – wenn es auch durch die Verhältnisse, in die wir gekommen sind, etwas übertrieben gestaltet ist –, weil dadurch eine stärkere Beweglichkeit und auch eine Verjüngung – um das einmal allgemein so zu sagen – in den Apparat des öffentlichen Dienstes hineingekommen sind, was keineswegs nachteilig ist. Da aber bei der Bedeutung der zahlreichen Angestellten des öffentlichen Dienstes ihr Streik genau dieselben Auswirkungen oder zahlenmäßig noch stärkere Auswirkungen haben würde als der Streik der Beamten, ist es notwendig, das Zulässige in einer Streikbestimmung hier festzustellen. Wenn Sie mir für diese Regelung eine bessere Lösung vorschlagen können, bin ich sehr gern damit einverstanden. Sie wissen jedenfalls, was wir meinen. Es ist unmöglich, mit den hier vorgesehenen Bestimmungen auszukommen. Denn hier ist ein Recht für alle festgelegt, hinsichtlich dessen nur die Ausübung geregelt werden kann. Und das geht für zahlreiche Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes eben nicht. Mein Vorschlag würde also so zu formulieren sein: Streiks zur Bekämpfung der bestehenden Rechtsordnung und Streiks von Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes sind verboten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Würden unter die Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne Ihres Antrags auch zum Beispiel die Arbeiter im städtischen Gaswerk oder im städtischen Schlachthaus fallen? Kaufmann (CDU): Das sind nicht öffentliche Angestellte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Doch, es sind Angestellte des öffentlichen Dienstes. Kaufmann (CDU): Es kommt darauf an, wie wir das formulieren. Öffentliche Angestellte nach dem üblichen Sprachgebrauch sind es nicht. Ich würde sie auch nicht einbeziehen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nach dieser Formulierung würden sie darunterfallen und kein Streikrecht haben. Kaufmann (CDU): Im Sinne des Gesetzes sind Angestellte etwas anderes als Arbeiter. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir reden hier von Angestellten des öffentlichen Dienstes. Renner (KPD): Bei uns in der Stadt ist jeder Meister angestellt. Kaufmann (CDU): Das muß geklärt werden. Deshalb sprechen wir ja hier darüber. Heile (DP): Was soeben gesagt worden ist, ist am knappsten in unserem alten Antrag formuliert worden, der bei Ihren Akten liegt. Es heißt dort: „Das Recht, bei wirtschaftlichen und sozialen Auseinandersetzungen zu streiken, wird im Rahmen der Gesetze anerkannt. Dies gilt nicht für die auf beiderseitiger Treuepflicht beruhenden Dienstverhältnisse der Beamten.“ Es wäre hinzuzufügen: und Angestellten des öffentlichen Dienstes. Dr. Greve (SPD): Wir müssen zu einer gewissen Systematik in unserer Auseinandersetzung kommen. Niemand von uns behauptet, daß das Recht des Streiks zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen etwa nicht gewährleistet sein soll. (Dr. Laforet [CSU]: Selbstverständlich.)

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Darüber hinaus handelt es sich um das Recht des politischen Streiks, wie Sie es formuliert haben, Herr Kollege Kaufmann. Ich glaube nicht, daß es möglich ist, jetzt hier in dieser Beratung – ich glaube auch nicht, daß es überhaupt möglich ist – eine Differenzierung in das Recht des politischen Streiks dahingehend hineinzubringen, daß der politische Streik einmal erlaubt und das andere Mal verboten sein soll. Wie wollen Sie zum Beispiel gesetzestechnisch formulieren, daß in einem Fall, wie Sie ihn selber erwähnten, beim Kapp-Putsch, das Streikrecht gegeben sein soll? Und wie wollen Sie formulieren, daß in einem Falle, in welchem ein solcher Tatbestand nicht vorliegt, das Streikrecht nicht gegeben sein soll? Wir erkennen grundsätzlich das politische Streikrecht an. Wenn wir das politische Streikrecht nicht ausschließen wollen, dürfen wir nicht irgendwelche Beschränkungen in die Verfassung hineinnehmen, die möglicherweise etwas verbieten, an dem wir selber das allergrößte Interesse haben könnten. Ich erinnere an die Vereinigten Staaten mit ihrem Anti-Streikgesetz, mit welchem man verdammt schlechte Erfahrungen gemacht hat und das man aufzuheben jetzt bereit ist. Wenn wir davon absehen, irgendwelche Differenzierungen in die Verfassung hineinzubringen, treffen wir schon das Richtige. Wir treffen auch bei denjenigen, die von ihrem elementaren Recht zu streiken Gebrauch machen wollen, schon auf die Einsicht, die notwendig ist, um nur dann zu streiken, wenn wirklich ein politischer Notstand äußersten Maßes vorliegt. Darüber hinaus ist es eine sehr prekäre Sache, zu sagen: die Beamten sollen das Streikrecht nicht haben, die Angestellten des öffentlichen Dienstes sollen das Streikrecht nicht haben. Ich weiß nicht, in welchem Sinne Sie hier Beamte meinen. Auch bei uns sind die Auffassungen darüber geteilt, ob diejenigen, die nach den beamtenrechtlichen Vorschriften Beamte sind, das Streikrecht haben sollen oder nicht. Ich würde es aber für äußerst bedenklich und gefährlich halten, den Angestellten im öffentlichen Dienst das Streikrecht nicht zu geben, da sie auf diese Art und Weise anders behandelt werden würden als die Angestellten, die nicht im öffentlichen Dienst sind und die nach ihrer strukturellen Art nicht anders behandelt werden dürfen als die Angestellten im öffentlichen Dienst. Ich würde also bitten, da mir die Angelegenheit hier nicht genügend geklärt zu sein scheint, den Abs. 4 des Art. 9 an den Grundsatzausschuß zur nochmaligen Beratung zurückzuverweisen28). Dr. von Mangoldt (CDU): Ich möchte den Antrag stellen, in Satz 2 statt „Seine Ausübung wird durch Gesetz geregelt“ zu sagen: Das Nähere bestimmt das Gesetz. Dr. Laforet (CSU): Ich möchte nur auf einen juristischen Punkt aufmerksam machen. Wenn Sie diesen Satz: „Seine Ausübung wird durch Gesetz geregelt“ belassen hätten, hätten Sie folgendes rechtliche Bild. Der Satz 1 gibt jedem ein Streikrecht, auch dem [S. 214] Beamten und dem Angestellten des öffentlichen Dienstes, mag dieser Dienst noch so lebenswichtig sein. Der einfache Gesetzgeber könnte von dieser Regel keine Ausnahme machen. Er kann nur bei der einen oder anderen Art die Ausübung näher regeln. Wer wie wir auf dem Standpunkt steht, daß zu28)

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Der HptA hatte sich schon am nächsten Tag, den 4. Dez. 1948 in seiner 18. Sitzung mit Art. 9 befaßt, ohne daß der Ausschuß für Grundsatzfragen sich damit erneut befaßt hatte. Vgl. unten Dok. Nr. 18, TOP 1.1, S. 532 f.

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nächst die öffentliche Ordnung entscheidet und das Lebensnotwendige des Volkes, der Gemeinschaft gewährleistet sein muß, muß es denjenigen, die freiwillig diesen besonderen öffentlichen Dienst übernommen haben, sei es im öffentlichrechtlichen Treueverhältnis des Beamten, sei es in dem besonderen Arbeitsverhältnis des Angestellten, unmöglich machen, gegen die Allgemeinheit vorzugehen. Er hat eine Vorzugsstellung, er hat damit aber auch besondere Pflichten. Auf der anderen Seite möchte ich folgendes betonen. Ich weiß nicht, ob nicht unsere Gewerkschaften es begrüßen würden, wenn wir Streiks zur Bekämpfung der bestehenden Ordnung ausdrücklich hervorheben würden. Ich würde nicht sagen: politische Streiks, sondern: Streiks zur Bekämpfung der bestehenden Rechtsordnung, um damit klarzustellen, daß Streiks zur Stützung der vorhandenen Staatsordnung hier nicht getroffen werden sollen. Es ist nur noch zu klären, wie es mit den Polizeikräften steht. Wenn wir den Begriff Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes weit fassen, sind vor allem auch die Polizeikräfte erfaßt und erwähnt. Ihnen kann unter keinen Umständen ein Streikrecht gewährt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich schlage vor, daß wir die Beratung über den Abs. 4 aussetzen und den Absatz an den Grundsatzausschuß zurückverweisen mit der Bitte, sich unter Berücksichtigung der in der Debatte zutage getretenen Standpunkte die Formulierung noch einmal zu überlegen. Wir werden dann an einem der nächsten Tage Gelegenheit nehmen, den Abs. 4 abzuschließen. Dr. Greve (SPD): Ich bitte, den Ausdruck „bestehende Rechtsordnung“, den der Herr Kollege Dr. Laforet soeben gebraucht hat, nicht zu verwenden. Das ist zu gefährlich. Dann bitte ich schon, sich zu überlegen, ob man statt bestehende Rechtsordnung nicht sagen kann: verfassungsmäßige Ordnung. (Dr. Laforet [CSU]: Einverstanden.) Das wollte ich nur noch als Anregung geben. Dr. Laforet (CSU): Herr Kollege Dr. Greve, das ist nur eine Meinungsverschiedenheit im Ausdruck. Sachlich meinen wir das gleiche. Kaufmann (CDU): Ich bin mit der Zurückverweisung an den Ausschuß einverstanden möchte aber nur noch folgendes betonen. Es geht nicht an, daß ein demokratischer Staat, der in ordnungsmäßiger Form durch seine gewählten Abgeordneten seine Verfassung und seine Rechtsordnung schafft, die Möglichkeit gibt, daß irgendeine Gruppe, sei sie klein oder groß, durch eine Gewaltmaßnahme irgendwelcher Art diese Rechtsordnung von sich aus umstürzt. Darauf kam es mir hier an. Ich möchte gerade zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Renner noch folgendes sagen. Die Formulierung der „Arbeitseinstellung“ ist mir deshalb nicht so klar wie der Begriff Streik, weil, was Herr Renner wohl nicht gemerkt hat, mit Arbeitseinstellung auch die Arbeitseinstellung der Unternehmer, also die Aussperrung, gemeint sein kann. Auch von dieser Seite her können höchst gefährliche Maßnahmen solcher Art gegen die öffentliche Ordnung getroffen werden, unter Umständen mit mehr Kraftentfaltung, als das auf der anderen Seite möglich ist. Deshalb war es mir wichtig, hier „Streik“ zu sagen, um ganz klar über die Dinge zu sein, die gemeint sind. Dr. von Mangoldt (CDU): Zu der Bemerkung des Herrn Kollegen Dr. Greve, daß man „verfassungsmäßige Ordnung“ sagen sollte, darf ich darauf hinweisen, daß et-

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was Derartiges von uns schon in Art. 21 Abs. 2 vorgesehen ist. Praktisch sind Streiks, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, durch Art. 21 Abs. 2 für verfassungswidrig erklärt, und das Grundrecht ist für denjenigen verwirkt, der in dieser Weise vorgeht. Dort findet sich ausdrücklich die Verweisung. Renner (KPD): Ich möchte noch etwas zu der Frage des politischen Streiks sagen. Ich erinnere an die Stellungnahme des Unternehmertums und der bürgerlichen Presse zu der Arbeitsruhe, die vor kurzem – am 12. November 1948 – auf Beschluß der Gewerkschaften der Bizone durchgeführt worden ist29). Man hat den Tag auf der rechten Seite des Hauses fälschlich „Generalstreik“ genannt. Man hat ganz allgemein unterstellt, daß dieser Streik ein politischer Streik mit politischer Zielsetzung ist. Es gehört geradezu zum Arsenal der Abwehrmethoden der Bourgeoisie, jeden Streik als einen politischen Streik hinzustellen. Normalerweise geht man noch einen Schritt weiter und sagt, daß hinter jedem Streik die Kommunistische Partei steht. Das ist doch eine Erfahrungstatsache. Wer also dem das Wort redet, daß in die Verfassung ein Verbot des sogenannten politischen Streiks hineingearbeitet wird, dem schwebt mindestens im Unterbewußtsein vor, daß damit jeder Streik verboten sein soll. Und wer die Gefahr beseitigen will, daß das Unternehmertum mit Aussperrung und ähnlichen Maßnahmen kommt, braucht bloß – was Sie in dem Ausschuß bereits abgelehnt haben – auf unsere Formulierung einzugehen, daß dem Unternehmertum Aussperrung und ähnliche Maßnahmen verboten sind. Dann hätten Sie den Schutz, den Sie selber anscheinend für notwendig erachten. Ein letztes Wort zur Frage des Streiks von Beamten und Angestellten. Der Angestellte im öffentlichen Dienst ist in seiner materiellen und sozialen Stellung normalerweise durch nichts gegenüber dem Angestellten der privaten Wirtschaft bessergestellt. In Zusammenhang mit der Arbeitseinstellung der Gewerkschaften, von der ich soeben sprach, hat man nicht gewagt, den Angestellten des öffentlichen Dienstes das Recht auf Beteiligung an dieser Aktion zu versagen. Allerdings hat zum Beispiel der der CDU angehörende Oberstadtdirektor der Stadt Essen, Herr Rosendahl, den Angestellten die Teilnahme an diesem Streik dadurch versalzen wollen – um einmal ein vulgäres Wort zu gebrauchen –, daß er ihnen gesagt hat: Wer an dem Streik teilnimmt, wird erstens einmal für alle Fälle notiert und zwei29)

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Zum Streik vom 12. Nov. 1948 hatte der maschinschriftl. verfielfält. Informationsdienst für die Abgeordneten des Parl. Rates am 10. Nov. 1948 berichtet, die Gewerkschaften würden um Einfluß bei den zentralen Führungsstellen des bizonalen Wirtschaftsgebietes ringen. Der Streik habe keineswegs in erster Linie den Sinn, die Empörung weiter Kreise gegen die überhöhten und weiter steigenden Preise zu beweisen, sondern vielmehr würden die Forderungen der Gewerkschaften auf eine grundsätzliche Einschaltung in den gesamten Wirtschaftslenkungsprozeß hinauslaufen. Wörtlich weiter: „Dieser Machtanspruch greift weit über Einzelforderungen hinaus, und es gibt viele Kritiker, die meinen, daß die Gewerkschaften schlecht beraten waren, wenn sie statt begrenzten und diskutablen Ansprüchen ein so großes Bukett grundsätzlichere Wünsche anmelden“. Vgl. auch G. Beier: Der Demonstrations- und Generalstreik vom 12. November 1948 im Zusammenhang mit der parlamentarischen Entwicklung Westdeutschlands. Frankfurt am Main/Köln 1975. Vgl. dazu auch die 25. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 24. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 32, S. 703 mit Anm. 102.

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tens bekommt er für den Tag kein Gehalt. So ist es in unserer Stadt Essen geschehen. Auch den Beamten muß das Streikrecht konzediert werden. Alle Hinweise darauf, daß der Beamte eine Vorzugsstellung genießt, räumen doch nicht die Tatsache aus, daß die Vorzugsstellung bestenfalls darin besteht, daß er für sein Alter einen Pensionsanspruch hat. Aber dieser Pensionsanspruch für sein Alter wird, mindestens bei den unteren und mittleren Beamten, dadurch wertlos gemacht, daß die derzeitig gezahlten Gehälter für diese Gruppen im Hinblick auf die Altersversorgung bewußt niedrig gehalten sind. Noch ein letztes Wort der Mahnung an Herrn Dr. Greve. Principiis obsta30), Herr Dr. Greve! Wenn Sie den Herren schon damit entgegenkommen, daß ein Verbot des Streiks zur Bekämpfung der verfassungsmäßigen Ordnung eventuell von Ihnen konzediert werden könnte, dann helfen Sie den Herren von der Gegenseite. Aber vielleicht fällt das auch auf die von Ihnen betonte Kompromißfreudigkeit zurück. (Dr. Greve [SPD]: Über die verfassungsmäßige Ordnung haben wir allerdings dieselbe Auffassung, Herr Renner.) – Aber entscheidend ist, was nachher darunter verstanden wird, was die tatsächlichen Machthaber im Staat darunter verstehen. Das sollten Sie aus der Zeit von Weimar gelernt haben. Der Hauptausschuß vertagt sich auf Sonnabend, den 4. Dezember 1948, 9 Uhr. Schluß der Sitzung 18.40 Uhr31).

30)

„Wehret den Anfängen!“ – Lateinisches Sprichwort bei dem römischen Dichter Ovid, Remedia amoris 91, überliefert auch bei Seneca, Briefe an Lucilius 72, 11. 31) Statt „18.40 Uhr“ im stenograph. Wortprot., S. 43: „18 Uhr 15 Minuten“.

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Nr. 18 Achtzehnte Sitzung des Hauptausschusses 4. Dezember 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 215–222. PA 2004. Ungez. von Senz gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, gez. als Drucks. Nr. 456 vervielf.1) Anwesend2): CDU/CSU: de Chapeaurouge3), Kaufmann, Laforet, Lehr, von Mangoldt, Pfeiffer, Strauß4), Süsterhenn SPD: Eberhard5), Greve, Heiland6), Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Wolff FDP: Heuss, Schäfer7) DP: Heile8) KPD: – Zentrum: Weber9) Abgeordnete ohne Stimmrecht: Bergsträsser (SPD), Fecht (CDU/CSU), Kleindinst (CDU/ CSU), Löwenthal (SPD), Schrage (CDU/CSU) Stenographischer Dienst: Senz Dauer: 9.12–10.20 Uhr

[1. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT I: DIE GRUNDRECHTE] [1.1. ART. 9: VEREINIGUNGSRECHT (FORTSETZUNG)]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir sind gestern abend bei der Beratung des Abs. 4 von Art. 9 stehengeblieben und haben beschlossen, den Absatz an den Grundsatzausschuß mit der Bitte zurückzugeben, unter Verwertung des Beratungsergebnisses eine neue Formulierung zu finden10). Nun ist mir soeben gesagt worden, daß die Absicht bestehe, den Antrag auf Streichung des ganzen Absatzes zu stellen. Ich weiß nicht, ob unter diesen Umständen der Beschluß von gestern abend nicht aufgehoben werden sollte und ob wir nicht gut daran täten, uns kurz darüber zu unterhalten. Vielleicht geht es sehr schnell; wenn nicht, kann man immer noch den

1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

10)

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Protokollführer Pauls; geschrieben von Frau Wistorf; gelesen von Gertraut und Frau Wistorf; verlesen von Kelz und von Zitzewitz. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. und nach dem stenograph. Wortprot., S. 12: demnach waren für die CDU/CSU Schrage und Kleindinst anwesend. Vertreter für Adenauer. Vertreter für von Brentano. Vertreter für Zimmermann. Vertreter für Stock. Vertreter für Dehler. Vertreter für Seebohm. Weber (CDU) war Vertreterin für Brockmann (Zentrum). Vgl. dazu die 17. Sitzung des HptA am 3. Dez.; oben Dok. Nr. 17, TOP 1.9, S. 528, mit Anm. 28.

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Beschluß von gestern abend ausführen. – Ich rufe, da allgemeines Einvernehmen zu bestehen scheint, den Abs. 4 des Art. 9 auf. Dr. Eberhard (SPD): Ich möchte beantragen, den Absatz zu streichen, nicht, weil dadurch die Streiks aus dem gesellschaftlichen Leben beseitigt werden könnten. Im Gegenteil. Die gestrige Aussprache hat gezeigt, man kommt in eine große Kasuistik hinein, wenn man eine Reihe von Beschränkungen hineinbaut. Dann müßten wir beantragen, künftige Beschränkungen durch Gesetz auszuschließen. Aber ich möchte für die zweite Lesung zur Erwägung geben, auf den Gewerkschaftsvorschlag zurückzukommen, der wohl allen Abgeordneten vorliegt und in dem es heißt: Das Streikrecht der Gewerkschaften ist gewährleistet. Wer sich an einem gewerkschaftlichen, nicht tarifwidrigen Streik beteiligt, handelt nicht rechtswidrig. Eine solche Formulierung würde wilde politische Streiks ausschließen. Mir scheint, daß die meisten in diesem Kreise daran interessiert sind, in dieser Richtung etwas zu tun. Ich weise ferner darauf hin, daß auch tarifwidrige Streiks dabei ausgeschlossen wären. Es handelt sich dabei um folgendes. Die Gewerkschaften selber werden während der Laufzeit des Tarifvertrages keinen Streik erklären. Betriebsräte zum Beispiel dürften ihn für einen Betrieb dann auch nicht erklären. Es ist aber möglich, daß Belegschaften dies tun. Sie könnten es insbesondere dann tun, wenn im Grundgesetz eine allgemeine Anerkennung des Streikrechts drinsteht. Alle diese Überlegungen bitte ich bis zur zweiten Lesung anzustellen. Jetzt beantrage ich die Streichung von Abs. 4. Schrage (CDU): Namens der CDU-Fraktion kann ich erklären, daß sie dem Antrag auf Streichung des Art. 9 Abs. 411) zustimmt12). Ebenso sind wir damit einverstanden, für die zweite Lesung vorzusehen, daß wir uns noch über die Frage des politischen Streikrechts unterhalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag auf Streichung von Art. 9 Abs. 4 abstimmen. – Der Antrag ist einstimmig angenommen. Wir behalten uns für die zweite Lesung vor, auf die Sache zurückzukommen.

[1.2. ART. 10: POSTGEHEIMNIS]

Wir kommen jetzt zu

Art. 10 Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich. Beschränkungen können nur durch Gesetz, jedoch nicht zu Zwecken der politischen Überwachung angeordnet werden. Es wünscht niemand das Wort. Ich lasse über den Artikel abstimmen. – Der Art. 10 ist einstimmig angenommen, wobei ich feststellen möchte, daß der Herr Abgeordnete Renner fehlt.

11) 12)

Statt „Art. 9 Abs. 4“ im stenograph. Wortprot., S. 2: „Art. 4“. Vgl. die Sitzung der CDU/CSU-Fraktion am 3. Dez. 1948; Salzmann, S. 257.

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Achtzehnte Sitzung des Hauptausschusses 4. Dezember 1948 [1.3. ART. 11: FREIZÜGIGKEIT IM BUNDESGEBIET]

Art. 11 Alle Bundesangehörigen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Sie haben das Recht, an jedem Ort des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Ich lasse abstimmen: – Der Art. 11 ist einstimmig angenommen.

[1.4. ART. 12: FREIZÜGIGKEIT UND FREIE WAHL DER ARBEIT]

Art. 12 (1) Jeder Bundesangehörige hat das Recht, Beruf und Arbeitsplatz frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer allgemeinen für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. (3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig. Dr. von Mangoldt (CDU): Hierzu13) liegt ein Ergänzungsantrag des Ausschusses vor, im ersten Absatz hinter „Arbeitsplatz“ einzufügen: „und Ausbildungsstätten“14). Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist der Wunsch der Studenten gewesen15). Dr. Eberhard (SPD): Ich stelle den Antrag, im Abs. 2 vor „allgemeinen“ „herkömmlich“ einzufügen. Das würde ausschließen, daß unter Berufung auf diesen Artikel der Arbeitsdienst16) eingeführt wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde bitten, hinzuzusetzen: „örtlich begrenzten“. Dr. Eberhard (SPD): „Herkömmlichen“ würde sich beziehen auf die bekannten Hand- und Spanndienste, die gedeckt werden müssen. „Örtlich begrenzt“ kann wohl aus demselben Grunde hinzukommen.17) 13)

14) 15)

16)

17)

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Statt „Dr. von Mangoldt (CDU): Hierzu . . .“ wird der Wortbeitrag von Mangoldt im stenograph. Wortprot., S. 3, dem Vors. Schmid (SPD) zugeschrieben: „Von Herrn Dr, Mangoldt . . .“. Vgl. 29. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 4. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 38, S. 843. Zur Eingabe von „Studentischen Vertretern“ vom 25. Nov. 1948 vgl. die 30. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 6. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 39, S. 872 f. Mit Notverordnung vom 5. Juni 1931 (RGBl. I, S. 295) führte die Regierung Heinrich Brüning den Freiwilligen Arbeitsdienst ein. Der Arbeitsdienst war zuvor von nationalistischen Verbänden und Parteien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und als Ersatz für die in Art. 173 des Friedensvertrags von Versailles vom 28. Juni 1919 verbotene Wehrpflicht gefordert worden. Die Regierung Hitler hatte schon in einem Rundfunkaufruf vom 1. Febr. 1933 eine Arbeitsdienstpflicht angekündigt und mit dem Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26. Juni 1935 (RGBl. I, S. 769) den Reichsarbeitsdienst geschaffen. Vgl. Peter Dudek: Erziehung durch Arbeit. Arbeitslagerbewegung und freiwilliger Arbeitsdienst 1920–1935. Opladen 1988. Michael Hansen: „Idealisten“ und „gescheiterte Existenzen“. Das Führerkorps des Reichsarbeitsdienstes. Diss., Universität Trier, 2004. Statt „,Herkömmlichen‘ würde sich beziehen auf die bekannten Hand- und Spanndien-

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Man kann „örtlich begrenzten“ vielleicht entbehren. Dr. Eberhard (SPD): „Herkömmlichen“ würde meines Erachtens reichen. [S. 216] Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann darf ich feststellen, daß den beiden Zusätzen „Ausbildungsstätten“ und „herkömmlichen“ zugestimmt wird. Ich lasse über den ganzen Artikel in der so abgeänderten Form abzustimmen. – Der Art. 12 ist einstimmig angenommen.

[1.5. ART. 13: FREIHEITSRECHTE]

Art. 13 (1) Die Wohnung ist unverletzlich. (2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. (3) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutz gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden. Ich lasse abstimmen. – Der Art. 13 ist einstimmig angenommen.

[1.6. ART. 14: EIGENTUM]

Art. 14 (1) Das Eigentum wird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Wer sein Eigentum mißbraucht, kann sich auf den Schutz dieser Bestimmungen nicht berufen. (3) Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch förmliches Gesetz oder auf Grund eines förmlichen Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Diese ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Betroffenen zu bestimmen. Dr. Fecht (CDU): Wir sind der Ansicht, daß das Wort „förmlich“ überflüssig ist. Es gibt nur ein Gesetz, es gibt nicht förmliche und unförmliche Gesetze. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es hat eine Zeitlang in der Judikatur eine Streitfrage gegeben, was unter „durch Gesetz“ zu verstehen ist, ob jede Rechtsnorm, die Gesetzeskraft hat, oder nur das, was man ein Gesetz im formalen Sinne heißt. Wir haben

ste, die gedeckt werden müssen. ,Örtlich begrenzt‘ kann wohl aus demselben Grunde hinzukommen.“ im stenograph. Wortprot., S. 4: „,Herkömmlichen‘ würde genügen.“

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seinerzeit im Grundsatzausschuß absichtlich das Wort „förmlich“ eingesetzt, um jeden Zweifel auszuschließen18). Dr. Fecht (CDU): Ich glaube, man könnte das streichen. Dr. Strauß (CDU): Ich bin dagegen, und zwar auf Grund der Judikatur des Reichsgerichts zu Art. 153 der Weimarer Verfassung19). Ich glaube, es ist Art. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, der als „Gesetz“ jede Rechtsnorm definiert. Wenn wir hier völlige Klarheit schaffen wollen, wollen wir lieber etwas Überflüssiges tun und das Wort „förmlich“ drinlassen. Dr. Greve (SPD): Ich bin dagegen. In dem Grundgesetz, das wir hier schaffen, haben wir „Gesetz“ ebenso wie „Rechtsnorm“ unter einer ganz bestimmten Vorstellung gebraucht. Wörter, die überflüssig sind, halte ich nicht für nötig. Ich würde auch bitten, „förmlich“ in beiden Fällen zu streichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, das Wort „förmlich“ zu streichen. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 16 gegen 2 Stimmen angenommen. Das Wort „förmlich“ wird gestrichen. Es heißt jetzt: „Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen .. .“ Ich lasse über den ganzen Artikel abstimmen. – Der Art. 14 ist angenommen.

[1.7. ART. 15: ENTEIGNUNG]

Art. 15 Die Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum im Wege der Enteignung des Art. 14 ist nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes zulässig. Auch hier muß es dann heißen: „. . . eines Gesetzes zulässig.“ Dr. Strauß (CDU): Ich verstehe nicht das Verhältnis von Art. 15 zu Art. 14 Abs. 3. Steht das nicht alles in Art. 14 Abs. 3? Gerade weil Art. 15 auf Art. 14 verweist, erscheint er mir überflüssig. Rein rechtlich verstehe ich ihn nicht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Er hieß ursprünglich anders. Der Gedanke im Grundsatzausschuß war, klarzustellen, daß die Sozialisierung nicht ein Sonderfall der Individualenteignung, sondern ein Fall der strukturellen Änderung der Wirtschaftsverfassung ist. Deshalb hat man einen besonderen Artikel gewählt, hat aber, um eine klare Rechtsgrundlage im Einzelfall zu schaffen, die Bestimmung aufgenommen, 18)

Vgl. die 8. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 7. Okt. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 5/1, Dok. Nr. 9, S. 213 f. 19) Art. 153 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen. Eine Enteignung kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgt gegen angemessene Entschädigung, soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt. Wegen der Höhe der Entschädigung ist im Streitfalle der Rechtsweg bei den ordentlichen Gerichten offen zu halten, soweit Reichsgesetze nichts anderes bestimmen. Enteignung durch das Reich gegenüber Ländern, Gemeinden und gemeinnützigen Verbänden kann nur gegen Entschädigung erfolgen. Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste.“ RGBl. S. 1412.

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daß eine Sozialisierungsmaßnahme, wenn sie das Eigentum betrifft, nur im Wege eines Gesetzes erfolgen kann. Dr. Strauß (CDU): Dann hätten aber die Worte „im Wege der Enteignung des Art. 14“ weggelassen werden müssen. Dr. Greve (SPD): Das ist nicht dasselbe. Wenn in Art. 14 Abs. 3 gesagt ist: „Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig“ und Art. 15 besagt: „Die Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum im Wege der Enteignung des Art. 14 ist nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes zulässig“, dann ist Art. 15 insoweit lex specialis gegenüber Art. 14 Abs. 3, so daß, wenn die Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen und Produktionsmitteln in Frage kommt, überhaupt nicht erst zu prüfen ist, ob es sich hier um das Wohl der Allgemeinheit handelt. Das ist schon etwas anderes. Dr. Strauß (CDU): Ich verstehe das nicht ganz. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist hier zu beachten, daß mit dieser Fassung auch gesagt werden sollte, daß, wo diese Überführung in Gemeineigentum nicht im Wege der Enteignung vor sich geht, kein Gesetz erforderlich ist. Es ist zum Beispiel denkbar, daß staatliches Eigentum in Gemeineigentum übergeführt wird. Gemeineigentum und Staatseigentum sind ja nicht identisch. Daran hat man auch gedacht. Aber ich war bei den letzten Sitzungen des Fachausschusses nicht mehr anwesend, und der Artikel sieht jetzt etwas anders aus, als er ursprünglich aussah. Ich lasse abstimmen. – Der Art. 15 ist einstimmig angenommen.

[1.8. ART. 16: STAATSANGEHÖRIGKEIT]

Art. 16 Niemand darf willkürlich seiner Bundesangehörigkeit beraubt werden. Durch Gesetz darf der Verlust der Staatsangehörigkeit nur für die Fälle vorgesehen werden, in denen der Betroffene bereits eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat. Das Wort „bereits“ gefällt mir nicht sonderlich. Dr. von Mangoldt (CDU): Der Art. 16 ist eine neue Bestimmung, die auf Grund einer Anregung hereingekommen ist, die aus den Menschenrechten der Vereinten Nationen entnommen wurde. Die Bestimmungen über die Menschenrechte der Vereinten Nationen sehen vor, daß niemand seiner Staatsangehörigkeit beraubt werden darf20). Ich glaube, wir haben allen Grund, uns gerade dieser Frage anzunehmen, da wir die verheerende Wirkung der Ausbürgerung nach [S. 217] dem Ausbürgerungsgesetz von 193321) zur Genüge empfunden haben und da wir sehen, 20)

Art. 13 des Entwurfs der Erklärung der Menschenrechte vom 7. Okt. 1948: „Niemand kann willkürlich seiner Staatsangehörigkeit oder des Rechtes beraubt werden, seine Staatsangehörigkeit zu wechseln.“ Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 5/1, Dok. Nr. 10, S. 223. Später Artikel 15 in der Fassung der UN-Resolution 217 A (III) vom 10. Dez. 1948: „1. Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit. 2. Niemandem darf seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen noch das Recht versagt werden, seine Staatsangehörigkeit zu wechseln.“ 21) Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen

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wie in einem gewissen Teil der Welt dieses System fortgeführt wird. Wir können uns auf der anderen Seite darauf berufen, daß wir uns mit diesem Satz ganz in Sinne des Völkerrechts verhalten. Es besteht nämlich ein Satz des Völkerrechts – es gibt darüber Gruppen-Abkommen, die in der Gegenwart eine bedeutende Rolle spielen –, der vorsieht, es soll nach Möglichkeit vermieden werden, daß neue Staatenlosigkeit entsteht. Wir würden uns ganz im Sinne dieses völkerrechtlichen Satzes verhalten. Es kann die Notwendigkeit bestehen, es auch nicht zu einer Doppelstaatlichkeit kommen zu lassen, und es kann der Wille bei den Einzelnen bestehen, sich aus der bisherigen Staatsangehörigkeit in eine andere zu begeben. Es besteht, wenn eine andere Staatsangehörigkeit schon vorhanden ist, kein Grund, einen Staatsangehörigkeitswechsel durch das Gesetz zu verbieten oder den Verlust der Staatsangehörigkeit festzustellen und auszusprechen. Es muß darum der Satz mit „bereits“ darinbleiben. Es ist Voraussetzung für den Ausspruch des Staatsangehörigkeitsverlustes, daß eine andere Staatsangehörigkeit gegeben ist. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Mit dem Gedanken, der in dem neuen Art. 16 ausgedrückt werden soll, kann ich mich, nachdem wir uns in der Fraktion eingehend darüber ausgesprochen haben, einverstanden erklären. Ich halte aber die Formulierung des ersten Satzes für unglücklich und möchte für ihn folgende Fassung vorschlagen: Niemandem darf willkürlich seine Bundesangehörigkeit genommen werden. Das Wort „beraubt“ paßt nicht gut in ein Grundgesetz hinein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde vorschlagen, statt „genommen“ „entzogen“ zu sagen: Niemandem darf seine Bundesangehörigkeit entzogen werden. Können wir nicht statt „bereits“ ein anderes Wort finden? Dr. Laforet (CSU): Man kann es einfach streichen. Dr. Bergsträsser (SPD): Ist es nicht überflüssig?22) Dr. de Chapeaurouge (CDU): Wenn man das Wort „nur“ durch das Wort „erst“ ersetzt, ist es wohl erledigt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, wir können es streichen. Mit dem Perfektum ist das Vorhergehende ausgedrückt. Wir können also sagen: „. . . in denen der Betroffene eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat.“ Dr. Strauß (CDU): Es ist besser, in Satz 1 zu sagen: Die Bundesangehörigkeit darf nicht willkürlich entzogen werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja, das ist noch besser. Dr. Laforet (CSU): Es ist nichts anderes als die Vorwegnahme eines Teils des Staatsangehörigkeitsgesetzes23).

Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 (RGBl. I, S. 480). Vgl. auch Michael Hepp (Hrsg.): Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933–1945 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen, Bd. 1, München 1985. 22) Der Wortwechsel fehlt im stenograph. Wortprot., S. 10: „Dr. Laforet (CSU): Man kann es einfach streichen. Dr. Bergsträsser (SPD): Ist es nicht überflüssig?“ 23) Die Wortbeitrag: „Dr. Laforet (CSU): Es ist nichts anderes als die Vorwegnahme eines Teils des Staatsangehörigkeitsgesetzes“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 10.

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Dr. Löwenthal (SPD): Der Artikel enthält insofern eine Lücke, als die früheren deutschen Staatsangehörigen, die unter Hitler auf Grund ihrer politischen und rassischen Zugehörigkeit ihrer Staatsangehörigkeit durch Ausbürgerung beraubt worden sind, bisher keinen Anspruch auf Wiedereinbürgerung haben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das hat seinen Grund darin, daß der Kontrollrat sich das Recht vorbehalten hat, die Staatsangehörigkeit zu verleihen und wiederzuverleihen24). Dr. von Mangoldt (CDU): Im Ausschuß ist eingehend darüber gesprochen worden. Wir haben gerade in den Ländern des Nordens, in Schleswig-Holstein, Vorgänge in dieser Richtung. Dort ist erwogen worden, durch eine gesetzliche Bestimmung einfach die Vorschriften über die Aberkennung aufzuheben. Es ergab sich aber bald, daß bei einer ganzen Reihe von Personen, denen die Staatsangehörigkeit entzogen worden ist, gar nicht das Bedürfnis und der Wille vorliegt, ohne weiteres die deutsche Staatsangehörigkeit wiederzuerwerben, weil sie in dem anderen Lande, dessen Staatsangehörigkeit sie erworben haben, dann nur Schwierigkeiten bekommen würden. Deshalb wird dort die Angelegenheit so gehandhabt, daß zwar die Bereitschaft erklärt worden ist, jeden aufzunehmen, daß aber die Wiederaufnahme von einem Antrag des Betreffenden abhängig ist. Dr. Löwenthal (SPD): In diesem Sinne habe ich das auch nur verstanden. Ich möchte anregen, hier eine Bestimmung aufzunehmen, daß derjenige, der seine Wiederaufnahme beantragt, berechtigt ist, die Wiedereinbürgerung zu verlangen. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich beantrage, das in die Übergangsbestimmungen zu diesem Artikel aufzunehmen. Wir würden das dann im Grundsatzausschuß behandeln. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube auch, daß das der richtige Weg ist. Ich lasse über Art. 16 in der abgeänderten Fassung abstimmen. – Art. 16 ist angenommen25).

[1.9. ART. 17: AUSLIEFERUNG UND ASYLRECHT]

Art. 17 (1) Kein Deutscher darf ans Ausland ausgeliefert werden. (2) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Dr. Fecht (CDU): Durch Abs. 2: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ könnten wir genötigt werden, Faschisten, die in Italien politisch verfolgt werden, bei uns in unbegrenzter Zahl aufzunehmen. Das ließe sich auch auf andere Verhältnisse übertragen, wo es sich um Leute handelt, die nach ihren Grundsätzen undemokratisch sind. Wir wären unter Umständen genötigt, in Massen Leute aufzunehmen, die mit unserer Auffassung und mit unserem Gesetz vollständig in Widerspruch stehen. 24)

Vgl. Gesetz Nr. 18 vom 8. März 1946 bezüglich des Wohnungsgesetzes; Amtsblatt des Alliierten Kontrollrats in Deutschland, S. 117–121. 25) Im stenograph. Wortprot., S. 12, folgt danach: „Ich habe den Eindruck, daß auf der einen Seite zu reichlich abgestimmt wurde. Ich bitte doch um Namensaufruf.“ Abg. Weber verliest darauf hin die Namen. Vgl. dazu auch oben S. 532 die Anwesenheitsliste (mit Anm. 2).

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Asylrecht bedeutet nicht, daß derjenige, der es in Anspruch nimmt, Freizügigkeit genießt. Gewährung von Asyl ist sehr häufig mit Stellung unter Polizeiaufsicht verbunden, wobei die Polizeiaufsicht die doppelte Funktion hat, einmal den aufnehmenden Staat zu schützen und weiter den Aufgenommenen zu schützen. Ob man das Asylrecht, wenn man es wirksam machen will, auf bestimmte Gruppen beschränken kann, weiß ich nicht. Die Asylrechtgewährung ist immer eine Frage der Generosität, und wenn man generös sein will, muß man riskieren, sich gegebenenfalls in der Person geirrt zu haben. Das ist die andere Seite davon, und darin liegt vielleicht auch die Würde eines solchen Aktes. Wenn man eine Einschränkung vornimmt, etwa so: Asylrecht ja, aber soweit der Mann uns politisch nahesteht oder sympathisch ist, so nimmt das zuviel weg. Dr. von Mangoldt (CDU): Im Ausschuß ist über diese Frage eingehend gesprochen worden26). Ich kann nur unterstreichen, was Herr Dr. Schmid ausgeführt hat, und brauche weitere Ausführungen nicht zu machen. Ich brauche hier nur darauf hinzuweisen, wenn wir irgendeine Einschränkung aufnehmen würden, wenn wir irgend etwas aufnehmen würden, um die Voraussetzungen für die Gewährung des Asylrechts festzulegen, dann müßte an der Grenze eine Prüfung durch die Grenzorgane vorgenommen werden. Dadurch würde die ganze Vorschrift völlig wertlos. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann beginnt das Spiel: man schickt den Mann zurück oder man schickt ihn an die andere Grenze, und von dort geht es wieder weiter. (Dr. von Mangoldt [CDU]: Wir haben unsere Erfahrungen aus dem Krieg.) [S. 218] Dr. Fecht (CDU): Ich stelle keinen Antrag. Ich wollte nur, daß das im Protokoll klargestellt wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist klar, daß dieses Asylrecht nur im Rahmen der völkerrechtlichen Bestimmungen ausgeübt werden wird, daß also der Attentatsklausel gegenüber das Asylrecht nicht gilt. Im Völkerrecht besteht Übereinstimmung darüber, daß ein Attentäter sich nicht auf das Asylrecht berufen kann, er darf also ausgeliefert werden; ja, wenn ein Auslieferungsvertrag besteht, muß er ausgeliefert werden, während der „politische Verbrecher“, der nicht unter die Attentatsklausel fällt, nicht ausgeliefert zu werden braucht, auch wenn ein Auslieferungsvertrag besteht. Vielleicht könnte man überlegen, ob man nicht, wie die skandinavischen Staaten es getan haben, eine Bestimmung vorsehen könnte, wonach ein Gericht zu prüfen hat, ob der Einzelfall so liegt, daß ausgeliefert werden muß oder ausgeliefert werden kann. Es sollte nicht das Auswärtige Amt oder gar der Polizeiminister sein, die die letzte Entscheidung treffen. Ich möchte keinen Antrag stellen, aber den Gedanken hier erwähnen, (Dr. Laforet [CSU]: Dem einfachen Gesetzgeber muß man es überlassen.) damit vielleicht in der zweiten Lesung oder wenn man an die gesetzgeberische Verarbeitung der Materie kommt, daran gedacht wird. Es wäre vielleicht nicht schlecht, das auch im Grundgesetz schon festzulegen. Ich lasse über Art. 17 abstimmen. – Art. 17 ist einstimmig angenommen. 26)

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Vgl. besonders die 4. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 23. Sept. 1948 sowie in der 23. Sitzung am 19. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 5/1, Dok. Nr. 5, S. 83–87, bzw. Dok. Nr. 30, S. 611.

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[1.10. ART. 18: WAHLRECHT]

Art. 18 (1) Das Recht zu wählen oder abzustimmen, die Wahlfreiheit sowie das Wahlgeheimnis werden gewährleistet. Wer wahlberechtigt ist, entscheiden Verfassung oder Gesetz. (2) Jede Beschränkung in der Freiheit der Entscheidung bei einer Wahl oder Abstimmung ist verboten. Insbesondere darf durch die Vorschriften über die Wahlvorbereitungen und das Wahlverfahren dem Wähler die Möglichkeit freier Entscheidung zwischen mehreren Kandidaten, Parteien oder Parteigruppen nicht genommen werden. Dr. Eberhard (SPD): Ich melde an, daß ich im Grundsatzausschuß heute nachmittag einen dritten Absatz zur Diskussion stellen werde, einen Absatz, der das Recht auf Freizeit zur Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte und zur Ausübung öffentlicher Ehrenämter27) etwa im Sinne des Gewerkschaftsvorschlages bringt28). Wir haben das bei der Besprechung der Bestimmungen betreffend den Bundestag hier schon einmal erwähnt29) und haben alle das Empfinden gehabt, etwas Derartiges muß aufgenommen werden. Aber ich möchte den Antrag nicht hier stellen, um die Arbeit nicht zu belasten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich darf darauf aufmerksam machen, daß Abs. 2 Satz 1 die Gefahr von Kollisionen mit jetzt geltenden gesetzlichen Bestimmungen zu bergen scheint. Wenn es heißt: „Jede Beschränkung in der Freiheit der Entscheidung bei einer Wahl oder Abstimmung ist verboten“, so bedeutet das, daß es auch verboten ist, die Auswahl der Kandidaten zu beschränken. Mit der Aufstellung der Kandidaten fängt es an. Ich weiß nicht, ob wir da nicht in Konflikt mit einigen gesetzlichen Bestimmungen kommen, die heute noch verbieten, daß bestimmte Personen oder Personengruppen30) überhaupt als Kandidaten aufgestellt werden. (Dr. Strauß [CDU]: In den Übergangsbestimmungen betreffend die Denazifizierung ist es aufrechterhalten31).)32) Ich erinnere mich, daß wir bei der Beratung des Artikels, der sich mit den politischen Parteien befaßt, davon gesprochen haben, daß wir das Verbot des Einparteiensystems nicht aufzunehmen brauchten33), da hier in den Grundrechten einiges 27) 28) 29) 30)

31) 32)

33)

Vgl. die 29. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 4. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 5/1, Dok. Nr. 38, S. 840–843. Für die Eingabe des Gewerkschaftsrates der vereinten Zonen vom Okt. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 5/1, Dok. Nr. 33, S. 726 f., Anm. 31. Zum öffentlichen Ehrenamt vgl. lediglich 7. Sitzung des HptA am 17. Nov. 1948; oben Dok. Nr. 7, TOP 2.1, S. 208 und 216. Die Landeswahlgesetze schlossen durchweg zu diesem Zeitpunkt Personen von der Wählbarkeit aus, die im Sinne der von der Militärregierung erlassenen Rechtsvorschriften, den sogenannten Entnazifizierungsvorschriften belastet waren. Vgl. Art. 146 in der Fassung des Grundgesetzentwurfes des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 18. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 86. Statt „(Dr. Strauß [CDU]: In den Übergangsbestimmungen betreffend die Denazifizierung ist es aufrechterhalten.)“ im stenograph. Wortprot., S. 16a: „(Zuruf: Das gehört in die Übergangsbestimmungen!)“ Vgl. die 6. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und

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vorgesehen sei. Ich weiß nicht, ob das hier genügt, ob wir nicht in der zweiten Lesung bei der Beratung des Parteienartikels doch noch darauf zurückzukommen müssen. Für den demokratischen Charakter einer Wahl ist auch entscheidend, daß zwei voneinander organisch und politisch unabhängige Parteien sich miteinander um die Stimme des Wählers bewerben müssen. Das kommt hier nicht ganz zum Ausdruck. Hier wird ganz auf den Wähler abgestellt, den man nicht verhindern darf, sich frei zu entscheiden. Aber ich glaube nicht, daß dieser Abs. 2 eine sichere Grundlage dafür gibt, daß mindestens zwei Parteien kandidieren müssen und zwar Parteien in der soeben bezeichneten wechselseitigen Unabhängigkeit voneinander. Bei den Grundrechten ist dafür nicht der Platz, sondern wir müssen bei der zweiten Lesung des Art. 21 – dort gehört es, glaube ich, hin – auf diesen Gedanken zurückkommen. Ich lasse über Art. 18 abstimmen. – Der Art. 18 ist angenommen.

[1.11. ART. 19: ZUGANG ZU ÖFFENTLICHEN ÄMTERN]

Art. 19 Jeder Deutsche hat im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen über die Vorbildung und nach seiner charakterlichen Eignung, seiner Befähigung und seinen Leistungen zu jedem öffentlichen Amt gleichen Zugang. Ich lasse abstimmen. – Der Art. 19 ist angenommen.

[1.12. ART. 20: PETITIONSRECHT]

Art. 20 Jeder hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen sowie an die Volksvertretung zu wenden. Das ist der Petitionsartikel. Ich lasse abstimmen. – Der Art. 20 ist angenommen.

[1.13. ART. 21: EINSCHRÄNKUNG DER GRUNDRECHTE]

Art. 21 (1) Soweit nach den Bestimmungen dieses Grundgesetzes ein Grundrecht eingeschränkt werden kann, darf es in seinem Wesensgehalt nicht angetastet werden. (2) Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Art. 6), die Lehrfreiheit (Art. 7), die Versammlungsfreiheit (Art. 8) oder die Vereinigungsfreiheit (Art. 9) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 24. September 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/1, Dok. Nr. 6, S. 167–180.

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Dr. von Mangoldt (CDU): Ich beantrage namens meiner Fraktion, hinter „(Art. 9)“ einzufügen: „das Brief- und Postgeheimnis (Art. 10)“. Ferner bitte ich, den Zusatzantrag des Grundsatzausschusses (PR. 12.48 – 336)34) betreffend Einfügung eines dritten Absatzes in Art. 21 mit zur Beratung zu stellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Abs. 3 soll nach diesem Antrag lauten: Der Gleichheitssatz (Art. 4) sowie die Grundrechte der ungestörten Religionsausübung (Art. 5), der Freizügigkeit (Art. 11), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13) und des Privateigentums (Art. 14 und 15) sind auf Körperschaften und Anstalten mit eigener Rechtspersönlichkeit entsprechend anzuwenden. Dr. Strauß (CDU): Ich möchte vorschlagen, statt „sind entsprechend anzuwenden“ zu sagen: „gelten entsprechend“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das bedeutet also die Anwendbarkeit bestimmter Grundrechte zugunsten juristischer Personen. Dr. von Mangoldt (CDU): Das war nach der Weimarer Verfassung zum Teil umstritten, zum Beispiel für den Gleichheitssatz35). Man hat dann in den Kommentaren zur Weimarer Verfassung gesagt, daß der Gleichheitssatz für juristische Personen über die ihnen angehörenden Individuen entsprechend zur [S. 219] Anwendung kommen könne36). Unumstritten war seine Anwendung auf juristische Personen zum Beispiel bei der Unverletzlichkeit der Wohnung. Bei der Freizügigkeit liegt es ähnlich; denn hier steht das Niederlassungsrecht der gewerblichen Körperschaften in Frage. Deshalb ist diese Vorschrift hineingekommen. Dr. Greve (SPD): Ich bitte zu bedenken, ob es, wenn gesagt wird, der Gleichheitssatz findet auf Körperschaften und Anstalten mit eigener Rechtspersönlichkeit entsprechend Anwendung, möglich sein wird, juristische Personen anders zu besteuern als natürliche Personen. Wir haben zur Zeit eine andere Besteuerung der natürlichen Personen als der juristischen Personen. Ich weiß nicht, ob durch einen solchen Satz diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen würde. Dr. Strauß (CDU): Ich glaube nicht, daß diese Möglichkeit ausgeschlossen wird; denn der Gleichheitssatz bedeutet, Gleiches gleich und Verschiedenes nicht willkürlich verschieden zu behandeln. Der Art. 134 der Weimarer Verfassung37), der von der gleichmäßigen Besteuerung spricht, ist schon bisher so ausgelegt worden, daß eine verschiedene Besteuerung natürlicher Personen und juristischer Personen zulässig ist. Ich sehe hier keine Schwierigkeit. Dr. Greve (SPD): Das war eine andere Formulierung, als wir sie jetzt hier haben. Ich vermag im Augenblick noch nicht meine Zustimmung zu geben. Ich muß mir für die zweite Lesung vorbehalten, nachdem ich das genau durchgeprüft habe, eventuell einen Abänderungsantrag zu stellen. 34)

Für den Wortlaut des Änderungsantrags des Ausschusses für Grundsatzfragen zum Grundrechtskatalog vom 3. Dez. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 36, S. 800, Anm. 24. 35) Für den Wortlaut des Art. 109 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 vgl. unten Dok. Nr. 21, S. 599, Anm. 11. 36) Vgl. dazu auch Anschütz: Verfassung, S. 523. 37) Art. 134 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Alle Staatsbürger ohne Unterschied tragen im Verhältnis ihrer Mittel zu allen öffentlichen Lasten nach Maßgabe der Gesetze bei.“ RGBl. S. 1408.

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Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf darauf hinweisen, daß mit diesen Bedenken bei der Neuformulierung des Gleichheitssatzes gerechnet worden ist. Deshalb gilt für den Gesetzgeber der Gleichheitssatz nicht völlig in der gleichen Weise, sondern Abs. 1 von Art. 4 heißt: „Das Gesetz kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln.“ Gerade dadurch sollte die Möglichkeit offen bleiben, bei verschiedenem Tatbestand eine verschiedene gesetzliche Regelung vorzusehen. Vor dem Gesetz bleibt dann aber jeder gleich. Dr. Strauß (CDU): Der Gleichheitssatz ist mit größter Schärfe bisher bei der Rechtsprechung des höchsten Gerichts der Vereinigten Staaten und des Schweizer Bundesgerichts angewendet worden. Man hat gerade die Unterschiedlichkeit auch bei dieser scharfen Rechtsprechung bejaht. Dr. Greve (SPD): Ob man das auch bei uns machen wird? Dr. Strauß (CDU): Ich sehe wirklich keine Bedenken. Dr. Greve (SPD): Ich behalte mir vor, in der zweiten Lesung nach genauer Prüfung einen Abänderungsantrag zu stellen. Dr. Menzel (SPD): Die analoge Anwendbarkeit müßte doch aus systematischen Gründen vor Art. 21 kommen. (Dr. Strauß [CDU]: Das ist richtig.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Es müßte Art. 20a werden. (Dr. von Mangoldt [CDU]: Art. 20a.) Dann lasse ich zuerst über diesen als Abs. 3 gedacht gewesenen Zusatz abstimmen. – Der Zusatz ist angenommen. Ich schlage vor, diesen Zusatz in Form eines eigenen Artikels aufzunehmen, also als Art. 20a. (Zustimmung.) Nun lasse ich über Art. 21 abstimmen. – Der Art. 21 ist angenommen. Kaufmann (CDU): Ist der Vorschlag, das Brief- und Postgeheimnis (Art. 10) mit aufzunehmen, mit dieser Abstimmung gleichfalls angenommen? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja. Das ist ohne Widerspruch aufgenommen worden.

[2. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT II: ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN, ART. 27a: BEAMTENRECHT]

Es ist nunmehr beantragt, in die Allgemeinen Bestimmungen hinter Art. 27 statt des Art. 20a, der ursprünglich in dem Grundrechtskatalog vorgesehen war, folgende Vorschrift (PR. 12.48 – 336)38) aufzunehmen: Art. 27a Dauernde Aufgaben in Ausübung der öffentlichen Gewalt sind, sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind, in der Regel Berufsbeamten zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis zu ihrem Dienstherrn stehen. Die hergebrachten Grundsätze über die Rechtsstellung der Berufsbeamten bleiben verpflichtendes und beschränkendes Richtmaß.

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Zum Änderungsantrags des Ausschusses für Grundsatzfragen zum Grundrechtskatalog vom 3. Dez. 1948 vgl. oben S. 540, Anm. 27.

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Dr. Menzel (SPD): Ich darf auf eine etwaige Schwierigkeit hinweisen. In Berlin zum Beispiel gibt es keine Berufsbeamten. Wenn eines Tages Berlin hinzukommen würde, kämen wir auch politisch in sehr große Schwierigkeiten. Darauf ist gerade von Berliner Seite hingewiesen worden. Dr. Strauß (CDU): Die Fassung von Satz 1 beruht auf sehr langen Überlegungen im Zuständigkeitsausschuß39). Der zweite Satz ist vom Grundsatzausschuß40) hinzugefügt worden. Wir haben dabei gerade die Frage des deutschen Ostens erwogen und haben bewußt im Hinblick hierauf – Herr Dr. Reif hat an diesen Besprechungen teilgenommen41) – festgestellt, daß diese Vorschrift auch und gerade Anwendung finden soll, wenn die Stadt Berlin und die Länder des gegenwärtigen deutschen Ostens hinzukommen. Dr. Heuss (FDP): Ich wollte genau dasselbe sagen, was Herr Dr. Strauß gesagt hat, daß gerade das, was Herr Dr. Menzel als Sorge zum Ausdruck gebracht hat, mit ein Anlaß gewesen ist, diese Frage hereinzubringen. Es ist erledigt durch das, was Herr Dr. Strauß gesagt hat. Dr. Bergsträsser (SPD): Wir haben als Fraktion im Grundsatzausschuß für diesen Artikel nicht gestimmt und haben uns vorbehalten, die Frage noch einmal nachzuprüfen. Wir behalten uns das für die zweite Lesung vor. Dr. Greve (SPD): Ich möchte bitten, die Beratung und die Beschlußfassung über diesen Artikel auszusetzen, insbesondere wegen der mir nicht präzise genug gefaßten Formulierung in Satz 1. Die Formulierung: „Dauernde Aufgaben in Ausübung der öffentlichen Gewalt sind . . . in der Regel Berufsbeamten zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis42) zu ihrem Dienstherrn stehen“, scheint mir, soweit ich das im Augenblick zu übersehen vermag, zu weitgehend zu sein, auch zu weitgehend für diejenigen, die diese Formulierung angenommen haben. Im übrigen bin ich auch mit dem Nebensatz nicht einverstanden: „sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind“. Es kann durchaus sein, daß nicht nur Ehrenbeamte in den Gesetzen vorgesehen sind, sondern daß auch bei den öffentlichen Dienststellen tätige Personen vorgesehen sind, die in einem anderen Verhältnis zu den Dienststellen stehen, als daß sie als Ehrenbeamte angesprochen werden könnten. Dr. Laforet (CSU): Wir haben uns im Zuständigkeitsausschuß eingehend mit diesem Gegenstand befaßt, und ich bedauere, daß die Kollegen des Zuständigkeitsausschusses von der anderen Seite heute nicht anwesend sind, um selber Stellung nehmen zu können. Die Bedenken des Herrn Dr. Greve sind meiner Ansicht nach deshalb nicht berechtigt, weil es hier heißt: „in der Regel“. In besonderen Fällen kann die Regel durchbrochen werden. Ich gebe zu, daß der letzte Satz: „Die hergebrachten Grundsätze über die Rechtsstellung der Berufsbeamten bleiben verpflichtendes und beschränkendes Richt39)

Vgl. 15. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung vom 17. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 20, S. 588–597. 40) Vgl. 28. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen vom 3. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 36, S. 790–801. 41) Reif war kein ordentliches Mitglied des Ausschusses für Grundsatzfragen; Der Parl. Rat, Bd. 13/1, S. XX. 42) Statt „Treueverhältnis“ im stenograph Wortprot., S. 24: „Verhältnis“.

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maß“ einer Auslegung bedarf. Für die erste Lesung würde [S. 220] ich jedoch glauben, daß man, richtig verstanden, diese Bestimmung billigen kann. Dr. Lehr (CDU): Meine Ausführungen sind durch Herrn Dr. Laforet schon vorweggenommen. Ich würde vorschlagen, daß wir heute doch abstimmen. Schönfelder (SPD): Ich habe schon im Zuständigkeitsausschuß meine sehr starken Bedenken geltend gemacht. Es ist doch sicherlich so, daß die Worte „in der Regel“, wenn sie stehenbleiben, an verschiedenen Stellen große Schwierigkeiten machen können. Ich denke beispielsweise an das große Heer der Fürsorgerinnen, die wohl meistens nicht als Beamtinnen eingestellt sind, aber solche Aufgaben zu erledigen haben. Sollen diese denn in der Regel Beamtinnen werden? Bei uns sind sie in der Regel nicht Beamtinnen. Deshalb sollten wir uns überlegen, ob wir diese Dinge nicht ausschalten können. Das würde sonst in Hamburg eine große Abänderung unserer Praxis bedeuten. Dr. Eberhard (SPD): Ich war zwar nicht im Zuständigkeitsausschuß, aber ich finde in der Fassung des Zuständigkeitsausschusses, daß außer den Ehrenbeamten, die genannt sind, noch in einem Nebensatz gesagt wird: „oder im Hinblick auf die Art der Dienstleistung durch Gesetz etwas anderes bestimmt wird.“ Das bezieht sich auf das, was Herr Dr. Greve gesagt hat. Die Herren des Zuständigkeitsausschusses von der anderen Seite haben vergessen, was der Zuständigkeitsausschuß selber beschlossen hat. Ich möchte deshalb vorschlagen, die Abstimmung auszusetzen und im Fachausschuß noch einmal darüber zu beraten. Dr. Kleindinst (CSU): Wir haben im Zuständigkeitsausschuß gerade die Fälle, die Herr Schönfelder im Auge hat, eingehend erwogen. Es besteht nach der Fassung „in der Regel“ vollkommene Freiheit, Fürsorgerinnen, Kindergärtnerinnen oder andere Gruppen als Angestellte zu verwenden. Dr. Lehr (CDU): Ich ziehe meinen Antrag auf Abstimmung mit Rücksicht darauf zurück, daß eine große Fraktion für die Vertagung ist. Dr. Laforet (CSU): Welcher Ausschuß soll darüber beraten? Dr. Greve (SPD): Ich habe nicht gesagt, daß ein Ausschuß beraten soll. Ich habe nur gebeten, die Beratung und die Beschlußfassung hier auszusetzen, damit wir noch einmal Gelegenheit haben, die Sache zu überprüfen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es besteht allgemeines Einverständnis. Dann wird die Beratung und Beschlußfassung ausgesetzt.

[3. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT XIII: ÜBERGANGS- UND SCHLUSSBESTIMMUNGEN, ART. 139a: BEAMTENRECHT]

Es ist ein Art. 139a beantragt (PR. 12.48 – 336)43): Die Grundsätze des Art. 131 der Weimarer Verfassung44) gelten fort.

43)

Zum Änderungsantrag des Ausschusses für Grundsatzfragen zum Grundrechtskatalog vom 3. Dez. 1948 vgl. oben S. 543, Anm. 34. 44) Art. 131 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Verletzt ein Beamter in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat

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Dr. Strauß (CDU): Ich halte es nicht für zweckmäßig, in den Übergangsbestimmungen eine einzelne Bestimmung oder einen einzelnen Rechtsgedanken der Weimarer Verfassung fortgelten zu lassen. Dann sollten wir diesen Rechtsgedanken übernehmen und in dem Grundgesetz auch wirklich ausdrücken. Dr. Laforet (CSU): Auch dieser Gegenstand ist im Zuständigkeitsausschuß45) eingehend erörtert worden. Unser leitender Gedanke war der einer rechtsstaatlichen Bestimmung. Es soll das vorhandene Recht nicht geändert werden. Aber es soll nachdrücklich betont werden, daß die Amtshaftung eine Folgerung aus dem allgemeinen Rechtsstaatsgedanken ist. Die Fassung ist nicht einfach, weil hier zwei Seiten in Betracht zu ziehen sind, einmal das Verhältnis des Staatsbürgers zum Dienstherrn, dem Hoheitsträger, und zum anderen das Verhältnis des Hoheitsträgers zum Beamten. Ich kann nicht empfehlen, daß ein Teil dieser ganzen Materie, noch dazu durch eine Zitation, hier vorweggenommen wird. Der Zuständigkeitsausschuß wird sich wohl zweckmäßigerweise mit diesem Gegenstand noch einmal befassen müssen46). Von den Herren der anderen Seite, die dem Zuständigkeitsausschuß angehören, ist leider niemand anwesend. Da die Anregung auf den Zuständigkeitsausschuß zurückzuführen ist, bitte ich, daß wir noch einmal, wenn die Herren der anderen Seite die Möglichkeit der Mitarbeit haben, darüber beraten, um die unmögliche Zitation der Weimarer Verfassung zu ändern. Wir werden Ihnen dann einen entsprechenden Vorschlag machen, in den sachlich das aufgenommen ist, was sowohl das bisherige Recht als insbesondere der Art. 131 der Weimarer Verfassung enthält. Dr. von Mangoldt (CDU): Wir standen vor einer etwas schwierigen Frage, als wir diesen Antrag des Zuständigkeitsausschusses zugeschoben bekamen. Es wurde uns zugedacht, diese Vorschrift als Art. 15a aufzunehmen. Der Redaktionsausschuß hat dabei wohl auch etwas die Stirn gerunzelt und diesen Artikel auf den Platz des Art. 20a47), nämlich hinter alle Grundrechte, geschoben, weil er ihm wohl auch nicht in die Grundrechte zu passen schien. Der Ausschuß für Grundsatzfragen hat sich gesagt, daß man den Grundsatz, der in diesem Artikel verkörpert ist, zweifellos nicht unter die Menschen- und Freiheitsrechte rechnen kann; denn gerade im angelsächsischen Recht wird dieser Grundsatz nicht anerkannt. Wir sind nun der Auffassung gewesen, daß, nachdem der Zuständigkeitsausschuß in den Kapiteln, die er bearbeitet hat, für den Artikel keinen Platz hatte finden können, wir ihm nur helfen könnten, wenn wir die Vorschrift nicht einfach zurückschieben. Deshalb haben wir freundlicherweise48) den Vorschlag gemacht, diesen Arti-

45)

46)

47) 48)

oder die Körperschaft, in deren Dienste der Beamte steht. Der Rückgriff gegen den Beamten bleibt vorbehalten. Der ordentliche Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen werden. Die nähere Regelung liegt der zuständigen Gesetzgebung ob.“ RGBl. S. 1408. Vgl. 6. und 8. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung vom 30. Sept. bzw. 6. Okt. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 6, S. 292–297, und Dok. Nr. 9, S. 324, 329. Der Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung hat sich in seiner letzten Sitzung am 7. Dez. 1948 nicht mehr mit der Materie befaßt; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 28, S. 755–772. Vgl. die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 16. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 41. Statt „freundlicherweise“ im stenograph. Wortprot., S. 28: „einmütig“.

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kel an einer Stelle einzuschalten, die bisher noch nicht der Untersuchung durch den Zuständigkeitsausschuß unterlegen hat. Das ging nur in dieser Form. Dr. Heuss (FDP): Herr Dr. von Mangoldt hat die Problematik anschaulich dargestellt. Ich habe, als bei uns49) die Sache zur Beratung kam, genau dieselbe Auffassung vertreten, wie Herr Dr. Strauß sie zum Ausdruck gebracht hat. Wir können nicht gut anfangen, die Weimarer Verfassung zu zitieren, weil die Voraussetzungen, daß man sie noch kaufen kann, nur gering sind. Wir müssen die Geschichte schon in eine Form bringen, daß der Leser des Grundgesetzes weiß, um was es sich handelt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Frage wird sein, wohin man diesen nützlichen, aber störenden50) Artikel stellt. Dr. Laforet (CSU): Ich möchte, da meine verehrten Herren Kollegen im Zuständigkeitsausschuß, die der anderen Seite des Hauses angehören, nicht anwesend sein können, keine verbindliche Erklärung abgeben und diesen Kollegen die Mitarbeit vorbehalten. (Dr. Greve [SPD]: Wozu Mitarbeit, zum Inhalt dieses Artikels?) – Zum Suchen nach der geeigneten Stelle, nachdem der Grundsatzausschuß es mit Recht ablehnt, diese Bestimmung in die Grundrechte aufzunehmen, und zum andern zur Auflösung der Zitierung von Art. 131 der Weimarer Verfassung in eine kurze treffende Fassung. Aber ich möchte bitten, heute die Entscheidung noch nicht zu fällen. Ich weiß, daß mehrere Herren auf Ihrer Seite ein besonderes Interesse daran haben, an dieser Frage, die aus unserem Kreis heraus aufgerollt worden ist, mitzuarbeiten. Dr. Greve (SPD): Es mag durchaus sein, daß einige meiner Fraktionskollegen den Wunsch haben, an dieser Fassung des bisherigen Art. 131 der Weimarer Verfassung mitzuarbeiten. Ich glaube, wir können uns hier schlüssig werden, ob wir den Inhalt dieses Art. 131 auch in das neue Grundgesetz aufnehmen wollen und ob wir ihn in dieser Formulierung aufnehmen wollen, die mir nicht schlecht zu sein scheint. Nachdem Art. 131 durch die höchstrichterliche Rechtsprechung als geltendes Recht anerkannt worden ist, sehe ich keine Veranlassung, eine andere Formulierung zu [S. 221] wählen. Dann bliebe nur übrig, die Stelle in der Verfassung zu bestimmen. Das würde ich bitten, dem Redaktionsausschuß zu überlassen, der einen Einfluß nur insoweit hat, als er uns einen Vorschlag macht, wo das hingehört. Wir können uns das nachher immer noch überlegen51). Dr. Laforet (CSU): Vom Redaktionsausschuß ist ein Art. 20a bereits vorgeschlagen worden, bei dem nur noch strittig ist, ob nicht zur Klarstellung einer Streitfrage aus Art. 131 der Weimarer Verfassung der letzte Satz ergänzt werden muß: „Der ordentliche Rechtsweg darf für den Schadensersatzanspruch und für den Rückgriff nicht ausgeschlossen werden.“ Es besteht keine Erinnerung dagegen, wenn Sie sachlich einverstanden sind, daß der Hauptausschuß das schon festlegt und daß wir den Re49)

Heuss war ordentliches Mitglied im Ausschuß für Grundsatzfragen. „nützlichen, aber störenden“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 29. 51) Im stenograph. Wortprot., S. 30, folgt hiernach der Wortwechsel: „(Dr. Heuss [FDP]: Den Vorschlag haben Sie schon gemacht!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Der liegt aber bei uns nicht vor. (Dr. Heuss [FDP]: Art. 20a, den hat man uns wieder zugeschoben!)“ 50)

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daktionsausschuß bitten, Ihnen die Stellung dieser Bestimmung vorzuschlagen, ob es vielleicht mit den anderen beamtenrechtlichen Bestimmungen zusammengefügt oder ob es in dem letzten Teil der Sammelbestimmungen geregelt wird. Ich habe nichts dagegen, wenn Sie den Wortlaut des Art. 20a in der Fassung des Redaktionsausschusses zugrunde legen: Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff gegen ihn vorbehalten. Der ordentliche Rechtsweg darf für den Schadensersatzanspruch wie für den Rückgriff nicht ausgeschlossen werden. Das wäre der Gedanke, den Herr Dr. Greve soeben in Erwägung gezogen hat. Dr. Greve (SPD): Ich weiß nicht, warum man die Formulierung des Art. 131 überhaupt abändern sollte. Von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit in einer Verfassung zu sprechen, widerstrebt mir eigentlich, da es sich hier um Begriffe und um Rechtssätze handelt, die aus dem bürgerlichen Recht stammen. Wenn wir sagen: „Der Rückgriff gegen den Beamten bleibt vorbehalten“, ist damit meines Erachtens Genüge getan; denn inwieweit bei nur leichter Fahrlässigkeit die Exkulpationsmöglichkeit des Betroffenen gegeben ist, bestimmen die entsprechenden Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, deren Anwendung genügend Möglichkeiten gibt, den Anspruch, falls er überhaupt einmal im Falle einer leichten Fahrlässigkeit geltend gemacht werden sollte, zurückzuweisen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist nicht bürgerliches Recht, das ist in diesem Falle öffentliches Recht. Dr. Laforet (CSU): Entscheidend ist, daß an dem Vorhandenen nichts geändert werden soll, daß aber das vorhandene Recht den Staat in seiner Handlungsfähigkeit und den Beamten insofern schützt, als erklärt wird, daß der Rückgriff nach Maßgabe des heutigen Rechts nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit zulässig sein soll. Wenn Sie Bedenken tragen, schlage ich Ihnen vor, daß wir Ihnen noch einen geschlossenen Beschluß des Zuständigkeitsausschusses vorlegen, bei dem dann vorher die Möglichkeit besteht, die Erwägungen, die jetzt neu hereingekommen sind, die wir selber aber schon eingehend angestellt haben, in Betracht zu ziehen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde es für richtig halten, daß man es dem Ausschuß überläßt, die Materie zu diskutieren und eine Formulierung vorzuschlagen. Ich persönlich trage Bedenken, was den Rückgriff anbelangt, in das Grundgesetz etwas über grobe Fahrlässigkeit usw. hineinzubringen. Dr. Laforet (CSU): Es ist eine grundsätzliche Frage52). Vors. Dr. Schmid (SPD): Soll man das nicht den Beamtengesetzen überlassen? Dr. Laforet (CSU): Es ist ebenso ein Schutz des Staates wie ein Schutz des Beamten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nun frage ich ganz ernst: Warum soll der Beamte bei einfacher Fahrlässigkeit besser dastehen als ein anderer? Dr. Laforet (CSU): Das waren die Erwägungen des Beamtenrechts, indem man sagte, man will seine Entschlußfähigkeit und Entschlußfreudigkeit nicht hemmen; 52)

„Dr. Laforet (CSU): Es ist eine grundsätzliche Frage“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 32.

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was geschieht, wenn man bei jeder Fahrlässigkeit, auch der geringsten, einen Rückgriff zu gewärtigen hat. Das ist eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Ich tue mir [sic!] sehr schwer, weil ich nicht die Möglichkeit habe, daß die Herren in Ihren Reihen, die die gleiche Anschauung haben, heute zu Worte kommen. Aber ich bin völlig damit einverstanden, daß wir diesen Gegenstand im Zuständigkeitsausschuß bei voller Besetzung noch einmal prüfen. Dr. Heuss (FDP): Ist das nicht ein typischer Fall, wo einfach eine protokollarische Feststellung die Motive für den kommenden Gesetzgeber mit enthält? Wir können hier nicht eine teilweise Formulierung des Beamtengesetzes vorwegnehmen. Wir geben die grundsätzliche Geschichte, setzen aber ins Protokoll, was dabei gedacht ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Meinungen eines Ausschusses und sogar des Plenums, die nicht zum Beschluß erhoben werden, sind nicht stärker als geltendes Recht. Das geltende Recht ist stärker. Nach geltendem Recht ist Schadenersatzpflicht auch bei einfacher Fahrlässigkeit gegeben. (Dr. Laforet [CSU]: Aber nicht beim Rückgriff!)53) Man müßte dann besonders durch Gesetz bestimmen, daß es hier anders sein soll. Dr. Laforet (CSU): Nein. Es entspricht dem geltenden Recht, daß der Rückgriff gegen den Beamten nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit möglich ist. Nach außen haftet der Dienstherr für jede Fahrlässigkeit, nach innen ist in allen Beamtengesetzen nachdrücklich der Gedanke vertreten worden (Dr. Greve [SPD]: In einzelnen Fällen ist das zutreffend, aber nicht als Generalklausel.) – Es gilt sowohl nach dem Reichsbeamtenrecht wie nach dem Beamtenrecht vieler Länder. Aber ich bin durchaus damit einverstanden, daß die dankenswerten Anregungen noch einmal in dem vollbesetzten Ausschuß für Zuständigkeitsfragen behandelt werden, damit auch besonders die Herren von der anderen Seite, die heute hier verhindert sind, Gelegenheit haben, ihren Standpunkt darzulegen, der mit dem unseren übrigens übereinstimmt. Dann können wir einen neuen Antrag an den Hauptausschuß stellen. Dr. Greve (SPD): Da ich nicht zu denen gehöre, die mit dem Herrn Kollegen Dr. Laforet in dem Ausschuß dieselbe Auffassung vertreten haben – ich war nämlich nicht Mitglied dieses Ausschusses –, möchte ich doch noch einmal zur Erwägung geben, daß ein Beamter in jedem Falle, falls er nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit regreßpflichtig sein soll, sich ganz anders steht als ein nicht als Beamter anzusehender Angestellter, der an noch so leitender Stelle steht. Dieser ist in jedem Falle für Vorsatz sowie grobe und leichte Fahrlässigkeit regreßpflichtig. Das scheint mir doch eine Differenzierung zu sein, die zumindest recht bedenklich ist. Dr. Menzel (SPD): Ich möchte anregen, daß der Ausschuß noch einmal die Frage prüft, ob diese Pflicht der Beamten auf die Angestellten der öffentlichen Verwaltung ausgedehnt werden kann, nicht so sehr um der Angestellten willen als um des Staatsbürgers willen. Denn die meisten Hoheitsverfügungen werden heute durch Angestellte und nicht durch Beamte erlassen, und für den betroffenen Staatsbürger ist es gleich, ob ihm ein Beamter oder ein Angestellter gegenübersteht; er soll geschützt werden. [S. 222] 53)

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„(Dr. Laforet [CSU]: Aber nicht beim Rückgriff!)“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 33 f.

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Dr. Laforet (CSU): Das ist bereits in allen Erwägungen klargestellt worden. Wenn die Damen und Herren den Vorschlag des Redaktionsausschusses zugrunde legen, werden sie finden, daß dort nicht die Bezeichnung „Beamter“, sondern „jemand“ steht. Wenn der Staat oder ein sonstiger Hoheitsträger seine öffentliche Gewalt durch einen Angestellten ausübt, so ist in den Beamtengesetzen, zum Beispiel im Reichsbeamtengesetz, ausdrücklich klargestellt, daß dann die Haftung genau so besteht wie beim Beamten. (Dr. Greve [SPD]: Jawohl, das ist richtig.) Jetzt kommt die Kehrseite. Es darf auch da – und da bin ich mit dem Kollegen Dr. Greve völlig einig – der Angestellte im Rückgriff nicht schlechter gestellt werden als der Beamte. Nach der Fassung, wie sie auch der Zuständigkeitsausschuß und wie sie der Redaktionsausschuß vorgesehen hat, wird auch dann beim Rückgriff des Dienstherrn gegen den Angestellten die Haftung des Angestellten auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt. Auch das unterliegt bei der Fassung keinem Zweifel. (Dr. Greve [SPD]: Aber in der Rechtsprechung hat es zu Zweifeln Anlaß gegeben.) – Weil die Rechtsprechung hier nicht einheitlich war, hielten wir es für richtig, das ausdrücklich auszusprechen, mit dem Ergebnis, daß der Beamte im Sinne der Amtshaftung in der herkömmlichen, durch die Rechtsprechung und durch die Gesetzgebung festgelegten Bestimmung gleich beurteilt wird, ob es sich jetzt um einen Beamten im Sinne des Verfassungsrechts handelt oder um einen Angestellten, der dem Beamten im Sinne des Beamtenrechts gleichgestellt wird. Die Bedenken, die Sie haben, Herr Kollege Dr. Greve, sind voll berechtigt; es ist ihnen aber schon in der Fassung Rechnung getragen. Ich werde die Herren meines Ausschusses bitten, daß wir das in einer kurzen, von uns selbst gegebenen Zusammenfassung des Gedankens noch besonders hervorheben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, daß damit diese sehr wesentliche Materie mit all der Berücksichtigung, die sie verdient, abgehandelt worden ist. Die endgültige Fassung wird uns wohl der Zuständigkeitsausschuß noch vorschlagen.

[4. BERATUNG DES WEITEREN ARBEITSPROGRAMMS]

Damit sind wir mit dem Abschnitt I mit Ausnahme einiger weniger Rückstellungen fertig; außer der Präambel liegt nichts mehr vor uns. Es wird sich nicht empfehlen, heute schon in die Beratung der Präambel einzutreten; wir sollten sie wohl aus verschiedenen Gründen am Schluß drannehmen. Ich denke, daß sich an die Beratung der Präambel auch eine Debatte über die Probleme anschließen wird, die sich aus der Tatsache ergeben, daß wir ein besetztes Land und nicht in der Lage sind, sich die Souveränität des deutschen Volkes voll auswirken zu lassen. Vielleicht wird dabei auch einiges aus dem Problemkreis des Besatzungsstatuts54) erörtert werden müssen. 54)

Zum Besatzungsstatut vom 10. April 1949 vgl. oben Dok. Nr. 2, Anm. 15. Vgl. zuletzt Dok. Nr. 14, S. 419.

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Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf namens meiner Fraktion ankündigen, daß wir noch einige Anträge über die Stellung der Kirchen zu stellen haben, ferner über die Grundrechte des Schutzes der Ehe und der Familie sowie des Elternrechts. Das soll heute nachmittag im Grundsatzausschuß besprochen werden55) und uns dann in der zweiten Lesung vorliegen. Der Hauptausschuß vertagt sich auf Montag, den 6. Dezember 1948, 14 Uhr. Schluß der Sitzung 10.20 Uhr.

55)

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Vgl. die 29. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am. 4. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 38, S. 805–840

Neunzehnte Sitzung des Hauptausschusses 6. Dezember 1948

Nr. 19

Nr. 19 Neunzehnte Sitzung des Hauptausschusses 6. Dezember 1948 PA 2004. Ungez. von Peschel gefertigtes stenograph. Wortprot. Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 2231) Kurzprot.: –2) Anwesend 3): CDU/CSU: SPD: Schönfelder (stellv. Vorsitzender) FDP: DP: Seebohm KPD: ZENTRUM: Stenographischer Dienst: Peschel Dauer: 16.15–16.17 Uhr

[VERTAGUNG DES HAUPTAUSSCHUSSES]

Die Sitzung wird um 16.15 Uhr durch den Abg. Schönfelder eröffnet. Vors. Schönfelder: Ich erlaube mit, die Sitzung als Alterspräsident zu eröffnen, da der Vorsitzende des Ausschusses4), der Stellvertreter5) und der Schriftführer6) nicht haben erscheinen können. Es wird mitgeteilt, daß in den Straßen teilweise sehr viel Glatteis ist, so daß mit Verhinderungen und Unfällen zu rechnen ist. Außerdem ist die Tagesordnung gar nicht so reichhaltig. Auf der anderen Seite besteht das starke Bedürfnis, daß die Ausschüsse, die vorhin getagt haben, ihre Beratung fortsetzen können. Ich möchte deshalb den Vorschlag, die Sitzung zu vertagen und morgen um 10.30 Uhr wieder zusammenzutreten. Es wird gleichzeitig gebeten, daß der Grundsatzausschuß7), der Organisationsausschuß8) und der Rechtspflegeausschuß9) sofort im Anschluß an diese Vertagung ihre Beratungen wieder aufnehmen. 1)

2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

9)

In der Druckausgabe heißt es lediglich: „Der stellvertretende Vorsitzende, Abgeordneter Schönfelder (SPD), eröffnet die Sitzung um 16.15 Uhr. Der Hauptausschuß vertagt sich auf Dienstag, den 7. Dezember 1948, 10.30 Uhr“. Ein Kurzprot. wurde nicht gefertigt. Eine Anwesendheitsliste liegt nicht vor. Ausweislich des stenograph. Wortprot., S. 1 (vgl. nachfolgende Anm.) waren Schönfelder (SPD) und Seebohm (DP) anwesend. Carlo Schmid. Heinrich von Brentano. Johannes Brockmann. Der Ausschuß für Grundsatzfragen nahm um 16.25 Uhr seine um 10.10 Uhr unterbrochenen Beartungen wieder auf. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 39, S. 854. Der Ausschuß für die Organisation des Bundes nahm um 16.33 Uhr seine um 16.04 Uhr unterbrochenen Beratungen wieder auf. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 37, S. 915. Der Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege nahm um 16.30 Uhr seine

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Nr. 19

Neunzehnte Sitzung des Hauptausschusses 6. Dezember 1948

Es wird das Wort vertagt? Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich nehme an, daß der Ausschuß einverstanden ist. Dann ist die Sitzung vertagt. (Abg. Dr. Seebohm: Und das ausgerechnet von Ihnen Herr Schönfelder!) Schluß der Sitzung 16.17 Uhr.

um 12.48 unterbrochenen Beratungen wieder auf. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 57, S. 1414.

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Zwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 7. Dezember 1948

Nr. 20

Nr. 20 Zwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 7. Dezember 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 223–238. PA 2004. Ungez. von Thöt gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 454 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: von Brentano, de Chapeaurouge, Kaufmann, Laforet, Lehr, von Mangoldt, Weber, Süsterhenn SPD: Eberhard, Greve, Maier, Schmid (Vors.), Schönfelder, Selbert, Wolff, Zimmermann FDP: Dehler, Heuss DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Wessel Abgeordnete ohne Stimmrecht: Bergsträsser (SPD), Löwenthal (SPD), Zinn (SPD) Stenographischer Dienst: Thöt Dauer: 10.42–13.02 Uhr

[1. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT VII: DIE BUNDESREGIERUNG, ART. 90b: NOTSTANDSRECHT]

Vors. Dr. Schmid (SPD):3) Ich schlage vor, daß wir heute vormittag im wesentlichen die Übergangs- und Schlußbestimmungen behandeln, die nun wiederum den Organisationsausschuß passiert haben4), und daß wir vorher noch den zurückgestellten Art. 90b5) erledigen, über den der Organisationsausschuß sich ebenfalls schlüssig geworden ist. Sein Vorschlag zu Art. 90b ist enthalten in der Drucksache PR. 12.48 – 346a bzw. 3896). – Es erhebt sich kein Widerspruch. Ich bitte Herrn Dr. Lehr, darüber ganz kurz zu berichten. 1) 2) 3)

4) 5) 6)

Protokollführer von Viereck; geschrieben von Frau Wistorf; gelesen von Frau Wistorf und Wistorf, Kelz und Zitzewitz. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Im stenograph. Wortprot., S. 1, folgte nach der Eröffnung die Verlesung eines Telegramms von Frau Müller Wehlen aus Hamburg an den Vors. Schmid mit dem Wortlaut: „Ich protestiere schärfstens gegen die vorgeschlagene Benachteiligung der Frau. Millionen Frauen haben bewiesen, daß sie sehr wohl ohne Männer ihre Kinder erziehen und ernähren können. Die Frau hat gezeigt, daß sie bestens wirtschaften kann, insbesondere mit ihrem eigenen Vermögen. Es gibt sogar viele Fälle, wo sie bewiesen hat, daß sie es besser versteht als der Mann. Warum wieder die Benachteiligung der Frau, wo die gleichen Pflichten, insbesondere siehe Steuern. Also nochmals: Ich protestiere im Namen der Frau“. Schmid bemerkte danach: „Ich glaube, wir können das zur Kenntnis nehmen.“ Vgl. die 27. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 6. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 37, S. 921–963. Vgl. dazu oben Dok. Nr. 13, TOP 1, S. 378, und Dok. Nr. 16, TOP 1.1, S. 469. Für den Wortlaut der Drucks. Nr. 389 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 37, S. 920, Anm. 42.

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Nr. 20

Zwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 7. Dezember 1948

Dr. Lehr (CDU): Meine Damen und Herren! Sie werden sich erinnern, daß wir bei den Beratungen über die Vorschläge des Organisationsausschusses auch das Notstandsrecht behandelt haben. Wir sind uns bisher darüber einig gewesen, daß der in Art. 111 vorgesehene technische Notstand vom Organisationsausschuß richtig formuliert ist, und Sie haben dieser Fassung zugestimmt. Nun sind wir uns aber auch darüber klar gewesen, daß neben dem technischen Notstand sowohl ein allgemeiner Staatsnotstand möglich ist, wie er beispielsweise durch Aufruhr oder sonstige Unruhen entstehen kann, als auch vor allem ein Gesetzgebungsnotstand, wenn nämlich ein Minderheitskanzler regiert, dem zwar die auseinanderfallende Mehrheit im Bundestag keine konstruktive Lösung entgegensetzen kann, dem aber diese Mehrheit durch ihre Opposition tatsächlich jede Vorlage der Regierung verhindern oder negativ gestalten kann. Für diesen Fall des Gesetzgebungsnotstandes hatten wir im Organisationsausschuß keine Vorschrift vorgesehen; es war tatsächlich eine Lücke vorhanden. Wir haben uns nunmehr bemüht, diese Lücke auszufüllen, und legen Ihnen heute eine Neufassung des Art. 90b vor. In den vier Absätzen ist der Gesetzgebungsnotstand so eingehend behandelt, daß jede Mißdeutung und insbesondere jeder Anklang an den früheren Art. 48 der Reichsverfassung7) und jeder Mißbrauch ausgeschlossen sind. Ich referiere ganz kurz über die einzelnen Abschnitte. In dem ersten Abschnitt ist vorgesehen, daß, wenn im Falle eines Minderheitskanzlers und einer Opposition, die ihm die Vorlagen planmäßig zerschlägt, eine Auflösung des Bundestags nicht stattfindet und der Bundestag eine von der Bundesregierung als dringlich bezeichnete Gesetzesvorlage ablehnt, die Bundesregierung beim Bundesrat den Antrag stellen kann, für diese Gesetzesvorlage das Bestehen eines Gesetzgebungsnotstandes festzustellen. Das Wesentliche bei dieser Vorschrift ist also, daß es sich um eine von der Bundesregierung als dringlich bezeichnete Gesetzesvorlage handeln muß. Nicht jeder Gesetzesvorschlag ist geeignet, in dieser Form behandelt zu werden, sondern er muß von der Bundesregierung ausdrücklich als vordringlich bezeichnet werden. Das ist die erste Sicherheitsmaßnahme, die eingebaut wird. Die zweite Sicherheitsmaßnahme steht im nächsten Absatz. Wenn nämlich der Bundesrat zustimmt, daß es sich um eine als dringlich anzusehende Gesetzesvorlage der Regierung handelt, dann soll der Bundespräsident entscheiden, ob für diese Gesetzesvorlage der Gesetzgebungsnotstand zu verkünden ist. Damit ist also eine zweite Sicherungsmaßnahme gegen jede willkürliche Handlung eingebaut. Eine dritte Sicherung sieht Abs. 3 vor. Legt die Bundesregierung diese Gesetzesvorlage mit dem Vermerk des Gesetzgebungsnotstandes dem Bundestag erneut vor und lehnt der Bundestag diese Vorlage trotzdem wiederum ab, so gilt die Gesetzesvorlage als angenommen, sobald der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt hat. Es geht also hier die Entscheidung auf den Bundesrat über, aber, wie gesagt, unter den Sicherungen, die ich Ihnen soeben vorgetragen habe.

7)

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Für den Wortlaut des Art. 48 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 9, Anm. 38.

Zwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 7. Dezember 1948

Nr. 20

Das Gesetz gilt nur für die Dauer von 12 Monaten und tritt 12 Monate nach seiner Verkündung automatisch außer Kraft. Damit sind alle erdenklichen Sicherungsvorschriften eingebaut. Zum Schluß ist noch gesagt: Der Bundespräsident kann derselben Bundesregierung den Gesetzgebungsnotstand für einzelne Gesetzesvorlagen nicht für einen längeren Zeitraum als 12 Monate zuerkennen. Wenn Sie den Gesamtvorschlag überblicken, sehen Sie, daß der Gesetzgebungsnotstand die Lücke, die wir bisher hatten, berücksichtigt. Es sind solche Sicherungen eingebaut, daß jede Willkür ausgeschlossen ist und daß die parlamentarischen Spielregeln jederzeit wieder eingreifen können. Im Anschluß an den Art. 90b ist dann von der CDU/CSU vorgeschlagen worden, auch den Art. 90a redaktionell umzugestalten. Diese [S. 224] Umgestaltung betrifft nicht die Materie; die Voraussetzungen, wie sie bisher von uns angenommen worden sind, bleiben bestehen. Die Umgestaltung ist jedoch in der gestrigen Sitzung des Organisationsausschusses von einem Teil des Ausschusses nicht als Erleichterung oder Verbesserung empfunden worden. Da diese Frage gestern abend in der Kürze der Zeit nicht abschließend behandelt werden konnte, hat sich die CDU/ CSU vorbehalten, in der zweiten Lesung noch einmal auf diesen Vorschlag zurückzukommen, heute aber schon dem Art. 90b zuzustimmen. Ich empfehle daher dem Hauptausschuß, dem vom Organisationsausschuß einstimmig angenommenen neuen Art. 90b die Zustimmung zu geben. Dr. Seebohm (DP): Bei der Fassung des Abs. 3 scheint mir nicht eindeutig ausgedrückt zu sein, daß Gesetze, die verfassungsändernd sind, nicht unter den Gesetzgebungsnotstand fallen können. Ich bin der Auffassung, daß verfassungsändernde Gesetze von der Möglichkeit des Gesetzgebungsnotstandes ausgeschlossen sein müssen. Sonst ist zum Beispiel der Fall möglich, für 12 Monate, also ein Jahr lang, bestimmte Artikel der Verfassung außer Kraft zu setzen. Ich bitte deshalb, zu erwägen, ob es nicht notwendig ist, im Abs. 3 hinzufügen: Das gilt nicht für Gesetzesvorlagen, die eine Änderung des Grundgesetzes zum Gegenstand haben. Dr. von Brentano (CDU): Ich unterstütze das, was Herr Kollege Seebohm gesagt hat, und bitte Sie, den Art. 111a in der Fassung des Redaktionsausschusses, Abs. 7 und 8, damit zu vergleichen (PR. 11.48 – 318)8). Es heißt dort: Unter den Voraussetzungen und im Rahmen des Art. 111 Abs. 1 können die Notgesetze auch Grundrechte außer Kraft setzen oder einschränken. Art. 111 Abs. 2 findet Anwendung. Im übrigen dürfen durch Notgesetz Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht geändert, aufgehoben oder durchbrochen werden. Notgesetze zur Feststellung des Haushaltsplanes sind unzulässig. Ich glaube, daß wir diese Formulierung, eventuell angepaßt an die Formulierung des Art. 90a, zumindest diskutieren sollten. Eine Änderung der Verfassung als solcher darf durch Notgesetz in keinem Fall und unter keinen Umständen, auch nicht auf irgendeinem Umweg, erreicht werden. 8)

Für den Wortlaut der Drucks. Nr. 318 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 63–71, hier S. 67.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich hatte es mir so vorgestellt, daß nur „laufende“ Gesetze damit gemeint sind. Ich habe aber gar nichts dagegen, wenn man expressis verbis klarstellt, daß diese Notgesetzgebung sich auf die Erledigung der laufenden Dinge zu beschränken hat. Dr. Lehr (CDU): Ich möchte das auch noch einmal betonen. Wir haben selbstverständlich diesen Fall im Organisationsausschuß auch erörtert und glauben, daß durch die Fassung, in der wir Ihnen die Regelung des Gesetzgebungsnotstandes vorschlagen, klar zum Ausdruck kommt, daß es sich um die Regelung laufender Dinge handelt. Es ist doch für den Gesetzgebungsnotstand wesentlich, daß ein Minderheitskanzler regiert, der aber im Augenblick nicht gestürzt werden kann, und daß eine Opposition die Gesetzgebungswaffe der Regierung lahmlegt. Das bedeutet eben, daß es sich nicht etwa um eine Änderung des Grundgesetzes, der Verfassung handelt, sondern um laufende Geschäfte, die nacheinander präsentiert werden und nicht vorankommen. Das ist der typische Fall des Gesetzgebungsnotstandes, der beseitigt werden soll. Ich persönlich habe aber gar keine Bedenken, klar zum Ausdruck zu bringen, daß eine Änderung des Grundgesetzes nicht unter diese Vorschrift fällt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Vielleicht könnte man einen Abs. 5 anfügen, worin man das entsprechend formuliert. Dr. Lehr (CDU): Wir würden dann die zweite Fassung so formulieren, daß die Nichtanwendbarkeit des Art. 90b auf verfassungsändernde Gesetze klar betont ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Also weder Verfassungsänderung noch Verfassungsdurchlöcherung! (Dr. Lehr [CDU]: Jawohl.) Renner (KPD): Ich habe vor einigen Tagen hier in diesem Gremium einmal den Satz geprägt: Wenn man dem Teufel den kleinen Finger reicht, dann nimmt er die ganze Hand9). Der Ablauf unserer Beratungen beweist, daß, nachdem die SPD der CDU in der Frage Bundesrat entgegengekommen ist, nun die CDU prompt einen Schritt weitergeht und mit der Fassung dieses Artikels ganz klar die Superiorität des Bundesrats gegenüber dem Bundestag statuieren will. Wenn Sie hier auch versichern, daß verfassungsändernde Gesetze von dieser Bestimmung nicht tangiert werden, so ist das eine Frage, die davon abhängig ist, wieviel Wert man Ihnen als Demokraten im kommenden Staat überhaupt konzediert. Ich halte mich für berechtigt, von vornherein auszusprechen, daß Sie gerade diese Bestimmung dazu benutzen werden, die Sondergesetzgebung in dieser Form als Regelfall zu statuieren. In der Formulierung heißt es, daß nur von der Bundesregierung als dringlich bezeichnete Gesetzesvorlagen diese Behandlung erfahren dürfen. Wollen Sie mir nun einmal die Preisfrage lösen: Was ist dringlich? Gibt es dafür eine wirklich faßliche, nicht kautschukartig dehnbare Auslegungsmöglichkeit? Ich bin der Meinung, daß Sie mit der Formulierung „dringlich“ in den von Ihrer Seite angenommenen Gesetzgebungsnotstand effektiv alles hineinpacken können, was Ihnen durch diese Sonderbestimmung unter Ausschaltung des Bundesrats und des Bundestags zu regeln richtig scheint. Ich lehne deshalb den hier vorgeschlagenen Art. 90b ab. 9)

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Vgl. die 11. Sitzung des HptA am 30. Nov. 1948; oben Dok. Nr. 11, S. 322.

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Dr. Lehr (CDU): Herr Kollege Renner, sie haben mich bei Ihren Ausführungen, in denen Sie von dem Teufel sprachen, dem man den kleinen Finger reicht, immer so gewinnend angesehen. (Renner [KPD]: Ich halte Sie nicht gerade für einen Teufel, aber mindestens für einen gefallenen demokratischen Engel! Heiterkeit.) Aber ich darf Ihnen zu Ihrer Beruhigung sagen, daß der erste Vorschlag zu dieser Neufassung diesmal nicht von der CDU/CSU, sondern von der SPD ausgegangen ist. (Zuruf von der CDU: Das wird ihn gar nicht beruhigen! Renner [KPD]: Da sitzen dann eben auch gefallene demokratische Engel!) Nun zu Ihrer Frage: Was ist dringlich? Das wird sich im Einzelfall aus der Vorlage ergeben. (Renner [KPD]: Wieso? Aus welcher Vorlage?) – Wenn eine Regierungsvorlage kommt, so muß ja geprüft werden, ob sie wirklich dringlich ist. (Renner [KPD]: Wer prüft? Der Bundespräsident?) – Das steht hier. Erstens muß die Bundesregierung selber die Vorlage als dringlich ansehen. (Renner [KPD]: Das macht keine Schwierigkeiten!) – Das mag sein. Zweitens macht es keine Schwierigkeiten, daß der Bundesrat diese Vorlage ebenfalls prüft. (Renner [KPD]: Das geht ganz glatt.) Drittens kann der Bundespräsident die Vorlage prüfen. (Renner [KPD]: Den haben Sie auch in der Tasche!) Und schließlich, wenn irgendwelche Zweifel entstehen, schwebt über dem Ganzen das unparteiische Verfassungsgericht, das jede Streitfrage aus diesem Artikel entscheidet. (Renner [KPD]: Das ist die Krönung des Witzes, den Sie eben gemacht haben!) – Das ist wesentlich anders als bei Ihnen im Osten. (Renner [KPD]: Das ist die Krönung! Das überparteiliche, unparteiische oberste Bundesverfassungsgericht!) [S. 225] Vors. Dr. Schmid (SPD):10) Ich stelle den Art. 90b zur Abstimmung. Er lautet: (1) Findet im Fall des Art. 90a eine Auflösung des Bundestags nicht statt und lehnt der Bundestag eine von der Bundesregierung als dringlich bezeichnete Gesetzesvorlage ab, so kann die Bundesregierung beim Bundesrat den Antrag stellen, für diese Gesetzesvorlage das Bestehen eines Gesetzgebungsnotstandes festzustellen. (2) Stimmt der Bundesrat zu, so entscheidet der Bundespräsident, ob für diese Gesetzesvorlage der Gesetzgebungsnotstand zu verkünden ist. (3) Legt die Bundesregierung diese Gesetzesvorlage mit dem Vermerk des Gesetzgebungsnotstandes dem Bundestag erneut vor und lehnt der Bundestag sie wiederum ab, so gilt die Gesetzesvorlage als angenommen, sobald der Bun10)

N ach dem stenograph. Wortprot., S. 9, beginnt Schmid seinen Wortbeitrag mit der Bemerkung: „Ist der Dialog nun beendet?“

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desrat dem Gesetz zugestimmt hat. Das Gesetz tritt spätestens 12 Monate nach seiner Verkündung außer Kraft. (4) Der Bundespräsident kann derselben Bundesregierung den Gesetzgebungsnotstand für einzelne Gesetzesvorlagen nicht für einen längeren Zeitraum als 12 Monate zuerkennen. Außerdem stelle ich fest, daß Einverständnis darüber besteht, in zweiter Lesung einen Abs. 5 einzuführen, in dem zum Ausdruck gebracht wird, daß dieses Notgesetz nur erlassen werden kann zur Erledigung laufender Angelegenheiten, daß insbesondere auf diesem Wege weder eine Verfassungsänderung noch eine Verfassungsdurchbrechung erfolgen kann. Ich lasse abstimmen. – Art. 90b ist in der verlesenen Fassung gegen 1 Stimme angenommen. Dr. Lehr (CDU): Darf ich mir zur Geschäftsordnung noch den Hinweis gestatten, daß die Neufassung des Art. 90a durch den Organisationsausschuß dem Hauptausschuß für die zweite Lesung vorbehalten bleibt.

[2. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT XIII: ÜBERGANGS- UND SCHLUSSBESTIMMUNGEN] [2.1. ART. 138a: GELTUNGSBEREICH DES GRUNDGESETZES]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir nehmen das zur Kenntnis. Dann schlage ich vor, zum nächsten Punkt der Tagesordnung überzugehen, nämlich zu Abschnitt XIII Übergangs- und Schlußbestimmungen. Wir haben eine Vorlage bekommen, die der Organisationsausschuß am 6. Dezember ausgearbeitet hat (PR. 12.48 – 346 bzw. 389). Ich schlage vor, daß wir sie zur Grundlage unserer heutigen Beratungen machen. – Es besteht Einverständnis. Ich rufe auf Art. 138a (1) Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiet der Länder Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. (2) Jeder andere Teil Deutschlands kann durch Bundesgesetz in den Bund eingegliedert werden. Ich eröffne die Aussprache. Dr. Seebohm (DP): Ich habe Bedenken gegen die Fassung des Abs. 2, obwohl über diesen Absatz ja sicherlich im Organisationsausschuß sehr viel hin- und herverhandelt worden ist. Meine Bedenken richten sich gegen das Wort „eingegliedert“. Nach meiner Auffassung kommt die unabdingbare Kontinuität des gesamtdeutschen Staates dadurch nicht so zum Ausdruck, wie es mit Rücksicht auf die gesamte politische Entwicklung in den einzelnen Teilen Deutschlands notwendig ist. Ich möchte deshalb den Antrag stellen, den Abs. 2 zu ersetzen durch folgende Fassung: Das Grundgesetz kann jederzeit durch einfaches Bundesgesetz für jeden Teil Deutschlands in Kraft gesetzt werden, wenn es dem Willen der Bevölkerung dieses Teiles entspricht.

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Damit würde also der Begriff der Eingliederung wegfallen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich verstehe Sie gut. An sich gefällt mir diese Fassung. Denn es kommt darin zum Ausdruck, daß es sich bei einem Zuwachs rechtlich nur um eine Erweiterung des Anwendungsgebietes des Grundgesetzes handelt, also um eine Verbreiterung der Ebene, auf der die neugeschaffene Organisation sich aktualisieren kann; und es wird damit der Eindruck vermieden, als würde hier etwas ausgebaut, als würde aufgestockt, als würde territorial am Rechtszustand Deutschlands etwas geändert. Das aber ist nicht der Fall und sollte auch nicht der Fall sein. Dr. Dehler (FDP): Der Organisationsausschuß hat ganz bewußt diese Fassung nicht auf die Zustimmung der Bevölkerung eines anderen Gebietes abgestellt. Ich brauche vielleicht den politischen Grund nicht weiter darzulegen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist eine andere Frage! Dr. Dehler (FDP): Man hat die Ansicht vertreten, daß es Situationen geben kann, in denen der Wille des Bundes auch gegen den Willen eines Teiles des bis jetzt nicht befreiten Deutschlands zur Wirkung kommen muß. Darum würde ich empfehlen, es zunächst doch bei dieser Fassung zu belassen. Dr. Lehr (CDU): Ich möchte auch bitten, es für diese Lesung bei der jetzigen Fassung zu belassen, weil die Bedenken, die Herr Dr. Dehler eben erwähnt hat, sehr schwerwiegender politischer Art sind. Wir wollten es im Organisationsausschuß bewußt darauf abstellen, daß durch einfaches Bundesgesetz jeder andere Teil Deutschlands eingegliedert werden kann. Wir wissen um den Zusammenhang des Ganzen, der, nicht durch unser Verschulden, im Augenblick wesentlich gestört ist, und wir wollen die Wiedervereinigung so einfach wie möglich gestalten. Ich bitte Sie deshalb sehr, für diese Lesung die jetzige Fassung anzunehmen und eventuelle Bedenken dann noch einmal in engerem Kreise zu erörtern. Dr. Seebohm (DP): Wenn die Herren nach eingehenden Beratungen zu der Auffassung gekommen sind, daß diese politischen Gründe maßgebend sein müssen, dann würde ich doch empfehlen, folgende Fassung meines Vorschlags anzunehmen: Dieses Grundgesetz kann jederzeit durch einfaches Bundesgesetz für jeden Teil Deutschlands in Kraft gesetzt werden. Ich möchte den Begriff der Eingliederung jedenfalls vermeiden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Gesichtspunkt ist ganz richtig. Dr. von Mangoldt (CDU): Aus den gleichen Gründen, die von den Herren Dr. Dehler und Dr. Lehr angeführt wurden, hat seinerzeit schon der Grundsatzausschuß diese Formulierung vorgeschlagen. Ich brauche deshalb hier keine weiteren Ausführungen zu machen. Renner (KPD): Ich möchte mir nur eine Frage erlauben, und zwar angeregt durch die Formulierung von Herrn Dr. Dehler: „eventuell auch gegen den Willen der Bevölkerung dieses Teiles Deutschlands“. Wie stellt man sich das eigentlich praktisch vor? Dr. Dehler (FDP): Es ist vorstellbar, daß in einem Lande eine Gruppe herrscht, die diesen Anschlußwillen nicht hat. Trotzdem halten wir es dann für unsere vaterländische Pflicht, einen solchen Beschluß zu fassen. Renner (KPD): Sie haben aber nicht von einer Gruppe gesprochen, sondern Sie haben davon gesprochen, daß das gegen den Willen des Volkes geschehen soll. (Widerspruch und Zurufe.)

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– Jawohl, ich habe mir das genau notiert: gegen den Willen des Volkes. Sie haben ja auch nicht einmal die [S. 226] Absicht, dieses Ihr angeblich im Auftrag des deutschen Volkes ausgearbeitetes Grundgesetz oder die Verfassung der Entscheidung unseres eigenen Volkes hier im Westen zu unterwerfen. Auch darüber haben Sie sich bisher noch nicht bindend ausgelassen. Schönfelder (SPD): Es kann Situationen geben, in denen der Wille des Volkes gar nicht festgestellt werden kann.11) Deshalb heißt es: gegen den Willen des Volkes, das heißt ohne zu wissen, ob das Volk es will oder nicht, nämlich, wenn es im deutschen Interesse liegt. (Renner [KPD]: Komische Demokratie! Dr. Lehr [CDU]: Ja, das ist auch sehr komisch! Heiterkeit.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Abs. 1 abstimmen. – Angenommen. Ich nehme an, daß der Herr Abgeordnete Renner dagegen gestimmt hat, auch wenn er die Hand nicht erhoben hat. Renner (KPD): Nein, nein! Wie kann ich dagegen stimmen? Ich bin mir darüber klar, daß im Augenblick nur dieses Ihr Grundgesetz gelten kann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie haben sich also der Stimme enthalten? (Renner [KPD]: In diesem Fall ja!) Für Abs. 2 liegen zwei Fassungen vor. Ich glaube, inhaltlich ist dasselbe gemeint. Es handelt sich um Formulierungsfragen. Der Herr Abgeordnete Seebohm hat seinen Antrag nunmehr dahin geändert: Dieses Grundgesetz kann jederzeit durch einfaches Bundesgesetz für jeden Teil Deutschlands in Kraft gesetzt werden. Sollte es nicht heißen: „für jeden anderen Teil Deutschlands“? (Dr. Seebohm [DP]: Das kann man auch sagen!) – Ich glaube, das wäre richtiger. Dann lasse ich zunächst über diesen Änderungsantrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 12 gegen 7 Stimmen angenommen. Renner (KPD): Eine Stimmenthaltung, um zu kennzeichnen, daß ich in der ganzen Geschichte nur eine Schaumschlägerei erblicke! (Heiterkeit.)

[2.2. ART. 138b: STAATSANGEHÖRIGKEIT]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe auf

Art. 138b (1) Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. 12. 1937 Aufnahme gefunden hat.

11)

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Das stenograph. Wortprot., S. 13, fügt hier den Zwischenruf von Renner ein: „(Renner [KPD]: Aha!)“

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Ich würde vorschlagen, daß man die Monate im Text des Grundgesetzes ausschreibt und nicht in Ziffern wiedergibt. (2) Frühere deutsche Staatsangehörige, denen in der Zeit zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf ihren Antrag wieder einzubürgern. Ich eröffne die Aussprache. Renner (KPD): Darf ich mir eine Frage zu Abs. 2 erlauben. Diese Bestimmung würde bedeuten, daß zum Beispiel ich, dem man in der Hitlerzeit die Staatsangehörigkeit abgesprochen hat, jetzt noch nötig hätte, einen Antrag einzureichen, damit man mir die deutsche Staatsangehörigkeit wieder zubilligt. Ist das wirklich Ihre Absicht? Vors. Dr. Schmid (SPD): Meine ist es nicht, Herr Abgeordneter Renner. Ich habe in dem kleinen Ländchen, in dem ich eine Zeitlang die Verantwortung zu tragen hatte12), jedermann, der ausgebürgert war, sofort wieder die Ausweispapiere aushändigen lassen, deren er bedarf, um sich als Deutscher zu legitimieren. Aber diese Dinge sind nicht überall gleich geregelt. Sie wissen, daß die Alliierten, also die vier Besatzungsmächte, sich das Recht vorbehalten haben, die deutsche Staatsangehörigkeit zu verleihen, das heißt, auch Wiedereinbürgerungen vorzunehmen. Aus diesem Grunde scheint es mir, um eine klare legale Grundlage zu schaffen, nötig zu sein, eine Bestimmung dieser Art aufzunehmen. Dr. Eberhard (SPD): Der Grundsatzausschuß hat dazu einen Absatz formuliert, der dem Rechnung trägt. Dort wird die Einbürgerung allerdings nur auf Antrag vorgesehen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil manche, die ausgebürgert worden sind, keinen Wert mehr auf die Wiedereinbürgerung legen und weil sie, wenn wir sie automatisch wieder hereinnähmen, in ihrem jetzigen Aufenthaltsort nur Schwierigkeiten bekämen. Die Formulierung des Grundsatzausschusses ist dem Hauptausschuß zugeleitet. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Staatsangehörigkeit gibt ja auch gewisse Pflichten, und nicht jeder will sich diesen Pflichten wieder unterwerfen. Deshalb muß man ihn schon fragen, ob er will oder nicht. Dr. Seebohm (DP): Ich wollte auf Abs. 1 zurückkommen: Es steht hier ausdrücklich: „wer . . . als Flüchtling deutscher Volkszugehörigkeit . . . Aufnahme gefunden hat“. Ich möchte doch darauf aufmerksam machen, daß wir nicht übersehen können, ob insbesondere die noch im Gebiet der Tschechoslowakei zurückgebliebenen Deutschen nicht nach dem angegebenen Zeitpunkt noch Aufnahme finden werden. Deshalb möchte ich die Frage stellen, warum man die Bestimmung zeitlich begrenzt hat und ob es nicht möglich ist, eine Fassung zu wählen, die diesen Menschen, wenn sie kommen, dieselben Rechte zugesteht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, dem ist Rechnung getragen, Herr Dr. Seebohm, von dem Moment an, in dem sie Aufnahme gefunden haben; auch in der Zukunft. Dr. Seebohm (DP): Das ist also als Perfektum gedacht?

12)

Schmid war in Württemberg-Baden 1946 Präs. des Staatssekretariats und Staatssekretär für Justiz und seit 1947 Justizminister und stellv. Staatspräs.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Jawohl, man könnte das als ein futurum exactum nehmen, wenn man wollte. Nur klingt es nicht sehr schön. Dr. Seebohm (DP): Ich wollte nur ausdrücklich festgestellt haben, daß die Bestimmung so gemeint ist, daß jeder Angehörige deutscher Volkszugehörigkeit, der auch in Zukunft als Vertriebener zu uns kommt, diese Staatsangehörigkeit erwirbt. Renner (KPD): Ich stelle nur eins fest: Wenn der Abs. 2 in der jetzigen Formulierung in die Verfassung hineingearbeitet wird, dann sind alle diejenigen Ausgebürgerten, mindestens in der britischen Zone, die nach 1945 aus den Zuchthäusern, aus den KZ’s und aus dem Ausland zurückgekommen sind, im Augenblick staatenlos. Wir hatten es in der britischen Zone nicht notwendig, uns als anerkannte Opfer des faschistischen Regimes mit diesem Problem überhaupt zu beschäftigen, weil meines Wissens diese Lücke durch eine Anordnung der britischen Militärregierung ausgefüllt worden ist. Wenn dem so ist – und ich bitte, mich aufzuklären, falls ich mich in der Frage irren sollte –, dann sehe ich nicht ein, daß ein anerkannter politisch Verfolgter heute noch, drei oder vier Jahre nach dem Zusammenbruch des nazistischen Regimes, verpflichtet werden soll, einen Antrag auf Wiedergewährung der deutschen Staatsangehörigkeit zu stellen. Mindestens für diesen Personenkreis muß meines Erachtens eine Ausnahme gemacht werden. Wenn das nämlich nicht geschieht, ist das eine Verunglimpfung des gesamten Personenkreises der anerkannten politisch Verfolgten und Opfer des Faschismus. [S. 227] Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, das ist in den verschiedenen Zonen verschieden geregelt. Ich kenne die Verhältnisse der britischen Zone nicht. In der amerikanischen Zone jedenfalls ist es anders und in der französischen Zone auch. Wenn dort anders verfahren wurde, wurde bewußt gegen die Anordnungen der Besatzungsmacht verfahren. Aber wir können das ja nicht als Dauerzustand belassen, wir brauchen irgendwann eine legale Grundlage. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich glaube, die Anfrage von Herrn Kollegen Renner ist verhältnismäßig einfach zu beantworten. Wenn zu irgendeiner Zeit jemand schon das Wahlrecht und die Wählbarkeit verliehen bekommen hat, so ist es damit ganz klar, daß ihm die Staatsangehörigkeit nicht mehr abgesprochen wird. Dann braucht er nicht noch einmal wieder eingebürgert zu werden. Ich glaube, Herr Kollege Renner wird hinsichtlich seiner selbst nicht der Auffassung sein, daß ihm durch diese Bestimmung die vorgenommene Einbürgerung wieder aberkannt werden soll. Die Bestimmung ist also so auszulegen, daß denjenigen, die noch außerhalb stehen und die den Wunsch haben, wieder eingebürgert zu werden, nun diese Möglichkeit gegeben werden soll. Dr. Seebohm (DP): Sollte man nicht, um dem Wunsch von Herrn Renner Rechnung zu tragen, einen Unterschied machen zwischen denjenigen Ausgebürgerten, die ihren Wohnsitz inzwischen wieder in Deutschland genommen haben, und denen, die das bisher noch nicht wieder getan haben oder tun konnten? Wenn man einen solchen Unterschied machen könnte, würde das Bedenken von Herrn Renner ausgeräumt sein. Wir wollen aber doch vor allen Dingen nicht diejenigen, die sich jetzt in einem anderen Land befinden und dort dessen Staatsangehörigkeit erworben haben, durch eine solche Bestimmung automatisch wieder in den deutschen Staatsverband eingliedern, wenn sie das selbst nicht wollen.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Auch das geht nicht, Herr Dr. Seebohm. Ich kenne persönlich eine Reihe solcher Ausgebürgerter, die inzwischen eine andere Staatsangehörigkeit erworben haben und die nach Deutschland zurückgekommen sind, nicht als Besatzungsgefolge, sondern als Privatpersonen, und wieder hier ihren Wohnsitz genommen haben. Diese Leute legen aus Gründen, die ich nicht zu beurteilen habe, keinen Wert darauf, wieder die deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten. Wir können diese Leute nicht zwangsweise, nicht automatisch wieder zu Deutschen machen. Daher dieser Antrag! Dr. Greve (SPD): Ich kann mich den Ausführungen von Herrn Renner nicht ganz verschließen. Ich glaube, wir kommen um diese Klippe herum, wenn wir einen Nachsatz einfügen, der etwa so zu lauten hätte: „.. . soweit die Wiedereinbürgerung bei Inkrafttreten dieses Gesetzes nicht bereits erfolgt ist“, nämlich auf andere Art und Weise, durch Kontrollratsbestimmung oder durch entsprechende landesgesetzliche Regelung. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Man könnte dem Bedenken von Herrn Renner dadurch entsprechen, daß man hinter den Worten „entzogen worden ist“ einfügt: „und sie noch nicht wieder erworben haben“. Dann ist jeder Zweifel ausgeschlossen. Renner (KPD): Damit, daß man uns das Wahlrecht gegeben hat, ist meines Erachtens noch keineswegs hundertprozentig gesichert, daß uns auch die deutsche Staatszugehörigkeit zurückgegeben ist. Verstehen Sie, es ist doch eine geradezu ungeheuerliche Zumutung für unseren Personenkreis! Vors. Dr. Schmid (SPD): Jedermann in diesem Raum ist mit Ihnen einig. Renner (KPD): Dann helfen Sie doch die Lücke ausfüllen! Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube nur nicht, daß Ihr Bedenken eine praktische Grundlage hat. Es ist, glaube ich, nur theoretischer Art. Schönfelder (SPD): In der britischen Zone gilt doch die Verordnung der Militärregierung – ich weiß nicht, ob das in den anderen Zonen auch so ist –, wonach ausgesprochene Nazigesetze ungültig geworden sind13). Damit ist auch die Exmittierung ungültig geworden und nach meiner Überzeugung die Wiedereinbürgerung vollzogen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist falsch. Schönfelder (SPD): Wer inzwischen eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat, hat auf seinen Antrag die deutsche Staatsangehörigkeit wiedererlangt. Dr. von Brentano (CDU): Ich glaube, wir rennen offene Türen ein. Was wir wollen, ist doch ganz klar. Aber ich glaube, Herr Kollege Renner versteht auch den Sinn nicht richtig. Es ist doch eine Selbstverständlichkeit, daß wir wieder eine legale Grundlage haben müssen, um zu wissen, wer Deutscher ist und wer nicht. Dabei müssen wir uns doch nach dem Willen der Beteiligten richten. Wir können ja hier in Bonn nicht ein Gesetz machen und sagen: Wer jetzt Amerikaner ist, wird nach unserem Grundgesetz wieder Deutscher. Ich glaube, dafür würde die Welt wenig Verständnis haben. Wir müssen es auf den Willen der Ausgebürgerten abstellen, ob sie wieder Deutsche werden wollen oder nicht. Anders können wir es nicht ma13)

Kontrollratsgesetz Nr. 1 betreffend die Aufhebung von NS-Recht vom 20. Sept. 1945; Amtsblatt des Kontrollrats Nr. 1 vom 29. Okt. 1945, S. 6 ff.

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chen, wenn wir feststellen wollen, wer diesem deutschen Staatsverband angehören will oder nicht. Es gibt meines Erachtens gar keine andere Lösung. Wenn Kollege Renner einen anderen Vorschlag machen kann, der durchführbar ist, bin ich bereit, dabei mitzuwirken. Renner (KPD): Aus dem Gedankengang des Kollegen Brentano ist eines irrig: Wir haben ja nicht auf unsere Staatsangehörigkeit verzichtet! Ein politischer Emigrant hat ja nicht daran gedacht, auf seine deutsche Staatsangehörigkeit zu verzichten. Wir haben uns auch in der Emigration vielleicht mehr als Deutsche gefühlt, als mancher Deutsche hier im Lande als Deutscher gehandelt und sich als Deutscher gefühlt hat. Aber die Ungeheuerlichkeit, die uns zugemutet wird, besteht doch darin, daß jetzt ausdrücklich gesagt wird: auf Antrag. Das setzt doch voraus, daß ich meinen Namen unter irgendeinen Antrag schreiben und bitten muß, daß man mir die deutsche Staatsangehörigkeit wieder zubilligt. Das ist doch eine geradezu ungeheuerliche Zumutung an unseren Personenkreis. Und, Herr Kollege Schönfelder, es ist leider auch nicht so, daß die Zulassung zum Wahlrecht, also zum allgemeinen aktiven und passiven Wahlrecht, bereits die Zuerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit beinhaltet. Mein Freund Hugo Paul, der im Anfang ja auch in diesem Hohen Hause geweilt hat14), hat bei den letzten Kommunalwahlen in Düsseldorf15) erlebt, daß sein Name aus der Wahlliste gestrichen war. Er geht der Geschichte nach, und es wird ihm die Begründung gegeben: Sie besitzen nicht mehr die deutsche Staatsbürgereigenschaft! Dabei war er Minister16), hat Ministertätigkeit ausgeübt und ist Landtagsabgeordneter. Aber irgendein Beamter des städtischen Wahlbüros in Düsseldorf erlaubt sich, ihm gegenüber zu erklären: Sie haben nicht das Recht, sich an der Wahl zu beteiligen, weil Sie ausgebürgert sind! Das ist der Beweis dafür, Herr Kollege Schönfelder, daß an und für sich die Einräumung des aktiven und passiven Wahlrechts noch nicht die Rückgabe der deutschen Staatsbürgereigenschaft beinhaltet17). Vors. Dr. Schmid (SPD): Man könnte den Bedenken des Kollegen Renner vielleicht dadurch Rechnung tragen, daß man hinter „einzubürgern“ ein Komma setzt und fortfährt: „insoweit ihnen die Staatsbürgerrechte nicht auf andere Weise zurückgegeben worden sind.“ (Zustimmung.) Dann könnte man ja die verschiedenerlei Arten, in denen diese Rückgabe der staatsbürgerlichen Rechte [S. 228] stattgefunden hat, feststellen – meinetwegen bei Ihnen den Umstand, daß Sie kurzerhand in die Wahlliste aufgenommen worden sind oder daß Sie einfach sich wieder als deutscher Staatsbürger geriert haben. Ich für meinen Teil würde das als eine genügende Legitimation ansehen. Das wäre also dieses „auf andere Weise“. Zinn (SPD): Auch das wird nicht gehen. Wenn nämlich die Einbürgerung schon „auf andere Weise“ erfolgt ist, braucht man sie nicht zu erwähnen; denn dann ist 14)

Der Abg. Paul (KPD) schied am 6. Okt. 1948 aus dem Parl. Rates aus. Nachrücker war Renner. 15) Die Kommunalwahlen bzw. Ratswahlen in Düsseldorf fanden am 17. Okt. 1948 statt. 16) Paul war 1946–1948 Minister für Wiederaufbau in Nordrhein-Westfalen. 17) Zur Sache vgl. auch unten Dok. Nr. 51, S. 1636.

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der Betreffende ja eingebürgert, dann besitzt er ja die deutsche Staatsangehörigkeit. Richtig ist, daß durch die Verleihung des Wahlrechts noch keine Verleihung der Staatsangehörigkeit erfolgt. Aber Sie können es gar nicht anders machen, als es in dieser Fassung geschehen ist. Man muß die Regelung der Frage im einzelnen der Gesetzgebung vorbehalten. Es hängt von der Vorentscheidung des Betroffenen oder daran Interessierten ab. Ich will das an einem Beispiel erklären. In Belgien leben heute noch eine ganze Reihe rassisch und politisch verfolgter Deutscher, die ausgebürgert worden sind. Sie gelten als staatenlos. Die belgische Regierung hat irrigerweise, nachdem durch Kontrollratsgesetz das deutsche Reichsbürgergesetz für nichtig erklärt worden war18), angenommen, daß diese ausgebürgerten, rassisch und politisch verfolgten und durch die Ausbürgerung staatenlos gewordenen Deutschen nun wieder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, und sie hat infolgedessen ihr inzwischen im Ausland erworbenes Vermögen als Feindvermögen beschlagnahmt. Darauf ein großer Hilfeschrei dieser im Ausland Lebenden, die mit Recht darauf hingewiesen haben, daß sie staatenlos sind und daß es ihrer freien Entscheidung im Einzelfall überlassen bleiben müsse, welche Staatsangehörigkeit sie erwerben wollen. Da haben Sie ein praktisches Beispiel dafür, daß Sie es von der Entscheidung im konkreten Einzelfall abhängig machen müssen. Sonst bestrafen Sie die Betroffenen unter Umständen doppelt: sie sind von den Nazis geschädigt worden und müssen nachher obendrein noch für das haften, woran sie keinerlei Schuld tragen19). Dr. Dehler (FDP):20) Ich halte das Wort „Einbürgerung“ nicht für sehr glücklich. Es ist das Gegenstück zu dem häßlichen Naziwort „Ausbürgerung“ und trifft auch den Sachverhalt nicht ganz. Herr Renner, der die Ausbürgerung nicht anerkannt hat, hat ein Recht auf die Feststellung, daß seine Ausbürgerung zu Unrecht erfolgt ist. Ich würde deshalb bitten, anders zu formulieren und zu sagen: „Sie können die Feststellung beantragen, daß sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren haben.“ Zinn (SPD): Das geht juristisch nicht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das kann man nicht gut machen, so behandelt zu werden als ob. Das meinen Sie doch? Aber das geht nicht. Renner (KPD): Ich bin nicht Jurist. Ich kann nicht dafür garantieren, daß mein Antrag nicht auf juristische Bedenken stößt. Aber kann man die Sache nicht von der anderen Seite anpacken? Kann man nicht sagen, daß nur diejenigen, denen die Staatsbürgerschaft abgesprochen worden ist und die heute geltend machen, daß sie sie nicht wieder haben wollen, als ausgebürgert gelten? 18)

Das Reichbürgergesetz vom 16. Sept. 1935 (RGBl. I, S. 1146) wurde mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 1 betreffend die Aufhebung von NS-Recht vom 20. Sept. 1945 außer Kraft gesetzt. Zum Kontrollratsgesetz vgl. oben S. 565, Anm. 13. 19) Das stenograph. Wortprot., S. 23, fügt hier ein: „Dr. Lehr (CDU): Sachlich wollte ich mich nach diesen Ausführungen nicht wiederholen. Ich beantrage Schluß der Debatte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag auf Schluß der Debatte gestellt. Ich lasse darüber abstimmen. Wer für Schluß der Debatte ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. – Gegenprobe! – Gegen 2 Stimmen angenommen.“ 20) N ach dem stenograph. Wortprot., S. 23, beginnt Dehler seine Wortmeldung mit dem Ausruf „Zur Geschäftsordnung“.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Kollege Renner! Dann kann folgender Fall vorkommen, und der wird tausendfach vorkommen, daß Leute, die diese Bestimmung nicht kennen oder die es einfach versäumen, einen entsprechenden Schritt zu unternehmen, plötzlich an ihrer deutschen Staatsangehörigkeit gepackt werden und daraus recht schwere Nachteile erleiden. Renner (KPD): Ich will Ihnen nur sagen: Sie kriegen wegen dieser Formulierung einen Sturm im Lande, der Ihnen sehr unangenehm sein wird; das sage ich Ihnen ganz offen. Und dieser Sturm geht durch alle Lager! Vors. Dr. Schmid (SPD): Da Ihnen, Herr Kollege Renner, die Absicht der Verfasser dieser Formulierung bekannt ist, werden Sie ja diesen Sturm, falls er sich im Lande erheben sollte, durch Aufklärung beschwichtigen können. Renner (KPD): Es ist eine ungeheuere Zumutung, die man uns da macht! Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen zunächst über Abs. 1. – Angenommen. Abs. 2. – Gegen 1 Stimme angenommen. Zu diesem Abs. 2 ist folgender Zusatzantrag gestellt: „. . . soweit ihnen die Staatsbürgerrechte nicht in anderer Weise zurückgegeben worden sind.“ Ich lasse über diesen Zusatzantrag abstimmen. – Mit 15 Stimmen bei Enthaltungen angenommen. Man wird sich die Formulierung dieses Zusatzes bis zur zweiten Lesung vielleicht noch überlegen können; er ist ein bißchen aus dem Konzept formuliert. Art. 138c entfällt.

[2.3. ART. 138d: BEGINN DER GESETZGEBUNG]

Art. 138d (1) Vom Tage des Zusammentritts des Bundestags an steht die Gesetzgebung ausschließlich den in diesem Grundgesetz anerkannten gesetzgebenden Gewalten zu. (2) Gesetzgebende und bei der Gesetzgebung beratend mitwirkende Körperschaften, deren Zuständigkeit nach Abs. 1 endet, sind mit diesem Zeitpunkt aufgelöst. Dabei ist wohl in erster Linie an den Wirtschaftsrat und an die übrigen im Zusammenhang damit stehenden Körperschaften gedacht. Dr. Seebohm (DP): Es ist doch wohl klar, daß damit nicht Landtage gemeint sind? Dr. von Brentano (CDU): Nein, die sind durch die Verfassung anerkannt. Dr. Seebohm (DP): Nicht überall! Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube kaum, daß uns jemand die Tücke zutraut in einem Artikel der Schlußbestimmungen die Länderverfassungen aufheben zu wollen. Wir stimmen über Art. 138d ab. – Einstimmig angenommen.

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[2.4. ART. 139 UND 139a BIS 139c: RECHTSETZUNG VOR GRÜNDUNG DER BUNDESREPUBLIK]

Art. 139 Recht aus der Zeit vor dem in Art. 138d festgelegten Zeitpunkt gilt fort, soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht. Ich lasse abstimmen. – Einstimmig angenommen. Art. 139a Recht, das Gegenstände der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes (Art. 35 und 122a) betrifft, wird innerhalb seines Geltungsbereichs Bundesrecht. Ich lasse abstimmen. – Einstimmig angenommen. Art. 139b Recht, das Gegenstände der Vorranggesetzgebung des Bundes (Art. 36 und 122a) betrifft, wird innerhalb seines Geltungsbereichs und im Rahmen des Art. 36 Bundesrecht, 1. soweit es innerhalb einer oder mehrerer Besatzungszonen einheitlich gilt, 2. soweit es sich um Recht handelt, durch das nach dem 8. Mai 1945 früheres Reichsrecht abgeändert worden ist. Ich lasse abstimmen. – Gegen 1 Stimme angenommen. Art. 139c Die Bundesregierung kann mit Zustimmung der beteiligten Landesregierungen Recht der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, soweit es nach Art. 139a oder b als Bundesrecht fortgilt, nach Verkündung dieses Grundgesetzes in den [S. 229] Ländern Rheinland-Pfalz, Baden und Württemberg-Hohenzollern in Kraft setzen. Ich lasse abstimmen. – Gegen 1 Stimme angenommen.

[2.5. ART. 139d: EINSCHRÄNKUNG DES GRUNDRECHTS DER FREIZÜGIGKEIT]

Art. 139d Gesetze, welche das Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11) einschränken, bleiben bis auf weiteres zulässig. Die volle Freizügigkeit gemäß Art. 11 kann durch Bundesgesetz wieder hergestellt werden. Dr. Lehr (CDU): Bei Art. 138b ist ein Irrtum vorgekommen. Es muß dort im Obersatz heißen: „. . . wird innerhalb seines Geltungsbereichs und im Rahmen des Art. 36 und 122a Bundesrecht.“ Das ist hier versehentlich herausgelassen worden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja, das ist ein Schreibfehler. Es muß also heißen: „. . . wird innerhalb seines Geltungsbereichs und im Rahmen der Art. 36 und 122a Bundesrecht.“ Ich glaube, wir können das trotz erfolgter Abstimmung ohne weiteres korrigieren, es handelt sich um eine reine Schreibfehlerkorrektur. Dr. Seebohm (DP): Zu Art. 139d behalte ich mir für die zweite Lesung noch Anträge vor21). 21)

Ein Antrag Seebohms war bei der 2. Lesung in der 39. Sitzung des HptA am 14. Jan. 1949 nicht erfolgt. Vgl. unten Dok. Nr. 39. Vgl. dazu jedoch unten Dok. Nr. 44, S. 1392 f.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir nehmen das zur Kenntnis. Renner (KPD): Ich mache das auch für mich geltend22). Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich über Art. 139d abstimmen. – Gegen 2 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung angenommen. Seitens der Kollegen Dr. Seebohm und Renner sind Anträge für die zweite Lesung vorbehalten worden.

[2.6. ART. 140: ENTSCHEIDUNG DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS BEI MEINUNGSVERSCHIEDENHEITEN]

Art. 140 (1) Meinungsverschiedenheiten über die Vereinbarkeit des im Art. 139 bezeichneten Rechts mit diesem Grundgesetz sowie über die Fortgeltung von Recht als Bundesrecht gemäß den Vorschriften in Art. 139a und 139b entscheidet das Bundesverfassungsgericht. (2) Die Entscheidung ist im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich glaube, daß es sich empfiehlt, die Behandlung dieses Artikels heute auszusetzen, um dem Rechtspflegeausschuß die Möglichkeit zu geben, eine Entscheidung dahin vorzuschlagen, daß diese Meinungsverschiedenheiten nicht durch das Bundesverfassungsgericht, sondern durch das Oberste Bundesgericht erledigt werden. Dr. Lehr (CDU): Ich bitte doch darum, diesen wohldurchberatenen Artikel heute zu verabschieden. Eventuell kann ja ein Änderungsantrag noch zur zweiten Lesung vorgelegt werden. Für heute bitte ich aber, darauf zu verzichten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Keine weiteren Wortmeldungen? – Dann lasse ich abstimmen. – Gegen 1 Stimme angenommen.

[2.7. ART. 138d: RECHTSVORSCHRIFTEN]

Art. 141 (1) Soweit in Rechtsvorschriften, die als Bundesrecht fortgelten eine Ermächtigung zum Erlassen von Rechtsverordnungen oder allgemeinen Verwaltungsvorschriften sowie zur Vornahme von Verwaltungsakten enthalten ist, geht sie auf die nunmehr zuständigen Stellen über. In Zweifelsfällen entscheidet die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Bundesrat; die Entscheidung ist zu veröffentlichen. (2) Soweit in Rechtsvorschriften, die als Landesrecht fortgelten, eine solche Ermächtigung enthalten ist, wird sie von den nach Landesrecht zuständigen Stellen ausgeübt. (3) Abs. 1 und 2 gelten entsprechend, soweit in Rechtsvorschriften auf nicht mehr geltende Vorschriften oder nicht mehr bestehende Einrichtungen verwiesen ist. 22)

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Zur Haltung Renners bei der 2. Lesung des späteren Art. 138c-3 in der 39. Sitzung des HptA am 14. Jan. 1949 vgl. unten Dok. Nr. 39, TOP 1.4, S. 1194 und 1196.

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Ich lasse über den Artikel im ganzen abstimmen. – Gegen 1 Stimme angenommen. Art. 142 entfällt.

[2.8. ART. 143a: VERWALTUNG UND RECHTSPFLEGE IN DEN LÄNDERN]

Art. 143a (1) Verwaltungsorgane, Behörden und sonstige der öffentlichen Verwaltung oder Rechtspflege dienende Einrichtungen, die nicht auf Landesrecht oder Staatsverträgen zwischen Ländern beruhen, unterstehen der Bundesregierung (bzw. dem zuständigen Bundesminister). Diese (bzw. dieser) regelt mit Zustimmung des Bundesrats die Auflösung, Abwicklung oder Überführung. (2) Die Dienststrafgewalt über die Angehörigen der genannten Verwaltungen wird von dem zuständigen Bundesminister, im Zweifel von dem Bundesinnenminister ausgeübt. (3) Nicht landesunmittelbare und nicht auf Staatsverträgen zwischen den Ländern beruhende Selbstverwaltungen unterstehen der Aufsicht der zuständigen obersten Bundesbehörden. Dr. Seebohm (DP): Ich möchte zunächst rein redaktionell doch bitten, diese beiden „bzw.“ zu streichen. Ich glaube, es genügt, wenn die Klammer dahinter steht. Das ist eindeutig. (Zustimmung.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Wäre es nicht besser, einfach zu sagen: „. . . unterstehen der Bundesregierung oder dem zuständigen Bundesminister“? Aus diesem „oder“ ergibt sich ja die sachliche Zuordnung. (Zustimmung.) Die Klammer würde ich auflösen und sagen: „.. . oder dem zuständigen Bundesminister“. Ich würde dann fortfahren: „Diese regeln mit Zustimmung des Bundesrats die Auflösung, Abwicklung oder Überführung.“ Man könnte auch, um jeden Zweifel auszuschließen, sagen: „Diese regeln innerhalb ihrer Zuständigkeit mit Zustimmung“ usw. Ich glaube, dann werden wir wirklich keinen Zweifel bekommen. (Zustimmung.) Dr. Greve (SPD): Der Bundesinnenminister wird ja auch in Zukunft „Bundesminister des Inneren“ heißen! Vors. Dr. Schmid (SPD): Das kann man noch ändern. Ist dieser Zusatz angenommen, also die Auflösung der Klammer und die Einfügung von „oder“? – Ich stelle Ihre Zustimmung fest. – Dann lasse ich über das Ganze abstimmen. – Art. 143a ist bei Stimmenthaltung des Abgeordneten Renner angenommen. Art. 143b entfällt.

[2.9. ART. 143c: ABWICKLUNG ZONALER UND BIZONALER BEHÖRDEN]

Zu Art. 143c wird Herr Dr. Lehr Bericht erstatten. Dr. Lehr (CDU): Wir haben hier eine der entscheidendsten Bestimmungen dieses Abschnitts, die Gegenstand eingehender Beratung im Organisationsausschuß, und

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zwar zu wiederholten Malen, gewesen ist. Der Organisationsausschuß hat zunächst in seiner Sitzung vom 27. Oktober23) für Art. 143c folgende Fassung vorgesehen: Bei der Abwicklung der bizonalen und zonalen Behörden kann die Bundesregierung von den Bestimmungen des Beamtenrechts abweichen. Diese Befugnis endet 6 Monate nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes. Bei nochmaliger Überprüfung hat der Allgemeine Redaktionsausschuß seinen Vorschlag in die Form des Ihnen vorgelegten Art. 143c gekleidet, in welchem es heißt, daß Angehörige der in Art. 143a bezeichneten Stellen, die sich in einem Rechtsverhältnis nach dem Deutschen Beamtengesetz vom 26. Januar 193724) befinden, mit allen sich aus diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen Beamte auf Widerruf werden. Es soll [S. 230] jedoch § 30 Abs. 2 des Deutschen Beamtengesetzes keine Anwendung finden. Diese grundlegenden Bestimmungen haben wir in unserer gestrigen Sitzung erneut beraten25). Die Meinungen gingen hier erheblich auseinander, und zwar handelt es sich um eine grundlegende Frage unseres Beamtenrechts. Auf der anderen Seite stehen wir im Augenblick vor der Notwendigkeit, den geänderten Verhältnissen dadurch Rechnung zu tragen, daß ein wesentlicher Abbau im gesamten Bereich des deutschen Behördenwaldes vorgenommen werden muß. Es war nun die Frage, ob man diese notwendigen Veränderungen vornehmen soll im Wege einer Sondergesetzgebung oder mit den bisher gültigen Gesetzen, also entweder im Rahmen des Ihnen hier vorliegenden Vorschlags 1), den Art. 143c zu streichen, oder des Vorschlags 2), der bei der Abwicklung der bizonalen und zonalen Behörden die Bundesregierung ermächtigt, von den Bestimmungen des Beamtenrechts abzuweichen, und zwar für 6 Monate. Für die erste Variante, die Streichung, wurde geltend gemacht, daß das bisherige Beamtenrecht ausreicht, um in so schwerwiegenden Fällen wie der Auflösung ganzer Körperschaften und Organisationen entsprechend abzubauen. Unser bisheriges Beamtenrecht sieht vor, daß man in solchen Fällen des Abbaues einer Behörde oder der Überleitung auf eine andere Behörde berechtigt ist, sowohl die Beamten aus ihren bisherigen Stellungen in den Wartestand zu versetzen als auch sie in einem anderen Dienstbereich gleichwertiger Art, aber selbst unter verringerten Bezügen, tätig werden zu lassen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, daß man bei älteren Beamten, die an die Pensionierungsgrenze herankommen, im Wege der Vereinbarung eine vorzeitige Pensionierung vornimmt oder andere Abmachungen mit ihnen trifft. Endlich wurde von den Befürwortern dieser Auffassung geltend gemacht, daß es sich ja in erster Linie um einen Abbau der bestehenden Organisationen handelt, daß ganze Aufgabengruppen nach Möglichkeit wegfallen sollen, daß die Verwaltung wieder auf Ihre ureigensten Gebiete zurückgeführt werden soll und daß alles, was sich in der Zwischenzeit im Wege der Zwangswirtschaft, der 23)

Vgl. die 18. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes; Der Parl. Rat. Bd. 13/1, Dok. Nr. 23, S. 679. 24) Deutschen Beamtengesetz vom 26. Jan. 1937; RGBl. I, S. 39. 25) Vgl. die 27. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 6. Dez. 1948; Der Parl. Rat. Bd. 13/2, Dok. Nr. 37, S. 936–949.

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Planwirtschaft und aller Bewirtschaftungsvorschriften angehäuft hat, allmählich wieder planmäßig verschwinden soll. Es handelt sich bei diesen Vorschlägen nicht so sehr um einzelne typische Fragen des Beamtenrechts, in bezug auf die diese Vorschriften vorgeschlagen worden sind, sondern vielmehr um staatspolitische Notwendigkeiten, um staatspolitische Interessen. Es wurde ferner in dieser Beziehung darauf hingewiesen, daß bei dem Abbau, den wir beispielsweise bei den bizonalen Behörden in Frankfurt in Zukunft vornehmen müssen, der Kreis derjenigen, die auf Lebenszeit angestellt sind und infolgedessen mit ihren Rechten in einen Widerspruch zu den Abbaunotwendigkeiten geraten, verhältnismäßig klein sei und daß es im staatspolitischen Interesse nicht richtig sei, in einem Augenblick, in dem man neues Recht und eine neue Verfassung schafft, sofort mit einer Beseitigung von Rechten für einen bestimmten Kreis zu beginnen, mit einem Gewaltakt, indem man die Gelegenheit einer schöpferischen Gesetzgebung benutzt, um bestehende Rechte von denjenigen Teilen der Bevölkerung fortzunehmen, welche gerade für den Wiederaufbau eines in seinen Grundfesten erschütterten Staates eine feste Säule darstellen. Das sind im wesentlichen die Auffassungen gewesen, die dazu geführt haben, daß ein Teil der Mitglieder des Organisationsausschusses sowohl die Streichung der ursprünglichen Fassung des Art. 143c vorgenommen wissen will, als auch die Vorschläge des Allgemeinen Redaktionsausschusses26) ablehnt. Diese Frage müßte allerdings jetzt hier eingehend erörtert werden. Dr. Seebohm (DP): Es ist ja klar – und das geht auch aus der Fassung hervor –, daß man einen Unterschied machen muß zwischen den Beamten der bizonalen Stellen und den Beamten der zonalen Stellen. Die zonalen Stellen innerhalb der britischen Zone waren ja in keiner Weise als deutsche Stellen anzusehen, sondern waren ausführende Organe der Militärregierungen. Durch den Zonenhaushalt, über den kein deutsches Parlament irgendeine Bestimmung treffen konnte und der auch in keiner Weise von irgendeiner deutschen demokratischen Körperschaft zu genehmigen war, sind eine ganze Reihe von Verbeamtungen erfolgt; diese Verbeamtungen sind zweiffellos nicht auf Grund deutschen Beamtenrechts erfolgt. Ich bin deshalb der Auffassung, daß man einen absoluten Unterschied machen muß zwischen zonalen und bizonalen Stellen. Bei den bizonalen Stellen schließe ich mich allerdings den Gründen an, die Herr Lehr hier vorgetragen hat. Ich bin darüber hinaus der Auffassung, daß wir hier auch an Rechte der Berufsbeamten denken müssen, die vor dem 5. Mai27) 1945 in ein Beamtenverhältnis berufen worden sind und dann wider ihren Willen ausscheiden mußten, ohne bisher wieder eine Verwendung gefunden zu haben, unter Einschluß auch der Wehrmachtbeamten, der ehemaligen Berufssoldaten sowie der Hinterbliebenen dieser Personengruppen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube kaum, daß das der richtige Ort im System unserer Beratungen ist, diese Frage jetzt anzuschneiden.

26)

Vgl. die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu den Formulierungen der Fachausschüsse vom 18. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 85. 27) Statt „5.“ im stenograph. Wortprot., S. 34: „8.“

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Dr. Seebohm (DP): Ich wollte nur darauf hinweisen, daß wir einen Antrag gestellt hatten, diese Materie noch in einem besonderen Artikel zu regeln. Bisher habe ich nicht gefunden, daß er irgendwo aufgenommen worden ist.27a) Vors. Dr. Schmid (SPD): Aber ich glaube doch, daß hier nicht der richtige Ort ist. Dr. Seebohm (DP): Es gehört nicht direkt in diesen Artikel hinein, höchstens in einen besonderen Artikel im Anschluß daran. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß diese Angelegenheit geregelt werden muß und daß dazu ein Antrag von uns vorliegt. Schönfelder (SPD): Herr Dr. Lehr hat völlig recht, daß es jetzt an der Zeit und auch unsere Aufgabe ist, die Frage der Beamten und des Beamtenrechts aufzurollen. Auch wir stehen auf dem Standpunkt, daß ein geschlossenes Beamtentum in einem Staat vorhanden sein muß und daß auch ein besonderes Beamtenrecht Geltung haben muß, wobei man sich überlegen kann, wie man zukünftig die Verhältnisse der Beamten und Angestellten miteinander in Einklang bringt. Das mag eine Aufgabe für die Zukunft sein. Worauf es hier ankommt, ist – und das war der Wunsch derjenigen, die diese Bestimmung haben wollten –, daß die neue Bundesregierung jede Möglichkeit hat, sich einen besonderen Beamtenstab zu schaffen und, wenn hier und da Hindernisse bestehen sollten, die das Beamtenrecht schafft, dann nicht gezwungen ist, aus diesen Gründen von vernünftigen Maßnahmen abzusehen. Genau so erschien es ja auch beim Währungsgesetz28) notwendig, gewisse Ausnahmebestimmungen gelten zu lassen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Wir wollen ja hoffen, daß in Frankfurt heute so viele tüchtige Beamte vorhanden sind, daß es gar nicht nötig ist, tüchtige Angestellte in großem Ausmaße zu entlassen um Beamte, die nichts weiter aufzuweisen haben als ihr wohlerworbenes Recht im Dienst zu behalten. Um diese Möglichkeit zu schaffen, haben wir beantragt, die Bestimmung des Art. 143c, wie sie zunächst vorgeschlagen war, bestehen zu lassen. Wenn man der zukünftigen Bundesregierung diese Möglichkeit gibt, so ist damit ja noch nicht gesagt, daß sie von dieser Möglichkeit auch unbedingt und weitgehend Gebrauch machen muß. Wir glauben aber, daß wir die Aufgabe haben, der zukünftigen Bundesregierung so viel Freiheit zu gestatten, wie mit den vorhandenen Rechten nur irgendwie möglich ist. Dr. Lehr (CDU): Ich bitte, jetzt einmal nicht als Berichterstatter, sondern für meine Fraktion sprechen zu dürfen. In dieser Frage handelt es sich, wie ich vorhin auch als Berichterstatter schon betont habe, in erster Linie um staatspolitische Notwendigkeiten. Es ist richtig, wie Herr Schönfelder gesagt hat, daß hier die [S. 231] Möglichkeit gegeben wird, weitgehende Änderungen vorzunehmen. Aber diese Möglichkeit ist so weitgehend, daß jeder Ungerechtigkeit und jeder Gewalttätigkeit Tür und Tor geöffnet ist29). Um daher jeglichen Mißbrauch von vornherein zu vermeiden, möchten wir uns aus staatspolitischen Gründen auf das jetzige Recht beschränken. Ich würde Ihren Bedenken ohne weiteres nachgeben, wenn das bisherige Recht nicht ausreichen würde. Aber was wir hier wollen, ist lediglich Freiheit des Handelns, um einen nicht mehr notwendigen Apparat auf das unserer gegenwärtigen Armut ent27a 28) )

Vgl. unten Dok. 22, S. 659, mit Anm. 54. Zum Währungsgesetz vom 20. Juni 1948 vgl. oben Dok. Nr. 16, S. 489, Anm. 28. 29) Im stenograph. Wortprot., S. 36, folgt danach: „(Widerspruch links)“. 28)

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sprechende Maß zurückzuführen. Dazu aber reichen die bestehenden Gesetze aus. Wir wollen einen tüchtigen, fachlich gut vorgebildeten und in Treue zum Staat erzogenen Beamtenkörper, den wir aber in der Stunde der Geburt einer neuen Verfassung nicht benachteiligen wollen mit einer klaren Aufhebung seiner bisherigen Rechte. Denn der Art. 143c, der vorsieht, daß die Beamten alle Beamte auf Widerruf werden, bedeutet, daß sie mit diesem Augenblick rechtlos werden. Sie verlieren alle ihre bisherigen Ansprüche und können jederzeit beseitigt werden. (Schönfelder [SPD]: Das steht nicht drin!) – Das ist aber die Konsequenz, wenn man Beamte auf Widerruf ernennt. Was wollen wir denn? Wir wollen den jetzt bestehenden Apparat nicht nur verringern, sondern wir wollen darüber hinaus die einzelnen neuen Behörden koordinieren, also auch noch eine verwaltungstechnische Veränderung vornehmen. Das können wir aber auch mit den bisherigen Vorschriften, wie ich es vorhin als Berichterstatter dargelegt habe, ohne weiteres und ohne daß wir dazu ein neues und noch dazu so weitgehendes Ausnahmerecht brauchen. Ich darf bei dieser Gelegenheit auch noch eins sagen. Es handelt sich ja im wesentlichen um die bizonalen Verwaltungen in Frankfurt. Es herrschen übertriebene Vorstellungen über den Umfang des Beamtenkörpers, denen ich einmal nachgegangen bin. Innerhalb der dortigen Organisation, also Wirtschaftsrat, Länderrat, Verwaltungsrat, Personalrat, Rechtsamt, Verwaltung für Wirtschaft, Verwaltung für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Verwaltung für Finanzen, Verwaltung für Verkehr und Verwaltung für Arbeit, befinden sich insgesamt 2496 Tätige, von denen aber 1687 Angestellte sind und nur 809 Beamte. Von den 809 Planstellen für Beamte waren Ende September nur rund 300 wirklich mit Beamten besetzt, in denen sämtliche Beamte vom Amtsgehilfen bis zum Direktor enthalten sind; die sogenannten höheren Beamten machen etwa die Hälfte der Planstellen aus. Es handelt sich also um nur einige hundert Leute, und ich möchte dringend davor warnen, wegen einiger hundert Leute eine so weitgehende Aufhebung von Rechten unseres ganzen Beamtenkörpers vorzunehmen. Um zum Schluß jedes Mißverständnis zu beseitigen, betone ich noch einmal, daß auch meine Freunde durchaus für den notwendigen Abbau sind, für den Abbau des Überflüssigen und des Untüchtigen, aber im Rahmen der bestehenden Gesetze und nicht mit Hilfe eines Gewaltaktes. Zimmermann (SPD): Wir haben schon im Organisationsausschuß nachdrücklich zum Ausdruck gebracht, daß dieser Art. 143c weder gegen noch für die Beamten Stellung nimmt, sondern lediglich die Absicht verfolgt, dem Bund von vornherein freies Handeln zu gewährleisten in der Auswahl derjenigen Beamten, die in die Bundesverwaltung übernommen werden sollen. Es handelt sich ja nicht darum, jetzt ein Anti-Beamtengesetz zu schaffen, das ist völlig abwegig, sondern wir wollen einfach den Bund nicht mit einer Hypothek personeller Art belasten, die nach unserer Auffassung nicht verantwortet werden könnte. Der Bund muß die Möglichkeit haben, bei der Übernahme dieser Personen eine Leistungsauslese vorzunehmen. Gerade wir legen den allergrößten Wert darauf, nicht einen Beamtenstaat zu schaffen, sondern einen Leistungsstaat. Je höher die Leistung des Beamten ist, um so besser wird die Staatsapparatur funktionieren. Der Beamte soll ja nicht Gehaltsempfänger sein und soll seinen Dienst nicht in der sogenannten Ochsentour

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ablaufen lassen, er soll sich durch Leistung auszeichnen. Je mehr er sich durch Leistung auszeichnet, desto mehr wird er die dienerische Rolle im Staat erfüllen. Er soll Diener des Staates und nicht sein Herrscher sein in seiner Stellung zum Staat, zu den Organen und zu den Gewalten des Staates. Wir wollen also, um es ganz kurz zu sagen, auch die Möglichkeit des Abbaus geben und wollen den Abbau nicht verriegeln. Es ist sehr peinlich gewesen, zu hören, daß vor dem 1. November oder zum 1. November viele Beamte beim Wirtschaftsrat in Frankfurt das Erdenklichste getan hatten, um rasch noch irgendwie in eine Stelle einzurücken oder gar noch befördert zu werden. Es ist sehr peinlich, daß diese Beamten nicht im Vertrauen auf sich selbst und auf ihre Leistung ihre Beamtenstellung erreicht haben, sondern in der Sorge, sie könnten infolge ihrer minderen Leistung vom Bund nicht übernommen werden. Das ist ein Vorgang, der als höchst bedauerlich bezeichnet werden muß. Renner (KPD): Und mit welcher Hilfe haben sie es fertiggebracht? Ich meine, welche politischen Nothelfer haben da mitgearbeitet? Zimmermann (SPD): Ich bin nicht imstande, Herr Renner, Ihnen darauf irgendeine positive Antwort zu geben; ich kenne die nicht30). Aber wir haben doch in den Ländern Reichsaufgaben übernommen, und durch die Übernahme dieser Reichsaufgaben mußten die Länder für die Erledigung dieser Arbeiten auch Reichsbeamte übernehmen. Wenn nun diese ehemaligen Reichsaufgaben wieder auf den Bund zurückgehen, dann muß ja der Bund sich mit diesen Beamten auch irgendwie beschäftigen oder sie in seinen Apparat einbauen. Es werden infolgedessen eine Unmenge Beamte an den Bund zurückgehen. Bei der Leistungsschwäche unserer ganzen Wirtschaft und des Steuerzahlers ist es aber eine Verpflichtung, das Sparen nicht nur im Munde zu führen, sondern das Sparen auch in jeder Sparte der Staatsverwaltung evident werden zu lassen. Bevor wir dem Steuerzahler die Mark abnehmen, müssen wir daran denken, daß er diese Mark erst verdienen muß. Von dieser Vorstellung aus müssen wir auch bereits in der Verfassung das Erdenklichste tun, damit der Bund nicht durch personelle Lasten besonders in Mitleidenschaft gezogen wird oder eine Hypothek übernehmen muß, die wir ihm gar nicht auferlegen dürfen. Ich möchte also kurz noch einmal sagen, daß wir in der Stipulierung des Art. 143c keine Spitze gegen das Beamtentum erblicken und damit auch nicht irgendwie etwas gegen das Beamtentum gesagt haben wollen. Wir wollen lediglich dem Bund die Möglichkeit geben in der Auswahl seiner Beamten größte Freiheit zu haben, und wollen ihm nur jenes Maß der eigenen Bewertung sichern, das bei der Überleitung dieser Beamten aus der bizonalen Verwaltung unter allen Umständen zuerkannt werden muß. Dr. Schmid (SPD): Die verschiedenen Versuche, Deutschland auf Länderebene zu organisieren – und auch, was wir hier tun, ist ja nichts anderes als ein weiterer vorläufiger Versuch nach dieser Richtung –, schaffen eine Reihe von juristischen Problemen, die sehr schwer zu lösen sein werden. Ich möchte hier nicht von Staatensukzessionsproblemen sprechen, aber es wird Probleme ähnlicher Art geben. Und ich glaube, um endlose Kontroversen und Prozesse abzuschneiden, sollten wir 30)

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Im stenograph. Wortprot., S. 39, folgt danach: „(Zuruf des Abg. Renner.)“.

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eine klare Rechtsgrundlage schaffen, die uns die Möglichkeit gibt, das Notwendige auch wirklich durchzuführen. Nun haben Sie, Herr Kollege Dr. Lehr, gesagt, daß auf Grund des bestehenden Beamtenrechts das Notwendige getan werden könnte. Es ist sicher, daß die geltenden Beamtengesetze eine Reihe von Möglichkeiten vorsehen. Sie sehen aber auch eine Reihe von Bestimmungen vor, die es im Einzelfall sehr schwer machen werden, das Notwendige zu tun. Wir erinnern uns doch wohl alle noch der Zeit von Weimar, als immer wieder vortreffliche Gutachten von [S. 232] Sparkommissaren vorgelegt wurden und als sich dann zeigte, daß man die in diesen Gutachten enthaltenen Vorschläge nicht realisieren konnte, weil im Einzelfall die wohlerworbenen Rechte des Beamtentums und der einzelnen Beamten dagegenstanden. So blieben diese Spargutachten weitgehend Projekte und konnten nicht verwirklicht werden. Ich fürchte, daß es uns ähnlich gehen könnte, wenn wir uns darauf verließen, auf Grund des geltenden Beamtengesetzes das Erforderliche tun zu können. Ich glaube, daß niemand an diesem Tische ist, der nicht wie ich, davon überzeugt ist, daß in dieser Hinsicht einiges wird getan werden müssen und daß man das Beamtenkorps von Frankfurt unter keinen Umständen so, wie es ist, schlechthin übernehmen kann. Ich schlage deshalb vor, die Fassung des Art. 143c, die ursprünglich im Organisationsausschuß festgestellt worden ist, zu belassen. Sie gibt uns eine klare Rechtsgrundlage. Ich habe nicht die geringste Befürchtung, daß nunmehr eine wilde Beamtentöterei losgehen könnte; denn schließlich geschehen ja auch diese Dinge nicht ohne Kontrolle. Einmal ist die parlamentarische Kontrolle da, und auf der anderen Seite werden sich die verschiedenen berufsständischen Vereinigungen des Beamtentums ja auch zu wehren wissen. Ich glaube, daß auch bei Belassung des Art. 143c kein Beamter, der über die nötige Tüchtigkeit verfügt, wirklich zu befürchten braucht, daß er etwa nicht übernommen wird. Dr. Lehr (CDU): Ich möchte gar keinen Zweifel darüber lassen, daß wir mit dem Abbau des Nichtnotwendigen, des Überflüssigen und des weniger Tüchtigen durchaus einverstanden sind. Aber ich möchte Sie auch noch einmal daran erinnern, daß nicht nur das geltende Recht die nötige Handhabe gibt, sondern daß es darüber hinaus ja an unserem Geschick und an unserem Können liegt, inwieweit wir Aufgaben abbauen, Behörden vereinfachen und die ganze ungeheuere Aufblähung des Apparates auf dieser Ebene organisatorisch zu verbessern suchen. Dann werden wir sehr rasch zum Ziel kommen. Sie haben ja aus den von mir vorgetragenen Zahlen ersehen, daß das Gros in der Angestelltenschaft liegt mit all den Leuten, die sich während der Zwangswirtschaft von ihren ursprünglichen Berufen entfernt und Unterschlupf bei den Behörden gesucht haben, in all den Bezugschein- und sonstigen Vergebungsstellen und Ämtern, in denen sie nun auf einmal Hoheitsrechte ausübten und Beamtenfunktionen versahen, nicht immer zum Wohlgefallen und zum Segen der von ihnen Behandelten. Das wollen wir alles gern beseitigen, und wir glauben, daß wir dann auch zu dem Ziel kommen, das Sie erstreben, aber ohne daß wir in diesem Augenblick, da wir neues Recht schaffen, an einer Stelle mit einem Gewaltakt beginnen. Kaufmann (CDU): Es handelt sich praktisch in erster Linie um die Frage der Übernahme der bizonalen Verwaltung. (Zuruf: Auch der zonalen!)

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– Ja, aber die fällt zahlenmäßig nur sehr wenig ins Gewicht. – Die Darstellung in der Öffentlichkeit über die bizonalen Verwaltungen ist in einer Weise verzerrt worden, die der Arbeit dort wirklich nicht gerecht wird. Sie haben an den Zahlen, die Herr Dr. Lehr genannt hat, gesehen, daß die angebliche Übersetzung außerordentlich viel geringer ist, als nach den Tonarten, in denen die Beurteilung der zonalen Verwaltungen draußen erfolgt, anzunehmen war, und ich glaube nicht, daß die Bevölkerung, wenn sie diese Zahlen erführe, bei der Beurteilung beharren würde, die durch die Presse und durch sonstige Propagierungen entstanden ist. Die Beamtenschaft und die Angestelltenschaft in den bizonalen Verwaltungen sind praktisch schon mindestens dreimal gesiebt worden, und die Art, wie diese Dinge behandelt wurden, war so, daß dort bereits eine außerordentliche Beunruhigung und auch eine ganze Anzahl von Härten entstehen mußten, die zu vermeiden aber nicht möglich war. Nun sind noch rund 300 Beamte vorhanden, von denen ja wohl niemand behaupten kann oder will, daß es sich bei ihnen in der Mehrzahl oder auch nur in einer sehr wesentlichen Zahl um unfähige Leute handelt. (Dr. Greve [SPD]: Wieviel Parteigenossen der NSDAP allein sind darunter, Herr Kollege Kaufmann?) – Noch ein ganzer Berg, vielleicht mehr, als mir und einzelnen lieb ist. Aber danach ist hier jetzt nicht gefragt, und danach haben wir auch in den Sitzungen des Hauptausschusses31) nicht gefragt. Es ist jedenfalls so, daß diese Leute durch eine solche Bestimmung, nachdem schon soviel Abbau erfolgt ist, in eine Unruhe versetzt werden, die durch die geringe in Betracht kommende Zahl gar nicht gerechtfertigt ist. Wenn die Frankfurter Verwaltungen als überbesetzt bezeichnet wurden, so war das nicht Schuld der Beamten und Angestellten und war nicht Schuld ihrer Fähigkeit oder Unfähigkeit, sondern lag ausschließlich daran, daß der Aufgabenkreis noch aus der Zwangsbewirtschaftung stammte und daß die Leute diese Zwangsbewirtschaftungsaufgaben durchführen mußten. Ob diese noch irgendeinen realen Wert hatten oder nicht, war ganz gleichgültig. Die Tatsache der geringen Zahl ist ja gerade in Verbindung zu bringen mit der Tatsache, daß wir eine große Anzahl jener Aufgaben abgebaut haben, daß dadurch die Leute überflüssig wurden und auf diese Weise die große Zahl der Kündigungen ausgesprochen werden konnte. Darüber hinaus aber ist auch eine erhebliche Zahl von Leuten von selbst gegangen, weil ihr Aufgabenkreis weggefallen ist und sie das eingesehen haben. Das, wovon Herr Kollege Schmid eben gesprochen hat, hat sich auf einen ganz anderen zahlenmäßigen Beamtenapparat bezogen als den, der hier überhaupt noch in Frage kommt. Ich bin fest überzeugt, wenn wir nach der Fassung des Art. 143c diese Leute nach, wie ich annehme, sachlichen und nicht nach parteipolitischen Gesichtspunkten prüfen, wird so gut wie nichts mehr übrigbleiben, was nicht an irgendeiner Stelle in die Bundesverwaltung übernommen werden kann. Die Frage ist nun einfach die, ob wir unter diesen tatsächlichen Verhältnissen einer solchen grundsätzlichen Entscheidung, der praktischen Aufhebung des Beamtenrechts mindestens für 6 Monate, zustimmen können oder ob wir nicht angesichts dieser 31)

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Der Hauptausschuß des Wirtschaftsrates für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet; Vogel: Westdeutschland, Teil I, S. 89.

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außerordentlich geringen Zahl und der Möglichkeiten, die das bestehende Beamtenrecht gibt, darauf verzichten sollten, eine solche Ausnahmebestimmung gegen die Beamtenschaft vorzusehen. Ich bitte Sie deshalb dringend, die zahlenmäßig so geringe Bedeutung der Angelegenheit zu erwägen und der Streichung zuzustimmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte noch darauf hinweisen, daß mit Beziehung auf die bizonalen und zonalen Behörden nicht alles gesagt ist, was hier in Betracht kommt. Es sind ja, vor allen Dingen in der französischen Zone, eine Menge ehemaliger Reichsbehörden zu Landesbehörden gemacht worden, und deren Sachgebiete, die in Hunderten von Behörden bearbeitet werden, werden morgen Sachgebiete des Bundes sein. Es wird sich also auch bei diesen Behörden die Frage stellen, ob man sie tel quel32) übernimmt oder ob man auch hier eine beweglichere Möglichkeit schaffen soll. Zinn (SPD): Die geringe Zahl der Beamten in den Verwaltungen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, von der Herr Kollege Dr. Lehr und Herr Kollege Kaufmann sprachen, soll die Aufnahme einer Vorschrift, wie sie hier in Art. 143c vorgesehen ist, nicht rechtfertigen. Selbst wenn man dem beipflichten wollte und völlig außer acht ließe, daß es eigentlich nicht ganz verständlich ist, daß man bei Verwaltungen, deren Lebensdauer von vornherein übersehbar war, bei denen man wußte, daß sie im Höchstfall nur zwei Jahre existieren würden, jemanden auf Lebenszeit anstellt, können Sie doch nicht außer acht lassen, daß diese Verwaltungen des Vereinigten Wirtschaftsgebiets und die anderen zonalen Behörden jetzt noch die Möglichkeit haben, eine ganze Reihe anderer Personen, die sich zur Zeit in einem loseren Dienstverhältnis [S. 233] befinden, auf Lebenszeit anzustellen und damit die Hypothek, die der Bund zu übernehmen hat, besonders zu vergrößern. Sie werden wahrscheinlich einwenden, eine solche Unterstellung sei völlig unangebracht33). Ich darf darauf hinweisen, daß im Augenblick dem Wirtschaftsrat ein Gesetz über das Personalwesen vorliegt, in dem grundsätzlich die Anstellung zwar nicht im Beamtenverhältnis, aber generell, als Ziel wenigstens, in unkündbarer Form erfolgen soll. Wenn man jetzt dieses Gesetz vorlegt, obwohl die Ausweiskarten für den Wirtschaftsrat nur noch bis 31. März 1949 ausgestellt werden, dann kann das doch nur den Sinn haben, dieses Gesetz im letzten Augenblick noch anzuwenden. Kaufmann (CDU): Sie wissen doch, daß das aufgezwungen ist und nicht vom Wirtschaftsrat ausgeht! Zinn (SPD): Selbst wenn es verlangt wird, würde ich ein solches Gesetz nicht annehmen34). Und selbst wenn es aufgezwungen und deshalb angenommen werden sollte, sollte man vom Wirtschaftsrat wirklich erwarten, daß er ein solches Gesetz nicht auch tatsächlich ausführt. Dr. Greve (SPD): Von wem ist das denn inauguriert, Herr Kaufmann? Kaufmann (CDU): Die Antwort will ich Ihnen privat geben. 32)

„tel quel“ bezeichnet im kaufmännischen Sprachgebrauch Ware von möglichst niedriger Qualität. 33) Im stenograph. Wortprot., S. 45, folgt danach: „(Zuruf links: Das geschieht am laufenden Band! – Widerspruch rechts.)“ 34) Im stenograph. Wortprot., S. 46, folgt danach: „(Sehr richtig! links.)“

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Zinn (SPD): Aber der Sinn kann doch nur der sein, das Gesetz in den letzten Monaten noch anzuwenden. Sie müßten also schon, wenn Sie das verwirklichen wollten, was Herr Kollege Lehr in seinen Ausführungen andeutete, zum mindesten durch irgendeine verfassungsrechtliche Vorschrift verhindern, daß in Zukunft noch, von heute ab, Anstellungen dieser Art erfolgen. Das ist das Mindeste, was geschehen müßte. Dr. Lehr (CDU): Gegen eine schärfere oder sofortige Bestimmung in dieser Hinsicht, Herr Kollege Zinn, habe ich gar keine Bedenken. Ich würde es durchaus begrüßen, wenn man in dem Augenblick, in dem man vor wesentlichen organisatorischen Änderungen steht, nicht mehr irgendwelche beamtenrechtlichen Festlegungen vornimmt. In diesem Punkte bin ich mit Ihnen völlig einig. Aber ich bitte, Herr Kollege Zinn, doch einmal folgendes zu bedenken: Es war nicht immer angenehm, nach Frankfurt zu gehen und in diesen großen Apparat hineingebaut zu werden. Wenn nun Leute dazu bewogen wurden, nach Frankfurt zu kommen, und wenn diese Leute von ihren bisherigen Plätzen daraufhin weggingen, so dürfen sie jetzt nicht das Unglück haben, nur weil sie sich bereit erklärt haben und weil sie sich dort mit ihrem Können eingesetzt haben, nun obendrein auch noch schlecht behandelt zu werden. Um diesen ganz kleinen Kreis zu treffen, würde man jetzt noch einen Hebel der Verfassungsgesetzgebung in Bewegung setzen. Das halte ich nicht für richtig. Ich glaube auch, wenn wir uns auf unsere organisatorischen Möglichkeiten verlassen und uns einmal zutrauen, über die Parteischranken hinweg in dem gesamten Behördenaufbau Ordnung zu schaffen, indem wir rein fachmännisch ihn einmal auf das hin durchorganisieren, was nötig ist, was wir haben müssen, und beseitigen, was überflüssig ist, dann werden wir damit besser zum Ziel kommen als mit einem sogenannten Ausnahmegesetz. Mit Ausnahmegesetzen regiert es sich schlecht. Das sollten wir aus der Vergangenheit doch gelernt haben35). Dr. Greve (SPD): Ohne weiter auf diese Diskussion einzugehen – ich identifiziere mich völlig mit den Ausführungen meines Kollegen Zinn –, möchte ich aber doch zu bedenken geben, daß die Frist von 6 Monaten nach dem Inkrafttreten dieses Grundgesetzes mir zu gering zu sein scheint; denn bevor eine Bundesregierung von dem Inhalt des Art. 143c überhaupt Gebrauch machen kann, sind schon mehrere Monate seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes vergangen. Ich muß also schon bitten, diese Frist zu verlängern, und behalte mir vor, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Renner (KPD): Ich möchte mich an dieser Stelle nicht grundsätzlich über meine Auffassung zu dem Problem Beamtenrecht auslassen. Aber ich habe den Eindruck, daß eine Vertiefung dieser Diskussion für das geschätzte Publikum sehr aufschlußreich sein könnte. Es sind heute morgen im Zusammenhang mit dieser an sich scheinbar so nebensächlichen Frage des Beamtenrechts so einige Dinge zutage getreten, die wirklich sehr aufschlußreich waren. Ich möchte einmal einige Formu-

35)

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Im stenograph. Wortprot., S. 47, folgt danach ein Zwischenruf von Renner und die Reaktion von Lehr: „(Renner [KPD]: Daher ein neuer Art. 48!) [Lehr (CDU)] – Nein, wir machen das nicht so einfach!“

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lierungen, die heute morgen in letzter Minute hier gefallen sind, nebeneinanderstellen. Herr Dr. Lehr sprach von dem „Behördenwald“. Er sprach von dem „aufgeblähten Verwaltungsapparat“. (Dr. Lehr [CDU]: Ganz allgemein!) – Natürlich ganz allgemein! Er erklärte sich einverstanden mit dem „Abbau des Überflüssigen“ – ganz allgemein! Und dann verteidigte er mit eiserner Entschiedenheit das Beamtenrecht, das Berufsbeamtentum. – Wie kommen wir da an dem Problem vorbei, wie wollen wir da den Behördenapparat, den Verwaltungsapparat abbauen, wenn wir nicht endlich einmal einen Versuch machen, das durchzusetzen, was, schon in der Weimarer Zeit beginnend, immer wieder gefordert worden ist, nämlich eine Revision des Beamtenrechts? Wie wollen wir den Beamtenapparat, den Behördenapparat verkleinern, wenn wir freiwillig im Interesse der Aufrechterhaltung dieses „bewährten“, in der Mehrheit aus reaktionären Beamten bestehenden Verwaltungsapparats an dem Prinzip festhalten? Aber diese Frage ist heute nicht gestellt und wird heute auch nicht beantwortet. Aber was ist denn in Frankfurt los? Man soll uns doch mit solchen Formulierungen verschonen, daß dort in der Hauptsache Beamte säßen, die unter sehr ungünstigen Bedingungen die Arbeit aufgenommen hätten, so daß es für sie also gar keine reine Freude gewesen sei, dort zu arbeiten. Es handelt sich doch um Leute, die – nach 1945 mindestens zeitweilig abgebaute – ehemalige Nazibeamte waren – das ist doch das Gros (Widerspruch rechts) – jawohl, ehemalige Nazibeamte, die froh waren, daß sie in Frankfurt unterschlupfen konnten. Es ist nun, vor allen Dingen im Zusammenhang mit dem letzten Haushaltsplan, doch vor aller Öffentlichkeit zu einer heftigen Auseinandersetzung wegen dieses aufgeblähten Personalhaushalts in Frankfurt gekommen. Das wissen wir doch alle aus der Tagespresse, soweit wir die Verhandlungen des Wirtschaftsrats nicht direkter verfolgen. Es muß also da irgend etwas übersteigert sein. Es ist auch eine Tatsache, daß bis in die letzten Stunden hinein die Bestrebungen laufen, einen möglichst großen Kreis der Bediensteten von Frankfurt in die Kategorie der Beamten einzugruppieren. Vollkommen offen läßt man aber bezeichnenderweise ein Problem: Es gibt in Frankfurt – das hat man ursprünglich angeblich wegen des provisorischen Charakters so gewollt eine ganze Anzahl von Angestellten, die aber Arbeiten verrichten, die man normalerweise nur einem Beamten zumutet. Von diesen Angestellten spricht kein Mensch. Die werden also, ohne daß sich hier eine Hand für sie regt, geopfert. Das nur so nebenbei. Aber was ist denn eigentlich los? Warum kämpft denn Herr Lehr so heftig dafür, daß man diese Beamten auf den Bund übernimmt? Er kämpft darum, weil es in der Mehrzahl CDU-Anhänger sind, (Zuruf rechts: Stimmt auch nicht!) – jawohl, CDU-Anhänger, die von den CDU-Direktoren dorthin gesetzt worden sind. (Kaufmann [CDU]: Das stimmt auch nicht, auch wenn Sie es noch einmal wiederholen!) – Es stimmt doch! Oder wollen Sie mir weismachen, daß zum Beispiel die Beam-

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ten, die von Herrn Direktor Frohne36) von Bielefeld nach Frankfurt37) geholt worden sind, etwa nicht durch die Bank Nazis waren? Das [S. 234] waren sogar sehr belastete Nazis, die sich, ach Gott, höllisch gewehrt haben, nach Frankfurt zu gehen aus Angst, sie könnten dort unter die Entnazifizierungsbestimmungen fallen, wie sie in der amerikanischen Zone angewendet werden. So jedenfalls sieht die politische Zusammensetzung des Beamtenapparates wenigstens des Dezernats Verkehr aus. Über die anderen weiß ich nicht so hundertprozentig Bescheid, aber über die Verhältnisse beim Dezernat Verkehr bin ich genau unterrichtet. Ich vermute aber, daß es auf allen anderen Gebieten auch so sein wird. Und wie die Direktoren politisch zu den Herren von der CDU/CSU stehen, das weiß ich auch. Dr. Lehr (CDU): Aber Herr Renner, Sie wissen doch, wie großzügig wir sind! Sie sind doch selber Minister geworden38)! (Heiterkeit.) Renner (KPD): Weil ich weiß, wie großzügig gerade Sie39) seinerzeit in der Heranziehung von belasteten Nazis in den Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen waren, gerade deshalb bin ich höllisch kritisch und vorsichtig geworden! Ich sehe durchaus ein, daß die Zahl relativ gering ist. Sie wird aber schon dadurch wesentlich größer, daß wir auch die zonalen Bediensteten einbeziehen sollen. Über deren Zahl haben wir nicht einmal eine auch nur halbwegs sichere Unterlage. Wir übernehmen also tatsächlich eine Hypothek, deren Umfang überhaupt nicht übersehen werden kann. Mindestens bei diesem Punkt muß man einmal damit beginnen, das Problem nach gesunden Gesichtspunkten zu lösen. Wenn man es der Bundesregierung überläßt, eine Regelung zu finden, so sollte unser Beschluß mindestens eine Gewähr für eine vernünftige Regelung sein. Ich unterstelle dieser kommenden Bundesregierung im allgemeinen alles, nur nichts Vernünftiges. (Zuruf rechts.) – Aber ich weiß, wie sie aussehen wird. Der Herr Präsident40) ist ja schon da. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Renner, wirkliche prophetische Gaben sind selten! Dr. Süsterhenn (CDU): Zur grundsätzlichen Seite der Angelegenheit möchte ich nichts mehr bemerken, da diese bereits erschöpfend von meinem Kollegen Dr. Lehr auseinandergesetzt worden ist. Wir sind aber auch der Meinung, daß wir irgendwelchen mißbräuchlichen Torschlußakten doch entgegentreten müßten. (Dr. Schmid [SPD]: Das können wir nicht!)

36) 37)

38) 39) 40)

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Friedrich Edmund Frohne, Direktor der Verwaltung für Verkehr des Vereinigten Wirtschaftgebietes, vgl. oben Dok. Nr. 16, S. 492, Anm. 33. Der am 1. Okt. 1946 in Bielefeld geschaffene Verwaltungsrat für Verkehr hatte seit dem 2. Okt. 1947 seine Sitz in Offenbach bei Frankfurt am Main. Vgl. Vogel: Westdeutschland, Teil III, S. 299. Renner war 1946–1948 Sozialminister in Nordrhein-Westfalen. Lehr war 1945–1946 Oberpräsident der Allgemeinen Verwaltung in der Provinzialregierung der Nordrheinprovinz. Es gab das Gerücht, Konrad Adenauer wolle in der zukünftigen Bundesrepublik Bundespräsident werden. Feldkamp, Der Parl. Rat, S. 137.

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– Wir könnten eine Bestimmung etwa folgenden Inhalts aufnehmen: Bei der Abwicklung der bizonalen und zonalen Behörden kann die Bundesregierung von den Bestimmungen des Beamtenrechts abweichen, soweit die Begründung des Beamtenverhältnisses nach dem 1. September 1948 erfolgt ist, es sei denn, daß die betreffenden Beamten bereits vorher als Berufsbeamte im Dienst einer deutschen Anstellungskörperschaft gestanden haben. Das würde praktisch folgendes bedeuten. Am 1. September 1948, beim Zusammentreten des Parlamentarischen Rates, war es für jedermann klar, daß die Tage der Frankfurter Organisation gezählt sind. In einem solchen Stadium noch Beamte einzustellen, läßt sich nach meiner Auffassung auch mit den Pflichten des entsprechenden Vorgesetzten nicht ganz vereinbaren. Sollte das – was ich nicht weiß, was aber hier behauptet worden ist – geschehen sein, dann müßte solchen Versuchen ein entsprechender Riegel vorgeschoben werden. Das könnte durch eine solche Bestimmung geschehen. Die einzige Ausnahme, die hier gemacht werden müßte, wäre die, wenn etwa auch heute noch, etwa in diesem Monat oder zum 1. Januar, ein Beamter von einem Länderministerium wegen seiner fachlichen Qualifikation, der sich bereits im Berufsbeamtenverhältnis befindet und lebenslänglich angestellt ist, aus sachlichen Gründen in die bizonale Organisation berufen würde. Diesem Beamten dürfte man seine Beamtenrechte, die er in einer jahrzehntelangen Tätigkeit erworben hat, nicht deshalb nehmen, weil seine Anstellung nach dem 1. September erfolgt ist. Ich glaube, daß mit einer solchen Formulierung allen möglichen Mißbräuchen der entsprechende Riegel vorgeschoben würde. Schönfelder (SPD): Ich wollte gerade die Frage an die Herren Juristen stellen, ob es möglich wäre, eine solche Sperrklausel zu erlassen. Ich kann es nicht übersehen; aber da Herr Dr. Süsterhenn Jurist ist, muß ich annehmen, daß er in dieser Beziehung recht hat. Wir würden, wenn wir mit unserem Antrag nicht durchdringen, für diese Klausel stimmen können. Ob sie genügt, weiß ich nicht; das würde man den Juristen überlassen müssen. Eins möchte ich aber noch hinzufügen. Herr Dr. Lehr sagte: Wir sind auch dafür, daß weniger Tüchtige abgebaut werden. Er müßte aber hinzufügen: es sei denn, sie sind Beamte. Dann können wir sie nämlich nicht abbauen, und dieses Hemmnis wollten wir durch unseren Antrag beseitigen. Wir wollten nicht, daß Leute, die nicht das Vertrauen in ihre eigene Leistung und ihr eigenes Können haben, sich nur auf ihre wohlerworbenen Rechte verlassen; und solche gibt es! Ich habe lange genug an der Spitze einer Verwaltung gestanden, um den Unterschied kennenzulernen, und ich habe die Erfahrung gemacht, daß die tüchtigsten Beamten nie von wohlerworbenen Rechten sprechen, weil sie sich auf sich selbst verlassen können. Davon reden in der Hauptsache nur diejenigen, die vielleicht die meisten durchgescheuerten Hosenböden aufzuweisen haben, an sonstiger Leistung aber weniger. Ich würde also glauben, daß die Unruhe, die dort entstanden ist, doch ein Beweis dafür ist, daß da eine Reihe von Herren sind, die glauben, sich nicht auf ihre Leistung und auf ihr Können verlassen zu können. Dr. Lehr (CDU): Ich kann so aus dem Handgelenk nicht gleich beurteilen, ob die Formulierung, wie sie mein Freund Süsterhenn eben geprägt hat, wirklich stichhaltig ist. Es könnte sein, daß hier Rechtsbedenken bestehen; das müßten wir wohl noch einmal prüfen. Dem Sinne nach stimme ich ihm aber vollständig zu. Wir

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würden auch später diese Kategorie, die etwa in Frage kommen würde, keineswegs als unter den Schutz wohlerworbener Rechte fallend betrachten. Also im Ziel sind wir uns ganz einig. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, ich kann abstimmen lassen. Die Frage war aber wichtig genug, um ausführlich debattiert zu werden. Dr. Lehr (CDU): Würden Sie vielleicht noch gestatten, den Antrag zu stellen, daß dieser Vorschlag Dr. Süsterhenn noch einmal an den Allgemeinen Redaktionsausschuß verwiesen wird? Dr. Greve (SPD): Es kommt darauf an, wie die Abstimmung ausfällt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann kann ja für die zweite Lesung erneut eine Beratung im Ausschuß stattfinden. – Ich lasse nun abstimmen. Am weitesten geht der Antrag der CDU, Art. 143c zu streichen. – Die Streichung ist mit 11 gegen 10 Stimmen beschlossen.

[2.10. ART. 143d: ABLÖSUNG DER VERWALTUNG DES VEREINIGTEN WIRTSCHAFTSGEBIETES]

Ich bitte Herrn Dr. Lehr, zu Art. 143d zu berichten. Dr. Lehr (CDU): Bei Art. 143d finden Sie zwei Vorschläge, zunächst einen Vorschlag, den die CDU41) im Ausschuß gemacht hat und der sich an den des Redaktionsausschusses anpaßt42): (1) Der Bund tritt in die Rechte und nach Maßgabe besonderer gesetzlicher Bestimmungen in die Pflichten der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes ein. (2) Streitigkeiten entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Der Vorschlag 2) der SPD lautet hingegen: Der Bund ist nicht Rechtsnachfolger bisheriger bizonaler und zonaler Stellen. [S. 235] Wir haben bei der Diskussion dieser beiden Auffassungen überlegt, daß solche zonalen oder bizonalen Dienststellen ja nicht gut als Rechtsvorgänger der kommenden Regierung betrachtet werden können und daß deshalb gewisse Vorschriften notwendig sind. Das eine ist ein positiver Vorschlag, nämlich der Vorschlag der CDU, wonach der Bund in die Rechte eintreten soll. Das andere ist ein negativer Vorschlag, wonach der Bund nicht Rechtsnachfolger sein kann. Dazwischen müßten Sie nun entscheiden. Zinn (SPD): Aus Rechtsgründen glaube ich empfehlen zu müssen, bei der Fassung des Redaktionsausschusses, dem sich die CDU angeschlossen hat, zu bleiben. Sie können nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen durch eine solche Vorschrift die Vermögensnachfolge nicht ausschließen. Da der Bund ja zweifellos die Aktiven innerhalb der Verwaltungen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes erben will, übernimmt er, zumindest in diesem Umfang, auch etwaige Verpflichtungen. Das kön41) 42)

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Vgl. dazu die Sitzung des CDU/CSU-Fraktion am 3. Dez. 1948; Salzmann, S. 256. Für den Wortlaut des Vorschlags des Allgemeinen Redaktionsausschusses vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 85. Wiederabdruck in: Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 37, S. 948, Anm. 124; dort ferner S. 949–952 die Diskussion in der 27. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 6. Dez. 1948.

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nen Sie nicht ausschließen. Es bleibt also nichts weiter übrig, als die Rechtsnachfolge festzulegen, soweit die Aktiven in Frage kommen, darüber hinaus aber auch die Rechtsnachfolge anzuerkennen, soweit die Verpflichtungen in Frage kommen. Hier müßte man sich allerdings eine besondere gesetzliche Regelung vorbehalten, um zum Beispiel langfristige Verträge und ähnliches vorzeitig lösen zu können. Sie können die Rechtsnachfolge aber auch nicht aus Gründen verneinen, die mit der gesamten Wirtschaftspolitik der Bizone zusammenhängen. Denn dann würde ja die Bizone Gefahr laufen, Verträge, die zum Beispiel mit dem Ausland abgeschlossen werden müssen, um die Ernährung sicherzustellen, nicht mehr abschließen zu können, weil das Ausland sich auf ein durch die zu erwartende Verneinung der Rechtsnachfolge unsicheres Geschäft nicht einlassen wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich bin auch der Meinung, daß zwischen den beiden Fassungen kein materieller Unterschied besteht. Denn auch wenn der Vorschlag der SPD angenommen werden sollte, wird es nötig sein, auf jeden Fall ein Überleitungsgesetz zu schaffen; man wird das nicht vermeiden können. In dem Antrag des Redaktionsausschusses und der CDU ist das ja auch vorgesehen, indem es dort heißt: „nach Maßgabe besonderer gesetzlicher Bestimmungen“. Das ist ja nichts anderes als ein Hinweis auf die Notwendigkeit, Überleitungsbestimmungen zu beschließen. Am weitesten geht der Antrag der SPD, weil seine Fassung am apodiktischsten ist. Ich lasse über diesen Antrag zuerst abstimmen. – Abgelehnt mit 14 gegen 7 Stimmen. Ich lasse dann abstimmen über den Antrag des Redaktionsausschusses und der CDU. – Mit 15 Stimmen gegen 1 Stimme angenommen.

[2.11. ART. 143e: REICHSVERMÖGEN]

Über Art. 143e ist die Beschlußfassung ausgesetzt. Dr. Lehr (CDU): Da handelt es sich um die etwas komplizierten Fragen bezüglich des Reichsvermögens, die im Augenblick noch nicht zu übersehen sind. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen einstimmig die Aussetzung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir werden diesem Antrag wohl alle zustimmen. – Es ist so beschlossen.

[2.12. ART. 143f: ZUSTÄNDIGKEIT FÜR VERMÖGENSSTREITIGKEITEN VON GEBIETSKÖRPERSCHAFTEN]

Zu Art. 143f berichtet Herr Dr. Lehr. Dr. Lehr (CDU): Es ist hierzu ein Vorschlag des Herrn Kollegen Dehler gekommen43), zu dem wir die Beschlußfassung auch auszusetzen bitten. Der Vorschlag lautet: 43)

Vgl. 27. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 6. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 37, S. 952. f.

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Streitigkeiten aus Anlaß der Auseinandersetzung des Vermögens von Gebietskörperschaften entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Wir empfehlen, diesen Vorschlag bis zur zweiten Lesung im Hauptausschuß noch einmal durch den Redaktionsausschuß nachprüfen zu lassen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es handelt sich um eine rein technische Regelung, bei der höchstwahrscheinlich politische Erwägungen gar keine Rolle spielen. – Besteht Einverständnis mit der Aussetzung der Beschlußfassung?44) (Zustimmung.) Art. 144 entfällt. Art. 145 entfällt.

[2.13. ART. 146: RECHTSVORSCHRIFTEN ZUR BEFREIUNG DES DEUTSCHEN VOLKES VOM NATIONALSOZIALISMUS UND MILITARISMUS]

Art. 146 Die zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt. Ich eröffne die Aussprache. – Keine Wortmeldungen. Ich lasse abstimmen. – Einstimmig angenommen. Art. 147 entfällt. Art. 147a ist schon erledigt.

[2.14. ART. 147b: BUNDESVERSAMMLUNG]

Art. 147b Für die Wahl des ersten Bundespräsidenten (Art. 75) stellt das Präsidium des Bundestags (Art. 50) die Zahl der auf jedes Land entfallenden Mitglieder der Bundesversammlung fest und veranlaßt deren sofortige Wahl durch die Landtage. Diese Bestimmung ist notwendig, weil wir ja einen Bundespräsidenten, falls er beschlossen bleiben sollte, sofort in den ersten Tagen brauchen und bis dahin die vorgesehenen Gesetze über seine Wahl noch nicht vorliegen können. Es müssen also eine Reihe von Ersatzwahlverfahren und Feststellungsverfahren für den ersten Bundespräsidenten hier im Grundgesetz vorgesehen werden. Wird das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Ich lasse abstimmen. – Gegen 1 Stimme angenommen.

44)

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„Besteht Einverständnis mit der Aussetzung der Beschlußfassung?“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 56.

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[2.15. ART. 148: OBERGERICHT DER VERWALTUNG DES VEREINIGTEN WIRTSCHAFTSGEBIETES]

Art. 148 Bis zur Errichtung des Bundesverfassungsgerichtshofes tritt an seine Stelle das Obergericht der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes. Renner (KPD): Eine Frage: Wer hat dieses Obergericht eingesetzt? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich denke, Herr Abgeordneter Renner, Sie wissen über die Vorgänge in der Bizone doch genau so gut Bescheid wie wir! Renner (KPD): Das ist sehr interessant. Wenn man einem derartigen Gericht solche Vollmachten übertragen will, muß man auch wissen, wer es eingesetzt hat. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sehen Sie, Sie wissen es also doch so gut wie ich!45) Ich halte Sie wirklich für kundig genug, um das zu wissen. Renner (KPD): Keine deutsche Stelle hat das eingesetzt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Also wissen Sie es ja! Renner (KPD): Natürlich! Vors. Dr. Schmid (SPD): Also gut! Warum fragen Sie dann? Wir wissen es auch46). Ich lasse abstimmen. – Art. 148 ist gegen 1 Stimme angenommen.

[2.16. ART. 148a: ANGLEICHUNG DER LÄNDERVERFASSUNGEN AN DAS GRUNDGESETZ]

Art. 148a Die Verfassung eines Landes kann binnen 2 Jahren nach Inkrafttreten dieses Grundgesetzes zur Angleichung an das Grundgesetz durch einfaches Landesgesetz geändert werden. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern entscheidet der Bundesverfassungsgerichtshof. Dr. Lehr (CDU): Ich bin gebeten worden, diesen Artikel noch einmal mit ein paar Worten zu erläutern. Der Sinn ist, daß es möglich sein muß, die Verfassung eines Landes in der ersten Zeit nach dem Inkrafttreten [S. 236] dieses Grundgesetzes an das Grundgesetz anzugleichen. Damit nun nicht etwa Schwierigkeiten entstehen, weil diese Angleichung vielleicht Verfassungsänderungen im Lande notwendig macht, ist hier zur einfacheren Handhabung dieser Angleichung ein einfaches Landesgesetz in Vorschlag gebracht worden. Ich bitte Sie, im Interesse der Vereinfachung der Gesetzgebung diesen Vorschlag anzunehmen. Dr. Eberhard (SPD): Ich würde vorschlagen, ähnlich wie wir es im Falle der Ländergrenzenänderung gemacht haben, die Frist noch einmal laufen zu lassen für den Fall, daß ein weiteres Land beitritt, also vielleicht zu sagen: 2 Jahre nach Inkrafttreten dieses Grundgesetzes oder nach Ausdehnung des Grundgesetzes auf ein weiteres Land zur Angleichung . . . 45) 46)

Im stenograph. Wortprot., S. 58, folgt danach der Hinweis: „(Zurufe.)“. Sämtliche Mitglieder des Deutschen Obergerichtes für das Vereinigte Verwaltungsbiet, 1948 in Köln errichtet, wurden von der amerikanischen und britischen Militärregierung ernannt. Vgl. Vogel, Westdeutschland, Teil I, S. 110–113.

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Dr. Süsterhenn (CDU): Ich erkenne ohne weiteres die Notwendigkeit einer solchen Bestimmung für den Fall des Beitritts eines weiteren Landes an. Es ist mir aber nicht klar, in welcher Hinsicht die Verfassungen der gegenwärtig bestehenden Länder, soweit diese schon Verfassungen haben, mit dem Grundgesetz irgendwie in Widerspruch stehen. Es wäre mir sehr lieb, wenn ich vom Organisationsausschuß dafür ein praktisches Beispiel bekommen könnte, um mich von der Notwendigkeit dieses Artikels auch für die Verfassungen der bereits bestehenden Länder zu überzeugen. Dr. Lehr (CDU): Wir haben dabei nicht ein einzelnes Land im Auge gehabt, sondern nur grundsätzlich erwogen, daß in all den zahlreichen, nicht gleichzeitig entstandenen und nicht aufeinander abgestimmten Länderverfassungen sich vielleicht doch etwas Widerspruchsvolles ergeben könnte, und wollten hier in der Bundesverfassung die Möglichkeit der Angleichung im Einzelfall nicht verbauen. Dr. Süsterhenn (CDU): Soviel ich weiß, ist doch für alle Länderverfassungen lediglich vorgesehen, daß sie gewissen, im Grundgesetz ausdrücklich erwähnten Mindesterfordernissen entsprechen müssen. Diese Mindesterfordernisse sind, soweit im westlichen Besatzungsgebiet Länderverfassungen bestehen, alle erfüllt. Ich kann also beim besten Willen keinen praktischen Fall erkennen, bei dem es notwendig wäre, eine solche Verfassungsangleichung vorzunehmen, es sei denn, daß etwa ein Land der Ostzone sich diesem Gebiet mit der jetzt bestehenden Verfassung anschließen würde, in welchem Fall natürlich unter Umständen eine Änderung notwendig würde. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung gerade dieses Artikels, der einen Eingriff in die Verfassungsautonomie der Länder über die allgemeinen Regulativbestimmungen hinaus darstellt, möchte ich beantragen, die Beratung dieses Artikels bis zur zweiten Lesung auszusetzen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich könnte mir Fälle folgender Art denken: In einigen Länderverfassungen sind, wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht, zum Teil Bestimmungen enthalten, wonach die Regierung für die und die Dinge zuständig ist; und das sind manchmal Angelegenheiten, die nunmehr nach dem Grundgesetz so nicht mehr geregelt bleiben können. Um nun den Verfassungstext in den Ländern zu säubern, scheint mir eine Bestimmung dieser Art außerordentlich günstig zu sein. Um mehr kann es sich, glaube ich, nicht handeln. Dr. Süsterhenn (CDU): Entgegenstehendes Bundesrecht bricht doch Landesrecht! Vors. Dr. Schmid (SPD): Natürlich; aber es ist doch wesentlich besser, wenn man sichere Anpassungen vornehmen kann. Renner (KPD): Es kommt nicht oft vor, daß ich mit dem Kollegen Süsterhenn einer Meinung bin. Aber ich muß ihm wirklich recht geben. Wenn die Oststaaten sich hier anschließen sollten, müßten sie tatsächlich auf einiges in ihrer Verfassung verzichten. (Zuruf rechts: Das kann man ihnen nicht zumuten!) Aber – um diese Frage aus dem Handgelenk zu beantworten – es gibt auch einige Dinge, die hier bei uns in Länderverfassungen verankert sind, die aber nicht in der Bundesverfassung, wie Sie sie hier ausarbeiten, enthalten sind, so zum Beispiel in Hessen die Frage der Ächtung des Krieges durch die Verfassung47) und in den drei 47)

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Vgl. Art. 69 der Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dez. 1946. Für den Wortlaut vgl. oben Dok. Nr. 6, S. 178, Anm. 17.

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süddeutschen Ländern – einschließlich Bremen, wenn ich mich nicht irre das Mitbestimmungsrecht der Gewerkschaften in der Leitung der Betriebe. Diese Dinge sind bei uns in der Verfassung nicht verankert, die müßten also in den Ländern beseitigt werden. Dabei ist es nun sehr aufschlußreich, daß Sie diese Beseitigung auf dem hier vorgesehenen Wege wünschen, also über die Bundesregierung, und wenn die Länderparlamente Widerstand leisten, wird das Bundesverfassungsgericht angerufen. Das möchte ich nur aufklärend dazu sagen. Dr. von Brentano (CDU): Ich bin mit dem Kollegen Dr. Süsterhenn der Meinung, daß wir diese Frage doch noch einmal besprechen und klären sollten, und zwar möglichst im Ausschuß. Ich sehe auch kein unbedingtes Bedürfnis für diese Formulierung des Art. 148a, die vorsieht, daß ein einfaches Landesgesetz das, was in den Verfassungen der Länder statuiert ist, ändern kann. Wir haben den Grundsatz „Bundesrecht bricht Landesrecht“. Damit wird entgegenstehendes Landesrecht, auch Verfassungsrecht, ohne weiteres außer Kraft gesetzt. Wir haben an verschiedenen Stellen unserer Verfassung vorgesehen, daß die Länderverfassungen den Grundsätzen dieser Bundesverfassung entsprechen müssen. Soweit sie also diesen Richtlinien widersprechen, sind sie ungültig. Wir haben außerdem vorgesehen – ich glaube, in Art. 44, über den noch nicht abgestimmt worden ist –, daß im Einzelfall der Bundesverfassungsgerichtshof feststellen kann, ob Bundesrecht mit Landesrecht und umgekehrt vereinbar ist. Ich glaube, daß diese Bestimmungen eigentlich genügen sollten und daß kein zwingender Anlaß besteht, Länderverfassungen, die unter den erschwerenden Umständen, wie sie damals bestanden, zustande gekommen sind, durch einfaches Landesgesetz in ihrem Bestand zu ändern. Schönfelder (SPD): Soll hier die Betonung nicht auf „2 Jahren“ liegen, womit also eine Zeitspanne gegeben ist? Sonst würde ja mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes mit einem Male diese Bestimmung in den Ländern nicht mehr gelten. Ist das nicht der Sinn der Sache, daß man hier eine gewisse Zeit geben will, um das umzustellen? Dr. Laforet (CSU): Die Bestimmung bricht über die Mindestforderungen des Grundgesetzes hinaus in die Verfassungsautonomie der Länder ein. Nun habe ich keinen Zweifel, daß, wenn die Länder weitergehendes Recht schaffen, dieses weitergehende Recht in den Grundrechten aufrechterhalten ist. Denn ich habe mich ja bemüht – und das wurde im Hauptausschuß auch ausgesprochen –, der Anschauung klaren Ausdruck zu geben, daß nur entgegenstehendes Länderrecht nichtig ist. Ich sehe aber gar keine Notwendigkeit ein, die Bestimmungen des Art. 148a und des Art. 148b hier zu treffen. Sie werden nur zu Schwierigkeiten Anlaß geben und sind deshalb am besten zu streichen. Dr. Heuss (FDP): Mir scheint, es handelt sich um eine Kann-Vorschrift. Mit diesem „kann“ ist in die Verfassungsautonomie der Länder nicht eingegriffen, sie können sich selber klar entscheiden. (Dr. von Brentano [CDU]: Durch einfaches Gesetz!) Es ist keine Bundesautonomie auf die Länder gestülpt, sondern die Länder können für Verfassungsänderungen einfache Gesetze erlassen. Diese Verfassungsänderung hat aber nach dem Sinn dieses Artikels keine materielle, sondern im wesentlichen nur eine redaktionelle Bedeutung. Von dieser Seite her scheint mir der Artikel also

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in sich berechtigt zu sein, einfach deshalb, weil, wenn diese Länderverfassung selber ein Gegenstand der Kenntnis der Landesbevölkerung sein und bleiben soll, diese ungefähr einen Text vor sich haben [S. 237] muß, der dem Rechtszustand entspricht, ohne daß für den einfachen Mann die dauernde Verweisung hinzugesetzt werden muß: Aber an der Stelle gilt die Fassung des Bundesrechts! Ich würde hier also den Ländern den Weg, eine stilistisch-redaktionelle Überarbeitung ihrer Verfassung vorzunehmen, absolut nicht verbauen. Das scheint mir sehr gesund und gar kein Eingriff in die rechtspolitische, sondern eher mehr in die rechtspsychologische Sphäre der Länder zu sein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es erscheint doch zweckmäßig, den Art. 148a jetzt nicht zu bescheiden, sondern ihn an den Organisationsausschuß zurückzuverweisen. Ich lasse abstimmen. – Die Zurückverweisung ist mit Mehrheit beschlossen48). Dr. Laforet (CSU): Das gleiche gilt auch für den nächsten Artikel. Vors. Dr. Schmid (SPD):

[2.17. ART. 148b: WAHLRECHT IN DEN LÄNDERN]

Art. 148b Vorschriften einer Landesverfassung, die über die Vorschriften dieses Grundgesetzes hinaus das Wahlverfahren und die Art des Wahlrechts regeln, können jederzeit durch einfaches Landesgesetz geändert werden. Es ist das derselbe Fall. Auch hier wird, nachdem der vorhergehende Artikel zurückverwiesen worden ist, die Zurückverweisung empfohlen. – Es ist so beschlossen49).

[2.18. ART. 148c: HOCH- UND LANDESVERRAT]

Wir kommen zu Art. 148c. Dr. Lehr (CDU): Hier ist eine kurze Berichterstattung notwendig. Sie finden in dem Berichtigungs- und Ergänzungsvorschlag des Redaktionsausschusses vom 24. 11. 1948 auf Seite 13 zwei Varianten des Art. 148c50). Sie befassen sich beide mit den §§ 80–89 des Reichsstrafgesetzbuchs, mit den Vorschriften über Hoch- und Landesverrat. Wir haben gestern diese Frage der Schließung von Lükken im Strafrecht eingehend erörtert und sind zu der Überzeugung gekommen, daß es wegen des besonderen politischen Charakters dieser Vorschriften gut ist, die Beschlußfassung bis zur zweiten Lesung zurückzustellen und die Sache wegen ihrer hochpolitischen Bedeutung auch noch einmal im Ältestenrat zu besprechen. Ich bitte Sie freundlichst, sich diesem Vorschlag anschließen zu wollen.

48)

Der Ausschuß für die Organisation des Bundes befaßte sich in seiner 31. Sitzung am 14. Jan. 1949 mit Art. 148a; Der Parl. Rat. Bd. 13/2, Dok. Nr. 46, S. 1129–1132. 49) Vgl. ebd. 50) Vgl. dazu die Drucks. Nr. 301 vom 24. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 87–90; hier S. 89 f.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Das Wort wird nicht gewünscht. Ich glaube, wir können so beschließen. – Die Beschlußfassung über das Problem der Schließung von Lücken im Strafrecht ist also der zweiten Lesung des Hauptausschusses vorbehalten51).

[2.19. ART. 148d: ANPASSUNG DES BÜRGERLICHEN RECHTS ÜBER DIE GLEICHSTELLUNG DER FRAU]

Zu Art. 148d hat der Organisationsausschuß die Aussetzung vorgeschlagen. Der Redaktionsausschuß hat eine formulierte Fassung in Vorschlag gebracht. Wir werden die Entscheidung erst treffen können, wenn der Art. 4, also ein Grundrechtsartikel, endgültig beschieden ist. Frau Dr. Selbert (SPD): Nein, das ist nicht nötig; Art. 148d ist eine notwendige Ergänzung zu Art. 4, und zwar auch bereits in der jetzigen Fassung, wie sie in erster Lesung angenommen worden ist. In dem Kurzprotokoll des Ausschusses für Grundsatzfragen, das vor mir liegt, heißt es auf Seite 3 unten als Erklärung zu Abs. 3: Durch die Einfügung „seines Geschlechtes“ ist nach Ansicht des Ausschusses die Gleichberechtigung der Frau in staatsrechtlicher wie zivilrechtlicher Hinsicht verfassungsmäßig verankert. Ich zitiere hier nur die Meinung des Grundsatzausschusses. Ich selbst bin allerdings nicht der Ansicht, daß mit dieser Fassung die volle Gleichstellung der Frau ausgesprochen wird. Aber gehen wir von Ihrer Vorstellung aus, meine Herren! Damit sprengen Sie bereits den Rahmen der Vorschriften des bürgerlichen Rechts in seinem familienrechtlichen Teil. Infolgedessen ist es auch nötig, hier die Brücke zu finden, um – sagen wir einmal einen rechtschaotischen Zustand zu vermeiden, die Brücke vom geltenden Recht zur Verfassung und zu der sich daraus ergebenden Reform. Deshalb der Vorschlag, daß die nach diesen Verfassungsbestimmungen an sich verfassungswidrigen Vorschriften des bürgerlichen Rechts, soweit sie dem Gleichheitsartikel und dem Gleichheitsgrundsatz entgegen stehen, trotz ihrer Verfassungswidrigkeit in Kraft bleiben, bis sie durch besonderes Gesetz geändert werden. Die Übergangsvorschrift ist also auch nach der jetzigen Fassung des Hauptausschusses, wie sie auf Grund eines Vorschlages des Grundsatzausschusses angenommen worden ist, unumgänglich notwendig. Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch den Antrag stellen, die Frist von 1953 auf 1951 abzukürzen. (Dr. Greve [SPD]: 1961!) – Ich weiß, Herr Kollege Greve, was Sie sagen wollen. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat 30 Jahre nötig gehabt, bis man mit ihm fertig war52). Darüber, ob diese 30 Jahre notwendig waren, kann man allerdings streiten. Aber ich bin der Meinung, daß bei der Dringlichkeit und der Notwendigkeit, das bürgerliche Recht dem Grundsatz der Gleichberechtigung anzupassen, die Frist nicht allzu lang sein darf und daß 51) 52)

Dazu weiter unten Dok. Nr. 40, TOP 1.12, S. 1241 mit Anm. 38. Das Bürgerliche Gesetzbuch trat am 1. Januar 1900 in Kraft. Der Zeitraum von 30 Jahren bezieht sich demnach auf die Reichsgründung 1871.

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man ruhig mit einer Frist bis zum Jahre 1951 dabei auskommen kann. Ich erhebe das zum Antrag. Frau Dr. Weber (CDU): Ich bin Frau Selbert sehr dankbar, daß diese Angelegenheit noch einmal besprochen wird. Denn in der Presse – und deshalb möchte ich heute die Presse ganz besonders anreden – ist zum Ausdruck gebracht worden – ich glaube, gerade in Ihrer Presse, Frau Selbert –, daß nur der Antrag der SPD für die Gleichberechtigung der Frau diese Bedeutung habe und daß die CDU gegen diese Gleichberechtigung gestimmt habe. Ich hatte aber in meinen Ausführungen im Hauptausschuß schon erklärt, wir hätten im Grundsatzausschuß festgestellt, daß die Artikel die Gleichberechtigung der Frau anerkennten und daß es sich also nur um eine Formulierung gehandelt habe. Zu meinem großen Erstaunen ist nun im Stuttgarter Rundfunk und auch in einer gewissen Presse – ich kann die Blätter nicht alle aufzählen – erklärt worden – und zwar wurde nur die CDU genannt, aber ich glaube, auch die FDP und die DP haben mitgestimmt –, (Dr. Greve [SPD]: Das ist ja dasselbe!) die CDU habe dagegen gestimmt. Ich habe, ich weiß nicht, wieviel, entrüstete Telegramme bekommen – Sie haben auch schon eins erhalten, Herr Vorsitzender – von allen möglichen Leuten; ich kann sie mit Namen nicht nennen. Dabei habe ich zu meinem Erstaunen festgestellt, daß das, was sich im Hauptausschuß abgespielt hat, in der Presse und im Rundfunk nicht richtig wiedergegeben worden ist. Tatsächlich ist im Grundsatzausschuß, in dem Frau Selbert gar nicht zugegen war, als die Sache zur Aussprache kam, festgestellt worden: Die jetzt abgestimmten Artikel – ich will sie hier nicht wiederholen – erklären die Gleichberechtigung der Frau; es ist deshalb nicht notwendig, einem anderen Antrag zuzustimmen. Ich hatte damals den Antrag gestellt, bei gleicher Arbeit müsse auch gleicher Lohn gegeben werden. Diesen Antrag habe ich zurückstellen lassen53), als mir erklärt wurde – (Renner [KPD]: Der ist aber von der CDU abgelehnt worden!) – Nein, die Sache ist nicht abgelehnt worden, sondern ich habe den Antrag einfach zurückgezogen, als man mir erklärte, er sei nicht notwendig, denn diese Forderung sei schon in den abgestimmten Artikeln enthalten. Ich habe aber, als ich spürte, daß die Auffassungen doch verschieden sind, noch einmal erklärt: „Ich behalte mir meine weitere Stellungnahme vor.“ Und ich habe noch in diesen Tagen mit Vertretern der SPD im Grundsatzausschuß darüber gesprochen, daß wir nach einer anderen Formulierung suchen wollen54). Ich muß mit Entrüstung feststellen, daß die Presse und der Rundfunk in Stuttgart diese Dinge ganz falsch wiedergegeben haben. Deshalb freue ich mich, daß Frau [S. 238] Selbert diese Angelegenheit noch einmal zur Sprache gebracht hat. (Frau Dr. Selbert [SPD]: Ich habe nur den Grundsatzausschuß zitiert!) – Ich wollte auch nur feststellen, daß die Presse und der Rundfunk in Stuttgart etwas ganz Falsches wiedergegeben haben. Ich bin persönlich völlig damit einver53)

Für den Antrag von Weber vgl. die 26. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 30. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 33, S. 752. Vgl. dazu auch oben Dok. Nr. 17, S. 512. 54) Z. B. 27. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 1. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 34, S. 777.

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standen, daß wir aus den angenommenen Artikel auch die Konsequenzen ziehen. Aber ich möchte Presse und Rundfunk noch einmal bitten unsere Ausführungen richtig wiederzugeben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Darf ich übrigens den Vorschlag machen, im Zusammenhang mit diesen Dingen nicht von „Gleichberechtigung“, sondern lieber von „Gleichstellung“ der Frau zu sprechen; denn es handelt sich ja nicht darum, daß irgendwelche Rechte gegeneinander ausgewogen werden sollen, sondern daß Frau und Mann im Rechtsleben, im sozialen Leben und in allen Lebensgewohnheiten in gleicher Art nebeneinander stehen sollen. Gewisse Dinge kann man freilich auch durch das Grundgesetz nicht ändern . . . Frau Dr. Selbert (SPD): Ich muß auf das, was Frau Dr. Weber sagte, doch noch einmal erwidern. Die Entrüstung in Presse und Öffentlichkeit kann ich verstehen, (Frau Dr. Weber [CDU]: Ich nicht!) – und zwar deshalb, Frau Dr. Weber, weil die Fassung, die von Ihnen im Grundsatzausschuß vorgeschlagen und nunmehr auch im Hauptausschuß angenommen worden ist, diese Gleichberechtigung oder Gleichstellung, von der der Herr Vorsitzende spricht, nicht enthält. Gerade er hat bei der Behandlung dieses Artikels in der früheren Sitzung darauf hingewiesen, daß der Nachweis nicht schwer falle, daß die Bestimmungen im bürgerlichen Recht beispielsweise über die Genehmigungspflicht aller Rechtsgeschäfte der Frau zum Schutze der Frau und der Familie erlassen worden seien. Wenn sie aber zum Schutze der Frau und Familie erlassen worden sind, dann zieht Ihre Fassung hier keineswegs. Wenn das, was im bürgerlichen Recht steht, keine Benachteiligung ist, können Sie mit Art. 4 Ziffer 3 auch eine Reform des bürgerlichen Rechtes nicht ausklinken. Wenn ferner gesagt wird, die Gleichstellung sei ja in dem Art. 4 auch sonst zum Ausdruck gekommen, dann darf ich nur darauf hinweisen, daß im ersten Absatz von der Gleichheit vor dem Gesetz die Rede ist. Das betrifft die Rechtsanwendung, nicht die Rechtsetzung. Im zweiten Absatz ist von der staatsbürgerlichen Gleichheit die Rede, aber nicht von der zivilrechtlichen. Von „Gleichheit“ sollte man sowieso nicht reden, denn Männer und Frauen sind nicht gleich, sondern sie sind gleichwertig. Ich wiederhole, die Entrüstung ist also durchaus zu verstehen. Man hätte das vielleicht besser durchdenken sollen. Sie haben jedenfalls die Gleichstellung der Frau in der jetzigen Fassung des Grundsatzausschusses, wie sie auch der Hauptausschuß angenommen hat, nicht verankert. Wenn Sie es wollen, ehrt Sie das, Frau Dr. Weber, und ich hoffe, daß Sie diese Meinung dann noch verwirklichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, wir können jetzt abstimmen. Es sind zwei Anträge. Zunächst liegt der Antrag vor, die Beschlußfassung bis zur zweiten Lesung auszusetzen. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Es ist beschlossen, die Beschlußfassung auszusetzen55).

55)

Vgl. dazu weiter Dok. Nr. 22, TOP 8.8, S. 678.

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Zwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 7. Dezember 1948 [2.20. ART. 148e: VOLKSENTSCHEID]

Art. 148e Dieses Gesetz bedarf der Annahme durch Volksentscheid in mindestens zwei Dritteln der beteiligten Ländern. In jedem Lande entscheidet die einfache Mehrheit der Abstimmenden. Im übrigen wird das Verfahren durch die einzelnen Länder geregelt. Wird das Wort dazu gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich abstimmen. – Gegen die Stimme des Herrn Kollegen Dr. Seebohm angenommen.

[2.21. ART. 148f: INKRAFTTRETEN DES GRUNDGESETZES]

Art. 148f (1) Der Parlamentarische Rat stellt in öffentlicher Sitzung die Annahme dieses Grundgesetzes fest, fertigt es aus und verkündet es. (2) Dieses Grundgesetz tritt mit dem Ablauf des Tages der Verkündung in Kraft. (3) Es ist im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Ich verstehe das so, daß offenbar daran gedacht ist, daß, wie seinerzeit bei der amerikanischen Verfassung, die einzelnen Abgeordneten ihren Namen unter das Grundgesetz setzen, (Zustimmung) soweit sie Wert darauf legen, sich zu diesem Dokument zu bekennen. Dr. Süsterhenn (CDU): Ist geprüft worden, ob nicht in den Verhandlungen zwischen den Militärgouverneuren und den Ministerpräsidenten einmal festgelegt worden ist, daß diese Verkündung durch die Ministerpräsidenten erfolgen soll? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe alle Protokolle56) gelesen, es ist nichts darüber gesagt worden. Es scheint mir sicher zu sein, daß man sich auf der Londoner Konferenz57) offenbar über diese Dinge keine Gedanken gemacht hat, so wenig wie über die Frage, wer das Wahlgesetz zum ersten Parlament zu erlassen haben wird58). Ich lasse abstimmen. – Art. 148f ist angenommen.

[2.22. ART. 149: GÜLTIGKEITSDAUER DES GRUNDGESETZES]

Art. 14959) Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von einer frei gewählten und frei entscheidenden gesamtdeutschen Nationalversammlung beschlossen worden ist. 56)

Zu den Verhandlungen zwischen den MilGouv. und den MinPräs. vgl. Akten zur Vorgeschichte, bes. Bd. 4 und 5, sowie Der Parl. Rat, Bd. 1, Dok. Nr. 2 und Nr. 3, S. 17–29. 57) Zur Londoner Sechsmächte-Konferenz vom 23. Febr.–6. März und 20. April–2. Juni 1948 vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 8, Anm. 30. – Für den Wortlaut des Schlußkommuniqués vom 7. Juni 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 1, Dok. Nr. 1, S. 1–17. 58) Vgl. dazu Rosenbach: Einleitung, in: Der Parl. Rat, Bd. 6, S. VII ff. 59) Im stenograph. Wortprot., S. 71: „149“; in der Druckausgabe „149f“.

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Damit wird völlig klargelegt, daß die endgültige deutsche Verfassung nicht im Wege der Abänderung dieses Grundgesetzes entstehen wird, sondern originär. Ich lasse darüber abstimmen – Keine Stimme dagegen. Der Hauptausschuß vertagt sich auf 16 Uhr. Schluß der Sitzung 13.02 Uhr.

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Nr. 21 Einundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 7. Dezember 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 239–254. PA 2004. Ungez. von Thöt gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 455 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: Blomeyer, Lehr, Lensing, Pfeiffer, Strauß, Süsterhenn, Walter, Weber, Wirmer SPD: Bergsträsser, Eberhard, Greve, Löwenthal, Maier, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Zimmermann FDP: Dehler, Heuss DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Wessel Abgeordnete ohne Stimmrecht: Kaufmann (CDU/CSU), Kleindinst (CDU/CSU), Nadig (SPD) Stenographischer Dienst: Thöt Dauer: 16.17–18.59 Uhr

[1. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT I: GRUNDRECHTE]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Bei den für heute nachmittag vorgesehenen Anträgen handelt es sich fast ausschließlich um Dinge aus dem Geschäftsbereich des Grundsatzausschusses: Schutz der Ehe und Familie; Gewährung der zur Ausübung öffentlicher Ehrenämter erforderlichen freien Zeit für Arbeiter, Beamte und Angestellte; Rechtsstellung der Kirchen; Elternrecht und Erziehung. Weiter hat uns der Ausschuß für Grundsatzfragen nunmehr unter den drei Formulierungen seiner Aufstellung vom 6. Dezember3) eine Formulierung zu Art. 27a über das Beamtenproblem vorgelegt, und schließlich ist ein Antrag der Zentrumsfraktion eingegangen, der sich mit der Ermöglichung von Volksentscheiden befaßt4).

[1.1. ART. 19 ABS. 2: ÖFFENTLICHE EHRENÄMTER]

Ich rufe zunächst Art. 19 Abs. 2 in der Formulierung des Grundsatzausschusses (PR. 12.48 – 373)5) auf: 1)

Protokollführer Pauls. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Für den Wortlaut der Änderungsvorschläge des Ausschusses für Grundsatzfragen aufgrund seiner Beratungen in der 28. Sitzung am 3. Dez. 1948, vervielfält. als Drucks. Nr. 336, vgl. Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 36, S. 800, Anm. 24. 4) Der von Wessel gez. Antrag der Zentrumsfraktion vom 6. Dez. 1948, vervielfält. als Drucks. Nr. 349, wurde in der 22. Sitzung des HptA am 8. Dez. 1948 behandelt. Vgl. unten Dok. Nr. 22, TOP 4, S. 665–670. 5) Drucks. Nr. 373 enthält das Kurzprot. der 29. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 4. Dez. 1948; für den Wortlaut des Art. 19 Abs. 2 in der dort verabschiedeten 2)

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(2) Wer in einem Arbeitsverhältnis als Arbeiter, Angestellter oder Beamter steht, hat das Recht auf die zur Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte und zur Ausübung ihm übertragener öffentlicher Ehrenämter nötige freie Zeit. Der Anspruch auf Vergütung bleibt erhalten, soweit nicht bei Verdienstausfall eine diesen ausgleichende Entschädigung gewährt wird. Das Nähere regelt das Gesetz. Keine Wortmeldungen. – Ich lasse über Art. 19 Abs. 2 in der verlesenen Fassung abstimmen. – Einstimmig angenommen.

[1.2. ART. 7a: SCHUTZ DER EHE UND FAMILIE]

Wir kommen zum Antrag des Grundsatzausschusses über „Schutz der Ehe und Familie“ (PR. 12.48 – 341)6):

Art. 7a (1) Die Ehe als die rechtmäßige Form der fortdauernden Lebensgemeinschaft von Mann und Frau und die mit ihr gegebene Familie sowie die aus der Ehe und der Zugehörigkeit zur Familie erwachsenden Rechte und Pflichten stehen unter dem besonderen Schutz der Verfassung. (2) Jede Mutter hat gleichen Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. (3) Uneheliche Kinder haben das gleiche Recht auf Förderung durch die Gemeinschaft wie eheliche Kinder. Dr. Pfeiffer (CSU): Ehe wir in die Beratung dieses Artikels eintreten, möchte ich ein paar allgemeine Bemerkungen vorausschicken, die sich auf den ganzen Komplex beziehen, mit dem dieser Antrag des Grundsatzausschusses, der Ihnen zur Annahme empfohlen wird, in Verbindung steht. Die Fraktion der CDU/CSU hat am 24. November im Grundsatzausschuß einen Antrag eingebracht, der aus Drucksache PR. 11.48 – 3027) ersichtlich ist und das Ziel hatte, unter die Grundrechtsartikel auch einen Artikel über den Schutz der Ehe und Familie und dazu einen weiteren Artikel über Elternrecht und Erziehung einzureihen. Am 29. November stellten im Grundsatzausschuß die Fraktionen der CDU/CSU, des Zentrums und der Deutschen Partei einen gemeinsamen weiteren Antrag über die Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat, ersichtlich aus Drucksache PR. 11.48 – 3218).

Fassung vgl. des stenograph. Wortprot. gedruckt in: Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 38, S. 843. 6) Drucks. Nr. 341 enthält die vom Ausschuß für Grundsatzfragen am 4. Dez. 1948 verabschiedete Fassung des Art. 7a; zur Beratung des Art. 7a im Ausschuß vgl. des stenograph. Wortprot. gedruckt in: Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 38, S. 806–835. 7) Für den Wortlaut der Drucks. Nr. 302 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 31, S. 634 f. 8) Für den Wortlaut und die Entstehung des von Pfeiffer (CSU), Seebohm (DP) und Wessel

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Diese drei Anträge wurden am 4. Dezember im Grundsatzausschuß behandelt9). Über den Antrag betreffend den Schutz der Ehe und der Familie kam der Grundsatzausschuß nach einer Umformulierung zu einer Verständigung. Dem Hauptausschuß liegt heute gemäß dem am 4. Dezember gefaßten Beschluß ein Antrag auf Zustimmung hierzu vor. Das ist die Drucksache, die heute auf dem Tische liegt (PR. 12.48 – 341)10). Dagegen ergaben sich über unsere Anträge in bezug auf Elternrecht und Erziehung sowie in bezug auf Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat ganz bedeutende Meinungsverschiedenheiten. Die eine Hälfte des Ausschusses, ziffernmäßig gerade so stark wie die Befürworter des Antrags, vertrat die Auffassung, daß die hier einschlägige Materie nicht im Grundgesetz behandelt werden könne, da sie vollkommen in den Zuständigkeitsbereich der Länder gehöre. Infolgedessen kam es dann nicht zu einer materiellen Behandlung dieses Antrags. Angesichts dieser Sachlage habe ich im Namen und Auftrag der Fraktion der CDU/ CSU und im Einvernehmen mit den Fraktionen des Zentrums und der Deutschen Partei darauf hinzuweisen, daß wir der von uns vorgeschlagenen Regelung der Materie im Grundgesetz allergrößte Bedeutung beimessen, wie dies im Namen der beteiligten Fraktionen schon früher im Grundsatzausschuß die Abgeordneten Frau Dr. Weber, Dr. Süsterhenn und Frau Wessel dargelegt haben. Mit unseren Anträgen treten die Beratungen des Parlamentarischen Rates in den Bereich entscheidender weltanschaulicher Fragen. Das Echo aus weiten Kreisen unseres Volkes und aus allen Teilen Deutschlands beweist uns, daß eine befriedigende Regelung der in unseren Anträgen aufgerollten Fragen vom Parlamentarischen Rat nicht nur erwartet, sondern kategorisch gefordert wird. Wir würden das Vertrauen von Millionen von deutschen Männern und Frauen enttäuschen und der für uns bestehenden inneren Verpflichtung untreu werden, wenn wir nicht alles daran setzen würden, eine befriedigende Regelung für diese Fragen zu erreichen. Unsere Vertreter im Grundsatzausschuß haben schon angedeutet, daß es sich hier für uns um so fundamentale, um so ernste Fragen handelt, daß die Entscheidungen des Parlamentarischen Rates auf diesem Gebiet für unsere Entscheidung gegenüber der Gesamtverfassung von sehr großer Bedeutung sein werden. Die Befürworter der beiden Anträge bringen ihre vom Grundsatzausschuß nicht (Zentrum) gezeichneten Antrags vom 29. Nov. 1948, vervielfält. als Drucks. Nr. 321, vgl. Der Parl. Rat. Bd. 5/2, Dok. Nr. 38, S. 835 f., Anm. 44. 9) Vgl. dazu die 29. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 4. Dez. 1948; Der Parl. Rat. Bd. 5/2, Dok. Nr. 38, S. 805–845. 10) Drucks. Nr. 341 enthält u. a. die in der 29. Sitzung am 4. Dez. 1948 vom Ausschuß für Grundsatzfragen verabschiedete Fassung des Art. 7a: „Schutz der Ehe und Familie (1) Die Ehe als die rechtmäßige Form der fortdauernden Lebensgemeinschaft von Mann und Frau und die mit ihr gegebene Familie sowie die aus der Ehe und der Zugehörigkeit zur Familie erwachsenden Rechte und Pflichten stehen unter dem besonderen Schutz der Verfassung. (2) Jede Mutter hat gleichen Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. (3) Uneheliche Kinder haben das gleiche Recht auf Förderung durch die Gemeinschaft wie eheliche Kinder.“

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behandelten Anträge hier im Hauptausschuß wiederum ein. Die Begründung der einzelnen Anträge wird von unserer Seite durch den jeweiligen Sachbearbeiter vorgetragen werden. Frau Dr. Weber (CDU): Der Grundsatzausschuß hat sich auf die vom Herrn Vorsitzenden verlesene Fassung des Art. 7a geeinigt. Es war noch ein Antrag von der SPD eingebracht worden, der die gleiche Rechtsstellung für das uneheliche Kind verlangte. [S. 240] Der Antrag ist aber dann abgeändert worden. Dann sind der Antrag der CDU/CSU und auch der Antrag der SPD gefallen, und wir haben uns schließlich auf das geeinigt, was eben verlesen worden ist. Ich glaube, ich brauche nicht näher auszuführen – darin waren sich ja alle einig –, daß die Ehe als rechtmäßige Form der fortdauernden Lebensgemeinschaft von Mann und Frau und daß auch die Familie unter dem besonderen Schutz der Verfassung stehen sollen. Dieser Grundsatz war schon, wenn auch in anderer Formulierung, in der Weimarer Verfassung11) verankert. Wir waren ferner der Meinung, daß jede Mutter den gleichen Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft haben soll und daß das ganz besonders heute der Fall sein muß, da die Mutter stärkere Lasten zu tragen hat als jemals in der ganzen deutschen Geschichte. Und schließlich waren wir der Auffassung, daß die unehelichen Kinder das gleiche Recht auf Förderung durch die Gemeinschaft haben sollen wie die ehelichen Kinder. Wir haben aber eine Gleichstellung der unehelichen Kinder mit den ehelichen Kindern abgelehnt. Frau Nadig (SPD): Der Abs. 3 des Art. 7a ist nach unserer Auffassung nichts anderes als eine Deklamation. Es heißt hier: Uneheliche Kinder haben das gleiche Recht auf Förderung durch die Gemeinschaft wie eheliche Kinder. Damit ist gesetzlich für die unehelichen Kinder keine Änderung erreicht. Notwendig wäre eine Auflockerung der gesetzlichen Bindung und eine Festlegung dahingehend, daß das uneheliche Kind auch mit seinem natürlichen Vater als verwandt gilt. Damit wäre überhaupt erst eine wirkliche Gleichstellung des unehelichen Kindes gegeben. Wir haben vorgeschlagen – und ich wiederhole diesen Antrag –: Das uneheliche Kind steht dem ehelichen gleich. Es gilt mit seinem natürlichen Vater als verwandt. Und wir möchten hinzugefügt haben: Das Recht der gesetzlichen Vertretung liegt bei der Mutter. Damit wäre wirklich eine Gleichstellung des unehelichen Kindes mit dem ehelichen gegeben. Das BGB ist vor 50 Jahren geschaffen worden12). In diesen 50 Jahren hat die Auffassung vom Familienrecht eine Änderung erfahren. Es ist deshalb notwendig, daß durch das Grundgesetz auch die Paragraphen des BGB dem wirklichen Leben angepaßt werden. 11)

Art. 109 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. [. . .]“. RGBl. S. 1404. 12) Das Bürgerliche Gesetzbuch trat gemäß Art. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch am 1. Jan. 1900 in Kraft (RGBl. I, S. 195).

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Ich bitte Sie daher, diesem Vorschlag Ihre Zustimmung zu geben. Frau Wessel (Z): Im ersten Teil des vor uns liegenden Artikels stellen wir Ehe und Familie unter den Schutz des Staates. Wenn wir von diesem Ordnungsbegriff ausgehen, daß Ehe und Familie die Träger des Staates sind, können wir auf der anderen Seite nicht etwas, was diesem Ordnungsbegriff widerspricht – ohne irgendwie ein wertmäßiges Urteil damit zu fällen –, in die gleiche Rangordnung stellen. Das uneheliche Kind als solches fällt aus dem Ordnungsbegriff, wie wir ihn im ersten Teil unseres Artikels festlegen, heraus. Hierin liegt der tatsächliche Unterschied, wie wir ihn einmal sehen müssen, auch in der Fassung, die jetzt von Frau Nadig vorgeschlagen wird. Uneheliche Kinder können wir, selbst wenn wir wollten, nicht gleichstellen, weil wir, wie ich schon sagte, von einem anderen Ordnungsbegriff in dem Aufbau unserer staatlichen und gesellschaftlichen Gemeinschaft ausgehen. Wenn ich im ersten Absatz sage, daß Ehe und Familie unter dem Schutz des Staates stehen, kann ich, wenn ich mich in dieser Ordnungssphäre bewege, das uneheliche Kind nicht in der gleichen Rangordnung bewerten, weder gesetzlich noch bezüglich anderer Maßnahmen auch nach dem BGB. Das ist, glaube ich, der Unterschied, den wir unter allen Umständen beachten müssen. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich möchte zunächst der Auffassung von Frau Nadig entgegentreten, wonach der jetzt vorgeschlagene Abs. 3 lediglich eine Deklamation darstellt. Es ist keine Deklamation, sondern diese Formulierung gibt dem unehelichen Kind durchaus reale Rechte. Es hat nämlich den Anspruch und das gleiche Recht auf Förderung durch die Gemeinschaft wie das eheliche Kind. Das bedeutet, daß zum Beispiel bei der Vergebung von Stipendien, bei der Kinderlandverschickung, bei sonstigen sozialpolitischen oder anderen gesellschaftlichen Maßnahmen zur Förderung der Kinder das uneheliche Kind durch die Gesellschaft nicht schlechter behandelt werden darf als das eheliche Kind. Also hier handelt es sich um echte Rechtsansprüche, die das uneheliche Kind durch diese Fassung erhält. Was nun die Zusatzanträge betrifft, so möchte ich dazu bemerken, daß durch deren Annahme eigentlich das ganze bürgerliche Rechtssystem, wie es in den betreffenden Paragraphen niedergelegt ist, gesprengt würde. Wir können diese Dinge nicht einfach mit zwei oder drei Sätzen in der Verfassung ändern. Ich bin durchaus der Meinung, daß es ernsthafter Beratungen bedarf, um auf gewissen Gebieten eine Verbesserung der Rechtsstellung auch des unehelichen Kindes herbeizuführen. Ich bin der Auffassung, daß es notwendig ist zu erwägen, inwieweit nicht nur die materiellen, sondern auch die darüber hinausgehenden Verpflichtungen des unehelichen Vaters bei einer Neuordnung des bürgerlichen Rechts festzulegen sind. Aber das kann nicht im Rahmen der Verfassung geschehen. Wenn wir Ihre Zusatzanträge annehmen würden, würden wir gegen den bereits hier im Hauptausschuß einstimmig beschlossenen Gleichheitssatz in den Grundrechten verstoßen, worin ja ausdrücklich gesagt wird, daß Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist. Eine absolute Gleichheit zwischen dem ehelichen und dem unehelichen Kind besteht nun einmal von Natur aus nicht, weil das eheliche Kind aus der Ehe hervorgegangen ist und normalerweise im Familienverband lebt, während das uneheliche Kind nicht in diesem Familienverband steht. Es steht nur in einem engeren Verhältnis zur Mutter, aber der Vater als Teil der Familie fehlt nun einmal in dieser Ordnungsgemeinschaft. Diese Dinge sind also praktisch gar nicht mög-

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lich, weil eben von Natur aus zwischen dem unehelichen und dem ehelichen Kind ähnliche Verschiedenheiten bestehen, wenn auch vielleicht nicht so ausgeprägt, wie zwischen Mann und Frau, was auch auf dem Gebiet, das heute morgen erörtert worden ist, eine absolute Gleichstellung einfach nicht möglich macht. Es ist dies auch früher schon einmal hervorgehoben worden. Ich erinnere hier an die Weimarer Nationalversammlung, in deren Verfassungsprotokollen gerade in bezug auf das Verhältnis von Mann und Frau auch die absolute rechtliche Gleichstellung gefordert wurde. Schon damals wurde von dem Abgeordneten Beyerle13) erklärt: Es ist unmöglich, auf die Frau unbeschränkt etwa die Bestimmungen über die Deichpflicht anzuwenden, wie es andererseits auch unmöglich ist, etwa die Bestimmungen über die Schwangerschaftsfürsorge auf den Mann anzuwenden. Diesem natürlichen, aus der Sache sich ergebenden Unterschied muß man bei der Rechtsformulierung einfach Rechnung tragen. Dr. Heuss (FDP): Als ich im Grundsatzausschuß diesen Antrag eingebracht habe, die uneheliche Mutter und das uneheliche Kind mit in die gleiche Rechtssituation zu bringen, hatte ich auch an die ursprüngliche Fassung des „gleichen Rechts“ gedacht. Aber wir kamen dann in eine sehr eingehende Sachdiskussion, bei der wir juristischen Laien uns von den Juristen der verschiedenen Fraktionen überzeugen lassen mußten, daß der einfache Satz der Gleichberechtigung bei der Kompliziertheit der verschiedenartigen Gesetze, die hier ineinandergreifen, in seinen Konsequenzen nicht durchzuführen ist. Für sehr unglücklich würde ich es halten, wenn wir in die Verfassung – das steht auch gleich am Anfang – bereits in der sozialen Fürsorge als Spezialität eine juristische Umschreibung des unehelichen Vaters hineinnehmen würden. Das ist eigentlich eine optisch nicht ganz richtig geregelte Sache. Wir sind uns im Grundsatzausschuß einig gewesen über das, worauf es uns ankommt14), und haben dann [S. 241] schließlich nach den Formulierungen der Weimarer Verfassung Umschau gehalten15). Die waren uns aber etwas zu bombastisch. Infolgedessen haben wir uns auf diesen jetzt vorgelegten Vorschlag geeinigt, und ich glaube, daß er zum Ausdruck bringt, was als Zielsetzung der werdenden Gesetzgebung ähnlich wie es in der Fassung über die Stellung der Frau im bürgerlichen Recht an anderer Stelle, dort befristet, zum Ausdruck gebracht ist – auch für hier zutreffen soll. Ich möchte deshalb meinen, wir sollten diese Formulierung des Grundsatzausschusses, die in all ihren rechtlichen Konsequenzen in diesem Ausschuß diskutiert worden ist, annehmen. Frau Nadig (SPD): Ich habe manchmal den Eindruck, als wenn wir in etwa an der Wirklichkeit vorübergehen. Es ist vor wenigen Tagen schon auf den Überschuß von 13)

Konrad Beyerle (1872–1933), Mitglied der Zentrumspartei, 1898 Habilitation, 1899 Privatdozent in Freiburg, 1900 Professor für Rechtsgeschichte in Freiburg, 1902 Professor in Breslau, 1906 in Göttingen, 1917 in Bonn, 1918 in München, 1919/20 Mitglied der Verfassunggebenden Nationalversammlung in Weimar. 1920–1924 Reichstagsabgeordneter, seit 1920 war er zudem Mitglied des Staatsgerichtshofes. Thomas Hense: Konrad Beyerle. Sein Wirken für Wissenschaft und Politik in Kaiserreich und Weimarer Republik. Frankfurt am Main 2002. 14) Vgl. dazu die 26. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 30. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 33, S. 738–754. 15) Ebd. S. 742.

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7 Millionen Frauen hingewiesen worden, den wir zur Zeit haben. Wenn wir daran denken, daß dieser Frauenüberschuß im wesentlichen in der Altersgruppe von 22 bis 45 Jahren liegt, dann wissen wir, daß daraus eine ungeheuer veränderte Form der Lebensgemeinschaft erwachsen wird. Wir müssen damit rechnen, daß wir in Zukunft eine Mutter-Familie bekommen, und wir haben alle Veranlassung, dem unehelichen Kind rechtlich wirklich die Gleichstellung mit dem ehelichen Kind zu geben. Was wir dem unehelichen Kind in der vorliegenden Formulierung des Abs. 3 zubilligen, sind Nebenrechte, Fürsorge, nicht die Hauptsache, die Gleichstellung mit dem ehelichen Kind. Es ist doch wohl das natürlichste Recht, daß das Kind mit seinem Vater, selbst wenn er gesetzlich nur „Erzeuger“ genannt wird, verwandt ist. Darum ist es notwendig, das jetzt auch in die Grundrechte hineinzunehmen. Dr. Bergsträsser (SPD): Meine Fraktion möchte den ersten Satz etwas kürzer gefaßt sehen, und zwar folgendermaßen: Ehe, Familie und Kind genießen den besonderen Schutz der Verfassung. Das übrige möchten wir wegfallen lassen. Ich möchte dann noch eine Bemerkung zu der Stellung des unehelichen Kindes machen. Meine Fraktion legt besonderen Wert darauf, daß diese Stellung gebessert wird. Es ist richtig, wenn von anderer Seite gesagt wird, daß eine völlige Gleichstellung im Hinblick auf die bestehende Gesetzgebung zu rechtlichen Schwierigkeiten führt. Man könnte dessen natürlich Herr werden, wenn man einen Zusatz anfügte wie bei der Gleichstellung der Frau, mit einem Termin für die Änderung der Gesetzgebung. Aber wenn nun gesagt worden ist, daß die Verwandtschaft zwischen dem unehelichen Vater und dem unehelichen Kind festgestellt werden soll, so wird das wenigstens einem Punkte dem unehelichen Kind ein größeres Recht geben, indem dann nämlich auf Grund der Verwandtschaft das Erbrecht des Kindes festgelegt würde, mindestens mit dem Pflichtteil. Das scheint uns doch ein Minimum von Verbesserung der Stellung des unehelichen Kindes zu sein. Renner (KPD): Herrn Dr. Adenauer ist in der Öffentlichkeit nachgesagt worden, daß er im Zuge der Verhandlungen hier im Parlamentarischen Rat einmal den Satz geprägt habe, die hier ausgearbeitete Verfassung stelle den Sieg des 18. über das 20. Jahrhundert dar. Ich kann mir nicht helfen: die Charakterisierung dieses Verfassungswerkes, wie sie Herr Dr. Adenauer vorgenommen hat, trifft, wenn man sich den Ablauf der bisherigen Diskussion um diesen Punkt, der uns heute interessiert, vor Augen hält, absolut zu. Die ganze verlogene Herrenmoral der bürgerlichen Klasse, deren Träger Sie sind, kommt bei diesen Ausführungen zutage. Daß es Frauen waren, die sie vertraten, macht die Situation noch schlimmer. Daß christliche Frauen, wie Sie sich sonst doch immer nennen, meine Damen, die Sie vom Ihrem Standpunkt aus zu der Frage gesprochen haben, sich zu Trägern derartiger Gedanken machen, das ist – nehmen Sie es mir nicht übel – außerordentlich bedauernswert. (Frau Dr. Weber [CDU]: Welcher Gedanke, Herr Renner?) – Des Gedankens, dem unehelichen Kind nichts oder höchstens etwas sehr Problematisches zu gewähren, höchstens einen verfassungsmäßig überhaupt nicht verankerten Schutz in puncto soziale Betreuung. Mehr wollen Sie nämlich gar nicht! Dabei sind Sie sich darüber klar, daß das, was Sie hier ausgesprochen haben, nichts

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anderes ist als eine inhaltlose Phrase; denn Sie wissen so gut wie ich, daß ein gesetzlicher Anspruch auf diese soziale Fürsorge in der Verfassung und auch im Leben nicht gegeben ist. Gleiches soll gleich und ungleiches soll ungleich behandelt werden, sagte ein anderer Vertreter der CDU. Es handelt sich um Kinder, mit denen wir uns im Augenblick beschäftigen. Sind denn die nicht gleich in ihrer Hilfsbedürftigkeit, in ihrer Abhängigkeit von den Erwachsenen und in ihrer Schutzbedürftigkeit durch die Öffentlichkeit und durch den Staat? (Dr. Süsterhenn [CDU]: Das steht ja da drin!) – Ja, da steht es insofern drin, als Sie sagen: Wir wollen sie in Erholungsheime schicken, wir wollen sie in Kinderlandheime schicken. Das steht da drin, aber weniger kann man ja wohl eigentlich nicht mehr tun! Oder wollen Sie als „Christen“ noch zum Ausdruck bringen, daß wir die Kinder aussetzen oder verhungern lassen sollen? Daß Sie das überhaupt aussprechen, zeigt schon Ihre grundsätzliche, sogenannte christliche Einstellung zu den Problemen. Mir kommt überhaupt bei dieser Diskussion des öfteren der Gedanke: Wir Wilde sind doch bessere Menschen! Gibt es denn nicht einen Gründer einer Religion16), auf den Sie doch sonst angeblich immer schauen, der einmal gesagt hat: „Lasset die Kindlein zu mir kommen!17)“? Ist das ganz abgeschrieben? Sonst führen Sie doch den Namen dieses Religionsgründers bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit im Mund. (Zuruf von der CDU: Auf dieses Zitat können wir vielleicht gleich zurückkommen!) – Sehr gern! Ich diskutiere sehr gern einmal mit Ihnen über die Frage der Regelung dieses Problems in der Sowjet-Union. Da dürfte Ihnen der Atem ausgehen! (Dr. Löwenthal [SPD]: Das glaube nicht! – Heiterkeit.) Ich habe mir geschworen, Sie nicht mehr zu beachten, Herr Löwenthal! Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich bitte, keine Dialoge zu führen. Renner (KPD): Ich gebe Ihnen, Herr Löwenthal, die Achtung, die Ihnen Ihre eigene Fraktion gibt, nicht mehr und nicht weniger! Aber wir können einmal sachlich über die Ordnung des Rechts des Kindes in der Verfassung und im Leben der Sowjet-Union diskutieren. (Dr. Heuss [FDP]: Aber nicht jetzt!) – Nein, nicht jetzt; Sie sind nämlich unbelehrbar, gerade Sie! Ich bin der Meinung, daß es hier darum geht, ein Unrecht, dessen Beseitigung seit Jahrzehnten von allen fortschrittlichen Kräften der Welt angestrebt wird, endlich aus der Welt zu schaffen. Wenn man hier mit solchen Formulierungen arbeitet, daß der „Ordnungsbegriff“ gestört werde, dann darf ich mir den Hinweis darauf erlauben, daß in anderen Ländern, die sich auch „christliche“ Länder nennen, dieses Problem bereits in einer Form geregelt ist, wie wir sie heute noch anstreben. Haben diese Länder Ihrer Auffassung nach deshalb einen geringeren Anspruch darauf, als „christliche“ Länder angesprochen zu werden? Das werden Sie doch wohl nicht behaupten wollen. Hier handelt es sich einfach darum, einmal einen Widerstand 16) 17)

Jesus Christus. Vgl. Matthäus-Evangelium 19,14; Markus-Evangelium 10,14; Lukas-Evangelium 18,16.

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zu brechen, der einer anständigen, sozialen Lösung des Problems von der Kirche von heute in Deutschland und in der Welt entgegengestellt wird. So liegen doch die Dinge. Sie haben das Wort Kirche nicht ausgesprochen. Aber ich spreche es aus. Darum bin ich der Meinung, daß man diesen Antrag, wie er von der sozialdemokratischen Fraktion hier eingebracht worden ist, unter allen Umständen in die Verfassung hineinarbeiten muß. Es kommt aber, meine [S. 242] Herren von der Sozialdemokratie, meines Erachtens noch darauf an, daß man neben dem Kind auch der unehelichen Mutter denselben Schutz gewährt. Ich erlaube mir deshalb den Vorschlag, folgenden Artikel in die Verfassung hineinzuarbeiten: Außereheliche Geburt darf weder der Mutter noch dem Kind zum Nachteil gereichen. Alle Gesetze und Bestimmungen, die bei außerehelicher Geburt die Mutter und das Kind benachteiligen, sind aufzuheben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist vorhin von der natürlichen Ordnung der Familie gesprochen worden, auf der unser gesellschaftliches und staatliches Dasein beruhe und die es ausschließe, daß man außerhalb dieser natürlichen Ordnung geborene Kinder Kindern gleichstelle, die innerhalb dieser natürlichen Ordnung geboren sind und aufwachsen. Ich glaube nicht, daß dieser Gesichtspunkt richtig ist. Die Rechtsfolgen, die wir an die Tatsache einer Blutsverwandtschaft knüpfen, sind nicht von Natur aus – nicht „physei“18), sondern „thesei“19), sind Produkte der Rechtsordnung; und diese schaffen die Menschen. Die Familie ist, so seltsam Ihnen das klingen mag, als Institution, an die sich bestimmte Rechte und Pflichten knüpfen, ein Produkt der Rechtsordnung, und je nach den Rechtsordnungen, die in den einzelnen Epochen und in den einzelnen Gegenden gelten, ist die Familie etwas vollkommen anderes, und es knüpfen sich an gleiche biologische und soziologische Tatbestände verschiedene Rechtsfolgen20). So ist es auch mit dem unehelichen Kind. Es hat Zeiten gegeben, in denen das uneheliche Kind rechtlich genau so stand wie das eheliche Kind. Es hat andere Zeiten gegeben, in denen das uneheliche Kind aus den verschiedensten Gründen differentiell behandelt worden ist. Ein Teil dieser Gründe war religiöser Art. Es war die Vorstellung, das außerehelich geborene Kind sei eine Frucht der Sünde; andere Gründe waren gesellschaftlicher Art. Im 18. Jahrhundert, das hier angeführt wurde, war der Grund dafür – er wurde maßgeblich für den Code civil21) –, daß man die vor allem vermögensrechtlich gesehene Geschlossenheit der Familie, die Legitimität der Erben-Folge vor allem, nicht gestört sehen wollte durch etwas, das man in glücklichen Stunden „Kind der Liebe“ und, wenn man vom Geschäftlichen sprach,“ natürliches“ Kind nannte im Gegensatz zu dem „legitimen“ Kind, zu den Kindern also, an deren Vorhandensein die Rechtsordnung die Rechtsfolgen knüpfte, die man für die Entwicklung der auf

18)

Griechisch: σει – von Natur aus. Griechisch: θ σει – aufgestellt, angeordnete, geschaffen. 20) Im stenograph. Wortprot., S. 16, folgt danach: „(Renner [KPD]: Sehr richtig!)“ 21) Der „Code civil“ ist das französische Gesetzbuch zum Zivilrecht. Es wurde von Napoléon Bonaparte am 21. März 1804 eingeführt und deswegen 1853–1871 auch offiziell „Code Napoléon“ genannt. 19)

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Besitz und kalkulierbarer Sekurität beruhenden bürgerlichen Gesellschaft für besonders förderlich hielt. Ich sage dies deswegen, um deutlich zu machen, daß letzten Endes wir als die Gesetzgeber es sind, die bestimmen werden, was hier und jetzt die Auswirkungen der vom Gesetz anerkannten „natürlichen“ Ordnung sein sollen. Deswegen erscheint es mir nötig, daß wir den Antrag der SPD akzeptieren. Denn wenn wir ihn in Verbindung mit den anderen Absätzen des vorgeschlagenen Artikels akzeptieren, dann werden wir Bestimmungen des Familienrechts erheblich über den Kreis, auf den sie bisher beschränkt waren, hinaus ausdehnen; das so geschaffene Wesen würde dann die vom Gesetz gewollte natürliche Ordnung der nächsten Zukunft sein. Frau Dr. Weber (CDU): Ich spreche aus einer langen Erfahrung in der sozialen Arbeit für uneheliche Kinder22), und ich darf hier ruhig sagen: die unehelichen Kinder sind meistens viel hilfloser und viel schutzbedürftiger als die ehelichen Kinder. Deshalb ist das keine Phrase, wenn wir sagen, daß die unehelichen Kinder durch die Gemeinschaft gefördert werden sollen. Die beiden Sätze, die jetzt die SPD als einen Bruchteil der Rechtsordnung für das uneheliche Kind in den Artikel hineinbringen will, halte ich in dieser Form nicht für möglich. Das Unehelichenrecht muß insgesamt geordnet werden. Aber diese Reform kann nur in einem großen Zusammenhang geschehen und nicht durch zwei Sätze. Ich habe jahrelang in den Ausschüssen mitgewirkt, die an dieser Reform arbeiteten. Das waren Männer und Frauen verschiedener Konfessionen und verschiedener Weltanschauungen. Eine Gleichstellung ist niemals möglich, weil das Kind nicht in die Familie hineingeboren wird. Das Kind ist schuldlos, aber tragisch getroffen. Aus diesem Grunde ist es faktisch unmöglich, durch zwei herausgegriffene Sätze diese schwierige Materie zu ordnen. Dr. Greve (SPD): Die Folgen, die sich an den von uns beantragten Satz knüpfen, sind nicht so, daß sie nicht durch den Gesetzgeber innerhalb kürzester Zeit überwunden werden könnten. Ich stehe nicht nur als Mitglied meiner Fraktion, sondern auch persönlich auf dem Standpunkt, daß es heute ein Erfordernis ist, das uneheliche Kind nicht nur biologisch, sondern auch rechtlich dem ehelichen Kind gleichzustellen. Wenn wir aber das uneheliche Kind dem ehelichen Kind gleichstellen, dann ergibt sich für den Gesetzgeber unter anderem die Verpflichtung, die gesetzliche Vertretung des Kindes anders zu regeln und vor allem die Folgen, insbesondere das Erbrecht des unehelichen Kindes gegenüber seinem Vater, anzuerkennen. Diese Folgen, die die wesentlichsten sind, sind nicht so schwierig, daß sie nicht durch den zukünftigen Gesetzgeber überwunden werden könnten. Ich halte es aber als Jurist für notwendig, wie Herr Kollege Süsterhenn darauf hinzuweisen, daß wir bei Annahme dieses Antrags selbstverständlich auch verpflichtet sind, dem Gesetzgeber vorzuschreiben daß er die diesem Artikel dann entgegenstehen22)

Weber war Lehrerin an verschiedenen Schulen, Mitglied im Zentralvorstand des Katholischen Deutschen Frauenbundes und erste Vorsitzende des „Vereins katholischer Sozialbeamtinnen Deutschlands“. Während der Nationalsozialistischen Zeit war sie in der freien Wohlfahrtspflege tätig.

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den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und anderer Gesetze binnen kürzester Frist zu ändern hat. Frau Wessel (Z): Ich glaube, wir müssen diese Frage leidenschaftslos behandeln und dürfen uns nicht gegenseitig Vorwürfe deswegen machen, weil wir eine bestimmte Meinung dazu vertreten. Ich glaube es aussprechen zu dürfen, gerade so wie Frau Weber, daß wir in der Arbeit auch für das uneheliche Kind in unserem Leben sehr viel getan haben. Es stand ja jedem frei, der dem unehelichen Kind helfen und ihm auch die Möglichkeit geben wollte, im Leben vorwärts zu kommen, das zu tun, was von jenen Kreisen getan worden ist, denen man heute hier vorwirft, sie machten aus irgendwelchen Gründen, aus christlichen, moralischen Erwägungen diese Vorschläge23). Es ist nun einmal so, und ich möchte das wiederholen, daß das uneheliche Kind aus der Ordnung herausfällt – ich komme noch einmal darauf zu sprechen –, weil es eben nicht in der Familie geboren ist und deshalb einfach in einer ganz anderen Lebensordnung liegt. Es kann gesagt werden: Zweierlei Recht darf es nicht geben! Wenn Sie aber jetzt das uneheliche Kind in ein Verwandtschaftsverhältnis zu seinem natürlichen Vater bringen wollen, so kann ich Ihnen aus meiner Fürsorgearbeit sagen, daß bei einem sehr erheblichen Teil unehelicher Kinder gar nicht feststellbar ist, wer ihr Vater ist. Das sind doch Tatsachen, die sich einfach aus der Fürsorgearbeit ergeben. Wir würden dann wieder zweierlei Recht schaffen, und zwar ein Recht für die Kinder, deren natürlicher Vater feststellbar ist, und ein Recht für die anderen, bei denen das nicht der Fall ist. Schon dies ist eine Frage, die ich Ihnen nur vorzulegen brauche, um zu zeigen, daß man diese Dinge nicht einfach aus einer bestimmten Perspektive sehen darf. Lassen Sie mich noch ein zweites sagen. Ich unterstütze jede Möglichkeit, dem unehelichen Kind zu helfen. Aber aus meiner Erfahrung heraus darf ich Ihnen auch folgendes sagen. Ich kenne sehr viele uneheliche Kinder, die es viel besser haben als eheliche Kinder. Ich kenne sehr viele Verhältnisse, wo dem unehelichen Kind in einem ganz anderen Maße von der Fürsorge geholfen werden kann und auch geholfen worden ist als manchem ehelichen Kind, das heute unter ganz schwierigen materiellen und wirtschaftlichen Verhältnissen von seinen Eltern erzogen werden muß. Wir dürfen diese ganze Frage nicht aus irgendwelchen Gefühlsmomenten heraus betrachten – da ließe sich das eine oder andere dafür anführen –, sondern wir wollen doch dem unehelichen Kind in [S. 243] dem Maße helfen, wie es möglich ist. Diese Möglichkeit ist aber nach meiner Auffassung in dem Abs. 3 dieses Artikels, wie er hier vorgeschlagen ist, durchaus gegeben, wenn nur auf allen Seiten der ehrliche Wille besteht und wenn alle die Sorge für das uneheliche Kind auch als ihre eigene Sorge betrachten. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich kann Herrn Kollegen Schmid nicht recht geben, wenn er meint, daß wir als Gesetzgeber darüber bestimmen, was nun für jetzt und für die zukünftige absehbare Zeit natürliche Rechtsordnung sein soll. (Dr. Schmid [SPD]: In Anführungszeichen natürlich!) Es ist nicht so, daß wir als Gesetzgeber bestimmen, was natürliche Rechtsordnung ist, sondern die natürlich gegebene und aus der Natur erwachsende Ordnung ist 23)

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Im stenograph. Wortprot., S. 19, folgt danach: „(Renner [KPD]: Ich habe nicht gesagt, daß sie christlich sind! Ich habe das Gegenteil gesagt!)“

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auch uns als Gesetzgeber bindend vorgeschrieben, und als Gesetzgeber können wir höchstens die natürlicherweise vorgegebenen Tatbestände rechtlich im einzelnen näher ausgestalten. Es ist zwar richtig, daß in der gesamten Menschheitsgeschichte in diesem oder jenem Kulturkreis gewisse Differenzierungen des Familienbegriffs feststellbar sind. Aber wir leben doch nun – und darauf legen wir doch immer entscheidenden Wert – innerhalb des Rahmens der christlich-abendländischen oder westlichen Kulturordnung, und in dieser Ordnung ist die Familie ständig als eine in sich geschlossene Einheit aufgefaßt worden. Wir wünschen daher auch, daß sie entsprechend dieser westeuropäischen Tradition in dieser geschlossenen Einheit bewahrt bleibt. Was würde zum Beispiel aus der rechtlichen Gleichstellung in bezug auf das Namensrecht folgern? Soll das uneheliche Kind den Namen des Vaters oder den Namen der Mutter tragen? Denken Sie weiter an die Frage des Erbrechts, die mit der Feststellung der Verwandtschaft auftauchen würde, und an all das, was im Zusammenhang damit in Frage käme. Diese Dinge sind so komplex und so kompliziert, daß wir das hier nicht einfach mit einem lapidaren Satz regeln und dabei Gefahr laufen können, unseren grundsätzlichen Familienbegriff als eine in sich geschlossene Ordnungseinheit preiszugeben. Dem Kind, auch dem unehelichen Kind, soll alles gegeben werden, was ihm auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Förderung nur gegeben werden kann. Ich fasse den Begriff der Förderung durch die Gemeinschaft, der von uns vorgeschlagen worden ist, auch als einen Appell an den Gesetzgeber auf wie ich es eben schon ausgeführt habe –, in eine Prüfung und Überlegung der Frage einzutreten, wie in bestimmter Beziehung auch die rechtliche Stellung des unehelichen Kindes verbessert werden kann. Aber dieses sehr komplizierte Problem mit einem lapidaren Satz in der Verfassung zu lösen, erscheint mir unmöglich, und ich glaube, daß die von uns vorgeschlagene und vom Grundsatzausschuß im wesentlichen akzeptierte Formulierung der Ausdruck eines guten Willens ist, dem unehelichen Kind zu geben, was ihm unter Berücksichtigung der Tatsache seiner Unehelichkeit nach Menschenkräften gegeben werden kann. Zimmermann (SPD): In der Frage des unehelichen Kindes liegt sowohl für die Mutter wie für das Kind eine tiefe menschliche Tragik. Wer die Geschichte verfolgt, kann sich diesem Eindruck nicht entziehen. Ich stimme durchaus der Auffassung zu, daß es in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers sein wird, dieses tragische Mißverständnis und Mißverhältnis zu beseitigen. Aber Ihr Antrag bedeutet doch tatsächlich einen sehr erheblichen Rückschritt gegenüber dem Art. 121 der Weimarer Verfassung, in dem es heißt24): Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern25). Ich finde, daß der Abs. 3 der Formulierung des Grundsatzausschusses einen bedenklichen Rückschritt bedeutet. Es bedürfte eigentlich keines besonderen Hin24) 25)

Art. 121 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919; RGBl. S. 1406. Im stenograph. Wortprot., S. 23, folgt danach: „(Renner [KPD]: Das war zu ,deklamatorisch‘, haben Sie gesagt; nein, zu ,bombastisch‘!)“

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weises mehr, daß wir im 20. Jahrhundert, nach dem größten Drama der menschlichen Geschichte eine Unzahl von Frauen haben, die ihre natürliche Berufung als Mutter nicht finden, wenn das uneheliche Kind in dieser Weise durch theologische Vorstellungen, durch die christliche Weltanschauung, will ich einmal sagen, so deklassiert bleibt, wie es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. In der Bibel heißt es: Wir sind alle Kinder Gottes! Auch das uneheliche Kind ist dieses Geschöpf wie wir. Wir haben ja nichts dafür getan, daß wir keine unehelichen Kinder sind. Und wer so frühzeitig seine Mutter verloren hat, der weiß, was es heißt, die Mutterliebe, die Mutterwärme so früh entbehren zu müssen und sie nicht wieder gewinnen zu können. Das geht jedem Menschen, der ein starkes Innenleben hat, nach bis in sein reifstes Mannesalter. Ich kann es deshalb durchaus nachempfinden, daß manche Mutter über diese Deklassierung geradezu verzweifelt ist. Ich habe in den staatlichen Erziehungsanstalten festgestellt, daß der größte Teil dieser Kinder da hineingekommen ist26), weil sie unehelich waren27), weil sie nie eine Heimat- und nie eine Mutterliebe verspürt haben. Die gesellschaftlichen Vorurteile haben diese Kinder dazu gebracht, daß sie gerade noch mit dem Ellenbogen an der Gefängnistür vorbeigekommen sind. Diejenigen, die das große Glück gehabt haben, ihre Eltern bis ins hohe Alter zu besitzen, sollten Verständnis aufbringen für diejenigen, die die Wärme und die Güte des Mutterherzens so früh entbehren mußten oder sie durch besondere gesellschaftliche Vorurteile nie erkannt haben. Ich glaube, daß es auch ein Akt der Menschenliebe ist, diesen Frauen ihr natürliches Recht zu geben, ihnen, die durch die Verhältnisse, durch den Kriegsausgang in dieses Schicksal hineingezwungen wurden, jetzt, nach Beendigung dieses größten Dramas, wenigstens jene Rehabilitierung zu geben, auf die sie im 20. Jahrhundert, im Jahrhundert des Kindes und der Frau, Anspruch erheben können. Ich will hier nicht eine pathetische Bemerkung machen. Aber ich möchte auch nicht sagen, daß wir völlig leidenschaftslos darüber verhandeln können. Nein, wir müssen uns mit der ganzen Leidenschaft unseres Herzens für das Kind und für die Mutter einsetzen. Deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag zu entsprechen, weil er meiner Auffassung nach fortschrittlich und menschenwürdig ist und weil er der Frau und dem unehelichen Kind jene Stellung in der Gesellschaft vermittelt und verschafft, auf die das Kind heute Anspruch erheben kann. Renner (KPD): Frau Weber von der CDU hat hier ausgeführt, daß die unehelichen Kinder schutzbedürftiger seien als die ehelichen. Eine Vorbemerkung: Von der linken Seite dieses Hauses ist kein Wort gefallen gegen die Sonderstellung der Familie und der Ehe, die hier in Abs. 1 enthalten ist. Aber man soll doch hier einmal offen aussprechen, wie die Lage des unehelichen Kindes, für das die öffentliche oder private Wohlfahrtspflege sich nun einsetzt, tatsächlich ist. Ich denke an die Lage zuerst einmal der Mutter. Ist es nicht für eine Mutter eine sehr traurige und geradezu tragische Sache, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse, wie sie heute bestehen, in einer großen Anzahl von Fällen sie nachgerade zwingt, sich von ihrem unehelich geborenen Kind zu trennen? Ist es nicht so, daß 26) 27)

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In der Vorlage: „sind“. Im stenograph. Wortprot., S. 24, folgt danach: „(Renner [KPD]: Sehr richtig!)“

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die so berühmte öffentliche Fürsorge, die zudem ja in der Hauptsache mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, nur einen erbärmlichen Ersatz bietet für den Schutz, den ein uneheliches Kind allein bei seiner Mutter, in der Betreuung durch seine Mutter genießen kann und genießen würde, wenn man es der Mutter ermöglichen würde, diese gesellschaftliche Ächtung zu überwinden? Also kommen Sie mir ja nicht mit der Behauptung, daß diese öffentliche Betreuung des unehelichen Kindes – die ja im übrigen durchaus nicht immer, sondern doch nur in Ausnahmefällen eintritt – auch nur ein [S. 244] Ersatz für das sei, was eine normale Mutter ihrem unehelichen Kind geben kann. Dann ist hier von Seiten der CDU auch gesagt worden, man könne die naturgegebene, mit der westlichen, abendländischen Kultur gewachsene Ordnung nicht gut durchbrechen. Ich habe die Behauptung aufgestellt – und diese Behauptung ist bisher nicht widerlegt worden –, daß es eine Reihe westlicher Staaten gibt, die sich „christliche“ Staaten nennen – mit vielleicht etwas weniger Fug oder vielleicht sogar mit etwas mehr Fug, als sich unser Westdeutschland „christliches“ Deutschland nennen kann –, die bereits derartige Gesetze geschaffen haben, ohne daß die „heilige Ordnung“ dadurch gelitten hätte oder etwa zusammengebrochen wäre. Das, was heute einem unehelichen Kind, selbst wenn es in einem staatlichen oder privaten Kinderheim aufgezogen wird, blüht, ist bestenfalls, wenn nicht der seltene Fall einer Adoption eintritt, doch das Schicksal – wenn es ein Mädchen ist –, das Los eines billig entlohnten Dienstmädchens. Das ist so der Normalfall, wenn das Kind nicht in der Fürsorgeanstalt bzw. im Gefängnis landet, welche Gefahr, wie wir doch wissen, absolut gegeben ist. Nun kommt aber noch etwas anderes dazu. Die Zahl der unehelichen Geburten im Verhältnis zu den ehelichen Geburten wächst ja auch in Ländern absolut und betont christlichen Charakters. Ich habe neulich einmal einige Zahlen über uneheliche Geburten in der frommen Stadt München gelesen. Da sind mir doch beinahe die Augen übergegangen! Es scheint also doch etwas Berechtigung in der Formulierung der SPD zu liegen, daß die Tatsache des Überwiegens der Frauen über die Männer auch die Gefahr eines Anwachsens der unehelichen Geburten in sich birgt. Das kommt also auch noch als ein Faktor hinzu, den man berücksichtigen muß. Und nun zurück zu der von mir gebrachten Formulierung, daß diese Einstellung sich aus der verlogenen Herrenmoral ergibt. Ich weiß auch aus der Praxis, wie schwierig es ist, die Unterhaltsbeiträge für uneheliche Kinder loszumachen. (Frau Dr. Weber [CDU]: Das haben Sie also doch auch festgestellt!) – Doch, das weiß ich. Ich weiß aber auch noch etwas mehr, Frau Weber. Ich weiß auch, daß die unehelichen Väter nicht nur bei den Leuten von links zu suchen sind28). Und ich weiß, daß die Moral in dem Lager, in dem Sie stehen, in dieser Frage böser und übler ist als in Arbeiterkreisen. (Kaufmann [CDU]: Das haben Sie sich aus den Fingern gesogen!) – Nein, das habe ich mir nicht aus den Fingern gesogen. Aber man kann oder will das nicht zugeben.

28)

Im stenograph. Wortprot., S. 27, folgt danach: „(Heiterkeit.)“.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Renner, wir wollen nicht unsere Moralen vergleichen! Renner (KPD): Schön, aber wenn ich angepetzt werde, dann dürfen Sie es mir nicht übelnehmen, wenn ich darauf reagiere. Man soll nur mit der Moral nicht so dicke tun, man soll sich lieber an die eigene Nase fassen. Ich bin also der Meinung, daß es endlich an der Zeit ist, mindestens das sicherzustellen, was leider auch in der Weimarer Verfassung Deklaration geblieben ist, nämlich die gesetzliche Gleichstellung der unehelichen Mutter und des unehelichen Kindes. Ich bin mir darüber klar, daß dann eine Reihe von Bestimmungen des BGB geändert werden müssen. Aber das haben wir auch in einem anderen Punkt, den wir heute morgen besprochen haben, bereits festgelegt. Die Hindernisse, die das bestehende Bürgerliche Gesetzbuch heute noch einer Änderung entgegenhält, sind mit etwas gutem Willen innerhalb einer gewissen Frist doch aus der Welt zu schaffen. Deshalb wiederhole ich noch einmal meinen bereits eingebrachten Antrag; ich kann Ihnen den Antrag auch schriftlich geben. Ich beantrage, daß ein Artikel mit folgendem Wortlaut eingefügt wird: Außereheliche Geburt darf weder der Mutter noch dem Kind zum Nachteil gereichen. Alle Gesetze und Bestimmungen, die bei außerehelicher Geburt die Mutter und das Kind benachteiligen, sind aufzuheben. Es müßte dann an anderer Stelle noch eine Bestimmung nachgetragen werden, daß die dem entgegenstehenden Bestimmungen innerhalb einer bestimmten Frist aus der Welt zu schaffen sind. Dr. Seebohm (DP): Ich glaube, wenn wir die Diskussion zu diesem Punkt so weiterführen – eine Diskussion die eigentlich in die Fachausschüsse gehört –, daß wir dann mit unserer Arbeit nicht zu Ende kommen. Ich bin der Meinung, daß wir hier ganz konzentriert verhandeln müßten und jede darüber hinausgehende Diskussion vermeiden sollten. Das Problem des unehelichen Kindes und der unehelichen Mutter ist gerade in unserer Zeit besonders schwer. Ich bin aber der Auffassung, daß dieses Problem sich in der Verfassung nicht regeln läßt, sondern daß es durch besondere Gesetze geregelt werden muß. Weiterhin bin ich der Auffassung, daß es nicht richtig ist, nur von dem Problem des unehelichen Kindes zu reden. Man müßte meines Erachtens im gleichen Umfange auch von dem Problem der elternlosen Kinder sprechen, nachdem die Zahl der elterlosen Kinder durch die Millionenzahl der vertriebenen Menschen und ihre Verluste bei der Austreibung, durch die Verluste durch Bomben und andere direkte Kriegsfolgen so außerordentlich stark angewachsen ist. Ich möchte mir deshalb den Vorschlag erlauben, an Stelle des Abs. 3 folgende Fassung zu setzen: Den unehelichen und elternlosen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern. Vors. Dr. Schmid (SPD): Mir scheint in diesem Antrag etwas nicht ganz zusammenzupassen. Wollen Sie hier elternlose Kinder und eheliche Kinder kontrastieren? Dr. Greve (SPD): Elternlose Kinder können sowohl ehelich wie unehelich sein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja, aber elternlose Kinder und eheliche Kinder kann man nicht kontrastieren lassen. Das geht nicht.

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Dr. Seebohm (DP): Aber Sie dürfen das Problem der elternlosen Kinder nicht vergessen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sicher, nur ist das ein ganz anderes Problem als das Problem der unehelichen Kinder. Dr. Seebohm (DP): Es muß aber, wenn Sie dieses Problem überhaupt anpacken, mit behandelt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das Problem der elternlosen Kinder ist ein Erziehungsproblem, ein Problem der Wohlfahrt, der Fürsorge, aber kein Problem des Familienrechts, während das Problem der unehelichen Kinder neben anderen auch noch ein Problem des Familienrechts ist. Frau Dr. Weber (CDU): Ich möchte dringend darum bitten, daß man das nicht in denselben Satz hineinnimmt. Das Problem der elternlosen Kinder fällt unter das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz, unter die Fürsorgepflichtverordnung. Man kann dieses Problem nicht in einem Atemzug mit dem Problem der unehelichen Kinder nennen. Es ist ein dringendes Problem. Aber ich muß dem Herrn Vorsitzenden darin recht geben, daß es anders gelöst werden muß als das Problem der unehelichen Kinder. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, wir können jetzt abstimmen. Ich lasse Absatzweise abstimmen: (1) Die Ehe als die rechtmäßige Form der fortdauernden Lebensgemeinschaft von Mann und [S. 245] Frau und die mit ihr gegebene Familie sowie die aus der Ehe und der Zugehörigkeit zur Familie erwachsenden Rechte und Pflichten stehen unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Dr. Greve (SPD): Dazu liegt ein Abänderungsantrag Dr. Bergsträsser vor: Ehe, Familie und Kind genießen den Schutz der Verfassung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist schwer zu sagen, welcher Antrag hier der weitergehende ist. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich bin der Auffassung, daß der vom Grundsatzausschuß gestellte Antrag der weitergehende ist, weil er ja auch eine Definition des ganzen Wesens der Ehe und der Familie enthält und auch ihre Rechte und Pflichten, die sich daraus ergeben, ausdrücklich betont. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich bin im Zweifel, ob diese Argumentation richtig ist. An sich ist die Fassung „Ehe, Familie und Kind genießen den Schutz der Verfassung“ insoweit weitergehend, als sie allgemeiner ist, während der Antrag des Grundsatzausschusses insoweit enger ist, als er Definitionen enthält; und jede Definition engt ja ein. Dr. Süsterhenn (CDU): Nein, im Gegenteil. Das, was in dem Antrag der SPD gesagt ist, ist in dem Vorschlag des Grundsatzausschusses absolut mitenthalten und lediglich weiter ausgeführt und definiert. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich zunächst über die Fassung des Grundsatzausschusses und erst, wenn diese nicht angenommen werden sollte, über den Antrag der SPD abstimmen. Art. 7a Abs. 1 ist mit 11 gegen 10 Stimmen in der Fassung des Grundsatzausschusses angenommen. Wir kommen zu Abs. 2: (2) Jede Mutter hat gleichen Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

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– Abs. 2 ist einstimmig angenommen. Zu Abs. 3 scheint mir der weitestgehende Antrag der Antrag des Kollegen Renner zu sein: Außereheliche Geburt darf weder der Mutter noch dem Kind zum Nachteil gereichen. Alle Gesetze und Bestimmungen, die bei außerehelicher Geburt die Mutter und das Kind benachteiligen, sind aufgehoben. Ich lasse abstimmen. – Der Antrag ist mit 11 gegen 6 Stimmen abgelehnt. Es folgt der Antrag der SPD: Das uneheliche Kind steht dem ehelichen gleich. Es gilt mit seinem natürlichen Vater als verwandt. Das Recht der gesetzlichen Vertretung liegt bei der Mutter. Ich lasse abstimmen. – Der Antrag ist mit 12 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Nun bleibt der Abs. 3 in der Fassung des Grundsatzausschusses: Uneheliche Kinder haben das gleiche Recht auf Förderung durch die Gemeinschaft wie eheliche Kinder. Dr. Seebohm (DP): Darf ich fragen: gilt mein Antrag weiter? Ich würde dann die Worte „und elternlosen“ herausnehmen und sie in einem besonderen Satz bringen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann würde also Ihr Antrag lauten: Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern. Das ist praktisch dasselbe. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Abs. 3 ist mit 20 Stimmen in dieser Fassung angenommen.

[1.3. ART.: ELTERNRECHT] [1.3.1. ANTRAG DER CDU/CSU-FRAKTION UND BEGRÜNDUNG DURCH WEBER (CDU)]

Dann rufe ich als nächstes auf den bisher noch unbezifferten Artikel, Antrag der CDU/CSU-Fraktion (PR. 11.48 – 302)29) mit der Überschrift Elternrecht und Erziehung (1) Pflege und Erziehung der eigenen Kinder ist das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Dieses Recht ist auch bei der Bestimmung des religiös-weltanschaulichen Charakters der Schule und durch Sicherung der Unterrichtsfreiheit zu wahren. Die Herausnahme von Kindern aus der Familiengemeinschaft gegen den Willen der Erziehungsberechtigten ist nur auf gesetzlicher Grundlage möglich, wenn durch ein Versagen der Erziehungsberechtigten die Gefahr der Verwahrlosung der Kinder gegeben ist. (2) Unbeschadet des Rechts der Eltern, ihre Kinder vom Religionsunterricht abzumelden, ist der Religionsunterricht schulplanmäßiges Lehrfach in allen Schulen. Er wird nach den Grundsätzen der Kirche in ihrem Auftrage und unter ihrer Aufsicht erteilt. 29)

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Zu Drucks. Nr. 302 vgl. oben S. 597 mit Anm. 7.

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Frau Dr. Weber (CDU): In diesem Abs. 1 ist etwas ausgesprochen, was wir als das natürliche Recht der Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder bezeichnen. Wir sind der Meinung, daß das Elternrecht in die Grundrechte deshalb hineinkommen muß, weil es ein ebenso natürliches Menschenrecht ist wie all die anderen Rechte, die der Grundsatzausschuß schon vorgelegt hat und die auch bereits hier im Hauptausschuß besprochen worden sind. Wir sind auch der Auffassung, daß die Eltern nicht nur das Recht und die Pflicht der Erziehung im Hause selbst haben, sondern daß sie darüber hinaus das Recht haben müssen, auch in der religiös-weltanschaulichen Ausgestaltung der Schule wie auch in der Unterrichtsfreiheit dieses Elternrecht zur Geltung zu bringen. Ebenso darf die Herausnahme der Kinder aus der Familiengemeinschaft nur dann gestattet werden, wenn es auf gesetzlicher Grundlage geschieht und wenn festgestellt ist, daß die Erziehungsberechtigten versagt haben. Es hat sich schon im Grundsatzausschuß gezeigt, daß nicht alle auf diesem Standpunkt stehen und daß, wie vorhin schon von dem Vorsitzenden der CDU-Fraktion gesagt worden ist, zwei Gruppen einander gegenüberstanden. Aber wir möchten von der CDU aus die Vertreter aller Fraktionen bitten, hier noch einmal zum Ausdruck zu bringen, warum sie dagegen sind. Es standen sich, wie gesagt, zwei Meinungen gegenüber. Die eine Meinung ging dahin, daß der Staat allein das Recht zur Bestimmung der religiös-weltanschaulichen Ausgestaltung in der einen oder anderen Form haben soll und nicht die Eltern. Das ist unseres Erachtens ein Eingriff des Staates in das Elternrecht, der sich unter gar keinen Umständen mit einer demokratischen Auffassung des Staates verträgt. Wenn der Staat das Recht zur Bestimmung der religiös-weltanschaulichen Ausgestaltung der Schule hat, dann überschreitet er nach der demokratischen Auffassung des Staates absolut seine Befugnis und beschneidet die Eltern in einem Recht, das sie von Natur aus haben, ja, darüber hinausgehend in einem Recht, das für sie eine Gewissenspflicht darstellt, die Pflicht, über die Schule ihrer Kinder zu bestimmen. Frau Wessel (Z): Ich möchte auf den materiellen Inhalt dieses Antrags zunächst nicht eingehen, sondern möchte zunächst auch einmal von dem natürlichen Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder sprechen. Ich habe bereits in der 6. Plenarsitzung festgestellt, daß das Elternrecht im Grundgesetz verankert werden muß und daß das nicht Sache der Länder sein kann30). Ich glaube, die Frage, die heute hier zur Debatte steht, wird von einem Teil der Parteien dahin verstanden, daß dieses Problem von den Ländern aus gelöst werden soll, sowohl die Frage der Erziehung der Kinder als auch die Frage des Verhältnisses von Staat und Kirche. Wir müssen doch einmal davon ausgehen, daß das Elternrecht eines der elementaren Grundrechte ist, die zu umschreiben nicht Sache der Länder, sondern Sache unserer [S. 246] Verfassung sein muß. Wir müssen das Elternrecht deshalb in den Grundrechten verankern, weil die Gesetzgebung, die Verwaltung, die Rechtspflege eben von diesem Grundsatz ausgehen muß, und ich darf Ihnen auch sagen, daß kein gläubiger Christ, aber auch kein echter Demokrat es verstehen wird, wenn zu den Grundrechten, die wir verankern wollen, nicht das Elternrecht gehört. Es muß in 30)

Für den Wortlaut der Rede von Wessel in der 6. Sitzung des Plenums am 20. Okt. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 9, Dok. Nr. 6, S. 210.

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allen deutschen Ländern durch Sicherung des Elternrechts im Grundgesetz möglich sein, daß religiöse oder – und das betone ich ausdrücklich – auch andere Minderheiten Schulen ihres Erkenntnisses verlangen können, und es muß verhindert werden, daß ihnen dieses Recht nur deshalb, weil es nicht verfassungsmäßig verankert ist, durch Mehrheitsbeschluß zufälliger Parteikonstellationen verweigert wird. Wir wollen es doch einmal aussprechen: Der Grundsatz einer echten Demokratie ist es, daß auch den Minderheiten Freiheiten und Grundrechte garantiert werden müssen. Und wer das Elternrecht verlangt, wünscht damit nicht nur die Möglichkeit der Einrichtung von konfessionellen Schulen, sondern in gleicher Wertung wird Andersdenkenden das Recht zuerkannt, ihre Kinder in Gemeinschaftsschulen oder auch, wenn sie wollen in bekenntnisfreie Schulen zu schikken. Das Elternrecht – das muß auch einmal gesagt werden steht als natürliches Recht vor jedem staatlichen und auch kirchlichen Recht. Unter den drei Erziehungsfaktoren: Familie, Staat, Kirche steht die Familie an erster Stelle. Es ist allerdings immer wieder – auch das darf man einmal hervorheben – zu Versuchen gekommen, die Eltern ihres Erziehungsrechts zu berauben. Ich darf hier daran erinnern, daß es gerade der Nationalsozialismus gewesen ist, der nach den Worten Hitlers den Eltern ihre Kinder zugunsten des Staates, wie er es ausdrückte, hat stehlen wollen. Wer solcher Diktatur die ewigen Menschenrechte entgegenstellen will, kann nicht am Elternrecht vorbeigehen. Es gibt für den Staat kein Erziehungs- und Schulmonopol, und darum muß das Elternrecht auch unter den Grundrechten anerkannt werden. Gestatten Sie mir, in diesem Zusammenhang auch einmal auf einen Zwischenruf einzugehen, den der Herr Kollege Heuss in der 6. Plenarsitzung machte, als ich zu der Frage des Elternrechts sprach. Herr Kollege Heuss sagte damals: Die Schule ist kein individuelles Unternehmen, sondern eine gesellschaftliche Organisation31). Wenn Herr Kollege Heuss damit aussprechen wollte, daß der Staat von sich aus die Schulform und den Schulcharakter bestimmen kann, dann muß ich ihm darin widersprechen. Das wäre für mich eine Auffassung, der ich aus meinem Gefühl für echte Liberalität, für Persönlichkeitswertung und für Ablehnung einer Übertragung von Rechten an die Gesellschaft, und sei es in diesem Falle auch die staatliche Gesellschaft, widersprechen muß. Meine Damen und Herren, Sie berufen sich bei der Gestaltung Ihrer Grundrechte so gern auf die demokratischen Auffassungen und staatlichen Einrichtungen der klassischen Länder der Demokratie und des Parlamentarismus, England und Amerika. Es ist nun interessant, einmal festzustellen, daß gerade in den Ländern, die ein echtes Gefühl für Freiheit und Toleranz haben, das Elternrecht in selbstverständlicher Haltung anerkannt wird. Vor mir liegt eine Entscheidung des Obersten Bundesgerichts der Vereinigten Staaten vom 1. Juni 1925, als es im Staat Oregon zu Auseinandersetzungen über die Schule gekommen war. In dieser Auseinandersetzung hat das Oberste Bundesgericht entschieden:

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Für den Wortlaut des Zwischenrufs von Heuss in der 6. Sitzung des Plenums am 20. Okt. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 9, Dok. Nr. 6, S. 211.

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Das Kind ist nicht eine bloße Kreatur des Staates. Diejenigen, die es aufziehen und anleiten, haben das Recht und gleichzeitig auch die erhabene Pflicht, es zu erziehen und für die Erfüllung seiner Pflichten vorzubereiten. Dem Staate steht keine allgemeine Vollmacht zu, einen einförmigen Bildungstyp für die Jugend aufzustellen und die Jugendlichen zu nötigen, ihren Unterricht nur in öffentlichen Schulen zu empfangen. Wir müssen uns doch einmal klarmachen, warum in solchen Ländern derartige Bestimmungen getroffen werden, um zu verstehen, daß zu diesen Grundrechten auch das Elternrecht gehören muß. Zum Schluß darf ich Ihnen auch noch folgendes sagen. Wir befürchten, daß, wenn die Verankerung des Elternrechts im Grundgesetz verweigert wird, damit sehr viel an weltanschaulichem Explosiv- und Zündstoff in unser politisches Leben hineingetragen wird. Schätzen Sie bitte die vom Herrn Kollegen Pfeiffer abgegebene Erklärung nicht gering ein, sonst werden Sie dieselbe in ihrer ganzen Verantwortung und Konsequenz nicht verstehen. Die Zentrumspartei ist in ehrlicher Weise darum bemüht, das Volk zu einer echten Gemeinschaft zu bringen und alle weltanschaulichen Fragen, die unsere politisches Leben vergiften und unser Volk auseinanderreißen, nicht zu einem parteipolitischen Kampf herabzuwürdigen. Wir würden dem demokratischen Gedanken und der Freiheit, der wir doch alle dienen wollen, einen sehr schlechten Dienst erweisen, wenn wir in dieser Frage – und ich kann das nur noch einmal wiederholen – hinter der Weimarer Verfassung zurückblieben, die das Elternrecht in ihrem Art. 12032) anerkannt hat. Gerade wir in Deutschland sollten in unserer konfessionellen Zerrissenheit doch die Kraft finden, wirklich demokratisch zu handeln und auch in weltanschaulicher Beziehung Toleranz zu üben, und ich meine – und da kann ich nur die Worte von Frau Dr. Weber unterstützen –: wer ein echter Demokrat ist, wird sich dieser Forderung nicht entziehen können. Das Gefühl für Freiheit und Recht muß in weiten Kreisen unseres Volkes erhalten bleiben, und wir würden es gerade bei der Gestaltung unseres Bundes sehr bedauern, wenn wir in diesen Fragen des Glaubens und der Weltanschauung nicht zu einer Einigung kommen und erhebliche Teile unseres Volkes sich unterdrückt fühlen würden. Das aber würde zweifellos bei einem großen Teil des deutschen Volkes der Fall sein, wenn das Elternrecht nicht in den Grundrechten der neuen Bundesverfassung verankert wird. Es müßte uns doch möglich sein, unser Gemeinschaftsleben so zu gestalten. Wenn wir in Deutschland endlich einmal zu einer echten und wahren Demokratie kommen wollen, dann dürfen wir uns doch nicht von vornherein wieder die Chance verscherzen, zu einer solchen Gestaltung zu kommen, und zwar nur aus weltanschaulichen Kämpfen heraus. Gerade wir sollten aus den Erfahrungen einer schweren Vergangenheit, die hinter uns liegt, jetzt alles daran setzen, unserem Volke jene Grundlage zu geben, mit der es zu einer wahren Neugestaltung seines persönlichen und seines Gemeinschaftslebens kommen kann. Deshalb sollten wir gerade in dieser Stunde von unserem Volke 32)

Art. 120 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Die Erziehung des Nachwuchses zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit ist oberste Pflicht und natürliches Recht der Eltern, über deren Betätigung die staatliche Gemeinschaft wacht.“ RGBl. S. 1406.

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alles fernhalten, was es auseinanderreißt. Ich kann deshalb nur nochmals der Befürchtung Ausdruck geben, daß, wenn wir nicht zu einer Verankerung des Elternrechts und nicht zu einer Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche kommen, wir damit weiten Kreisen unseres Volkes, ja, Millionen von deutschen Männern und Frauen von vornherein das Gefühl geben, daß sie Anlaß haben, dem Grundgesetz des neuen Bundes mit Mißtrauen, ja vielleicht mit Ablehnung gegenüberzustehen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Vielleicht darf ich kurz darauf hinweisen, daß in den Vereinigten Staaten von Nordamerika eine verfassungsmäßige Bestimmung existiert, wonach an keiner Schule, die staatliche Zuschüsse erhält, konfessioneller Unterricht erteilt werden darf. Genau so ist es in Frankreich. Offensichtlich sind das keine Demokratien!

[1.3.2. STELLUNGNAHME VON HEUSS (FDP)]

Dr. Heuss (FDP): Die Ankündigung, die uns der Kollege Pfeiffer gemacht hat, zeigt uns ja den über den Schulanlaß hinausgehenden Ernst der politischen Tagesfrage. Ich darf ein Bedauern an den Anfang stellen. Wir haben zwar schon vor Monaten einmal im Grundsatzausschuß die Mitteilung bekommen, daß das Problem des Elternrechts mit zum Antrag erhoben wurde33). Wir haben dann immer brav gefragt: Wann kommt es denn? Es ist nun leider sehr spät gekommen34), so daß wir jetzt in der etwas komplizierten Situation stehen, eine Auseinandersetzung zu beginnen zu einem Zeitpunkt, in dem wir uns dem Abschluß [S. 247] unserer Arbeit zu nähern glaubten. Ich hoffe aber, daß die Aussprache nun doch so geht, daß der Abschluß selber keine zu große Belastung erfährt. Es ist schon in den paar Bemerkungen, die vorher gemacht worden sind, darauf hingewiesen worden, daß im Grundsatzausschuß das Bedenken sich gemeldet hat: Wenn wir dieses Elternrecht – um sich auf das Wesentliche zu beschränken –, den subjektiven Anspruch einer Gruppe auf die Gestaltung der Schule in das Grundgesetz hineinnehmen, dann sprengen wir an sich die Grundanlage des neuen Verfassungswerks, nach dem alle Kulturfragen Länderfragen sein sollen. Man mag darüber streiten. Ich habe in den ersten Reden, die ich hier hielt, davon gesprochen, daß ich sehr gern eine zusammenfassende Formulierung für die Bildungsdinge wünschte, und zwar aus dem Grunde, damit das deutsche Bildungsleben nicht weiter so auseinanderläuft, wie es das seit drei Jahren leider tut. Ich habe auch eine Formulierung dafür versucht, habe aber dann darauf verzichtet, sie einzubringen, aus der Erwägung heraus, daß ich damit unsere stille Abrede, die sogenannten Lebensordnungen jetzt in den paar Wochen nicht zusammenzwängen zu wollen, 33)

Ein eigener Artikel zum Elternrecht wurde in der CDU/CSU-Fraktion am 6. Okt. 1948 von Weber vorgeschlagen und in der 8. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 7. Okt. 1948 angekündigt. Vgl. Salzmann, S. 55, bzw. Der Parl. Rat, Bd. 5/1, Dok. Nr. 9, S. 218. 34) Im stenograph. Wortprot., S. 40, folgt danach: „(Zuruf des Abg. Renner) [Dr. Heuss:] – ich will jetzt nicht mit Ihnen reden!“

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nicht durchbrechen wollte. Wir stehen vor der sehr ernsten Sorge, die auch im Grundsatzausschuß angekündigt wurde, daß auch wenn es jetzt nur als ein kleines Türlein erscheinen mag, dieses Türlein eine Schleuse sein kann und daß das, was man hier „Lebensordnungen“ genannt hat, nun auch noch in Paragraphen zusammengefaßt werden soll. Wir haben, als wir die Anträge der CDU vorgelegt bekommen haben, durchaus nicht in irgendwie sturer Haltung das Problem so gesehen: das ist Landesangelegenheit! Familie ist weder Bundes- noch Landesangelegenheit. Wir haben, obwohl sich gegen die Architektur dieser Artikel Bedenken melden konnten, zugestimmt, daß ein Familienschutz-Artikel hineinkommt. Wir sehen nur nicht ganz deutlich, was man sich unter dem Schutz der Familie durch die Verfassung vorstellen mag. Aber immerhin ist von uns aus alles guten Willens geschehen. Auch jene anderen Sätze, die das naturgegebene Verhältnis der Eltern zum Kind zum Ausdruck bringen, und die noch in der Spiegelung der Nazizeit liegende, vielleicht etwas zu ausführliche Fassung des dritten Satzes ist von uns im Grunde angenommen. Wir haben jene Vergewaltigung des Familienlebens durch den Nationalsozialismus erlebt und spüren es an dieser und an anderer Stelle, daß das, was hier geformt wird, sich aus psychologisch gegebenen Gründen abheben muß von dem, was das Erlebnis dieser Generation gewesen ist. Aber nun ist in dem zweiten Satz jenes Antrags zum Ausdruck gebracht worden, daß die Eltern auf den weltanschaulichen Charakter der Schule schlechthin ihren maßgeblichen Einfluß ausüben können. Das Wort „Elternrecht“ hat, wenn man es so gemeinhin nimmt, einen mißverständlichen Charakter. Es kann eine Banalität aussprechen, die sich darin beschreibt, daß die Eltern ihre Erziehungsrechte und -pflichten besitzen. Aber Sie wissen alle, daß der Begriff in der Zwischenzeit eine ganz bestimmt umschriebene juristische und verwaltungstechnische Bedeutung bekommen hat, und zwar indem er einer subjektiven Gruppe Recht mit sozusagen zwingenden Folgen gegeben hat. Und darum geht es. Das Elternrecht als Naturrecht in diesem Sinne ist – wollen Sie mir das nicht übelnehmen – eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Das hat es vorher nicht gegeben. Es ist in der Erörterung so am Rande der Dinge vor hundert Jahren aufgetaucht, und da gab es – zunächst gar nicht von der kirchlichen Seite her kommend, sondern, wenn Sie so wollen, von der liberal-pädagogischen Seite – eine gewisse Stimmung gegenüber der staatlichen Vermachtung des pädagogischen Betriebes. Da gab es einen Mann, der Dörpfeld35) hieß, der die These aussprach: Es soll überhaupt nicht der Staat, es soll die Familie als Familiengemeinschaft das Recht haben, die Schule zu bestimmen. Später hat ihn Adalbert von Falck36) auf seine Seite herübergezogen. Diese Erinnerung 35)

Friedrich Wilhelm Dörpfeld (1824–1893), Volksschullehrer, trat für eine selbstverwaltende Schule ein, forderte die Erstellung von Lehrplänen, legte im Zusammenhang mit seiner Forderung nach Allgemeinbildung die Grundlagen für eine Gesamtvermittlung von Gesellschaftskunde, Naturkunde und religiöser Bildung (Sachkunde). 36) Adalbert Falk (1827–1900), Jurist, 1853 Staatsanwalt, 1861 Assistent im preußischen Justizministerium, mit der Bearbeitung des Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten betraut, 1858–1861 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, 1862 Appellationsgerichtsrat in Glogau, 1867 Mitglied des Reichstag des norddeutschen Bundes, 1871 Bevollmächtigter der Regierung im Bundesrat, 1872–1879 während des sog. „Kul-

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mag vielleicht etwas überflüssig erscheinen, aber sie ist nicht ganz überflüssig. Denn sie geht zurück auf die Situation, wo nun die Auseinandersetzung in diesem zweikonfessionellen Deutschland einen anderen Charakter bekam, als sie ihn früher hatte; es war die Zeit der jungen Industrialisierung und der werdenden Binnenwanderung. Historisch ist die Kirche der Träger des Schulwesens gewesen. Aber dann kam eine merkwürdige geschichtliche Situation; es kam ein Mann namens Martin Luther37), der sagte: Nicht die Kirche, sondern die Gemeinde, der Staat hat den Auftrag, Schulen zu errichten. Und von dieser Seite aus, von Deutschland aus, ist das Schulproblem für die ganze Welt ein neues Modell geworden, weil zuerst in Deutschland ein öffentliches Schulwesen als Auftrag von der öffentlichen Gewalt begriffen wurde und von dort aus dann in die Welt hinausgewirkt hat. Das ist der spezifisch deutsche Beitrag zur Bildungsgeschichte, Frau Wessel. Die Schule ist in solchem Sinne eine Veranstaltung der Gesellschaft, gleichviel, wen Sie unter „Gesellschaft“ nehmen wollen, ob die Gemeinde oder den Staat oder die Kirche. Sie ist keine individuelle Gemeinschaft. Die soll es in bestimmten Dingen sein, gut. Ich bin aber weit davon entfernt, von einem Staatsmonopol in Bildungsdingen zu reden. Ich habe mich als Kultusminister in Württemberg-Baden für die Privatschulen mit eingesetzt, weil ich weiß, daß es auch für den Staat gut ist, wenn private Schulen mit dem Experimentiercharakter gegenüber der Gefahr der Erstarrung der Dinge, die beim Staat liegen, vorhanden sind. Aber die Eltern sind es nicht gewesen, die die Schulen geschaffen haben, sondern die Schulpflicht ist von Staat ausgesprochen worden. Und hinter der Schulpflicht stand der Schulzwang. Es hat ziemlich lange Zeit gebraucht, bis es sich herumgesprochen hatte, daß das Beschulen der Kinder für die Kinder und für die Gemeinschaft ein wertvoller Zuwachs für ihr kommendes Leben ist. Das Problem liegt nun so, daß die Frage der religiösen Unterweisung an den Schulen noch nie von jemandem ernsthaft bestritten wurde. Ich weiß, Sie sind da außerordentlich entgegenkommend und sagen: Es sollen auch weltliche Schulen gegründet werden von denen, die weltliche Schulen haben wollen. Ich selber bin sehr gegen diese weltlichen Schulen, weil ihre Liberalität auf diese Weise ein gut Teil der deutschen Kinder, gleichviel wie sie religiös bestimmt sind, aus dem Zusammenhang des Begreifens der deutschen Bildungs- und Kulturgeschichte bringen würde, die ohne das Christentum einfach nicht denkbar ist. Es kann einer weder den Goethe38) noch den Schiller39) noch ich weiß nicht wen, verstehen, wenn er nicht innerlich etwas vom Christentum mitbekommen hat in der Zeit, in der er aufnahmefähig gewesen ist. Der Religionsunterricht als solcher ist nie bestritten gewesen. Die Frage ist aber für uns nun diese: daß wir mit der großen Binnenwanderung, der Industrialisierung jene Vermischung erlebt haben, die das „cuius regio, eius religio“40) vollkommen

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turkampfs“ preußischer Kulturminister, 1874 Mitglied des Reichstags und im preußischen Landtag, 1882 Präsidenten des Oberlandesgerichts in Hamm. Martin Luther (1483–1546), Reformator. Johann Wolfgang Goethe (1749–1832), deutsche Dichter. Johann Christoph Friedrich von Schiller (1759–1805) deutscher Dichter. Lateinisch: Wessen Gebiet, dessen Religion. Die Redewendung, die einem Landesherrn

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überschwemmte. Diese Dinge haben vor hundert Jahren noch keine Rolle gespielt, sie begannen erst in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren eine Rolle zu spielen, und sie haben heute noch eine ungeheuer tragische Zumischung bekommen, über die noch kurz etwas zu sagen sein wird. Man konnte in den Städten gewiß auch den konfessionell geschiedenen Typus der Volksschule mit haben, konnte ihn haben, kann ihn heute kaum mehr haben, wenn man nicht das Opfer der langen Fahrt in überfüllter Straßenbahn und ich weiß nicht, was noch alles hinnehmen will. Ich gehe damit von dem Geistigen auf das rein Realistische. Diese Geschichten, die eine Rolle spielten, kann man auch heute ernsthaft durchdiskutieren, also die Frage, daß mit der Gemeinschaftsschule die Toleranz, das Zusammenleben der Kinder und die gegenseitige Achtung gefördert werden. Es kann die Gegenseite eröffnen, daß die konfessionelle Geschlossenheit einer Schule nun wirklich den Lehrer und die Kinder eigentlich erst mit dem tatsächlichen Gewicht einer pädagogischen Beeinflussung ausstatten. Davon will ich nicht viel reden. Ich sehe es als eine Folge der Nazizeit und auch der Entwicklung, die vorher eingesetzt hat, an, daß die Konfessionen in Deutschland [S. 248] in ihren Gegensatz zurückgesunken waren. Als der Professor Lortz41) in Münster seine große Geschichte der Reformationszeit42) schrieb, ist dieses Buch in evangelischen Pfarrhäusern viel gelesen worden, wie es heute keinem verständigen Mann mehr einfällt, etwa einen Mann wie Franz von Assisi43) oder Ignatius von Loyola44) in ihrer religiösen Kultur nicht als geniale Erscheinung anzusehen. Aber die Frage ist nun die, ob wir diese Tatbestände, die wir anerkennen, jetzt dadurch gefährden, daß wir die Entscheidung über den Schultypus in die bürgerlichen Gemeinden zurückverlegen. Hier sieht nun die Sache realistisch ganz anders aus, als es sich in einer Deklaration demokratischer Grundrechte ansieht. Wie sieht es denn nun aus? Es ist so, daß wir nach dieser Binnenwanderungs- und Industrialisierungsperiode jetzt dieses ungeheuere Elend der Massendurchwanderung unseres deutschen Volkes bekommen haben, wobei man sich nicht erkundigte, wie die konfessionelle Schichtung da oder dort gewesen ist. Dann ergibt sich mit dem Hintergrund Ihrer Formel folgendes: daß in einer evangelischen Gemeinde eines kleinen Städtchens ein paar Dutzend katholische Familien von irgendwoher lan-

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zugesteht, in seinem Territorium die Religion der Bewohner vorzugeben, ist ein im Augsburger Religionsfrieden (1555) und im Westfälischen Frieden (1648) niedergelegtes staatsrechtliches Prinzip. Joseph Lortz (1887–1975), 1913, Priester, 1920 Promotion in Bonn, 1923 Habilitation in Würzburg, dort Privatdozent, und Studentenseelsorger, 1929 Professor in Braunsberg, 1935 Professor für Kirchengeschichte in Münster, 1950 Professor in Mainz, dort Direktor des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz in der Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte. Vgl. Gabriele Lautenschläger: Joseph Lortz (1887–1975). Weg, Umwelt und Werk eines katholischen Kirchenhistorikers, Würzburg 1987. Joseph Lortz: Die Reformation in Deutschland. 2. Bde. Freiburg im Breisgau 1939/1940 (1. Auflage), 1982 (5. Auflage). Franz von Assisi (eigentlich Giovanni Battista Bernardone) (1181/1182–1226), Gründer des Franziskanerordens (Orden der Minderen Brüder) und Mitbegründer des Frauenordens der Klarissen, 1228 heilig gesprochen. Ignatius von Loyola (1491–1556), Gründer des sog. Jesuitenordens („Gesellschaft Jesu“), 1622 heilig gesprochen.

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den, die dann einen Anspruch auf ihre Schule haben. Ich verkenne gar nicht, daß der echte, gute, gläubige Wunsch und die ehrliche Überzeugung dahinterstehen, daß nur in einer solchen Schule die Kinder zu ihrer inneren und seelischen Reife kommen. Aber was ist die Folge? Sie bekommen schließlich Zwergschulen. Und sie bekommen in all den Gemeinden Händel; denn die Gemeinden müssen ja dafür sachliche Schulleistungen aufbringen. Sie kriegen von Gemeinde zu Gemeinde einen Schulkampf, und Sie isolieren die Kinder aus Schlesien, aus Sudetenland, aus Ungarland oder wo sie herkommen, nun nicht wegen ihrer Konfession – was der Anlaß wird –, sondern diese Kinder werden einfach keine Heimat finden. Sie werden durch dieses Schicksal, daß sie nun nach anderen Gegenden in Deutschland verpflanzt worden sind, dort nicht wirkliche Mitbürger werden. Es ist nun aber politisch gesehen auch so, daß das sogenannte Elternrecht als eine subjektivrechtliche Ausstattung einer Gruppe nicht so unabdingbares Recht schaffen kann, wie es hier dargestellt wird. Auch der verstorbene Erzbischof Gröber45) von Freiburg hat sich auf der Fuldaer Bischofskonferenz für die Aufrechterhaltung des Rechtsstandes ausgesprochen, der für Baden seit den 60er Jahren und der für Nassau und für Hessen-Darmstadt ebenfalls seit den 60er oder den beginnenden 70er Jahren bestanden hat46). Also es ist dort eine verständige Einsicht vorhanden 45)

Conrad Gröber (1872–1948), 1897 Priesterweihe in Rom, Pfarrer in Konstanz, Religionslehrer, 1925 Domkapitular und Referent für Liturgie und Kirchenmusik, 1926 Rundfunkprediger, 1931–1932 Bischof von Meißen, 1932–1948 Erzbischof von Freiburg im Breisgau. 46) Zur Haltung von Erzbischof Gröber vgl. seine Neujahrsbotschaft an den Diözesanklerus des Erzbistums Freiburg am 6. Jan. 1946: „[. . .] aber ich darf wohl der tröstlichen Meinung und Hoffnung sein, daß man ohne gerne gewährte ehrliche Aussprache mit mir keine Urteile fällen und es mir sogar zum Vorwurf anrechnen wird, wenn ich nicht um jeden Preis in der Gegenwart die konfessionelle Schule auch für das badische Land erstrebe und erkämpfe. Es liegt mir meilenfern, mich gegen das katholische Ideal, gegen das Kirchenrecht und gegen den ausgesprochenen Willen des Hl. Vaters zu verfehlen, dem ich immer in Treue ergeben war und treu ergeben bleiben werde, worüber für einen katholischen Bischof überhaupt kein weiteres Wort zu verlieren ist. Aber zwischen Ideal und Wirklichkeit liegt eine lange Strecke oft sehr steilen Weges, wie wir Lebenserfahrenen zur Genüge wissen. Auch das Kirchenrecht kennt neben unnachgiebigen Forderungen auch Anpassungen an die Zeit und ihre Möglichkeiten, wie die geschlossenen Konkordate beweisen, und der Hl. Vater Pius XII. hat in seiner Antwort auf die Fuldaer Ergebenheitsadresse der deutschen Bischöfe vom August 1945 auch Verhältnisse angedeutet, die eine andere Lösung der Schulfrage nicht als völlig unannehmbar erscheinen lassen. Er weiß aus seiner langjährigen deutschen Erfahrung auch genau, daß wir in Baden die Simultanschule schon seit 1876 besitzen, und er hat als Kardinal-Staatssekretär beim Konkordat mit dem Freistaat Baden maßgebend mitgewirkt und die Beseitigung der Simultanschule keineswegs unbedingt verlangt. Was knapp vor dem Aufbruch des Dritten Reiches geduldet wurde, ist aber auch seither nicht als unerträglich und verwerflich gebrandmarkt worden. Wer tatsächlich in der Gegenwart die badische Simultanschule in ihrer Eigenart abschaffen und einen Schulkampf in den beiden Zonen, in der französischen und in der amerikanischen, heraufbeschwören wollte, würde uns nicht nur nicht, bei der wirklichen Lage der Dinge, die konfessionelle Schule als siegreiches Ergebnis bringen, sondern sogar die badische Simultanschule in ihren religiösen Belangen verschlechtern oder wenigstens gefährden. Es ist keineswegs meine Absicht, ein Loblied in hohen Tönen auf die Simultanschule ganz im allgemeinen zu singen, denn ich kenne ihre Licht- und Schattenseiten genau. [.. .] Aber das eine darf doch in breiter Öffentlichkeit gesagt sein, daß das badische Schulgesetz aus dem Jahre 1876 bzw. 1910

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gewesen, daß man etwas geschichtlich Gewachsenes, das sich bewährt hat, belassen soll. Ich möchte nicht mißverstanden werden. Aber ich habe, als wir die Auseinandersetzung darüber hatten, gesagt: Die meisten der Männer und Frauen, die sich für die Konfessionsschule als ein unabdingbares Recht ausgesprochen haben, sind Schüler von Simultanschulen, von höheren Schulen gewesen, und ich fürchte, daß die Interpretation Ihres Satzes nun auch dazu führen könnte, einen verfassungsmäßigen Anspruch auf weltanschaulich getrennte höhere Schulen zu bekommen47). Das können wir uns heute weder nationalpolitisch noch finanziell irgendwie gestatten. Das Problem des Elternrechts hat die Gesetzgebung früher nie bewegt. In den großen Schulgesetzen und noch im Schulunterhaltungsgesetz, ich glaube vom Jahr 190648), in Preußen hat es das Elternrecht noch nicht gegeben. Wann ist denn das gekommen? Das ist im Jahr 1918/19 gekommen, weil vorher Adolf Hoffmann49) in Preußen Minister war und den Religionsunterricht abgeschafft oder freigestellt hatte50). Von dort aus kam dann die Angstreaktion: wenn so etwas in der Anordnung möglich ist, dann müssen die Eltern ihr Bedürfnis nach religiöser Unterweisung ihrer Kinder gesichert wissen. Dann mußte das irgendeinen Widerhall finden. So ist dann das Schulkompromiß51) von Weimar zustande gekommen, und an diesem Schulkompromiß von damals zwischen Zentrum und SPD ist die Entwicklung der deutschen Schulgesetzgebung gescheitert. (Renner [KPD]: Auch der Demokraten!)

47) 48) 49)

50)

51)

das Recht der Kirche in der Schule in sehr wichtigen und wesentlichen Punkten gewahrt und uns tatsächlich ermöglicht hat, den Religionsunterricht in der Volksschule bis zum Ende des Dritten Reiches zu erteilen, während andere Staaten mit konfessionellen Schulen daran schon seit Jahren verhindert waren. Zudem konnten ca. 80 Prozent der badischen Schulen in der Wirklichkeit als rein konfessionelle bezeichnet werden, von den über das Land zerstreuten Klosterschulen gar nicht zu reden. Dazu kommt, daß, falls wir von katholischer Seite die konfessionelle Schule fordern, daneben dann auch die religionslosen Schulen erscheinen werden, die wir bisher im Lande Baden noch nicht kannten. Das sind nur einige von den Gründen, die mich veranlaßt haben, am Alten nicht zu rütteln.“ Vgl. Wolfgang Löhr (Bearb.): Hirtenbriefe und Ansprachen zu Gesellschaft und Politik (= Dokumente Deutscher Bischöfe, Bd. 1). Würzburg 1985, S. 64 f. Im stenograph. Wortprot., S. 47, folgt danach: „(Renner [KPD]: Nein, soweit gehen sie nicht!)“ Preußisches Schulunterhaltungsgesetz vom 28. Juli 1906. Adolph Hoffmann (1858–1930), Ausbildung als Graveur und Vergolder, kam 1876 zur SAPD, aus welcher 1890 die SPD hervorging, Parteifunktionär in Berlin, 1890–1893 Redakteur bei sozialdemokratischen Zeitungen in Halle und Zeitz, anschließend als Verleger und Buchhändler, entschiedener Gegner der Kirchen, 1900 Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung, 1904–1907 und 1920–1924 Mitglied des Reichstags, 1908/09 und 1910–1930 Mitglied des preußischen Landtags, 1917 Mitbegründer der USPD, 1918/19 preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 1922 wieder Mitglied des SPD. Vgl. Wilhelm Heinz Schröder: Sozialdemokratische Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1867–1933. Biographien, Chronik und Wahldokumentation. Ein Handbuch. Düsseldorf, 1995, S. 512. Vgl. Heinz Hürten: Die Kirchen in der Novemberrevolution. Eine Untersuchung zur Geschichte der Deutschen Revolution 1918/19 (= Eichstätter Beiträge, Bd. 11). Regensburg 1986, S. 39–43. Zum „Weimarer Schulkompromiß“ von 1919 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 9, Dok. Nr. 3, S. 116, Anm. 95.

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– Nein, das ist ein Irrtum von Ihnen! Die Demokraten sind damals aus der Regierung draußen gewesen. Es tut mir sehr leid, daß Kollege Rönneburg im Augenblick erkrankt ist52); der könnte mit viel beredteren Worten, als ich es vermag, die Schulgesetzgebung mit dem Ziel der Gemeinschaftsschule vertreten; denn er ist vor 20 Jahren, als wir das im Reichstag hatten, mit der Führer gewesen53). (Frau Dr. Weber [CDU]: Ich war es in der Zentrumspartei!54)) – Ja, aber Rönneburg war in der Auseinandersetzung, die wir damals gehabt haben, sehr gegen Sie! Ich frage mich nur, ob es bei unserer heutigen Lage notwendig ist, das Problem aufzuwerfen. Ich frage das deshalb, weil mit Ausnahme von Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen alle Länder ihre Verfassungen haben. Das Problem ist verschieden geregelt; aber es ist überall so geregelt, daß der Religionsunterricht gesichert ist und daß auch die Kirchen sich nicht bloß damit abgefunden haben, sondern schließlich mit den loyalen Regelungen, die gefunden worden sind, auch einverstanden gewesen sind. Ich darf das wenigstens für WürttembergBaden, wo ich damals mit den Dingen amtlich zu tun hatte, zum Ausdruck bringen. Die Kirche hat sich nirgends benachteiligt gefühlt. (Walter [CDU]: Das stimmt nicht ganz!) – Sie hat sich nicht benachteiligt gefühlt, lieber Kollege Walter! Wir haben das doch zusammen durchgemacht, als Sie damals zunächst die Opposition führten und als dann im ganzen doch die Regelung, wie sie bei uns gefunden worden ist, von der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung sachlich mit getragen wurde und auch getragen wird, ohne daß es deshalb seelische Verkrampfungen und Verklemmungen gegeben hat. Wir haben erlebt, daß diese Bestimmungen über die Sicherung des Religionsunterrichts und auch die loyalen Regelungen in der kirchlichen Gesamtsituation immer mitgemacht worden sind, auch von der Sozialdemokratischen Partei. Das war eine Tradition, die in Weimar einsetzte, wo damals Naumann55) mit Meerfeld56), Katzenstein57) und Quarck58) die Sache fertiggebracht 52) 53) 54) 55)

56) 57)

58)

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Aus Krankheitsgründen wurde Rönneburg (CDU) als ordentliches Mitglied des HptA schon am 11. Nov. 1948 durch von Mangoldt (CDU) abgelöst. Rönneburg war 1924–1928 Mitglied des Reichstags (DDP). Weber war 1924–1933 Mitglied des Reichstags (Zentrum). Friedrich Naumann (1860–1919), evangelischer Theologe, 1886 Pfarrer in Langenberg bei Glauchau, 1890 in der Inneren Mission in Frankfurt am Main, Gründungsherausgeber der Zeitschrift „Die Hilfe“ 1907–1912 und 1913–1919 Mitglied des Reichstags (Freisinnige Vereinigung), 1918 Vorsitzende der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), 1919 Mitglied der Verfassunggebenden Nationalversammlung in Weimar. Johannes (Jean) Meerfeld (1871–1956), 1919 Mitglied der Verfassunggebenden Nationalversammlung in Weimar (SPD). Simon Katzenstein (1868–1945), 1889 Mitglied der SPD, 1890 war er Rechtsreferendar in Gießen, 1892 aus politischen Gründen entlassen, Schriftsteller und Redakteur in Leipzig und Mainz, Arbeitersekretär in Mannheim, 1896 in Sachsen wegen Verstoßes gegen das Pressegesetz zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, Herausgeber der Zeitschrift „Der Abstinente Arbeiter“ (Verbandsblatt des Deutschen Arbeiter-Abstinentenbundes), 1919/20 Mitglied der Verfassunggebenden Nationalversammlung in Weimar, 1935 Emigration nach Schweden, 1940 Ausbürgerung. Vgl. Schumacher: MdR, S. 759. Max Quarck (1860–1930), Jurist, 1883 Promotion, 1886 aus dem sächsischen Staatsdienst entlassen, Redakteur bei der Deutschen Zeitung in Wien, 1887 Redakteur bei der

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hat. Ich glaube, es wäre von vornherein ein Unrecht, anzunehmen, daß nun in den noch nicht geschaffenen Verfassungen von Niedersachsen59), Schleswig-Holstein60) und Nordrhein-Westfalen61) auf diesem Gebiet eine andere Lösung erstrebt bzw. durch Vergewaltigung oder so etwas herbeigeführt würde. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diese Auswirkung des Elternrechts, das nun für Sie eine, fast möchte ich sagen, Prestigefrage geworden ist, (Frau Dr. Weber [CDU]: Nein!) – wenn Sie den Kopf schütteln, bin ich Ihnen für dieses Kopfschütteln außerordentlich dankbar, weil ich dann sehe, daß wir hier doch Formen finden und in dieser Frage keine Zuspitzung erfahren. Wir wollen keine Formen finden, die nichts sagen als etwas, bei dem sich jeder etwas anderes denkt. Denn das war das Gefährliche des Schulkompromisses von damals62), daß ein Kompromiß geschaffen wurde und nachher alle Beteiligten sich etwas anderes darunter vorgestellt haben, als sie, um zu einem Abschluß zu kommen, diese oder jene Formulierung, diese oder jene Satzung zu Papier brachten. Das wollen wir nicht. Wir wollen nicht mit halben und ungeschickten Wendungen nun etwas machen, was so aussieht, als ob, und was dann doch nicht das trifft, was jeder von uns meint, und zwar jeder, wie ich glaube von mir sagen zu dürfen und wie ich es auch von Ihnen annehme, nach seinem besten Wissen und Gewissen. Sie sind aber, glaube ich, vor die Überlegungen mit gestellt, ob Sie die Zukunft Deutschlands mit diesem subjektiven Gruppenrecht heute belasten können, bei dem in den einzelnen Gemeinden ein Herabsinken des Schulwesens und eine Entfremdung der Kinder untereinander die notwendige Folge sein muß. So bedauerlich das ist, weil der Tatbestand der Verarmung, der Tatbestand der Verwerfung unseres Volkes nun etwas ist, von dem wir uns nicht freimachen können, wir sind gar nicht in der Mächtigkeit, aus einfacher Formulierung heraus jetzt ein Kompromiß mit der oder der Losung zu beschließen, um nachher selber schon [S. 249] die Undurchführbarkeit der Dinge konstatieren zu müssen.

[1.3.3. STELLUNGNAHME VON SEEBOHM (DP)]

Dr. Seebohm (DP): Die sehr ausführlichen Darlegungen, die Herr Kollege Heuss uns zu diesem Problem gemacht hat, und die vorhergehenden Ausführungen von Frau Wessel lassen es mir unmöglich erscheinen, mich sehr kurz zu fassen. Ich möchte trotzdem nur Grundsätzliches dazu sagen.

59) 60) 61) 62)

Frankfurter Zeitung, 1892 Mitgründung der „Blätter für soziale Praxis“, 1895 war er Redakteur der Volksstimme in Frankfurt am Main, 1912–1918 Mitglied des Reichstags, 1919/20 Mitglied der Verfassunggebenden Nationalversammlung in Weimar. Vgl. Schumacher: MdR, S. 1177. N iedersachsen erhielt erst 1951 eine „Vorläufige Niedersächsische Verfassung“. Schleswig-Holstein erhielt eine Landessatzung vom 13. Dez. 1949, die am 12. Januar 1950 in Kraft trat. Die Verfassung von Nordrhein-Westfalen wurde zugleich mit der Wahl des 2. Landtags am 18. Juni 1950 durch Volksentscheid angenommen und trat am 11. Juli 1950 in Kraft. Im stenograph. Wortprot., S. 49, folgt danach: „(Sehr richtig! links)“.

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Für uns besteht der Grundsatz der Freiheit im kulturellen Leben, und diese Freiheit muß im Grundgesetz ihre Formulierung und Verankerung finden. Sie finden sie bei der Frage der Erziehung in der Festlegung des Rechtes der Eltern, die Schulangelegenheiten für ihre Kinder nach ihrem Gewissen zu bestimmen. Man könnte sagen: Das ist zwar durchaus meine Auffassung, aber darüber dürfen weitere Regelungen innerhalb des Grundgesetzes nicht erfolgen, weil diese Regelungen Angelegenheiten der Länder sind. Es ist aber der Grundgedanke der föderalen Auffassung, daß man Gegensätze vor ihrer Erstarrung freiwillig austrägt und nicht zu langsam schwelenden Konflikten werden läßt. Deshalb bin ich der Meinung, daß der Grundsatz der Freiheit im kulturellen Leben, wie er sich zum Beispiel im Elternrecht klar und eindeutig ausprägt, als eines der demokratischen Grundrechte hier verankert werden muß. In einer Frage gehe ich sogar noch etwas weiter, und zwar in der Frage der Privatschulen. Ich bin Herrn Heuss sehr dankbar für die Einstellung, die er in seiner Tätigkeit als Kultusminister in Württemberg-Baden63) zu diesen Privatschulen gefunden hat. Ich möchte darauf verweisen, daß es gerade bei den Privatschulen im wesentlichen die Eltern sind, die diese Schulen getragen und durchgehalten haben. Deshalb möchte ich Sie bitten, in diesem Zusammenhang unseren Antrag zu berücksichtigen, der Ihnen als Drucksache Nr. 29864) unter dem 19. 11. 1948 vorgelegt worden ist und der den Wunsch ausspricht, für die Zulassung der Privatschulen in das Grundgesetz eine kurze Formulierung aufzunehmen, dies um so mehr, als dieses Problem in den Länderverfassungen bisher gar nicht oder nur ungenügend geregelt ist. Ich habe hier vorgeschlagen, folgende Bestimmung aufzunehmen: Privatschulen einschließlich privater Hoch- und Fachschulen sind zuzulassen. Ihre Zulassung darf nicht aus religiösen, weltanschaulichen oder politischen Gründen versagt werden. An den öffentlichen Erziehungsanstalten durch die Tätigkeit der Privatschulen ersparte Kosten sind diesen zu erstatten. Man kann natürlich sagen: diese Angelegenheit gehört in ein Gesetz über die Privatschulen. Aber ich bin der Auffassung, daß die Voraussetzungen für die außerordentlich wesentlichen Aufgaben und Leistungen der Privatschulen, wie sie Herr Heuss geschildert hat, als Anreger und ständiger Förderer der pädagogischen Entwicklung hier im Grundgesetz niedergelegt und daß darin auch die Lebensmöglichkeit der Privatschulen gesichert werden muß. Sie haben in den letzten Jahren dem Staat in erheblichem Umfang Kosten abgenommen. Sie müssen, wenn sie weiter erhalten bleiben sollen – und wir wollen ja trotz unserer Armut gerade die Vielfalt des kulturellen Lebens erhalten –, auch in Zukunft wenigstens insoweit vom Staat mitgetragen werden, als sie dem Staat Kosten ersparen. Wenn Herr Heuss darauf hingewiesen hat, daß die Armut für unsere kulturelle Entwicklung von entscheidender Bedeutung ist, so glaube ich, daß niemand der Auffassung ist, wegen einer geringen Zahl von Kindern an irgendeinem Ort eine besondere Schule errichten zu müssen, sondern Schulen sollen nur dort errichtet 63) 64)

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Heuss war 1945–1946 Kultminister (sic!) in Württemberg-Baden. Für den Wortlaut der Drucks. Nr. 298 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 31, S. 635, Anm. 29.

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werden, wo wirklich die nötige Kinderzahl dafür vorhanden ist. So habe ich es wenigstens immer aufgefaßt, und das ist mir auch in allen Besprechungen bestätigt worden. Wir wissen andererseits, daß gerade durch das Hereinströmen der Vertriebenen und Flüchtlinge in großem Umfang die Schulverhältnisse bei uns ganz allgemein unerträglich geworden sind und daß die Kinderzahl in einzelnen Klassen eine Höhe erreicht hat, die einen ordnungsgemäßen Unterricht nicht mehr zuläßt. Wir stehen also, gleichgültig, in welcher finanziellen Lage wir sind, wenn wir die Zukunft des deutschen Volkes nicht verneinen wollen, vor der Notwendigkeit, die Schulen zu erweitern und neue Schulen zu bauen. Ich sehe dabei durchaus einen Weg, in diesem Rahmen die entsprechenden Voraussetzungen zur Erfüllung berechtigter Elternwünsche zu schaffen, und bin der Auffassung, daß man von dieser Seite des Problems her keine Bedenken gegen die Festlegung des Elternrechts in der Verfassung haben kann. Zum praktischen Fortgang unserer Arbeit möchte ich vorschlagen, bei dem Abs. 1, den wir jetzt diskutieren, die einzelnen Sätze getrennt zur Abstimmung zu bringen, da ich der Meinung bin, daß wir uns dann wahrscheinlich leichter und einfacher zu gewissen grundsätzlichen Übereinstimmungen finden werden. Ich möchte aber gerade für den Fall, daß gewisse Bestimmungen hier herausfallen sollten, den Wunsch äußern, daß mein Antrag über die Privatschulen dann mit zur Abstimmung kommt.

[1.3.4. STELLUNGNAHME VON BERGSTRÄSSER (SPD)]

Dr. Bergsträsser (SPD): Frau Wessel hat von der Toleranz gesprochen. Ich glaube, daß für uns in Deutschland, in einem doppelt konfessionellen Land, die Toleranz entscheidend wichtig ist. Meine Erfahrungen gehen dahin, daß es notwendig ist, zur Toleranz zu erziehen, und daß es keine bessere Anstalt gibt, zur Toleranz zu erziehen, als die Simultanschule. Und um die Simultanschule handelt es sich hier. Das gilt auch nicht für eine Konfession, sondern es gilt für beide Konfessionen durchaus gleich. Ich habe immer die Erfahrung gemacht, daß da mehr Toleranz herrscht, wo die Simultanschule schon eine längere Tradition hat. Was nun den Antrag angeht, der hier gestellt worden ist, so möchte ich doch auf folgendes hinweisen. Die Folge seiner Annahme würde sein, daß die Simultanschule in weiten Gebieten, in denen sie seit den 70er Jahren oder gar schon länger eingebürgert ist, abgeschafft werden könnte, oder wenigstens zu einem großen Teil. Das bedeutet, daß die Kinder wieder in die Konfessionsschulen hineingeleitet werden müßten. Wir haben ja die große Tradition in Baden, und Ihre eigene Partei, die CDU in Südbaden, hat, obwohl sie dort die Gelegenheit gehabt hätte und etwas anderes in die Verfassung hätte hineinbringen können, in der Verfassung auf diese große Tradition Rücksicht genommen und hat die Simultanschule bestehen lassen mit der Billigung – wenn ich richtig unterrichtet bin – auch der höchsten katholischen kirchlichen Autorität in diesem Gebiet. Ich glaube, Herr Dr. Heuss hat darauf eben schon angespielt. Die Toleranz also ist es, von der wir ausgehen, und ich glaube sagen zu dürfen, daß wir als sozialdemokratische Fraktion Ihnen im Ausschuß für Grundsatzfragen bei

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Beratung des Artikels über die religiöse Überzeugung gezeigt haben, daß wir tolerant sind und tolerant sein wollen. Ich kann auch darauf hinweisen, daß wir in der hessischen Verfassung die Abschnitte über Religion und Kirche unter der führenden Beteiligung der sozialdemokratischen Fraktion so abgefaßt haben, daß die andere Seite mit dieser Auffassung und mit diesen Formulierungen einverstanden sein konnte und wir zu einer loyalen Zusammenarbeit gekommen sind. Und nun die zweite Frage! Frau Wessel hat gesagt, es sei unvereinbar mit Demokratie, das Elternrecht abzuschaffen oder nicht anzuerkennen, und hat auf die Vereinigten Staaten von Amerika verwiesen. Dies ist nun ein großer Unterschied. In den Vereinigten Staaten von Amerika gibt es die Trennung von Staat und Kirche, und das verändert die Verhältnisse gründlich und grundsätzlich. Es ist in den Vereinigten Staaten von Amerika, wie mir amerikanische Bekannte, die ich danach fragte, mehrfach geschildert haben, so, daß dort die konfessionellen Schulen, das heißt die Schulen, die von einer Konfession errichtet worden sind, den allergrößten Wert darauf legen, daß auch Kinder anderer Konfessionen diese Schulen besuchen, weil sie damit ihre Kosten herabdrücken und ihre Schulen vergrößern können. Bei uns hingegen ist vielfach die konfessionelle Schule, von allem anderen abgesehen, nämlich daß sie eine Privatschule ist, eine [S. 250] Schule, die einen sehr starken sozialen Beigeschmack hat, den sozialen Beigeschmack nach Vornehmheit, Reichtum und Sonderstellung der Eltern. Wir haben derartige Verhältnisse – ich kenne den Regierungsbezirk, in dem ich 31/2 Jahre tätig gewesen bin, sehr genau – zum Beispiel in Darmstadt in einer evangelischen höheren Mädchenschule, die durchaus eine Standesschule gewesen ist65). Infolgedessen haben wir in der hessischen Verfassung festgelegt, daß Volksschulen als private oder als konfessionelle Schulen überhaupt nicht neu errichtet werden dürfen, während in Hessen die Tatsache besteht, daß Schulen einer besonderen pädagogischen Prägung, also zum Beispiel die Waldorfschulen66) usw., genehmigt werden können und genehmigt werden sollen – ohne Rücksicht auf irgendwelche konfessionelle Einstellung zu diesen Schulen67). Das halte ich auch heute für richtig. Aber wenn Sie nun überall konfessionelle Schulen einführen wollen, so denken Sie nicht nur daran, daß die konfessionelle Mischung ungeheuer zugenommen hat, sondern denken Sie auch daran, daß wir, wenigstens in der amerikanischen Zone, sehr stark mit dem Gedanken umgehen, den fremdsprachlichen Unterricht auch in der Volksschule einzuführen. Das ist an Zwergschulen68) nicht möglich. Die Gemeindeschule ist meiner Meinung nach überhaupt schon überholt, denn die einklassige Gemeindeschule ist für die modernen Ansprüche nicht leistungsfähig 65)

Die 1829 gegründete, später sog. Viktoriaschule; sie war als ein allgemein bildendes Gymnasium für Mädchen in Darmstadt gegründet und ging hervor aus einer Mädchenschule für Kinder von 7 bis 14 Jahren, die auf 1783 zurückzuführen ist. 66) Waldorfschulen sind von dem Anthroposophen Rudolf Steiner (1861–1925) auf der Grundlage der Reformpädagogik begründete Schulen. 67) Vgl. dazu auch den Wortlaut des Art. 61 der Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dez. 1946; unten Dok. Nr. 22, S. 663, Anm. 62. 68) Zwergschulen sind kleine Schulen, in ländlichen Gegenden, in denen alle Klassenstufen in einem Raum von einer Lehrkraft unterrichtet werden und die in Deutschland noch bis in die 1960er Jahre anzutreffen waren.

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genug. Was wir brauchen, ist eine ausgezeichnete Arbeiterschaft, die das beste Kapital ist, das wir überhaupt haben, und diese Arbeiterschaft können wir nur erreichen, wenn wir ausgezeichnete Volksschulen haben. Wenn wir erst einmal in der Lage sind, mehr Autos, mehr Autobusse zu haben, werden wir zu dem Prinzip der Bezirksschule übergehen müssen, bei dem jeder Lehrer nur eine Klasse hat und bei dem die Kinder hin- und hertransportiert werden, wie das in Amerika zum Teil auch der Fall ist. Aber gerade derartige Entwicklungsmöglichkeiten – ich will auf Einzelheiten der Pädagogik gar nicht eingehen – würden aufs schwerste gestört werden, wenn wir nun die konfessionelle Schule und dadurch doppelte Gestaltungen einführen würden, wo die einfache Gestaltung vollkommen ausreicht. Dann möchte ich noch die Frage an Sie stellen: Glauben Sie, daß Kinder, die eine Simultanschule besuchen, in ihrer Gesinnung weniger christlich sind? Glauben Sie, daß sie in ihrer konfessionellen Einstellung wirklich gefährdet werden? Dann müßte ja die große Masse der katholischen Bevölkerung etwa in Südbaden und die evangelische Bevölkerung in Teilen von Hessen schlechtere Christen und schlechtere Angehörige ihrer Kirche oder Konfession sein als anderswo. Ich glaube, diesen Beweis kann niemand führen. Sie haben nun darauf hingewiesen, daß Ihnen aus dem Lande Wünsche dieser Art zugetragen worden sind. Ich habe einen Teil dieser Petitionen selbst gesehen und in der Hand gehabt, und dabei ist mir aufgefallen, daß ein Teil dieser Petitionen doch von etwas ausgeht, was von Ihnen schon vor Monaten geplant worden ist. Sie haben es uns ja angekündigt, ohne uns – Herr Dr. Heuss hat das schon hervorgehoben – Unterlagen zu geben, mit denen wir uns exakt hätten auseinandersetzen können. Es scheint nun so, als ob diese Ihre Anregung im Lande bekannt geworden ist und man diese Anregung nun unterstützen wollte. Mich haben diese Petitionen lebhaft erinnert an die Zeit, als ich meine Habilitationsschrift schrieb, in der ein Kapitel steht über den großen Petitionssturm, der an das Frankfurter Parlament in der Schulfrage gerichtet worden ist69). Ein Teil der Petitionen, die hier eingelaufen sind – das war mir als Historiker interessant –, stammt genau aus denselben Orten, in denen damals diese Petitionen von den Pius-Vereinen70) geschrieben worden sind. Es ist doch überdies nun so. Wenn Sie diese Anträge aufrechterhalten wollen, dann gehen Sie über das, was wir im Grundsatzausschuß als eine lose und mehr persönliche Abrede, die aber eingehalten worden ist, aufgestellt haben, hinaus:

69) 70)

Bergsträsser habilitierte 1910 im Fach Geschichte in Greifswald. Die „Piusvereine für religiöse Freiheit“ benannt, nach Papst Pius IX waren Zusammenschlüsse katholischer Männer in Mainz, die sich 1848 bildeten. Sie kamen noch 1848 zu einer ersten Generalversammlung in Mainz zusammen, die in der Tradition als erster Deutscher Katholikentag gesehen wird. In Erinnerung an den „Mischehenstreit“ zwischen der Kirche und dem preußischen Staat sowie den „Kölner Wirren“ in den 1830er Jahren gründeten sich die Vereine zur Forderung nach kirchlicher Freiheit. Voraussetzungen für das Entstehen der katholischen Massenbewegung war die Märzbewegung. Die Piusvereine richteten zahlreiche Petitionen an die Frankfurter Nationalversammlung, in denen sie um die Verankerung kirchlicher Rechte und Freiheiten kämpften. Vgl. Ulrich von Hehl/Friedrich Kronenberg (Hrsg.): Zeitzeichen. 150 Jahre Deutsche Katholikentage 1848–1998, Paderborn u. a. 1999.

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daß wir nur die Grundrechte nehmen wollen, die in dem Dokument Nr. 171) genannt sind, nämlich die persönlichen Grundrechte. Dann würden wir als sozialdemokratische Fraktion uns vorbehalten müssen, daß auch wir den Wünschen unserer Anhänger nachgeben und daß auch wir dann mit Anträgen über die gesamte Sozialordnung, was viele unserer Anhänger dringend wünschen, an den Grundsatzausschuß herantreten bzw. diese Anträge in der zweiten Lesung einbringen. Was wäre dann die Folge? Die Folge wäre, daß wir uns mindestens einen Monat – ich schätze wenig nach den Erfahrungen von Weimar – über diese Dinge noch unterhalten müßten, in einer Zeit, die danach drängt, daß wir zu Ende kommen. Unsere Fraktion ist der Meinung, daß es das Beste gewesen wäre, in diese Zwischenverfassung überhaupt keine Grundrechte aufzunehmen. Aber wir standen unter einem Verlangen, und wir konnten dieses Verlangen, wie mir scheint, nicht abweisen, weil draußen in der Welt, speziell in Amerika, die Grundrechte als eine der Grundlagen der Demokratie angesprochen werden. Der föderalistische Standpunkt ist nun gerade von der Gegenseite immer sehr stark vertreten worden. Dazu ist zu sagen, die Annahme dieses Satzes bedeutet einen schweren Eingriff in Verfassungen verschiedener Länder. Ich erwähne nicht bloß Südbaden72), ich erwähne Hessen73), und ich glaube, in Württemberg-Baden74) ist es genau so. Ich möchte Sie fragen: warum gerade in diesem Punkt und warum nicht in anderen Punkten, die für die soziale Gestaltung unseres Lebens ebenso wichtig sind? Wem nun aber etwa die Annahme des Elternrechtsantrags dazu führen würde, daß wir konfessionelle höhere Schulen oder gar konfessionelle Universitäten bekämen, so wäre das die Zerreißung des geistigen Lebens in Deutschland, und ich glaube, wir haben schon Zerrissenheit genug und sollten versuchen, Einheit und Einigkeit zu finden. Herr Heuss hat mit Recht auf das hingewiesen, was ein katholischer Professor über die Reformation geschrieben hat. Ich glaube, gerade die geistige Zusammenarbeit unserer Gelehrten an den Universitäten – wo man auf die Frage der Konfession keine Rücksicht nimmt – ist etwas, was uns kulturell und geistig durchaus Hoffnungen auch für die Zukunft gibt. Aus all diesen Gründen können wir diesen Antrag nicht annehmen. Sie haben nun erklärt, daß dieser Antrag für Sie bedeutsam sei. Ich verstehe wohl, was Herr Kollege Dr. Pfeiffer in diesem „bedeutsam“ ausgedrückt hat. Nun, auch 71)

In Dokument Nr. I der drei Dokumente zur zukünftigen Entwicklung Deutschlands („Frankfurter Dokumente“) sind die „individuellen Rechte und Freiheiten“ genannt. Für einen Auszug vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 8, Anm. 30. – Für den Wortlaut der Frankfurter Dokumente vgl. Der Parl. Rat, Bd. 1, Dok. Nr. 4, S. 30–36. 72) Art. 27 der Verfassung des Landes Baden vom 19. Mai 1947: „[. . .]. Die Schulen aller Arten und Stufen sind grundsätzlich Anstalten des Staates oder der Selbstverwaltungskörperschaften. [. . .]“. Wegener: Verfassungen, S. 263 f.; ebd. S. 264: Art. 28: „Die öffentlichen Schulen sind Simultanschulen mit christlichem Charakter im überlieferten badischen Sinn. [. . .].“ 73) Art. 56 der Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dez. 1946: „An allen hessischen Schulen werden die Kinder aller religiösen Bekenntnisse in der Regel gemeinsam erzogen (Gemeinschaftsschule).“ Wegener: Verfassungen, S. 153. 74) Art. 38 der Verfassung für Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1946: „Privatschulen werden zugelassen, wenn sie den in den Schulgesetzen vorgesehenen allgemeinen Anforderungen genügen“. Wegener: Verfassungen, S. 107.

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die Sozialdemokratische Partei hat eine Tradition, und diese Tradition geht darauf aus, die Simultanschule überall da, wo sie besteht, zu erhalten. Die sozialdemokratische Fraktion ist der Meinung, daß wir nur so friedliche Gestaltungen weiterführen können, und sie tut das im Zusammenhang damit, daß sie an sich – so steht es in ihrem Programm – für die Trennung von Staat und Kirche ist, nicht aus Kirchenfeindschaft – das möchte ich ausdrücklich betonen –, sondern deswegen, weil sie glaubt, daß beiden Gewalten damit am besten gedient ist. Dies ist unser Standpunkt, und wir behalten uns vor, die Frage der sozialen Ordnung hier auch noch zum Gegenstand von Anträgen zu machen, falls Sie auf diesen Wegen weitergehen sollten.

[1.3.5. STELLUNGNAHME VON RENNER (KPD)]

Renner (KPD): Neu war, für mich wenigstens, die Erklärung, die heute Herr Kollege Bergsträsser hier dafür gegeben hat, warum die SPD bisher auf die Verankerung der sogenannten sozialen Grundrechte in der Verfassung verzichtet hat. (Dr. Bergsträsser [SPD]: Das haben wir Ihnen aber im Grundsatzausschuß schon mehrfach gesagt!) – Für mich war es neu, ich bin ja erst später gekommen. Ich freue mich aber über die Ankündigung, daß die Fraktion das gegebenenfalls noch nachholen will. Dann haben wir vielleicht Gelegenheit, uns noch über die Einbringung der sozialen Grundrechte in die Verfassung zu einigen. Aber, meine Damen und Herren, den Vorstoß, der heute nach Herrn Heuss zu urteilen – auch für Sie überraschend von der Seite der CDU/CSU [S. 251] gekommen ist, hat doch darüber muß wohl Klarheit bestehen – ein Schreiben des Kardinals Frings75) ausgelöst, das wir alle vor einigen Tagen bekommen haben76). Und nun einige sachliche Bemerkungen zu der Geschichte. Es ist hier davon gesprochen worden, in welche Schwierigkeiten die Gemeinden geraten, wenn sie verpflichtet würden, nun Volksschulsysteme verschiedener Art aufzuziehen und zu finanzieren. Wir haben in Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit der konfessionellen Schule. Ich wohne in Essen. Hier in diesem Gremium ist noch ein Herr aus Essen77), den ich bitte, das, was ich jetzt sage, zu unterstützen. Die Tatsache, daß wir in Essen die Konfessionsschule eingeführt haben, hat eine Blüte gezeitigt, die wirklich interessant ist. Da steht auf der Grenze Essens nach Gelsenkirchen hin eine Volksschule, die vollkommen intakt ist, mit einer Reihe von vollkommen in Ordnung befindlichen Klassenräumen. Diese Schule steht leer. Warum steht sie leer? Weil diese Schule unter der Kirchenverwaltung der Erzdiözese Münster steht. Aber um diese Schule herum leben Zehntausende von Arbeiterfamilien. Die 75)

Josef Kardinal Frings (1887–1978), 1942 Erzbischof von Köln, 1945–1965 Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz, 1946 Kardinal. 76) Für den Wortlaut der Eingabe des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Josef Kardinal Frings vom 20. Nov. 1948 an den Parl Rat vgl. die vervielfält. Drucks. Nr. 319; Der Parl. Rat, Bd. 5/2, S. 903 f., Anm. 75. 77) Friedrich Wolff (SPD) war 1946 Stadtdirektor in Essen und 1957–1963 Oberstadtdirektor in Essen sowie Mitherausgeber des „Essener Stadtanzeiger“.

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müssen ihre Kinder in eine Schule schicken, auch auf Essener Gebiet natürlich, die aber zur Erzdiözese Köln gehört. Diese Schule ist in einem direkt erbärmlichen baulichen Zustand. Dort ist eine derartige Überbelastung eingetreten, daß mehrere Schulklassen zusammengelegt werden mußten mit einer Klassenfrequenz von ungefähr 60 bis 70 Schülern. Das ist am lebenden Beispiel gezeigt, welche Konsequenzen es haben kann, wenn man konfessionelle Schulen aufzieht, und das bei der heutigen verwaltungsmäßigen Ordnung der katholischen Kirche bei uns im Gebiet von Nordrhein-Westfalen. Nun etwas anderes. Frau Wessel war es wohl, die hier vom Liberalismus gesprochen hat. Ist Ihnen dabei nicht ein bißchen angst geworden, als Sie das Wort in den Mund genommen haben? Vors. Dr. Schmid (SPD): Frau Wessel hat von der „Liberalität“ gesprochen, das ist etwas anderes. Renner (KPD): Ich war der Meinung, sie hat vom Liberalismus gesprochen – aber na, das andere wäre genau so schlimm – und von der Toleranz. Ja, seien wir doch einmal ehrlich! Sie sind de facto doch gar nicht gewillt, einer anderen als der kirchlichen Weltanschauung gegenüber Toleranz zu üben. (Frau Wessel [Z]: Selbstverständlich bin ich gewillt!) – Nein, auch wenn Sie das sagen, de facto ist das nicht Ihre innere Überzeugung, sondern de facto sehen Sie in allen Menschen deutscher Staatsangehörigkeit, die nicht zu Ihrer Kirche gehören, mindestens deklassierte, minderwertige, bedauernswerte Elemente. Das ist doch nun einmal so. Diese Arroganz ist doch das Charakteristikum der Einstellung der Kirche gegenüber unserer Gemeinschaft, mindestens der sozialistischen Gemeinschaft. Nun zu der Frage der Schule. Wäre es nicht notwendiger, daß man sich überhaupt einmal grundsätzlich ausspricht über den Charakter, den die Schule bei uns, in einem demokratischen Deutschland, haben sollte, daß man sich zuerst einmal über das Erziehungsziel einigt? Das hat man bisher auch noch unterlassen. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die Bildung der Jugend wie auch die geistige und fachliche Weiterbildung der Bürger in ihrer Gesamtheit durch öffentliche Einrichtungen gesichert werden muß. Ich verurteile die Schaffung von Privatschulen. Diese Schulen sind, mag man reden, was man will, ein Monopol für die Kinder wirtschaftlich und sozial besser gestellter Eltern. Wenn man dieses Monopol dann noch dadurch untermauern will, daß man der öffentlichen Hand zumutet, die angeblich durch den Betrieb derartiger Privatschulen möglichen Einsparungen den Privatschulen selber zugute kommen zu lassen, dann wird die Sache meines Erachtens noch untragbarer. In der Frage des Religionsunterrichts stehe ich auf dem Standpunkt, daß das eine Angelegenheit der Religionsgemeinschaften ist. Ich bin auch der Meinung, daß den Religionsgemeinschaften das Recht auf Erteilung von Religionsunterricht, sogar in den Räumen der Schule meinetwegen, konzediert werden kann und muß. (Walter [CDU]: Das steht im Entwurf auch drin!) – Ja, das ist meine Meinung; ich habe – unter uns gesagt noch nie eine andere Meinung vertreten. Aber entscheidend ist für die Beurteilung des Ernstes Ihrer Forderung, daß Sie sie nur für Volksschüler erheben. Die Befürchtung, die hier ausgesprochen worden ist, daß Ihre Forderung weiter gehen könnte und daß Sie auch

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zum konfessionellen Charakter von höheren Schulen oder gar Universitäten übergehen wollten, ist, glaube ich, nicht berechtigt. So weit gehen Sie nicht. Sie gehen von dem sehr simplen Standpunkt aus, daß Religionsunterricht gerade das ist, was den Volksschülern not tut. (Frau Dr. Weber [CDU]: Nein, das tun wir gar nicht!) – Doch, von diesem simplen Standpunkt gehen Sie aus! Ich habe noch nie aus ernstem Munde von Ihrer Seite eine weitergehende Forderung gehört. (Frau Dr. Weber [CDU]: Das werden Sie heute hören!) – Wir haben uns bisher immer nur über konfessionelle Volksschulen unterhalten und nicht über höhere Schulen oder Universitäten. Das ist dann ein Novum. Aber ich glaube, wenn Sie den Gedanken einmal durchdenken, verzichten Sie auch gern selber auf seine Ausdehnung. Denn bei Ihnen ist nämlich Religion nicht Selbstzweck, sondern Mittel zu einem bestimmten Zweck78), nämlich zu dem Zweck, den Volksschülern ein Erziehungsniveau zu geben, das sie zu willfährigen Subjekten Ihrer Gesamtpolitik macht. (Frau Dr. Weber [CDU]: Haben Sie das im Dritten Reich erlebt? Genau das Gegenteil!) – Nein, das habe ich im Dritten Reich nicht erlebt. Das habe ich erlebt auf Grund langjähriger politischer Tätigkeit, auch in Kreisen, denen Sie einmal angehört haben. (Frau Dr. Weber [CDU]: Wir haben den Kampf gegen das Dritte Reich geführt!) – Ja, darüber könnte man auch reden. Man könnte sogar sehr darüber streiten! Mir ist vor kurzem zum Beispiel noch ein dicker Band in die Hand gedrückt worden – er stammt aus dem Jahre 1934 –, in dem sämtliche damaligen deutschen Kardinäle und Bischöfe bewiesen haben, daß sie eigentlich schon vor 1933 nationalsozialistischer gewesen sind als Hitler selber79). Ich habe den Band heute nicht da, bin aber gern bereit, ihn einmal mitzubringen und Ihnen zu geben. Imprimatur, ich glaube, Regensburg oder München, also mit Billigung der Kirche! In diesem Band rühmen sich Ihre Bischöfe geradezu, welch hervorragende Kämpfer gegen den Sozialismus, gegen die Sozialdemokratie und gegen den Kommunismus sie schon vor 1933 und lange vor Adolf Hitler gewesen sind. Und sitzen nicht in diesem Kreise auch einige alte MdR’s, die im Jahre 1933 dem Hitlerischen Ermächtigungsgesetz80) zugestimmt haben81)? (Zurufe.) 78)

Im stenograph. Wortprot., S. 63, folgt danach: „(Zurufe rechts.) [Renner:] – Jawohl, Mittel zu einem bestimmten Zweck (Opium für’s Volk!)“ 79) Im stenograph. Wortprot., S. 63, folgt danach: „(Heiterkeit.)“ 80) Zum „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ (sog. „Ermächtigungsgesetz“) am 23. März 1933 beschlossen und am 24. März 1933 verkündet vgl. Rudolf Morsey (Hrsg.): Das „Ermächtigungsgesetz“ vom 24. März 1933. Quellen zur Geschichte und Interpretation des „Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich“. Düsseldorf 1992. 81) Von den Mitgliedern des Parl. Rates gehörten im März 1933, als das Ermächtigungsgesetz beschlossen worden war, Theodor Heuss (FDP, 1933: Deutsche Staatspartei), Jakob Kaiser (Zentrum), Friedrich Wilhelm Wagner (SPD) und Helene Wessel (Zentrum) dem

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– Soll ich Ihnen einige Namen nennen? (Erneute Zurufe.) – Ich kann Ihnen einige nennen, ich brauche nur nach einigen Richtungen zu sehen! Das ist das, was ich im Augenblick zu der Sache sagen möchte.

[1.3.6. STELLUNGNAHME VON WALTER (CDU)]

Walter (CDU): Zu den Ausführungen des Herrn Bergsträsser darf ich zunächst noch folgendes bemerken. Der Streit darüber, wo mehr Toleranz in der Erziehung herrscht, an den konfessionellen Schulen oder an den Simultanschulen, besteht nach wie vor weiter; diese Streitfrage wird durch die Behauptung des Kollegen Bergsträsser in keiner Weise geklärt. Sodann erscheint etwas verdächtig das warme Eintreten des Vertreters der Sozialdemokratie für die föderalen Belange der Länder. Es ist auffallend, daß Sie in dieser Frage eine solche Sorge an den Tag legen. Aber der eigentliche Grund, warum ich mich zum Wort gemeldet habe, ist folgender; es betrifft den Herrn Kollegen Dr. Heuss. Er kennt die württembergischen Verfassungsberatungen, an denen wir beide [S. 252] uns beteiligt haben. Wir haben in Württemberg nach langen Verhandlungen die christliche Gemeinschaftsschule bekommen. Das Wort „christlich“ wurde zunächst herausgestrichen, namentlich von seiner Partei, nicht von ihm persönlich. Erst in der Vollsitzung kam das „christlich“ bekanntlich wieder herein. Sie werden verstehen, daß wir schon allein deshalb das Elternrecht gewahrt wissen wollen. Sodann haben wir eine Verfassungsbestimmung bekommen, wo gerade wiederum die Partei des Herrn Kollegen Dr. Heuss ich glaube, er persönlich nicht – durch ihr Verhalten uns veranlaßt, vorsichtig zu sein und das Elternrecht zu verlangen. In Württemberg besteht nämlich folgende groteske Verfassungsbestimmung. Wir haben die christliche Gemeinschaftsschule, und nach unserer Verfassung ist bei Bestellung von Lehrern auf das religiöse und weltanschauliche Bekenntnis der Schüler möglichst Rücksicht zu nehmen. Nun kommt aber das Weitere: Jedoch dürfen die nicht bekenntnismäßig gebundenen Lehrer nicht benachteiligt werden. Wenn also ein atheistischer Lehrer da ist oder ein Lehrer aus der Kirche austritt, so ist er nach wie vor berechtigt, in der christlichen Gemeinschaftsschule Unterricht zu erteilen. Sie werden verstehen, daß wir aus diesen Gründen besonderen Wert darauf legen, daß in der neuen Bundesverfassung das Elternrecht verankert wird, damit nicht solche Bestimmungen hereinkommen, die die christlichen Eltern in ihrem Gewissen auf das äußerste belasten.

Deutschen Reichstag an. Während Wagner an der Abstimmung gar nicht teilgenommen hatte, stimmten die anderen Abg. gemeinsam mit ihren jeweiligen Fraktionen dem Ermächtigungsgesetz zu. Vgl. dazu: Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, VIII. Wahlperiode 1933, S. 44–45.

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[1.3.7. STELLUNGNAHME VON SCHÖNFELDER (SPD)]

Schönfelder (SPD): Ich nehme nur mit Zögern das Wort. Ich habe in meinem langen Leben, in dem ich in gewerkschaftlichen und politischen Dingen viele Diskussionen geführt habe, auch manchen Streit ausfechten müssen und immer eine heilige Scheu davor gehabt, da mitzureden, wo es sich darum handelte, Dinge zu berühren, die eigentlich das Tiefinnerste des Menschen angehen, wenn es sich um Religiosität, Glauben usw. handelte. In meinem Leben habe ich mich nie mit jemandem darüber gestritten. Im Gegenteil! Ich habe immer geglaubt, diejenigen Menschen seien besonders glücklich, die in tiefer Religiosität und tiefem Glauben dahinleben. Ich selber bin vor 50 Jahren aus der Kirchengemeinde ausgetreten, nicht des Glaubens, nicht der Religiosität wegen, sondern weil ich in den Kämpfen zu Anfang der Gewerkschaftsbewegung und der Parteibewegung immer die Wahrnehmung machen mußte, daß in diesen Kämpfen die Kirche uns entgegenstand und daß die Parteien, die uns bekämpften, das immer unter der Parole taten: Für Thron und Altar! Das sind äußere Dinge, und ich erwähne sie nur deshalb, weil ich doch ganz ernst davor warnen möchte, diese Bestimmung in die Verfassung aufzunehmen. Und zwar spreche ich hier ganz vom Hamburger Standpunkt aus, ganz als Föderalist. Wir leben in Hamburg seit den 70er Jahren in dieser Beziehung in allertiefstem Frieden. Volk und Kirche, die evangelische wie die katholische, sind sich völlig einig, die Simultanschule mit Religionsunterricht, die wir haben, bestehen zu lassen. Wir haben, als 1945 das Presbyterium zur Abstimmung aufforderte, in Hamburg nicht abgestimmt. Wir waren uns völlig einig, daß wir bei der historischen Entwicklung und den Tatsachen, die wir in Hamburg haben, das nicht nötig haben. Wenn hier von einer Seite gesagt worden ist: Wir müssen eine solche Bestimmung treffen, damit das Volk in diesen Dingen nicht auseinandergetrieben wird, so kann ich nur erklären, in Hamburg würden wir dann den Streit bekommen, den wir jetzt nicht haben. Das sollte meines Erachtens auch in gebührende Berücksichtigung gezogen werden. Deshalb ist es für uns ganz unmöglich, das zu akzeptieren, was zum Beispiel in dem Abs. 2 steht: Er wird nach den Grundsätzen der Kirche in ihrem Auftrage und unter ihrer Aufsicht erteilt. In Hamburg haben die Herrschaften das abgelehnt. Der Senior der evangelischen Kirche hat uns in der Oberschulbehörde in Hamburg erklärt: Wir lehnen es ab, daß über den Hamburger Schulen die Schwarze Fahne weht. So liegen die Dinge bei uns in Hamburg. Deshalb meine ich, man sollte keine Bestimmung treffen, die in anderen Ländern und Gegenden, auch in Bremen, dazu führt, daß unter Umständen da, wo jetzt tiefster Religionsfrieden herrscht, dieser Frieden gebrochen wird. Das ist für mich ein so starkes Argument, daß ich mich gegen diese Bestrebungen mit aller Kraft glaube zur Wehr setzen zu müssen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Kollege Schönfelder, ich glaube, der Absatz ist von Ihnen falsch verstanden worden. Es ist nicht die geistliche Schulaufsicht im alten Sinne gefordert, sondern es ist nur gefordert, daß der Religionsunterricht von den Kirchen erteilt wird. (Schönfelder [SPD]: Das meinte ich auch nur!)

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Zimmermann (SPD): Herr Kollege Bergsträsser hat eigentlich in so umfassender Weise den Standpunkt meiner Fraktion dargelegt, daß ich mich – auch im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit – auf einige Sätze beschränken kann. Ich komme aus dem klassischen Land der Simultanschule, des Liberalismus, der Demokratie und, ich möchte auch sagen, der Toleranz. Bei uns in Baden ist die Simultanschule seit 80 Jahren bodenständig verwurzelt, und niemand denkt daran, diese Simultanschule wieder zu beseitigen. Kein Geringerer als der Erzbischof Dr. Gröber hat sich bei der Schaffung der badischen Verfassung sehr nachdrücklich für die Erhaltung der Simultanschule eingesetzt, und zwar aus Gründen seiner demokratischen und religiösen Einstellung, weil er in der Simultanschule den ersten Schritt zur Versöhnung der Konfessionen sieht. Ich bin darum besonders stark davon überrascht, daß Frau Wessel erklärt hat: Im Interesse der Toleranz müssen wir die konfessionelle Schule fordern. Nein, meine Damen und Herren, das ist keine Toleranz, das ist, vielleicht unbewußt, Intoleranz! Wir haben doch das Unglück in der deutschen Geschichte, daß wir durch die Reformation seit Jahrhunderten in zwei Lager zerrissen sind und nicht zusammenfinden können, weil wir einfach nicht den Gemeinschaftsgedanken aufbringen, sondern weil wir in weltanschaulichen und politischen, vor allen Dingen aber in religiös-weltanschaulichen Fragen uns heute noch als starre Fronten gegenüberstehen. Das ist in Baden völlig unbekannt. Und ich muß Ihnen ganz offen sagen, als ich als junger Mensch nach Norddeutschland kam, war es mir völlig fremd, daß hier von Katholiken und von Protestanten geredet wurde. Bei uns in Baden kennt man eine derartige Teilung der Menschen nicht. Das ist das Ergebnis einer achtzigjährigen Erziehung in der Schule, nicht einer sechzigjährigen. 1868 bekam Baden die Simultanschule82), und wir sind stolz darauf. Niemand wird sie uns entreißen dürfen, ohne – ich möchte beinahe sagen – eine „badische Revolution“ heraufzubeschwören; und das ist schon etwas. Unsere konfessionelle Zerrissenheit ist ein geschichtliches Unglück, und die Einrichtung von Konfessionsschulen würde diese Zerreißung Deutschlands in Konfessionen nur noch weiter vertiefen. Ich möchte mit Florian Geyer83) sagen: hier in

82)

Die Simultanschule wurde in Baden durch das „Gesetz, den Elementarunterricht betreffend“, vom 8. März 1868 eingeführt. Neben her gab es weiterhin auch Konfessionsschulen bis mit Gesetz vom 18. Sept. 1876, „die Änderung einiger Bestimmungen des Gesetzes vom 8. März 1868 über den Elementarunterricht betreffend“ (Badisches Gemeindeverordnungsblatt S. 305), in dessen § 6 bestimmt wurde: „Der Unterricht in der Volksschule wird sämtlichen schulpflichtigen Kindern gemeinschaftlich erteilt, mit Ausnahme des Religionsunterrichtes, soferne die Kinder verschiedenen religiösen Bekenntnissen angehören.“ 83) Florian Geyer (um 1490–1525), fränkischer Adeliger, bis 1523 Truppenführer und Diplomat im Dienst von Albrecht von Brandenburg-Preußen 1525 bei Ausbruch des Bauernkrieges Berater der Tauberbauern. Geyer wurde von Friedrich Engels ( „Der Bauernkrieg“ 1870) einseitig als ein früher Vorkämpfer des Proletariats ideologisch vereinnahmt.

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der Simultanschule ist der erste Schritt getan, um der deutschen Zwietracht mitten ins Herz zu stoßen84). Sie machen das Gegenteil, und das ist meiner Auffassung nach nicht zu rechtfertigen. Ich bin ganz überrascht gewesen, daß heute von den Föderalisten hier eine unitarische Note angeschlagen und verlangt wurde, daß gerade dieser Gegenstand, die Frage der Erziehung, nun auf Bundesbasis geregelt wird. Ich habe immer gedacht, es ist ein besonderes Vorrecht der Länder, diese Frage in eigener Zuständigkeit zu behandeln, und bin nun etwas überrascht, daß man heute gerade auf diesem Gebiet eine zentrale Lösung fordert. Wir haben in Württemberg-Baden durch den Zusammenschluß von Baden mit Württemberg die Simultanschule erreichen können, und ich glaube, Herr Kollege Walter, Sie haben das bisher nicht zu bereuen gehabt. In dem Art. 36 unserer Verfassung85) heißt es wörtlich: [S. 253] Die Jugend ist in Ehrfurcht vor Gott, im Geist der Brüderlichkeit aller Menschen und in der Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen. Verantwortliche Träger der Erziehung sind in ihren Bereichen die Eltern, der Staat, die Religionsgemeinschaften und die in ihren Bünden gegliederte Jugend selbst. Die öffentlichen Volksschulen sind christliche Gemeinschaftsschulen. In ihnen sollen in Erziehung und Unterricht auch die geistigen und sittlichen Werte der Humanität und des Sozialismus zur Geltung kommen. Daran können Sie wieder unsere Toleranz erkennen, daß wir gegen jedermann die Toleranz üben, die wir selber uns gegenüber fordern. Die konfessionelle Schule hat mit Toleranz nichts zu tun. Aber ich glaube auch nicht, daß sie aus weltanschaulichen Gründen, aus Gründen unserer deutschen Zusammengehörigkeit gerechtfertigt werden kann. Ich glaube, es sind mehr konfessionelle Eiferer, die diese Forderung erheben, aber nicht jene, die den demokratischen Lebensstil zum Stil ihres ganzen politischen Denkens und Fühlens gemacht haben. Wir sind der Meinung, daß wir dem föderativen Wollen der Parteien hier Rechnung tragen und die Frage der Erziehung nicht in die vorläufige Verfassung aufnehmen, sondern sie einer späteren endgültigen Verfassung überlassen sollten. Denn eine Dringlichkeit besteht nicht. In den Ländern sind diese Dinge weitestgehend geregelt, sowohl in der französischen wie in der amerikanischen Zone. Wir können im Süden eine solche Dringlichkeit nicht anerkennen. Wir wünschen aber auch nicht, daß wir uns heute noch einmal auseinanderzerren in einer solchen Sache, für die keine Veranlassung und keine Notwendigkeit besteht.

84)

Das Zitat: „Der deutschen Zwietracht mitten ins Herz“ wurde Florian Geyer in dem Drama von Gerhart Hauptmann, „Florian Geyer. Die Tragödie des Bauernkrieges“ aus dem Jahre 1896 in den Mund gelegt. Vgl. Gerhart Hauptmann, Sämtliche Werke Hrsg. von Hans-Egon Hass, Centenar-Ausgabe zum hundertsten Geburtstag des Dichters. Bd. I, Frankfurt am Main/Berlin 1962, S. 629. 85) Vgl. die Verfassung für Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1946 vgl. Wegener, Verfassungen, S. 106.

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Ich bitte also die Damen und Herren von der CDU, diesen Antrag zurückzuziehen. Wir wären sonst gezwungen, auch das Wirtschaftsrecht und das Sozialrecht hier zu behandeln, und das würde den Termin zum Abschluß, den wir uns gesetzt haben, weit überschreiten. Wir würden vielleicht im Frühjahr noch hier sitzen, und das müssen wir doch unter allen Umständen vermeiden. Denn das Wirtschaftsund Sozialrecht können Sie auch nicht zwischen Tür und Angel beraten, dazu ist eine sehr lange Unterhaltung notwendig, weil diese Fragen von höchster wirtschaftlicher und sozialer Bedeutung sind und zudem noch gesellschaftlich formendes Gewicht haben.

[1.3.9. STELLUNGNAHME VON SÜSTERHENN (CDU)]

Dr. Süsterhenn (CDU): Es ist von der bedauerlichen Zerrissenheit, insbesondere der konfessionellen Zerrissenheit des deutschen Volkes als Folge der Reformation gesprochen worden. Diese Zerrissenheit bedauert niemand mehr als wir, und wir sind der Auffassung, daß es die Aufgabe aller Deutschen ist, ohne Rücksicht auf ihre Konfession, diese Zerrissenheit in ihren Auswirkungen nach Möglichkeit zu vermindern. Aber wir sind der Überzeugung, daß diese Zerrissenheit, diese Glaubensspaltung, die nun einmal als Schicksal in unsere deutsche Geschichte eingeflossen ist, niemals durch staatliche Zwangsmaßnahmen überwunden werden kann. Diese Zerrissenheit kann nur durch innere Reife, von innen heraus, und durch den guten Willen aller Beteiligten, aber niemals durch staatliche Zwangsanordnung, auch nicht durch staatliche Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiete der Schule überwunden werden. Die deutsche Geschichte und gerade die jüngste Vergangenheit beweisen, wohin alle derartigen Versuche führen, dem deutschen Volke, angeblich um den sogenannten konfessionellen Zwiespalt zu überwinden, eine sogenannte Einheitsweltanschauung aufzuprägen. Ich glaube, daß die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit in dieser Hinsicht schrecken. Im übrigen scheinen mir die Ausführungen, die gegen diese Anträge gemacht worden sind, zum großen Teil an dem Kern dieser Anträge vorbeizugehen. Aus einem großen Teil dieser Reden ist die Vorstellung zu entnehmen, als ob wir den Antrag auf Einrichtung von Konfessionsschulen gestellt hätten. Ich darf darauf hinweisen, daß das eine vollständige Verschiebung der Diskussionsgrundlage bedeutet. Es handelt sich hier nicht um eine Entscheidung für oder gegen die Konfessions- oder Simultan- oder eine andere Schule, sondern es handelt sich hier um die Sicherung des Grundsatzes der Freiheit, um die Verwirklichung des Grundsatzes, daß jeder nach seiner Fasson selig werden kann und auch nach seiner Fasson seine Kinder erziehen kann, und darum, daß dieser Grundsatz auch auf dem Gebiete des Schulwesens respektiert wird. Auch in unserer Partei gibt es in einer ganzen Reihe von Landesteilen weite Wählerkreise, die grundsätzlich Anhänger der Simultanschulen sind und gar nicht daran denken, an dem traditionellen simultanen Charakter der Schule in den Gebieten, in denen sie wohnen, auch nur das geringste zu ändern. Es gibt aber ebenso Wählerkreise in unserer Partei, die aus der gleichen Gewissensüberzeugung heraus die Konfessionsschule für die richtige Schulform halten. Wir sind der Meinung,

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daß wir sowohl den einen wie den anderen Gelegenheit geben müssen, diese Frage, die sie und ihre Kinder angeht, in völliger Gewissensfreiheit zu entscheiden, und wir wollen nur die Voraussetzung für derartige freie Entscheidungen schaffen. Ich glaube, das ist wirklich – ich will das Wort „Liberalismus“ nicht gebrauchen, aber – Liberalität im höchsten Sinne des Wortes, daß man jedem Vater und jeder Mutter die Entscheidungsmöglichkeit gibt, dafür zu sorgen, daß ihre Kinder in einer Schule erzogen werden, die in ihrer Grundtendenz auch der religiösen und weltanschaulichen Überzeugung der Eltern selbst entspricht. Dieses Grundrecht, das Recht der Eltern, ihre Kinder nicht nur körperlich zu pflegen und aufzuziehen, sondern sie gerade auch geistig und religiös zu beeinflussen und dafür zu sorgen, daß sich in der Schule keine gegenteiligen Einflüsse geltend machen, ist für uns ein wesentlichen Recht, auf dem wir unter allen Umständen bestehen müssen. Es würde zu weit führen, wenn ich noch auf eine Reihe von Einwendungen eingehen wollte, die ebenfalls erhoben worden sind. Technische Gründe! Gewiß; wir sind auch nicht unvernünftig. Wir wissen auch, daß das im Wege der Gesetzgebung im einzelnen geregelt werden kann. Wir sind der Überzeugung, wie es auch in den Verfassungen, in denen derartige Dinge geregelt worden sind, schon gesagt worden ist, daß der alte Grundsatz der Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Schulunterrichts unter allen Umständen gewahrt werden muß. Wir haben auch in weiten Gebieten unseres deutschen Vaterlandes, in denen die Konfessionsschule genau so beste Tradition ist wie in anderen Gebieten die Simultanschule, die Erfahrung gemacht, daß alle diese technischen Schwierigkeiten, daß alle diese unerwünschten politischen Auswirkungen, dieser an die Wand gemalte Zustand der Intoleranz, in Wirklichkeit gar nicht aufgetreten sind, sondern daß sich hier ein durchaus loyales Neben- und Miteinanderleben entwickelt hat, ohne Rücksicht darauf, wie in diesem oder jenem Gebiet, entsprechend dem Willen und der Tradition, die Schulen gestaltet worden sind. (Dr. Bergsträsser [SPD]: Sie haben noch nicht die Durchsetzung mit Flüchtlingen!) Wir bitten Sie daher aus grundsätzlichen Erwägungen, doch unseren Gewissensbedenken hier Rechnung zu tragen und die Freiheit der elterlichen Entscheidung über die religiös-weltanschauliche Erziehung ihrer Kinder zu sichern. Ich habe den Ausführungen des Herrn Kollegen Heuss mit großer Freude entnehmen können, daß er nicht allen Punkten, die wir hier in unseren Anträgen formuliert haben, ein Nein entgegensetzt. Auch wir sind von dem Willen getragen, eine Lösung zu finden, weil wir der Überzeugung sind, daß es notwendig ist, dieses Verfassungswerk, wie es auch zu Anfang der Verhandlungen immer betont worden ist, mit einer großen Mehrheit zu verabschieden. Wenn uns der Vorwurf gemacht worden ist, wir kämen erst spät mit der Formulierung dieser Anträge heraus – der Herr Kollege Heuss hat ja darauf hingewiesen, daß sie bereits vor Monaten auch dem [S. 254] Inhalt nach angekündigt worden sind –86), so ist diese Verzögerung nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß wir bemüht waren, weil wir mit gewissen Schwierigkeiten bei den anderen Parteien 86)

Im stenograph. Wortprot., S. 75, folgt danach: „(Frau Dr. Weber [CDU]: Ja, von mir!)“

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rechneten, ein weises Maß von Selbstbeschränkung an den Tag zu legen und nur gewisse grundsätzliche Dinge zu regeln, um nicht die Schleusen zu öffnen für einen ganzen Katalog von Verfassungsabschnitten. Wir wollten nur ein gewisses Minimum festlegen, das einheitlich für das ganze Bundesgebiet Geltung haben soll, ebenso wie die übrigen Grundrechte. Unserer Auffassung nach handelt es sich auch hierbei um ein Grundrecht. Das hat auch nichts mit dem Problem des Föderalismus zu tun. Es scheint fast so, als ob Föderalismus von gewissen Seiten bisher dahin verstanden worden wäre, daß überhaupt nichts einheitlich und gesamtheitlich geregelt werden darf. Ich kann als überzeugter Föderalist versichern, daß diese Auffassung bisher nirgendwo ernsthaft vertreten worden ist. Der Gedanke der Einheit im Notwendigen gehört wesentlich zum Gedanken des Förderalismus überhaupt. Allerdings sind wir der Meinung, daß es in einer so elementar wichtigen Frage, wie sie das Elternrecht darstellt, notwendig ist – ebenso wie die persönliche Freiheit und die Gewissens- und Glaubensfreiheit gesichert sind –, eine entsprechende Sicherung in die Verfassung einzubauen.

[1.3.10. ABSTIMMUNG]

Dr. Greve (SPD): Ich glaube nicht, daß durch eine weitere Diskussion die gegenseitigen Standpunkte irgendwie verändert werden können, und beantrage deshalb Schluß der Debatte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag auf Schluß der Debatte gestellt. Ich lasse abstimmen. – Einstimmig angenommen. Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion zum Art. „Elternrecht und Erziehung“. Herr Kollege Dr. Seebohm hat beantragt, daß getrennt nach Sätzen abgestimmt wird. Dr. Greve (SPD): Ich bitte, diesem Antrag des Kollegen Dr. Seebohm nicht stattzugeben. Der Antrag ist uns als ein Ganzes vorgelegt worden, und die einzelnen Sätze stehen in direktem Zusammenhang miteinander. Demzufolge kann auch nur über den Antrag als Ganzes, also über beide Absätze gleichzeitig, abgestimmt werden. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich schließe mich dem Antrag des Herrn Kollegen Dr. Seebohm an, nach einzelnen Sätzen abzustimmen. Das ist ja auch schon bei Abstimmungen über andere Verfassungsartikel gemacht worden, und ich sehe nicht ein, warum man nicht feststellen soll, in welchen Punkten man sich eventuell einig werden kann. Ich glaube, daß gerade der Antrag des Kollegen Dr. Seebohm aus der Absicht heraus geboren ist, solche Einigungsmöglichkeiten nicht von vornherein durch eine schroffe Frontenbildung zu verbauen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt worden, satzweise abzustimmen. Wer ist für diesen Antrag? – Es ist mit 12 gegen 6 Stimmen beschlossen, daß satzweise abgestimmt werden soll. Abs. 1 Satz 1: Pflege und Erziehung der eigenen Kinder ist das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. – Satz 1 ist mit 15 gegen 6 Stimmen angenommen.

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Satz 2: Dieses Recht ist auch bei der Bestimmung des religiös-weltanschaulichen Charakters der Schule und durch Sicherung der Unterrichtsfreiheit zu wahren. – Satz 2 ist mit 11 gegen 10 Stimmen abgelehnt. Satz 3: Die Herausnahme von Kindern aus der Familiengemeinschaft gegen den Willen der Erziehungsberechtigten ist nur auf gesetzlicher Grundlage möglich, wenn durch ein Versagen der Erziehungsberechtigten die Gefahr der Verwahrlosung der Kinder gegeben ist. Renner (KPD): Ich bin der Meinung, daß dieser Satz mit der Materie, die wir bisher diskutiert haben, überhaupt nicht zusammenhängt und, wenn schon, dann an einer anderen Stelle geregelt werden muß. Ich bin nicht dagegen, daß man den Versuch macht, diese Materie zu regeln; aber nicht hier. Das ist doch keine Schulfrage. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich könnte mir denken, daß die Absicht weniger fürsorgerischer Art war, als zu verhindern, daß etwa Dinge wie Hitlerjugend, Staatsjugend und ähnliche Dinge wieder aufgezogen werden können. Insoweit scheint mir dieser Satz durchaus in den Absatz zu passen. Man könnte ihn natürlich auch anderswo unterbringen, aber er scheint mir hier nicht zu stören. Ich lasse abstimmen. (Renner [KPD]: Ich muß dagegen stimmen, obwohl ich eigentlich dafür bin, aber nicht in diesem Zusammenhang.) – Satz 3 ist mit 13 gegen 5 Stimmen angenommen. Dann kommen wir zu Abs. 2 Satz 1: Unbeschadet des Rechts der Eltern, ihre Kinder vom Religionsunterricht abzumelden, ist der Religionsunterricht schulplanmäßiges Lehrfach in allen Schulen. – Satz 1 des Abs. 2 ist mit 11 gegen 5 Stimmen angenommen. Satz 2: Er wird nach den Grundsätzen der Kirche in ihrem Auftrage und unter ihrer Aufsicht erteilt. Es wird wohl heißen müssen: „der Kirchen“? (Zustimmung.) Ich lasse abstimmen. – Satz 2 des Abs. 2 ist mit 11 gegen 5 Stimmen angenommen. Dr. Süsterhenn (CDU): Damit der Artikel nicht als vollständig abgeschlossen behandelt wird, möchte ich erklären, daß ich an Stelle des nunmehr abgelehnten zweiten Satzes des Abs. 1 einen anders formulierten Satz in Vorschlag bringen werde. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich bitte, diesen Antrag gleich jetzt zu stellen. Dr. Süsterhenn (CDU): Der Antrag lautet folgendermaßen: Die Gewissensfreiheit der Eltern hinsichtlich der religiös-weltanschaulichen Erziehung ihrer Kinder darf auch durch die Gestaltung des Schulwesens nicht beeinträchtigt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag Dr. Süsterhenn ist mit 11 gegen 10 Stimmen abgelehnt.

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Dr. Seebohm (DP): Mein Antrag bezüglich der Privatschulen ist noch nicht behandelt. Der Antrag liegt vor. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dieser Antrag gehört an eine andere Stelle. Der Hauptausschuß vertagt sich auf Mittwoch, den 8. Dezember 1948, 10.30 Uhr. Schluß der Sitzung 18.59 Uhr.

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Nr. 22 Zweiundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 8. Dezember 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 255–267. PA 2004. Ungez. von Koppert gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 379 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: de Chapeaurouge3), Kaufmann, Laforet, Lehr, Pfeiffer, Schlör, Strauß4), Süsterhenn, Weber5) SPD: Bergsträsser6), Greve, Katz7), Maier, Schmid (Vors.), Schönfelder, Wolff, Zimmermann FDP: Heuss, Höpker Aschoff8) DP: Seebohm KPD: Renner9) Zentrum: Wessel10) Abgeordnete ohne Stimmrecht: Eberhard (SPD), Fecht (CDU/CSU), Hoch (SPD), Lensing (CDU/CSU), Löwenthal (SPD), von Mangoldt (CDU/CSU) Stenographischer Dienst: Koppert Dauer: 10.45–13.00 Uhr

[1. ANTRAG VON CDU/CSU, ZENTRUM UND DP ZUR REGELUNG DES VERHÄLTNISSES ZWISCHEN KIRCHE UND STAAT]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Von den Fraktionen der CDU/CSU, des Zentrums und der Deutschen Partei liegt ein Antrag vor, der eine Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat und die Einfügung eines entsprechenden Artikels in das Grundgesetz zum Ziele hat (PR. 11.48 – 321)11). Den Antrag begründet Herr Dr. Süsterhenn. Dr. Süsterhenn (CDU): Die Parteien, die diesen Antrag gestellt haben, sind der Überzeugung, daß es unmöglich ist, im Grundgesetz an der geschichtlichen Tatsache der Existenz der Kirchen schweigend vorüberzugehen. Unser Gemeinschaftsleben im Staat läßt sich, rein geschichtlich und kulturell betrachtet, von der Tatsache des Christentums nicht loslösen. Herr Kollege Dr. Heuss hat gerade diesen Gesichtspunkt gestern in einer meines Erachtens sehr wirksamen Weise zur Geltung 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

10) 11)

Protokollführer Wernicke. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Vertreter für Adenauer. Vertreter für von Brentano. Vertreterin für von Mangoldt. Vertreter für Menzel. Vertreter für Stock. Vertreter für Dehler. Vertreter für Reimann. Vertreterin für Brockmann. Für den Wortlaut und die Entstehung des von Pfeiffer (CSU), Seebohm (DP) und Wessel (Zentrum) gezeichneten Antrags vom 29. Nov. 1948, vervielfält. als Drucks. Nr. 321, vgl. Der Parl. Rat. Bd. 5/2, Dok. Nr. 38, S. 835 f., Anm. 44.

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gebracht, indem er erklärt hat, er würde sogar für die weltliche Schule eine Beseitigung des Religionsunterrichts ablehnen, weil es einen Bildungsverlust für die Kinder solcher Schulen bedeuten würde, wenn diese Schulen nicht irgendwie an den geschichtlichen Kräften des Christentums orientiert würden12). Wir sind der Meinung, daß wir eine demokratische Verfassung zu schaffen haben, in der vor allem der Gedanke der persönlichen Freiheit gegen totalitäre Staatsbestrebungen gesichert werden muß. Wir können diese Verfassung nicht in den luftleeren Raum hineinbauen, sondern müssen sie in die konkrete geschichtliche Situation einfügen. Daher kann man auch nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß gerade die Kirchen insbesondere in der nationalsozialistischen Ära neben anderen Gruppen die stärksten Vorkämpfer für den Gedanken der persönlichen Freiheit und der Menschenwürde gewesen sind. Dies gilt aber nicht nur für die hinter uns liegende nationalsozialistische Ära. Wenn wir den Kampf betrachten, der in den Staaten des Ostens um die Sicherung der Freiheit und Menschenwürde geführt wird, dann sehen wir auch da, daß die christlichen Kirchen in der vordersten Linie stehen. Wir brauchen unseren Blick nur nach Warschau, Prag oder Budapest zu richten, Städte, die Brennpunkte dieses Kampfes sind. Auch da bestreiten in der Hauptsache die Kirchen mit ihren geistigen Werten und ihrer Macht diesen Kampf. Aus diesen allgemeinen Gesichtspunkten sind wir der Meinung, daß es unerläßlich ist, das Verhältnis zwischen Kirche und Staat auch in unserem Grundgesetz zu regeln, nicht in einem umfangreichen Katalog, wohl aber durch Heraushebung der wesentlichsten Grundsätze, die die Beziehungen zwischen Staat und Kirche zu klären und festzulegen geeignet sind. Unser Antrag bewegt sich sachlich im wesentlichen in dem Rahmen der durch die Weimarer Verfassung vorgesehenen staatkirchenrechtlichen Bestimmungen13) und der durch die Verträge, die zwischen 12)

Für den Beitrag von Heuss in der 21. Sitzung des HptA am 7. Dez. 1948 vgl. oben Dok. Nr. 21, TOP 1.3.2, S. 616–623. 13) Vgl. den dritten Abschnitt „Religion und Religionsgesellschaften“ der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Art. 135 Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsausübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt. Art. 136 Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt. Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert. Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden. Art. 137 Es besteht keine Staatskirche. Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen.

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Staat und Kirchen abgeschlossen worden sind, gegebenen rechtlichen Grundlagen. Somit handelt es sich eigentlich nur um die Formulierung geltenden Rechts. Aus diesen grundsätzlichen Erwägungen bitten wir Sie, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben. Dr. Heuss (FDP): Wir haben das Verhältnis von Staat und Kirche im Ausschuß für Grundsatzfragen im Anschluß an die vorangegangenen Anträge behandelt14), sind aber in eine sachliche Debatte darüber nicht eingetreten, weil die Mehrzahl der im Ausschuß anwesenden Abgeordneten die Auffassung vertrat, daß die Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche eine spezifisch föderative Angelegenheit ist. Ferner war der Ausschuß in seiner Mehrheit der Meinung, daß die Frage der Auswirkung der einzelnen Formulierungen in dem vorgerückten Stadium der Verhandlungen in ihrer Tragweite nicht beurteilt werden kann, ein Gesichtspunkt, der mich persönlich mit besonderer Wucht bewegt hat. Wer einmal mit dem Problem Staat und Kirche zu tun gehabt hat, weiß, daß es ungefähr das schwierigste Gebiet Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde. Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes. Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft. Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben. Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen. Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob. Art. 138 Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf. Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet. Art. 139 Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt. Art. 140 Den Angehörigen der Wehrmacht ist die nötige freie Zeit zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten zu gewähren. Art. 141 Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.“ RGBl. S. 1408–1410. 14) Vgl. oben S. 641, Anm. 11.

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ist, das man sich überhaupt vorstellen kann. Die Dinge liegen in den einzelnen Ländern durchaus verschieden; zumal jetzt, da die alten Länder zum Teil neue Grenzen gefunden haben, während die alten kirchlichen Bezirke die gleichen geblieben sind, so daß innerhalb der neuen Länder mit verschiedenen staatskirchlichen und kirchenrechtlichen Abkommen zu rechnen ist. So ist es von mir aus gesehen eine gar nicht zu verantwortende Entscheidung, wollte man im Grundgesetz Grundsätze über das Verhältnis von Staat und Kirche aufnehmen, ohne die Dinge im einzelnen nach ihrer kirchenrechtlichen Seite hin sorgfältig zu überprüfen. Die Konsequenzen sind heute noch gar nicht abzusehen. Wir sind der Meinung, daß die rechtliche Ordnung, wie sie in der Weimarer Verfassung geschaffen wurde, auch in unserem Grundgesetz einen Niederschlag finden soll. Aber schon in der Abweichung der einzelnen Formulierungen des Antrags von den Weimarer Bestimmungen liegt eine zwar nicht unmittelbar sichtbare, aber in der Möglichkeit gegebene Konsequenz, für die die Verantwortung zu übernehmen ich im Augenblick nicht in der Lage bin. Ich habe damals schon ausgesprochen, wir könnten uns in einer Deklaration des Inhalts finden, daß das Weimarer Rechtssystem grundsätzlich seine Geltung behalten soll. Aber ich warne davor, hier in rascher Entscheidung, aus dem Handgelenk heraus Sätze anzunehmen, deren Auswirkungen heute noch nicht übersehbar sind. Diese Fragen bedürfen gründlicher Vorbereitung, wie wir sie ja auch anderen Fragen von viel geringerer historischer Dignität gewidmet haben. Ich meine daher, wir würden etwas vorschnell handeln, wenn wir jetzt ohne vorausgehende gründliche sachliche Diskussion im Grundsatzausschuß diesen Antrag einfach annehmen würden. Dr. Bergsträsser (SPD): Es besteht, glaube ich, ein sehr wesentlicher Unterschied zwischen dem Antrag, der gestern zu den Fragen Familie und Erziehung gestellt worden ist15), und dem Antrag, der uns heute zu dem Verhältnis zwischen Kirche und Staat vorliegt. Den gestrigen Antrag konnte man noch in eine, wenn auch lose Verbindung mit den Grundrechten bringen. Den heutigen Antrag kann man nicht mehr in Beziehung zu den Grundrechten setzen. Wir waren uns im Ausschuß für Grundsatzfragen darüber einig, daß wir nur persönliche Grundrechte festlegen wollten, [S. 256] aus denen unmittelbare Rechte abzuleiten sind. Überdies wird in einem Artikel noch gesagt, daß diese Grundrechte sich auch auf juristische Personen erstrecken. Damit wäre vieles, was in diesem Antrag enthalten ist, schon durch die Grundrechte gedeckt. Aber ein Verfahren, das Kirchenrechte besonders festlegen will, würde, wenn man konsequent denkt, auch anderen Gruppen den Anspruch auf gleiche Behandlung geben. Man hat gestern mit einer gewissen Verwunderung vermerkt, daß wir auf die föderative Grundlage unserer Arbeit gerade in diesem Zusammenhang hingewiesen haben. Nun, bei uns sind die Auffassungen über das, was föderativ ist, nicht gerade normalisiert. Aber eine Auffassung bestand bei uns immer, nämlich die, daß die kulturellen Probleme Angelegenheiten der Länder sind; denn sonst werden die Länder in ihrer eigentlichen Domäne völlig ausgehöhlt. Und wenn ich für meine Person sprechen darf, so möchte ich sagen, daß gerade die Vielfalt auf das Geistesleben bei uns – ich denke vor allem an die Universitäten – sehr befruchtend ge15)

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Vgl. die 21. Sitzung des HptA am 7. Dez. 1948 oben Dok. Nr. 21, TOP 1.3, S. 612.

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wirkt hat. Also müßten eigentlich Sie, meine Herren von der Gegenseite, darüber erfreut sein, wenn wir die föderative Grundlage auf dem Gebiet der Kultur deutlich und klar festhalten. Ich glaube, die Folgerichtigkeit liegt in diesem Fall auf unserer Seite und nicht bei der Gegenseite, die für das Verhältnis zwischen Staat und Kirche und seine Regelung im Grundgesetz ein Sonderrecht schaffen will, das den föderativen Aufbau der Verfassung völlig durchbricht. Ich möchte auf Einzelheiten nicht eingehen. Der Herr Kollege Dr. Heuss hat schon darauf hingewiesen, daß man die Tragweite der einzelnen Sätze des Antrags in ihren Auswirkungen auf die verschiedenartige Situation in den einzelnen Ländern kaum feststellen kann. Wenn hier gesagt wird, daß die Religionsgesellschaften ihre Angelegenheiten selbständig und ohne Eingriff des Staates verwalten, so widerspricht das, soweit ich orientiert bin, durchaus dem geltenden Recht in einigen Ländern. Es würde also unvermeidlich Verwirrungen und Umwälzungen geben. Man muß dann einen Artikel mit dem Zusatz schaffen, daß bis zu einem bestimmten Zeitpunkt alles geregelt sein muß. Auch das halten wir nicht für richtig. Ich darf gerade jene, die glauben sich besonders für die Interessen der Kirchen einsetzen zu müssen oder dies wenigstens sagen, auf einen Gesichtspunkt aufmerksam machen. Mir scheint, daß die Gegensätze sich unter den Wirkungen des nationalsozialistischen Systems weitgehend abgeklärt und vermindert haben. Meine Fraktion muß es ablehnen, sich mit Ihnen auf den gefährlichen Weg zu begeben, diese Dinge in das Grundgesetz aufzunehmen, einen Weg, den man in eine historische Parallele zu den Anträgen setzen kann, die Windthorst16) 1871 gestellt hat, die Kirchenartikel aus den Grundrechtsbestimmungen der preußischen Verfassung17) in die Reichsverfassung zu übernehmen18). Die Sozialdemokratische Partei will gewiß nicht den Kampf in dieser Beziehung, aber es könnte eine Volksstimmung entstehen und ausgelöst werden, die eine Gefahr sowohl für die Interessen wäre, die Sie vertreten, wie auch eine Gefahr für die politische Gesamtentwicklung in Deutschland. Herr Dr. Heuss hat das gesagt, und ich sage es auch. Ich bin durchaus davon überzeugt – wer sollte es nicht sein? –, daß das Christentum eine der Grundlagen der kulturellen Entwicklung des deutschen Volkes ist. Das zu bestreiten wäre geradezu unsinnig. Aber wir möchten Sie warnen, und wenn ich an jüngste Ereignisse denke, so möchte ich Sie doppelt warnen. Wir haben den großen Wahlkampf in Berlin hinter uns. Dieser Wahlkampf hat meiner Partei bedeutende Erfolge gebracht, Ihrer Partei einen Rückgang der Stimmen19). Ich will die Dinge nicht ver-

16)

Ludwig Windthorst (1812–1891), 1851–1853 und 1862–1865 Justizminister in Hannover, Oberkronanwalt in Celle, 1867–1891 Mitglied des preußischen Landtags und des Reichstags des Norddeutschen Bundes, Vorsitzender der Zentrumspartei. 17) Vgl. Art. 12–18 der Verfassung für den Preußischen Staat vom 31. Jan. 1850; Preußische Gesetz-Sammlung 1850, S. 17. 18) Zur Rolle von Ludwig Windhorst bei der Entstehung der Verfassung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches vgl. immer noch: Ed[uard] Hüsgen: Ludwig Windthorst. Köln 1911, S. 64–73, sowie ferner: Margaret Lavinia Anderson: Windthorst. Zentrumspolitiker und Gegenspieler Bismarcks (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, Bd. 14), Düsseldorf 1988, S. 147–154. 19) Bei den Wahlen in den Westsektoren von Berlin am 5. Dezember 1948 lag die Wahlberechtigung bei 86,3%; die SPD erhielt 64,5%, die CDU 19,4% und die LDP 16,1%.

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schärfen, sondern versuchen, unserer Diskussion alle Schärfe zu nehmen. Aber ich sehe in dem Ergebnis der Berliner Wahl eine Tatsache: Gerade da, wo es notwendig war, im Kampfe zusammenzustehen, hat eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung sich für eine Partei ausgesprochen, die sich von konfessionellen Fragen völlig ferngehalten hat, die statt dessen die Einheit des Volkes stärker herausgestellt hat und von der die Wähler jedenfalls angenommen haben, daß sie die Einheit des deutschen Volkes besser vertrete und wahre als andere Parteien, die konfessionelle Fragen so stark betonen. Aus diesen allgemeinen Gründen glauben wir, daß Fragen der Kirchen nicht in diesen Rahmen hineinpassen. Wir sagen das nicht aus Gegnerschaft gegen die Kirchen, sondern wegen der verfassungsrechtlichen Bedeutung eines solchen Verfahrens und aus Furcht davor, an Dinge zu rühren, die man besser unberührt läßt. Wenn Sie sich die Verfassungen der Länder ansehen, so werden Sie sehen, daß in ihnen die Rechte der Kirchen gewahrt sind. Ich habe mit Interesse festgestellt, daß einige Sätze Ihres Antrags unmittelbar der hessischen Verfassung entnommen sind. Allerdings ist Ihnen dabei unter Abs. 3 Ihres Antrags ein kleiner Fehler unterlaufen. Aber im Grunde sind das doch Dinge, die schon da sind. Ich glaube nicht, daß in den Verfassungen, die in der englischen Zone etwa noch kommen werden, eine andere oder schlechtere Regelung getroffen werden wird. Was Sie hier erreichen wollen, widerspricht Ihrer Politik, es widerspricht der Politik anderer Parteien, und es würde auch der Politik unserer Partei und Fraktion widersprechen, die wir eben – ich habe das schon einmal hervorgehoben – aus Grundsatz tolerant sind und jedem gern das Seine lassen, in Anerkennung der kulturellen Leistungen des Christentums, die aus der Vergangenheit und Gegenwart des deutschen Volkes nicht wegzudenken sind. Frau Wessel (Z): Die Stellung der Kirchen im Staate muß von der grundsätzlichen Seite her gesehen werden. Diese Frage hat nichts damit zu tun, ob man Zentralist oder Föderalist ist. Die Weimarer Verfassung hat eindeutig die Stellung der Kirchen anerkannt. Unser Antrag will das erneut festlegen. Art. 7 gewährleistet die Freiheit des Glaubens. Wenn Sie aber diese Freiheit des Glaubens garantieren, dann müssen Sie auf der anderen Seite die Institutionen anerkennen, die die Vermittler dieses Glaubens sind, zum mindesten die katholische und protestantische Kirche. Unser Antrag ist somit eine Parallele zu Art. 7 der Grundrechte. Nur in diesem Zusammenhang ist er richtig zu verstehen. Nichts liegt uns ferner, als die weltanschauliche oder konfessionelle Zerrissenheit im Volke aufzurichten und aufrechtzuerhalten. Die Kirchen müssen entsprechend ihrer Bedeutung auch im Grundgesetz anerkannt werden; dies entspricht auch dem logischen Aufbau unserer Verfassung. Es ist durchaus die Frage aufzuwerfen, ob jeder Satz unseres Antrags so stehenbleiben muß, wie er hier steht. Aber ich halte es für falsch und für völlig unlogisch, wenn Sie erklären, die Stellung der Kirchen sei eine Angelegenheit der Länder und nicht eine Frage, die in das deutsche Grundgesetz hineingehört. Entweder sind die Kirchen die Vermittler des Glaubens – das sind nach unserer Auffassung zum mindesten die katholische und protestantische Kirche –, dann müssen Sie sie im Anschluß an den Art. 7 auch im Grundgesetz anerkennen. Dieser Logik kann sich niemand entziehen, der das Problem einmal ganz durchdenkt.

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Dr. Seebohm (DP): Ich habe schon gestern20) die Notwendigkeit betont, die Freiheitsrechte auch im kulturellen Bereich und vor allem für die Kirchen durch die Verfassung zu gewährleisten. Daher müssen diese Freiheitsrechte auch in unserem Grundgesetz verankert werden. Zur Freiheit des Glaubens gehört auch die Freiheit der Kirchen; auch sie ist im Grundgesetz festzulegen. Dabei ist es vom föderalen Gesichtspunkt aus durchaus richtig, daß die kulturellen Angelegenheiten grundsätzlich Angelegenheiten der Länder sein sollen und die Freiheit für Vereinbarungen der Länder mit den Kirchen gewahrt bleiben muß. Dies tut unser Antrag hinreichend. Gerade vom föderalen Standpunkt aus lehnen wir es ab, einen Einfluß auf die Kirchen und die Abgrenzung ihrer im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung [S. 257] entstandenen Bereiche auszuüben. Wir sind durchaus bereit, den Kirchen bei der Regelung ihrer inneren Verhältnisse Autonomie zuzugestehen. Wir haben immer wieder den Grundsatz vertreten, daß die Kirchen aus eigenem Recht ihre Angelegenheiten selbständig ordnen und verwalten sollen und in ihrer freien Entfaltung, namentlich im Verkehr mit ihren Angehörigen, nicht beschränkt werden dürfen. Die Stellung der Kirchen ist heute eine ganz andere als zur Zeit der Schaffung der Weimarer Verfassung. Damals waren die Kirchen in gewisser Weise durch den Zusammenhang von Thron und Altar21) politisch belastet. Aber in den letzten Jahrzehnten hat sich die Stellung der Kirchen grundlegend gewandelt. Es hat sich aber auch die Einstellung des Volkes gegenüber den Kirchen gewandelt. Die Kirchen sind Verteidiger des individuellen Rechts des Einzelnen, seiner Glaubens- und seiner Gewissensfreiheit geworden. Die Kirchen haben einen geradezu bewundernswerten Kampf gegen die Unterdrückung der Glaubens- und Gewissensfreiheit geführt. Sie haben es durch ihre Haltung in den letzten Jahren in ganz Europa verdient, daß ihre Rechte in der Verfassung verankert und geschützt werden. Ich kenne kaum eine Verfassung, die zur Frage des Verhältnisses zwischen Staat und Kirchen nicht Stellung nimmt. Sogar der Verfassungsentwurf des Deutschen Volksrates22 sieht in den Art. 43, 44, 45 und 46 eindeutige Bestimmungen vor, die die Stellung der Kirchen im Staate regeln und ihnen eine entsprechende Freiheit zuzubilligen scheinen. Daher halte ich es für unbedingt erforderlich, daß auch unser Grundgesetz die unabdingbaren Rechte der Kirchen schützt. Ich finde es nicht zutreffend, wenn Herr Professor Dr. Bergsträsser die Stellung der Kirchen zum Staat mit dem Wahlkampf in Berlin in Verbindung gebracht hat. Diese Fragen hatten mit dem Wahlkampf nichts zu tun.

20)

Vgl. die 21. Sitzung des HptA am 7. Dez. 1948 oben Dok. Nr. 21, TOP 1.3.3, S. 623–625. Das Schlagwort von „Thron und Altar“ bezeichnet das Verhältnis von evangelischer Kirche und Staat und hat sich aus der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre entwickelte. 22) Ein erster „Entwurf der Verfassung für die Deutsche Demokratische Republik“ wurde in Neues Deutschland vom 15. Nov. 1946, S. 1–2 veröffentlicht. Vgl. den Überblick von Monika Kaiser: Die Verfassung der Ostzone. Die konstitutionelle Frage 1949/50, in: Jürgen Elvert/Friederike Krüger (Hrsg.): Deutschland 1949–1989. Von der Zweistaatlichkeit zur Einheit (= Historische Mitteilungen im Auftrage der Ranke-Gesellschaft, Bd. 49). Stuttgart 2003, S. 66–77. Vgl. auch Art. 41–48 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Okt. 1949; Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1949, S. 5–16. 21)

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Ich bedauere es, daß der Grundsatzausschuß dieses wichtige Problem aus Zeitnot nicht mehr behandeln konnte. Ich hoffe aber, er wird bis zur zweiten Lesung noch Gelegenheit haben, sich mit diesen Problemen näher zu befassen. Der Hauptausschuß sollte ihm dazu die Grundlage geben, indem er beschließt, daß das Verhältnis von Staat und Kirche in der Verfassung klar und eindeutig festgelegt werden soll. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich glaube aus den Erklärungen des Kollegen Dr. Bergsträsser seine grundsätzliche Auffassung entnehmen zu können, daß sachliche Bedenken gegen den Inhalt unseres Vorschlags, zum mindesten im großen und ganzen, nicht geäußert worden sind. Er hat gesagt, daß wesentliche Dinge, die in diesem Antrag enthalten sind, bereits in den süddeutschen Verfassungen, und zwar auch mit Zustimmung seiner Partei, verankert worden sind, und hat außerdem seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, daß seine Partei auch in den Ländern, in denen derartige verfassungsmäßige Regelungen noch nicht erfolgt sind, aller Voraussicht nach eine ähnliche Haltung einnehmen würde wie bei der Verabschiedung der süddeutschen Verfassungen. Wenn also die materiellen Unterschiede oder Meinungsverschiedenheiten nach den Ausführungen des Herrn Dr. Bergsträsser nicht von vornherein unüberbrückbar erscheinen, würde ich es um so weniger verstehen, wenn man aus rein formellen Erwägungen eine sachliche Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche hic et nunc nicht akzeptieren wollte. Gewiß, Föderalismus auf der einen Seite, Föderalismus auf der anderen Seite. Ich habe gestern bei der Diskussion der Artikel betreffend Familie, Eltern und Erziehung bereits erklärt, daß es eine völlig falsche Auslegung des Begriffs Föderalismus sei, wenn man den Föderalisten unterschiebe, sie wollten überhaupt nichts einheitlich geregelt haben, daß im Gegenteil aus der ganzen Situation heraus gewisse Fragen im Interesse des Ganzen einheitlich geregelt werden müßten. Das soll auch einheitlich geregelt werden. Das ist einer der Kerngedanken des Föderalismus überhaupt, und es erscheint uns angesichts der Bedeutung der Kirchen für die ganze zukünftige Entwicklung notwendig, wenigstens eine einheitliche Rahmenregelung dieser Dinge hier im Grundgesetz vorzusehen. Wenn der Herr Kollege Dr. Bergsträsser uns davor warnen zu müssen glaubt, einen gefährlichen Weg zu beschreiten, und wenn er dabei sogar auf Windthorst exemplifiziert, der 1871 die Übernahme der preußischen Kirchenartikel in die Verfassung des Deutschen Reiches beantragt habe, so frage ich: Ja, meine Damen und Herren, war denn dieser Versuch und dieses Bemühen Windthorsts so völlig unbegründet? Hat ihm die sehr bald nach der Reichsgründung23) einsetzende Entwicklung auf dem Gebiet der Kirchen- und Kulturpolitik nicht völlig recht gegeben? War es nicht richtig, daß er sich um die Sicherung dieser Dinge auch in der deutschen Verfassung bemüht hat? Dr. Heuss (FDP): In der preußischen Verfassung war diese Bestimmung drin. Der Kulturkampf24) hat sich in Preußen im Rahmen der Verfassung abgespielt. In der 23)

Das Deutsche Reich wurde am 18. Jan. 1871 nach dem Sieg des Norddeutschen Bundes und der mit ihm verbündeten süddeutschen Staaten im Deutsch-Französischen Krieg gegründet. 24) Kulturkampf ist der auf Ferdinand Lassalle zurückgehende und von Rudolf Virchow in

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Frage, ob die Kirchenartikel in die Reichsverfassung hineinkommen sollten, war Bismarck grundsätzlich der Meinung, daß nichts von diesen Dingen in die Reichsverfassung kommen sollte. Die Verfassungsartikel in Preußen waren die Wirkung, aber Bismarck hat sie nicht so interpretiert25). Dr. Süsterhenn (CDU): Die Verfassungsartikel in Preußen waren nicht die Wirkung, sondern sie gingen dem Bismarckschen Antrag im Reichstag vor.26) Die Sicherung der Freiheit der Kirchen, die in der preußischen Verfassung niedergelegt war, wäre bei den Ereignissen, die sich in den ersten Jahren nach der Reichsgründung auf dem Gebiet der Kulturpolitik zutragen haben, zum mindesten rechtlich – ob machtmäßig, ist eine andere Frage – unmöglich gewesen. Man hat gestern27) aus Anlaß der Debatte über die Verankerung gewisser Dinge in der Weimarer Verfassung den damaligen preußischen Kultusminister Adolf Hoffmann28) zitiert und gesagt, gerade weil man dieses Schreckgespenst ad hoc gesehen habe29), habe man sich in Weimar dahinter gesetzt, diese Regelung in die Verfassung einzubauen. Ja, war denn das so vollkommen falsch? Hat es denn nicht allzu lange Zeit nach einem Adolf Hoffmann einen Adolf Hitler gegeben, der dieselbe Politik noch in verstärktem Maß verfolgt hat, wie sie Herr Adolf Hoffmann Gott sei Dank nur kurze Zeit auf dem Gebiet der Kirchen- und Kulturpolitik in Preußen verfolgt hat? Wenn man diese Dinge historisch betrachtet, kann man wahrhaftig sagen: vestigia terrent30). Es schändet nicht, wenn man dieser gemeinsamen Überzeugung auch einen einwandfreien juristischen Ausdruck zu verleihen versucht. Was nun das Wahlergebnis von Berlin angeht31), so möchte ich aus grundsätzlichen Erwägungen heraus und im Interesse des in Berlin geführten Kampfes darauf verzichten, eine Analyse dieses Wahlergebnisses vorzunehmen und aus ihm entsprechende politische Konsequenzen zu ziehen, selbstverständlich aus ganz anderen

25)

26) 27) 28) 29) 30) 31)

einer Rede am 17. Jan. 1873 im preußischen Abgeordnetenhaus erstmals verwendete Begriff für den Kampf zwischen der katholischen Kirche und Preußen unter dem preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck in den Jahren zwischen 1871 und 1887, in dem Bismarck den Einfluß der katholischen Kirche mit einer gezielten antikirchlichen Gesetzgebung zurückzudrängen suchte. Statt „In der preußischen Verfassung war diese Bestimmung drin. Der Kulturkampf hat sich in Preußen im Rahmen der Verfassung abgespielt. In der Frage, ob die Kirchenartikel in die Reichsverfassung hineinkommen sollten, war Bismarck grundsätzlich der Meinung, daß nichts von diesen Dingen in die Reichsverfassung kommen sollte. Die Verfassungsartikel in Preußen waren die Wirkung, aber Bismarck hat sie nicht so interpretiert.“ im stenograph. Wortprot., S. 14: „Der Kulturkampf hat sich im preußischen Raum abgespielt. Das hatte mit der Frage nichts zu tun, ob die Kirchenartikel in die Reichsverfassung kamen oder nicht. Bismarck war grundsätzlich der Meinung, daß nichts von diesen Dingen in die Reichsverfassung kommen sollte. Bismarck hat die Verfassungsartikel interpretiert, wie er es eben für zweckmäßig hielt.“ „Die Verfassungsartikel in Preußen waren nicht die Wirkung, sondern sie gingen dem Bismarckschen Antrag im Reichstag vor.“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 14. Vgl. oben Dok. Nr. 21, S. 621. Zu Adolph Hoffmann vgl. Dok. Nr. 21, S. 621, Anm. 49. Statt „weil man dieses Schreckgespenst ad hoc gesehen habe,“ im stenograph. Wortprot., S. 15: „deshalb“. Lateinisch: Die Spuren schrecken ab. Der Spruch geht zurück auf eine Fabel des Aesop, Vgl. oben S. 645, Anm. 19.

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Gründen als denjenigen, aus denen Herr Kollege Renner eben so freundlich gelacht hat. (Heiterkeit.) Ich kenne das, was Sie, Herr Renner, auf diesem Gebiet zu erzählen haben, durchaus. Ich bin darüber schon durch Presse und Rundfunk genügend informiert. Ich kann Ihren beabsichtigten Ausführungen den Satz entgegenhalten, den ich sonst nicht zu sagen pflege: Ich habe Ihre Vorlage noch nicht zur Kenntnis genommen, aber ich mißbillige sie von vornherein, es sei denn, daß Sie sich, Herr Kollege, entschließen könnten, die Art. 43, 45, 46 usw. des Verfassungsentwurfs des Volksrates mit uns gemeinsam in einem Initiativantrag einzubringen. Das wäre zweifellos eine Plattform, auf der wir durchaus sachlich diskutieren könnten. Zusammenfassend bin ich der Meinung, wo offensichtlich die sachlichen Differenzen in der Materie selber nicht so unüberbrückbar sind, sollte es doch möglich sein, auch aus den verschiedenen Gründen, wie sie Herr Dr. Seebohm dargelegt hat, eine Regelung irgendwelcher Art in die Verfassung einzubauen. [S. 258] Dr. Eberhard (SPD): Ich glaube, es ist notwendig, den Standpunkt, den die Sozialdemokratie zu diesen Fragen einnimmt, noch einmal klarzustellen. Nachdem das Wort „Kulturkampf“ in Anlehnung an die alte Zeit gefallen ist, möchte ich folgendes sagen. Die Haltung unserer Fraktion gestern und heute ist weitgehend von dem Grundsatz bestimmt: Ein Kulturkampf findet heute nicht statt; er darf heute und hier nicht stattfinden; denn wir haben ja nun einmal im europäischen und Weltmaßstab so etwas wie einen Kulturkampf, und in diesem Kampf stehen die beiden großen Parteien, CDU und SPD, in Berlin und anderwärts, wie ich hoffe, auf derselben Seite. Wir haben gestern den Antrag der CDU abgelehnt, weil wir die Tradition aufrechterhalten wollen, wie sie heute besteht, weil wir mit unserer Ablehnung dazu beitragen wollen, daß nicht etwa eine kulturkampfähnliche Situation entsteht. Heute lehnen wir den Antrag über die Kirchenfrage ab, weil wir bei der gegenwärtigen politischen Lage in Deutschland, wo hoffentlich ein Zehn-Gebote-Hoffmann32) nicht vorhanden ist, keine Notwendigkeit sehen, besondere Sicherungen für die Kirchen in die Verfassung einzubauen. Das Grundsätzliche dazu haben wir in Art. 5 des Grundgesetzes formuliert und geregelt. Wir glauben aber nicht, daß es notwendig ist, darüber hinaus zentralistisch den Ländern eine Lösung vorzuschreiben33). Es ist und wird Sache der Länder sein, im einzelnen Regelungen zu treffen, die der Tradition dieser Länder entsprechen. Die Widerstandskraft, die die Kirchen gegen totalitäre Willkür in der Vergangenheit an den Tag legten und auch in der Gegenwart zeigen, verdient durchaus eine gerechte Würdigung. Sie war nicht bei allen Kirchen und zu allen Zeiten gleich groß und stark. Aber man muß wohl sagen, daß die Widerstandskraft gerade der katholischen Kirche weitgehend 32)

Adolph Hoffmanns antikirchlichen Äußerungen hatten die Sorge vor einem Kulturkampf begünstigt und trugen zum Mobilisierungserfolg der Zentrumspartei bei den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung 1919 bei. Der Abg. Eberhard spielt mit dem „Zehn-Gebote-Hoffmann“ nun umgekehrt auf den Abg. Laforet an, der im parlamentarischen Rat dezidiert katholische Positionen vertrat. 33) Im stenograph. Wortprot., S. 17, folgt an dieser Stelle: „Fragen der Religion und Kultur sind Ländersache.“

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in derselben Richtung wie die der sozialistischen Arbeiterbewegung gewirkt hat. Sie wird bei der Abwehr weiterer totalitärer Angriffe von Bedeutung sein. Gerade weil wir das sehen, stimmen wir gegen die Aufnahme der Artikel, wie sie der Antrag fordert. Renner (KPD): Ich möchte mich zunächst mit dem letzten Herrn Redner befassen, der, wie er sagte, den Versuch unternommen hat, den Standpunkt der SPD zu dieser Frage noch etwas zu untermauern. Er hat seine Auffassung so formuliert, daß der heutige Kulturkampf, den die SPD zusammen mit der CDU und den übrigen bürgerlichen Parteien führt, seinen Ausdruck beim Wahlkampf in Berlin gefunden habe. Er hat damit eindeutig den Kampf gemeint, den man schlechthin mit dem politischen Schlagwort: Kampf der westlichen, der abendländischen Kultur gegen die Unkultur des bolschewistischen Ostens bezeichnet. So ist doch Ihre Formulierung. Dazu stelle ich nur eines fest: Es ist immerhin sehr beachtlich, daß die SPD diese Art von Kampf auch hier als ihren eigenen Kampf deklariert. Der Kampf, der zwischen West und Ost geführt wird, geht nicht um das Problem westliche Kultur gegen östliche Unkultur, sondern nackt und schlicht um die westliche Konzeption der Wirtschaft, also der monopolkapitalistischen, imperialistischen Privatwirtschaft mit der entsprechenden Gesellschaftsordnung, gegen den Sozialismus! Das ist die Kampfstellung; um diese beiden Probleme wird gerungen. Nun komme ich zu Herrn Dr. Süsterhenn. Herr Süsterhenn, Sie haben darauf angespielt, daß in dem Verfassungsentwurf der demokratischen Kräfte der Ostzone, der Ihnen allen zugegangen ist, das Problem auch in positivem Sinne angeschnitten worden ist. Das stimmt. Sie sind sogar einen Schritt weitergegangen und haben wörtlich aus der Formulierung dieses Verfassungsentwurfs des Deutschen Volksrates zitiert, mit geringen, allerdings bezeichnenden Varianten. Aber die Varianten sind es, die der Geschichte die richtige Musik verleihen. Die Varianten, die darin liegen, daß Sie Zusätze gemacht haben, die das Gegenteil von der vielgerühmten Toleranz sind, die Sie gestern noch so herausgestrichen haben, Zusätze, die die ganze Arroganz, die ganze Überheblichkeit Ihrer Konzeption gegenüber der sozialistischen Konzeption bezeichnen. Wegen der Begründung, die Sie Ihrem Antrag gegeben haben, lehne auch ich diesen Antrag ab. Ich kann Ihre Bemerkung nicht unwidersprochen lassen, daß die Kirche in Prag, Warschau, Budapest zur Zeit einen Kampf um die Freiheit führe. Ich kann auch nicht die Formulierung teilen, daß die Kirchen als von entscheidender Bedeutung für die Wahrung und Festigung der sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens anerkannt werden müssen. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß jemand durchaus ein sittlich einwandfreier Mensch sein kann, ohne Angehöriger einer Kirche zu sein und ohne Christ zu sein, was ja nicht immer dasselbe ist, was oft sogar in krassem Widerspruch dazu steht. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß Religion eine private Angelegenheit des einzelnen Menschen ist. Ich bin bereit, den Kirchen die gleichen Rechte wie jedem anderen Zusammenschluß von Bürgern in dieser deutschen Republik einzuräumen, das Recht, sich zu organisieren, und den Anspruch, als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt zu werden. Das ist meine grundsätzliche Stellung. Sie haben also mit der Art, wie Sie, Herr Süsterhenn, Ihren Antrag begründet haben, geradezu bewußt die Diskussion ausgelöst, die ich fast als Kulturkampf erklären könnte. Sie haben bewußt einen Kampf ausgelöst, in der Ihnen eigenen Über-

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heblichkeit, die Dinge so auszusprechen, wie sie hier formuliert sind. Sie wollen offensichtlich gar nicht eine verfassungsmäßige Regelung des Problems; sonst hätten Sie sich nämlich die Begründung ersparen müssen. Tatsächlich ist es doch so, daß in allen bestehenden Verfassungen das Recht der Kirchen, als öffentlich-rechtliche Körperschaft anerkannt zu werden, bereits festliegt. Wozu brauchen Sie dann noch eine derart begründete Formulierung Ihres Antrags? Es wäre Ihrer Sache dienlicher gewesen, wenn Sie sich nackt und schlicht auf die Formulierungen des Verfassungsentwurfs des Volksrates berufen hätten. Dann hätte es diese Diskussion nicht gegeben. Dann hätte sich herausgestellt, daß wir im Prinzip bereit sind, Ihnen das zu konzedieren, was Sie wollen; allerdings unter der Voraussetzung, daß Sie konzedieren, daß alle Zusammenschlüsse von Bürgern dieses Staates, die eine andere sittliche Weltanschauung haben, dieselben Rechte haben müssen, wie Sie sie für die Kirchen verlangen. Das haben Sie aus dem Entwurf des Volksrates weggelassen. Darauf kommt es uns Sozialisten an, daß jeder Mensch in dieser Frage das gleiche Recht hat. Wir konzedieren Ihnen das Recht, daß die Kirchen ein privater Verein sind, frei von Kontrollen durch den Staat, daß die Kirchen auch das Recht haben, ihre finanziellen Angelegenheiten zu organisieren. Das alles konzedieren wir Ihnen. Wir erwarten von Ihnen nur, daß Sie Ihre Überheblichkeit preisgeben, daß Sie in Zukunft etwas toleranter sind gegen die Vertreter anderer Weltanschauungen und diesen dieselben Rechte konzedieren, die Sie für die Kirche verlangen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich bin während meiner Amtszeit als preußischer Finanzminister34) durch dreijährige Verhandlungen mit der Kurie35) und den evangelischen Kirchen36) gezwungen gewesen, mich sehr eingehend mit Kirchenrecht zu befassen. Es ist der preußischen Regierung gelungen, nicht nur mit der Kurie, sondern auch mit den evangelischen Kirchen zu einer friedlichen Verständigung zu kommen. Die Verträge, die der preußische Staat mit der Kurie und den evangelischen Kirchen geschlossen hat, sind vom Ministerpräsidenten Braun37), vom Kultusminister Dr. Becker38) und von mir als dem preußischen Finanzminister unter34)

Höpker Aschoff war 1925–1931 preußischer Finanzminister. Im Mai 1920 fanden auf der Referentenebene erste Verhandlungen über den Vertrags des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhl vom 14. Juni 1929 statt. Vgl. Dieter Golombek: Die politische Vorgeschichte des Preußenkonkordats (1929) (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B Bd. 4). Mainz 1970; Michael Höhle: Die Gründung des Bistums Berlin 1930 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B Bd. 73). Paderborn 1996, bes. S. 153–197. 36) Am 11. Mai 1931 wurde der Vertrag des Freistaates Preußen mit den Evangelischen Landeskirchen abgeschlossen. Vg. Joseph Listl (Hrsg.): Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis. 2. Bd., Berlin 1987, S. 759–782. 37) Otto Braun (1872–1955), Mitglied des SPD, 1913–1933 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, 1919–1920 Mitglied der Verfasunggebenden Nationalversammlung in Weimar, 1920–1933 Mitglied des Reichstags, 1918–1920 Landwirtschaftsminister in Preußen, 1920–1921 und 1921–1925 sowie 1925–1932 preußischer Ministerpräsident. Hagen Schulze: Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung. Eine Biographie. Frankfurt am Main/Berlin 1981. 38) Carl Heinrich Becker (1876–1933), Orientalist, 1921 sowie 1925–1930 preußischer Kultusminister (parteilos). Vgl. Guido Müller: Weltpolitische Bildung und akademische Re35)

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zeichnet worden. Ich kenne also die ganze Schwierigkeit der Materie und kann nur unterstreichen, was Kollege Dr. Heuss vorhin gesagt hat. Es ist sehr bedenklich, ohne sorgfältige Prüfung jetzt eine Reihe von neuen Grundsätzen in die Verfassung aufzunehmen, deren Tragweite wir ohne eingehende, gewissenhafte Untersuchung einfach nicht übersehen können. Die Formulierungen, die der Antrag bringt, weichen von den Bestimmungen der Weimarer Verfassung in sehr bedeutsamen Einzelheiten ab. Sie stehen auch mit dem preußischen Konkordat39) und den preußischen Verträgen mit den evangelischen Kirchen nicht in [S. 259] Einklang. Ich möchte das nur an einigen Beispielen erläutern. In Abs. 2 des Antrags heißt es: Sie haben das Recht, ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates und der politischen Gemeinden zu verleihen und zu entziehen. Dieser Satz trifft nicht zu. Nach dem preußischen Konkordat sind die Kirchen darin nicht frei. Das preußische Konkordat enthält Bestimmungen über die Ausbildung der Geistlichen40); es enthält auch Bestimmungen über die Wahl der Bischöfe. Es gibt dem Staat die Möglichkeit, sich gegen die Bestellung eines Bischofs zu äußern41). Diese Vorschriften sind heute noch in Kraft und auch in tatsächlicher Geltung, wie sich bei der Bestellung des neuen Bischofs von Münster gezeigt hat. Man hat dabei die Bestimmungen des preußischen Konkordats eingehalten: Vorschlagsliste der preußischen Bischöfe, Auswahl von drei Kandidaten durch die Kurie, Wahl durch das Kapitel, Befragung der preußischen Staatsregierung, in diesem Fall vertreten durch die Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Ich möchte noch auf ein anderes Beispiel hinweisen. Es heißt in Abs. 3 des Antrags: Bei der Ausübung des ihnen eigenen Rechts, Steuern zu erheben, können Kirchen und Religionsgesellschaften sich der staatlichen Steuerlisten bedienen. Diese Bestimmung reicht gar nicht aus; denn der Staat stellt nicht nur seine Steuerlisten, sondern unter Umständen auch die Zwangsgewalt der Finanzämter für die Einziehung der Kirchensteuer zur Verfügung. form. Carl Heinrich Beckers Wissenschafts- und Hochschulpolitik 1908–1930 (= Beiträge zur Geschichte der Kulturpolitik, Bd. 2). Köln 1991. 39) Für den Wortlaut des Vertrags des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhl vom 14. Juni 1929 vgl. Preußisches Gesetzblatt 1929, S. 152–160; Schöppe: Konkordate, S. 63–70. Zur Entstehungsgeschichte vgl. Dieter Golombek: Die politische Vorgeschichte des Preußenkonkordats (1929) (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B Bd. 4). Mainz 1970; Michael Höhle: Die Gründung des Bistums Berlin 1930 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B Bd. 73). Paderborn 1996, bes. S. 153–197. 40) Vgl. Art. 12 des Vertrags des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhl vom 14. Juni 1929: „Für die wissenschaftliche Vorbildung des Geistlichen bleiben die katholischtheologischen Fakultäten an den Universitäten in Breslau, Bonn und Münster und an der Akademie in Braunsberg bestehen. [. . .]“. Vgl. Schöppe, S. 66. 41) Vgl. Art. 6 des Vertrags des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhl vom 14. Juni 1929: [. . .] Der Heilige Stuhl wird zum Erzbischof oder Bischof niemand bestellen, von dem nicht das Kapitel nach der Wahl durch Anfrage bei der Preußischen Staatsregierung festgestellt hat, dass Bedenken politischer Art gegen ihn nicht bestehen. [.. .]“. Vgl. Schöppe, S. 65.

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In Abs. 4 ist im Gegensatz zur Weimarer Verfassung der uneingeschränkte Neuerwerb von Eigentum anerkannt. Diese Bestimmung finden Sie in der Weimarer Verfassung nicht. Noch heute sind die Bestimmungen des preußischen Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch in Kraft, welche im Interesse der Beschränkung des Eigentums der toten Hand einen solchen Erwerb an eine gewisse Genehmigung knüpfen. Ich halte diese Bestimmung nach wie vor für notwendig. In Abs. 5 des Antrags wird gesagt, daß die auf Gesetz, Vertrag oder anderen Rechtstiteln beruhenden Leistungen des Staates, der politischen Gemeinden oder Gemeindeverbände nur durch Vereinbarungen abgelöst werden können. Das ist eine feine Unterscheidung gegenüber der Weimarer Verfassung. Diese spricht davon, daß solche Leistungen durch Landesgesetz abgelöst werden sollen. Daß Verträge eingehalten werden müssen, ist klar. Aber es gibt auch Leistungen des Staates, zum Beispiel die Pfarrerbesoldungszuschüsse, bei denen eine Vertragspflicht des Staates nicht besteht. Bei Annahme dieser Anträge würden also hier neue Rechte der Kirchen begründet werden. So geht es fort. Auf den Bestimmungen der Weimarer Verfassung beruhen auch die Konkordate, die von den Ländern abgeschlossen sind42). Ich kann mich nicht dazu verstehen, hier eine Reihe solcher Bestimmungen ohne sorgfältige Prüfung ihrer Tragweite zu billigen. Ich könnte mich damit abfinden, wenn man in irgendeiner Weise auf die Bestimmungen der Weimarer Verfassung Bezug nehmen würde. Aber dieser Antrag ist für uns unannehmbar. Dr. Seebohm (DP): Ich möchte den Antrag stellen, daß über die einzelnen Absätze des Antrags getrennt abgestimmt wird. Ferner möchte ich beantragen, daß in Abs. 7 an Stelle des 1. Januar 1945 der 8. Mai 194543) gesetzt wird. Außerdem möchte ich vorschlagen, im gleichen Absatz das Wort „Vereinbarungen“ durch das Wort „Verträge“ zu ersetzen. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich schließe mich den Änderungsvorschlägen des Herrn Dr. Seebohm an. Dr. Bergsträsser (SPD): Ich möchte beantragen, daß über den Antrag en bloc abgestimmt wird, damit man sieht, ob er angenommen oder abgelehnt wird. Je nach dem Ergebnis brauchen wir auf Einzelheiten nicht mehr einzugehen. Dr. Seebohm (DP): Gut, ich schließe mich der Meinung an, über den Antrag im ganzen abzustimmen. Es kann im Fall der Annahme dann immer noch eine Überweisung an den Ausschuß erfolgen, um die einzelnen Abschnitte zu prüfen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich stelle den Antrag mit den Abänderungen, die Herr Dr. Seebohm vorgeschlagen hat, nämlich Ersetzung des Datums vom 1. 1. 45 durch 42)

„So geht es fort. Auf den Bestimmungen der Weimarer Verfassung beruhen auch die Konkordate, die von den Ländern abgeschlossen sind“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 24. 43) Der 8. Mai 1945 gilt als Tag der Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Nach mehreren Teilkapitulationen seit dem 29. April 1945 erfolgte die Kapitulation der gesamten deutschen Streitkräfte jedoch tatsächlich in Reims im Hauptquartier des Oberbefehlshabers der alliierten Streitkräfte, Gen. Dwight D. Eisenhower (1890–1969), am 7. Mai 1945 nacht um 2.41 Uhr mit Wirkung zum 8. Mai abends um 23.01 Uhr. Nach Inkrafttreten wurde die Unterzeichnung im Hauptquartier der Roten Armee in Berlin-Karlshorst auf Drängen des Generalsekretärs der KPdSU und des Vorsitzenden des Ministerrates, Jossif Wissarionowitsch Stalins am 9. Mai 1945 um 0.16 Uhr wiederholt.

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den 8. 5. 45 und Ersetzung des Wortes „Vereinbarungen“ durch „Verträge“, zur Abstimmung. – Der Antrag ist mit 11 gegen 10 Stimmen abgelehnt. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich möchte nunmehr anknüpfend an die Möglichkeit einer Regelung, die sich aus den Ausführungen insbesondere des Herrn Dr. Höpker Aschoff ergeben hat, folgenden Antrag stellen: Die Bestimmungen der Art. 137, 138 Abs. 2, 139 und 141 der Deutschen Verfassung vom 11. August 1919 werden aufrechterhalten. Die am 8. Mai 1945 bestehenden Verträge mit den Kirchen bleiben in Kraft, bis sie durch neue von den Ländern abzuschließende Verträge ersetzt werden. Dr. Greve (SPD): Ich bitte, den Antrag, den Herr Dr. Süsterhenn soeben gestellt hat, zunächst an den zuständigen Ausschuß zur Behandlung zu überweisen. Dr. Heuss (FDP): Ich möchte eine Änderung zum Antrag Dr. Süsterhenn vorschlagen. Statt „Die am 8. Mai 1945 bestehenden Verträge mit den Kirchen bleiben in Kraft“ bitte ich zu sagen: Die am 8. Mai 1945 bestehenden Verträge zwischen den Ländern und den Kirchen bleiben in Kraft .. . Bei der hier vorliegenden Formulierung würde auch das Reichskonkordat44) irgendwie verpflichtendes Recht für die einzelnen Länder werden. Ich kann die einzelnen Positionen des Reichskonkordats in ihrer Auswirkung auf die gesamte Gesetzgebung noch keineswegs übersehen. Ich glaube, daß wir uns ungefähr darüber klar sind, daß dieses Konkordat von der Reichsseite her gesehen damals durchaus dolos abgeschlossen worden ist und daß es keine Ratifikation in irgendwelchen parlamentarischen Körperschaften gefunden hat. Es ist im Jahre 1933 abgeschlossen worden, ohne daß sich der Reichstag damit hatte befassen können45). Wir glauben, daß mit der Formulierung „zwischen den Ländern und den Kirchen“ zum einen die Rechtsansprüche aus den zwischen dem ehemaligen Staat Preußen, dem Staat Bayern und dem Staat Baden mit der Kurie abgeschlossenen Konkordaten gewahrt bleiben, zum anderen auch die Frage der kirchenrechtlichen Ordnung auf die Ebene der Länder, also auf die föderative Basis zurückgeführt ist. Auch mir scheint die allgemeine Formulierung „Verträge mit den Kirchen“ nicht dem zu entsprechen, was wir heute, insbesondere nach den Darlegungen des Herrn Dr. Höpker Aschoff, verantworten können. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich halte es nicht für notwendig, meinen Antrag, der praktisch nichts anderes als die Fortgeltung des geltenden Rechts beinhaltet, unbedingt noch einmal an den Ausschuß für Grundsatzfragen zurückzuverweisen. Was die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Heuss angeht, so würde sein Änderungsantrag bedeuten, daß das sogenannte Reichskonkordat hier von der Fortgeltung allgemein ausgenommen wird. Damit würde ein sehr beachtlicher Stein aus 44)

Für den Wortlaut des Konkordats zwischen dem Heiligem Stuhl und dem Deutschen Reich (sog. Reichskonkordat) vom 20. Juli 1933 vgl. RGBl. II, S. 679–690; Schöppe: Konkordate, S. 29–35. Das Reichskonkordat wurde auch als Umdrucks. S 17 vom Sekretariat des Parl. Rates vervielfältigt. Zur Entstehungsgeschichte des Reichskonkordates vgl. Ludwig Volk: Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933. Von den Ansätzen in der Weimarer Republik bis zur Ratifizierung am 10. September 1933 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B, Bd. 5). Mainz 1972. 45) Art. 4 des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich (sog. „Ermächtigungsgesetz) vom 24. März 1933 bestimmte u. a., daß völkerrechtliche Verträge nicht der Zustimmung der an der Gesetzgebung beteiligten Körperschaften bedürfen. Vgl. RGBl. I, S. 141. Zum „Ermächtigungsgesetz“ vgl. oben Dok. Nr. 21, S. 631, Anm. 80.

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dem ganzen zwischen Staat und Kirche geltenden Recht herausgebrochen werden, eine Maßnahme, die meine Fraktion für äußerst bedenklich hielte. In der Völkerrechtswissenschaft ist im allgemeinen anerkannt, daß auch das Reichskonkordat noch geltendes Recht ist. Außerdem darf ich darauf hinweisen, daß die Kurie als der eine Vertragspartner heute nach wie vor die Fortgeltung dieses Konkordats beansprucht und daß der Rechtsnachfolger des anderen Vertragspartners, der Alliierte Kontrollrat, sich auch auf den Standpunkt gestellt hat, ohne die juristische Seite der Materie einzudringen, daß er als fortgeltend zu behandeln ist46). Wenn sowohl die Kurie wie der Kontrollrat wie auch die [S. 260] allgemeine Völkerrechtswissenschaft diesen Standpunkt vertreten, ist es nicht gut zu verantworten, daß wir das Reichskonkordat von der Fortgeltung ausschließen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie stellen also den Antrag, Ihren Antrag nicht an den Ausschuß für Grundsatzfragen zurückzuverweisen, sondern jetzt schon über ihn abzustimmen. Frau Wessel (Z): Ich möchte den Vorschlag des Herrn Süsterhenn unterstützen. Es hat wenig Zweck, den Antrag an den Ausschuß für Grundsatzfragen zurückzuverweisen. In der Sache selber möchte ich folgendes zu bedenken geben. Wenn wir jetzt das Reichskonkordat nicht in die fortgeltenden Verträge einbeziehen, so würde eine Reihe von Ländern keine kirchenrechtliche Regelung mehr haben. Die Länderkonkordate sind nur für Preußen, Bayern und, soviel ich weiß, für Baden abgeschlossen. Die übrigen Länder fallen zum Teil unter die Regelung des Reichskonkordats. Wenn Sie jetzt das Reichskonkordat aus den bestehenden Verpflichtungen herauslösen, dann tun Sie einen Schritt, den Sie auch in politischer Beziehung erwägen müssen. Ich möchte dazu nicht weiter Stellung nehmen, sondern nur herausstellen, daß wir sehr sorgfältig darauf achten müssen, ob wir in einem solchen Augenblick, nachdem sowohl der Kontrollrat wie auch die Kurie festgestellt haben, daß das Reichskonkordat rechtlich noch besteht, das Reichskonkordat nicht in diese Bestimmung hineinnehmen sollten. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich möchte mich auf eine juristische Erörterung der Frage, ob das Reichskonkordat noch gültig ist oder nicht, nicht einlassen, sondern nur eines sagen. Wir haben bei unseren Verhandlungen über den Abschluß des preußischen Konkordats und der preußischen Kirchenverträge mit der Kurie und den evangelischen Kirchen um einzelne Bestimmungen der Verträge hart gerungen, auch in den persönlichen Auseinandersetzungen, die zwischen mir und dem damaligen Nuntius Pacelli stattgefunden haben. Wir haben nachgegeben, und die Kurie hat nachgegeben. Als der Vertrag geschlossen war, bestand auf beiden Seiten der ernste Wille, ihn auch einzuhalten. Das sogenannte Reichskonkordat von 193547) aber ist von einer Verbrecherbande abgeschlossen worden, in der vorherigen Absicht, es nicht einzuhalten. Man kann uns nicht zumuten, dieses Reichskonkordat hier im Grundgesetz ausdrücklich anzuerkennen. Das werden wir nie und nimmermehr tun. 46)

Vgl. dazu: Clemens Vollnhals: Das Reichskonkordat als Konfliktfall im Alliierten Kontrollrat, in: VfZG 35 (1987), S. 677–706. 47) Statt „1935“ im stenograph. Wortprot., S. 30, richtig: „1933“.

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Renner (KPD): Also erhebt sich doch vor allem nach den Äußerungen meines sehr geschätzten Vorredners Dr. Höpker Aschoff die Frage: Wer hat damals 1933 wen betrogen? Wenn das eine Verbrecherbande war, so kann damit nur Hitler und seine Bande gemeint sein. Ich kann nicht unterstellen, daß die Gegenseite auch zu Verbrechern gehört48). Aber ich unterstelle einmal, daß der zwischen Hitler und der Kurie abgeschlossene Vertrag in der dolosen Absicht geschlossen wurde, ihn niemals einzuhalten. Wir haben hier die Tatsache, daß ein Teil dieses Hauses das Reichskonkordat als einen Vertrag bezeichnet, der auf der einen Seite von Verbrechern abgeschlossen worden ist49). Nun hören wir zu unserem maßlosen Erstaunen, daß die Kurie an der Aufrechterhaltung dieses Reichskonkordats ein Interesse hat, daß sie dieses Reichskonkordat auch heute noch sanktioniert. Dr. Süsterhenn (CDU): Der Alliierte Kontrollrat hat sich einschließlich der Sowjetunion auf den Standpunkt gestellt, daß das Reichkonkordat in Geltung ist. Renner (KPD): Das interessiert im Augenblick nicht. Die Besatzungsmächte anerkennen auch das Bestehen anderer Hitler-Gesetze. Hier interessiert die Haltung der Kurie. Wenn Sie die Haltung der Kurie hier richtig dargestellt haben, dann gibt es nur den Schluß, daß die Kurie mit dem Vertrag, den sie seinerzeit mit den Naziverbrechern abgeschlossen hat, einverstanden ist50). Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, diese Ausführungen gehören wirklich nicht zur Sache. (Renner [KPD]: Doch!) – Nein, sie gehören nicht zur Sache. Renner (KPD): Hier wird von uns verlangt, daß wir unbesehen ein Reichskonkordat in der neuen Verfassung anerkennen, das auf der einen Seite von einer Verbrecherbande abgeschlossen worden ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Mit diesen Verbrechern und Banditen haben auch andere Verträge abgeschlossen, die sehr viel weiter gingen als dieses Konkordat. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich verzichte darauf, auf die beleidigenden Ausführungen des Kollegen Renner einzugehen, der hier eine Interessengemeinschaft zwischen einer Verbrecherbande und der Kurie zu konstruieren versucht. Derartige Ausführungen richten sich selbst. Gewiß, wir wollen hier nicht das Hitlerregime glorifizieren. Das war eine Verbrecherbande; ich bin mit dieser Kennzeichnung absolut einverstanden. Aber, meine Herren, seien wir doch so objektiv und verkennen wir doch nicht die Tatsache, daß wir in der allgemeinen Staatspraxis auch sonst die von dieser Verbrecherbande erlassenen Gesetz als fortgeltend anerkannt haben und täglich anerkennen, sie auch auf dem Gebiet des Steuerrechts und der sonstigen 48)

„Ich kann nicht unterstellen, daß die Gegenseite auch zu Verbrechern gehört.“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 31. 49) „Wir haben hier die Tatsache, daß ein Teil dieses Hauses das Reichskonkordat als einen Vertrag bezeichnet, der auf der einen Seite von Verbrechern abgeschlossen worden ist.“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 31. 50) Im stenograph. Wortprot., S. 31, folgt danach: „Heute behauptet niemand mehr, der Vertrag sei von den Nazibanditen nicht eingehalten worden. Das ist etwas ganz Neues. Ich kann aus dieser Darstellung nur die Schlußfolgerung ziehen, daß die Kurie an der Fortgeltung eines Vertrags Interesse hat, den sie mit Adolf Hitler und den nationalsozialistischen Verbrechern geschlossen hat.“

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Gesetzgebung weitestgehend anwenden, soweit solche Gesetze nicht typisch nationalsozialistischen Charakter tragen, soweit sie nicht Ausdruck nationalsozialistischen Geistes sind. Wir wollen nichts anderes tun, als diese allgemeine Staatspraxis, die von sämtlichen Regierungen in Deutschland ohne Rücksicht auf ihre parteipolitische Einstellung, auch von der Regierung, an der die Partei des Herrn Renner beteiligt gewesen ist, praktiziert wird, auch in diesem Fall anwenden und auf den einzelnen Rechtskomplex des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche übernehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir kommen zur Abstimmung. Es liegen zwei Anträge vor. Der erste geht dahin, den Antrag Dr. Süsterhenn an den Ausschuß für Grundsatzfragen zurückzuverweisen. Der andere Antrag wünscht sofortige Abstimmung51). Am weitesten geht der Antrag auf Zurückweisung. Ich lasse über ihn abstimmen. – Der Antrag ist mit allen gegen 8 Stimmen abgelehnt. Nun ist ein Abänderungsantrag zu dem Antrag Dr. Süsterhenn gestellt, und zwar zu Abs. 2. Er lautet: Die am 8. Mai 1945 bestehenden Verträge zwischen den Ländern und den Kirchen bleiben in Kraft. Dr. Süsterhenn (CDU): Dieser Antrag Dr. Heuss bleibt weit hinter dem Antrag zurück, den ich gestellt habe. Ich habe beantragt, daß die gesamten Verträge mit den Kirchen aufrechterhalten werden sollen, die bis zum 8. Mai 1945 in Geltung waren. Kollege Dr. Heuss dagegen macht die Einschränkung, daß nur die zwischen den Ländern und den Kirchen abgeschlossenen Verträge aufrechterhalten werden sollen. Er bleibt in der Reichweite hinter meinem Antrag zurück. Ich beantrage daher, daß zunächst über meinen Antrag abgestimmt wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Einverstanden. Wir stimmen daher zunächst über Abs. 1 des von Herrn Dr. Süsterhenn gestellten Antrags ab, wonach die Bestimmungen der Art. 137, 138 Abs. 2, 139, 141 der Deutschen Verfassung vom 11. August 1919 aufrechterhalten werden. Diese Bestimmung wäre hinter unserem Art. 139c einzufügen. – Abs. 1 des Antrags Dr. Süsterhenn ist mit 12 gegen 9 Stimmen angenommen52). Ich lasse über Abs. 2 abstimmen, wonach die bis zum 8. Mai 1945 bestehenden Verträge zwischen dem [S. 261] Staat und den Kirchen in Kraft bleiben sollen – Abs. 2 ist mit 11 gegen 10 Stimmen abgelehnt. Wir kommen nun zum Antrag Dr. Heuss: Die am 8. Mai 1945 bestehenden Verträge zwischen den Ländern und den Kirchen bleiben in Kraft. Wer ist für diesen Antrag? – Der Antrag Dr. Heuss ist mit 11 gegen 8 Stimmen angenommen53). Damit ist diese Materie erledigt.

51)

Im stenograph. Wortprot., S. 33, folgt danach: „Dr. Katz (SPD): Ich möchte diesen letzteren Antrag ausdrücklich stellen.“ 52) Statt „Abs. 1 des Antrags Dr. Süsterhenn ist mit 12 gegen 9 Stimmen angenommen.“ im stenograph. Wortprot., S. 34: „Der Abs. ist angenommen.“ 53) Statt „Der Antrag Dr. Heuss ist mit 11 gegen 8 Stimmen angenommen.“ im stenograph. Wortprot., S. 35: „Angenommen.“

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[2. ERSTE LESUNG – ART. 27a: BERUFSBEAMTENTUM]

Dr. Seebohm (DP): Wir haben unter dem 23. 11. 1948 auf Drucksache PR. 11.48 – 31354) einen Antrag gestellt. Ich habe dazu gestern55) erklärt, daß er wohl zu Art. 143d gehören dürfte. Da der Herr Vorsitzende aber gestern sagte, der Antrag passe dort nicht hin, möchte ich jetzt die Frage stellen, ob er dann nicht systematisch hierher gehört. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben es jetzt mit der Vorlage des Ausschusses für Grundsatzfragen (PR. 12.48 – 344)56) zu Art. 27a zu tun, die folgenden Wortlaut hat: Art. 27a (1) Die dauernde Ausübung hoheitlicher Aufgaben ist, sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind, in der Regel Berufsbeamten zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis stehen. (2) Den hergebrachten Grundsätzen über die Rechtsstellung der Berufsbeamten ist Rechnung zu tragen. Dr. Seebohm (DP): Vielleicht kann unser Antrag zusammen mit diesem Vorschlag des Grundsatzausschusses behandelt werden. Dr. Laforet (CSU): Wäre es nicht zweckmäßig, den zuständigen Ausschuß mit dem Auftrag zu betrauen, zu prüfen, wohin dieser Antrag gehört? Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wird sehr schwierig sein, den richtigen Platz zu finden. An sich wäre es Sache des Redaktionsausschusses, uns hierzu einen Vorschlag zu machen. Dr. Hoch (SPD): Ich schließe mich dem Vorschlag des Herrn Vorsitzenden an. Die Frage, an welcher Stelle die Garantie des Berufsbeamtentums aufgenommen werden soll, mag später entschieden werden. Hier dreht es sich zunächst um die Frage: Was soll aufgenommen werden? Dieser Artikel wurde zuerst im Zuständigkeitsausschuß eingehend erörtert. Der Ausschuß hatte eine andere Fassung beschlossen. Zunächst hat er nicht zwei Absätze vorgesehen. Außerdem hat er den Zwischensatz im ersten Absatz: „. . . sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind“ gestrichen. Wir haben uns eingehend darüber unterhalten, ob man eine solche Einschränkung aufnehmen soll oder nicht. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, man sollte das nicht tun. Alle Beteiligten waren sich darüber klar, daß man das Institutionelle in dem Grundgesetz festlegen soll, aber selbstverständlich die Möglichkeit offenlassen muß, auch Ausnahmen zuzulassen. Solche Ausnahmen betreffen aber nicht nur die Fälle, in denen das Gesetz Ehrenbeamte vorsieht, sondern es wird ganze Gruppen von Tätigkeiten im öffentlichen Dienst geben, in denen man die Dienstkräfte nicht zu Beamten machen wird, so zum Beispiel im Fürsorgewesen. Niemand wird wohl auf die Idee kommen, alle im Fürsorgewesen Tätigen als Beamte einzustellen, außer vielleicht die leitenden Personen. Deshalb hatten wir vorgesehen, daß nicht nur bei den Ehrenbeamten eine Ausnahme mög54)

Für den Wortlaut des Antrags von Seebohm auf Drucks. Nr. 313 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 37, S. 950. 55) Vgl. dazu die 20. Sitzung des HptA am 7. Dez. 1948, oben Dok. Nr. 20, S. 573 f. 56) Für den Wortlaut der Drucks. Nr. 344, die die Beschlüsse der 30. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 6. Dez. 1948 zusammenfaßte vgl. Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 39, S. 852, Anm. 852.

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lich ist, sondern auch für ganze Gruppen von Tätigkeiten, in denen man keine Beamten anstellt. Ich beantrage daher, den zweiten Absatz und im ersten Absatz den Zwischensatz zu streichen. Dr. Seebohm (DP): Unser Antrag liegt vor. Zur Begründung ist nichts Neues zu sagen. Es geht darum, die Rechte der Berufsbeamten aufrechtzuerhalten und dazu eine gesetzliche Bestimmung vorzusehen, in der die Gleichstellung auch der Flüchtlinge und Vertriebenen unter diesen Berechtigten gewährleistet wird. Es handelt sich weiter um die Rechte der ehemaligen Berufssoldaten im Rahmen des Art. 129 der Weimarer Verfassung57). Dr. Laforet (CSU): Es sind im Grundsatzausschuß neue Erwägungen hereingebracht worden, und es wurde insbesondere ein Abs. 2 hier eingefügt. Ich würde es doch für gut halten, wenn dem Zuständigkeitsausschuß diese neuen Erwägungen noch einmal zur Beurteilung vorgelegt werden und wir von uns aus nach Überprüfung der neuen Gesichtspunkte einen Antrag hierher stellen, so daß wir heute darüber nicht abstimmen, sondern erst abstimmen, wenn gleichzeitig unser Vorschlag hierüber vorliegt. Dr. Seebohm (DP): Ich habe an sich keine Bedenken, die Abstimmung auszusetzen und den Zuständigkeitsausschuß noch einmal damit zu befassen. Ich möchte dann aber bitten, daß unser Antrag dem Zuständigkeitsausschuß gleichzeitig ausdrücklich überwiesen wird. Schönfelder (SPD): Ich möchte dringend bitten, die Sache zu verabschieden. Ich glaube, man kann der Auffassung von Herrn Dr. Hoch Rechnung tragen. Das liegt im Sinne der Erwägungen, die der Zuständigkeitsausschuß angestellt hat. Ich glaube, wir treffen damit alles und hemmen nicht andere Dinge. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über die Verfahrensfrage abstimmen. – Die Zurückverweisung an den Zuständigkeitsausschuß ist mit überwiegender Mehrheit abgelehnt. Zur Beratung stehen nunmehr die Fassung des Grundsatzausschusses und der Abänderungsantrag Dr. Hoch. Würden Sie Ihren Antrag noch einmal formulieren?

57)

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Art. 129 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Die Anstellung der Beamten erfolgt auf Lebenszeit, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung werden gesetzlich geregelt. Die wohlerworbenen Rechte der Beamten sind unverletzlich. Für die vermögensrechtlichen Ansprüche der Beamten steht der Rechtsweg offen. Die Beamten können nur unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen und Formen vorläufig ihres Amtes enthoben, einstweilen oder endgültig in den Ruhestand oder in ein anderes Amt mit geringerem Gehalt versetzt werden. Gegen jede dienstliche Straferkenntnis muß ein Beschwerdeweg und die Möglichkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens eröffnet sein. In die Nachweise über die Person des Beamten sind Eintragungen von ihm ungünstigen Tatsachen erst vorzunehmen, wenn dem Beamten Gelegenheit gegeben war, sich über sie zu äußern. Dem Beamten ist Einsicht in seine Personalnachweise zu gewähren. Die Unverletzlichkeit der wohlerworbenen Rechte und die Offenhaltung des Rechtswegs für die vermögensrechtlichen Ansprüche werden besonders auch den Berufssoldaten gewährleistet. Im übrigen wird ihre Stellung durch Reichsgesetz geregelt.“ RGBl. S. 1407.

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Dr. Hoch (SPD): Ich habe beantragt, erstens den Abs. 2 zu streichen, zweitens in Abs. 1 den Zwischensatz: „sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind“ zu streichen, so daß Art. 27a lauten würde: Die dauernde Ausübung hoheitlicher Aufgaben ist in der Regel Berufsbeamten zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis stehen. Wir hatten noch gesagt: „Dienst- und Treueverhältnis.“ Das kann aber wegbleiben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann wäre die weitere Fassung die vom Grundsatzausschuß vorgeschlagene. (Widerspruch.) Wir haben in der Frage der Vorrangstellung verschiedener Anträge sehr verschiedene Methoden gehandhabt. Ich glaube, es liegen hier zwei Anträge vor und nicht ein Abänderungsantrag. Dr. Hoch (SPD): Ich habe sachlich nicht noch einmal zu Abs. 2 Stellung genommen. Wenn das erforderlich ist, bin ich dazu bereit. Im Zuständigkeitsausschuß wurde die ganze Frage eingehend erörtert, und wir haben uns restlos geeinigt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Meine Einwendungen gehen nicht gegen den Inhalt des Antrags, sondern ich sprach darüber, welcher Antrag weiter geht. Meines Erachtens geht der Antrag weiter, in dem ein Abs. 2 vorgesehen ist, worin bestimmte Grundsätze für die Regelung des Beamtenverhältnisses aufgestellt werden. Ebenso ist es mit der Einschränkung: „sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind.“ Schönfelder (SPD): Wir werden absatzweise abstimmen. Dann würde bei Abs. 1 eine Änderung beantragt werden in dem Antrag, den Dr. Hoch gestellt hat. Dann wäre abzustimmen über den Rest. Dr. Laforet (CSU): Es kann jemand, der dem Art. 27a in der Fassung des Grundsatzausschusses [S. 262] zustimmt, im Falle der Ablehnung dieses Artikels für die Fassung stimmen, wie sie der Zuständigkeitsausschuß vorschlägt. Dr. Hoch (SPD): Ich wäre Herrn Dr. Laforet dankbar, wenn er sagen würde, ob das, was in Abs. 2 steht, ein Plus gegenüber dem vorliegenden Antrag wäre. Dr. Laforet (CSU): Meines Erachtens gar nicht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, es ist ein Plus; denn hier wird der Gesetzgeber gebunden und muß die hergebrachten Grundsätze prüfen. Dr. Hoch (SPD): Dann müssen wir darüber sprechen. Die Rechtsprechung wird sehr ernste Folgen an diesen Satz knüpfen. Wer die Rechtsprechung in Fragen des Beamtenrechts vor 1933 kennt, weiß, daß, wenn man in diesen Dingen nicht ganz klar formuliert, wir eine Rechtsprechung bekommen würden, über die wir uns eines Tages wundern werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen über Abs. 1 zuerst in der Fassung des Ausschusses für Grundsatzfragen und, falls er nicht angenommen werden sollte, über Abs. 1 in der Fassung des Zuständigkeitsausschusses, so wie Herr Dr. Hoch ihn vorgetragen hat. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Die Abstimmung ist unmöglich. Wir müssen meiner Meinung nach zunächst über den Abänderungsantrag zu Abs. 1 abstimmen. Dr. Hoch (SPD): Das habe ich gesagt. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Haben wir die paar Worte gestrichen, dann könnten wir

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immer noch den Abs. 2 annehmen. Sonst stellen Sie uns vor eine völlig unübersehbare Entscheidung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann sind wir bei der Abstimmung über die zwei Anträge zu den Kirchenfragen falsch verfahren. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Nach meiner Meinung ja. Vors. Dr. Schmid (SPD): Vielleicht gibt es keine andere Möglichkeit, als eine Einigung des Ausschusses darüber herbeizuführen, ob so verfahren werden muß, wie ich vorgeschlagen habe, oder nicht. Es ist schade, daß wir gezwungen sind, solche Beschlüsse zu fassen. Es liegt das vielleicht an meinem Unvermögen, die Sitzungen richtig zu führen. Wer ist dafür, daß zuerst über die Streichung des Zwischensatzes: „sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind“ abgestimmt wird? – Es ist so beschlossen. Wer ist für die Streichung des Zwischensatzes: „sofern nicht in den Gesetzen Ehrenbeamte vorgesehen sind“? – Die Streichung des Zwischensatzes ist mit 14 gegen 2 Stimmen beschlossen. Dann lasse ich abstimmen über Abs. 1 in der jetzigen Form: Die dauernde Ausübung hoheitlicher Aufgaben ist in der Regel Berufsbeamten zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis stehen. – Abs. 1 ist in der verlesenen Fassung gegen 1 Stimme angenommen. Ich lasse abstimmen über Abs. 2: Den hergebrachten Grundsätzen über die Rechtsstellung der Berufsbeamten ist Rechnung zu tragen. – Abs. 2 ist mit 12 gegen 9 Stimmen angenommen. Dr. Hoch (SPD): Ich möchte zum Ausdruck bringen, daß ich nicht etwa gegen die Festlegung der althergebrachten Beamtengrundsätze bin, sondern mich nur dagegen wende, daß in dieser nach meiner Ansicht völlig vagen, unklaren Formulierung etwas in ein Grundgesetz hineinkommt, was nachher bei der Auslegung durch die Rechtsprechung die größten Schwierigkeiten ergeben würde. Dr. Seebohm (DP): Ich darf auf meinen Antrag zu Art. 143 d (PR. 11.48 – 313)58) hinweisen: Die Rechte der Berufsbeamten, die vor dem 8. Mai 1945 in ein Beamtenverhältnis nach dem deutschen Beamtengesetz vom 26. Januar 1937 (RGBl. I S. 39) berufen worden sind und dann wider ihren Willen ausscheiden mußten oder keine Verwendung mehr gefunden haben, unter Einschluß der Wehrmachtbeamten, sowie die Rechte der ehemaligen Berufssoldaten und der Hinterbliebenen dieser Personengruppen bleiben im Rahmen des Art. 129 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 (RGBl. . . .59)) geschützt. Das Nähere bestimmt ein Gesetz, in dem die Gleichstellung auch der Flüchtlinge und Vertriebenen unter diesen Berechtigten gewährleistet sein muß. Die Rechtsfolgen des Art. 146 bleiben hiervon unberührt. 58)

Zum Antrag der DP vom 23. Nov. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 37, S. 37 mit Anm. 32 und S. 950 mit Anm. 130. 59) Ergänze sinngemäß: „RGBl. S. 1407“. Vgl. oben S. 660, Anm. 57.

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Damit ist ausdrücklich gesagt, daß die Folgen der Entnazifizierung selbstverständlich durch diese Bestimmung nicht betroffen werden, sondern ihr vorgehen, daß aber den anderen Beamten ihre Rechte erhalten bleiben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe Bedenken, einen Artikel dieser Art in das Grundgesetz aufzunehmen. Diese Regelung ist so spezieller Natur, daß sie in einem Grundgesetz eigentlich nicht ihren Platz hat. Das ist Sache eines Beamtengesetzes oder eines Spezialgesetzes zur Regelung der Rechtsstellung der Beamten. Ich lasse über den Antrag Dr. Seebohm abstimmen. – Der Antrag ist mit 10 gegen 3 Stimmen bei einer Reihe von Stimmenthaltungen abgelehnt.

[3. ANTRAG SEEBOHM BETREFFEND PRIVATSCHULEN]

Dann kommen wir zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Seebohm über die Privatschulen (PR. 11.48 – 29860)). Dr. Seebohm (DP): Der Antrag, der gedruckt vorliegt, lautet: (1) Privatschulen einschließlich privater Hoch- und Fachschulen sind zuzulassen. Ihre Zulassung darf nicht aus religiösen, weltanschaulichen oder politischen Gründen versagt werden. (2) Die den öffentlichen Erziehungsanstalten durch die Tätigkeit der Privatschulen ersparten Kosten sind diesen zu erstatten. Dr. Bergsträsser (SPD): Damit würden die Privatschulen jeder Art vollkommen frei organisiert werden können und sie hätten damit noch den Anspruch auf eine staatliche Unterstützung nach Maßgabe ihrer Schülerzahl. Gegen einen derartigen Antrag sind wir selbstverständlich. Ich habe schon in der Diskussion gestern oder im Grundsatzausschuß davon gesprochen, daß wir grundsätzlich dagegen sind, daß in der sogenannten Grundschule irgendeine Trennung der Kinder stattfindet61). Wir wollen aus staatsbürgerlichen Gründen, daß alle Kinder in dieselbe Grundschule hineingehen. Es ist natürlich möglich, daß man Privatschulen genehmigt unter besonderen Gesichtspunkten, nämlich wenn sie sich bestimmte pädagogische Aufgaben gestellt haben. Aber private Hochschulen zuzulassen, dafür sind wir nicht. Ich möchte den Artikel verlesen, den die hessische Verfassung hierüber enthält62). Private mittlere, höhere und Hochschulen und Schulen besonderer pädagogischer Prägung bedürfen der Genehmigung des Staates. Die Genehmigung ist unzulässig, wenn die Privatschulen in ihren Lehrmitteln und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen, wenn sie eine Sonderstellung nach den Besitzverhältnissen der Eltern fordern oder wenn die wirtschaftliche und recht60)

Zur Drucks. Nr. 298 vgl. oben Dok. Nr. 21, S. 624 mit Anm. 64. Für den Wortlaut der Drucks. vgl. Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 31, S. 635, Anm. 29. 61) Vgl. die Stellungnahme von Bergsträsser in der 21. Sitzung des HptA am 7. Dez. 1948 oben Dok. Nr. 21, TOP 1.3.4, S. 625–629. 62) Vgl. Art. 61 der Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dez. 1946. Wegener: Verfassungen, S. 155.

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liche Stellung der Lehrkräfte [S. 263] nicht genügend gesichert ist. Das Nähere bestimmt das Gesetz. Ich glaube, daß das eine Regelung wäre, die man annehmen könnte. Aber auch in diesem Fall möchte ich doch sagen: die ganze Angelegenheit ist eine Sache der Länder und nicht der Bundesverfassung. Deshalb werden wir gegen diesen Antrag stimmen. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich schlage vor, diesen Antrag an den Grundsatzausschuß zu verweisen, da er uns nicht genügend bekannt ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können die Abstimmung in zweiter Lesung vornehmen. Dr. Heuss (FDP): Ich halte eine solche Bestimmung wie diese, daß den Privatschulen – für die ich grundsätzlich bin – sozusagen ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf eine ihrer Wirkung entsprechende geldliche Unterstützung gegeben werden soll, für eine vollkommene Unmöglichkeit. Es ist selbstverständlich, daß in vielen Fällen Subventionen auch an Privatschulen gegeben werden, wenn es sich zum Beispiel um Privatschulen für bestimmte Volksgruppen usw. handelt, aber ein verfassungsmäßiger Anspruch, wie er hier vorgeschlagen wird, ist geradezu eine Prämie auf die Gründung von Privatschulen solcher Art, die dann den Staat in unabsehbare Verlegenheit bringen. Das sind praktische Dinge, die zwischen einem Kultusministerium und einer Schule nach Maßgabe des betreffenden Falles in verständigem Aushandeln angenommen, zurückgewiesen oder gelöst werden. Es soll aber kein verfassungsrechtlicher Anspruch geschaffen werden. Dr. Seebohm (DP): Ich habe den Antrag in Abs. 1 gestellt, um die Frage der Stellung der Privatschulen und ihrer Sicherung in der Verfassung festzulegen. Der zweite Absatz betrifft die Frage, ob die Tätigkeit der Privatschulen durch eine Zuweisung der vom Staat ersparten Kosten unterstützt werden soll. Ich bitte über beide Abschnitte getrennt abzustimmen, damit nicht die Frage der Privatschulen nur unter dem Gesichtspunkt des zweiten Absatzes gesehen wird. Renner (KPD): Ich lehne den Antrag aus prinzipiellen Gründen ab. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist Verweisung an den Grundsatzausschuß beantragt. Ich lasse darüber abstimmen. – Der Antrag auf Verweisung an den Grundsatzausschuß ist abgelehnt. Es muß daher über den Antrag Dr. Seebohm abgestimmt werden. Ich lasse über Abs. 1 abstimmen: Privatschulen einschließlich privater Hoch- und Fachschulen sind zuzulassen. Ihre Zulassung darf nicht aus religiösen, weltanschaulichen oder politischen Gründen versagt werden. Der Antrag ist mit 11 gegen 2 Stimmen abgelehnt. Abs. 2 lautet: Die den öffentlichen Erziehungsanstalten durch die Tätigkeit der Privatschulen ersparten Kosten sind diesen zu erstatten. Mit 11 gegen 3 Stimmen bei einer Reihe von Stimmenthaltungen abgelehnt.

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[4. ANTRAG DER ZENTRUMSPARTEI BETR. VOLKSENTSCHEID]

Es liegt dann ein Antrag der Zentrumsfraktion betreffend allgemeine Zulassung des Volksentscheids (PR. 12.48 – 349)63) vor. Der Antrag hat folgenden Wortlaut: In das Staatsgrundgesetz ist an geeigneter Stelle folgender Artikel einzufügen: Ein Volksentscheid ist herbeizuführen, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten denselben verlangt. Der Volksentscheid ist für Regierung und Volksvertretung bindend. Frau Wessel (Z): Ich glaube, dieser Antrag bedarf keiner langen Begründung; denn es ist ein demokratisch selbstverständliches Recht, daß man dem Volk den Volksentscheid zubilligen soll. Es ist wohl nur ein Versehen, daß man dieses Recht bisher in den Entwurf unseres Grundgesetzes nicht aufgenommen hat. Lediglich bei verfassungsändernden Gesetzen sieht der Entwurf des Grundgesetzes die Möglichkeit eines Volksentscheids vor und außerdem noch bei der Neugliederung des Bundesgebietes, bei Änderungen des Gebietsbestandes der Länder. Wir sind der Auffassung, daß darüber hinaus dem Volk das Recht gegeben werden muß, in den entscheidenden Fragen durch Volksabstimmung seine Meinung kundzutun. Ich möchte annehmen, daß alle Mitglieder des Hohen Hauses mit mir darüber einig sind. Ich beantrage noch, hinzuzusetzen: Das Weitere regelt ein Gesetz. Dr. Fecht (CDU): Ich möchte beantragen, diesen Antrag dem Organisationsausschuß zu überweisen. Dr. Katz (SPD): Ich möchte zunächst dem Antrag des Herrn Dr. Fecht widersprechen, diese Sache dem Organisationsausschuß zu überweisen. Wir haben uns bereits im Organisationsausschuß über die Frage, inwieweit wir die Initiative durch das Volk und das Referendum einführen wollen, eingehend unterhalten und sind mit überwiegender Mehrheit zu einem ablehnenden Beschluß gekommen. Ich hoffe, Frau Wessel wird uns und der Mehrheit des Ausschusses nicht Volksfeindlichkeit oder Mißtrauen gegen das Volk unterstellen, wenn wir diesen Antrag abgelehnt haben. Der Antrag ist denkbar unklar. Es wird nichts gesagt über eine Initiative durch das Volk, es wird nichts gesagt, über welche Gesetze etwa abgestimmt werden soll. Wir kennen den Volksentscheid als obligatorischen Volksentscheid in den Fällen der Änderung der Ländergrenzen, als fakultativen bei verfassungsändernden Gesetzen. Darüber hinaus ist er nicht vorgesehen. Wir sind der Ansicht gewesen, daß normalerweise die Gesetzgebung im Wege der repräsentativen Demokratie durch die Parlamente durchgeführt wird und daß normalerweise ein Volksentscheid über ein Gesetz nicht herbeigeführt werden sollte. Ein derartiger Volksentscheid ist nach den Erfahrungen der Weimarer Verfassung niemals durchgeführt worden über ein Gesetz, das dem Parlament vorgelegen hat, obgleich die Weimarer Verfassung eine Initiative durch das Volk und einen Volksentscheid gekannt hat. Die Praxis hat bewiesen, daß es doch nicht durchgeführt worden ist. Es ist unpraktisch, in den jetzigen aufgeregten Zeiten derartige Zweifelsfragen zum Gegenstand großer Debatten zu machen. Wir haben eine repräsentative Demokratie, und die Abgeordneten sind dazu gewählt worden, um die Entscheidungen zu 63)

Der Antrag wurde für die Zentrumsfraktion am 6. Dez. 1948 von Wessel gez.; vgl. Drucks. Nr. 349.

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treffen und durchzukämpfen. Wir halten den Antrag nicht nur für unklar und zu wenig präzisiert, sondern auch für unpraktisch. Das ist das Ergebnis der Beratungen im Organisationsausschuß und die Überzeugung der meisten Mitglieder des Ausschusses gewesen. Daher bedarf es meiner Meinung nach einer nochmaligen Zurückverweisung an den Organisationsausschuß nicht mehr. Ich bitte, den Antrag so abzulehnen. Renner (KPD): Die Vertreterin der Partei der Mitte ist durch die Stellungnahme der beiden Fraktionssprecher dahin belehrt worden, daß sie bemerkt haben dürfte, daß es nicht ein Versehen war, wenn man bisher in der Verfassung Abstand genommen hat von der Einführung des Volksbegehrens und des Volksentscheides. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß ich einen dem Sinne nach gleichlautenden Antrag bereits gestellt habe, als wir die Frage des Volksentscheids bei verfassungsändernden Gesetzen besprochen haben. Ich möchte zum Ausdruck bringen, daß ich für den Antrag des Zentrums stimmen werde, und ich möchte mich gegen die Formulierung des Herrn Dr. Katz wenden, der davor warnt, im Hinblick auf die „aufgeregten Zeiten“ einen Volksentscheid zuzulassen. Wenn Sie von repräsentativer Demokratie gesprochen haben, so ist Ihnen da ungewollt ein Witz unterlaufen; denn Sie haben durch die ganze Behandlung der Fragen Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung, Bundesverfassungsgericht bereits den sichtbaren Beweis dafür geliefert, daß Sie kein Vertrauen [S. 264] zum demokratischen Gedanken, zur Kraft der Demokratie und daß Sie ferner eine hysterische Angst haben vor der direkten Form des Eingreifens des Volkes. Deshalb haben Sie auch dem Bundestag diese inferiore Rolle gegenüber dem Bundesrat gegeben und deshalb haben Sie als Rücksicherung auch noch das Bundesverfassungsgericht vorgesehen. Dr. Heuss (FDP): Von einem Versehen des Parlamentarischen Rats, glaube ich, kann wohl nicht die Rede sein. Die gute Frau Wessel hat hier sämtlichen Mitgliedern ein sehr häßliches Zeugnis ausgestellt. Die ganze Frage hat gleich zu Anfang eine Rolle gespielt, ob man den Volksentscheid und die Volksinitiative wieder in die Verfassung aufnehmen soll oder nicht. Ich fand es sehr weise vom Parlamentarischen Rat, daß er das nicht getan hat. Das ist kein Problem der Demokratie, sondern ein Problem der soziologischen Situation, in der ein Volk sich befindet. Wir haben die Initiative und das Referendum in den kleinräumigen Demokratien, wo sie wunderbar funktionieren. Hier aber wären sie nach den Erfahrungen nichts anderes als eine Prämie auf Demagogie, und ich glaube, daß wir diese Prämie auf Demagogie nicht bereits in ein Grundgesetz hineinnehmen sollen, wo wir alle daran interessiert sind, daß die Struktur, wie sie gefunden wurde, eine in sich ruhende Garantie der Stetigkeit in dem kommenden Bundesgefüge sein wird. Es ist ein Glück, daß wir diese Sache draußen lassen, die gar nicht so gemacht werden kann, sondern die einen historischen Untergrund haben muß. Wir haben eine ähnliche Sache bei der Behandlung der Frage des Fürsteneigentums64) gehabt. Es war immer eine blamable Situation, wenn Dinge künstlich ge64)

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Am 20. Juni 1926 gewann beim Volksentscheid der Gesetzentwurf des Volksbegehrens zur Enteignung der Fürsten nicht die verfassungsrechtlich erforderliche absolute Mehrheit der knapp 40 Millionen Wahlberechtigten. Etwa 14,5 Millionen Wähler stimmten

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macht worden sind, denen man von vornherein ansah, daß sie nicht zum Zuge kommen werden, die aber – ich denke an den Young-Plan65) – eine politisch-psychologische Wirkung gehabt haben, die für Deutschland gefährlich wurde, weil eine komplizierte Sache in vereinfachter Darstellung an das Volk herangetragen wurde und die ganze politische Erziehungsarbeit, die in der Demokratie geleistet wurde, überrannt worden ist. Eine Zurückverweisung des Antrags an den Ausschuß wäre ein Armutszeugnis. Darüber hat jeder hier im Saal seine eigene Meinung, ob es sich empfiehlt, diese Sache in die Verfassung hineinzubringen. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf zu dem Antrag bemerken, daß bei einem Volksentscheid nur mit ja oder nein geantwortet wird. Ich kann mich den Ausführungen des Herrn Dr. Katz weitgehend anschließen. Wenn der Antrag überhaupt eine Aussicht auf Annahme haben sollte, dann müßte auch gesagt werden, wer die Vorlagen vorbereitet, über die mit ja oder nein abgestimmt werden soll. Als solche Vorlage käme zum Beispiel ein Gesetz in Frage, das durch die gesetzgebenden Körperschaften angenommen worden ist, oder ein Gesetzentwurf, der in einem vom Volke ausgehenden Initiativ-Verfahren hergestellt wurde. Über alle diese Fragen enthält dieser uns vorgelegte Vorschlag nichts. Es bleibt die Frage offen, ob der Antrag an den Ausschuß verwiesen werden soll. Nachdem bereits eingehende Erörterungen im Ausschuß stattgefunden haben, halte ich es nicht für zweckmäßig, jetzt noch einmal diese Arbeit anlaufen zu lassen. Der Antrag muß in veränderter Form zur zweiten Lesung eingebracht werden. Frau Wessel (Z): Ich bin damit einverstanden, wenn der Antrag an den Ausschuß geht, weil er vielleicht noch nicht im einzelnen so ausgeführt worden ist, wie es notwendig erscheint. Ich habe gedacht, das würde dadurch geregelt werden, daß man festlegt, daß ein besonderes Gesetz hierüber das Nähere bestimmt. Uns kommt es darauf an, überhaupt die Möglichkeit eines Volksentscheids vorzusehen, und ich muß ganz ehrlich sagen, irgendwie habe ich das Gefühl, daß man in einem demit „Ja“, gut 1,1 Millionen mit „Nein“ oder gaben ungültige Stimmzettel ab. Die Gegner des Volksbegehrens – darunter die Bayerische Volkspartei und die beiden Kirchen – riefen dazu auf, der Abstimmung fernzubleiben, was einem „Nein“ entsprach. Vgl. Ulrich Schüren: Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926. Die Vermögensauseinandersetzung mit den depossedierten Landesherren als Problem der deutschen Innenpolitik unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Preußen (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 64). Düsseldorf 1978. Vgl. auch der Parl. Rat, Bd. 13/2, S. 540 mit Anm. 87. 65) Am 16. Sept. 1928 hatten die ehemaligen Hauptkriegsgegner und das Deutsche Reich in Genf wegen des deutschen Drängens auf eine baldige Räumung des besetzen Rheinlandes die Einberufung einer Sachverständigenkonferenz beschlossen, die am 9. Febr. 1929 in Paris unter dem Vorsitz des US-amerikanischen Industriellen Owen D. Young zusammentrat. Der erarbeitete Plan trat nach Ratifikation am 17. Mai 1930 rückwirkend zum 1. Sept. 1929 in Kraft und rief auf Seiten der sog. „nationalen Opposition“ und der KPD heftige Reaktionen aus, die zu einem Volksbegehren führten. Trotz mancher Zugeständnisse überforderte er jedoch die deutsche Wirtschaft. Das Volksbegehren scheiterte in der zweiten Instanz, da nur 13,5% aller Wahlberechtigten zur Wahl gingen. Vgl. Otmar Jung: Direkte Demokratie in der Weimarer Republik. Die Fälle „Aufwertung“, „Fürstenenteignung“, „Panzerkreuzerverbot“ und „Youngplan“. Frankfurt am Main 1989. Vgl. auch der Parl. Rat, Bd. 6, Dok. Nr. 7, S. 182 mit Anm. 40.

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mokratischen Staat einen Volksentscheid vorsehen muß. Ob es sich um eine repräsentative Demokratie handelt, ist nicht entscheidend, es ist vielmehr entscheidend, welchen aktiven Willen man einem Volk zumutet. Es kann durchaus die Möglichkeit bestehen, daß über ein Gesetz politisch und parteipolitisch eine ganz andere Auffassung besteht, als sie im Volk vorhanden ist. Infolgedessen muß man die Möglichkeit schaffen, auch die Meinung des Volkes dazu zum Ausdruck zu bringen. Ich weiß nicht, wer das bestimmen soll, wie Herr Dr. Heuss sagt die soziologische Lage des Volkes festzustellen, und ob dazu immer Parteivertreter und Abgeordnete die richtigen sind. Ich möchte noch einmal zu bedenken geben, ob es nicht in das Grundgesetz einer Demokratie hineingehört, daß der Volksentscheid in irgendeiner Form möglich sein muß und daß man ihn nicht beschränken darf auf verfassungsändernde Gesetze oder auf die Neugliederung des Bundesgebiets. Renner (KPD): Ich verwahre mich gegen die Formulierung, die von der CDU/CSU gekommen ist, daß die Materie an sich unklar sei. Unsere Fraktion hat am 16. November 1948 in einem Schreiben an den Präsidenten des Parlamentarischen Rates genau auseinandergelegt, wie wir uns den Volksentscheid vorstellen und unter welchen Voraussetzungen er unserer Meinung nach durchgeführt werden müßte66). Wenn ich aus diesem Antrag einiges zitieren darf: „wenn mindestens ein Fünftel der stimmenberechtigten Staatsbürger die Auflösung des Bundestags beantragt“, ferner „wenn Bundestag und Bundesrat ein verfassungsänderndes Gesetz beschlossen haben“ usw. Das Volk stimmt nur bejahend und verneinend. Die Materie ist geklärt. Sie war auch in der Weimarer Verfassung geklärt. (Frau Dr. Weber [CDU]: Aber anders als hier.) – Ich weiß, daß es nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes Volksentscheide gegeben hat. Man hat über gewisse Artikel der Verfassung durch Volksentscheid abgestimmt, und man hat die Möglichkeit des Volksentscheids nicht nur bejaht, sondern auch angewendet. Man soll jetzt nicht kommen mit der Formulierung: „Die Materie ist unklar“. Die Materie ist klar. Seien Sie doch ehrlich und sagen Sie, daß Sie die Entscheidung des Volkes in der Form nicht wollen. Das ist das Entscheidende. Dr. Katz (SPD): Ich möchte Frau Wessel entgegnen, daß es sehr wohl funktionierende Demokratien gibt, die einen Volksentscheid nicht kennen, nämlich England und die Vereinigten Staaten. Der Volksentscheid ist nicht ein unentbehrlicher Bestandteil der Demokratie. Der Wähler wählt alle paar Jahre, alle vier Jahre und, wenn vorher eine Auflösung kommt, schon vorher. Wenn wichtige Fragen strittig sein sollten, wird die Auflösung des Bundestags herbeigeführt. Der Wähler gibt sein Mandat an den Abgeordneten, dem er den Sachverstand, die Materie zu beherrschen, zutraut, und damit ist die Herrschaft des Volkes festgelegt. Es herrscht nicht eine volksfremde Gruppe, wie manche Herren das darstellen, sondern es herrschen die Vertreter des Volkes, die im Bundestag sind und dort eine ausschlaggebende Stimme haben; denn der Bundestag ist der Gesetzgeber und nicht der Bundesrat. Wir haben nun einmal in einer modernen Demokratie das Prinzip der repräsentativen Demokratie. Was wir mit dem Funktionieren von Volksbegehren 66)

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Vgl. dazu die 2. Sitzung des HptA am 11. Nov. 1948; oben Dok. Nr. 2, TOP 1, S. 7.

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und Volksentscheid in der Periode zwischen 1919 und 1933 erlebt haben, als das in Geltung war, war nicht sehr erbaulich. Ich denke dabei weniger an die Fürstenabfindung als an das Volksbegehren zum Sturz der preußischen Regierung, wo auch die Extreme so wunderbar sich zusammengefunden haben, an die Dinge, die sich wiederholen könnten und die das System, das wir aufgebaut haben und das seinen Angelpunkt in dem konstruktiven Mißtrauensvotum hat, aus den Angeln heben könnten. Es paßt nicht in das System, das wir jetzt in unseren Organisationsbestimmungen niedergelegt haben. Darum bitte ich Frau Wessel, es nicht als antidemokratische Gesinnung und Haltung aufzufassen, wenn wir den Antrag ablehnen. [S. 265] Dr. Bergsträsser (SPD): In Hessen hat es keine Volksabstimmung gegeben, sondern nur eine Sonderabstimmung über einen Artikel der Verfassung67). Dr. von Mangoldt (CDU): Ich möchte meine Ausführungen nicht mißverstanden wissen, aber der Antrag gibt keine Möglichkeit zur Diskussion. Wenn in dem Antrag genau ausgeführt wäre, in welchen Fällen der Volksentscheid zugelassen sein soll, wäre die Möglichkeit zu einer ausgedehnten Diskussion über diese Frage vorhanden. Die liegt aber zur Zeit nicht vor. Renner (KPD): Um den Abgeordneten zu helfen, schlage ich vor, zurückzugreifen auf unser Schreiben an den Präsidenten des Parlamentarischen Rates vom 16. 11. 1948. Hier ist alles genau formuliert, so daß wir uns mit diesem Antrag nicht noch einmal im Ausschuß zu beschäftigen brauchen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie wollen das zur Abstimmung stellen? Wir haben über zwei Anträge zu entscheiden. Der erste Antrag geht auf Zurückverweisung an den Ausschuß. Dr. Fecht (CDU): Der Antrag wird zurückgezogen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann haben wir abzustimmen über die zwei Fassungen, die uns vorliegen. Am weitesten geht die Fassung der Zentrumsfraktion, weil sie außer der Beschränkung auf ein Zehntel der Stimmberechtigten keine weiteren Beschränkungen enthält. Die Fassung der Zentrumsfraktion ist mit 18 gegen 3 Stimmen abgelehnt. Nun kommt der Antrag Renner. Herr Renner, wollen Sie noch einmal verlesen? Renner (KPD): Es ist ein Schreiben an den Präsidenten des Parlamentarischen Rates vom 16. November 1948. (Zuruf: Wir können doch nicht über einen Brief abstimmen.) – Daß es nur ein „Brief“ ist, liegt an Ihren Verfahrensmethoden in den Ausschüssen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können die Verhandlungen abkürzen, wenn Sie den Antrag verlesen. Renner (KPD): Ich habe ihn verlesen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie werden gebeten, es noch einmal zu tun. 67)

Im Land Hessen wurde am 1. Dez 1946 Landtagswahlen und gleichzeitig eine Volksabstimmung über die Verfassung durchgeführt sowie in besonderer Volksabstimmung über bestimmte Enteignungsgrundsätze des Art. 41 (Verstaatlichung der Großbetriebe) abgestimmt. Bei der Abstimmung über die Verfassung wurden 1 156 710 Ja-, 350 358 Neinund 216 148 ungültige Stimmen abgegeben; Art. 41 erhielt 1081 124 Ja-, 422 159 Neinund 219 971 ungültige Stimmen. Archiv der Gegenwart 1946/47, S. 939.

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Renner (KPD): „Ein Volksentscheid findet statt: a) wenn ein Zehntel der stimmberechtigten Staatsbürger ein Begehren nach Vorlegung eines Gesetzentwurfes stellt. Das dem Volksbegehren zugrundeliegende Gesetz ist von der Bundesregierung nach Darlegung ihres Standpunktes dem Bundesrat und dem Senat zu unterbreiten. Der Volksentscheid unterbleibt, wenn der Bundestag dem begehrten Gesetzentwurf unverzüglich zustimmt; b) wenn mindestens ein Zehntel der stimmberechtigten Staatsbürger die Auflösung des Bundestages beantragt; c) wenn Bundestag und Senat mit Zweidrittelmehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl ein verfassungsänderndes Gesetz beschlossen haben. Die Volksabstimmung kann nur bejahend oder verneinend sein. Es entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Ein durch Volksentscheid angenommenes Gesetz tritt an dem auf die Abstimmung folgenden Tag in Kraft.“ Ich beantrage nur die Verweisung dieses Antrags in den Ausschuß. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist beantragt, diesen Antrag dem Ausschuß zu überweisen. – Die Verweisung ist mit 11 gegen 7 Stimmen abgelehnt. Damit ist auch diese Materie erledigt. Renner (KPD): Damit hat auch dieser unser Antrag dasselbe Schicksal erlebt wie ein anderer Antrag vor einigen Tagen, der auch in keinem Ausschuß vorgelegt wurde68). Dr. Katz (SPD): Der Antrag hätte dieses Schicksal nicht erleiden können, wenn Sie sich die Mühe genommen hätten, den Ausschuß, dem Sie als Mitglied angehören, auch zu besuchen. Dort hätten Sie Ihren Antrag vorbringen können. Leider hat sich Ihr Besuch auf eine kurze Stipvisite beschränkt. Renner (KPD): An dem Tag hatte ich noch nicht die Ehre, diesem Ausschuß anzugehören, was aus dem Datum ersichtlich ist69). Außerdem bin ich der Ansicht, daß die Fraktionen ein Recht darauf haben, daß der Präsident des Hauses die Anträge an die Kommission weitergibt und daß diese Kommission sich mit dem Antrag zu beschäftigen hat. Dieses Recht müßte man auch der kleinsten Fraktion zubilligen.

[5. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT II: ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN] [5.1. ART. 21 b: BUNDESFLAGGE]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben uns noch mit einer Reihe von Restbestimmungen zu befassen. Zunächst mit Art. 21b über die Gestaltung der Flagge. Der Hauptausschuß hat am 17. November die Entscheidung darüber zurückgestellt70). Es 68)

Für den Antrag der KPD-Fraktion vom 27. Okt. 1948, vervielfält. als Drucks. Nr. 235 und am 3. Nov. 1948 in der 19. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes behandelt vgl. die 11. Sitzung des HptA vom 30. Nov. 1948; oben Dok. Nr. 11, S. 335 Anm. 33. 69) Renner nahm an der besagten Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 3. Nov. 1948 nicht teil. Renner rückte am 7. Oktober 1948 für den ausgeschiedenen Abg. Paul nach als Mitglied des Parl. Rates nach. 70) Vgl. die 4. Sitzung des HptA am 17. Nov. 1948 oben Dok. Nr. 4, TOP 4.3, S. 121–131.

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wurde ein Unterausschuß des Hauptausschusses eingesetzt, der die eingereichten Entwürfe sichten und an den Hauptausschuß berichten sollte71). Ich schlage vor, daß wir den Bericht entgegennehmen. Dr. Bergsträsser (SPD): Die Zahl der Eingaben zur Fahnenfrage ist verhältnismäßig groß. Trotzdem ist sich der Unterausschuß darüber einig, daß sie exakte Rückschlüsse auf die Einstellung der Bevölkerung nicht erlaubt. Das zeigt sich schon darin, daß eine beträchtliche Anzahl der Einsendungen Vorschläge macht, die ihrer Art nach nur aus dem Hirn des betreffenden Verfassers entsprungen sein können. So kommen alle möglichen Farbenkombinationen vor, auch fehlt es nicht an Vorschlägen, wie in der amerikanischen Fahne die Zahl der Länder durch Sterne zu bezeichnen; auch hat ein Einsender das Modell einer Fahne geschickt, wo auf weißem Grund schwarz-rot-goldene Kreise oder zur Auswahl auch schwarz-weißrote Kreise angebracht werden. Der Ausschuß hat all diese Sonderbarkeiten beiseite gelegt. Wenn man den Rest einteilt, so findet sich neben einer Befürwortung der Hakenkreuzfahne, die vereinzelt ist, eine Reihe von Vorschlägen mit SchwarzWeiß-Rot und eine ganze Anzahl von Vorschlägen, die Schwarz-Weiß-Rot und Schwarz-Rot-Gold zu einer neuen Einheit zu kombinieren versuchen. Auch diese sind nicht mehr zu berücksichtigen, nachdem der Hauptausschuß beschlossen hat, daß eine Kombination aus den Farben Schwarz, Rot und Gold genommen werden soll. Die Einsender, die sich mit diesen Fahnenelementen beschäftigen, sprechen sich teils für Beibehaltung der alten Fahne, teils für eine Verbindung mit dem Kreuz aus, wobei mehrfach Einsender darauf hinweisen, daß die Kreuzfahne die Fahne der Männer des 20. Juli gewesen sei. Zu erwähnen wäre vielleicht noch, daß eine Einsendung von Anhängern der Weimarer Fahne den Kompromißvorschlag macht, statt eines liegenden Kreuzes das sogenannte Andreas-Kreuz zu nehmen, das heißt ein Kreuz, das die gesamte Fläche von rechts oben nach links unten und von links oben nach rechts unten teilt. Die Mehrheit des Ausschusses ist sich darüber einig, daß damit zwar ein Kreuz, aber nicht ein christliches Symbol in die Fahne kommen würde. Der Unterausschuß hat die in Betracht kommenden Vorschläge auf einer Wandtafel im Raum 81 ausgestellt. Im Ausschuß wurde noch zur Sprache gebracht, daß bei einigen Entwürfen die Farbelemente in der Reihenfolge Schwarz-Gelb-Rot angeordnet sind und damit zu Verwechslungen mit der belgischen Fahne Anlaß geben könnten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es erhebt sich die Frage, wie in dieser Angelegenheit weiter verfahren werden soll. Ich möchte mir die Anregung erlauben, daß man [S. 266] die Abstimmung über die Gestaltung der Flagge nicht in verschiedenen Lesungen durchführt, sondern daß man darüber eine einzige Abstimmung vornimmt, etwa vor der Schlußabstimmung, so wie man ein Siegel unter ein fertiges Dokument setzt. Ich glaube nicht, daß es viel Sinn hat, in erster Lesung eine Abstimmung vorzunehmen, in zweiter Lesung eine Variante vorzuschlagen und im Plenum wieder eine andere Variante zu bringen, um schließlich ein Modell zu bekommen. Ich glaube, daß die Entscheidung über diese Frage ein elementarer Akt ist. Darum sollte man sich auf eine Abstimmung beschränken. Es ist das nur eine Anregung, 71)

Vgl. die 14. Sitzung des HptA am 2. Dez. 1948 oben Dok. Nr. 14, TOP 1, S. 408.

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und ich möchte bitten, sie zu diskutieren, falls sie der Diskussion für wert gehalten werden sollte. Dr. Fecht (CDU): Der Vorschlag des Herrn Vorsitzenden ist nach meiner Auffassung richtig. Es geht nicht an, daß man über die Flagge wiederholt abstimmt mit verschiedenem Ergebnis. Das würde die Flagge in Mißkredit bringen. Ich möchte bitten, so zu verfahren, daß wir nach Fertigstellung des Grundgesetzes in der Schlußabstimmung die Flagge endgültig bestimmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann kann ich annehmen, daß der Hauptausschuß damit einverstanden ist. Das würde bedeuten, daß die Abstimmung über die Flagge ins Plenum verlegt wird und daß zu einem vom Präsidenten des Parlamentarischen Rates zu bestimmenden Zeitpunkt eine einzige Abstimmung über die Gestaltung der Flagge erfolgt. – Es ist so beschlossen72).

[5.2. ART. 23: BERLINER VERTRETER IN DEN GESETZGEBENDEN GREMIEN]

Dann haben wir am 17. November 1948 noch Art. 23 zurückgestellt73). Es handelt sich bei dieser Bestimmung um die Vertreter Berlins in den gesetzgebenden Körperschaften. Soviel ich sehe, ist von den Vertretern Berlins bisher nur Herr Abgeordneter Reif erschienen. Ich würde vorschlagen, auch diese Frage zurückzustellen, bis mehrere der Berliner Herren sich nach Bonn begeben haben. Auch diese Frage scheint mir elementar zu sein. Es ist nicht notwendig, daß schon in erster Lesung die Abstimmung erfolgt; man kann sie auch in zweiter Lesung vornehmen.

[5.3. ART. 29b: KRIEGSÄCHTUNG]

Wir kommen zu Art. 29b: Kriegsächtung, Verfassungswidrigkeit von Kriegsvorbereitungen und Kriegsdienstverweigerung. Hierzu liegt bisher lediglich eine Vorlage des Redaktionsausschusses (PR. 11.48 – 279)74) vor: (1) Handlungen, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere einen Angriffskrieg vorzubereiten, sind verboten und unter Strafe zu stellen.

72)

N achdem sich erst am 17. Febr. 1949 der Ältestenrat mit der Bundesflagge befaßte und einem interfraktionellen Gremium die Vorbereitung einer Entscheidung überantwortete wurde die Vereinbarung des HptA in der 9. Sitzung des Plenums am 6. Mai 1949 bestätigt. Für den Beschluß des Ältestenrates vgl. Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 25 S. 87 f.; zu den interfraktionellen Beratungen vgl. Der Parl. Rat. Bd. 11, S. XXIX und Register; zu den Plenarverhandlungen vgl. Der Parl. Rat, Bd. 9, Dok. Nr. 9, S. 463. Zur Abstimmung in der 10. Sitzung des Plenums am 8. Mai 1948 vgl. Der Parl. Rat. Bd. 9, Dok. Nr. 10, S. 587–589. 73) Vgl. oben Dok. Nr. 4, TOP 4.5, S. 133. 74) Für den Wortlaut der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses auf Drucks. Nr. 279 vom 16. Nov. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 2, S. 42–51; hier S. 46.

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(2) Kriegsgerät jeder Art darf außer mit Genehmigung der Bundesregierung weder hergestellt noch befördert noch in Verkehr gebracht werden. Das Nähere wird durch Gesetz bestimmt. Dr. von Mangoldt (CDU): Der Grundsatzausschuß hat sich in seiner letzten Sitzung eingehend mit der Frage beschäftigt und hat die Anregungen aufgenommen75), die hier im Hauptausschuß76) gegeben worden sind. Wir haben uns aber nicht entschließen können, den Art. 29b Abs. 1 in der Formulierung des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu übernehmen, sondern sind zurückgekehrt zu seiner ursprünglichen Fassung in Art. 31, damals Art. 20 beziffert (PR. 10.48 – 203)77), nur mit der Änderung, daß gesagt werden soll: „Handlungen, die in der Absicht vorgenommen werden“, statt: „. . . mit der Absicht“. Es ist weiter überlegt worden, ob man nicht entsprechend den Erwägungen, die hier im Hauptausschuß angestellt worden sind, einen Satz aufnehmen sollte des Inhalts: „Der Krieg ist kein Mittel der Politik.“ Wir haben uns aber nicht entschließen können, weil eine solche Formulierung der ganzen Fassung des Artikels, der geltendes Recht sein soll, nicht entsprechen würde, und wir haben gesagt, wenn wir etwas Derartiges aufnehmen wollten, müßten wir auch ungefähr die Fassung nehmen, die im Völkerrecht allgemein üblich ist. Wir müßten von der Kriegsächtung sprechen, von dem im Kellog-Pakt78) verwendeten Begriff Gebrauch machen, aber diese Formulierung würde in die Fassung des Grundgesetzes nicht hineinpassen. Wir haben uns entschlossen vorzuschlagen, zunächst von einem solchen ersten Satz Abstand zu nehmen und diesen Satz, der einen Rechtsgrundsatz für das Verfahren innerhalb des neuen Deutschland bildet, in der Form des Art. 31 aufzunehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Und der betreffende Waffenherstellungsartikel. Dr. von Mangoldt (CDU): Dabei ist an einen neuen Artikel gedacht, wobei an Stelle von „bestimmt“ zu sagen wäre: „geeignet“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Hierüber haben wir Beschluß gefaßt in erster Lesung. Das wäre für die zweite Lesung vorzubehalten. Es bliebe nur übrig der Abs. 1, der nach Ihrer Bezifferung jetzt Art. 31 lautet und nach der Bezifferung des Redaktionsausschusses Art. 29b. Renner (KPD): Hier ist gesagt worden, die Fassung des Hauptausschusses sei strittig. Hat man davon Abstand genommen, den Zusatz, den der Redaktionsausschuß 75)

Vgl. dazu die 30. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 6. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 39, S. 852–854. 76) Vgl. dazu die 6. Sitzung des HptA am 19. Nov. 1948; oben Dok. Nr. 6, TOP 2.2, S. 176–180. 77) Für den Wortlaut der Artikelformulierungen in den Fachausschüssen auf Drucks. Nr. 203 vom 18. Okt. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 1, S. 1–35; hier S. 8. 78) Der Kellogg-Pakt (auch Briand-Kellogg-Pakt) wurde am 27. August 1928 in Paris auf Initiative des US-Außenministers Frank Billings Kellogg unterzeichnetet und trat am 24. Juli 1929 in Kraft. Die zunächst elf, später 62 Unterzeichnerstaaten verurteilten in dem Vertrag den Krieg als Mittel zur Lösung internationaler Streitfälle („renunciation of war as an instrument of national policy“) und erklärten, in Zukunft Streitigkeiten friedlich zu lösen. Reichsaußenminister Gustav Stresemann befürchtete eine Schwächung der deutschen Position und trat erfolgreich für einen Beitritt des Deutschen Reiches zum Kellogg-Pakt beteiligt wurde. Das war eine deutliche diplomatische Schlappe für Frankreich. Vgl. dazu auch Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 15, S. 317, Anm. 14.

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gemacht hat – „Kriegsgerät jeder Art darf außer mit Genehmigung der Bundesregierung weder hergestellt werden usw.“ – aufzunehmen? Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist am 19. November 1948 beschlossen worden79). Die Formulierung heißt: „Zur Kriegsführung bestimmte Waffen dürfen außer mit Genehmigung der Bundesregierung weder hergestellt noch befördert noch in Verkehr gebracht werden. Das Nähere wird durch Gesetz bestimmt.“ Renner (KPD): Die Fassung „außer mit Genehmigung der Bundesregierung“ ist also beibehalten worden. Ich kann nur darauf hinweisen, daß die Herren des Hauses, die dieser Formulierung zustimmen, auch die Existenz und die Existenzberechtigung der Kriegsrüstungsindustrie in Westdeutschland konzedieren. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ihre Feststellung ist logisch nicht ganz zwingend, Herr Renner. Ich lasse nun abstimmen, und zwar über Abs. 1 des Art. 29b in der Fassung des Redaktionsausschusses, an dessen Stelle der Art. 31 in der Fassung des Ausschusses für Grundsatzfragen treten soll, nur mit der Abänderung, daß statt „mit“ gesetzt wird: „in“. Die Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses lautet: Handlungen, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere einen Angriffskrieg vorzubereiten, sind verboten und unter Strafe zu stellen. Die Fassung des Grundsatzausschusses: Handlungen, die in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Die Fassung des Ausschusses für Grundsatzfragen scheint die weitergehende zu sein. Ich lasse daher über sie abstimmen. – Angenommen. Renner (KPD): Ich werde in zweiter Lesung den ursprünglichen Antrag wieder aufnehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Weitere Anträge über generelle Kriegsächtung usw. werden nicht gestellt. Ich stelle das fest. (Renner [KPD]: Doch, in der nächsten Sitzung!) Art. 44 betrifft Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern. Die Beschlußfassung hierüber wurde zurückgestellt. Wir können auch heute nicht darüber beschließen, weil uns dazu noch die Vorlage über den Verfassungsgerichtshof fehlt. Ich hoffe, daß wir sie nachmittags bekommen werden. [S. 267]

[6. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT IV: DER BUNDESTAG, ART. 55 ABS. 2: ZUTRITT VON LÄNDER- UND BUNDESREGIERUNGSVERTRETERN AN SITZUNGEN DES BUNDESTAGES]

Art. 55 Abs. 2 betrifft den Zutritt des Bundesrats und der Bundesregierung zu Sitzungen des Bundestags. Die Behandlung dieses Artikels haben wir am 11. November 1948 bis zur Klärung der Frage Bundesrat oder Senat zurückgestellt. Die Be79)

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Vgl. die 6. Sitzung des HptA oben Dok. Nr. 6, TOP 2.2, S. 180.

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stimmung lautet in der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses (PR. 11.48 – 267): Die Mitglieder des Bundesrats und der Bundesregierung sowie die von ihnen bestellten Beauftragten haben zu allen Sitzungen des Bundestags und seiner Ausschüsse Zutritt. Sie müssen jederzeit gehört werden. Wird hierzu das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Ich lasse über Art. 55 Abs. 2 in der verlesenen Fassung abstimmen. – Angenommen mit 19 Stimmen.

[7. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT VI: DER BUNDESPRÄSIDENT, ART. 77: INKOMPATIBILITÄT]

Art. 77, der die Inkompatibilität des Amtes des Bundespräsidenten mit anderen Ämtern sowie mit Mandaten im Bundestag oder Bundesrat festlegt, hat folgenden Wortlaut: (1) Der Bundespräsident darf weder dem Bundestag noch der Länderkammer angehören. (2) Der Bundespräsident darf kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung noch dem Aufsichtsrat eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören. Die verlesene Fassung ist das Ergebnis der Beratungen des Organisationsausschusses (PR. 11.48 – 303)80). Ich lasse über sie abstimmen mit der Maßgabe, daß es nunmehr in Abs. 1 statt „Länderkammer“ heißen muß: „Bundesrat“. Art. 77 ist in dieser Form mit 20 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung angenommen.

[8. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT VII: DIE BUNDESREGIERUNG] [8.1. ART. 96: LÄNDERVERTRETUNGEN]

Art. 96, der die Vertretungen der Landesregierungen bei der Bundesregierung behandelt, lautet in der Fassung des Organisationsausschusses (PR. 11.48 – 303)81): Die Landesregierungen können bei der Bundesregierung Vertretungen errichten. Wortmeldungen liegen nicht vor. – Ich lasse abstimmen. – Angenommen mit 15 gegen 4 Stimmen bei Stimmenthaltung des Abgeordneten Dr. Katz.

[8.2. ART. 108a ABS. 2: RECHTSVERORDNUNGEN BETREFFEND BAU VON EISENBAHNEN]

Art. 108a – Zustimmung des Bundesrats zu Rechtsverordnungen betreffend Bau von Eisenbahnen – lautet in Abs. 2: 80)

Für den Wortlaut der Beschlüsse des Ausschusses für die Organisation des Bundes vom 10. Nov. 1948 vgl.: Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 29, S. 797–801. 81) Wie Anm. zuvor.

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Der Zustimmung des Bundesrats bedürfen Rechtsverordnungen über den Bau, Betrieb und Verkehr der Eisenbahnen, das Post- und Fernmeldewesen sowie zur Durchführung von Bundesgesetzen im Sinne des Art. 105 und von Bundesgesetzen, die von den Ländern in eigener Verwaltung oder nach Weisung des Bundes ausgeführt werden. Wird hierzu das Wort gewünscht? Dr. Seebohm (DP): Ich habe dazu beantragt, daß die Ausführung von Gesetzen, für die eine bundesunmittelbare Selbstverwaltung besteht, einbezogen werden sollte. Es sollte bei Ausführungsbestimmungen dieser Gesetze auch eine Bundesratszustimmung erforderlich sein82). Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir sollten darüber an sich einen Vorschlag des Zuständigkeitsausschusses bekommen. Dr. Laforet (CSU): Wir warten auf die nächste Sitzung83). Vielleicht stellen wir die Frage noch zurück. Dr. Katz (SPD): Setzen wir die Behandlung des Artikels aus. Vors. Dr. Schmid (SPD): Widerspruch erfolgt nicht; die Behandlung des Art. 108a Abs. 2 wird ausgesetzt.

[8.3. ART. 115: POLIZEILICHE HILFSPFLICHT]

Art. 115: Polizeiliche Hilfspflicht der Länder bei Staatsnotstand des Bundes. Dieser Artikel ist leider in der Zusammenstellung nicht enthalten. Dr. Laforet (CSU): Er ist vom Redaktionsausschuß beantragt in Drucksache PR. 12.48 – 33384). Beraten wurde er, soweit mir bekannt, noch in keinem Ausschuß. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich schlage vor, daß wir die Beratung und Abstimmung über den Artikel zurückstellen, und zwar für die zweite Lesung, damit wir nicht daran hängen bleiben. – Es ist so beschlossen.85) Dr. Seebohm (DP): Soll sich der Ausschuß damit befassen? Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Ausschuß kann sich damit befassen und sollte es auch, und zwar meines Erachtens der Organisationsausschuß. Dr. Katz (SPD): Der Organisationsausschuß hat sich damit noch nicht befaßt. Dr. Laforet (CSU): Herr Dr. Menzel hat den Gegenstand einmal bei uns erörtert86). Aber zu einer eigentlichen Beschlußfassung ist es über diesen Gegenstand noch nicht gekommen. Wir können auch sagen: Da es sich um eine Hilfspflicht der Län82)

Vgl. 12. Sitzung des HptA am 1. Dez. 1948 oben Dok. Nr. 12, TOP 2.5, S. 370–375. Der Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung hat nach dem 7. Dez. 1948 nicht mehr getagt. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 3. 84) Richtig: Drucks. Nr. 332. – Für den Wortlaut der Drucks. vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, S. 71–73; hier bes. Art. 115 a, S. 72. 85) Vgl. dazu die 36. Sitzung des HptA am 12. Jan. 1949; unten Dok. Nr. 36, TOP 1,8, S. 1108–1110. 86) Menzel, der nicht Mitglied des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung war, wurde in der 5. Sitzung des Ausschusses am 29. Sept. 1948 angehört; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 5, bes. S. 208–217 mit Anm. 47a. 83)

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der handelt, kann die Sache im Zuständigkeitsausschuß erörtert werden, der Ihnen dann einen Antrag unterbreitet. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich stelle anheim. Wenn beide Ausschüsse sich darum bemühen wollen, können beide einen Vorschlag machen. Dr. Laforet (CSU): Ich würde empfehlen, die Frage dem Zuständigkeitsausschuß zu überweisen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist so beschlossen. Der Artikel wird erst in zweiter Lesung verabschiedet.

[8.4. ART. 139a: BEAMTENHAFTUNG]

Art. 139a: Beamtenhaftung. Dr. Laforet (CSU): Das kommt in der nächsten Sitzung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich schlage vor, auch das in die zweite Lesung zu geben.

[8.5. ART. 143e: REICHSVERMÖGEN]

Art. 143e: Reichsvermögen. Hier ist die Beschlußfassung ausgesetzt, und der Hauptausschuß hat um Stellungnahme des Fachausschusses gebeten. Das wäre der Finanzausschuß. Er scheint nicht mehr getagt zu haben. Wir wollen auch diese Bestimmung in die zweite Lesung nehmen.

[8.6. ART. 143f: VERMÖGENSAUSEINANDERSETZUNG VON GEBIETSKÖRPERSCHAFTEN]

Art. 143f: Vermögensauseinandersetzung von Gebietskörperschaften. Hier ist ein Vorschlag von Herrn Dr. Dehler gemacht worden. Der Redaktionsausschuß hat es übernommen, diesen Vorschlag zu prüfen. Wir wollen auch diesen Artikel in die zweite Lesung überweisen. Es handelt sich dabei um keine eigentlichen Finanzfragen, sondern um technische Fragen.

[8.7. ART. 148a: ANGLEICHUNG DER LANDESVERFASSUNGEN AN DAS GRUNDGESETZ]

Art. 148a: Angleichung der Landesverfassungen an das Grundgesetz. Wir haben diese Frage am 7. Dezember 1948 an den Organisationsausschuß zurückverwiesen87). Kann der Organisationsausschuß einen Vorschlag machen? – Offenbar nicht88).

87) 88)

Vgl. dazu 20. Sitzung des HptA am 7. Dez. 1948; oben Dok. Nr. 20, TOP 2.19, S. 593. Der Ausschuß für die Organisation des Bundes befaßte sich in seiner 31. Sitzung am 14. Jan. 1949 mit Art. 148 a; Der Parl. Rat. Bd. 13/2, Dok. Nr. 46, S. 1129–1132.

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Zweiundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 8. Dez. 1948 [8.8. AUSSETZUNG VON ART. 148a, b, c UND d FÜR DIE ZWEITE LESUNG]

Dann wollen wir die Art. 148a und ebenso Art. 148b – Änderung von Wahlrechtsbestimmungen in den Länderverfassungen – für die zweite Lesung vorbehalten. Art. 148c: Lücken im Strafrecht. Hier waren wir uns einig, daß diese Frage mit anderen frühestens hier in der zweiten Lesung behandelt werden soll. Es werden vielleicht gewisse Vorbesprechungen notwendig sein. Art. 148d: Stellung der Frau im Zusammenhang mit den Folgen, die sich aus einer Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches ergeben. Auch hier ist die Beschlußfassung ausgesetzt89). (Zuruf: Das hat sich wohl erledigt.) – Nein, das hat sich nicht erledigt. Es wird für die zweite Lesung zurückgestellt. Dann hätten wir noch zu erledigen – und ich würde vorschlagen, es heute nachmittag zu tun –: Gerichtsbarkeit und Rechtspflege. Verfassungsgerichtshof. Wir würden dann auch erledigen können Art. 44, den wir bisher zurückgestellt haben, und die Präambel. Der Hauptausschuß vertagt sich auf 16 Uhr.

89)

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Vgl. dazu die 20. Sitzung des HptA am 7. Dez. 1948; oben Dok. Nr. 20, TOP 2.19, S. 593, Anm. 55.

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Nr. 23 Dreiundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 8. Dezember 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 269–279. PA 2004. Ungez. von Peschel gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 473 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: de Chapeaurouge, Fecht, Kaufmann, Kleindinst, Laforet, von Mangoldt, Strauß, Walter SPD: Greve, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Zimmermann, Zinn FDP: Becker, Dehler DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Wessel Abgeordnete ohne Stimmrecht: Katz (SPD), Selbert (SPD) Stenographischer Dienst: Peschel Dauer: 18.10–20.00 Uhr

[1. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT XII: GERICHTSBARKEIT UND RECHTSPFLEGE] [1.1. ART. 128: EINRICHTUNG VON BUNDESGERICHTEN]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir kommen zu Abschnitt XIII Gerichtsbarkeit und Rechtspflege. Hierzu liegt der Vorschlag des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege auf Drucksache PR. 12.48 – 3533) vor. Ich rufe auf Art. 128 Die rechtsprechende Gewalt wird durch das Oberste Bundesgericht, das Bundesverfassungsgericht, durch die in diesem Grundgesetz vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt. Ich schlage vor, das Bundesverfassungsgericht als erstes Gericht zu nennen; denn mir scheint, daß es die oberste Gerichtsbarkeit in diesem System darstellt. Dr. Strauß (CDU): Wir haben im Ausschuß bewußt das Oberste Bundesgericht an die Spitze gestellt, weil nach unseren Vorstellungen in einer Weise, die erst nach sachlichen Auseinandersetzungen durch einfaches Bundesgesetz geregelt werden kann, das Oberste Bundesgericht als der Repräsentant der gesamten rechtsprechenden Gewalt und der Rechtspflege erscheinen soll, während das Bundesverfassungsgericht, das ihm zweifellos in seiner Bedeutung am nächsten kommt, doch mit einer Reihe ganz spezieller Aufgaben als eine Art Sonderstaatsgericht auftreten wird. Wir haben das Oberste Bundesgericht auch deswegen an die erste Stelle gesetzt, weil im Bundesverfassungsgericht voraussichtlich – was auch der einfache 1)

Protokollführer Strätling. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Für den Wortlaut der Drucks. Nr. 353 vom 7. Dez. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 59, S. 1486–1490. 2)

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Bundesgesetzgeber regeln wird – Mitglieder des Obersten Bundesgerichts vertreten sein werden. Wir wollen hier einen etwas neuen Weg gehen. Wir wollen das Oberste Bundesgericht gegenüber allen anderen Gerichten herausheben. Um dieses mehr optischen Eindrucks willen – wir wollen weniger eine hierarchische Abgrenzung zwischen Oberstem Bundesgericht und Bundesverfassungsgericht schaffen – möchten wir bitten, es bei der bisherigen Reihenfolge zu belassen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Mir scheint dem Bundesverfassungsgericht doch eine höhere Dignität zuzukommen als dem Obersten Bundesgericht. Ein Gericht, dessen Urteile teilweise wenigstens mit Gesetzeskraft versehen sind, steht doch über einem Gericht, das Entscheidungen nur inter pares fällen kann. Dr. Strauß (CDU): Wollen wir es zurückstellen? Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können es zurückstellen. Es ist nur eine Anregung gewesen. Es ist auch gewiß keine Haupt- und Staatsgeschichte, ich hatte hier mehr einen „protokollarischen“ Gesichtspunkt im Auge. Dann lasse ich abstimmen. – Der Art. 128 ist gegen 1 Stimme angenommen.

[1.2. ART. 128a: ZUSTÄNDIGKEIT DES OBERSTEN BUNDESGERICHTS]

Art. 128a Das Oberste Bundesgericht entscheidet auf Antrag des sonst zuständigen Gerichtes an dessen Stelle in Fällen, deren Entscheidung für die Einheit des Bundesrechts von grundsätzlicher Bedeutung ist. Hierzu liegt ein Antrag Dr. Becker, Dr. Dehler (FDP) vor, den Artikel wie folgt zu fassen: Das Oberste Bundesgericht entscheidet auf Antrag des sonst für den Einzelfall zuständigen Gerichtes des letzten Rechtszuges an dessen Stelle in Fällen, deren Entscheidung für die Einheit des Bundesrechts von grundsätzlicher Bedeutung ist. Dr. Strauß (CDU): Ich könnte mich diesem Antrag, den ich bisher nicht kannte, anschließen. Ich möchte nur eine Erweiterung der Fassung vornehmen. Bei der Vorlage dieses Artikels in der Fraktion hat sich herausgestellt, daß dieser Satz in seiner Isolierung nicht leicht verständlich ist. Um ihn klarer zu machen, möchte ich den Antrag stellen, aus dem gegenwärtigen Artikel einen Abs. 2 zu machen mit der Erweiterung des Antrags der FDP – falls meine Fraktion einverstanden ist –, ihm folgenden Abs. 1 voranzustellen: „Es wird ein Oberstes Bundesgericht errichtet“ – denn es gibt bisher ein derartiges Gericht noch nicht –, ferner ihm einen Abs. 3 anzufügen, der ursprünglich als Abs. 2 vorhanden war und der, glaube ich, alle Zweifel über das ausräumen kann, was mit dem Obersten Bundesgericht beabsichtigt ist, indem aus dem Art. 137a die Ausführungsbestimmungen zu Art. 128a herausgenommen und als Abs. 3 wie folgt formuliert werden: Die näheren Bestimmungen über die Art der Fälle, über die Gerichte, an deren Stelle das Oberste Bundesgericht entscheidet, sowie über das Verfahren werden gesetzlich geregelt. Dann ist nämlich für den Leser, der nicht Jurist ist, klar, was dem Obersten Bundesgericht an Aufgaben etwa später zugewiesen wird.

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Dr. Becker (FDP): Man wird, um sich über den Charakter dieser neuen Einrichtung klar zu werden, etwas weiter ausholen müssen. Die Ursache für diesen Artikel liegt in einer sehr anerkennenswerten und aufschlußreichen Denkschrift des Kollegen Strauß, die darin gipfelt, daß die Einheit der Rechtsprechung und die Einheit der Justiz in der Verfassung wenigstens in der obersten Spitze sichergestellt werden solle. Das ist ein durchaus anerkennenswerter Grundsatz, dem wir zustimmen. Die Einheit der Rechtsprechung sollte durch ein oberstes Gericht gewahrt werden, das gewissermaßen über den oberen Bundesgerichten stehen soll. Ich darf ein Beispiel sagen. Die ordentliche Gerichtsbarkeit gipfelt im Reichsgericht, die soziale Gerichtsbarkeit in verschiedenen Sparten, Reichsversicherungsamt usw., die Finanzgerichtsbarkeit im Finanzgerichtshof usw. Nun sollte zur Zusammenfassung aller dieser oberen Gerichtshöfe, aber in der Form eines Bundesgerichtshofs, dieser oberste Gerichtshof geschaffen werden, der seinerseits eine Art Normenentscheidung bringen soll. Wir haben im Ausschuß über diese Frage lange diskutiert und sind uns dahin schlüssig geworden, daß auf keinen Fall eine [S. 270] in dem blauen Himmel der Abstraktionen schwebende Entscheidung nur über einen Rechtssatz erfolgen soll; denn sonst würde dieser oberste Gerichtshof in Konkurrenz mit der Legislative treten. Die Regelung muß also dahin erfolgen, daß dieser oberste Gerichtshof auf jeden Fall nur über einen bestimmten Rechtsfall entscheidet. Das ist durch die Formulierung des Ausschusses, auch durch die Formulierung der vorliegenden Anträge klargestellt. Unser Antrag bezweckt nun, dies nur noch etwas unzweideutiger festzulegen. Nun ist aber als weitere Frage die Einheit der Justiz aufzuwerfen, also nicht die Einheit der Rechtspflege. Wir stellen uns als Idealbild vor, daß auch in den unteren Instanzen der einfache Rechtsuchende sich in einem Gericht nur noch in der Zimmertür irren kann und sonst nicht. Dieses Idealbild ist augenblicklich nicht zu verwirklichen, zumal das nicht zur Zuständigkeit der Bundesverfassung gehört. Aber in der oberen Instanz sollte wenigstens schon eine Grundlage dafür geschaffen werden, und dafür war auch dieses oberste Gericht gedacht. Nun ist die Frage der Funktion dieses obersten Gerichts im Ausschuß bis zu einem gewissen Grade unklar geblieben. Ich habe den Eindruck, daß die eine Gruppe sich darunter das eine, die andere sich jenes vorstellt. Nach unserer Auffassung ist darunter nur etwas zu verstehen, was etwa den alten vereinigten Zivilsenaten entspricht. Also so wie die vereinigten Zivilsenate auf dem Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit als Teil des Reichsgerichts in Fällen von grundlegender Bedeutung zu entscheiden hatten, so soll nicht nur auf dem Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit, sondern auf allen Fachgebieten hier die Möglichkeit der Rechtsrüge, die Möglichkeit der einheitlichen Entscheidung zusammengefaßt werden. Um dies klarzustellen, haben wir zu einem späteren Artikel – ich glaube, es ist 128d – auch eine abweichende Regelung vorgeschlagen, die noch zur Debatte gestellt werden soll. Das Reichsgericht als dritte Instanz der ordentlichen Gerichtsbarkeit soll durch dieses Gericht nicht beseitigt werden und soll im wesentlichen auch nicht beeinträchtigt werden, unbeschadet dessen, daß die Einengung der Revision die aber eine Frage der Änderung der Prozeßordnung sein würde – eventuell noch vorgenommen werden kann. Aber eine Reduktion der Revisionsfälle so, daß dieses ober-

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ste Gericht von vornherein nur mit einer ganz geringen Richterzahl besetzt ist, erscheint uns unmöglich, weil sonst durch die Einheit der Justiz die Einheit der Rechtsprechung verlorengehen würde. Denn dann würden bei den einzelnen Oberlandesgerichten sehr viele Entscheidungen letzter Instanz vorkommen, und die Entscheidungen der allerhöchsten Stelle, die des sogenannten Obersten Bundesgerichts, sehr selten werden, so daß die Entscheidungen der Oberlandesgerichte für die betreffenden Bezirke und Länder praktisch die höchstinstanzlichen wären, was indirekt wieder zu einer Zersplitterung des Rechts statt zu einer Vereinheitlichung führen könnte. Die Dinge sind alle noch im Fluß. Die Ausführungsbestimmungen liegen bei dem Bundesgesetz, das in dem zuständigen Artikel vorgesehen ist, bzw. bei dem Bundesgesetz, das in dem Antrag des Kollegen Dr. Strauß vorgesehen ist. Deswegen legen wir Wert darauf, diese unsere Auffassung protokollarisch festzulegen, damit später zu ersehen ist, was gemeint ist. Ich glaube, daß alle, die in der Justiz praktisch mitgewirkt haben – so habe ich die Ausschußverhandlungen in Erinnerung –, dieser unserer Auffassung wohl grundsätzlich zustimmen werden. Zinn (SPD): Im Ausschuß waren eigentlich zwei Meinungen vorhanden, die sich in einem Punkte widersprachen. Ein Teil der Herren des Ausschusses stand auf dem Standpunkt, daß das Oberste Bundesgericht mehr als nur eine den früheren vereinigten Zivilsenaten des Reichsgerichts entsprechende Einrichtung darstellen soll, vielmehr ein als Institution und auch personell selbständiges Supergericht, an das gewisse, aber seltene Fälle von grundsätzlicher Bedeutung herangebracht werden können. Der andere Teil des Ausschusses stand auf dem Standpunkt, daß man das gleiche Ergebnis erreichen kann, wenn man dieses Oberste Bundesgericht ungefähr so wie seither die vereinigten Zivilsenate des Reichsgerichts gestaltet. Man kann beides machen. Wir haben es für richtig gehalten, diese Frage offenzulassen und ihre Entscheidung dem Bundesgesetzgeber zu überlassen. Deshalb möchte ich zu dem Punkt keine weiteren Ausführungen machen. Um die Bedeutung dieses Gerichts, so wie es gedacht war, etwas klarer erkennen zu lassen, wird es aber notwendig sein, in Art. 128a kenntlich zu machen, daß das Oberste Bundesgericht auf Antrag des sonst in letzter Instanz zuständigen Gerichts entscheidet. Das ist nämlich das Wesentliche. Es soll eine Instanzverschiebung zur Erreichung einer gleichmäßigen Rechtsanwendung eintreten. Insofern können wir den Anträgen zustimmen, die vom Herrn Kollegen Becker gestellt worden sind. Die Anträge des Herrn Kollegen Strauß bringen sachlich nichts Neues, sondern stellen nur klar, was sich aus dem Zusammenhang der Art. 128a und 137a ergeben würde. Im Interesse der Klarstellung und der besseren Übersicht ist es durchaus zweckmäßig, den Abs. 3, den Sie, Herr Dr. Strauß, vorgeschlagen haben, aufzunehmen. Dr. Strauß (CDU): Herr Kollege Zinn hat schon ausgeführt, was ich im wesentlichen sagen wollte. Im Hinblick auf die Ausführungen des Herrn Becker möchte ich nur feststellen, daß ich eine andere Auffassung vertrete. Ich bin der Auffassung, daß dieses Oberste Bundesgericht einen Gerichtskörper für sich bilden soll. Ich würde den ganzen Zweck dieses Obersten Bundesgerichts nicht als erfüllt ansehen, wenn es nur von Zeit zu Zeit nach dem nicht guten Muster vereinigter Zivilsenate früherer höchster Gerichte zusammentritt. Ich stelle mir unter diesem Gericht tatsächlich ein Gericht vor, wie wir es in dieser Art zwar in anderen Ländern

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kennen, aber bisher in Deutschland nicht gehabt haben. Es mag späterer Prüfung vorbehalten bleiben, ob wir ein Reichsgericht nach der Art des bisherigen Reichsgerichts beibehalten wollen – das im Haushaltsjahr 1932 mit 119 Richtern besetzt war, ein Gericht, wie es keine Kulturnation der Erde aufwies – oder ob es nicht möglich sein könnte, auch auf dem Gebiet des Gerichtsaufbaus durch stärkere Dezentralisierung von einem so großen Körper abzusehen. Ich halte es aber nicht für zweckmäßig, diese Frage heute zu erörtern. Sie soll in sorgfältiger Prüfung und weiterer Diskussion der beteiligten Kreise später bei der Vorbereitung des Ausführungsgesetzes berücksichtigt werden. Renner (KPD): Bei Wahrung aller grundsätzlichen Bedenken könnte ich mich für die Einrichtung eines Obersten Bundesgerichts aussprechen. Aber wenn es eine vollkommen neue Instanz sein soll, die neben und über dem Reichsgericht aufgebaut werden soll, dann halte ich das für eine überflüssige Angelegenheit. Falls der Gedanke irgendwie festgehalten werden und nicht dem Gesetzgeber die Entscheidung überlassen bleibe sollte, müßte ich auch gegen das Obersten Bundesgericht stimmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen, und zwar absatzweise nach den Anträgen des Herrn Dr. Strauß. Es scheint mir in der Tat richtig zu sein, daß man vor den im Entwurf des Ausschusses festgelegten Artikeln einen Absatz vorsetzt: „Es wird ein Oberstes Bundesgericht errichtet.“ Über den Antrag auf Einfügung dieses Abs. 1 lasse ich zunächst abstimmen. – Der Abs. 1 ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu Abs. 2. Herr Zinn und Herr Dr. Strauß nehmen wohl die Fassung von Herrn Dr. Becker auf. (Zustimmung.) Dann kann ich wohl über diese Fassung abstimmen lassen: Das Oberste Bundesgericht entscheidet auf Antrag des sonst für den Einzelfall zuständigen [S. 271] Gerichtes des letzten Rechtszuges an dessen Stelle in Fällen, deren Entscheidung für die Einheit des Bundesrechts von grundsätzlicher Bedeutung ist. (Dr. de Chapeaurouge [CDU]: Die Worte „für den Einzelfall“ können wohl fehlen.) – Nein, ich glaube, es ist schon richtig. Renner (KPD): Wer entscheidet denn, ob dieses Oberste Bundesgericht angerufen wird? Vors. Dr. Schmid (SPD): Darüber wird ein Gesetz erlassen. Hier wird nur das Prinzip ausgesprochen. Die ganze Durchführung ist Sache des künftigen Parlaments. Ich lasse über den verlesenen Abs. 2 abstimmen. – Der Abs. 2 ist mit allen gegen 1 Stimme angenommen. Abs. 3 lautet: Die näheren Bestimmungen über die Art der Fälle, über die Gerichte, an deren Stelle das Oberste Bundesgericht entscheidet, sowie über das Verfahren werden durch Gesetz geregelt. Ich lasse darüber abstimmen. – Der Abs. 3 ist einstimmig angenommen.

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Art. 128b (1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet: 1. über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder eines anderen Beteiligten; Zinn (SPD): Ich empfehle die Worte „über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von“ zu streichen und die Ziffer einfach zu fassen:“ 1. bei Streitigkeiten über den Umfang“ usw. Dr. Strauß (CDU): Wir haben uns über diese Frage im Ausschuß eingehend unterhalten4). Wir sind von der Regelung der Weimarer Verfassung5) ausgegangen, die bzw. deren Ausführungsgesetz bei Streitigkeiten zwischen Organen des Deutschen Reiches den Staatsgerichtshof nicht für zuständig erklärt hatte. Man weiß nicht, ob das seinerzeit mit Absicht geschehen ist oder ob man hier eine Lücke übersehen hat. Jedenfalls hat die Erörterung dieser Frage zu einer Entschließung des Kölner Juristentages von 1926 geführt, der die Ausfüllung dieser Lücke empfohlen hat6). Dieser Resolution ist mit beachtlichen Gründen entgegengetreten worden, insbesondere auch von dem späteren Reichsjustizminister Dr. Joël7). Es ist darauf hingewiesen worden, daß es sich in der Mehrzahl dieser Fälle um echte politische Entscheidungen handelt, die nur durch die dazu berufenen Organe politisch entschieden werden können, und daß einem Verfassungsgerichtshof bei solchen Streitigkeiten eine Aufgabe zugewiesen wird, die er in einem Rechtsverfahren in vielen Fällen – in anderen mag es anders liegen – nur schwer bewältigen kann. Aus diesem Grunde hatten wir die Einschränkung vorgesehen. Wir hatten erwogen, die Ziffer 1 zu streichen, und haben uns dann auf die Einschränkung geeinigt, daß er nicht über die Streitigkeiten schlechthin entscheidet – das ist Aufgabe des Bundestags, der Bundesregierung und des Bundesrats im Wege eines Mißtrauensvotums oder der Ablehnung einer Vorlage der Bundesregierung –, sondern nur über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten, wenn also die Streitigkeit involviert, ob ein Artikel des Grundgesetzes so oder so ausgelegt wird. Wir 4)

Vgl. die 7. Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 6. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, S. 1358–1369. 5) Art. 19 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, in dem kein Gericht zu ihrer Erledigung besteht, sowie über Streitigkeiten nichtprivatrechtlicher Art zwischen verschiedenen Ländern oder zwischen dem Reiche und einem Lande entscheidet auf Antrag eines der streitenden Teile der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich, soweit nicht ein anderer Gerichtshof des Reichs zuständig ist. Der Reichspräsident vollstreckt das Urteil des Staatsgerichtshofs.“ RGBl. S. 1387. 6) Zu den Verhandlungen des 34. Deutschen Juristentages zu Köln vom 12. bis 15. Sept. 1926 vgl. Der Parl. Rat. Bd. 13/2, Dok. Nr. 55, S. 1310, Anm. 99 und Dok. Nr. 56, S. 1335. 7) Curt Walter Joël (1865–1945), 1893 Dr. iur., 1899 Staatsanwalt in Hannover und am Berliner Kammergericht, 1908 im Reichsjustizamt, im Ersten Weltkrieges Sektionschef im Generalgouvernement Belgien, Leiter der Zentralpolizeistelle in Brüssel, 1920–1931 (Unter-)Staatssekretär im Reichsjustizministerium, 1924/1925 mit der Leitung des Reichsjustizministeriums 1930 kommissarischer Leiter der Reichsjustizministeriums, 1931–1932 Reichsjustizminister.

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fürchten, daß sonst dem Bundesverfassungsgericht die Entscheidung von Fällen übertragen wird, die jenseits der Grenzen des Justiziablen liegen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist hier also kein Kompetenzgerichtshof vorgesehen. (Dr. Strauß [CDU]: Ja.) Zinn (SPD): Würde man den Anregungen von Herrn Dr. Strauß folgen und die alte Fassung: „über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten“ stehenlassen, würde es zumindest nicht verständlich sein, wenn hinter „Bundesorgans“ noch die Worte „oder eines anderen Beteiligten“ folgen. Dann bliebe nichts anderes übrig, als eine Ergänzung vorzunehmen, die etwa folgendermaßen lautet: „Beteiligten, der durch dieses Grundgesetz mit eigenen Rechten ausgestattet ist“. Denn nur, wenn der Beteiligte mit eigenen Rechten durch das Grundgesetz ausgestattet ist, kann ein Streit im Zusammenhang mit der Auslegung des Grundgesetzes entstehen. Die Rechte der Minderheiten, an die man im Ausschuß gedacht hat, indem man den Nachsatz fortgelassen hat, nämlich die Rechte einer Fraktion, irgendeinen Streit vor dem Bundesverfassungsgericht, zum Beispiel über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes, zu entfachen, müßten dann in anderer Weise, nämlich bundesgesetzlich, geregelt werden, wie es Abs. 2 zuläßt. Sie können sich also für das eine oder andere entscheiden, wenn die Ziffer 1 einen juristischen Sinn haben soll. Renner (KPD): Um mir auch bei diesem Abschnitt zu ersparen, bei jedem einzelnen Punkt zu bekunden, daß ich gegen die Gesamtkonzeption bin, bitte ich, mir zu erlauben, unsere grundsätzliche Stellungnahme zu dem ganzen Problem zum Ausdruck zu bringen. Die kommunistische Fraktion hat mit Schreiben vom 12. 10. 1948 an den Herrn Vorsitzenden des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege8) diese grundsätzliche Stellungnahme in Antragsform zur Entscheidung gestellt9). Ich habe auf keinem Protokoll dieses Ausschusses ersehen können, ob dieser Antrag überhaupt behandelt und wie über ihn entschieden worden ist. Ich werde jetzt darauf aufmerksam gemacht, daß der Ausschuß beschlossen hat, die Abstimmung über unseren Antrag zurückzustellen. Zinn (SPD): Dieser Antrag ist eingegangen und ist dem Ausschuß auch bekanntgegeben worden10). Er besagt inhaltlich etwa folgendes. Die Gerichtsbarkeit wird der Kontrolle des Parlaments unterstellt. Damit würde der Grundsatz der Dreiteilung der Gewalten durchbrochen werden. Über die Frage, ob dieses Grundgesetz sich auf der Dreiteilung der Gewalten im Montesquieuschen Sinne11) aufbauen soll, hatte nicht der Rechtspflegeausschuß, sondern letzten Endes der Hauptausschuß durch die Gesamtgestaltung des Grundgesetzes zu entscheiden. Nachdem der Hauptausschuß die Frage der Dreiteilung bejaht hatte, entfiel eine gesonderte Beschlußfassung über den Antrag der KPD.

8)

Vorsitzender des Ausschusses war Friedrich Wilhelm Wagner. Zu dem Schreiben der Kommunisten vom 26. (sic!) Okt. 1948, für Auszüge aus dem Antrag der KPD sowie für die Behandlung des Antrags in der 4. Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof am 27. Okt. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 53, S. 1219 f. Vgl. dazu auch unten Dok. Nr. 26, S. 764, Anm. 14. 10) Ebd. 11) Zu Charles de Montesquieu vgl. oben Dok. Nr. 11, S. 311, Anm. 10. 9)

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Renner (KPD): Die Aufklärung verpflichtet mich wohl, den Antrag in seiner Originalfassung vorzutragen und zu bitten, darüber im Hauptausschuß zu entscheiden. Der Antrag lautet in den Absätzen, die heute hier interessieren, folgendermaßen. In Wahrung der Rechte des Parlaments auf alleinige und ausschließliche Rechtsschöpfung kann nicht geduldet werden, daß dem letzten Amtsrichter ein Nachprüfungsrecht über die Verfassungsmäßigkeit und Rechtmäßigkeit der vom Parlament beschlossenen Gesetze, der Bundestagsgesetze eingeräumt wird. In Verfolg dieser Auffassung wird die Einrichtung eines Bundesverfassungsgerichtshofs abgelehnt. Um aber die Rechtssicherheit in vollem Umfange zu gewährleisten, schlagen wir vor, daß im Bundestag ein Ausschuß gebildet wird, der all die Probleme und Fragen entscheidet, die sich um die eventuelle Rechtsungültigkeit eines Gesetzentwurfs entwickeln könnten. Die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze des Bundes soll also ausschließlich durch diesen Verfassungsausschuß überprüft werden. Verfassungsstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern sowie die Vereinbarkeit von Landesgesetzen mit dem Recht des Bundes prüft ebenfalls dieser Verfassungsausschuß. Die Vertreter des Ausschusses sind gleichzeitig Vertreter der Länder, und diese Ländervertreter werden von den Ländern bestimmt und müssen Mitglieder des Landtags sein. Sie können also nicht aus dem Bundesrat stammen. Die bei uns in Westdeutschland wiedererstandene Justiz, die nach diesem Verfassungsentwurf, der heute [S. 272] offensichtlich von der Mehrheit des Hauptausschusses gebilligt werden wird, eine so uneingeschränkte Machtvollkommenheit und Machtstellung erhalten soll, ist derselbe Justizapparat, der vor 1933 die Demokratie unterminiert und unterhöhlt hat. Damals war es geradezu verpönt, gleichzeitig Richter und Republikaner zu sein. Das Verhältnis zur republikanischen Staatsform von Weimar wurde auf einer Tagung des Deutschen Richterbundes im Herbst 1922 in Bamberg in einer sehr eindeutigen Form zum Ausdruck gebracht. In der Entschließung dieser Tagung des Deutschen Richterbundes heißt es an der entscheidenden Stelle: „Es ist für die Richter ohne Belang, welcher politischen Gesinnung die vor Gericht Stehenden anhängen; für die Fällung einer Entscheidung spielt auch keine Rolle, in welcher Form der Staat regiert wird.“12) In konsequenter Fortsetzung dieser Haltung gegenüber dem demokratischen Staat kam es in den späteren Jahren der Weimarer Republik dazu, daß jede gesetzliche Möglichkeit eines Verbots der NSDAP durch Gerichtsurteile verhindert wurde. Die Richter damals und heute haben die ihnen zugestandene Unabhängigkeit dazu ausgenutzt, einen eigenen politischen Kurs zu steuern. Wenn ich dann an die Rolle der Justiz in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes, an die Blut- und Terrorurteile der damaligen Zeit erinnern darf und daran, daß damals das Gros der Justiz sich bedingungslos und willfährig dem Naziterror zur Verfügung gestellt hat, wenn wir bedenken, daß mehr als 90 Prozent der Richter und Staatsanwälte in der damaligen Zeit Mitglieder der NSDAP waren, und wenn wir uns der Tatsache erinnern, daß heute weit mehr als die Hälfte aller amtierenden Richter und Staatsanwälte in den Westzonen aus ehemaligen Mitglie12)

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Für den Wortlaut der Entschließung des Gesamtvorstands des Deutschen Richterbundes auf seiner Tagung am 28./29. Okt. 1922 in Bamberg vgl.: Deutsche Richterzeitung, Hrsg. vom Deutschen Richterbund, 15. Jg. 1923, Nr. 1, S. 1.

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dern der NSDAP, der Gliederungen oder Nebenorganisationen bestehen, dann sind wohl alle unsere Bedenken, diesem Richterkorps und diesem Apparat der Staatsanwaltschaft diese uneingeschränkte Machtfülle zu geben, voll berechtigt. Unserer Meinung nach muß die Justiz Ausführer der von der Volksvertretung beschlossenen Gesetze sein und nichts anderes. Sie muß sich in demselben Geist betätigen, der sich in der vom Volk gewählten Volksvertretung, also im Bundestag manifestiert. Die Richter dürfen nicht die ihnen gewährte Unabhängigkeit in der Rechtsprechung dazu ausnutzen, eine Rechtsprechung zu entwickeln, die gegen die Interessen der Demokratie verstößt. Die Volksvertretung muß deshalb meines Erachtens das Recht haben, unter gewissen, genau zu umreißenden Voraussetzungen Richter, die diese Pflichten verletzen, ihres Amtes zu entheben und nicht nur etwa darüber zu entscheiden, ob sie in einem anderen Amt oder in einem anderen Land weiter beschäftigt werden sollen, wie das in einigen Vorschlägen zum Ausdruck kommt. Den Richtern darf nicht die Machtbefugnis zugestanden werden, die vom Bundestag beschlossenen und ordnungsmäßig verabschiedeten Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen. Wenn derartige Bedenken auftauchen sollten, dann sollen sie, wie gesagt, von einem aus dem Bundestag heraus zu bildenden Sonderausschuß erledigt werden. Darüber hinaus bin ich der Meinung, daß das Volk ein Interesse auch an dem Ausbau geeigneter juristischer Bildungsstätten hat, die dafür sorgen, daß Angehörige aller Schichten des Volkes die Befähigung zur Ausübung des Richteramtes und des Amtes eines Rechtsanwalts oder Staatsanwalts erlangen können. Wenn ich die tatsächliche, aktive Lehrzeit mancher Juristen, die sie auf Universitäten verbringen, addiere, kommen meines Erachtens in sehr vielen Fällen auch nicht mehr als 6 Monate heraus. Ich bin der Meinung, daß in der Rechtsprechung der Laienrichter im breitesten Umfang eingeschaltet werden muß. Ich bin darüber hinaus der Meinung, daß die Richter in allen Instanzen, in allen Gerichten von den gewählten Vertretern des Volkes auf Vorschläge der demokratischen Organisationen, der Parteien, der Gewerkschaften usw., gewählt werden müssen. Das ist meine grundsätzliche Auffassung zu den Dingen. Da jeder Passus der hier vorliegenden Vorschläge oder Artikel gegen irgendeinen dieser Begriffe verstößt, bin ich leider gezwungen, diese Artikel in der Gesamtheit abzulehnen. Ich stelle den Antrag, diesen unseren Urantrag, der in dem Schreiben vom 12. 10. 1948 niedergelegt ist, hier zur Abstimmung zu bringen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich muß Sie dann bitten, zu den einzelnen Materien, die wir behandeln, formulierte Anträge zu stellen. Renner (KPD): Sie können den Antrag haben. Ich bin mir darüber klar, daß er en bloc abgelehnt wird. Aber da ich für Beschleunigung der Arbeiten des Parlamentarischen Rates bin, will ich Ihnen die Arbeit ersparen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich werde also immer davon ausgehen können, daß Sie, wenn Sie die Hand nicht erheben, dagegen stimmen. Renner (KPD): Das habe ich klar zum Ausdruck gebracht. Dr. Laforet (CSU): Die sehr bedeutsamen Fragen, die der Herr Kollege Zinn behandelt hat, sind meiner Ansicht nach von dem Entwurf, wie er jetzt vorliegt, dem einfachen Gesetzgeber zugewiesen. Er entscheidet vor allem, wer Beteiligter ist. Die

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sehr bedeutsame Frage des Minoritätenschutzes wird dann den einfachen Gesetzgeber befassen. Ich würde auf eine Erklärung Wert legen, ob diese meine Annahme richtig ist. Zinn (SPD): Das ist richtig, das war die ursprüngliche Auffassung des Ausschusses. Aber wenn man die Fassung: „über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten“, wie es Herr Kollege Strauß angeregt hat, beibehält, dann bleibt nichts anderes übrig, als auch nur die Beteiligten zuzulassen, denen Rechte auf Grund des Grundgesetzes eingeräumt sind. Das ist die notwendige logische Konsequenz. Oder Sie müssen das tun, was ich angeregt habe, im Eingang zu streichen: „über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von“ und einfach festzulegen: „bei Streitigkeiten über“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann ist es eine reine Entscheidung über Kompetenzstreitigkeiten. (Zustimmung des Abgeordneten Zinn [SPD].) Dann ist insoweit der Verfassungsgerichtshof ein Kompetenzgerichtshof. Das ist dann etwas ganz anderes, als offenbar in der Ziffer 1 gemeint ist. In Ziffer 1 ist offenbar gemeint, wenn zwei oberste Bundesorgane über die Auslegung irgendeiner Bestimmung des Grundgesetzes streiten, soll das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung treffen. Ich muß gestehen, daß ich diese Ziffer sehr oft habe lesen müssen, bis mir einigermaßen klar geworden ist, was wohl gemeint sein könnte13). Aber schließlich blieb diese letzte Möglichkeit als Ergebnis einer Differentialdiagnose übrig. Dr. Laforet (CSU): Das ist der entscheidende Gedanke. Nun kann es aber auch sein, daß ein oberstes Bundesorgan in der Verfassung selber nicht so bestimmt ist wie etwa der Bundestag und der Bundesrat, sondern daß nach dem Vorbild des Reichsstaatsgerichtshofs auch einem anderen Gebilde die Befugnis der Beteiligung an einem solchen Verfassungsstreit zuerkannt wird. Ich erinnere daran, daß der Reichsstaatsgerichtshof hier sehr weit gegangen ist, vor allem die entscheidende Frage bejaht hat, ob eine Fraktion, also ein Gebilde des Parlamentsrechts, das seine Grundlage in der Geschäftsordnung hat, Beteiligte ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Man hat hier merkwürdigerweise Begriffe aus der freiwilligen Gerichtsbarkeit in die Judikatur des Staatsgerichtshofs herübergenommen. [S. 273] Dr. Laforet (CSU): Das Wort „Beteiligte“ stört mich. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das finde ich sehr gut. Beteiligt ist jeder, der ein legitimes Interesse nachweisen kann. Dr. Laforet (CSU): Der irgendwie durch das Gesetz als sachlich berufen erscheint, dem in solchen Streitigkeiten die Aktivlegitimation zuerkannt wird. So sind Fraktionen nach der früheren Rechtsprechung als Beteiligte angesehen worden. Die Frage, wieweit sie Beteiligte sind, wird nicht nur der Rechtsprechung überlassen; sondern ich habe das so aufgefaßt, daß im Vollzug des Art. 137a darüber auch der einfache Gesetzgeber Bestimmungen im Rahmen eines Bundesgesetzes erlassen kann.

13)

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Im stenograph. Wortprot., S. 19, folgt danach: „(Zuruf: Hört! Hört!)“

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Er könnte also theoretisch – er wird es nicht tun eine allgemeine Popularklage zulassen und damit jeden zum Beteiligten machen, der sich meldet. Zinn (SPD): Ich würde dann beantragen, den Nachsatz wie folgt zu fassen: „oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz mit eigenen Rechten ausgestattet sind.“ (Dr. Laforet [CSU]: Ich würde das nicht tun.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Was der Herr Kollege Laforet erwähnt, wird keineswegs verbaut; denn der Abs. 2 dieses Artikels sieht vor, daß durch Bundesgesetz dem Bundesverfassungsgericht auch andere Fälle zugewiesen werden können. Es kann also durchaus gesagt werden, daß eine Minderheit, ähnlich wie es in der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes der Weimarer Zeit entwickelt worden ist, aus Anlaß von Streitigkeiten dieser Art Rechte geltend machen kann. Dr. Laforet (CSU): Jetzt tritt die Frage zur Entscheidung, ob eine Fraktion aus Gründen des Minderheitsschutzes in der Verfassung selber mit eigenen Rechten ausgestattet ist. Diese Entscheidung hätte ich gern vermieden. (Dr. Greve [SPD]: Nein, das ist die Konsequenz.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Das müßte dann auf Grund des Abs. 2 in einem Gesetz niedergelegt werden. Ich fürchte auch, daß man auf diese Weise das Gericht einengen kann. Man sollte hier dem Gericht die Möglichkeit geben, sich in einem gewissen Umfang seine eigene Prozeßordnung zu schaffen, indem es einen Beschluß ergehen läßt, daß Herr X und Herr Y als Beteiligte in diesem Rechtsstreit gelten, (Zuruf: Nicht Personen!) – oder Gruppen oder Organe. Dr. Laforet (CSU): Es dreht sich vor allem um den Minderheitsschutz kleiner Fraktionen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Allerdings gibt man damit dem Gericht eine große Macht in die Hand. Dr. Laforet (CSU): Im übrigen würde, wenn diese Fassung so gewählt wird, für eine Auslegung des einfachen Gesetzgebers nach Art. 137a kein Raum mehr sein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Bei den englischen Gerichten ist es gang und gäbe. Theoretisch erläßt in England ein Gericht für jeden Prozeß die Prozeßordnung neu. Man übernimmt sie allerdings seit ein paar hundert Jahren unbesehen vom Vorgänger. Aber ein Gericht kann dort auch bestimmen, wer vor ihm auftreten, wer vor ihm bestimmte Rechte geltend machen kann. Ich hielte es für meinen Teil nicht für schlecht, wenn man es dem Bundesverfassungsgericht überlassen könnte, wen es auf Grund der Ziffer 1 vor sich auftreten lassen will. Man könnte vielleicht bestimmen: Bestimmte Gruppen haben auf alle Fälle einen gesetzlichen Anspruch, andere können auftreten, wenn das Gericht es beschließt. Dr. Laforet (CSU): Das möchte ich nicht verbaut wissen. Dr. Strauß (CDU): Ich hätte doch aus der Praxis des politischen Lebens und wegen der Einstellung der Deutschen zu Gerichtsmöglichkeiten, die ihnen eröffnet sind, gewisse Bedenken. Es könnte eintreten, daß das Bundesverfassungsgericht von allen möglichen Seiten angegangen wird, die sich auf irgendeine Weise als Beteiligte ausweisen können, und zu einer Art gutachtlicher Entscheidung über die Auslegung des Grundgesetzes angerufen wird. Ich glaube nicht, daß das dem Ansehen

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des Bundesverfassungsgerichts dienlich ist. Ich möchte mich für meine Person dem Vorschlag Zinn anschließen, den ursprünglich in dem Entwurf vorhandenen Teilsatz am Schluß hinzuzufügen, und bin gleichfalls der Ansicht des Kollegen Dr. Laforet, daß der Abs. 2, wo es erforderlich erscheint, dem einfachen Bundesgesetzgeber die Möglichkeit gibt, die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts zu erweitern. Dr. Laforet (CSU): Über den Rahmen dessen, was hier gegeben ist, daß nämlich durch dieses Grundgesetz einem Gebilde eigene Rechte gegeben sein müssen, kommt der einfache Gesetzgeber nicht hinaus. (Zinn [SPD]: Es heißt ja gar nicht „müssen“, sondern „ausgestattet sind“!) Es entsteht also durch diesen Zusatz eine erhebliche Beschränkung des einfachen Gesetzgebers in seiner Gesetzgebung nach Art. 137a14) Abs. 1. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, hier irren Sie, Herr Dr. Laforet. Dieser Abs. 2 ist eine Generalklausel. Danach kann durch Bundesgesetz jeder beliebige Fall für die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts vorgesehen werden. Der Gesetzgeber ist nicht beschränkt. Er kann also, wenn er will, alle möglichen Streitfälle und Streitfälle zwischen allen möglichen Parteien vor dem Bundesverfassungsgericht justiziabel machen. Dr. Dehler (FDP): Ich unterstreiche die Bedenken des Kollegen Dr. Laforet aus meinen praktischen Erfahrungen. Wenn wir als Beteiligte nur die vorsehen, die im Grundgesetz mit eigenen Rechten ausgestattet sind, dann kann der Gesetzgeber daraus den Schluß ziehen, daß anderen keine Rechte gegeben werden können. Wir haben im Ausschuß einen praktischen Fall erörtert: es besteht Streit über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zwischen der Mehrheit des Hauses und der Minderheit. Die Minderheit muß die Möglichkeit haben, zum Verfassungsgerichtshof zu gehen und den Streit auszutragen. Weil in der bayerischen Verfassung diese Frage so, wie hier vorgesehen, geregelt ist, ist uns diese wichtigste Kampfesmöglichkeit genommen. Wir als Oppositionsfraktion haben nicht die Chance, die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs darüber herbeizuführen, ob ein bestimmtes Gesetz mit der Verfassung vereinbar ist oder nicht. Man muß es darauf ankommen lassen, ob ein Betroffener den Verfassungsgerichtshof anruft. Ich glaube, so weit darf man es nicht kommen lassen. Es kann auch die Geschäftsordnung eines obersten Organs bestimmen, wer mit Rechten ausgestattet und damit „Beteiligter“ ist. Die Geschäftsordnung wird festlegen, wer in einem Organ, in einem Landtag, hier im Bundestag antragsberechtigt ist, welche Voraussetzungen an die Bildung einer Fraktion gestellt werden. Ich meine, das muß hier schon zum Ausdruck kommen. So würde ich es für richtig halten, daß wir sagen: Beteiligte, die in diesem Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich möchte die Anregung des Herrn Vorsitzenden unterstützen, daß man dem Bundesverfassungsgericht selber das Recht zuerteilen möge, zu bestimmen, ob es einen Kläger als Kläger und Beteiligten anerkennen will. Damit ehren wir das Bundesverfassungsgericht als das oberste politische Willensorgan, wir hemmen es nicht und verbauen keine Wege. [S. 274] 14)

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„a“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 23.

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Zum andern möchte ich mich dem anschließen, was der Herr Kollege Dehler ausgeführt hat. Ich habe zu Hause das dornenvolle Amt, Führer einer Fraktion zu sein15), hinter der viele Wähler stehen, die aber infolge eines eigenartigen Wahlgesetzes nicht entfernt die entsprechende Anzahl von Abgeordneten im Parlament hat. Ich weiß, wie schwer es ist, in dieser Stellung zu Rechten zu kommen. Gerade den Fall, den der Herr Kollege Dehler erwähnt hat, habe ich in der Praxis gehabt. Wir haben in Hamburg ein Gesetz beschlossen, das ich vom Tage seiner Verabschiedung an als rechtsungültig bezeichnet habe. Ich konnte aber nicht den Weg finden, die Rechtsungültigkeit dieses Gesetzes festzustellen. Der Fraktion war dieser Weg verbaut. Es mußte erst gewartet werden, bis ein Betroffener den Weg nach Köln fand und die Frage dort zur Entscheidung brachte. Wie das Verfahren in Köln ausgegangen ist – meines Erachtens zu Unrecht –, das will ich hier nicht ausführen. Der Fall beweist mir aber auch etwas anderes. Ich habe jetzt gerade einen anderen Fall in Bearbeitung, an welchem man sieht, daß eine Fraktion das Recht haben muß, als Beteiligte an den Staatsgerichtshof zu gehen. Dieses Recht fehlt, und solange dieses Recht fehlt, fehlt der Minderheit im Parlament der nötige Rückhalt. Es ist durchaus möglich, ganz kleine Gruppen auszuschalten, indem man sagt, eine Fraktion mit meinethalben mindestens 10 Prozent der Mitglieder des Hauses soll dieses Recht haben, damit nicht eine ganz kleine Gruppe mit Fraktionsrechten ausgestattet ist und auch sie bei Streitigkeiten gleich an das Gericht herangehen kann. Sachlich liegt hier ein Fall des parlamentarischen Minderheitsschutzes vor, der noch nicht genügend durchdacht ist, der vielleicht besser gefaßt werden muß. Für heute schließe ich mich dem Antrag des Herrn Kollegen Dehler an, behalte mir aber vor, in der zweiten Lesung nach Rücksprache mit ihm diesen Antrag in verbesserter Form wiederaufzunehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können abstimmen. Es ist wohl am besten, daß ich in zwei Abstimmungsgängen abstimmen lasse, zuerst über die Fassung, soweit sie uns hier gegeben worden ist, und dann über den Zusatzantrag des Herrn Zinn, zu sagen: „anderer Beteiligter, die durch dieses Gesetz mit eigenen Rechten ausgestattet sind.“ Dr. Dehler (FDP): Und über meinen Antrag, einzufügen: „Beteiligter, die in diesem Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind.“ Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Kollege Zinn, schließen Sie sich dem Vorschlag an, eine Berechtigung auf Grund einer Geschäftsordnungsbestimmung zuzulassen? (Zustimmung.) – Dann stimmen wir zuerst über die Fassung des Ausschusses ab. – Die Ausschußfassung ist mit 20 Stimmen gegen die Stimme des Abgeordneten Renner angenommen. Ich lasse über den Antrag Dr. Dehler abstimmen, hinzuzufügen: oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. 15)

Paul de Chapeaurouge war seit 1946 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft und dort Fraktionsvorsitzender der CDU.

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– Der Zusatz ist gegen 1 Stimme angenommen. Wir kommen zu Ziffer 2. über andere öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist.16) Ich lasse abstimmen. – Die Ziffer 2 ist gegen 1 Stimme angenommen. Wir kommen zu Ziffer 3. über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetz oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht auf Antrag eines Gerichtes (Art. 137 Abs. 1), auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung (Art. 44 und 148a) oder von einem Drittel der Mitglieder des Bundestags; Dr. Strauß (CDU): Ich stelle hierzu namens der Fraktion der CDU/CSU den Antrag, der auch für die Ziffern 3a und 4 gilt, über diese Fälle nicht das Bundesverfassungsgericht, sondern das Oberste Bundesgericht entscheiden zu lassen und das dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß dem Art. 128a ein weiterer Absatz entsprechenden Inhalts angefügt wird. Die hier genannten Fälle betreffen die Entscheidung über die Anwendbarkeit eines Gesetzes, das heißt im wesentlichen die Prüfung der Frage, die man als die richterliche Prüfungszuständigkeit bezeichnet hat und die in Deutschland erst unter der Weimarer Verfassung durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts und wohl sämtlicher anderen oberen Gerichtshöfe bejahend beantwortet worden ist. Ich finde, daß der Richter hierbei eine Tätigkeit ausübt, die dem eigentlichen Wesen des Richters entspricht und die er parallel in anderen Fällen auch ausübt. Er stellt, wenn er ein Gesetz anwendet, fest, ob dieses Gesetz formell oder materiell Gesetz ist. Er prüft zwischen früherem und späterem Gesetz, welches Gesetz vorgeht. Er hat, wenn er Landesrecht anwendet, zu prüfen, ob dieses Landesrecht mit Bundesrecht vereinbar ist, und er hat zu prüfen, ob ein Bundesgesetz entsprechend den Vorschriften der Bundesverfassung zustande gekommen ist – das ist die formelle Prüfung – und ob es sich im materiellen Rahmen des Grundgesetzes hält. Die letzteren Fälle werden insbesondere akut werden, wenn es sich um die Geltendmachung des Einwandes handelt, daß ein Bundesgesetz mit Vorschriften der Grundrechte unvereinbar ist. Wir glauben, daß es sich hier um die unmittelbare Anwendung der richterlichen Gewalt handelt, auf Grund derer der Richter in jedem Rechtsstreit zu prüfen hat, ob das Gesetz, das er anwendet, wirklich Gesetz ist. Wir glauben nur aus Gründen der Zweckmäßigkeit und Einheitlichkeit, daß diese Fragen nicht von jedem einzelnen Richter unterer Instanz entschieden werden sollen, sondern daß hier von 16)

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Im stenograph. Wortprot., S. 27, folgt danach: „Dr. Dehler (FDP): Die Ziffer 2 muß doch wohl hinter die Ziffer 6 kommen, weil die Ziffern 5 und 6 noch andere öffentliche Streitigkeiten behandeln. (Zinn [SPD]: Das würde ich dem Redaktionsausschuß überlassen!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich hätte auch vorgeschlagen, von 3a ab alles in eine Ziffer zu nehmen und zu sagen „in den Fällen der Art. soundso usw.“. Das ist doch nur eine Aufzählung, was hier ist. (Dr. Strauß [CDU]: Überlassen wir es doch dem Redaktionsausschuß!)“

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vornherein für eine Einheitlichkeit dadurch gesorgt werden soll, daß diese Fälle einem obersten Gericht zugewiesen werden. Wir befürchten, daß eine wesentliche Aufgabe des reinen Obersten Bundesgerichts herausgebrochen wird, wenn diese Fälle dem Bundesverfassungsgericht und nicht dem Obersten Bundesgericht übertragen werden. Es scheint uns dem Wesen der reinen obersten Bundesgerichtsbarkeit zu widersprechen, wenn man diese Fälle einem Kollegium entzieht, das nur aus Richtern zusammengesetzt ist, und einem Kollegium überweist, das gemischt zusammengesetzt ist. Aus diesen Gründen beantragen wir, diese drei Ziffern aus dem Zuständigkeitskatalog des Bundesverfassungsgerichts herauszunehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Mit anderen Worten, weil es sich Ihrer Meinung nach nur um rechtstechnische Entscheidungen handelt (Dr. Strauß [CDU]: Trotz ihrer politischen Auswirkung.) und nicht um Entscheidungen politischen Charakters, deswegen soll das richtige Gericht hierfür ein Gericht sein, das nur aus Fachrichtern besteht, und nicht ein Gericht, in dem auch politische Persönlichkeiten sitzen. So ist wohl die Kontroverse? (Dr. Strauß [CDU]: Jawohl.) Zinn (SPD): Meine Fraktion wird aus folgenden Gründen gegen den Antrag der CDU stimmen. Es ist zwar richtig, daß die Streitigkeiten unter Ziffer 7a, 8, 9 und eventuell auch 617 solche sind, bei denen vornehmlich über Tatfragen mit politischem Akzent zu entscheiden ist, daß andererseits die Streitigkeiten unter Ziffer 3, 3a und 4 solche sind, bei denen vornehmlich über Rechtsfragen zu entscheiden ist. Aber das Wesentliche ist nach unserer Auffassung, daß es sich hier um Rechtsfragen von ganz besonderer politischer Bedeutung handelt, unter Umständen von [S. 275] sehr weittragender politischer Bedeutung nicht nur auf innerpolitischem, sondern auch auf außenpolitischem Gebiet, wenn es sich zum Beispiel um die Frage handelt, inwieweit eine Regel des Völkerrechts als Bestandteil des Bundesrechts gilt oder Rechte oder Pflichten für den einzelnen erzeugt. Gerade mit Rücksicht auf die sehr weitgehende politische Bedeutung solcher Rechtsstreitigkeiten im Einzelfall, die unter Umständen viel größer sein kann als die Entscheidung von Fällen im Sinne von Ziffer 7, 7a, 8 usw., bei denen vornehmlich Tatfragen zu entscheiden sind, glauben wir, ohne die Mitwirkung von Beisitzern, die gerade die politische Bedeutung einer solchen Entscheidung zu ermessen vermögen, nicht auskommen zu können, und werden deshalb dafür eintreten, daß hier das Bundesverfassungsgericht, wie die Vorlage es vorsieht, zuständig bleibt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Dr. Strauß stellt den Antrag, Ziffer 3 zu streichen. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 12 Stimmen abgelehnt. Dr. Seebohm (DP): Ich bitte, in Ziffer 3 nach den Worten „oder von einem Drittel der Mitglieder des Bundestags“ hinzuzufügen: „oder eines Landtags“. Wenn man der Landesregierung das Recht gibt, muß man es auch einem Drittel der Mitglieder des Landtags geben, weil es sich hier auch um Fragen des Landesrechts handelt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zuerst über die Ausschußvorlage abstimmen. – Ziffer 3 der Ausschußvorlage ist gegen 1 Stimme angenommen.

17)

„auch 6“, fehlt im stenograph. Wortprot., S. 30.

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Ich lasse über den Antrag auf Hinzufügung „oder eines Landtags“ abstimmen. – Der Zusatz ist mit 8 gegen 7 Stimmen abgelehnt. Wir kommen zu Ziffer 3a. in Fällen des Art. 137 Abs. 2 und über Auslegung des Grundgesetzes gemäß Art. 137 Abs. 3; Dr. Strauß (CDU): Der Art. 137 Abs. 2 ist vom Ausschuß aufgenommen worden, um sicherzustellen, daß bei der Anwendung des Art. 29 nicht jeder untere Richter sich eine Meinung bildet, die zu bilden er sehr häufig nicht imstande sein wird, sondern daß bei Zweifelsfällen hier ein oberstes Bundesgericht entscheidet. Das heißt, der untere Richter wird die Sache dem Obersten Gericht vorzulegen haben. Eine Meinungsverschiedenheit bestand dagegen darüber, ob diese Aufgabe dem Obersten Bundesgericht oder dem Bundesverfassungsgericht zu übertragen ist. Wir sind gerade bei diesen Fällen der Auffassung, daß sie vorzugsweise vom Obersten Bundesgericht zu erledigen sind. Wir sind dieser Meinung in noch erhöhtem Maße als bei der Ziffer 3. Sie wissen alle, wie außerordentlich schwierig es ist, festzustellen, ob eine Regel des Völkerrechts eine allgemeine Regel und damit Bestandteil des Bundesrechts ist. Diese Fragen werden von Richtern höchster Erfahrung geprüft werden müssen. Daß sie politische Auswirkungen haben werden, ist nicht zu leugnen. Sie werden aber in einer reinen Rechtssphäre entschieden werden müssen. Ich glaube, man wird es schwer verstehen, wenn diese Fragen dem Bundesverfassungsgericht übertragen werden an Stelle eines obersten Bundesgerichts, wie wir es uns wohl alle im Ausschuß vorgestellt haben, eines Gerichts von nicht zu großem Umfang und aus den wirklich erfahrensten und weisesten Männern des Richterstandes, wobei die Anwaltschaft selbstverständlich mit hinzugehört. (Schönfelder [SPD]: Es kann auch weise Beisitzer geben!) Zinn (SPD): Wir werden aus verschiedenen Erwägungen gegen diesen Antrag stimmen. Wenn man schon das Bundesverfassungsgericht als das Gericht ansieht, das ausschließlich zur Entscheidung von Verfassungsfragen zuständig ist, dann sollte es konsequenterweise auch zur Entscheidung von Fragen überstaatlichen Rechts zuständig sein. Darüber hinaus sind gerade die Fragen des Völkerrechts unter Umständen – denken Sie nur an die Frage der Zulässigkeit einer völkerrechtlichen Sanktion – von weittragendster außenpolitischer und nicht nur innenpolitischer Bedeutung. Im übrigen sind alle diese Dinge im Grunde genommen Verfassungsfragen; denn wir werden bei einer nochmaligen Betrachtung des Art. 29 uns überlegen müssen, ob wir nicht statt „sind Bestandteil des Bundesrechts“ sagen: „sind Bestandteil des Bundesverfassungsrechts“. Wenn wir es bei der bisherigen Fassung lassen, könnte eine Regel des Völkerrechts, die wir als bindend betrachten wollen, durch einfaches Bundesrecht wieder außer Kraft gesetzt werden. Der Art. 29 hat nur dann Sinn, wenn man ihn so gestaltet, daß der Regel des Völkerrechts nicht einfach durch Bundesgesetz der Charakter des Bundesrechts wieder genommen werden kann. Auch unter diesem Gesichtspunkt muß das Bundesverfassungsgericht zuständig bleiben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag auf Streichung der Ziffer 3a abstimmen. – Die Streichung ist mit 11 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Nunmehr lasse ich über die Ziffer 3a abstimmen. – Die Ziffer 3a ist gegen 1 Stimme angenommen.

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Wir kommen zu Ziffer 4. über die Vereinbarkeit früheren Rechts mit dem Grundgesetz und das Fortgelten von Recht als Bundesrecht (Art. 140); Dr. Strauß (CDU): Hier bin ich noch mehr der Auffassung, daß es sich um eine reine Rechtsfrage handelt, die auf Grund des Zusammenhangs zu entscheiden ist, und daß das dem Obersten Bundesgericht zugewiesen werden muß. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag auf Streichung der Ziffer 4 in Art. 128b abstimmen. – Der Antrag ist mit 11 gegen 10 Stimmen angenommen. Wo wollen wir die Bestimmung hinnehmen? Dr. Strauß (CDU): Ich stelle den Antrag, daß sie in einem besonderen Absatz des Art. 128a gebracht wird und daß das Oberste Bundesgericht zuständig gemacht wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über diesen Antrag von Dr. Strauß abstimmen. – Der Antrag ist mit 16 Stimmen angenommen. Ich lasse abstimmen über Ziffer 5. Streitigkeiten darüber, ob ein Land bei der Ausführung der Bundesgesetze das Gesetz verletzt hat (Art. 114 Abs. 3); – Ziffer 5 ist gegen 1 Stimme angenommen. Wir kommen zu Ziffer 6. Streitigkeiten über die Vermögensauseinandersetzung aus Anlaß der Neugliederung oder der Änderung des Gebietsbestandes der Länder (Art. 26a) und aus Anlaß der Auseinandersetzung über das Vermögen von Gebietskörperschaften (Art. 143e und 143f); Dr. Dehler (FDP): Art. 143f ist noch nicht beschlossen, sondern zurückgestellt worden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lassen wir das offen. – Ich lasse über Ziffer 6 abstimmen. – Ziffer 6 ist gegen 1 Stimme angenommen. Ich lasse abstimmen über Ziffer 7. über Anklagen gegen den Bundespräsidenten (Art. 85); – Ziffer 7 ist gegen 1 Stimme angenommen. Wir kommen zu Ziffer 7a. über Anklagen gegen Bundesrichter gemäß Art. 133; Dr. Dehler (FDP): Ich bitte, die Frage zurückzustellen, weil wir den Artikel noch nicht beschlossen haben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Gut, dann stellen wir die Ziffer zurück. [S. 276] Wir kommen zu Ziffer 8. über die Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei (Art. 21a Abs. 3); Ich lasse abstimmen – Ziffer 8 ist gegen 1 Stimme angenommen. Ich lasse abstimmen über Ziffer 9. über das Recht, sich auf Grundrechte zu berufen (Art. 20b Abs. 3); – Ziffer 9 ist gegen 1 Stimme angenommen. Ich lasse abstimmen für Ziffer 10. über Beschwerden gegen Beschlüsse des Bundestags, die im Wahlprüfungsverfahren ergehen oder den Verlust der Mitgliedschaft beim Bundestag betreffen (Art. 51).

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– Ziffer 10 ist gegen 1 Stimme angenommen. Dr. Becker (FDP): Wir müssen noch einen Zusatz dahingehend machen, ob die Voraussetzungen der Art. 90a und 90b für die Anwendung des Notverordnungsrechts gegeben sind. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir werden noch auf einige Dinge dieser Art stoßen. Wollen wir das nicht für die zweite Lesung vorbehalten? (Dr. Dehler [FDP]: Das ist eigentlich durch die Ziffer 3 gedeckt.) Der Redaktionsausschuß wird die Frage prüfen und uns einen Vorschlag machen. Dr. Laforet (CSU): Ich möchte nur, um vielleicht unseren Standpunkt zu klären, für den einfachen Bundesgesetzgeber, der in Vollzug des Art. 137a18) sein Gesetz zu Art. 128 erläßt, klarstellen, daß dieser einfache Gesetzgeber völlig freie Entscheidung hat, wieweit er in den einzelnen Fällen reine Juristenkollegienschaft oder wieweit er Beisitzer beizieht. Das wird hier nicht entschieden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das werden wir an einer anderen Stelle zu entscheiden haben. Bei Art. 128 etwa wird das zu besprechen sein. Dr. Laforet (CSU): Ich wollte nur darauf hinweisen, damit es nicht übersehen wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Abs. 2 von Art. 128b lautet: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet ferner in ihm durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen. Man müßte vielleicht sagen: „in den Fällen, die ihm durch Bundesgesetz zugewiesen werden“. Der Redaktionsausschuß wird auch hier das Richtige treffen. Ich lasse über Abs. 2 abstimmen. – Der Abs. 2 ist gegen 1 Stimme angenommen.

[1.4. ART. 128c: GESETZESKRAFT VON ENTSCHEIDUNGEN DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS]

Art. 128c (1) Das Bundesverfassungsgericht kann einstweilige Anordnungen treffen. (2) In den Fällen des Art. 128b Ziffer 3, 3a und 4 haben die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft. Sie sind im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Ich stelle Abs. 1 zur Abstimmung. – Abs. 1 ist gegen 1 Stimme angenommen. (Dr. Becker [FDP]: Wir müssen jetzt sinngemäß in Abs. 2 die Ziffer 4 streichen!) – Wir können sie streichen, die Ziffer ist in Art. 128b gestrichen worden. Dr. von Mangoldt (CDU): Gegenüber Abs. 2 bestehen bei meiner Fraktion schwerwiegende Bedenken. Ich darf hierzu etwas ausführlichere Darlegungen machen, weil die ganze Frage doch von sehr grundsätzlicher Bedeutung ist. Es handelt sich um die Frage der Gesetzeskraft der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bei einer Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze. Es wird sich jedenfalls in vielen Fällen um die Frage handeln, ob ein neu erlassenes Gesetz mit den Grundrechten in Übereinstimmung steht. Hier ist es doch sehr gefährlich diesen Entscheidungen Gesetzeskraft zuzuerkennen. 18)

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„a“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 37.

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Um das klarzumachen, möchte ich auf die großen Erfahrungen hinweisen, die auf dem Gebiet des amerikanischen Verfassungsrechts nach dieser Richtung vorliegen. Ich selbst habe mich – hier darf ich ausnahmsweise auf ein Buch hinweisen, das ich selber darüber geschrieben habe und aus dem ich nur eine Stelle zitieren möchte – jahrelang mit dieser Frage beschäftigt und bin dabei zu dem Resultat gekommen, daß die Regelung der Frage, so wie sie in den Vereinigten Staaten erfolgt ist, für uns vorbildlich sein muß. Es läßt sich das besser an Beispielen klarmachen. Gerade die Rechtsprechung der Vereinigten Staaten hat erreicht, daß es durch die besondere Art der Auslegung, die den Vorschriften der Bundesverfassung gegeben worden ist, nie zu einem Bruch im Verfassungsrecht gekommen ist. Das Oberste Bundesgericht hatte etwa im Jahre 1905 in einem berühmten Fall mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Arbeitszeiteinschränkungen zu tun. Damals hat das Oberste Bundesgericht das Gesetz eines Staates der Vereinigten Staaten, in dem eine Arbeitszeiteinschränkung vorgesehen war, für verfassungswidrig erklärt. In dem Gesetz war die Arbeitszeit in den Bäckereien auf 10 Stunden beschränkt worden. Da hat das Gericht etwa gesagt – man muß einmal kurz darauf hinweisen, um den Wechsel in den Anschauungen klarzulegen –, nach seiner Ansicht sei es nicht möglich, irgendeine Beziehung zwischen der Stundenzahl, die ein Bäcker in der Bäckerei arbeiten müsse, und der gesundheitlichen Qualität des Brotes zu entdecken, das von der betreffenden Bäckerei hergestellt werde. Es folgen weitere Ausführungen darüber, die uns ähnlich wie das soeben Angeführte in unserer Zeit ziemlich unverständlich erscheinen. Damals ist bereits in den dissentierenden Meinungen zum Ausdruck gekommen, daß diese Mehrheitsauffassung des Gerichts doch den in der Gegenwart herrschenden Anschauungen nicht entspreche. Diese dissentierenden Meinungen haben sehr bald zu einem Erfolg geführt, indem nämlich schon im Jahre 1908 Gesetze für verfassungsmäßig erklärt worden sind, in denen für in Fabriken beschäftigte Frauen und Kinder Beschränkungen in der Arbeitszeit vorgesehen waren. Endgültig überholt worden ist diese Rechtsprechung im Jahre 1916. Ich führe das so ausführlich an, um zu zeigen, welche Gefahr darin liegen würde, wenn bei uns die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, daß ein Gesetz verfassungswidrig ist, sofort Gesetzeskraft erhält. Dadurch würde die Entwicklung an der Wurzel abgeschnitten. In der Entscheidung Bunting versus Oregon im Jahre 191719) hat einer der Richter folgendes ausgeführt – ich darf das einmal wörtlich bringen, weil es charakteristisch ist und sehr schön zeigt, wie hier vorgegangen werden muß –: „Der Übergang zu veränderten politischen Grundauffassungen erfolgt gewöhnlich vorsichtig tastend. Diese gewinnen dann aber im gleichen Maße an Festigkeit, wie ihre Annahme fortschreitet. Sie entspringen nicht nach Umfang und Form vollendet zu dem gleichen bestimmten Zeitpunkt dem Gehirn des Gesetzgebers. Es kann notwendig sein, sie den bestehenden Lebensgewohnheiten und Bedingungen gemäß zu gestalten. Indes, in dem Maße, indem sie sich rechtfer19)

Im Fall „Bunting v. Oregon“, Supreme Court of the United States Fall-Nr. 243 U.S. 426 (1917), ging es um die Akzeptanz des 10–Stunden Arbeitstages für Frauen und Männer. Das Urteil ist veröffentlicht in: http://caselaw.lp.findlaw.com/scripts/getcase.pl?navby=CASE&court=US&vol=243&page=426.

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tigen oder nicht, geht ihr Weg vom Kampf zum Triumph oder von bloßer Umstrittenheit zur Vergessenheit.“ Charakteristisch – deshalb hatte ich auch die vorerwähnten Beispiele angeführt – ist dieser Prozeß des Ein- und Ausschlusses, indem man langsam Fall für Fall prüft: ist dieser Satz, der neu aufgestellt ist, vielleicht für eine Teilregelung zu halten, wie zum Beispiel in dem Fall der Arbeiterinnen? So ist denn auch vorgegangen worden. Der gleiche Grundsatz ist in einer späteren Entscheidung für männliche Arbeiter in gesundheitsschädlichen Betrieben für verfassungsmäßig erklärt worden. Ich könnte hier andere Beispiele anführen, weil man entgegnen könnte: das dauert ja zu lange. Ich könnte Beispiele anführen, die zeigen, daß diese Entwicklung im Durchschnitt sich in etwa sechs Jahren [S. 277] abgespielt hat. Ich habe in dem Buch eine ganze Reihe anderer Beispiele dafür gebracht. Es heißt gerade in einer der charakteristischen Entscheidungen, es sei ein besonderer Vorzug des amerikanischen Rechtssystems, daß das Verfahren des Ein- und Ausschlusses, das so oft bei der Entwicklung einer Regel angewandt werde, nicht mit ihrer Aufstellung beendet sei, sondern jeder Teil der Ausführungen in den Gründen einer Entscheidung später gegebenenfalls der Wucht unvorhergesehener Tatsachen zu weichen habe. Man würde jetzt vielleicht noch einwenden können: aber diese Entscheidung eines obersten Gerichts ist für die unteren Gerichte doch als bindend anzuerkennen, etwa in dem Sinne, in dem das auch beim Reichsgericht galt, daß man sagte, von den Entscheidungen oberer Gerichte soll nur im Notfall abgewichen werden. Hier ist bei den Amerikanern und diese Entwicklung würde ich auch in Deutschland wünschen – die Kunst des Distinguierens besonders ausgebildet worden. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob ich sage, ein Satz, der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellt ist, hat Gesetzeskraft, oder ob ich sage, von diesem Satz soll im allgemeinen von den unteren Gerichten nicht abgewichen werden. Denn man kann im letzteren Fall in rechter Anwendung der Kunst des Distinguierens bei den unteren Gerichten feststellen, daß hier ein anderer Fall vorliegt. So gehen die Amerikaner vor. Sie haben diese Kunst sehr fein entwickelt. Sie sagen: Gewiß, diesen Rechtssatz hat das oberste Gericht aufgestellt – die Bindung an den Spruch des Obergerichts ist ja in den Vereinigten Staaten eine viel stärkere als bei uns –, aber der zugrunde liegende Fall ist anders; deshalb entscheiden wir anders. So etwas hat es bei uns nicht in ähnlichem Maße gegeben. Trotz Bindung an die Rechtsprechung der höheren Gerichte gibt es also die Möglichkeit der Fortentwicklung in den Vereinigten Staaten, weil eben diese Kunst des Distinguierens ausgebildet worden ist. Gerade weil wir in Deutschland so stark zur Dogmatik neigen, würde ich es für besonders erwünscht halten, daß wir nicht den Weg des Ausspruchs der Gesetzeskraft einer solchen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gehen. Meine Fraktion beantragt also, den Abs. 2 in dem Art. 128c zu streichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde es vorziehen, den Abs. 2 des Art. 128c aufrechtzuerhalten. Ich glaube, daß die amerikanischen Verhältnisse hier nicht mit den unseren verglichen werden können. Im amerikanischen Recht ist es doch so, daß die Gerichte selber die Rechtsquellen für die Gerichte sind. Das commonlaw, das gemeine Recht, setzt sich im Grunde aus Vorentscheidungen von Gerichten zusammen. Wenn also ein amerikanisches Obergericht, wie in diesem Falle, eine Ent-

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scheidung fällt, so hat sie praktisch Gesetzeskraft. Das heißt, die Gerichte, die nach dem Erlaß dieser Entscheidung Recht sprechen, müssen die in dem Urteil entwikkelten Sätze ihrer Entscheidung zugrunde legen. In Amerika wäre es also nicht nötig, eine Bestimmung dieser Art zu erlassen. Bei uns aber wird doch an dem Satz festgehalten, daß die Entscheidung eines Gerichts – mag dieses Gericht noch so hoch stehen – nur zwischen den beiden Parteien wirkt, die vor diesem Gericht streiten. Es kann also trotz Vorliegens einer Vorentscheidung jedes andere Gericht anders entscheiden, wenn es glaubt, anders entscheiden zu müssen. Nun scheint es mir doch mit die Aufgabe eines Verfassungsgerichtshofs zu sein, bestimmte Fragen für alle Gerichte verbindlich, endgültig und einmalig zu klären. Die Kunst des Distinguierens, von der Sie mit Recht gesprochen haben, kann dann unser Verfassungsgericht anwenden – wenn es nämlich bei einem späteren Fall feststellt, daß dieser Fall doch ein wenig anders liegt als der Fall, den es jüngst entschieden hat – und kann dann sein Urteil anders fällen als beim ersten Mal. In diesem Falle würde ein Fall des Lex posterior derogat legi anteriori Platz greifen. Für die Gerichte würde die neue Entscheidung verbindlich sein. Ich glaube kaum, daß wir damit auskommen werden, uns darauf zu verlassen, daß sich die Anpassung an die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts notwendig ergeben wird, so daß wir diese Bestimmung nicht brauchten.20) Es kann sein. Ich fürchte aber auf Grund einiger Ereignisse der letzten zwei oder drei Jahrzehnte doch, daß es anders sein könnte. Die Originalitätssucht der deutschen Gerichte ist sehr groß. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf nur auf den doch sehr wesentlichen Unterschied gegenüber dem amerikanischen Recht hinweisen. Bei uns neigt man stärker zur Dogmatik, ist in dem ganzen Gerichtswesen nicht derartig auf den praktischen Fall eingestellt, wie es in den Vereinigten Staaten der Fall ist. Bei uns liegt also die Gefahr sehr viel näher, daß bei einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein abstrakter Satz herausgestellt wird, der nun, ohne daß man richtig distinguiert, auch auf Fälle angewendet wird, auf die er der Besonderheit des Falles wegen nicht anwendbar sein sollte. Die Folge davon ist, daß in sehr vielen Fällen bei den unteren Gerichten keine Zweifel auftauchen werden und daß sich gerade das nicht ereignen kann, was Herr Kollege Schmid soeben angeführt hat, daß die Frage beim Bundesverfassungsgericht überhaupt noch einmal zur Verhandlung kommt. Die langsame Umgestaltung der Verhältnisse, die nach amerikanischem Recht möglich ist, wird bei uns abgeschnitten, weil die Entwicklung nicht so sprungartig vorgeht, daß beim nächsten Fall wirklich ein wesentlicher Unterschied feststellbar sein wird. Unsere Gerichte werden dazu neigen zu sagen, durch diesen abstrakten Satz ist die Sache entschieden, infolgedessen kann die Sache gar nicht noch einmal

20)

Statt „Für die Gerichte würde die neue Entscheidung auskommen werden, uns darauf zu verlassen, daß sich verbindlich sein. Ich glaube kaum, daß wir damit die Anpassung an die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts notwendigerweise ergeben wird, so daß wir diese Bestimmung nicht brauchten.“ im stenograph. Wortprot., S. 43 f.: „Für die Gerichte würde die neue Entscheidung verbindlich sein. Ich glaube kaum, daß wir damit auskommen werden, uns darauf zu verlassen, daß sich die Anpassung an die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts notwendig ergeben wird, so daß wir diese Bestimmung nicht brauchten.“

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beim Bundesverfassungsgericht entschieden werden. Das sind die Hauptgründe, die ich nochmals für diesen Vorschlag meiner Fraktion anzuführen habe. Zinn (SPD): Meines Erachtens muß man, wenn man dieses Problem betrachten will, zwei Fälle unterscheiden. Der erste Fall ist der Fall der Kollision von Recht mit dem Grundrechtsteil der Verfassung. Der zweite Fall wäre der Fall der Kollision von Recht mit anderem Verfassungsrecht oder meinetwegen von Landesrecht mit Bundesrecht. Das gesamte Problem ist meines Erachtens, wie Herr Kollege Schmid schon mit Recht ausgeführt hat, deshalb etwas anders zu betrachten, weil bei uns die Rechtsquellen im wesentlichen auf gesetztem Recht beruhen, während sie im anglikanischen Recht im wesentlichen common law, also Gewohnheitsrecht sind, das durch die Rechtspraxis entstanden ist, und weil es im anglikanischen Recht die binding authority der oberen Gerichte gibt, einen Grundsatz, den unser Verfahrensrecht nicht kennt. Das Problem läßt sich aber für uns glatt lösen. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht an seine eigenen früheren Entscheidungen gebunden. Wenn das Bundesverfassungsgericht einen Fall zu entscheiden hat, in dem es sich um die Kollision von Grundrechten mit einem Bundes- oder Landesgesetz handelt, hat nach unserer Vorlage diese Entscheidung Gesetzeskraft, also die Bedeutung, daß das Gesetz als aufgehoben anzusehen ist. Nun kann der Gesetzgeber durchaus ein gleiches oder ähnliches Gesetz wieder einbringen, und es kann dieser Streit aus Anlaß dieser Neueinbringung oder Beschlußfassung erneut aufgerollt werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jetzt von seiner früheren Entscheidung abweichen, so daß die Fortentwicklung des Rechts keineswegs gehemmt ist. Auf diese Weise glaube ich, daß das aufgeworfene Problem praktisch auch bei uns gelöst werden kann. Es sind früher keine Schwierigkeiten entstanden, insbesondere nicht bei der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs. Das gleiche gilt, soweit ich die Länderverfassungen, die heute gelten, im Auge habe, auch für gleichliegende Entscheidungen der Staatsgerichtshöfe der Länder. Ich glaube, daß tatsächlich den Bedenken, die Herr Kollege von Mangoldt hat, Rechnung getragen werden kann. Dr. Greve (SPD): Ich bitte, die Beratung und Beschlußfassung über den Artikel auszusetzen und uns Gelegenheit zu geben, uns mit den Gründen zu befassen, die Herr Kollege von Mangoldt vorgebracht hat. [S. 278] Vors. Dr. Schmid (SPD): Besteht Einverständnis? – Dann stellen wir die Beschlußfassung über Art. 128c Abs. 2 zurück.

[1.5. ART. 128d: RICHTER DES OBERSTEN BUNDESGERICHTS]

Art. 128d (1) Die Richter des Obersten Bundesgerichts müssen das 40. Lebensjahr vollendet haben und die Befähigung zum Richteramt besitzen. (2) Sie werden auf Vorschlag des Bundesjustizministers von einem Richterwahlausschuß auf Lebenszeit gewählt, der aus den Landesjustizministern sowie einer gleichen Anzahl von Mitgliedern des Bundestags besteht. Zu Abs. 2 liegt ein Abänderungsantrag Dr. Dehler vor, der lautet:

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Sie werden aus Richtern der oberen Bundesgerichte auf Vorschlag des Bundesjustzministers von der Bundesregierung auf eine im voraus bestimmte Zeit von mindestens jeweils fünf Jahren berufen. Dr. Dehler (FDP): Die Begründung ergibt sich aus unserer Vorstellung von diesem Obersten Bundesgericht, wie sie Herr Kollege Becker vorgetragen hat. Zinn (SPD): Wir waren uns im Ausschuß darüber einig, die Frage offenzulassen, ob das Oberste Bundesgericht mit hauptamtlichen, beim Obersten Bundesgericht bestellten Richtern besetzt werden soll oder nur mit Richtern auf Zeit, die hauptamtlich bei anderen Bundesgerichten angestellt sind. Deshalb ist der ursprünglich vorgesehene Abs. 4, die Richter auf Zeit oder Lebenszeit zu wählen, entfallen. Es sind aber versehentlich die Worte „auf Lebenszeit“ in Abs. 2 hineingekommen; sie müssen gestrichen werden. Dr. Strauß (CDU): Ich stimme Herrn Kollegen Zinn zu. Wir haben bewußt in Art. 128a die nähere Gestaltung des Obersten Bundesgerichts offengelassen, weil hier verschiedene Meinungen vorhanden sind, die beim Ausführungsgesetz ausgetragen werden müssen. Darum müssen wir konsequent sein und hier auch die Frage offenlassen. Ich für meine Person schließe mich also dieser Auffassung an und bin für die Streichung der beiden Worte „auf Lebenszeit“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Antrag Dr. Dehler ist insofern anders als die Vorlage, als es sich um Personen handeln muß, die schon Richter der oberen Bundesgerichte sind, und als die Ernennung durch die Bundesregierung auf Vorschlag des Bundesjustizministers erfolgt und die Richter nicht, wie in dem Vorschlag des Ausschusses, von einem Richterwahlausschuß gewählt werden, dem der Bundesjustizminister die Kandidaten vorschlägt, einem Richterwahlausschuß, der aus den Landesjustizministern sowie einer gleichen Anzahl von Mitgliedern des Bundestags bestehen soll. Das ist etwas völlig anderes. Dr. Becker (FDP): Unsere Auffassung vom Obersten Bundesgericht ist die, die ich vorhin ausgeführt habe, nämlich, daß es nur eine Art vereinigter Zivilsenate sein soll. Also die Delegierung an diesen obersten Gerichtshof ist nichts anderes als eine besondere Art der Geschäftsverteilung, wenn ich so sagen soll. Hier brauchen wir kein großes förmliches Verfahren. Wir wollen gerade durch diese Formulierung festlegen, daß keine besondere Ernennung eines Richters in diesen Gerichtshof auf Lebenszeit erfolgt, sondern daß er aus den zu schaffenden oberen Bundesgerichten auf eine bestimmte Frist entnommen wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Abs. 1 von Art. 128 d abstimmen. – Abs. 1 ist angenommen. Wir kommen zu Abs. 2. Dr. Strauß (CDU): Für die Abstimmung möchte ich klarstellen, der Antrag von Herrn Dr. Dehler lehnt die Möglichkeit ab, das Oberste Bundesgericht als eine eigene Körperschaft entstehen zu lassen. Es handelt sich um die Frage, die wir im Ausschuß bewußt offenlassen und dem einfachen Bundesgesetzgeber vorbehalten wollten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich stelle den Antrag Dr. Dehler zur Abstimmung. – Der Antrag Dr. Dehler ist mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Dr. Becker (FDP): Jetzt ist die Streichung der Worte „auf Lebenszeit“ sinnwidrig; denn wenn jetzt durch die Beschlußfassung festgestellt werden soll, daß es sich

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um eine besondere Körperschaft handelt, dann werden die Richter auf Lebenszeit gewählt werden müssen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wird ja dem Gesetz überlassen zu bestimmen, auf welche Zeit die Richter gewählt werden. Dr. Laforet (CSU): Dann stelle ich den Antrag, an Stelle der Ausschußfassung zu sagen: Sie werden auf Vorschlag des Bundesjustizministers von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats berufen. Ihre Ernennung vollzieht der Bundespräsident. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß das Wort „Richterwahlausschuß“ in der Ausschußvorlage zum ersten Mal vorkommt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wird auch erläutert, was das sein soll. Dr. Laforet (CSU): Es wird nicht erläutert. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es heißt dort: „der aus den Landesjustizministern sowie einer gleichen Zahl von Mitgliedern des Bundestags besteht“. Ich lasse über den Antrag Dr. Laforet abstimmen. – Der Antrag ist mit 10 gegen 10 Stimmen abgelehnt. Herr Dr. Strauß hat sich der Stimme enthalten. Dann lasse ich über den Abs. 2 von Art. 128d in der Fassung des Ausschusses abstimmen. Die Worte „auf Lebenszeit“ sind darin gestrichen. – Die Ausschußfassung ist mit 10 gegen 10 Stimmen abgelehnt.

[1.6. ART. 128e: MITGLIEDER DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS]

Art. 128e (1) Das Bundesverfassungsgericht besteht aus Mitgliedern des Obersten Bundesgerichts, der oberen Bundesgerichte sowie aus Beisitzern. (2) Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts werden je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt. (3) Das Bundesverfassungsgericht wählt seinen Präsidenten und die Vorsitzenden der Senate aus seiner Mitte; sie müssen die Befähigung zum Richteramt haben. (4) Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts dürfen weder dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes angehören. Dr. Strauß (CDU): Ich stelle namens der CDU/CSU-Fraktion den Ergänzungsantrag, in Abs. 1 als Satz 2 einzufügen: Bei der Entscheidung darf die Zahl der Beisitzer mit Ausnahme bei der Anklage gegen den Bundespräsidenten (Art. 85) die Zahl der richterlichen Mitglieder höchstens um einen übersteigen. Dr. Menzel (SPD): Ich stelle den Antrag, in Abs. 2 hinzuzufügen: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet durch Senate in einer Besetzung von vier richterlichen und fünf nichtrichterlichen Mitgliedern. (Dr. Strauß [CDU]: Aber bei der Anklage gegen den Bundespräsidenten?) – Wollen wir es nicht einheitlich machen? Dr. Strauß (CDU): Ich weiß nicht, ob bei dieser hochpolitischen Frage, die viel-

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leicht nie vorkommt, das Laienelement sehr stark überwiegen muß. Ich weiß nicht, wie man darüber denkt. [S. 279] Vors. Dr. Schmid (SPD): Man sollte dieses Gericht in einheitlicher Besetzung auftreten lassen; für alle Sachen sollte das gleiche Quorum gelten, nicht für diesen Fall eines von 9 und für den anderen Fall meinetwegen eines von 15 Richtern. Dr. Strauß (CDU): Ich glaube, wir könnten uns sonst dem Antrag Dr. Menzel anschließen. Schönfelder (SPD): Ich möchte vorschlagen, statt „aus Mitgliedern“ zu sagen „aus Richtern“. Richter und Beisitzer bilden dann Mitglieder des Gerichts. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wird vorgeschlagen zu sagen: Das Bundesverfassungsgericht besteht aus Richtern des Obersten Bundesgerichts, der oberen Bundesgerichte sowie aus Beisitzern. Dann lasse ich über diese Fassung abstimmen. – Diese Fassung ist gegen 1 Stimme angenommen. Ich lasse über Abs. 2 abstimmen. – Abs. 2 ist angenommen. Jetzt haben wir noch über den Vorschlag des Kollegen Dr. Menzel zu Abs. 2 abzustimmen. Dr. Strauß (CDU): Auf den ersten Blick erscheint mir diese Lösung bestechend. Ich entsinne mich aber, daß in gewissen Fällen der Staatsgerichtshof noch aus Berufsrichtern bestand. Ich habe es nicht im Kopf, welche Einzelfälle es waren. Aber es war wahrscheinlich eine wohlüberlegte Lösung. Ich möchte anregen, die Abstimmung hierüber zurückzustellen, damit wir das überdenken können. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, die Sache zurückzustellen. Ich lasse hierüber abstimmen. – Die Zurückstellung ist beschlossen. Wir kommen zu Abs. 3. Kaufmann (CDU): Ich halte es nicht für richtig, daß hier eine solche Wahl stattfindet, und schlage namens meiner Fraktion vor, daß die Ernennung des Präsidenten und der Vorsitzenden der Senate des Bundesverfassungsgerichts nach Vorschlägen des Bundesverfassungsgerichts durch den Bundespräsidenten erfolgt. „Vorschläge“ soll dabei bedeuten, daß in einer ähnlichen Form, wie es jetzt für das Obergericht gegenüber den Militärregierungen erfolgt ist, etwa die dreifache Zahl benannt wird und daraus dann seitens des Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung die Wahl erfolgt, aber nicht durch ein Wahlgremium innerhalb des Bundesverfassungsgerichts selber. Dr. Menzel (SPD): Wir schließen uns diesen Bedenken an und schlagen vor, Abs. 3 wie folgt zu fassen: Aus den vom Bundestag und vom Bundesrat gewählten Richtern ernennt der Bundespräsident auf Vorschlag der Bundesregierung den Präsidenten und die Vorsitzenden der Senate. Kaufmann (CDU): Einverstanden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag Dr. Menzel abstimmen. – Der Antrag ist gegen 1 Stimme angenommen. Dr. von Mangoldt (CDU): Bleibt der letzte Halbsatz aufrechterhalten? Vors. Dr. Schmid (SPD): Der letzte Halbsatz lautet: „sie müssen die Befähigung zum Richteramt haben.“ (Zuruf: Das muß bleiben!)

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– Ich stelle Einverständnis fest. Dann lasse ich über Abs. 4 abstimmen. – Abs. 4 ist angenommen. Der Hauptausschuß vertagt sich auf Donnerstag, den 9. Dezember 1948, 10 Uhr. Schluß der Sitzung 20 Uhr.

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Nr. 24 Vierundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 9. Dezember 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 281–294. PA 2004. Ungez. von Herrgesell gefertigtes stenograph. Wortprot.

Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 483 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: de Chapeaurouge, Fecht, Kaufmann, Laforet, von Mangoldt, Strauß, Süsterhenn, Walter, SPD: Greve, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wolff, Zimmermann FDP: Becker, Dehler DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Wessel Abgeordnete ohne Stimmrecht: Eberhard (SPD), Katz (SPD), Löwenthal (SPD), Selbert (SPD) Stenographischer Dienst: Herrgesell Dauer: 11.393)–13.11 Uhr

[1. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT XII: GERICHTSBARKEIT UND RECHTSPFLEGE] [1.1. ART. 129: WEITERE OBERSTE BUNDESGERICHTE]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe auf4) Art. 129 (1) Zur Entscheidung über die Anwendung von Bundesrecht können für das Gebiet der ordentlichen, der Arbeits-, der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit obere Bundesgerichte errichtet werden. (2) Auf die Richter der oberen Bundesgerichte findet Art. 128d Abs. 1 und 2 Anwendung.

1)

Protokollführer Strätling. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Ausweislich des stenograph. Wortprot., S. 1, begann die Sitzung um 11.39 Uhr, dem Kurzprot. zufolge um 11.40 Uhr sowie der Druckausgabe zufolge um 10.39 Uhr. 4) Schmid folgte hier – wie bereits in der 23. Sitzung des HptA – den Artikelentwürfen des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege auf Drucks. Nr. 353 vom 7. Dez. 1948 ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 59, S. 1486–1490. 2)

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(3) Der Bund kann für Dienststrafverfahren gegen Bundesbeamte Bundesdienststrafgerichte durch Bundesgesetz errichten. (4) Über die vorläufige und endgültige Anstellung der Richter der Bundesgerichte im Sinne des Abs. 3 entscheidet der Bundesjustizminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß. Schönfelder (SPD): Ich beantrage, in Abs. 1 statt „können errichtet werden“ zu sagen: „. . . werden für das Gebiet der ordentlichen, der Arbeits-, der Verwaltungsund Finanzgerichtsbarkeit obere Bundesgerichte errichtet“. Dadurch soll erreicht werden, daß in jedem Falle auch ein zentrales Arbeitsgericht errichtet wird. Es ist wohl kaum damit zu rechnen, daß es für die ordentliche, für die Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit Schwierigkeiten geben wird. Es hat sich aber immer wieder gezeigt, daß Bedenken bestehen, ein zentrales Arbeitsgericht einzurichten. Die Gewerkschaften legen darauf sehr großen Wert. Sie haben seit Jahrzehnten darauf hingearbeitet und haben später ein Reichsarbeitsgericht erreicht. Ich möchte hier unter allen Umständen sichergestellt wissen, daß auch ein Arbeitsgericht errichtet wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich darf zunächst den Antrag Dr. Becker, Dr. Dehler zu Abs. 1 verlesen: Zur Entscheidung über die Anwendung von Bundesrecht sind für das Gebiet der ordentlichen, der Arbeits-, der Finanz- und der Sozialgerichtsbarkeit eines oder – getrennt nach den genannten Sachgebieten – mehrere obere Bundesgerichte zu errichten. Für das Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit kann ein oberes Bundesgericht geschaffen werden. Dr. Becker (FDP): Zur Begründung darf ich darauf hinweisen, daß dieser Antrag in der Linie unserer Ausführungen von gestern liegt. Wir wollen nicht – und ich glaube, daß der Antrag, den der Herr Kollege Schönfelder soeben verlesen hat, auf der gleichen Linie liegt – die bisherige dritte Instanz beseitigt wissen, sondern wollen sie im Gegenteil aufrechterhalten wissen. Die Einzelheiten mag später eine Reform der Prozeßordnung bringen. Deshalb das Wort „sind“. Wir wollen ferner den Weg für die Entscheidung der Frage nicht verbauen, ob künftig einmal die oberen Bundesgerichte zusammengelegt werden können oder nicht. Daher lassen wir es auch für die Zukunft offen, ob getrennt nach Sachgebieten oder zusammen. Hinsichtlich der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist das „kann“ aus der Ausschußvorlage geblieben. Ich glaube, mit diesem „kann“ wird eine allseitige Zustimmung zu diesem Antrag erleichtert. Außerdem wäre dieses obere Bundesgericht auf dem Gebiet der Verwaltungsgesetzgebung zur Zeit, wenn es geschaffen werden würde, die berühmte Dame ohne Unterleib auf dem Jahrmarkt, weil das Bundesverwaltungs-Gerichtsverfahrensgesetz und die Bundesverwaltungs-Gerichtsverfahrensordnung zunächst fehlen und sich erst aus dem Aufbau dieser neuen Gesetze ergeben wird, in welchem Zusammenhang ein Bundesverwaltungsgericht praktisch funktionieren wird. Deshalb glaube ich, daß hier das „kann“ genügt. Diese Formulierung versperrt keinen Weg und läßt alle Wege offen, sichert aber im Interesse der Rechtseinheit die Aufrechterhaltung des bisherigen Reichsgerichts und der sonstigen reichsgerichtlichen Spitzen auf dem Gebiet der Finanzgerichtsbarkeit, der Sozialgerichtsbarkeit, der Arbeitsgerichtsbarkeit usw.

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Dr. Laforet (CSU): Die Weimarer Verfassung hat ein Reichsverwaltungsgericht vorgesehen5). Erst in der Nazizeit ist es wenigstens notdürftig gelungen, ein Reichsverwaltungsgericht zu schaffen. Es ist bestechend zu sagen, daß ebenso wie im bürgerlichen Recht eine einheitliche Zusammenfassung auch im Verwaltungsrecht möglich sein muß. Das ist aber nicht zutreffend. Unser Verwaltungsrecht nimmt eine ganz besondere Stellung auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ein. Hier herrscht das Offizialprinzip. Es sind die Belange der Allgemeinheit in jedem einzelnen Falle – von verschwindenden Ausnahmen rein subjektiver Ansprüche abgesehen – mit entscheidend und von dem Verwaltungsgericht mit zu würdigen. Die ganze Materie nimmt in unserem Rechtsbau eine ganz andere Stellung als das Zivilrecht ein. Dazu kommt folgendes. Wir sind in der Bemessung der Zuständigkeit des Bundes sehr weit gegangen, weil wir der Anschauung waren, daß eine Vorranggesetzgebung bestehen muß, wo immer dem Bund die einheitliche Regelung zuerkannt werden muß. Der Begriff des Bundesrechts geht deshalb sehr weit. Auf der anderen Seite ist von diesem Ausschuß schon ausdrücklich angenommen, daß die Länder, soweit sie die Bundesgesetze vollziehen, das Verwaltungsverfahren, also auch das verwaltundsgerichtliche Verfahren, regeln. Wenn heute die Möglichkeit besteht, ein Reichsverwaltungsgericht zu errichten, so kann das – wir können hier den einfachen Gesetzgeber nicht binden –, schlechthin auf alles erstreckt werden, was die Anwendung von Bundesrecht betrifft. Dann werden die Verwaltungsgerichtshöfe, wie wir sie insbesondere in den süddeutschen Ländern in Baden, Württemberg und Bayern, haben, tatsächlich aufgehoben. Sie werden in ihrer Bedeutung auf ein Mindestmaß zurückgedrückt, nämlich auf das Wenige, was in der Gesetzgebung heute noch Länderrecht ist. Ich glaube den Herren, die heute hier zur Sache Stellung nehmen, daß sie nicht die Absicht haben, dieses Ziel zu erreichen. Aber sie geben dazu die rechtliche Grundlage und werden wieder ein wesentliches Stück der Hoheit der Gliedstaaten aufheben. Ich möchte Sie deshalb bitten, einen Weg zu ermöglichen, der uns die Gewißheit gibt, daß unsere [S. 282] bewährte Einrichtung der Verwaltungsgerichtshöfe mit ihrer Erstreckung auf das gesamte Bundesrecht, soweit die Länderbehörden das Bundesrecht zu vollziehen haben, aufrechterhalten wird. Soweit Bundesbehörden die Bundesgesetze vollziehen, wird es notwendig sein, eine Spitze in einem Reichsverwaltungsgericht zu schaffen. Die Linie ist in dem Reich der Bismarckschen Zeit so gezogen worden, daß sie allgemeine Bestimmung gefunden hat. Soweit das Recht der öffentlichen Fürsorge in Frage steht, muß, wenn Fürsorgeverbände mehrerer Länder beteiligt sind, ein Reichsverwaltungsgericht die Spitze darstellen, wie es früher das Bundesamt für das Heimatwesen6) war. Ich bin weiter der Meinung, 5)

Vgl. Art. 31 und 166 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919; RGBl. S. 1389 und 1419. 6) Das Bundesamt für das Heimatwesen war eine Einrichtung im Deutschen Kaiserreich und dem Reichsamt des Innern unterstellt: Dieses Bundesamt war für das gesamte Bundesgebiet, mit Ausnahme von Bayern und Elsaß-Lothringen, letzte Instanz in Streitigkeiten zwischen Armenverbänden über die öffentliche Unterstützung Hilfsbedürftiger, sofern die streitenden Armenverbände verschiedenen Bundesstaaten angehörten und nicht die Organisation oder örtliche Abgrenzung der Armenverbände Gegenstand des

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daß ein Reichsversicherungsamt unerläßlich ist, wie es in der Entstehung unserer Sozialversicherung aufgebaut worden ist, also ein besonderes Bundesverwaltungsgericht für die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung und das eng damit zusammenhängende Recht der Versorgung von Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen. Um Ihnen einen Begriff von der Schwierigkeit zu geben, darf ich nur darauf hinweisen, daß Bundesrecht und Landesrecht im tatsächlichen Verlauf der Dinge des Lebens völlig ineinander übergehen. Wenn die Möglichkeit gegeben wird, einen Teil des Rechts an ein Bundesverwaltungsgericht zu übertragen, wird die Praxis Schwierigkeiten bekommen, wie sie schlimmer nicht gedacht werden können. Nehmen Sie heute den Bau einer Wasserkraftanlage, so sind die baupolizeiliche und die wasserpolizeiliche Seite Landesrecht, während die gewerbepolizeiliche Seite Bundesrecht ist. Dann müssen diese Fragen von zwei höchsten Gerichten getrennt entschieden werden. Das ist ein Zustand, der untragbar ist. Dagegen bin ich der Meinung, daß zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Auslegung aller Rechtsnormen und insbesondere der Einheitlichkeit der Auslegung aller Bundesgesetze die Verwaltungsgerichtshöfe der Länder an die Entscheidung eines höchsten Bundesgerichts gebunden werden müssen, wenn das untere Verwaltungsgericht, das Verwaltungsgericht eines Landes, von der Entscheidung eines höchsten Bundesgerichts oder der grundsätzlichen Entscheidung eines anderen Verwaltungsgerichts abweichen will. Auch hier soll in keiner Weise verhindert werden, daß der einfache Gesetzgeber eine Spruchstelle zur Entscheidung von Rechtsfragen vorsieht, die einheitlich für das ganze Bundesgebiet entschieden werden müssen. Zu der letzteren Frage ist hier noch abschließend Stellung zu nehmen. Ich habe ausdrücklich erklärt, daß ich mit einer solchen Regelung im künftigen Bundesgesetz durchaus einverstanden bin. Die Frage darf nicht mit der bedeutsamen Frage des höchsten Arbeitsgerichtshofs im Gegensatz zu dem ordentlichen Gerichtshof belastet werden. Es ist deshalb grundsätzlich richtig, was in dem Antrag der FDP zum Ausdruck kommt, die ersteren Gebiete von der anderen Frage der Verwaltungsgerichtsbarkeit ausdrücklich zu scheiden. Denn es sind Erwägungen ganz verschiedener Art, die für das eine oder andere anzustellen sind. Endlich mache ich Sie darauf aufmerksam, daß Sie über die Finanzgerichtsbarkeit bereits bei den Bestimmungen über das Finanzwesen entschieden und dort den Reichsfinanzhof vorgesehen haben. Sie haben auch bestimmt, wer die Richter des Reichsfinanzhofs zu berufen hat, wie die Richter ihre Tätigkeit zu beginnen haben. Die letztere Frage wird dem Redaktionsausschuß zu überlassen sein, der diese Bestimmungen mit den Bestimmungen über das Abgabewesen in Einklang zu bringen hat. Ich halte mich im Interesse eines Ausgleichs zwischen Bund und Ländern und in dem Gefühl, daß unsere süddeutschen Verwaltungsgerichtshöfe in langen Jahrzehnten eine Rechtsprechung ausgeübt haben, die auch von allen Richtungen Streites waren. Auch konnten dem Bundesamt landesgesetzlich die Entscheidung letzter Instanz bei Streitigkeiten zwischen Armenverbänden desselben Bundesstaates übertragen werden.

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anerkannt worden ist, für verpflichtet, auf die Tragweite der Angelegenheit hinzuweisen und Sie zu bitten, den von mir gemachten Vorschlag anzunehmen. Dr. Strauß (CDU): Zu Art. 129 Abs. 2 liegen nunmehr vier Anträge vor, die die Möglichkeit in sich zu bergen scheinen, daß sich aus ihnen noch weitere Anträge entwickeln. Ich möchte daher gerade auch um der zukünftigen Beurteilung der Entscheidung willen, die wir später fällen werden, über die Bedeutung dieser vier Variationen etwas sagen. Der Art. 129 Abs. 1 in der Fassung der Drucksache7) gibt mit einer in diesem Zusammenhang nicht interessierenden Änderung wörtlich die Fassung des Herrenchiemseer Entwurfs wieder8). Die Fassung, die sagt: es können, aber es müssen nicht, bestimmte obere Bundesgerichte errichtet werden, überläßt es dem einfachen Bundesgesetzgeber zu entscheiden, welche oberen Bundesgerichte zu schaffen sind. Wir haben mit gutem Grund nach langen und sehr sachlichen Erörterungen im Ausschuß und in dem kleinen Redaktionsausschuß, der diesen Abschnitt neu formuliert hat, erwogen, daß das das Zweckmäßigste ist, und zwar aus folgendem Grunde. Wir wollen es bewußt – weil wir hier in Bonn dazu nicht die Möglichkeit haben – den künftigen Auseinandersetzungen überlassen, welche Gestalt und welche Aufgaben das Oberste Bundesgericht haben soll. Wir wollten bewußt – das war jedenfalls im Ausschuß die übereinstimmende Meinung – diese Entscheidung, an der sich Wissenschaft, Gerichte, Rechtsanwälte und die gesamte Öffentlichkeit im Vorbereitungsstadium beteiligen werden, nicht präjudizieren. Wir wollten insbesondere die Fragen, ob wir unter dem Obersten Bundesgericht entsprechend der bisherigen Übung ein Reichsgericht alter Art oder aber anderer Art haben wollen, offenlassen und einer sorgfältigen Prüfung überlassen. Wir wollten einer späteren Zukunft auch die Frage überlassen – das war namentlich ein Wunsch von dem Herrn Kollegen Zinn und mir –, ob man nicht späterhin, wenn eine entsprechende Qualität von Richtern herangebildet ist, zu einer gewissen organisatorischen Vereinigung von ordentlicher und Verwaltungsgerichtsbarkeit auch in der Spitze kommen kann. Wir wollten diese Dinge nicht festlegen. Wir wollten dem Bundesgesetzgeber alle Möglichkeiten offenlassen, aber auf ihn keinen Zwang ausüben. Dieser Gedanke kommt in der Fassung des Abs. 1 der Ausschußvorlage klar zum Ausdruck. Der Antrag Dr. Laforet wandelt diese Fassung nur in einer Hinsicht ab, nämlich hinsichtlich der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Gründe hat Herr Dr. Laforet angeführt. Die dritte Fassung, die heute von den Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion eingebracht worden ist, bedeutet eine entscheidende Änderung dessen, was uns ursprünglich vorgeschwebt hat, indem aus der Kann-Vorschrift eine Muß-Vorschrift gemacht wird. Das bedeutet zweierlei. Einmal ist damit endgültig entschieden, daß auch die ordentliche, die Arbeits-, die Verwaltungs- und die Finanzgerichtsbarkeit in einer obersten Spitze unterhalb des Obersten Bundesgerichts zusammengefaßt werden. Es ist zum zweiten aber auch entschieden, daß mindestens 7) 8)

Zur Drucks. Nr. 353 vgl. oben S. 705, Anm. 4. Für den Wortlaut des Berichts über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 504–630, hier S. 610.

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auf diesen vier Gebieten für alle Zukunft – zumindest, solange kein verfassungsänderndes Gesetz ergeht – getrennte Gerichte bestehen sollen. Sie entscheiden damit präjudiziell die Frage, die wir einer künftigen, gewiß sorgfältigen und eine gewisse Zeit in Anspruch nehmenden Überlegung und Debatte überlassen sollten. Sie erschweren damit auch die Lösung der Frage der sogenannten Justizreform. Es ist den meisten von Ihnen bekannt, daß wir seit nunmehr etwas über 40 Jahren über eine nicht nur oberflächliche Justizreform schreiben und noch mehr sprechen und daß in diesen 40 Jahren, die bisher drei verfassungsrechtliche Stadien des deutschen Volkes gesehen haben, nichts Entscheidendes geschehen ist. Wir haben die Hoffnung – ob sie sich erfüllt, wird an uns liegen –, daß diese Frage in den nächsten Jahren mit aller Entschiedenheit und unter Berücksichtigung der politischen und gesellschaftlichen Lage, in der wir uns befinden, vorwärtsgetrieben wird. Auch hier würden Sie ein gewisses Präjudiz schaffen, wenn Sie die Kann-Vorschrift durch eine Muß-Vorschrift ersetzen. Sie werden es uns daher nicht verübeln, wenn wir uns diesem Antrag nicht anzuschließen vermögen. [S. 283] Der Antrag der FDP9) ist ein Kompromißvorschlag zwischen dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion und dem Vorschlag von Dr. Laforet. Er stellt sich aber auch auf den Boden, die Dinge für künftig zu präjudizieren. Das ist das gute Recht jeder politischen Partei. Es fragt sich nur, ob es zweckmäßig ist. Gleichzeitig will dieser Antrag entsprechend dem Vorschlag von Dr. Laforet bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit offenlassen, hier andere Wege zu gehen. Ich hielt es für erforderlich, auf den Inhalt der verschiedenen Vorschläge und auf ihre Bedeutung in dieser Weise einzugehen, damit klar festgehalten wird, was der Parlamentarische Rat hier entscheidet und welche Möglichkeiten er durch seine Entscheidung unter Umständen ausschließt. Daß ich persönlich für die Fassung des Art. 129 Abs. 1 der Drucksache mit etwaigen Variationen zugunsten einer lokkeren Fügung bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit bin, das brauche ich wohl nicht zu betonen. Dr. Greve (SPD): Der Herr Kollege Dr. Laforet hat uns empfohlen, für das Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf das System des Bismarckschen Deutschen Reiches zurückzugehen. Ich glaube, wir haben keine Veranlassung, dieser Empfehlung Folge zu leisten. Denn auch auf dem Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit hat sich gezeigt, daß zu einer ganz anderen Zeit das Bismarcksche System nicht ausreichend gewesen ist. Die Rechtsprechung der obersten Verwaltungsgerichtshöfe in den einzelnen Ländern ist durchaus anzuerkennen. Es ist zuzugeben, daß die Rechtsprechung der verschiedenen obersten Verwaltungsgerichtshöfe sehr viele beachtliche und gute Entscheidungen gebracht hat. Aber schon zu Zeiten der Beratungen über die Verfassung von Weimar hat sich gezeigt, daß auch auf dem Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit ohne eine über das Maß des Bismarckschen Systems hinausgehende Einheitlichkeit nicht auszukommen ist. Aus diesem Grunde war bereits in der Verfassung von Weimar die Errichtung eines Reichsverwaltungsgerichts vorgesehen10). Wenn es zur Weimarer Zeit nicht zu der Errichtung des Reichsverwaltungsgerichts gekommen ist, so sind dafür Gründe maßgebend gewe9)

10)

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Statt „FDP“ im stenograph. Wortprot., S. 9: „demokratischen Fraktion“. Vgl. oben S. 706.

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sen, die wir alle kennen und auf die im einzelnen einzugehen hier nicht notwendig ist. Wenn wir uns heute wieder in einer Debatte darüber befinden, ob auf dem Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit dasselbe System gelten soll, das auf dem Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit sowie der Arbeits- und Finanzgerichtsbarkeit gilt, so kann es nur die Auffassung geben, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht so wesentlich anderer Art ist, daß für sie nicht dasselbe System gelten könnte. Die Unterschiede, die zwischen der ordentlichen Gerichtsbarkeit auf der einen Seite und der Arbeits- und Finanzgerichtsbarkeit auf der anderen Seite bestehen, sind bestimmt nicht größer als die Unterschiede zwischen der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Es ist nicht einzusehen, weshalb wir auf dem Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht das wahrmachen könnten, was in dem Abs. 1 des Art. 129 niedergelegt worden ist. Es ist unter gar keinen Umständen so, daß durch die Errichtung eines Bundesverwaltungsgerichts, wie Sie, Herr Kollege Dr. Laforet, gesagt haben, die Verwaltungsgerichtshöfe der einzelnen Länder aufgehoben werden würden. (Dr. Laforet [CSU]: Ich habe gesagt: gegenstandslos werden!) – Sie haben wörtlich gesagt: aufgehoben. Sie haben gesagt, die Errichtung des Reichsverwaltungsgerichts – gemeint ist das Bundesverwaltungsgericht – bedeute die Aufhebung der Verwaltungsgerichtshöfe in den Ländern Bayern, Baden und Württemberg. Herr Kollege Dr. Laforet, wir haben uns bereits im Ausschuß darüber unterhalten. Was wir wollen, ist auf dem Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit genau dasselbe, was auf dem Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit besteht: in den unteren Bezirken die Kreis- und Stadtverwaltungsgerichte, darüber in der Mittelinstanz analog den Oberlandesgerichten – die Verwaltungsgerichtshöfe der einzelnen Länder und darüber als Revisionsinstanz nicht etwa auch als dritte Tatsacheninstanz – analog dem früheren Reichsgericht und dem zu schaffenden Obersten Bundesgericht das Bundesverwaltungsgericht. Wir sind so weit gegangen, daß wir von Bundes wegen in der unteren und mittleren Ebene darauf verzichten wollen, eigene Unterverwaltungsgerichte des Bundes und Mittelverwaltungsgerichte des Bundes zu haben. Wir wollen vielmehr in der unteren und mittleren Ebene die gesamte Verwaltungsgerichtsbarkeit, auch in den Fällen, in denen es sich darum handelt, Bundesrecht anzuwenden, den von den Ländern eingerichteten oder einzurichtenden Verwaltungsgerichten überlassen. Es schwebt uns also vor, auf dem Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit die gleichen Rechtszüge zu bekommen, wie wir sie auf dem Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit haben. Das heißt, in allen Angelegenheiten, in denen die Verwaltungsgerichte in der unteren Instanz tätig werden, wird das Verwaltungsgericht tätig, das von den Ländern in der unteren Ebene eingerichtet worden ist. In dem nächsten Rechtsmittelzug gibt es als einziges Gericht nur das Gericht, das bisher der oberste Verwaltungsgerichtshof des Landes war, nunmehr als Landesverwaltungsgericht, und darüber das Bundesverwaltungsgericht, wohl verstanden nicht etwa als eine dritte Tatsacheninstanz, sondern genau wie das Oberste Bundesgericht als Revisionsinstanz. Es ist durchaus möglich – und ich kann hier auf das zurückkommen, was der Herr Kollege Dr. Strauß gesagt hat –, daß wir auf die Sondergerichtsbarkeit auf dem Gebiet der Finanzen verzichten und auch in der unteren und mittleren Ebene in Steuersachen die Verwaltungsgerichte entscheiden lassen. In Steuerfragen arbeiten die Verwal-

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tungsgeichte möglicherweise schon deswegen besser, weil sie aus der sehr eng begrenzten Sphäre der Finanzämter und Oberfinanzpräsidien herauskommen. Ich gebe zu, die Finanzgerichtsbarkeit hat in gewissem Sinne immer darunter gelitten, daß sie zu eng an die Finanzverwaltung angeschlossen war. Wir haben unter diesem Gesichtspunkt darauf verzichtet, den Art. 129 Abs. 3 so zu belassen, wie er ursprünglich war. Ursprünglich stand darin, daß der Bund zur Entscheidung von Streitigkeiten über Anordnungen von Bundesverwaltungsbehörden untere Bundesgerichte durch Bundesgesetz einrichten kann. Um das klar zum Ausdruck zu bringen, ist dieser Passus in der Fassung des Ausschusses vom 7. 12. 194811) nicht mehr enthalten. Wir glauben gerade um der Einheit der Rechtsprechung auch auf dem Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit willen es nicht so machen zu sollen, daß wir auf der einen Seite eine völlig abgeschlossene Verwaltungsgerichtsbarkeit der Länder und auf der anderen Seite für diejenigen Aufgaben, bei denen der Bund die Aufgabe des Vollzuges hat, sogar in der unteren und mittleren Instanz neben den Landesverwaltungsgerichten eigene Gerichte des Bundes haben. Das scheint uns nicht nur gegen die Vereinfachung des Systems auch auf diesem Gebiet zu sprechen, sondern es scheint uns deswegen unmöglich zu sein, weil kein Mensch verstehen würde, warum innerhalb einer Stadt in diesem Fall das Bundesverwaltungsgericht der unteren Instanz und in jenem Fall das Landesverwaltungsgericht der unteren Instanz zuständig sein soll. Wir haben uns schon sehr ausgiebig überlegt, was wir auf diesem Gebiet machen. Wenn Sie, Herr Kollege Dr. Laforet, beispielsweise sagen, daß ein Nachfolgeinstitut für das Bundesamt für das Heimatwesen wiedererstehen müsse, daß für das Versicherungswesen wieder ein oberstes Versicherungsamt als Rechtsentscheidungsinstanz zuständig sein müßte, so ist nicht einzusehen, warum wir alle diese Aufgaben, soweit sie in das Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit fallen, nicht in dieses oberste Bundesverwaltungsgericht eingliedern sollen. Ich betone ausdrücklich, daß es sich bei uns hier nicht darum handelt, etwa aus einer politischen Argumentation gegen das Stellung zu nehmen, was heute noch ist, was heute aber nur deswegen noch ist, weil auf diesem Gebiet die Weimarer Republik etwas zu [S. 284] tun verabsäumt hat. Ich betone ausdrücklich, daß uns ausschließlich sachliche Gründe leiten auch auf dem Gebiet der Verwaltungerichtsbarkeit einen einheitlichen Instanzenzug zu ermöglichen, und daß es dem zukünftigen Bundesgesetzgeber, zu dem auch der Bundesrat gehört, überlassen bleiben muß, für die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht nur ein oberstes Verwaltungsgericht zu schaffen, sondern auch eine Verwaltungsgerichtsordnung und ein Verwaltungsgerichtsverfassungsgesetz, in welchem das festzulegen sein wird, was notwendig ist, um die Einheitlichkeit des Verwaltungsrechts und der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu erreichen. Das halten wir nicht nur für wünschenswert, sondern auch für notwendig. Dr. Menzel (SPD): Ich möchte im Einvernehmen mit dem Herrn Kollegen Schönfelder seinen Antrag aufnehmen und ergänzen. Wir möchten statt des Wortes „können“ das Wort „sind“ hinein haben. Insoweit gehen wir mit dem Antrag der FDP einig. Für den Fall der Annahme dieses Abänderungsantrages sind wir bereit, es 11

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Vgl. Drucks. Nr. 353 oben S. 705, Anm. 4.

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hinsichtlich der Verwaltungsgerichte bei dem Wort „können“ zu belassen. Der Abänderungsantrag würde also so lauten: „Für die Verwaltungsgerichtsbarkeit kann ein Bundesgericht errichtet werden. Das Nähere entscheidet ein Gesetz.“ Wir sind der Auffassung, daß die Situation zur Schaffung eines Bundesverwaltungsgerichts drängen wird. Wir haben, wie der Herr Kollege Dr. Greve soeben erklärt hat, in der Weimarer Verfassung nicht nur ein Reichsverwaltungsgericht vorgesehen, wir haben dieses Reichsverwaltungsgericht in den letzten Jahren vor der Kapitulation in der Tat auf Teilgebieten bekommen. Ich glaube, daß das Reichsverwaltungsgericht sich auf diesen Teilgebieten sehr gut ausgewirkt hat. Wenn wir ferner nicht nur in der Bundesverfassung, sondern auch in den Länderverfassungen die Generalklausel dahingehend bejahen, daß jeder, der von einer Hoheitsverfügung betroffen wird, den Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten haben muß, entsteht ganz zweifellos im Interesse der Staatsbürger das Bedürfnis, gewisse Grundsätze einheitlich auslegen zu lassen. Es wird wahrscheinlich noch hinzukommen, daß auch Bundesbehörden gemäß den ihnen nach dem Gesetz zustehenden Kompetenzen Hoheitsverfügungen erlassen werden, gegen die sich der einzelne Staatsbürger auf Grund der von uns zu bejahenden Generalklausel im Verwaltungsgerichtsweg wehren wird. Ich habe durchaus Verständnis für den Ausgangspunkt des Herrn Kollegen Dr. Laforet, wenn er sagt: Wir wollen nicht alle Verwaltungssachen zwangsläufig vor das Bundesverwaltungsgericht bringen, weil in der Tat auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts in den einzelnen Ländern die Dinge seit Jahrzehnten organisch so verschieden gewachsen sind, daß in vielen Fällen gar kein Bedürfnis bestehen wird, hier eine Einheit zu schaffen. Darum meinen wir, daß die Kompetenzumreißung des künftigen Bundesverwaltungsgerichts dem Bundesgesetzgeber, das heißt dem Bundestag, überlassen werden kann. Ich möchte noch einige Worte zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Strauß hinsichtlich unseres Antrages sagen, durch den wir den Zwang zur Errichtung eines Bundesarbeitsgerichts fest verankern wollen. (Dr. Strauß [CDU]: Dagegen habe ich mich nicht gewendet. Hinsichtlich des Bundesarbeitsgerichts bin ich durchaus mit Ihnen einig.) – Soll ich Sie dahin verstehen, daß Sie das Wort „sind“ hinsichtlich des Bundesarbeitsgerichts billigen? (Dr. Strauß [CDU]: Für die Gegenwart ja; ob für alle Zukunft, ist die Frage.) – Wir machen die Verfassung jetzt. (Dr. Strauß [CDU]: Bei den gegenwärtigen Zuständen ohne weiteres.) – Sie würden also dem Antrag der SPD zustimmen, das Wort „können“ in das Wort „sind“ abzuändern. (Dr. Strauß [CDU]: Unter Beschränkung auf die Arbeitsgerichtsbarkeit.) – Dann habe ich Sie falsch verstanden. Das würde die Debatte eventuell abkürzen und erleichtern. Dann darf ich anregen, daß der Herr Kollege Dr. Strauß – ich weiß nicht, ob er für seine Fraktion spricht – einmal klar formuliert. Dann ist vielleicht die Verständigung schneller da. Dr. Strauß (CDU): Ich kann zustimmen, wenn Sie sagen: Zur Entscheidung über die Anwendung von Bundesrecht ist für das Gebiet der Arbeitsgerichtsbarkeit ein Bundesarbeitsgericht zu errichten und können für die Gebiete der ordentlichen,

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der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit obere Bundesgerichte errichtet werden, wobei der Vorschlag Dr. Laforet hinsichtlich der Verwaltunsgerichtsbarkeit noch zur Entscheidung steht. Hinsichtlich der Arbeitsgerichtsbarkeit kann ich mich mit dem Wort „ist“ einverstanden erklären; ich nehme an, die Fraktion auch. Dr. Menzel (SPD): Dann kann ich mir weitere Worte ersparen. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich glaube, der Gang der Beratungen hat ergeben, daß man sich weitgehend entgegenkommt. Zunächst ist Herrn Dr. Greve zuzugeben, daß in der Ausschußberatung die Herren der Sozialdemokratie bereits auf die Bundesverwaltungsgerichte in der untersten Instanz verzichtet haben und daß hier eine Verständigung erzielt ist. Im übrigen bin ich der Meinung, daß die Sache im Ausschuß sehr eingehend durchberaten worden ist und die generelle Forderung, den Abs. 1 in der beschlossenen Fassung als Kann-Vorschrift zu belassen, eigentlich das Richtige ist. Nun hat mein Kollege Dr. Strauß soeben hinsichtlich der Arbeitsgerichte eine Konzession gemacht und hat erklärt, er wäre bereit, hinsichtlich der Arbeitsgerichte die Vorschrift in eine Muß-Vorschrift zu verwandeln. Dieser Auffassung von Herrn Dr. Strauß will ich selbstverständlich nicht widersprechen, da bekannt ist, daß die Arbeitsgerichte als solche sich bewährt haben. Ich halte es für richtig, daß für die anderen Gerichte die Kann-Vorschrift unter allen Umständen belassen wird. Ich versuche aber einen Weg der Verständigung und möchte den Ausführungen von Herrn Dr. Laforet noch folgendes hinzufügen. Die Ausführungen von Herrn Dr. Laforet werden doch von der Sorge getragen, daß hier in bewährte Einrichtungen der süddeutschen Länder eingegriffen werden könnte. Ich möchte bitten, daß dem Abs. 1 der folgende Zusatz hinzugefügt wird: „Die Errichtung oberer Verwaltungsgerichte des Bundes bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats“, um auf diese Weise die Rechte und Interessen der süddeutschen Länder in jeder Weise zu schützen. Dies ist eine politische Frage, und wir wissen doch – man braucht sich nur die süddeutsche Presse anzusehen –, wie die Beschlüsse des Parlamentarischen Rates dort verfolgt und wie scharf sie zum Teil kritisiert werden, immer unter dem Gesichtspunkt, daß zu weitgehende Eingriffe in die Eigenständigkeit der Länder erfolgen. Die Besorgnis des Herrn Kollegen Dr. Laforet ist nicht unberechtigt, daß bei Errichtung eines obersten Bundesverwaltungsgerichts den obersten Instanzen der Länderverwaltungsgerichte das meiste Brot weggenommen wird, so daß für ihre Zuständigkeit nicht allzu viel Dinge übrig bleiben. Deswegen glaube ich, daß man diesem Antrag durchaus entsprechen kann. Dr. Becker (FDP): Ich darf noch einmal die Grundlinie hervorheben. Nach dem Stand der Debatte sieht es so aus, daß wir ein oberstes Bundesgericht über den Wolken, im Reich der Abstraktionen, sowie zwangsweise ein Bundesarbeitsgericht schaffen wollen und alles übrige offenlassen. Ich erkläre Ihnen kategorisch: dieses Begräbnis der deutschen Rechtseinheit und der deutschen Rechtsprechung auf dem Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Finanzgerichtsbarkeit und der sozialen Gerichtsbarkeit machen wir nicht mit! Dr. Greve (SPD): Ich möchte auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. de Chapeaurouge erwidern, daß das, was er zuletzt gesagt hat, vollends unzutreffend ist. Mit unserem Antrag erreichen wir nicht, [S. 285] daß auf der Mittelebene die Ver-

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waltungsgerichtshöfe der Länder vor Langerweile nicht mehr wissen, wie sie ihre Mitglieder beschäftigen sollen. Damit erreichen wir vielmehr, daß die gesamte Rechtsprechung in der Mittelinstanz ausschließlich bei den Verwaltungsgerichtshöfen der Länder liegt. Ich habe in meinen Ausführungen betont, daß wir einen einheitlichen Rechtszug von unten nach oben, von den Stadt- bzw. Kreisverwaltungsgerichten über den Verwaltungsgerichtshof der Länder zum Bundesverwaltungsgericht haben wollen, und zwar in allen Angelegenheiten, soweit Bundesrecht und soweit Landesrecht berührt ist. (Dr. Laforet [CSU]: Auch Landesrecht?) – Bundesrecht und Landesrecht, Herr Kollege Dr. Laforet, so daß es genau so ist wie bei den Oberlandesgerichten, bei denen auch nicht danach gefragt wird, welches einzelne Rechtsgebiet etwa in einem Zivilsenat berührt wird, ob Zivil- oder Handelsrecht oder irgendein anderes Recht. Also genau das Gegenteil von dem, was der Herr Kollege Dr. de Chapeaurouge gesagt hat, ist zutreffend. Ich bin auch nicht dafür, hier eine Klausel einzufügen, daß die Errichtung oberer Bundesgerichte an die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundesrats geknüpft sein soll. Damit würden wir uns auf einem Gebiet, das wirklich nicht so bedeutungsvoll ist wie andere Aufgaben, bei denen wir diese Bestimmungen getroffen haben, eine Zwangsjacke anlegen, von der wir noch nicht wissen, wie wir möglicherweise wieder aus ihr herauskommen, wenn es sich darum handelt, die Einheit des deutschen Rechts zu verwirklichen. Wir machen dieses Grundgesetz ja nicht für diejenigen, die zur Zeit der Bismarckschen Verfassung gelebt haben, sondern machen es für eine Zukunft, von der wir noch nicht wissen, wie lange sie dauern wird12). Dr. Seebohm (DP): Die Notwendigkeit, oberste Gerichte auf dem Gebiet des gesamten Sozialwesens zu schaffen, liegt auf der Hand. Ich setze mich deshalb durchaus dafür ein, daß ein oberstes Arbeitsgericht und ein oberstes Sozialversicherungsgericht geschaffen wird. Das ist notwendig und kann gar nicht ausbleiben. Die Frage der ordentlichen Gerichte muß selbstverständlich auch geprüft werden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Gesetzgeber auf dem Gebiet der ordentlichen Gerichte keine obersten Bundesgerichte einrichtet. Man kann deshalb die Angelegenheit schon hier in dem Sinne regeln, wie es in dem Antrag von Herrn Dr. Becker zum Ausdruck kommt. In der Frage der Verwaltungsgerichtsbarkeit bin ich Herrn Dr. Greve sehr dankbar für die Erklärung, daß das Verwaltungsrecht, sowohl das des Bundes wie das der Länder, in den einzelnen Instanzen gleichmäßig behandelt wird. Das gibt der Angelegenheit eine ganz andere Beleuchtung. Andererseits könnte man die Rechtseinheit im Verwaltungsrecht auch durch den Verfassungsgerichtshof wahren. Man könnte diese Fragen ruhig dem ordentlichen Gesetzgeber zur Überlegung offenlassen. Ich bin der Auffassung, bei dem Zwang, der auch hier zu einer Einheit drängt, wird der ordentliche Gesetzgeber die Errichtung eines solchen entsprechend ausgestalteten obersten Gerichts für Verwaltungssachen unbedingt vorsehen. Ob die

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Ein Hinweis auf den provisorischen Charakter des zukünftigen Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland.

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Lösung durch Bildung eines besonderen Gerichts erfolgt oder ob sie im Rahmen des Verfassungsgerichtshofs möglich ist, bleibt noch vorbehalten. Dr. Strauß (CDU): Die Wahrung der Rechtseinheit liegt uns ebenso am Herzen wie dem Herrn Kollegen Dr. Becker. Wir unterscheiden uns von ihm nur, indem wir glauben, daß auf diesem Gebiet vielleicht neue Wege gegangen werden können. Wir sind uns darüber klar, daß die Überlegungen über diese neuen Wege nicht in wenigen Tagen und Wochen angestellt werden können, sondern sich über Monate erstrecken werden. Unsere Absicht ist keine andere als die, der Zukunft, und zwar einer nahen Zukunft, die Möglichkeit zu geben, solche neuen Wege zu untersuchen. Es ist – milde gesagt – ein schweres Verkennen unserer Absicht, wenn der Herr Kollege Dr. Becker ausgeführt hat, hier finde ein Begräbnis der deutschen Rechtseinheit statt. (Dr. Becker [FDP]: Es ist schon so.) – Das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen die Gunst einer historischen Stunde nicht versäumen. Ich darf nunmehr den Antrag stellen, den Art. 129 Abs. 1 entsprechend den Vorschlägen des Herrn Kollegen Dr. Menzel und vorbehaltlich der Entscheidung über den Antrag von Herrn Dr. Laforet wie folgt zu fassen: Zur Entscheidung über die Anwendung von Bundesrecht können für das Gebiet der ordentlichen, der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit obere Bundesgerichte errichtet werden. Für das Gebiet der Arbeitsgerichtsbarkeit ist ein Bundesarbeitsgericht zu errichten. (Dr. Seebohm [DP]: und ein oberstes Sozialgericht!) – Das würde zum Bundesarbeitsgericht gehören. Dr. Dehler (FDP): Um es noch einmal zu sagen: unser Antrag ist ein Bekenntnis zum Reichsgericht. Wir wollen seine bewährte Tradition unbedingt fortgeführt wissen. Wir wollen keinesfalls zulassen, daß ein Gesetzgeber daran etwas ändert. Dr. Laforet (CSU): Ich bin zunächst dem Herrn Kollegen Dr. Menzel sehr dankbar für das klare Bekenntnis, daß die Generalklausel unser verwaltungsgerichtliches Verfahren beherrschen muß. Aber gerade aus dem Umstand der Generalklausel wächst ein neues, ganz bedeutsames Gebiet in unser Verwaltungsgerichtswesen hinein. Auch diese Frage ist im Zusammenhang des Ganzen mit zu würdigen. Zwei Standpunkte stehen sich hier gegenüber. Der Herr Kollege Dr. Greve hat seinen Standpunkt klar herausgehoben. Er geht von der Einheit des deutschen Rechts aus. Eine Einheit des deutschen Rechts ist im Verwaltungsrecht nicht so gegeben wie im bürgerlichen Recht (Dr. Greve [SPD]: bisher nicht!) und wird auf absehbare Zeit nicht gegeben sein. Das Länderrecht wird hier von entscheidender Bedeutung sein. Was der Herr Kollege Dr. Greve will, ist die sachliche Aufhebung der Verwaltungsgerichtshöfe als letzter Instanz und ihre Zurückdrängung auf eine Mittelinstanz. Darüber ist kein Zweifel. Dagegen werden wir uns mit allen möglichen Mitteln wenden. Wir sehen in der sachlichen Zuständigkeit unserer bewährten süddeutschen Verwaltungsgerichtshöfe wesentliche Teile unserer Justizhoheit und unserer Staatlichkeit. Wir sind dagegen gern bereit, soweit es möglich ist, einheitliche Linien für das gesamte Verwaltungsrecht anzuerkennen, indem es in der bereits vorher gegebenen Art einem künftigen Bundesge-

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setzgeber nicht verwehrt wird, die Entscheidungen wirklicher Verwaltungsgerichtshöfe – und nicht Mittelgerichte – an die Spruchtätigkeit eines höchsten Reichsverwaltungsgerichts zu binden. Im Interesse der Rechtseinheit sei aber ebenso nachdrücklich betont: Wir sehen in wirklichen Verwaltungsgerichtshöfen als letzter Instanz Teile unserer Staatlichkeit. Ich kann unter gar keinen Umständen den Weg mitgehen, diese selbständigen Verwaltungsgerichte im Rahmen einheitlicher Rechtsauffassung im Reich zu Mittelgerichten unter einer allgemein gegebenen reichsverwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit zurückzudrängen. Die Frage ist hoch politisch; sie ist Ihnen vor Augen geführt. Dr. Greve (SPD): Wenn die Länder zur Begründung ihrer vermeintlichen Staatlichkeit darauf angewiesen sind, (Dr. Laforet [CSU]: „vermeintlich“ ist gut!) auf dem Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Verwaltungsgerichtshöfen eine Erhärtung zu sehen, so scheint es mir um das, was man zur Staatlichkeit der Länder braucht, im allgemeinen nicht besonders gut bestellt zu sein. Ich glaube aber, hier sieht der Herr Kollege Dr. Laforet die Dinge falsch. In den Dingen, in denen es sich um Landesrecht handelt, will ich den Verwaltungsgerichtshöfen gar nicht [S. 286] die letztinstanzliche Entscheidung nehmen. Diese Verwaltungsgerichtshöfe der Länder sind doch in dem gesamten Rechtszug einmal Mittelinstanz, wenn es sich nämlich in Angelegenheiten, in denen Bundesrecht betroffen wird, darum handelt, daß gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs noch ein Rechtsmittel an die Revisionsinstanz, an das Bundesverwaltungsgericht gegeben ist. In allen anderen Fällen, in denen es sich eben um Landesrecht handelt, sind die Verwaltungsgerichtshöfe der Länder kraft ihrer Doppelstellung letztinstanzliche Gerichte. Wir halten es für richtig, daß, damit Bundesrecht und Landesrecht zu gleicher Zeit angewendet werden können, diese Verwaltungsgerichtshöfe der Länder einmal letzte Instanz und einmal eine Instanz sind, gegen die noch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts angerufen werden kann. Dr. Laforet (CSU): Ich bin dem Herrn Kollegen Dr. Greve für die jetzigen Worte dankbar. Vorher war der Eindruck möglich, als ob gar auch das Landesrecht den höchsten Verwaltungsgerichtshöfen der Länder entzogen wäre. Durch die nunmehrige Erklärung des Herrn Dr. Greve ist dieser Gesichtspunkt wohl beseitigt. Im Stenogramm wird dann das, was etwa einer anderen Auffassung zugänglich wäre, durch die jetzige Erklärung richtiggestellt. Ich verstehe den Herrn Kollegen Dr. Greve durchaus. Zwei Dinge sind hier zu erwägen: die Rechtseinheit, bei der ich mitgehe, soweit die gegebenen Verhältnisse es möglich machen, auf der anderen Seite aber das Unerläßliche, Einrichtungen zu erhalten, die praktisch erst der Naziterror beseitigt hat, und diese Einrichtungen, die sich bei uns durchaus bewährt haben, auf den Gebieten zu erhalten, die nicht unbedingt oder nicht aus triftigen Gründen einer reichsverwaltungsgerichtlichen Spitze bedürfen. Ich bitte die Damen und Herren, uns zu verstehen. Wir kommen zu diesem Antrag aus Erwägungen der Rechtseinheit. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich kann abstimmen lassen. Es liegen drei Anträge vor, der Antrag Dr. Menzel, Dr. Strauß, der Antrag Dr. Laforet und der Antrag Dr. Becker, Dr. Dehler. Den Zusatzantrag des Herrn Dr. de Chapeaurouge sehe ich nicht als

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selbständigen Antrag an, sondern als Zusatz für den Fall, daß der Antrag Dr. Menzel, Dr. Strauß angenommen wird. Es wird richtig sein, zuerst über den Antrag Dr. Laforet abstimmen zu lassen, der als Einschränkung zu dem Antrag Dr. Strauß, Dr. Menzel in Erscheinung tritt, dann über den Antrag Dr. Becker, Dr. Dehler, falls es notwendig sein sollte, über den Antrag Dr. Strauß, Dr. Menzel und am Schluß dann über den Zusatzantrag Dr. de Chapeaurouge. Ich lasse zunächst über den Antrag Dr. Laforet abstimmen. – Der Antrag Dr. Laforet ist mit 11 gegen 6 Stimmen abgelehnt. Dann lasse ich über den Antrag Dr. Becker, Dr. Dehler abstimmen. – Der Antrag Dr. Becker, Dr. Dehler ist mit 12 gegen 3 Stimmen bei einigen Stimmenthaltungen abgelehnt. Weiter lasse ich über den Antrag Dr. Strauß, Dr. Menzel abstimmen. – Der Antrag Dr. Strauß, Dr. Menzel ist mit 15 gegen 3 Stimmen bei Stimmenthaltungen angenommen. Der Zusatzantrag des Kollegen Dr. de Chapeaurouge lautet: Die Errichtung oberer Verwaltungsgerichte des Bundes bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats. Ich lasse darüber abstimmen. – Der Antrag Dr. de Chapeaurouge ist mit 12 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Wir kommen zu Abs. 2 von Art. 129. Dazu darf ich bemerken, daß Abs. 2 von Art. 128d nicht beschlossen worden ist. Dr. Strauß (CDU): Auch wenn Abs. 2 beschlossen wäre, wären in Art. 129 Abs. 2 die Worte „Abs. 1 und 2“ zu streichen. Denn der Art. 128d, gleichgültig wie er endgültig aussehen wird, wird als Ganzes hier anzuwenden sein. (Dr. Greve [SPD]: Jawohl.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist also richtig, in Art. 129 Abs. 2 „Abs. 1 und 2“ zu streichen. (Zustimmung.)13) Zu Art. 129 Abs. 2 liegt ein Abänderungsantrag der Kollegen Dr. Becker und Dr. Dehler vor: Auf die Richter der oberen Bundesgerichte findet Art. 128d Abs. 1 Anwendung. Diese Richter werden auf Lebenszeit von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats berufen. Frau Dr. Selbert (SPD): Ich halte es für erforderlich, daß der Satz des Art. 128d Abs. 2 in der dort gewählten Formulierung hier neu hereinkommt. Es heißt dort: „Sie werden auf Vorschlag des Bundesjustizministers von einem Richterwahlausschuß gewählt, der aus den Landesjustizministern sowie einer gleichen Anzahl von Mitgliedern sowohl des Bundestags als auch des Bundesrats besteht.“ Vors. Dr. Schmid (SPD): Das geht nicht gut. Der Bundesjustizminister wird zum Beispiel kaum für das Bundesarbeitsgericht oder für das oberste Bundesfinanzgericht zuständig sein. Frau Dr. Selbert (SPD): Dann würde ich sagen: Sie werden auf Vorschlag der Bundesregierung von einem Richterwahlausschuß gewählt.

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Der Hinweis „(Zustimmung)“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 26.

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Dr. Strauß (CDU): Im augenblicklichen Stadium unserer Arbeit können wir über diese Frage gar nicht abstimmen. Nachdem wir gestern beim Obersten Bundesgericht die Frage nicht entscheiden konnten, weil keine Mehrheit zu finden war, müssen wir das weiteren Verhandlungen vorbehalten. Wenn wir hier sagen: Art. 128d, so ist alles offengelassen. Frau Dr. Selbert (SPD): Ich bin anderer Meinung. Dr. Becker (FDP): Ich bin anderer Meinung. Wir wissen nicht, was Art. 128d insgesamt sein wird, wenn über den Abs. 2 abgestimmt wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es empfiehlt sich, die Sache bis zur zweiten Lesung zurückzustellen. (Zustimmung.) Wir kommen zu Abs. 3 von Art. 129. Hierzu liegt ein Abänderungsantrag Dr. Bekker vor, der lautet: Der Bund kann für Dienststrafverfahren gegen Bundesbeamte und Bundesrichter Bundesdienststrafgerichte errichten. Abs. 2 gilt auch für die Richter der Bundesdienststrafgerichte. Der letzte Satz wäre zurückzustellen. Dr. Becker (FDP): Ich darf zur Begründung ein paar Worte sagen. Ohne den von uns beantragten Zusatz fehlt ein Disziplinarverfahren für die Bundesrichter. Man könnte sonst auf den Gedanken kommen, das, was in Art. 133 ausgeführt ist, sei die einzige Möglichkeit, einen Bundesrichter disziplinär zu ahnden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist sicher richtig, daß es „Bundesbeamte und Bundesrichter“ heißen muß14). Ich lasse über Abs. 3 in der Fassung des Antrages Dr. Bekker abstimmen. – Abs. 3 ist in dieser Fassung gegen 1 Stimme angenommen. Wir kommen zu Abs. 4 von Art. 129. Dr. Strauß (CDU): Ich möchte anregen, das bis zur zweiten Lesung zurückzustellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es empfiehlt sich wohl, so zu verfahren. Wir haben uns bisher über die Prozedur bei der Anstellung von Bundesrichtern nicht einigen können. Es ist ein und dieselbe Materie. Wir stellen also den Abs. 4 für die zweite Lesung zurück. (Zustimmung.) [S. 287]

[1.2. ART. 129a: ANSTELLUNG DER RICHTER IN DEN LÄNDERN]

Der Art. 129a lautet nach der Vorlage: Über die vorläufige und die Anstellung der Richter auf Lebenszeit entscheidet in den Ländern nach Maßgabe näherer landesgesetzlicher Regelung der Landesjustizminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß des Landes. Hierzu liegt eine Variante Dr. Laforet auf Streichung der ganzen Bestimmung vor. 14)

Im stenograph. Wortprot., S. 28, folgt danach ein Zwischenruf und die Antwort des Vors. Schmid: „(Dr. Strauß [CDU]: Es muß heißen: Bundesrichter und Bundesbeamte.) [Vors. Schmid (SPD):] Wir sagen also: Bundesbeamte und Bundesrichter.“

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Frau Dr. Selbert (SPD): Es ist nötig, in der Verfassung etwas über die Berufung der Richter zu sagen, und zwar auch zur Bindung für die Länder, um nicht eine Uneinheitlichkeit der Regelung in den verschiedenen Ländern aufkommen zu lassen. Wir bekennen uns – wir haben das wiederholt zum Ausdruck gebracht – zu der Idee des Rechtsstaates. Der Rechtsstaat kann nur mit einer tüchtigen, makellosen Richterschaft verwirklicht werden. Nicht allein gute Gesetze, sondern auch gute Richter sind nötig, um den Staat zu einem Rechtsstaat zu machen; und eine Justizreform ist in erster Linie auch eine Richterreform. Bei der Bedeutung der Richterpersönlichkeit für den Staat bin ich daher der Auffassung, daß die Frage der Berufung der Richter zu den Grundfragen des staatlichen Lebens eines Volkes gehört. Sie muß also auch grundsätzlich vom Bund aus geregelt werden. Ich will mich nicht darüber aussprechen, was die einzelnen Länder dann noch zu tun hätten und ob die Länder in dieser Frage überhaupt noch ein entscheidendes Wort mitzureden hätten. Ich darf bei dieser Gelegenheit folgendes sagen: Wenn im Jahre 1945 das Deutsche Reich nicht zerschlagen worden wäre – so daß der Aufbau des neuen Staates, wie wir ihn jetzt hier vornehmen, nicht von unten nach oben hätte erfolgen müssen –, dann weiß ich nicht, ob man die Justiz wieder entreichlicht – ich darf einmal diesen häßlichen Ausdruck gebrauchen – haben würde. Man kann zweifeln, ob die Verreichlichung der Justiz im Jahre 1934/35 wirklich ein Rückschritt oder ob sie nicht eine Art Fortentwicklung gewesen ist, gerade unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtspflege oder zumindest der Rechtsprechung. Ich wiederhole daher: Grundsätze über die Berufung der Richter müssen in der Bundesverfassung verankert werden. Dr. Süsterhenn (CDU): Die jetzt vorgeschlagene Formulierung scheint mir verhältnismäßig unpraktisch zu sein. Wenn es sich um die Bestellung der Richter etwa für das oberste Bundeszivilgericht handelt, hätte es einen gewissen Sinn, die Landesjustizminister bei der Berufung dieser Richter mitwirken zu lassen. Handelt es sich um die obersten Richter des Arbeitsgerichts, ist es schon fraglich, ob die Landesjustizminister oder nicht die Arbeitsminister in Funktion treten sollen, bei den Finanzgerichten die Finanzminister und bei den Verwaltungsgerichten eventuell die Innenminister. Die Regelung wäre doch viel einfacher, wenn wir sagen würden, daß der Bundesrat mitwirkt. Wenn der Bundesrat mitwirkt, wird das einzelne Land bei der einzelnen Frage von sich aus schon den entsprechenden Minister, der ressortmäßig zuständig ist, an dieser Sache beteiligen. Wenn man also überhaupt eine solche Bestimmung für notwendig hält – ich bin von der Notwendigkeit nicht überzeugt –, ist sie in dieser Form jedenfalls zumindest unzweckmäßig. Was nun die Anstellung der Richter in den Ländern angeht, so bin ich der Auffassung, daß wir hier in die bisher unbestritten gebliebene Justizhoheit der Länder nicht eingreifen sollten, daß wir es vielmehr den Ländern selber überlassen sollten, nach welchen Gesichtspunkten sie die Ernennung ihrer Richter durchführen. Dr. Laforet (CSU): Die Frage ist jetzt noch schärfer auf die Spitze getrieben. Auch in weiten Kreisen Ihrer Partei (zu den Sozialdemokraten) – ich will keine Namen nennen – wird an der unbedingten Justizhoheit der Länder festgehalten. Ich glaube, daß im bayerischen Landtag kaum eine Stimme anderer Meinung ist. Uns ist bis jetzt immer erklärt worden, daß an der Justizhoheit der Länder nicht gerüt-

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telt werden soll. Was hier aber geschieht, ist ein Bruch der Justizhoheit. Justizhoheit heißt nicht etwa Bestimmung der Voraussetzungen, wann ein Richter ernannt werden kann – das Gerichtsverfassungsgesetz enthält solche Mindestanforderungen, die an den Richter gestellt werden –, sondern hier wird das Entscheidende getroffen. Justizhoheit hat derjenige, der den Richter anstellt. Das bemißt sich jetzt nach der Zuständigkeit der Verfassung der Einzelstaaten. Das soll jetzt beseitigt werden, indem die Entscheidung einer Stelle zugewiesen wird, die das Bundesgesetz bestimmt. Diese Bestimmung ist für denjenigen, der auf dem Standpunkt der Eigenstaatlichkeit der Länder steht, denen man die Justizhoheit gewährleistet hat, untragbar. Ich bitte also, den Art. 129a zu streichen. Dr. Dehler (FDP): Ich bitte um diese Streichung nicht nur wegen der Frage des Eingriffs in die Landesjustizhoheit, sondern auch aus sachlichen Gründen. Ich halte die Festlegung des Grundsatzes, daß Richter gewählt werden sollen, nicht für tragbar. Das würde nach unserer Überzeugung zu einer völligen Verwischung der Verantwortungen führen. Die Ernennung der Richtern ist Sache der zuständigen Stellen der Exekutive. Die Behördenleiter müssen gegenüber dem Parlament die Verantwortung für ihre Entscheidungen in Personalsachen tragen. Würde man einen Richterwahlausschuß einsetzen, würde diese Verantwortung genommen werden; es würde eine anonyme Verantwortlichkeit geschaffen werden. Daneben besteht noch die erhebliche Gefahr, daß die Auswahl von Richtern nach politischen Gesichtspunkten, nicht nach rein fachlichen und charakterlichen Gesichtspunkten erfolgt. Deswegen sind wir grundsätzlich Gegner der Festlegung einer solchen Art der Berufung von Richtern im Grundgesetz. Renner (KPD): Ich verstehe nicht ganz das Pathos, das bei der Diskussion dieses Art. 129a von gewisser Seite durchbricht. Es handelt sich doch nach der klaren Fassung darum festzulegen, nach welchem Modus in den Ländern die Richter in Funktion gebracht werden. Darin steht doch nichts, was die Justizhoheit der Länder irgendwie tangiert. Es gehört doch schon direkt eine Auslegungskunst dazu, so etwas herauszulesen. Aber am meisten Empörung hat auf gewisser Seite der Gedanke ausgelöst, die Wählbarkeit der Richter irgendwie durch die Verfassung zu statuieren. Das ist meines Erachtens gerade der springende Punkt bei der ganzen Angelegenheit. Wenn hier gesagt wird, daß man den Behördenleitern in den Ländern, also in diesem Falle den Justizministern der Länder, die Verantwortung überlassen müsse, so kann ich mir vorstellen, daß gewisse hier in diesem Kreis anwesende Landesminister, die nicht gerade Justizminister sind, sondern andere Ministerien verwalten, es sehr begrüßen würden, wenn ihnen bei der heutigen politischen Zusammensetzung bzw. Herkunft des Gros unserer Richter die Möglichkeit eines Eingriffs überhaupt gegeben wäre. Ich erinnere mich zum Beispiel – das steht allerdings damit nur in losem Zusammenhang – einer Feststellung des Vertreters des Innenministers unseres Landes Nordrhein-Westfalen bezüglich der Zusammensetzung der leitenden Polizeikräfte in unserem Land. Die Feststellung lief darauf hinaus, es sei bedauerlich, daß der Minister keine größere Möglichkeit der Einflußnahme auf die Einsetzung dieser leitenden Polizeibeamten habe. Dann scheint mir meine Feststellung berechtigt zu sein. Wo liegt denn die höchste sichtbare Verantwortung in den Ländern? Meines Erachtens in den Länderparlamenten. Wenn man die Richterschaft mit einem neuen demokratischen Geist erfüllen will, er-

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reicht man das meiner Meinung nach am ehesten dadurch, daß man die Auslese der Richter den gewählten Vertretern des Volkes in den Länderparlamenten überläßt. Dann haben wir die Sicherung, eine Justiz zu bekommen, die tatsächlich demokratisch ist, die nicht ihre Unabhängigkeit und ihre Unabsetzbarkeit dazu ausnutzt, den demokratischen Unterbau des Landes bzw. des Bundes zu unterminieren, wie wir das in der Weimarer Zeit so sichtbar erlebt haben. [S. 288] Dr. Greve (SPD): Ich glaube, daß diejenigen Mitglieder unseres Ausschusses, die hier gesprochen haben, soweit sie aus der amerikanischen Zone stammen, die Dinge vielleicht etwas günstiger zu beurteilen in der Lage sind als wir, die wir aus der britischen Zone kommen. Wenn Herr Dr. Dehler auf Grund der Tatsache, daß man in Zukunft die Richter durch einen Richterwahlausschuß ins Amt bringt, befürchtet, daß nicht persönliche, qualitative und charakterliche Momente, sondern politische Momente eine Rolle spielen, so muß ich für die Länder der britischen Zone schon erklären, daß diejenigen Richter, die bei uns heute im Amt sind, politisch so ausgesucht sind, daß wir die größte Befürchtung im Hinblick auf ihre Zuverlässigkeit im heutigen Sinne haben. (Renner [KPD]: Hört, hört!) Gerade weil wir die Justizhoheit der Länder in der britischen Zone wiederhergestellt wissen möchten, Herr Kollege Dr. Laforet, sind wir für diesen Artikel. Es liegt mir fern, und es ist nicht meine Aufgabe, gegen eine Besatzungsmacht Stellung zu nehmen. Aber durch die Regelung der Justizverhältnisse in der britischen Zone hat es keine Landesjustizhoheit gegeben. Die Richter und Staatsanwälte, die uns zum Beispiel im Lande Niedersachsen oktroyiert worden sind, bestehen zu 70 bis 80 Prozent aus Mitgliedern der ehemaligen Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei. (Stock [SPD]: Das ist bei uns genau so der Fall!) Daß das die geeignete Grundlage für eine Justiz abgibt, zu der das Volk in Zukunft Vertrauen haben kann, vermag keiner von uns einzusehen. Es ist auch nicht so, wie immer behauptet wird, etwa von den Justizministern der Länder Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, daß die Richter unter dem Nationalsozialismus in ihrer übergroßen Zahl sauber geblieben seien und eine makellose Weste hätten. Nein, wir, die wir in der Justiz tätig sind, wissen ganz genau, wie es aussieht. Man soll uns nicht glauben machen wollen, daß man mit den Richtern, die wir heute, zumindest in der britischen Zone, haben, auf dem Gebiet der Justiz das verwirklichen könnte, was Sie und wir, hoffe ich, gemeinsam wollen. Es ist nicht so, daß etwa in der Zwischenzeit nicht genügend Fälle bekanntgeworden sind, aus denen ersichtlich ist, welches die Einstellung der Richter bei uns in der britischen Zone ist. Was ich hinsichtlich der Anstellung von belasteten Richtern aus eigener Kenntnis habe wahrnehmen können, ist zum Teil so unglaublich, Herr Kollege Dr. Dehler, daß man nicht sagen kann, ein Richterwahlausschuß biete nicht die Gewähr dafür, daß die Anstellung der Richter nach objektiven Gesichtspunkten erfolgt, sondern hier werden politische Momente eine Rolle spielen. Wir müssen von unseren Richtern verlangen, daß sie anders zum Staate stehen, als die Richter 1933 und in den Folgejahren gestanden haben. Wenn Sie das unter „politisch“ verstehen, Herr Dr. Dehler, dann sind wir allerdings dafür, daß diese politische Gewähr auch bei den Richtern gegeben sein muß. Wir sind nicht willens, von vornherein an einen der drei

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wesentlichen Pfeiler, die unseren Staat tragen, schon heute wieder von den Mitgliedern dieser Säule die Säge ansetzen zu lassen, ohne daß uns die Möglichkeit gegeben ist, sie an ihrem Unternehmen zu hindern. Dr. Seebohm (DP): Die Frage, ob man das Verfahren, wie die Länder ihre Richter zu bestellen haben, jetzt in der Verfassung regeln soll, scheint mir nur verneint werden zu können. Man soll es den Ländern überlassen, welche Wege sie in dieser Beziehung gehen wollen. Grundsätzlich möchte ich hierzu erklären, daß ich mich persönlich mit dem Richterwahlausschuß, wie er hier festgelegt wird, in keiner Weise befreunden kann. Ich bin nicht für diese Vermischung der exekutiven und legislativen Gewalten, wie sie hier angedeutet wird. Ich bin der Auffassung, daß die Wählbarkeit der Richter überhaupt ein Problem ist, auf das man nur mit einem klaren Ja oder Nein antworten kann. Sie müssen doch auf der anderen Seite bedenken, daß die Regierung und die in ihr befindlichen Justizminister dem Parlament verantwortlich sind; sie werden von dem Parlament berufen, um die Aufgaben zu erfüllen, die in ihrem Ressort liegen. Es ist merkwürdig, daß man hier für ein Ressort dem zuständigen, vom Vertrauen des Parlaments getragenen Minister die Fähigkeit aberkennen will, die entsprechenden Berufungen auf vorläufige oder endgültige Anstellung vorzunehmen, die er je nach den Bestimmungen in der Geschäftsordnung seines Kabinetts bei den höheren Stellen stets nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Staatsregierung vornehmen kann. Es ist zum Beispiel bei einer Reihe von Staatsregierungen so, daß bei allen Richtern, die ihrem Rang nach höhere Beamte sind, die Personalien dem Kabinett zum Beschluß über die Anstellung vorgetragen werden müssen. Das ist auch in Niedersachsen immer der Fall gewesen, soweit es sich nicht um solche Richter handelt, die vor der Einsetzung der niedersächsischen Landesregierung von den zuständigen Stellen der Militärregierung eingesetzt oder bestätigt waren. (Dr. Greve [SPD]: Auch heute noch!) – Bei den höheren Richterstellen war es bisher so, daß das Kabinett zu beschließen hatte, ob ein entsprechender Vorschlag an das zonale Justizamt in Hamburg gemacht werden sollte. Das hört in Zukunft bekanntlich auf. Es ist aber immer so gewesen, daß alle Richter-, Staatsanwalts- usw. -stellen nur mit Herren besetzt wurden, deren Einstellung die Zustimmung des gesamten Kabinetts gefunden hatte. Sie müssen doch anerkennen, daß das Kabinett in gewisser Weise als der vornehmste Ausschuß des Parlaments anzusehen ist. Es wird genau wie der Justizminister vom Vertrauen des Parlaments getragen. Daher bin ich der Auffassung, daß es ein außerordentliches Mißtrauensvotum gegen das gesamte parlamentarische System wäre, wenn man hier neben der Regierung und ihrem Ressortminister noch einen besonderen Richterwahlausschuß einsetzen würde. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Die Frage, ob und in welcher Form die deutschen Richter zu ernennen sind, ist eine Frage, über die man sich leidenschaftslos unterhalten soll. Es ist bekannt, daß hohe Richter und auch die Anwaltschaft häufig den Wunsch geäußert haben, bei der Richterernennung mitwirken zu können. Diese Dinge werden geprüft werden müssen. Es ist aber meiner Meinung nach durchaus verfehlt, die Frage der Richterwahl in diesem Augenblick im Grundgesetz grundsätzlich zur Entscheidung zu bringen. Ich habe mich jedoch nicht hierzu zum Wort gemeldet. Ich habe mich zum Wort

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gemeldet, weil die generelle Kritik, die der Herr Kollege Dr. Greve sich an den Richtern der britischen Zone erlaubt hat, meines Erachtens weit über die zulässigen Grenzen hinausgeht. Wir wissen, daß in allen Länderregierungen Richterernennungen gewissenhaft durchgeprüft werden. Für Hamburg nehme ich jedenfalls in Anspruch, daß die dortigen Richter, soweit der Senat in Frage kommt, gewissenhaft ernannt sind und daß irgendwelche beachtlichen Mißstände auf Grund der Tatsache, daß ein Richter früher einmal der NSDAP angehört hat, nicht hervorgetreten sind. Ich darf annehmen, daß der Justizminister von Schleswig-Holstein, der Kollege Dr. Katz, der Auffassung von Herrn Dr. Greve auch nicht voll wird zustimmen können. Jedenfalls fühle ich mich verpflichtet, zum Schutz der hamburgischen Justiz die Erklärung abzugeben, die ich soeben formuliert habe. Stock (SPD): Es wird sehr schwer sein, hier irgendein Ventil einzubauen, das uns vor dem bewahrt, was uns nach 1918 mit den Richtern passiert ist. Denn darüber dürfte doch kein Zweifel bestehen, daß gerade das Richterelement, in vorderster Linie die Herren Staatsanwälte es waren, die die Weimarer Republik in Grund und Boden hinein verurteilt und ihre Politik sowie ihre Tätigkeit dementsprechend eingerichtet haben. Aber deswegen habe ich mich nicht zum Wort gemeldet. Ich möchte mich vielmehr keiner Unterlassungssünde zeihen. Aus der Erklärung des Herrn Kollegen Dr. Greve, daß dies nur in der britischen Zone der Fall sei, kann der Eindruck entstehen, als ob in der US-Zone alles in bester Ordnung ist. In der US-Zone haben wir, glaube ich, die meisten Nazi als Staatsanwälte und Richter, weil einfach die Nazifreien [S. 289] so gut wie nicht da waren. Darum dreht es sich. WolIen wir doch das Kind beim Namen nennen! Wir haben heute schon – ich könnte hier konkrete Fälle auftischen – Fälle von Staatsanwälten zu verzeichnen, die grauenhaft an die Zeit von 191815) bis 1933 erinnern. Der Oberlandesgerichtspräsident Dr. Dehler sitzt ja hier. Es ist eine sehr gute Aufgabe für ihn, diesen Fällen einmal nachzugehen; sie sind in seinem Verwaltungsbereich passiert. Wir haben einen Fall – ich spreche immer konkrete Dinge an –, daß Nazi-Staatsanwälte auf Grund von Anzeigen, die von aktiven Nazi gekommen sind – der eine steht sogar unter der Anklage des Verstoßes gegen die Menschlichkeit –, bei politisch Verfolgten Haussuchungen gemacht haben. Als ich mich dagegen beschwerte, haben sie erklärt: Na ja, es ist ja nichts gefunden worden, der Mann soll doch froh sein, daß ich die Haussuchung vorgenommen habe; jetzt ist er hundertprozentig rehabilitiert. So kann man auch argumentieren. Ich bin der Auffassung, daß es wohl eine unserer größten Aufgaben hier im Parlamentarischen Rat ist, Sicherungsventile gegen die Justiz zu schaffen, damit sie nicht wieder so wird, wie sie insbesondere von 191816) bis 1933 war. Ich möchte speziell bayerische Fälle anführen; denn da hat es am schlimmsten ausgesehen. Ich habe schon einmal darauf hingewiesen, was alles unter dem Justizminister Dr. Roth17) und seinem Nachfolger, dem dann noch 10 Jahre 15)

Statt „1918“ im stenograph. Wortprot., S. 39: „1928“. Statt „1918“ im stenograph. Wortprot., S. 40: „1928“. 17) Christian Roth (1873–1934), 1898 Dr. iur., Polizeiassessor in München, Referatsleiter für Theater und Kunst im bayerischen Finanzministerium, Soldat im Ersten Weltkrieg, 1919 Bezirksamtmann in Dachau, 1920–1924 Mitglied des bayerischen Landtags (DNVP; später Völkischer Block), 1921 Ministerialrat am bayerischen Verwaltungsgerichtshof in 16)

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als Reichsjustizminister amtierenden Dr. Gürtner18) sowie seinem sauberen Polizeipräsidenten Dr. Pöhner19) geschehen ist. Wenn Sie das auch noch Justiz nennen wollen, dann weiß ich nicht mehr, wo die Justiz anfängt und aufhört. Die Richter sollen für die Gerechtigkeit da sein. Nun wird gesagt, wenn wir einen diesbezüglichen Ausschuß einsetzen, würden die Richter politisiert werden. Es würde nicht nach den Fähigkeiten, sondern nach der politischen Einstellung vorgegangen werden. Wenn ich mir manchmal – ich war von 1918 bis 1933 Geschworener – die Richter angesehen habe – es ist gestern einmal der Satz gefallen: Ja, Gott, ich weiß nicht, ob mancher Richter länger als sechs Monate studiert hat –, dann habe ich auch so die Meinung gehabt, daß der betreffende Richter die meiste Zeit weniger auf der Universität gewesen ist, als sich die Zeit mit anderen Sachen vertrieben hat. Mit diesen Dingen soll man nicht kommen. Wir haben darin auch eine gewisse Erfahrung. Wir sollten unsere Überlegungen dahingehend anstellen, daß wir ein Sicherheitsventil einbauen müssen, damit wir das, was wir erlebt haben – und ich bin leider einer von denen, die den Nationalsozialismus bis zur Neige ausgekostet haben –, nicht wieder erleben. Frau Dr. Selbert (SPD): Ich möchte an das anknüpfen, was mein Vorredner gesagt hat. Wir müssen ein Sicherungsventil, wir müssen Garantien schaffen, um Vergangenes für alle Zeit unmöglich zu machen. Wenn man wie ich die Nazi-Justiz aus der Nähe, und zwar als Anwalt im Dritten Reich, erlebt hat, kann man die heiße Sorge verstehen, die wir Anwälte aus der damaligen Zeit, aber auch diejenigen, die hier als Opfer der damaligen Justiz sitzen, um die Weiterentwicklung der Justiz haben. Der Herr Kollege Dr. Greve hat recht, wenn er von den Richtern der britischen Zone sagt, daß sie keineswegs die Gewähr bieten, im Geiste eines neuen demokratischen Staates Recht zu sprechen. Mir liegt hier einiges Material vor, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Ich darf zunächst darauf verweisen, daß der Justizminister des Landes, in dem wir uns befinden, auf dem Konstanzer Juristentag20) kühn behauptet hat: der deutsche Richter habe in seiner Gesamtheit in dem Dritten Reich vor Hitler nicht kapituliert. Er ist bei einer anderen Gelegenheit noch weiter gegangen, indem er festgestellt hat, daß es wohl keinen Berufsstand im nationalsozialistischen Deutschland gegeben habe, der so mutig und – man staune – so konsequent Hitler Widerstand geleistet habe wie der deutsche Richter. Das ist in der Presse veröffentlicht, ich darf es daher zitieren.

München und dort zuletzt Generalstaatsanwalt, 1924 Mitglied der Nationalsozialistischen Freiheitspartei (NF), 1924 Mitglied des Reichstags, 1933 Mitglied der NSDAP, 1920–1921 bayerischer Staatsminister der Justiz. Schumacher: MdR, S. 406. 18) Franz Gürtner (1881–1941 in Berlin), 1922 bayerischer Justizminister, 1932–1941 Reichsjustizminister, 1937 Mitglied des NSDAP, Proteste Gürtners gegen Mißhandlungen und Morde in Konzentrationslagern blieben ohne Folgen. 19) Über den Polizeipräsidenten von München Ernst Pöhner vgl. oben Dok. Nr. 6, S. 197, Anm. 36. 20) Vgl. Der Konstanzer Juristentag (2.–5. Juni 1947) Ansprachen / Vorträge Diskussionsreden. Tübingen 1947. – Auf diesem ersten Juristentag in der Französischen Besatzungszone wurde in verschiedenen Beiträgen auf die Geschichte der NS-Justiz eingegangen.

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Es ist hier gesagt worden, die Richter der britischen Zone seien nicht von den deutschen Stellen, sondern von der Besatzungsmacht ernannt. Um so nötiger ist es, eine Institution zu schaffen, um sie auf ihre demokratische Zuverlässigkeit zu prüfen. Das soll die Aufgabe eines Richterwahlausschusses sein, nicht etwa die Prüfung auf sachliche Qualifikation. Es soll geprüft werden, ob sie die Gewähr dafür bieten, daß sie ihr Amt im Geiste der Demokratie und des sozialen Verständnisses ausüben werden. Die deutsche Ärzteschaft hat etwas anderes getan als Herr Dr. Sträter21). Sie ist auf ihrem 51. Ärztetag mit aller Deutlichkeit von den Ärzten der Hitlerzeit, die sich an Euthanasie- und an anderen Verbrechen beteiligt haben, abgerückt22). Dort gibt man eine Schrift über den Nürnberger Ärzteprozeß23) unter dem Titel „Wissenschaft gegen die Menschlichkeit“ heraus24). Herr Dr. Sträter nimmt demgegenüber die ehemaligen Nazi-Juristen in Schutz. Mir liegt darüber erschreckendes Material vor. Bei Herrn Minister Dr. Sträter bzw. bei dem zuständigen Generalstaatsanwalt war gegen eine Reihe von Staatsanwälten und Richtern, die heute noch im Amt sind, obwohl sie Vorsitzende von Sondergerichten oder von Hochverratssenaten gewesen sind und bei den dort ergangenen Bluturteilen mitgewirkt haben, Anzeige wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit erstattet worden. Was ist aus diesen Anzeigen geworden? Die Verfahren sind mit einer Begründung eingestellt worden, die sinngemäß sagt, daß diese Richter aus subjektiven Gründen nicht strafbar gehandelt hätten. Ich habe die Entscheidung des Generalstaatsanwalts von Düsseldorf vorliegen. Es heißt in dieser Entscheidung: „Daß die angegriffenen Staatsanwälte und der Landgerichtsdirektor Dr. Heitmann inzwischen aufgehobene Gesetze in diskriminierender Art willkürlich und brutal angewandt haben, geht aus den bei21)

Artur Sträter (1902–1977) Rechtsanwalt, 1945 Mitbegründer der Christlich-Demokratischen-Partei (CDP) Westfalens, Mitbegründer der CDU in Soest, 1946 Lizenzträger für die Tageszeitung „Westfalenpost“ in Soest, 1946–1947 und 1950–1970 Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtags, 1947/48 stellvertretendes Mitglied des Zonenbeirats für die Britische Zone, 1945 von der britischen Militärregierung zum Präsidenten des Regierungsbezirks Düsseldorf ernannt, 1946–1947 und 1948–1950 sowie 1962–1966 Minister der Justiz in Nordrhein-Westfalen, 1950–1954 Minister für Wirtschaft und Verkehr ebd., 1954–1956 und 1960–1962 Minister für Bundesangelegenheiten, 1958–1960 Minister der Finanzen 1950–1954 und 1958–1962 Stellvertretender Ministerpräsident. vgl. S. 1277–1298. 22) Vgl. dazu die gedruckte Ausgabe mit den Referaten, Entschließungen und Beschlüssen: 51. Deutscher Ärztetag in Stuttgart am 16. und 17. Okt. 1948. 23) Der sog. Nürnberger Ärzteprozeß fand vom 9. Dez. 1946–20. Aug. 1947 als erster von insgesamt zwölf Nürnberger Nachfolgeprozessen gegen Verantwortliche des Deutschen Reichs zur Zeit des Nationalsozialismus vor einem US-amerikanischen Militärgericht in Nürnberg statt. Von den 23 Angeklagten Ärzten wurden sieben zum Tode verurteilt, fünf zu lebenslangen Haftstrafen und vier zu Haftstrafen zwischen 10 und 20 Jahren. Sieben Angeklagte wurden freigesprochen. 24) Vgl. Alexander Mitscherlich/Fred Mielke: Wissenschaft ohne Menschlichkeit. Medizinische und eugenische Irrwege unter Diktatur, Bürokratie und Krieg. 1. Aufl., Heidelberg 1949. Die Auflage in Höhe von 10 000 Exemplaren war nur für die westdeutschen Ärztekammern bestimmt. Sie erschien 1960 als Taschenbuch: Alexander Mitscherlich/ Fred Mielke: Medizin ohne Menschlichkeit: Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, 1. Aufl., Heidelberg 1960 (16. Auflage 2008). – Zum Sachverhalt vgl. die in Anm. 22 genannte Dokumentation des Ärztetages in Stuttgart, S. 34–36.

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gezogenen Vorgängen nicht hervor. Es ist auch nicht anzunehmen. Ebensowenig“ – so heißt es weiter – „läßt sich feststellen, daß die Genannten die Ausrottung und rassische Verfolgung von Juden und Polen als Ziel des nationalsozialistischen Regimes erkannt und daß sie die erlassenen einschlägigen Bestimmungen angewandt haben, um dieses Ziel zu erreichen.“ Das sagt man heute zur Entlastung dieser Leute, obwohl im Jahre 1942 der Reichsjustizminister Thierack25) die berühmten Richterbriefe26) kursieren ließ, in denen es unter anderem hieß: „Der Jude ist der Feind des deutschen Volkes, der diesen Krieg angezettelt, geschürt und verlängert hat. Er ist nicht nur von anderer, sondern von minderer rassischer Art.“ Das wußten die Richter. Alle diese Richter haben die Richterbriefe gelesen; sie kursierten unter der Richterschaft in ganz Deutschland. Trotzdem sagt der Herr Generalstaatsanwalt von diesen „reinen Toren“, sie hätten bei ihrer Rechtsprechung nicht die Absicht gehabt, den Juden und den Polen zu vernichten. Die Nazi-Justiz war eine gnadenlose Justiz. Ich habe es im Dritten Reich erlebt, daß man einen 16jährigen Jungen, der nach meinem Dafürhalten – ich sollte ihn vor dem Jugendgericht verteidigen – nicht einmal geistig voll zurechnungsfähig war, deshalb zum Tode verurteilt hat, weil er nach einem Bombenangriff, bei dem das Untersuchungsgefängnis zerstört wurde, auf der Straße seine Häftlingskleider loswerden wollte und in einem Keller einen Anzug gestohlen hat. Man hat sich nicht gescheut, diesen Jungen wegen der an sich menschlich verständlichen Handlung als Volksschädling tatsächlich hinzurichten. Ich habe weiter erlebt, daß Dutzende von Frauen, die ich verteidigt habe, wegen Arbeitsverweigerung vor die Sondergerichte gestellt und verurteilt wurden, wenn sie nicht mehr in der Lage waren, der Arbeit nachzugehen. Haushaltspflichten, Versorgung der Kinder, die Arbeit in einer Munitionsfabrik, dazu die anderen Belastungen des Krieges, daran mußte auch die stärkste Frau zerbrechen. Selbst wenn sie an der Arbeitsstelle vor Erschöpfung oder Krankheit oder im Klimax oder aus sonstigen Gründen am Ende ihrer Kraft waren, wurde der Strafantrag wegen Arbeitsverweigerung gestellt, und Freiheitsstrafen waren die Regel, Mindeststrafe vier Monate Gefängnis. Wer das sehend erlebt hat, weiß: Hier muß etwas geschehen, um den Richter daraufhin zu prüfen, ob er in der Lage ist, die Gesetze im Geist des sozialen Verständnisses anzuwenden. Auch der Richter des Dritten Reiches hatte einen gewissen [S. 290] Spielraum. Er hat aber diesen Spielraum nicht ausgenutzt. In Nürnberg ist die Rede davon gewesen, welchen Spielraum er gehabt hat. Ich könnte noch eine ganze Serie von Fällen

25)

Otto Georg Thierack (1889–1946), Jurastudium, Kriegsfreiwilliger am Ersten Weltkrieg, 1920 Assessorexamen, Gerichtsassessor in Sachsen, 1932 Mitglied der NSDAP, 1933 sächsischer Justizminister, 1935 Vizepräsident des Reichsgerichts und 1936–1942 Präsident des Volksgerichtshofs, 1942 Reichsministers der Justiz, Präsidenten der Akademie für Deutsches Recht und Herausgeber der monatlich erscheinenden „Richterbriefe“, vergiftete sich nach Festnahme durch die Alliierten bevor er im Nürnberger Juristenprozeß vor Gericht gestellt werden konnte. 26) Vgl. Richterbriefe. Dokumente zur Beeinflussung der deutschen Rechtsprechung 1942–1944. Hrsg. von Heinz Boberach, mit Beiträgen von Robert M. Kempner und Theo Rasehorn (= Schriften des Bundesarchivs Bd. 21). Boppard am Rhein 1975. Bernhard Wahl: Die Richterbriefe. Ein Beitrag zur Geschichte der nationalsozialistischen Justizpolitik. Heidelberg, Univ., Diss. 1982

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auch aus neuerer Zeit nennen, die uns mahnen, daß wir diesmal auf der Hut sein müssen. Unterstellen Sie uns doch nicht, daß wir den Richter unter die Parteipolitik einordnen wollen. Wir wollen zwar den politischen Richter, nicht aber den parteipolitischen Richter. Der politische Richter ist der Richter, der den Geist des Staates versteht, der sich als Diener des Staates, als Repräsentant des Staates fühlt und der nicht hämisch über die Demokratie witzelt. Dieser Vorschlag über die Institution einer Richterwahl kommt doch nicht aus dem Handgelenk. Herr Dr. de Chapeaurouge sprach von Hamburg. Ich möchte gerade Hamburg als Beispiel für die Richterwahlmethode nennen. Soweit ich informiert bin, haben Sie einen Ausschuß, (Dr. de Chapeaurouge [CDU]: aber nicht aus der Bürgerschaft!) – wenn auch nicht aus der Bürgerschaft, so doch aus Richtern und Rechtsanwälten, die vorschlagen bzw. wählen, wenn Richter angestellt werden. (Dr. Löwenthal [SPD]: In der Schweiz hat man es!) – Sehr richtig, in der Schweiz und in einigen Staaten von Amerika haben wir die Richterwahl. Oder ich denke an Bremen, wo man schon seit 1854 diese Einrichtung hat, und zwar einen Richterwahlausschuß, wie wir ihn uns wünschen, unter Beteiligung des Parlaments. Darin sind Parlamentsmitglieder, Vertreter der Bürgerschaft. Wir stehen also mit unserem Vorschlag nicht allein. Ich erinnere daran, daß die Oberlandesgerichtspräsidenten der westlichen Zonen kürzlich in Frankfurt den Standpunkt der Richterwahl vertreten haben. Ich erinnere ferner daran, daß Herr Dr. Ruscheweyh27), der Präsident des obersten Gerichts des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, sogar den Standpunkt vertritt, daß das Parlament mit eingeschaltet werden müsse, daß bei dieser wichtigsten Funktion der Auswahl der Richter, die auch eine Art Exekutive darstelle, das Parlament seine Stimme mit in die Waagschale werfen müsse. In Hessen haben wir ebenfalls bereits die Richterwahl nach einem Gesetz, das von der CDU mit beschlossen worden ist. Unser Vorschlag kommt also nicht von ungefähr. Ich sehe die Möglichkeit, den Richterstand gegen Faschismus und staatszersetzende Elemente tabu zu machen, ihn aber auch für den neuen Staat zu gewinnen, nur darin, daß der Richter nach seiner Persönlichkeit ausgewählt wird. Sagen Sie nicht, daß hier der Landesjustizminister die einzig richtige Stelle sei. Der Justizminister gehört wie jedes Kabinettsmitglied in der heutigen Zeit einer politischen Partei an. Ist da die Gefahr nicht viel größer, daß nach parteipolitischen Gesichtspunkten entschieden wird, als wenn ein Gremium entscheidet, das demokratisch zusammengesetzt ist? Diese Gesichtspunkte sollte man doch auch berücksichtigen. 27)

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Herbert Ruscheweyh (1892–1965), 1918 Dr. iur. in Kiel, 1921 Rechtsanwalt in Hamburg, 1928–1933 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft (SPD), 1931–1933 und 1946 Präsident der Hamburger Bürgerschaft, 1948–1960 Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichtes, 1953–1960 Präsident des Hamburgischen Verfassungsgerichts, nach dem 20. Juli 1944 verhaftet, 1946 von der britischen Besatzungsbehörden zum Präsidenten der ernannten Hamburger Bürgerschaft bestellt, 1946 Vizepräsident und 1948 Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichtes Hamburg, Präsident des obersten Gerichts des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1953 wurde er außerdem Präsident des Hamburgischen Verfassungsgerichts

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Schließlich darf ich noch auf eins hinweisen. Der Richter im neuen Staat soll kein Beamter sein. Man kann ihn nicht einfach nach beamtenrechtlichen Vorschriften berufen oder entlassen. Ich bin der Meinung, daß dem Postulat der Unabhängigkeit des Richters als Korrelat eine schärfere Kontrolle in der Richtung gegenüberstehen muß, daß er tatsächlich Diener und Anhänger des Staates ist, in dessen Namen er Recht spricht. Deshalb halte ich auch eine Richteranklage über den Tatbestand der Rechtsbeugung des Strafgesetzbuches hinaus für unbedingt erforderlich. Denken Sie daran, daß die Schatten der Vergangenheit hier vor uns stehen und daß wir im Sinne einer neuen Rechtsprechung im demokratischen Staat, aber auch im Sinne der Menschlichkeit Sicherheiten schaffen müssen, die in der Vergangenheit nicht vorhanden gewesen sind. Frau Wessel (Z): Ich werde für die Streichung des Art. 129a stimmen, weil ich für die Justizhoheit der Länder bin. Wenn ich für die Justizhoheit der Länder bin, kann ich den Ländern nicht eine Vorschrift auferlegen, wie sie hierin enthalten ist. Was hier an Kritik gegen die Richter und gegen die Einstellung der Richter angeführt worden ist, gehört nicht vor den Parlamentarischen Rat. Das müssen Sie vielmehr in Ihren Landtagen anbringen. Wenn hier gegenüber dem Landesjustizminister Dr. Sträter Kritik geübt wird, muß die Partei von Frau Dr. Selbert diese Einwendungen im Landtag von Nordrhein-Westfalen erheben. Was hier angeführt worden ist, mag in manchen Fällen durchaus richtig sein. Aber wir fassen hier einen Entschluß, der nicht von den gegenwärtigen Verhältnissen des Richterstandes ausgehen darf, die wir als Erbschaft des Dritten Reiches übernommen haben, sondern der für sehr lange Zeit, solange das Bundesgesetz bestehen soll, in Kraft bleibt. Man kann den Richter auf die Dauer nicht, wie Sie es wollen, durch ein sogenanntes Kollegium wählen. Es bleibt bei der Menschlichkeit, in der jeder, auch der Richter, steht, nicht aus, daß doch von parteipolitischen Gesichtspunkten aus mit entschieden wird. Man kann bei dem Richter vorher nicht alles nachprüfen. Der Richter wird sich genau so neutral verhalten, wie es bisher geschehen ist, und hinterher können doch die Schattenseiten da sein. Das sind menschliche Dinge, die wir auch mit einem solchen Artikel nicht beseitigen können. Ich bin nach wie vor für die Unabhängigkeit des Richterstandes, selbst wenn die Fälle vorgekommen sind, wie Sie sie jetzt darstellen, ich sage noch einmal, als Erbschaft des Dritten Reiches. Wir können nicht auf Grund der gegenwärtigen Verhältnisse, die wir alle nicht wünschen und die wir sicherlich auch nicht gutheißen, einen Stand, der, wie Sie ganz richtig sagen, für die Dauer auch eine Säule für den neuen Bund ist, durch die Wahl seitens eines solchen Kollegiums in eine Abhängigkeit bringen. Sie werden auch durch ein solches Kollegium nicht Fälle verhindern, die Ihnen nicht gefallen. Es muß vielmehr die Möglichkeit bestehen, daß in den zuständigen Länderparlamenten die Kritik geübt wird, die hier ausgesprochen worden ist. Weil wir von der Zentrumspartei für die Justizhoheit der Länder sind, kann ich mich diesem Art. 129a nicht anschließen. Dr. Katz (SPD): Ein paar Worte zur Klarstellung. Ich bin mit dem Herrn Kollegen Dr. Laforet und mit Frau Wessel der Ansicht, daß die Justizhoheit der Länder hergestellt werden soll. Wir sind der Ansicht, daß die Länder, da die Justizhoheit bei ihnen sein muß, ein Gesetz haben müssen – und das sieht dieser Art. 129a vor –, das sie ermächtigt, diese Justizhoheit auch selber auszuüben.

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Man kann nicht kritisieren, daß die Länderregierungen etwa ihr Recht zur Ernennung der Richter falsch ausgeübt haben. Seitdem die Länderregierungen diese Funktion haben, ist die Sache im großen und ganzen in Ordnung. Aber die Sache ist nicht im ganzen in Ordnung – insofern muß ich die Frage des Kollegen Dr. de Chapeaurouge beantworten –, und zwar deshalb nicht, weil wir die Erbschaft der Übergangszeit haben übernehmen müssen, die Erbschaft der Jahre 1945 und 1946, als von der Besatzungsmacht in großer Eile die richterliche Gewalt wiederhergestellt worden ist. Das ist ohne die erforderliche genügende Nachprüfung geschehen. Wir haben in dieser Beziehung einige traurige Erfahrungen machen müssen. Man hat nachträglich den Länderregierungen, wie Sie wohl wissen, die Akten des Reichsjustizamts zur Verfügung gestellt, in denen gewisse Eintragungen über die Zugehörigkeit zur NSDAP und zu nationalsozialistischen Gruppen, über Zuverlässigkeit und Ähnliches enthalten sind. Dabei hat sich herausgestellt, daß eine ganze Reihe von Richtern in den Jahren 1945 und 1946 bei ihrer Einstellung in den vorläufigen Dienst unzutreffende Angaben gemacht haben. Diese Dinge werden jetzt nachgeprüft. Diese Tatsache beweist bereits, mit welcher Oberflächlichkeit damals verfahren worden ist, vielleicht verfahren werden mußte, weil in der kurzen Zeit eine solche Nachprüfung nicht möglich war. Der Sinn des Art. 129a ist, die Justizhoheit der Länder voll wiederherzustellen und ihnen die Möglichkeit zu geben, in eine Nachprüfung des gesamten Justizpersonals einzutreten. Es ist nicht zu leugnen, daß eine Vertrauenskrise der Justiz besteht. Um diese Vertrauenskrise der Justiz zu beheben und [S. 291] um den Ländern die Gelegenheit zu geben, ihre Landesjustizhoheit voll wiederherzustellen, ist der Art. 129a eine unbedingte Notwendigkeit. Sonst behalten wir die Zustände, wie sie sind. Diese Zustände sind sehr schwer tragbar. Ich habe nur einen formellen Antrag zu diesem Artikel. Hier heißt es: „Über die vorläufige und die Anstellung . . .“ Die Worte „vorläufige und die“ können wegfallen. Ebenfalls können die Worte „auf Lebenszeit“ wegfallen. Darüber werden die Landesgesetze entscheiden. Wir wollen ja die Möglichkeit für die Landesgesetzgebung schaffen, die augenblicklich auf diesem Gebiet nicht besteht. Diejenigen Länder, die mit ihren augenblicklichen Zuständen zufrieden sind, können von dem Erlaß neuer Landesgesetze absehen. Es soll aber denjenigen Ländern, die mit den Zuständen auf dem Gebiet der Justiz nicht zufrieden sind, nicht die Möglichkeit genommen werden, durch Landesgesetze die Dinge zu korrigieren und diejenigen Zustände zu schaffen, die sie für erforderlich halten. Dr. Laforet (CSU): Ich bin überrascht, daß niemand von den Kollegen und Kolleginnen den Art. 133 hier einbezogen hat. Gerade nach dem, was aus unserem Kreise gefordert ist, soll diese besondere Bestimmung des Art. 133 sogar auf die Richter erstreckt werden. Wenn ein Beamter innerhalb oder außerhalb des Amtes gegen die Grundsätze des Grundgesetzes des Bundes oder Verfassungsgesetze des Landes oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstößt, so macht er sich eines Dienstvergehens schuldig; es tritt das Dienststrafverfahren ein. Ich fasse den Art. 133 so auf, daß dieser Grundsatz auch dem Richter gegenüber betont wird, und bin grundsätzlich mit dem Art. 133 einverstanden. Er soll uns die Gewähr geben zu verhindern, daß innerhalb oder außerhalb des Amtes gegen die Grundsätze der Verfassung verstoßen wird. Darum dreht es sich aber hier nicht. In Art. 129a

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steht nicht: die Länder sind ermächtigt, etwas zu tun. Die Länder haben jetzt schon diese Befugnis auf Grund ihrer Justizhoheit. Sie könnten nach dem Ermessen ihres Gesetzgebungsorgans Richterwahlausschüsse einführen. Wenn der Herr Kollege Stock Beschwerden gegen die Handhabung der Justizverwaltung hat, so möge er sie dort vorbringen, wo sie hingehören, nämlich im bayerischen Landtag. Hier fehlt jegliche Zuständigkeit. In dem Ausschuß für Rechtspflege hat ein hochangesehenes Mitglied der bayerischen Regierung von früher nachdrücklich erklärt, daß bei der Erlassung der bayerischen Verfassungsurkunde der Grundsatz der Justizhoheit von allen bayerischen Parteien betont worden ist. Diese Bestimmung verstößt gegen den Grundsatz der Justizhoheit und ist deshalb unbedingt zu streichen. Schönfelder (SPD): Ich wollte nur ein kurzes Wort zu der Meinung sagen, wenn die Ernennung eines Richters durch einen Ausschuß erfolge, sei die Gefahr einer politischen Entscheidung vorhanden. Mir scheint, diese Gefahr ist in viel höherem Maße vorhanden, wenn ein Mann nach seiner politischen Meinung die Auswahl trifft. Wenn in einem Parlament ein Ausschuß dazu bestellt wird, wird er wohl niemals nur aus einer politischen Richtung zusammengesetzt sein. Wenn drei oder vier Herren dazu bestellt werden, ist anzunehmen, daß bei der Auswahl der Einfluß aller politischen Richtungen zur Geltung kommt. Mir scheint also eine sichere Gewähr, daß nicht einseitig politisch entschieden wird, bei einem Wahlausschuß eher als bei der Entscheidung durch eine einzige Persönlichkeit gegeben zu sein. Herr Dr. de Chapeaurouge hat soeben darauf hingewiesen, daß wir in Hamburg eine Kommission hätten, die jedoch nur aus Anwälten und Richtern bestehe. Er kann versichert sein, daß nach dem jetzt vorliegenden Entwurf dieser Wahlausschuß in der neuen Verfassung genau so gestaltet werden wird, wie das hier gefordert wird. Walter (CDU): Ich möchte nur einige kurze Ausführungen zu den Darlegungen des Herrn Kollegen Dr. Katz machen. Nach meiner Ansicht gehen sie fehl. So wie die Fassung des Art. 129a28) jetzt lautet, bezieht sich der Artikel nur auf die Zukunft und nicht auf die Vergangenheit. Er bezieht sich also nicht auf die Richter, die in der Zwischenzeit in der britischen Zone mit Genehmigung oder auf Weisung der Militärregierung eingestellt worden sind. Wenn der Artikel gestrichen wird, haben die Länder, die die Justizhoheit besitzen, plein pouvoir, wie sie mit den Richtern vorgehen wollen, die ihnen nicht genehm sind. Sie können entsprechende Gesetze erlassen oder auf Grund der bestehenden Gesetze das Erforderliche veranlassen, um solche Richter auszuschalten. Wenn die Richter, die hier in Nordrhein-Westfalen oder in der britischen Zone überhaupt eingestellt worden sind, starke braune Flecken haben und wenn es sich jetzt herausstellt, daß sie falsche Angaben in den Fragebogen gemacht haben, so ist ein Strafverfahren wegen Fragebogenfälschung ohne weiteres möglich. Wird dieser Tatbestand festgestellt, scheiden sie ohne weiteres aus. Ich meine, aus diesem Grunde benötigen wir den Art. 129a nicht. Renner (KPD): Es ist immerhin eine erfreuliche Tatsache, daß niemand in diesem Kreis versucht hat, die sehr klaren und eindeutig zum Ausdruck gebrachten Anklagen gegen das Richterkollegium und die Staatsanwaltschaft abzuschwächen. Ich 28)

Statt: „Art. 129a“ im stenograph. Wortprot., S. 52: „Art. 129“.

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habe gestern29) schon einiges zu den Dingen gesagt. Nachdem Herr Dr. Laforet heute auf den Art. 133 aufmerksam gemacht hat, bin ich gezwungen, noch etwas zu der Sache zu sagen. In Art. 133 heißt es: „Wenn ein Richter in oder außerhalb des Amtes gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstößt, so kann bei Bundesrichtern das Bundesverfassungsgericht, bei Landesrichtern das für Verfassungsstreitigkeiten zuständige Gericht seines Landes ihn seines Amtes für verlustig erklären und zugleich bestimmen,“ – und nun kommt das Entscheidende – „ob er in ein anderes Amt oder in den Ruhestand zu versetzen oder zu entlassen ist.“ Ich möchte dazu kurz und bündig ein deutsches Sprichwort zitieren: „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“ Wir haben in der britischen Zone, wie das hier ganz eindeutig zum Ausdruck gebracht worden ist, bis vor kurzem keine Möglichkeit gehabt, unsere Justiz einschließlich der Staatsanwaltschaft auf ihre „braunen Flecken“ hin zu untersuchen. Wir haben heute den Tatbestand, daß das Gros der bei uns amtierenden Richter und Staatsanwälte zu einem Zeitpunkt eingesetzt worden ist, als dieses Recht den deutschen Stellen überhaupt noch nicht gegeben war. Diese Richter und Staatsanwälte, die nachweislich zu 90 und mehr Prozent Mitglieder der NSDAP waren, sitzen nun da. War schon die Entnazifizierung im allgemeinen eine Farce, so ist sie auf diesem Sektor eine geradezu jämmerliche Farce gewesen. Das muß doch einmal deutlich ausgesprochen werden. Betrachten wir uns einmal kurz die heutigen Urteile etwa in Fällen, in denen ehemalige Nazis unter der Anklage des Verbrechens gegen die Menschlichkeit vor deutschen Gerichten zur Aburteilung kommen. Da haben wir doch geradezu schauerliche, empörende Urteile erlebt. Hier ist an die Euthanasiemorde erinnert worden. Ein Düsseldorfer Gericht hat sich vor kurzem auch mit einer solchen Anklage beschäftigt. Die verantwortlichen Ärzte und Wissenschaftler sind freigesprochen worden. Man hat ihnen den dialektischen Dreh geglaubt, daß sie an den Morden schuldlos seien. Aber die Pflegerinnen, denen es an dieser Dialektik gemangelt hat und die dumm genug waren, ihre Beteiligung an der Ausführung der Morde zuzugeben, sind zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt worden. So geschehen bei uns in Düsseldorf! Nachdem ich gestern festgestellt habe, daß die Justiz in der Weimarer Zeit ihre Aufgabe geradezu darin erblickt hat, die Republik von Weimar von der juristischen Seite her zu unterminieren, erlauben Sie mir, Ihnen zwei Tatsachen vor Augen zu halten. Leider ist das Material, das uns bis heute über den Komplex zur Verfügung steht, noch sehr lückenhaft. Nach statistischen Berechnungen, die unantastbar sind, wurden in der Zeit von November 1918 bis Ende 1922 nicht weniger als 354 politische Morde von rechts begangen, denen 22 Morde von links gegenüberstanden. Die Gesamtsühne der Morde von links waren 10 Erschießungen, 3 Verurteilungen zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe [S. 292] und etwa 294 Jahre Haft. Demgegenüber wurden die 354 nachgewiesenen politischen Morde von rechts so gesühnt, daß man von einer Sühne überhaupt nicht reden kann. Es fehlen darüber bedauerlicherweise noch abschließende Zahlen. (Dr. Becker [FDP]: Trotzdem urteilen Sie abschließend!) 29)

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Vgl. die 22. und 23. Sitzung des HptA am 8. Dez. 1948; oben Dok. Nr. 22 und 23.

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– Ja, weil dafür gesorgt worden ist, daß diese Unterlagen bis heute nicht beigebracht werden konnten, während wir in der Lage waren, die statistischen Erhebungen nach der anderen Seite genauestens durchzuführen. Das ist die Ursache. Nun eine andere Sache. Im Jahre 1932 hatte das Reichsgericht Gelegenheit, sich im Zuge einer Anklage wegen Hochverrats gegen einen Reichswehroffizier mit der Frage der Recht- und Verfassungsmäßigkeit der nationalsozialistischen Partei zu beschäftigen. Damals war es offenbar, daß die allgemeine politische Zielsetzung dieser Partei nichts anderes war als offene Aufforderung zum Diebstahl, zum Mord etwa an den jüdischen deutschen Staatsbürgern und zu einer schamlosen Unterdrückung der Arbeiterklasse und der Gewerkschaften. Was hat das Reichsgericht getan? Man hat Herrn Adolf Hitler als Zeugen vorgeladen. Herr Adolf Hitler hat die Verfassungsmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit seiner Partei beschworen. Dieser Eid eines Adolf Hitler hat dem Gericht als Unterlage seiner Erkenntnis genügt, daß die Partei legal ist. Wenn ich gestern behauptet habe, daß deutsche Richter der Weimarer Zeit durch ihre Rechtsprechung gegen rechts, besser gesagt, durch ihre Rechtsbeugung gegen Angeklagte aus der NSDAP den demokratischen Unterbau der Weimarer Republik unterminiert haben, so glaube ich heute dafür den eindeutigen Beweis erbracht zu haben. Bei allen Bedenken gegen den hier in Art. 129a vorgesehenen Richterwahlausschuß, der mir keineswegs genügt, stimme ich doch für diesen Artikel. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Herr Kollege Schönfelder hat eine Bemerkung über den Richterwahlausschuß gemacht, der in der kommenden Hamburger Verfassung verankert werden soll. Ich möchte demgegenüber nur feststellen, daß der unter sozialdemokratischer Führung stehende Hamburger Senat einen recht interessanten Verfassungsentwurf vorgelegt hat, der für höhere Verwaltungsbeamte und für Richter gewisse Wahlmodalitäten enthält. Diese Wahlmodalitäten sehen aber nicht eine Wahl durch das Parlament oder durch eine entscheidende Anzahl von Parlamentsmitgliedern vor, sondern nur eine Anhörung derjenigen, die wirklich qualifiziert sind, hier mitzuwirken. Ich glaube, in dem Wahlausschuß sind zwei Mitglieder der Bürgerschaft, niemals eine Mehrheit, die wirklich entscheiden kann. Herr Kollege Schönfelder, wenn Sie auch einen großen Einfluß in der Hamburger Bürgerschaft haben und eine große Fraktion kommandieren können, so können Sie doch nicht sagen, wie diese Sache laufen wird, weil sicher die Meinungen zu dieser Frage auch in Ihrer Fraktion in Hamburg nicht einheitlich sein werden30). Dr. Dehler (FDP): Die Diskussion geht um die schwere Aufgabe, die uns gestellt ist, die Justiz wirklich stabil zu machen und der Justiz Vertrauen zu schaffen. Ich weiß nicht, ob man der Justiz damit dient, daß man sie aus der Vergangenheit her mit Mißtrauen belastet. Ich war genau so wie Frau Dr. Selbert in der Nazizeit als Anwalt vor Sondergerichten. Ich habe vor Hochverratssenaten gestanden und habe wie sie um das Recht gekämpft. Ich habe aber nicht wie sie nur bösen Willen gefunden. Man vergißt zu sehr, wie heroisch der deutsche Richter zum Teil gegen das Unrecht gekämpft hat, wie sehr er sich im Rahmen des Möglichen für das ewige Recht eingesetzt hat. 30)

Im stenograph. Wortprot., S. 57, folgt danach der Zwischenruf: „(Schönfelder [SPD]: Ich weiß in meiner Fraktion besser Bescheid als Sie.)“

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(Frau Dr. Selbert [SPD]: Diese Leute sind mit der Laterne des Diogenes zu suchen!) – Vielleicht ist mein Einblick beschränkt. Ich habe Besseres erlebt. Ich habe mit Richtern und mit Staatsanwälten zusammen beinahe Tag für Tag geprüft, wie wir dem Druck entgehen können. (Renner [KPD]: Die vollen Zuchthäuser, die Tausende von Hinrichtungen beweisen es!) – Man kann den deutschen Richter nicht damit belasten, daß die deutsche Politik gefehlt hat. Der deutsche Richter stand unter dem Zwang des Gesetzes. (Renner [KPD]: Allgemeine Entschuldigung!) Er konnte sich dem Druck des Gesetzes nicht entziehen. Wir wollen doch nicht unsere Richter mit einer Hypothek belasten, für die sie keine Schuld tragen. (Dr. Greve [SPD]: Sie sind belastet, sie brauchen nicht belastet zu werden!) – Was nützen Sie denn mit Ihrer Kritik? Ich darf von mir sagen, daß ich versuche, die Dinge zu bessern. Wenn ich das Amt übernommen habe, so habe ich es übernommen wegen der Verantwortung, die ich fühle. Und ich möchte jedem sagen, daß er das gleiche tun soll, daß er sich in die Bresche stellen und für ein besseres Recht und eine bessere Rechtsprechung mitwirken soll. Wer tut es denn? Die meisten entziehen sich dieser Aufgabe. Mit hämischer Kritik ist nichts getan. (Dr. Greve [SPD]: Wir haben in der britischen Zone andere Verhältnisse. Sie können hier als Oberlandesgerichtspräsident sitzen. Bei uns in der britischen Zone kann das kein Amtsrichter.) Der Kollege Stock hat die Verhältnisse in meinem Gerichtsbezirk angeschnitten. Ich bin verpflichtet, dazu hier in der Öffentlichkeit Stellung zu nehmen. Ich habe nicht geduldet, daß ein Richter das hohe Richteramt wiederbekam, wenn er ein Nazi gewesen ist. Stellen Sie doch nicht in so primitiver Weise, wie es hier geschieht, Mitglieder der NSDAP den Nazis gleich. Sie verewigen hier eine Kluft und schaffen ein Unrecht. Das ist doch unmöglich. In meinem Bezirk ist kein Richter tätig, zu dem ich nicht Vertrauen habe. Am Ende kommt es doch auf mein Vertrauen und auf das Vertrauen des Justizministers an. Das ist auch die wesentliche Grundlage dieser gesetzlichen Bestimmung hier. Durch Wahlausschüsse werden Sie niemals eine Korrektur bringen. Sie betrauen in ihren Ländern Persönlichkeiten auf Grund ihres Vertrauens mit der Aufgabe, die richtigen Richter ins Amt zu setzen. Niemand kann ihnen die Verantwortung für die Erfüllung dieser Aufgabe abnehmen. Sie müssen gegenüber dem Parlament verantwortlich sein. Durch Ausschüsse, durch Wahlen, die Sie dazwischenschieben, verwischen Sie nur die Verantwortung. Renner (KPD): Ich muß mich korrigieren. Es hat sich doch jemand gefunden, der Entschuldigungen findet. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 129a abstimmen. Die veränderte Fassung beginnt mit den Worten: „Über die Anstellung der Richter entscheidet in den Ländern . . .“ – Der Artikel ist mit 12 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Dr. Katz (SPD): Ich habe aus den Ausführungen des Kollegen Dr. Laforet entnommen, daß er in der Hauptsache gegen den Artikel gestimmt hat, weil das eine MußVorschrift ist, die den Ländern den Wahlausschuß auferlegt. Ich stelle einen Eventualantrag, der diese Muß-Vorschrift in eine Kann-Vorschrift umwandelt, welche

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den Ländern das Recht gibt, eine entsprechende Regelung zu treffen. Es handelt sich um einen Art. 129a, der folgenden Wortlaut hat: Die Länder sind ermächtigt, nach Maßgabe näherer landesgesetzlicher Regelung die Landesjustizminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß des Landes über die Anstellung der Richter und die Fortdauer des Amtes bereits angestellter Richter entscheiden zu lassen. Wenn dieser Antrag angenommen wird, ist es den einzelnen Ländern überlassen, in der Zukunft einen Richterwahlausschuß heranzuziehen und gleichzeitig die notwendige Nachprüfung der in der Zwischenzeit seit 1945/46 mit ungenügender Vorprüfung bereits angestellten Richter vornehmen zu lassen. Dr. Laforet (CSU): Das ist das gleiche. Es ist wieder ein Einbruch in die Justizhoheit der Länder. (Dr. Greve [SPD]: Nein!) [S. 293] Wir brauchen diese Ermächtigung gar nicht. (Dr. Greve [SPD]: Doch, wir in der britischen Zone brauchen sie. Es gibt noch mehr Länder in dem Bundesgebiet als Bayern.) – Dann erlassen Sie es, bitte, in Ihrem Gliedstaat. (Dr. Greve [SPD]: Wir haben keine Verfassung. Deswegen brauchen wir die Bestimmung.) – Machen Sie die Verfassung! (Dr. Greve [SPD]: Wir brauchen keine, wenn der Bund eine hat; wir brauchen dann nur ein Landesgrundgesetz.) – Die Bundesverfassung ersetzt nicht die Landesverfassung. Das ist ein Weg, den wir grundsätzlich nicht einschlagen können. Wieder ist der Wahlausschuß obligatorisch vorgeschrieben. All das soll den Ländern in ihrer Zuständigkeit überlassen werden. Ich verkenne nicht die gute Absicht und verstehe, daß hier Schwierigkeiten bestehen. Aber auf dem Weg einer solchen Bestimmung kann ich einen Einbruch in die Justizhoheit der Länder nicht mitmachen. Ich bitte daher um Ablehnung des Antrages. Renner (KPD): Die Stellungnahme des Herrn Dr. Laforet zu diesem Antrag ist meines Erachtens der eindeutige Beweis dafür, daß es ihm nicht darauf ankommt, die Justizhoheit der Länder zu verteidigen. Die Justizhoheit der Länder ist durch diese Fassung nicht angetastet, wie sie auch durch die ursprüngliche Fassung nicht angetastet ist. Wer den Ländern die Möglichkeit, die wir in der britischen Zone unbedingt haben müssen, verbauen will, legt Wert darauf, daß uns das Richterkollegium in der heutigen politischen Zusammensetzung für alle Zeiten erhalten bleibt. (Dr. Greve [SPD]: Sehr richtig!) Dr. Katz (SPD): Ich muß dem Kollegen Dr. Laforet widersprechen, wenn er annimmt, daß dieser Antrag einen Eingriff in die Justizhoheit der Länder darstellt. Das ist nicht im geringsten der Fall. Der Antrag stellt es in das Ermessen der Landesgesetzgebung, entsprechende Gesetze zu erlassen, und bekräftigt die Justizhoheit der Länder. Das Gegenteil von dem, was der Kollege Dr. Laforet sagt, ist der Fall. Diese Regelung ist notwendig, weil eine Überprüfung der in den Jahren 1945 bis Anfang 1947 vorgenommenen Richteranstellungen erfolgen muß. Wir können das ohne diese Bestimmung nicht tun, weil dem die Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes entgegenstehen.

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(Walter [CDU]: Das können Sie doch im Wege der Entnazifizierung machen. – Dr. Greve [SPD]: Das ist bei uns Renazifizierung.) Dr. Seebohm (DP): Ich bin der Auffassung, daß der Antrag von Herrn Dr. Katz, wenn er in dieser Form gestellt wird, nicht hierher, sondern in die Übergangsbestimmungen gehört. Wenn es sich überhaupt nur darum handelt, die in den Jahren 1945 und 1946 von den Militärregierungen eingesetzten Richter zu überprüfen, so ist das keine Angelegenheit, die in diesem Abschnitt zu behandeln ist. Ich bin auch der Auffassung, daß die Länder durchaus die Möglichkeit haben, durch entsprechende Verfassungsbestimmungen, die sie sich selbst geben können, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Ich würde das durchaus unterstützen. Hier gehört es nach meiner Ansicht nicht hin. In den Ländern der britischen Zone wird auch nicht einheitlich die Auffassung vertreten, daß, wenn ein Bundesgrundgesetz vorhanden ist, keine Verfassung für die Länder notwendig ist. Wir stehen durchaus auf dem Standpunkt, daß eine solche Verfassung auch in den Ländern der britischen Zone notwendig ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist wohl übersehen worden, daß das Gerichtsverfassungsgesetz Bundesrecht ist. Bundesrecht bricht Landesrecht. Wenn keine bundesrechtliche Ermächtigung gegeben ist, können die Länder keine gesetzgeberischen oder administrativen Maßnahmen treffen, die etwa ermöglichen könnten, die Rechtsverhältnisse schon angestellter Richter zu überprüfen und solche Richter aus Gründen irgendwelcher Art wieder ihres Amtes zu entheben. (Dr. Laforet [CSU]: Art. 133!) Das Gesetz hat ganz bestimmte Akte vorausgesetzt. Das gibt keine Garantie für die Eignung des Richters von seiner Gesamtpersönlichkeit aus. Ich wollte darauf nur hinweisen, damit Klarheit darüber besteht, welches die Folge einer Annahme oder Ablehnung dieses Zusatzantrages ist. Dr. Laforet (CSU): Ich möchte unter keinen Umständen ausgeschlossen wissen, daß die Länder eingreifen können, wenn sie es für notwendig halten, hier von ihrer Justizverwaltung aus einzugreifen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das können sie aber nicht. Dr. Laforet (CSU): Wenn es nicht geschieht, ist es ein Fehler des verfassungsmäßigen Organs dieses Landes. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nein. Das Gerichtsverfassungsgesetz bestimmt die lebenslängliche Anstellung und die Unabsetzbarkeit des Richters. Die Länder müssen sich innerhalb dieses Rahmens bewegen. Sie können also bei einem Richter, der etwa nach den Methoden der britischen Zone lebenslänglich angestellt worden ist, nichts mehr tun, wenn wir hier keine bundesgesetzliche Ermächtigung geben. Ob die Länder von der Bestimmung Gebrauch machen wollen oder nicht, liegt nach dieser Fassung ganz in ihrem Ermessen. Aber wenn sie es wollen, brauchen sie diese Ermächtigung, um es tun zu können, was auch Sie offenbar nicht ganz ausschließen wollen. Dr. Katz (SPD): Zu dem ersten Punkt der Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Seebohm möchte ich erklären: es ist uns vollkommen gleichgültig, wo dieser Artikel steht. Wenn Sie ihn in die Übergangsvorschriften aufnehmen wollen, sind wir damit hundertprozentig einverstanden. Der Herr Kollege Dr. Laforet hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, ausgeführt,

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er möchte nicht eine Revision etwaiger unhaltbarer Zustände in der britischen Zone auf die Dauer unterbinden. Wenn Sie diesen Antrag ablehnen, unterbinden Sie eine Korrektur. (Dr. Laforet [CSU]: Nein!) Es gibt sonst keine Möglichkeit, es zu tun. Wir könnten auch durch eine Länderverfassung das Gerichtsverfassungsgesetz in diesem Punkt nicht außer Kraft setzen. Es gibt nur die Korrektur an dieser Stelle, oder sie kommt nie. Ich glaube nicht, daß man anders weiterkommen kann. Wenn Sie die Möglichkeit einer Korrektur dieser Zustände in einzelnen Ländern, wo sich solche Mißstände herausgebildet haben, nicht völlig unterbinden wollen, müssen Sie diesem Antrag zustimmen, der das in das Ermessen der Gesetzgebung der Länder stellt, der die Justizhoheit der Länder nicht beseitigt, sondern sie noch verstärkt. Frau Wessel (Z): Mir ist bei diesem Antrag nicht ganz klar, ob er sich nur auf jene Fälle beziehen soll, von denen wir glauben, daß sie durch falsche Einstellung seitens der Militärregierung herbeigeführt worden sind. Oder wollen Sie mit diesem Antrag auch erreichen, daß dieses System in der Zukunft bei Neueinstellungen Platz greifen soll? Vors. Dr. Schmid (SPD): Wenn die Länder wollen. Dr. Greve (SPD): Nur, wenn die Länder wollen. Dr. Katz (SPD): Es liegt bei den Ländern, ob sie es wollen oder nicht. Die Bestimmung gibt ihnen die Möglichkeit, es zu tun. Ob sie davon Gebrauch machen wollen, ist ihre Sache. Dr. Laforet (CSU): Es ist noch die Besonderheit gegeben: gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß. Wer also den Richterwahlausschuß nicht billigt, braucht von dieser Bestimmung keinen Gebrauch zu machen. [S. 294] Dr. Katz (SPD): Ich wäre auch damit einverstanden zu sagen: mit oder ohne Richterwahlausschuß. (Dr. Greve [SPD]: Es ist den Ländern freigestellt, ob mit oder ohne Richterwahlausschuß.) Wir können hineinschreiben: eventuell mit einem Richterwahlausschuß für diejenigen Länder, die ihn gern haben wollen. Dagegen haben wir nichts. Es braucht nicht obligatorisch zu sein. Dr. Laforet (CSU): Da ist es aber imperativ. Wir brauchen die Bestimmung nicht. Sie kommen doch mit dem Richterdisziplinargesetz, Sie kommen mit dem Art. 133 aus. (Dr. Greve [SPD]: Nein. So alt wird keiner von uns, daß er einen solchen Fall erlebt.) Dr. Strauß (CDU): Mir scheint es wirklich nicht notwendig zu sein, diese Frage heute hier zu entscheiden. Denn die Voraussetzungen der Anstellung von Richtern sind seit 1879 im Gerichtsverfassungsgesetz31) geregelt. Wenn sich aus der Lage insbesondere in der englischen Zone, vielleicht auch in der französischen Zone die Notwendigkeit ergibt, hier Einschränkungen zu machen, so bin ich der An31)

Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877 (RGBl. S. 41) trat am 1. Oktober 1879 gemäß § 1 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877 (RGBl. S. 77) in Kraft.

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sicht, daß es der einfache Bundesgesetzgeber durch eine entsprechende vorübergehende Abänderung des Gerichtsverfassungsgesetzes machen und es den Ländern überlassen kann. Dieser Weg ist einfacher, als hier beim Grundgesetz darüber zu entscheiden. (Dr. Greve [SPD]: Das würde einen Eingriff in die Justizhoheit bedeuten. – Renner [KPD]: Dann sind die lange tot, und ihre Nachfahren beziehen die Pension.) Dr. Löwenthal (SPD): Ich verstehe den Widerstand nicht, der auf der anderen Seite des Hauses gegen die Möglichkeit der Nachprüfung der Richter geleistet wird. Wenn man sich dagegen wehrt, muß man das Gefühl haben, daß die Richter eine Vergangenheit haben, die sie der Nachprüfung entziehen wollen. Von einem Richterwahlausschuß, der zusammen mit dem Landesjustizminister die Nachprüfung vorzunehmen hat – wobei der Richterwahlausschuß von dem Parlament unter Berücksichtigung der Parteiverhältnisse zusammengesetzt wird –, kann man doch erwarten, daß er die Tatsachen wirklich prüft und auch gerecht abwägt. Ich möchte Sie noch auf einen anderen Gesichtspunkt aufmerksam machen, der Ihrem Interesse offenbar entgangen ist. Sie denken jetzt nur an die Länder der britischen, amerikanischen und französischen Zone. Sie erwarten aber doch alle, daß eines Tages auch die Länder der Ostzone zu uns kommen. Hier wird ganz besonderer Anlaß bestehen, die Richter nachzuprüfen. Genau so gut wie die Richter in den westlichen Zonen ihr Amt zum Teil politisch vollkommen einseitig ausgeübt haben, sind die Richter in der Ostzone jetzt, gezwungen oder freiwillig, in der gleichen Lage. Wenn Sie die Möglichkeit nicht geben, daß die einzelnen Länder eine solche Nachprüfung vornehmen, sind Sie gezwungen, diese ganze Gesellschaft, die sich jetzt in der Ostzone als Richter aufgetan hat, als solche zu übernehmen. Dr. Katz (SPD): Vielleicht ist es angemessen, daß die Fraktionen die Frage noch einmal überlegen und besprechen. Ich beantrage daher Aussetzung. Kaufmann (CDU): Meiner Ansicht nach ist die Sache ausgiebig debattiert. Die Mehrheit ist der Meinung, daß die Sache in dieser Form und an dieser Stelle nicht geht. (Widerspruch bei der SPD.) Wenn die Verhältnisse in der englischen Zone vorübergehend eine Bestimmung nötig machen, die Lockerungsmöglichkeiten in bezug auf das Gerichtsverfassungsgesetz ergibt, läßt sich wahrscheinlich, wenn der Rechtspflegeausschuß darüber noch einmal verhandelt, die Möglichkeit finden, etwas Derartiges in den Übergangsbestimmungen festzulegen. Ich bitte deshalb, die Sache nicht auszusetzen, sondern über diesen Artikel abzustimmen und dem Rechtspflegeausschuß anheimzugeben, über eine solche Übergangsbestimmung noch einmal zu verhandeln. Dr. Strauß (CDU): Ich bitte, den Antrag so zu formulieren, daß gesagt wird, in die Übergangsbestimmungen möge ein Artikel dieses Inhalts – noch nicht die endgültige Fassung – aufgenommen werden und der Rechtspflegeausschuß möge die endgültige Formulierung finden und erneut vorlegen. (Dr. Laforet [CSU]: Nein!) Walter (CDU): Ich stelle den Antrag, die Beratung und Abstimmung bis zur zweiten Lesung zurückzustellen. So wie der Antrag Dr. Katz lautet, besteht die Gefahr, daß

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nunmehr die Länder die lebenslängliche Anstellung der Richter abschaffen können. Dagegen habe ich grundsätzliche Bedenken. Andererseits habe ich Verständnis für das Motiv Ihres Antrages. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es sind zwei Anträge zur Geschäftsordnung gestellt. Der eine Antrag geht auf Zurückstellung bis zur zweiten Lesung, der andere Antrag auf Verweisung an den Rechtspflegeausschuß. Ich lasse über den Antrag auf Zurückstellung der Abstimmung bis zur zweiten Lesung abstimmen. – Der Antrag ist mit 12 gegen 6 Stimmen angenommen. Die Entscheidung wird bis zur zweiten Lesung zurückgestellt.

[1.3. ART. 129b: ENTSCHEIDUNG VON LANDESRECHTLICHEN STREITIGKEITEN DURCH OBERE BUNDESGERICHTE]

Wir können noch Art. 129b behandeln, der lautet: Dem Bundesverfassungsgericht kann durch Landesgesetz die Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, den oberen Bundesgerichten für den letzten Rechtszug die Entscheidung in solchen Sachen zugewiesen werden, bei denen es sich um die Anwendung von Landesrecht handelt. Ich lasse abstimmen. – Der Art. 129b ist gegen 1 Stimme angenommen. Der Hauptausschuß vertagt sich auf Donnerstag, den 9. Dezember 1948, 15 Uhr. Schluß der Sitzung 13.11 Uhr.

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Nr. 25 Fünfundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 9. Dezember 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 295–303. PA 2004. Ungez. von Senz gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 484 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: Blomeyer, Fecht, Kaufmann, Kleindinst, Laforet, von Mangoldt, Süsterhenn, Walter SPD: Greve, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wolff, Zimmermann FDP: Becker, Dehler DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Wessel Abgeordnete ohne Stimmrecht: Eberhard (SPD), Katz (SPD), Löwenthal (SPD) Stenographischer Dienst: Senz Dauer: 15.32–15.35 Uhr und 16.40–18.00 Uhr

[1. STELLUNGNAHME DER CDU/CSU-FRAKTION ZU EINEM BEITRAG IM INFORMATIONSDIENST DER SPD]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Vor Eintritt in die Tagesordnung erteile ich Herrn Dr. Süsterhenn das Wort zu einer Erklärung. Dr. Süsterhenn (CDU): Unserer Fraktion ist heute ein Exemplar des Informationsdienstes SOPADE zugesandt worden. Es heißt das wohl „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“. Ich weiß nicht, wie SOPADE sonst noch übersetzt werden kann3). SOPADE ist veröffentlicht in Hannover, Lizenzträger ist Fritz Heine4), und es erscheint im Vorwärts-Verlag in Hannover in der Odeonstraße. In diesem Informationsdienst, der einen ausgesprochen parteiamtlichen Charakter der SPD hat, befindet sich ein Artikel, in dem die Überschriften und Stichworte lauten: CDUPolitik des nationalen Verrats5). – CDU verrät nationale Interessen. – Adenauer 1)

Protokollführer Strätling. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) „Sopade“ oder „SoPaDe“ nannte sich die SPD im Prager (1933–1939), Pariser (1939/40) und angelsächsischen Exil (1940–1945). 4) Fritz Heine (1904–2002), kaufmännischer Angestellter, Nebenberuflich Redakteur einer hannoverschen Sportzeitung, 1922 Mitglied der SPD, 1928 Leiter der Propaganda-Abteilung der SPD, 1933 Emigration nach Prag; später in Paris Leiter der Parteizeitung „Neuer Vorwärts“, interniert, Flucht nach Marseille, 1941 nach kurzem Aufenthalt in Lissabon Flucht nach London, 1946 hauptamtliches Vorstandsmitglied der SPD in Hannover, bis 1958 Sprecher der SPD, 1958–1974 Geschäftsführer der „Konzentration GmbH“ (eine Interessengemeinschaft von Unternehmen der SPD. Stefan Appelius: Fritz Heine. Die SPD und der lange Weg zur Macht. Essen 1999. 5) Vgl. den Art. „CDU-Politik des nationalen Verrats“ in: Sopade, Dez. 1948, S. 21 f. Zum Vorgang vgl. Der Parl. Rat, Bd. 10, A, Dok. Nr. 23, S. 71 sowie Bd. 11, Dok. Nr. 12, S. 55 f., bes. Anm. 4. 2)

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und der Collaborateur. – Auch in Bayern arbeiten Franzosen und CDU an der Zerstückelung Deutschlands. – CDU verrät Schleswig an Speck-Dänen. Eine derartige von höchster parteiamtlicher Stelle ausgehende beleidigende Erklärung ist für unsere Fraktion geradezu ein Schlag ins Gesicht. Wir können, um die Grundlagen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit hier im Parlamentarischen Rat aufrechtzuerhalten, derartige Angriffe nicht schweigend hinnehmen. Sie sind höchstens noch vergleichbar mit den Angriffen, wie sie etwa von gewissen Kreisen gegen den früheren Reichspräsidenten Ebert6) und andere demokratische Politiker gerichtet worden sind, wie zum Beispiel „November-Verbrecher“ oder „DolchstoßPolitiker“7). Nur damit können die hier veröffentlichten Angriffe in eine Linie gestellt werden. Wir möchten gegen diese Angriffe, die sich insbesondere auch gegen den Präsidenten des Parlamentarischen Rates richten, der auch mit den Stimmen der SPD gewählt worden ist, nicht auf sich beruhen lassen, und weil sie in aller Öffentlichkeit erfolgt sind, möchte ich hier in aller Öffentlichkeit auch die Bitte an die SPD-Fraktion richten, das Entsprechende zu veranlassen, daß durch solche Maßnahmen die Grundlagen unserer Zusammenarbeit nicht zerbrochen werden. Dr. Menzel (SPD): Aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Süsterhenn ergibt sich nicht, daß diese Angriffe auf Verhandlungen gegründet werden, die hier im Parlamentarischen Rat stattgefunden haben. Ich beantrage, daß wir die Sitzung einen Augenblick unterbrechen, damit die sozialdemokratische Fraktion zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Süsterhenn Stellung nehmen kann. Die Sitzung wird um 15.35 Uhr unterbrochen und um 16.40 Uhr wieder aufgenommen. Dr. Menzel (SPD): Namens der SPD-Fraktion des Parlamentarischen Rates darf ich folgende Erklärung abgeben: 6)

Friedrich Ebert (1871–1925, Sattlerlehre, 1891–1905 Vorsitzender der Filiale des Sattlerverbandes und des Gewerkschaftskartells in Bremen, 1893 Lokalredakteur der „BremerBürgerzeitung“, 1894 Parteivorsitzenden der Bremer SPD, 1900–1905 Mitglied der Bremer Bürgerschaft, 1905 Sekretär des Vorstands der SPD in Berlin, 1912- Mitglied des Reichstags, 1913 Parteivorsitzender 1916 neben Philipp Scheidemann Vorsitzender der SPD-Reichstagsfraktion, 1919–1925 Reichspräsident. 7) Der Ausdruck „Novemberverbrecher“ diente in rechten Kreisen der Verunglimpfung der Novemberrevolution 1918/19 und der provisorischen deutschen Reichsregierung, die am 11. Nov. 1918 den Waffenstillstand von Compiègne unterzeichnet hatte. Die Revolution und der Waffenstillstand wurden damit als Verbrechen am deutschen Volk im Sinne von Landesverrat gebrandmarkt. Der Vorwurf des Landesverrats wiederum war Kern der Dolchstoßlegende. Die Dolchstoßlegende war eine von Vertretern der deutschen Obersten Heeresleitung aufgestellte Verschwörungstheorie, die die Schuld an der Niederlage des Deutschen Reiches 1918 der Sozialdemokratie zuschob. Das deutsche Heer – so wird behauptet – sei im Weltkrieg „im Felde unbesiegt“ gewesen; erst „vaterlandslose“ Zivilisten in der Heimat hätten ihm einen „Dolchstoß von hinten“ gegeben. Später sind alle Linksparteien und alle Befürworter des Friedensvertrags von Versailles vom 28. Juni 1919 als Dolchstoß-Politiker verunglimpft worden. Der Ausdruck wurde von Gegner der Weimarer Demokratie benutzt, um die gewählten Repräsentanten der Republik als Kriminelle zu diskreditieren

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Die Fraktion der SPD bedauert den von der CDU/CSU-Fraktion gewählten Weg. Die SPD-Fraktion hätte erwarten können, daß die CDU/CSU-Fraktion sie vorher über ihren beabsichtigten Schritt unterrichten würde. Dazu wäre vor allem bei der dieser Erklärung unmittelbar vorhergegangenen Sitzung des Ältestenrats Gelegenheit gewesen. Die von dem Herrn Abgeordneten Dr. Süsterhenn verlesenen Auszüge aus der SOPADE sind lediglich eine Kennzeichnung des Inhalts von abgedruckten Auszügen aus Zeitungen. Im übrigen beschäftigen sie sich mit Herrn Dr. Adenauer nicht in seiner Eigenschaft als Präsident des Parlamentarischen Rates, sondern als Politiker der britischen Zone. In diesen Zeitungsausschnitten wird lediglich eingegangen auf die Reise des Herrn Dr. Adenauer nach der Schweiz, auf seine Unterredung mit Bidault8), mit dem französischen Außenminister Schumann9) und auf das angebliche Treffen mit dem französischen Großindustriellen de Wendel10). Die Angaben über die CDU betreffen Pressemeldungen darüber, daß sich bestimmte Kreise der CSU Bayerns der Unterstützung gewisser französischer Stellen erfreuen sollen, und darüber, daß die CDU in Schleswig-Holstein mit der neuen dänischen Separatistenpartei in einzelnen Gemeinden zusammengegangen sei, um dort die Wahl von sozialdemokratischen Bürgermeistern zu verhindern. Die sozialdemokratische Fraktion hat ihrerseits darauf verzichtet, die CDU/ CSU-Fraktion mit den Angriffen zu identifizieren, die vor einiger Zeit in sehr geschmackloser Form über Dr. Schumacher11) im „Rheinischen Merkur“ und

8)

Georges-Augustin Bidault (1899–1983), Geschichtslehrer, 1934 Herausgeber der Zeitung „l’Aube“, Parteiführer des christdemokratischen Parti démocrate populaire (PDP), im Zweiten Weltkrieg in deutscher Kriegsgefangenschaft, nach Freilassung 1941 Journalist in Paris, 1941 Mitglied des „Widerstandsparlaments“ Conseil National de la Résistance (CNR) in Paris, Vorsitzender des CNR, 1944–1946 französischer Außenminister der Provisorischen Regierung, Gründer des Mouvement Républicain Populaire (MRP), 1945– 1956 und 1958 Mitglied des Französischen Nationalversammlung, 1947–1948 und 1953–1954 Außenminister, 1949–1950 Ministerpräsident, 1950–1951 Vizeministerpräsidenten. 9) Richtig: „Schuman“ – Robert Schuman (1886–1963), Politiker, Gymnasium in Metz, Studium in Bonn, 1910 Dr. iur. in Berlin, 1912 zweite Staatsexamen und Rechtsanwalt in Metz, während des Ersten Weltkrieges Offizier in der kaiserlichen deutschen Armee, 1918 wurde er Mitglied des Stadtrates von Metz, nahm 1919 französische Staatsangehörigkeit an, Abgeordneter Lothringens in der französischen Nationalversammlung, 1928– 1936 Vors. des Ausschusses für Elsass-Lothringen und zeitweilig Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, 1941 Verhaftung durch die Gestapo, 1946–1946 und 1947–1947 Finanzminister von Frankreich, 1947–1948 Ministerpräsident der 4. Französischen Republik, 1948–1953 Außenminister von Frankreich, 1958 Präsident des Europäischen Parlaments. 10) Zur französischen Industriellenfamilie de Wendel, die auch im Bergbau tätig war und die Zeche De Wendel in Hamm-Herringen besaß vgl. Jacques Marseille: Les Wendel 1704–2004. Paris 2004. Die Schachtanlage De Wendel wurde im Dritten Reich in Heinrich-Robert umbenannt. Das Unternehmen ging 1969 in das Eigentum der Ruhrkohle AG über. 11) Kurt Schumacher (1895–1952), 1946–1952 Parteivorsitzender der SPD, 1949 bis 1952 Mitglied des Deutschen Bundestages und SPD-Fraktionsvorsitzender.

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in der „Westfalen-Post“ erschienen sind. Wir verweisen ferner auf die Mitteilung im „Kasseler Sonntag“ vom 12. September 1948, wonach Dr. Adenauer die SPD als Lakaien des Königs von England bezeichnet haben soll. Die SPD-Fraktion ist der Meinung, daß der Parlamentarische Rat in Bonn nicht der geeignete Ort ist, um eine Pressepolemik auszutragen, die sich nicht auf die Tätigkeit der Fraktionen im Parlamentarischen Rat bezieht. Aus der bisherigen Zusammenarbeit hätte die CDU/CSU-Fraktion ohne weiteres den Schluß ziehen können, daß die SPD-Fraktion Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion nicht verdächtigt, nationale Interessen zu verraten. Die SPD-Fraktion bedauert darum den Schritt der CDU/CSU-Fraktion. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich möchte zu den Erklärungen des Kollegen Dr. Menzel vorbehaltlich einer weiteren Stellungnahme meiner Fraktion jetzt schon folgendes erklären: Nachdem diese Angriffe – denn es handelt sich um Angriffe – in aller Öffentlichkeit erhoben worden sind in einem Blatte, das von jedermann abonniert werden kann und das nicht etwa nur ein internes Informationsorgan der SPD darstellt, war es für uns eine Selbstverständlichkeit, daß diese in der Öffentlichkeit erhobenen Angriffe auch nur in der Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt werden konnten. Außerdem muß ich bemerken, daß es sich hier nicht um die bloße Wiedergabe eines in einer sozialdemokratischen Zeitung gedruckten Artikels handelt, sondern daß es das offizielle parteiamtliche Informationsdienstorgan ist, für das einer der höchsten Funktionäre der [S. 296] SPD verantwortlich zeichnet und das im „Neuer Vorwärts-Verlag“ in Hannover, Odeonstraße, erscheint, daß in diesem Organ in dem Inhaltsverzeichnis eine derartige Schlagwortzusammenstellung erfolgt, die eine eigene redaktionelle Arbeit dieses Organs darstellt und in noch schäferer und spitzerer Form die Angriffe gegen die CDU im allgemeinen und gegen den Präsidenten des Parlamentarischen Rates im besonderen wiedergibt, als dies in dem abgedruckten Artikel sowieso geschehen ist. Wenn hier Vergleiche gezogen werden mit Angriffen, die angeblich in anderen Blättern, die zum Teil überhaupt gar nichts mit der CDU zu tun haben, erfolgt sein sollen, so muß darauf hingewiesen werden, daß wir an einer Veröffentlichung, die in irgendwelchen Lokal- oder Provinzzeitungen der SPD erfolgt wäre, absolut schweigend vorübergegangen wären. Hier handelt es sich aber nicht um die Stellungnahme irgendeines belanglosen Blattes, sondern um die Stellungnahme des offiziellen SPD-Pressedienstes, und es ist notwendig, gegenüber diesem Angriff ein klares und offenes Wort zu sagen. Im übrigen entnehme ich aus der Erklärung der SPD-Fraktion, daß sie sich die nationalen Verdächtigungen, die gegen die CDU ausgesprochen worden sind, nicht zu eigen macht und daß sie sich insbesondere hinsichtlich der hier im Parlamentarischen Rat arbeitenden CDU-Politiker von diesen in der SOPADE gestarteten Angriffen distanziert. Ich beschränke mich auf diese Bemerkung. Dr. Menzel (SPD): Ich glaube, daß die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Süsterhenn nichts an der Richtigkeit meiner vorhin vorgetragenen Erklärung ändern. Ich habe dieser Erklärung daher nichts mehr hinzuzufügen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich nehme an, daß damit die Behandlung dieser Angelegenheit erledigt ist.

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Renner (KPD): Ich frage mich, was hinter dieser Attacke der CDU/CSU12) steht. Es ist doch wohl so, daß hier alte, in der Parteiarbeit grau gewordene Männer sitzen, die sich nicht mehr so leicht aus der Fassung bringen lassen, (Dr. Menzel [SPD]: Anscheinend doch!)13) wenn von irgendeiner Seite mal ein bißchen gröber gesungen wird, als es üblich ist. Ich frage mich also: Wozu diese Attacke? Und ich gebe die Antwort, die ich fertig habe, an die Herren von der SPD weiter. Ich habe den peinlichen Eindruck, daß dieser Streit innerhalb der Familie – und mehr ist es doch nicht, man könnte sogar schon von einem Bruderstreit reden, (Heiterkeit) – na, na, es fehlt nur der krönende Abschluß: „In den Armen liegen sich beide und weinen vor Glück und vor Freude“14) – Klopffechterei ist. Also ich frage mich: Was steht dahinter? Darf ich Sie auf eines aufmerksam machen. Gestern und auch vorgestern sind wir – Sie, nicht ich – überrascht worden von einer Reihe weltanschaulicher Anträge der CDU/CSU, die sie im Bunde mit einigen anderen Freunden auf den Tisch des Hauses gelegt hat. Sie, meine Herren Sozialdemokraten, haben dazu erklärt, daß Sie erstaunt sind. Sie haben gesagt: Wir haben davon Abstand genommen, in die Grundrechte die sozialen und wirtschaftlichen Forderungen einzubauen, in der Erwartung, daß die CDU nicht die Kirchenglocken zu läuten anfängt. Die CDU hat sie geläutet, und es besteht die große Wahrscheinlichkeit, daß die Erklärung, die Herr Dr. Menzel abgegeben hat, auf ein glattes Abrücken vom offiziellen Parteipressedienst der SPD hinausläuft. Nicht wahr, es ist doch so: SOPADE ist der offizielle Pressedienst der Sozialdemokratischen Partei, und was darin steht, ist, unter uns gesagt, nicht eine Sammlung von Zeitungsnotizen aus dem Lager der SPD-Zeitungen, sondern dient dem Zweck, den sozialdemokratischen Zeitungen Material zur Fortsetzung derartiger Attacken zu liefern. Es handelt sich um Anleitungsmaterial; das ist der Sinn eines Pressedienstes. Also, Herr Dr. Menzel, ich fürchte, daß das Weichwerden der Knie die Herren von drüben nur noch bestärken wird, mit weiteren weltanschaulichen Anträgen zu kommen. Wir werden abwarten. Wir werden älter werden, und wir werden sehen, ob ich mit meiner Prognose recht habe. Noch eins zum Schluß: Mit weichen Knien kann man nicht Fußball spielen, und es sieht so aus, als wenn in letzter Minute mit den Herren Sozialdemokraten Fußball gespielt werden soll. (Dr. Menzel [SPD]: Es kommt auf das Rückgrat an, Herr Renner!) – Das wird dann auch weich. Bevor die Knie weich werden, wird das Rückgrat weich, beim Rückgrat fängt das Weichwerden an, und dann kommen die Knie; das wird Ihnen jeder Mediziner bestätigen. (Zuruf: Ein neuer Mentor!) – Nein, nicht Mentor; aber ich pflege die Dinge beim Namen zu nennen, und da ich Sie kenne und Ihre Praktik und Taktik in den letzten Wochen genau beobachtet 12)

Statt „CDU/CSU“ im stenograph. Wortprot., S. 7: „CDU“. „(Dr. Menzel [SPD]: Anscheinend doch!)“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 7. 14) Richtig: „In den Armen liegen sich beide und weinen vor Schmerzen und Freude.“ Zitat aus dem vorletzten Absatz der Ballade „Die Bürgschaft“ von Friedrich von Schiller. 13)

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habe, weiß ich, wozu Sie diesen Angriff eingeleitet haben. Es ist eine vornehme Methode der Erpressung. Nehmen Sie mir das nicht übel.

[2. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT XII: GERICHTSBARKEIT UND RECHTSPFLEGE]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir treten in die Beratung ein und fahren fort mit Abschnitt XII Gerichtsbarkeit und Rechtspflege. Grundlage unserer Verhandlungen ist der Vorschlag des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege (PR. 12.48 – 353)15).

[2.1. ART. 131: VERBOT VON AUSNAHMEGERICHTEN]

Ich rufe auf

Art. 131 (1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. (2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden. Dr. Seebohm (DP): Ich möchte noch das Wort „Sonderstrafgerichte“ hinzufügen. Ich bin mir nicht klar darüber, ob unter „Ausnahmegerichte“ nur die speziellen Ausnahmegerichte zu verstehen sind oder auch die Strafgerichte erfaßt sind. Deshalb möchte ich den Abänderungsantrag stellen, daß hinter das Wort „Ausnahmegerichte“ eingefügt wird: „und Sonderstrafgerichte“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist an und für sich nicht notwendig. Es ist nicht erforderlich, das zu Protokoll zu geben. Dr. Seebohm (DP): Ich möchte nicht, daß irgendwelche Differenzen entstehen, und lege Wert darauf, daß zu Protokoll genommen wird, daß auch Sonderstrafgerichte unzulässig sind16). Renner (KPD): Die Frage des Herrn Dr. Seebohm scheint mir gar nicht so unberechtigt. Wenn ich den Abs. 2 lese: „Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden“, dann scheint mir immerhin die Möglichkeit offen zu sein, für besondere Sachgebiete Sondergerichte zu errichten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nein, die Sache ist anders. Es handelt sich darum, daß man zum Beispiel Jugendgerichte – wir haben sie allerdings schon – oder Mietgerichte, Pachteinigungsgerichte usw. nicht einfach durch eine Verordnung des Justizministers errichten kann, sondern daß man hierfür ein Gesetz erlassen muß. Dr. Menzel (SPD): Zur Systematik möchte ich anregen, die Art. 131, 132, 135 und 136 an die Spitze des Abschnitts „Gerichtsbarkeit und Rechtspflege“ zu stellen, 15)

Schmid folgte hier – wie bereits in der 23. und 24. Sitzung des HptA – den Artikelentwürfen des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege auf Drucks. Nr. 353 vom 7. Dez. 1948 ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 59, S. 1486–1490. 16) Vgl. dazu weiter unten Dok. Nr. 38, TOP 1.7, S. 1178.

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weil sie eine Art von Grundrechten enthalten und daher den Vorrang vor den Vorschriften über den Aufbau der Gerichte und über das Verfahren verdienen. [S. 297] Kaufmann (CDU): Kann das nicht als eine Anregung an den Redaktionsausschuß verwertet werden? Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können es auch sofort beschließen. Ich lasse zunächst über Art. 131 abstimmen. – Art. 131 ist angenommen. Dann lasse ich darüber abstimmen, ob der soeben beschlossene Art. 131 sowie die Art. 132, 135 und 136 im Fall ihrer Annahme an den Anfang des Abschnitts „Gerichtsbarkeit und Rechtspflege“ gestellt werden sollen. – Es ist einstimmig so beschlossen.

[2.2. ART. 132: RICHTERLICHE UNABHÄNGIGKEIT]

Ich rufe auf

Art. 132 Richter, Geschworene, Schöffen und andere Laienrichter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Renner (KPD): Ich beantrage folgende Formulierung: Richter, Geschworene, Schöffen und andere Laienrichter sind unabhängig und nur der Verfassung und dem Gesetz unterworfen. Das scheint mir der Extrakt dessen zu sein, was heute morgen von weitesten Kreisen dieses Gremiums befürwortet worden ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es soll also vor den Worten: „dem Gesetz unterworfen“ eingefügt werden: „der Verfassung und“. Ich lasse über diese Einfügung abstimmen. – Die Einfügung ist mit 12 gegen 5 Stimmen angenommen. Ich würde empfehlen, statt „nur der Verfassung und dem Gesetz“ zu sagen: „nur dem Grundgesetz und den Gesetzen“. Dr. Becker (FDP): Im Hinblick auf die in Nürnberg gefällten Entscheidungen, in denen festgestellt wurde, daß unter „Gesetzen“ nicht ausschließlich der positive Gesetzestext, sondern das Recht als solches zu verstehen ist, halte ich den Zusatz für überflüssig. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 132 abstimmen mit der Maßgabe, daß die beschlossene Einfügung folgenden Wortlaut haben soll: „und nur dem Grundgesetz und den Gesetzen unterworfen“. – Art. 132 ist mit dieser Maßgabe angenommen, so daß er nunmehr folgenden Wortlaut hat: Richter, Geschworene, Schöffen und andere Laienrichter sind unabhängig und nur dem Grundgesetz und den Gesetzen unterworfen.

[2.3. ART. 135: RECHTLICHES GEHÖR UND VERBOT DER DOPPELBESTRAFUNG]

Ich rufe auf

Art. 135 (1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

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(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden. (Zimmermann [SPD]: Das schließt aber die Disziplinarstrafen nicht aus!)17) – Deshalb heißt es: „auf Grund der allgemeinen Strafgesetze“. Ich lasse abstimmen. – Art. 135 ist angenommen.

[2.4. ART. 136: RECHTSGARANTIEN BEI FREIHEITSENTZUG]

Art. 136 (1) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln. (2) Jeder wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen. (3) Vor jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Dr. Laforet (CSU): Es dreht sich um zwei verschiedene Gegenstände. Die Abs. 2 und 3 erfassen die Tätigkeit der Polizei bei der Verfolgung strafbarer Handlungen, der Abs. 1 die Fürsorgetätigkeit der Polizei, wie sie zum Beispiel gegenüber Geisteskranken, entlaufenen Kindern usw. eintreten kann. Der Schwerpunkt liegt darin, daß die Polizei aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten kann. Sie muß also in dieser Zeit entweder eine Anstalt für den Geisteskranken oder eine Einrichtung des Jugendamtes für den aufgegriffenen Jugendlichen in Anspruch genommen haben, um die Person dort zu verwahren. Schutzhaft gibt es keine. Die Gliedstaaten, die über die Einschaffung von Geisteskranken Rechtsvorschriften erlassen haben, werden diese Rechtsvorschriften nachprüfen müssen. Ich möchte zu diesem Zweck ausdrücklich klarstellen, daß auch der Verwaltungsrichter Richter ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen. – Art. 136 ist einstimmig angenommen. 17)

Der Zwischenruf „(Zimmermann [SPD]: Das schließt aber die Disziplinarstrafen nicht aus!“) wird im stenograph. Wortprot., S. 12, als Wortbeitrag dem Vors. Schmid zugeschrieben.

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Dann kommen wir zu Art. 133 zurück. Es liegen hier zwei Varianten vor: eine Fassung der Mehrheit des Rechtspflegeausschusses18) und ein Vorschlag von Herrn Abgeordneten Dr. Laforet19). Außerdem haben die Abgeordneten Dr. Becker und Dr. Dehler einen Antrag gestellt20). Ich lese zunächst die Fassung vor, die die Mehrheit des Ausschusses vorschlägt: Art. 133 (1) Wenn ein Richter in oder außerhalb des Amtes gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstößt, so kann bei Bundesrichtern das Bundesverfassungsgericht, bei Landesrichtern das für Verfassungsstreitigkeiten zuständige Gericht des Landes ihn seines Amtes für verlustig erklären und zugleich bestimmen, ob er in ein anderes Amt oder in den Ruhestand zu versetzen oder zu entlassen ist. (2) Der Antrag kann bei Bundesrichtern vom Bundestag und vom Bundesjustizminister im Einvernehmen mit dem Richterwahlausschuß, bei Richtern eines Landes vom Landtag und vom Landesjustizminister im Einvernehmen mit dem Richterwahlausschuß des Landes gestellt werden. Weitergehendes Landesrecht bleibt unberührt. Dann möchte ich Sie bitten, Herr Dr. Laforet, Ihren Vorschlag zu verlesen. Dr. Laforet (CSU): Ich habe in meinem Vorschlag das weggestrichen, was sich auf die Landesrichter bezieht. Es heißt jetzt: (1) Wenn ein Bundesrichter in oder außerhalb des Amtes gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstößt, so kann das Bundesverfassungsgericht ihn auf Antrag des Bundestages oder des Bundesjustizministeriums seines Amtes für verlustig erklären und zugleich bestimmen, ob er in ein anderes Amt oder in den Ruhestand zu versetzen oder zu entlassen ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich darf zuerst noch den Antrag der Herren Dr. Becker und Dr. Dehler verlesen. [S. 298] Der Antrag hat folgenden Wortlaut: Wenn ein Richter innerhalb oder außerhalb des Amtes gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder der Verfassung eines Landes vorsätzlich verstößt, so kann bei Bundesrichtern das oberste Bundesdisziplinargericht, bei Landesrichtern das oberste Disziplinargericht des Landes ihn seines Amtes für verlustig erklären und zugleich bestimmen, ob er in ein anderes Amt oder in den Ruhestand zu versetzen oder zu entlassen ist. Der Antrag kann bei Bundesrichtern vom Bundestag, bei Richtern eines Landes von dessen Landtag gestellt werden. Der Unterschied scheint mir zu sein, daß Sie das Wort „vorsätzlich“ einfügen wollen und daß Sie ferner nicht den Verfassungsgerichtshof, sondern ein oberstes Disziplinargericht als richterliche Instanz vorgesehen wissen wollen. 18)

Zu Drucks. Nr. 353 vom 7. Dez. 1948 vgl. oben. Anm. 15. Für den Vorschlag von Laforet vgl. auch Salzmann, S. 268 mit Anm. 11. 20) Antrag der FDP-Fraktion vom 8. Jan. 1949 zu Abschnitt VIII des Grundgesetzentwurfes, vervielfält. auf Drucks. Nr. 470. 19)

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Dr. Laforet (CSU): Ich bin gern bereit, das Wort „vorsätzlich“ in meinen Antrag aufzunehmen. Ich betrachte es als selbstverständlich, daß hier überhaupt nur vorsätzliches Handeln in Frage kommt. Das sind so außergewöhnliche Fälle und schwere Verletzungen der richterlichen Pflichten, daß von einer Fahrlässigkeit keine Rede sein kann, sondern immer nur vorsätzliche Handlungen in Frage kommen. Wenn das aber klargestellt werden soll, damit alle Zweifel ausgeschlossen sind, so nehme ich das Wort „vorsätzlich“ in meinen Antrag auf. Im übrigen darf ich auf das Bezug nehmen, was ich heute früh länger auszuführen hatte. Hier liegt ein ganz klarer Einbruch in die Justizhoheit der Länder vor. Es handelt sich hier nicht um die sachlich meiner Ansicht nach notwendige Regelung durch den Bund, sondern es wird hier in die Einzelheiten, in die Justizhoheit der Länder eingegriffen. Der Antrag enthält das, was sachlich dem Bunde zukommt, und nimmt im übrigen auf die Justizhoheit der Länder die entscheidende Rücksicht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, die Einschaltung des Wortes „vorsätzlich“ sollte man sich recht genau überlegen. Ich möchte den Beweiskünstler sehen, der es vermocht hätte, dem Richter, der seinerzeit das bekannte „Badehosenurteil“ gefällt hat21), nachzuweisen, daß er vorsätzlich gehandelt hat, um die Weimarer Verfassung anzugreifen. Genau so lag es seinerzeit im Falle des Landgerichtsdirektors Hofmann in Magdeburg, bei dieser schrecklichen Sache, in der ein Richter einen unschuldigen Mann unter Mordverdacht gehalten hat, nur weil er Jude war. Auch hier ist es dem Disziplinargericht nicht gelungen, Vorsatz nachzuweisen, aber es lag auf der Hand, daß zumindest grobe Fahrlässigkeit vorgelegen hat. Ich glaube, daß wir mit der Einführung des Wortes „vorsätzlich“ diesen Artikel seiner Wirksamkeit völlig entkleiden werden. (Renner [KPD]: Das ist doch der Zweck!) Dr. Dehler (FDP): Die Möglichkeit einer Richteranklage vor dem Bundesverfassungsgericht, das doch ein Gericht mit einem politischen Akzent ist und sein soll, ist meiner Meinung nach mit den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und der Unabhängigkeit der Richter nicht zu vereinbaren. Ich halte einen solchen Weg auch nicht für notwendig. Gewiß, jede Rechtsprechung wird Menschenwerk bleiben, und es wird menschliches Versagen geben. Der beste Behelf gegen ein solches Versagen ist ein ausgiebiges System von Rechtsmitteln. Das ist die beste Korrektur, nicht nur in sachlicher Hinsicht, sondern auch in der persönlichen Wirkung auf den Richter. Wenn ein Richter schuldhaft handelt, wird schon der strafrechtliche Schutz im wesentlichen ausreichen. Es ist aber durchaus zu erwägen diese Diskussion ist auch schon in Gang –, ob die Bestimmungen über das Verbrechen der „Rechtsbeugung“ klarer und weiter gefaßt werden können. Wenn ein Richter 21)

Der Redakteur der „Mitteldeutschen Presse“ in Staßfurt Erwin Rothardt hatte den Reichspräsidenten Friedrich Ebert beleidigt mit der Bemerkung: „Beweisen Sie doch, Herr Ebert, daß Sie kein Landesverräter sind! Wegen der roten Badehose, die man zu Ihrem Empfang in München benutzt, brauchen Sie keine Bange zu haben.“ In einem Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 23. Dez. 1924 wurde er frei gesprochn. Heinrich Senfft: Richter und andere Bürger. Nördlingen 1988, S. 146. Siehe auch Akten der Reichskanzlei, Die Kabinette Marx I und II, bearb. von Günter Abramowski. Bd. 2. Boppard 1973, S. 1245–1247. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 62, S. 1544, Anm. 91.

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schuldhaft seine Pflicht verletzt, auch soweit es sich um den sachlichen Inhalt richterlicher Entscheidungen handelt, unterliegt er disziplinärer Ahndung, und auch ein Richter hat einen Anspruch darauf, daß ein schuldhaftes Verhalten in einem Verfahren geprüft wird, das mit allen Rechtsgarantien ausgestattet ist, auch mit der Rechtsgarantie mehrerer Instanzenzüge. Wir sind durchaus dafür, daß für schweres Verschulden das Privilegium des Richters, seine Unabsetzbarkeit und seine Unversetzbarkeit, aufgehoben wird. Deshalb stimmen wir einer solchen Androhung zu. Aber eine derartig schwere Folge kann selbstverständlich niemals für ein fahrlässiges Verhalten, und sei es auch ein grobfahrlässiges Verhalten, ausgesprochen werden. Es muß dem beschuldigten Richter nachgewiesen werden, daß er vorsätzlich gehandelt hat; die Fälle, die der Vorsitzende angeführt hat, waren vorsätzliches Handeln gegen die Bestimmungen der Verfassung.22) (Stock [SPD]: Wir müssen eben das Volk vor den Richtern schützen. Das ist auch unsere Aufgabe.) – Wir wollen, daß der Richter sich verantworten und die schweren Folgen tragen muß, falls er gegen den Geist der Verfassung handelt. Dann soll er vor dem obersten Disziplinargericht unter allen Rechtsgarantien, die möglich sind, sich verantworten. Deshalb unser Antrag. Ich bin der Meinung, daß eine solche Möglichkeit für die Stellung des Richters von derart grundsätzlicher Bedeutung ist, daß sie nicht nur auf die Bundesrichter beschränkt werden kann, sondern auch für die Länder gelten muß. Hier kann die Grenze der Landesjustizhoheit nicht gelten. Frau Wessel (Z): Ich wäre Herrn Dr. Laforet dankbar, wenn er mir, da ich juristisch nicht so durchgebildet bin, sagen würde, ob ich den Unterschied seines Antrages gegenüber dem Ausschußantrag richtig dahin verstehe, daß er nur die Bundesrichter, die gegen die Grundsätze des Grundgesetzes verstoßen, erfassen will und daß er diejenigen Richter, die gegen die Landesverfassung verstoßen, durch die Landesjustiz erfassen will. Wenn dies der Unterschied seiner Variante zum Ausschußantrag ist, würde ich dafür stimmen, weil ich sonst auch einen Einbruch in die Justizhoheit der Länder sehen würde. Dr. Greve (SPD): Mit derselben Hartnäckigkeit, mit der Herr Dr. Laforet immer auf den Einbruch in die Justizhoheit der Länder hinweist, möchte ich hier nur sagen, daß ich in der Formulierung dieses Artikels keinen Eingriff in die Justizhoheit der Länder erblicken kann. Im übrigen möchte ich mich zur Begründung auf meine Ausführungen von heute morgen beziehen. Nun zu den Ausführungen von Herrn Dr. Dehler. Jeder von uns weiß, welchen Spielraum ein Richter hat, wenn er Vorsatz und Fahrlässigkeit feststellen soll, und wie weit und wie eng der Rahmen gezogen werden kann. Herr Dr. Dehler ist selbst lange genug Anwalt gewesen, und Herr Dr. Becker ist heute noch Anwalt, so daß beide genau wissen werden, wie leicht es möglich ist, denjenigen, der als Richter angeklagt wird, von dem Vorwurf, vorsätzlich gehandelt zu haben, zu befreien, so daß die betreffenden Richter, die, ohne daß Vorsatz festgestellt wird, grobfahrlässig gehandelt haben, nicht unter die Strafbestimmung fallen. Wenn Herr Dr. Dehler mit Recht auf die Privilegierung der Richter gegenüber allen anderen Beamten hin22)

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Das stenograph. Wortprot., S. 17, fügt an danach den Zwischenruf ein: „Vors. Dr. Schmid (SPD): Das Dienststrafgericht hat kein ,vorsätzlich‘.“

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gewiesen hat, falls sie in irgendeiner Art und Weise gegen das Gesetz verstoßen, dann muß ich sagen, daß der normale Fall der Rechtsbeugung hier nicht erfaßt wird, sondern daß es sich hier darum handelt, daß ein Richter innerhalb oder außerhalb des Amtes gegen die Grundsätze dieses Grundgesetzes oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstoßen haben muß, um zur Anklage gezogen zu werden. Herr Kollege Dr. Dehler, können Sie sich vorstellen, daß das ohne politische Akzentuierung erfolgt? Ich glaube, wenn ein Richter gegen die Grundsätze dieses Grundgesetzes oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstößt, dann ist das ein spezifisch politischer Verstoß. Aus diesem Grunde kann ich in Ihrer Argumentation nicht verstehen, daß Sie statt des Bundesverfassungsgerichtshofs oder der Landesverfassungsgerichte einen Bundesdisziplinarhof oder Landesdisziplinarhöfe verlangen, obwohl es sich in diesen Fällen nur darum handeln kann, daß aus einem politischen Ungeist gegen das Grundgesetz oder gegen die [S. 299] verfassungsmäßige Ordnung des Landes verstoßen wird. Die einzig logische Konsequenz ist, in diesem Falle nicht einen Bundesdisziplinarhof oder Landesdisziplinarhöfe, sondern das Bundesverfassungsgericht oder die Landesverfassungsgerichtshöfe zuständig sein zu lassen. Es würde zu wirklich schwerwiegenden Folgen kommen, wenn wir nicht jetzt schon zu übersehen vermöchten, um welche Fälle es sich handelt, und daraus die Konsequenz der richtigen Zuständigkeitsverteilung ziehen würden. Ich bin gegen die Einfügung des Wortes „vorsätzlich“ und halte es auch nicht für richtig, statt der Verfassungsgerichtshöfe die Disziplinarhöfe zuständig sein zu lassen. Dr. Schmid (SPD): Es handelt sich bei all den Fragen, die wir heute morgen so reichlich diskutiert haben, um zwei Dinge. Das erste ist der Schutz des Volkes durch die Unabhängigkeit der Rechtsprechung. Die Rechtsprechung ist nur dann unabhängig, wenn der Richter völlig frei ist und wenn auch der einzelne Richter völlige Unabhängigkeit genießt und unter dem Schutze von Unabhängigkeitsgarantien steht. Es gibt aber auch ein anderes Interesse zu wahren: der Schutz des Volkes gegenüber einem Mißbrauch der Unabhängigkeit der Gerichte und gegenüber dem Mißbrauch der Privilegien, die der Richter genießt. Die strafgesetzlichen Bestimmungen über die Rechtsbeugung genügen dafür nicht. Es muß Vorsorge getroffen werden, daß der Richter seine Privilegien nicht mißbraucht, weder in politischer Absicht noch für politische Zwecke. Er kann so etwas tun, ohne daß ihm bewußte Rechtsbeugung vorgeworfen werden kann. Er braucht sich nur, wie das vor 1933 so häufig geschehen ist, darauf zu berufen, daß er eben auf Grund seiner freien richterlichen Prüfungspflicht das Grundgesetz in der Weise auslege, wie er es in seinem Urteil niedergelegt habe.23) Es wäre vielleicht nicht notwendig, von diesen Dingen zu sprechen, wenn nicht leider Gottes in der Zeit der Weimarer Republik in einer ganzen Reihe von Fällen Richter in dieser Weise ihre richterlichen Privilegien zu politischen Zwecken mißbraucht hätten. Der hohen Privilegierung des Richters muß eine wesentlich geschärftere Verantwortung im Verhältnis zu anderen Beamten entsprechen. Er hat, gerade weil er so unabhängig ist, mehr Sorgfalt in seinem Amt anzuwenden als 23)

Statt „wie er es in seinem Urteil niedergelegt habe.“ im stenograph. Wortprot., S. 20: „die ihm sein Gewissen geboten habe.“

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irgend jemand anders und er muß es sich gefallen lassen, daß man ihm peinlichere Fragen stellt als irgend jemand anderem. Ich glaube, daß, wenn wir den Vorsatz zur Voraussetzung der Anwendbarkeit des Art. 133 machen würden, wir den Artikel praktisch wertlos machen würden; denn wo Vorsatz vorliegt, liegt auch Rechtsbeugung vor. Dann brauchen wir den ganzen Artikel nicht. (Dr. Laforet [CSU]: Außerhalb des Amtes!) – Gut, außerhalb des Amtes, das sind aber nicht die entscheidenden Dinge, sondern entscheidend sind die Dinge, die der Richter innerhalb seines Amtes tut. Das außeramtliche Verhalten ist also durch die Paragraphen des Strafgesetzbuchs über die Rechtsbeugung nicht gedeckt. Was nun das Gericht anbelangt, das über diese Dinge entscheiden soll, so möchte ich dem Kollegen Dr. Greve beitreten. Es handelt sich in solchen Fällen letzten Endes immer um Entscheidungen, denen ein wesentliches politisches Moment mit innewohnen muß. Es handelt sich nämlich dabei um ein Urteil des Inhalts, daß ein Mann, der sich, ohne eine Rechtsbeugung zu begehen, in einer bestimmten Weise verhalten hat, nicht der geeignete Mann ist, um das Recht der deutschen Republik anzuwenden. Das ist weitgehend eine politische Entscheidung. Ich glaube auch, daß man den Richtern keinen Dienst erweisen würde, wenn man beschließen würde, Fälle dieser Art vor den einfachen Disziplinargerichtshof zur Aburteilung zu bringen. Die Richter würden sich immer – hier meine ich den Stand der Richter – gefallen lassen müssen, daß man ihnen sagt: Der Mann ist freigesprochen; warum? – weil hier der Richterstand allein über sich selber zu Gericht gesessen hat. Und man würde das Wort wiederholen, das heute morgen der Abgeordnete Renner gesprochen hat: Nun ja, die Krähen hacken sich gegenseitig die Augen nicht aus. Wenn aber ein Richter vor einen Gerichtshof gezogen wird, der zusammengesetzt ist wie die hier vorgesehenen Verfassungsgerichtshöfe, und dann freigesprochen wird, dann wird niemand behaupten können, daß hier ein Stand dafür gesorgt hat, daß einer seiner Angehörigen nicht in Strafe genommen wird. Aus diesen Gründen – um dem Richterstand eine zusätzliche Garantie seiner Unabhängigkeit und einen besseren Schutz seiner Ehre zu geben – glaube ich, daß man besser täte, der Ausschußvorlage zu folgen, also das Bundesverfassungsgericht und nicht das Disziplinargericht für zuständig zu erklären. Dr. Laforet (CSU): Es ist zu dieser Frage Erhebliches vorgebracht worden, namentlich in Rückerinnerung an gewisse Vorkommnisse. Ich bin mit dem Herrn Vorsitzenden völlig einverstanden, daß dem Richter als Korrelat seiner besonderen richterlichen Stellung eine wesentlich geschärftere Verantwortung auferlegt werden muß. Das führt mich dazu, meinen Antrag noch zu ändern in „vorsätzlich oder grobfahrlässig“. Württemberg ist in seiner Bestimmung über die Sonderstellung der Richter diesen Weg gegangen. Dort heißt es: Richter, die vorsätzlich oder grobfahrlässig ihre Pflicht, das Recht zu schützen, verletzt haben . . . Ich glaube, daß das den Bedenken, die hier geltend gemacht worden sind, Rechnung trägt. Betonen muß ich, daß nicht nur der Tatbestand der Rechtsbeugung von einer solchen Bestimmung umfaßt wird. Ich bin mir vollständig bewußt, daß der Bundesrichter nicht nur in seiner richterlichen Tätigkeit, sondern in seiner gesamten Lebensführung auch außerhalb des Amtes unter diese wesentlich geschärftere

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Verantwortung gestellt wird. Ich hoffe, daß so leicht kein Anwendungsfall vorkommt. Aber ich kann die Bestimmung, die eine schwere, aber berechtigte Begrenzung der Richter- wie Beamtentätigkeit innerhalb und außerhalb des Amtes enthält, durchaus nicht für unerheblich halten. Sie kann – ich hoffe nicht, daß das allzuoft vorkommt – von größter Bedeutung werden. Dr. Katz (SPD): Herr Dr. Laforet hat, wenn ich ihn recht verstanden habe, für die Bundesrichter die Staatsanklage, das Impeachment angenommen. Er verneint es aber für die Landesrichter, (Zuruf: Das sollen die Länder machen!)24) und zwar mit der Begründung, daß es in die Justizhoheit der Länder eingreife. In diesem Punkt muß ich widersprechen und darauf aufmerksam machen, daß die Länder keine Möglichkeit haben, eine derartige Regelung einzuführen. Sie haben teilweise in der britischen Zone keine Verfassung25), und wenn sie eine Verfassung machen würden, wäre eine derartige Bestimmung, wenn sie aufgenommen würde, wahrscheinlich ungesetzlich; denn sie widerspricht dem Gerichtsverfassungsgesetz. Und nach dem Satz „Reichsrecht bricht Landesrecht“ könnte beispielsweise eine Landesverfassung von Niedersachsen etwas Derartiges nicht vorsehen. Aus diesem Grunde bin ich der Ansicht, daß es unlogisch ist, für den Bundesrichter eine derartige Regelung vorzusehen, für die Landesrichter sie aber auszuschließen. Für den Fall, daß dieser Antrag abgelehnt und der Antrag Dr. Laforet angenommen werden sollte, wäre es notwendig, einen zweiten Absatz zu schaffen, der unter Wahrung der Justizhoheit der Länder die Länder ermächtigt, eine ähnliche Einrichtung zu treffen. Für diesen Abs. 2 möchte ich folgende Fassung vorschlagen: Die Länder sind ermächtigt, nach Maßgabe näherer landesgesetzlicher Festlegung für Richter eines Landes eine entsprechende Regelung zu treffen. Dann wären die Richter des Bundes und des Landes gedeckt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich nehme an, daß diese Fassung auch die Bestimmungen der Verfassung für Württemberg-Baden decken würde, wo ein besonderer Dienststrafhof für Richter eingesetzt ist, der ähnlich zusammengesetzt ist wie das Verfassungsgericht, nämlich aus einer Minderheit von Richtern und einer [S. 300] Mehrheit von vom Parlament gewählten anderen Personen26). Renner (KPD): Wir waren einig, in Art. 132 anzuerkennen, daß die Richter, Geschworenen, Schöffen usw. unabhängig und nur dem Grundgesetz und den Gesetzen unterworfen sind. Niemand hat also hier auch nur den Gedanken anklingen lassen, daß an diesem Prinzip gerührt werden soll. Ich habe heute morgen schon unseren Standpunkt zu diesem Art. 133 vorgetragen. Ich vertrete, um das noch einmal zu wiederholen, den Grundsatz, daß Richter von den gewählten Vertretern des Volkes berufen und demzufolge auch nur von ihnen oder durch sie abberufen werden können. Ich habe heute morgen bereits meine Auffassung dahingehend ausgedrückt, daß ich in der Ausdehnung des Art. 133 auf die Länder keineswegs einen 24)

„(Zuruf: Das sollen die Länder machen!)“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 22. Die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen hatten zu diesem Zeitpunkt keine Verfassung vgl. oben Dok. Nr. 21, S. 623, Anm. 59–61. 26) Art. 88 Abs. 3 der Verfassung für Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1946. Wegener: Verfassungen, S. 114. 25)

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Eingriff in die Justizhoheit der Länder sehen kann; und auch das, was heute nachmittag noch zu diesem Gegenstand gesagt worden ist, hat mich in meiner Beurteilung der Frage nicht beirrt. Hier wird der Versuch gemacht, das ist ganz offen ausgesprochen worden – ausgehend von dem Gedanken, daß die Richteranklage sozusagen zu den Ausnahmeangelegenheiten gemacht werden soll –, die Bestimmung hineinzuarbeiten, daß nur der Richter, der vorsätzlich gegen die Grundsätze und Grundrechte verstößt, zur Verantwortung gezogen werden kann. Da diese Feststellung dem von Ihnen vorgesehenen Gremium vorbehalten ist, kann ich nur wiederholen, was ich schon einmal gesagt habe: das ist nicht die notwendige Garantie, die wir als unabdingbar ansehen. Dort wird tatsächlich der Zustand geschaffen, daß eine Krähe der anderen die Augen nicht aushackt. Ich lehne also den Artikel ab, weil er mir nicht genügend Garantien enthält, und mache mir im übrigen die Begründung einiger Redner der sozialdemokratischen Fraktion vollinhaltlich zu eigen. Wenn man hier im Zuge des Prinzips der Dreiteilung der Gewalten dem Richter diese privilegierte Stellung einräumen will, dann muß der Richter auch bezüglich seiner Amtsführung und seines politischen Auftretens außerhalb des Dienstes Bedingungen unterliegen, die weit über das hinausgehen, was man einem normalen Beamten auferlegen kann. Nun hatten wir vor einiger Zeit hier Gelegenheit, einen Film zu sehen, der über den Prozeß gegen die Angeklagten vom 20. Juli 1944 gedreht worden ist27). Rufen Sie sich die Haltung des Senatspräsidenten Dr. Freisler28) gegenüber den Angeklagten ins Gedächtnis zurück, dieses zynisch-freche und brutale Auftreten dieses Henkers der Nazijustiz! Halten Sie sich vor Augen, wie er umgesprungen ist mit den durch die Terrormethoden in den Zuchthäusern körperlich und seelisch zer27)

Auf Hitlers Befehl wurde von den Prozessen gegen die Beteiligten und Mitwisser des Attentates vom 20. Juli 1944 Filmaufnahmen hergestellt. Die Prozesse fanden vom 7. Aug. 1944 bis in den März 1945 statt. An insgesamt neun Verhandlungstagen, zwischen dem 7. Aug. und dem 20. Okt. 1944, wurden mit Kameras, die hinter Hakenkreuzfahnen und Büsten im Gerichtssaal versteckt waren, die Angeklagten gefilmt. Ursprünglich für die Deutsche Wochenschau und Dokumentarfilme zusammengestellt, wurden die Aufnahmen von Reichspropagandaminister Goebbels zur „Geheimen Reichssache“ erklärt und das Filmmaterial nicht öffentlich gezeigt. Die Inszenierung des Schauprozesses ließ die Angeklagten weniger als verräterische Umstürzler denn als Opfer des fanatischen Hasses Roland Freislers erscheinen. Nach Goebbels Meinung waren das Auftreten und die Antworten der Attentäter vor dem Volksgerichthof wie auch die Verhandlungsführung und die entwürdigenden Äußerungen des Vorsitzenden des Volksgerichtshofes Freisler, der die Angeklagten kaum zu Worte kommen ließ, ungeeignet für öffentliche Vorführungen des Films. 28) Roland Freisler (1893–1945), nach Kriegsgefangenschaft 1920 Rückkehr nach Deutschland und Fortsetzung des Jurastudiums, 1922 Promotion, 1924 Anwalt in Kassel, Mitglied des hessisch-nassauischen Landtags für den „Völkisch-Sozialen Block“. 1925 Mitglied der NSDAP, Stellvertretender Gauleiter der NSDAP von Hessen-Nassau. 1932 Mitglied des Preußische Abgeordnetenhauses, 1933 Leiter der Personalabteilung im preußischen Justizministeriums, Abgeordneter des Reichstags, Preußischer Staatsrat, Mitglied der „Akademie für Deutsches Recht“, 1934 Staatssekretär im Reichsjustizministerium, 1942 Teilnehmer der Wannsee-Konferenz, Präsidenten des Volksgerichtshofs, 1944 wird die Verurteilung der am Attentat vom 20. Juli beteiligten Widerstandskämpfer dem Volksgerichtshof übertragen.

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brochenen Angeklagten. Rufen Sie sich das ins Gedächtnis zurück, stellen Sie sich die Gottähnlichkeit vor, in der der Mann die Angeklagten behandelt hat, ehe sie verurteilt waren, und kommen Sie nicht mit der Behauptung, daß das Ausnahmefälle gewesen seien (Dr. Laforet [CSU]: Ach natürlich!)29) und eine solche Möglichkeit einer Verletzung der richterlichen Pflicht eine Seltenheit gewesen sei. Ich sage Ihnen – und das ist heute morgen auch von anderen Stellen gesagt worden –: Dieser eine Freisler ist tot, aber es laufen heute noch Freislers in großer Anzahl bei uns herum. Das stimmt nicht einmal, sie laufen nicht nur herum, sondern sie sitzen als Richter im Amt. (Zurufe: Das ist doch unerhört!) Dr. Dehler (FDP): Es sitzen vier Justizminister30) an diesem Tisch, die ihre Leute kennen. Glauben Sie, daß sie einen Mann im Amte lassen, der nicht intakt ist? Vors. Dr. Schmid (SPD): Haben Sie diese Freislers, von denen Sie sprechen, bei Ihrem Justizminister kenntlich gemacht? Renner (KPD): Bei unserem Justizminister sie kenntlich zu machen, ist zwecklos; denn unsere Justizminister haben höchstens seit etwa Jahresfrist die Möglichkeit, die Richter bei uns in den Ländern der britischen Zone nach diesem Gesichtspunkt hin zu untersuchen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie hätten also ein Jahr lang Zeit gehabt, die Ihnen bekannten Freislers wegen Rechtsbeugung oder Gefangenenmißhandlung anzuzeigen. Renner (KPD): Die Presse nicht etwa nur unserer Partei, sondern die Presse auch linksbürgerlicher Parteien ist voll von Beschuldigungen gegen derartige Richter, die kleinen Freislers, und ich muß mich wirklich wundern, daß man nach dem Ablauf der Debatte von heute morgen zu bestreiten wagt, daß noch Naziaktivisten, kleine Freislers, in großer Anzahl bei uns im Amte sitzen. Ich muß mich wundern, daß man den Mut dazu aufbringt. Nur gegen diese Art von Richtern wenden sich meine Bestrebungen, sie irgendwie vor Gericht ziehen zu können, wenn sie so gröblich ihre Pflichten verletzen. Ich bin sogar darüber hinaus der Meinung, daß ein anständiger Richter, der sein Amt so auffaßt, wie das notwendig ist, dankbar sein müßte, daß ihm dieses Damoklesschwert einer möglichen Anklage über dem Kopf hängt. Das ist meine Meinung. Ein anständiger Richter, der sich an das Grundgesetz und an das Recht hält, braucht eine derartige Anklage nicht zu befürchten, und nur der Richter muß eine Verfolgung befürchten, der sich so geriert, wie wir das aus der Weimarer Zeit und aus der Nazizeit gewohnt sind und so oft zum Schaden unseres Volkes erlebt haben.

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Im stenograph. Wortprot., S. 25, wird der Zuruf ohne namentliche Zuschreibung wiedergegeben: „(Zuruf: Natürlich!)“ 30) Fecht war 1948–1952 Justizminister und stellvertretender Staatspräsident in Baden; Katz, war 1947–1950 Minister der Justiz in Schleswig-Holstein; Schmid war 1946–1947 Präsident des Staatssekretariats und Staatssekretär für Justiz sowie 1947–1950 Justizminister und stellvertretender Staatspräsident Württemberg-Baden; Süsterhenn war 1946– 1951 Justiz- und 1947–1951 Kultusminister in Rheinland-Pfalz. Im Febr. 1949 kam als Nachrücker hinzu: Hofmeister, 1947–1950 und 1957–1959 Justizminister in Niedersachsen.

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Dr. Laforet (CSU): Auf diesen sadistischen Verbrecher, der uns hier vorgeführt worden ist, gehe ich nicht ein. Es war ein Verbrechen, einen solchen Mann in eine derartige Stellung zu bringen, aber, soweit ich sehe, war es ein einmaliges Vorkommnis. Renner (KPD): Es wurden 20 Leute durch diesen Freisler zum Tode verurteilt. In anderen Fällen sind Tausende und Abertausende durch die kleinen Freislers zum Tode verurteilt worden.31) Dieser Freisler hat nicht nur diese 20 vom 20. Juli verurteilt, sondern noch Hunderte nebenher. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie haben jetzt nicht das Wort, sondern Herr Dr. Laforet. Dr. Laforet (CSU): Ich muß es den vier anwesenden Justizministern überlassen, sich hier gegen den Versuch zu wehren, auf Grund der Persönlichkeit eines Freisler auf andere deutsche Richter einen Stein zu werfen. Ich bin mit dem Kollegen Dr. Katz nicht ganz einig. Es dreht sich darum, ob diese Bestimmung der Württembergischen Verfassung Recht geworden ist. Unser Richtergrundrecht verlangt, daß nur kraft richterlicher Entscheidung ein Richter gegen seinen Willen dauernd oder zeitweise seines Amtes enthoben oder auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt wird. Was in einem solchen Landesgesetz vorgesehen wird, ist eine richterliche Entscheidung; denn auch das Verfassungsgericht eines Landes ist ein Gericht. Ich hatte damals die Ehre, selbst in dem vorbereitenden Ausschuß für die Verfassung von Württemberg-Baden mitzuarbeiten. Es ist in der württembergischen Verfassung ausdrücklich gesagt: „Die Entscheidung des Dienststrafhofes gilt als richterliche Entscheidung im Sinne des Abs. 1.“ Ich halte deshalb die württembergische Bestimmung für rechtens und würde es für rechtens halten, wenn ein Land und auch ohne Verfassung – den Weg geht, den ich für das Bundesrecht im Rahmen seiner Zuständigkeit in meinen Antrag zu Art. 133 aufgenommen habe. Dr. Greve (SPD): Ich darf mich auf die Ausführungen des Vorsitzenden und des Herrn Dr. Dehler im Hinblick auf die privilegierte Stellung der Richter beziehen. Weil die Richter in ihrer Allgemeinheit eine so privilegierte Stellung haben, halte ich es für ausgeschlossen, die Formulierung so zu wählen, daß man nur sagt: „wenn ein Richter vorsätzlich oder [S. 301] grob-fahrlässig gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstößt.“ Wer mit derartigen Privilegien in seiner Stellung ausgestattet ist, darf gegen Grundsätze dieses Grundgesetzes oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes überhaupt nicht fahrlässig verstoßen. In jedem Falle eines fahrlässigen Verhaltens, nicht nur eines grobfahrlässigen Verhaltens, muß die Möglichkeit der Anklage gegeben sein. Aus diesem Grunde halte ich die Einschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit für unmöglich. Wir müssen immerhin bedenken, mit welchen Rechten die Richter in ihrer Stellung, in ihrer beruflichen Tätigkeit und in ihren beruflichen Aufgaben ausgestattet sind. Gerade weil es sich hier auch um ein wesentlich politisches Moment handelt, hat jeder Richter so viel Überlegung bei seinem Verhalten in und außerhalb des Amtes aufzubringen, daß ihm überhaupt nicht mehr der geringste Grad von Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann, ohne daß 31)

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„In anderen Fällen sind Tausende und Abertausende durch die kleinen Freislers zum Tode verurteilt worden.“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 27.

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man ihn dafür zur Rechenschaft ziehen kann. Deshalb bitte ich, die Einschränkung, die erfolgen würde, wenn man Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit hineinnähme, abzulehnen. Dr. Becker (FDP): Ich darf zunächst daran erinnern, daß ohne unseren Antrag von heute früh ein Disziplinargericht für die Bundesrichter überhaupt nicht bestehen würde. Erst durch unseren Antrag zu einem der vorangegangenen Paragraphen ist diese Möglichkeit der Einrichtung von Disziplinargerichten geschaffen, und sie mußte geschaffen werden. Nun haben Sie, wenn dieser Artikel angenommen wird, drei Möglichkeiten, den Richter zu verurteilen: 1. durch das Strafgericht im Falle einer strafbaren Handlung, 2. durch das Disziplinargericht, 3. nach dem Wortlaut dieser Vorlage durch den Verfassungsgerichtshof. Nun bitte ich Sie, folgendes zu überlegen. Wenn Sie der Meinung sind, daß der Volksansicht, eine Krähe hackt der anderen die Augen nicht aus, entgegengetreten werden muß, müssen Sie für den Zivilprozeßrichter besondere Gerichte schaffen, an denen aber beileibe kein Richter teilnehmen darf. Sie müssen an Stelle des Strafgerichts, das zum Beispiel Fragen der Rechtsbeugung zu beurteilen hätte, Gerichte schaffen, an denen beileibe kein Richter beteiligt sein darf. Sie müssen auch beim Verfassungsgerichtshof die Richter, die jetzt beteiligt sind, weglassen. Dann würden Sie dem zuerst von Herrn Abgeordneten Renner in die Debatte geworfenen Hinweise begegnen können. Ich glaube nicht, daß Sie diese Schlußfolgerung ziehen wollen. Wollen Sie sie aber nicht ziehen, dann ist der von uns vorgeschlagene Weg der richtige, sowohl die Delikte, deren Tatbestände in der hier zur Besprechung stehenden Bestimmung normiert werden, wie die Frage ihrer disziplinären Behandlung einem einzigen Gerichtshof zu überweisen. Warum? Aus dem sehr einfachen Grunde, weil der hier normierte Tatbestand, wenn er unter Umständen nicht erfüllt ist, sonst zu einem Freispruche führen würde, obwohl er gegebenenfalls unter durchaus anderen Gesichtspunkten eine Disziplinwidrigkeit, insbesondere eine grobfahrlässige Begehung einer Disziplinwidrigkeit darstellen und dann von dem Disziplinargericht entsprechend geahndet werden könnte. Seien wir uns doch auch über folgendes klar. In dieser Bestimmung ist der Tatbestand sehr unklar, sehr summarisch, sehr generell gefaßt. Die Strafe, die darauf steht, ist die schärfste, die jemanden in seiner Beamtenlaufbahn treffen kann, nämlich Entlassung aus dem Amt. Bei jeder Bestimmung des Strafgesetzbuchs bemüht man sich stunden- und tagelang, den Tatbestand so genau zu formulieren, daß hinterher bei der Urteilsfällung kein Zweifel sein kann. Wenn wir einen ungenauen Tatbestand haben und außerdem Fahrlässigkeit oder grobe Fahrlässigkeit als strafbar ansehen wollen, kommen wir zu Möglichkeiten, die hier noch nicht vorauszusehen sind. Überlegen Sie noch folgendes. Es heißt in diesem Text: „Wenn ein Richter . . . gegen die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstößt“, nicht etwa seines Landes. Wenn zum Beispiel ein bayerischer Richter aus Versehen gegen die verfassungsmäßige Ordnung, und was darunter zu verstehen ist, von Nordrhein-Westfalen oder von Rheinland-Pfalz verstoßen hat, soll dann Fahrlässigkeit oder grobe Fahrlässigkeit vorliegen und dies als strafbare Handlung von seinem heimatlichen Staatsgerichtshof festgestellt werden? Das ist meiner Ansicht nach ausgeschlossen.

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Die Tatbestandsabgrenzung ist so unscharf, daß die Einfügung von Fahrlässigkeit und grober Fahrlässigkeit unserer Auffassung nach hier unmöglich ist. Noch eine Bemerkung zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Renner. Herr Renner hat auf den früheren Volksgerichtshof und dessen Vorsitzenden angespielt. In der Verurteilung dieser Person sind wir uns einig, hoffentlich aber auch in der Verurteilung der Laienbeisitzer, die im Volksgerichtshof das Übergewicht hatten. Wir wollen uns deshalb aber auch hier klar sein, daß in politisch aufgeregten Zeiten Laienbeisitzer unter Umständen unter Einflüssen stehen, die vielleicht bei an eine ruhige und sachliche Denkweise gewöhnten Berufsrichtern nicht Platz greifen. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich verkenne nicht, daß das Nebeneinander von drei Gerichten, die sich mit Richterdelikten zu beschäftigen haben, eine gewisse Kompliziertheit hereinbringt. Ich bin der Meinung, daß der Tatbestand sehr unscharf gefaßt ist und daher in der Aburteilung auch zu erheblichen Schwierigkeiten führen wird. Ich bin insbesondere der Meinung, daß die Einbeziehung der verfassungsmäßigen Ordnung eines Landes zu weit geht, da unter Umständen das eine oder andere Land in seiner Verfassung Rechtsgrundsätze hat, die über die Bundesverfassung hinausgehen, und die dem Richter vielleicht gar nicht so unbedingt zum Bewußtsein gekommen sind. Aber ich bin trotz aller dieser Bedenken der Ansicht, daß es gut und notwendig ist und erzieherisch wirkt, wenn auch dem Richter klargemacht wird, daß er aus dem Geist dieses Grundgesetzes zu handeln verpflichtet ist, daß er sich hüten muß, gegen die wesentlichen Grundsätze – denken wir an die Grundrechte, die Freiheitsrechte usw. – dieses Grundgesetzes zu verstoßen. Es muß ihm ein besonderer Respekt gerade vor dem Geist dieser Verfassung, die wir schaffen, eingeflößt werden. Das kann durch eine derartige Vorschrift trotz der technischen Bedenken, die ich nicht verkenne, meines Erachtens sehr gut geschehen, und es ist auch in verschiedene Landesverfassungen bereits eine ähnliche Vorschrift, aus anderem Gesichtspunkte, aufgenommen worden. Dagegen bin ich der Auffassung, daß wir auch bei dieser Gerichtsbarkeit nicht von den allgemeinen Grundsätzen abgehen sollten, die überhaupt für das gesamte Gebiet des Strafrechts – und hier handelt es sich ja auch um strafrechtliche, wenigstens auch in diesem Sinne strafbare Vergehen; sie sollen mit der Amtsentlassung bestraft werden – generell gelten. Zu diesen Grundsätzen gehört doch schließlich auch der Satz, daß niemand ohne den Nachweis seiner Schuld bestraft werden kann. An diesem Grundsatz dürfen wir unter keinen Umständen rütteln, und es muß hier auch schon ein gewisses Maß von Schuld im Sinne des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit festgestellt werden. Eine leichte Fahrlässigkeit, die an der Grenze eines Irrtums liegen kann, unter Umständen schon als Grundlage eines solchen Verfahrens zu nehmen, wäre bedenklich, ganz abgesehen von dem grundsätzlichen Bedenken, daß eben ohne Verschulden niemand bestraft werden kann. Ich würde deshalb dafür plädieren, daß man die Voraussetzungen des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit, die auch in der württembergisch-badischen Verfassung enthalten sind, auch hier mit aufnimmt. Allerdings bin ich nicht ganz derselben Meinung wie Herr Dr. Laforet hinsichtlich der Notwendigkeit des von Herrn Kollegen Dr. Katz beantragten Abs. 2. Hier glaube ich, wenn wir den Ländern unter

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voller Wahrung ihrer Justizhoheit ausdrücklich die gesetzliche Ermächtigung geben, ein ähnliches Verfahren einzurichten, daß man zumindest sagen kann: [S. 302] superfluum non nocet, das Überflüssige schadet nichts. Das hat dann den Vorzug einer Klarstellung. Ich habe offengestanden auch juristische Bedenken, ob die Verfassungsbestimmungen von Württemberg-Baden noch als in Kraft befindlich bezeichnet werden können, wenn nicht eine ausdrückliche Ermächtigung zu solchen gesetzlichen Regelungen gegeben ist, da man ja sonst etwa sagen könnte: ein derartiges Gericht, das ein Handeln des Richters abzuurteilen hat, wäre, weil ja Tateinheit auch mit Rechtsbeugung gegeben sein kann, eine Art von Sondergericht. Zumindest sind rechtliche Zweifel möglich. Um diese auszuräumen, würde ich empfehlen, den von Herrn Kollegen Dr. Katz vorgeschlagenen Abs. 2 anzunehmen, zumal er nur eine Ermächtigung an die Länder ausspricht und deshalb zweifelsfrei keinen Einbruch in die Justizhoheit darstellt. Dr. Fecht (CDU): Herr Renner hat durch seine Ausführungen und seinen Vergleich mit Freisler die Richter in ihrer Gesamtheit beleidigt. Er hat aber nach meiner Auffassung auch die Justizminister beleidigt, wenn er unterstellt, daß derartige Kreaturen wie Freisler heute in unserer Justizverwaltung geduldet würden. Ich jedenfalls weise als badischer Justizminister – und ich glaube, ich spreche da auch für meine Kollegen aus andern Ländern, die dem Hohen Hause angehören – diese Beleidigung in jeder Form zurück. (Beifall.) Dr. Greve (SPD): Ich wundere mich über die Ausführungen des Kollegen Dr. Süsterhenn insofern, als er heute vorschlägt, daß man doch die Beschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit in unser Grundgesetz hineinnehmen sollte, während er selber als zuständiger Justizminister im Lande Rheinland-Pfalz in Art. 132 der Verfassung von Rheinland-Pfalz Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit herausgelassen hat32). In Art. 132 der Verfassung von Rheinland-Pfalz heißt es: Verletzt ein Richter vorsätzlich seine Pflicht, das Recht zu finden, – also der Fall der Rechtsbeugung – oder verstößt er im Amt oder außerhalb desselben gegen die Grundsätze der Verfassung, so kann der Ministerpräsident den Generalstaatsanwalt anweisen, Anklage vor dem Verfassungsgerichtshof zu erheben. Also in dem Falle, den wir jetzt behandeln, haben Sie, Herr Dr. Süsterhenn, in dem Lande, dem Sie angehören, keine Beschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, wie wir es wünschen. Ich weiß nicht, warum Sie im Lande Rheinland-Pfalz weitergegangen sind, als Sie uns jetzt vorschlagen, für den Bund zu gehen. Ich glaube, daß das, was Sie 1947 in Rheinland-Pfalz getan haben, richtiger war als das, was Sie uns heute hier zu tun empfehlen. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich habe die Fähigkeit, neue Erkenntnisse zu gewinnen und hinzuzulernen, Gott sei Dank, noch nicht verloren. Renner (KPD): Ich möchte hier die Ausführungen von Herrn Dr. Fecht richtigstellen. Ich habe von Freisler gesprochen, ich habe von dem Film, von seiner Wirkung geredet und habe gesagt, daß wir leider noch viele solcher Freislers, kleiner Freis32)

Für den Wortlaut des Art. 132 der Verfassung für Rheinland-Pfalz vom 18. Mai 1947 vgl. Wegener: Verfassungen, S. 257.

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lers, bei uns in Amt und Würden, in Funktion haben. Daraus, wie es Herr Dr. Fecht getan hat, eine allgemeine Anklage gegen den ganzen Justizapparat zu konstruieren, ist eine gewollte Übersteigerung, Herr Fecht. Aber nun noch ein Wort zu diesem Film. Ich freue mich, daß wenigstens auch bei denen, die heute zu diesem Film gesprochen haben, der Eindruck, den das Auftreten Freislers bei anständigen Menschen hervorgerufen hat, so war, wie er hier zum Ausdruck gekommen ist. Ich bin aber der Überzeugung, daß, wenn dieser Film in den Filmtheatern Deutschlands gezeigt werden würde, bei vielen Zuschauern diese Wirkung nicht eintreten würde. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß auf viele Deutsche von heute dieser Film so wirken würde, daß eine Glorifizierung Freislers, eine Verächtlichmachung der Angeklagten herauskommt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Was hat das mit den Ausführungen zu Art. 133 zu tun? Renner (KPD): Ich habe mich gegen eine falsche Feststellung verwahrt. Noch ein letzter Satz. Dieser Freisler hat nicht nur die Angeklagten vom 20. Juli zum Tode verurteilt, er hat daneben Hunderte von Todesurteilen ausgesprochen, und die kleinen Freislers haben am laufenden Bande Todesurteile gegen Kämpfer gegen den Faschismus ausgesprochen, Todesurteile, deren Gesamtzahl leider heute noch nicht einmal feststeht, aber Todesurteile, die in die vielen Zehntausende gehen, wie wir alle wissen. Wollen Sie die Garantie übernehmen, daß alle Vorsitzenden von Sondergerichten heute bei uns ausgeschaltet sind? Niemand kann die Garantie übernehmen. Sie wissen genau, daß das so ist, wie ich gesagt habe, daß eine Reihe von Vorsitzenden von Sondergerichten heute noch in Amt und Würden sind. Dr. Löwenthal (SPD): Eine gute Rechtsprechung und ein guter Richterstand, der sich des Vertrauens des Volkes erfreut, sind eine absolute Notwendigkeit in einem demokratischen Staat. Aber gerade, weil uns das Ansehen der Rechtspflege und des Richterstandes am Herzen liegt, muß die Möglichkeit gegeben sein, daß gegen Auswüchse politischer Art, die eine Fronde gegen den demokratischen Staat darstellen, eingeschritten wird. Erinnern wir uns doch, wie es in der Weimarer Republik gewesen ist. Die meisten von Ihnen wissen das; wir sind fast alle aus der Generation, die miterlebt hat, in welcher Weise das Republikschutzgesetz33) ausgelegt worden ist, wie die Beschimpfung der deutschen Flagge in vielen Urteilen beschönigt worden ist. Wir alle erinnern uns an den skandalösen Prozeß in Magdeburg um den Reichspräsidenten Ebert34). Ich könnte stundenlang derartige Fälle erzählen. Wer gibt uns die Garantie, daß solche Dinge sich nicht wiederholen? Wir wollen hoffen, daß sie sich nicht wiederholen, und wenn sie sich nicht wiederholen, brauchen wir derartige Bestimmungen praktisch nicht anzuwenden. Aber immerhin ist es gut, wenn die Möglichkeit besteht, gegen derartige Auswüchse einzuschreiten. Deshalb bin ich der Meinung, daß man auf diese Bestimmung nicht verzichten sollte. 33)

Das Republikschutzgesetz vom 21. Juli 1922 (RGBl. I, S. 585) wurde aus Anlaß von zahlreichen kriminellen Aktivitäten von Rechtsextremisten, darunter die Ermordung von Reichsaußenminister Walther Rathenau erlassen um republikfeindliche Organisationen zu verbieten und handlungsunfähig zu machen. 34) Zum sog. Badehosenurteil des Landesgerichts Magdeburg vom 23. Dez. 1924 vgl. oben S. 749, Anm. 21.

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Walter (CDU): Ich will mich ganz kurz fassen und nur eine Bemerkung wegen der groben Fahrlässigkeit machen. Ich glaube, eine Beschränkung auf grobe Fahrlässigkeit ist unbedingt notwendig. Es darf nicht, wie die Herren von der Sozialdemokratischen Partei meinen, jede Fahrlässigkeit genügen. Wenn wegen einer kleinen Fahrlässigkeit ein Richter vor dem höchsten politischen Gerichtshof angeklagt werden würde, so würde tatsächlich mit Kanonen nach Spatzen geschossen werden.35) Das ist nach meiner Ansicht nicht unbedingt notwendig. Wir haben uns bei den Verfassungsberatungen in Württemberg-Baden lange unterhalten, wie der Tatbestand sein soll, und haben uns nach langer Beratung entschlossen, den Tatbestand auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu beschränken36). Vors. Dr. Schmid (SPD): Vielleicht könnte man, um den Bedenken gerecht zu werden, die geäußert worden sind, so sagen: „Wenn ein Richter schuldhaft . . .“ Walter (CDU): Da fällt aber auch leichte Fahrlässigkeit darunter. Dr. Laforet (CSU): Ich bitte, in meinem Antrag die Worte „eines Landes“ zu ändern in: „seines Landes“. Dr. Seebohm (DP): Mit Rücksicht auf die Notwendigkeit, die Landesjustizhoheit zu erhalten, sehe ich mich genötigt, dem Antrag des Herrn Dr. Laforet zuzustimmen. Ich halte andererseits mit Rücksicht auf die Verhältnisse in der britischen Zone den Eventual-Zusatzantrag von Herrn Dr. Katz für erforderlich. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich abstimmen. Der weitestgehende Antrag ist der Antrag des [S. 303] Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege. Ich lasse über ihn abstimmen. – Der Antrag des Ausschusses ist abgelehnt. Dann stimmen wir über den Antrag Dr. Laforet in folgender Fassung ab: Wenn ein Bundesrichter vorsätzlich oder grobfahrlässig in oder außerhalb des Amtes gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder die verfassungsmäßige Ordnung seines Landes verstößt, so kann das Bundesverfassungsgericht auf Antrag des Bundestags oder des Bundesjustizministers ihn seines Amtes für verlustig erklären und zugleich bestimmen, ob er in ein anderes Amt oder in den Ruhestand zu versetzen oder zu entlassen ist. Der alte Abs. 2 würde dann wegfallen. – Der Antrag Dr. Laforet ist in der verlesenen Fassung angenommen. Es kommt dann der Zusatzantrag Dr. Katz: Die Länder sind ermächtigt, nach Maßgabe näherer landesgesetzlicher Festlegung für Richter eines Landes eine entsprechende Regelung zu treffen. Ich lasse abstimmen. – Der Antrag ist mit 17 gegen 4 Stimmen bei Enthaltung von Herrn Dr. Becker angenommen. Damit ist diese Materie erledigt. Der Hauptausschuß vertagt sich hierauf auf Freitag, den 10. Dezember 1948, 10 Uhr. Schluß der Sitzung 18 Uhr. 35)

Statt „so würde tatsächlich mit Kanonen nach Spatzen geschossen werden“ im stenograph. Wortprot., S. 37: „wäre dies bedenklich.“ 36) Art. 88 Abs 3 Satz 1 der Verfassung von Württemberg-Baden vom 28. Nov. 1946: „Richter, die vorsätzlich oder grobfahlässig ihre Pflicht, das Recht zu finden, verletzt haben, können vor den Dienststrafhof für Richter gezogen werden, wenn dies zum Schutze der Verfassung oder ihres Geistes gegen mißbräuchliche Verwendung der richterlichen Gewalt erforderlich erscheint“. Wegener: Verfassungen, S. 114.

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Sechsundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 10. Dez. 1948

Nr. 26 Sechsundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 10. Dezember 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 305–312. PA 2004. Ungez. von Koppert gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 380 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: de Chapeaurouge3), Kaufmann, Kleindinst4), Laforet, von Mangoldt, Pfeiffer, Schlör5), Walter6) SPD: Greve, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Löwenthal7), Zimmermann FDP: Heuss, Höpker Aschoff8) DP: Seebohm KPD: Renner9) Zentrum: Wessel10) Abgeordnete ohne Stimmrecht: Eberhard (SPD), Katz (SPD), Weber (CDU/CSU) Stenographischer Dienst: Koppert Dauer: 10.14–11.30 Uhr

[1. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT XII: GERICHTSBARKEIT UND RECHTSPFLEGE, ART. 137, 137a (VERSCHIEDENE AUFGABEN DER OBERSTEN BUNDESGERICHTE)]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir fahren in der Besprechung des Abschnitts XII: Gerichtsbarkeit und Rechtspflege fort und kommen zum Art. 137. Unseren Beratungen liegt die Fassung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege (PR. 12.48 – 353)11) zugrunde. Art. 137 lautet in dieser Fassung: (1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

10) 11)

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Protokollführer Wernicke. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Vertreter für Adenauer. Vertreter für Süsterhenn. Vertreter für von Brentano. Vertreter für Lehr. Vertreter für Wolff. Vertreter für Dehler. Vertreter für Reimann. Vertreterin für Brockmann. Schmid folgte hier – wie bereits seit der 23. Sitzung des HptA – den Artikelentwürfen des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege auf Drucks. Nr. 353 vom 7. Dez. 1948 ediert in: Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 59, S. 1486–1490.

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um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetz handelt. (2) Ist in einem Rechtsstreit zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist und ob sie unmittelbare Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Art. 29), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Obersten Bundesgerichts) einzuholen. (3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder des Verfassungsgerichts eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen; will es bei der Auslegung von sonstigem Bundesrecht von der Entscheidung des Obersten Bundesgerichts oder eines oberen Bundesgerichts abweichen, so hat es die Entscheidung des Obersten Bundesgerichts einzuholen. Ich lasse abstimmen. – Art. 137 ist in der verlesenen Fassung einstimmig angenommen. Wir kommen zu Art. 137a Die näheren Bestimmungen zu den Artikeln 128, 128a, 128b, 128d, 128e, 129, 133, 136 und 137 sind bundesgesetzlich zu regeln, insbesondere die Bestimmungen zu Art. 128a über die Art der Fälle, über die Gerichte, an deren Stelle das Oberste Bundesgericht entscheidet sowie über das Verfahren. Die näheren Bestimmungen zu Art. 129a sind landesgesetzlich zu regeln. Ich lasse abstimmen. – Art. 137a ist in der verlesenen Fassung einstimmig angenommen. Damit haben wir den Abschnitt XII erledigt.

[2. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT III BUND UND LÄNDER, ART. 36 ZIFFER 14a (ÜBERFÜHRUNG VON GRUND), ZIFFER 22 (SCHIENENBAHN)]

Ehe ich die Präambel aufrufe, möchte ich noch auf einige Restposten hinweisen, die wir erledigen könnten. Zunächst ist im Abschnitt III Bund und Länder im Zuständigkeitskatalog für die Vorranggesetzgebung noch eine Lücke auszufüllen. In Art. 36 müßte zwischen die Ziffern 14 und 15 eine Ziffer aufgenommen werden, die die in Art. 15 vorgesehene Überführung von Grund und Boden, Naturschätzen, Produktionsmitteln in Gemeineigentum betrifft. Art. 15 lautet: Die Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen, Produktionsmitteln in Gemeineigentum im Wege der Enteignung nach Art. 14 ist nur auf Grund eines Gesetzes zulässig. Es gilt nun, in den Katalog des Art. 36 nach Ziffer 14 eine Ziffer 14a einzufügen: Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen, Produktionsmitteln in Gemeineigentum. Ich lasse abstimmen. – Ziffer 14a ist in der verlesenen Form beschlossen. Ferner liegt zu Art. 36 noch ein Vorschlag des Ausschusses für Zuständigkeitsab-

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grenzung (PR. 12.48 – 362)12) vor, der am 7. Dezember 1948 folgende Ziffer 22 beschlossen hat: die Schienenbahnen, die nicht bundeseigen sind, mit Ausnahme der Bergbahnen. Wir nehmen damit allerdings schon etwas voraus, was eigentlich in die zweite Lesung gehört. Aber da es sich hierbei um eine rein technische Angelegenheit handelt, könnten wir das jetzt schon erledigen und den Text säubern. Ich lasse abstimmen. – Ziffer 22 ist in der verlesenen Form beschlossen.

[3. ERSTE LESUNG – ABSCHNITT VIII DIE AUSFÜHRUNG DER BUNDESGESETZE UND DIE BUNDESVERWALTUNG, ART. 118: BUNDESWASSERSTRASSEN]

Dann ist in dem Abschnitt VIII: Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung noch eine Änderung zu Art. 118 Abs. 2 zu behandeln (PR. 12.48 – 362). An Stelle des Satzes: Die Bundeswasserstraßen verwaltet der Bund durch eigene Behörden würde nunmehr der Satz treten: Der Bund verwaltet durch eigene Behörden die Bundeswasserstraßen und solche über den Bereich eines Landes hinausgehende staatliche Verwaltungsaufgaben der Binnenschiffahrt auf den Bundeswasserstraßen und der Seeschifffahrt, die ihm durch Gesetz übertragen werden. Dann müßte es weiter heißen: Er kann die Verwaltung von Bundeswasserstraßen, soweit sie im Gebiet eines Landes liegen, diesem Land auf Antrag übertragen. Es ist also nur Satz 1 ersetzt. Ich lasse darüber abstimmen. – Angenommen gegen 1 Stimme. Frau Wessel (Z): Mir ist die erste Abstimmung bezüglich der Überführung von Bodenschätzen nicht ganz klar gewesen. Es waren hierbei verschiedene Varianten vorgesehen. Ich wollte wissen, ob damit die von Dr. von Brentano vorgeschlagene Variante abgelehnt ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben die vom Ausschuß für Grundsatzfragen vorgeschlagene Fassung beschlossen. [S. 306] Es ist dann noch Beschluß zu fassen über einen Antrag der KPD betreffend die Wahl eines Verfassungsausschusses.13) Der Herr Kollege Renner hat in einer der letzten Sitzungen Wert darauf gelegt, daß Beschluß gefaßt wird über die Ziffer 2 des Antrags vom 26. 10. 194814), die lautet:

12)

Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 28, S. 755. Statt „Es ist dann noch Beschluß zu fassen über einen Antrag der KPD betreffend die Wahl eines Verfassungsausschusses.“ im stenograph. Wortprot., S. 4: „Es wäre dann noch Beschluß zu fassen über einen Antrag der KPD zum Bundesverfassungsgerichtshof.“ 14) Zu dem Schreiben der Kommunisten vom 26. Okt. 1948 und für Auszüge aus dem Antrag der KPD vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 53, S. 1219 f. Vgl. auch oben Dok. Nr. 23, S. 685, Anm. 9. 13)

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Das Bundesparlament wählt für die Dauer seiner Wahlperiode einen Verfassungsausschuß, dem folgende Funktionen zustehen: a) die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Bundesgesetzen in Zweifelsfällen, b) die Begutachtung von Streitfällen zwischen Bund und Ländern in Verfassungsangelegenheiten, c) die Prüfung der Vereinbarkeit von Landesgesetzen mit der Bundesverfassung. Der Herr Kollege Renner hat die Begründung schon gegeben; wir können also sofort abstimmen. – Der Antrag ist abgelehnt.

[4. ERSTE LESUNG – PRÄAMBEL]

Wir kommen nun zur Präambel. Da ist es wohl am besten, wenn der Vorsitzende des Ausschusses für Grundsatzfragen, Herr Dr. von Mangoldt, zunächst das Wort zu einer kurzen Erläuterung nimmt. In der Präambel steckt eine ganze Menge von Stoff. Grundlage unserer Beratung ist die vom Grundsatzausschuß am 16. 11. 1948 beschlossene Fassung (PR. 11.48 – 277)15). Dr. von Mangoldt (CDU): Nachdem die Präambel in der Öffentlichkeit eingehend behandelt worden war und dort auch eine sehr weitgehende Kritik gefunden hatte, die auch im Plenum ihren Ausdruck gefunden hat, hat der Ausschuß für Grundsatzfragen sich noch einmal der Präambel angenommen und sich dabei in erster Linie bemüht, die Wünsche nach einer nüchterneren Fassung zu erfüllen. Die Schwierigkeit bei der Formulierung der Präambel lag vor allem darin, daß eine ganze Anzahl von Gedanken aufgenommen werden mußte, womit die Gefahr verbunden war, daß die Präambel allzu leicht die Form eines Leitartikels angenommen hätte. Aus diesen Erwägungen ist der Grundsatzausschuß dazu gekommen, die Präambel mit einer kurzen historischen Bemerkung einzuleiten und dann die Überlegungen folgen zu lassen, die uns als maßgeblich für die Arbeit der Schaffung des Grundgesetzes vorgeschwebt haben. In der Einleitung erschien es uns als das Wesentlichste, zum Ausdruck zu bringen, daß mit diesem Grundgesetz der Weg zur Einheit der Nation vorbereitet werden soll. So gingen wir von der Feststellung aus, daß Deutschland als solches erhalten geblieben ist. Daher beginnt die Einleitung mit den Worten: „Entschlossen, die Einheit der Nation zu erhalten .. .“. Es kann sich also nur darum handeln, an Stelle des zerstörten staatlichen Gefüges eine neue Ordnung zu setzen also „dem staatlichen Leben in einer Bundesrrepublik Deutschland eine neue Form zu geben“, wie es in der Einleitung heißt. Die Grundgedanken, die für das Grundgesetz maßgeblich sind, sind in folgendem enthalten. Am Anfang steht die invocatio Dei und die Betonung, daß dieses Grundgesetz aus den sittlichen Kräften des deutschen Volkes geboren werden soll. Das nächste, was am Anfang auszusprechen war, war die Überlegung, daß trotz der ei15)

Für den Wortlaut der am 16. Nov. 1948 vom Ausschuss für Grundsatzfragen in 2. Lesung angenommene Fassung der Präambel, vervielfält. auf Drucks. Nr. 277 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 27, S. 576, Anm. 21.

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genartigen Situation, in der wir uns zur Zeit befinden, uns doch sicher das unverzichtbare Recht auf die Bestimmung des eigenen nationalen Lebens geblieben ist, ein Grundsatz der auch das heutige Völkerrecht weitgehend beherrscht und in den großen Dokumenten der Gegenwart, wie der Atlantik-Charta16) oder der Charta der Vereinten Nationen17), seinen Ausdruck gefunden hat. Ferner hielten wir es nach einer Zeit, in der die Menschenwürde und die Freiheitsrechte schwer angegriffen worden waren18), für notwendig, ausdrücklich zu betonen, daß ein anderer Geist dieses Verfassungswerk beherrschen soll, daß also die Menschenwürde wieder zu Ehren kommen und die alten Freiheitsrechte gewahrt und geschützt werden sollen. In enger Beziehung dazu stand der Gedanke, dieses neue, im Entstehen begriffene Deutschland nun auch in seine Umwelt einzuordnen. Das hat in einem weiteren Satz seinen Ausdruck gefunden. Allen diesen Gedanken gegenüber muß aber doch betont werden, daß wir uns bei unserer Arbeit der starken Erschwerungen bewußt geblieben sind, die sich aus der Tatsache ergeben, daß Deutschland ein besetztes Land ist, und daß sich aus dieser Tatsache Beschränkungen auch für unsere Tätigkeit ergeben können. Nach der Zusammenfassung dieser Grundsätze folgt die Feststellung, in welcher Form dieses Grundgesetz angenommen werden wird, und das Notwendige über den Beschluß, der über dieses als Grundgesetz bezeichnete Verfassungswerk zu fassen sein wird. In zwei Schlußabsätzen wird klargelegt, daß die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates, die aus den oben angeführten Ländern entsandt worden sind, sich als Stellvertreter des ganzen deutschen Volkes empfunden haben. Endlich wird in der Präambel herausgestellt, daß dieses Grundgesetz noch nicht das endgültige Werk sein kann, sondern daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit aufgefordert wird, diesen Anfangsschritt durch gemeinsame Entscheidung nun in der Bundesrepublik Deutschland zu vollenden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte auch hier darum bitten, daß wir zum mindesten in dieser ersten Lesung bei der Besprechung der einzelnen Absätze nicht allzu viel Philologie treiben möchten, daß wir unsere vielleicht sehr viel besseren Vorschläge, die wir in der Tasche haben mögen, nicht schon jetzt herausziehen, sondern daß wir die Absätze beschließen, wie sie hier stehen, sofern wir nur mit ihrem Inhalt einverstanden sind. Der Redaktionsausschuß hat ja noch die Möglichkeit, das eine oder andere redaktionell zu bessern. Auch wir selber werden bei der zweiten Lesung mehr Ruhe und Muße haben, die Fassungen noch auf ihre stilistische Perfektion hin zu überprüfen und entsprechend zu verbessern. Ich schlage Ihnen vor, daß wir heute die Präambel absatzweise verlesen und beraten und über das Ganze keine allgemeine Aussprache abhalten. Die Präambel ent16)

In der Atlantik-Charta vom 14. Aug. 1941 faßten die Regierungschefs der USA, Franklin D. Roosevelt, und Großbritanniens, Winston Churchill, ihre Vorstellungen von einer neuen Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen. Vgl. Johann Wolfgang Brügel: Die Atlantik-Charta, in: Europa-Archiv 6 (1951), S. 4219–4426. 17) Die Charta der Vereinten Nationen ist die „Verfassung“ der Vereinten Nationen (UN). Für den Wortlaut der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 vgl. BGBl. 1973 II, S. 431. 18) Gemeint war die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft.

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hält einen Stoff, der zehn oder zwölf Artikel umfassen müßte, wenn er hier nicht gedrängt wiedergegeben wäre. Ich glaube, daß, wenn wir so verfahren, es der Klarheit dienen wird. – Sie sind mit diesem Vorschlag einverstanden. Ich lese also zunächst den ersten Absatz vor, die Präambel zur Präambel, wenn ich so sagen darf: Entschlossen, die Einheit der Nation zu erhalten .. . und lasse darüber abstimmen. – Der erste Absatz ist gegen die Stimme des Abgeordneten Renner angenommen. Renner (KPD): Ich bestreite Ihnen das Recht, einen solchen Beschluß zu fassen, wenn Sie schon die Diskussion vermeiden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Herr Abgeordnete Renner hat uns schon dargelegt, aus welchen Gründen er gegen diese Dinge19) ist20). Es folgen nun zwei Varianten. Die erste lautet: hat das Deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern Abgeordnete entsandt, um in diesem Grundgesetz dem staatlichen Leben in einer Bundesrepublik Deutschland eine neue Form zu geben. Die zweite Variante lautet: haben die deutschen Länder Baden, Bayern . . . Der Unterschied ist klar. Variante I geht davon aus, daß das deutsche Volk als gesamtdeutsches Staatsvolk handelt, jedoch in seiner Gliederung in Länder auftritt. Variante II dagegen geht von der Vorstellung aus, daß nicht ein gesamtdeutsches Staatsvolk tätig wird, [S. 307] sondern daß die einzelnen deutschen Länder als in sich geschlossene Körper und eigene Rechtsträger es sind, die durch die von ihnen entsandten Abgeordneten tätig werden. Die Frage, für welche der beiden Fassungen man sich entscheidet, ist also keine Frage der literarischen oder stilistischen Vorliebe für diese oder jene Fassung, sondern hier geht es um eine Grundentscheidung dieses Hohen Hauses von höchster politischer Tragweite. Im einen Fall entscheidet man sich dafür, daß Deutschland erhalten geblieben ist, daß also ein deutsches Staatsvolk noch besteht und daß dieses deutsche Staatsvolk in seiner spezifischen Gliederung in Länder tätig wird. Nach der anderen Variante ist ein solches zu rechtlichem Handeln legitimiertes deutsches Staatsvolk nicht vorhanden, sondern an seiner Stelle werden die deutschen Länder tätig als die politischen Einheiten, auf die ein gesamtdeutscher Organisationswille zurückführbar wäre. Dr. Pfeiffer (CSU): Ich möchte mich für die Variante II aussprechen, und zwar aus folgenden Überlegungen. Wir haben wiederholt von der Verfassungswirklichkeit gesprochen. Die Einleitung der Präambel bringt eine Feststellung über den Zusammenhang, aus dem heraus der Parlamentarische Rat gebildet wurde und seine Tätigkeit aufgenommen hat. Wenn wir uns auf den Boden der Wirklichkeit stellen, also nicht des Erwünschten 19) 20)

Statt „diese Dinge“ im stenograph. Wortprot., S. 10: „unsere Arbeit“. Vgl. dazu den Antrag von Renner in der 9. Sitzung des HptA am 25. Nov. 1948, die Arbeit am Grundgesetz einzustellen; oben Dok. Nr. 9, TOP 2, S. 280 f.

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und Erstrebten, sondern auf den Boden der Tatsachen, so steht fest, daß unsere Tätigkeit und Wirksamkeit auf dem Dokument Nr. 121) beruht. Dieses Dokument hat das Verfahren bestimmt, nach dem die Abgeordneten zum Parlamentarischen Rat gewählt und entsandt wurden. Dieses Dokument umreißt in großen Linien den Auftrag. Der Schlußabschnitt des Dokuments Nr. 1 regelt den weiteren Ablauf, nachdem der Parlamentarische Rat seine Arbeit beendet hat. Nun sind bei der Konstituierung des Parlamentarischen Rats mit aller Deutlichkeit die Länder eingeschaltet. Die Länder haben bestimmt, in welcher Art und nach welchem Verfahren die Abgeordneten hierher entsandt wurden. Im Schlußabschnitt wird den Ländern die maßgebliche Aufgabe zugewiesen, die Ratifizierung des Grundgesetzes nach ihren eigenen Bestimmungen durchzuführen. So ist es Wirklichkeit, daß die Länder bei der Konstituierung des Parlamentarischen Rates maßgeblich eingeschaltet waren und daß sie auch bei der weiteren Behandlung der hier gefaßten Beschlüsse maßgeblich bleiben. Dem steht nicht entgegen, wenn die Präambel weiter lautet, der Parlamentarische Rat habe beschlossen, dem deutschen Volk in den beteiligten Ländern einen Entwurf zur Annahme vorzulegen. Es steht auch nicht im Gegensatz dazu, wenn es im Schlußabsatz heißt, das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibe aufgefordert, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung seine nationale Einheit und Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland zu vollenden. Somit trägt die Einleitung der Variante II den gegebenen Tatsachen Rechnung. Wir wollen etwas schaffen, was im weiteren Verlauf etwas für die Gesamtheit des deutschen Volkes Wesentliches ist, woraufhin mit der Wahl des ersten Bundestags das deutsche Staatsvolk wieder als eine Gesamtheit in die Erscheinung treten kann. Darum spreche ich mich für die Annahme der Variante II aus. Dr. Seebohm (DP): Wenn wir die beiden Varianten betrachten, handelt es sich doch im wesentlichen darum, wie das nachfolgende Grundgesetz geformt werden soll. Ich hatte seinerzeit bei der Erörterung der Präambel in der Vollversammlung unseren Vorschlag vorgelegt, in dem es hieß: „Das deutsche Volk in den Ländern“ und „Das Deutsche Reich als Bund deutscher Länder“. Damit wäre eine Vereinigung der beiden Standpunkte gegeben, die in den Varianten I und II zum Ausdruck kommen. Voraussetzung wäre allerdings, daß man sich zu dieser Umformulierung entschließt, die ich nach wie vor für richtig halte, um die Kontinuität des Deutschen Reiches als Bund deutscher Länder zu betonen. Ich habe namens der Deutschen Partei diesen Antrag gestellt und, nachdem sich im Ausschuß für Grundsatzfragen keine Mehrheit dafür fand, den Antrag für das Plenum wiederholt. Ich möchte nun aber, um an der jetzigen Fassung mitzuarbeiten, folgenden Vermittlungsvorschlag machen: „. . . erneuert das deutsche Volk in den Ländern . . . das Deutsche Reich als Bund deutscher Länder“. Diese Fassung vereinigt alle Forderungen. Wenn wir das Deutsche Reich als Bund deutscher Länder erneuern, treten die Länder als handelnde Teile hervor, ebenso aber das deutsche Volk. Ich lege Wert darauf, daß beides in der Präambel zum Ausdruck kommt, weil der Bund

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Zu Dokument Nr. I der drei Dokumente zur zukünftigen Entwicklung Deutschlands („Frankfurter Dokumente“) vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 8, Anm. 30.

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vom deutschen Volk und den Ländern und nicht entweder vom Volk oder den Ländern gebildet wird. Dr. Eberhard (SPD): Herr Kollege Dr. Pfeiffer möchte ebenso wie ich vom Boden der Tatsachen ausgehen. Er hat auf Dokument Nr. 1 verwiesen, das vom technischen Ablauf der Entstehung des Parlamentarischen Rates spricht, und hat gesagt, wenn wir den technischen Ablauf in der Präambel mitteilen wollten, müßten wir sagen, daß die deutschen Landtage Abgeordnete in den Parlamentarischen Rat gewählt haben. Es ist richtig, daß der Parlamentarische Rat seine Existenz dem Dokument Nr. 1 verdankt und durch Handlungen der Länder zustande gekommen ist. Aber wir sind alle der Ansicht, daß dieses eine Maßnahme ist, die wir ergreifen mußten, weil eben eine zentrale deutsche Instanz nicht vorhanden war. Wir möchten davon absehen, zu Beginn der Präambel diesen technischen Vorgang zu beschreiben. Ich glaube, wir stellen uns gerade auf den Boden der Tatsachen, wenn wir davon ausgehen, daß das deutsche Staatsvolk noch vorhanden ist. Wir gehen mit dem Herrn Kollegen Dr. Seebohm völlig darin einig, daß wir die Kontinuität betonen wollen. Aber wir möchten den Begriff „Deutsches Reich“ nicht in der Präambel sehen. Wir wollen das Gesamtdeutsche betonen. Ich weiß mich mit dem Kollegen Dr. Pfeiffer im Grundsatz völlig darin einig, daß wir Mitglieder des Parlamentarischen Rates uns als deutsche Abgeordnete, als Abgeordnete des deutschen Volkes fühlen. Gerade darum spricht meines Erachtens alles für die Variante I. Es kommt hinzu, daß wir Abgeordnete des Parlamentarischen Rates, wie die Präambel es ausdrückt, uns als stellvertretend auch für jene Deutschen empfinden, denen die Mitwirkung an dieser Aufgabe versagt ist. Gerade das können wir nur als deutsche Abgeordnete. Das können wir nicht, wenn wir uns nur als Abgeordnete der Länder Baden, Bayern usw. fühlen. Aber als deutsche Abgeordnete arbeiten wir stellvertretend für jene anderen Deutschen, die hier nicht mitmachen können und dürfen. All das spricht für die Variante I. Dr. von Mangoldt (CDU): Nach den Ausführungen des Herrn Dr. Eberhard, der die verschiedenen, im Ausschuß für Grundsatzfragen geltend gemachten Auffassungen wiedergegeben hat, brauche ich nicht mehr viel zu sagen. Ich möchte nur noch einmal folgendes hervorheben. Das besondere Anliegen im Ausschuß, das zu dieser Mehrheitsfassung geführt hat, war, daß wir uns als Beauftragte des deutschen Volkes fühlen. Wir haben besonderes Gewicht darauf gelegt, eben dieser Empfindung Ausdruck zu geben, daß wir Abgeordnete als Vertreter des ganzen deutschen Volkes erscheinen. Daher besteht auch zwischen dem ersten und dem letzten Absatz der Präambel eine gewisse Beziehung. Die Presse hat daran Kritik geübt, daß der erste Absatz im Grunde genommen das gleiche wie der Schlußabsatz besage, daß wir den Begriff des deutschen Volkes an zwei verschiedenen Stellen mit verschiedenem Inhalt hätten, was nicht richtig sei. Wenn man aber die Fassung, wie sie hier niedergelegt ist, richtig liest, dann wird der Zusammenhang klar. Der erste Absatz weist darauf hin, daß das deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern usw. dieses Grundgesetz entworfen und beschlossen habe, und der letzte, daß das deutsche Volk nunmehr in seiner Gesamtheit darauf liegt die Betonung, und darauf allein ist die Wahl der [S. 308] Worte zurückzuführen – aufgefordert wird, seine nationale Einheit und Freiheit zu erneuern. Wir haben uns auch eingehend über den Vorschlag der Deutschen Partei unterhal-

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ten. Wir konnten uns aus folgend Gründen diesem Vorschlag nicht anschließen. In dieser Formulierung werden nebeneinander verwendet: das „Deutsche Reich“ und der „Bund deutscher Länder“. Da würde sofort die Frage auftauchen: Welches ist nun eigentlich der Name, Deutsches Reich oder Bund deutscher Länder? Hier werden also für das neue Staatswesen zwei Begriffsbestimmungen verwendet. Darin haben wir wohl nicht mit Unrecht eine gewisse Unklarheit gesehen. Renner (KPD): Die Sprecher der beiden großen Parteien, der CDU/CSU und der SPD, haben hier erklärt, sie wollten sich auf den Boden der Tatsachen stellen. Herr Pfeiffer von der CSU hat diesen Boden der Tatsachen richtig herausgestellt, als er das Dokument Nr. 1 erwähnte. Ein anderer Herr von der CDU hat erklärt, die Mitglieder des Parlamentarischen Rates „wollten“ sich als Vertreter des deutschen Volkes fühlen. Aber stimmt denn das? Gewiß, ich kann es verstehen, daß Sie hier getreu ihrer Haltung vom ersten Tage der Arbeit bis zur letzten bitteren Entscheidung sich diese Rolle auferlegen „wollen“, daß Sie sich als Vertreter des deutschen Volkes „empfinden“. Aber das Dokument Nr. 1 zeigt die Tatsachen klar auf. Es sagt, daß Sie nicht Vertreter des deutschen Volkes sind, sondern die Exekutoren eines Befehls, den das Dokument Nr. 1 enthält. Dieser Befehl lautet, daß Sie eine verfassungsmäßige Unterbauung des separaten westdeutschen Staates schaffen müssen. Diesen Befehl haben die Militärregierungen an die Herren Ministerpräsidenten der Länder gegeben. Diese haben ihn an die Länderregierungen weitergeleitet. Die Länderregierungen haben nicht das Volk gefragt, sondern in ihren Landtagen Abgeordnete zum Parlamentarischen Rat wählen lassen. Das ist der historische Ablauf des Zustandekommens des Parlamentarischen Rates. Sie führen also einen Befehl der Militärregierungen aus, und die Länder, die Sie hierher delegiert haben, sind nicht mehr die Fortsetzer der Gliederung des deutschen Reiches, sondern neue Gebilde, die in der jetzigen Form ebenfalls auf Befehl derselben Militärregierungen zustande gekommen sind, die das Dokument Nr. 1 erlassen haben. Dies möchte ich bei dieser Gelegenheit zum Ausdruck bringen, um die Auffassung meiner Fraktion in dieser entscheidenden Frage klar herauszustellen. Dr. Heuss (FDP): Es kommt darauf an, was wir als konstitutives Element ansehen. Wir sehen das konstitutive Element im deutschen Volk. Die Anweisung der Militärregierungen an die Länder, von der Herr Renner gesprochen hat, erging nicht in der Form von Befehlen. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen technischen Vorgang, den auch Herr Dr. Pfeiffer für die Variante II, die die deutschen Länder als die Subjekte unseres Handelns ansieht, in Anspruch genommen hat. Dieser Vorgang wird konsumiert durch die Leistung, die aus diesem unseren Arbeitsprozeß hervorgehen soll. Mir scheint, daß die Länder, die die Präambel nennt und die – und darin hat Herr Renner recht – nicht Gebilde aus Kriegsfolgen sind, nicht in solchem Maß als konstitutiv angesprochen werden können. Wenn ich mir nur vorstelle, daß eine Reihe dieser Länder im Laufe der Entwicklung vermutlich bald verschwinden wird – ich denke an Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden –, so werden diese nur sehr bedingt in diesem Sinne in Anspruch genommen werden können. Sind diese Länder in ihrer Zufälligkeit, der sie ihre Existenz verdanken, nun wirklich, historisch gesehen, berechtigte Elemente einer neuen deutschen Konstitution? Indem wir vom deutschen Volk in den Ländern sprechen, wird der Tatbestand der Länder vindiziert; aber zugleich sprechen wir

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aus, daß wir das deutsche Volk als den konstitutiven Träger dieser Verfassung ansprechen, daß das deutsche Volk geschichtliche Persönlichkeit eigenen Ranges ist und geblieben ist. Jedenfalls halte ich es für notwendig, daß wir die Fassung der Variante I auch hier mit starker Mehrheit annehmen. Indem wir das tun, sprechen wir gleichzeitig eine geschichtliche Tatsache aus. Frau Wessel (Z): Ich möchte auf den Vorschlag von Herrn Dr. Seebohm zurückkommen, ob es nicht möglich ist, beide Varianten in irgendeiner Form miteinander zu verbinden, so daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit als Träger der Verfassung in die Erscheinung tritt, gleichzeitig aber auch die deutschen Länder in irgendeiner Form als Träger auftreten. Ich glaube, es ist wohl klar und geht auch aus den Ausführungen des Herrn Dr. Pfeiffer hervor, daß wir uns hier nicht als Vertreter und Abgeordnete der Länder fühlen, sondern als Vertreter unseres Volkes. Das muß vor allen Dingen stark in die Erscheinung treten. Wenn das nicht der Fall ist, dann sind die beiden letzten Abschnitte der Präambel, wie Herr Dr. Eberhard schon mit Recht betont hat, gar nicht möglich. Wenn ich mich nur als Abgesandte der Länder fühle, dann kann ich nicht stellvertretend für die Deutschen in anderen Ländern auftreten. Ich bin der Meinung, wir nehmen hier die Interessen des gesamten deutschen Volkes wahr. Wenn es nicht gelingen sollte, die beiden Varianten miteinander zu verbinden, so muß ich sagen, daß mir die Variante I den Tatsachen mehr zu entsprechen scheint als die Variante II. Dr. Seebohm (DP): Ich kann diese Auffassung nur unterstützen. Meines Erachtens sind wir Vertreter des deutschen Volkes, weil wir nicht von den Ländern, sondern von den Landtagen und daher letzten Endes von unseren Wählern abgeordnet sind. Diese Wähler sind Teile des deutschen Volkes. Wir haben zu bedenken, daß die konstitutiven Elemente des deutschen Bundes das deutsche Volk und die deutschen Länder sind. Beide Elemente müssen in der Präambel klar zum Ausdruck kommen. Der erste Absatz der Präambel spricht von der Entschlossenheit, die Einheit der Nation zu erhalten, setzt also auch eine Einheit in der staatlichen Konstruktion voraus. Diese Einheit wollen wir in unserem Grundgesetz verwirklichen. Hierbei handelt es sich nicht nur um technische Vorgänge, die festgehalten werden müssen, sondern um ein geistiges Geschehen, und die Verantwortung für dieses geistige Geschehen bringen wir im nächsten Absatz der Präambel zum Ausdruck. Ich möchte deshalb vorschlagen, die Variante I zu nehmen, aber dann fortzufahren: „. . . hat das deutsche Volk Abgeordnete entsandt, um durch dieses Grundgesetz das Deutsche Reich, den Bund deutscher Länder zu erneuern, dem alle deutschen Staaten als gleichberechtigte Glieder angehören sollen“. In dieser Fassung sind sowohl das deutsche Volk wie die deutschen Länder in dem ersten Abschnitt der Präambel entsprechend verankert. Zu den Ausführungen des Herrn Dr. von Mangoldt möchte ich daran erinnern, daß in unserem Vorschlag die Überschrift lautet: „Grundgesetz zur Erneuerung des Deutschen Reiches“. Damit ist die Bezeichnung „Deutsches Reich“ klar und eindeutig festgelegt. Der Zusatz „Bund deutscher Länder“ soll bedeuten, daß dieses Deutsche Reich sich durch den Zusammenschluß der deutschen Länder gebildet hat, so wie es ja auch in früherer Zeit entstanden ist. Damit wird gleichzeitig abgerückt von der Form, die sich in den letzten 12 Jahren langsam, aber mit tödlicher Sicherheit in Deutschland entwickelt hat, nämlich die Form des Einheitsstaates. In

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dieser Fassung ist enthalten, daß das Deutsche Reich als Bund der deutschen Länder vom deutschen Volk getragen wird. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf darauf hinweisen, daß wir uns in Abs. 2 ausdrücklich auf das Selbstbestimmungsrecht des Volkes berufen. Bei der Niederlegung des Grundgesetzes kann es sich hier also auch nur um die Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes der ganzen Nation handeln. Wenn also Abgeordnete entsandt werden, so werden sie schon entsandt in dem Willen und in der Absicht, diesem Gesamtwillen der Nation in dem Grundgesetz Ausdruck zu verschaffen. Aus diesem Grund ist die [S. 309] Formulierung gewählt worden, die hier als Variante I vorgeschlagen wird. Zu den Ausführungen von Herrn Seebohm darf ich bemerken, daß wir uns auch über die Frage, ob wir den Begriff „Deutsches Reich“ übernehmen sollten, unterhalten haben. Wir haben uns nach langen Unterhaltungen – und die Frage war auch hier im Plenum Gegenstand der Erörterung nicht entschließen können, diesen alten Namen des Deutschen Reiches hier wieder zu übernehmen. Renner (KPD): Von Herrn Dr. Heuss ist gesagt worden, daß die Formulierung „Londoner Befehle“ nicht zutreffe. Die Londoner Befehle sind nach seiner Auffassung mehr als technische Anweisung anzusehen. Ich bin darüber anderer Meinung. Ich möchte darauf hinweisen, was in diesen Londoner Empfehlungen unter anderem enthalten ist. Es sind dort Maßnahmen vorgesehen, die die Sicherheit gegen einen neuen Angriff Deutschlands gewährleisten sollen. Bezüglich der Dauer der Besetzung ist vorgesehen, daß sie so lang dauern soll, bis Friede in Europa herrscht. Auch dann noch sollen Abkommen unter den Besatzungsmächten getroffen werden. Es wird zwischen Maßnahmen während der Dauer der Besetzung und Maßnahmen nach Abzug der Besatzung unterschieden. Es scheint, wenn wir die Herstellung des Friedens als Termin für die Beendigung der Besetzung annehmen sollen, daß wir uns dann noch mit einer langen Dauer der Besetzung befreunden müssen. Für diese Zeit ist eine Kontrolle der Industriekapazität, eine Kontrolle der Wissenschaft und Forschung sowie die Einsetzung einer Sicherheitsbehörde vorgesehen. Nach der Besatzung soll ein Übereinkommen getroffen werden zur Kontrolle der Industrie und zur Besetzung von Schlüsselgebieten. Man kann annehmen, daß während der Monate, in denen man in London zusammengesessen hat, erörtert worden ist, wie man sich diese Schlüsselgebiete denkt. Wir haben ein Recht darauf zu wissen, was man unter Schlüsselgebieten versteht. Das Wesentliche an diesem Londoner Dokument ist das Ruhrabkommen22). Dieses Ruhrabkommen, das gerade in unserem Land, in Rheinland-Westfalen, plastisch vor uns steht, ist für uns, aber auch für das Schicksal ganz Deutschlands von entscheidender Bedeutung. Was ist die Ruhr? Ich brauche darauf nicht weiter einzugehen; das weiß heute jedes Kind. Welche Rechte soll die internationale Ruhrbehörde haben? Sie soll das Recht haben, auf deutschem Boden alle von deutschen Arbeitskräften produzierten Kohlen, Koks und Stahl zwischen Deutschland und den anderen Ländern zu verteilen. Es ist zwar in einer Bestimmung davon gesprochen, daß die lebenswichtigen Interessen Deutschlands berücksichtigt werden sol22)

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Zum Ruhrstatut vgl. die Diskussion in der 31. Sitzung des HptA am 7. Jan. 1949, unten Dok. Nr. 31, S. 925–964.

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len. Aber wenn wir es weiter verfolgen – das setze ich hinzu –, kann von dieser Rücksichtnahme auf die deutschen Interessen nicht die Rede sein. Die internationale Behörde bekommt auch das Recht, die Preise zu regulieren. Das ist zwar in dem internationalen Abkommen sehr verblümt, aber ganz unmißverständlich ausgedrückt. Es ist der internationalen Behörde das Recht zugesprochen, daß der internationale Handel mit Kohle und Stahl nicht gestört werden darf. Wenn Sie sich vorstellen, daß der Lebensstandard eines Volkes völlig parallel geht mit dem Verkauf von Stahl, wenn Sie sich vergegenwärtigen, daß Kohle, Koks und Stahl die alleinige Grundlage einer jeden wirtschaftlichen Betätigung eines Volkes sind, wenn Sie sich weiter vor Augen halten, daß die Preisfestsetzung dieser Produkte gleichzeitig die Festsetzung des Lohnes der Arbeiter in sich schließt, wenn Sie sich vor Augen halten, daß in dieser internationalen Behörde fünf deutsche Köpfe gegenüber zwölf nichtdeutschen Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Renner, nach unserer Geschäftsordnung soll nicht vorgelesen, sondern frei vorgetragen werden23). Renner (KPD): In diesem Fall bin ich gezwungen abzulesen, entschuldigen Sie. Vors. Dr. Schmid (SPD): Damit verstoßen Sie gegen die Geschäftsordnung. Sonst müßte ich Ihnen das Wort entziehen. Renner (KPD): Ich zitiere Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann müssen Sie sagen, woraus Sie zitieren. Renner (KPD): Ich zitiere Herrn Dr. Konrad Adenauer, ich zitiere seine Rede im Landtag von Nordrhein-Westfalen vom 14. und 15. Juli 1948. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann kann ich Ihnen das Wort nicht entziehen. Renner (KPD): Ich zitiere das, was Herr Dr. Adenauer damals betont hat24): „Diese Londoner Empfehlungen beinhalten nichts anderes als die wirtschaftliche Annexion des Ruhrgebietes.“ Er hat diese Londoner Empfehlungen einen üblerriechenden Blumenstrauß25) genannt als sogar den Versailler Friedensvertrag26). Das zitiere ich, um mich dagegen zu verwahren, daß heute das Londoner Abkommen als Ne23)

Eine Bestimmung über die Parlamentsrede im freien Vortrag kannte die Geschäftsordnung des Parl. Rates nicht. Für den Wortlaut der Geschäftsordnung des Parl. Rates vom 22. Sept. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 11, Dok. B 5, S. 185–200. Hingegen kannten eine derartige Regelung die Geschäftsordnungen der deutschen Parlamente seit 1848. Vgl. Die Geschäftsordnungen deutscher Parlamente seit 1848. Eine synoptische Darstellung. Mit einer Einführung von Norbert Lammert. Bonn 1986, Tafel zu § 33 sowie S. 633. 24) Für den Wortlaut der Rede von Adenauer in der 49. Sitzung des Nordrhein-Westfälischen Landtags am 14. Juli 1948 vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen 1. Wahlperiode, Stenographischer Bericht über die 49. und 50. Sitzung des Landtages, S. 635–643, hier bes. S. 639 (abweichend von Renners Zitat die Äußerung zur „wirtschaftlichen Annexion“) sowie S. 642 (Ausführungen über den Versailler Vertrag). 25) Vgl. auch das Schreiben von Adenauer an den emigrierten Journalisten Alfred Mozer vom 5. Juli 1948 in dem dieser die Frankfurter Dokumente mit dem Versailler Vertrag von 1919 verglich, der „dagegen ein Rosenstrauß“ gewesen sei. Adenauer: Briefe 1947–1949, S. 272; vgl. auch Feldkamp: Der Parl. Rat, S. 27. 26) Mit dem Friedensvertrag von Versailles vom 28. Juni 1919 wurde formell der Kriegszustand zwischen dem Deutschen Reich und den Mächten der Triple Entente und ihren Verbündeten beendet, auch wenn die Kampfhandlungen bereits mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands von Compiegne am 11. Nov. 1918 eingestellt worden waren. Der Vertrag trat am 10. Jan. 1920 in Kraft.

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bensächlichkeit, als inhaltlose technische Angelegenheit hingestellt wird. Die Londoner Befehle machen Deutschland zu einer Kolonie der westlichen alliierten Mächte. So sehen die Dinge aus. Frau Wessel (Z): Ich komme zurück auf Variante I und II. Ich bin der Auffassung, man müßte versuchen, die beiden Gedanken irgendwie miteinander zu verbinden. Wenn ich auch der Auffassung bin, daß ich das nicht unterstützen kann, was Herr Abgeordneter Seebohm gesagt hat – ich möchte nicht, daß wir das Wort „Deutsches Reich“ hereinbringen, denn es ist nicht richtig –, so bin ich doch der Meinung, wenn wir hier die Präambel nicht einmütig annehmen und uns schon über diese Frage auseinanderreden, dann sehen wir das ganze Werk von vornherein nicht für richtig an. Es müßte doch möglich sein, da wir das gleiche wollen, eine Form zu finden, der wir alle miteinander zustimmen können. Deshalb glaube ich, man sollte diese Frage der Verbindung der Varianten noch einmal im Grundsatzausschuß überlegen. Dr. Eberhard (SPD): Ich glaube nicht, daß eine weitere Überlegung im Grundsatzausschuß dazu führt, diese beiden Standpunkte zusammenzubringen. Auf das, was Herr Seebohm vorgetragen hat, hat Herr von Mangoldt geantwortet, und ich habe dem nichts hinzuzufügen. Ich möchte auch nicht auf einzelne Ausführungen des Herrn Renner eingehen, auch nicht, nachdem ich gehört habe, daß es sich um ein Zitat aus den Ausführungen von Herrn Dr. Adenauer handelt. Ich möchte aber feststellen: das Dokument Nr. 1 ist kein Befehl. Es beginnt mit den Worten, daß die Militärgouverneure die Ministerpräsidenten autorisieren, einen gewissen technischen Prozeß in Gang zu bringen, der uns hier zusammengeführt hat. Was wir hier tun, das tun wir – wir werden noch darüber sprechen – aus eigenem deutschen Recht, aus dem unverzichtbaren Recht, unser nationales Leben frei zu gestalten. Daß da noch viele Hemmungen vorhanden sind, wissen wir. Was Herr Renner im einzelnen aufgezählt hat, ist uns nicht unbekannt. Gerade weil eine solche Fülle internationaler Probleme da ist, wollen wir aus unverzichtbarem Recht das schaffen, was wir schaffen können: eine Regierung, die zu diesen Dingen als eine deutsche Regierung Stellung nimmt. Dr. Pfeiffer (CSU): Herr Kollege Seebohm hat vorhin davon gesprochen, daß ein starkes geistiges Geschehen zum Ausdruck kommt. Das ist der Punkt, um den es sich für mich dabei handelt. Ich glaube, daß durch die Variante II dieses geistige Geschehen stark ausgeprägt wird, nämlich, daß von den Ländern aus die ganze Sache organisiert worden ist. Im übrigen hat sie zu dem geführt, was in den weiteren Abschnitten der Präambel dargelegt ist und womit ich vollkommen einverstanden bin, insbesondere soweit [S. 310] die Dinge hier einschlägig sind, die Herr Eberhard ausgeführt hat. Ich möchte nur verhindern, daß eine Mißdeutung darüber entsteht. Ich fühle mich selbstverständlich genau so als Abgeordneter des deutschen Volkes wie jeder von Ihnen. Dr. Seebohm (DP): Wenn ich den dringenden Wunsch habe, den Namen „Deutsches Reich“ hier anzufügen, dann deshalb, weil dieser Name ein Symbol ist, das sehr viel mehr beinhaltet, nämlich das Symbol der deutschen Einheit und das Symbol der Kontinuität. Es ist aber auch das Symbol des unverzichtbaren Rechtes auf die Souveränität des deutschen Volkes. Deswegen ist gerade an dieser Stelle dieser Name so wesentlich, weil er uns ganz klar absetzt gegenüber dem Befehl,

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der uns erteilt worden ist. Denn wir erklären dann aus unserer eigenen Verantwortung, daß wir die Möglichkeit, die uns hier gegeben ist, das deutsche Reich zu erneuern, auffassen in ihrem vollen Umfang und daß wir nicht einen Teil daraus herauslösen, sondern daß wir es in vollem Umfang erneuern wollen. Dr. Kleindinst (CSU): Die Verbindung der Varianten ist vieleicht dadurch möglich, daß wir sagen: „. . . haben die deutschen Länder für das deutsche Volk Abgeordnete entsandt.“ Renner (KPD): Als Antwort auf den Einwand, der von Seiten des Vertreters der SPD gekommen ist, möchte ich folgendes sagen: Die Londoner Empfehlungen – um dieses Wort zu gebrauchen sind, das ist eine altbekannte Tatsache, in der Zwischenzeit von den Regierungen der beteiligten Länder sanktioniert und ratifiziert worden. Und über allem, was wir hier tun, schwebt noch das Besatzungsstatut27), von dem wir – wenigstens das Gros von uns und das deutsche Volk in seiner Gesamtheit – nicht wissen, was es beinhaltet. Wir wissen aber, daß der Verfassungsentwurf, den wir ausarbeiten, zweitrangig hinter dem Besatzungsstatut steht. Das kann man nicht gut übersehen, wenn man den Wert der Arbeit, die heute mit der Präambel zum Abschluß gebracht werden soll, richtig würdigen will. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen. Es liegen drei Anträge vor. Der erste ist Variante I, der zweite Variante II und der dritte ist der Antrag des Kollegen Seebohm: hat das deutsche Volk in den Ländern Abgeordnete entsandt, um durch dieses Grundgesetz das Deutsche Reich, den Bund Deutscher Länder, zu erneuern, dem alle deutschen Staaten als gleichberechtigte Mitglieder angehören sollen. Es ist schwierig, hier die Reihenfolge für die Abstimmung festzustellen. Am weitesten geht Variante I. Die andere Variante und der Antrag Seebohm sind Einschränkungen. Damit Herr Kollege Seebohm sich aber nicht schlechthin überstimmt fühlen kann, lasse ich über seinen Antrag zuerst abstimmen. – Der Antrag Dr. Seebohm ist mit 12 gegen 7 Stimmen abgelehnt. Dann lasse ich über Variante I abstimmen. – Variante I ist mit 14 gegen 7 Stimmen angenommen. Nun kommt der erste Absatz: Im Bewußtsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen und im Vertrauen auf die sittlichen Kräfte des deutschen Volkes, Keine Wortmeldungen. Ich lasse abstimmen. – Angenommen. Nächster Absatz: in der Überzeugung, daß dem deutschen Volke das unverzichtbare Recht geblieben ist, sein nationales Leben frei zu gestalten, – Der Absatz ist angenommen. Renner (KPD): Ich möchte sagen, daß wir diesen Satz innerlich bejahen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Daß Sie aber der Meinung sind, daß wir nicht nach diesem Satz handeln. Nächster Absatz:

27)

Zum Besatzungsstatut vom 10. April 1949 vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 5, Anm. 15. Vgl. zuletzt Dok. Nr. 18, S. 551.

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in dem Willen, nach einer Zeit der Willkür und Gewalt die alten Freiheitsrechte und die geschändete Menschenwürde zu schützen und zu wahren,28) Wer für diesen Absatz ist, den bitte ich die Hand zu erheben. – Angenommen. Nächster Absatz: in der Gewißheit, daß ein geeintes Deutschland als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Wohle der Menschheit dienen wird, Wer dafür ist, den bitte ich die Hand zu erheben. Angenommen. Nächster Absatz: zugleich in der Erkenntnis, daß die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte die Ausübung eines freien nationalen Selbstbestimmungsrechts schweren Einschränkungen unterworfen hat, Wer dafür ist, den bitte ich die Hand zu erheben. – Angenommen. Weiter heißt es in der vorliegenden Fassung: wurde unter Mitwirkung der Abgeordneten Groß-Berlins dieses Grundgesetz als verfassungsmäßige Ordnung des staatlichen Lebens geschaffen, dem deutschen Volke in den beteiligten Ländern zur Annahme vorgelegt und für deren Bereich beschlossen. Wer für diese Fassung ist, den bitte ich die Hand zu erheben. – Angenommen. Bei der Durchführung ihres Auftrags haben sich die Abgeordneten als stellvertretend auch für jene Deutschen empfunden, denen die Mitwirkung an dieser Aufgabe versagt war. Wer für diese Feststellung ist, den bitte ich die Hand zu erheben. – Angenommen. Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung seine nationale Einheit und Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland zu vollenden. Dr. Seebohm (DP): Ich möchte in Übereinstimmung mit dem ersten Antrag darum bitten, hier die Worte zu setzen: „in einem Deutschen Reich zu vollenden“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen. Wer ist dafür, daß es statt „Bundesrepublik“ heißen soll: „in einem Deutschen Reich“? – Abgelehnt gegen eine Stimme bei einigen Stimmenthaltungen. Ich lasse abstimmen über den letzten Absatz in der Fassung des Grundsatzausschusses. – Angenommen mit 19 gegen 2 Stimmen. Dann lasse ich abstimmen über die ganze Präambel in der beschlossenen Fassung. – Die Präambel ist mit 19 gegen 2 Stimmen angenommen. Wir kommen zur Überschrift. Der Ausschuß schlägt folgende Überschrift vor: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Keine Wortmeldungen. Ich lasse abstimmen. – Die Überschrift ist in dieser Fassung mit 19 gegen 2 Stimmen angenommen. Dr. Heuss (FDP): Ich wollte bitten, daß von Ihnen ausdrücklich festgestellt wird, daß diese Fassung, die jetzt vielleicht an die Presse geht, noch eine Reihe stilisti28)

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Im stenograph. Wortprot., S. 29, folgt danach: „Dr. Heuss (FDP): Die redaktionellen Verbesserungen kommen später? Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir wollen jetzt abstimmen über den Inhalt und werden dann zwischen der ersten und zweiten Lesung oder während der zweiten Lesung unser stilistisches Talent walten lassen.“

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scher Unebenheiten hat. Sonst erleben wir es, daß das von uns selbst in bestimmten Punkten als unzulänglich in der Form empfundene Werk als letzte Formulierung hinausgeht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich stelle fest, daß ich zu Beginn gesagt habe, daß ich die Damen und Herren dieses Ausschusses bitte, in dieser Lesung stilistische Bedenken zurückzustellen und sich bei ihren Reden und bei ihrer Abstimmung ausschließlich auf die Beurteilung des materiellen Inhalts dieser einzelnen Absätze zu beschränken. Daraus ergibt sich, daß wir zwischen der ersten und zweiten Lesung oder während der zweiten Lesung stilistische Verbesserungen, die auch [S. 311] ich durchaus an einzelnen Stellen für möglich halte, noch werden vornehmen können. Zimmermann (SPD): Ich stelle den Antrag, wenn auch inhaltlich die Präambel bereits gebilligt ist, das Wort „geschändete“ vor „Menschenwürde“ zu streichen, und ich bitte darüber abzustimmen. Renner (KPD): Ich wollte mir einen Hinweis erlauben an die Adresse der Presse. Meines Erachtens ist es nicht nur die mangelnde stilistische Perfektion, die es wünschenswert erscheinen läßt, dieses Werk in seiner jetzigen Fassung nicht hinausgehen zu lassen, sondern man muß der Presse mitteilen, daß es empfehlenswert ist, vor der Veröffentlichung noch einen gewissen Termin abzuwarten – ohne deutlicher zu werden –, nämlich den Termin, den ich darin sehe, daß wir einmal das Besatzungsstatut kennen müßten, ehe wir das letzte Wort zu dieser Frage sagen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, trotz der erfolgten Schlußabstimmung über den ganzen Artikel das Wort „geschändete“ vor „Menschenwürde“ zu streichen, so daß es dann heißen würde: „und die Menschenwürde zu schützen und zu wahren“. Ist der Ausschuß damit einverstanden, daß wir noch einmal abstimmen? – Das ist der Fall. Wer für die Streichung des Wortes „geschändete“ ist, den bitte ich die Hand zu erheben29). – Es ist so beschlossen. Damit haben wir die erste Lesung des Grundgesetzes abgeschlossen. Dr. Löwenthal (SPD): Es scheint nötig zu sein, noch die Eingaben zu behandeln, die an den Hauptausschuß gingen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können die Eingaben an den Hauptausschuß bei der zweiten Lesung behandeln. [5. THESEN DES PARLAMENTARISCHEN RATES ZUM BESATZUNGSSTATUT]

Bevor wir schließen, habe ich noch im Auftrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, Zentrum, DP und FDP folgende Erklärung zu verlesen30): „Der Parlamentarische Rat sollte nach dem Inhalt des Dokumentes III und dem gemeinsamen deutsch-alliierten Schlußkommuniqué vom 26. Juli 1948 29)

Das stenograph. Wortprot., S. 32, fügt danach ein: „Es scheint Einstimmigkeit zu herrschen, mit Ausnahme des Herrn Abg. Renner.“ 30) Zur Entstehung der „Thesen des Parl. Rates zum Besatzungsstatut“ vgl. Der Parl. Rat. Bd. 3, Dok. Nr. 4, S. 46–53.

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laufend durch die Besatzungsmächte vom Stande der Vorarbeiten zum Besatzungsstatut unterrichtet werden. Weiter sollte er Gelegenheit haben, den Militärregierungen Anregungen zur Ausgestaltung des Besatzungsstatuts zuzuleiten. Da die Verhandlungen sich inzwischen dem Abschluß nähern, hält der Parlamentarische Rat den Zeitpunkt für gekommen, seine Auffassung zu wesentlichen Fragen des kommenden Besatzungsstatuts darzulegen. Er ist der Ansicht, daß das Besatzungsstatut die nachstehenden Grundsätze enthalten sollte, um eine Entwicklung anzubahnen, die im gemeinsamen Interesse Deutschlands und der Besatzungsmächte zu erstreben ist. I. Leitende Grundsätze 1. Übernahme der deutschen Staatsgewalt durch die im Grundgesetz vorgesehenen deutschen Staatsorgane. 2. Rechtliche Regelung des Verhältnisses der Besatzungsmächte gegenüber Deutschland im Rahmen der durch die Besatzungszwecke bedingten Vorbehalte. 3. Vermeidung von Bestimmungen, welche normale Lebensmöglichkeiten des deutschen Volkes und die Entwicklung einer lebendigen friedlichen Demokratie in Deutschland beeinträchtigen könnten. II. Besatzungszwecke 1. Sicherheit der Besatzungsorgane, 2. Förderung friedlicher demokratischer Entwicklung, 3. Sicherheit Deutschlands. III. Vermutung für deutsche Zuständigkeit Beschränkung der deutschen Zuständigkeiten für Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung allein durch die aus dem Besatzungsstatut selbst sich ergebenden Zuständigkeiten der Besatzungsmächte. IV. Kontrolle Gemeinschaftliche Überwachungsmaßnahmen der Besatzungsmächte und lediglich zur Verwirklichung der Besatzungszwecke sowie ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Rechtmäßigkeit der deutschen Maßnahmen. Ausübung dieses Rechtes nur gegenüber der Bundesregierung. V. Durchführungsvorschriften Vorbereitung der Durchführungsvorschriften zum Besatzungsstatut in gemischten Kommissionen unter Beteiligung deutscher Stellen. VI. Gesetzgebung Befristetes gemeinschaftliches Einspruchsrecht der Besatzungsmächte gegen deutsche Gesetze, soweit sie mit den Besatzungszwecken unvereinbar sind. VII. Rechtsprechung 1. Volle Unabhängigkeit der deutschen Justiz. 2. Zuständigkeit der deutschen Zivilgerichtsbarkeit auch gegenüber Besatzungsangehörigen, außer in den Fällen der Exterritorialität und der zivilrechtlichen Inanspruchnahme von Besatzungsangehörigen aus Amtshandlungen. 3. Zuständigkeit der Militärgerichte grundsätzlich nur für Straftaten, die von einem Mitglied der Besatzung oder ihres Gefolges begangen worden sind, sowie bei Verstößen, die gegen der Sicherheit der Besatzung die-

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nendes Besatzungsrecht von Deutschen oder Ausländern verübt worden sind. VIII. Internationale Angelegenheiten 1. Befreiung deutscher Wirtschaftsbeziehungen zum Ausland von bestehenden Beschränkungen, 2. Errichtung eigener deutscher Konsulate im Ausland, 3. Wiederanwendung internationaler Vereinbarungen zugunsten Deutschlands, 4. Teilnahme deutscher Vertreter an internationalen Konferenzen, 5. Wiederherstellung des deutschen Patent-, Zeichen-, Muster- und Urheberschutzes im Ausland, 6. Beschränkung von Restitutionen auf feststellbares Eigentum, das durch Gewalt oder Zwang aus fremdem Gebiet entfernt wurde. IX. Besatzungsleistungen 1. Besatzungsleistungen gemäß der Haager Landkriegsordnung unter Schonung der deutschen Bevölkerung, ihres Wohnraumes, der deutschen Wirtschaft im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Landes und nach Anhörung der zuständigen deutschen Stellen. 2. Jährliche Festsetzung des Gesamtbetrages der Besatzungsleistungen im voraus im Benehmen mit der Bundesregierung unter Rücksichtnahme auf die Gesamtlage der deutschen Haushalte, der deutschen Bevölkerung und der deutschen Wirtschaft. 3. Anrechnung aller Besatzungsleistungen einschließlich aller Entschädigungen für Besatzungsschäden auf diesen Betrag. X. Notstandsmaßnahmen Zeitlich begrenzte gemeinschaftliche Notstandsmaßnahmen der Besatzungsmächte bei ernstlicher Gefährdung von Sicherheit und Ordnung, sofern die deutschen Behörden zur Abhilfe nicht in der Lage sind. XI. Grundrechte 1. Geltung der im Deutschen Grundgesetz garantierten individuellen Rechte und Freiheiten auch gegenüber den Organen der Besatzungsmächte. 2. Beschränkung der Freiheit wissenschaftlicher Forschung nur insoweit, als diese sich auf die Entwicklung und Herstellung von Gerät richtet, das für den Krieg bestimmt ist. [S. 312] XII. Schlichtung und Revision 1. Beilegung von Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung und Anwendung des Besatzungsstatuts durch gemischte Schiedsgerichte oder gemischte Vergleichskommissionen. 2. Aufnahme einer Klausel in das Besatzungsstatut, nach der die Vorbehalte der Besatzungsmächte und das übrige Statut in regelmäßigen Zeitabständen auf ihren Abbau überprüft werden, um Deutschlands Entwicklung zur vollen Unabhängigkeit zu fördern.“ Zimmermann (SPD): Ich stelle den Antrag, die Erklärung des Vorsitzenden zu billigen und als Antrag des Ausschusses durch einstimmige Annahme zu genehmigen. Dr. Pfeiffer (CSU): Ich stimme namens meiner Fraktion dieser Anregung zu.

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Dr. Seebohm (DP): Ich stimme gleichfalls zu. Frau Wessel (Z): Ich möchte auch meine Zustimmung dazu geben. Dr. Heuss (FDP): Ich erkläre mein Einverständnis. Renner (KPD): Ich bin von der Art der Einbringung dieser Angelegenheit überrascht. Sie widerspricht einer Abmachung, über die ich notgedrungen sprechen muß. In der gestrigen Ältestenratssitzung31) waren wir bei der Diskussion über eine gewisse Veröffentlichung in einer süddeutschen Zeitung einig geworden, daß das Ergebnis der Beratungen des Fachausschusses32) – – Vors. Dr. Schmid (SPD): Darf ich kurz unterbrechen und richtigstellen. Es ist nicht der Fachausschuß gewesen, sondern eine interfraktionelle Besprechung. Renner (KPD): Bitte unterbrechen Sie mich nicht. Wir sind im Ältestenrat einig gewesen und haben dementsprechend festgelegt, daß das Ergebnis der Beratungen dieses Ausschusses spätestens am Montag allen Fraktionen zugänglich gemacht werden soll. Sie haben nun unter Bruch des Beschlusses des Ältestenrates diese schwerwiegende Angelegenheit zum Gegenstand interfraktioneller Besprechungen gemacht, von denen Sie meine Fraktion ausgeschaltet haben. Ich bedauere, im Augenblick nicht deutlicher werden und die Dinge aussprechen zu können, die ich mich – leider sage ich – noch gestern im Ältestenrat geheimzuhalten verpflichtet habe. Wenn ich Gelegenheit hätte, mit Herrn Dr. Adenauer einige Minuten zu sprechen, wäre ich vielleicht in der Lage, deutlicher zu werden. Aber ich werde das noch in der nächsten Woche nachholen, wenn eine bewußte Angelegenheit eingegangen ist. Ich komme zum Schluß. Nachdem wir hier von der Besprechung dieser Angelegenheit so ausgeschaltet worden sind, und nachdem hier ein Dokument vorgelegt wird, das eine Fülle von politisch hochwichtigen Fragen enthält, von denen ich erst jetzt Kenntnis erhielt, bin ich nicht in der Lage, zu dieser Sache Stellung zu nehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen. Wer ist für die Annahme dieser Entschließung? – Angenommen mit 20 Stimmen bei Stimmenthaltung des Abgeordneten Renner. Damit haben wir unser Pensum für das Stadium der ersten Lesung aufgearbeitet. Die nächste Zusammenkunft des Hauptausschusses für die zweite Lesung wird wahrscheinlich Anfang nächster Woche sein. – Ich schließe die Sitzung. Schluß der Sitzung: 11.30 Uhr.

31)

Zur Ältestenratssitzung am 9. Dez. 1948 bemerkte Leisewitz an das BdMinPräs. am 10. Dez. 1948, daß auf dieser Sitzung „die offizielle Antwort der Militärgouverneure auf Dr. Adenauers Diskussionsangebot“ bekanntgegeben worden war. Die Teilnehmer waren zur Geheimhaltung verpflichtet worden, doch schloß Leisewitz aus, daß diese eingehalten werde, da der Abg. Renner an der Sitzung teilgenommen hatte. Ferner war beschlossen worden, daß die Thesen des Parl. Rates zum Besatzungsstatut vom 5. Dez. 1948 (vgl. Der Parl. Rat, Bd. 4, Dok. Nr. 4, S. 46–49) nicht vor Montag, den 13. Dez. 1948, den Fraktionen zur Kenntnis gebracht werden sollten. BA Z 12/119, Bl. 94f., 104. Vgl. auch Der Parl. Rat. Bd. 10, S. XXXI, Anm. 154. 32) Der Ausschuß für das Besatzungsstatut befaßte sich in seiner 3. Sitzung mit den „Thesen des Parl. Rates zum Besatzungsstatut“. Die Abfassung der Thesen wurde schließlich einem Unterausschuß überantwortet. Vgl. Der. Parl. Rat, Bd. 4, S. XVII.

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Nr. 27 Siebenundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 15. Dezember 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 313–330. PA 2004. Ungez. von Koppert gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 512 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: de Chapeaurouge3), Fecht4), Kaufmann, Laforet, Lehr, von Mangoldt, Pfeiffer, Süsterhenn SPD: Greve, Katz5), Menzel, Schmid (Vors.), Stock, Wagner6), Wolff, Zimmermann FDP: Heuss, Höpker Aschoff7) DP: Seebohm KPD: Reimann Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Dehler (FDP), Eberhard (SPD), Maier (SPD), Löwenthal (SPD), Renner (KPD), Suhr (SPD), Wessel8) (Zentrum), Zinn (SPD) Stenographischer Dienst: Koppert Dauer: 15.19–18.45 Uhr

[1. MODALITÄTEN ZUR DURCHFÜHRUNG DER ZWEITEN LESUNG DES GRUNDGESETZENTWURFES]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben in der vergangenen Woche die erste Lesung des Grundgesetzentwurfs abgeschlossen9) und uns entschieden, ungeachtet der herannahenden Feiertage10) noch in dieser Woche die zweite Lesung aufzunehmen. Wir haben uns dabei von der Erwägung leiten lassen, daß die politischen Umstände die baldige Verabschiedung des Grundgesetzes zum dringenden Gebot machen. Wir hatten schon mehrmals Gelegenheit, festzustellen, daß es das Ziel der Parteien ist, so zu verfahren, daß das Grundgesetz bei der endgültigen Beschlußfassung mit einer möglichst großen Mehrheit angenommen werden kann. Angesichts dieser Umstände kommt dem Verfahren, das wir für die zweite Lesung anwenden, eine erhöhte Bedeutung zu. Dieses Verfahren, dessen Modalitäten wir 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

9) 10)

Protokollführer Wernicke; geschrieben Frau Wistorf; verlesen Kelz/von Zitzewitz. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Vertreter für Adenauer. Vertreter für von Brentano. Vertreter für Schönfelder. Vertreter für Maier. Vertreter für Dehler. Wessel wird in der Anwesenheitsliste zwar nicht geführt, doch gab Sie gegen Ende der Sitzung eine Erklärung zur Abstimmung zu TOP 2 ab. Vielleicht hat sie auch nur zeitweise teilgenommen. Vgl. unten S. 824, TOP 4. Der Abschluß der 1. Lesung des Grundgesetzentwurfes im HptA erfolgte in der 26. Sitzung am 10. Dez. 1948. Vgl. oben Dok. Nr. 26, S. 780. Das Weihnachtsfest am 24. und 25. Dez. stand bevor.

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bisher noch nicht festgelegt haben, kann wesentlich dazu beitragen, das Zustandekommen des Grundgesetzes zu beschleunigen. Es kann es aber, je nachdem wie wir beschließen werden, auch hemmen. Es kann, je nachdem wie es eingerichtet wird, dazu führen, neue Streitpunkte zu schaffen, die die Verhandlungen erschweren und verzögern und die Aussichten auf eine Einigung verringern. Es kann aber auch bewirken, daß strittige Meinungen geklärt und ausweglos erscheinende Situationen bereinigt werden. In dem Bestreben, alles zu tun, was unsere Verhandlungen beschleunigen kann und Beschlüsse auf breitester Grundlage möglich macht, erlaube ich mir, Ihnen vorzuschlagen, daß die Fraktionen für die zweite Lesung möglichst folgende Regeln beachten möchten. Erstens: Es sollte davon Abstand genommen werden, Artikel, die mit großer Mehrheit angenommen sind, in Frage zu stellen und erneut zu behandeln. Zweitens: Es sollten grundsätzlich keine Anträge mehr zugelassen werden, durch die neue, im Grundgesetz bisher nicht geregelte Materien zur Beratung und Beschlußfassung gestellt werden. Drittens: Es sollte überprüft werden, ob nicht alle Artikel gestrichen werden sollten, die nicht unbedingt in dieses Grundgesetz gehören, dessen politischer Zweck es in erster Linie ist, so bald wie möglich eine funktionsfähige, demokratisch kontrollierte deutsche Regierung auf der Grundlage der in dem Dokument Nr. 111) getroffenen Begriffsbestimmungen zu schaffen. Viertens: Es sollten alle Kräfte darauf konzentriert werden, bei den noch strittigen, im vorbezeichneten Sinne in das Grundgesetz gehörigen Artikeln einen echten Kompromiß herbeizuführen, dem die große Mehrheit des Parlamentarischen Rats zustimmen kann. Ich fürchte, wir würden ein solches Vorhaben nicht fördern, wenn die mit eindeutigen Mehrheiten in erster Lesung abgelehnten Anträge neu aufgenommen werden. Der richtige Ort, solche Anregungen – um mehr handelt es sich nicht – zu diskutieren, wäre der Ältestenrat12). Dr. Pfeiffer (CSU): Die Fraktion der CDU/CSU trifft sich mit dem Herrn Vorsitzenden des Hauptausschusses in dem Wunsche, daß es gelingen möge, in gemeinsamer Bemühung einen Weg zu finden, um das Ziel einer raschen und mit möglichst großer Mehrheit erfolgenden Verabschiedung des Grundgesetzes zu erreichen, einen Weg, der über die hinreichend umrissenen Schwierigkeiten hinweghilft, der ausweglos erscheinende Situationen zu klären und zu lösen vermag. Daher unterschreiben wir die Zielsetzungen, die der Herr Vorsitzende soeben dargelegt hat. Wir nehmen mit großem Interesse auch Kenntnis von den einzelnen Vorschlägen, die er uns gemacht hat, und wir werden diese in unserer Fraktion eingehend überprüfen. Ich glaube, wir werden uns im Ältestenrat auf der Grundlage dieser Vorschläge über das weitere Verfahren verständigen können. 11)

Zu Dokument Nr. I der drei Dokumente zur zukünftigen Entwicklung Deutschlands („Frankfurter Dokumente“) vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 8, Anm. 30. 12) Der Ältestenrat befaßte sich zuletzt am 14. Dez. 1948 mit dem Stand der Grundgesetzarbeit angesichts der 1. Lesung des Grundgesetzentwurfes. Vgl. dazu Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 19, S. 50–52.

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Siebenundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 15. Dez. 1948

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In einem Punkt allerdings muß ich meiner Fraktion eine ernsthafte Prüfung vorbehalten und diese schon jetzt anmelden. Es handelt sich um Punkt 3 der Vorschläge des Herrn Vorsitzenden, also die Streichung aller angeblich überflüssigen Artikel aus dem bisherigen Entwurf. Ein solches Beginnen halte ich für durchaus des Interesses wert. Aber ich habe doch meine Zweifel darüber, ob es möglich sein wird, solche Streichungen ohne einen grundsätzlichen Umbau der bisher geleisteten Arbeiten ins Auge zu fassen. Der Herr Vorsitzende hat in seinen einleitenden Worten darauf hingewiesen, es sei der gemeinsame gute Wille der Fraktionen, rascher voranzukommen, und zu diesem Zweck hätten wir uns in der heutigen Sitzung zusammengefunden. Sie wissen, daß ich in einem Zeitpunkt, als diese Sitzung von anderer Seite vorbereitet wurde13), vor der Presse einen anderen Standpunkt vertreten habe, daß ich mich dafür eingesetzt habe, die zweite Lesung des Grundgesetzentwurfs in dieser Woche nicht mehr in Angriff zu nehmen. Diesen meinen Standpunkt teilt meine ganze Fraktion. Ich bin von dieser Auffassung nicht abgewichen, und auch meine Fraktion hat ihre Meinung darüber, auf welchem Wege wir die vom Herrn Vorsitzenden umrissenen Ziele am besten und schnellsten erreichen können, nicht geändert. Sie legt Wert darauf, zu betonen, daß ihre Zustimmung zur Einberufung der heutigen Sitzung ein Ausdruck des guten Willens ist. Wir wollen den Erwägungen allgemeiner politischer Art, die der Herr Vorsitzende vorhin angestellt hat, nicht in den Weg treten. Aber meine Fraktion vertritt nach wie vor geschlossen die Auffassung, daß nach dem bisherigen Verlauf unserer Arbeit eine Pause von einigen Tagen eine gute Distanz geben könnte, um den nunmehr geschlossen vorliegenden Entwurf in der Fassung der ersten Lesung aus der richtigen Perspektive zu beurteilen und sich aus dieser Distanz ein abgerundetes Urteil über das Geleistete zu bilden. Während der ersten Lesung haben wir manchen ungeklärten und strittigen Punkt zurückgestellt. Wir haben uns mit manchem Abstimmungsergebnis abgefunden in der von allen Seiten geteilten Annahme, daß die erste Lesung nur vorläufigen Charakter hat, und daß zwischen der ersten und der zweiten Lesung Gelegenheit zur Überprüfung aller ungeklärten Fragen gegeben sein wird, so daß die zweite Lesung echte Entscheidungen würde bringen können. Der Parlamentarische Rat ist zwar eine nach parlamentarischen Regeln arbeitende Körperschaft; gleichwohl ist seine Lage eine andere als die eines normalen [S. 314] Parlaments. Wir haben keine Regierung als Gegenspieler, die Vorlagen ausarbeitet und sie dem Parlament unterbreitet, worauf das Spiel und Gegenspiel der Fraktionen untereinander einsetzt. Wir sind hier in unsere Beratungen eingetreten und haben als Leitfaden den Entwurf des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee14) vor uns gehabt. Dieser Entwurf ist eine Arbeit, deren Charakter zu umreißen etwas schwierig ist, trotz der großen Werte, die sie enthält, und trotz der Erleichterung, 13)

Der Vors. des HptA Schmid hatte am 14. Dez. 1948 im Rundfunk bekannt geben lassen, dass der HptA nun mit der 2. Lesung beginnen würde. In der CDU/CSU-Fraktion wurde angesichts eines Zusammengehens von SPD und FDP Geschlossenheit und sorgfältiges Vorgehen eingefordert. Vgl. die Sitzung des CDU/CSU-Fraktion am 15. Dez. 1949; Salzmann, S. 283 f. (zitiert auch in: Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 19, S. 52, Anm. 5). 14) Für den Wortlaut des Berichts über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 504–630.

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die sie unserer Arbeit geboten hat. In den Fachausschüssen sind Entscheidungen getroffen worden, und Abstimmungen haben stattgefunden. Die Ergebnisse der Fachausschüsse sind an den Hauptausschuß gegangen, und auch da haben nicht wenige Abstimmungen Zufallsergebnisse oder doch Resultate erbracht, die nicht mit dem Grundduktus des gesamten Werkes zusammenstimmen. Erst seit wenigen Tagen haben wir eine abgeschlossene, in sich zusammenhängende Vorlage15). Da haben wir nun geglaubt, wir würden uns die kommende Arbeit erleichtern können, wenn wir die Fassung erster Lesung gründlich überprüfen und erst nach einer Klärung der ganzen Situation auch in interfraktionellen Besprechungen an die praktische Arbeit in der zweiten Lesung gehen würden. Uns bewegt dabei der Gedanke, daß das Werk, das wir hier schaffen, zwar ein Provisorium, etwas vielleicht Vorübergehendes darstellt, daß wir aber immerhin nicht wissen, wie lange unser Grundgesetz das Fundament für den staatlichen Aufbau in einem Raum mit 46 Millionen Menschen und mit all den Problemen, die ich hier nicht näher zu umreißen brauche, abgeben muß. Kurz, das Provisorium kann sehr lange dauern. Auch der Umstand, daß unser Volk nicht die volle Souveränität besitzt, die Tatsache, daß unser Grundgesetz nicht alle Deutschen umfaßt, darf uns nicht dazu führen, daß wir unserem Werk nicht den ganz tiefen, ernsten Charakter verleihen, der ihm gebührt, daß wir uns nicht bemühen, in unserem Grundgesetz all das an Einzelheiten unterzubringen, was möglich ist. Weil wir unter diesen Umständen die zweite Lesung für so wichtig halten, glaubten wir vorschlagen zu sollen, bis zum Beginn der zweiten Lesung eine Pause von 10 oder 14 Tagen einzuschalten, bis wir am 4. Januar 1949 wieder zusammenkommen. Die wirkliche Verzögerung eines solchen Verfahrens würde nur zwei oder drei Tage dauern, zumal bei der gegebenen Sachlage die zweite Lesung in dieser Woche nicht mehr abgeschlossen werden kann. Auch aus diesem Grunde hätten wir gewünscht, die zweite Lesung ohne Unterbrechung in einem Zug durchzuführen und so ein Werk aus einem Guß zu schaffen. Dies waren die Erwägungen, die ich gestern vor der Presse klar und deutlich ausgesprochen habe. Meine Fraktion teilt sie in vollem Umfang16). Ich darf im Namen meiner Fraktionsfreunde, die ich allerdings nach den Ausführungen des Herrn Vorsitzenden des Hauptausschusses nicht sprechen konnte, zusichern, daß wir uns bemühen werden, auch an Hand der Gesichtspunkte, die der Herr Vorsitzende soeben dargelegt hat, das Ziel zu erreichen und ein durchgereiftes Werk zu schaffen, soweit die bedrängten Zeitverhältnisse dies überhaupt gestatten. Dr. Menzel (SPD): Selbstverständlich tritt auch die sozialdemokratische Fraktion für eine möglichst gründliche und erschöpfende Durcharbeitung des Stoffes ein, den wir hier in die Form eines Grundgesetzes zu bringen haben. Ich glaube, wir haben das in den sehr intensiven Beratungen sowohl in den Fachausschüssen wie auch im Hauptausschuß zur Genüge bewiesen. Daher scheint uns die Kritik, die in 15)

Der Grundgesetzentwurf in der Fassung der 1. Lesung des HptA vom 10. Dez. 1948 wurde als Drucks. Nr. 337, 340 und 355 vervielfält. Für den Wortlaut vgl. auch Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 3, S. 91–132. 16) Vgl. dazu die Sitzung der CDU/CSU-Fraktion am. 14. Dez. 1948; Salzmann, S. 280. Pfeiffer erläuterte diesen Standpunkt bereits in der Sitzung des Ältestenrats am 14. Dez. 1948. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 19, S. 50.

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den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Pfeiffer wenigstens indirekt zum Ausdruck gekommen ist, als ob bisher nicht sorgfältig genug gearbeitet worden sei, doch wohl nicht ganz zutreffend zu sein. (Dr. Pfeiffer [CSU]: Das habe ich nicht angedeutet.) Schließlich hat es die Fraktion der SPD nicht zu vertreten, wenn innerhalb einer anderen großen Fraktion Gegensätze aufgetreten sind, die es manchmal recht schwierig erscheinen ließen, zu bestimmten Entschlüssen in den einzelnen Fragen zu kommen. Wenn die Sozialdemokratie im Gegensatz zu der Auffassung, die Herr Dr. Pfeiffer namens seiner Fraktion hier ausgesprochen hat, der Meinung ist, daß wir noch vor Weihnachten mit der zweiten Lesung im Hauptausschuß beginnen sollten, so hat das im wesentlichen folgende Gründe. Gerade wenn noch so viele strittige Punkte zu diskutieren und zu entscheiden sind, kann man wenigstens die nicht oder weniger umstrittenen Probleme in der zweiten Lesung noch vor Weihnachten erledigen und so bis zum Beginn im neuen Jahr, wenn wir eine gewisse Distanz zu den bisherigen Beschlüssen gewonnen haben, genügend Zeit schaffen, um die schwierigen Probleme in gründlicher Aussprache zu erörtern und zu entscheiden. Mit großer Sorge haben wir die Entwicklung der Verhandlungen in den letzten Wochen verfolgt. Mit ebenso großer Sorge mußten wir sehen – diese Feststellung wird niemand bestreiten können –, daß wir, je länger wir debattiert haben, uns nicht zusammendebattiert, sondern voneinander entfernt haben. Diese Entwicklung birgt eine schwere Gefahr in sich, auf die man nicht rechtzeitig genug mit aller Offenheit hinweisen kann. Wie kam es zu dieser Gefahr? Man sollte sich über ihre Ursachen klare Rechenschaft geben, um daraus eine gewisse Richtschnur für den Ablauf der Beratungen in der zweiten Lesung zu gewinnen. Ich darf daran erinnern, aus den Ausführungen der Vertreter aller Fraktionen in den ersten Plenarsitzungen vom September dieses Jahres17) ging hervor, daß es die vornehmste Aufgabe unseres Grundgesetzes sein sollte, den westdeutschen Raum zu organisieren, soweit dies unter der nun einmal nicht wegzudiskutierenden Souveränität der Besatzungsmächte überhaupt möglich ist. Wir waren uns darüber klar, daß wir nach den verpflichtenden Empfehlungen des Dokuments Nr. 1 die Grundrechte in das Grundgesetz aufnehmen sollten und wollten. Aber im Laufe der Debatten und Verhandlungen gerade über diesen Teil des Grundgesetzes wurden neue Probleme und Grundsätze nachgeschoben, die nur am Rande der echten, alten, klassischen Grundrechte liegen, Probleme, die seit Jahrzehnten in der deutschen Politik ungelöst blieben und, sagen wir ruhig, wie eine große Hypothek auf unserer Innenpolitik lasteten. In dem gleichen Maße, in dem diese Grundsätze der sozialen und der kulturellen Lebensordnung, sei es in Form von Anträgen, sei es in Gestalt von Forderungen, mit denen die Vertreter dieser besonderen Bereiche hier vorstellig wurden, in den Vordergrund traten, kamen die latenten Gegensätze, die bisher geschlummert hatten, offen zum Ausdruck und verrückten die in gemeinsamer Arbeit geschaffene Plattform. Dies sollte zu der Überlegung führen, die auch gestern in der Aussprache 17)

Vgl. die 2. und 3. Sitzung des Plenums am 8. und 9. Sept. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 9, Dok. Nr. 2 und 3, S. 18–149.

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beim Herrn Präsidenten18) zum Ausdruck gekommen ist, ob der Parlamentarische Rat überhaupt das Mandat hat, diese von mir angedeuteten Grundprobleme, die seit Jahrzehnten ungelöst auf der deutschen Innenpolitik lasten, bei unserer gegenwärtigen Zeitnot und angesichts der schweren innen- und außenpolitischen Situation, in der sich vor allem der Westen Deutschlands befindet, jetzt zu lösen, und ob wir überhaupt imstande sind, sie zu lösen. Da bin ich nun der Auffassung, man sollte die Lösung dieser offenen Fragen auf sozialem und kulturellem Gebiet einer etwas ruhigeren Zeit überlassen. Das bedeutet nicht, daß wir sie auf den SanktNimmerleins-Tag verschieben, wohl aber einem Gremium überlassen, das, durch direkte Wahlen geschaffen, die demokratische Legitimation des gesamten Volkes unmittelbar besitzt, um diese Fragen einer vernünftigen, allen Schichten und Beteiligten einigermaßen erträglichen Lösung zuzuführen. Wir halten diese Probleme für so wesentlich, daß wir es nicht verantworten zu können glauben, sie unter den jetzt obwaltenden Zuständen anzupacken. Auch der heute so oft zum Zeugen angerufene Mann auf der Straße verlangt mit Recht von uns, daß wir zu allererst wenigstens im Westen Deutschlands eine demokratisch legitimierte Regierung schaffen, die die Probleme und Nöte der Gegenwart auf dem Gebiet der Ernährung, der Wirtschaft und des Wiederaufbaus unserer Städte in die Hand nimmt und löst, die sich [S. 315] der brennenden Fragen annimmt, die der Lösung harren. Ich erinnere da nur an das Ruhrgebiet und sein künftiges Schicksal. Diese Dinge sind in den Augen des Mannes von der Straße weit vordringlicher als etwa die Entscheidung darüber, ob man diese oder jene kulturelle Forderung jetzt oder in einem Jahr durch den Bundestag erledigen läßt. Gerade aus dem Gefühl der Verantwortung für die Vordringlichkeit der Aufgaben, die auf uns lasten und deren Lösung das deutsche Volk von einer deutschen Regierung erwartet, die demokratisch kontrolliert und der Volksvertretung verantwortlich ist, haben wir auf die Fortsetzung der Arbeiten des Parlamentarischen Rates entscheidenden Wert gelegt. Dr. Heuss (FDP): Ich möchte zwei Bemerkungen machen: die eine betrifft eine persönliche, die andere eine sachliche Angelegenheit. Die persönliche Angelegenheit paßt nicht ganz in den Rahmen dessen, was bis jetzt besprochen worden ist. Aber es hat keinen Zweck, sie auf die lange Bank zu schieben. Herr Dr. Süsterhenn hat einen Aufsatz über die rechtliche Situation des Reichskonkordats19) geschrieben20). Darüber ist jetzt sachlich nicht zu diskutieren. In diesem Aufsatz wird vom „sowjetischen Standpunkt“ gesprochen, der nunmehr im „Parlamentarischen Rat in Bonn von der SPD, KPD und FDP gemeinsam vertreten“ werde. Gegen diese Bemerkung habe ich aus einer inneren Pflicht für mich und für meine Freunde eine sehr ernsthafte Verwahrung einzulegen. Ich habe keinen Auftrag, das gleiche für die SPD zu tun, aber ihr Inhalt wird auch für diese gelten:

18)

Zur Ältestenratssitzung mit Präs. Adenauer am 14. Dez. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 19, S. 50–52. 19) Zum Konkordat zwischen dem Heiligem Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933 vgl. oben Dok. Nr. 22, S. 655, Anm. 44. 20) Der Beitrag von Süsterhenn mit dem Titel „Reichskonkordat und Staatsgrundgesetz“ wurde vom Sekretariat des Parl. Rates als Drucks. Nr. 371 vervielfältigt; hier S. 3 das von Heuss genannte Zitat, wo es statt „FDP“ „LDP“ heißt.

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Jedenfalls ist das eine publizistische Formulierung von der Art, wie sie der Atmosphäre unserer gemeinsamen Arbeit sehr wenig bekömmlich ist. (Sehr richtig!) Herr Dr. Süsterhenn, ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir hier keinen sowjetischen, sondern einen deutschen Standpunkt vertreten. Ich möchte den Herrn Abgeordneten Dr. Süsterhenn bitten, dem Publizisten Süsterhenn den Rat zu geben, die Arbeit des Abgeordneten Süsterhenn nicht zu erschweren oder gar zu verderben, die eine solche publizistische Beeinträchtigung unmöglich erträgt. (Sehr gut!) Dann eine Bemerkung zur Situation. Auch mir ist es ein Bedürfnis, etwas über die Förderung unserer Arbeiten zu sagen. Was haben wir denn eigentlich zu vollenden, zu schaffen, fertigzubringen? Wir haben eine Staatsordnung für Deutschland zu schaffen, wenn auch zunächst nur für den Westen. Wir haben eine Regelung der Wechselwirkung zwischen dem Gesamt und den Teilen, zwischen Bund und Ländern zu treffen. Wir haben der neuen Ordnung den gesetzlichen Rahmen für das staatspolitische Leben zu geben. Das ist eine sehr nüchterne, eine sehr wichtige Aufgabe. Es ist schwierig, so etwas in einer Zeit zu schaffen, in der Deutschland machtlos inmitten des Mächtespiels der anderen liegt. Wir haben in diesem Raum und in dieser Zeit keine Religionsphilosophie und keine Sozialphilosophie zu diskutieren, sondern ein rechtsstaatliches Funktionensystem für unser Volk zu schaffen. Darüber waren wir vor einigen Monaten so ziemlich einig. Es ist nun eine sehr ernste Sorge, die mich auf die Entwicklung dieser letzten Wochen blicken läßt, in denen wir eine Überlastung unserer Beratungen mit Anträgen erleben, die Fragen betreffen, welche nicht wir hier zu lösen haben, sondern die Gegenstand und Aufgabe des sich selbst gestaltenden öffentlichen Lebens in naher oder ferner Zukunft sind oder sein sollen. Wir haben hier keine Politik zu machen; unsere Aufgabe ist klar umrissen. Ich bin keck genug, um diesem Gremium hier die innere Mächtigkeit zu bestreiten, mit ein paar Haupt-, Neben- und Relativsätzen das strömende Leben juristisch oder deklaratorisch zu bannen. Wir wollen bald fertig werden: wir müssen bald fertig werden. Ich erhebe hier keine parteipolemischen Vorwürfe. Ich weiß um die Schwierigkeiten, vor denen wir alle stehen. Ich weiß auch um die redlichen Bemühungen, voranzukommen. Aber ich bin auch unbefangen genug, um für unsere Gruppe in Anspruch zu nehmen, daß sie sich nicht ins Deklamatorische verflüchtigt. Ich rechne mir deshalb auch die Vollmacht zu, in diesem Augenblick mit großem Ernst meine warnende Stimme zu erheben gegen diese ungehemmte Ausweitung, die uns seit ein paar Wochen bedroht und die einfach die Möglichkeit einer Lösung unserer politischen Aufgabe gefährden, wenn nicht zerstören kann. Meine Freunde haben mich gebeten, zu erklären, daß sie aus allen diesen Gründen Anträgen, die über das Maß des heute Notwendigen hinausgehen, die Zustimmung versagen werden. Reimann (KPD): Bevor wir in die Debatte eintreten, beantrage ich, die Kommission21) zu wählen, die morgen von den drei Militärgouverneuren der westlichen Zonen empfangen werden soll. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die 21)

Vgl. dazu unten S. 795–797, TOP 2: Wahl der Teilnehmer der Besprechung mit den MilGouv. am 16. und 17. Dezember 1948.

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Aussprache in der gestrigen Sitzung des Ältestenrats22), in der festgelegt worden ist, daß die Fraktionen zu dieser Frage noch einmal Stellung nehmen sollen. Dies soll, wie der Herr Präsident mir erklärt hat, in der jetzigen Sitzung des Hauptausschusses geschehen. Er hat mir ferner mitgeteilt, daß, soweit er informiert sei, die Kommission in der heutigen Sitzung des Hauptausschusses neu besetzt werden solle. Ich bitte Sie also, meinem Antrag stattzugeben, daß wir nunmehr diese Kommission neu besetzen. Die Begründung für meinen Antrag habe ich bereits gestern im Ältestenrat gegeben23). Ich möchte hier nur kurz wiederholen, daß ich es nicht für richtig halte, Fraktionen von diesen Besprechungen auszuschließen. Wir sind die einzige Oppositionspartei, daher bin ich der Auffassung, die Kommission sollte so zusammengesetzt werden, daß die CDU/CSU und die SPD je zwei Abgeordnete, die anderen Parteien je einen Abgeordneten delegieren. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie stellen also den Antrag, daß vor Abschluß der Debatte über Ihren Antrag abgestimmt wird? Reimann (KPD): Soweit ich die bisherige Aussprache verstanden habe, handelte es sich um Erklärungen der Fraktionen, wie die heutige Sitzung des Hauptausschusses zustande gekommen ist. Ich bitte, vor Eintritt in die zweite Lesung über meinen Antrag zu diskutieren und abzustimmen, der sich mit der Zusammensetzung der Kommission befaßt, die morgen von den Militärgouverneuren empfangen werden soll. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich schlage vor, daß wir die Diskussion, die wir bisher geführt haben, zu Ende führen und in die Tagesordnung eintreten, nachdem wir über den Antrag Reimann abgestimmt haben. Dr. Seebohm (DP): Wir haben die erste Lesung unter verhältnismäßig ungünstigen Umständen durchgeführt. Mit Recht hat der Herr Kollege Dr. Pfeiffer bereits angedeutet, daß die erste Lesung schon deshalb einen improvisatorischen Charakter haben mußte, weil wir trotz der intensiven Vorarbeiten in den Fachausschüssen keine ausgefeilte Vorlage hatten. Wir hatten seinerzeit beschlossen, daß ein Allgemeiner Redaktionsausschuß die Arbeitsergebnisse der Fachausschüsse zusammenfassen und den Fraktionen vorlegen sollte, bevor sie an den Hauptausschuß gingen. Leider konnte dieser Plan aus Zeitgründen nicht in die Tat umgesetzt werden, und so haben wir teils auf der Grundlage der Ergebnisse der Fachausschüsse, teils auf der Grundlage der immer umfangreicher werdenden Arbeit des Redaktionsausschusses unsere Arbeiten fortgesetzt und die erste Lesung als absolute Improvisation durchgeführt. So ist es kein Wunder, daß die Zusammenstellung der Beschlüsse erster Lesung noch sehr unscharfe Konturen zeigt und die Farben des Gesamtbildes recht verwaschen anmuten. So war es notwendig, wiederum den Redaktionssausschuß einzuschalten. Nun wäre es für die Beratungen, insbesondere innerhalb der kleinen Fraktionen, sehr wesentlich gewesen, wenn wir das Gesamtergebnis der Tätigkeit 22)

Zur Sitzung des Ältestenrates am 14. Dez. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 19, S. 50–52. 23) Der Beitrag von Reimann in der Ältestenratssitzung am 14. Dez. 1948 ist in den erhaltenen Mitschriften nicht überliefert; vgl. Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 19, S. 50–52.

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des Redaktionssausschusses vor Beginn der zweiten Lesung abgeschlossen vor uns gehabt hätten. Denn erst dann wäre die [S. 316] Möglichkeit gegeben gewesen, die Gesamtvorlage richtig und zuverlässig zu überblicken. Erst wenn wir diese Möglichkeit haben, können wir uns entscheiden, ob und welche Anträge wir im einzelnen noch zu stellen haben, was an den bisherigen Ergebnissen noch änderungsund verbesserungsbedürftig ist und was noch der Ergänzung bedarf. In der Tat halten wir noch Ergänzungen an dieser und jener Stelle für notwendig. Wir fühlen uns gegenüber unserem Gewissen dazu verpflichtet, und es kann uns nicht verwehrt werden, diesem Verantwortungsgefühl gegenüber unserem Gewissen Rechnung zu tragen. Schließlich sollen wir mit dem Ergebnis unserer Arbeit vor das Volk treten. Das wird außerordentlich schwer sein, da unser Werk nicht einmal die magersten Grundsätze über die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Lebensordnung enthält. Man wird uns das vielleicht sehr übelnehmen, und gerade in den Kreisen, die wenigstens eine gewisse Regelung dieser Grundfragen im Grundgesetz erwarten, wird man nicht verstehen, daß wir vier Monate lang mit allen möglichen Problemen der staatlichen Ordnung gerungen haben, ohne an die Lebensfragen, die unsere Menschen so sehr bedrücken, überhaupt nur herangekommen zu sein. Unter diesen Umständen halte ich es nicht für richtig, ja sogar für bedenklich, wenn wir einen Beschluß fassen, der alle Erweiterungs- und Ergänzungsmöglichkeiten von vornherein abschneidet. Bis jetzt liegt uns noch nichts Endgültiges vor, also können wir vorerst auch noch nicht entscheiden, ob wir es vor unserem Gewissen und vor dem Volk verantworten können, daß das Grundgesetz in dieser Form und in diesem Rahmen bestehenbleibt. Eine nähere Überprüfung mag durchaus ergeben, daß erhebliche Teile, soweit sie nicht unbedingt notwendig sind, ohne Schaden aus dem Grundgesetz entfernt werden können. Aber man muß auf der anderen Seite anerkennen, daß eine Ergänzung und eine Erweiterung des Grundgesetzes nach der einen oder anderen Richtung ebenso notwendig sein kann. Solche Notwendigkeiten sollte man nicht durch einen Beschluß unmöglich machen. Unter diesen Umständen bedauere ich die kategorische Erklärung des Herrn Dr. Heuss, daß seine Freunde alle derartigen Anträge von vornherein und grundsätzlich ablehnen wollen, ohne sie sachlich zu prüfen. Ich halte eine solche Einstellung nicht für richtig; sie liegt nicht im Interesse des Werkes, das wir hier schaffen wollen. Dr. Heuss (FDP): Das Problem liegt ganz anders. Wir wollen gemäß einem Gentlemen’s agreement, das wir zu Beginn unserer Arbeiten geschlossen haben, diese Dinge nicht im Grundgesetz haben. Dr. Seebohm (DP): Ein solches Gentlemen’s agreement ist nicht zwischen allen Parteien und Fraktionen abgeschlossen worden; daher halten auch die einen oder anderen unter uns eine solche Einstellung für unverständlich. Sie müssen uns schon die Möglichkeit geben, unsere Auffassung zu den Problemen zu sagen. Wir jedenfalls halten uns durch solche Abreden nicht für gebunden. Dabei erkennen wir die Grundlinie der gemeinsamen Arbeit durchaus an. Aber wir lehnen eine solche Beschränkung, wie sie hier beabsichtigt ist, ab. Es ist für die Wirksamkeit unserer Arbeit gegenüber dem Volk nicht richtig, daß durch Mehrheitsbeschluß Beschränkungen eingeführt werden oder durch Erklärungen, man werde sich mit Erweiterungsanträgen nicht mehr befassen, jede Ergänzung und Verbesserung von vornherein unmöglich gemacht wird.

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Gerade wir kleineren Fraktionen hätten den Wunsch gehabt, nach Möglichkeit die gesamte Vorlage des Redaktionsausschusses vor Beginn der zweiten Lesung vor Augen zu haben. Nur dann sind wir in der Lage, zu prüfen, welche Ergänzungen und Verbesserungen wir für notwendig halten. Nur dann können die anderen Fraktionen sich rechtzeitig mit den Gedankengängen vertraut machen, die uns bei der Stellung unserer Vorschläge und Anträge für die zweite Lesung leiten. Wenn die Arbeitsergebnisse des Allgemeinen Redaktionsausschusses uns aber nur in Bruchstücken und aus dem Zusammenhang gerissen vorliegen, ist das nicht möglich. Wir brauchen eine Vorlage des gesamten Werkes, vom ersten bis zum letzten Artikel, wie es ja auch dem Volk vorgelegt werden soll. Zur Zeit ist uns jedenfalls ein solcher Gesamtüberblick nicht möglich, weil uns eben die restlichen Arbeitsergebnisse des Allgemeinen Redaktionsausschusses noch nicht bekannt sind, weil wir nicht wissen, wie die Bestimmungen in den einzelnen Abschnitten ineinandergreifen werden. Daher muß ich den Vorbehalt machen, daß die Anträge, die zu stellen wir uns bemühen und die wir schriftlich vorlegen werden, nicht als abschließend angesehen werden können, sondern daß wir sie später wieder aufnehmen oder ergänzen müssen. Ich darf zur Frage des zeitlichen Ablaufs unserer Arbeiten noch einige Worte sagen. Das Werk, das wir hier schaffen, um die Grundlage für die staatliche Ordnung Deutschlands zu legen mit dem Ziel, möglichst bald eine einem gewählten Parlament verantwortliche Regierung einsetzen zu können, ist nur eine Phase in diesem zeitlichen Ablauf. Die andere Phase aber wird von Kräften bestimmt, auf die wir keinen Einfluß, ja nicht einmal die geringste Einwirkung haben. Hier können zeitliche Verzögerungen eintreten – ja, sie werden sogar eintreten –, die weit über die Zeitspanne hinausgehen, die wir hier durch rasche Arbeit einzusparen vermögen. Daher wäre es richtiger gewesen, wenn wir mit dem Beginn der zweiten Lesung noch einige Tage gewartet hätten. Ich hätte jedoch durchaus Verständnis dafür gehabt, wenn wir im Hinblick auf die außerordentliche Dringlichkeit unserer Aufgabe die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr darauf verwandt hätten, mit der zweiten Lesung zu beginnen. Ich hatte sogar vor, hierzu einen formellen Antrag zu stellen, um den Eindruck zu vermeiden, daß wir uns durch die Feiertage in unserer Arbeit stören lassen. Schließlich ist nicht jeder Abgeordnete des Parlamentarischen Rats so glücklich, eine staatliche Stellung zu bekleiden und sich ohne weiteres und ohne Unterbrechung aus seinem Lebens- und Pflichtenkreis entfernen zu können. Seit September arbeiten wir ununterbrochen an dem Grundgesetz, und jenen unter uns, die daneben noch ihre Berufsarbeit zu leisten haben, bleibt in den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr kaum eine Möglichkeit, aufzuholen, was sie im Beruf versäumt haben. Dazu kommt noch, daß viele Betriebe während der Feiertage Betriebsferien einschalten oder aus ähnlichen Gründen nicht arbeiten. Daher wäre es für die Berufstätigen unter uns ein geringerer Zeitverlust, zwischen den Feiertagen hier zu sein, als im Januar eine weitere Verlängerung der Arbeit hinnehmen zu müssen. Ich bitte, noch einmal zu überlegen, ob es nicht vielleicht doch möglich ist, unsere Arbeit zwischen Weihnachten und Neujahr fortzusetzen. Brockmann (Z): Wenn nicht alle Fraktionen Gelegenheit genommen hätten, zu dieser Angelegenheit zu sprechen, die meines Erachtens eine Angelegenheit des Älte-

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stenrats ist, würde ich es mir versagen, unsere Verhandlungen durch eine weitere Erklärung meinerseits aufzuhalten. Wenn wir heute schon um 3 Uhr in die Beratung der Vorlage eingetreten wären, wären wir jetzt schon ein gutes Stück weitergekommen. Im übrigen stimme ich den Anregungen des Herrn Vorsitzenden durchaus zu. Ich verstehe seine Ratschläge so, daß sie einen quasi elastischen Druck bedeuten sollen, um unsere Arbeit zu beschleunigen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Vor allen Dingen habe ich nie an eine Majorisierung gedacht. Brockmann (Z): Das habe ich aus Ihren Anregungen auch nicht herausgehört, und darum möchte ich auch nicht, daß man etwas hineinlegt, was nicht hineingelegt werden sollte. Denn sonst müßte auch ich Bedenken geltend machen, wenn solche Anregungen mit der Geschäftsordnung des Parlamentarischen Rates in Konflikt geraten sollten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe nur angeregt, die Fraktionen möchten sich auf die von mir vorgeschlagenen Verfahrensregeln einigen. Brockmann (Z): Die Geschäftsordnung bildet die Grundlage für den ordnungsmäßigen Verlauf unserer [S. 317] Verhandlungen. Als Vertreter des Zentrums möchte ich sagen: So, wie die Arbeit des Parlamentarischen Rates von Rundfunk und Presse dargestellt wird, liegen die Dinge nun doch nicht. Gerade wir Vertreter der kleineren Parteien haben uns davon überzeugen können, daß ein starkes Verantwortungsgefühl die Arbeit aller Abgeordneten in den Ausschüssen bei der Beratung dieser umfangreichen und schwierigen Materie getragen hat. Wenn wir auf Beschleunigung und Abschluß unserer Arbeit drängen, so hat das ganz bestimmte politische Gründe, die jeder Mensch in den Fingerspitzen fühlt. Wir müssen das Werk zum Abschluß bringen; darüber kann kein Zweifel sein. Ich habe schon gestern im Ältestenrat betont, wie sehr ich es aus meiner langjährigen parlamentarischen Erfahrung bedauert habe, daß wir nicht von vornherein eine Vorlage zur Hand hatten, auf die sich unsere gesamte Arbeit konzentrieren konnte. Wir mußten sozusagen ins Leere greifen und aus dem Leeren heraus etwas schaffen. Das ist geschehen, soweit es nur möglich war24). Dazu machte sich noch ein zweiter Mangel geltend, und ich bitte, mir diese Bemerkung nicht übelnehmen zu wollen. Ich habe gestern gesagt, ich würde sehr gern bereit sein, sofort in die Weihnachtsferien zu fahren, wenn ich die Gewißheit hätte, daß die Arbeit nach den Ferien mit der gebotenen Beschleunigung vorangeht, daß also die beiden großen Parteien sich einigen, damit eine möglichst breite Basis für die Annahme des gesamten Werks geschaffen wird. Denn eine Einigung auf breiter Basis ist notwendig, wenn wir das Ergebnis unserer Arbeit zur Abstimmung in den Landtagen oder zum Plebiszit stellen. Wir beklagen das Fehlen einer „dritten Kraft“, die sich entscheidend für das Werk einsetzen könnte. Das würde nur der Forcierung der Arbeit dienen. Gerade deshalb beklage ich die gegenwärtige Entwicklung. Die Auseinandersetzung unter den beiden großen Parteien berechtigt uns kleinere Parteien zu der Auffassung, daß es völlig verfehlt ist, durch irgend24)

Der Beitrag von Brockmann in der Ältestenratssitzung am 14. Dez. 1948 ist in den erhaltenen Mitschriften nicht überliefert; vgl. Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 19, S. 50–52.

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welche Zweckbestimmungen die Entwicklung und den Einfluß der kleinen und mittleren Parteien zu schwächen und zu hemmen. Wenn die beiden großen Parteien – das wollen wir einmal offen aussprechen – sich nicht zu einigen vermögen, dann werden wir Kampfabstimmungen haben. Das bedeutet, daß die kleineren Parteien sich zu irgendeiner großen Gruppe schlagen müssen. Es mag für uns kleinere Parteien reizvoll sein, sich in einer so entscheidenden Position zu befinden. Aber das Gefühl für Verantwortung sagt uns, daß unsere Aufgabe vor allem darin besteht, im Parlamentarischen Rat eine möglichst breite Grundlage für die Verabschiedung des Verfassungswerkes zu schaffen. Dieser Aufgabe widmen wir uns. Ich kehre zum Ausgangspunkt zurück. Wir sollten die Anregungen unseres Herrn Vorsitzenden ruhig akzeptieren, ohne daß wir uns dadurch in unserer Bewegungsfreiheit vergewaltigen lassen. Ferner sollte die Weihnachtspause ganz ernsthaft dazu benutzt werden, hier eine möglichst große und breite Front zu schaffen, damit unser Werk möglichst bald und mit möglichst großer Mehrheit verabschiedet werden kann. Gestatten Sie mir noch ein kurzes Wort zu dem, was mein verehrter Freund und Kollege Dr. Menzel gesagt hat. Er hat heute sehr resigniert gesprochen. Ja, ich glaubte seinen Worten entnehmen zu müssen, als wenn er das, was er miterarbeitet hat und was wir in mühseliger Arbeit geschaffen haben, gern wieder annuliert sehen möchte, weil zwei oder drei Anträge weltanschaulicher Art in der vorigen Woche in die Debatte geworfen worden sind. Ich bitte den Kollegen Dr. Menzel, das nicht zu tun, sondern weiterzumachen und sich mit diesen Anregungen und Anträgen zu befassen, und zwar ernsthaft in dem Sinne, wie wir es gestern vor einem anderen Forum behandeln und zum Ausdruck bringen durften. Dann werden wir das Ziel erreichen, das uns allen vorschwebt, nämlich so schnell wie möglich ein abgerundetes Ganzes und nach dieser furchtbaren Katastrophe eine tragfähige Grundlage für das staatliche Leben im Westen unseres Vaterlandes – bedauerlicherweise können wir den Osten noch nicht einschließen – zu schaffen. Ich darf noch einmal versichern, meine politischen Freunde werden zu ihrem Teil alles tun, um den positiven Sinn der Anregungen des Herrn Kollegen Dr. Schmid in die Tat umzusetzen. Dr. Süsterhenn (CDU): Hinsichtlich des technischen Fortgangs unserer Beratungen darf ich mich auf das beziehen, was mein Kollege Dr. Pfeiffer vorhin ausgeführt hat. Wir haben unseren guten Willen gezeigt, indem wir heute in diese Beratungen eingetreten sind. Der weitere Modus procedendi mag auf der Grundlage der Anregungen des Herrn Vorsitzenden im Ältestenrat besprochen werden. Ich möchte nur noch einige Punkte kurz streifen. Wenn der Herr Kollege Dr. Menzel geglaubt hat, auf Meinungsverschiedenheiten in einer „großen Fraktion“ anspielen zu müssen, so möchte ich doch darauf hinweisen, daß der entscheidende Punkt, nämlich die Ausgestaltung der zweiten Kammer, nicht nur in einer großen Fraktion, sondern auch in anderen Fraktionen Meinungsverschiedenheiten ausgelöst hat. Ja, ich möchte sagen, in sämtlichen Fraktionen bestanden verschiedene Auffassungen, und überall hat man die verschiedenen Möglichkeiten studiert, um eine Synthese der widerstreitenden Auffassungen zu finden. Was sodann die Probleme angeht, die sich nach der Auffassung des Herrn Dr. Menzel am Rande der klassischen, echten Grundrechte bewegen, nun, die Meinung

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darüber, was echte Grundrechte sind und was Randprobleme oder aber Kernprobleme sind, ist je nach dem weltanschaulichen Ausgangspunkt, von dem aus man an diese Probleme herangeht, verschieden. Es scheint mir auch nicht richtig zu sein, daß, wie Herr Dr. Menzel behauptet, der Mann auf der Straße sich ausschließlich für die rein wirtschaftlichen und materiellen Dinge interessiert. Der Mann auf der Straße interessiert sich auch für die geistigen, weltanschaulichen und kulturellen Fragen. Ich habe mit großem Interesse die Meldungen über Abstimmungen entgegengenommen, die in Württemberg in letzter Zeit stattgefunden haben. Dabei hat es sich gezeigt, daß der Mann auf der Straße zu 75 Prozent der Stimmberechtigten zur Wahlurne geschritten ist. Der Mann auf der Straße hat da sehr eindeutig zum Ausdruck gebracht, wie er über die hier behandelten Probleme denkt. Aber wir können über diese Dinge noch einmal im Ältestenrat sprechen. Ich darf nun noch mit wenigen Worten auf die persönlichen Bemerkungen des Herrn Kollegen Dr. Heuss eingehen. Ich brauche nicht zu versichern, daß mir nichts ferner lag, als gegen den von mir besonders verehrten Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff, um den es sich hier handelt, den Vorwurf zu erheben, daß er in kulturellen Fragen nicht einen demokratischen, sondern einen sowjetischen Standpunkt vertritt. Ein solcher ausdrücklicher Vorwurf ist auch aus meinem Artikel, wenn man ihn im Zusammenhang liest – ich verzichte darauf, ihn hier zu interpretieren –, wirklich nicht zu entnehmen. Vielmehr ist darin lediglich ausgeführt, daß der Herr Kollege Dr. Höpker Aschoff sich bei der Debatte über die Frage der rechtlichen Gültigkeit des Reichskonkordats des gleichen Arguments bedient habe, das die Sowjetunion zur Frage des Reichskonkordats im Gegensatz zu den Auffassungen der Westmächte vertreten habe. Ich glaube, aus einer derartigen Formulierung kann niemand herauslesen, was der Herr Kollege Heuss hier zum Ausdruck gebracht hat. Darüber hinaus versichere ich ausdrücklich, daß mir nichts ferner lag, als eine Behauptung aufzustellen, die geeignet ist, dem Herrn Kollegen Höpker Aschoff oder seiner Partei oder einem sonstigen Mitglied dieses Hauses zu unterstellen, sie ließen sich nicht von demokratischen Gesichtspunkten leiten. Reimann (KPD): Auf Grund der gestrigen Diskussion im Ältestenrat schlage ich einen ganz anderen Weg zur Beratung der westdeutschen Verfassung vor, als er hier diskutiert worden ist. Es wird doch wohl niemandem einzureden sein, daß die Verzögerung bei der Beratung des Grundgesetzes darauf zurückzuführen ist, daß der Redaktionsausschuß einige wesentliche Änderungen an den von den Fachausschüssen erarbeiteten Ergebnissen vorgenommen hat. Nein, ich [S. 318] glaube nicht, daß dies der wahre Grund ist. Der eigentliche Grund liegt tiefer. Wenn wir nicht an diesen Grund herangehen und darüber Klarheit schaffen, werden wir mit der westdeutschen Verfassung so, wie Sie sie gern haben möchten, nicht weiterkommen. Ob Ende Dezember oder im Januar, es werden die Grundrechte erneut zur Sprache kommen; dann wird die Diskussion erneut beginnen. Deshalb glaube ich, daß wir diese Grundfragen zunächst klären und lösen müssen. Sie haben geglaubt, eine Verfassung für Westdeutschland schaffen zu können, in der Sie eine Reihe sehr schöner, hervorragender, glänzend formulierter Sätze aneinanderreihen, eine Reihe von Artikeln fixieren, ohne ihnen aber einen lebendigen Inhalt zu geben. Ich glaube nicht, daß es die erste Aufgabe der Verfassung ist, eine verantwortliche Regierung zu bilden, sondern ich glaube, eine Verfassung erhält erst

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dann ihren Wert, wenn in ihr die Grundrechte klar herausgearbeitet werden. Dann wird sich alles übrige leichter regeln lassen. Die sozialdemokratische Fraktion glaubte, daß man die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Grundrechte nicht anfassen dürfe, weil sonst die CDU/CSU ihre kirchenrechtlichen Forderungen in den Vordergrund stellen würde. Meine Herren, Sie mögen sich drehen und wenden, wie Sie wollen, eines schönen Tages werden Sie wieder vor dieser Frage stehen. Denn es ist keine Phrase: Verfassungsfragen sind Kampffragen, sind Klassenfragen. Wenn hier die Frage nicht klar geregelt wird, kommen wir Ende Januar wieder an diesen Punkt heran. Deshalb glaube ich, daß wir mutig an das Problem herangehen sollten, wenn es sich auch nur um die Schaffung einer Verfassung für diesen westdeutschen Staat handelt. Auch ich bin der Auffassung, daß dieser Staat auf Grund machtpolitischer Verhältnisse geschaffen wird, und daß es nicht gleichgültig ist, wie wir in diesem westdeutschen Staat leben werden. Die entscheidende Frage ist nun in der Öffentlichkeit angeschnitten worden, und schon erschienen gestern die Herren Bischöfe, eine große kirchliche Abordnung. Diese hat ganz klar gesagt: Wenn in das Grundgesetz nicht die Kirchenfragen aufgenommen werden, dann werden wir gegen diese Verfassung sein. Was hindert uns daran, daß wir sagen: Gut, wir räumen den Kirchen dieses Recht ein, aber die Kirchen haben uns ihrerseits das Recht einzuräumen, daß wirtschaftliche und soziale Grundrechte in das Grundgesetz aufgenommen werden? Um diese Diskussion kommen wir im Parlamentarischen Rat nun einmal nicht herum. Daher beantrage ich, daß wir die bisherige Arbeit ruhen lassen und uns statt dessen mutig an diese Kernfragen heranbegeben. Ja, mein lieber Herr Dr. Pfeiffer, das ist zwar sehr unangenehm für Sie; aber wir werden mit Ihnen über alle diese Fragen sprechen müssen. (Dr. Pfeiffer [CSU]: Sehr gern!) Ich möchte nunmehr an den Herrn Vorsitzenden die Frage richten, ob es auch seine Auffassung ist, daß wir diese Fragen jetzt nicht oder überhaupt nicht berühren sollten, wie der Herr Kollege Dr. Menzel meinte, und ob sich diese Auffassung auch darauf bezieht, daß die Gewerkschaften an den Parlamentarischen Rat und wahrscheinlich auch an die sozialdemokratische Fraktion ein langes Schreiben gerichtet haben, worin sie verlangen, daß der Parlamentarische Rat in die Diskussion über die wirtschaftlichen und sozialen Grundrechte hineinsteigt25). Ich möchte an Sie die Frage richten, ob Sie diese Forderung der Gewerkschaften mißachten. Mit Recht wird darüber geklagt, daß die Öffentlichkeit der Arbeit des Parlamentarischen Rats nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt. Das ist in der Tat richtig. Aber meine Herren, ich erinnere Sie an die Kämpfe bei der Schaffung der Weimarer Verfassung. Ich gebe zu, wir haben damals andere Verhältnisse gehabt. Aber wer hindert uns, als Partei in der Öffentlichkeit, in Versammlungen und Kundgebungen die Diskussion über die Verfassung für den westdeutschen Staat zu eröffnen? Wer hindert uns? (Zuruf: Kein Mensch!) 25)

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Für den Wortlaut der zusätzlich vorgeschlagenen Grundrechtsartikel durch den Gewerkschaftsrat der vereinten Zonen vom Okt. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 33, S. 726, Anm. 31.

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Nun, die öffentliche Diskussion hat sich bisher fast ausschließlich nicht um die entscheidenden Fragen bewegt. Ich glaube, wir würden besonders der Jugend einen großen Dienst erweisen, wenn wir in breitester Öffentlichkeit die Diskussion über diese Fragen beginnen. Ich teile in dieser Hinsicht nicht die Auffassung des Präsidenten Dr. Adenauer, die, soviel ich weiß, auch die Sozialdemokratische Partei vertritt und die dahin geht, die Diskussion und die Abstimmung über die westdeutsche Verfassung den Länderparlamenten zu überlassen, die Verfassung aber nicht dem Volk zur Abstimmung vorzulegen. Herr Dr. Adenauer hat gestern abend sehr nett und aufschlußreich gesagt, diese Verfassung müsse mit möglichst wenig Geräusch über die Bühne gehen. Und da wundern Sie sich, wenn im Volk über die Verfassung überhaupt nicht diskutiert wird, wenn das Volk an Ihren Arbeiten überhaupt nicht teilnimmt. Nein, das ist kein Wunder. Daher beantrage ich, die Diskussion über die ganzen Artikel jetzt einzustellen, um uns mutig an die Grundprobleme heranzuwagen und sie zunächst einmal zu lösen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie haben den Antrag gehört. Es ist die Frage, ob wir die Diskussion jetzt abbrechen und im Ältestenrat den modus procedendi besprechen wollen. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich stelle den Antrag, den Vorschlag Reimann zusammen mit den anderen Problemen dem Ältestenrat zu überweisen. Reimann (KPD): So, daß also über meinen Antrag im Ältestenrat diskutiert wird? Dr. Süsterhenn (CDU): Ja. Reimann (KPD): Einverstanden! Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie modifizieren also Ihren Antrag insoweit? Reimann (KPD): Ich werde ihn schriftlich einreichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Damit ist diese Angelegenheit erledigt.

[2. WAHL DER TEILNEHMER DER BESPRECHUNG MIT DEN MILITÄRGOUVERNEUREN AM 16. UND 17. DEZEMBER 1948]

Ich habe nun die Diskussion zu eröffnen zu dem Antrag Reimann betreffend die Zusammensetzung der Delegation für Frankfurt. Wird dazu ein Antrag gestellt? Dr. Süsterhenn (CDU): Ich möchte den Antrag stellen, daß der Hauptausschuß insgesamt sechs Delegierte wählt, die beauftragt sind, den Standpunkt des Parlamentarischen Rates gegenüber den Herren Militärgouverneuren zu vertreten und die entsprechenden Verhandlungen zu führen. Mehr als sechs Vertreter scheinen mir unzweckmäßig zu sein, da es darauf ankommt, ins Gespräch zu kommen und Verhandlungen zu führen. Eine Massenabordnung erscheint nicht zweckmäßig. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie meinen also eine Kommission von sechs Mitgliedern, neben dem Präsidenten? Dr. Süsterhenn (CDU): Ja. Reimann (KPD): Ich spreche mich gegen diesen Antrag aus, weil er gegenüber dem ersten Antrag nichts Neues beinhaltet. Bei diesen sechs Abgeordneten wird es so sein, daß zwei Vertreter auf die CDU/CSU, zwei Vertreter auf die SPD und die restlichen zwei Vertreter auf die anderen Parteien entfallen.

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Ich möchte in dem Zusammenhang aber noch eine andere Frage aufwerfen. Geht Ihre Begründung, Herr Dr. Süsterhenn, dahin, wie Herr Dr. Adenauer gestern im Ältestenrat gesagt hat, daß, wenn zum Beispiel ich mit nach Frankfurt gehen würde, die Delegation in die Lage gebracht werden würde, daß die Generäle die Akten zusammenpacken und nach 10 Minuten Dauer die Sitzung abbrechen? Dr. Süsterhenn (CDU): Ich glaube, meine Begründung ist so klar, daß sie keiner weiteren Interpretation mehr bedarf. [S. 319] Reimann (KPD): Ich meine, ob die CDU/CSU sich hinter Herrn Dr. Adenauer stellen wird. Dr. Süsterhenn (CDU): Meine Fraktionsfreunde treten hinter die Begründung, die ich gegeben habe. Reimann (KPD): Die Sie gegeben haben? Dr. Süsterhenn (CDU): Ich habe hier nur eine Begründung gegeben. Reimann (KPD): Sie haben keine Begründung gegeben. Sie haben nur einen Antrag gestellt, daß sechs Mitglieder abgeordnet werden sollen. Das ist keine Begründung. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich habe genau das gemeint, was ich gesagt habe. Reimann (KPD): Darüber können die Auffassungen auseinandergehen. Ich möchte nunmehr fragen, wie die sozialdemokratische Fraktion sich dazu stellt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Reimann, Sie haben hier kein Verhör anzustellen! Reimann (KPD): Ich stelle hier kein Verhör an. Wagner (SPD): Ich bitte, über den Antrag Dr. Süsterhenn abzustimmen. Reimann (KPD): Ich möchte bitten, daß die Fraktionen sich dazu jetzt äußern. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es liegen keine Wortmeldungen vor. Ich lasse abstimmen. Es ist der Antrag gestellt, daß die Delegation für Frankfurt aus dem Präsidenten und sechs Mitgliedern des Parlamentarischen Rates bestehen soll. – Der Antrag ist mit 20 gegen 1 Stimme angenommen. Reimann (KPD): Ich stelle vor aller Öffentlichkeit fest, daß diese Delegation auf eine Bitte des Herrn Präsidenten Dr. Adenauer zustande gekommen ist und daß Herr Präsident Dr. Adenauer mir erklärt hat, ich könne an dieser Kommission nicht teilnehmen, weil dann die Militärgouverneure nicht sagen würden, was sie eigentlich sagen möchten. Ich glaube, diese Delegation wird nicht den Interessen des gesamten Volkes dienen; im Gegenteil, durch diese Kommission wird noch mehr Verwirrung in das Volk hineingetragen werden, als jetzt schon besteht. Die Kommunistische Partei ist die einzige, die sich gegen diesen westdeutschen Staat wendet. Es ist nichts weiter als die Unterdrückung einer demokratischen Regel, wenn gerade diese Partei von der Teilnahme an den Besprechungen in Frankfurt ausgeschlossen wird. Ich werde ungeachtet dessen heute noch eine Erklärung an die Presse geben und dabei die Fragen bekanntgeben, die ich als Mitglied dieser Kommission den drei Militärgouverneuren stellen würde. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Es gilt nun, die Personen zu wählen, die der Delegation angehören sollen. Dr. Greve (SPD): Ich stelle den Antrag, in diese Delegation zu wählen die Abgeord-

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neten Dr. Pfeiffer und Dr. Lehr von der CDU/CSU, Dr. Schmid und Dr. Menzel von der SPD, Dr. Höpker Aschoff von der FDP. Ich stelle weiter den Antrag, den Grundsatz von der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau nicht nur zu deklamieren, sondern zu praktizieren und Frau Wessel als Mitglied dieser Delegation zu wählen. Dr. Pfeiffer (CSU): Es war vorgesehen, daß Herr Dr. Seebohm an der Delegation teilnehmen soll. Wir schlagen Herrn Dr. Seebohm vor. Vors. Dr. Schmid (SPD): Vorgeschlagen sind die Herren Dr. Pfeiffer, Dr. Lehr, Dr. Schmid, Dr. Menzel, Dr. Höpker Aschoff. Offen bleibt der sechste Vertreter. Ich lasse zunächst über die Abordnung dieser fünf Mitglieder des Parlamentarischen Rates abstimmen. – 15 Stimmen sind dafür; die Vorschläge sind angenommen. Brockmann (Z): In meiner Abwesenheit ist vereinbart worden, den Herrn Abgeordneten Dr. Seebohm als Vertreter der kleineren Parteien in die Delegation abzuordnen. Ich bin dieser Abmachung beigetreten und möchte auch jetzt an ihr festhalten26). Dr. Greve (SPD): Ich habe bereits erklärt, ich halte es nicht nur für nützlich, sondern für notwendig, den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht nur zu deklamieren, sondern auch zu praktizieren. Die Frau Abgeordnete Wessel hat durch ihre Mitwirkung bei den Beratungen im Hauptausschuß unter Beweis gestellt, daß sie durchaus berufen ist, im Namen der kleineren Parteien so zu handeln, wie es im Interesse aller liegt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag, Herrn Dr. Seebohm als Mitglied der Delegation zu wählen. – Der Vorschlag ist mit 11 gegen 9 Stimmen angenommen. Damit ist Herr Dr. Seebohm gewählt. Die Delegation besteht also aus den Herren Dr. Pfeiffer, Dr. Lehr, Dr. Menzel, Dr. Höpker Aschoff, Dr. Seebohm und Dr. Schmid.

[3. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT II: ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN]

Wir treten nun in die Tagesordnung ein. Heute sollen beraten werden die Art. 21 ff. Wir können dabei wohl nicht gut anders verfahren, als daß wir der Beratung die Vorlage der Beschlüsse des Hauptausschusses in erster Lesung (Umdruck PR. 12.48 – 340)27) zugrunde legen, daß wir aber die Beschlüsse des Allgemeinen Redaktionsausschusses (Umdruck PR. 12.48 – 370)28) daneben legen, die wohl in vielen Fällen an die Stelle der Beschlüsse des Hauptausschusses werden treten können und vielleicht auch müssen.

26)

Vgl. dazu unten S. 824, TOP 4 in dieser Sitzung. Für den Wortlaut der Drucks. Nr. 340 vom 10. Dez. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 3, S. 91–132. 28) Für den Wortlaut der Drucks. Nr. 370 vom 13. Dez. 1948 mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu Art. 1–85 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 4, S. 133–161. 27)

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Siebenundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 15. Dez. 1948 [3.1. ART. 21: STAATSVERSTÄNDNIS]

Ich rufe auf

Art. 21 (1) Deutschland ist eine demokratische und soziale Bundesrepublik. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. (3) Sie wird vom Volk nach diesem Grundgesetz durch Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der vollziehenden Gewalt ausgeübt. Die Regierung ist dem Volke verantwortlich. (4) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, Rechtsprechung und vollziehende Gewalt sind an Gesetz und Recht gebunden. Dr. Seebohm (DP): Ich möchte folgende Formulierung des Abs. 1 vorschlagen (PR. 12.48 – 406)29): Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Ich habe wiederholt betont, daß das Wort „Bundesstaat“ den Gesamtcharakter zum Ausdruck bringt, den die neue Staatsgestaltung haben soll, in Anlehnung an die bestehende Tradition. Dr. Heuss (FDP): Wir müssen den Namen des neuen Staatsgebildes an den Anfang stellen und in Abs. 1 sagen (PR. 12.48 – 381)30): Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Der Begriff „Bundesstaat“ ist staatsrechtlich nicht eindeutig. Die von mir vorgeschlagene Fassung ist etwas prägnanter als die bisherige Fassung. Dr. Lehr (CDU): Wir möchten den Antrag Dr. Seebohm aufnehmen: „Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“. Renner (KPD): Ich bin der Auffassung, daß der Parlamentarische Rat kein Recht hat, dieses [S. 320] Westdeutschland oder Restdeutschland schlechthin als Deutschland zu bezeichnen. Ich möchte mich an dieser Stelle nicht weiter über die rechtlichen und politischen Hintergründe auslassen, die den Parlamentarischen Rat in Funktion gebracht haben, sondern nur zum Ausdruck bringen, daß mit dieser Bildung des westdeutschen Staates zerschlagen wird, was jeder wirklich deutsch fühlende Mensch verlangen muß: daß Deutschland als eine unteilbare und demokratische Republik in seiner Gänze erhalten bleibt. Ich spreche außerdem dem Parlamentarischen Rat bzw. der Mehrheit, die hier herrscht, das Recht ab, eine solche absolut irreführende Bezeichnung in die Verfassung hineinzuarbeiten. Der Staat, den Sie hier bilden, ist kein sozialer Staat, sondern sein Gegenteil. Er ist ein absolut reaktionärer Staat, ein Staat, in dem die Kreise der Reaktion, vertreten durch die Mehrheit dieses Hauses, alle Machtfülle in der Verwaltung und Wirtschaft in der Hand haben oder in die Hand gespielt bekommen. Ich erinnere hier nur an das vor einigen Tagen verkündete Gesetz Nr. 7531). Wenn einmal der Zeit29)

Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 12 der DP-Fraktion zu Art. 21 Abs. 1 und 2 vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 406. 30) Der Antrag auf Drucks. Nr. 381 war vom 15. Dez. 1948. 31) Zum „Gesetz Nr. 75 über die Umgestaltung des deutschen Kohlenbergbaus und der deutschen Eisen- und Stahlindustrie“ für das britische und US-amerikanische Kontroll-

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punkt gekommen ist, eine gesamtdeutsche Republik zu schaffen, so kann meines Erachtens die Formulierung nur lauten: „Deutschland ist eine unteilbare demokratische Republik, die sich auf den deutschen Ländern aufbaut.“ Aus den von mir angeführten Gründen stimme ich gegen die beiden hier eingebrachten Vorschläge. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es liegen zwei Abänderungsvorschläge vor. Am weitesten geht der Antrag Dr. Seebohm, den die Fraktion der CDU/CSU aufgenommen hat: „Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“. Weniger weit geht die Formulierung nach dem Antrag Dr. Heuss. Ich lasse über den Antrag der CDU/CSU, Dr. Seebohm abstimmen. – Der Antrag ist mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Ich stelle nunmehr den Antrag Dr. Heuss zur Abstimmung. – Der Antrag ist mit 11 gegen 1 Stimme bei mehreren Stimmenthaltungen angenommen. Wir kommen zu Abs. 2 von Art. 21. Hierzu liegt ein Abänderungsantrag der CDU/ CSU vor. Er lautet: Das Volk ist der Träger der Staatsgewalt. Ich lasse über den Abänderungsantrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 10 gegen 10 Stimmen, also mit Stimmengleichheit, abgelehnt. Damit ist die Fassung des Hauptausschusses in erster Lesung angenommen. Zu Abs. 3 liegt kein Antrag vor. Zu Abs. 4 schlägt der Allgemeine Redaktionsausschuß folgende Änderung vor: „.. . die Rechtsprechung und die vollziehende Gewalt sind an Gesetz und Recht gebunden“. Ich glaube, dieser Vorschlag stellt eine redaktionelle Verbesserung dar, und wir können sie annehmen. – Ich stelle die einmütige Zustimmung dazu fest. Renner (KPD): Ich bitte, zur Kenntnis zu nehmen und zu protokollieren, daß ich gegen diese Formulierungen nach ihrer sachlichen Seite hin nichts habe. Ich kann aber nicht annehmen und Ihnen nicht konzedieren, daß Sie es mit diesen Deklarationen ernst meinen, und deshalb bin ich gegen diese Formulierungen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse nunmehr über den gesamten Art. 21 abstimmen. – Art. 21 ist mit 19 gegen 1 Stimme bei Stimmenthaltung angenommen.

[3.2. ART. 21a: PARTEIEN]

Wir kommen zu

Art. 21a (1) Die Mitwirkung der Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes und die innere Ordnung der Parteien sind durch Bundesgesetz zu regeln. (2) Die Bildung der Parteien ist frei. (3) Parteien, die darauf ausgehen, die freiheitliche und demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsge-

gebiet vom 10. Nov. 1948, gedruckt in: Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947 bis 1949, Beilage Nr. 1, S. 1–15, vgl. auch unten die 31. Sitzung des HptA am 7. Jan. 1949; Dok. Nr. 31, S. 931.

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richt. Das Antragsrecht und das Verfahren werden durch Bundesgesetz geregelt. (4) Auf andere Vereinigungen finden die Vorschriften über Parteien Anwendung, soweit sie Wahlvorschläge zum Bundestag oder zu Volksvertretungen in den Ländern einreichen oder ein Volksbegehren betreiben. Zu Abs. 1 und 2 liegt ein Antrag der CDU/CSU vor. Er lautet: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Dr. Eberhard (SPD): Ich wollte den gleichen32) Text beantragen, nämlich die Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses. Dabei möchte ich auf folgendes aufmerksam machen. Wir haben in der Fassung des Hauptausschusses erster Lesung die Auflage an den Bundesgesetzgeber, daß die Mitwirkung der Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes und die innere Ordnung der Parteien durch Bundesgesetz zu regeln sind. Das fehlt im Text des Redaktionsausschusses. Dr. Dehler (FDP): Es soll heißen, daß das Nähere das Bundesgesetz regelt. Das kann jedoch im Schlußabsatz generell gesagt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag abstimmen, an Stelle von Abs. 1 und 2 der Fassung des Hauptausschusses Abs. 1 der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu setzen. Der Antrag ist mit 19 Stimmen angenommen. Zu Abs. 3 liegt der Antrag der CDU/CSU vor: Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche und demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Das Nähere regelt das Gesetz. Sollte nicht dieser letzte Satz gestrichen werden, da er als Generalklausel als letzter Absatz eingefügt werden soll? Dr. Lehr (CDU): Ja. Dr. Eberhard (SPD): Ich wollte eine ähnliche Formulierung beantragen. Es handelt sich dabei um eine Kombination der Formulierung des Allgemeinen Redaktionsausschusses mit der ursprünglichen Fassung. Darüber hinaus möchte ich beantragen, hinter „beseitigen“ einzufügen: „oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“. Es kann Fälle geben, in denen eine Partei nicht die freiheitliche und demokratische Grundordnung, sondern den Bestand der Bundesrepublik gefährdet, etwa durch separatistische Tendenzen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den von Herrn Dr. Eberhard vorgeschlagenen Zusatz abstimmen. – Der Zusatzantrag ist mit 18 Stimmen gegen die Stimme des Abgeordneten Renner angenommen. Dann lasse ich über den Abs. 3 in der Fassung des abgeänderten CDU-Antrages abstimmen. – Der Antrag ist mit 19 Stimmen angenommen. Dieser Absatz wird jetzt Abs. 2. Ich rufe nunmehr auf den Abs. 4 in der Fassung des Hauptausschusses. Hierzu liegt der Abänderungsantrag der CDU/CSU vor: 32)

800

Statt „den gleichen“ im stenograph. Wortprot., S. 40b: „einen ähnlichen“.

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Auf andere Vereinigungen finden die Vorschriften über Parteien Anwendung, soweit sie Wahlvorschläge zum Bundestag oder zu Volksvertretungen in den Ländern einreichen oder ein Volksbegehren betreiben. Das ist die Formulierung des Redaktionsausschusses. Herr Dr. Eberhard beantragt, diesen Absatz zu streichen. [S. 321] Dr. Eberhard (SPD): Es ist nicht notwendig, diese Vereinigungen zu nennen; ja, es wäre geradezu ein Anreiz dazu, daß solche Vereinigungen sich bilden. Wenn diese Vereinigungen sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung wenden, verwirken sie nach Art. 20b das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit. Der Fall ist also immer gedeckt, und es entfällt jede Notwendigkeit für diesen Absatz. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, diesen Absatz zu streichen. Ich lasse abstimmen. – Der Antrag auf Streichung des Absatzes ist mit 18 gegen 2 Stimmen angenommen. Es ist nun noch ein weiterer Absatz hinzuzufügen, der Abs. 3 wird. Dr. Dehler (FDP): Er würde lauten: „Das Nähere regeln Gesetze des Bundes.“ Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über diesen Absatz abstimmen. – Die Einfügung dieses Absatzes ist einstimmig angenommen. Dr. Eberhard (SPD): Es wäre richtiger, in Abs. 2 zu sagen: „freiheitliche oder demokratische Grundordnung.“ Dann würde in beiden Fällen, wenn entweder die freiheitliche oder die demokratische Grundordnung angegriffen oder mißbraucht wird, die Konsequenz eintreten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Besteht Einverständnis, daß wir in Art. 21a Abs. 2 trotz der Abstimmung des Wort „oder“ einsetzen? Das ist einstimmig angenommen. Es heißt jetzt: „freiheitliche oder demokratische Grundordnung“. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich habe noch eine Frage zu Abs. 3. Hier ist gesagt: „Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“ Könnte nicht gesagt werden: „ein Gesetz“? Zinn (SPD): Das kann in diesem Fall nicht geschehen, nachdem der Hauptausschuß zwar zunächst so beschlossen, diesen Beschluß nachher aber wieder umgeworfen hat, so daß diese Angelegenheit im Zuständigkeitskatalog nicht geregelt worden ist. Es muß also ausgesprochen werden, ob es sich um ein Landesgesetz oder ein Bundesgesetz handelt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Kollege Zinn hat recht. Wir sind so verfahren. Wir müssen es hier bringen oder es in den Zuständigkeitskatalog setzen und hier wieder wegnehmen. Dr. von Mangoldt (CDU): Es ist eine Frage, ob das eine Anweisung an die Länder ist, die die Gesetzgebung der Länder ausschließt. Zinn (SPD): Es muß bundeseinheitlich gemacht werden, sonst haben wir verschiedenes Recht in den einzelnen Ländern. Vors. Dr. Schmid (SPD): Art. 21b betrifft die Farben des Bundes. Hierüber werden wir in dieser Lesung nicht abstimmen. Ich denke, daß wir uns an den Beschluß halten, den wir in erster Lesung gefaßt haben, nämlich über die Flagge erst in der Schlußabstimmung abzustimmen33).

33)

Vgl. die 22. Sitzung des HptA am 8. Dez. 1948; oben Dok. Nr. 22, S. 672 mit Anm. 72.

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Siebenundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 15. Dez. 1948 [3.3. ART. 22: GELTUNGSGEBIET DES GRUNDGESETZES]

Wir kommen zu Art. 22, der jetzt Art. 138a geworden ist. Er lautet: (1) Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiet der Länder Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. (2) Dieses Grundgesetz kann jederzeit durch Bundesgesetz für jeden anderen Teil Deutschlands in Kraft gesetzt werden. Dr. Eberhard (SPD): Ich beantrage, den Art. 138a, der jetzt an der Spitze der Übergangs- und Schlußbestimmungen eingeordnet ist, wieder nach vorn zu ziehen. Es scheint mir im System richtiger zu sein, hier hintereinander zu regeln: das jetzige Geltungsgebiet des Grundgesetzes und seine Ausdehnung auf andere Teile Deutschlands, dann die Frage Berlin, in Art. 24 Abtretung und Austausch deutschen Staatsgebiets und dann die zwei Artikel zur Frage der Änderung der Ländergrenzen. Der Redaktionsausschuß hat auch diese beiden Artikel nach hinten verwiesen. Ich glaube aber, wir müssen das alles als einen Komplex vorn beisammenlassen. Ich beantrage daher, den Art. 138a wieder als Art. 22 einzusetzen. Dr. Dehler (FDP): Der Redaktionsausschuß hat es für richtig gehalten, alle Bestimmungen, die Übergangscharakter haben, nach hinten zu setzen. Das ist sowohl die Bestimmung über den augenblicklichen Bestand des Bundes wie über die innerhalb dieses Bestandes vorzunehmende Neugliederung der Länder. Sie sollen nicht ständiger Bestandteil sein und bleiben, sondern interimistischen Charakter tragen. Es ist sinnvoll, sie nicht hier aufzuführen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag abstimmen, Art. 138a hierherzusetzen. – Der Antrag ist mit 15 gegen 4 Stimmen angenommen. Renner (KPD): Es ist noch nicht über den Artikel als solchen abgestimmt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie haben recht. Es ist nur beschlossen, diesen Artikel, wenn er beschlossen werden sollte, an dieser Stelle aufzunehmen. Renner (KPD): Der Abs. 1 dieses Artikels wird dem tatsächlichen politischen Tatbestand gerecht, aber der Abs. 2 veranlaßt mich zu folgender Feststellung. Im Hauptausschuß ist vor einigen Tagen die Bemerkung gefallen, daß der Beitritt anderer Länder, anderer Teile Deutschlands eventuell mit Gewalt erzwungen werden solle34). (Widerspruch bei der SPD.) Das ist wörtlich gefallen. Sehen Sie im Stenogramm nach! Diese Bemerkung hat mich damals zu der Frage bewogen, wie man sich diese Gewaltanwendung vorstellt. Ich habe den Zwischenruf gemacht: Wollen Sie die Bundesexekutive in Bewegung setzen? – In der Zwischenzeit hat sich herausgestellt, daß auch die Annahme der Verfassung, wie sie hier ausgearbeitet ist – wenigstens nach der Meinung der zwei großen entscheidenden Parteien – in der Form vor sich gehen soll, daß nur die Abgeordneten der Länderparlamente zu dem Entwurf Stellung nehmen. Es scheint mir daher um so notwendiger, darauf hinzuweisen, daß ich diese 34)

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Vgl. dazu im Gegenteil die Beratung des Art. 9 unter TOP 1.9 in der 17. Sitzung des HptA am 3. Dez. 1948, oben Dok. Nr. 17, S. 526 und 531.

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Art der Annahme der Verfassung verurteile. Ich verwahre mich aber vor allen Dingen dagegen, daß man – wenn schon hier die drei Zonen sich laut Befehl der Gouverneure35) unter diese Verfassung beugen müssen – auch noch den Zusatz einfügt, daß andere Teile Deutschlands dem Bund beitreten können. Wenn das in dieser summarischen Form erklärt wird, ohne daß dabei festgestellt wird, wie der Wille dieser Länder zustande kommen soll, bzw. wie er herbeigeführt werden kann, so ist das eine Fassung, die unter keinen Umständen meine Zustimmung finden kann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 22 abstimmen. – Der Art. 22 ist gegen 1 Stimme angenommen. (Renner [KPD]: Ich stimme gegen Abs. 2.)

[3.4. ART. 23: BERLINER VERTRETER]

Wir kommen zu Art. 23. Dr. Eberhard (SPD): Ich beantrage, die Formulierung einzufügen, die der Grundsatzausschuß in zweiter Lesung gefunden hat: [S. 322] Vertreter Groß-Berlins wirken in den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes mit. Wir haben in Art. 22 von den Gebietsteilen Deutschlands gesprochen, die heute noch nicht im Bundesgebiet sind; ihre künftige Mitwirkung ergibt sich daraus. Wir müssen jetzt schon über die heute mögliche Mitwirkung der Vertreter Groß-Berlins etwas sagen. Das geschieht zwar im einzelnen in den Abschnitten über den Bundestag und den Bundesrat. Es ist aber wünschenswert, das auch an dieser Stelle zusammenfassend zu sagen, und zwar in der vom Grundsatzausschuß formulierten Fassung. Dr. Lehr (CDU): Sollen sie beratende Stimme haben? Vors. Dr. Schmid (SPD): Mit dieser Fassung ist nichts gesagt. Es heißt: sie wirken mit. Durch diesen Ausdruck würde auch eine beratende Stimme gedeckt sein. Renner (KPD): Es ist tatsächlich eine Politik, sich an Problemen vorbeizuwinden, wenn man die Frage offenläßt, ob die Vertreter Berlins eine mitbestimmende oder nur eine beratende Funktion zugebilligt erhalten sollen. Es ist sehr beachtlich, wie von seiten der CDU dieser kleine Vorbehalt, so fasse ich es auf, hier vorgebracht worden ist. Wollen Sie nicht auch die Klärung dieser Frage von dem Ergebnis der morgigen Aussprache mit den Militärgouverneuren abhängig machen? Haben Sie nicht die Meinung, daß Ihnen die Militärgouverneure in dieser Frage einen bestimmten Befehl erteilen werden? Dr. Eberhard (SPD): Die Frage, ob die Vertreter Groß-Berlins beratend oder mitabstimmend beteiligt sind, steht nicht zur Debatte. Hier handelt es sich um die allgemeine Formulierung über die Mitwirkung Berlins, nachdem wir vorher von den anderen Gebieten des Ostens gesprochen haben. Die Entscheidung, ob beratend oder mitabstimmend, wird fallen, wenn wir über die entsprechenden Artikel in den Abschnitten Bundestag und Bundesrat abstimmen. 35)

Die kommunistischen Abg. sprachen statt von Dokument Nr. I der drei „Frankfurter Dokumenten“ (vgl. dazu oben Dok. Nr. 2, S. 8, Anm. 30) von einem „Befehl“ der Alliierten.

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Renner (KPD): Bei dieser Einschränkung stimme ich dagegen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 23 in der von Herrn Dr. Eberhard verlesenen Fassung abstimmen. – Art. 23 ist mit 19 gegen 1 Stimme angenommen.

[3.5. ART. 24: STAATSGEBIET]

Art. 24 (1) Abtretung und Austausch von Teilen deutschen Staatsgebiets sind nur wirksam, wenn die beteiligte Bevölkerung zustimmt. (2) Ihre Vollziehung bedarf eines Gesetzes des Bundes. Der Allgemeine Redaktionsausschuß schlägt eine andere Fassung vor: Abtretung und Austausch von Teilen deutschen Staatsgebiets sind nur wirksam, wenn das beteiligte Land und die beteiligte Bevölkerung zustimmen. Der Allgemeine Redaktionsausschuß empfiehlt, den Abs. 2 zu streichen, weil die Gültigkeit von Staatsverträgen nach Art. 81 bereits eines Bundesgesetzes bedarf. Ich halte das für richtig. Man kann und sollte den Abs. 2 streichen. Dr. Eberhard (SPD): Ich beantrage die Annahme des Abs. 1 in der vom Hauptausschuß beschlossenen Fassung und die Weglassung des Abs. 2 aus den vom Redaktionsausschuß aufgeführten Gründen. Der Redaktionsausschuß möchte hinzufügen, daß das beteiligte Land zustimmen soll. Diese Frage hat den Grundsatzausschuß beschäftigt. Wir haben uns die Situation realistisch vorgestellt und waren einstimmig der Auffassung, nur ein Bundesgesetz vorzusehen. Der Fall, der vor uns stehen könnte, wäre eine Friedensvertragsregelung, die in das Gebiet der auswärtigen Politik, also in die Bundeszuständigkeit fällt. Der Bund könnte die auswärtige Politik, die er für richtig hält, überhaupt nicht führen, wenn ein Landesgesetz notwendig wäre und wenn das Land dagegen entscheiden würde. Darum beantrage ich die Annahme der im Hauptausschuß in erster Lesung beschlossenen Fassung. Dr. Lehr (CDU): Ich möchte namens meiner Freunde bitten, den ersten Absatz wie folgt zu fassen: Abtretung und Austausch von Teilen deutschen Staatsgebiets sind nur wirksam, wenn das beteiligte Land und die beteiligte Bevölkerung zustimmen. Den Abs. 2 bitte ich unverändert zu belassen. Dr. von Mangoldt (CDU): Wir halten es für nötig, daß der Abs. 2 bleibt. Es könnten sich Zweifel ergeben, ob die allgemeinen Bestimmungen für diesen Sonderfall gelten. Renner (KPD): Wenn ich den Sprecher der SPD richtig verstanden habe, dann braucht er also die Möglichkeit der Abtretung deutschen Staatsgebietes im Zuge des Friedensvertrages. Ich weiß nicht: habe ich diese Auffassung richtig mitbekommen oder irre ich mich? Vors. Dr. Schmid (SPD): Vielleicht hat der Sprecher der SPD gedacht, daß einmal Oberschlesien oder Königsberg in Frage stehen können. Es könnte immerhin sein (Zuruf des Abgeordneten Renner [KPD].) – Das ist meine Antwort, die des Vorsitzenden des Hauptausschusses; es ist eigent-

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lich keine Antwort, sondern ein Versuch der Interpretierung dessen, was Herr Eberhard gemeint haben könnte. Es ist der Antrag gestellt, in Abs. 1 vor „die beteiligte Bevölkerung“ die Worte einzufügen: „das beteiligte Land und“. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 12 gegen 8 Stimmen angenommen. Wird der Antrag, den Abs. 2 zu streichen, aufrechterhalten? (Dr. Eberhard [SPD]: Ja.) Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 10 gegen 10 Stimmen abgelehnt. Ich darf mir die Frage erlauben – es ist hier vielleicht nicht der richtige Ort –: Wie soll prozediert werden, wenn ein Land widerspricht und der Bund sich völkerrechtlich verpflichtet hat? Renner (KPD): Wollen wir das nicht den Amerikanern überlassen? Dr. von Mangoldt (CDU): Das gehört in die Übergangsbestimmungen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Vielleicht müssen wir in den Übergangsbestimmungen daran denken.

[3.6. ART. 25 UND 26: NEUGLIEDERUNG DES BUNDESGEBIETS SOWIE ÄNDERUNG DES GEBIETSBESTANDES DER LÄNDER]

Wir kommen zu den Artikeln 25 und 26 betreffend Neugliederung des Bundesgebiets sowie Änderung des Gebietsbestandes der Länder. Nach dem Vorschlag des Redaktionsausschusses soll der Art. 25 hier wegfallen und als Art. 138aa in die Übergangsbestimmungen aufgenommen werden. Dr. Lehr (CDU): Namens meiner Freunde bitte ich, die Art. 25 und 26 für die spätere Beratung zurückzustellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wird sich empfehlen, dem Antrag auf Zurückstellung stattzugeben. Ich nehme allgemeines Einverständnis an.

[3.7. ART. 27: STAATLICHES LEBEN DER LÄNDER]

Wir kommen zu

Art. 27 (1) Die verfassungsmäßige Ordnung der Länder muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den [S. 323] Ländern muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. (2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung.

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(3) Die Übereinstimmung der verfassungsmäßigen Ordnungen der Länder mit den Vorschriften dieses Grundgesetzes wird vom Bund gewährleistet. (4) Der Bund gewährleistet, daß das staatliche Leben der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht. Dr. Lehr (CDU): Ich beantrage für Art. 27 Abs. 1 folgende Fassung: Jedes Land muß sich eine Verfassung geben, die den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Sinne dieses Grundgesetzes entspricht. Sie muß eine Vertretung des Volkes vorsehen, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgeht.36) Vors. Dr. Schmid (SPD): Außerdem liegt der Vorschlag des Redaktionsausschusses vor, der weiter geht als der bisherige Abs. 1 des Hauptausschusses und lautet: Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Es wird also hier das Gebot demokratischer Verfassung und das Gebot von aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangenen Vertretungen nicht bloß für die Länder, sondern auch für die sich innerhalb der Länder befindlichen Gebietskörperschaften aufgestellt. Dr. von Mangoldt (CDU): Zu dem Satz 2, zu dem soeben der Herr Vorsitzende Stellung genommen hat, beantragt meine Fraktion, die Worte „Kreisen und Gemeinden“ zu streichen, und zwar aus folgenden Gründen. Es gibt gerade in SchleswigHolstein – Herr Kollege Katz wird mir das bestätigen – kleine und Kleinstgemeinden, die keine Vertretung wählen. Wir legen hier das Repräsentationsprinzip für alle Gemeinden fest, können es aber nicht durchhalten, weil wir in einer Reihe von Ländern in den Kleinstgemeinden das Prinzip der unmittelbaren Demokratie durchgeführt finden. Wir können die Konsequenzen nach dieser Richtung nicht übersehen. Ich wollte deshalb vorschlagen, hinsichtlich dieser Worte noch weitere Überlegungen anzustellen und eventuell diesen Passus später einzuschalten, wenn die Überlegungen darüber zu Ende geführt sind. Dr. Laforet (CSU): Ich möchte bitten, wenigstens klarzustellen, daß auch Einrichtungen wie unser bayerischer Senat, die zwar auf unmittelbare Wahl zurückgehen, aber zum Teil mittelbar zusammengesetzt sind, gedeckt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Daran ist kein Zweifel. Wir haben darüber in Herrenchiemsee gesprochen und waren uns klar darüber, daß damit nur verlangt ist, daß zum mindesten eine Körperschaft da ist37). Dr. Greve (SPD): Was Herr von Mangoldt gesagt hat, ist insofern nicht ganz zutreffend, als mit Satz 2 der Fassung des Redaktionsausschusses nicht gesagt ist, daß 36)

Das stenograph. Wortprot., S. 50, fügt hier ein: „Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist praktisch nur eine redaktionelle Änderung. (Widerspruch des Abg. Dr. Lehr [CDU].)“ 37) Vgl. dazu die 3. Sitzung des Unterausschusses I Grundsatzfragen auf dem Verfassungskonvent Herrenchiemsee vom 18. Aug. 1948; zitiert in Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 6, S. 210, Anm. 70.

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die Vertretung ein Teil der Vertretung der Kleinstgemeinden sein soll. In diesen Gemeinden, in denen nicht gewählt wird, ist vielmehr die gesamte Einwohnerschaft die Vertretung des Volkes in den Gemeinden. Renner (KPD): Mich interessiert in dem zweiten Satz des ersten Absatzes die Formulierung bezüglich der Wahl. Da heißt es: „die aus gleichen Wahlen hervorgegangen ist“. Wenn wir das in diesem Art. 27 der Verfassung stehenlassen, müssen wir uns darüber klar sein, daß wir mindestens für die Durchführung der ersten Wahlen, die nach dieser Verfassung stattfinden sollen, vom Prinzip der gleichen Wahl abgegangen sind. Wenn man den Grundsatz der gleichen Wahl aufstellt, kann das meines Erachtens nur bedeuten: gleichwertiges Stimmrecht. Man kann damit nur zum Ausdruck bringen, daß das ungleiche Wahlrecht, wie wir es etwa im preußischen Dreiklassenwahlrecht38) gehabt haben, beseitigt werden soll. Wenn man die Formulierung von dem gleichen Wahlrecht gebraucht, muß man auch nachher dafür sorgen, daß jede Stimme gleichwertig in Erscheinung tritt, daß also die Stimme jedes Bürgers denselben Effekt erzielt. Sie werden mir wohl nicht bestreiten können, daß der Wahlmodus, der hier vom Wahlrechtsausschuß ausgearbeitet worden ist, diesen Grundsatz nicht enthält. Dort kommen die abgegebenen Stimmen der Wähler nicht gleichwertig, sondern verschiedenwertig zum Zug. Wenn Sie dann noch bestimmte Vorbehalte aufrechterhalten, wie sie in einigen Ländern bestehen, daß die für eine bestimmte Partei abgegebenen Stimmen nur zum Zuge kommen, falls die Gesamtzahl der für diese Partei abgegebenen Stimmen einen bestimmten Prozentsatz der abgegebenen Stimmen ausmacht, dann haben Sie kein Recht, in die Verfassung den Grundsatz vom gleichen Wahlrecht hineinzubringen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit schon auf die Divergenz Ihres Verfassungsentwurfs und der Praxis Ihres Wahlgesetzes hinweisen. Wenn Sie wirklich das wollen, was Sie hier scheinbar niederlegen, dann muß gleich an dieser Stelle eine Klärung erfolgen, nach welchen Grundsätzen Sie die Wahlen durchführen wollen, ob nach dem Verhältnissystem oder nach einem verklausulierten persönlichen Wahlsystem, bei dessen Anwendung die Stimmen ungleichwertig zum Zuge kommen. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich wollte mich nur zu dem Einwurf äußern, den Herr Dr. Greve gemacht hat. Ich glaube, er sieht die Dinge nicht richtig. Es gibt kleinste Gemeinden, die keine Vertretung wählen, weil es unzweckmäßig ist. Es gibt Gesetze in den Ländern, wonach diese Gemeinden keine Vertretungen wählen sollen. Hier wird aber die Anordnung getroffen, daß Vertretungen gewählt werden müssen. Dr. Eberhard (SPD): Ich erhebe die Formulierung des Redaktionsausschusses zu unserem Antrag, trotz der Bedenken, die von Herrn von Mangoldt noch einmal geäußert worden sind und denen vielleicht später durch irgendeinen Zusatz Rechnung getragen werden kann. Renner (KPD): Meines Erachtens kennt nur das derzeit geltende Verfassungsrecht der britischen Zone den Tatbestand, den Herr von Mangoldt meint. (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Auch Württemberg!) Recht hat Herr Dr. Greve, wenn er sagt, daß jetzt in diesen kleinsten Gemeinden die Gesamtheit der Bürgerschaft die verfassungsrechtliche Stellung innehat, die in den 38)

Zum Dreiklassenwahlrecht vgl. oben Dok. Nr. 11, S. 322, Anm. 23.

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großen Gemeinden der gewählten Körperschaft zukommt. Also bedeutet diese Formulierung keineswegs die Beseitigung der Sonderregelung, die nur den allerkleinsten Gemeinden zugute kommt und über deren innere Berechtigung man streiten kann. Ich kann mir nicht vorstellen, daß in den kleinsten Gemeinden ein Grund gegeben sein sollte, nicht eine Körperschaft zu wählen. Das ist aber unwichtig. Tatsache ist wohl, daß die dort bestehende Regelung nichts anderes ist als ein Ersatz für die gewählte Gemeindevertretung. Die Rechte der Gemeindeversammlung sind identisch mit denen einer gewählten Gemeindevertretung. Das ist ausschlaggebend. [S. 324] Kaufmann (CDU): Wenn Abs. 1 in der Fassung des Redaktionsausschusses angenommen wird, muß in bezug auf die kleinen Gemeinden, um keine Differenzen auftreten zu lassen, eine Ergänzung erfolgen. Tatsächlich wird in den Kleinstgemeinden keine Vertretung gewählt, und es wäre in einer Gemeinde von 60 oder 80 Stimmberechtigten auch sinnlos, eine Vertretung außer dem Bürgermeister zu wählen. In diesen Gemeinden tritt an die Stelle einer Vertretung die Gemeindeversammlung. Ich empfehle die Ergänzung: In Kleinstgemeinden kann die Gemeindeversammlung an die Stelle einer gewählten Körperschaft treten. Damit ist alles erfaßt, und es entspricht den Bestimmungen, die in der Gemeindeordnung schon vorhanden sind. Dr. Laforet (CSU): Ist es überhaupt empfehlenswert, einen solchen Teil des Gemeinderechts hier aufzunehmen? Sie kommen in Schwierigkeiten bei der verschiedenen Regelung des Gemeinderechts. Es ist doch sehr zu überlegen, ob man überhaupt die Kreise und Gemeinden aufnehmen sollte, ob nicht die Folge selbstverständlich ist. Es klingt sehr merkwürdig, wenn solche Einzelregelungen, wie die Rücksichtnahme auf die Kleinstgemeinden, in einer Verfassung festgelegt werden. Es ist am besten, bei der Fassung der ersten Lesung des Hauptausschusses zu bleiben. Dr. von Mangoldt (CDU): Für den Fall, daß der Antrag Kaufmann angenommen wird, ziehe ich meinen Antrag, die Worte „Kreisen und Gemeinden“ zu streichen, zurück. Dr. Laforet (CSU): Ich halte meinen Antrag aufrecht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es sind zwei Abänderungsanträge gestellt. Der eine ist identisch mit dem Vorschlag des Redaktionsausschusses, zu dem ein Ergänzungsantrag Kaufmann gestellt ist und ein Antrag Dr. Laforet auf Streichung der Worte „Kreisen und Gemeinden“. Der andere ist der Antrag der CDU. Am weitesten geht der Antrag auf Zugrundelegung des Vorschlages des Allgemeinen Redaktionsausschusses. Ich lasse über die Abänderungsanträge zu diesem Abänderungsantrag beschließen, und zwar zuerst über den Antrag auf Streichung der Worte „Kreisen und Gemeinden“, so daß es dann heißen würde: „In den Ländern muß das Volk eine Vertretung haben . . .“ – Der Antrag auf Streichung ist mit 12 gegen 6 Stimmen abgelehnt. Ich stelle den Zusatzantrag Kaufmann zur Abstimmung: „In Kleinstgemeinden kann die Gemeindeversammlung an die Stelle einer gewählten Körperschaft treten“. – Der Zusatzantrag Kaufmann ist einstimmig angenommen. Nun lasse ich darüber abstimmen, ob an Stelle des Beschlusses des Hauptaus-

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schusses zu Abs. 1 des Art. 27 die Fassung des Redaktionsausschusses mit der nunmehr beschlossenen Abänderung treten soll. – Die Fassung des Redaktionsausschusses ist mit 14 Stimmen bei Stimmenthaltung des Abgeordneten Dr. Laforet angenommen. Wir kommen zu Abs. 2 von Art. 27. Dr. Eberhard (SPD): Ich erhebe den Abs. 2 der Fassung des Redaktionsausschusses zum Antrag. Dr. Lehr (CDU): Wir bitten, die Fassung des Hauptausschusses beizubehalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die beiden Fassungen unterscheiden sich dadurch, daß in der Fassung des Redaktionsausschusses nicht bloß gesagt ist, daß den Gemeinden das Recht gewährleistet sein muß, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln, sondern es ist in Satz 1 noch hinzugefügt: „und durch eigene der gewählten Vertretung des Volkes verantwortliche Organe auszuführen“. Dr. Lehr (CDU): Das wollte ich gestrichen haben. Dr. Laforet (CSU): Diese Fassung hat wohl den Grundgedanken, daß die Gemeindeverwaltung durch Organe kontrolliert wird, die aus freien Wahlen hervorgegangen sind. Das kommt aber in keiner Weise klar zum Ausdruck. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nicht kontrolliert, sondern daß die Gemeindeverwaltung geführt wird. Dr. Laforet (CSU): Das steht nicht darin. Dieser Satz: „und durch eigene der gewählten Vertretung des Volkes verantwortliche Organe auszuführen“, also die Bestimmung, daß die Ausführung durch Organe erfolgen soll, die der gewählten Vertretung des Volkes verantwortlich sind, ist ein unübersichtlicher Einbruch in die Organisation unseres Gemeinderechts. Ich fürchte, daß dieser Ausdruck große Schwierigkeiten bringen wird; denn es ist nicht klar ersichtlich, um was es sich eigentlich handelt. Es wird gar nichts Besonderes im Interesse der Gemeinden gegeben, und es kommt ein fremder Bestandteil in das hinein, was ursprünglich von unserem Zuständigkeitsausschuß vorgeschlagen war, nämlich eine Gewährleistung der Selbstverwaltung. Es sollte nicht in das Gemeinderecht hineinbefohlen werden, noch dazu mit einer solchen Fassung, deren Tragweite ich nicht übersehen kann. Kaufmann (CDU): Die Fassung, wie sie vom Redaktionsausschuß gebracht worden ist, widerspricht auch dem tatsächlichen Recht. Wir haben zum Beispiel in Württemberg-Baden die Handhabung, daß die Gemeindevertretung die Verwaltung der Gemeinde verantwortlich durchführt und daß die Organe der Gemeinde, das heißt der Bürgermeister und die Beamtenschaft, nur die Gemeinderatsbeschlüsse auszuführen haben. Die Fassung des Redaktionsausschusses würde dieser Tatsache widersprechen, die meines Wissens auch noch in anderen Ländern Geltung hat. Es ist zweifellos richtiger, die alte Fassung zu nehmen, die diese Differenzen nicht aufweist. Zinn (SPD): Der Gedanke ist nicht der, an dieser Stelle irgendwelche Vorschriften darüber aufzunehmen, in welcher Weise die Ausführungsorgane der Gemeinde gewählt werden, sondern es soll lediglich festgelegt werden, daß die Organe, die die Beschlüsse ausführen, der Gemeindevertretung oder dem Volke verantwortlich sind.

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Renner (KPD): Die Differenz in den beiden Formulierungen liegt in folgendem. Wenn wir formulieren, daß die Gemeindevertretung die Verwaltung der Gemeinde führt, dann statuieren wir den verfassungsrechtlichen Grundsatz, daß bei der Gemeindevertretung die Legislative und die Exekutive liegen. In der neuen deutschen Gemeindeordnung der britischen Zone ist diese Regelung enthalten. Dort sind die Verwaltungsorgane nichts anderes als Organe zur Durchführung der Beschlüsse bzw. des Willens der Stadtvertretung. Die Stadtvertretung übt, bei verfassungstreuer Anwendung der neuen deutschen Gemeindeordnung in der britischen Zone, diese Kontrolle der Gemeindeverwaltung durch die sogenannten Ausschüsse der Gemeindevertretung aus. Ich bin der Auffassung, daß wir einer Regelung zustimmen müssen, die diesen Grundsatz verfassungsrechtlich untermauert. Wenn wir schon von der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der kommunalen Selbstverwaltung reden, muß dieser Rechtsgrundsatz in die Verfassung hinein. Die Formulierung: „Organe, die der gewählten Vertretung des Volkes verantwortlich sind“ geht viel weniger weit. Sie ist absolut unklar. Wenn ich einmal die Herren aus der britischen Zone, die hier anwesend sind, daran erinnern darf, welchen systematischen Kampf die Verwaltungsbürokratie bei uns im Lande gegen die [S. 325] Anwendung dieser Bestimmung der neuen deutschen Gemeindeordnung führt, einen Kampf, an dem sich auch führende sozialdemokratische Gemeindebeamte beteiligen, der in den Bestrebungen seinen Ausdruck findet, unseren Oberstadtdirektoren bzw. Oberkreisdirektoren wieder den Titel und die Funktion eines Oberbürgermeisters bzw. Landrats – was heute eine politische Funktion ist zurückzugeben, dann scheint es mir um so notwendiger, daß wir bei der Formulierung sehr große Vorsicht walten lassen. Wer diese Formulierung will, der macht den Bestrebungen der reaktionären Verwaltungsbürokratie die Tür auf und veranlaßt diese Herren Reaktionäre geradezu zu dem Bestreben, die alte rheinische Bürgermeistereiverfassung wieder in Kraft treten zu lassen. Dagegen muß sich jeder fortschrittlich demokratisch gesinnte Mensch wehren. Ich muß mich daher für die klare Formulierung aussprechen, die bei uns Verfassungsrecht ist, nämlich, daß die Gemeindevertretung die Verwaltung der Gemeinde führt. Daß sie sie durch die Gemeindeverwaltung praktizieren läßt, ist eine unumstrittene Angelegenheit; dagegen kann sich niemand aussprechen. Aber es kommt darauf an, klarzustellen, daß die Gemeindeverwaltung kein eigener Körper ist, sondern ein Organ der Stadtvertretung und daß sie in ihrer Amtsführung der dauernden Kontrolle der Stadtvertretung unterstellt ist. Wir haben heute schon bei uns im Land Anzeichen, die es sehr wünschenswert erscheinen lassen, daß wir auf der Einhaltung dieser Bestimmung unserer Gemeindeverfassung bestehenbleiben, die übrigens auch Inhalt der Kommunalverfassung ist, die Herr Dr. Menzel, der der SPD angehört, ausgearbeitet hat. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag Dr. Eberhard abstimmen, in die Fassung des Hauptausschusses nach dem Wort „regeln“ einzufügen: „und durch eigene der gewählten Vertretung des Volkes verantwortliche Organe auszuführen.“ – Der Antrag ist mit 9 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Wir kommen zu Abs. 3 und 4 von Art. 27. Der Redaktionsausschuß schlägt für Abs. 3 vor: Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern und ihre Übereinstimmung mit den Vorschriften dieses Grundgesetzes wird vom Bund gewährleistet.

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Mir scheint das die bessere Lösung zu sein. Der Abs. 4 ist vom Redaktionsausschuß gestrichen. Kaufmann (CDU): Der Absatz sollte lauten: „Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung und das staatliche Leben der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.“ Das ist eine Zusammenziehung von Abs. 3 und 4. Wenn Sie die beiden Absätze nebeneinander lesen, wird der Laie überhaupt kaum einen sachlichen Unterschied finden. Dr. Eberhard (SPD): Ich beantrage, Abs. 4 fallenzulassen und Abs. 3 in der Fassung des Redaktionsausschusses hineinzunehmen. Nachdem wir in Abs. 2 die Kreise und Gemeinden darin haben, hat es keinen Sinn, nur von der Ordnung der Länder zu sprechen, sondern es muß heißen: „in den Ländern“. Das erfaßt dann die Ordnung in den Gemeinden mit. Dr. Laforet (CSU): Was hier beabsichtigt ist, ist eine Bindung der Länder mit ihren Länderverfassungen an das Grundgesetz des Bundes und an die Grundrechte. Dies wird gewährleistet, das allein wird überwacht. Der Vollzug bemißt sich nach den Grundsätzen über die Ausführung der Gesetze. Diese Grundsätze sind abschließend in einem späteren Teil geregelt. Alle Schwierigkeiten erledigen sich, wenn die Absätze 3 und 4 auf die eine klare Linie zusammengezogen werden: Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht. Streitigkeiten fallen unter Art. 128b Ziffer 2. Dr. von Mangoldt (CDU): Die Formulierung des Redaktionsausschusses geht über das hinaus, was in den Absätzen 3 und 4, die der Hauptausschuß in erster Lesung beschlossen hat, bestimmt war. In diesen beiden Absätzen war deutlich gesagt worden, daß der Zweck dieser Bestimmung nur sei, die Übereinstimmung mit den in unserem Grundgesetz getroffenen Vorschriften zu gewährleisten. In der Fassung des Redaktionsausschusses wird generell gesagt, daß die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern vom Bund gewährleistet wird, daß der Bund also auch die Garantie für die Landesverfassungsrechte übernimmt. Das geht weit über das hinaus, was in Abs. 3 und 4 gesagt werden soll. Das wird durch die vorgeschlagene Fassung vermieden. Wir schließen uns in unserem Vorschlage an das an, was der Hauptausschuß in erster Lesung beschlossen hat, und vereinigen die beiden Bestimmungen der Absätze 3 und 4 in der einen Bestimmung des Abs. 3. Dr. Laforet (CSU): Es war niemals daran gedacht, daß etwa die Einhaltung der Länderverfassungen vom Bund gewährleistet wird. Durch diesen Antrag des Redaktionsausschusses ist gegenüber den Beschlüssen des Hauptausschusses in der ersten Lesung ein ganz anderes Element hineingekommen, nämlich eine allgemeine Überwachung der Verfassungstätigkeit in den Ländern durch den Bund. Ich rate dringend davon ab, eine derartige Bestimmung so stehenzulassen. Sie gibt eine Quelle von Schwierigkeiten, deren Tragweite man im Augenblick nicht übersehen kann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich darf darauf hinweisen, daß wir sowohl in Herrenchiemsee, wo diese Fassung gefunden worden ist, als auch im Fachausschuß und – wenn ich mich nicht täusche auch hier einig gewesen sind, daß diese Gewährleistung nicht dasselbe bedeutet wie die Gewährleistung der Schweizer Bundesverfassung für die Verfassung der Kantone, nämlich, daß die Länder ihre Verfassungen

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nicht ohne besondere Zustimmung des Bundes sollten abändern dürfen. Wir sind uns darüber einig gewesen, und ich möchte das ausdrücklich feststellen, daß diese Fassung dies keineswegs bedeuten soll. Es ist also nicht etwa eine Gewährleistung der Verfassung der Schweizer Eidgenossenschaft gemeint, die bedeutet, daß die Kantone ihre Verfassung nicht ohne Zustimmung des Bundes ändern können. Keine der verschiedenen Fassungen, die hier vorgelegt worden sind, will so etwas. Das möchte ich feststellen. Dr. Laforet (CSU): Aber daraus, daß der Abs. 3 nicht auf die Absätze 1 und 2 bezogen wird, die allein vom Bund den Ländern auferlegt werden, kann eine allgemeine Überwachung des verfassungsmäßigen Lebens der Länder abgeleitet werden. Das ist nicht die Absicht gewesen und das kann auch nicht bestimmt sein. Deshalb ist der Zusatz, der die Beschränkung auf die hier vorgesehenen Mindestgarantien enthält, unerläßlich. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nach meinem Dafürhalten geht der Antrag des Allgemeinen Redaktionsausschusses weiter, weil hier von der verfassungsmäßigen Ordnung in den Ländern die Rede ist. Ich lasse über ihn zunächst abstimmen. – Der Antrag ist mit 11 gegen 10 Stimmen abgelehnt. Dann lasse ich über den Abänderungsantrag Dr. Laforet zu Abs. 3 und 4 abstimmen. – Der Antrag Dr. Laforet ist mit 16 Stimmen angenommen. Renner (KPD): Was ist aus Abs. 2 des Art. 27 geworden, der die Selbstverwaltung der Gemeinden betrifft? Darüber ist gar nicht abgestimmt worden. Dann ist in der Verfassung nicht einmal das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden gewährleistet. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Herr Abgeordnete Renner hat recht; ich habe nicht über den ganzen Artikel abstimmen lassen. Ich lasse jetzt über den ganzen Art. 27 in der jetzt beschlossenen Fassung abstimmen. Renner (KPD): Zur Abstimmung! Ich wiederhole meinen Antrag, den ich bei der ersten Lesung [S. 326] gestellt habe39), einen Passus einzufügen, der die Sicherung der Selbstverwaltung nach der finanziellen Seite beinhaltet. Bei der Lage, in der sich heute die Gemeinden durch die Auswirkung der Währungsgesetze40) befinden, scheint mir diese verfassungsrechtliche Sicherung der finanziellen Grundlage der Gemeinden doppelt notwendig zu sein. Die Gemeinden sind heute, was ihre Finanzen angeht, in Westdeutschland allgemein in einer außerordentlich katastrophalen und prekären Situation. Sie geraten in immer größere finanzielle Abhängigkeit von den Ländern bzw. von den zentralen Verwaltungsorganen. Die Tatsache ihrer wachsenden finanziellen Abhängigkeit von den Zentralinstanzen bedingt zwangsläufig ein Anwachsen des Machthungers und des Bestrebens dieser zentralen Stellen, die Aufsicht über die Selbstverwaltung auszubauen. Wenn wir wirklich – und ich befinde mich mit diesem Gedankengang in Übereinstimmung mit dem Deutschen Städtetag – die Selbstverwaltung der Gemeinden garantieren und gegen alle Eventualitäten sichern wollen, muß in die Verfassung der Passus hineingearbeitet werden, daß auch verfassungsrechtlich die finanzielle Grundlage der Selbstverwaltung gewährleistet ist. Wir haben es schon unterlassen, den Begriff der Selbstverwaltung genau zu umreißen; wir haben es vollkommen vermieden, 39) 40)

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Vgl. die 5. Sitzung des HptA am 18. Nov. 1948; Dok. Nr. 5, TOP 1.2, S. 152. Zum Währungsgesetz vom 20. Juni 1948 vgl. oben Dok. Nr. 16, S. 489, Anm. 28.

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uns in der Verfassung über das Problem der staatlichen Auftragsangelegenheiten zu äußern. Vermeiden wir auch noch, die Frage der finanziellen Sicherung der Gemeinden zu klären, dann frage ich mich, was bei einer Verschlimmerung der finanziellen Situation der Gemeinden praktisch noch von der Selbstverwaltung übrigbleibt. Wenig oder gar nichts. Deshalb wiederhole ich den Antrag, den ich bereits im Zuge der ersten Beratung gestellt habe, und bitte, darüber abzustimmen. Dr. Wolff (SPD): So richtig der Gedanke ist, so glaube ich doch nicht, daß hier der richtige Platz ist, diese Frage zu lösen. Wenn Herr Renner bei der Behandlung der Finanzfragen anwesend gewesen wäre, würde er wissen, daß die sozialdemokratische Fraktion sich vorbehalten hat, in zweiter Lesung entsprechende Anträge zu stellen41). Renner (KPD): Ich freue mich, hier zu hören, daß die SPD diesen Gedankengang aufzugreifen bereit ist. Das ist eine offizielle Ankündigung, und ich freue mich, Herr Dr. Wolff, daß Sie als Kommunalbeamter42) die Notwendigkeit der Verankerung dieser Frage in der Verfassung anerkennen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse nunmehr über Art. 27 in der jetzt beschlossenen Fassung abstimmen. – Art. 27 ist angenommen.

[3.8. ART. 27a: STAATSBÜRGERLICHE RECHTE UND PFLICHTEN]

Wir kommen zu

Art. 27a Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen Rechte und Pflichten wie die Angehörigen des Landes selbst. Hierzu liegt ein Antrag Dr. von Mangoldt namens des Grundsatzausschusses vor: (1) Jeder Bundesangehörige hat in jedem Lande die gleichen Rechte und Pflichten wie die Angehörigen des Landes selbst. (2) Niemand darf in mehr als einem Land die staatsbürgerlichen Rechte ausüben und zu den staatsbürgerlichen Pflichten herangezogen werden. Dr. Seebohm (DP): Ich muß mich gegen die Bezeichnung „jeder Bundesangehörige“ verwahren. Es gibt zur Zeit in Deutschland eine Reihe von Menschen, bei denen die Bundesangehörigkeit noch nicht feststeht. Es werden leider weitere kommen, und es wird für sie vor allem in einer Zwischenzeit keine staatsrechtliche Klarheit herrschen. Ich bitte, es bei den Worten „jeder Deutsche“ zu belassen, damit wir nicht doppeltes Recht und damit Schwierigkeiten schaffen. Ich würde mich freuen, wenn Herr von Mangoldt die Bedenken beseitigen kann; aber solange das nicht eindeutig geschehen ist, möchte ich bitten, die bisherige Fassung zu belassen. Dr. von Mangoldt (CDU): Wir haben uns im Grundsatzausschuß über diese Frage unterhalten und sind zu dem Vorschlag gekommen, zu sagen: „jeder Bundesangehörige“, weil wir praktisch den 16 Millionen Deutschen im Osten nicht die glei41)

Vgl. die 14. und 15. Sitzung des HptA am 2. Dez. 1948; oben Dok. Nr. 14, S. 425, und Dok. Nr. 15, S. 449. Auf beiden Sitzungen war Renner nicht anwesend. 42) Wolff war seit 1946 Stadtdirektor in Essen.

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chen Rechte gewährleisten können. Wir tun das aber, wenn wir diesen gesamten Deutschen nach dem Vorschlag Seebohm ohne weiteres die gleichen Rechte gewährleisten. Das widerspricht doch der gegebenen Möglichkeit. In Wirklichkeit denkt kein Mensch daran, den 16 Millionen des Ostens diese gleichen Rechte und Pflichten zu gewährleisten43). Wir haben uns weiter für berechtigt gehalten, trotz der inzwischen im Hauptausschuß stattgefundenen Abstimmung über diesen Artikel den Abs. 2 vorzuschlagen, der vorsieht, daß niemand in mehr als einem Land die staatsbürgerlichen Rechte ausüben darf, daß er also nicht das Wahlrecht in zwei Ländern oder ein Mandat in zwei Ländern haben kann. Es können auch keine Bedenken deshalb entstehen, weil man sagen könnte: Ja, dann kann jemand, wenn er Grundstücke in verschiedenen Ländern hat, auch nicht in diesen verschiedenen Ländern zur Grundsteuer herangezogen werden. Das gleiche gilt für die Gewerbesteuer. Doch, das kann er, aber eben nur dort, wo das Grundstück gelegen ist. Gerade deshalb ist es wesentlich, diesen Grundsatz hier aufzunehmen. Er besagt dann also mit anderen Worten, daß eine Doppelbesteuerung nicht zulässig ist. Dr. Seebohm (DP): Ich muß darauf bestehen, daß in Abs. 1 nicht: „jeder Bundesangehörige“, sondern: „jeder Deutsche“ gesagt wird. Ich halte es für unmöglich, daß man den Menschen, die wider Recht und Gesetz aus dem Osten, aus ihrer Heimat vertrieben worden sind, nicht die gleichen Rechte zugesteht. Ich halte es für nötig, daß das geschieht, und bin überrascht, daß überhaupt die Frage aufgeworfen wird, daß das nicht geschehen sollte. Renner (KPD): Die ganze innere Unwahrhaftigkeit und Irrealität der Formulierung bezüglich der Einladung an die Bewohner der dem Bund zur Zeit noch nicht verfallenen Länder wird offenbar, wenn man den Streit ansieht, der um die Worte „Bundesangehörige“ und „Deutsche“ entsteht. Erlauben Sie mir eine etwas abwegige, aber immerhin sachliche Bemerkung. Zu den Rechten gehört zum Beispiel auch das Recht der Benutzung der öffentlichen Einrichtungen einer Gemeinde. Wenn diese Formulierung beibehalten wird, daß der Bundesangehörige in jedem Land die gleichen Rechte hat, dann wage ich die Behauptung, daß zum Beispiel die Benutzung einer Gemeindebadeanstalt einem Deutschen aus den Ostländern im Augenblick versagt werden kann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Hier sind Sie im Irrtum. Unsere Gemeinden beruhen auf dem Einwohnerprinzip. Jeder Bewohner hat das Recht zur Benutzung der gemeindeeigenen Einrichtungen, sogar der Ausländer hat es. Renner (KPD): Er muß Einwohner sein. Wenn er nur durch die Gemeinde durchreist, muß er Obacht geben, daß er nicht in Zwiespalt mit den Gemeindebestimmungen gerät. Er darf bei der Durchfahrt durch München oder Düsseldorf sich nicht in einer kommunalen Badeanstalt baden. Das ist eine Möglichkeit, die aus dieser unüberlegten Formulierung resultieren kann. Ich will nicht behaupten, daß sie resultieren wird. Dr. von Mangoldt (CDU): Der Ausschuß ist im wesentlichen genau der gleichen Auffassung wie Herr Dr. Seebohm. Das möchte ich ausdrücklich feststellen. Es ist davon gesprochen worden, daß man den Begriff des Bundesangehörigen in den 43)

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Das stenograph. Wortprot., S. 69, fügt hier ein: „Eine ganz unmögliche Angelegenheit.“

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Schlußbestimmungen definieren würde, so daß den Befürchtungen von Herrn Dr. Seebohm Rechnung getragen werden könnte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zunächst über den Antrag abstimmen, in Abs. 1 von Art. 27a die Worte „jeder Deutsche“ durch die Worte „jeder [S. 327] Bundesangehörige“ zu ersetzen. – Der Antrag ist mit 10 gegen 7 Stimmen abgelehnt. Damit ist die Fassung des Hauptausschusses angenommen. Dann lasse ich über Abs. 2 des Antrages Dr. von Mangoldt abstimmen. – Der Abs. 2 des Art. 27a ist in der Fassung des Grundsatzausschusses mit 15 Stimmen angenommen.

[3.9. ART. 27b: BERUFSBEAMTENTUM]

Wir kommen zu

Art. 27 (1) Die dauernde Ausübung hoheitlicher Aufgaben ist in der Regel Berufsbeamten zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis stehen. (2) Den hergebrachten Grundsätzen über die Rechtsstellung der Berufsbeamten ist Rechnung zu tragen. Wagner (SPD): Wir haben uns heute nachmittag im Zuständigkeitsausschuß noch einmal über Art. 27b unterhalten und sind dabei einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, das Sie nun schriftlich vor sich haben (PR. 12.48 – 382)44). Wir schlagen vor, den Art. 27b wie folgt zu fassen: Dauernde Aufgaben in Ausübung öffentlicher Gewalt sind in der Regel Berufsbeamten zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Wir haben von dem Allgemeinen Redaktionsausschuß die Anregung übernommen, vor „Treueverhältnis“ zu setzen: „Dienst- und“, und haben im übrigen eine Formulierung gewählt, die einen grundsätzlichen Unterschied gegenüber der Formulierung des Hauptausschusses wie des Redaktionsausschusses bedeutet. Während Sie von der „dauernden Ausübung“ sprechen, haben wir es für richtiger gehalten, die Dauer der Aufgabe als solche zu betonen. Wir legen den Hauptwert auf das Amt, während die anderen Formulierungen vom Beamten ausgehen, der irgend etwas tut. Wir sind einstimmig zu diesem Ergebnis gekommen, und ich schlage die Annahme dieser Fassung vor. Kaufmann (CDU): Wir haben in der Frage der Stellung der Beamten – aus Gründen, die ich nicht weiter erörtern will außerordentlich wenig getan. Ich sehe nicht ein, warum wir nicht wenigstens Abs. 2 des Art. 27b45) in der Fassung des Hauptausschusses bestehenlassen sollen, der, wenn auch sehr locker gefaßt, doch eine klare Richtlinie gibt: Die Rechtsstellung der Beamten ist in der gleichen Weise wie her-

44)

Für den Wortlaut der Drucks. Nr. 382 vom 15. Dez. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 23, S. 646, Anm. 6a. 45) Statt „Abs. 2 des Art. 27b“ im stenograph. Wortprot., S. 72: „Ziffer 2 des Art. 27“.

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gebracht zu erhalten. Ich bin mit der Änderung von Abs.46) 1 einverstanden, beantrage aber, daß Abs.47) 2 bestehenbleibt. Wagner (SPD): Wir haben uns über diese Frage heute wie auch schon früher gründlich ausgesprochen und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß Abs. 2 nicht erforderlich und zu streichen ist. Dr. Seebohm (DP): Ich bin der Auffassung, daß Abs. 2 erforderlich ist, weil wir sonst keine weitere Bestimmung darüber in das Grundgesetz aufgenommen haben. Andererseits meine ich, daß Abs. 2 zu locker gefaßt ist, und stelle den Antrag, die Worte „ist Rechnung zu tragen“ zu ersetzen durch die Worte: „finden Anwendung“, damit wir eine klare Bestimmung haben. Renner (KPD): Wenn wir in den Artikel gemäß dem anscheinend einstimmigen Vorschlag des Zuständigkeitsausschusses das Wort „Treueverhältnis“ hineinarbeiten, so müssen wir uns klar darüber sein, daß wir es von vornherein ablehnen, den Beamten der öffentlichen Verwaltung das Streikrecht einzuräumen. Um diese Gefahr zu vermeiden und um zu verhüten, daß aus dem Treueverhältnis, das hier hineingearbeitet worden ist, gleichzeitig und bewußt das Streikverbot für die Beamten statuiert wird, beantrage ich Streichung des Wortes „Treueverhältnis“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Zu Abs. 1 ist der Antrag Renner gestellt, das Wort „und Treueverhältnis“ zu streichen. Ich lasse darüber abstimmen. – Der Antrag Renner ist mit allen gegen 1 Stimme abgelehnt. (Renner [KPD]: Also Streikverbot für die Berufsbeamten.) Dann lasse ich abstimmen über die Ersetzung des Abs. 1 durch die Fassung, die der Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung vorschlägt. – Die Fassung des Zuständigkeitsausschusses ist mit 20 Stimmen gegen die Stimme des Abgeordneten Renner angenommen. Nun lasse ich abstimmen über den Antrag, den Abs. 2 zu streichen, den offensichtlich auch der Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung gestrichen haben will. – Der Antrag auf Streichung ist mit 11 gegen 9 Stimmen, bei Stimmenthaltung des Abgeordneten Dr. Laforet abgelehnt. Wir haben noch abzustimmen über den Antrag Dr. Seebohm, der lautet: An Stelle der Worte „ist Rechnung zu tragen“ soll gesetzt werden: „finden Anwendung“. Wagner (SPD): Ich möchte gegen diesen Antrag Stellung nehmen: Es ist bedauerlich, daß Abs. 2 angenommen worden ist, nachdem wir im Ausschuß eine vollständige und einmütige Einigung gehabt haben. Leider ist uns der Hauptausschuß nicht gefolgt. Abs. 2 ist ganz unmöglich und geradezu undiskutierbar, wenn der Antrag Dr. Seebohm in Frage kommen sollte. Was heißt: „den hergebrachten Grundsätzen“? Wenn Sie schon diese Formulierung nehmen, sollten Sie das Wort „hergebrachten“ weglassen. Diese Grundsätze ergeben sich aus der Übung in der Vergangenheit. Wenn man sagt: „den Grundsätzen ist Rechnung zu tragen“, so ist das eine Vorschrift für den künftigen Gesetzgeber. Wenn man aber sagt: „finden Anwendung“, so ist das eine unerhörte Bindung, und Sie legen dem künftigen Gesetzgeber in einer Frage, die durchaus offen ist und gründlich diskutiert werden muß, 46) 47)

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Statt „Abs.“ im stenograph. Wortprot., S. 72: „Ziff.“ Statt „Abs.“ im stenograph. Wortprot., S. 72: „Ziff.“

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Fesseln an, die man ihm nicht anlegen kann. Gerade die Frage der Gestaltung des Berufsbeamtentums in der Zukunft – wir sind in die Materie nicht weiter hineingestiegen, weil wir uns gesagt haben, daß durch die Streichung des Abs. 2 die Diskussion überflüssig sein wird – ist eine sehr umfangreiche Materie, bei der man nicht die alten Wege gehen kann. Wir behalten uns vor, hier Wege zu gehen, die vom alten Trott abweichen. Wir brauchen für den neuen Staat ein neues Beamtentum, wir brauchen für den neuen Staat Diener, für die Grundsätze gelten, die bisher nicht in Geltung waren. Alle diese neuen Gedanken auf dem Gebiete des Beamtenrechts würden Sie mit Ihrem Antrag verriegeln. Aber vielleicht wollen Sie das, weil Sie das Alte konservieren und für den neuen Staat kein neues Beamtenrecht und keine neuen Beamten haben wollen. Insofern ist das für uns interessant. Wir nehmen zu dieser Frage nicht von dem Gesichtspunkt aus Stellung, ob wir diese oder jene Stimme nicht bekommen, wir nehmen dazu nicht Stellung unter dem Gesichtspunkt, ob einige hundert Beamte für oder gegen uns stimmen, sondern wir nehmen zu diesen Fragen Stellung vom höheren Gesamtinteresse, vom Interesse der Demokratie und der Erneuerung der Demokratie aus. Aus diesem Gesichtspunkt ist gegen den Antrag Dr. Seebohm Stellung zu nehmen, und wir bitten, gegen ihn zu stimmen. Kaufmann (CDU): Ich habe das Gefühl, daß Sie den Begriff „konservativ“ im guten Sinn mit reaktionär verwechseln oder mit einer Erhaltung des Alten, gleichgültig ob es gut oder schlecht ist. Trotz dieser Argumentation halte ich meinen ursprünglichen Antrag aufrecht, Abs. 2 in der Fassung des Hauptausschusses beizubehalten. Renner (KPD): Wer diesem Absatz in dieser Form seine Zustimmung gibt – das muß einmal ausgesprochen werden –, der stimmt auch dafür, daß Herr Schacht48) seine Pension wiederbekommt. (Kaufmann [CDU]49): Da sprechen Sie gegen besseres Wissen.) – Nein, ich bin gewohnt, hinter den Busch zu gucken. (Kaufmann [CDU]: Sie wissen genau, daß wir dagegen sind.) [S. 328] – Für mich ist die Frage jedenfalls geklärt, daß Sie mit der Annahme dieser Bestimmung unter anderem auch die Pension Schachts bejahen. Was Herr Dr. Seebohm will, das hat er in seinem Antrag offen zum Ausdruck gebracht. Er hat beantragt, daß auch das Problem der Wehrmachtspensionen durch verfassungsmäßige Untermauerung geregelt werden soll; und darauf läuft sein Zusatzantrag hinaus. In einem Zeitpunkt, in dem die Versorgung der Kriegsbeschädigten und -hinterbliebenen und die Rentenversorgung der Invaliden absolut ungesichert ist, bedeutet eine derartige Formulierung, daß den Beamten – sowohl den pensionierten wie denen, denen heute durch eine Sonderbestimmung der Besatzungsmächte ihre Pensionen versagt werden – dieser Rechtsanspruch gegeben wird. Das wollen Sie

48)

Hjalmar Schacht (1877–1970), 1923–1930 und 1933–1939 Reichsbankpräsident, 1934– 1937 Reichswirtschaftsminister, Angeklagter vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, am 1. Okt. 1946 in allen Anklagepunkten freigesprochen. 49) Statt „Kaufmann (CDU)“ im stenograph. Wortprot., S. 76: „Zuruf von der sozialdemokratischen Fraktion:“.

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und das erreichen Sie, wenn Sie der Formulierung des Antrags Dr. Seebohm zustimmen. Dann noch ein Wort an Herrn Kollegen Wagner. Herr Kollege Wagner, wenn man ein Prinzip vertritt, darf man nicht in einem Punkt die Handhabe dafür geben, daß dieses Prinzip durchlöchert werden kann. Wenn Sie das Berufsbeamtentum, wie Sie es ausdrücklich getan haben, unter dem Gesichtspunkt des Treueverhältnisses betrachten, dann geben Sie den Herren, die sich gegen die Charakterisierung als Reaktionäre gewehrt haben, Wasser auf die Mühle. (Wagner [SPD]: Dieses Wasser treibt Ihre Mühle nicht an.) Erlauben Sie mir, Sie auf diese kleine Unlogik hinzuweisen. Dr. Heuss (FDP): Von uns liegt zu diesem Punkt auch ein Antrag (PR. 12.48 – 381)50) vor. Er lautet: Die hergebrachten Grundsätze über die Rechtsstellung der Berufsbeamten sind für die gesetzliche Regelung maßgebend. Ich halte diese Fassung für besser, weil damit eine gesetzliche Regelung als solche in Aussicht genommen ist, während die Fassung Dr. Seebohm etwas zu unmittelbar erscheint. Wagner (SPD): Ich beantrage, in Abs. 2 das Wort „hergebrachten“ zu streichen. Weiter beantrage ich, nach den Worten „der Berufsbeamten ist“ einzufügen: „nach Möglichkeit“. Dann würde Abs. 2 lauten: Den Grundsätzen über die Rechtsstellung der Berufsbeamten ist nach Möglichkeit Rechnung zu tragen. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf zur Klarstellung darauf hinweisen, daß Abs. 2 natürlich nur im Zusammenhang mit Abs. 1 gesehen werden kann, daß Abs. 2 eine Ergänzung zu Abs. 1 ist, wo es heißt, daß die dauernde Ausübung hoheitlicher Aufgaben in der Regel Berufsbeamten zu übertragen ist. Und dann kommt die Bestimmung: „Den hergebrachten Grundsätzen über die Rechtsstellung der Berufsbeamten ist Rechnung zu tragen.“ So muß der Artikel gesehen werden. So weitgehende Folgerungen, wie sie hier hergeleitet worden sind, können daraus nicht hergeleitet werden. Dr. Seebohm (DP): Herr von Mangoldt hat mir das Wort aus dem Mund genommen; die beiden Fragen gehören zusammen. Es handelt sich nicht darum, für Herrn Schacht eine Lanze zu brechen, sondern darum, ein Recht, das besteht, aufrechtzuerhalten. Ich bin mit der Formulierung einverstanden, die Herr Dr. Heuss vorgeschlagen hat, und ziehe meinen Antrag zugunsten des Antrags Dr. Heuss zurück. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen. Am weitesten geht der Antrag, das Wort „hergebrachten“ zu streichen. – Die Streichung ist mit 12 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Dann ist der Antrag gestellt, nach dem Wort „ist“ einzusetzen: „nach Möglichkeit“. Ich lasse abstimmen. Der Antrag ist mit 12 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Dann lasse ich abstimmen über den Antrag Dr. Heuss, den Herr Dr. Seebohm aufgenommen hat. – Der Antrag Dr. Heuss ist mit 12 gegen 9 Stimmen angenommen. Dann lasse ich über den gesamten Art. 27b der jetzigen Fassung abstimmen. – Der Art. 27b ist mit 11 gegen 9 Stimmen angenommen. 50)

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Der Antrag auf Drucks. Nr. 381 war vom 15. Dez. 1948.

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[3.10. ART. 27c: BEAMTENHAFTUNG]

Wagner (SPD): Der Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung beantragt, als Art. 27c folgende Bestimmung über die Frage der Beamtenhaftung einzufügen (PR. 12.48 – 382)51): Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden. Dr. Laforet (CSU): Ich darf noch – nachdem ich Gelegenheit hatte, auch die Meinung der Herren des Zuständigkeitsausschusses zu hören, die mit meiner Meinung übereinstimmt – eine Antwort an Herrn Kollegen Dr. Greve geben: Auch der Angestellte, der nur Beamter im Sinne der Amtshaftung ist, hat diese Vorzugsstellung. (Dr. Greve [SPD]: Das habe ich nicht bestritten.) Ich konnte Ihnen damals nur meine persönliche Meinung geben. Heute kann ich berichten, daß es die Meinung des Ausschusses ist. (Dr. Greve [SPD]: Das habe ich nicht bestritten.) – Ich habe das nicht behauptet. Ich habe gesagt, daß das schon geltendes Recht ist. Sie waren aber der Meinung, daß es nicht festgelegt sei. Jetzt ist es Rechtens, und die Meinung, die ich damals persönlich vorgetragen habe, ist vom Ausschuß gedeckt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über die Aufnahme eines Art. 27c in der soeben verlesenen Fassung abstimmen. – Der Art. 27c ist mit 20 gegen 1 Stimme angenommen.

[3.11. ART. 29: VÖLKERRECHT]

Art. 29 Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für alle Bewohner des Bundesgebietes. Hier hat der Redaktionsausschuß den Vorschlag gemacht, statt „des Bundesrechts“ zu sagen: „des Bundesverfassungsrechts“. Nach meinem Dafürhalten besteht dieser Abänderungsvorschlag zu Recht, denn auf diese Weise wird es ausgeschlossen, daß durch ein einfaches Gesetz solche Bestimmungen des Völkerrechts außer Kraft gesetzt werden können. Dr. von Mangoldt (CDU): Namens meiner Fraktion habe ich den Antrag gestellt, zu sagen: „Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts.“ Meine Fraktion steht auf dem Standpunkt, daß durch den Vorschlag des Redaktionsausschusses keine Verbesserung herbeigeführt wird. Ich persönlich halte diese Einfügung des Wortes 51)

Der Antrag auf Drucks. Nr. 382 war vom 15. Dez. 1948. Vgl. der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 23, S. 645, Anm. 5a.

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„Bundesverfassungsrecht“ etwas für eine Hypertrophie; denn die verfassungsrechtliche Sicherung liegt schon darin, daß in der Verfassung dieser Satz überhaupt aufgenommen wird. Ich möchte noch ein weiteres Bedenken gegen den Vorschlag des Redaktionsausschusses anführen. Zu unserem Verfassungsrecht gehören im allgemeinen nicht strafrechtliche Vorschriften. Wir haben jedenfalls in unserem Verfassungsrecht bisher keine strafrechtlichen Vorschriften. Im Völkerrecht finden sich heute – und das ist gerade eine neue Entwicklung – strafrechtliche Vorschriften, die wichtig für uns geworden sind und die wir anerkennen. Ich brauche nur hinzuweisen auf die Grundsätze über Verbrechen gegen die Menschlichkeit, über Kriegsverbrechen52) und auf das Gruppenabkommen über den Massenmord53), das gerade jetzt bei den Vereinten Nationen abgeschlossen worden ist. Wir würden in unser Bundesverfassungsrecht, so wie wir es bisher aufgefaßt haben, einen [S. 329] Fremdkörper hineinbringen. Es ist im übrigen aus den angeführten Gründen gar nicht notwendig, das Wort „Bundesverfassungsrecht“ einzufügen, weil die verfassungsrechtliche Sicherung durch die Fassung des Artikels schon ohne weiteres gegeben ist. Ich möchte nun noch weitere Ausführungen über die Fassung „allgemein anerkannte Regeln“ machen, obwohl diese Frage im Hauptausschuß bereits besprochen worden ist. Ich darf der ernsten Besorgnis weiter völkerrechtlicher Kreise Ausdruck geben, die vor den unabsehbaren Folgen warnen, die mit der Einführung der Bestimmung, wie sie hier in Art. 29 in der Fassung der ersten Lesung des Hauptausschusses und des Redaktionsausschusses vorgesehen ist, eintreten werden. Ich habe schon bei der ersten Lesung darauf hingewiesen, daß man im angelsächsischen Recht nicht so weit geht, wie wir hier gehen wollen. Im angelsächsischen Recht – ich habe das noch einmal überprüft – ist eine gewisse Rückentwicklung eingetreten. Im Ausgang des 18. Jahrhunderts waren Vorschriften dieser Art in den berühmten Commentaries Blackstore’s enthalten. In der angelsächsischen Rechtsprechung haben sich diese Sätze aber zurückentwickelt, und zwar aus einer Besorgnis, die ich auch in der ersten Lesung in den Vordergrund gestellt habe. Man hat gesagt: Die Prüfung, ob ein geschriebenes Gesetz des eigenen Landes völkerrechtsgemäß ist, ob es mit einer allgemeinen Regel des Völkerrechts übereinstimmt oder nicht, kann man den Angehörigen des betreffenden Landes nicht anvertrauen. Dafür ist diese Frage viel zu schwierig. Es ist für uns eine bekannte Tatsache, daß sogar eingeweihte Kreise, die in den Völkerrechtssätzen bewandert sind, sich durchaus darüber streiten können, ob bei einem bestimmten Satz eine anerkannte Regel des Völkerrechts vorliegt. Es soll mit der Formulierung „Allgemein anerkannte Regeln des Völkerrechts“ nur das erreicht werden, was in der angelsächsischen Rechtsprechung erreicht worden ist. Ich glaube, hier darauf hinwei52)

Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen sind ein völkerrechtlicher Straftatbestand, der im Londoner Statut vom 8. August 1945 festgelegt wurde. Das Londoner Statut legte Rechtsgrundlagen und Prozessordnung des Internationalen und der amerikanischen Militärgerichtshöfe fest, die für die Nürnberger Prozesse ins Leben gerufen wurden. 53) Am 9. Dez. 1948 verabschiedete die UN-Vollversammlung mit 55 gegen 0 Stimmen die Entschließung der Sechsten Kommission der Vollversammlung über den Massenmord (Genozid). Für Auszüge vgl. Archiv der Gegenwart 1948/49, S. 1728.

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sen zu müssen, daß wir praktisch mit einer derartigen Gestaltung der Sicherung der Herrschaft der allgemeinen völkerrechtlichen Lehren in Deutschland mehr nützen würden als mit einer zu weitgehenden Fassung, weil man dann sagen würde: Hier wird praktisch zu viel versprochen, denn diese Prüfung kann von jedem einzelnen gar nicht vorgenommen werden. Ich glaube, wir sollten zunächst einmal einen ersten wichtigen Schritt bei uns selbst machen und dafür sorgen, daß bei der Auslegung des Satzes „Allgemein anerkannte Regeln“ nicht die gleichen Fehler wie in der Vergangenheit gemacht werden und daß nicht immer nur sogleich gesagt wird: Wir, Deutschland, erkennen den Satz nicht an; deshalb ist es kein allgemein anerkannter Satz. Selbst wenn wir es bei der Formulierung „Allgemeine Regeln“ belassen würden, würde bei der Auslegung durch den Richter die Prüfung sich darauf erstrecken müssen, ob der betreffende Satz nun ein allgemein anerkannter Satz ist, und dabei würde man auch auf das eigene Recht sehen. Man würde also durch die Streichung des alten Wortes der Weimarer Verfassung „anerkannte“ praktisch gar nichts Neues schaffen können54). Man würde andererseits dafür einen Grundsatz aufgeben, der sich in der angelsächsischen Rechtsprechung bewahrt hat. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte nicht alle Ausführungen wiederholen, die ich schon in der ersten Disputation zwischen uns beiden gemacht habe, aber auf eines möchte ich doch hinweisen: Wir brauchen dieses Wort „anerkannte“ überhaupt nicht, und zwar aus den Gründen, die von Herrn von Mangoldt soeben dargelegt wurden. Allgemein anerkannte Regeln des Völkerrechts liegen nur dort vor, wo sie zum mindesten vom allgemeinen Rechtsbewußtsein in den Staaten, die an der Völkerrechtsgemeinschaft teilhaben, anerkannt sind. Also Völkerrecht liegt nur dort vor, wo ein solches Allgemein-anerkannt-sein besteht. Wenn wir noch das Wort „anerkannte“ hinzusetzen, so nähen wir nicht nur doppelt, sondern wir fordern geradezu den Richter auf, noch größere Anforderungen zu stellen, als er sie stellen muß, wenn er Völkerrecht anwenden will. Wir werden zu dieser deplorablen Jurisdiktion kommen, die wir vor 193955) in Deutschland hatten, als die Gerichte dutzendweise sich geweigert haben, ein Urteil auf wirklich schlechthin allgemein anerkannte völkerrechtliche Grundsätze abzustellen, weil sie gesagt haben, es lasse sich nicht nachweisen, ob der behauptete Grundsatz auch wirklich von uns in diesem Augenblick, hic et nunc, anerkannt ist. Das sollte man ein für allemal unmöglich machen, zum mindesten insoweit unmöglich machen, daß der Richter, der so verfahren will, sich nicht auf den Text der Verfassung sollte stützen können, sondern seinen bösen Glauben zugeben muß. Das wäre ein Fortschritt, und deshalb bitte ich, es bei der Fassung des Hauptausschusses zu belassen. Dr. Eberhard (SPD): Und „Bundesrecht“ abzuändern in „Bundesverfassungsrecht“, wie es der Redaktionsausschuß vorgeschlagen hat. Dr. Laforet (CSU): Ich muß mich von meinem Standpunkt ausdrücklich gegen die Argumentation des Redaktionsausschusses hinsichtlich des Wortes „Bundesverfassungsrecht“ wenden. Es kann sich nur um einfache Normen handeln. Die 54)

Vgl. den Wortlaut des Art. 4 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 vgl. oben, Dok. Nr. 5, S. 158, Anm. 27. 55) Am 1. Sept. 1939 begann mit dem Angriff auf Polen der Zweite Weltkrieg.

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Schwierigkeiten sind Gott sei Dank im neuen Gesetz, wenn es so angenommen wird, erheblich geringer. Art. 137 Abs. 2 sieht vor: Ist in einem Rechtsstreit zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist und ob sie unmittelbare Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Art. 29), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Wir werden die Gewährleistung haben, daß ein letztes, fachlich einwandfrei besetztes Gericht über solche, oft außerordentlich schwierigen Streitfragen entscheidet. Renner (KPD): Der Art. 5 des Verfassungsentwurfs des Deutschen Volksrates hat in der Frage, die heute hier zur Entscheidung steht, folgende Formulierung: „Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts binden die Staatsgewalt und jeden Bürger.“ Da steht auch das Wort „anerkannt“, und ich glaube, es hat einen bestimmten Zweck, daß man das Wort hineingebracht hat. (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Vom Osten her hat es eine bestimmte Bedeutung.) – Nein, nicht vom Osten her. (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Lesen Sie das Völkerrechtslehrbuch von Korowin56)!) Im Anschluß an die Nürnberger Urteile ist von deutscher Seite die Frage gestellt worden, ob das Völkerrecht, das dort der Urteilsfällung zugrunde gelegt worden ist, als allgemein anerkanntes Völkerrecht anzusprechen ist. Es gab und gibt in Deutschland weite Kreise, die das verneinen. Hinter der Formulierung „anerkannte“ scheint mir nicht das zu stecken, was hier zum Ausdruck gebracht worden ist, nämlich anerkannt vom deutschen Volk allein, sondern dahinter scheint mir mehr zu stecken: anerkannt, praktiziert und angewendet von den Völkern, die sich ein Völkerrecht gegeben haben oder dabei sind, sich ein solches zu geben. Ich bin der Meinung, daß das Wort „anerkannt“ die Auslegung verdient: praktisch angewendetes, praktiziertes Völkerrecht. Ich wage hier den Hinweis, daß von gewissen Stellen heute behauptet wird, daß zwischen dem Völkerrecht und der Anwendung des Völkerrechts sowohl von seiten des nationalsozialistischen Staates als auch von seiten der Mächte, die die Nürnberger Urteile ausgesprochen haben, während des Krieges eine Differenz bestanden hat, also in einem Zeitpunkt, als die praktische Anwendung des Völkerrechts wohl am dringlichsten nötig gewesen ist. Das steckt meines Erachtens hinter der Formulierung „anerkannte“, nicht mehr und nicht weniger. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist wirklich ein Irrtum. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf mich noch kurz zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Schmid [S. 330] äußern. Ich möchte nur kurz feststellen, daß Herr Kollege Dr. Schmid nicht auf meine Hauptbesorgnis eingegangen ist, nämlich auf die Möglichkeit eines Konflikts mit einem innerstaatlichen Gesetz und auf die Erfahrungen, die in den angelsächsischen Ländern zu der anderen Auslegung geführt haben. Ich möchte ferner darauf hinweisen, daß die Ausführungen im Grunde genommen das bestätigt haben, was ich gesagt habe, daß nämlich die Formulierun56)

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E. A. Korowin/S. B. Krylow u. a.: Völkerrecht. Deutsche Übersetzung von Lothar Schultz. Vorwort von Eberhard Menzel (= Veröffentlichungen des Instituts für internationales Recht an der Universität Kiel, Bd. 43). Hamburg 1960.

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gen „allgemeine Regeln des Völkerrechts“ und „allgemein anerkannte Regeln des Völkerrechts“ gar nicht sehr weit voneinander stehen. Denn Herr Kollege Dr. Schmid hat ausgeführt, daß die „allgemeinen Regeln“ die vom allgemeinen Rechtsstandpunkt gebilligten Regeln sind. Also muß der Richter prüfen, ob vom allgemeinen Rechtsstandpunkt die Regeln gebilligt werden, und er steht vor der gleichen Frage wie bei der Fassung „allgemein anerkannte Regeln“, nur daß bei der Fassung „allgemein anerkannte Regeln“ diese eine Schwierigkeit, nämlich der Konflikt mit einem innerstaatlichen Gesetz, tatsächlich erfaßt ist. Zinn (SPD): Ich kann den Ausführungen von Herrn von Mangoldt nicht ganz beipflichten. Es ist ein sehr wesentlicher Unterschied, ob man nur von allgemein anerkannten Regeln oder von allgemeinen Regeln des Völkerrechts spricht. Die Weimarer Verfassung sprach von allgemein anerkannten Regeln. Wir wollen, soweit die Bindung des Völkerrechts in innerstaatlicher Beziehung in Frage kommt, einen Schritt weiter gehen. Das erreichen wir nur, wenn wir das Wort „anerkannte“ fallenlassen. Denn unter allgemein anerkannten Regeln waren nur solche zu verstehen, die a) von der Allgemeinheit der Völkergemeinschaft und b) vom Reich selbst anerkannt waren. Entgegenstehendes Bundesrecht brach Völkerrecht. Das Völkerrecht hatte keinen Vorrang vor entsprechendem Bundesrecht, und jedes Reichsgesetz konnte nachträglich auch nach zuvor erfolgter Anerkennung eine Regel des Völkerrechts innerstaatlich wieder außer Kraft setzen. Man spricht von allgemeinen Regeln des Völkerrechts, wenn die Allgemeinheit der Völker sie anerkannt hat, auch wenn der Bund selber sie nicht anerkennt. Herr Kollege Dr. Schmid hat in einer früheren Sitzung auf die Erfahrungen bei den Schiedsgerichten hinsichtlich der Haltung Polens hingewiesen. Die Polen haben sich oftmals gegenüber allgemeinen Regeln der Völkerrechts darauf berufen: Wir haben die Regeln nicht anerkannt. Wir wollen erreichen, daß das innerstaatliche Recht an das allgemeine Völkerrecht schon dann gebunden ist, wenn die Allgemeinheit der Völkergemeinschaft sie anerkennt, ohne daß der Bund es getan hat. Dieses Ziel, das der Hauptausschuß gebilligt hat, erreicht man nur dann, wenn man dem Bund nicht die Möglichkeit gibt, durch einfaches Bundesgesetz zu erklären: Diese Regel erkenne ich nicht an. Dann würde sie zunächst gelten, könnte aber jederzeit außer Kraft gesetzt werden. Wenn man das verhüten will, muß man den allgemeinen Regeln des Völkerrechts den Rang des Verfassungsrechts geben. Nur dann erreichen wir den Primat des Völkerrechts. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich muß mich leider noch einmal ganz kurz äußern. Wir stimmen in dem Ziel, das wir erreichen wollen, durchaus mit dem überein, was Herr Zinn sagt. Aber wir sind nicht Ihrer Auffassung, daß man auf dem Weg, der hier vorgeschlagen wird, dieses Ziel tatsächlich erreichen kann. In der Vergangenheit ist doch der Satz „allgemein anerkannte Regeln“ auch dahin ausgelegt worden, daß für alles innerstaatliche Recht grundsätzlich zunächst einmal von seiner Übereinstimmung mit den allgemeinen Regeln des Völkerrechts auszugehen war, daß für den Richter eine Vermutung dafür bestand, daß das innerstaatliche Recht völkerrechtsgemäß ist. Dort aber, wo sich aus einem Gesetz klar ergibt, daß es im Widerspruch zum Völkerrecht steht, wo der Konflikt offen vorliegt, wollen wir die Lösung dieses Konflikts nicht dem Einzelnen überlassen, der diese außerordentlich schwierige Frage nicht übersehen kann. Nur das wollen wir erreichen. Wir

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entscheiden damit nicht über die Frage, was mit einem solchen Satz des innerstaatlichen Rechts, der völkerrechtswidrig ist, zu geschehen hat. Ein solcher Satz bleibt völkerrechtswidrig, und aus dieser Völkerrechtswidrigkeit werden sich innerhalb der Staatengemeinschaft alle die Folgen ergeben, die aus einer völkerrechtswidrigen Haltung fließen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zuerst abstimmen über den Antrag, hinter dem Wort „allgemein“ das Wort „anerkannte“ einzufügen. – Der Antrag ist mit 10 gegen 10 Stimmen abgelehnt. Ich lasse weiter abstimmen über den Antrag, statt „Bundesrecht“ zu setzen: „Bundesverfassungsrecht“. Der Antrag ist mit 12 gegen 9 Stimmen angenommen. Ich schlage vor, jetzt abzubrechen. Vorher möchte Frau Wessel noch eine Erklärung abgeben.

[4. ERKLÄRUNG DER ABG. WESSEL ZUR ABSTIMMUNG ÜBER DIE WAHL DER TEILNEHMER DER BESPRECHUNG MIT DEN MILITÄRGOUVERNEUREN]

Frau Wessel (Z): Es sei mir gestattet, eine kurze Erklärung abzugeben, weil ich sie im Anschluß an die Benennung der Ausschußmitglieder des Parlamentarischen Rates für Frankfurt57) nicht abgeben konnte. Ich möchte feststellen, daß die Stellungnahme des Abgeordneten Brockmann zur Delegierung des Abgeordneten Dr. Seebohm nach Frankfurt auf meinen Wunsch abgegeben worden ist. Es war eine entsprechende Vereinbarung unter den Fraktionen des Parlamentarischen Rates getroffen worden. Aus Gründen der Loyalität sehen wir keine Möglichkeit, von der getroffenen Vereinbarung abzugehen. Ich möchte dies besonders den Antragstellern, Herrn Dr. Greve und seiner Partei gegenüber klarstellen. Sein Antrag war damit begründet, daß der politischen Gleichberechtigung von Mann und Frau und der Wertung der Frauenarbeit Ausdruck gegeben werden sollte. Dieser Antrag zeigt die Anerkennung der Arbeit der Frau im Parlamentarischen Rat. Ich glaube, im Namen der 4 Frauen des Parlamentarischen Rates sprechen zu dürfen, wenn ich sage, daß wir diese Anerkennung freudig festgestellt haben58). Der Hauptausschuß vertagt sich auf Freitag, den 17. Dezember 1948, 11 Uhr. Schluß der Sitzung 18.45 Uhr.

57 58

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Vgl. dazu oben TOP 2, S. 795–797. Das stenograph. Wortprot., S. 91, fügt danach die Wortmeldung ein: „Renner (KPD): Bescheiden sind Sie aber, Frau Wessel!“

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Nr. 28 Achtundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 18. Dezember 1948 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 331–343. PA 2004. Ungez. von Peschel gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 536 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: Adenauer (Präs.), de Chapeaurouge, Kaufmann, Laforet, Lehr, von Mangoldt, Pfeiffer, Süsterhenn SPD: Greve, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wolff, Zimmermann FDP: Heuss, Höpker Aschoff DP: Heile KPD: Renner Zentrum: Wessel Abgeordnete ohne Stimmrecht: Bergsträsser (SPD), Eberhard (SPD), Dehler (FDP), Katz (SPD), Löwenthal (SPD), Reimann (KPD), Schlör (CDU/CSU), Wagner (SPD) Stenographischer Dienst: Peschel Dauer: 10.45–12.45 Uhr und 12.47–12.56 Uhr [1. AUSSCHLUSS DER ÖFFENTLICHKEIT UND VERTRAULICHKEIT DER BERATUNG]

Vors. Dr. Schmid (SPD): In der heutigen Sitzung wird uns Herr Dr. Adenauer als Sprecher der deutschen Delegation bei dem Empfang durch die Militärgouverneure in Frankfurt3) Bericht erstatten. Ich schlage vor, die heutige Sitzung auf die Entgegennahme und die Besprechung des Berichts, den der Herr Präsident uns geben wird, zu beschränken. Es ist zwischen der Delegation und den Militärbefehlshabern vereinbart worden, daß der Inhalt der Besprechungen in einem gemeinsamen Kommuniqué der Öffentlichkeit mitgeteilt werden soll4). Das beinhaltet die Verpflichtung unsererseits, die über das Kommuniqué hinausgehenden Mitteilungen nicht in der allgemeineren Öffentlichkeit zu machen, solange nicht das ganze Besprechungsergebnis auch von der anderen Seite freigegeben ist. Ich schlage Ihnen vor, daß wir diese Sitzung als nichtöffentliche Sitzung abhalten. Ich glaube, es bestehen keine Bedenken dagegen, daß die Herren Abgeordneten, die nicht zum Ausschuß gehören, der Sitzung beiwohnen – ich halte das für selbstverständlich –, weiter die Herren Vertreter der Länderregierungen, denen sowieso die Protokolle der Sitzungen zugehen, und schließlich auch, falls solche anwesend sein sollten, die Vertreter der Militärregierungen; denn diese wissen ja sowieso, was geschehen ist. Es ist kein Widerspruch? 1)

Protokollführer Strätling. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Zu den Besprechungen von Vertretern des Parl. Rates mit den westalliierten MilGouv. in Frankfurt am Main am 16. und 17. Dez. 1948 vgl. die Aufzeichnungen in Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 27 und 29, S. 61–64 und 68–72. 4) Für den Wortlaut des Kommuniques vom 18. Dez. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 29, S. 72. Für den deutschen Wortlaut vgl. unten S. 834 f. 2)

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Reimann (KPD): Doch! Ich verstehe nicht, warum gerade zu diesem Punkt die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird. Wenn eine solche Vereinbarung zwischen der Kommission und den Militärgouverneuren getroffen worden ist, so ist das, glaube ich, von deutscher Seite aus sehr bedauerlich. Wenn aber diese Vereinbarung getroffen ist, daß bis zur Veröffentlichung des Kommuniqués die Öffentlichkeit nicht verständigt werden soll, so bitte ich, diese Ausschußsitzung bis zu dem Zeitpunkt zu vertagen, um dann die Öffentlichkeit darüber zu informieren, was sich in der Kommission abgespielt und was sich bei der Besprechung zwischen den Militärgouverneuren und der Kommission5) ergeben hat. Ich beantrage also, daß diese Hauptausschußsitzung bis 2 Uhr vertagt wird. Wie ich erfahren habe, soll die Veröffentlichung des Kommuniqués um 12 Uhr erfolgen. Die Öffentlichkeit kann dann also dieser Aussprache beiwohnen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, bis 2 Uhr zu vertagen. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit allen Stimmen gegen eine Stimme abgelehnt. (Reimann [KPD]: Die Öffentlichkeit wird doch erfahren, was dort besprochen worden ist!) – Ich halte es durchaus nicht für unwahrscheinlich. Präsident Dr. Adenauer: Ich darf eine Frage stellen: Wie soll ich die Ausführungen des Herrn Reimann verstehen: „Die Öffentlichkeit wird das doch erfahren“? Soll das heißen, daß die Öffentlichkeit es vor 12 Uhr erfahren wird oder nach 12 Uhr? Reimann (KPD): Was ich der Öffentlichkeit zu sagen habe, das werde ich auch vor 12 Uhr sagen. Präsident Dr. Adenauer: Dann bedauere ich, nicht in der Lage zu sein, hier ein Referat zu erstatten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Keine Wortmeldungen mehr? – Herr Präsident, wollen Sie Präsident Dr. Adenauer: Ich bedaure sehr. Wenn Herr Reimann erklärt – und das lag wohl in seinen Worten –, daß er sich an der Vertraulichkeit dieser Sitzung nicht stört, dann bin ich doch nicht in der Lage, hier ein Referat zu erstatten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe ihn nicht so verstanden. Ich habe ihn so verstanden, als ob er sagen wollte, daß er seine Meinung über die Dinge, die geschehen sind, sagen wird. Ich habe ihn nicht so verstanden, als ob er habe sagen wollen, daß er sich an die Vertraulichkeit dieser Sitzung nicht halten wird. Reimann (KPD): Nein; was ich der Öffentlichkeit über den Verhandlungsgang in Frankfurt zu sagen habe, werde ich auch vor 12 Uhr sagen. Präsident Dr. Adenauer: Das ist doch sehr klar, Herr Vorsitzender. Es hat doch keinen Zweck, Herr Reimann, daß wir voreinander Versteck spielen. Reimann (KPD): Nein, nein, Herr Dr. Adenauer, ich glaube, wir beide spielen voreinander nicht Versteck. Mit mir können Sie kein Versteck spielen, wenn Sie auch durch Ihre Fragen und durch das Zustandebringen der ganzen Aussprache usw. mit den anderen Herren Versteck gespielt haben. Präsident Dr. Adenauer: Haben Sie das Wort oder ich? (Reimann [KPD]: Sie haben mich doch angesprochen!) 5)

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Reimann bezeichnet mit Kommission die Delegation der Mitglieder des Parl. Rates für die Besprechung mit den MilGouv. in Frankfurt.

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Dann darf ich, Herr Vorsitzender, an Sie die Frage richten, damit Sie sie an den Herrn Kollegen Reimann weitergeben. Es ist gestern in Frankfurt zwischen den Militärgouverneuren und uns vereinbart worden, daß die Öffentlichkeit durch ein gemeinsam vereinbartes Kommuniqué unterrichtet werden soll. Es ist weiter vereinbart worden, daß dieses Kommuniqué sowohl in Frankfurt wie hier heute um 12 Uhr der Öffentlichkeit übergeben werden soll. Ein Bericht über die vorgestrige und gestrige Verhandlung würde natürlich Einzelheiten enthalten, die nicht in diesem Kommuniqué enthalten sind. Wenn aber zwei Verhandlungspartner wie hier die Militärgouverneure auf der einen Seite und wir auf der anderen Seite vereinbaren, daß ein gemeinsames Kommuniqué an die Öffentlichkeit gegeben werden soll, dann bedeutet das, daß andere Mitteilungen über die Verhandlungen weder von dem einen noch von dem anderen Partner an die Öffentlichkeit gelangen sollen. Daher muß ich an Herrn Kollegen Reimann die präzise Frage richten: Wenn ich jetzt oder einer der anderen Kollegen, die mit in Frankfurt gewesen sind, über die dortigen Einzelheiten berichte, wird das durch ihn an die Öffentlichkeit gelangen oder nicht? Reimann (KPD): Natürlich wird es das. [S. 332] Präsident Dr. Adenauer: Sie haben gehört, Herr Vorsitzender, daß Herr Reimann gesagt hat: „Natürlich wird es das.“ Wenn zwei Verhandlungspartner ein solches Abkommen geschlossen haben und dieses Abkommen nicht gehalten wird, dann ist das natürlich für zukünftige Verhandlungen außerordentlich ungünstig. Daher möchte ich doch bitten, sich darüber schlüssig zu werden – auch Sie, Herr Reimann; Sie haben auch so Grund und Stoff zur Opposition –, ob wir uns nicht dahin verständigen können, daß Sie über diesen Bericht mit Ausnahme des Kommuniqués nichts an die Öffentlichkeit gelangen lassen werden. Reimann (KPD): Ich kann es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, daß ich nicht alles das der Öffentlichkeit sagen werde, was dort besprochen worden ist. Ob dies um 12 Uhr geschieht, das ist eine andere Frage. Aber es ist unmöglich und wird auch für Sie unmöglich sein, für die Zukunft nicht alles das zu sagen, was dort verhandelt worden ist. Es dreht sich also meines Erachtens dann nur noch um die Uhrzeit. Präsident Dr. Adenauer: Herr Reimann, Sie teilen ja auch nicht Ihre gesamten Verhandlungen in Karlshorst6) der Öffentlichkeit mit. (Reimann [KPD]: Es steht nicht Karlshorst, es steht Frankfurt7) in Frage!) – Aber ich darf auch einmal von Karlshorst sprechen. Sie teilen ja auch Ihre Verhandlungen in Karlshorst weder dem Parlamentarischen Rat noch der Öffentlichkeit mit. – Aber ich werde dann natürlich meinen Bericht entsprechend einrichten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich bitte Sie, Ihren Bericht zu erstatten. 6)

Karlshorst ist ein Ortsteil im Berliner Bezirk Lichtenberg, der seit 1945 Hauptquartier der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) war. Karlshorst stand als Synonym für die SMAD. 7) Frankfurt war Sitz des amerikanischen Militärgouverneurs und Oberbefehlshabers der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland.

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Achtundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 18. Dez. 1948 [2. BESPRECHUNGEN MIT DEN MILITÄRGOUVERNEUREN AM 16. UND 17. DEZEMBER 1948] [2.1. BERICHT DES PRÄSIDENTEN ADENAUER]

Präsident Dr. Adenauer: Wie ich höre, ist unter einem Teil von uns über die Vorgeschichte dieser Zusammenkunft eine unrichtige Meinung verbreitet. Sie gestatten mir deswegen, mit folgendem zu beginnen. Am 22. November 1948 haben uns die Verbindungsstäbe ein Memorandum8) überreicht, das eine Reihe von Ausführungen darüber enthält, wie sich die Militärgouverneure den föderalistischen Aufbau des Grundgesetzes denken. Ich habe von der Übergabe dieses Memorandums im Ältestenrat Mitteilung gemacht9). Es ist im Ältestenrat nach einer gewissen Debatte eine Entscheidung dahin gefällt worden, daß man es für richtig hält, mit den Militärgouverneuren über Zweifelsfragen des Grundgesetzes rechtzeitig Fühlung zu nehmen, damit nicht hinterher durch lange Verhandlungen sowohl der Militärgouverneure mit ihren Regierungen wie mit uns nach Abschluß der Beratungen über das Grundgesetz ein längerer Zeitaufenthalt entsteht. Es bestand damals und in den folgenden Tagen noch die Aussicht, daß wir etwa Mitte Dezember das Grundgesetz in zweiter Lesung im Hauptausschuß verabschiedet haben würden, so daß man doch im großen und ganzen dadurch einen Überblick haben würde, wie die Sache nach unserer Auffassung aussehen sollte. Ich bin damals vom Ältestenrat beauftragt worden, den Militärgouverneuren mitzuteilen, daß wir am 14. oder 15. Dezember 1948 so weit sein und dann den Wunsch zu einer vertraulichen Aussprache haben würden10). Herr Kollege Stock hat noch ausgeführt, wenn dann auf Grund dieser vertraulichen Aussprache noch irgendwelche Änderungen, die wir mit unserer Überzeugung vereinbaren könnten, sich als notwendig erweisen würden, so könne man noch eine dritte Lesung im Hauptausschuß anschließen und während dieser dritten Lesung im Hauptausschuß den Beanstandungen Rechnung tragen; das sei besser, als wenn man das bei der Verabschiedung im Plenum tue. Ich habe infolgedessen den Militärgouverneuren geschrieben, daß wir den Wunsch haben, am 14. oder 15. Dezember 1948 mit ihnen zusammenzukommen11). Es ist die Rückantwort gekommen, daß die Militärgouverneure uns am 16. Dezember 1948 zur Verfügung stehen würden12). Ich brauche hier nicht über das Intermezzo 8) 9) 10) 11) 12)

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Zum Memorandum der MilGouv. vom 22. Nov. 1948 vgl. die 7. Sitzung des HptA am 23. Nov. 1948; oben Dok. Nr. 7, S. 206 f., TOP 1. Vgl. die Sitzung des Ältestenrates am 25. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 13, S. 35–38. Vgl. die Sitzung des Ältestenrates am 30. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 15, S. 41. Vgl. das Schreiben von Adenauer an die Militärgouverneure vom 2. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 24, S. 54–56. In seinem Antwortschreiben vom 8. Dez. 1948 betonte der franz. MilGouv. Pierre Koenig ferner: „Nos Officiers de Liaison ont fait parvenir aux trois Governeurs Militaires une lettre par laquelle Parlementaire en vue d’avoir avec eux un antretien confidentiel et sans caractère officiel.“ Für den Wortlaut des Schreiben vgl. die Abschrift in PA 2004/72.

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zu referieren, das von seiten der kommunistischen Fraktion wegen Beteiligung an dieser Delegation eingeleitet worden ist. Das wird Herr Reimann schon erledigen. Ich habe eine Erklärung von ihm zur Hand, die er wahrscheinlich abgeben wird13). Nun höre ich weiter, daß in einem Teil unserer Versammlung die Meinung besteht, daß ich als Leiter dieser Delegation bei der ersten Besprechung, die vorgestern stattgefunden hat, Punkte angeschnitten hätte, die für die anderen Mitglieder der Delegation überraschend gewesen seien. Ich glaube nicht, daß das zutreffend ist. Ich darf Ihnen an Hand von Notizen, die ich mir vorher gemacht hatte, kurz wiederholen, was ich vorgestern dort erklärt habe. Ich habe zunächst namens der deutschen Delegation gedankt, habe weiter hinzugefügt, daß die Besprechungen vertraulich seien, von unserer Seite aus auch als vertraulich betrachtet würden. Ich habe mich zu dieser ausdrücklichen Erklärung genötigt gesehen, weil mir von Frankfurt mitgeteilt worden ist, die Gouverneure seien der Ansicht, daß, weil die Wahl der Delegation öffentlich im Hauptausschuß getätigt worden sei14), die ganze Unterhaltung als eine sehr formelle Angelegenheit betrachtet werde; und das sollte sie ja nicht sein. Ich habe weiter, da wir in der Öffentlichkeit nicht gerade mit Komplimenten überhäuft werden, im Hinblick auf das Tempo unserer Arbeit ausgeführt, daß die Arbeiten sich als schwieriger herausgestellt hätten, als wir das zunächst angenommen hätten. Ich habe weiter gesagt, daß sich insbesondere auch Schwierigkeiten, verschiedene Auffassungen unter uns in einigen Fragen ergeben hätten. Ich habe als solche genannt – ich zitiere aus dem Gedächtnis, es haben aber einige Herren genau mitgeschrieben, und ich könnte eventuell daraus ergänzen – kulturelle Fragen, finanzpolitische Fragen. (Dr. Menzel [SPD]: Länderkammer und Plebiszit!) Als mich Herr Pfeiffer, der neben mir saß, gebeten hat, doch zu sagen, daß die Mitteilungen in dem Memorandum vom 22. November 1948 über die Länderkammer mehrdeutig seien, habe ich den Herren gesagt, es würde von Freunden bei mir der Wunsch geäußert, man möchte hierüber eine exakte Auskunft erteilen. Endlich habe ich gesagt, bei den Verhandlungen zwischen den Militärgouverneuren und den Ministerpräsidenten, als den Ministerpräsidenten eröffnet worden sei, daß nach dem Londoner Abkommen das Grundgesetz durch ein Referendum erledigt werden sollte15), sei von den Ministerpräsidenten vorgeschlagen worden, das Grundgesetz den Landtagen vorzulegen16); die Militärgouverneure hätten damals erklärt, daß sie dann mit ihren Regierungen Fühlung nehmen müßten; es sei wohl nötig, daß über diese Frage auch eine Entscheidung getroffen würde17). 13) 14) 15) 16) 17)

Für den Wortlaut der Erklärung von Reimann vom 16. Dez. 1948 vgl. BA Z 5/ Anhang 6, Bl. 246–248. Vgl. die 27. Sitzung des HptA am 15. Dez. 1948; oben Dok. Nr. 27, TOP 2 und 4, S. 795– 797 bzw. 824. Vgl. Dokument Nr. I der drei Dokumente zur zukünftigen Entwicklung Deutschlands („Frankfurter Dokumente“) vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 8, Anm. 30. Vgl. die Antwortnote der MinPräs. vom 10. Juli 1948 auf die Frankfurter Dokumente vom 1. Juli 1948 an die westalliierten MilGouv.; Der Parl. Rat, Bd. 1, Dok. Nr. 7, S. 144. Vgl. die Besprechung der MinPräs. mit den westalliierten MilGouv. am 20. Juli 1948; Der Parl. Rat. Bd. 1, Dok. Nr. 10, S. 166 und 168.

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Ich habe den Herren weiter gesagt, sie hätten seinerzeit den Ministerpräsidenten erklärt, auf Grund der Bestimmung der Londoner Konferenz „sind die Grundprinzipien des Besatzungsstatuts18) der Versammlung zu geben, die die Verfassung oder das Grundgesetz bearbeitet“; wir hätten bisher nichts über diese Prinzipien des Besatzungsstatuts gehört und wir bäten, uns diese Prinzipien des Besatzungsstatuts mitzuteilen. Die Herren haben uns gebeten, am anderen Tage wiederzukommen, sie würden dann über diesen Punkt Auskunft geben. In der Zwischenzeit, und zwar gestern früh, sind für die sozialdemokratische Fraktion die Herren Schmid und Menzel und für die demokratische Fraktion Herr Höpker Aschoff bei mir gewesen. Die Herren haben mir, wie ich betonen möchte, zu meiner Überraschung mitgeteilt, daß sie den Eindruck gehabt hätten – jedenfalls hätte man den Eindruck gewinnen können –, als wenn der Parlamentarische Rat oder die Delegation, vertreten durch mich – ich drücke es jetzt etwas sehr übertrieben aus – die Gouverneure aufgefordert hätte, eine Entscheidung über unsere Differenzpunkte zu fällen. Ich habe den Herren erklärt, daß mir nichts ferner gelegen habe als das und daß ich aufrichtig über ihre Meinung erstaunt sei, daß ich es sehr bedauerte, daß sie mir nicht sofort in der Konferenz etwas Derartiges gesagt hätten; ich würde dann sofort, falls ich irgendeinen Lapsus begangen hätte, das klargestellt haben. [S. 333] Wir sind dann gestern morgen übereingekommen, daß ich zu Beginn unserer gestrigen Besprechung eine Erklärung abgeben sollte. Ich habe sie meinen Kollegen vorgelesen und sie dann auch gestern abgegeben. Die Erklärung lautet19): Über die gestrige Besprechung ist die folgende Mitteilung der DENA durch Presse und Rundfunk verbreitet worden. Dr. Konrad Adenauer bat die drei Militärgouverneure, ihm über die folgenden drei Punkte Auskunft zu erteilen, erstens über die Zusammensetzung der zweiten Kammer, zweitens, wie sich die Militärgouverneure zu der Frage der Finanzhoheit stellen, und drittens, ob die Verfassung durch ein Plebiszit oder durch die Landtage ratifiziert werden soll. Diese Darstellung ist falsch. Aus ihr ist gefolgert worden, ich hätte Sie – die Militärgouverneure – um Entscheidungen der im Parlamentarischen Rat über gewisse Punkte bestehenden Meinungsverschiedenheiten gebeten. Das ist völlig unrichtig. Weder haben wir Entscheidungen von Ihnen erbeten, noch haben Sie irgendwann die Absicht erkennen lassen, Entscheidungen zu fällen. Es darf nach unserer Auffassung unter keinen Umständen der Eindruck entstehen, als ob der Parlamentarische Rat auf die gesetzgebende Autonomie, die ihm übertragen wurde, verzichten wollte und so die Militärgouverneure noch vor Abschluß der Beratungen in eine Rolle gedrängt würden, die weder ihren Intentionen noch der Auffassung des Parlamentarischen Rates über den Rahmen seines Auftrags entspricht. Mehrere Stellen der Denkschrift, welche 18)

Zum Besatzungsstatut vom 10. April 1949 vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 5, Anm. 15. Vgl. zuletzt oben Dok. Nr. 26, S. 775–780. 19) Für den Wortlaut der Erklärung von Adenauer vom 17. Dez. 1949 vgl. auch Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 29, S. 69, Anm. 7.

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Sie uns durch Ihre Verbindungsstäbe am 22. November haben überreichen lassen, können verschieden ausgelegt werden. Wir haben lediglich um eine genauere Darlegung Ihrer in der Denkschrift niedergelegten Ansicht gebeten. Ich habe diese Erklärung abgegeben. Danach hat der Herr Kollege Schmid in seinem Namen und im Namen des Herrn Menzel eine Erklärung abgegeben, die wohl am besten Herr Schmid – ich habe sie nicht schriftlich hier – verlesen wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe folgende Erklärung verlesen20): Art und Umstände der Erklärung, die der Sprecher der Delegation des Parlamentarischen Rates gestern in diesem Raum vor den Herren Militärgouverneuren abgegeben hat, konnten den Eindruck entstehen lassen, daß diese Erklärungen von sämtlichen Delegierten oder den hier vertretenen Fraktionen des Parlamentarischen Rates vereinbart worden ist. Hierzu habe ich für meinen Kollegen Dr. Menzel und mich festzustellen: Wir haben den Empfang durch die Herren Militärgouverneure als die Gelegenheit betrachtet, Informationen über den Inhalt des Besatzungsstatuts zu erhalten. Darüber hinaus hielten wir uns bereit, für den Fall, daß die Herren Militärgouverneure Auskünfte über die bisherige Arbeit des Parlamentarischen Rates verlangten, die im Hauptausschuß gefaßten Beschlüsse zu erläutern. Präsident Dr. Adenauer: Der Vorsitzende der gestrigen Versammlung der Militärgouverneure, General Koenig21), hat sich damit begnügt, nach diesen Erklärungen zu sagen, daß diese Pressemitteilung tatsächlich falsch gewesen sei22). Er hat uns dann die Antwort der Militärgouverneure verlesen. Ich habe nachher einen der Herren, einen der diplomatischen Berater der Militärgouverneure gebeten, uns wenigstens einen Teil dieser Mitteilungen schriftlich zu geben, und zwar den Teil, der sich über die finanziellen Fragen verbreitete, weil er etwas schwierig zu verstehen war. Es wurde mir aber erwidert, daß sie sich dahin abgesprochen hätten, uns keine schriftliche Mitteilung zu geben. Immerhin ist es zwei Herren von uns doch möglich gewesen, eine genauere Wiedergabe dessen, was von seiten des Generals Koenig gesagt worden ist, zu erhalten, und ich möchte vorschlagen, daß diese beiden Herren – leider ist Herr Pfeiffer nicht hier, Herr Menzel ist aber hier, der ja wohl auch eine genauere Wiedergabe hat – uns nachher genau das sagen, was über die einzelnen Punkte erklärt worden 20)

Für einen leicht abweichenden Wortlaut der Erklärung von Schmid vom 17. Dez. 1949 vgl. auch Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 29, S. 69, Anm. 8. 21) Vorlage in der gesamten stenograph. Mitschrift: „König“ – Pierre Koenig (1898–1970), seit dem Ersten Weltkrieg franz. Soldat, u. a. 1920–1922 in Oberschlesien und 1922– 1923 in den französischen Alpen und 1923–1929 im besetzten Rheinland stationiert, 1930–1940 in Marokko, kämpftte im Frankreichfeldzug 1940 gegen Deutschland, flucht nach England, im Dienste von General de Gaulle, 1945–1949 Oberbefehlshaber der französischen Besatzungstruppen, Chef der französischen Militärverwaltung in Deutschland und Mitglied im alliierten Kontrollrat in Berlin, 1949 Generalinspekteur der französischen Truppen in Nordafrika, 1950–1951 Vizepräsident des Obersten Kriegsrates, 1951–1958 Abgeordneter in der französischen Nationalversammlung, 1954–1955 Verteidigungsminister. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 8, S. XI–XIII. 22) N ach dem amerikanischen Bericht über die Besprechung der deutschen Delegation mit den MilGouv. fügte Pierre Koenig ferner hinzu, daß die Streitigkeiten nach Ansicht der MilGouv. eine innerdeutsche Angelegenheit seien. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 29, S. 69.

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ist, weil es für mich sehr schwer ist, Ihnen das genau wiederzugeben. Es ist viel besser, Sie hören den Wortlaut so, wie er gegeben worden ist. Ich kann nur inhaltlich referieren. Es ist folgendes gesagt worden. Bei der Länderkammer sei es unsere Sache, wie sie ausgestaltet werde; aber die Länderkammer müßte so zusammengesetzt sein, daß sie die Interessen der Länder vertrete und auch vertreten könne. Was die finanzielle Frage angeht, so haben sie meiner Erinnerung nach über die Frage der Finanzverwaltung überhaupt nicht gesprochen; eventuell mag Herr Menzel mich korrigieren. Sie haben sich darauf beschränkt, zu sagen, daß die Länder eigene Finanzquellen haben müßten, um die ihnen übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Zu der Frage des Besatzungsstatuts hatten wir schon vorher gehört23), daß eine Einigung der drei Gouverneure über das Besatzungsstatut bei ihren Beratungen bisher noch nicht möglich gewesen sei. Sie haben uns gebeten, ihnen eine Liste derjenigen Punkte des zukünftigen Besatzungsstatuts zu geben, auf deren Kenntnis wir besonderen Wert legen. Sie haben weiter die Erklärung abgegeben, daß wir in den Besitz des Besatzungsstatuts kommen würden, ehe wir unsere Arbeiten hier abgeschlossen hätten. Von den Militärgouverneuren wurde die Frage an uns gerichtet, ob noch einer der Herren eine Frage zu stellen hätte. Wir haben das verneint. Ich wiederhole nochmals, ich habe jetzt über die Antwort nur auszugsweise berichtet. Da es eventuell auf jedes Wort ankommt, ist es vielleicht doch richtig, wenn Herr Kollege Menzel oder einer der Herren, der mitgeschrieben hat, meine Ausführungen ergänzt. Ich kann nicht stenographieren, habe also auch nicht mitgeschrieben. Ehe ich schließe, möchte ich noch ein Wort sagen. Die ganze Atmosphäre war – das glaube ich in Übereinstimmung mit meinen Kollegen, die dort waren, sagen zu können – durchaus zufriedenstellend. Wir hatten keine Veranlassung, irgendwie uns über unfreundliche Behandlung oder über eine übertriebene Zurückhaltung oder etwas Ähnliches zu beklagen. Über die Ratifizierung haben sie folgendes gesagt. Wenn wir besondere Wünsche wegen der Ratifizierung hätten – ob durch die Landtage oder durch Referendum –, dann sollten wir ihnen diese rechtzeitig mitteilen. Diese Antwort ist insofern von Bedeutung, als diese Frage bisher nur als ein Thema zwischen den Ministerpräsidenten der Länder und den Militärgouverneuren behandelt worden ist und jetzt zum erstenmal auch wir als ein Partner, der dazu seine Wünsche äußern kann, anerkannt worden sind.

[2.2. VERLESEN DER MITSCHRIFT DER ERKLÄRUNG DER MILITÄRGOUVERNEURE VOM 17. DEZ. 1948 IN FRANKFURT AM MAIN]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Es besteht wohl der Wunsch, daß die Mitteilungen der Militärgouverneure noch näher bekanntgegeben werden. Es ist vielleicht am besten, 23)

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Vgl. dazu das Gespräch Adenauers mit dem französischen Verbindungsoffizier Jean Laloy am 15. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Dok. Nr. 26, S. 58 f.

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ich lese es nach meinem Stenogramm vor. Es ist vollständig. Es ist folgendes verlesen worden24): Obwohl der Präsident des Parlamentarischen Rates, Herr Dr. Adenauer, uns gesagt hat, daß er verstehe, daß wir – die Gouverneure – heute noch keinen vollständigen Text des Besatzungsstatuts übergeben könnten, weil dieses Statut noch verhandelt werde, hat er uns gestern mitgeteilt, daß der Parlamentarische Rat sehr besorgt sei, den Inhalt des Besatzungsstatuts zu erfahren. Er hat uns daran erinnert, daß in einem Schreiben vom 17. 7. die Ministerpräsidenten durch uns unterrichtet worden sind, daß die Hauptgrundsätze des Besatzungsstatuts der Versammlung, die das Grundgesetz zu beraten haben werde, mitgeteilt werden sollten25). Auf Grund dieser Mitteilung haben die Mitglieder des Parlamentarischen Rates den brennenden Wunsch, so schnell als möglich über die Grundlinien dieses Dokuments unterrichtet zu werden. Wir sind nicht in der Lage, [S. 334] Ihnen heute den Text mitzuteilen, weil er noch einer Prüfung durch unsere Regierungen unterzogen werden soll und weil es sein kann, daß im Anschluß an diese Prüfung der Text Veränderungen erfahren könnte. Nachdem wir Ihr Anliegen von gestern geprüft haben, haben wir festgestellt, daß es unter diesen Umständen schwer ist, nutzbringende Mitteilungen zu machen, solange wir nicht in der Lage sind, einen vollständigen Text zu übergeben. Es könnten sich sonst Mißverständnisse einstellen. Darum bitten wir, uns sobald als möglich ein Verzeichnis der Punkte mitzuteilen, die den raschen Fortgang Ihrer Arbeiten hemmen. Sobald wir im Besitz dieser Liste sein werden, werden wir sie prüfen, und wir werden Ihnen den Text unserer Antwort in endgültiger Fassung in der bestmöglichen Zeit übergeben. Sie haben uns mitgeteilt, wie lange Sie zu brauchen glauben, um das Grundgesetz fertigzustellen. Wir hoffen, daß es uns möglich sein wird, Ihnen den vollen und endgültigen Text des Statuts im Laufe dieser Zeitspanne zu übergeben. Sie haben uns auch eine Frage gestellt, auf welche Art und Weise das Grundgesetz zur Annahme gebracht werden soll, ob durch Volksabstimmung in jedem Land oder durch Ratifikation in den Landtagen. Der Text des Grundgesetzes, wie er in erster Lesung durch den Hauptausschuß angenommen worden ist, enthält in Art. 148e die Bestimmung, daß dieses Gesetz durch Volksabstimmung in den Ländern angenommen werden soll. Diese Lösung entspricht den Empfehlungen der Londoner Vereinbarungen, wie sie in Dokument Nr. 1 übermittelt worden sind. Wenn sich Änderungen Ihrer jetzigen Intentionen ergeben sollten, würden wir uns veranlaßt sehen, diese Änderungen einer Prüfung zu unterziehen. Was die Finanzgewalt betrifft, so haben wir mit lebendigstem Interesse die Artikel Ihres Grundgesetzes geprüft, die sich damit befassen. Wir bemerken, daß 24)

Vgl. die amerikanische Mitschrift der Besprechungen von Vertretern des Parl. Rates mit den MilGouv. in Frankfurt am Main am 17. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 29, S. 70 f. 25) Für den Wortlaut des Schreibens der MilGouv. vom 19.[!] Juli 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 1, Dok. Nr. 10, S. 164–166.

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die Bundesregierung sich das Recht vorbehält, die ausschließliche Gesetzgebung über die Zölle und Finanzmonopole auszuüben und die Vorranggesetzgebung über die sehr wichtigen folgenden Steuern: indirekte Steuern, Umsatzsteuer, Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Vermögensteuer und Erbschaftsteuer. Nur wenig wichtige Steuerarten wie die Kraftfahrzeugsteuer und die Getränkesteuer verbleiben ausschließlich den Ländern. Infolgedessen entbehren die Länderregierungen und lokalen Verwaltungen – Selbstverwaltungen ist wohl gemeint – jeder angemessenen und autonomen Einkommensquelle, die es ihnen ermöglichen würde, ihre Aufgaben zu erfüllen. Darüber hinaus wollen wir Ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, daß diese Bestimmungen mit unserem Memorandum im Widerspruch stehen. Danach soll die Bundesregierung Steuern nur in dem Umfang erheben und über ihre Erträgnisse verfügen, als sie sie für ihre eigenen Bedürfnisse braucht. Obwohl die Bundesregierung Gesetze erlassen kann über die allgemeinen Grundsätze betreffend die Festsetzung der Steuerveranlagung, für welche die Einheitlichkeit unerläßlich ist, muß doch die Einziehung dieser Steuern sowie die Verwendung ihrer Erträge den einzelnen Ländern überlassen werden. Wir bitten Sie, sich im Laufe Ihrer Beratungen immer vor Augen zu halten, daß die Verteilung der finanziellen Befugnisse eine der schwierigsten Seiten eines gesunden föderalistischen Organismus darstellt. Was die Länderkammer betrifft, so glauben wir, daß die Frage der Zusammensetzung und der Zuständigkeiten des Oberhauses etwas ist, über das zu diskutieren eigentlich Ihnen zusteht. Was wir Ihnen heute sagen können, ist, daß eine Kammer die einzelnen Staaten wird vertreten müssen und daß diese Kammer über genügend Befugnisse verfügen muß, um die Interessen dieser Länder zu wahren. Insoweit konstatieren wir mit Genugtuung, daß der Parlamentarische Rat den richtigen Weg eingeschlagen zu haben scheint, und wir hoffen, daß er auf diesem Wege bleiben wird. Sie haben uns über das Grundgesetz zwei bestimmte Fragen gestellt, die eben beantwortet worden sind, und wir haben Ihnen auch eine Antwort auf die Frage gegeben, wie die Ratifizierung erfolgen kann. Es gibt natürlich noch andere Fragen, Polizei, élection de fonctionnaires – das habe ich mit passives Wahlrecht der Beamten übersetzt –, über die noch einiges zu sagen wäre. Einige Bestimmungen Ihres Grundgesetzes stehen in formellem Widerspruch zu Punkten des Memorandums, das Ihnen unsere Verbindungsbeamten übergeben haben. Diese letzteren, denen wir entsprechende Instruktionen erteilt haben, sind in der Lage, Ihnen die erforderlichen Auskünfte zu geben. Zum Schluß möchte ich Ihnen sagen, daß wir mit lebhafter Genugtuung vermerkt haben, daß Sie Ihr Werk so schnell als möglich zu Ende zu bringen wünschen, und wir danken Ihnen, daß Sie uns diese Mitteilung gemacht haben. Präsident Dr. Adenauer: Dann darf ich Ihnen noch das Pressekommuniqué verlesen, das vereinbart worden ist und das um 12 Uhr der Öffentlichkeit übergeben werden wird26): 26)

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Vgl. auch oben S. 825, Anm. 4.

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Im Verlauf der Besprechungen, die am 16. und 17. Dezember in Frankfurt zwischen den drei Militärgouverneuren und einer Delegation des Parlamentarischen Rates stattgefunden haben und in denen es zu einem ergebnisvollen Meinungsaustausch gekommen ist, haben die Militärgouverneure der Delegation des Parlamentarischen Rates mitgeteilt, daß es ihnen schwierig wäre, schon jetzt Angaben über das Besatzungsstatut zu machen, da dieses noch nicht ihren Regierungen zur Prüfung unterbreitet worden sei. Nichtsdestoweniger haben sie die Absicht, sobald als möglich und in angemessener Zeit den Text des Statuts dem Parlamentarischen Rat mitzuteilen. Überdies haben die Militärgouverneure der Delegation des Parlamentarischen Rates Hinweise gegeben, die dazu dienen können, gewisse Punkte näher zu erläutern, die vor einiger Zeit durch Vermittlung der Verbindungsoffiziere bekanntgegeben wurden.

[2.3. AUSSPRACHE ÜBER DIE BERICHTE]

Stock (SPD): Der Herr Präsident Dr. Adenauer hat meine Ausführungen im Ältestenrat zitiert. Darauf habe ich etwas zu sagen. Ich habe im Ältestenrat ausgeführt, daß nach Erledigung der zweiten Lesung des Grundgesetzes den Militärgouverneuren der Text übergeben werden solle; wenn dann Abänderungen vorgenommen würden, dann halte ich es für gut, daß eine dritte Lesung stattfindet. Niemals konnten aber meine Ausführungen im Ältestenrat dahingehend verstanden werden, daß die Militärgouverneure als Schiedsrichter in den bei uns strittigen Fragen fungieren sollten. Auch ist bei der Besprechung, die am Dienstag27) stattgefunden hat, überhaupt nicht vorher über das Grundgesetz gesprochen worden, sondern es sollte einzig und allein über das Besatzungsstatut beraten werden. Ich glaube also, daß meine Ausführungen im Ältestenrat dem Herrn Präsidenten Dr. Adenauer keine Veranlassung dazu gegeben haben können, daß er bei der Besprechung mit den Militärgouverneuren anders gehandelt hat, als ursprünglich wohl der ganze Parlamentarische Rat geglaubt hat, daß dort verhandelt wird. Präsident Dr. Adenauer: Ich habe natürlich nie daran gedacht, Herr Stock, und habe das, glaube ich, auch nicht gesagt, daß Sie erklärt hätten, die Gouverneure sollten über die zwischen uns strittigen Fragen als Schiedsrichter angerufen werden. Kein Mensch von uns hat etwas Derartiges gesagt, noch etwas Derartiges gedacht. Aber ich möchte hier doch betonen, daß ich die Fragen, die ich eben genannt habe, im Kreise der Delegation vorher mitgeteilt habe, daß ich dabei auch noch gesagt habe, wir müßten jetzt auch einmal die Frage Berlin [S. 335] anschneiden. Als wir in Frankfurt dann vor der ersten Besprechung zusammenkamen – weil bei meinem Auto ein Federbruch eingetreten war, kam ich etwas später28) –, hat Herr Kollege Menzel, als ich noch einmal von Berlin sprach, gesagt: Nein, es wäre wohl richtig, diese Frage jetzt nicht anzuschneiden, weil sich die Lage in Ber27)

Zur Ältestenratssitzung am Dienstag, den 14. Dez. 1948 vgl. Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 19, S. 50–52 28) Zur Vorbesprechung am 16. Dez. 1948 vgl. Der Parl. Rat. Bd. 8, Dok. Nr. 28, S. 65–67.

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lin von Monat zu Monat oder im Laufe des Januar oder Februar verändern könnte. Infolgedessen habe ich selbstverständlich auch nichts von Berlin gesagt. Daß ich die Punkte, die ich angeschnitten habe, vorher ausdrücklich erwähnt habe, hat mir gestern abend noch Herr Dr. Seebohm aus sich heraus bestätigt. Herr Dr. Seebohm hat mir gestern abend in Frankfurt gesagt, er habe, nachdem gestern morgen diese Besprechung stattgefunden habe29), seine Notizen nachgesehen und habe in diesen Notizen festgestellt, daß ich ausdrücklich erklärt hätte, es würde sich empfehlen, über die beiden von mir eben angeregten Punkte zu sprechen. Ich habe nichts von der Auslegung der Bestimmung über die Länderkammer gesagt, weil mir erst in dieser ersten Besprechung bei den Gouverneuren der Herr Kollege Pfeiffer die Bitte vorgebracht hat, ich möchte doch danach fragen. Reimann (KPD): Zunächst zu dem Zustandekommen dieser Kommission. Ich muß sagen, ich habe heute ein wenig mit Befremden die Erklärung der sozialdemokratischen Fraktion gelesen, in der festgestellt wird: die sozialdemokratische Fraktion ist nicht informiert gewesen, daß Dr. Adenauer diese Besprechung eingeleitet hat. Ich stelle hier ausdrücklich fest, daß ich bei der Behandlung des Punktes, als wir die Teilnahme an dieser Kommission beantragt haben, im Ältestenrat wie auch im Hauptausschuß gesagt habe, daß diese Beratung durch die Initiative des Herrn Dr. Adenauer zustande gekommen ist. Es hat sich weder von der sozialdemokratischen Fraktion noch von einer anderen Fraktion hiergegen ein Einwand bemerkbar gemacht. Also ich glaube schon, daß durch meinen Ausspruch im Ältestenrat die Dinge hätten geklärt werden müssen. Ich weiß, daß Dr. Adenauer diese Aussprache eingeleitet hat und daß auch die sozialdemokratische Fraktion und die anderen Fraktionen hierüber informiert sein mußten. Eine andere Frage sind die Ausführungen, die Dr. Adenauer dann dort gemacht hat. Hier muß ich sagen, Herr Dr. Adenauer, in keiner Ältestenratssitzung haben Sie auch nur mit einem einzigen Wort erwähnt, welche Fragen Sie den Gouverneuren vorlegen wollten; das stimmt nicht30). Ich habe auch gehört – ich weiß nicht, ob das stimmt, Herr Vorsitzender –, daß Herr Dr. Adenauer vor der Besprechung Sie und auch einige andere Herren über die Fragen, die er stellen wollte, informiert hat. Wenn es so wäre, dann hätte man ja auch keinen Grund, gegen die Fragen an sich vorzugehen; das müßte eigentlich noch geklärt werden. Wenn ich in dieser Kommission gewesen wäre, Herr Dr. Adenauer, dann hätte ich mich sofort, als Sie diese drei Fragen stellten, zu Wort gemeldet. Ich glaube, der Fehler liegt bei den Mitgliedern der Kommission, darin, daß sie nicht sofort, als Herr Dr. Adenauer diese drei Fragen stellte, aufgestanden sind und gesagt haben: Das stimmt nicht, das haben wir nicht untereinander vereinbart. Es berührt mich überhaupt eigentümlich, daß eine Kommission zu den Militärgouverneuren geht, ohne daß sie sich vorher zusammensetzt und einen eigenen Standpunkt herausar-

29)

Vgl. die Ältestenratssitzung am 17. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 21, S. 57–59. 30) Im stenograph. Wortprot., S. 21, folgt danach der Zwischenruf: „(Dr. Menzel [SPD]: Das ist der entscheidende Punkt!)“

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beitet und dann gemeinsam Fragen stellt, wobei man noch offenlassen konnte, daß jede Fraktion von sich aus noch besondere Fragen stellt. So glaube ich, daß die ganze Aussprache sozusagen wie das Hornberger Schießen verlaufen ist, für die deutsche Öffentlichkeit jedoch gerade durch die Fragestellung von Dr. Adenauer einen unerhört außenpolitischen Charakter bekommen hat. Denn, Herr Dr. Adenauer, Ihre Fragestellungen trafen gerade die schwarzen Punkte in der außenpolitischen Konzeption der drei westlichen Besatzungsmächte, und es geht aus Ihren Fragen ganz klar und eindeutig hervor, daß Sie einer bestimmten Partei, einer bestimmten Strömung in Frankreich das Mittel in die Hand gegeben haben. Sie haben sich durch diese drei Fragen ganz geschickt in diesen Spalt eingeklemmt, und das Traurige ist, daß die gesamte Kommission bei diesen drei Fragen jetzt in das Schlepptau Ihrer Politik hineingeraten ist. Ich glaube, daß dieses Problem in der Zukunft für die deutsche Bevölkerung einmal von sehr entscheidender Bedeutung sein wird. Herr Dr. Adenauer, Ihre Konzeption im Aufbau dieses westdeutschen Staates reicht ja nicht in das Jahr 1945 hinein. Die Dinge haben ja schon früher einmal eine sehr große Rolle gespielt, und ich kann Ihnen nur sagen, daß die Auseinandersetzung zwischen Ihrer Konzeption und uns im Wahlkampf noch kommen wird. (Präsident Dr. Adenauer [CDU]: Mit Vergnügen, Herr Reimann!) Ich glaube, daß wir dazu noch allerhand zu sagen haben werden; denn Sie dürfen nicht die Situation 1948 mit einer Situation 1919, 1920 oder 1923 verwechseln31). Es ist nur bedauerlich, daß die Kommission in Frankfurt/Main nicht aufgetreten ist, um diese Konzeption zu zerschlagen. Es darf mir keiner einreden, Herr Dr. Menzel, daß nicht auch Sie diese Konzeption eines Dr. Adenauer gekannt haben, zumal nicht, wenn ich weiß, daß Herr Löbe, der der sozialdemokratischen Fraktion angehört, und einige ältere Kollegen der Sozialdemokratischen Partei die Vergangenheit und gerade die damalige Situation heute noch ganz genau kennen müßten. Ich glaube, es wäre Recht und Pflicht gewesen, hier einzuhaken; dann hätten sie diese Konzeption mit zerschlagen helfen. Es genügt nicht, daß man darüber einmal in der SOPADE32) etwas schreibt usw., sondern man muß diese Konzeption zerschlagen. Und das kann man an Ort und Stelle, wenn Dr. Adenauer den Versuch unternimmt, sich in diesen Spalt einzuklemmen, um hier einer Entwicklung Vorschub zu leisten. Herr Dr. Adenauer, ich habe Ihnen schon einmal gesagt, Sie verwechseln die Situation von heute und damals. Es ist Ihnen doch wohl nicht unbekannt, daß wir nach dem Zusammenbruch von 1945 Zugang zu Akten haben, die die damalige Situation sehr genau beleuchten. Wir werden im gegebenen Moment im Wahlkampf diese Dinge schon ausnutzen, darauf können Sie sich verlassen, und da wird die Aussprache in Frankfurt eine entscheidende Rolle spielen33). 31)

Anspielung auf Adenauers kurzzeitiges Interesse an den Bestrebungen für die Gründung einer Rheinischen Republik 1918/19. Dieses Interesse war gespeist aus den seit dem Kulturkampf bestehenden antipreußischen Ressentiments im rheinischen Katholizismus. 32) Zur Sopade vgl. oben Dok. Nr. 25, S. 740, Anm. 5. 33) Die KPD hatte – schon vor dem Wahlkampf zum 1. Deutschen Bundestag – in der 56. Sitzung des HptA am 13. April 1949 den Vorwurf gegen Adenauer erhoben (unten Dok.

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Ich hätte geglaubt, daß diese Kommission sich mit den Militärgouverneuren nicht über die Fragen des Grundgesetzes unterhalten hat, sondern über den Charakter und die Bedeutung des Besatzungsstatuts. Warum hat man nicht gefragt, ob dieses Besatzungsstatut ein Ersatz für den Friedensvertrag sein soll? Die Fragen müssen klargestellt werden. In diesem Zusammenhang steht alles andere, der Aufbau des deutschen Staatswesens überhaupt. Hier ist von keinem der Mitglieder der Kommission eine entscheidende Frage gestellt worden, und das ist sehr bedauerlich. Das Ergebnis dieser Besprechung ist sehr mager. Es ist ein wenig Wind gemacht worden, und an dem ersten Tage, als die Aussprache vertagt wurde, ist auch in diesem Hause ein Sturm im Wasserglas gemacht worden. Man hat sich verständigt, und alles ist beim alten geblieben. Ich werfe aber jetzt eine andere Frage auf: Wie soll es nun weitergehen? Es ist bekannt, daß die Besatzungsmächte sich über das Besatzungsstatut in den Grundzügen nicht einigen werden. Die Möglichkeit besteht, daß auf Grund außenpolitischer Geschehnisse die französische Regierung von diesem Besatzungsstatut abrückt. Soll dann der Parlamentarische Rat das Grundgesetz für die Bizone ausarbeiten? Die ganze Sache ist problematisch, und ich würde doch vorschlagen, daß der Parlamentarische Rat die Arbeit so lange einstellt, bis das Besatzungsstatut fertig ist, bis die Besatzungsmächte sich geeinigt haben, damit man eine Basis hat, auf der man weiterkommen kann. Was dann, wenn man sich nicht einigen wird? Was dann, wenn das Besatzungsstatut so enorm in das Grundgesetz eingreift, das hier hergestellt wird? Wie soll das weitergehen? Ich mache also den Vorschlag, daß wir uns einigen und die Arbeit [S. 336] einstellen, bis das Besatzungsstatut vorliegt, um dann weiterzumachen. Dr. Menzel (SPD): Ich möchte meine Ausführungen zunächst auf die Bemerkungen beschränken, die Herr Dr. Adenauer über die Vorgeschichte, wie es zu dieser Konferenz gekommen ist, gemacht hat. Ich möchte kurz darstellen, wie sich die Vorgänge nach der Meinung der SPD-Fraktion und der beiden Delegierten der SPD, die nach Frankfurt/Main gegangen sind34), abgespielt haben. Die gestrige und die vorgestrige Konferenz geht nach unserer Auffassung auf zwei verschiedene Vorgänge und zwei verschiedene Überlegungen zurück. Die eine Überlegung, die wir in der Tat – da hat Herr Dr. Adenauer recht – im Ältestenrat angestellt hatten, war die, daß wir nach der zweiten Lesung einer Anregung der Militärgouverneure, mit uns über den Inhalt der dann vorliegenden Fassung des Grundgesetzes zu sprechen, nachkommen sollten, weil es vielleicht richtig wäre, vorher in manchen Punkten eine gewisse Abstimmung zu erzielen. Es wurde in den Ältestenratsitzungen lediglich beschlossen, daß wir von uns aus den Militärgouverneuren Nachricht geben würden, wann auf Grund des Fortschreitens unserer Arbeit der richtige Zeitpunkt gegeben sein würde. Bei dieser Debatte war niemals davon die Rede, daß wir von uns aus besondere Fragen an die Militärgouverneure stellen würden. Das heißt, wir wollten vermeiden, irgendwelche vorherigen, frühzeitigen präjudiziellen Entscheidungen der Militärgouverneure zu provozieren. Nr. 56, TOP 1, S. 1775) sowie erneut am 8. Mai 1949 in der 10. Sitzung des Plenums (Der Parl. Rat, Bd. 9, Dok. Nr. 10, S. 549–553). 34) Von der SPD nahm an der Frankfurter Besprechung außer Menzel der Abg. Schmid teil.

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Die zweite Wurzel der beiden Sitzungen von gestern und vorgestern geht auf einen Vermerk der Ministerpräsidenten zurück, den Herr Präsident Dr. Adenauer uns in einer Ältestenratsitzung über die Besprechung der Ministerpräsidenten vom 19./20. Juli 194835) vorgetragen hat und in dem es hieß, daß die Militärregierungen sich bereit erklärt hätten, uns laufend über den Inhalt der Verhandlungen hinsichtlich des Besatzungsstatuts zu unterrichten. Auf Grund dieses Vermerks hat dann auch der Besatzungsstatutausschuß vor kurzem bestimmte Richtlinien beraten36) und den Militärregierungen, soviel ich weiß, zugänglich gemacht. Nach unserer Meinung war der Hauptzweck der Besprechung, daß wir uns mit den Militärregierungen darüber unterhalten sollten, wann und mit welchem Inhalt wir das Besatzungsstatut bekommen würden. Es war in den Überlegungen und Debatten des Ältestenrats klar gesagt worden, wahrscheinlich würden die Militärgouverneure, wenn sie mit uns über das Besatzungsstatut sprächen, die Gelegenheit wahrnehmen, auch von sich aus diese oder jene Frage anzuschneiden. Es wurde ferner darüber gesprochen, wie wir uns dann verhalten würden. Dabei ist von dem Herrn Kollegen Schmid sofort darauf hingewiesen worden, daß dann selbstverständlich der Mehrheitsstandpunkt, wie er nun einmal im Hauptausschuß zustande gekommen sei, zu vertreten sein werde. Auch in diesem Stadium der Vorverhandlungen war nicht davon die Rede, daß wir von uns aus bestimmte Einzelfragen ansprechen würden. Nun hat der Herr Präsident Dr. Adenauer soeben erklärt, er habe noch kurz vor der vorgestrigen Verhandlung darauf hingewiesen, daß man auch die Frage Berlin erörtern müsse, und er habe auf einen Hinweis von mir, daß das vielleicht noch nicht der richtige Zeitpunkt sei, davon Abstand genommen. Er glaubt, daraus schlußfolgern zu müssen, daß wir über die von ihm zu stellenden Fragen unterrichtet gewesen sind. Das ist ein Irrtum. Denn – und das ist wohl das Entscheidende – wir waren zwar darauf eingerichtet, uns zu bestimmten Fragen zu äußern, aber nur für den Fall, daß die Gouverneure von sich aus diese oder jene Frage stellen. Für diesen Fall wären wir bereit gewesen, die bisherigen Beschlüsse des Hauptausschusses zu erläutern. Auch der Herr Kollege Dr. Seebohm, der hier vom Herrn Präsidenten Dr. Adenauer zitiert worden ist, war, wie er uns sagte, über den Inhalt der vorgestrigen Verhandlungen etwas erschrocken. Er hat von zwei Stellen der Rede des Herrn Präsidenten Dr. Adenauer vor den Gouverneuren gesagt, daß er sie nicht für ganz glücklich halte und daß er selber erschrocken gewesen sei, daß der Herr Präsident Dr. Adenauer diese Redewendungen gebraucht habe. Also auch er ist, selbst wenn er vielleicht mehr als wir über das, was der Herr Präsident wollte, unterrichtet war, sehr wahrscheinlich über das Verfahren nicht in vollem Umfange vorher unterrichtet worden. Ich glaube, daß wir das, nachdem der Herr Präsident Dr. Adenauer einige Namen aus den Unterhaltungen zitiert hat, auch für das Protokoll hier aufklären mußten. 35)

Vgl. die Stellungnahme der MilGouv. zu der deutschen Antwort betr. Dokument Nr. II, abgedruckt in: Der Parl. Rat, Bd. 1, Dok. Nr. 10, S. 169. 36) Für den Wortlaut der „Thesen des Parlamentarischen Rates zum Besatzungsstatut“ vgl. die 26. Sitzung des HptA am 10. Dez. 1948; oben Dok. Nr. 26, TOP 5, S. 777–779.

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Präsident Dr. Adenauer: Ich darf an die letzte Bemerkung des Herrn Kollegen Menzel anknüpfen. Er hat gesagt, er wisse nicht, ob Herr Seebohm mehr unterrichtet gewesen sei als er. Ich habe mit niemandem aus dem Parlamentarischen Rat – ich bitte, das wörtlich zu nehmen –, auch nicht mit einem Mitglied meiner Fraktion, etwas über diese Unterredung gesprochen, was ich nicht entweder im Ältestenrat oder in der Delegation besprochen habe. Ich bitte, davon doch Kenntnis zu nehmen. Zweitens möchte ich, da ich schon gehört habe und das auch fühle, daß innerhalb der sozialdemokratischen Fraktion und zum Teil auch in der demokratischen Fraktion eine gewisse Erregung vorhanden ist, doch jetzt einmal genau feststellen, was denn beanstandet werden könnte. Erstens: die Frage, ob Abstimmung in den Landtagen oder Referendum, habe ich gar nicht gestellt, sondern ich habe nur gesagt, die Frage sei noch offen, die Herren müßten sich darüber schlüssig werden. Zweitens: die Bitte um Erläuterung des Passus in dem Memorandum vom 22. November 1948 über die Länderkammer habe ich zu stellen nicht vorgehabt, sondern habe sie gestellt, als Herr Pfeiffer mich in der Sitzung darum bat; und zwar hat Herr Pfeiffer mich darum gebeten, als der General Koenig fragte, ob einer der Herren noch eine Frage zu stellen hätte. Es bleibt also lediglich der mir gemachte Vorwurf übrig, daß ich ohne Ihr Vorwissen die Frage der Finanzen angeschnitten hätte. Zunächst möchte ich Ihnen folgendes sagen. Falls wir noch einmal in irgendeinem Gremium eine wichtige Frage haben, werde ich einen Stenographen zuziehen. Ich glaube, das ist für unser aller Gedächtnis dann eine gute Stütze, damit genau feststeht, was gesprochen worden ist. Ich möchte das folgende hinzufügen. Ich habe in einer dieser Sitzungen ausgeführt: Nun sind wir mit der zweiten Lesung nicht fertig geworden, die ganze Sache können wir aber doch jetzt nicht absagen; denn das würde einen zu unangenehmen Eindruck machen, darum müßten wir doch irgend etwas fragen. Und da habe ich von der Frage Bundesfinanzen und Länderfinanzen gesprochen. Ich wiederhole: unaufgefordert hat Herr Seebohm mir bestätigt, daß ich nach seinen Aufzeichnungen das gesagt habe. Irgendeine Stellung habe ich bei der Fragestellung nicht eingenommen. Das werden mir die anwesenden Herren auch bestätigen. Ich kann nur noch einmal das sagen, was ich auch gestern den Herren gesagt habe. Wenn die Herren in der vorgestrigen Besprechung den Eindruck gehabt hätten, daß ich damit irgendwie unbeabsichtigterweise eine Festlegung vorgenommen hätte, so wäre ich sehr dankbar gewesen, wenn man mir das sofort in der Sitzung gesagt hätte. Ich würde dann keinen Augenblick gezögert haben, den Militärgouverneuren zu erklären: „Dieser oder jener meiner Kollegen ist der Auffassung, daß ich damit dies oder jenes gesagt habe; es hat mir fern gelegen, irgendwie Sie zu bitten, unsere Differenzen zu entscheiden.“ Maier (SPD): Ich möchte an das letzte anknüpfen. Wenn die beiden Kollegen meiner Fraktion diese Aussprache nicht zum Anlaß genommen haben, Ihnen sofort zu erwidern, so glaube ich, daß sie einem Gebot des Taktes gefolgt sind, weil sie nicht beabsichtigt haben, Sie vor den Militärgouverneuren, also vor einer fremden Macht, zu desavouieren. Ich kann mir nur dies als Grund vorstellen. [S. 337] Was Ihre vorhin gemachte Bemerkung anbelangt, daß Sie im Ältestenrat gesagt hätten: „Nun sind wir mit der zweiten Lesung nicht fertig geworden und es gibt doch

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Dinge, die zu fragen wären“, so erinnere ich mich genau, daß Sie eine ähnliche Bemerkung gemacht haben, worauf mein Kollege Schmid geantwortet hat. Wir dürfen in diesem Stadium nicht von uns aus bei den Militärgouverneuren initiativ sein und Fragen stellen, sonst würde uns – ich erinnere mich da wörtlich ein Lattenstück ums andere aus dem Zaun ausgebrochen werden, den wir mühsam errichtet haben37). Ich frage den Herrn Kollegen Schmid, ob er nicht in dieser Version die Antwort gegeben hat. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe etwa so gesagt: damit uns nicht der Zaun lattenweise abgerissen wird. Maier (SPD): Der Herr Kollege Schmid hat seine Ausführungen ergänzt, indem er gesagt hat: Wir haben bisher immer die Absicht gehabt, den Gouverneuren das Gesetz als Ganzes vorzulegen und ihr Plazet zu erbitten oder aber, wenn sie es uns nicht erteilen, die Ablehnung hinnehmen zu müssen. Einzelfragen, etwa Fragen der Finanzen oder Länderkammer, sollten nicht diskutiert werden, weil eine Entscheidung über das Gesetz als Ganzes angestrebt wird. Der Ausgangspunkt – das ist heute sowohl aus Ihren Ausführungen, Herr Präsident, wie aus den Ausführungen meines Kollegen Menzel nicht eindeutig hervorgegangen – für diese Besprechung war Ihr Bericht, den Sie uns seinerzeit über Ihre Unterredung mit dem General Robertson38) gegeben haben. Vom Inhalt der Unterredung selber haben Sie uns keine Mitteilung gemacht. Sie haben aber erklärt, Herr Robertson habe durchblicken lassen, daß, wenn vom Parlamentarischen Rat aus die Zustimmung zu einer solchen Besprechung bei den Gouverneuren erfolge, er es als für die Sache günstig ansehe, wenn man zu einer Aussprache käme39). Das war der erste Ausgangspunkt. Hinterher kam dann die Frage mit dem Besatzungsstatut. Die Tatsache, daß durch den Herrn Kollegen Schmid sofort der Ausschuß für das Besatzungsstatut einberufen worden ist40), ist der Beweis dafür, daß man auf diesem Gebiet die Initiative ergreifen wollte. Ich für meine Person war im Ältestenrat immer der Meinung, daß diese Besprechungen in Frankfurt sich ausschließlich darauf beziehen würden, welche Stellungnahme die drei Gouverneure zu der Denkschrift bezüglich des Besatzungsstatuts41), die ihnen über ihre Verbindungsoffiziere vorgelegt worden ist, einnehmen. Wir waren deshalb in der Fraktion Überrascht, als wir am Abend der ersten Frankfurter Besprechung davon hörten, daß die von Ihnen erwähnten Fragen gestellt worden sind. Frau Wessel (Z): Ich glaube, ich kann als Unbefangene in diesem Streit der Meinungen einiges zur Klarstellung beitragen; denn ich habe an den Besprechungen, in denen dieses Gespräch überhaupt erst angeschnitten worden ist, in Vertretung meines Fraktionskollegen Brockmann teilgenommen. Nach meiner Erinnerung – ich glaube mich darin nicht zu täuschen sollte doch lediglich die Frage des Besat37) 38) 39) 40) 41)

Vgl. dazu die nachträglich gefertigte Aufzeichnung über die Ältestenratssitzung am 13. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. A 20, S. 55. und S. 56. Über den brit. MilGouv. Robertson vgl. oben Dok. Nr. 6, S. 169, Anm. 5. Vgl. dazu den Bericht von Leisewitz; Der Parl. Rat. Bd. 8, Dok. Nr. 17, S. 33, Anm. 5. Vgl. die 3. Sitzung des Ausschusses für das Besatzungsstatut am 3. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 4, Dok. Nr. 3, S. 34–45. Zu den „Thesen des Parlamentarischen Rates zum Besatzungsstatut“ vgl. oben S. 839, Anm. 36.

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zungsstatuts in Frankfurt zur Verhandlung kommen. Die Bestätigung dessen liegt darin, daß ich Herrn Seebohm vorgeschlagen habe. Weil Herr Seebohm als Vertreter der kleinen Parteien im Besatzungsstatutausschuß gesessen hat und weil von unserer Partei kein Vertreter darin gewesen ist, habe ich mir gesagt: dann muß als Vertreter der kleineren Parteien jemand mit nach Frankfurt gehen, der in dieser Materie Bescheid weiß42). Wenn das nämlich nicht die Voraussetzung gewesen wäre, hätten wir vom Zentrum keine Veranlassung gehabt, an unserer Loyalität festzuhalten in dem Augenblick, als wir erfuhren, daß andere Fragen angeschnitten werden sollten, in denen wir eine andere Auffassung hatten als die DP, wie in Fragen der Finanzen, in Fragen der Länderkammer. Gerade diese Tatsache ist doch aufschlußreich genug für die Annahme, daß es sich tatsächlich um die Frage des Besatzungsstatuts gehandelt haben muß, die in Frankfurt angeschnitten werden sollte. Ich darf noch ein zweites hinzufügen. Als in einer dieser Ältestenratsitzungen oder interfraktionellen Besprechungen – das weiß ich nicht mehr – gefragt wurde, wie man sich verhalten soll, wenn die Militärgouverneure von sich aus Fragen stellen, wie Finanzen, Länderkammer, Abstimmung über das Grundgesetz, habe ich gesagt: Dann bin ich, um den einheitlichen Charakter der Delegation festzuhalten, der Auffassung, daß die Beschlüsse des Hauptausschusses in Einheitlichkeit vorgetragen werden müssen. Deshalb bin ich so überrascht gewesen, als ich hörte, daß nicht die Frage des Besatzungsstatuts behandelt worden ist. Wenn die Möglichkeit nicht gegeben war, über diese Frage zu sprechen, hätte man sich vorher vergewissern müssen und hätte nicht nach Frankfurt gehen sollen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Wir wollen gar nicht verhehlen, daß die Erklärungen, die Herr Präsident Dr. Adenauer bei der ersten Besprechung mit den Militärgouverneuren abgegeben hat, uns mit schwerer Besorgnis erfüllt haben. Wir hätten dieser Besorgnis sofort Ausdruck geben können. Wir haben es nicht getan, weil wir den Gouverneuren nicht das Schauspiel der Uneinigkeit innerhalb der Delegation selber geben wollten. Warum Besorgnis? Weil von Herrn Präsidenten Dr. Adenauer zwei strittige Fragen angeschnitten worden sind – die Finanzfrage und die Frage des Bundesrats – und weil der Eindruck entstehen konnte, daß in diesen Dingen eine bindende Entscheidung erbeten wird, die dann unsere Arbeiten beschleunigen würde. Wenn dieser falsche Eindruck entstand, konnte die Autonomie, die wir auf dem Gebiet der Gesetzgebung in Anspruch nehmen, gefährdet werden. Weil wir diese Besorgnis hatten, haben wir ebenso wie die Herren Sozialdemokraten den Herrn Präsidenten gebeten, seine Erklärung von vorgestern gestern zu ergänzen. Das ist in einer Form geschehen, die klar zum Ausdruck bringt, daß wir keine Entscheidungen haben wollen und daß wir uns unter allen Umständen die Freiheit der gesetzgeberischen Autonomie bewahren wollen. Nachdem dies geschehen ist, haben wir keinen Anlaß, die weiteren Arbeiten durch Verschärfung der parteipolitischen Gegensätze zu erschweren. Dr. Lehr (CDU): Wenn man sich als Teilnehmer an diesen Verhandlungen die gestrigen und heutigen Gespräche vergegenwärtigt, so kann ich nicht umhin, dem Ge42)

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Zur Berufung Seebohm als Teilnehmer der Delegation für die Besprechung mit den MilGouv. am 16. Dez. 1948 in Frankfurt vgl. auch oben Dok. Nr. 27, TOP 2. und TOP 4.

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danken Ausdruck zu geben, daß hier in die Geschehnisse mehr hineingelegt und ihnen stellenweise ein Sinn unterstellt wird, der ihnen gänzlich ferngelegen hat. Ich habe vor mir ein genaues stenographisches Protokoll der Ausführungen von Herrn Dr. Adenauer am ersten Tag liegen, und es würde vielleicht nichts aufschlußreicher und beruhigender sein, als wenn dieser stenographische Bericht einmal vorgelesen würde43). Was ist wirklich geschehen? Es ist von unserer Seite, wenn ich die Delegation als Ganzes auffasse, durch ihren Sprecher im Prinzip um exaktere Erklärungen zu Punkten gebeten worden, die wir hier in öffentlicher Sitzung des Hauptausschusses wie in den nichtöffentlichen Sitzungen der Fachausschüsse bis in alle Einzelheiten behandelt haben. Entscheidungen sind nicht beantragt, Entscheidungen sind nicht gegeben worden. Und wenn das Unmißverständliche unserer Verhandlungen klar bewiesen werden konnte, so ist es durch das Verhalten der Herren der Gegenseite am zweiten Tage bewiesen, die auch nur solche exakteren Erklärungen, wie sie von uns beabsichtigt waren, gegeben haben. Wenn ich das Ergebnis der beiden Tage zusammenfasse, so kommt es mir so vor, als seien wir im Begriff, das Wertvolle dieser Zusammenkunft zu zerreden. Das Wertvolle nämlich ist gewesen, daß es uns nun einmal möglich war, über den Bereich der hiesigen Stäbe und deren dankenswerter Zusammenarbeit mit uns hinaus auch als Parlamentarischer Rat als solcher mit den drei Militärgouverneuren in Verbindung zu kommen. Der Erfolg ist offensichtlich auf unserer Seite gewesen, weil die Verhandlungen von Tag zu Tag sich in ein intimeres, ich möchte beinahe sagen, in ein verständnisvolleres gegenseitiges Miteinander-ins-Benehmen-setzen gesteigert haben. Wir haben wertvolle Fingerzeige bekommen und können als Ganzes den Eindruck mit nach Hause nehmen, daß [S. 338] die Arbeit des Parlamentarischen Rates in ihrer Gesamtheit voll gewürdigt und anerkannt wird und daß man das Bestreben hat, die Schwierigkeiten auszuräumen, die naturgemäß in einem so großen Gremium entstehen können. Ich möchte als Beispiel darauf hinweisen, daß gelegentlich der Erörterung des Besatzungsstatuts gesagt worden ist: „Geben Sie uns doch eine Liste der einzelnen Punkte an, die nach Ihrer Meinung den Fortschritt Ihrer Arbeiten behindern; wir sind gern bereit, in angemessener Zeit Ihnen dazu unsere Meinung zu übergeben“ – und daß in den Besprechungen auch immer wieder gesagt worden ist: „Sie sollen, wenn es uns irgend möglich ist, möglichst noch im nächsten Monat, den genauen Text und den Gesamtinhalt des Besatzungsstatuts bekommen.“ Ich möchte deshalb doch den Vorschlag machen, daß wir bei der Bewertung dieser Tage das Wesentliche nicht hinter dem Unwesentlichen zurückstellen. Präsident Dr. Adenauer: Ich möchte nur noch ein kurzes Wort sagen. Ich glaube wirklich, diejenigen von Ihnen, die bei der Besprechung nicht zugegen waren, verkennen in etwa doch die ganze Atmosphäre und den Charakter. Daß nicht alle Mitglieder der Delegation der Auffasung gewesen sind, es sollte nur über das Besatzungsstatut gesprochen werden, geht aus folgendem hervor. Als der General Koenig, der Vorsitzende, fragte, ob noch einer von den Herren eine Frage zu stellen hat, sagte mir Herr Schmid, daß Herr Menzel beabsichtige, die Frage zu stellen, ob die 43)

Möglicherweise das in Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 27, S. 61–64, edierte Prot.

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kulturellen Bestimmungen überhaupt in das Grundgesetz hineingehören. Ehe ich dann dem General Koenig sagte, daß Herr Menzel noch eine Frage stellen wolle, sagte mir Herr Schmid: Herr Menzel läßt diese Frage fallen. Sie sehen doch daraus, daß es nun wirklich nicht so gewesen ist, wie Sie es sich vorstellen, sondern daß auch Herr Menzel der Auffassung gewesen ist, man kann noch andere Fragen stellen. Ich mache daraus Herrn Menzel nicht den geringsten Vorwurf. Ich bin im Gegenteil der Auffassung, es ist für die deutschen Interessen wirklich nur günstig, wenn man die Möglichkeit hat, mit diesen drei Männern, deren Stimme ein entscheidendes Gewicht für unsere Zukunft hat, in Kontakt und in Meinungsaustausch zu kommen; jeder von uns sollte diese Möglichkeit im deutschen Interesse benutzen. Dr. Menzel (SPD): Ich muß mich leider noch einmal zum Wort melden, weil gerade der Vorgang, den der Herr Präsident hier anführt, seinen Grund darin hatte, daß ich über die Art und den Inhalt seiner Fragen vorgestern überrascht war. Ich war überrascht, daß wir nicht mit der Debatte über das Besatzungsstatut anfingen und dies nicht von Anfang an klipp und klar in den Vordergrund stellten, sondern daß mit der wichtigsten und hier strittigsten Frage der Finanzverwaltung angefangen wurde und daß dann der Herr Präsident, noch ehe der General Koenig fragte, ob einer der Herren noch eine Frage zu stellen hat, von dem Herrn Kollegen Pfeiffer, der an seiner linken Seite saß, ein Stichwort bekam, das den Herrn Präsidenten veranlaßte, noch zu fragen, wie es denn mit der Frage der Länderkammer bzw. des Bundesrats ist. Gerade weil ich an dem Katalog der Fragen sah, daß hier nur diejenigen Probleme angesprochen wurden, die im wesentlichen vom Hauptausschuß nicht so entschieden worden waren, wie es die Herren der CDU und CSU sich gewünscht hatten, (Sehr richtig! bei der SPD.) entstand bei mir, ich glaube, die sehr verständliche Reaktion, nun auch eine Frage anzusprechen, die nach unserer Meinung nicht so gelaufen ist, wie man sie nach föderativen Gesichtspunkten hier hätte aufziehen und entscheiden müssen, nämlich der Drang, kulturelle Entscheidungen auf dem Gebiete der Kirche und Schule nicht den Ländern zu überlassen, sondern die Länder „unter das Joch des Bundes“ zu zwingen. Daher war meine erste Reaktion, wenn wir schon die von einer Seite angeschnittenen Probleme durch die Generale als Schiedsrichter, die da drüben saßen, entscheiden lassen wollten, nun zu erwägen, ob wir vielleicht auch diese Frage erörtern sollten. Und ich bin dem Herrn Kollegen Schmid dankbar, daß er mir gleich fast wörtlich sagte: Nein, wir wollen die Gouverneure von uns aus nicht in die gleiche Rolle hineinzwingen, wie es hinsichtlich dieser anderen Fragen versucht wird. Daraus sehen Sie, warum ich diese Frage gestellt habe und warum Herr Kollege Schmid mir mit Recht mit diesem Stichwort klarmachte, warum wir diese Frage nicht weiter verfolgen sollten. Ein letztes Wort zu der Frage Berlin. Meine Herren, ich glaube, daß wir die Berliner Frage an keiner Stelle – sei es an einer wichtigen innerdeutschen, sei es mit den Militärgouverneuren – anschneiden und debattieren dürfen, ohne vorher diese Frage mit den Berliner Delegierten besprochen zu haben. Schon daraus, daß das

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vorher hier nicht geschehen ist, ergibt sich wohl auch, daß man vorher in unserem Kreise gar nicht wissen konnte, daß die Absicht bestand, die Berliner Frage anzuschneiden. Dr. Pfeiffer (CSU): Es wird also jetzt, wie voraus zusehen war, der Versuch gemacht, die ganze Angelegenheit auf das rein parteipolitische Gebiet zu schieben. Nun darf ich in dem Bemühen, daß man doch zu einer objektiven Würdigung der ganzen Dinge kommt, auf den Zusammenhang zu sprechen kommen. Schon mehrmals hat der Herr Präsident Dr. Adenauer in den Sitzungen sowohl des Ältestenrats wie in interfraktionellen Besprechungen darauf hingewiesen, daß, wenn wir Wirklichkeitspolitik machen wollen, wenn wir rasch zu einen Aufbau kommen und rasch ein tatsächlich in Kraft tretendes Grundgesetz schaffen wollen, auch an die Voraussetzung denken müssen, daß nach Fertigstellung des Grundgesetzes die Zustimmung der Militärgouverneure notwendig ist, ehe es der Ratifizierung unterstellt werden kann. Daraus ergab sich wiederholt die Frage: Ist es zweckmäßig, hier weiter- und fertigzumachen und dann erst das Grundgesetz zu übergeben, um es nach einiger Zeit vielleicht nicht genehmigt zurückzubekommen – man kann sich da allerlei Varianten ausdenken, von denen eine peinlicher und schwieriger als die andere wäre –, oder ist es nicht zweckmäßig, in einem Zwischenstadium einmal eine inoffizielle Aussprache zum Zweck einer harmonischen Beendigung zu haben? Das bedeutet doch nach meiner Meinung selbstverständlich, wenn man auf eine solche Aussprache zugehen will, daß man vom Thema reden muß und nicht nach dem alten, Grundsatz handeln darf: Über das Thema darf nicht geredet werden. Im weiteren Verlauf erst hat sich dann das Schwergewicht in der Richtung zum Besatzungsstatut verlagert. Aber in der Entwicklungsreihe stand der von mir geschilderte Gedanke bei weitem im Vordergrund. Dann kam es zu dem bereits erwähnten Gespräch mit General Robertson. Man hat dann wiederum in diesem Gremium davon gesprochen: Wann ist es zweckmäßig, das herbeizuführen? Da haben wir – ich weiß nicht, ob in der interfraktionellen Besprechung oder im Ältestenrat ausgerechnet, wann wir mit der ersten Lesung fertig werden, wann mit der zweiten Lesung, wann wir also mit den Militärgouverneuren vom Parlamentarischen Rat aus in Verbindung treten können. Wir haben ausgerechnet, daß man mit der zweiten Lesung voraussichtlich am 13. oder 11. Dezember fertig sein würde. Es wurde ausgerechnet, daß der geschriebene Text am Montag, dem 13. Dezember, übergeben würde. Es sagte dann jemand: Geben wir lieber noch einen Tag dafür zu. Dann wurde vereinbart, daß der Präsident sich an die Militärgouverneure wenden sollte mit der Begründung, die zweite Lesung sei um die und die Zeit fertig, und nachsuchen sollte, am 14. oder 15. Dezember miteinander in Fühlung zu treten. Der Ausgangspunkt ist gewesen, zu diesem Zeitpunkt zu einer Klärung der Situation zu kommen. Es war gerade mein verehrter Kollege Stock, der darauf hingewiesen hat, daß nach der zweiten Lesung der richtige Zeitpunkt sei. (Stock [SPD]: Nach der zweiten Lesung, sie ist aber nicht fertig!) Denn dann könnten wir nötigenfalls eine dritte Lesung einlegen, um eventuell notwendig werdende Änderungen herbeizuführen. Es sei dann besser, wenn das nicht [S. 339] im Plenum geschehe. Eine vollkommen richtige, von uns allen geteilte Auffassung. Nun haben sich die Arbeiten etwas verlangsamt. Aber der Grundge-

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danke war immer der, über die endgültige Haltung der Alliierten zu einer Klärung zu kommen. Was ist nun dabei passiert? Zum Schluß ist der Gedanke des Besatzungsstatuts mehr unterstrichen worden. Im Hinblick darauf, daß auch dieses wohl an sehr betonter Stelle zur Sprache kommt, haben wir in der vorigen Woche nach der Sitzung des Ausschusses für das Besatzungsstatut die Entschließung hier im Hauptausschuß genehmigt. Nun ist es sehr wichtig, bei dieser ganzen Angelegenheit den Wortlaut der Anfragen des Herrn Präsidenten zugrunde zu legen. Er hat zu der Frage der zweiten Kammer ausgesprochen: Die Mitteilung der Alliierten vom 22. November 1948 lasse verschiedene Auslegungen zu; es sei wichtig, das etwas präziser zu fassen. Mehr hat er nicht gefragt, und die Alliierten haben genau in dieser Richtung eine Antwort erteilt. (Dr. Menzel [SPD]: Und bei den Finanzen?) – Bei den Finanzen hat er ausgesprochen, sie hätten Ausführungen gemacht, die es uns wichtig erscheinen ließen, zu wissen, wie sich die Beschlüsse des Hauptausschusses und die Ausführungen gegenüberstünden, die sie in ihrem Aide-Memoire vom 22. November 1948 gemacht hätten. Die Alliierten haben in Beantwortung dieser Frage fast aufs Wort genau mit der Wiederholung der Ausführungen im Aide-Memoire vom 22. November 1948 geantwortet. So sind die Dinge in einer Atmosphäre vor sich gegangen, bei der man vorgestern und erst recht gestern das Gefühl haben mußte, daß nun ein Punkt erreicht ist, dessen Wert und Bedeutung der Herr Kollege Dr. Lehr vorhin vollkommen richtig umschrieben hat. Ich darf im übrigen noch fragen, was aus dieser Aussprache noch herauskommen kann als nur eine innere Verschärfung nach einer Sache, bei der man sich in der klärenden Aussprache von gestern vormittag, in dem Suchen, gemeinsam den objektiv richtigen Sachverhalt zu finden, zusammengesprochen hat. Wir müssen sagen, der Eindruck gestern war der, daß der Parlamentarische Rat von den Alliierten jetzt in einer Form gewertet und eine Verbindung gepflegt wird, welche bedeutende Niveauunterschiede überwunden hat und uns wirklich das Gefühl gibt, daß unsere Stimme als die Stimme des deutschen Volkes, soweit es durch seine Landtage an unserem Zusammentreten mitwirken konnte, mit Respekt gehört und daß die Arbeit, die wir leisten, ebenfalls mit Respekt gewertet wird. Dr. Süsterhenn (CDU): Die Frau Kollegin Wessel hat soeben ihre Ausführungen durch einen Hinweis auf ihre Unbefangenheit eingeleitet. Ich weiß nicht, was das im einzelnen bedeuten sollte. Ich verstehe es aber so, daß sie nicht an den Verhandlungen in Frankfurt persönlich teilgenommen hat. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann darf ich also dieselbe Unbefangenheit auch für mich in Anspruch nehmen. Im übrigen bin ich der Meinung, daß die Frau Kollegin Wessel sogar im Gegensatz zu allen anderen Rednern, die hier das Wort ergriffen haben, allein den Standpunkt vertreten hat, daß lediglich das Besatzungsstatut Gegenstand der Aussprache sein und nur eventuell zu anderen Dingen Stellung genommen werden sollte. (Zurufe von der SPD: Das ist unsere Auffassung auch!)

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Dazu darf ich auf den effektiven Ausgangspunkt der ganzen Entwicklung zurückgreifen, der in der Debatte zu kurz gekommen ist. Der effektive Ausgangspunkt war die von den alliierten Verbindungsoffizieren überreichte Denkschrift und die Behandlung dieser Denkschrift im Ältestenrat. (Dr. Greve [SPD]: Nein, das stimmt nicht!) Als dort im Ältestenrat von einer Seite etwas spontan der Vorschlag gemacht wurde, diese Denkschrift durch einen Übergang zur Tagesordnung abzutun, entspann sich eine Debatte, in deren Verlauf der Herr Präsident Dr. Adenauer etwa folgende Ausführungen machte: Wir befinden uns in einer wirklich krisenhaften Situation; es brandet rings um Deutschland, insbesondere brandet es aus einer gewissen Himmelsrichtung her; sollten wir denn unsere Situation, in der wir uns politisch und rechtlich befinden, so verkennen, daß wir hier mit Fiktionen arbeiten und so tun als ob. In diesem Zusammenhang hat der Herr Präsident darauf hingewiesen, daß in dem Dokument Nr. 1 die Militärregierungen sich die Genehmigung der von uns auszuarbeitenden Verfassung vorbehalten hätten und daß wir alle auf Grund dieses Dokuments Nr. 1 gewählt seien und die Wahl angenommen und damit anerkannt hätten, uns innerhalb der durch das Dokument Nr. 1 gegebenen Schranken zu bewegen, daß es daher notwendig sei, sich gegenüber den Militärgouverneuren nicht in irgendwelche versteiften Fronten hineinzuarbeiten, sondern daß es klug und zweckmäßig sei, in einem gegenseitigen Gedankenaustausch insbesondere über die wesentlichen Punkte sich darüber zu vergewissern, daß man nachher zu einer gemeinsamen Lösung nicht nur im Parlamentarischen Rat, sondern nach Möglichkeit auch zu einer übereinstimmenden Auffassung mit den Militärgouverneuren komme, selbstverständlich vorbehaltlich dessen, was wir mit unserem deutschen Gewissen vereinbaren könnten. Das war der ganze Ausgangspunkt der Geschichte. Ich kann deshalb den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Pfeiffer nur beitreten, der gesagt hat, es wäre auch nach meinem Dafürhalten – ich war ja nicht dabei – sinnlos gewesen, wie die Katze über die entscheidenden Punkte hinwegzuhuschen oder an dem heißen Brei vorbeizugehen, der doch so oder so irgendwie zum Erkalten gebracht oder eventuell in einer sonstigen Weise liquidiert werden muß. (Dr. Greve [SPD]: Aber hier!) Wenn nun der Herr Kollege Dr. Menzel die ganzen Darlegungen des Herrn Kollegen Dr. Adenauer, die hier beanstandet werden, in eine parteipolitische Richtung zu schieben versucht, indem er etwa sagt, Herr Adenauer habe nur die Punkte angeschnitten, an deren Klärung in einem gegenteiligen Sinne, als es im Hauptausschuß beschlossen worden sei, die CDU ein Interesse habe, und die kulturellen Punkte seien sorgfältig verschwiegen worden, so daß Herr Menzel geplant habe, (Dr. Greve [SPD]: Das hat Herr Menzel nicht gesagt!) geradezu im Sinne einer Kompensation das als Gegenschlag zu benutzen und von sich aus die kulturellen Fragen anzuschneiden, so darf ich darauf hinweisen, daß nach dem mir vorliegenden Stenogramm der Herr Kollege Dr. Adenauer bei den Gouverneuren gesagt hat: „In unseren Beratungen werden wohl noch einige Zeit in Anspruch nehmen die kulturellen Fragen, die Finanzfragen und die Länderkammer“. Was der Herr Kollege Dr. Menzel sozusagen als parteipolitischen Gegenschlag zu benutzen in Erwägung gezogen hat, ist also objektiv – das hat der Herr

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Kollege Dr. Menzel uns selber hier vorgetragen – bereits vorher vom Herrn Kollegen Dr. Adenauer erörtert worden. Im übrigen bin ich der Meinung, nachdem die Dinge gestern in einer gemeinsamen Erklärung geklärt worden sind, die, wie mir berichtet worden ist, die Zustimmung der gesamten Delegation gefunden hat, und nachdem auch der Herr Kollege Höpker Aschoff hier erklärt hat, daß durch diese gemeinsame Erklärung eventuell mögliche falsche Auffassungen, die bei den Alliierten hätten entstehen können, klargestellt worden sind, sehe ich persönlich wirklich nicht ein, zu welchen positiven Ergebnissen eine Fortsetzung dieser Debatte im einzelnen noch führen könnte. Reimann (KPD): In den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Menzel ist mir eine sehr interessante Formulierung aufgefallen. Er sprach von den Ländern „unter dem Joch des Bundes“. Ich glaube, daß dies mehr ein falscher Zungenschlag ist. (Dr. Menzel [SPD]: Daß die Länder unter das „Joch“ des Bundes kämen! Sie müssen das aber in Anführungsstrichen sehen.) [S. 340] Das ist ein falscher Zungenschlag. Passen Sie bitte auf! Denn dort sitzen Föderalisten, und die könnten Ihnen dieses Wort sehr, sehr übel auslegen. (Dr. Menzel [SPD]: Die sind zitiert worden. Ich darf bitten, das Wort „Joch“ in Anführungsstriche zu setzen.) Ich glaube, auf Grund der Diskussion feststellen zu müssen, daß mit Ausnahme der CDU/CSU-Fraktion alle Fraktionen mit dem Verhalten Dr. Adenauers nicht einverstanden sind. (Widerspruch des Abgeordneten Heile [DP].) – Die Deutsche Partei ja. Das ist dann ein Irrtum von mir. Man geht auch hier wieder wie die Katze um den heißen Brei herum. Man kann mir nicht einreden, daß die Art, wie Herr Präsident Dr. Adenauer an die Dinge herangegangen ist, nicht zu beanstanden ist. Es sind doch eben politische Dinge, die eine sehr große Rolle spielen. Herr Dr. Süsterhenn hat es, gewollt oder ungewollt, ziemlich deutlich ausgesprochen. Aus diesem Grunde sollten wir doch, wenn nicht mein erster Vorschlag angenommen wird, daß der Parlamentarische Rat sich solange vertagt, bis das Besatzungsstatut da ist, einen anderen Antrag von mir annehmen, den ich jetzt stellen möchte. Ich beantrage: dem Herrn Dr. Adenauer wegen seines Verhaltens bei den Besprechungen mit den Militärgouverneuren die Mißbilligung auszusprechen und ihn von seiner Funktion als Präsident des Parlamentarischen Rates abzuberufen. Ich glaube, damit einen Trennungsstrich zwischen uns und seiner alten politischen Konzeption herauszuarbeiten und uns zu distanzieren, um nicht eines Tages wiederum plötzlich durch eine Sache überrascht zu werden, die der Herr Präsident Dr. Adenauer uns vor die Füße legt. Aus diesem Grunde beantrage ich, ihm die Mißbilligung auszusprechen und ihn als Präsidenten des Parlamentarischen Rates abzusetzen. (Präsident Dr. Adenauer [CDU]: Das müssen Sie aber im Plenum beantragen.) – Das kann ich hier im Hauptausschuß auch. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube nicht, daß nach der Geschäftsordnung der Hauptausschuß oder irgendein Ausschuß zuständig ist, über einen solchen Antrag zu beschließen.

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Reimann (KPD): Der Hauptausschuß kann diesen Antrag annehmen und ihn ans Plenum verweisen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, der Hauptausschuß ist dafür nicht da. Dr. Menzel (SPD): Nachdem die Herren Kollegen Dr. Süsterhenn und Dr. Pfeiffer die Ausführungen des Herrn Präsidenten von vorgestern zitiert haben, halte ich es doch für erforderlich, daß das Zitat vollständig ist. Der Herr Präsident hat am vorgestrigen Tage unter anderem folgendes erklärt44): In unseren Beratungen werden uns voraussichtlich in Anspruch nehmen einige kulturelle Fragen, die Fragen der Länder und die Finanzfrage. Was die Finanzfrage angeht, so haben Sie in der uns überreichten Denkschrift schon Ausführungen gemacht. Auf der anderen Seite liegt ein Beschluß des Hauptausschusses zu dem gleichen Thema vor. Es würde für uns von Interesse sein, zu hören, wie sich Ihre Ansicht und die Beschlüsse des Hauptausschusses einander gegenüberstehen. Wenn wir hierüber Klarheit bekommen würden, ist anzunehmen, daß unsere Beratungen beschleunigt werden würden45). (Dr. Greve [SPD]: Hört! Hört!) Nachdem dieser Satz gefallen war, haben sich Herr Kollege Dr. Höpker Aschoff und Herr Kollege Dr. Schmid gleichzeitig zu mir hingeneigt und gesagt: „Da haben wir es!“ Nun hat Herr Kollege Dr. Süsterhenn erklärt, daß der Herr Präsident selber auf den Zwiespalt in den kulturellen Fragen hingewiesen habe und daß deshalb meine Reaktion nicht ganz verständlich gewesen sei. Herr Kollege Dr. Süsterhenn, der Herr Präsident hat zwar hier in einem Beiwort kulturelle Fragen erwähnt. Aber er hat dann das Schwergewicht seiner gesamten Ausführungen nur auf die Frage der Finanzen gelegt. Das ergibt sich vielleicht am besten auch daraus, daß er zum Schluß noch einmal erklärt hat: „Es würde für uns wichtig sein, das Verhältnis der Beschlüsse des Hauptausschusses in den Finanzfragen zu den Grundsätzen Ihrer Denkschrift zu wissen“, um dann erst auf die Länderkammer einzugehen. Die ganzen kulturellen Fragen standen also da nicht mehr im Vordergrund. Frau Wessel (Z): Wir müssen uns davor hüten, diese Auseinandersetzung von irgendeinem parteipolitischen Standpunkt aus zu sehen. Meine Ausführungen waren nur von dem Gedanken getragen, hier die Dinge darzulegen, wie ich sie klar in der Erinnerung habe und wie ich sie gestern noch ausgeführt habe. Ich muß feststellen, daß die Fragen, die der Präsident Dr. Adenauer angeschnitten hat und von denen ich der Auffassung war, daß sie nur beantwortet werden sollten, wenn sie von der Militärregierung gestellt wurden, nicht irgendwie willkürlich von ihm herausgegriffen worden sind. Ich möchte das feststellen, damit nicht der Eindruck erweckt wird – ich fühle mich verpflichtet, das aus Gründen der Wahrheit zu sagen –, als wenn Herr Dr. Adenauer diese Fragen aus irgendeinem parteipolitischen Standpunkt gestellt hat. Die Fragen haben vielmehr dort in den Beratungen eine Rolle gespielt. Wir haben gesagt: die Fragen der Finanzen können kommen, die Fragen der Länderkammer können kommen, die Fragen der Abstimmung können kommen, die Frage Berlin kann kommen. Ich möchte das einmal sagen, damit nach dieser Seite hin Klarheit ist und nicht der Eindruck erweckt wird – es könnte doch 44) 45)

Vgl. dazu Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 27, S. 63. Vgl. ebd.

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der Fall sein –, als wenn es ein parteipolitisches Manöver wäre. Allerdings ist nicht die Frage der Weltanschauung vorher irgendwie angeschnitten worden, weil darüber im Ältestenrat nichts gesagt worden ist. Ein zweites darf ich Ihnen aber auch in aller Ehrlichkeit sagen. Wenn man – und da muß ich Herrn Reimann recht geben – in einer so wichtigen gemeinsamen Frage nach Frankfurt fährt, halte ich es für eine Selbstverständlichkeit, daß sich eine solche Kommission vorher zusammensetzt und sich, wenn nur einer als Sprecher vorgesehen wird, ganz klar und eindeutig darüber unterhält, was er dort zu sagen hat. (Dr. Menzel [SPD]: Das ist geschehen!) – Ich weiß nicht, ob es geschehen ist. Wenn es geschehen wäre, könnten diese Differenzen hier nicht bestehen. Ich glaube vielmehr, auch hier hat man die Dinge nicht ernst und wichtig genug gesehen, und vielleicht kann auch deshalb bei Herrn Dr. Adenauer der Eindruck erweckt worden sein, als wenn die Dinge in diesem Sinne laufen sollten. Ich wollte das nur aufgeworfen haben, weil ich glaube, wir können nicht allein Herrn Dr. Adenauer diese Vorwürfe machen. Wenn ich dieser Kommission angehört hätte, wäre ich jedenfalls nicht nach Frankfurt gefahren, ohne genau zu wissen, was der Sprecher der Kommission dort sagen will. Präsident Dr. Adenauer: Aus der ganzen Angelegenheit werde ich eine Lehre ziehen: Wenn wir nochmals nach Frankfurt fahren sollten und wenn ich der Führer der Delegation sein sollte, dann werden wir, das versichere ich Ihnen, Satz für Satz vorher genau festlegen. Wir werden – das war uns allerdings auch gestern angeboten –, wenn irgendwelche unvermuteten Fragen seitens der Gouverneure kommen, um eine Pause bitten, damit wir uns vorher untereinander abstimmen. Alles in allem genommen – ich kann mir nicht helfen glaube ich, daß die Sachen ganz außerordentlich übertrieben werden. Frau Wessel hat soeben angeführt – und ich danke Ihnen dafür –, daß im Ältestenrat erörtert worden ist, was eventuell zur Sprache kommen würde. Nach der Erklärung, die gestern die Herren von der SPD abgegeben haben, ist der Unterschied folgender. Die Herren haben erklärt, wenn ich es recht behalten habe – Herr [S. 341] Schmid, vielleicht korrigieren Sie mich –, daß sie bereit gewesen seien, Fragen zu beantworten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Darüber hinaus hielten wir uns für den Fall bereit, daß die Herren Militärgouverneure Auskünfte über die bisherige Arbeit des Parlamentarischen Rates verlangen oder bitten würden, die im Hauptausschuß gefaßten Beschlüsse zu erläutern. Präsident Dr. Adenauer: „Zu erläutern!“ Also, wenn die Militärgouverneure angefangen hätten, zu fragen, wie sich etwas verhält, wäre Antwort gegeben worden. Umgekehrt hatten wir doch um diese Besprechung nachgesucht, allerdings auf Grund einer im Verlauf eines Gesprächs mit General Robertson von ihm gemachten Äußerung. Ich glaube, der Eindruck, daß wir die Gouverneure als Schiedsrichter über unsere Fragen angerufen hätten, ist nach der Erklärung, die ich gestern in voller Übereinstimmung mit meiner inneren Überzeugung dort abgelegt habe, sicher nicht entstanden. Schönfelder (SPD): Ich möchte mich zu dem zweiten Antrag des Abgeordneten Reimann äußern. Das ist schon durch Zwischenruf erledigt. In einem Ausschuß ist ein solcher Antrag nicht angebracht. Ob er in dieser Form im Plenum eingebracht

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werden kann, scheint mir auch noch zweifelhaft. Aber das zu überlegen, mag späterer Zeit vorbehalten sein. Dann möchte ich noch ein Wort zu dem sagen, was Herr Dr. Süsterhenn gesagt hat. Herr Dr. Süsterhenn hat es so dargestellt, als sei die Denkschrift von damals Ausgangspunkt dieser Besprechung geworden. Das ist nach meiner Überzeugung falsch. Die Denkschrift ist behandelt worden, und Herr Dr. Schmid hat damals den Antrag gestellt, darüber zur Tagesordnung überzugehen. Das war zwar zu scharf; aber es lag darin der Gedanke, der auch hier zum Ausdruck gekommen ist, daß wir uns durch diese Denkschrift in unserer sachlichen Arbeit nicht beirren lassen wollen, sondern unbekümmert um die Gedanken, die in dieser Denkschrift zum Ausdruck gekommen sind, unsere Arbeit von unserem deutschen Gesichtspunkt aus fertigstellen, das heißt also in unserer Arbeit fortfahren. Also auf deutsch: Wir wollten bei unserer Beratung diese Dinge noch nicht gebührend in Berücksichtigung ziehen, sondern zunächst von unserem Standpunkt aus die Arbeit fertigmachen. Das war das eine. Die andere Besprechung ist in einer Unterredung zustande gekommen, die Herr Dr. Adenauer mit Herrn General Robertson hatte, wie er uns versicherte, nicht als Präsident des Parlamentarischen Rates, sondern auf Grund der Gepflogenheit des Herrn General Robertson, von Zeit zu Zeit politische Führer zu hören. Bei dieser Unterredung ist, wie uns Herr Dr. Adenauer mitteilte, der Gedanke aufgetaucht, daß einmal eine Besprechung mit den Generalen stattfinden sollte. Auch dabei ist von uns dann gesagt worden: Wir werden unsere Arbeit erst fertigmachen. Deshalb der Hinweis: Das kann aber erst nach der zweiten Lesung geschehen. Damit sollte doch zum Ausdruck kommen, wir wollen vorher mit den Herren darüber nicht reden. Ich meine, daß dann gesagt worden ist: Wir können dieser Besprechung nicht ausweichen, im Gegenteil, sie mag ruhig kommen; dann werden wir aber das Besatzungsstatut in den Vordergrund schieben und über das Besatzungsstatut reden; aber wir werden uns auch darauf gefaßt machen müssen, in einer solchen Unterredung etwas über unsere Arbeit sagen zu müssen, also in bezug auf die Beschlüsse, die wir gefaßt haben, nichts von uns aus initiativ zu fragen, sondern daß wir uns Fragen der Gouverneure nicht entziehen könnten. Aber die Absicht, die wir bei der Besprechung haben wollten und sollten, war, über das Besatzungsstatut zu reden. Also die Tendenz, die diese Unterredung haben sollte, war doch eine etwas andere. Deshalb habe ich noch einmal sagen wollen, daß in dieser Unterredung nicht eine Fortsetzung der schriftlichen Einwände der Militärgouverneure erfolgen sollte, sondern wir wollten uns zunächst nicht beeinflussen lassen. Reimann (KPD): Damit mein letzter Vorschlag der Diskussion mit diskutiert werden kann, schlage ich den letzten Absatz folgendermaßen vor: Der Hauptausschuß beschließt, dem Plenum zu empfehlen, Herrn Dr. Adenauer von seiner Funktion als Präsident des Parlamentarischen Rates abzuberufen. Dr. Menzel (SPD): Das ist eine so wichtige Frage, daß sich damit meines Erachtens zunächst die Fraktionen befassen müssen. Ich beherrsche die Geschäftsordnung nicht so, um zu wissen, ob gewisse Fristen notwendig sind. Ich will das nicht machen, um das aus formalen Gründen hinauszuschieben. Aber auch das müßte geprüft werden. Jedenfalls müssen sich erst die Fraktionen mit diesem Antrag befassen.

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Dr. Pfeiffer (CSU): Ich beantrage, den Antrag des Herrn Reimann ohne Diskussion abzulehnen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag auf Vertagung und der Antrag auf Ablehnung gestellt. Am weitesten geht der Antrag auf Vertagung. Dr. Pfeiffer (CSU): Dann ziehe ich meinen Antrag zurück. Ich möchte keine Aussprache haben. Vors. Dr. Schmid (SPD): An welche Frist dachten Sie? Das brauchen wir heute nicht mehr zu machen. Dr. Menzel (SPD): So etwas kann man nicht übers Knie brechen. Schönfelder (SPD): Ich beantrage, über diesen Antrag heute nicht abzustimmen. (Reimann [KPD]: Warum nicht?) – Aus denselben Gründen, die Herr Dr. Menzel soeben angeführt hat. Darüber müssen sich die Fraktionen erst unterhalten. Es ist manches Mal üblich gewesen, einen Antrag, der irgendwo gestellt wird, noch nicht zur Abstimmung zu bringen, sondern den Fraktionen die Möglichkeit zu geben, sich darüber erst zu beraten. Das braucht nicht in derselben Sitzung zu geschehen. Reimann (KPD): Nein, das braucht es nicht. Ich bin damit einverstanden, daß die Fraktionen zu diesem Antrag Stellung nehmen, und bitte daher um Unterbrechung der Sitzung. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich bin der Auffassung, daß es nicht gut angeht, diesen formell gestellten Antrag auf Absetzung – wenn er auch nur in eine Empfehlungsform gekleidet ist – etwa bis in das nächste Jahr unerledigt in der Welt zu lassen, ohne daß darüber entschieden wird. Ich glaube, das würde weder für das Haus noch für den Präsidenten einen guten Eindruck machen. Wir müssen uns schon darüber klar werden, wie die Dinge zu entscheiden sind. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube das auch. Dr. Süsterhenn (CDU): Das ist eine so grundsätzliche Angelegenheit, daß man sie nicht in die Ferien46) hinein verschleppen kann, es sei denn, daß das Haus bereit ist, einem von mir zunächst einmal als Anregung geäußerten Antrag zuzustimmen, der mir hier am Platze zu sein scheint, nämlich einem Antrag, über den Antrag des Herrn Reimann zur Tagesordnung überzugehen. Dr. Dehler (FDP): Ich bin der Meinung, daß der Antrag des Herrn Reimann nicht zulässig ist. Aufgabe des Hauptausschusses ist es ausschließlich, das Grundgesetz in zwei Lesungen abstimmungsreif für das Plenum zu gestalten. Ich bin außerdem der Meinung, daß es richtig ist, über den Antrag des Herrn Reimann zur Tagesordnung überzugehen. Dr. Menzel (SPD): Ich habe auch Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrages; denn der Hauptausschuß kann sich nur mit einer Materie befassen, die [S. 342] ihm durch Plenarbeschluß zur weiteren Beratung und Vorbereitung zugewiesen worden ist. Dann gehen die Beschlüsse nachher wieder an das Plenum zur endgültigen Entscheidung zurück. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich bin derselben Auffassung. Reimann (KPD): Das ist ein sehr großer Irrtum. Der Hauptausschuß hat diese Kommission gewählt. Den Auftrag für die Wahl dieser Kommission hat der Hauptaus46)

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Die Weihnachtsferien standen bevor.

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schuß auch nicht vom Plenum erhalten. Das Grundgesetz sollte durch diese Kommission nicht behandelt werden, sondern die Kommission war dazu da, sich mit den Militärgouverneuren über das Besatzungsstatut zu beraten. Also hat auch dieser Hauptausschuß das Recht, Ergebnisse dieser Kommission zu beraten und eventuelle Anträge oder aber Empfehlungen an das Plenum anzunehmen. Würgen Sie die Sache nach dieser Richtung hin nicht ab! Ich will Ihnen sagen, daß gerade über diese Frage sofort die Presse informiert wird, und zwar mit einer Schilderung, wie das hier abgewürgt worden ist. So leicht geht das nicht. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich stelle formell den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung. Dr. Lehr (CDU): Wir sind hier als Ausschuß berechtigt, Unterausschüsse zu bilden und einzelne Mitglieder mit Aufgaben zu betrauen, die im Rahmen des Ganzen liegen. Wir sind hier nicht berechtigt, über Änderungen der Organisation zu entscheiden. (Reimann [KPD]: Aber Vorschläge an das Plenum zu machen!) Wir sind auch nicht berechtigt, über einen derartigen Antrag hier zu entscheiden. Ich halte es für ein ganz unwürdiges Verhältnis zum Präsidenten und überhaupt zu uns selbst, zum Parlamentarischen Rat, daß von kommunistischer Seite gewagt wird, einen solchen Antrag zu stellen. Dr. Greve (SPD): Ich bin mit dem Kollegen Dr. Dehler der Meinung, daß dieser Antrag nicht zulässig ist, und bitte den Herrn Vorsitzenden, den Antrag zurückzuweisen und überhaupt nicht über irgendeinen Antrag, der mit diesem Antrag in Verbindung steht, abstimmen zu lassen. Schönfelder (SPD): Damit bin ich einverstanden. Dr. Bergsträsser (SPD): Dieser Antrag ist für einen Ausschuß schon deswegen nicht zulässig, weil dann jeder Ausschuß derartige Anträge von sich aus stellen könnte. Es widerspricht jedem parlamentarischen Brauch. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag auf Übergang zur Tagesordnung wegen Unzulässigkeit des Antrags gestellt. Schönfelder (SPD): Ich würde ihn als Vorsitzender zurückweisen. Dr. Greve (SPD): Ich möchte bitten, als Vorsitzender den Antrag zurückzuweisen und über keinen zu diesem Antrag gestellten Antrag abstimmen zu lassen. Dr. Süsterhenn (CDU): In dem Augenblick, in dem von seiten des Vorsitzenden der Antrag als unzulässig zurückgewiesen wird, habe ich keine Veranlassung mehr, den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung zu stellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe zu Beginn der Kontroverse gesagt, daß meines Erachtens ein Antrag dieser Art im Hauptausschuß wie in jedem anderen Ausschuß unzulässig ist. Ich für meinen Teil werde darüber nicht abstimmen lassen, es sei denn, daß der Hauptausschuß mich desavouieren würde. Es liegt keine weitere Wortmeldung vor. Dann ist die Debatte betreffend die Berichterstattung des Herrn Präsidenten über die gestrigen und vorgestrigen Vorgänge abgeschlossen47). Wir können dann die Öffentlichkeit wiederherstellen. 47)

In der Debatte über die später sog. „Frankfurter Affäre“ nahmen Adenauer sowie Schmid am 18. Dez. 1948 in Pressekonferenzen Stellung (vgl. Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 32, S. 76–88) und schließlich wurde innerhalb des Parl. Rates die Debatte in den

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Ich möchte dem Hauptausschuß eine Entschließung betreffend die Kriegsgefangenenfrage zur Beschlußfassung vorlegen. Ich schlage vor, einige Minuten zu unterbrechen. (Die Sitzung wird von 12 Uhr 45 Minuten bis 12 Uhr 47 Minuten unterbrochen.) Ich eröffne die Sitzung aufs neue und erlaube mir, Ihnen den Vorschlag einer Entschließung vorzulesen48): Bonn, den 17. Dezember 1948 Entschließung. Der Parlamentarische Rat hält es gerade jetzt vor Weihnachten für seine Pflicht, die Weltöffentlichkeit darauf hinzuweisen, daß entgegen der in Moskau im März 1947 getroffenen Abrede noch Hunderttausende von deutschen Kriegsgefangenen, darunter Tausende von Frauen, zurückgehalten werden, besonders in der Sowjet-Union, Polen und Jugoslawien. Ein großer Teil von ihnen muß unter menschenunwürdigen Bedingungen leben und arbeiten. Der Parlamentarische Rat sieht hierin ein schweres Unrecht und ein erhebliches Hindernis für einen friedlichen moralischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas. Ferner lenkt der Parlamentarische Rat die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf diejenigen deutschen Kriegsgefangenen, die unter einer Anklage oder als Zeugen für eine Anklage nunmehr seit 31/2 Jahren zurückgehalten werden. Der Parlamentarische Rat erwartet, daß die als Zeugen Zurückgehaltenen sofort heimkehren können, daß die gegen deutsche Kriegsgefangene schwebenden Verfahren beschleunigt in ordentlichen Gerichtsverfahren durchgeführt werden, damit die Unbelasteten nunmehr endlich heimkehren können. Der Parlamentarische Rat ruft alle, die guten Willens sind, auf, ihre Bemühungen um die Entlassung der deutschen Kriegsgefangenen zu verstärken und so dem Gedanken des Friedens und des Rechts zum Siege zu verhelfen. Renner (KPD): Sie haben soeben einen Antrag, dem Herrn Präsidenten Dr. Adenauer wegen seines Verhaltens am ersten Tag der Besprechung mit den Militärgouverneuren das Mißtrauen auszusprechen, als unzulässig zurückgewiesen und dabei ausgeführt, daß der Hauptausschuß zur Besprechung eines derartigen Antrages keinen Auftrag habe. Ich stelle zuerst die Frage: Wer hat Ihnen denn als Hauptausschuß den Auftrag gegeben, diese Frage hier anzuschneiden, das Plenum des Parlamentarischen Rates oder welche Stelle? Ältestenratssitzungen am 4. und 5. Jan. 1949 erneut aufgenommen (Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. A 22 und A 23, S. 60–23). Erst nach der Beilegung der Angelegenheit nahm der HptA am 5. Jan. 1949 seine Beratungen wieder auf. Vgl. unten Dok. Nr. 29. 48) Der Antrag mit der „Entschließung“ betr. deutsche Kriegsgefangene in Rußland vom 17. Dez. 1948 wurde als Drucks. Nr. 393 maschinenschriftl. vervielfält.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Renner, da ich diesen Antrag verlesen habe, kann ich Ihnen darauf antworten. Ich muß Ihnen sagen, ich habe diesen Antrag hier eingebracht, ohne mir Gedanken über die Zuständigkeit des Hauptausschusses zu machen. (Renner [KPD]: Sehen Sie!) Deswegen im übrigen, weil ich glaube, daß irgendein deutsches Gremium unabhängig von seiner Zweckbestimmung und von Zuständigkeiten nicht nur das Recht, sondern die Pflicht hat, bei jeder Gelegenheit an das Weltgewissen zu appellieren, damit auch den deutschen Kriegsgefangenen Gerechtigkeit widerfahre. Renner (KPD): Ich bedaure, Ihnen diese Erklärung nicht glauben zu können. Wenn es Ihnen darauf angekommen wäre – Vors. Dr. Schmid (SPD): Wollen Sie damit sagen, daß ich jetzt gelogen habe? [S. 343] Renner (KPD): Nein, nein! Vors. Dr. Schmid (SPD): Weil Sie mir sagen, Sie bedauern, mir die Erklärung nicht glauben zu können. Renner (KPD): Damit habe ich noch lange nicht gesagt, daß Sie gelogen haben. Über das, was ich glaube oder nicht glaube, verfüge ich. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja, sicher. Wenn Sie aber jemandem sagen, Sie glauben nicht, daß seine Erklärung Renner (KPD): Ich sagte, ich kann Ihnen persönlich nicht glauben, daß Ihnen dabei das vorgeschwebt hat, was Sie hier gesagt haben. Hätte Ihnen das nämlich vorgeschwebt, hätte Sie nur die Not der noch in Gefangenschaft befindlichen Kriegsgefangenen bewogen, die Not, die daraus resultiert, daß sie von ihren Angehörigen getrennt sind, dann hätten Sie nämlich für diesen Antrag ohne weiteres die allgemeine Zustimmung, auch die meinige, bekommen. Aber Sie haben in diesen Antrag etwas Bestimmtes hineingetragen, nämlich die Behauptung, daß Kriegsgefangene unter menschenunwürdigen Bedingungen leben und arbeiten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja, es heißt: „Ein großer Teil von ihnen muß unter menschenunwürdigen Bedingungen leben und arbeiten.“ (Stock [SPD]: Verstoß gegen die Menschlichkeit!) Renner (KPD): Dagegen verwahre ich mich. Das ist Ihre subjektive Auffassung, die einem politischen Propagandabedürfnis entspricht, das Sie hier wie an anderen Stellen, wie vor einigen Tagen zum Beispiel in Berlin49), bewogen hat, einen solchen Antrag einzubringen. Wenn Ihnen daran läge, die Not der Kriegsgefangenen, die ich auch sehe, in der Form, wie sie hier zum Ausdruck gebracht wird, aus der Welt zu schaffen, dürften Sie nicht bestrebt sein, bei jeder Gelegenheit die Schwierigkeiten zu vergrößern, die zwischen den Alliierten bestehen und die zum Teil die Ursache dafür sind, daß die Kriegsgefangenen noch nicht zurückkommen konnten. (Dr. Menzel [SPD]: Also Absicht!) 49)

Die Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin hatte am 16. Dez. 1948 auf ihrer 95. Sitzung in einer einstimmig angenommenen Entschließung die Freilassung aller Kriegsgefangenen und Verschleppten gefordert. Vgl. Berlin. Ringen um Einheit und Wiederaufbau 1948–1951, Hrsg. im Auftrage des Senats von Berlin (= Schriftenreihe zur Berliner Zeitgeschichte, Bd. 3). Berlin 1962, S. 65.

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Wenn Sie die Tatsache hier bekanntgegeben hätten, daß die Sowjet-Union täglich rund 1400 Kriegsgefangene zurückschickt, (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Sind Sie der Meinung, daß das viel ist?) dann würde nämlich die tatsächliche Situation eindeutig herausgekommen. Wenn sie mehr nicht zurückschicken kann, Herr Dr. Carlo Schmid, dann liegt das an Dingen, die Sie auch zum Teil genauestens kennen. Ich sage nur ein Wort: Transportschwierigkeiten, Zerstörung der Verbindungswege usw. Das sind alles Dinge, die Sie kennen. (Kaufmann [CDU]: Wer hat sie denn zerstört?) – Die Deutschen haben sie zerstört, die deutsche Besatzungsmacht hat sie zerstört, die Rußland bis nach Stalingrad in eine Wüste verwandelt hat, die SA, der ein Herr angehört hat, der heute hier als CDU-Abgeordneter in dem Hohen Haus sitzt50). Die haben sie zerstört – wenn Sie Bescheid wissen wollen –, nicht die Russen selber. Die Russen haben sie in mühseliger, jahrzehntelanger Arbeit aufgebaut. Ich verwahre mich also wegen der politischen Tendenz und der Propagandaabsichten, die dahinter stecken, gegen den Antrag und spreche Ihnen das gute, ehrliche Gewissen ab, diesen Antrag aus rein menschlichen Gründen eingebracht zu haben. Ihnen kommt es auf die Propaganda, auf das Geräusch an und nicht auf eine friedliche, menschliche Lösung des Problems. Zimmermann (SPD): Ich stelle geschäftsordnungsmäßig den Antrag, diese Debatte zu beenden. Sie ist des Hauses unwürdig. (Zurufe: Sehr richtig!) Die Entschließung ist ein Ruf aus dem menschlichen Gewissen und hat keine politische Spekulation als Inhalt. Ich bitte den Hauptausschuß, die Resolution anzunehmen, und zwar einstimmig. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich stelle diesen Antrag zur Abstimmung. (Außer dem Abgeordneten Renner geben alle stimmberechtigten Ausschußmitglieder das Handzeichen.) Renner (KPD): Ich stimme dagegen, weil Propaganda dahintersteckt und nicht die Absicht, zu helfen. Dr. Löwenthal (SPD): Nein, weil Sie ein Russenknecht sind, stimmen Sie dagegen. Renner (KPD): Herr Ministerialdirektor a. D. Löwenthal, wo sind Sie eigentlich Ministerialdirektor geworden? Nach Ihrer Rückkehr aus der Sowjet-Union, wo Sie 14 Jahre warm geworden sind, in der Ostzone51). Heute noch führen Sie diese Amtsbezeichnung. Spekulieren Sie etwa immer noch auf die Pension? Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Renner, melden Sie sich zum Wort? 50)

Blomeyer war Mitglied im SA-Reitersturm in Minden. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 9, Dok. Nr. 11, S. 649. 51) Löwenthal war Anfang März 1933 emigriert und seit 1935 in Moskau. Seit 1943 betätigt sich Löwenthal als „Politinstruktor“ in einem Kriegsgefangenenlager und danach 1945 als „Politlehrer“ an einer Kriegsgefangenenschule. Ende 1946 übersiedelte er in die sowjetische Besatzungszone. Von Walter Ulbricht zum Leiter der Abteilung „Justizaufsicht“ bei der Zentralverwaltung für Justiz vorgeschlagen wurde er von der Sowjetischen Besatzungsmacht in das Amt eingesetzt. Im Mai 1947 flüchtet Löwenthal in den Westen.

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Renner (KPD): Bis heute haben Sie auf den Titel noch nicht verzichtet. Heute steht in den amtlichen Dokumenten noch Ministerialdirektor. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Renner, wollen Sie sich zum Wort melden? Renner (KPD): Oder rechnen Sie noch auf die Pension von drüben? Gerade Sie haben einen Grund zu reden. Der Hauptausschuß vertagt sich auf den 4. Januar 1949, 16 Uhr52). Schluß der Sitzung 12.56 Uhr.

52)

Der HptA nahm erst am 5. Jan. 1949 seine Beratungen wieder auf. Vgl. S. 853, Anm. 47.

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Nr. 29 Neunundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses 5. Januar 1949 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 345–353. PA 2004. Ungez. von Meidinger gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 513 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: von Brentano, de Chapeaurouge3), Fecht4), Kaufmann, Kleindinst5), Laforet, von Mangoldt, Lehr SPD: Greve, Maier, Menzel (zeitweise vertreten von Löwenthal), Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wolff, Zimmermann FDP: Dehler, Schäfer6) DP: Seebohm KPD: Renner7) Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Eberhard (SPD), Katz (SPD), Suhr (SPD), Wagner (SPD), Zinn (SPD) Stenographischer Dienst: Meidinger Dauer: 16.25–18.05 Uhr

[1. BEGRÜSSUNG UND ANTRAG ZUR GESCHÄFTSORDNUNG]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Meine Damen und Herren! Zu Beginn dieser ersten Sitzung des Hauptausschusses im neuen Jahr möchte ich Ihnen allen und auch der Arbeit des Parlamentarischen Rates alles Gute wünschen. Ich möchte auch nicht verfehlen, darauf hinzuweisen, daß der Präsident des Parlamentarischen Rates, Herr Dr. Adenauer, heute seinen 73. Geburtstag feiert. Ich glaube, daß Sie mich ermächtigen werden, dem Herrn Präsidenten die Glückwünsche des Hauptausschusses zu übermitteln. (Zustimmung.) Wir sind stehengeblieben bei Abschnitt II Allgemeinen Bestimmungen. Wir kommen heute zu Art. 29a in der Fassung der Vorlage PR. 12.48 – 3408). Wie mir gesagt wurde, ist zu erwarten, daß ein Antrag aus der Vorlage des Allgemeinen Redaktionsausschusses gestellt wird. Renner (KPD): Ich hätte erwartet, daß der Herr Vorsitzende die Eröffnung dieser Sitzung benutzt, um bekanntzugeben, wie der Ältestenrat die vor Weihnachten 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

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Protokollführer Wernicke; geschrieben Frau Wistorf; verlesen von Zitzewitz/Kelz. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Vertreter für Adenauer. Vertreter für Süsterhenn. Vertreter für Pfeiffer. Vertreter für Heuss. Vertreter für Reimann. Für den Wortlaut der Drucks Nr. 340 mit den Beschlüssen der 1. Lesung im HptA vom 10. Dez. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 3, S. 91–132.

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entstandenen Auseinandersetzungen, die dazu geführt haben, daß der Hauptausschuß unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagte, bzw. diesen „Bruderkrieg“ beigelegt hat9). Wir haben in der damaligen Sitzung seitens unserer Fraktion Anträge gestellt. Diese Anträge haben gefordert, daß dem Herrn Präsidenten des Parlamentarischen Rates, Dr. Adenauer, wegen seines Verhaltens anläßlich der von ihm angeregten Besprechung mit den Militärgouverneuren, in der nach eigener Darlegung des Herrn Dr. Adenauer und nach dem Wunsch des Ältestenrats das Besatzungsstatut10) besprochen werden sollte, das Mißtrauen ausgesprochen wird. Wir haben uns zur Einbringung dieser Anträge um so mehr berechtigt gefühlt, als offizielle Vertreter der SPD-Fraktion dieselben Klagen an die Adresse des Herrn Dr. Adenauer gerichtet haben. Wir haben darüber hinaus den Antrag gestellt, daß Herr Dr. Adenauer seines Amtes als Präsident des Parlamentarischen Rates enthoben wird. In der heutigen Sitzung des Ältestenrats hat man sich mit diesen Anträgen beschäftigt. Es ist abgelehnt worden, diese Anträge zur Aussprache zu stellen. Ich habe die Verpflichtung, hier anzukündigen, daß wir diese Anträge aufrechterhalten und daß wir die nächste Gelegenheit des Zusammentritts des Plenums des Parlamentarischen Rates benutzen werden, allen Widerständen zum Trotz diese unsere Anträge zur Aussprache und zur Abstimmung zu stellen. Zum Ablauf der Ältestenratssitzung, soweit sie das, was ich heute gesagt habe, betrifft, nur einige Sätze! Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Renner, das sind keine Ausführungen zur Geschäftsordnung mehr. Renner (KPD): Doch, doch. Ich begründe die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung unserer Anträge und verwahre mich dagegen, daß der Ältestenrat unsere Anträge in dieser Form abgewürgt hat. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dafür ist der Hauptausschuß nicht der richtige Ort. Renner (KPD): Warum hat sich dann der Hauptausschuß in der letzten Sitzung mit unseren Anträgen beschäftigt, wenn er nicht zuständig ist? Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben es abgelehnt, über Ihre Anträge abzustimmen. Renner (KPD): Aber Sie haben im Ältestenrat, indem Sie gemeinschaftlich eine Erklärung abgefaßt haben, die Sie der Presse bekanntgeben wollten, geglaubt, unsere Anträge beerdigen zu können. Ich habe meines Erachtens das Recht, in diesem Gremium, das sich einmal mit unseren Anträgen beschäftigt hat, gegen die Form zu protestieren, in der man hier diese Anträge abwürgt. Ich bin nicht verpflichtet, mich auf Methoden einzulassen, wie sie die SPD angewandt hat, die zuerst großen Theaterdonner gemacht hat und dann pflichtgemäß auf Befehl der amerikanischen Militärregierung vor Dr. Adenauer in die Knie geht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Renner, ich rufe Sie zur Ordnung. Renner (KPD): Diese Methoden mitzumachen, habe ich nicht nötig. Der Ältestenrat hat sich zu einer einmütigen Stellungnahme aufgeschwungen. Ich erkläre hier, daß 9)

Zu den Bemerkungen von Renner bezüglich der später sog. „Frankfurter Affäre“ vgl. ausführlich Dok. Nr. 28; dort S. 853 f., Anm. 47 zu den von Renner erwähnten Ältestenratssitzungen. 10) Zum Besatzungsstatut vom 10. April 1949 vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 5, Anm. 15. Vgl. zuletzt Dok. Nr. 28, S. 830.

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diese Stellungnahme allein gegen die Stimme des Vertreters unserer Fraktion zustande gekommen ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist keine Erklärung zur Geschäftsordnung mehr! Renner (KPD): Das mag vielleicht sein. Aber es ist nötig, das festzustellen, damit draußen nicht ein falsches Bild über den Ablauf der Dinge entsteht. Ich will in das schmähliche Rückzugsgefecht, das im Ältestenrat geführt worden ist, nicht weiter hineinsteigen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir nehmen das zur Kenntnis.

[2. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT II: ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN] [2.1. ART. 29-1: HANDELSFLOTTE]

Ich rufe auf Art. 29a. Dr. Eberhard (SPD): Der Redaktionsausschuß (PR. 12.48 – 370)11) hat vorgeschlagen, zwischen Art. 29 und Art. 29a einen Artikel einzufügen, der in der Fassung des Redaktionsausschusses als Art. 29-1 bezeichnet ist und der lautet: Alle deutschen Kauffahrteischiffe bilden eine einheitliche Handelsflotte. Der Redaktionsausschuß gibt eine Begründung für diese Fassung, die der Weimarer Verfassung12) entspricht. Ich stelle den Antrag, diesen Artikel aufzunehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag abstimmen. – Art. 29-1 ist in der vom Redaktionsausschuß vorgeschlagenen Form einstimmig angenommen.

[2.2. ART. 29a: HOHEITSRECHTE]

Ich rufe auf Art. 29a in der Fassung der ersten Lesung des Hauptausschusses: [S. 346] (1) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. (2) Der Bund kann im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens sein Gebiet in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung der europäischen Verhältnisse und der Völkergemeinschaft der Welt herbeiführen und sicherstellen. (3) Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund einer allgemeinen, umfassenden, obligatorischen, internationalen Schiedsgerichtsbarkeit beitreten. Die in dieser Schiedsgerichtsbarkeit gefällten Entscheidungen binden unmittelbar.

11)

Für den Wortlaut der Drucks. Nr. 370 vom 13. Dez. 1948 mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu Art. 1–85 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 4, S. 133–161. 12) Art. 81 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Alle deutschen Kauffahrteischiffe bilden eine einheitliche Handelsflotte.“ RGBl. S. 1398.

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An und für sich wäre Anlaß gegeben, die Probleme mit zu erörtern, die durch das nunmehr bekanntgegebene Ruhrstatut13) gestellt worden sind. Im Ältestenrat ist man übereingekommen, nicht an dieser Stelle über diese Dinge zu diskutieren, sondern bei Gelegenheit der Diskussion des Art. 3614). Dr. Eberhard (SPD): Ich beantrage, Abs. 1 und Abs. 3 des Art. 29a so zu beschließen, wie sie vorgelesen wurden, Abs. 2 jedoch – mit einer kleinen Änderung – in der Fassung des Redaktionsausschusses zu beschließen, die mir besser zu sein scheint. Die Fassung, wie wir sie soeben gehört haben, bezieht sich auf das Einordnen nur des Gebietes. Der Redaktionsausschuß hat recht: es kann ein Einordnen in ein solches System erforderlich sein, ohne daß das Gebiet als solches eingegliedert werden muß. Im übrigen handelt es sich nur um eine redaktionelle Verbesserung. Aber ich bin dafür, in Abs. 2 Zeile 2 nicht das Wort „anschließen“ zu benutzen, sondern entsprechend der alten Fassung das Wort: „einordnen“. Das scheint mir eine würdigere Form zu sein als „anschließen“. Dr. Seebohm (DP): Zu Art. 29a Abs. 1 liegt ein Antrag meiner Fraktion (PR. 12.48 – 411)15) vor. Es wird vorgeschlagen, dem Abs. 1 des Art. 29a einen zweiten Satz folgenden Inhalts anzufügen: Dieses Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundesrats. Zur Begründung ist ausgeführt: In Abs. 1 des Art. 29a handelt es sich um eine Verfassungsänderung. Mit Rücksicht auf das politische Interesse an Zusammenschlüssen dieser Art war sich der Hauptausschuß darüber einig, solche Verträge nicht durch die Schwerfälligkeit einer Verfassungsänderung zu belasten. Ein solcher völkerrechtlicher Vertrag, dessen Ratifikation ohnehin durch Gesetzesakt (vgl. Art. 81 Abs. 2) erfolgt, berührt aber in besonderem Maße die Länderinteressen. Darum ist eine Zweidrittelmehrheit der Bundesratsmitglieder zu fordern. Ich bin der Auffassung, nur hierdurch wird gesichert, daß die in Art. 29a Abs. 1 vorgesehene Übertragung von Hoheitsrechten vom Bund und von den Ländern gemeinsam getragen wird. Renner (KPD): Der Herr Vorsitzende hat mit Recht auf den Zusammenhang des Problems, das in diesem Art. 29a angeschnitten ist, mit dem Ruhrstatut hingewiesen. Aber dieser Artikel hängt meines Erachtens nicht nur mit dem Ruhrstatut zusammen, sondern er findet seine politische Begründung im Marshallplan16) und in allen Problemen, die mit diesem Marshallplan zusammenhängen, nicht zuletzt auch im Besatzungsstatut. Was hier vorgesehen ist, ist nicht nur die Eingliederung des militärischen Potentials wirtschaftlicher Natur in Westdeutschland in den politisch gegen die Sowjetunion ausgerichteten Westblock, sondern darüber hinaus ist auch für die Möglichkeit Tür und Tor geöffnet, die Söhne des Volkes aus West13)

Zum Ruhrstatut vgl. die Diskussion in der 31. Sitzung des HptA am 7. Jan. 1949, unten Dok. Nr. 31, S. 925–963. 14) Vgl. die Sitzung des Ältestenrats am 5. Jan. 1949; Der Parl. Rat, Dok. Nr. A 23, S. 78 f. 15) Der von Seebohm am 23. Nov. 1948 gez. Antrag Nr. 17 der DP-Fraktion zu Art. 29a vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 411. 16) Zum Marshall-Plan vgl. oben Dok. Nr. 6, S. 181, Anm. 22.

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deutschland diesem Westblock zu militärischen Zwecken zur Verfügung zu stellen. Man muß den doppelten Inhalt, das doppelte Gesicht dieses Artikels und die dadurch geschaffenen Möglichkeiten erkennen, um seine ganze Gefährlichkeit und auch die Gefährlichkeit einer Politik, die durch diesen Artikel eingeleitet werden soll, zu begreifen. Ich behalte mir vor, die grundsätzliche Stellungnahme unserer Fraktion zu diesem Problem bei der Besprechung des Ruhrstatuts vorzutragen. Ich möchte aber auf eines heute schon hinweisen: dieser Artikel hat auch in etwa einen Zusammenhang mit dem Art. 29c, in dem das Problem des Krieges bzw. das Problem der Herstellung, des Vertriebes und der Beförderung von Kriegsmaterial behandelt wird. Ich habe in der damaligen Sitzung des Hauptausschusses17) darauf hingewiesen, daß, wer der Bundesregierung die Genehmigung zur Herstellung von Kriegsmaterial konzediert, damit gleichzeitig die Existenz bzw. die Fortdauer der Groß- und Rüstungsindustrie in Westdeutschland bejaht. Daß diese Groß- und Rüstungsindustrie als Monopolindustrie in den Händen sowohl der bisherigen Besitzer und Eigentümer bleibt und daß darüber hinaus durch Einführung des Ruhrstatuts ausländisches Monopolkapital tatsächlich der Besitzer dieser Industrien geworden ist, das hat sich jetzt langsam bei uns in Westdeutschland herumgesprochen. Ich weise abschließend auf die Tatsache hin, daß die deutschen Parteien, die in der Verfassung die Möglichkeit der Eingliederung unseres westdeutschen Separatstaates in den zu schaffenden und in Vorbereitung befindlichen Westblock bzw. den Atlantikpakt18) geben, damit einen ausdrücklichen Befehl der Militärregierungen ausführen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Renner, diese Behauptung ist eine solche Beleidigung des Hauses, daß ich Ihnen einen Ordnungsruf erteile. Es ist der zweite, den ich Ihnen heute erteilt habe. Sie kennen die Folgen eines dritten Ordnungsrufes. Renner (KPD): Ordnungsrufe schaffen Tatsachen nicht aus der Welt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nein. Aber ich habe Ihnen einen Ordnungsruf erteilt. Renner (KPD): Ich habe zu diesem Problem im Augenblick genug gesagt. Ich bin der Meinung, daß meine Stellung von weiten Kreisen des deutschen Volkes geteilt wird. Dr. Eberhard (SPD): Ich bitte, den Antrag Dr. Seebohm abzulehnen. Man kann dem nicht beitreten, was in der Begründung dieses Antrags gesagt ist, es handle sich um eine Verfassungsänderung. Wir geben uns hier eine verfassungsmäßige Ordnung, genannt Grundgesetz. Wir haben in erster Lesung ausführlich darüber gesprochen, ob wir ein einfaches Gesetz vorsehen wollen, und wir haben uns dazu entschlossen, im Grundgesetz zu sagen, daß durch einfaches Gesetz Hoheitsrechte übertragen werden können, um unsere Bereitschaft eindeutig festzulegen, in der europäischen Ordnung und in der friedlichen Ordnung der Welt unsere Rolle dadurch zu spielen, daß wir es leicht machen, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen. Ich bin dafür, daß wir dabei bleiben. 17) 18)

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Vgl. die 6. Sitzung des HptA am 19. Nov. 1948; oben Dok. Nr. 6, S. 182. Seit dem 6. Juli 1948 gab es Verhandlungen zum Abschluß eines Nordatlantikvertrags, der ein militärisches Bündnis europäischer und nordamerikanischer Staaten umfassen sollte. Mit Unterzeichnung des Nordatlantikpakts am am 4. April 1949 wurde die NATO (North Atlantic Treaty Organization) gegründet.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen, und zwar absatzweise. – Der Abs. 1 des Art. 29a in der Fassung der ersten Lesung des Hauptausschusses ist gegen eine Stimme angenommen. Ich lasse über die von Herrn Dr. Seebohm beantragte Hinzufügung des Zusatzes zu Abs. 1 abstimmen. – Der Zusatz ist mit 15 gegen 2 Stimmen abgelehnt. Für Abs. 2 ist von Herrn Dr. Eberhard folgende Fassung beantragt worden: Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern. Ich lasse hierüber abstimmen. – Diese Fassung ist mit allen gegen eine Stimme angenommen. [S. 347] Ich lasse über Abs. 3 in der Fassung der ersten Lesung des Hauptausschusses abstimmen. – Abs. 3 ist angenommen.

[2.3. ART. 29b: FRIEDLICHES ZUSAMMENLEBEN DER VÖLKER]

Ich rufe auf Art. 29b in der Fassung der ersten Lesung des Hauptausschusses: Handlungen, die in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Hier hat der Hauptausschuß die Abstimmung für die zweite Lesung zurückgestellt19). Dr. Lehr (CDU): Ich bitte, die Worte: „insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten“ zu streichen, weil die Vorbereitung eines Krieges zu den Handlungen gehört, die das friedliche Zusammenleben der Völker stören, und deshalb nicht noch einmal besonders erwähnt werden muß. Dr. Eberhard (SPD): Ich bin nicht dafür, daß wir diese Einschaltung: „insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten“ streichen. Wenn wir diese Streichung vornehmen, sieht es so aus, als wenn wir uns nun vorbehalten wollten, die Führung eines Krieges vorzubereiten. Diese Absicht besteht aber nicht, wie soeben auch von Ihnen, Herr Kollege Dr. Lehr, erklärt worden ist. Ich beantrage im übrigen, die Fassung des Redaktionsausschusses zu nehmen; denn sie ist besser. In der ursprünglichen Fassung heißt es: „Handlungen, die in der Absicht vorgenommen werden . . .“. Der Redaktionsausschuß hat zwei Bedingungen vorgesehen – und das scheint notwendig zu sein –: „Handlungen, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören und in dieser Absicht vorgenommen werden, sind verboten und unter Strafe zu stellen“. Ich beantrage also, aus der alten Fassung in die Fassung des Redaktionsausschusses die Worte einzuschalten: „insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten“. 19)

Vgl. oben Dok. Nr. 22, TOP 5.3, S. 674.

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Renner (KPD): Ich habe bei der ersten Lesung dieser Verfassung, die man jetzt schamhafterweise „Grundgesetz“ zu nennen beliebt, schon einmal zum Ausdruck gebracht, daß mir die auch in der hessischen Verfassung vorhandene Formulierung zu dem Problem richtiger, eindeutiger, klarer und zweckbedingter erscheint. Dort heißt es: „Der Krieg ist geächtet“20). Das sagt alles, was meines Erachtens zu dieser Frage gesagt werden muß. Wenn Herr Dr. Lehr heute den Vorschlag macht, den Zwischensatz: „insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten“ zu streichen, dann kann ich mir die Feststellung nicht ersparen, daß damit nicht der Zweck erreicht werden soll, den er hier als erstrebenswert hingestellt hat. Wenn er sagt, daß schon in der Formulierung, wonach das friedliche Zusammenleben der Völker nicht gestört werden darf, alles beinhaltet ist, so stimmt das nicht. Die Kernfrage ist die, Herr Dr. Lehr: Was dient der Kriegsvorbereitung? Der Kriegsvorbereitung dient auch die Erhaltung gewisser industrieller Anlagen, die man mit wenig Umänderungen zeitweilig zur Herstellung von Friedensmaterialien benutzen kann und die im gegebenen Augenblick auch auf die Herstellung von Kriegsmaterial umgestellt werden können. Ich erinnere Sie an die Erfahrungen, die wir in dieser Beziehung mit der „Friedensfirma“ Krupp21) nach 1918 gemacht haben. Ich erinnere daran, daß die Leitung dieses sich heute als „Friedensfirma“ aufspielenden Unternehmens sich in der Hitlerzeit dessen gerühmt hat, daß sie bereits in der Zeit der Weimarer Republik durch entsprechende technische Planung und durch Erhaltung gewisser Maschinenanlagen die Vorbedingungen geschaffen hat, um jederzeit im gewünschten und notwendigen Augenblick zur Herstellung von Kriegsmaterial übergehen zu können. Daß gerade Sie, Herr Dr. Lehr, diese Streichung beantragen, wundert mich nicht. Sie haben schon einmal in einem gewissen historischen Zeitpunkt eine Rolle gespielt. Ich meine Ihre Rolle als – wie soll ich sagen? Einführungschef Hitlers gegenüber der westdeutschen Schwerindustrie. Sie wissen, was ich meine. (Dr. Lehr [CDU]: Nein, das ist mir ganz neu.) Ist Ihnen die Rolle, die Sie seinerzeit als Düsseldorfer Oberbürgermeister gespielt haben, so ganz neu? Hat dieses Spiel, das Sie damit getrieben haben, nicht im Landtag von Nordrhein-Westfalen eine gewisse Rolle gespielt?22) Sie haben im Auftrag der Schwerindustrie Westdeutschlands den Empfangschef für Hitler gespielt. Sie haben sich damals als Vorkämpfer für Hitler Ihre Sporen verdient! (Dr. Lehr [CDU]: Die hatte ich schon!) – Ah, die haben Sie sich schon vorher errungen? Aber Sie machen jetzt den Vorkämpfer für die in Bildung befindliche neue Ära, die neue Epoche der Kriegsaufrüstung. Deshalb stellen Sie diesen Antrag. Sie sehen sich als Wegbereiter für das auf den Krieg hinzielende und auf den Krieg hinarbeitende Monopolkapital. In dieser Rolle sind Sie uns hinreichend bekannt, Herr Dr. Lehr, Sie Demokrat! 20)

Vgl. Art. 69 der Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dez. 1946. Für den Wortlaut vgl. oben Dok. Nr. 6, S. 178, Anm. 17. Vgl. auch oben Dok. Nr. 20, S. 588, Anm. 47. 21) Zur Geschichte der Firma Krupp vgl. Lothar Gall: Krupp im 20. Jahrhundert. Berlin 2002. 22) Im stenograph. Wortprot., S. 12, folgt danach der Zwischenruf: „(Dr. Lehr [CDU]: Ich habe als Düsseldorfer Oberbürgermeister Ihre Leute mit demselben Wohlwollen empfangen!)“

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Dr. von Mangoldt (CDU): Der Grundsatzausschuß hat bewußt die Formulierung gewählt: „. . . sind verfassungswidrig“. Er hat sie deshalb gewählt, weil wir überall darauf gesehen haben, daß die Sätze unserer Verfassung unmittelbare Verfassungskraft haben und daß es nicht erst der Einschaltung des Gesetzgebers bedarf. Man hat damit in der Weimarer Verfassung keine guten Erfahrungen gemacht. Aus diesem Grunde möchte ich vorschlagen, es bei der Formulierung: „.. . sind verfassungswidrig“ zu belassen. Mir scheint das, was der Redaktionsausschuß dazu ausgeführt hat, nicht ganz stichhaltig zu sein. Wenn man sagt, es ist das und das verfassungswidrig, dann ist klar, daß es verboten ist. Was in den Ausführungen des Redaktionsausschusses steht, trifft das nicht ganz. Die Folgen, die sich an die Verfassungswidrigkeit anknüpfen, brauchen hier nicht besonders aufgeführt zu werden. Brockmann (Z): Ohne Zweifel hat Herr Dr. Lehr mit seinem Antrag eine Vereinfachung dieses Artikels erzielen wollen. Aber ich bin trotzdem der Auffassung, daß in diesem Artikel der Krieg erwähnt werden sollte, und zwar deshalb, weil es mir eine Möglichkeit zu sein scheint, diese Erwähnung im Sinne der Kriegsächtung vorzunehmen. Ich möchte mich dafür aussprechen, hier ausdrücklich zu erwähnen, daß Handlungen, die insbesondere die Führung eines Krieges vorbereiten, unter Strafe gestellt werden bzw. verfassungswidrig sind. Zinn (SPD): Ich möchte zu den Ausführungen des Herrn von Mangoldt sagen, daß mir der Ausdruck „verfassungswidrig“ in diesem Zusammenhang zu abstrakt erscheint. Man kann wohl nicht schlechthin sagen, daß eine verfassungswidrige Handlung ohne weiteres verboten ist. „Verfassungswidrig“ ist nicht gleich „verboten“. Es kann ein Gesetz vorgelegt werden, das vielleicht verfassungswidrig ist. Das wird später festgestellt werden, seine Einbringung ist zunächst nicht verboten. Aus einer verfassungswidrigen Handlung kann man vielleicht keine Rechte herleiten. Man muß also weiter gehen und aussprechen, daß diese Handlungen verboten sind, und man muß auch eine Strafandrohung zum mindesten in Aussicht stellen. Die Ausgestaltung muß dem Bundesgesetz vorbehalten bleiben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde meinerseits auch empfehlen, den Zusatz: „.. . insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten“ zu belassen. Es sind durchaus Handlungen denkbar, die in dem Augenblick, in dem sie geschehen, nicht geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker wirksam zu stören, und trotzdem in ihrer Tendenz darauf angelegt sind, die Führung eines Krieges vorzubereiten. Man kann dabei an das Verschiedenste denken. Man kann an einen als Wanderklub getarnten Verein für die Wehrhaftmachung – wie man so schön zu sagen pflegte – der deutschen Jugend denken oder an etwas Ähnliches. Man sollte alle diese Möglichkeiten in unserer Formulierung klar aussprechen und sie unter die Rechtsfolge dieses Artikels stellen. [S. 348] Ich glaube ferner, daß die Formulierung: „. . . sind verfassungswidrig“ einen besonderen Sinn hat, den Sinn nämlich, daß gegen solche Handlungen vorgegangen werden kann, ohne daß der Betroffene gegen dieses Vorgehen den Schutz der Verfassung anrufen kann. Es scheint mir sehr wichtig zu sein, zu sagen, daß – ich gebrauche absichtlich einen sehr starken Ausdruck – einer, der so etwas tut, sich gewissermaßen „hors la loi“ stellt, wie es im Französischen heißt. Das sollte klar zum Ausdruck kommen.

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Dr. Lehr (CDU): Nach Ihren Ausführungen bin ich bereit, meinen Antrag zurückzunehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde dann vorschlagen, zu formulieren: „.. .. sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“ Damit ist klar, daß die Verfassungswidrigkeit für sich steht und daß die Strafe eine zusätzliche Rechtsfolge ist und nicht etwa die einzige Rechtsfolge des Verbotenseins. Wagner (SPD): Ich glaube, die Fassung des Redaktionsausschusses ist klarer und bestimmter, wenn auch weniger akademisch als die Formulierung in der ersten Lesung des Hauptausschusses. Wenn gesagt wird, daß Handlungen, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, verboten sind, dann ist das etwas so Bestimmtes und Klares und für jeden Menschen Verständliches, daß es gar keiner Auslegung bedarf, welche Rechtsfolgen die Verfassungswidrigkeit einer solchen Handlung hat. Das ist die direkte Sprache, die der kleinste Mann versteht: „. . . sind verboten und unter Strafe zu stellen.“ Die Formulierung: „.. . sind verfassungswidrig“ ist eine verfassungsrechtliche Formulierung, die für denjenigen, der kein Jurist ist, erst einer Auslegung bedarf und nicht diesen unmittelbaren Eindruck macht, als wenn gesagt wird, daß solche Handlungen verboten und unter Strafe zu stellen sind. Mir scheint die direkte Formulierung: „sind verboten“ von großem politischen Wert zu sein und das, was wir wollen, deutlicher, einfacher und klarer auszudrücken als die Begriffsbestimmung: „sind verfassungswidrig“. Wenn Herr Dr. Schmid den Zusatz vorschlägt: „Sie sind unter Strafe zu stellen“, so ist das eine Korrektur des Beschlusses erster Lesung, die zumindest erforderlich ist, um nach außen zu sagen, was gemeint ist. Man sollte darauf bedacht sein, juristisch einwandfrei zu formulieren, aber auch ein Grundgesetz zu schaffen, das der einfachste Bürger, der es liest, sofort begreift. Was gemeint ist, weiß er bei der Formulierung des Redaktionsausschusses viel genauer, und im übrigen wissen es auch die Ausländer viel genauer, wenn es heißt: „sind verboten und unter Strafe zu stellen“. Wenn wir sagen: „unter Strafe zu stellen“, so ist das ein Befehl an den künftigen Bundesgesetzgeber, Strafbestimmungen in dieser Richtung zu erlassen. Wenn die Bestimmung so stehen bliebe: „sind verfassungswidrig“, so ist kein Zwang vorhanden, daß Strafbestimmungen in dieser Richtung erlassen werden. Ich glaube, es ist richtiger, hier eine präzise Fassung zu wählen. Ich ziehe die Formulierung des Redaktionsausschusses vor und würde nur für den Fall, daß die alte Formulierung gewählt wird, dafür sein, daß ein Zusatz angefügt wird: „Sie sind unter Strafe zu stellen.“ Kaufmann (CDU): Wenn hier zwischen akademischer Fassung und volkstümlicher Fassung unterschieden wird – das heißt wohl zwischen juristischer Fassung und nichtjuristischer Fassung –, dann müßte nicht ausgerechnet ein Jurist dafür sprechen. (Wagner [SPD]: Es gibt auch Juristen mit gesundem Menschenverstand.) – Das habe ich auch schon gehört. Aber so will ich nicht exemplifizieren, Herr Kollege Wagner, sondern ich will etwas anderes sagen. Wenn es heißt: „. . . ist verboten und unter Strafe zu stellen“, so kann es sich um jeden Fußweg handeln, der zu einem Ententeich führt und an dem eine Tafel steht: „Ist verboten“. Ich glaube, daß im ganzen Volk der Begriff der Verfassungswidrigkeit ganz anders verstanden wird als dieser einfache Text, der auf jeder beliebigen Verbotstafel steht. Mit dem Wort

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„verfassungswidrig“ ist, wie der Herr Vorsitzende vollständig richtig gesagt hat, ein klares Neben-dem-Schutz-des-Gesetzes-stehen ausgedrückt. Das versteht jedenfalls unter Verfassungswidrigkeit auch der einfache Mann. (Wagner [SPD]: Diese Auslegung ist nicht einmal unbestritten.) – Bei Juristen ist nichts unbestritten. Aber ich will jetzt keine Attacke gegen die Juristen reiten, denn die brauchen wir ja auch23). Aus der Diskussion ist schon eine klare Fassung hervorgegangen. Es hat sich ergeben, daß der alte Text bleiben und ergänzt werden soll durch den Satz: „Sie sind unter Strafe zu stellen“. Damit treffen wir alles. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich stelle fest, daß offenbar auch Nichtjuristen Gesetzestexte lesen können. Dr. Eberhard (SPD): Meinen Sie nicht, daß wir zwei Bedingungen einfügen sollten? Bis jetzt hat niemand dagegen gesprochen. Verfassungswidrig und verboten ist die eine Sache. Man sollte andererseits auch ändern in „Handlungen, die geeignet sind . . . und in dieser Absicht vorgenommen werden“, also Einigung plus Absicht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich will die Formulierung vorlesen: Handlungen, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten, und die in dieser Absicht vorgenommen werden, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen. Renner (KPD): Ich erlaube mir auch, Zweifel auszusprechen, ob die Formulierung: „Handlungen . . . sind verfassungswidrig“ schon irgendeinen wirksamen Schutz gegen Verstöße in dieser Richtung ergibt. Wenn man sagt: „verfassungswidrig“, muß dann nicht eine Instanz da sein, die diese Verfassungswidrigkeit erst feststellt? Wenn Sie zum Beispiel in der Verfassung festgelegt haben, daß, falls der Bundestag ein wider die Verfassung verstoßendes Gesetz beschließt, durch das Bundesverfassungsgericht mit entsprechenden Konsequenzen festgestellt werden kann und werden muß, daß hier ein Verstoß gegen die Verfassung vorliegt, dann läßt sich doch meines Erachtens daraus der Gedanke ableiten, daß, wenn niemand da ist, der das Vorhandensein der Verfassungswidrigkeit einer Handlung feststellt, der Satz gilt: Wo kein Kläger ist, ist kein Richter. (Kaufmann [CDU]: Wir sind schon da!) – Verzeihen Sie, das ist mir keine Garantie, wenn Sie gerade da sind. Wenn Sie – womit zu rechnen ist – von den Möglichkeiten Ihrer Verfassung Gebrauch machen, dann könnte der Fall eintreten, daß wir nicht da sind. Sie haben schon prophylaktisch für derartige Möglichkeiten gesorgt. Kommen Sie nicht mit solchen Behauptungen: Dafür sind wir da! Das zieht nicht. Ja, wenn das Volk da wäre, dann wäre es etwas anderes. Aber die Richter, die Sie eingesetzt haben, sind die Organe, die nach Ihrer Auffassung eventuell berufen sind, die Verfassungswidrigkeit einer Handlung festzustellen. Und da bin ich der Meinung, daß es richtiger und wirksamer ist, wenn wir sagen: sind verboten und werden vom Gesetz verfolgt. Aber das war nur einer der Gedanken, die ich zum Ausdruck bringen wollte.

23)

Im stenograph. Wortprot., S. 17, folgt danach der Zwischenruf: „(Vors. Dr. Schmid [SPD]: Wir Juristen bedanken uns sehr!)“

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Ich beantrage, daß Art. 29b einen Vordersatz folgenden Inhalts erhält: „Der Krieg ist geächtet“. Ich halte diesen Satz für um so notwendiger, als die sozialdemokratische Fraktion einen Antrag angekündigt hat, daß die Ablehnung des Kriegsdienstes nicht verfolgt werden darf, daß also das Recht besteht, Kriegsdienst zu verweigern. Wenn man schlicht und einfach sagt: „Der Krieg ist geächtet“, erübrigt sich die Einbringung eines derartigen Antrages. Wenn der Krieg geächtet ist, kann man erstens einmal nicht Soldat spielen und zweitens keinen zwingen, Soldat zu spielen, und man braucht dann auch keinen Antrag, der es erlaubt, den Kriegsdienst abzulehnen. Das Maximum von Logik [S. 349] wäre also die Einfügung des nackten Satzes: „Der Krieg ist geächtet.“ Dann weiß jeder, was damit gemeint ist und was der Verfassungsartikel besagt. Damit ist zum Ausdruck gebracht, was das Gros des Volkes will. Das Volk will keinen Krieg und keinen Kriegsdienst. Vors. Dr. Schmid (SPD): Zwei Antworten auf Ihre zwei Fragen! Die Fassung „sind verfassungswidrig“ geht sehr viel weiter als die Fassung „sind verboten“. (Renner [KPD]: Nein!) – Doch. Sie geht insofern weiter, als, wenn eine Handlung nur verboten ist, sie in einem geordneten Rechtsverfahren rückgängig gemacht werden muß. Wenn ich aber sage: „ist verfassungswidrig“, dann kann ich den Zustand mit jedem Mittel beseitigen, und der Betroffene hat sich dagegen zu wehren. Das nur zur Erläuterung. Die zweite Antwort ist, daß „Ächtung des Krieges“ für sich allein nicht so weit geht wie die Bestimmung dieses Absatzes. Eine Reihe von Staaten, die dem Kriegsächtungspakt beigetreten sind, haben nicht daran gedacht, ihre Wehrmacht abzuschaffen, während unser Text über negative Maßnahmen wirklich noch hinausgeht. Aber Sie haben den Antrag gestellt, und man wird darüber abstimmen. Renner (KPD): Sie wollen doch nicht behaupten, daß mit dieser Fassung die Bildung eines Heeres für Westdeutschland abgelehnt ist? Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Fassung geht noch weiter. Sogar sogenannte Wehrsportvereine sind damit abgelehnt. Ich lasse über den Antrag abstimmen in Art. 29b als ersten Absatz einzufügen: „Der Krieg ist geächtet.“ Brockmann (Z): Es ist sehr schwierig, in diesem Augenblick über einen solchen Antrag abzustimmen. Ich beantrage, diesen Antrag zurückzustellen und ihn noch einmal zu besprechen, wenn wir an die weiteren einschlägigen Artikel der Vorlage herankommen. Es könnte, wenn man den Antrag – weil er nicht hierhergehört – jetzt ablehnt, das Gegenteil von dem gefolgert werden, was der Antrag besagt. Renner (KPD): Herr Brockmann, Sie Vertreter der „Partei der Mitte“, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich schon bei der ersten Lesung den Antrag gestellt habe und daß sich der Hauptausschuß mit der Materie bereits im negativen Sinne beschäftigt hat, indem er meinen Vorschlag abgelehnt hat, obwohl er zum Beispiel in Hessen von der Koalition SPD und CDU angenommen worden ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, die Abstimmung über den Zusatzantrag Renner auszusetzen. – Die Aussetzung ist mit 7 gegen 6 Stimmen beschlossen. Ich lasse jetzt über den einzigen Absatz des Art. 29b in der von mir vorgeschlagenen Formulierung abstimmen.

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Dr. Dehler (FDP): Soll nicht zunächst über den Vorschlag des Redaktionsausschusses abgestimmt werden ohne den Zusatz, daß auch Kriegsvorbereitungen verboten sind? Vors. Dr. Schmid (SPD): Gut, zuerst ohne den Zusatz: „insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten“. Brockmann (Z): Der Antrag auf Streichung dieses Zusatzes ist zurückgezogen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich mache darauf aufmerksam, daß Dr. Lehr den Antrag, diesen Zusatz zu streichen, zurückgezogen hat. Der Antrag liegt gar nicht mehr vor. Dr. Dehler (FDP): Ich beharre auf dem Vorschlag des Redaktionsausschusses mit der Änderung, daß statt „verboten“ gesetzt wird: „verfassungswidrig“. Ich nehme diesen Antrag auf. Brockmann (Z): In der Fassung des Redaktionsausschusses steht aber dieser Absatz nicht drin. Dr. Dehler (FDP): Deswegen stelle ich den Antrag. Brockmann (Z): Sie wollen ihn hineinsetzen? Wenn er nicht darin ist, brauchen wir nicht abzustimmen. Dr. Greve (SPD): Es liegt jetzt kein Antrag des Redaktionsausschusses vor, sondern das, was der Redaktionsausschuß formuliert hat, ist von Herrn Dr. Dehler aufgenommen und als Antrag gestellt worden in Abänderung des Artikels, wie er in der ersten Lesung des Hauptausschusses beschlossen wurde. Es liegt also ein formell richtiger Antrag von Herrn Dr. Dehler hier vor. Kaufmann (CDU): Der Antrag, der vom Herrn Vorsitzenden vorgelesen wurde, geht erheblich weiter als der Antrag des Redaktionsausschusses. Vors. Dr. Schmid (SPD): Deswegen lasse ich jetzt über ihn abstimmen. Art. 29b ist in der von mir verlesenen Fassung mit 16 gegen 3 Stimmen angenommen.

[2.4. VERBOT DER HERSTELLUNG VON WAFFEN]

Ich rufe auf – gleichfalls in der Fassung der ersten Lesung –: Art. 29c (1) Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen außer mit Genehmigung der Bundesregierung weder hergestellt noch befördert oder in Verkehr gebracht werden. (2) Das Nähere wird durch Gesetz bestimmt. Dr. Lehr (CDU): Ich schlage vor, das Wort „außer“ durch „nur“ zu ersetzen. Dr. Eberhard (SPD): Ich beantrage, die Worte „bestimmte Waffen“ zu ersetzen durch: „geeignete Waffen“. Es ist abzustellen auf die physische Eignung und nicht auf die Absicht zur Kriegführung24). Brockmann (Z): Wer bestimmt, was „geeignete Waffen“ sind? Diese Feststellung ist sehr schwierig.

24)

Im stenograph. Wortprot., S. 24, folgt danach die Wortmeldung: „Schönfelder (SPD): Wie ist das mit Dreschflegeln?“

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Man scheint hier nicht einig zu gehen. Es ist der Antrag gestellt, statt „zur Kriegführung bestimmte Waffen“ zu sagen: „zur Kriegführung geeignete Waffen“. Die redaktionelle Änderung – das Wort „außer“ durch „nur“ zu ersetzen – ist wohl allgemein akzeptiert. – Ich stelle Ihre Zustimmung fest. Renner (KPD): Ich beantrage, den Satz: „außer mit Genehmigung der Bundesregierung“ – in der neuen Formulierung: „nur mit Genehmigung der Bundesregierung“ – zu streichen, so daß die endgültige Formulierung heißen würde: Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen weder hergestellt noch befördert oder in Verkehr gebracht werden. Dr. Dehler (FDP): Ich beantrage für Abs. 2 die Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses: Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zuerst über die Abänderungsanträge abstimmen. Der Abänderungsantrag Dr. Eberhard geht dahin, die Worte „bestimmte Waffen“ zu ersetzen durch „geeignete Waffen“. – Dieser Abänderungsantrag ist mit 10 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Es bleibt also bei der Formulierung „bestimmte Waffen“. Von Herrn Abgeordneten Renner ist beantragt, die Worte „außer mit Genehmigung der Bundesregierung“ zu streichen. Die Streichung ist mit allen gegen 1 Stimme abgelehnt. [S. 350] Dann lasse ich über den gesamten Artikel abstimmen, mit der Maßgabe, daß Abs. 2 entsprechend dem Antrag des Allgemeinen Redaktionsausschusses lauten soll: „Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“ – Art. 29c ist in folgender Fassung: (1) Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert oder in Verkehr gebracht werden. (2) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. mit 20 gegen 1 Stimme angenommen.

[3. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT III: BUND UND LÄNDER] [3.1 ART. 30: AUSÜBUNG DER STAATLICHEN BEFUGNISSE]

Wir kommen zu Abschnitt III Bund und Länder. Ich rufe auf Art. 30 in der Fassung der ersten Lesung: Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zuläßt. Ich lasse abstimmen. – Art. 30 ist in dieser Fassung mit 20 Stimmen angenommen.

[3.2. ART. 31: BUNDESRECHT BRICHT LANDESRECHT]

Art. 31 Bundesrecht bricht Landesrecht. Ich lasse abstimmen. – Der Artikel ist einstimmig angenommen.

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[3.3. ART. 32: ZUSTÄNDIGKEIT VON BUND UND LÄNDERN]

Art. 32 Die Zuständigkeit von Bund und Ländern zur Gesetzgebung wird durch die Vorschriften über die ausschließliche Gesetzgebung und über die Vorranggesetzgebung geregelt. Die Gesetzgebung steht den Ländern zu, soweit sie nicht dem Bund zugesprochen ist. Dr. Dehler (FDP): Ich habe den Antrag gestellt, diesen Artikel als selbstverständlich zu streichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Artikel enthält praktisch nur eine Definition. (Dr. Dehler [FDP]: Sie wird in Art. 34 und 35 wiederholt.) – In den Artikeln, die die Zuständigkeit regeln. Es ist der Antrag gestellt, Art. 32 zu streichen25). – Die Streichung des Artikels ist bei Stimmengleichheit, 9 gegen 9 Stimmen, abgelehnt. Damit brauche ich nicht abstimmen zu lassen, ob der Artikel angenommen ist. Dr. Dehler (FDP): Wir haben aber nicht positiv abgestimmt. Sie haben nur meinen Antrag auf Streichung zur Abstimmung gestellt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe ausdrücklich festgestellt, daß es unter diesen Umständen nicht nötig sein dürfte, über den Artikel abzustimmen. Dr. Dehler (FDP): Das war etwas voreilig. Es könnte sich bei einer positiven Abstimmung über den Artikel Stimmengleichheit ergeben haben, und dann wäre der Artikel abgelehnt. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich möchte zu Art. 32 noch vorschlagen, statt „Vorranggesetzgebung“ zu sagen: „Vorrang bei der Gesetzgebung“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich über Art. 32 abstimmen mit der Änderung, daß es heißen soll: „über die ausschließliche Gesetzgebung und über den Vorrang bei der Gesetzgebung geregelt.“ – Art. 32 ist mit 11 gegen 10 Stimmen abgelehnt.

[3.4. ART. 33: AUSSCHLIESSLICHE GESETZGEBUNG]

Ich rufe auf

Art. 33 Im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes haben die Länder nur dann die Befugnis zur Gesetzgebung, wenn sie hierzu in einem Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt werden oder wenn ihre Gesetze lediglich den Vollzug von Bundesgesetzen zum Gegenstand haben. Der Allgemeine Redaktionsausschuß (PR. 12.49 – 370)26) schlägt folgende Fassung vor: 25)

Im stenograph. Wortprot., S. 26, folgt danach: „Wer für die Streichung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. 9 Stimmen. – Gegenprobe. – 9 Stimmen. (Zuruf) Das Abstimmungsergebnis wird angezweifelt. Ich lasse nochmals abstimmen. Wer für die Streichung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. – 9 Stimmen. – Ich kann nicht mehr feststellen. Der Antrag auf Streichung ist abgelehnt.“ 26) Zu Drucks Nr. 370 vom 13. Dez. 1948 mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu Art. 1–85 vgl. oben S. 860, Anm. 11.

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Im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes haben die Länder nur dann die Befugnis zur Gesetzgebung, wenn sie hierzu in einem Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt werden. Dr. Laforet (CSU): Der Redaktionsausschuß will Schwierigkeiten beseitigen, die dadurch entstehen, daß es in der Fassung der ersten Lesung heißt: „wenn ihre Gesetze lediglich den Vollzug von Bundesgesetzen zum Gegenstand haben“. Ich sehe in diesen Worten eine Unklarheit und bin der Meinung des Redaktionsausschusses, man solle diese Unklarheit dadurch beseitigen, daß man diese Worte streicht. Wenn beispielsweise das Freizügigkeitsgesetz ein Landesgesetz über das Aufenthaltswesen erlaubt, dann muß die Grundlage für das Aufenthaltsgesetz des Landes in dem Bundesgesetz gegeben sein, einerlei, wann das Aufenthaltsgesetz des Landes erlassen worden ist. Ohne diese Grundlage gibt es kein Landesgesetz. Diese klare Linie wird verwischt, wenn gesagt wird, daß ein Gesetz lediglich den Vollzug von Bundesgesetzen zum Gegenstand hat, ohne daß dabei betont wird, aus welcher Zeit dieses Landesgesetz datiert. Ich meine, man soll das der Auslegung überlassen und den Satz wegstreichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie stellen den Antrag, diesen Satz zu streichen? Dr. Laforet (CSU): Ich beantrage, dem Vorschlag des Redaktionsausschusses zu entsprechen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es sollen also die Worte von „oder“ bis „zum Gegenstand haben“ gestrichen werden. Ich lasse darüber abstimmen. – Die Streichung ist mit 19 Stimmen beschlossen. Dann lasse ich abstimmen über Art. 33 ohne den soeben gestrichenen Halbsatz. – Art. 33 ist in dieser Fassung einstimmig angenommen.

[3.5. ART. 34: VORRANGGESETZGEBUNG]

Art. 34 Im Bereich der Gesetzgebung, bei welcher der Bund den Vorrang hat, behalten die Länder das Recht der Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat. Der Bund soll nur regeln, was einheitlich geregelt werden muß. – Angenommen gegen 1 Stimme. Wir kommen zu Art. 35. Zu diesem Artikel hat der Allgemeine Redaktionsausschuß eine andere Reihenfolge der Ziffern ausgearbeitet, ohne am Text der einzelnen Ziffern etwas zu ändern. Ich schlage vor, diese Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses (PR. 12.48 – 370)27) Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 4, S. 133– 161. der Beratung zugrunde zu legen. Ich rufe die Ziffern einzeln auf und lasse ziffernweise abstimmen: Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über: 1. die auswärtigen Angelegenheiten; – Einstimmig angenommen. 27)

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Zu Drucks Nr. 370 vom 13. Dez. 1948 mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu Art. 1–85 vgl. oben S. 860, Anm. 11.

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2. die Staatsangehörigkeit im Bund und in den Ländern; – Einstimmig angenommen. 3. die Freizügigkeit, das Paßwesen, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung; – Einstimmig angenommen. 4. das Währungs-, Geld- und Münzwesen, Maße und Gewichte sowie die Zeitbestimmung; – Einstimmig angenommen. 5. die Einheit des Zoll- und Handelsgebietes, die Handels- und Schifffahrtsverträge, die Freizügigkeit des Warenverkehrs und den Warenund Zahlungsverkehr mit dem Ausland; – Einstimmig angenommen. [S. 351] 6. die Bundeseisenbahnen und den Luftverkehr; – Einstimmig angenommen. 7. das Post- und Fernmeldewesen. Dr. Laforet (CSU): Ich möchte daran erinnern, daß in erster Lesung ausdrücklich erklärt worden ist, daß darunter nur der technische Rundfunk fällt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nur das Technische am Rundfunkwesen, so daß die kulturelle Betreuung, wenn man noch so sagen darf, nicht dazu gehören soll. Wagner (SPD): Wir sind uns im Zuständigkeitsausschuß darüber einig gewesen, daß darunter nur das Technische und Organisatorische, nicht aber das Kulturelle am Rundfunk zu verstehen ist. Dr. Laforet (CSU): Wir waren in der ersten Lesung der Meinung, daß nur das rein Technische unter das „Fernmeldewesen“ fällt, aber es lassen sich Kultur und Organisation nicht trennen. Es ist das vor allem wichtig hinsichtlich der Rundfunkgebühren. Gedacht ist doch, daß alles das, was im Rundfunkwesen mit dem Fernmeldewesen technisch verbunden ist, unter die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes fällt, daß dagegen die Organisation der Rundfunkgesellschaften und dann vor allem das ganze Rundfunkkulturgut hier nicht erfaßt werden. Ich würde bitten, daß wir es bei diesem Ergebnis der ersten Lesung belassen. Ich halte es für besser als die zweifelhafte Stellungnahme, die wir im Zuständigkeitsausschuß gehabt haben. Wagner (SPD): Der Zuständigkeitsausschuß hat nie eine zweifelhafte Stellungnahme gehabt. Dafür hat schon die gründliche Kontrolle des Herrn Dr. Laforet gesorgt. Es wurden alle Begriffe derart definiert, konstruiert und kommentiert, daß man nicht behaupten kann, daß ein Zweifel übriggeblieben ist. Ich muß feststellen, daß wir dann eben nicht einer Meinung sind. Wir stehen genau so wie im Zuständigkeitsausschuß, auf dem Standpunkt, daß in dem Begriff „Fernmeldewesen“ sowohl die technische wie die organisatorische, nicht aber die kulturelle Seite des Rundfunks eingeschlossen ist. Dr. Laforet (CSU): Inzwischen hat sich wieder manches ereignet. Wagner (SPD): Ja, jeden Tag etwas Neues. Dr. Laforet (CSU): An uns sind ja auch die Dinge herangetragen worden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können nicht warten, bis sich nichts mehr ereignet. Dr. Laforet (CSU): Die Frage ist inzwischen wieder geprüft worden, und es fragt sich, ob wir nicht klüger tun, wenn wir nur das rein Technische im Fernmeldewe-

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sen erfassen, also den einzelnen Ländern die Möglichkeit von Rundfunkgesetzen hinsichtlich der organisatorischen Gestaltung überlassen. Wagner (SPD): Gerade das, was in der Zwischenzeit sich ereignet zu haben scheint, gibt uns Veranlassung, besonderen Wert auf die Betonung unseres Standpunktes zu legen. Renner (KPD): Ich kann die Leibschmerzen des Herrn Dr. Laforet wirklich verstehen. Was sich in der letzten Zeit ereignet hat, ist das Eingreifen einer gewissen Seite, das dazu geführt hat, daß eine gewisse Mehrheit in diesem Hause und in diesem Gremium vor allem auf die Durchfechtung der kulturpolitischen und kirchenrechtlichen Belange auf diesem Gebiet einen besonders gesteigerten Wert legt. Es kann zu einem gewissen Widerspruch führen, wenn die organisatorische Seite der Geschichte nicht in derselben Hand ist, die auch über die kulturelle Seite zu bestimmen hat. Deshalb verwahrt sich Herr Dr. Laforet hier mit für ihn guten Gründen gegen eine Einbeziehung der organisatorischen Seite in das Gebiet der Bundesgesetzgebung. Ich bin der Meinung, daß nur dann eine gesunde demokratische Ausnutzungsmöglichkeit des Rundfunkwesens gegeben ist, wenn auch die kulturelle Leitung in eine einheitliche Hand, nämlich in die Hand des Bundes, gelegt wird. Ich erhebe die Preisfrage: Haben Sie sich nicht auf eine sogenannte Westkultur geeinigt? Gibt es in Bayern eine andere Variante der Westkultur als etwa in Rheinland-Westfalen? Man sollte meinen, Sie sind sich über den Begriff Westkultur einig geworden. Ich sehe die Notwendigkeit nicht ein, daß Bayern sich hier eine besondere Einflußmöglichkeit sichern soll. Westkultur ist doch ein einheitlicher Begriff. Oder gibt es doch Varianten? Es gibt doch wohl noch Varianten. Ein Nachgeben gegenüber der Forderung der CDU, die kulturelle Seite der Sache außerhalb der Bundesregelung zu lassen, ist meines Erachtens etwas, was zumindest von einem Sozialdemokraten abgelehnt werden müßte. Lehnen Sie das nicht ab, dann haben Sie den bayrischen Rundfunk mit der bayrischen Westkultur, den nordwestdeutschen Rundfunk mit der rheinisch-hannoveranischen und den Hamburger Rundfunk mit der Hamburger Westkultur. (Zuruf: Sie schalten ja doch ab!) – Ja, wenn Sie mit Ihrer Westkultur kommen, dann schalte ich ab. Das ist Grundsatz. Ich will mir meine Kultur erhalten und sie nicht verderben lassen. Ich wollte nur auf diese Dinge hinweisen, die Herrn Dr. Laforet veranlaßt haben, diese Klärung zu fordern. Man soll die Dinge beim Namen nennen: Sie wollen den bayrischen Rundfunk mit allem Drum und Dran und sind so vorsichtig, die Westkultur in dieser Form abzulehnen. So vorsichtig sind Sie! Man kann ja nie wissen! Dr. Lehr (CDU): Ich beantrage zur Abkürzung der Verhandlungen, daß wir diesen Punkt noch einmal an den Zuständigkeitsausschuß zurückverweisen, den Direktor der Verwaltung für Post28) und andere Sachverständige zuziehen, damit sie uns die nötige Aufklärung über die organisatorischen Fragen geben. 28)

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Hans Schuberth (1897–1976), 1945 Vizepräsident und Leiter der Personalabteilung der Oberpostdirektion München, später Regensburg, seit 1947 Staatssekretär für das Posund Fernmedlewesen im bayerischen Verkehrsministerium, 1947–1949 Direktor der Hauptverwaltung für das Post- und Fernmeldewesen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, 1953–1957 Mitglied des Deutschen Bundestages. Vgl. Vogel: Westdeutschland, Teil III, S. 180.

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Wagner (SPD): Man kann manche Frage ganz sicher dadurch lösen, daß man sie an Ausschüsse zurückverweist. Es gibt aber Fragen, bei denen eine Rückverweisung nur eine Vertagung bedeutet und beinahe gar keinen Erfolg hat. Wenn Sie anregen, daß wir Sachverständige hören sollen, so glaube ich nicht, daß diese Anregung den Verhandlungen förderlich ist. Ich verspreche mir von der Vernehmung von Sachverständigen in diesem Falle gar nichts; denn es handelt sich hier nicht um eine Sachverständigenfrage, sondern um eine politische Frage. Der Zuständigkeitsausschuß kann politische Fragen nicht entscheiden. Politische Fragen müssen im Hauptausschuß entschieden werden. Daher bin ich gegen eine Zurückverweisung an den Zuständigkeitsausschuß. Dr. Laforet (CSU): Dann muß hier entschieden werden, was man unter dem Wort „organisatorisch“ versteht. Können die Länder nach wie vor Organe einsetzen, die das kulturelle Gut betreuen?29) Die Frage ist von größter Bedeutung: Sind die Rundfunkgesetze der Länder gegenstandslos oder nicht? Die Länder haben sich Rundfunkgesetze gegeben, in denen bestimmte Organe eingesetzt sind, die die Vermittlung des Kulturgutes durch den Rundfunk überwachen und die bestimmte Anforderungen an diejenigen stellen, die im Rundfunkdienst tätig sind. Es dreht sich um die Frage, ob diese Bestimmungen, die inzwischen in den Vordergrund getreten sind, ausgeschlossen werden sollen oder nicht. Es ist zweifelhaft, ob das technische Dinge sind. Wir haben sie mit dem Wort „organisatorisch“ gefaßt, wir sind uns aber wohl darüber klar, daß das Wort „organisatorisch“ hier einer Klarstellung bedarf. Soll nur der Inhalt den Ländern freigestellt werden, und dürfen sie nicht Maßnahmen treffen, daß der nach ihrer Forderung zu gebende Inhalt in der Durchführung gesichert und die Durchführung überwacht wird? Das ist der Kernpunkt. Vielleicht wäre es doch gut – ich bin auch nicht für Rückverweisung in unerheblichen Dingen –, wenn wir uns das noch einmal überlegen würden. [S. 352] Dr. von Mangoldt (CDU): Es scheint sich aus der Diskussion klar zu ergeben, daß gewisse Zweifel herrschen, inwieweit die gesetzliche Regelung des Rundfunkwesens unter den Begriff des Post- und Fernmeldewesens fällt. Wenn diese Zweifel auftauchen, dann können sie auch später auftauchen, und kein Kommentar kann sie beseitigen. Dann ist es Aufgabe eines Zusatzes über das Rundfunkwesen, das klarzustellen. Es scheint mir daher nötig zu sein, noch einmal im Ausschuß darüber zu sprechen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, es hat keinen Sinn, über diese Frage viele Worte zu wechseln. Ich lasse darüber abstimmen, ob der Hauptausschuß wünscht, daß diese Ziffer wegen der Rundfunkangelegenheiten noch einmal an den Fachausschuß zurückverwiesen wird. – Der Antrag auf Zurückverweisung ist mit 11 gegen 10 Stimmen abgelehnt. Es muß über die Ziffer 7 abgestimmt werden. Dr. Laforet (CSU): Dann bleibt die Möglichkeit, daß wir einen Ausweg durch folgende Formulierung suchen: „das Post- und Fernmeldewesen einschließlich des technischen Rundfunks;“ Dr. Greve (SPD): Diesen Vorschlag bitte ich abzulehnen. Ich kann durchaus die Bedenken verstehen, die Herr Dr. Laforet als bayerischer Abgeordneter vorträgt. Auf 29)

Im stenograph. Wortprot., S. 34, folgt danach der Zwischenruf: „(Dr. Greve [SPD]: Darüber müssen Sie einen Kommentar schreiben!)“

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der anderen Seite handelt es sich hier für uns nicht um eine cura posterior, sondern darum, ob wir jetzt dem Bund die ausschließliche Gesetzgebung über das Post- und Fernmeldewesen zugestehen oder nicht. Zu entscheiden, ob die Gesetze, die in einzelnen Ländern auf dem Gebiet des Rundfunkwesens erlassen sind, mit einer späteren Bundesgesetzgebung in Übereinstimmung zu bringen sind, ist nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist allein, darüber zu entscheiden, ob das Postund Fernmeldewesen in die ausschließliche Zuständigkeit der Bundesgesetzgebung fällt, einschließlich derjenigen Maßnahmen, die auf organisatorischem Gebiet zu treffen sind. Wie mein Kollege Wagner schon ausgeführt hat, sind wir dafür, daß die organisatorischen Maßnahmen in die Begriffsformulierung „Post- und Fernmeldewesen“ einbezogen werden, und zwar aus guten Gründen, weil nämlich sehr viele Länder am Rundfunk beteiligt sind, für die die Organisation des Rundfunks überhaupt nicht auf ihrem Gebiet liegt. Ich erinnere an Hamburg, das zumindest drei Länder versorgt: Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Es ist notwendig, daß die Zuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet des Fernmeldewesens einschließlich der organisatorischen Maßnahmen so fixiert wird, wie es hier vorgesehen ist. Brockmann (Z): Rein geschäftsordnungsmäßig liegen die Dinge so, daß sowohl in der ersten Lesung des Hauptausschusses wie in den Beratungen des Koordinierungsausschusses nur davon die Rede war, daß in Ziffer 7 die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes über das Post- und Fernmeldewesen vorgesehen ist. Ich bedaure, daß wir erst jetzt darauf kommen, diesen Punkt noch einmal zu modifizieren, und daß jetzt von Herrn Dr. Laforet eine Frage angeschnitten wird, deren Bedeutung ich in keiner Weise verkenne, nämlich die Frage, ob unter Ziffer 7 auch die organisatorische Seite des Rundfunks fällt. Ich bin der Meinung, wir sollten heute Art. 35 Ziffer 7 so annehmen, wie er vorliegt, und uns vorbehalten, zur dritten Lesung eine abgerundete Stellungnahme bzw. einen Zusatzantrag einzubringen. Denn mir scheint die Frage noch gar nicht geklärt zu sein. Auf eines möchte ich noch hinweisen: Seien wir nicht zu bange! Am Anfang des Art. 35 steht ausdrücklich: Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung. Es ist also das Bundesparlament, das letzten Endes die Gesetzgebung zu machen hat, (Zuruf: Mit dem Bundesrat!) – mit dem Bundesrat natürlich –, und da bin ich nicht bange, daß in dem Bundesparlament die Bäume derer, die nach dieser Richtung eine überzentralistische Lösung wünschen, in den Himmel wachsen. Ich würde Sie freundlichst bitten, Herr Kollege Dr. Laforet, Ihre Bedenken zurückzustellen und jetzt Art. 35 Ziffer 7 anzunehmen. Dann können wir uns vielleicht, wenn wir anderer Auffassung sind, auf einen gemeinsamen Antrag für die dritte Lesung einigen, der Hand und Fuß hat. Aber hier etwas zu beschließen, von dem man nicht weiß, ob es nicht in dritter Lesung wieder abzuändern ist, das möchte ich nicht gern mitmachen. Dr. Laforet (CSU): Das Mißliche ist, daß wir das Wort Fernmeldewesen authentisch interpretieren und uns darüber klar werden müssen, ob wir unter dem Fernmeldewesen nur das Technische des Rundfunks oder, soweit das Technische in das Organisatorische hineinreicht, auch das Organisatorische verstehen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube nicht, daß man zum Beispiel die Übertragung einer Beethovensymphonie als einen Teil des Fernmeldewesens bezeichnen kann,

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so wenig wie man ein Konzert als eine Angelegenheit des Geigenbauergewerbes betrachten kann. Dr. Laforet (CSU): Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die Posthoheit diese Tätigkeit der Übertragung, soweit sie technisch durchgeführt wird – Wellenlänge, Art der Gestaltung des Technischen – erfaßt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Wellenlängen werden international festgesetzt30). Dr. Laforet (CSU): Ja, die werden international festgesetzt. Aber in den sonstigen Fragen technischer Art, die den Rundfunk betreffen, ist kein Zweifel, daß die Postverwaltung die Befugnis hat. Ebenso ist es kein Zweifel, daß das Kulturgut sachlich nicht erfaßt wird. Die Frage ist nur die, ob die Art der Gestaltung des Kulturgutes ausschließlich zur Zuständigkeit des Bundes gehört. Etwas ganz anderes wäre es, wenn das Rundfunkwesen in die Vorranggesetzgebung eingesetzt wird. Die Schwierigkeiten, die jetzt bei näherer Prüfung entstanden sind, zusammen mit dem, was von anderer Seite an uns herangetragen wurde, liegen darin, daß hier ein ungelöstes Etwas mit in die Praxis hinübergegeben wird. Das möchte ich vermeiden. Kaufmann (CDU): Es ist zu bedauern, daß der Antrag auf Zurückverweisung an den Ausschuß nicht angenommen wurde. Die ganze Diskussion beweist, daß eine Anzahl von unklaren Begriffen vorhanden sind, die sauber definiert werden müssen. Diese Dinge sind in Frankfurt bei der Verwaltung für Post eingehend durchgearbeitet und so klar definiert worden, daß eine einfache Rückfrage ergeben hätte, was die Post an technischen und organisatorischen Notwendigkeiten braucht. Bei der Verwaltung für Post besteht nicht der geringste Ehrgeiz, in die kulturellen Angelegenheiten des Rundfunks irgendwie einzugreifen, sondern es besteht nur das Interesse, ihn technisch und organisatorisch soweit zu sichern, wie das erforderlich ist. Das wäre sehr einfach im Ausschuß zu klären gewesen. Wir können im Augenblick nichts anderes tun, als uns der Stimme zu enthalten, weil die Sache auch durch die Diskussion nicht geklärt ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen. Am weitesten geht der Antrag: „das Post- und Fernmeldewesen“, also das Fernmeldewesen einschließlich des technischen Rundfunks. Ich würde vorschlagen, das folgendermaßen zu formulieren: „Angelegenheiten des Rundfunks“. Das ist meines Erachtens präziser. Ihr Zusatzantrag, Herr Kollege Dr. Laforet (Dr. Laforet [CSU]: Ich habe keinen Zusatzantrag gestellt, ich habe ihn in Erwägung gestellt.) – Dann ist es anders. Dann lasse ich abstimmen über Ziffer 7: „das Post- und Fernmeldewesen“. – Ziffer 7 ist mit 12 Stimmen angenommen bei Stimmenthaltungen aus Gründen, die vorhin mitgeteilt worden sind. 8. die Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes und der bundesunmittelbaren Selbstverwaltung stehenden Personen. 30

Die Zuweisung von Frequenzbändern erfolgt über die World Radiocommunication Conference (WRC), diese wird vorbereitet durch die Internationale Fernmeldeunion (ITU) mit Sitz in Genf und ist wiederum eine Unterorganisation der Vereinten Nationen. Vorgänger der ITU ist der 1865 gegründete Internationale Telegraphenverein. Christian Henrich-Franke: Globale Regulierungsproblematiken in historischer Perspektive: Der Fall des Funkfrequenzspektrums 1945–1988. Baden-Baden 2006.

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[S. 353] Das ist die Ziffer, die ich vorhin als Ziffer 2 aufgerufen habe und über die schon abgestimmt ist. Zinn (SPD): Ich beantrage, das Wort „Selbstverwaltung“ zu ersetzen durch „Körperschaften des öffentlichen Rechts“. Es kann Körperschaften des öffentlichen Rechts geben, die nicht Selbstverwaltungskörperschaften sind. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja. Es würde dann heißen: die Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts stehenden Personen. Ich lasse über die Ziffer in dieser Fassung abstimmen. – Ziffer 8 ist einstimmig angenommen. 9. den gewerblichen Rechtsschutz, das Urheberrecht und das Verlagsrecht. Ich lasse abstimmen. – Ziffer 9 ist angenommen. 10. das Bundeskriminalwesen. Dr. Lehr (CDU): Ich beantrage die Streichung der Ziffer 10. Wir wollen in Art. 36 einen Zusatz zu Ziffer 1 unter der Bezeichnung Ziffer 1a vorsehen und dort diese Fragen zusammenstellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Für das Bundeskriminalwesen? Dr. Lehr (CDU): Grundsätze für die Zusammenarbeit der Länder in der Kriminalpolizei. Dr. Laforet (CSU): Ich darf die Begründung vortragen. Das Grundgesetz geht von dem Grundgedanken aus, daß die Polizeihoheit in der Hand der Länder liegt. Nach dem Beschluß des Hauptausschusses in erster Lesung war unter den Gegenständen der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes aufgeführt das Bundeskriminalwesen mit einem Zusatz: „zur Bekämpfung des gemeingefährlichen Verbrechertums“. So war es vom Zuständigkeitsausschuß vorgeschlagen. In der ersten Lesung wurde dieser Zusatz gestrichen. Was jetzt unter „Bundeskriminalwesen“ zu verstehen ist, ist völlig unklar geworden. Die Kriminalpolizei fällt unter die Polizeihoheit der Länder, und es wäre mit der Polizeihoheit der Länder unvereinbar, wenn ein wichtiger Zweig der Polizei, wie die Kriminalpolizei, von der Polizeihoheit der Länder ausgenommen und ganz oder teilweise dem Bund zugewiesen werden würde. Keinesfalls könnte es vom Standpunkt der Staatlichkeit der Länder hingenommen werden, daß mit dem Wort „Bundeskriminalwesen“ ein grundsätzlicher Einbruch in die Polizeihoheit der Länder und eine Weisungsbefugnis des Bundes für den Vollzug der Polizei geschaffen werden soll. Die Verfolgung eines Verbrechers über die Grenzen eines Landes hinaus ist schon jetzt durch die Vereinbarung der Länder über die Befugnisse der Nacheile und die Vornahme von Untersuchungshandlungen außerhalb der örtlichen Zuständigkeit vollständig gesichert. (Widerspruch.)31 Es ist das Mögliche heute schon geschehen, und soweit es noch zu tun ist, möchte ich dem Gedanken Rechnung tragen, den ich nachher noch auszuführen habe. Nach den uns gegebenen Eröffnungen der süddeutschen Länder einschließlich Hessen ist diese Gewährleistung bis jetzt im wesentlichen gegeben. Wir wollten im Zuständigkeitsausschuß die Möglichkeit einer einheitlichen Regelung polizeitech31

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„(Widerspruch.)“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 42.

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nischer Fragen schaffen. Dazu gehört das Polizeinachrichtenwesen zur Bekämpfung internationaler Taschendiebe und anderer internationaler Verbrecher, die Feststellung der Person, die Identifizierung, namentlich Vermißter und unbekannter Toter, insbesondere das Fingerabdruckverfahren und andere technische Mittel und weiter die Polizeistatistik. Am 18./19. Oktober 1948 waren die beteiligten Referenten der Innenministerien von Württemberg-Baden, Bayern und Hessen beisammen, und es bestand Übereinstimmung darüber, daß zur Erreichung dieser polizeitechnischen Ziele die Errichtung eines Bundeskriminalamtes überflüssig ist. Die Ziele werden – ohne daß diese ganz unklare Bezeichnung „Bundeskriminalwesen“ hier hereinkommt und damit die Gefahr einer völligen Änderung der Grundgestaltung und die Gefahr ständiger Streitigkeiten eintritt – völlig durch die Vereinbarung der Länder erreicht. Es kann für das Zusammenarbeiten der Gliedstaaten, für die Koordination der obersten Polizeistellen in den Ländern noch eine besondere Sicherung gegeben werden, wenn dem Bund in der Vorranggesetzgebung die Befugnis zugebilligt wird, Grundsätze für die Zusammenarbeit der Länder in der Kriminalpolizei aufzustellen. Dann könnten auch Lücken, soweit sie jetzt polizeitechnisch in der Verfolgung des Verbrechers gegeben sind, ausgeglichen werden. Dadurch würde dem Bund die Möglichkeit gegeben werden, die Zusammenarbeit, die Koordination der Länder in diesen polizeitechnischen Fragen zu sichern, und wir wüßten bestimmt, daß nicht ein gefährliches Wort in einer späteren Zeit ganz anders ausgelegt wird, als es jetzt hier wohl von denjenigen oder der Mehrzahl derjenigen, die diese Bestimmung in das Gesetz aufnehmen wollen, intendiert ist. Ich glaube, es ist von der Seite, deren Anschauung ich für durchaus richtig halte, hier alles Entgegenkommen gezeigt worden, um eine Koordination unter allen Umständen eintreten zu lassen. Aber es ist eine hochpolitische Frage, ob die Kriminalpolizei Bundessache ist oder ob die Polizeihoheit der Länder auch hier entscheidet. Dr. Menzel (SPD): Ich bitte, den Antrag, den Herr Dr. Lehr gestellt hat, abzulehnen. Selbst wenn man die neue Formulierung annehmen könnte oder sollte, würde die so formulierte Zuständigkeit auch in die ausschließliche Gesetzgebung fallen; denn in die Vorranggesetzgebung kann nur das aufgenommen werden, was notfalls auch die Länder durch Gesetz regeln können. Aber es ist begrifflich nicht möglich, daß ein Land ein Gesetz über die Zusammenarbeit der Länder erläßt. Wer die Praxis der Polizei kennt, der weiß, mit welch ungeheuren Schwierigkeiten wir bei der Verfolgung des interzonalen Verbrechertums zu kämpfen haben. Der Verbrecher fragt nicht danach, ob hier oder dort eine Landes- oder Zonengrenze ist. Bei der Nacheile sind immer Voraussetzungen zu erfüllen, ehe der Fall der Nacheile vorliegt. Jeder Beamte wird in einen Konflikt gebracht, weil er bei einer erforderlichen Amtshandlung erst einmal zu prüfen hat, ob die verschiedenen Voraussetzungen der verschiedenen Vereinbarungen erfüllt sind, und er wird, wenn er im Zweifel ist, um sich keinem Disziplinarverfahren auszusetzen, lieber von der Nacheile absehen. Daher müssen wir von diesen Einzelvereinbarungen, die von Land zu Land anders liegen, absehen und müssen diese Frage der Nacheile dem Bund zur Gesetzgebung überweisen. Ich möchte noch darauf hinweisen, Herr Dr. Laforet, es geht nicht um die Errichtung einer Bundeskriminalexekutive, sondern um die Frage der Gesetzgebung über

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die Errichtung einer besonderen Exekutive, und es sind ferner die besonderen Voraussetzungen der anderen Artikel zu erfüllen, die die Einschaltung des Bundesrats vorsehen. Wenn wir es mit der polizeilichen Arbeit unserer Beamten ernst nehmen, dürfen wir ihnen das Leben nicht noch schwerer machen, als es schon ist. Deswegen müssen wir darauf bestehen, daß das Bundeskriminalwesen nur vom Bund geregelt werden kann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Kaufmann hat den Antrag gestellt, die Abstimmung zurückzustellen. Er glaubt, daß das einer vernünftigen Lösung förderlich ist. Ich lasse über den Antrag abstimmen. – Der Antrag ist einstimmig angenommen. 11. die Statistik für Bundeszwecke. Ich lasse abstimmen. – Ziffer 11 ist einstimmig angenommen. Schluß der Sitzung 18.05 Uhr.

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Nr. 30 Dreißigste Sitzung des Hauptausschusses 6. Januar 1949 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 355–371. PA 2004. Ungez. von Herrgesell gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 528 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: de Chapeaurouge3), Fecht4), Kaufmann, Kleindinst5), Laforet, Lehr, von Mangoldt, Walter6) SPD: Greve, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wolff, Zimmermann (zeitweise vertreten durch Wagner) FDP: Becker7), Höpker Aschoff8) DP: Seebohm KPD: Renner9) Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Eberhard (SPD), Katz (SPD), Löwenthal (SPD), Mücke (SPD), Suhr (SPD) Mitglieder des Redaktionsausschusses: Dehler (FDP), Zinn (SPD) Stenographischer Dienst: Herrgesell Dauer: 15.15–17.55 Uhr

[1. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT III: BUND UND LÄNDER]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe auch heute die Freude, einem Mitglied unseres Ausschusses die Glückwünsche seiner Kollegen aussprechen zu können. Es ist der Herr Kollege Renner, den ich hiermit herzlich zu seinem neuen Lebensjahr beglückwünsche. Möge ihm die Kraft beschieden bleiben, mit der er uns bisher so nützliche Dienste hat leisten können. Renner (KPD): Ich darf Ihnen danken, Herr Vorsitzender, nachdem ich bisher von Ihnen in der Hauptsache nur Ordnungsrufe bekommen habe. (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Sie haben sie gewollt, Herr Kollege Renner!) Deshalb freut mich dieser Glückwunsch ganz besonders. Seien Sie überzeugt, er geht mir so zu Herzen, wie er Ihnen von Herzen kommt. (Heiterkeit.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wird mir mitgeteilt, daß über die Ziffer 10 des Art.35 heute noch nicht abgestimmt werden möge. Wir wollen diesem Wunsch Rechnung tragen. 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

Protokollführer Wernicke. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Vertreter für Adenauer. Vertreter für Süsterhenn. Vertreter für Pfeiffer. Vertreter für von Brentano. Vertreter für Heuss. Vertreter für Dehler. Vertreter für Reimann.

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Dreißigste Sitzung des Hauptausschusses 6. Januar 1949 [1.1. ART. 36: VORRANGGESETZGEBUNG DES BUNDES]

Ich rufe auf Art. 36. Der Bund hat den Vorrang bei der Gesetzgebung über: 1. das bürgerliche Recht, das Strafrecht und den Strafvollzug, die Gerichtsverfassung, das gerichtliche Verfahren, die Rechtsanwaltschaft und die Rechtsberatung. Der Entwurf des Allgemeinen Redaktionsausschusses10) lautet ganz ähnlich. Der Unterschied ist, daß es hinter „Strafvollzug“ heißt: „die Verfassung der Gerichte, das gesamte gerichtliche Verfahren“ usw. Hierzu liegen Zusatzanträge vor, zunächst ein Zusatzantrag PR. 12.48 – 37711), Dr. de Chapeaurouge, Dr. Lehr, Dr. Greve, Dr. Selbert, Dr. Becker, die Worte „und das Notariat“ einzufügen, ferner ein interfraktioneller Eventualantrag PR. 12.48 – 38312), zuzusetzen: „Änderungen der Einrichtung des jetzt bestehenden Notariats in den Ländern Baden, Bayern, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern bedürfen der Zustimmung der betreffenden Länderregierungen.“ (Dr. Lehr [CDU]: Das letztere käme in die Übergangsbestimmungen.) – Ja! Wagner (SPD): Der Beschluß des Hauptausschusses in erster Lesung entspricht dem Beschluß des Zuständigkeitsausschusses13). Inzwischen hat der Ausschuß für Verfassungsgerichtsbarkeit die Frage im Rahmen seiner Zuständigkeit auch beraten, und der Redaktionsausschuß hat den Beschluß des Ausschusses für Verfassungsgerichtsbarkeit zu seinem eigenen Beschluß gemacht. Ich übernehme die Ziffer 1 des Art. 36 des Beschlusses des Redaktionsausschusses und beantrage demgemäß, Art. 36 Ziffer 1 so zu formulieren, wie der Redaktionsausschuß es vorgeschlagen hat. Ich möchte noch zu dem Antrag betreffend das Notariat eine Bemerkung machen. An und für sich würde ich es für sehr wünschenswert halten, daß die Frage des Notariats genau so bundeseinheitlich geregelt werden würde und könnte wie die Frage der Rechtsanwaltschaft. Die Dinge sind aber in den Ländern, insbesondere in Württemberg, im Laufe der Zeit so anders geworden, daß ich glaube, die Einfügung der vorgeschlagenen Worte „und das Notariat“ würde in diesen Ländern eine sehr unliebsame Aufnahme finden. Wir haben bereits in der ersten Lesung aus dem Munde des Herrn Vorsitzenden gehört, wie die Dinge in Württemberg sich entwikkelt haben. Ich glaube, man wird es in Württemberg als einen Affront empfinden, wenn ein dort bewährtes System insofern in Gefahr geraten könnte, als man dem Bund den Vorrang läßt, über die Frage des Notariats einheitliche, für den ganzen 10)

Für den Wortlaut der Drucks Nr. 370 vom 13. Dez. 1948 mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu Art. 1–85 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 4, S. 133–161. 11) Drucks. Nr. 377 vom 10. Dez. 1948 enthält den Antrag im Art. 36 Ziff. 1 die Worte „um das Notariat“ einzufügen. . 12) Der interfraktionelle Antrag ging auf einen gleichlautenden Antrag der CDU/CSU-Fraktion zurück. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 46, S. 1128 mit Anm. 98. 13) Vgl. den Artikelentwurf des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung vom 18. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 22, S. 643.

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Bund bindende Gesetze zu erlassen. Man kann dagegen zwar einwenden: der Bund kann in seiner Gesetzgebung die Dinge anders gestalten. Aber der Eindruck und wahrscheinlich auch die Wirkung für den Bundesgesetzgeber wäre, daß angenommen werden müßte, man wünsche eine völlige Vereinheitlichung des Ganzen. Diese völlige Vereinheitlichung, so wünschenswert sie rein theoretisch wäre, scheint mir doch nicht so zwingend zu sein, daß man alte, erprobte Einrichtungen in gewissen süddeutschen Ländern, insbesondere in Württemberg, über den Haufen werfen sollte. Aus diesem Grunde möchte ich mich persönlich gegen diesen Antrag aussprechen. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich bitte, mir zu erlauben, mich zunächst nur mit der Frage des Notariats zu befassen und die Frage, die Herr Wagner zuerst angeschnitten hat, nämlich die Umänderung der Ziffer 1 hinsichtlich der Verfassung der Gerichte und des gesamten gerichtlichen Verfahrens, als zweiten Teil unserer Aussprache zu behandeln. Sonst würden die Dinge durcheinanderkommen. Ich habe meinerseits in der ersten Lesung bereits beantragt, die Worte „und das Notariat“ in Ziffer 1 aufzunehmen bzw. wieder aufzunehmen. Teilweise haben die Worte im Verlauf der Beratungen schon einmal dringestanden. Ich habe eingehend ausgeführt, wie die Bestrebungen auf Vereinheitlichung des deutschen Notariats Jahrzehnte zurückgehen und wie sie endlich erst während der Hitlerzeit in die Realität der Gesetzgebung übertragen wurden. Es kam ein allgemeines Reichsgesetz auf Grund von Vorarbeiten, die sehr alt waren. Der letzte Entwurf der Reichsnotarordnung stammt von dem bekannten jüdischen Berliner Justizrat Dr. Oberneck14). In der vorigen Sitzung wurden, wie es soeben Herr Kollege Wagner getan hat, gegen meinen Vorschlag Bedenken von den Vertretern der süddeutschen Länder erhoben. Sie wiesen darauf hin, daß das Notariat in Bayern, Württemberg und Baden bewährte Besonderheiten gehabt hat. Es ist bereits in der vorigen Sitzung besonders von mir ausgeführt worden, daß diese Besonderheiten in der Reichsnotarordnung gewahrt sind. In den Artikeln 84 bis 86 der Reichsnotarordnung sind diese Rechte ausdrücklich den süddeutschen Ländern vorbehalten gewesen. Weiter habe ich bemerkt, daß es bei der jetzt mehr föderativen Gestaltung des deutschen Bundes völlig ausgeschlossen wäre, diese Bestimmungen gegen den [S. 356] Willen der süddeutschen Länder irgendwie zu ändern. Ich habe mich aber, um eine möglichst breite Basis für die Annahme meines Antrages zu finden, bemüht, die Sache mit den süddeutschen Vertretern des Parlamentarischen Rates weiter zu besprechen. Ich kann erklären, daß in meiner Fraktion eine vollkommene Übereinstimmung erzielt ist, und zwar auf Grund eines Antrages, den der Herr Vorsitzende bereits verlesen hat und der lautet: „Änderungen der Einrichtung der jetzt bestehenden Notariate in den Ländern Baden, Bayern, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern bedürfen der Zustimmung der betreffenden Länderregie14)

Für den Wortlaut des Entwurfes der Reichsnotarordnung von Oberneck von 1930 vgl. Werner Schubert: Materialien zur Vereinheitlichung des Notarsrecht 1872–1937. Entwürfe einer Reichsnotarordnung von Friedrich Adolf Ferdinand Kurlbaum 1872, von Eduard Graf (1876) und von Hermann Oberneck (1930) sowie Quellen zur Reichsnotarordnung von 1937. Köln 2004. Zu Oberneck vgl: Hermann Oberneck: Festschrift – Gewidmet vom Deutschen Notarverein Hermann Oberneck zu seinem 75. Geburtstag. Berlin 1929 (mit Abbildung).

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rungen.“ Also auch in Württemberg ist es nicht möglich, daß irgend etwas gegen das dort bewährte Notariat geschieht, falls nicht die beiden württembergischen Regierungen ausdrücklich damit einverstanden sind. Diese Bestimmung sollte nach meinem Vorschlag als Übergangsbestimmung in den Schlußabschnitt des Grundgesetzes aufgenommen werden. Wir, die wir im übrigen das einheitliche Notariat gern dem neuen Bund erhalten wollen, denken gar nicht daran, bewährte Einrichtungen in Süddeutschland irgendwie anzutasten. Durch diese Sonderbestimmung werden aber die Rechte der süddeutschen Länder weitestgehend gewahrt. Es war mir eine große Freude, in meiner Fraktion feststellen zu können, daß die Vertreter von Bayern, Württemberg und Baden sich mit diesem Antrag restlos einverstanden erklärt haben. Ich habe weiter die Freude gehabt, daß auch unser Herr Vorsitzender und Herr Dr. Menzel zu diesem Antrag im Vorwege ihre Unterschrift gegeben haben. Ich darf daher annehmen, daß nach dieser Aufklärung Herr Kollege Wagner seinen Widerspruch zurückziehen wird und daß wir uns dahin verständigen können, daß in Art. 36 Ziffer 1 die Worte „das Notariat“ aufgenommen werden und daß ferner die von mir soeben verlesene Bestimmung in die Übergangsbestimmungen aufgenommen wird. Um ganz sicher zu gehen, möchte ich bitten, den letzteren Antrag zuerst zur Abstimmung zu bringen und nach seiner Annahme zunächst beschließen zu lassen. Ich glaube, daß mit diesen Erklärungen die Sache allseitig befriedigend erledigt sein könnte. Wagner (SPD): Nach den Erklärungen des Herrn Kollegen Dr. de Chapeaurouge und nach der Einmütigkeit in der CDU/CSU-Fraktion – bei dieser Gelegenheit – möchte ich natürlich nicht störend wirken. Ich erkläre mich deshalb mit diesem Zusatz einverstanden. Dr. Laforet (CSU): Bis jetzt war weder in der Weimarer Verfassung15) noch in unserer Ziffer 1 ein Zweifel, daß mit dieser Ziffer 1 nur das Justizrecht erfaßt wird, also das bürgerliche Recht, das Strafrecht, der Strafvollzug, die Gerichtsverfassung, das Verfahren in der ordentlichen Gerichtsbarkeit und in der Arbeitsgerichtsbarkeit. Das Verfahren in der Verwaltung, einschließlich des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, ist ausdrücklich in dem Abschnitt „Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung“ geregelt und wird den Zuständigkeitsausschuß noch abschließend beschäftigen müssen. Es ist meiner Ansicht nach unmöglich, den Ländern die Organisation der Behörden zu geben, aber das verwaltungsgerichtliche Verfahren völlig davon zu trennen und es der allgemeinen Justiz zuzufügen. Wir werden noch erhebliche Schwierigkeiten sehen, wenn wir uns näher über die Fragen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unterhalten müssen. Für heute scheint es mir unerläßlich, es bei dem bisherigen Bestand zu belassen. Ich bitte, dem Art. 36 Ziffer 1 in der Fassung stattzugeben, wie sie der Hauptausschuß in der ersten Lesung festgelegt hat. Alles andere bringt nur eine erhebliche Erschwerung der ganzen Rechtslage, eine Zerreißung des Verwaltungsverfahrens und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sowie einen völligen Umsturz des grundlegenden Gedankens, wie er in Art. 112

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Art. 7 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919; RGBl. S. 1384.

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auf Grund des alten Art. 42 des Herrenchiemseer Entwurfs16) enthalten ist, daß die Länder die Einrichtung der Behörden und das Verfahren, auch das verwaltungsgerichtliche Verfahren, regeln, soweit nicht Bundesgesetze etwas anderes bestimmen. Ich war über den Vorschlag des Redaktionsausschusses überrascht. Ich verstehe es, daß einzelne Herren glauben, das gesamte Recht in einer Art lösen zu können. Das ist aber nicht möglich. Das kann vom Standpunkt der Justiz aus verstanden werden. Für die Verwaltung ist es unmöglich, ein einheitliches Verwaltungsund Verwaltungsgerichtsverfahren in der Hand des Bundes zu sehen, solange man an dem Grundsatz festhält, der in Art. 112/1 ausgesprochen ist. Ich beantrage deshalb, dem Art. 36 Ziffer 1 in der Fassung stattzugeben, die der bisherige Beschluß des Hauptausschusses enthält, mit der Ergänzung des Notariats. Zinn (SPD): Das Grundgesetz in seiner jetzt vorliegenden Fassung überträgt den Ländern die Durchführung der Bundesgesetze in einem Ausmaß, wie das in der Weimarer Verfassung in keiner Weise der Fall war. Die Durchführung der Bundesgesetze ist nach diesem Grundgesetz im wesentlichen Angelegenheit der Länder. Es ist aber, wenn Sie auf der einen Seite vorsehen, daß jeder Verwaltungsakt gerichtlich, in der Regel also durch Verwaltungsgerichte, nachprüfbar ist, völlig undenkbar, daß das Verfahren und der Aufbau der Verwaltungsgerichte in den Ländern verschieden geregelt sind. Die gleichen Gründe, die dazu geführt haben, den Aufbau in der ordentlichen Gerichtsbarkeit einheitlich zu gliedern und das Verfahren in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, in der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit einheitlich zu regeln, sprechen dafür, das gleiche auch bei allen anderen Gerichten – seien es Arbeitsgerichte, seien es Verwaltungsgerichte usw. – zu tun. Stellen Sie sich vor, es handelt sich um die Durchführung irgendeines Bundeswohnungsgesetzes. Es ist vom rechtspolitischen Standpunkt aus völlig unerträglich, daß ein Mann in München, auf den dieses Gesetz ebenso Anwendung findet wie auf den Mann in Frankfurt, einem völlig anderen Verfahren ausgesetzt sein soll. Der Herrenchiemseer Entwurf sah vor, daß sogenannte untere und mittlere Bundesverwaltungsgerichte errichtet werden können, soweit es sich um Verwaltungsstreitsachen handelt, die aus Anlaß der Tätigkeit von Bundesbehörden entstehen. Dann haben Sie unter Umständen auf der untersten Ebene rivalisierende Gerichte. Der Mann muß sich in dem einen Fall an ein Bundesverwaltungsgericht und in dem anderen Fall an ein Landesverwaltungsgericht wenden. Das wird kein Mensch verstehen. Man sollte hier genau so wie bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit in dem gesamten Bund Gerichtsorganisation und das Verfahren einheitlich regeln. Damit wird den Ländern nicht das geringste genommen; im Gegenteil, ihre Justizhoheit wird erweitert. Die Folge ist nämlich die, daß die unteren und mittleren Verwaltungsgerichte sowie andere Gerichte genau wie bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit Landgerichte sein und an ihnen Landesrichter tätig sein werden. Damit werden die Aufgaben der Länder materiell vergrößert und erweitert. Das sind die Gründe gewesen, die den Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege – ich glaube, nur gegen eine Stimme – bestimmt haben, die Möglichkeit jedenfalls zur Schaffung eines einheitlichen Gerichtsaufbaus und eines einheitlichen Verfahrensrechts auf 16)

Für den Wortlaut des Grundgesetzentwurfes des Verfassungskonventes von Herrenchiemsee vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, hier über den Bundestag bes. S. 588–592.

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allen Gebieten, nicht nur auf den Gebieten der ordentlichen Gerichtsbarkeit, vorzusehen. Dr. Laforet (CSU): Die Fälle einer Bundesverwaltungsgerichtsbarkeit sind, abgesehen von der Finanzgerichtsbarkeit, außerordentlich gering. Es müßte sich um Anfechtungsakte von Bundesbehörden oder um ganz besondere Gebiete, wie beispielsweise das Patentamt usw., handeln. Die kommen für die tatsächliche Regelung der Dinge entscheidend nicht in Betracht. Es kann deshalb keine Rede davon sein, daß die Justizhoheit der Länder durch die Einfügung von Bundesverwaltungsgerichtstatbeständen irgendwie erheblich erweitert wird. (Zinn [SPD]: Finanzgerichte!) – Die Finanzgerichte müssen ihren eigenen Weg gehen. Die Finanzgerichtsbarkeit ist bis jetzt im Abschnitt über Finanzwesen geregelt. (Zinn [SPD]: Das ist alles geändert.) [S. 357] – Es wird aber am besten sein, es bei dieser festgelegten Regelung zu lassen; denn die Finanzgerichte nehmen auch im ganzen verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine besondere Stellung ein. Wir können kein einheitliches Verwaltungsgerichtsverfahren für Finanzgerichte und für allgemeine Verwaltungsgerichte schaffen. Die Verhältnisse sind viel zu verschieden. Sie brauchen nur an eins zu denken. Wir haben einen außerordentlichen Fortschritt erzielt, indem wir in der ganzen amerikanischen Zone im wesentlichen eine einheitliche Verwaltungsgerichtsbarkeit haben. Nach dem Muster dieses Verwaltungsgerichtsgesetzes haben die anderen Zonen schon begonnen, ihr verwaltungsgerichtliches Verfahren durchzuführen. Wenn Sie davon ausgehen, daß hier etwas bedeutsames Neues, die allgemeine Anfechtungsklage, allgemein eingeführt ist, und wenn Sie dem das Finanzgerichtsverfahren entgegenstellen, das eine derartige Anfechtung gar nicht kennen kann, weil es sich um ganz andere Tatbestände und ganz andere Ausgangspunkte handelt, dann sehen Sie, daß dieses Argument nicht durchschlägt. Aber auf der anderen Seite lassen sich Verwaltungsverfahren und Verwaltungsgerichtsverfahren nicht trennen. Das hängt eng zusammen, da eben in einem Tatbestand des Lebens Fragen der Verwaltung und des Verwaltungsgerichtsverfahrens möglich sind. Es ist ganz ausgeschlossen, unser Verwaltungsgerichtswesen dem Justizgerichtswesen irgendwie gleichzustellen. Zinn (SPD): Ich wollte im Anschluß an die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Laforet darauf aufmerksam machen, daß, wie er bereits ausgeführt hat, in der amerikanischen Zone ein Zonengesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit, ein einheitlich erlassenes Gesetz (Dr. Laforet [CSU]: es ist kein Zonengesetz) – ein zoneneinheitliches Gesetz, erlassen auf Anregung der amerikanischen Militärregierung –, besteht – es ist in Stuttgart fertiggestellt worden –, in welchem der gesamte Aufbau der Verwaltungsgerichte in der amerikanischen Zone und das Verfahren einheitlich geregelt sind. Es würde also einen Rückschritt bedeuten, wenn man das jetzt wieder zur reinen Landessache erklärte. Wir gehen nur den Weg weiter, der bereits in der amerikanischen Zone beschritten worden ist und der zur Zeit auch in der englischen Zone beschritten wird, die sich ebenfalls angleicht. Dr. Laforet (CSU): Es ist ein Irrtum, zu meinen, es sei ein Zonengesetz. (Zinn [SPD]: Ich habe gesagt „zoneneinheitliches Gesetz“!)

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Es sind Ländergesetze, die nach einem Muster, bei dessen Ausarbeitung ich selber beteiligt war, in den verschiedenen Ländern erlassen worden sind, nicht mit gleichem Inhalt; es gibt wesentliche Abweichungen. (Zinn [SPD]: Kaum welche. Dr. Greve [SPD]: Für die Stempel!) Es gibt Abweichungen darin. Ich habe nichts dagegen, wenn sich eine völlige Gleichmäßigkeit, soweit sie technisch möglich ist, auf der Länderbasis durchentwickelt. Man kann auch von einem zoneneinheitlichen Gesetz insofern reden, als unter amerikanischer Unterstützung ein Muster ausgearbeitet worden ist und die einzelnen Länder sich im wesentlichen an dieses Muster gehalten haben. Was für mich untragbar erscheint und wofür ich jegliche Verantwortung ablehnen möchte, ist, das Verwaltungsverfahren einschließlich des Verwaltungsgerichtsverfahrens mit dem Justizverfahren gleichschalten zu wollen. (Zinn [SPD]: Das ist gar nicht beabsichtigt, das will keiner.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zuerst über den Antrag Wagner abstimmen, die Fassung erster Lesung des Hauptausschusses nach dem Vorschlag des Redaktionsausschusses zu ändern, also statt „die Gerichtsverfassung, das gerichtliche Verfahren“ zu setzen: „die Verfassung der Gerichte, das gesamte gerichtliche Verfahren“. – Der Abänderungsantrag ist mit 12 gegen 9 Stimmen angenommen. Dann lasse ich über den Zusatzantrag abstimmen, die Worte „und das Notariat“ einzufügen und in Verbindung damit in die Übergangsbestimmungen aufzunehmen: „Änderungen der Einrichtung des jetzt bestehenden Notariats in den Ländern Baden, Bayern, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern bedürfen der Zustimmung der betreffenden Länderregierungen.“ Ich bin gebeten worden, über die Vorschriften in den Übergangsbestimmungen abstimmen zu lassen17), ehe über den Zusatz „und das Notariat“ abgestimmt wird. Ich halte die Anregung für durchaus beherzigenswert und möchte danach verfahren. – Der Antrag auf Aufnahme der Vorschrift in die Übergangsbestimmungen ist einstimmig angenommen. Nun lasse ich über den kritischen Antrag abstimmen, die Worte „und das Notariat“ einzufügen. – Der Antrag ist einstimmig angenommen. Art. 36 Ziffer 2: das Personenstandswesen. Ich lasse abstimmen. – Die Ziffer ist angenommen. Art. 36 Ziffer 3: das Vereins- und Versammlungsrecht, das Presserecht und das Lichtspielwesen. Ich lasse abstimmen. – Die Ziffer ist einstimmig angenommen. Art. 36 Ziffer 4: das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer. Ich lasse abstimmen. – Die Ziffer ist einstimmig angenommen. Art. 36 Ziffer 5: den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung in das Ausland. Ich lasse abstimmen. – Die Ziffer ist einstimmig angenommen. 17)

Vgl. dazu auch die Behandlung des Art. 145a am 14. Jan. 1949 in der 40. Sitzung des HptA; unten Dok. Nr. 40, TOP 1.8, S. 1237.

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Art. 36 Ziffer 6: Rahmenvorschriften über die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienst der Länder und Selbstverwaltungskörperschaften stehenden Personen. Dr. Lehr (CDU): Meine Freunde werden heute für die Ziffer 6 stimmen. Aber wir müssen uns vorbehalten, hier eventuell noch einen Abänderungsantrag oder Streichungsantrag zu stellen. Zinn (SPD): Ich wollte nur beantragen, das Wort „Selbstverwaltungskörperschaften“ durch die Worte „Körperschaften des öffentlichen Rechts“ zu ersetzen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja. Dr. Laforet (CSU): Gegen den Art. 36 Ziffer 6 müssen erhebliche Bedenken erhoben werden, weil die Bestimmung wesentlich in das Beamtenrecht der Länder und in das Selbstverwaltungsrecht, das Gemeinderecht der Länder eingreift, die Selbstverwaltung in erheblichem Maße beeinträchtigt und diese Gegenstände Sache der Länder sind. Ich bin deshalb nicht in der Lage, für diesen Art. 36 Ziffer 6 zu stimmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über die Ziffer 6 abstimmen, und zwar mit der Maßgabe, daß es statt „Selbstverwaltungskörperschaften“ heißen soll: „Körperschaften des öffentlichen Rechts“. – Die Ziffer ist mit 15 gegen 3 Stimmen angenommen. Art. 36 Ziffer 7: das Vertriebenenwesen. Hier liegt eine Reihe von Abänderungsanträgen vor. Dr. Lehr (CDU): Bei diesem Punkt bitten wir zu formulieren: „Grundsätze für das Vertriebenen- und Flüchtlingswesen, insbesondere die Verteilung auf die Länder“. Wagner (SPD): Der Beschluß des Hauptausschusses in erster Lesung, der lautet „das Vertriebenenwesen“, ist auf einen Antrag des Kollegen Dr. Seebohm zurückzuführen. Ich muß sagen, das war ein sehr [S. 358] plötzlicher Beschluß, der genau so unglücklich wie plötzlich war. Die Dinge sind gegenüber der früheren Fassung verschlechtert worden, was der Hauptausschuß sicher nicht gewollt hat. Der Ausdruck „das Vertriebenenwesen“ ist ein viel engerer Begriff als „das Flüchtlingswesen“. Wir haben deshalb von meiner Fraktion aus beantragt, diese Ziffer wie folgt zu formulieren: „Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen“. Damit haben wir den ganzen Kreis erfaßt, den wahrscheinlich auch Herr Dr. Seebohm erfassen wollte. Was den Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion anlangt, so darf ich dazu folgendes sagen. Ihr Vorschlag sagt: die Gesetzgebung über Grundsätze für das Flüchtlings- und Vertriebenenwesen, insbesondere die Verteilung auf die Länder. Unsere Formulierung „Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen“ ist allgemeiner, umfassender. Bei unserer allgemeineren, umfassenderen Formulierung brauchen wir jenen Zusatz „insbesondere die Verteilung auf die Länder“ nicht, weil im Rahmen unseres Vorschlages der Bund die Vorranggesetzgebung auch über diese Materie hat, weil er das Gesetzgebungsrecht über alle Angelegenheiten hat, die mit den Flüchtlingen und Vertriebenen zusammenhängen. Dieser Zusatz ist aber nur erforderlich, Herr Kollege Dr. Lehr, weil Sie sagen: „Grundsätze“. Sie müssen das sagen, weil Sie sonst das Thema zu stark einengen. Ihr Zusatz beweist, daß Ihr Antrag, nur von Grundsätzen zu sprechen, die Frage in einem viel zu starken Maße ein-

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engt. Wir wünschen aber keine Einengung. Wir wünschen, daß die Frage, die den ganzen Bund, das ganze deutsche Volk angeht, einheitlich vom Bund geregelt wird. Der Bund hat dafür zu sorgen, daß diese große Last, die Deutschland auferlegt worden ist, durch eine einheitliche Gesetzgebung in gleicher Weise für den ganzen Bund geregelt wird. Ich glaube, daß unser Text diesem Ziel gerecht wird. Dr. Seebohm (DP): Der Antrag, den ich seinerzeit gestellt habe, war aus der Beratung des Hauptausschusses heraus geboren. Wir waren uns aber – ich weiß nicht, ob Sie damals hier waren, Herr Kollege Wagner (Wagner [SPD]: ich war da) von vornherein darüber klar – das ist auch in der Besprechung zum Ausdruck gekommen –, daß die Formulierung keine endgültige sein, sondern daß nur der Begriff der Vertriebenen hier mit aufgenommen werden sollte. Ich habe deshalb sofort anschließend unter dem 23. November 1948 in Drucksache PR. 12.48 – 41218), die den Fraktionen damals schon zugegangen ist, den Antrag gestellt, dieser Ziffer folgende Fassung zu geben: „Die Maßnahmen für die Vertriebenen und die Flüchtlinge“. Zur Begründung weise ich nochmals darauf hin, daß zwei Gruppen zu unterscheiden sind, nämlich einmal die auf Grund der Beschlüsse von Jalta19) und Potsdam20) und der entsprechenden Gesetze in den verschiedenen Ländern Mittelund Osteuropas aus ihrer Heimat vertriebenen deutschen Menschen, die am 1. 1. 1945 in den jetzt polnisch verwalteten Gebieten Ostdeutschlands, in den balti18)

Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 18 der DP-Fraktion zu Art. 36 Ziffer 8 vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 412. 19) Die Konferenz von Jalta (Krimkonferenz) vom 4.–11. Febr. 1945 war neben der Konferenz von Teheran (28. Nov.–1. Dez. 1943) und der Potsdamer Konferenz (siehe nachfolgende Anm.) die zweite von drei Gipfelkonferenzen der Regierungschefs von Großbritannien (Winston Churchill), der Sowjetunion (Jossif Wissarionowitsch Stalin) und der Vereinigten Staaten von Amerika (Franklin D. Roosevelt). Neben der Planung der abschließenden militärischen Offensivoperation gegen Deutschland zur Beendigung des Zweiten Weltkrieges wurden Beschlüsse über eine gemeinsame Nachkriegspolitik gefaßt. Dazu gehörten u. a. die Festlegung der Besatzungszonen, die Bildung eines Alliierten Kontrollrats, die Abtretung deutscher Ostgebiete, die Festlegung der Ostgrenze Polens, die Abgrenzung von Interessensphären, den Kriegseintritts der UdSSR gegen Japan, Sühnemaßnahmen gegen die Kriegsverbrecher und die Gründung der Vereinten Nationen. Vgl. Boris Meissner (Hrsg.): Die Deutschlandfrage von Jalta und Potsdam bis zur staatlichen Teilung Deutschlands 1949. Berlin 1993. 20) Die Konferenz von Potsdam vom 17. Juli–2. Aug. 1945 war die letzte von drei Gipfelkonferenzen der Regierungschefs von Großbritannien, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika zur Regelungen von grundsätzlichen Fragen einer gemeinsamen Nachkriegspolitik. Hauptpunkte des Potsdamer Abkommens dem sich Frankreich mit Vorbehalt anschloß waren: Bildung eines Rates der Außenminister Chinas, Frankreichs, Großbritanniens, der UdSSR und den USA zur Vorbereitung von Friedensverträgen; Einsetzung eines Kontrollrates für Deutschland; Entmilitarisierung Deutschlands, Beseitigung des Nationalsozialismus; Ahndung der Kriegsverbrecher; Wiederherstellung demokratischer Freiheiten und Zulassung demokratischer Organisationen in Deutschland; Bildung zentraler Verwaltungsinstanzen; Beschränkung der deutschen Wirtschaft; Reparationen; Festsetzung der Oder-Neiße-Linie; Ausweisung von Deutschen aus Polen und der Tschechoslowakei. Für den Wortlaut des Schlußkommuniques (sog. Potsdamer Abkommen) vom 2. Aug. 1945 vgl. Gisela Biewer (Bearb.): Die Konferenz von Potsdam (= Dokumente zur Deutschlandpolitik. II. Reihe /Bd. 1), hrsg. vom Bundesministerium des Innern. Neuwied/Frankfurt/Main 1992, S. 2101–2148.

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schen Staaten, Litauen, Polen, der. Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Jugoslawien, Bulgarien, Griechenland und der UdSSR heimatberechtigt waren, und zweitens die aus dem russisch besetzten Teil Deutschlands aus politischen Gründen oder aus Gründen der persönlichen Sicherheit geflüchteten oder in Zukunft noch flüchtenden deutschen Menschen. Es ist notwendig, daß die beiden Gruppen ausdrücklich nebeneinander erwähnt werden; denn die heimatvertriebenen deutschen Menschen können keinesfalls als Flüchtlinge, also als Menschen bezeichnet werden, die aus eigenem Willen ihren Wohnsitz verlassen haben. Es ist gerade aus den Kreisen der Vertriebenen immer wieder darauf hingewiesen worden, daß der Begriff Flüchtlinge von ihnen nicht gewünscht wird. Ich verweise dazu auch auf verschiedene Ausführungen, die kürzlich aus Flüchtlingsversammlungen in die Presse gekommen sind. (Wagner [SPD]: Wenn wir einig sind, bedarf es keiner so langen Begründung.) – Ich hätte die Begründung auch nicht gebracht, wenn Sie mich nicht zitiert hätten. Es erschien mir unumgänglich notwendig, daß beide Begriffe hier aufgenommen werden. Das habe ich auch durch meinen Antrag vom 23. November 1948 schon getan. Ich halte die von mir vorgeschlagene Fassung: „die Maßnahmen für die Vertriebenen und die Flüchtlinge“ für besser. Sie geht genau so weit wie der Antrag von Herrn Wagner. Aber sie zeigt in der Formulierung, daß hier etwas zugunsten dieser Gruppen geschieht. Diese Fassung wird zweifellos die Kreise derjenigen Menschen, die es angeht, sympathisch berühren. Ich halte sie für richtig und bitte, diese Fassung anzunehmen. Dr. Mücke (SPD)21): Der Abänderungsvorschlag der CDU/CSU würde an dem Flüchtlingsproblem entscheidend vorbeigehen. Das Flüchtlingsproblem ist ein zentrales deutsches Problem mit einer deutschen und einer internationalen Verantwortung. Es ist – und hier möchte ich der Begründung widersprechen, die Herr Dr. Seebohm gegeben hat, indem er sagte: „für die Vertriebenen und Flüchtlinge“ – ein Problem, das nicht auf der Basis des Mitleids oder der Fürsorge, sondern auf der Basis des Rechts gelöst werden muß, eines Rechts, das allgemein und vom einzelnen gesehen ein gesamtdeutsches Recht ist. Ich verweise in diesem Zusammenhang gerade auf die jüngsten Pressemeldungen über den nunmehrigen Versuch einer Annektion der ostdeutschen Gebiete durch Polen. Über die Frage der ostdeutschen Gebiete wird in diesem Hause noch in einem anderen Zusammenhang zu reden sein. Was die Ansprüche des einzelnen anbelangt, so beruhen sie doch auf der Grundlage des Ausgleichs im Rahmen eines Gesamtschuldverhältnisses. Die Vertriebenen haben in der Folge eines Krieges, der von Gesamtdeutschland geführt und verloren wurde, durch eine von ihnen, durch die Verhältnisse bedingt, erzwungene Hergabe von allem, was sie hatten, gegenüber den anderen, die das Glück hatten, das, was die Flüchtlinge verloren haben, zu behalten, vorgeleistet und haben nun einen klaren Rechtsanspruch auf einen Ausgleich. Was bisher auf diesem Gebiete geschehen ist, kann man lediglich als eine erste Hilfe, eine Anzah21)

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Der Redebeitrag von Mücke wurde in redigierter Fassung unter dem Titel „Zu den Kompetenzen des Bundes auf dem Gebiete des Flüchtlingswesens“ als Drucks. Nr. 471 vervielfältigt.

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lung in Pfennigen bezeichnen. Es ist klar, daß die Forderungen, die die Vertriebenen wie im übrigen auch die anderen Kriegsgeschädigten zu stellen haben, Konkursforderungen sind, die – darüber macht sich kein Vertriebener irgendwelche Illusionen – nur mit einer Konkursquote abgegolten werden können. Aber die Konkursmasse muß doch gerecht verteilt werden. Man muß feststellen, daß – und deswegen kann man nicht nur von „Grundsätzen“ reden – seit 1945 die Besitztitel nicht mehr stimmen und daß die Besitztitel nicht nur im eigentlichen Sinne, sondern auch die Besitztitel im allgemeinen Sinne neu geregelt werden müssen, quer durch alle Länder, wie auch die Vertriebenen quer über alle Länder verteilt sind. Die Vertriebenen und Flüchtlinge haben im Strudel der sich überstürzenden Ereignisse im Zusammenhang mit dem deutschen Zusammenbruch ihre erste Aufnahme in den verschiedenen Teilen Deutschlands mehr zufallsbedingt gefunden und leben heute noch im wesentlichen in diesem Stadium der ersten Aufnahme, unorganisch in den einzelnen Ländern verteilt. Es ist ihnen in den letzten drei Jahren immer wieder gesagt worden, daß erst eine zentrale deutsche Instanz eine endgültige Regelung herbeiführen könne, weil die Länder nicht in der Lage seien, diese endgültige Regelung vorzunehmen. Ich möchte hier nur als Beispiel die Frage der Pensionen, der Beamtenrechte, der Ausgleichsansprüche überhaupt anführen. Ich glaube, es sind gerade die Vertriebenen und die Flüchtlinge, die das bisherige Nichtzustandekommen einer gesamtdeutschen Regierung am teuersten bezahlt haben. Nun, da endlich eine zentrale Instanz geschaffen werden soll, soll plötzlich, wenn man dem CDU/CSU-Antrag folgen würde, für diese zentrale Instanz die Regelung der Flüchtlingsangelegenheiten auf das Grundsätzliche beschränkt werden. Das würde doch im Prinzip eine Stabilisierung der Not und Ausweglosigkeit der Masse der Vertriebenen bedeuten. Man darf [S. 359] das Flüchtlingsproblem nicht an dem verhältnismäßig kleinen Teil sehen, der heute wieder auf die Beine gekommen ist, sondern man muß das Flüchtlingsproblem in dem Millionenheer der Menschen sehen, die heute nur noch vegetieren. Sie, meine Damen und Herren, kommen ja im wesentlichen mit den auf die Beine gekommenen Flüchtlingen zusammen, aber mit den großen Massen, den Millionenmassen, die wirklich nur vegetieren, kommen Sie wenig in Berührung. Ich möchte in diesem Zusammenhang gerade in diesem Hause besonders feststellen, daß der überwiegende Teil der Flüchtlinge und Ausgewiesenen trotz ihrer seelischen und materiellen Not anständig geblieben ist. Ich warne eindringlich davor, daß man etwa, veranlaßt durch diese Anständigkeit, die in einer Zeit des Verfalls menschlicher Qualitäten ein starker positiver Faktor ist, dieses Problem nur am Rande sieht. Es muß auf allen Gebieten des öffentlichen und privaten Lebens in bezug auf die Vertriebenen und die Flüchtlinge etwas Entscheidendes geschehen. Die Vertriebenen hoffen, nachdem ihnen drei Jahre lang gesagt worden ist, daß erst eine zentrale deutsche Instanz ihnen helfen kann, gerade auf Sie, meine Damen und Herren, hier in Bonn. Sie haben in den drei Jahren in ihrer neuen Heimat schon viele Enttäuschungen erlebt. Die letzte große Enttäuschung haben sie im Zusammenhang mit den Beratungen über den Lastenausgleich erlebt22). Es wäre verheerend, wenn auch Bonn ihnen eine Enttäuschung 22)

Das erste Lastenausgleichsgesetz lag den MilGouv. zur Genehmigung vor und ein Ge-

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bringen würde. Es muß in Bonn ein gesamtdeutsches Instrument zur Lösung dieses zentralen deutschen Problems geschaffen werden. Es ist keine Übertreibung, wenn man sagt, daß in der Geschichte der Menschheit wohl noch kein Volk vor ein Problem in dieser Größe und Schwere gestellt worden ist. Ich habe diese Darlegungen hier nicht nur im Zusammenhang mit dem Abänderungsantrag der CDU-CSU, sondern auch im Zusammenhang mit meinem Antrag gemacht, der dem Hauptausschuß bereits vorliegt. Ich möchte zu diesem Antrag besonders darauf verweisen, daß dort, gerade mit Rücksicht auf die von mir soeben dargelegte Problematik, ein Weisungsrecht des Bundes an die Länder und die Schaffung einer besonderen zentralen Instanz, eines Flüchtlingsministeriums, von mir gefordert wird. Dr. Lehr (CDU): Wir sind genau wie Sie der Meinung, daß man so weitgehend formulieren soll wie irgend möglich. Die von Herrn Wagner und Herrn Dr. Seebohm vorgeschlagenen Formulierungen sind die weitergehenden. Wir sind durchaus bereit, der weitestgehenden Formulierung zuzustimmen. Wir denken bei den Vertriebenen insbesondere an die Vertriebenen aus dem Gebiet jenseits der Oder und Neiße, die uns ebenso, wie Sie es betonen, am Herzen liegen. Ich glaube nicht, daß wir über diese Dinge noch lange zu reden haben. Wir sind vielmehr darin einig, die größtmögliche Zuständigkeit hier in der Vorranggesetzgebung festzulegen. Deshalb schließen wir uns dem weitestgehenden Antrag an. Renner (KPD): Ich möchte mich an dieser Stelle nicht auf Auseinandersetzungen über die Bezeichnung dieses Personenkreises einlassen. Hinter diesem Streit stehen meiner festen Überzeugung nach parteipolitische und parteiegoistische Momente. Wenn es richtig ist – und es ist richtig –, daß das Flüchtlingsproblem oder, wenn Sie wollen, Vertriebenenproblem ein zentrales deutsches Problem ist, dann gibt es meines Erachtens nur die Konsequenz, die Materie aus dem Art. 36, also aus dem Artikel über das Vorrangrecht des Bundes, herauszunehmen und in den Art. 35 einzugliedern, der sich mit dem Recht der ausschließlichen Gesetzgebung für den Bund beschäftigt. Was muß man für diesen Personenkreis und für andere Personen wollen, über die ich im Anschluß noch etwas sagen will? Man muß doch, wenn man ihnen tatsächlich helfen will, die Möglichkeit einer einheitlichen, nach zentralistischen Gesichtspunkten ausgerichteten Betreuung schaffen. Man muß zweitens dafür sorgen, daß von einer zentralen Stelle aus die Länder gleichmäßig mit der Last, wenn ich das Wort gebrauchen soll, der Betreuung dieses Personenkreises belegt werden. Wenn man das will, muß man dem Bund ausschließlich das Recht geben, entweder die Grundsätze oder die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen zu regeln. Jede Regelung, die den einzelnen Ländern ein Recht der Mitentscheidung in dieser Frage beläßt, schafft den Zustand, daß diese Betreuung, diese Fürsorge uneinheitlich durchgeführt werden wird. Es ist für mich ein klarer Tatbestand, daß Länder mit einem ausgesprochen reaktionären Charakter auch auf diesem Gebiet mehr versagen werden als Länder, bei denen ein weniger reaktionärer Gesamtzustand vorhanden ist. Wenn man also den Flüchtlingen tatnehmigungsverfahren zögerte sich hinaus. Vgl. dazu die Besprechung der MilGouv. mit bizonalen Vertreter in Frankfurt am 14. Jan. 1949; Akten zur Vorgeschichte Bd. 5, Dok. Nr. 3, S. 102 f.

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sächlich helfen will, muß man, da man das Reich leider noch nicht mit der Aufgabe betrauen kann, die Fürsorge für sie durchzuführen, zumindest den Bund ausschließlich damit betrauen. Was für diesen Personenkreis zutrifft, trifft meines Erachtens aber auch auf andere Personen bzw. auf andere Probleme zu, die in diesen Artikel eingegliedert sind. Ich denke dabei in der Hauptsache an die Ziffer 12: „Sozialversicherung einschließlich Arbeitsrecht“, an die Ziffer 10: „Versorgung von Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen“, an die Ziffer 11, die hier formuliert ist: „Recht der Wirtschaft“ –, wobei ich mir nicht versagen kann, darauf hinzuweisen, daß ich der Wirtschaft nicht das Recht zugestehen möchte, das hier vorgesehen ist; mir geht es nur um das Prinzip –, an die Ziffer 15: „die Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung“, und an die Ziffer 9: „Kriegsschädenrecht und Wiedergutmachungsrecht“. Ich bin der Meinung, daß die von mir zitierten Ziffern, die in Art. 36 verankert sind, aus diesem Artikel herausgenommen und in den Art. 35 eingegliedert werden, also der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes vorbehalten bleiben müssen. Ich erhebe das zum Antrag. Dr. Kleindinst (CSU): Ich möchte Ihnen aus meiner sehr eingehenden Kenntnis des Flüchtlingswesens nur sagen, daß der Glaube, die ganze Angelegenheit sei nur mit der Gesetzgebung zu regeln, auf einem Mißverständnis beruht. Ein ganz großer Teil liegt auf dem Gebiet der gestaltenden, der aktiven Verwaltung, und die können Sie allein mit der Gesetzgebung nicht regeln. Vor allem: es ist weit mehr als ein Lastenausgleich oder eine Versorgung der Flüchtlingsbeamten mit Pensionen. Das Flüchtlingswesen betrifft die Flüchtlingsbevölkerung in ihren ganzen Lebensverhältnissen. Das kann zum großen Teil nur mit der schöpferischen Verwaltung gemacht werden. Das war der Ausgangspunkt dafür, hier von Grundsätzen zu sprechen. Aus demselben Grund möchte ich aber auch – obwohl es jetzt nicht hier in die Verfassung hineinkommt – vor dem Bundesministerium für Flüchtlingswesen warnen. Wegen der Vielgestaltigkeit der Verhältnisse wird jedes Bundesministerium mit der Aufgabe von seiner Zuständigkeit aus befaßt sein müssen. Wenn Sie alle Zuständigkeiten in einem Ministerium zusammenfassen, ergibt sich ein Nebeneinanderregieren und Nebeneinandergesetzgeben, das wieder zu dem größten Durcheinander, zu einer Parallelität führen wird, wie wir sie schon auf anderen Gebieten erlebt haben. Ich kann mir vorstellen, daß man ein Bundesamt errichtet, das unter allen Ministerien steht, die von ihrer Facherfahrung aus mit ihm zusammenarbeiten. Aber Sie können nicht alle Lebensverhältnisse der Flüchtlinge, die Sie ja als vollberechtigte und gleichberechtigte Bürger einfügen wollen, von einem solchen Fachministerium aus bearbeiten. Dr. Becker (FDP): Ich glaube, daß zwischen dem Antrag der CDU und dem Antrag der SPD ein großer Unterschied in der praktischen Durchführung nicht besteht und sich vor allen Dingen in der Praxis nicht zeigen wird. Es ist selbstverständlich, daß, wenn wir die Kompetenz im Sinne des SPD-Antrages annehmen ich werde ihm zustimmen –, selbstverständlich in der Durchführung im einzelnen den regionalen und lokalen Bedürfnissen Rechnung getragen werden muß und auch werden wird. Ich stimme deshalb, indem ich mich in dem Sinne den Ausführungen des Kollegen Dr. Lehr anschließe, auch für den [S. 360] weitestgehenden Antrag, der vorliegt, das heißt den Antrag der SPD.

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Ich möchte noch einen Grund anführen, aus welchem ich die Kompetenz des Bundes besonders gewahrt sehen möchte. Das Flüchtlingsproblem ist nicht nur – da unterscheide ich mich etwas von dem Herrn Kollegen Dr. Mücke – ein rein deutsches Problem, sondern mit der Evakuierung der Flüchtlinge hat man auch internationale Probleme zu lösen versucht. Wir sind uns vollkommen darüber klar, daß mit deutschen Mitteln allein eine restlos befriedigende Lösung dieser Frage nicht zu erzielen ist, mit anderen Worten, daß dieses Problem à la longue gesehen auch nur international zu lösen sein wird. Also auch aus diesem Grunde ist die Kompetenz des Bundes berechtigt. Dr. Seebohm (DP): Über die Frage, welcher Antrag weiter geht, mein Antrag oder der Antrag der SPD, brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Wir sind uns wohl darüber einig, daß wir beide das Weitestgehende wollen. Es handelt sich nur um eine Frage der Fassung. Ich bin durchaus dafür, die Fassung zu wählen, die die Mehrheit wünscht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich halte die Fassung „Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen“ für weitergehend als die Fassung „Maßnahmen für die Vertriebenen und Flüchtlinge“. Maßnahmen sind bestimmte Akte, während die Angelegenheiten auch Zuständlichkeiten [sic!] fassen. Ich lasse über den weitestgehenden Antrag zu Ziffer 7: „Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen“ abstimmen. Renner (KPD): Ist nicht mein Antrag der weitestgehende? Vors. Dr. Schmid (SPD): Zuerst müssen wir in der Sache entscheiden, dann über die Stellung, die der Artikel bekommen soll. Ich lasse über die angegebene Fassung abstimmen. – Die Ziffer ist einstimmig angenommen. Nun liegt der Antrag des Kollegen Renner vor, diese Ziffer 7 aus Art. 36 wegzunehmen und zur ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes, das heißt in Art. 35, zu nehmen. Wagner (SPD): Ich glaube, daß der Herr Abgeordnete Renner die Folgen seines eigenen Antrages nicht wünscht. Wenn wir sagen würden, das gehört zur ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes, können die Länder überhaupt nichts tun, bis der Bund irgendeine gesetzliche Regelung getroffen hat, während wir mit der jetzigen Regelung, die Materie in die Vorranggesetzgebung aufzunehmen, dem neuen Bundesparlament die Möglichkeit gegeben haben, davon Gebrauch zu machen, um die Zuständigkeit der Länder damit ohne weiteres auszuschalten. Renner (KPD): Das Argument des Herrn Kollegen Wagner zieht nur halb. Herr Wagner, ich darf Ihnen einmal die Gegenfrage vorlegen: Wo besteht denn eine größere Möglichkeit, eine fortschrittliche Lösung des Problems herbeizuführen, im Bundesparlament oder in den Parlamenten der einzelnen Länder? Ich sage nur ein Wort: Bayern. Wagner (SPD): Das ist ja nicht die Frage. Die Frage ist, ob überhaupt etwas gemacht werden soll. Renner (KPD): Was hindert denn den Bund, etwas zu machen? Oder glauben Sie, der Bund käme an einer Lösung dieses Problems vorbei? Er ist ja gezwungen, das Problem aufzugreifen. Meines Wissens ist es die SPD-Fraktion gewesen, die mit dem Antrag gekommen ist, ein Bundesministerium für dieses Gebiet einzurichten. Ein Bundesministerium setzt meines Erachtens auch zwingend voraus, daß man das zu einer Ausschußangelegenheit macht.

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(Vors. Dr. Schmid [SPD]: Nehmen Sie die Justiz!) Denken Sie vor allen Dingen an die Parallele mit dem Kriegsopferversorgungsgesetz. Da kommen Sie mit Länderministerien nicht hin, da brauchen Sie konsequenterweise auch ein Reichs- bzw. Bundesministerium zur Regelung der Angelegenheiten, im Sinne des alten Reichsarbeitsministeriums. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wenn der Bund von seiner Vorrangesetzgebung Gebrauch macht, ist die Sache für alle Länder geregelt. Ich für meinen Teil sähe keinen Schaden darin, wenn eines der – wie der Herr Kollege Renner vorhin meinte – fortschrittlicheren Länder über die Bundesregelung hinaus den Flüchtlingen noch etwas zukommen ließe. (Renner [KPD]: Die Gefahr ist gleich null.) Da bin ich wiederum nicht Zentralist genug, um den Leuten diesen Vorteil zu versagen. Ich lasse über den Antrag abstimmen, die Ziffer 7 aus Art. 36 wegzunehmen und in Art. 35 einzufügen. – Der Antrag ist mit 13 gegen 1 Stimme abgelehnt. Art. 36 Ziffer 8: die öffentliche Fürsorge. Wir kommen zur Abstimmung. – Die Ziffer ist einstimmig angenommen. Wagner (SPD): Ich habe vorzuschlagen, als Ziffer 8a einzufügen: „den Schutz der Mutterschaft, die Säuglings- und Jugendfürsorge“. Man kann dagegen einwenden, daß unter dem Begriff der öffentlichen Fürsorge die Gebiete verstanden werden, die wir als Ziffer 8a neu einzufügen wünschen. So war es ursprünglich auch im Zuständigkeitsausschuß aufgefaßt und ausgelegt worden. Man kann durchaus auf dem Standpunkt stehen, daß die Formulierung „die öffentliche Fürsorge“ genügen würde, um auch diese Gebiete mit zu umfassen. Man hat andererseits Bedenken dagegen vorgetragen, ob nicht doch die Gefahr besteht, daß, wenn man nur sagt: „die öffentliche Fürsorge“ unter Umständen der Schutz der Mutterschaft nicht eingeschlossen ist. Man hat weiter Bedenken gehabt, daß unter Umständen die Säuglings- und Jugendfürsorge nicht als öffentliche Fürsorge betrachtet werden könnte. Man wollte mit der Hinzusetzung dieser Sachgebiete in einer besonderen Ziffer ganz sichergehen. Ich will nicht leugnen, daß mit der besonderen Hervorhebung bestimmter Gebiete unter Umständen eine Gefahr verbunden ist. Man könnte per argumentum e contrario sagen, diese Gebiete sind besonders aufgezählt, und die Einschränkung dieses Begriffs der öffentlichen Fürsorge könnte deshalb eine engere Auslegung des Begriffs öffentliche Fürsorge mit sich bringen. Ich kenne diese Argumente, wir haben uns damit im Zuständigkeitsausschuß beschäftigt. Nach sorgfältiger Prüfung des Für und Wider haben wir geglaubt, daß die Sicherheit unseren Antrag erforderlich macht, diese Sachgebiete einzubeziehen und in Ziffer 8a zusammenzufassen. Dr. Lehr (CDU): Wir sind der Meinung, daß in Ziffer 8 schließlich der Zusatzantrag Ziffer 8a enthalten ist. Aber aus denselben Erwägungen, die der Herr Kollege Wagner vorgetragen hat, sind wir auch bereit, für Ziffer 8a zu stimmen, und bitten um eine Fassung dahin, daß hinter „Säuglings-“ noch das Wort „Kinder-“ eingesetzt wird. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich wollte darauf hinweisen, daß der Zusatz, den Herr Dr. Lehr hier vertreten hat, in der Verfassung von Weimar unter Ziffer 7 ausdrück-

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lich mit drinsteht23). Wenn jetzt die Kinder hier ausgelassen werden, könnte allerdings etwas hineingelegt werden, was sicherlich nicht beabsichtigt ist. Meiner Meinung nach ist das Wort „Kinder“ in dem Antrag der SPD nur versehentlich ausgelassen. Wagner (SPD): Wir sind mit der Einfügung des Wortes „Kinder-“ einverstanden. Dr. Becker (FDP): Ich möchte eine Frage an die Herren vom Redaktionsausschuß richten: Wäre es nicht zweckmäßiger, die Ziffer 8a an die Ziffer 8 anzufügen mit den Worten: „die öffentliche Fürsorge, [S. 361] insbesondere“ usw., damit nicht, wenn das Gebiet in einer besonderen Nummer ausgeführt ist, das von dem Herrn Kollegen Wagner befürchtete argumentum e contrario zum Zuge kommt? Dr. Kleindinst (CSU): Das würde eine Einschränkung bedeuten. Bedenken Sie, daß die Frage der Mutterschaft sowohl die Arbeitszeit, wie die Gewerbeaufsicht, wie das Sozialversicherungswesen usw. umfaßt. Das ist in dem reinen Fürsorgebegriff nicht enthalten. Renner (KPD): Was ich sagen wollte, hat mein geschätzter Vorredner schon vorweggenommen. Wenn wir das mit dem Begriff Fürsorge verquicken, lassen wir in der Tat wesentliche Punkte aus. Denn einiges von dem, was jetzt bereits unter den Begriff fällt, ist durch Reichsgesetz geregelt. Darauf besteht ein Anspruch, während auf Fürsorge kein gesetzlicher Anspruch besteht. Schon aus diesem Grunde kann man es nicht in der Weise einfügen, daß man sagt: „insbesondere“ usw. Man muß dann schon eine besondere Ziffer machen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag auf Einfügung einer Ziffer 8a abstimmen, die den Wortlaut haben soll: „den Schutz der Mutterschaft, die Säuglings-, Kinder- und Jugendfürsorge.“ – Die Ziffer ist einstimmig angenommen. Art. 36 Ziffer 9: Das Kriegsschädenrecht und das Recht der Wiedergutmachung. Renner (KPD): Dafür gilt auch mein Grundsatzantrag. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist nur der Antrag gestellt, diese Ziffer aus Art. 36 wegzunehmen und in Art. 35 einzufügen. Renner (KPD): Es gibt kein wie immer geartetes Argument, das in Art. 36 zu packen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zunächst über den Inhalt der Ziffer 9 abstimmen. – Einstimmige Annahme! Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Renner auf Verlegung der Ziffer in Art. 35. – Der Antrag ist mit der überwiegenden Mehrheit gegen eine Stimme abgelehnt. Art. 36 Ziffer 10: Die Versorgung von Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen. Renner (KPD): Da steht hinter meiner Anregung auch die Forderung der größten im Augenblick bestehenden Organisation der Kriegsopfer, des Reichsbundes24). In der 23)

Art. 7 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Das Reich hat die Gesetzgebung über: [. . .] 7. die Bevölkerungspolitik, die Mutterschafts-, Säuglings-, Kinderund Jugendfürsorge;“ RGBl. S. 1384. 24) Der 1917 als Kriegsopferverband gegründete „Bund der Kriegsteilnehmer und Kriegsbeschädigten“ führte seit 1919 bis zu seiner Auflösung 1933 den Titel „Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen“. Er wurde erst 1946 als „Reichsbund der Körperbeschädigten, Sozialrentner und Hinterbliebenen“ gegrün-

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Weimarer Republik ist diese Materie durch Reichsgesetz geregelt worden25), die Regelung ist durch Reichsbehörden durchgeführt worden. Daneben gab es allerdings in der Weimarer Republik, wenigstens zu Anfang, eine Fürsorge, die durch die Länder bzw. die Kommunen durchgeführt wurde. Diese Fürsorge existiert leider im Augenblick überhaupt nicht. Aber was unter dem Namen „Reichsversorgungsgesetz“26) an Kriegsopferversorgungsrecht vorhanden war, war immer ausschließlich Reichsangelegenheit. Auf diesem Gebiet haben die Länder nie eine Rolle gespielt. Darum bin ich der Meinung, daß diese Materie unbedingt in Art. 35 hineingehört. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Ziffer 10 abstimmen. – Die Ziffer ist einstimmig angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag, die Ziffer 10 aus Art. 36 in Art. 35 zu nehmen. – Der Antrag ist mit 13 gegen 7 Stimmen abgelehnt. Art. 36 Ziffer 11: das Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank und Börsenwesen, Privatversicherungen); Dr. Becker (FDP): Ich möchte vorschlagen, das Wort „Privatversicherungen“ zu ersetzen durch „Versicherungswesen“, eventuell durch den Zusatz „Versicherungswesen ausschließlich Sozialversicherung“. Man hat wohl mit dem Wort „Privatversicherungen“ dasselbe gemeint, was mit dem soeben beantragten Wort gemeint ist. Gerade die öffentlich-rechtlichen Versicherungen haben auch privatrechtliche Verträge abzuschließen. Es ist die Frage, ob diese Dinge deshalb nicht mit unter die Kompetenz des Bundes genommen werden müssen. Das Versicherungsvertragsrecht ist eine einheitliche reichsrechtliche Regelung gewesen. Ich kann den Grund nicht sehen, weshalb es bei den öffentlich-rechtlichen Körperschaften anders gemacht werden soll als bei den privaten Anstalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich schlage vor, die Ziffer 11 zurückzustellen. Ich könnte mir denken, daß sich an die Beratung dieser Ziffer in der geeignetesten [sic!] Form Erklärungen der Fraktionen zum Ruhrstatut27) anknüpfen. – Ich stelle Einverständnis fest und stelle diese Ziffer bis morgen vormittag 10 Uhr zurück28). Art. 36 Ziffer 12: das Arbeitsrecht einschließlich des Arbeitsschutzes und der Arbeitsvermittlung sowie die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung; Zinn (SPD): Der Allgemeine Redaktionssausschuß hat vorgeschlagen einzufügen: „einschließlich der Betriebsverfassung“. Damit ist das Recht der Betriebsvertretung gemeint. Was darunter zu verstehen ist, ist klar. Es ist aber zweifelhaft, ob das

25)

26) 27) 28)

det und nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland in „Reichsbund der Kriegsund Zivilbeschädigten, Sozialrentner und Hinterbliebenen“ umbenannt. Vgl. dazu Michael Geyer: Ein Vorbote des Wohlfahrtstaates. Die Kriegsopferversorgung in Frankreich, Deutschland und Großbritannien nach dem Ersten Weltkrieg, in: Geschichte und Gesellschaft 9 (1983), S. 230–277. Reichsversorgungsgesetz (RVG) vom 12. Mai 1920; RGBl. S. 989. Zum Ruhrstatut vgl. die Diskussion in der 31. Sitzung des HptA am 7. Jan. 1949, unten Dok. Nr. 31, S. 925–963. Vgl. unten Dok. Nr. 31, S. 965.

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Recht der Betriebsvertretung und der Betriebsverfassung zum Arbeitsrecht oder Wirtschaftsrecht gehört. Aus diesem Grunde erschien es dem Redaktionsausschuß notwendig, an irgendeiner Stelle ausdrücklich zu erwähnen, daß der Bund die Möglichkeit hat, dieses Rechtsgebiet einheitlich zu regeln. Dr. Laforet (CSU): Ich bin der gleichen Anschauung. Es ist aus den vom Redaktionsausschuß niedergelegten Gründen zweckmäßig, das ausdrücklich klarzustellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen. Ich kann wohl das allgemeine Einverständnis annehmen, daß die Ziffer 12 formuliert werden soll: „das Arbeitsrecht einschließlich der Betriebsverfassung, des Arbeitsschutzes .. .“ Die Ziffer 12 ist einstimmig angenommen. Die Ziffer 13 ist zurückgestellt. Aber es scheint ein Antrag eingebracht zu werden. Wagner (SPD): Wir beantragen, als Ziffer 13 folgenden Text zu beschließen: „die Organisation und die Förderung der wissenschaftlichen Forschung“. Wir glauben, daß es in Zukunft für die einzelnen Länder ganz unmöglich sein wird, den Ansprüchen zu genügen, die auf diesem Gebiet auftreten werden, und daß nur der Bund in der Lage sein wird, diese Frage erfolgreich anzupacken und zu lösen. Dr. Laforet (CSU): So gut der Antrag sicherlich gemeint ist, sind erhebliche Bedenken zu erheben. Zunächst unterliegt es keinem Zweifel, daß es von größter Wichtigkeit sein mag und ist, daß auch der Bund geldliche Leistungen für die wissenschaftliche Forschung erbringt. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß angesichts der Not der Zeit gerade hier eine Kulturtätigkeit des Bundes allererster Art in Frage steht. Es steht aber etwas ganz anderes in Frage. Wissenschaftliche Forschung ist eine der bedeutsamsten Kulturtätigkeiten. Die Fragen der geistigen Kultur sind nach dem ganzen Aufbau Angelegenheiten der Länder. Aber davon abgesehen bitte ich folgendes zu erwägen: wissenschaftliche Forschung ist frei und kann nicht in staatliche Bande und Gesetze gelegt werden. (Wagner [SPD]: Das ist richtig!) [S. 362] Es steht hier in Frage, Gesetze über die Organisation der wissenschaftlichen Forschung zu schaffen. Dagegen möchte ich nachdrücklich meine Bedenken erheben. (Dr. Greve [SPD]: Gesetze über die Errichtung der Max29) Planck-Gesellschaft30), der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft.) 29) 30)

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Statt „Max“, in der Druckausgabe sowie im stenograph. Wortprot., S. 31: „Wilhelm“. Am 26. Februar 1948 wurde die Max-Planck-Gesellschaft als Nachfolgeorganisation der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Göttingen gegründet. Sie wurde nach Max Planck, dem Mitbegründer der Quantentheorie benannt. Zu der neugegründeten Max-Planck-Gesellschaft gehörten jene Institute, die in der britischen und amerikanischen Besatzungszone lagen. Im November 1949 traten die in der französischen Besatzungszone gelegenen früheren Institute der Max-Planck-Gesellschaft bei. Die Institute wurden jeweils von dem Land finanziert, in dem sie ihren Sitz hatte. Im Rahmen des „Staatsabkommen über die Finanzierung wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen“ („Königsteiner Staatsabkommen“) vom 30./31. März 1949 wurde eine länderübergreifende Finanzierung vereinbart. Vgl. Maria Osietzki: Wissenschaftsorganisation und Restauration. Der Aufbau außeruniversitärer Forschungseinrichtungen und die Gründung des westdeutschen Staates 1945–1952 (= Dissertationen zur neueren Geschichte, Bd. 12). Köln Wien 1984, S. 238–271.

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Es werden Gesetze für die Organisation der wissenschaftlichen Forschung gefordert. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich darf vielleicht einen Brief verlesen, der immerhin mit den erlauchtesten Namen der deutschen wissenschaftlichen Forschung unterzeichnet ist. Er datiert vom 15. Dezember 1948 und ist unterschrieben von den Professoren Heisenberg31), Regener32), Rein33) und Zenneck34). Es heißt dort: Mit Interesse und Befriedigung haben die Unterzeichneten gehört, daß in der Verfassung eines kommenden Deutschen Bundes die Freiheit der Forschung rechtlich verankert werden soll. In diesem Zusammenhang glauben die Unterzeichneten, noch auf einige wichtige Gesichtspunkte hinweisen zu sollen. Die Entwicklung der wissenschaftlichen Forschung ist heute mehr denn je eine Existenzfrage des deutschen Volkes in seiner Gesamtheit. Der Wiederaufbau der Wirtschaft, Probleme der Technik, der Medizin, der Ernährung führen an unzähligen Stellen auf wissenschaftliche Fragestellungen.

31)

Werner Heisenberg (1901–1976) Physiker, Studium in München 1924 Promotion, Assistent in Göttingen, mit Niels Bohr in Kopenhagen, 1927 als Professor in Leipzig, formulierte 1927 die nach ihm benannte Unschärferelation, 1932 Nobelpreis für Physik, 1942–1945 Direktor der Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik in Berlin-Dahlem, Professor in Berlin, 1945–1946 in Farm Hall in England interniert, 1946–1958 Direktor des MaxPlanck-Instituts für Physik in Göttingen, 1958–1970 Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik in München (heute Werner-Heisenberg-Institut) in München, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, 1949 korrespondierendes und 1959 ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 32) Erich Regener (1881–1955) Physiker, 1900–1905 Studium in Berlin, 1905 Promotion, Privatdozent in Berlin, 1909 Habilitation befaßte sich mit der Subelektronenhypothese, 1914 Professor an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin, im Ersten Weltkrieg Dienst als „Feld-Röntgenmechaniker“, 1920 Professor an der Technischen Hochschule Stuttgart, befaßte sich mit der 1912 entdeckten kosmischen Strahlung, 1934 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina und seit 1955 korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 1937 auf Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in den Wartestand versetzt und als Hochschullehrer entlassen, 1945–1951 Professor in Stuttgart, 1948 Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft, aus seinem privat eingerichtet Institut in Weißenau bei Ravensburg entstand 1952 das Max-Planck-Institut für Physik der Stratosphäre. 33) (Friedrich) Hermann Rein (1898–1953), Physiologe, Studium in Würzburg und München, 1923 Promotion in Medizin in München, 1926 Habilitation in Freiburg, im Breisgau für Physiologie, 1929 Professor für Physiologie in Freiburg, 1932 Professor in Göttingen (dort 1946 Rektor der Universität), 1932 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, 1952 Direktor des Max-Planck-Instituts für Medizinische Forschung und Physiologie in Heidelberg, Verfasser bzw. Mitverfasser von Standardwerken zur Physiologie des Menschen. 34) Jonathan Zenneck (1871–1959), Physiker, Funkpionier und Miterfinder der Kathodenstrahlröhre, 1894 Dr. rer. nat., 1895–1905 Assistent bei Ferdinand Braun, entwickelte 1897 mit Braun die Kathodenstrahlröhre (später sog. Braunsche Röhre), 1898–1900 unternahm Versuche mit drahtloser Telegrafie, 1905–1906 Dozent in Danzig, 1906–1907 Professor in Braunschweig, 1907–1911 Physiker bei der BASF in Ludwigshafen, 1911–1913 Lehrstuhl für Physik in Danzig, 1913–1936 Lehrstuhl für Experimentalphysik in München.

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Die Freiheit und die freie Entfaltung der Forschung werden nur möglich sein, wenn die Forschung sich wie bisher wirtschaftlich und politisch unabhängig über alle Ländergrenzen hinweg entwickeln kann. Wegen der unlösbaren Verkettung vieler Forschungsaufgaben mit den wirtschaftlichen Fragestellungen kann alle Gesetzgebung, die sich auf die wissenschaftliche Forschung bezieht – im Gegensatz zu den Problemen von Erziehung und Kultur notwendigerweise nur Sache des Bundes sein. Das einzelne Land kann die Finanzierung und die Verantwortung für die seit vielen Jahrzehnten über die Ländergrenzen hinweg verwobene deutsche wissenschaftliche Forschung nicht tragen. Man muß mit Beängstigung sehen, wohin bereits in den letzten Jahren der Versuch solcher Handhabung dieses lebensnotwendigen Gebietes geführt hat. Die Forschung als Lebensgrundlage aller modernen Gemeinwesen verlangt vielmehr unmittelbar Anschluß an das Gebiet der Wirtschaft und in mancherlei Hinsicht auch das der Außenpolitik, die beide Bundesangelegenheiten sein werden. Die Unterzeichneten bitten, das angeschnittene Problem mit dem einer Existenzfrage zukommenden Ernst zu erörtern. Dr. Laforet (CSU): Ich kann jedes Wort nur unterschreiben. Aber um so größer sind meine Bedenken gegen das, was man aus diesem hier für uns juristisch beschlossen hat. Ich kann mir nicht vorstellen, was ein Gesetz über die Organisation der wissenschaftlichen Forschung bedeuten soll. Ich kann mir nur vorstellen, daß diese wissenschaftliche Forschung von Bundes und Länder wegen nach jeder Richtung unterstützt werden muß. Aber auch dort ist nachdrücklich betont, daß sie frei ist. Es gibt keine Zwangsbande für die wissenschaftliche Forschung. (Wagner [SPD]: Das hören wir sehr gern. Dr. Greve [SPD]: Aber auch auf allen Gebieten, Herr Kollege Dr. Laforet, nicht nur auf dem Gebiet der Naturwissenschaft!) Jedes staatliche Gesetz, das diese Forschung in Zwangsbande nehmen will, ist meiner Ansicht nach mit einem Keim der Unmöglichkeit belastet. Weiter steht die Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Frage. Das brauchen wir nicht in einem Gesetz niederzulegen. Die Förderung der wissenschaftlichen Forschung erfolgt durch die Zuwendungen, und die Zuwendungen brauchen nur eines: die haushaltsmäßigen Bewilligungen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist aber doch so, daß man den Bund, wenn er solche Zuschüsse genehmigen sollte, ohne daß er die Zuständigkeit für dieses Sachgebiet hat, zur Rechenschaft ziehen könnte. Dr. Laforet (CSU): In Frage steht die Ausscheidung der Zuständigkeit zwischen Reich und Land. Es stehen Gesetze in Frage, nicht Haushaltsgesetze. Wo ist irgendwie der freien Bewilligung des Bundes für irgendeine seinen Zwecken richtig erscheinende Aufgabe ein Ziel gesetzt? Wo ist es beschränkt? Ich sehe keine Beschränkung. Vors. Dr. Schmid (SPD): In den Bestimmungen über die Finanzen heißt es zum Beispiel ausdrücklich und limitierend, für welche Art von Ausgaben der Bund Steuern erheben kann. Dr. Laforet (CSU): Es können natürlich in der jetzigen Zeit Zwangsmaßnahmen und finanzielle Einschränkungen gegeben sein. Aber nach der reinen Haushalt-

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seite kann der Bund, die geldliche Erschließung der Mittel vorausgesetzt, jedem Zweck nach seinem Ermessen geldliche Förderung geben. Dr. Kleindinst (CSU): Es ist nur eine Frage der Fassung. Auch das ist in erster Linie eine Aufgabe der organisatorischen Verwaltung und nicht der Gesetzgebung. Wenn Sie hier sagen: „Organisation und Förderung“, so kann alles mögliche gemacht werden. Ich erinnere daran, daß man auch die wissenschaftliche Forschung – das ist noch gar nicht sehr lange her, das war vor 1933 – in dem Sinne rationalisieren wollte, daß gewisse Forschungsinstitute nur von der einen Universität und andere nur von der anderen Universität gefördert werden dürfen, daß man also das, was man in der Großindustrie unter Rationalisierung verstanden hat, auf die wissenschaftlichen Arbeiten übertragen hat. Das sind die Bedenken, die hier im Interesse der Wissenschaft vorliegen. Es kommt aber noch etwas Weiteres hinzu. Es handelt sich nicht nur um die Wissenschaft, sondern auch um die Kunstpflege. Die Stadt Berlin oder die Mark Brandenburg kann ihre großen Sammlungen, ihre Galerien usw., die seinerzeit der Staat Preußen getragen hat, wahrscheinlich allein nicht mehr durchführen. Ich würde Ihnen vorschlagen: Förderung von Instituten der Wissenschaft und Kunst von gesamtdeutscher Bedeutung. Dann haben Sie diese Zuständigkeit, und die Länder sind in ihrer Förderung nicht beeinträchtigt. Stock (SPD): Ich verstehe wirklich die Stellungnahme des Kollegen Dr. Laforet in dieser Angelegenheit nicht. Wir haben doch in der US-Zone schon das vorweggenommen, was wir jetzt als Vorranggesetzgebung für den Bund machen wollen. Wir haben uns auch im Bayerischen Landtag davon überzeugt – auch der Herr Kollege Dr. Laforet als bayerischer Landtagsabgeordneter –, daß diese Fragen nicht allein bei einem Land bleiben können, weil, worauf schon der Herr Vorsitzende kurz hingewiesen hat, das Land nicht in der Lage ist, diese Institute zu finanzieren. Deshalb glaube ich, nachdem wir ein zoneneinheitliches Gesetz in der US-Zone betreffend diese Forschungsinstitute haben, können wir das ohne weiteres in die Vorranggesetzgebung des Bundes hineinnehmen. Ich bitte Sie, diesem zuzustimmen. Dr. Lehr (CDU): Der Antrag ist uns verspätet zugegangen. Wir haben zu ihm in der Fraktion nicht Stellung nehmen können. Da hier aus unseren Reihen Bedenken erhoben worden sind, bitte ich zur schnelleren Erledigung der Angelegenheiten um eine kurzfristige Zurückverweisung an den Ausschuß. Wagner (SPD): Ich möchte eine einzige Bemerkung zu den Ausführungen des Kollegen Dr. Laforet machen. Wir arbeiten schon sehr lange im Zuständigkeitsausschuß zusammen. Aber eine Bemerkung des Kollegen Dr. Laforet habe ich nicht ganz verstanden. Wenn Sie als Argument gegen unseren Antrag sagen, daß [S. 363] die Wissenschaft frei sein muß und nicht irgendwie in staatliche Bande geschlagen werden soll, können wir von der sozialdemokratischen Fraktion, die wir diesen Antrag gestellt haben, Ihnen sagen: für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, daß die Wissenschaft frei ist, das ist ein Elementarsatz unserer ganzen Auffassung überhaupt. Wir könnten uns aber denken, daß es in der Zukunft Fälle gibt, in denen der Bund eingreifen muß, um Garantien dafür zu schaffen, daß in gewissen Ländern die Wissenschaft in ihrem ganzen Umfang sich wirklich frei entwickeln kann. Dr. Suhr (SPD): Der Herr Kollege Wagner hat soeben schon ausgeführt, daß der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion in keiner Weise die Freiheit der Wissen-

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schaft beeinträchtigen will. Niemand wird behaupten, auch nicht Herr Dr. Laforet, daß durch die Reichsgesetzgebung vor 1933 die Wissenschaft in ihrer Freiheit beeinträchtigt worden ist. Es ist hier schon mit Recht in diesem Zusammenhang auf die Stellung Berlins hingewiesen worden. Gerade dieses Beispiel sollte Ihnen zeigen, daß es sich nicht nur um ein finanzielles Problem, sondern auch um eine organisatorische Aufgabe handelt, die über die Ländergrenzen hinausgeht. Berlin hat bisher mit größter Bereitwilligkeit alle finanziellen Aufwendungen für die Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und andere Forschungsinstitute geleistet. Dabei handelt es sich nicht um die Universitätsinstitute, sondern nur um die GrundsatzForschungsinstitute, die außerhalb der Universitäten in der Kaiser-Wilhelm-Akademie zusammengefaßt sind. Gerade das Beispiel der Kaiser-Wilhelm-Akademie hat aber in den letzten Jahren gezeigt, daß eine organisatorische Zusammenfassung über die Ländergrenzen hinaus notwendig ist. Man kann diese organisatorische Zusammenfassung vielleicht durch Ländervertrag herstellen. Dieser Versuch ist mit der Forschungsuniversität gemacht worden. Die Länder der amerikanischen Zone sind mit Berlin zusammengefaßt worden, um die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu erhalten und zu entwickeln. Ich darf Sie fragen, was aus diesem Vertrag herausgekommen ist, welche Wirkungen dieser Vertrag gehabt hat. Es stagniert alles. Erst bei fruchtbarem Zusammenwirken aller Länder wird eine weitertragende Forschung entwickelt werden können. Ich bitte Sie, diese Aufgabe nicht nur als Finanzproblem zu sehen. Die finanzielle Aufgabe, so drückend sie für Berlin ist, würden wir bewältigen können. Wir wollen aber der wissenschaftlichen Entwicklung dienen und halten deshalb eine zusammenfassende Regelung für notwendig. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich glaube, Herr Dr. Laforet hat so unrecht nicht. Das Reich ist unter keinen Umständen gehindert, Zuschüsse für die wissenschaftliche Forschung zu geben, und hat das auch in der Vergangenheit getan. Wenn Sie die Dinge einmal praktisch betrachten, so kommen hier zwei große Einrichtungen in Frage, einmal die Notgemeinschaft deutscher Wissenschaft35) und die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die jetzt als Max-Planck-Gesellschaft weiterlebt. Beide Organisationen sind auf privatrechtlicher Grundlage eingerichtet worden und haben Zuschüsse sowohl vom Reich wie von den Ländern kommen. Der Bund ist meines Erachtens in keiner Weise gehindert, solchen Einrichtungen wie der Notgemeinschaft und der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft oder Max-Planck-Gesellschaft auch in Zukunft solche Zuschüsse zu geben. Die Frage ist natürlich, ob der Bund besondere Institute einrichten soll. Solche Reichsinstitute hat es gegeben. Sie leben zum Teil heute noch. Ich weiß zum Beispiel, daß in Detmold ein Institut für Getreideverarbeitung36) besteht, das jetzt aus dem Zweizonen-Haushalt finanziert wird. Die 35)

Die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft wurde 1920 zur finanzielle Unterstützung von Forschungen gegründet und ging schon 1929 in die Deutsche Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der Forschung, kurz Deutsche Forschungsgemeinschaft, auf. Erst 1949 wurde die „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ wiedergegründet; sie fusionierte 1951 mit dem Forschungsrat zur Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). 36) Die Bundesanstalt für Getreide-, Kartoffel- und Fettforschung in Detmold, wurde 1907 in Berlin als Versuchsanstalt für Getreideverarbeitung gegründet. 1945 wurden die Labore in Berlin durch die Sowjetische Besatzungsmacht demontiert, weshalb die Tätig-

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weitere Frage ist, ob wir dem Bund das Recht geben wollen, auch Bundesuniversitäten einzurichten. Aber das ist eine sehr weitgehende Frage. Durch die Fassung dieses Antrages werden diese Probleme alle nicht gedeckt. Man muß sich dann ganz ernsthaft die Frage vorlegen: Wollen wir neben der Kulturverwaltung der Länder für gewisse Aufgaben auch eine Kulturverwaltung des Reiches haben, wollen wir Reichsinstitute und Reichsuniversitäten schaffen? Wenn man diese Fragen bejahen will – in Gottes Namen! Ich habe nichts dagegen. Aber eine Förderung der Wissenschaft ist auch unabhängig davon möglich, wie sich bei der Notgemeinschaft und der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gezeigt hat. Renner (KPD): In dem Art. 7 Ihres Verfassungswerkes steht kurz und lapidar: „Kunst, Wissenschaft und Forschung und ihre Lehre sind frei.“ Entweder hat man zu diesem Artikel sein Fiduz, wie das für mich aus den Ausführungen des Herrn Wagner hervorgeht, oder Herr Dr. Laforet hat recht. Aber Herr Dr. Laforet hat nicht recht. So schön das klingt: „Die Wissenschaft ist frei“, so innerlich unwahr ist das und war es auch. Ich verstehe Herrn Wagner schon sehr gut. Er hat nämlich wenigstens ein bißchen den Schleier gelüftet, indem er gesagt hat: man braucht eine gewisse Sicherung dafür, daß diese Freiheit der Forschung auch in allen Ländern gleichmäßig gewährleistet und gegeben ist. Darum möchte er, wenn ich ihn richtig verstanden habe, daß dem Bund in diesem Art. 35 oder 36 ergänzend die Möglichkeit einer Beeinflussung aller Länder gegeben ist. Insofern verstehe ich seinen Gedankengang. Ich möchte nur eins sagen: Wenn man zum Beispiel auf dem Gebiet der Naturwissenschaft eine einheitliche freie Forschung in allen Ländern garantieren will, muß man schon dem Bund das Recht geben, das auch gegen eventuellen Widerstand in einigen Ländern, der doch einsetzen wird, durchzudrücken. Ich sage nur ein Wort: Hundhammer37). (Dr. Lehr [CDU]: Ostzone!) – Herr Hundhammer wohnt in München und steht Ihnen näher als mir. Fangen Sie nicht an, mit der Ostzone zu pflaumen. Das zieht nicht. Deshalb bin ich der Meinung, um sicherzugehen, sollte man dem Antrag der SPD stattgeben. Dann haben wir eine doppelte Sicherung, wir haben außer dieser verbalen Deklaration in Art. 7, die zu nichts verpflichtet, wenigstens etwas Konkretes. Ich kann mir nicht verkneifen, hierzu noch auf einen Tatbestand hinzuweisen. Daß keit nach Rahden/Westfalen und 1947 schließlich nach Detmold verlagert wurde. Nach einer wechselvollen Geschichte ist das Institut 2004 als Anstalt in der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel (BfEL) aufgegangen. 2008 ist die Einrichtung in „Max Rubner-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel (MRI)“ umbenannt und reorganisiert worden. Sie hat ihren Hauptsitz in Karlsruhe, mit Standorten in Kiel, Detmold und Kulmbach. 37) Alois Hundhammer (1900–1974), 1923 Dr. phil., 1932–1933 Mitglied des Bayerischen Landtags (Bayerische Volkspartei), 1933 in Schutzhaft (KZ-Dachau), unterhält eine Schumacherwerkstatt in München, 1945 Mitbegründer der CSU, 1946 Mitglied der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung, 1946–1970 Mitglied des Bayerischen Landtags, 1946–1951 Fraktionsvorsitzender, 1951–1954 Landtagspräsident, 1946–1950 bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus, 1957–1969 bayerischer Staatsminister für Landwirtschaft und Forsten, 1964–1969 stellvertretender Ministerpräsident. Vgl. Oliver Braun: Konservative Existenz in der Moderne. Das politische Weltbild Alois Hundhammers (1900–1974). München 2006.

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die wissenschaftliche Forschung frei ist, können wir doch seit Bekanntwerden des Ruhrstatuts wirklich nicht mehr mit dieser absoluten Sicherheit selbst nur als Deklaration in die Öffentlichkeit hineinwerfen. Das stimmt gar nicht. Die wissenschaftliche Forschung ist durch das Ruhrstatut in einer Frage wesentlich eingeengt – und das ist ein Punkt im Ruhrstatut, mit dem ich in etwa übereinstimmen könnte –, indem Ihnen wenigstens die Möglichkeit genommen wird, Ihre wissenschaftliche Forschung auf das Gebiet der Kriegstechnik auszudehnen. Das ist Ihnen unmöglich gemacht, wenn das durchgehalten wird, was darin steht. Das ist eine zweite Frage, die ich offenlasse. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe den Eindruck, daß es sich empfiehlt, die Abstimmung zurückzustellen und vielleicht morgen die Sache aufzurufen. Dr. Laforet (CSU): Ich möchte ausdrücklich mein Einverständnis erklären. Selbstverständlich kann bei der heutigen Sachlage die Förderung der wissenschaftlichen Forschung nicht mehr Landessache allein sein. Darüber sind wir uns vollständig einig. Zweitens möchte ich meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß ein Sachverständiger wie Herr Dr. Höpker Aschoff uns heute klipp und klar erklärt hat, es besteht kein Hindernis, irgendeinem wissenschaftlichen Zweck eine Förderung durch den Bund zuteil werden zu lassen. (Renner [KPD]: Geld dürfen die Berliner hergeben. Dr. Greve [SPD]: Das ist aber nicht nach dem Prinzip: Do ut des!) Es braucht hier nicht die Gesetzgebungsbefugnis festgelegt zu werden, sondern das folgt aus der allgemeinen Kulturaufgabe des Bundes, jeder Einrichtung, die er für unterstützungswert hält, Mittel zufließen zu lassen, auch wenn er hierzu keine Gesetzgebungsbefugnis hat. [S. 364] Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie werden aber nicht verhindern können, daß der Bund, wenn er Geld gibt, an die Verwendung dieses Geldes bestimmte Bedingungen knüpft. Dr. Laforet (CSU): Das kann er bei jeder Zuwendung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann ist der Zustand erreicht, den Sie nicht wollen, den Sie aber niemals werden abwenden können. – Ich setze allgemeines Einverständnis voraus, daß die Abstimmung bis morgen zurückgestellt werden soll38). Ich schlage Ihnen weiter vor, aus denselben Gründen, aus denen die Ziffer 11 zurückgestellt worden ist, die Ziffern 14, 14a und 15 des Entwurfs des Redaktionsausschusses bis morgen zurückzustellen39). – Es ist so beschlossen. Art. 36 Ziffer 16: die Sicherung der Ernährung, die Ein- und Ausfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugung und die Hochsee- und Küstenfischerei, Rahmenvorschriften für die Jagd; Dr. Lehr (CDU): Meine Freunde bitten, dieser Ziffer 16 folgende Fassung zu geben: Den Verkehr mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die Ein- und Ausfuhr land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Grundsätze für die Zusammenarbeit der Länder zur Sicherung der Ernährung und der Holzversorgung sowie die Hochsee- und Küstenfischerei, Rahmenvorschriften für die Jagd; 38) 39)

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Vgl. dazu weiter Dok. Nr. 33, S. 1001 f. Vgl. die 31. Sitzung des HptA am 7. Jan. 1948; unten Dok. Nr. 31.

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Wagner (SPD): Wir haben zu Ziffer 16 einen Antrag eingebracht, der Ihnen schriftlich vorliegt. Ich möchte diesen Antrag in einem kleinen Punkt ändern. Er soll lauten: „Die Sicherung der Ernährung, die Ein- und Ausfuhr land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse“, – mit diesem Punkt komme ich dem Antrag der CDU/ CSU entgegen „die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung .. .“ Während der Text der ersten Beratung des Hauptausschusses gelautet hat: „Rahmenvorschriften für die Jagd“, haben wir geglaubt, es sei eine bessere Formulierung zu sagen: „Rahmenvorschriften für das Jagdwesen“. Ich glaube, darüber gibt es keine Meinungsverschiedenheit. Nun noch ein Wort zu dem Vorschlag der CDU/CSU. Wir beginnen in Ziffer 16 nach einem Beschluß der Zuständigkeitsausschusses, der uns sehr viel Arbeit gemacht hat, mit dem Oberbegriff: „Die Sicherung der Ernährung“. Alle anderen Dinge sind diesem Oberbegriff untergeordnet und demgemäß aufgebaut. Wir waren im Zuständigkeitsausschuß darüber unter allen Parteien völlig einig. Was jetzt von der CDU-Fraktion angeregt wird, bedeutet zum Teil eine prinzipielle Änderung dieses Antrages. Sie bringt zwar auch noch etwas über die Sicherung der Ernährung, aber sie sagt: „die Grundsätze für die Zusammenarbeit der Länder zur Sicherung der Ernährung und der Holzversorgung“. Das ist viel weniger, als wir gesagt haben. Man geht von der Auffassung aus, die Sicherung der Ernährung soll in der Weise geregelt werden, daß die Länder auf diesem und jenem Gebiet Vereinbarungen treffen. Man versucht also, ein zentrales Bundesproblem mit einem Stückwerk zu lösen. Die Frage der Ernährung – das haben wir bereits im Zuständigkeitsausschuß ausgeführt – ist keine vorübergehende Angelegenheit40). Es ist keine Angelegenheit, die morgen so gelöst sein wird, daß sie nicht mehr ein Zentralproblem ist – leider –, sondern sie wird uns auf sehr lange Zeit hinaus beschäftigen und ein Zentralproblem darstellen. Diese Frage muß in der absolut klaren Weise geregelt werden, daß der Bund das Recht hat, auf dem Wege der Vorranggesetzgebung all die Fragen, die zur Sicherung der Ernährung auftreten, zentral vom Bunde aus zu regeln. Man kann nicht auf diesem humpligen Weg versuchen, zwischen Ländern zu vereinbaren, was gemacht werden soll. Wir haben es mit Ländern zu tun, die auf dem Gebiete der Ernährung reichere Länder sind, und mit Ländern, die auf diesem Gebiet sehr arme Länder sind. Das wird ein Feilschen und Aushandeln geben, das wird einen Zeitverlust geben, währenddessen die Menschen in den ärmeren Ländern beinahe verhungern können. Es handelt sich darum, einheitliche Maßnahmen zu treffen, um das elementare Leben der Menschen physisch überhaupt zu sichern. Deswegen bedaure ich, daß der Vorschlag der CDU-Fraktion von dem wohlüberlegten Vorschlag des Zuständigkeitsausschusses abweicht, in welchem sämtliche Herren Kollegen der CDU/CSU-Fraktion durchaus mit uns einig waren. Das dauerte sehr lange. Wir gingen aus von dem Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. Strauß, der uns allen in seiner Formulierung etwas gefährlich erschien, und kamen nach mehreren langen Sitzungen zu dem Ergebnis, das in Ziffer 16 niedergelegt ist und das der Hauptausschuß das letzte Mal beschlossen hat. Es scheint mir doch notwendig, daß die Herren der CDU/CSU-Fraktion sich von den Herren Kol40)

Vgl. dazu die 9. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 7. Okt. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 19, S. 369–385.

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legen, die im Ausschuß mitgearbeitet haben – die Kollegen Dr. Strauß, Dr. Laforet, Dr. Kleindinst, Dr. Blomeyer usw. –, unterrichten lassen, wie es dazu gekommen ist, daß wir nicht zufällig etwas gemacht, sondern systematisch aufgebaut haben. Ich würde es bedauern, wenn diese Frage noch einmal von Anfang an aufgerollt werden würde. Ich würde doch sehr wünschen, daß die Herren der CDU/CSUFraktion vielleicht noch einmal unter sich beraten und unserem ursprünglichen Vorschlag zustimmen, der, glaube ich, der Sachlage allein gerecht wird. Dr. Kleindinst (CSU): Über die Erreichung der großen Ziele, von denen der Herr Vorredner gesprochen hat, waren wir uns alle einig. Aber was nunmehr aus den Zuständigkeiten hätte gemacht werden sollen und wollen, das ist neu hervorgetreten. Alle Fachleute haben sich bemüht, das ganze land- und forstwirtschaftliche Schulwesen, die Errichtung zentraler Institute auf Grund dieser Zuständigkeiten zu erstreben und die ganze Wirtschaftspflege, die in anderthalb Jahrhunderten in den Ländern entstanden ist, nicht zu reglementieren und unter Umständen sogar zu verhindern. Das sollte ausgeschlossen werden. Das ist in all den Bestrebungen der letzten Wochen klar hervorgetreten. Das wollen wir damit verhindern. (Dr. Greve [SPD]: Schlögl41) hat bei Ihnen über Schlange-Schöningen42) und Gerecke43) gesiegt.) – Schlögl hat mit uns nichts zu tun gehabt; keine politische Stelle ist mit uns in irgendwelche Verbindung getreten. 41)

Alois Schlögl (1893–1957), 1920 Journalist, 1923 Dr. rer. pol., 1922 Vorsitzender des Christlichen Bauernvereins Passau, 1925 Direktor des Niederbayerischen Christlichen Bauernvereins in Landshut, Mitglied der Bayerischen Volkspartei (BVP), 1932–1933 Mitglied des Bayerischen Landtags, 1941–1945 Soldat, 1945 Mitgründer der CSU, 1945–1948 Generalsekretär des Bayerischen Bauernverbandes, 1945 Gründer der Firma „Bayerischer Landwirtschaftsverlag (BLV)“, 1945 und 1946 Mitglied des Vorläufigen Landesausschusses der CSU, 1946 wurde er Mitglied des Bayerischen Beratenden Landesausschusses und der Verfassunggebenden Landesversammlung, 1946–1957 Mitglied des Bayerischen Landtags, 1948–1954 Mitglied des CSU-Landesvorstands, 1948–1954 Staatsminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. 42) Hans Schlange-Schöningen (1886–1960), 1921–1928 Mitglied des Preußischen Landtags (DNVP), 1924–1933 Mitglied des Reichstags, lege 1928 nach der Wahl von Alfred Hugenberg zum Vorsitzenden der DNVP sein Amt als Landesvorsitzender in Pommern nieder, 1930 Austritt aus der DNVP, 1931–1932 Reichsminister ohne Geschäftsbereich und Reichskommissar für die Osthilfe, Kontakt zum Kreisauer Kreis und war als Ernährungsminister vorgesehen, 1946–1947 Mitglied des Zonenbeirates für die britische Besatzungszone, 1947–1949 Direktor der Verwaltung für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Verwaltungsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, 1949–1950 Mitglied des Deutschen Bundestages, erhielt 1949 bei der Wahl zum ersten Bundespräsidenten – ohne kandidiert zu haben – sechs Stimmen, 1950–1953 Generalkonsul und 1953–1955 Botschafter in Großbritannien. Günter Joachim Trittel: Hans Schlange-Schöningen. Ein vergessener Politiker der „Ersten Stunde“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 35 (1987), S. 25–63 43) Günther Gereke (1893–1970), Dr. iur et. pol., 1924–1928 und 1930–1932 Mitglied des Reichstags (Deutschnationale Partei), 1932 Reichskommissar für die Arbeitsbeschaffung, 1945 Präsidialdirektor bei der Provinzialregierung in Halle (CDU), 1946–1947 Innenminister in Niedersachsen, 1948 Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und stellv. Ministerpräsident, 1950 Rücktritt und Parteiausschluß, Gründungsmitglied der „Deutschen Sozialen Partei“, 1952 Übersiedelung in die DDR. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 13, S. 377, Anm. 2.

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Dr. Laforet (CSU): Es kann keine Rede davon sein, daß irgendwelche Kreise uns hier beeinflußt hätten. Auch will die Linie des Zuständigkeitsausschusses in gar keiner Weise verändert werden. Es ist nur noch die Verpflichtung der Länder unterstrichen, nicht mehr. Wenn das so ausgelegt wird, wie wir es im Zuständigkeitsausschuß getan haben, wenn unter der Sicherung der Ernährung nur das verstanden werden will, was vorhin Herr Kollege Wagner ausgesprochen hat, dann ist überhaupt keine Meinungsverschiedenheit gegeben. In Frage steht jedoch noch ein anderes. Es dreht sich darum, wieweit nicht auch hinsichtlich der forstwirtschaftlichen Erzeugung eine Einwirkung erfolgen soll. Es dreht sich darum, ob nicht auch eine Sicherung der Holzversorgung gegeben werden soll. Das ist der einzige sachliche Unterschied, den ich in den beiden Anträgen sehe. Ich habe gar nichts dagegen, wenn auf der Grundlage der Auslegung, die Herr Kollege Wagner gegeben hat, auf der Grundlage der Worte „Sicherung der Ernährung“, wie sie dort erfolgt ist, auch der Formel der Vorzug gegeben wird, wie wir es im Zuständigkeitsausschuß festgelegt haben. Ich möchte nur aus Gründen der Gerechtigkeit ausdrücklich sagen, daß die Fassung, wie sie hier in dem CDU/CSUAntrag zum Ausdruck kommt, keine Abweichungen enthalten würde. Ich [S. 365] hätte sonst Einspruch eingelegt. Dagegen bitte ich doch erwägen zu wollen, ob Sie nicht vielleicht auch noch zur Sicherung der Ernährung die Sicherung der Versorgung mit Holz einbeziehen. So wie ich die Dinge beurteilt habe, ist das der einzige Gesichtspunkt, der etwas Neues enthält. Man braucht nicht notwendigerweise die Pflicht der Länder als der eigentlichen Träger der Lieferpflicht in den Vordergrund zu stellen. Die Entscheidung – hier bin ich mit dem Herrn Kollegen Wagner völlig einverstanden – kann allein beim Bund liegen. Hier muß sie auch in der letztentscheidenden Hand sein. Der Vollzug kann nur durch die Länder erfolgen. Hier war nichts anderes beabsichtigt, wie ich bei Rückfrage mit dem betreffenden Herrn Kollegen klarstellen kann, als eine Betonung der Pflicht der Länder, bei diesem großen Ziel entscheidend mitzuwirken, wenn auch in Unterordnung unter den Bund. Wagner (SPD): Es scheinen gewisse Chancen zu bestehen, daß wir in dieser Ziffer doch noch einig werden. Ich darf den Herrn Kollegen Dr. Laforet daran erinnern, daß der Antrag seiner Fraktion, die Holzversorgung mit aufzunehmen, nichts Neues bedeutet. Wir waren im Zuständigkeitsausschuß – und der Herr Kollege Blomeyer von Ihrer Fraktion mit uns – der Meinung, daß man das in Ziffer 16 aufnehmen sollte. Dann wurde es schließlich fallengelassen. Wir haben in unserer Fraktion kein Bedenken dagegen, daß das aufgenommen wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie ergänzen Ihren Antrag dahin: die Sicherung der Ernährung und Holzversorgung? Wagner (SPD): Es kommt darauf an, an welcher Stelle man es bringt. Wir waren darüber einig, daß die Holzversorgung mit aufgenommen wird. Wir sind, glaube ich, weiter darüber einig, daß die Sicherung der Ernährung an erster Stelle steht. (Dr. Laforet [CSU]: Einverstanden!) – Dann schlage ich Ihnen vor, lassen wir doch die Ziffer 16 in der Einleitung, wie sie ist, die Sicherung der Ernährung als der Oberbegriff, wie wir es im Zuständigkeitsausschuß beschlossen haben, um dann fortzufahren. Aber ehe ich fortfahre, darf ich noch eine Bemerkung machen. Wir haben im Zuständigkeitsausschuß das

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Wort „Verkehr mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen“ ganz bewußt gestrichen. Wir wollten das nicht. Es hat eine Formulierung des Herrn Kollegen Dr. Strauß vorgelegen, die zu sehr an die Zwangswirtschaft erinnerte. Alle Fraktionen haben sich dagegen gewandt. Es ist doch oft so, daß in den Fraktionen andere Kollegen plötzlich sehr kluge Ideen bekommen und andere Formulierungen vorschlagen, weil sie die Geschichte der Entwicklung der Artikel nicht kennen, daß dann Bestimmungen und Anträge zurecht gemacht werden, die nicht ganz so gründlich sind wie diejenigen, die in den Ausschüssen nach reiflicher Debatte beschlossen worden sind. Ich will nicht unhöflich sein, aber ich habe beinahe den Verdacht, daß die Ziffer 16 so entstanden ist. Wir wollen uns bemühen, auf den Weg zurückzukehren, den wir nach reiflicher Überlegung gegangen sind. Es würde die Sache sehr fördern, wenn wir „die Sicherung der Ernährung“ lassen und das Wort „den Verkehr“ streichen. (Dr. Laforet [CSU]: Jawohl!) Und fügen wir noch das Wort „Holzversorgung“ an der meinetwegen Ihnen geeignet erscheinenden Stelle ein. Dann haben wir eine schöne Ziffer 16. (Dr. Laforet [CSU]: Jawohl!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Nun muß ich zu meiner Schande gestehen, daß ich nicht mehr recht weiß, was eigentlich beantragt ist. Dr. Lehr (CDU): Ich wollte ebenfalls darauf hinweisen, daß wir soweit zusammen sind, daß nicht zwei Anträge gestellt zu werden brauchen. Wenn Sie den Ausdruck „Sicherung der Holzversorgung“ hineinnehmen, können wir beide Anträge zusammentun und eine einheitliche Gesamtabstimmung machen. (Wagner [SPD]: Einverstanden!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich schlage folgende Fassung vor: die Sicherung der Ernährung, die Ein- und Ausfuhr land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Versorgung mit Holz, die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung, die Hochsee- und Küstenfischerei, Rahmenvorschriften für das Jagdwesen; (Dr. Laforet [CSU] und Wagner [SPD]: Einverstanden!) Ich lasse darüber abstimmen. – Die Fassung ist gegen einige Stimmenthaltungen angenommen. Art. 36 Ziffer 17: Den Grundstücksverkehr, das Bodenrecht und das landwirtschaftliche Pachtwesen, das Wohnungswesen; das Siedlungs- und Heimstättenwesen und Rahmenvorschriften für die Bodenverteilung; Der Allgemeine Redaktionsausschuß schlägt vor, statt „und Rahmenvorschriften“ zu sagen: „sowie Rahmenvorschriften“. Ich glaube, daß das besser ist. Wagner (SPD): Wir haben zu Ziffer 17 einen Antrag gestellt, der zunächst den Vorschlag des Redaktionsausschusses annimmt, statt des Wortes „und“ das Wort „sowie“ zu setzen, wie der Herr Vorsitzende es jetzt vorgetragen hat. Unser Antrag geht weiter dahin, hinter dem Wort „Bodenverteilung“ die Worte zuzufügen: „und das Vermessungswesen“. Ich weiß, daß diese Frage im Zuständigkeitsausschuß Anlaß zu sehr langen Unterhaltungen war. Wir haben in großer Fülle Sachverständigengutachten bekommen. Es gab Meinungen dafür und dagegen. Sie waren beide gut begründet. Nach sorgfältiger Erwägung und auf Grund der uns vorgelegten

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Sachverständigengutachten – obwohl ich in diesem Hause oft von Sachverständigen nicht gerade immer die besten Anregungen bekommen habe – glaube ich, daß es ratsam wäre, auch das Vermessungswesen in die Vorranggesetzgebung aufzunehmen. Dr. Seebohm (DP): Wir haben auf Drucksache PR. 12.48 – 41344) den Antrag an den Hauptausschuß gestellt, in Ziffer 17 die Worte „die Raumordnung und den Wasserhaushalt“ hinzuzufügen. Diese Anregung ist nicht leicht zu verwirklichen, weil hier einer klaren juristischen Formulierung der Begriffe erhebliche Schwierigkeiten gegenüberstehen. Zur Frage der Raumordnung ist zu sagen, daß sie natürlich auch in das Gebiet der Landesplanung fällt. Aber es erscheint notwendig, hier die Möglichkeit einer gesetzlichen Koordinierung vorzusehen, um übergebietliche Gesichtspunkte bei der Lösung dieser Fragen berücksichtigen zu können. Auch der Wirtschaftsrat hat einen Beschluß in diesem Sinne gefaßt, auf den ich verweisen möchte. Die Frage des Wasserhaushalts ist ganz besonders schwierig zu behandeln, weil die Maßnahmen gegen die Bodenverschlechterung und zur sinnvollen Verwendung der Wasservorräte einschneidende übergebietliche Maßnahmen erfordern. Es ist insbesondere an die Maßnahmen gegen die Bodenverschlechterung zu denken, die sich aus den klimatischen Veränderungen durch die Abholzungen und ähnliche Verwüstungseingriffe in die Natur ergeben. Infolgedessen möchte ich vorschlagen, daß dieser Bereich hiermit aufgenommen wird. Ich darf noch folgende allgemeine Bemerkung hinzufügen. Die Arbeit ist für uns sehr schwer, wenn die Anträge erst im Laufe der Beratungen eingehen. Ist es nicht möglich, daß die anderen Fraktionen, wie wir es getan haben, ihre Anträge vorher fertigstellen, damit man sich, bevor man in die entsprechende Beratung eintritt, die Anträge und ihre Konsequenzen vorher überlegen kann? Die Frage des Vermessungswesens ist hier bereits in der ersten Lesung hinreichend behandelt worden. Nach wie vor stehe ich auf dem Standpunkt, daß das [S. 366] Vermessungswesen eine Länderangelegenheit ist und diese Aufgabe auch den Ländern verbleiben sollte, da keine Gründe gegeben sind, diesen Bereich in die Vorranggesetzgebung zu übernehmen. Es könnten im Gegenteil gewisse gesamtpolitische Gründe gegeben sein, die gerade dafür sprechen, daß man diese Aufgabe bei den Ländern beläßt. Renner (KPD): Ich möchte den Ausführungen meines geschätzten Vorredners einen Satz anschließen. Wir brauchen ein Bundesvermessungswesen. Wie anders wollen wir zu Generalstabskarten45) kommen? Die brauchen wir doch. Dazu brauchen wir also ein zentrales Bundesvermessungswesen. (Wagner [SPD]: Warum denken Sie so militärisch?) – Ich mache mir nur Ihre Gedankengänge zu eigen. Wie kämen wir sonst zu Generalstabskarten? (Kaufmann [CDU]: War das die Absicht, die Sie dazu geführt hat?) 44)

Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 19 der DP-Fraktion zu Art. 36 Ziffer 17 vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 413. 45) Generalstabskarten sind offizielle kartographische Werke. Der Name erinnert an ihren Ursprung in den Generalstäben und Kriegsministerien.

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– Also sind wir einig. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Renner, ich glaube, Sie verdächtigen den Kollegen Kaufmann zu Unrecht. Wenn ich mich nicht täusche, will er das Vermessungswesen nicht für den Bund haben. Renner (KPD): Aber den Generalstab möchte er wieder haben. Dr. Laforet (CSU): Ich habe nur zur Frage des Vermessungswesens Stellung zu nehmen. Der Zuständigkeitsausschuß war einstimmig der Meinung, daß die besseren Gründe dafür sprechen, das zivile Vermessungswesen, das heute allein in Frage steht, als ausschließliche Angelegenheit der Länder zu betrachten. Das Vermessungswesen ist erst in später Zeit, 1934, zur Reichsangelegenheit geworden46). (Renner [KPD]: Aus sehr durchsichtigen Gründen!) Es ist keinerlei Anlaß gegeben, heute irgendwie an das Jahr 1934 hinsichtlich der damaligen Maßnahmen anzuknüpfen. Heute dient das Vermessungswesen dem wirtschaftlichen Wiederaufbau, der Landwirtschaft, der Siedlung, dem Städtebau, und muß deshalb auf die Bedürfnisse der einzelnen Länder abgestellt bleiben. Die Vermessungsverwaltungen der Länder Hessen, Nordwürttemberg, Nordbaden, Südwürttemberg, Südbaden und Bayern haben am 23. September 1948 zu der angeschnittenen Frage Stellung genommen und sind sich darüber einig, daß abgesehen von der wissenschaftlichen Koordination, die von jeder Gebundenheit durch den Bund oder die Länder völlig frei ist, das tatsächliche Vermessungswesen selbstverständlich in der Hand der Länder bleiben muß und daß eine Bundesgesetzgebung für das Vermessungswesen abzulehnen ist, da die heutigen Aufgaben des Vermessungswesens ausschließlich den Bedürfnissen der einzelnen Länder dienen müssen47). Ich bitte deshalb, von dem Zusatz „und das Vermessungswesen“ absehen zu wollen, wie wir es auch im Zuständigkeitsausschuß einstimmig beschlossen haben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zunächst über den Antrag Dr. Seebohm auf Einfügung der Worte „die Raumordnung“ in Ziffer 17 abstimmen. – Die Einfügung ist einstimmig angenommen. Ich lasse weiter über die Einfügung der Worte „und den Wasserhaushalt“ abstimmen. – Die Einfügung ist mit 12 gegen 4 Stimmen angenommen. Sodann lasse ich über die Aufnahme der Worte „das Vermessungswesen“ abstimmen. – Das ist mit 11 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Dann lasse ich über die gesamte Ziffer 17 abstimmen, die lautet: „den Grundstücksverkehr, das Bodenrecht und das landwirtschaftliche Pachtwesen, das Woh-

46)

Vgl. dazu das Gesetz über die Neuordnung des Vermessungswesens vom 3. Juli 1934; RGBl. I, S. 534. Mit diesem Gesetz ihm wurde das Vermessungswesen zur Reichsangelegenheit erklärt, in dessen Folge mit Gesetz vom 18. März 1938 (RGBl. I, S. 277) Hauptvermessungsabteilungen gebildet wurden, die dem Geschäftsbereich des Reichsministeriums des Innern zugeordnet wurden. 47) Laforet referiert hier ein von Ringelmann gez. Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 3. Okt. 1948 vervielfält. auf Drucks. Nr. 152. Diesem Schreiben ist die Stellungnahme der Vermessungsverwaltungen vom 23. Sept. 1948 als Anlage beigefügt. – Das Schreiben wurde in der 12. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 14. Okt. 1948 beraten. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 14, S. 482–486.

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nungswesen, das Siedlungs- und Heimstättenwesen sowie Rahmenvorschriften für die Bodenverteilung, die Raumordnung und den Wasserhaushalt“. – Die Ziffer ist gegen eine Stimmenthaltung angenommen. Art. 36 Ziffer 18: Die Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, die Zulassung zu ärztlichen Berufen, zu Heilberufen und zum Heilgewerbe und den Verkehr mit Arzneien, Heil- und Betäubungsmitteln und Giften; Ich lasse abstimmen. – Die Ziffer ist einstimmig angenommen. Art. 36 Ziffer 19: den Schutz bei dem Verkehr mit Lebens- und Genußmitteln sowie Bedarfsgegenständen, mit Futtermitteln, mit land- und forstwirtschaftlichern Saatund Pflanzgut und den Schutz der Bäume und Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge; Wir kommen zur Abstimmung. – Die Ziffer ist einstimmig angenommen. Art. 36 Ziffer 20: die Hochsee- und Küstenschiffahrt sowie die Seezeichen, die Binnenschifffahrt, den Wetterdienst, die Seewasserstraßen und die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen; Wir kommen zur Abstimmung. – Die Ziffer ist angenommen. Wagner (SPD): Wir beantragen, als nächste Ziffer den Küstenschutz einzufügen. Dr. Laforet (CSU): Sind die Herren Hanseaten damit einverstanden? Wagner (SPD): Daher kommt die Anregung. (Dr. Laforet [CSU]: Um so besser!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Das Land Schleswig-Holstein ebenso wie das Land Niedersachsen denkt an seine Deiche. Dr. Laforet (CSU): Es war mir nur darum zu tun, ausdrücklich klarzustellen, daß die beiden Vertreter der Hansestädte einverstanden sind. Wagner (SPD): Es ist auf ihre Anregung zurückzuführen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte zur Vermeidung von Mißverständnissen – das ist an alle gerichtet – feststellen, daß unter Küstenschutz keine militärischen Anlagen verstanden werden. (Wagner [SPD]: Kampf gegen das Wasser!) Herr Renner, ich glaube, auch Sie werden der Meinung sein, daß hier keine bösen Absichten bestehen. Renner (KPD): Da gibt es ja ein klareres Wort. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie werden sich dann auf mich berufen können, Herr Renner. Renner (KPD): Man muß vorsichtig sein. Ich bin sehr dankbar für die Aufklärung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Ziffer 20a würde lauten: den Küstenschutz, Ich lasse abstimmen. – Die Ziffer ist angenommen. Herr Renner hat nicht dagegen gestimmt. Art. 36 Ziffer 21: den Straßenverkehr, das Kraftfahrwesen und den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen des Fernverkehrs, die mehrere Länder durchziehen;

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Wagner (SPD): Wir beantragen, die letzten Worte „die mehrere Länder durchziehen“ zu streichen. Die Streichung ist auf eine Anregung der Verwaltung für Verkehr in Offenbach zurückzuführen. Das Gutachten dieser Stelle wendet sich dagegen48). Wir haben uns im Zuständigkeitsausschuß darüber unterhalten und waren uns darüber einig, daß diese Worte gestrichen werden sollen49). [S. 367] Dr. Laforet (CSU): Das ist auch nicht im Widerspruch mit der Grundlinie unserer Ausführungen im Zuständigkeitsausschuß. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie sind auch für die Streichung? Dr. Laforet (CSU): Ja! Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann können wir abstimmen lassen über die Streichung des Relativsatzes: „die mehrere Länder durchziehen“. – Die Streichung ist angenommen. Ich lasse über die ganze Ziffer in der nunmehr abgeänderten Form abstimmen. – Die Ziffer ist einstimmig angenommen. Art. 36 Ziffer 22: die Schienenbahnen, die nicht Bundeseisenbahnen sind, mit Ausnahme der Bergbahnen; Wir kommen zur Abstimmung. – Die Ziffer ist angenommen. Die Art. 37 und 38 werden in Abschnitt Finanzwesen behandelt. Wagner (SPD): Es wird mir gerade gesagt, daß man dazu neige, an Stelle einer neuen Ziffer für den Küstenschutz die Worte „den Küstenschutz“ als letzte Worte an die Ziffer 20 anzuhängen. Ich möchte diesem Gedanken Ausdruck verleihen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich halte es doch für besser, eine besondere Ziffer zu lassen. Es ist eine Sache sui generis. Wir sollten sie herausheben. Es ist sonst zu sehr ein Anhängsel. (Wagner [SPD]: Ja!) Kaufmann (CDU): An und für sich hängt es mit der Sicherung der Seewasserstraßen sehr stark zusammen und wird zum Teil technisch gemeinsam erledigt. Ich glaube, es könnte ruhig in diesen Abschnitt hinein. (Wagner [SPD]: Einverstanden!)

[1.2. ART. 39: AMTSHILFE UND RECHTSHILFE]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir kommen zu Art. 39 (1) Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Amtshilfe und Rechtshilfe mit Einschluß des Zwangsvollstreckungs- und Verwaltungszwangsverfahrens.

48)

Zum Gutachten des Direktors der Verwaltung für Verkehr, Frohne, vom 5. Okt. 1948 vgl. der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 10, Anm. 49. 49) Vgl. die 11., 14. und 15. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 13. Okt. und 10. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 13, S. 475 und Dok. Nr. 19, S. 570 sowie Dok. Nr. 20, S. 614 f.

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(2) Die in einem Land nach dessen Recht ordnungsmäßig vorgenommenen öffentlichen Beurkundungen und Beglaubigungen werden im ganzen Bundesgebiet anerkannt. Wagner (SPD): Wir beantragen, in Abs. 2 die Worte „nach dessen Recht ordnungsmäßig“ entsprechend der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu streichen, so daß die Fassung lautet: „Die in einem Land vorgenommenen öffentlichen Beurkundungen und Beglaubigungen werden im ganzen Bundesgebiet anerkannt.“ Als Begründung ist, wenn ich mich recht erinnere, vom Redaktionsausschuß gesagt worden: wenn man die Worte „nach dessen Recht ordnungsmäßig“ stehen lasse, gebe es in jedem einzelnen Fall eine so hochnotpeinliche Untersuchung und unter Umständen solche rechtlichen Schwierigkeiten, daß der glatte Rechtsverkehr gehemmt werden könnte. Wir glauben, daß die Fassung des Redaktionsausschusses richtiger ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, daß die Souveränität der Länder mehr beachtet wird, wenn man eine Nachprüfung ihrer Urkunden auf ordnungsmäßige Beurkundung nach Landesrecht ausschließt. Dr. Laforet (CSU): Ich sehe darin nicht eine besondere Erhöhung der Souveränität der Länder, sondern die sehr zweckmäßige Streichung eines Wortes, das nur zu Schwierigkeiten führen kann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag auf Streichung dieser vier Worte abstimmen. – Die Streichung ist beschlossen. Zinn (SPD): In Abs. 1 hatte der Allgemeine Redaktionsausschuß empfohlen, die Worte „Amts- und Rechtshilfe“ in „Rechts- und Amtshilfe“ umzustellen. Dann heißt es in der Fassung des Redaktionsausschusses weiter: „auch im Zwangsvollstreckungs- und Verwaltungszwangsverfahren“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses von Abs. 1 lautet: Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechtsund Amtshilfe, auch im Zwangsvollstreckungs- und Verwaltungszwangsverfahren. Ich halte diese Formulierung für besser. Ich lasse zuerst über Abs. 1 in der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Der Abs. 1 ist einstimmig angenommen. Dann lasse ich über Abs. 2 ebenfalls in der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen: Die in einem Land vorgenommenen öffentlichen Beurkundungen und Beglaubigungen werden im ganzen Bundesgebiet anerkannt. – Einstimmig angenommen. Ich brauche wohl über den gesamten Artikel nicht mehr abstimmen zu lassen. (Zustimmung.)

[1.3. ART. 40: VEREINBARUNGEN ZWISCHEN DEN LÄNDERN]

Art. 40 Die Länder können über Gegenstände, die in ihren Aufgabenbereich fallen, Vereinbarungen mit anderen deutschen Ländern treffen.

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Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse abstimmen. – Einstimmig angenommen. Wir kommen zu

[1.4. ART. 41: VERTRÄGE MIT AUSWÄRTIGEN STAATEN]

Art. 41 (1) Die Zuständigkeit, Verträge mit auswärtigen Staaten zu schließen, richtet sich nach der Zuständigkeit zur Gesetzgebung. (2) Für die Einleitung von Vertragsverhandlungen und den Abschluß eines Vertrages mit einem auswärtigen Staat bedürfen die Länder der Zustimmung des Bundes. (3) Vor dem Abschluß eines Vertrages, der die besonderen Verhältnisse eines Landes berührt, hat der Bund das Land rechtzeitig zu hören. Dr. Lehr (CDU): Ich bitte, den Abs. 1 wie folgt zu formulieren: Soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, können sie mit auswärtigen Staaten Verträge abschließen. Wagner (SPD): Man kann mit diesem Vorschlag einverstanden sein. Zu Abs. 2 beantragen wir, die Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses zugrunde zu legen. Ich erhebe das zum Antrag. Abs. 2 würde also lauten: Für die Einleitung von Vertragsverhandlungen und den Abschluß eines Vertrages mit einem auswärtigen Staat bedürfen die Länder der Zustimmung der Bundesregierung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Abs. 1 in der Fassung des Antrages der CDU abstimmen: „Soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, können sie mit auswärtigen Staaten Verträge abschließen.“ Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich glaube, da liegt ein Irrtum vor. Da fehlt überhaupt die Zuständigkeit des Bundes. Jetzt ist in Abs. 1 beides geregelt, die Zuständigkeit des Bundes und die Zuständigkeit der Länder. Die Zuständigkeit, Verträge abzuschließen, [S. 368] richtet sich nach der Zuständigkeit der Gesetzgebung. Wenn an Stelle dieses Absatzes der Abs. 1 nach dem Antrag Dr. von Mangoldt50) gesetzt wird, ist nur noch von der Zuständigkeit der Länder die Rede, von der Zuständigkeit des Bundes überhaupt nicht. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf dazu bemerken, daß die Zuständigkeit des Bundes sich klar aus den Zuständigkeiten über die ausschließliche Gesetzgebung für die auswärtigen Angelegenheiten ergibt, daß also die Formulierung, die hier von Herrenchiemsee vorgeschlagen war, so unklar war, daß sie klarer gestaltet werden mußte. Nur das bezweckt der Antrag. Er bedeutet nur eine redaktionelle Umformulierung. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich kann dem nicht zustimmen. Die Zuständigkeit zur Gesetzgebung schließt die Zuständigkeit, Verträge mit auswärtigen Staaten abzuschließen, nicht ohne weiteres in sich ein. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Die Bestimmung des Art. 41, daß die Zuständigkeit, Verträge mit auswärti50)

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Vgl. den von von Mangoldt gez. Antrag der CDU/CSU-Fraktion vom 6. Jan. 1949; Drucks. Nr. 457.

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gen Staaten zu schließen, sich sowohl für den Bund wie für die Länder nach der Zuständigkeit zur Gesetzgebung richtet, muß also bleiben. Und der Antrag von Herrn Dr. von Mangoldt – nähere Prüfung vorbehalten; er ist soeben erst überreicht worden – scheint mir auf einem Irrtum zu beruhen. Wagner (SPD): Ich glaube auch, nachdem ich beide Formulierungen noch einmal verglichen habe, daß die Formulierung des Hauptausschusses in Abs. 1 die vollkommenere ist. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf auf Art. 81 verweisen. Dort heißt es: „Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. Staatsverträge bedürfen zu ihrer Gültigkeit . . .“ Darin ist alles festgelegt, was über die Zuständigkeit des Bundes zum Abschluß von Verträgen zu sagen ist. Dr. Greve (SPD): Das ist die völkerrechtliche Seite. Hier ist aber die staatsrechtliche Seite gemeint. Dr. von Mangoldt (CDU): Der Bund kann die Verträge abschließen, und die Länder können auf den Gebieten, auf denen sie zuständig sind, das gleiche. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die staatsrechtliche Seite ist in der Bestimmung des Art. 35 über die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes in auswärtigen Angelegenheiten enthalten. Denn ein Staatsvertrag wird nach innen rechtswirksam, wenn er vom Parlament als Gesetz beschlossen ist. Wagner (SPD): Ich glaube, wir befinden uns nicht in einem prinzipiellen Gegensatz, sondern es handelt sich um eine Frage der Formulierung. Nach nochmaliger Überprüfung scheint mir die Formulierung, die wir ursprünglich beschlossen haben, besser zu sein. Sie ist umfassender und klarer. Wenn schon ein Bedenken entsteht, wie es jetzt bei dem Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff entstanden ist, ist es von vornherein etwas gefährlich, solche Formulierung zu wählen. Ich würde deshalb doch dazu neigen, es bei dem Text der ersten Lesung zu belassen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zuerst über den Abänderungsantrag der CDU/ CSU-Fraktion zu Abs. 1 abstimmen. – Der Antrag ist mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Dann lasse ich über den Abs. 1 in der Fassung des Hauptausschusses abstimmen. – Die Fassung ist mit 13 gegen 1 Stimme bei Enthaltungen angenommen. Zu Abs. 2 ist beantragt, statt „Zustimmung des Bundes“ zu sagen: „Zustimmung der Bundesregierung“. – Einstimmig angenommen. Ich lasse über den Abs. 2 in der abgeänderten Form abstimmen. – Angenommen. Wir kommen zu Art. 41 Abs. 3. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Müßte man hier nicht wieder „Bundesregierung“ sagen? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja. Ich stelle also den Abs. 3 in folgender Fassung zur Abstimmung: Vor Abschluß eines Vertrages, der die besonderen Verhältnisse eines Landes berührt, hat die Bundesregierung das Land rechtzeitig zu hören. – Angenommen. Art. 42. Diese Materie wird in Abschnitt IX und X behandelt.

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[1.5. ART. 43: AUSWAHL DER BEAMTEN IN DEN OBERSTEN BUNDESBEHÖRDEN]

Art. 43 Bei den obersten Bundesbehörden sind Beamte aus allen Ländern in angemessenem Verhältnis zu verwenden. Die bei den übrigen Bundesbehörden beschäftigten Personen sollen in der Regel aus dem Lande genommen werden, in dem sie tätig sind. Ich bitte um Abstimmung. – Angenommen.

[1.6. ART. 44: MEINUNGSVERSCHIEDENHEITEN]

Die Beschlußfassung zu Art. 44 ist zurückgestellt gewesen51). Der Allgemeine Redaktionsausschuß hat hier folgenden Vorschlag gemacht: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet 1. bei Meinungsverschiedenheiten oder bei Zweifeln über die Vereinbarkeit von Bundesrecht mit dem Grundgesetz und die Vereinbarkeit von Landesrecht mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht; 2. bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausübung der Bundesaufsicht und der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder; 3. über sonstige Streitigkeiten des öffentlichen Rechts zwischen dem Bund und einem Land. Diese Dinge sind, wenn ich mich nicht täusche, schon in Art. 128b unserer bisherigen Beschlüsse geregelt. Zinn (SPD): Ja, Art. 128b enthält im wesentlichen, abgesehen von einer oder zwei Generalklauseln, nur einen Katalog der Vorschriften, die sonst verstreut an den verschiedensten Stellen des Grundgesetzes die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts betreffen. Da man nun einmal grundsätzlich diesen Weg gegangen ist, die Zuständigkeit in den einzelnen Abschnitten zu behandeln, muß das auch hier geschehen. Insofern ist der Art. 44 hier notwendig. Dr. Laforet (CSU): Wir haben bis jetzt noch keine Möglichkeit gehabt, die Bestimmungen über Rechtspflege abschließend in der Fraktion vorzutragen. Wäre es nicht möglich, die Abstimmung über Art. 44 – ich bin überzeugt, daß keine Schwierigkeiten rechtlicher Art darin gegeben sind zurückzustellen und den Artikel mit zu erledigen, wenn der Gegenstand, nämlich das Bundesverfassungsgericht, zur Beschlußfassung kommt? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich hätte persönlich nichts dagegen. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf nur bemerken, daß ein rechtliches Bedenken, das Sie, Herr Dr. Schmid, auch gleich hatten, hier sofort auftaucht, nämlich daß die Fassung: „bei Meinungsverschiedenheiten oder bei Zweifeln über die Vereinbarkeit . . .“ eine Kollision mit den Vorschriften des Art. 128 bedeuten kann. Zwar führt der Redaktionsausschuß in seinen zusätzlichen Ausführungen aus, daß sich 51)

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Die Beschlussfassung zu Art. 44 wurde am 24. Nov. 1948 in der 8. Sitzung des HptA zurückgestellt. Vgl. oben Dok. Nr. 8, TOP 2.3, S. 258.

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das klar nur auf Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern beziehe. Das kommt aber in dieser Fassung nicht deutlich zum Ausdruck. Da war die Fassung von Herrenchiemsee besser, in der es hieß: „Bestehen Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern 1. über Vereinbarkeit von Bundesrecht mit dem Grundgesetz . . .“. Man müßte schon zu dieser Fassung kommen, um solche Zweifel an der Ausdeutung dieses Absatzes zu vermeiden. Zinn (SPD): Ich kann nur sagen, Art. 44 steht in dem Abschnitt Bund und Länder. Daraus ergibt sich das. [S. 369] Vors. Dr. Schmid (SPD): Besteht Einverständnis, das zurückzustellen? – Ich stelle das fest. Wir stellen also Art. 44 bis zur Beratung über den Abschnitt betreffend den Verfassungsgerichtshof und die Rechtspflege zurück.

[2. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT IV: BUNDESTAG, ART. 45: BUNDESTAGSWAHL]

Wir kommen zu Abschnitt IV. Der Bundestag. Art. 45 (1) Der Bundestag besteht aus Abgeordneten, die vom Volk in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl gewählt werden. Groß-Berlin hat das Recht, Abgeordnete zu entsenden. (2) Wahlberechtigt ist, wer das 21., wählbar, wer das 25. Lebensjahr vollendet hat. (3) Das Nähere bestimmt das Bundeswahlgesetz. Der Allgemeine Redaktionsausschuß schlägt vor, statt „bestimmt“ zu sagen „regelt“. – Es heißt weiter in Abs. 3: Es kann bestimmen, daß Parteien, die nicht einen bestimmten Hundertsatz aller gültigen Stimmen auf sich vereinigen, keinen Sitz erhalten und daß auf zusammengerechnete Reststimmen einer Partei nicht mehr Sitze entfallen, als die Partei in den Wahlkreisen unmittelbar erlangt hat. Dr. Seebohm (DP): Wir haben in unserem Antrag Nr. 20 Drucksache PR. 12.48 – 41452) beantragt, den letzten Satz des Abs. 3 zu streichen. Ich bin der Auffassung, daß eine derartige Kann-Bestimmung in der Verfassung keinen Platz hat. Wenn wir schon sagen, das Nähere regelt das Bundeswahlgesetz, so können diese Fragen bei der Erledigung des Bundeswahlgesetzes behandelt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist nicht möglich. Dr. Seebohm (DP): Eine solche Kann-Bestimmung ist in einer Verfassung immer unerfreulich. Darüber hinaus bin ich auch sachlich gegen diesen Zusatz; denn dadurch werden53) die Neubildung von Parteien und das dynamische Prinzip im demokratischen Leben beschränkt. Ich halte das nicht für tragbar. Wenn man glaubt, diese Einschränkungen aus den augenblicklichen politischen Verhältnissen heraus in einem Wahlgesetz vorübergehend machen zu müssen, so mag das hingehen. Aber es ist nicht möglich, einen solchen Grundsatz in eine Verfassung – wenn auch 52)

Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 20 der DP-Fraktion zu Art. 45 vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 414. 53) Vorlage: „wird“.

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in der Form einer Kann-Bestimmung hereinzunehmen, wenn man sich auf einen wirklich demokratischen Standpunkt stellt. Eine demokratische Verfassung muß unter allen Umständen die Bildung neuer Parteien und ihr langsames Entstehen und Wachsen ermöglichen. Walter (CDU): Ich bin anderer Auffassung als der Herr Kollege Dr. Seebohm. Es läßt sich darüber streiten, ob es notwendig und zweckmäßig ist, diese Bestimmung überhaupt aufzunehmen. Wenn aber eine Einschränkung hier erfolgen soll, ist eine Verfassungsbestimmung notwendig, weil der Grundsatz der Gleichheit des Wahlrechts eingeschränkt wird. Wenn diese Einschränkung nur in ein Wahlgesetz hineinkommt, können nachträglich Zweifel entstehen, ob diese Bestimmung im Wahlgesetz nicht der Verfassung widerspricht. Es ist möglich, daß dann der Bundesverfassungsgerichtshof diese Bestimmung für verfassungswidrig erklärt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist schon einmal in Württemberg vor 1933 geschehen54). Brockmann (Z): Die Ausführungen des Kollegen Walter sind die beste Begründung für den Antrag des Herrn Kollegen Dr. Seebohm, daß nämlich dieser Passus aus Abs. 3 des Art. 45 gestrichen werden soll. Herr Kollege Walter hat das Wort von der Einschränkung der Gleichheit, das heißt der Gleichberechtigung der Wähler gebraucht. Das widerspricht meiner Ansicht nach dem primitivsten Grundrecht, das in der Verfassung für jeden Menschen verankert werden muß, nämlich dem der Gleichberechtigung aller. Ich kann mir keine bessere Begründung für die ablehnende Haltung meiner politischen Freunde gegen diesen Passus in Abs. 3 denken als das, was der Herr Kollege Walter für seine Auffassung hier vorgebracht hat. Ich stimme dem Antrag, den der Herr Kollege Dr. Seebohm eingebracht hat, vollinhaltlich zu. Dr. Katz (SPD): Es sind hier zwei Fragen zu entscheiden. Die erste ist die rein rechtliche Frage. Wenn wir überhaupt mit der Möglichkeit rechnen, daß ein späteres Bundeswahlgesetz derartige Beschränkungen zulassen soll, müssen wir das hier aufnehmen, weil in früheren oberstgerichtlichen Entscheidungen die Sache außerordentlich zweifelhaft geworden ist. Die zweite Frage ist die politische Frage. Zu der möchte ich nichts sagen. (Renner [KPD]: Warum nicht?) Dr. Becker (FDP): Ich möchte im Anschluß an die Verhandlungen des Wahlrechtsausschusses, ohne Anträge zu stellen, hier nur noch zwei Gesichtspunkte zum Vortrag bringen, um darauf hinzuweisen, daß wir vielleicht in zwei Punkten noch zu einer Änderung kommen können. Der eine Gesichtspunkt ist die Frage der unmittelbaren Wahl. Wir wollen nicht etwa auf die preußischen Wahlmänner oder sonstige Einrichtungen zurückkommen. Es liegen im Wahlrechtsausschuß hierzu Anregungen vor, unter anderem die nicht unbeachtliche Anregung von Pfister-München55), die eine besondere Art der Wahl der Abgeordneten vorsieht. Ich will das hier nur referierend mitteilen.

54) 55)

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Vgl. dazu oben Dok. Nr. 2, S. 24 mit Anm. 62. Über den Wahltheoretiker Karl Pfister, vgl. Der Parl. Rat, Bd. 6, Dok. Nr. 2, S. 29, Anm. 88.

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Der zweite Gesichtspunkt, auf den ich hinweisen möchte, ist folgender. Wir waren uns im Wahlrechtsausschuß bisher einig, daß Angehörige der Gruppe III, die Minderbelasteten, das passive Wahlrecht nicht haben sollen56). In den Entnazifizierungsgesetzen57) ist mit der Einreihung in die Gruppe III nicht automatisch der Verlust des passiven Wahlrechts verbunden, sondern er kann in einzelnen Fällen auch zusätzlich ausgesprochen werden. Grundsätzlich wird das Entnazifizierungsgesetz hier der Verfassung – es steht wohl in den Übergangsbestimmungen – vorgehen. Aber in den Fällen, in denen mit der Einreihung in die Gruppe III der Verlust des passiven Wahlrechts nicht automatisch verbunden ist, muß, wenn der Wahlgesetzentwurf diese Bestimmung bringt, die Verfassung das mitenthalten, weil das sonst gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl verstoßen würde. Ich schließe mich dem Antrag Dr. Seebohm an. Es ist richtig, daß es aus formalen Rechtsgründen in der Verfassung stehen muß, nämlich im Hinblick auf die frühere Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs, der der Meinung war, daß das im Bundeswahlgesetz nicht ausgesprochen werden kann, weil es dann gegen den verfassungsmäßigen Grundsatz der Gleichberechtigung verstößt. Aber aus politischen Gründen sind wir für die Streichung. Insbesondere ist der zweite Halbsatz innerlich denkbar ungerecht. Wenn Sie schon aus politischen Gründen darüber debattieren können, ob jemand von einer Richtung, die im ganzen Bund nicht einen gewissen Quotienten überschreitet, kein Mandat haben soll, so ist es doch Tatsache, daß, wenn eine sehr große Gruppe über das ganze Wahlgebiet verbreitet ist und es nicht fertigbringt, in einem einzelnen Wahlkreis ein Mandat durchzubringen, weite Schichten gar nicht vertreten sind. Wir sehen darin eine ganz grobe innere Ungerechtigkeit und schließen uns deshalb dem Antrag auf Streichung an. Walter (CDU): Ich möchte zur Erwägung geben, ob es nicht vielleicht zweckmäßig ist, die Abstimmung über den Abs. 3 auszusetzen, bis die Wahlrechtsfrage behandelt ist. Sie steht in engstem Zusammenhang mit dem Wahlgesetz selber. Ich weiß zwar nicht, ob das aus technischen Gründen möglich ist. Wir sollen schließlich den Entwurf in zweiter Lesung ganz durchführen. Ich nehme an, daß die Wahlrechtsfrage erst am Schluß, wenn die Verfassung erledigt ist, behandelt wird. Ich möchte jedoch keinen Antrag stellen. [S. 370] Renner (KPD): Es ist interessant, mit welcher Hartnäckigkeit man hier an einer Klärung der Frage sich vorbeizuwinden bestrebt ist. Dieselbe Argumentation haben wir bereits bei der ersten Lesung gehört. Ich bin der Meinung, wenn wir hier in Abs. 1 hineinschreiben, der Bundestag soll aus Abgeordneten bestehen, die in gleicher Wahl gewählt worden sind, dürfen wir gar nicht mit der Möglichkeit spielen, daß durch ein Gesetz eine Ausnahme geschaffen werden soll. Es berührt mich besonders eigenartig, daß es gerade die SPD ist, die sich an einer Klärung dieser Frage vorbeidrückt. (Zuruf von der SPD: Wieso?) 56)

Der Ausschuß für Wahlrechtsfragen befaßte sich in insgesamt fünf Sitzungen ausführlicher mit der Frage der passiven Wahl bei Entnazifizierung. Vgl. hier bes. Der Parl. Rat, Bd. 6, Dok. Nr. 10, S. 290–301 und Dok. Nr. 17, S. 457–462 29, Anm. 88 57) Zu den innerhalb der einzelnen Länder bzw. Besatzungszonen sehr unterschiedlich gehandhabten Entnazifizierungsgesetzen vgl. Justus Fürstenau: Entnazifizierung. Ein Kapitel deutscher Nachkriegspolitik. Neuwied/Berlin 1969.

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– Ich kann Ihnen sagen, wieso. Solange es eine sozialistische Weltbewegung und eine sozialdemokratische Bewegung in Deutschland gibt, ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, daß wir uns für das gleiche Wahlrecht, das heißt für die Gleichwertigkeit jeder abgegebenen Stimme eines jeden wahlberechtigten Bürgers eingesetzt haben. Wenn die älteren Herren in Ihrem Kreise sich der Kämpfe im alten Preußen um das Dreiklassenwahlrecht58) erinnern, werden ihnen diese Kämpfe und Auseinandersetzungen etwas geläufiger werden. Was man hier will, ist im Wahlrechtsausschuß sehr eindeutig zum Ausdruck gekommen. Man will so weit gehen, alle Stimmen, die für eine Partei abgegeben worden sind, solange sie nicht in einem Wahlbezirk ein Mandat direkt erobert, unter den Tisch fallen zu lassen. Ich habe im Wahlrechtsausschuß ausgerechnet – und niemand konnte mir widersprechen –, daß, wenn man an dieser Einschränkung festhält, die Möglichkeit besteht, daß die von etwa 10 Millionen Wählern abgegebenen Stimmen wertlos werden. Wenn das Ihre Auffassung von Demokratie ist, dann ist es mit dieser Demokratie meines Erachtens nicht sehr weit her. Aber hinter diesen Bestrebungen steht etwas anderes, und zwar das Prinzip, zu einem Zweiparteiensystem zu kommen. Die Erfahrungen mit dem Arbeiten eines Zweiparteiensystems, die wir hier in den wenigen Wochen machen konnten, sind sehr aufschlußreich. Hier stehen sich in allen entscheidenden Fragen zwei große Parteien gegenüber, die CDU/CSU auf der einen Seite und die SPD auf der anderen Seite. Ich darf wohl wahrheitsgemäß aussprechen, daß es bei diesem Kampf der zwei Parteien bisher immer die SPD gewesen ist, die durch den stärkeren Bruder in die Knie gedrängt wurde. (Wagner [SPD]: Das ist Hetze!) – Das ist gar keine Hetze. Ich lasse die Frage offen, woher der Druck kam, Herr Wagner. Ich will mir nicht wieder einen Ordnungsruf zuziehen; ich bin heute friedlich gesonnen. Aber ich darf Sie an das erinnern, was sich gestern in diesem Saal abgespielt hat. Sogar in der entscheidenden Frage: Mißbilligung an die Adresse des Herrn Adenauer, hat sich gezeigt, daß Sie mit Ihrer ursprünglichen Auffassung, die noch im Ältestenrat gestern59) in einem bestimmten Antrag ihren Niederschlag gefunden hat, in die Knie gezwungen worden sind. (Zuruf von der SPD.) – Nein, das ist gar nicht Auffassungssache. Wer gestern der Blamierte war, das ist doch für jeden, der sehen kann, klar. Gestern waren Sie eindeutig der Blamierte. (Wagner [SPD]: Sie sind es jeden Tag!) Gestern hat sich eindeutig herausgestellt, daß Sie vor der CDU in die Knie gehen mußten. (Kaufmann [CDU]: Er will jetzt die Hosenfalten wieder bügeln!) – Ich bin ja nicht der Überfahrene. Ich stelle nur wahrheitsgemäß fest, wer wen überfahren hat. Konrad Adenauer hat es sogar fertiggebracht, den Parteivorstand der SPD in dieser Entscheidung zu überfahren. Ollenhauer60) ist sogar überfahren worden. 58)

Zum Dreiklassenwahlrecht vgl. oben Dok. Nr. 11, S. 322, Anm. 23. Vgl. die Sitzung des Ältestenrates am 5. Jan. 1949; Der Parl. Rat, Bd. 11, Dok. Nr. A 23, S. 66–78. 60) Erich Ollenhauer (1901–1963), bis 1928 Sekretär und Redakteur der „Arbeiterjugend“, 59)

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(Wagner [SPD]: Sie merken auch alles!) Es ist sogar durch den Rundfunk bekanntgegeben worden, daß Herrn Ollenhauers Vorschlag, dem Herrn Adenauer die Mißbilligung auszusprechen, in Ihrer Fraktion mit 16 Stimmen niedergestimmt worden ist61). Also war in dieser Angelegenheit Dr. Konrad Adenauer sogar stärker als der Parteivorstand in Hannover. (Zuruf des Abgeordneten Kaiser [CDU].) – Ich weiß, Herr Kaiser, daß auch Sie vermittelnd eingegriffen haben. So dicht ist keine Tür zum Ältestenrat, daß das nicht bekanntgeworden ist. Ich weiß, daß Sie und Herr Reuter den Weihnachtsengel gemacht haben. (Kaufmann [CDU]: Horchen Sie an der Tür?) – Nein, ich stehe nicht an der Tür. Das hat sich in der Zwischenzeit herumgesprochen. Das ist, unter uns gesagt, sogar durch Rundfunk bekanntgegeben worden. Hier haben wir den Beweis, wer bei diesem Zwei-Parteiensystem überspielt wird. Sie mögen noch so stark werden, meine Herren von der SPD, stärker als die CDU/ CSU in dieser Kombination, die sich in Frankfurt bildet, werden Sie wahrscheinlich nicht werden. Also seien Sie vorsichtig! Sie werden, wenn Sie die CDU-Herrschaft überwinden wollen, die kleinen Parteien nötig haben. Es hat sich hier schon herausgestellt, wie glückhaft es manchmal war, daß eine kleine Partei sich bei irgendeiner Abstimmung auf Ihre Seite schlagen konnte. Also seien Sie vorsichtig und seien Sie so konsequent demokratisch, daß Sie diesen Satz streichen! Oder geben Sie auf, sich Demokraten zu nennen! Dr. Katz (SPD): Ich möchte nach dieser Geburtstagsansprache wieder auf den Kern der Sache zurückkommen. Herr Kollege Walter hat angeregt, die Beschlußfassung über den Abs. 3 auszusetzen. Ich möchte mich dagegen aussprechen. Wir müssen davon ausgehen, der Hauptsatz ist: „Das Nähere regelt das Bundeswahlgesetz.“ Jetzt handelt es sich um die Frage, ob wir dieses Bundeswahlgesetz schon vorher einschränken sollen oder nicht. Wir schränken es dadurch ein, daß wir nichts weiter sagen. Wir wollen aber alles offenlassen. Und um alles offenzulassen, müssen wir auf Grund der juristischen und staatsrechtlichen Lage diese Bestimmung aufnehmen. Sonst binden wir den späteren Bundesgesetzgeber. Darum bin ich dafür, diesen Passus heute zu verabschieden. Dadurch bleibt alles offen, und der Kampf um das spätere Wahlrecht wird im Bundesparlament ausgetragen werden. Das vorläufige Wahlrecht für das erste Bundesparlament hat mit der ganzen Sache nichts zu tun. Das ist einmalig und ist an dem Tage erledigt, an welchem gewählt worden ist. Brockmann (Z): Ich vermag mich dieser Auffassung nicht anzuschließen. Ich kann es zu meinem Bedauern nicht. Mein Bedauern bezieht sich nur auf die Persönlichkeit des Antragstellers hier. bis 1933 Vorsitzender der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ), 1921–1945 Sekretär der Sozialistischen Jugendinternationale, 1933 Mitglied des SPD-Parteivorstands, 1933 Emigration nach Prag, 1938 nach Paris, 1940 nach London, 1946 Rückkehr nach Deutschland, 1946 stellvertretender Parteivorsitzender der SPD, 1949 Mitglied des Parl. Rates, 1949–1963 Mitglied des Bundestages, 1963 Präsident der Sozialistischen Internationale. 61) Zu Erich Ollenhauers Bemühungen in der SPD-Fraktion die Mehrheit für einen Mißtrauensantrag gegen Adenauer zu bekommen, die mit 16:3 Stimmen scheiterten vgl. Der Parl. Rat, Bd. 11, Dok. Nr. A 23, S. 83, Anm. 39, sowie Feldkamp: Der Parl. Rat, S. 137.

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In Abs. 1 des Art. 45 sind meiner Ansicht nach die Rechtsgrundsätze ganz klar und deutlich festgelegt, die für die Gestaltung des Wahlrechts bzw. Wahlgesetzes maßgeblich sein sollen. Wenn man mit der Auffassung rechnet, daß hier Möglichkeiten für den Gesetzgeber geschaffen werden sollen, in Abweichung von Ziffer 1 vorzugehen, so darf ich auf das verweisen, was ich schon bei der ersten Lesung dieser Materie zum Ausdruck gebracht habe, daß man sich dann nicht nur auf diese beiden Vorbehalte beschränken kann, sondern man könnte bei jedem Verfassungsartikel wer weiß wie viel Rechtsvorbehalte einschalten. Warum das gerade hier notwendig ist, vermag ich mit Rücksicht auf die ganz klaren Bestimmungen nicht einzusehen, die in den Worten „in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl“ in dem Abs. 1 des Art. 45 zum Ausdruck gebracht sind. Allgemein und gleich bedeutet in der Konsequenz, daß jede abgegebene Stimme gleichwertig mit jeder anderen Stimme sein muß. Daran kann auch keine andere Entscheidung irgend etwas ändern, es sei denn, daß sie gegen diesen Grundsatz der Verfassung, gegen die Gleichberechtigung aller Staatsbürger verstößt. Aus diesem Grunde bin ich der Auffassung, daß man dem Antrag Dr. Seebohm stattgeben sollte, ganz abgesehen von den politischen Erwägungen, die aus den Reihen der FDP hier zum Vortrag gebracht worden [S. 371] sind. Darum sehe ich in der Anregung seitens der CDU, die Abstimmung zu vertagen, die Möglichkeit, daß wir uns doch auf diesen vernünftigen Nenner, der in dem Antrag Dr. Seebohm zum Ausdruck gebracht ist, finden werden. Wenn das die Absicht der CDU ist, würde ich diesem Antrag auf Vertagung der Abstimmung zustimmen. Sollte man aber anderer Auffassung sein, würde auch ich der Meinung sein, man müßte heute hier die Sache entscheiden, damit vor dem Lande Klarheit besteht, wer dem Volk und dem Wähler die Rechtsgleichheit geben will und wer nicht. Walter (CDU): Ich darf feststellen, daß ich keinen Antrag auf Vertagung der Beschlußfassung über den Abs. 3 gestellt habe. Es sollte nur als Anregung in die Debatte geworfen werden. Dr. Becker (FDP): Ich komme noch einmal auf meine letzten Ausführungen zurück. Es widerspricht dem Grundsatz der Gleichheit, wenn dieser Satz bleibt. Er zeigt auch gewisse parteipolitische Absichten, auf die ich nicht näher eingehen möchte, um die Stimmung hier nicht zu verderben, zumal ein prominenter Kollege62) Geburtstag hat. (Renner [KPD]: Da sind Sie mit mir einig.) Der zweite Teil dieses Satzes 2 ist ganz besonders ungerecht, weil er innerhalb der kleineren Parteien Differenzierungen bringt, die sachlich in keiner Weise gerechtfertigt sind. Nehmen Sie an, eine kleine Partei hat in einer bestimmten Gegend, weil sie lokal gebunden ist, die Möglichkeit, ein oder zwei Mandate durchzubekommen. Sie kann dann mit ihren Reststimmen vielleicht noch fünf bis sechs Mandate bekommen. Eine andere Partei, die sehr viel mehr Stimmen hat, weil sie sich auf Wählerschichten stützt, die auf das ganze Land in einer gewissen gleichmäßigen Dichte verteilt sind, bekommt trotz ihrer größeren Stimmenzahl kein Mandat, wenn sie nicht im einem bestimmten Wahlkreis ein Mandat durchbe-

62)

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Konrad Adenauer.

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kommt. Darin liegt eine ganz besondere Ungerechtigkeit. Der erste Halbsatz verstößt an sich auch gegen den Grundsatz der Gleichheit, aber nicht in dem Maße. Dr. Lehr (CDU): Die Anregung des Herrn Kollegen Walter hat, wie er betont hat, den Sinn, heute in keiner Weise die künftige Entscheidung zu präjudizieren; und die Rechtsausführungen des Herrn Kollegen Dr. Katz sind eindeutig klar. Das ist auch unsere Auffassung. Da wir von dem Grundsatz ausgehen, heute keine Entscheidung treffen zu wollen, müssen wir zunächst einmal die Bestimmung stehen lassen. Sonst verbauen wir uns tatsächlich die Entscheidungsmöglichkeit. Das möchten wir heute vermeiden. Stock (SPD): Der Wahlrechtsausschuß hat seine Beratungen noch nicht endgültig abgeschlossen.63) Wir haben noch einen Fall, der auch hier herein muß, um nicht später, meinetwegen bei Anrufen des Staatsgerichtshofs, zu unterliegen. Das ist der Fall, daß diejenigen, die durch das Entnazifizierungsgesetz in die Gruppe I, II oder III gekommen sind, nicht das passive Wahlrecht haben. Wenn die Bestimmung nur im Wahlrechtsgesetz enthalten ist, wird sie unter Umständen illusorisch. Deshalb glaube ich, daß wir erst im Wahlrechtsausschuß diese Beratungen abschließen sollten. Dr. Katz (SPD): In den Übergangsbestimmungen steht, daß alle Denazifizierungsgesetze in Kraft bleiben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das genügt nicht. Stock (SPD): Das ist ganz gut und recht, Herr Kollege Dr. Katz. Wir wissen aber, daß wir in den drei Zonen verschiedene Entnazifizierungsarten haben. Deshalb muß das genau präzisiert werden. Das können wir nur in diesem Artikel und nicht in einem anderen Teil des Grundgesetzes machen. Dr. Katz (SPD): Meines Erachtens gehört alles, was sich auf Denazifizierungsbestimmungen usw. bezieht, in die Übergangsbestimmungen. Es sollte nicht hier vorn in den Verfassungsbestimmungen geregelt werden. Wenn da noch Zweifel oder Unklarheiten bestehen sollten – was ich nicht weiß und was mir neu ist –, so muß das hinten in den Übergangsbestimmungen klargestellt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Art. 146 genügt in der jetzigen Fassung nicht. Stock (SPD): Der Artikel genügt nicht. Das haben wir mit der bayerischen Verfassung erlebt64). Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde vorschlagen, die Dinge nicht hier, sondern bei Art. 146 zu behandeln, wo sie hingehören. Meines Erachtens genügt der Art. 146 in der jetzigen Fassung nicht. Ich lasse satzweise über Art. 45 abstimmen, zunächst über Abs. 1, Satz 1: „Der Bundestag besteht aus Abgeordneten, die vom Volk in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl gewählt werden.“ – Einstimmig angenommen. Abs. 1 Satz 2: „Groß-Berlin hat das Recht, Abgeordnete zu entsenden.“ – Gegen 1 Stimme angenommen. 63)

Der Ausschuß für Wahlrechtsfragen hatte am 5. Mai 1949 das letzte Mal getagt. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 6, Dok. Nr. 28, S. 771. 64) Art. 184 der Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dez. 1946: „Die Gültigkeit von Gesetzen, die gegen Nationalsozialismus und Militarismus gerichtet sind oder ihre Folgen beseitigen wollen, wird durch diese Verfassung nicht berührt oder beschränkt.“ Wegener: Verfassungen, S. 146.

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Abs. 2: „Wahlberechtigt ist, wer das 21., wählbar, wer das 25. Lebensjahr vollendet hat.“ – Angenommen. Abs. 3 Satz 1: „Das Nähere bestimmt das Bundeswahlgesetz.“ – Angenommen. Ich lasse zunächst über den ersten Halbsatz von Abs. 3 Satz 2 abstimmen: „Es kann bestimmen, daß Parteien, die nicht einen bestimmten Hundertsatz aller gültigen Stimmen auf sich vereinigen, keinen Sitz erhalten –.“ – Mit 11 gegen 5 Stimmen angenommen. Zweiter Halbsatz: „– und daß auf zusammengerechnete Reststimmen einer Partei nicht mehr Sitze entfallen, als die Partei in den Wahlkreisen unmittelbar erlangt hat.“ – Das ist mit 7 gegen 5 Stimmen angenommen. Ich lasse über den ganzen Artikel abstimmen. – Der Art. ist mit 13 gegen 3 Stimmen angenommen. Die Beratung wird hierauf vertagt. Schluß der Sitzung 17.55 Uhr.

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Der Parlamentarische Rat 1948 –1949 Band 14

Der Parlamentarische Rat 1948 –1949 Akten und Protokolle

herausgegeben

vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv

unter Leitung von

Horst Risse und Hartmut Weber

Der Parlamentarische Rat 1948 –1949 Akten und Protokolle

Band 14

Hauptausschuß

bearbeitet von Michael F. Feldkamp Teilband II

R. OLDENBOURG VERLAG MÜNCHEN 2009

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnd.d-nb.de abrufbar

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Einunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses 7. Januar 1949

Nr. 31

Nr. 31 Einunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses 7. Januar 1949 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 373–387. PA 2004. Ungez. stenograph. Wortprot. und zeitgenössische Druckausgabe. Kurzprot.: –1) Anwesend 2): CDU/CSU: Adenauer, Strauß SPD: Eberhard, Schmid (Vors.) FDP: Schäfer DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Wessel (zeitweise Vors.) Stenographischer Dienst: Dauer: 10.20–13.10 Uhr

[1. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT III: BUND UND LÄNDER ART. 36 ZIFFER 11: RUHRSTATUT]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe auf Art. 36 Ziffer 11. Wir haben gestern3) diese Ziffer für heute zurückgestellt, weil Anlaß zu der Annahme bestand, daß die einzelnen Fraktionen bei der Beratung dieser Ziffer ihre Ansicht über das Ruhrstatut4) zum Ausdruck bringen wollten5). Ich bitte Frau Wessel, an meiner Stelle den Vor-

1)

2) 3) 4)

5)

Aufgrund der politischen Brisanz dieser Sitzung wurde auf Antrag des Abg. Eberhard (SPD) kein Kurzprot. gefertigt, dafür aber das stenograph. Wortprot. zeitnahe gedruckt vorgelegt (zum Antrag von Eberhard vgl. unten TOP 1.7, S. 963). Ferner wurden die in der Sitzung verlesenen Stellungnahmen der Fraktionen als Drucks. vervielfältigt: Drucks. Nr. 461: Erklärung der CDU/CSU-Fraktion; Drucks. Nr. 462 sowie Umdrucks. Nr. 19: Erklärung der SPD-Fraktion; Drucks. Nr. 480: Erklärung der FDP-Fraktion; Drucks. Nr. 468: Erklärung der DP-Fraktion; Drucks. Nr. 469: Erklärung der KDP-Fraktion; Drucks. Nr. 476: Erklärung der Zentrumsfraktion. Anwesenheitsliste liegt nicht vor. Es wurden nur die Anwesenden aufgeführt, die durch einen Wortbeitrag im stenograph. Wortprot. benannt wurden. Vgl. dazu die 30. Sitzung des HptA am 6. Jan. 1949, oben Dok. Nr. 30. Das am 28. Dez. 1948 veröffentlichte „Abkommen über eine internationale Kontrolle der Ruhr“ („Ruhrstatut“) wurde am 28. April 1949 von den Beneluxstaaten, Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten unterzeichnet. Es sah die Errichtung einer „Internationalen Behörde für die Ruhr“ mit Sitz in Düsseldorf vor, die die Kontrolle der Kohlen-, Koks- und Stahlproduktion des Ruhrgebiets gewährleisten sollte. Die Bundesrepublik Deutschland trat dem Ruhrabkommen am 30. Nov. 1949 bei. Für den Wortlaut des Ruhrstatuts vgl. Europa-Archiv 4 (1949), S. 2197–2204; auszugsweise gedruckt in: Archiv der Gegenwart 1948/49, S. 1751–1754. Zur Vorbereitung dieser Sitzung des HptA vgl. die Sitzung des Ältestenrats am 5. Jan. 1949; Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 23, S. 78 f.

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sitz zu übernehmen. Meine Fraktion hat mich zu ihrem Sprecher zu diesem Punkt bestimmt6). Vors. Frau Wessel (Z): Ich erteile Herrn Professor Dr. Schmid das Wort.

[1.1. STELLUNGNAHME DER SPD-FRAKTION ZUM RUHRSTATUT]

Dr. Schmid (SPD): Meine Damen und Herren! In dem entsetzlichen Krieg7), der hinter uns liegt, hatten jene, die darin den Kampf der Bestialität gegen den Menschen sahen, einen Trost. Sie glaubten, daß nachher – wie oft haben wir dieses Wort „nachher“ uns zugeflüstert, wie oft daran herumgegrübelt –, nach der Niederwerfung des Tyrannen8) in dieser armen Welt eine neue Ära anbrechen würde. Wir dachten, daß vielleicht einmal in der Geschichte die Menschen aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen könnten. Wir haben gemeint, daß diesmal die Sieger wissen müßten, was es war, das letzten Endes zu der Katastrophe, in der wir standen, geführt hat. Wir dachten: diesmal werden nicht mehr die Fehler begangen werden, die früher immer wieder begangen worden sind und verhindert haben, daß sich aus einer Katastrophe einmal etwas anderes als neue Katastrophen ergab. Wir glaubten, daß diesmal die Macht gezwungen werden würde, auf ihren Thron im Herzen der Geschichte wenigstens zu einem Teil zu verzichten, daß sie gezwungen werden würde, auf die Seite zu rücken und der Vernunft einen Teil ihres Platzes abzutreten. Wir waren nicht töricht genug, von einem Paradies auf Erden nach diesem Krieg zu träumen. Aber wir hatten den Mut, daran zu glauben, daß nach einem so entsetzlichen Krieg auch Sieger klug handeln könnten. Wir sahen als Vorzeichen solcher Klugheit an, was uns gelegentlich durch den Äther9) hindurch gesagt wurde. Wir deuteten es als die Verkündung der Absicht, alsbald den Weg zu trassieren, der einmal – nach Jahren freilich erst – zu Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen führen würde. Wir haben nicht auf das spekuliert, was man ein wenig leichtfertig die Großmut des Siegers nennt. Vielleicht sind Gefühlskomplexe dieser Art im politischen Geschehen überhaupt nicht sonderlich wohltätig. Und dann: wie sollten wir auch an die Großmut appellieren können nach all dem, was in unserem Namen geschehen ist und was wir nicht verhindert haben! Es war uns klar, daß der Bumerang, der einmal von Deutschland aus ausgeworfen worden ist, zurückfliegen würde. Aber wir meinten, daß, wenn die Sieger dieses Krieges sich entschließen sollten, das deutsche Volk leben zu lassen, sie ihm auch aus freien Stücken das lassen würden, was dieses Volk braucht, um wirklich leben zu können, und daß sie ihm auch das lassen würden, was nötig ist, um es am Bestand der neuen Ordnung, die geschaffen werden sollte, aus freien Stücken zu interessieren, so daß dieses Volk diesen Ausgang des Krieges freudig sollte bejahen können. 6)

Schmid war auch Vors. des Ausschusses für das Besatzungsstatut; vgl. Der Parl. Rat, Bd. 4. 7) Der Zweite Weltkrieg 1939–1945. 8) Adolf Hitler. 9) Äther steht synonym für Rundfunk.

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Kurz, wir glaubten, daß diese Nachkriegszeit, dieses Postliminium zwischen dem Schweigen der Kanonen und dem Anbruch des echten Friedens eine Zeit der Vorbereitung Europas werden würde, eines Europas, das mehr sein sollte als nur ein Traum und eine Zusammenfassung kultureller Traditionen oder gar ein Kapitel Geographie – dieses Europa, das wir als eine politische, ökonomische und konstitutionelle Einheit sahen. Wir wußten, daß diese Einheit nicht auf einmal werde verwirklicht werden können. Aber wir meinten, daß alles, was nach dem Kriege geschehen würde, im Bewußtsein geschehen sollte, daß eine Etappe des Weges zu diesem Ziel zurückgelegt wird, und daß nichts geschehen würde, was zu nichts anderem taugen könnte denn zu einem Hindernis auf diesem Wege. Gewiß, wir hatten damit gerechnet, daß zumindest für eine Übergangszeit das deutsche Volk sich eine differentielle Behandlung würde gefallen lassen müssen. Wir wußten und bejahten es, daß Deutschland die Verpflichtung auferlegt werden würde – im Rahmen seiner Möglichkeiten wenigstens einen Teil des Unheils wiedergutzumachen, das in seinem Namen begangen worden ist. Wir wußten und bejahten es, daß dieses Deutschland abgerüstet werden würde. Wir wußten weiter, daß dieses Deutschland sich etwas würde gefallen lassen müssen, was man schon in früheren Jahrzehnten „Politik der Sicherheit“ im Sinne einseitiger Maßnahmen genannt hat, eine Sonderbehandlung also, bis einmal ein allgemeines internationales System kollektiver Sicherheit auf der Grundlage der Gegenseitigkeit geschaffen werden kann. Darum hielten wir von Anfang an gewisse Kontrollmaßnahmen für natürlich. Aber wir wünschten uns, daß es sich dabei um echte Maßnahmen der Kontrolle solcher Aktivitäten in Deutschland handeln würde, die zu militärischen Zwecken mißbraucht werden könnten. Diese Zweckbestimmung war für uns entscheidend, wenn wir uns nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich mit solchen Kontrollmaßnahmen abzufinden bereit waren. Sie sollten wirklich nur der Gewährleistung der deutschen Abrüstung, der deutschen Waffenlosigkeit dienen. Soweit von solchen Kontrollmaßnahmen die Wirtschaft betroffen werden mußte und sie mußte teilweise betroffen werden –, sollte es sich um eine Kontrolle handeln, die ihren Mißbrauch zu militärischen Zwecken ausschloß. Aber wir konnten uns nicht denken, daß man uns Maßnahmen auferlegen könnte, die zu nichts anderem dienen können, als die deutsche Wirtschaft zu manipulieren – zu manipulieren auch für Zwecke, die mit Abrüstung, Demilitarisierung und Demokratisierung nichts zu tun haben, zu manipulieren zum Zwecke der Ausschaltung deutscher Konkurrenz auf dem Weltmarkt, zu manipulieren zum Zwecke der einseitigen Ausnutzung der Arbeitskraft des deutschen Volkes, zu Zwecken, die man einmal – es war Anfang der 20er Jahre – genannt hat „die Hand an die Gurgel Deutschlands legen“. Wir wissen, welche unheilvollen Folgen es hatte, als man einst versucht hat, dieses Wort in politische Maßnahmen umzusetzen. Wir hatten aber in den Jahren dieses Krieges vor allen Dingen gehofft, daß „nachher“ mit dem Fetisch [S. 374] der angeblich unteilbaren Souveränität des Staates aufgeräumt werden würde. Wir hatten gedacht, daß man mit diesem Aufräumen in erster Linie auf dem Gebiet der Wirtschaft beginnen würde, daß an die Stelle eines nationalegoistischen Wirtschaftens etwas treten würde, das man Weltwirtschaft nannte und das sich für uns in erster Linie konkret darstellte als Europäisierung der europäischen Wirtschaft. Das war letzten Endes nichts anderes als die alte

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sozialdemokratische Forderung, die vor Jahrzehnten schon aufgestellt wurde und die besagte, daß aus allen schwerindustriellen Zentren aller Länder etwas wie ein großer internationaler Pool zusammengestellt werden müsse und daß alle Länder, die ihre industriellen Zentren in diesen Pool einbringen, nach Maßgabe ihrer Bedürfnisse gleichen Zugang zu den so vereinten Hilfsquellen haben sollten. Die Vollendung dieses Baues ist für uns die Sozialisierung, die wir wollten und wollen nicht nur aus Gründen wirtschaftlichen oder sozialpolitischen Denkens, sondern auch auf schlechthin politischen Gründen. Denn uns scheint die Sozialisierung die einzige Möglichkeit zu sein, zu verhindern, daß wirtschaftliche Machtstellungen in politische Macht umschlagen, die immer mißbraucht werden wird. Aber wir dachten uns diesen Pool immer als eine Genossenschaft und nie als eine societas leonina10). Wir konnten uns nicht denken, daß man einmal „Kooperation“ und „Internationalisierung“ nennen könnte, was doch letzten Endes nichts anderes ist als der Zusammenschluß einiger Bevorrechtigter zur Ausnutzung der Hilfsquellen eines Nachbarn, der zu schwach ist, von jenen, die fordern, zu verlangen, daß auch sie das Ihre für alle zu geben haben. Nur, wo solches vorliegt oder wo es wenigstens eingeleitet wird, haben wir Kooperation oder wenigstens einen Weg dorthin. Das Ruhrstatut, das uns in den letzten Wochen bekannt geworden ist11), hat diese unsere Hoffnungen enttäuscht. Was uns so schwer betroffen hat, ist nicht das, was man ein wenig sentimental seine „Härte“ nennt. Es geht nicht um hart und nicht hart, es geht um tauglich oder untauglich für die Ziele, für die wir stehen und kämpfen. Wir glauben, daß so, wie das Statut heute ist, es weder technisch noch politisch geeignet ist, die Ziele zu verwirklichen, die es sich selber in seiner Präambel gesteckt hat. Offenbar war unsere Hoffnung im Krieg auf eine Wiederkehr der Vernunft in diese Welt eine Torheit, und offenbar macht der Sieg für sich allein die Sieger noch nicht weise. Es ist nicht klug, wenn man sich die Möglichkeit des Mißbrauchs von Macht zu leicht macht. Wir wissen seit Jacob Burckhardt12) einiges von der Dämonie der Macht13), von der immanenten Tendenz unkontrollierter Macht, sich selber zu mißbrauchen. Zwar spricht die Präambel davon, daß es das Ziel des Ruhrstatuts sei, die Sicherheit der Nachbarn Deutschlands zu organisieren und die entsprechenden Kontrollen zu schaffen; weiter soll sein Zweck sein, die 10)

Mit „Societas leonina“ (Löwengesellschaft) wird ein Gesellschaftsvertrag benannt, in dem alle Gesellschafter das Risiko tragen, jedoch nur ein Gesellschafter den Gewinn ausgeschüttet erhält. Der Begriff stammt aus dem römischen Recht und wurde geprägt nach einer Fabel des Äsop in der alle Tiere an der Jagd teilnehmen müssen, der Löwe jedoch die gesamte Beute für sich behielt. Vgl. Kai-Michael Hingst: Die societas leonina in der europäischen Privatrechtsgeschichte, Berlin 2003, 11) Das sog. Ruhrstatut wurde am 28. Dez. 1948 veröffentlicht. Vgl. oben Anm. 4. 12) Jacob Burckhardt (1818–1897), Schweizer Kulturhistoriker, studierte Evangelische Theologie, Geschichte und Kunstgeschichte in Berlin und Bonn, 1843 Promotion in Basel, 1844 Habilitation und 1845 außerordentlicher Professor, 1844 politischer Redakteur bei den konservativen Basler Nachrichten, 1854–1858 ordentlicher Professor für Kunstgeschichte in Zürich, 1858–1893 Professor für Geschichte und Kunstgeschichte in Basel. 13) Vgl. Jacob Burkhardt: Weltgeschichtliche Betrachtungen, hrsg. von Jacob Oeri, 3. Auflage 1918, S. 33. In Anlehnung an Burkhardt vgl. auch Gerhard Ritter: Die Dämonie der Macht. Betrachtungen über Geschichte und Wesen des Machtproblems im politischen Denken der Neuzeit, München 6. Auflage 1948.

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Kooperation der Völker und Staaten, die politisch und wirtschaftlich an der gemeinsamen Wohlfahrt zusammenarbeiten wollen, zu begründen. Doch als ich die einzelnen Bestimmungen las – und ich habe sie lange, oft und sorgfältig gelesen –, da verstärkte sich immer mehr der Eindruck, als ob es sich weniger darum handele, Sicherheit gegen eine deutsche Aggression zu schaffen, als vielmehr darum, etwas wie Sicherheit gegen die Wiederkehr einer möglichen neuen Prosperität der deutschen Wirtschaft zu schaffen, als habe man einen Apparat bauen wollen, der zu jedem beliebigen Zeitpunkt es möglich machen könnte, sei es eine lästige deutsche Konkurrenz auf dem Weltmarkt auszuschalten, sei es einen Ausgleich allgemeiner oder besonderer Wirtschaftskrisen auf Kosten der deutschen Wirtschaft vorzunehmen. Daß solche Befürchtungen nicht aus dem Leeren gegriffen sind, dafür sind Zeugen einige Maßnahmen, die noch gar nicht so lange zurückliegen und an die jeder von uns sich noch wird erinnern können. Und was in den Bestimmungen des Ruhrstatuts an Kooperativem zum Ausdruck kommt, das ist Kooperation nicht so sehr im Sinne genossenschaftlichen Zusammenwirkens aller Betroffenen, von dem ich vorher sprach, sondern ist Kooperation einiger Bevorrechtigter zur ungestörten Ausbeutung der letzten einigermaßen fließenden Quellen, die dem deutschen Volke noch geblieben sind. Das ist der Eindruck gewesen, der sich mir bei der Lektüre der Art. 14 bis 19 aufgeprägt hat. Wir hätten eine wehrwirtschaftliche Kontrolle bejahen können, eine Kontrolle, die sich aber wirklich auf „Wehrwirtschaft“ beschränkt hätte. Und wir hätten es freudig begrüßt, wenn die Sieger dieses Krieges uns verpflichtet hätten, das Wirtschaftspotential der Ruhr in einen europäischen Pool einzubringen – einschließlich Oberschlesiens und Mitteldeutschlands! (Sehr richtig bei der SPD.) Wir hätten auch akzeptiert, daß man uns auf gewissen Gebieten eine Anfangszeit eine differentielle Behandlung auferlegt hätte. Wir können aber eine Ordnung nicht bejahen, bei der alles, was Ansatz zu echter Kooperation werden könnte, mit einer Art internationaler Polizei zu einem riesigen Apparat zusammengeballt wird und damit seiner Möglichkeit, als kooperatives Element zu wirken, beraubt ist. Aus repressivem Denken ist noch nie Kooperation geworden. Früher haben zumindest die Engländer solche Dinge gewußt und danach gehandelt. Solch ein gigantischer Repressivapparat, wie ihn das Ruhrstatut vorsieht, kann nicht zum Embryo eines künftigen Europas auf föderativer Grundlage werden. Man hätte in London14) zwei Dinge auseinanderhalten sollen: den Sicherheitsmechanismus auf der einen Seite und alles, was zu ökonomischer Kooperation führen kann und dafür gedacht war, auf der anderen Seite. Das wäre besser gewesen, als beide Dinge in einem zu verschmelzen. Man verweist uns oft darauf, wir sollten uns doch nicht so sehr an den Text des Dokuments festklammern, wir sollten vielmehr auf den Geist vertrauen, in dem es angewandt werden würde. Nun, bisher hat man uns jedesmal, wenn wir an den Geist einer Institution appellierten, eingeladen, den Text ihres Statuts zu lesen. Wir fürchten, daß es uns auch in Zukunft so gehen könnte. Man wirft uns von über14)

Die Verhandlungen zum Ruhrstatut fanden im britischen Außenministerium in London statt.

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all her vor, der Umstand, daß wir das Ruhrstatut nicht freudig begrüßten, zeige, daß die Deutschen doch offenkundig unheilbare Nationalisten seien und daß sie nicht anders zu reagieren vermöchten denn nationalistisch. Gewiß, in Deutschland haben auf die Verkündung des Ruhrstatuts hin Reaktionen stattgefunden, die nichts anderes aber Zeugnisse eines törichten und primitiven Nationalismus sind. Es gibt nun einmal Leute, die offenbar nicht anders zu reagieren vermögen. Aber ich möchte hier feststellen: der Wille dieses Volkes zur Selbsterhaltung, das ist kein Nationalismus! Und unser Wille zur Selbstachtung auch nicht! Beide – Wille zur Selbsterhaltung und Wille zur Selbstachtung – sind ja nichts anderes als Voraussetzung und Kern der Demokratie; denn letzten Endes ist Demokratie doch nichts anderes als die politische Form, in der ein Volk seinen Willen zur Selbstachtung – und der Achtung anderer – zum Ausdruck bringt. (Sehr wahr! bei der SPD.) Warum geht es hier um Selbsterhaltung? Nehmen wir zum Beispiel den Art. 14a Ziffer 1, in dem bestimmt ist, daß die zu schaffende Ruhrbehörde – in der drei deutsche Stimmen gegen 12 nichtdeutsche Stimmen stehen – das Monopol für die Verteilung der Kohle, des Kokses und des Stahls haben soll. Dieses Monopol der Verteilung dieser Grundstoffe jeder industriellen Produktion gibt der Ruhrbehörde das Schicksal der gesamten deutschen Wirtschaft in die Hand. Sie hat damit die Schlüssel, sie kann mit diesen Schlüsseln öffnen, sie kann damit aber auch schließen. Dieser selbe Artikel bestimmt, daß die Grenze für die Verpflichtung, ohne Gegenleistung einseitig abzugeben, lediglich die Beachtung des dringenden deutschen Bedarfes ist. Ich kann mir nicht vorstellen, wie auf diese Weise an einen raschen und wirksamen Wiederaufbau etwa unserer zerstörten Städte gegangen werden könnte. Besonders bedenklich finde ich die Bestimmung des Art. 14b, die besagt, daß die Ruhrbehörde eine Quote für den Mindestexport an Kohle, Koks, Stahl und unter gewissen Umständen auch Roheisen [S. 375] festzusetzen hat. Was bedeutet das? Es bedeutet, daß wir gezwungen sein werden, an Stelle von arbeitsintensiven Waren Rohstoffe zu exportieren, und das hat wiederum zur Folge, daß die deutsche Fertigwarenindustrie – jene Industrie, von der wir leben müssen – vom Weltmarkt ausgeschaltet sein wird und daß durch den Entzug dieser Kohle und dieses Stahls, die exportiert werden sollen, ihre Produktion auch für den Inlandsmarkt weitgehenden Einschränkungen wird unterworfen werden können. Wie wenig einseitig diese Befürchtung ist, dafür zeugt ein Artikel in der Londoner „Times“15), in der genau das ausgesprochen wird, was ich hier gesagt habe. Praktisch ist unter solchen Umständen eine autonome deutsche Wirtschaftspolitik kaum mehr zu machen, während umgekehrt die Nachbarn Deutschlands – gerade durch diesen deutschen Zwangsbeitrag zu ihrer Wirtschaft – in die Lage versetzt werden, sich noch autonomer zu machen, als sie es heute schon sind. Sie brauchen sich ja Deutschland gegenüber nicht mehr auf Tausch einzurichten. Ohne selbst zu verantwortende Wirtschaftspolitik kann aber ein Volk nicht die Grundlagen einer demokratischen Existenz bauen. Ein demokratischer Oberbau ist eine Fiktion, 15)

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Vgl. die Auszüge eines Beitrags aus der „London Times“ maschienschr. vervielfält. „Informationsdienst für Abg. des Parl. Rates“ vom 13. Nov. 1948, S. 2; PA 2004/Bd. 92.

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wenn man den Unterbau, nämlich die Wirtschaft des Landes, nicht aus eigener Verantwortung gestalten kann. Gewiß, es finden sich im Statut auch Schutzklauseln, etwa die des Art. 26, die es den Mitgliedern der Ruhrbehörde verbietet, deren Befugnisse zu Konkurrenzzwecken zu mißbrauchen. Aber können wir denn sicher sein, daß diese Klausel wirklich in dem Geist realisiert werden wird, der aus ihr zu sprechen scheint? Können wir es wirklich nach einigem, das geschehen ist und von dem wir beweisen können, daß es geschehen ist? Und scheint, wenn man diesen großen Katalog von Befugnissen durchsieht, dies alles nicht geradezu darauf angelegt, es zumindest sehr zu erleichtern, die Konkurrenzmanöver zu unternehmen, die der Art. 26 verhindern soll? Weiter finden wir im Statut eine Bestimmung, wonach der technische Fortschritt nicht behindert werden soll. Wird er wirklich nicht behindert werden? Können wir auf diesen Satz bauen nach dem, was alles in den letzten Jahren geschehen ist, und nach den Auslegungen, die man in der jüngsten Vergangenheit dem Begriff der Demilitarisierung und einigen anderen Begriffen gegeben hat? Und noch eines. Gewiß, das Statut enthält kein ausdrückliches Verbot der Sozialisierung der Schwerindustrie an der Ruhr. Aber trotz des englisch-amerikanischen Gesetzes Nr. 7516) ist im Statut die Eigentumsfrage offengelassen worden. Es kann also theoretisch wenigstens in Zukunft hierzu noch einiges ohne unser Zutun beschlossen werden, auch einiges, das die Sozialisierung der Schwerindustrie der Ruhr zugunsten des deutschen Volkes ausschließen könnte. Dann gibt es den einen Art. 15 im Statut, der der Ruhrbehörde das Recht gibt, gegen alle deutschen Maßnahmen, die Ruhrkohle und Ruhrstahl betreffen, Einspruch zu erheben. Was kann man mit einem solchen Einspruchsrecht alles machen, wenn man seine eigenen wirtschaftspolitischen Ansichten und Interessen hat? Wir finden ferner im Statut Bestimmungen, die sich sehr angelegentlich mit dem Schutz der ausländischen Interessen befassen, die in der Ruhrindustrie investiert sind. Mit solchen Präferenzen zugunsten ausländischen Kapitals kann man, wenn man will, Maßnahmen wie die Sozialisierung der Ruhrindustrie zum mindesten erschweren und ihre Wirksamkeit durchlöchern. Wir wollen hoffen, daß man nicht versuchen wird, von solcher Möglichkeit Gebrauch zu machen. Nun kann man uns Fragen, warum wir denn in einer solchen Situation überhaupt noch an Sozialisierung denken. Wir haben eine Reihe von Gründen dafür, wirtschaftliche, sozialpolitische, aber auch – und heute in erster Linie politische Gründe. Das Schicksal Deutschlands wird – ob es einem gefällt oder nicht, es ist so – weitgehend durch die politische Grundentscheidung bestimmt werden, die einmal die deutsche Arbeiterklasse treffen wird. Wie der einzelne Mensch trifft auch eine Gruppe von Menschen Entscheidungen klar, ruhig, verantwortlich und sicher nur dann, wenn nicht im Zustande des Ressentiments gehandelt werden muß, sondern im Besitze eines kraftvollen Selbstgefühls gehandelt werden kann. Am mei-

16)

Das Gesetz Nr. 75 über die Umgestaltung des deutschen Kohlenbergbaus und der deutschen Eisen- und Stahlindustrie für das britische und US-amerikanische Kontrollgebiet vom 10. Nov. 1948 ist gedruckt in: Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947 bis 1949, Beilage Nr. 1, S. 1–15.

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sten Ressentiment weckt aber bei den Menschen und bei der Gruppe von Menschen das Bewußtsein, der ewig Geschlagene zu sein. Die deutsche Arbeiterklasse hat das Gefühl, seit 1918 dreimal entscheidend geschlagen worden zu sein, einmal in den Jahren nach 1918, dann 1933 und dann nach 1945. Wenn man das Gefühl, immer der Verlierende zu sein, in ihr verstärkt, wenn man ihr nicht die Möglichkeit gibt, ein neues Selbstgefühl zu erwerben dadurch, daß sie erfährt, daß auch der deutsche Arbeiter Siege davontragen kann, dann weiß kein Mensch, ob einmal diese politische Grundentscheidung der deutschen Arbeiterklasse klar, ruhig, verantwortlich und sicher ausfallen wird. Sie wird für die Demokratie ausfallen, wenn endlich einmal ein sichtbarer, wesentlicher Erfolg im Sinne ihrer klassenpolitischen Tendenzen von ihr erkämpft worden sein wird! Darum werden wir auch heute, auch unter der Herrschaft des Ruhrstatuts, für die Sozialisierung der Ruhr kämpfen, solange wir imstande sind zu kämpfen. Wenn man uns sagt, wir sollten doch die negativen Aspekte des Ruhrstatuts nicht so in den Vordergrund stellen, so antworten wir: es kommt uns nicht so sehr darauf an, ob etwas mehr oder weniger „negativ“ oder „positiv“ ausgedrückt ist – was uns vor allem bekümmert, ist, daß aus einem so ausschließlich repressiv gedachten Ding sich schwerlich der Keim eines neuen Europa entwickeln kann. Zwing-Uri war nur in sehr relativem Sinn der Ansatzpunkt der Schweizer Eidgenossenschaft17). Ganz schlimm ist aber, daß durch Maßnahmen dieser Art – auch durch die Art der Fassung des Textes des Statuts – sehr viel Wasser auf die Mühlen derer gegossen wird, die auf das nationalistische Ressentiment der Deutschen glauben spekulieren zu können. Man weckt so den schlimmsten aller Nationalismen, den Kettenhund-Nationalismus. (Sehr richtig! bei der SPD.) Diese Reaktion mag vielleicht psychologisch unvermeidlich sein – das ist für uns Sozialdemokraten kein Grund, darauf zu verzichten, nationalistische Reaktion gegen das Ruhrstatut zu bekämpfen, wo wir sie treffen. Die Not, in die wir so gebracht werden, macht die Aufgabe derer nicht leichter, die in diesem Deutschland in erster Linie für etwas kämpfen möchten und nicht immer nur gegen etwas, die in erster Linie für die Demokratie kämpfen und leben möchten. Manche tun so, als ob ein solcher Kampf in Deutschland sowieso aussichtslos sei; ich habe jüngst in einer amerikanischen Zeitung so etwas gelesen. Die Menschen sollten doch endlich damit beginnen, es sich mit der Beurteilung der Völker nicht so leicht zu machen. Konnte denn der Kampf des Volkes von Berlin18) diese Skeptiker bisher nicht eines Besseren belehren? Wir Sozialdemokraten werden in Deutschland für die Demokratie weiterkämpfen trotz des Bleigewichts, das uns das Ruhrstatut an die Füße hängt, und wir werden darum kämpfen, daß dieses Ruhrstatut von heute einer neuen und besseren Ord17)

Der schweizerische Begriff „Zwing“ bzw. „Twing“ bezeichnet einen Gerichtsbezirk und umfaßte meist ein oder mehrere Dörfer. – Die Schweizerische Eidgenossenschaft geht auf den Bundesbrief von 1291, vereinbart von den Talschaften Uri, Schwyz und Nidwalden, zurück. 18) Zur Berlinblockade vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 55, Anm. 74, sowie oben Dok. Nr. 5, S. 168, Anm. 43.

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nung von morgen Platz macht. Ob dies dadurch geschieht, daß man die Texte ändert, oder dadurch, daß man die Praxis entsprechend gestaltet, das soll nicht unsere erste Sorge sein. Wir werden in diesem Bemühen nicht ruhen, nicht nur um unseretwillen, sondern um Europas willen. Wir werden darum nicht ruhen – wir werden der Welt vielleicht mit unseren Mahnungen sehr lästig fallen –, bis die Ruhr ein Teil des Vermögens einer Genossenschaft geworden sein wird, die aktiv und passiv alle Staaten umfaßt, die sich zu Europa rechnen. Wie sehr ein Staat sich zu Europa rechnet, das wird einmal daran zu ermessen sein, wieviel er von seiner ökonomischen Souveränität bereit sein wird, in diese Genossenschaft einzubringen. Auf diesem Unterbau einer „europäisierten“ europäischen Wirtschaft wird sich dann das politische Europa aufrichten lassen. Manche sagen süffisant über die Grenzen hinüber: Ja, das könnte euch so passen; ihr habt wohl vergessen, daß ihr einen Krieg verloren habt? Mit diesen Worten bekunden diese Leute, daß sie [S. 376] genau so Hörige des Machtglaubens sind, wie andere es vor ihnen waren, (Sehr gut!) und ihre Götzen werden gestürzt werden. Andere sagen uns: Beruhigt euch doch, die anderen werden doch von selbst nachkommen müssen! – Ja, wenn es so wäre! Aber ich glaube, daß diese Ansicht falsch ist. Das Ruhrstatut macht es für die Berechtigten uninteressant, in die „Genossenschaft“ auch mit Pflichten einzutreten. Sie haben ja schon, was sie brauchen; sie brauchen es nicht erst im Wege des „do ut des“19) zu erwerben. Gerade die Einseitigkeit des Ruhrstatuts, das „Bezugsrecht“, das es den Nachbarn Deutschland verschafft, hebt den Zwang zu eigenem Einbringen auf. Man braucht ja wirtschaftlich kein „Europa“ mehr, wenn man imstande ist, im Falle von Konjunktur- oder Produktionskrisen den Ausgleich einseitig auf Kosten des Passivpartners zu vollziehen. Es wäre sicher besser, wenn es anders wäre. Aber der Mensch ist nun einmal so geschaffen, daß er sich eines Rechtes – also auch einer Souveränität – nur begibt, wenn er es muß, weil ihm sonst eine Leistung, die er braucht, verweigert bliebe. Wir werden trotzdem für dieses Europa, das allein unsere Rettung sein kann, weiterkämpfen. Das Ruhrstatut in seiner heutigen Form blockiert den Weg dorthin und schließt ihn nicht auf. Es wird darum von denen, die es schufen, umgebaut oder abgebaut werden müssen. Das wird zähe politische Arbeit erforderlich machen – vielleicht auch politischen Kampf. Vielleicht wird dieser Kampf sich als eine neue Phase im Befreiungskampf der Arbeiterklasse abspielen. Wir wissen es nicht. Es wird von denen abhängen, die das Statut handhaben werden. Wir haben bei unserem Bemühen eine Hoffnung: Wir wissen, daß wir in diesem Kampf nicht allein stehen. In allen Völkern, auch in den Völkern der Signatarstaaten des Ruhrstatuts20), gibt es starke Bewegungen, die für das gleiche Ideal kämpfen, für das wir stehen. Sie sind heute noch da und dort gelähmt durch den Schock des Krieges und durch Enttäuschungen, die wir mitverschuldet haben. Sie werden sich eines Tages wieder freimachen und dann mit uns das Menschenrecht auch der Deutschen erkämpfen. 19) 20)

Lateinisch: „Ich gebe, damit Du gibst“. Signatarstaaten waren: Großbritannien, Frankreich, die Vereinigten Staaten von Amerika und die Beneluxstaaten.

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Ich verlese nunmehr eine Erklärung, die den Standpunkt der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei zum Ausdruck bringt21): Härte und Einseitigkeit des Ruhrstatuts sind eine unmittelbare Folge des Unheils, das der Nationalsozialismus über Deutschland und die Welt gebracht hat. Wir haben Verständnis für das Bedürfnis unserer Nachbarn, sich gegen eine Wiederholung von Vorkommnissen zu sichern, die ihnen soviel Leid gebracht haben. Wir wehren uns nicht gegen Kontrollmaßnahmen, deren ausschließliches Ziel ist, eine etwaige Remilitarisierung Deutschlands zu verhindern und im Zusammenhang damit die Produktion des Ruhrgebiets auf ihre Verwendung für friedliche Zwecke zu überwachen. Darum bekennen wir uns zu den Erklärungen der Präambel, daß die Wirtschaft der Ruhr in Zukunft nur im Interesse des Friedens genutzt werden soll. Wir Sozialdemokraten haben von jeher die Forderung vertreten, daß die Produktion der zentralen Schüsselindustrien allen Völkern gleichermaßen zugänglich gemacht werden muß. Wir haben darum immer ihre Stellung unter internationale demokratische Kontrolle verlangt. Zu diesen Zentren gehört auch das Ruhrgebiet. Insoweit stimmen wir auch der Erklärung in der Präambel zu, die besagt, daß die Produktion des Ruhrgebiets allen für den wirtschaftlichen und politischen Wohlstand zusammenwirkenden Völkern auf der Grundlage der Gleichberechtigung zugute kommen soll. Die Überprüfung des Dokuments hat uns nicht davon überzeugt, daß seine einzelnen Bestimmungen dem Geist der Präambel gerecht werden und diesen Zielen dienen können. Den Nöten, unter denen Europa heute leidet, kann wirksam nur dadurch abgeholfen werden, daß sämtliche Staaten Europas sich gegenseitig im Wege einer auf Gleichberechtigung beruhenden internationalen Organisation den Zugang zu ihren Hilfsquellen öffnen. Internationalisierungen, die lediglich zu Lasten eines Landes gehen, werden den Weg zu echter europäischer Kooperation eher hindern als fördern. Sie sind nichts anderes als kollektive Ausbeutung zugunsten einiger Bevorrechtigter, die dann keine Veranlassung mehr sehen werden, ihre eigene Wirtschaft in eine internationale Organisation einzubringen. In dem Augenblick, da in Bonn die Grundlagen für deutsche Selbstverantwortung geschaffen werden, wird dem deutschen Volk die Möglichkeit genommen, seine Wirtschaft in eigener Verantwortung zu führen und so die materiellen Grundlagen für eine echte und lebendige Demokratie zu schaffen. Die durch das Statut vorgesehene Regelung bringt darüber hinaus die Gefahr neuer nationalistischer Strömungen, obwohl gerade jene kein Recht haben, sich mit nationalistischen Phrasen gegen Maßnahmen zu wehren, die sie sonst selbst gegen andere angewandt haben. Wir haben mit dem Protest dieser Leute nichts gemein. Der Wille, seinem Volke zu erhalten, was es braucht, um in Frieden arbeiten zu können, ist kein Nationalismus. Unser Wille zur Selbsterhaltung und Selbstachtung hat nichts gemein mit dem Nationalismus, der die Welt ins Unglück gestürzt hat. 21)

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Die Erklärung der SPD-Fraktion zum Ruhrstatut wurde als Drucks. Nr. 462 sowie als Umdrucks. Nr. 19 vervielfältigt.

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So enttäuscht dieses Ruhrstatut die Hoffnungen der Sozialdemokraten, daß aus der Katastrophe des Hitlerkrieges die große Idee eines politisch, wirtschaftlich und konstitutionell geeinten Europa, eines Europa des Friedens und der Freiheit geboren werden würde. Dieses Europa kann nur errichtet werden, wenn sämtliche Staaten, die sich dazu rechnen wollen, auf wesentliche Bestandteile ihrer Souveränität verzichten und sie einer gesamteuropäischen Föderation übertragen. Dieses Vorhaben wird aber nur dann voll gelingen können, wenn die Ausbeutung der Menschen beseitigt wird durch Überführung der Produktionsmittel, von denen ihr Schicksal abhängt, in das demokratisch kontrollierte Gemeineigentum aller Völker und wenn die Wirtschaft Europas einer allgemeinen Planung und Lenkung auf der Grundlage der Gegenseitigkeit unterworfen wird. Wir wissen, daß auch in anderen Ländern starke politische Bewegungen für diese Ideen kämpfen. Das gibt uns die Hoffnung, daß dieses Statut einer anderen Ordnung Platz machen wird, die in wirksamer Weise die Vorbedingungen für ein geeintes Europa schafft, in dem Friede, Freiheit und Wohlstand aller herrschen sollen. (Beifall bei der SPD.)

[1.2. STELLUNGNAHME DER CDU/CSU-FRAKTION ZUM RUHRSTATUT]

Dr. Strauß (CDU): Meine Damen und Herren! Als wir Anfang September des vergangenen Jahres hier zusammentraten und uns an die Ausarbeitung eines Grundgesetzes begaben, mußten wir uns alle bewußt sein, daß unsere Arbeit mit Hypotheken vorbelastet ist. Es war unsere Aufgabe, uns mit den Dokumenten vertraut zu machen, die den Herren Ministerpräsidenten von den Militärgouverneuren übergeben worden waren. Wir mußten unsere Arbeit unter den Gesichtspunkt stellen, daß wir nicht in völliger Unabhängigkeit und Freiheit eine Verfassung für das deutsche Volk zu schaffen hatten, sondern daß wir Realitäten Rechnung tragen mußten, die von der unglückseligen Entwicklung des vorvergangenen Jahrzehnts bedingt waren. Wer sich an diese Arbeit machte, hatte die weitere Aufgabe, das Schlußkommuniqué zu lesen, das die sechs Mächte, die an der Londoner Konferenz teilgenommen hatten22), Anfang Juni des Jahres 1948 der Öffentlichkeit übergeben haben. Dieses Schlußkommuniqué befaßte sich bereits mit den Ruhrfragen, und in einem besonderen Anhang war der Rahmen abgesteckt, in dem ein Ruhrstatut von den sechs Unterzeichnern des Londoner Abkommens später, und zwar vor Erlaß einer deutschen Verfassung, zu vereinbaren [S. 377] war. Das jetzt vorliegende Ruhrstatut ist die Ausfüllung dieses Rahmens, die bereits in dem Londoner Schlußkommuniqué unmißverständlich angedeutet war. 22)

Vgl. den Anhang des Schlußkommuniqués der Londoner Sechsmächte-Konferenz vom 23. Febr.–6. März und 20. April–2. Juni 1948 vom 7. Juni 1948; Der Parl. Rat, Bd. 1, Dok. Nr. 1, S. 14–17. Zur Londoner Sechsmächte-Konferenz vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 8, Anm. 30.

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Daß dennoch die Wirkung auf die deutsche Öffentlichkeit eine schwere Enttäuschung ist, muß auch das Ausland verstehen. Wenn wir im Rahmen der Zuständigkeitsbefugnisses des künftigen Bundesgesetzgebers die Befugnisse auf dem Gebiete der Wirtschaft überprüften, mußten wir uns bewußt sein, daß auch diese Zuständigkeiten mit Hypotheken belastet sind, insbesondere mit der Hypothek des künftigen Ruhrstatuts. Ich glaube aber, daß die Prüfung der Wirkung des Ruhrstatuts und der Tragweite seines Inhalts mit leidenschaftsloser Nüchternheit durchgeführt werden muß. Internationale Vereinbarungen, besonders solche, die die Sieger eines Krieges dem Besiegten auferlegen, hängen in ihrer Auswirkung von dem Geiste ab, in dem sie gehandhabt werden. Darauf hat bereits unmittelbar nach Veröffentlichung des Ruhrstatuts der Sprecher der CDU hingewiesen23). Man wird es dem deutschen Volk nicht verargen können, wenn gerade die Erinnerung an die Jahre nach 1919 die deutschen Erwartungen schwer belastet. Der Geist, in dem der Versailler Vertrag24) ausgeführt wurde, hat viel zum Scheitern der deutschen Demokratie beigetragen. Die Bedeutung des Ruhrstatuts für das deutsche Volk und insbesondere für den deutschen arbeitenden Menschen wird nur dann deutlich, wenn man sich die Rolle vergegenwärtigt, die gerade das Ruhrgebiet in Vergangenheit25), Gegenwart und Zukunft zu spielen berufen war und ist. Die deutsche Wirtschaft, wie sie sich in einer hundertjährigen Entwicklung organisch entfaltet hat, steht unter dem beherrschenden Zeichen einer Tatsache: Deutschland ist ein großes Veredlungsland, das rohstoffarm ist. Deutschland hat niemals die Ernährung seiner Bevölkerung aus eigener Scholle befriedigen können. Es war in überwiegendem Maße gezwungen, Rohstoffe aus dem Ausland einzuführen, in Deutschland zu veredeln und als Fertigwarenerzeugnis in das Ausland auszuführen, um aus den Erlösen dieser Ausfuhr sowohl seine Lebensmitteleinfuhr zu decken, als auch die Rohstoffe zu bezahlen, mit denen die deutsche Fertigwarenindustrie diese Veredlungsprodukte herstellte. Wir hatten einige standortmäßig bedingte Konzentrationsgebiete der wirtschaftlichen Kraft Deutschlands. Zwei davon sind gegenwärtig unserer Verfügung entzogen, das oberschlesische Revier, aber auch infolge der unseligen, von den Deutschen nicht zu verantwortenden Zerreißung des deutschen Gesamtgebietes das mitteldeutsche Revier26). (Renner [KPD]: Die Saar vergessen Sie ganz!) Damit ist die Bedeutung der Ruhr für den Wiederaufbau Deutschland in einem noch größeren Maße gesteigert worden.

23)

Laut der Nachrichtenagentur dpd erklärte Adenauer für die CDU „das Ruhrstatut sei nur dann eine feste Grundlage, wenn es die Vorstufe einer europäischen Föderation bilde. Deutschland solle die Ruhr und Saar, Frankreich sein Erz beisteuern. Andernfalls werde das Statut wieder verschwinden.“ Zitiert nach: Archiv der Gegenwart 1948/49, S. 1754. 24) Über den Friedensvertrag von Versailles vom 28. Juni 1919 vgl. oben Dok. Nr. 26, S. 773, Anm. 26. 25) 1921 bis 1925 hatten französische und belgische Truppen die Städte Duisburg und Düsseldorf in der Entmilitarisierten Zone besetzt und kontrollierten den Export von Kohle, Stahl und Fertigprodukten des Ruhrgebiets. 26) Zu den Entscheidungen der Alliierten Siegermächte auf den Konferenzen von Jalta und Potsdam vgl. oben Dok. Nr. 30, S. 889, Anm. 19 und 20.

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Wie war die Lage nach dem Zusammenbruch? Die Ruhr, in der sich besonders erbitterte und besonders destruktive Schlußkämpfe abgespielt hatten, glich einer Mondkraterlandschaft. Die Bevölkerung, deren Wohnräume in besonders hohem Maße zerstört worden waren, ging trotzdem unverdrossen an die Aufräumungsarbeiten und begann, die Reste der Industrie, die Reste der Kohlengruben, die noch vorhanden waren, instandzusetzen. In keinem Gebiet Deutschlands haben nach der Kapitulation und in den nächsten Jahren Not und Hunger schlimmer gewütet als im Ruhrgebiet. Ich glaube, man kann aber auch feststellen: in keinem Gebiet Deutschlands hat die Bevölkerung mit derselben Bereitschaft und mit derselben Hartnäckigkeit sich der Aufräumungs- und Wiederaufbauarbeit gewidmet als gerade die Arbeiterbevölkerung der Ruhr. Wenn ich Sie auf die Steigerung der Kohlenförderung der letzten Monate, wenn ich auf die Produktionsziffern bei der Stahlerzeugung hinweise, dann wissen wir, was wir der Ruhrbevölkerung zu danken haben. Die Weltöffentlichkeit muß das berücksichtigen und muß zu verstehen versuchen, daß insbesondere die Ruhrbevölkerung dieses Ruhrstatut – obwohl derjenige, der das Londoner Schlußkommuniqué gelesen hatte, kaum etwas anderes erwarten durfte – mit einer großen Enttäuschung, um nicht zu sagen Erbitterung, aufgenommen hat. Das um so mehr, als die Industrie der Ruhr nach dem Zusammenbruch durch die Besatzungsmächte eine besondere, von anderen deutschen Wirtschaftsgebieten und Wirtschaftszweigen abweichende Behandlung erfahren hatte. Bereits im Herbst 1945 ist die vollständige Kontrolle über den Kohlenbergbau und über die Eisen- und Stahlindustrie in die Hände der örtlich zuständigen Besatzungsmacht übergegangen. Damit war eine Beschlagnahme sämtlicher Eigentumswerte an diesen Industrien verbunden. Es wurden englische Kontrollorgane für beide Industriezweige gebildet, die die Arbeit dieser Industrien auf das einschneidendste bestimmten. Nach dem wirtschaftlichen Zusammenschluß der beiden Zonen übertrug man den deutschen Stellen weitgehend die Verantwortung für die Wirtschaftspolitik. Ausgenommen waren diese beiden Gebiete. Zwar wurde der Kohlenbergbau in einer deutschen Kohlenbergbauleitung produktionsmäßig zusammengefaßt, aber weiter unter der eingehenden Produktions- und Investitionskontrolle einer nunmehr aus den beiden Besatzungsmächten zusammengesetzten Kontrollgruppe. Bei Eisen und Stahl ist man im Augenblick noch nicht einmal so weit, sondern die Überleitung auf eine Zweimächtekontrolle ist erst im Gange. Damit ist die unerläßliche Einheitlichkeit der deutschen Verantwortung für die Wirtschaftspolitik auf das schwerste gefährdet. Die beiden Schlüsselprodukte, die mit dem Außenhandel und mit den Befugnissen für den Außenhandel zusammen die Wirtschaftspolitik bestimmend beeinflussen, sind weitgehend auch heute noch der deutschen Zuständigkeit entzogen. Man macht uns so häufig den Vorwurf, daß wir Verantwortung wünschen und, wenn wir sie haben, sie nicht mit genügender Initiative ausüben. Auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik ist diese Initiative durch das Fehlen der notwendigen Einwirkung auf die beiden Schlüsselprodukte Kohle und Stahl aufs schwerste beeinträchtigt. Lassen Sie mich da eines einflechten. Dieser von einem wahnwitzigen Abenteurer, nicht aber unter Zustimmung des deutschen Volkes entfesselte Krieg – wer sich an

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die Stimmung erinnert, die Anfang September 1939 auf dem deutschen Volk lastete, an diese stumpfe Verzweifelung, wer sich an die Stimmung erinnert, die noch während der eigenartigen Kriegsverhältnisse an der Westfront den ganzen Winter 1939/40 hindurch anhielt, kann nicht davon sprechen, daß das deutsche Volk willig in diesen Krieg gegangen ist –, dieser von einem wahnwitzigen Abenteurer entfesselte Krieg hat über Gesamteuropa und über die gesamte europäische Wirtschaft Vernichtung und Not gebracht. Aber keine Wirtschaft ist namentlich in den letzten Monaten des Krieges durch die unmittelbare Einwirkung der Kampfhandlungen so zerstört worden wie die deutsche, und keine Bevölkerung ist in eine solche Notlage geraten wie die deutsche. Der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft und damit der Lebensmöglichkeiten des deutschen Volkes hängt wesentlich darüber ist man sich im Ausland auch klar – davon ab, daß die hierfür notwendigen Mengen an Kohle und Stahl zur Verfügung stehen. Bis vor kurzem ist die Verfügung über die Preise für Kohle und Eisen vollständig in alliierten Händen gewesen. Als man das erste Mal im Frühjahr des vergangenen Jahres den Deutschen die Zuständigkeit und Verantwortung für die Preise übertrug, war das mit einem militärischen Befehl verbunden, eine bestimmte Preishöhe festzusetzen, die sich im übrigen aus der Subventionierung der Kohlen- und Eisenpreise ergab, die nicht von deutscher Seite, sondern auf Verlangen der Alliierten vorgenommen war. Die Verantwortung für die Preise setzt aber voraus, daß die Deutschen auch die Verantwortung für die Gestaltung der Produktion haben. Wer wie ich an der Ausarbeitung der Pläne für die vierteljährlichen Kohlenzuteilungen für die deutsche Wirtschaft mitzuwirken hatte, weiß, in welcher Verzweiflung wir uns befanden, weil wir von der damals noch geringen Produktion nicht die notwendige Menge für das Mindestmaß an dieser Aufbauarbeit der deutschen Wirtschaft zuweisen konnten. (Renner [KPD]: Das wird jetzt noch schlimmer!) [S. 378] Auch künftig bleiben Einwirkungsmöglichkeiten für die Gestaltung der Produktion und der Investition bei den alliierten Kontrollgruppen. Nun sieht gerade das Schlußkommuniqué zum Ruhrstatut vor, daß diese Befugnisse zu einer bestimmten Zeit auf die neue Ruhrbehörde übergehen sollen. Noch ist es Zeit, diese Befugnisse abzubauen. Zwar ist der Exportanteil der deutschen Kohleproduktion durch internationale Vereinbarung festgelegt. Man wird aber die deutsche Forderung verstehen müssen, daß primär im Interesse des Wiederaufbaus der deutschen Wirtschaft, ohne die ein Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft nicht gedacht werden kann, zunächst die Bedürfnisse der deutschen Wirtschaft befriedigt werden müssen. Lange Zeit schwebte als schwere Beschattung über den Fragen der Ruhr die Sorge, die mein Herr Vorredner so stark unterstrichen hat: Was wird aus den Eigentumsverhältnissen an der Ruhr? Ich denke da nicht so düster wie mein Herr Vorredner, sondern ich glaube, daß es der ernste und unabänderliche Wille der Militärregierungen sein wird, das durchzuführen, was dem deutschen Volk im Vorspruch zum Militärregierungsgesetz Nr. 75 verbürgt worden ist, nämlich daß die Regelung der Eigentumsfragen beim Kohlenbergbau und bei der Eisen- und Stahlindustrie ausschließlich der deutschen Zuständigkeit unterstehen soll, und ich sehe keinen Grund, an einem einmal gegebenen Wort der Militärregierungen zu deuteln oder es

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anzuzweifeln. Hier liegt eine Aufgabe, die eine der größten Aufgaben unserer Nachfolger sein wird. Es wird eine der vordringlichsten Aufgaben des ersten deutschen Parlaments sein, sich diesen Fragen zuzuwenden und sie zu lösen. Diese Fragen stehen in einem engen Zusammenhang mit einem anderen Fragenkomplex, wo ich jedenfalls für die CDU/CSU sagen kann, daß wir uns im Ziel mit den Militärregierungen vollständig einig sind. Auch wir sind entschiedene und entschlossene Gegner jeder wirtschaftlichen Machtzusammenballung und jeden Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellungen, möge es sich – lassen Sie es mich hinzufügen – um private Macht oder aber um öffentliche Macht handeln. Hier haben uns die Militärregierungen allerdings unsere Aufgabe durch die Art, wie sie die Dekartellierung gehandhabt haben, wesentlich erschwert, indem sie durch Militärregierungsgesetze auf deutsche Tatbestände fremde Rechtsnormen angewendet haben, die nicht in gleicher Weise auf andere Verhältnisse zutreffen und in gleicher Weise zum Erfolg verhelfen können. Aber es wird, wie ich sagte, eine der vordringlichsten Aufgaben des künftigen deutschen Parlaments sein, die gesetzlichen Maßnahmen zu treffen, die wirtschaftliche Machtzusammenballungen verhindern und dort, wo aus betriebswirtschaftlichen Gründen große Produktionseinheiten notwendig sind – sie werden gerade beim Kohlenbergbau und bei der Eisenund Stahlindustrie notwendig sein –, den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht verhindern. Nun gibt es eine ganze Skala von Möglichkeiten, um dieses Ziel zu erreichen, von der Staatskontrolle, von der Kontrolle durch die öffentliche Behörde ausgehend bis zur Überführung von Produktionszweigen in Gemeineigentum oder gemeinwirtschaftliches Eigentum. Über diese Fragen werden sich unsere Nachfolger mit allem Ernst und aller Sachlichkeit im Interesse des deutschen Volkes und insbesondere des deutschen Arbeiters auseinanderzusetzen haben. Ich glaube aber, daß zur Würdigung der Bedeutung und der Tragweite des Ruhrstatuts auch noch eine andere Erwägung vonnöten ist. Nichts hat den deutschen Wiederaufbau in den Jahren nach 1919 und nichts hat eine Erfüllung der damals notwendigen Reparationsverpflichtungen so erschwert wie die Gestaltung, die die Weltwirtschaft in den 20er Jahren in völligem Gegensatz zu der Zeit vor 1914 genommen hat. Die Zollmauern der einzelnen nationalen Volkswirtschaften stiegen ins Ungemessene. Obwohl sich alle Sachverständigen und Sachverständigenausschüsse internationaler Experten damals einig waren, daß die deutsche Wirtschaft nur gesunden konnte und die notwendigen deutschen Reparationverpflichtungen nur zu leisten waren, wenn ein deutscher Export im erforderlichen Maße möglich war, haben die ausländischen Zollmauern und die dadurch erfolgte Zerspaltung der Weltwirtschaft die deutsche Wirtschaft aufs schwerste behindert. Nichts hat die Krise in Deutschland im Jahre 1931 mehr erschwert als die nationalen Autarkiebestrebungen des Auslandes, und nichts hat die Arbeit Brünings27) in diesem

27)

Heinrich Brüning (1885–1970), Dr., 1919 Mitarbeiter des katholischen Sozialpolitikers Carl Sonnenschein, 1920 Referent des preußischen Wohlfahrtsministers Adam Stegerwald, 1920 Geschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) 1924–1933 Mitglied des Reichstags, finanzpolitischen Sprecher der Zentrumsfraktion, 1928–1930 Mitglied des Preußischen Landtages, 1929 Fraktionsvorsitzender der Zentrumspartei im Reichstag, 1930–1932 Reichskanzler des Deutschen Reiches. 1933 Vorsitzender der Zen-

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schicksalsschweren Winter schwerer gestört als etwa die Abwertung des britischen Pfundes im September 1931 und die dadurch erfolgte Erschütterung der deutschen Ausfuhr, die dann die damalige Regierung zwang, den Versuch einer Deflationspolitik zu machen. Auf der anderen Seite hat gerade damals die Ruhr gezeigt, wie durch eine internationale Zusammenarbeit diese Schwierigkeiten überwunden werden können. Als die deutsche Zollhoheit 1925 wieder in Kraft trat, sind gleichzeitig mehrere Abkommen zwischen der französischen und der deutschen Wirtschaft über die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen in Kraft getreten, und es hat im europäischen Rahmen insbesondere eine enge Zusammenarbeit bei Stahl und bei allen Eisenprodukten eingesetzt. Man hat das bei den damaligen Möglichkeiten im Wege internationaler Vereinbarungen, sogenannter internationaler Kartelle, gemacht. Auch heute sind in den Ländern außerhalb Deutschlands diese Fragen noch durch internationale Kartellvereinbarungen geregelt, und hier würde ich sogar einen glücklichen Ansatzpunkt aus dem Ruhrstatut entnehmen. Wenn es gelingt, diese Frage nicht durch Privatinteressenten, sondern von Volk zu Volk, das heißt durch die vom Volk berufenen Regierungen, zu behandeln, so würde ein Fortschritt mit dem Zweck, eine europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit und eine Abmilderung internationaler Konjunkturkrisen zu erzielen, erreicht werden können. Ist das zu erreichen, dann werden auch wesentliche Aufgaben der Ruhrbehörde überflüssig werden. Gelingt es, durch die Wiederherstellung einer freien Weltwirtschaft den Fluß der Rohstoffe und Waren natürlich laufen zu lassen, geregelt durch die natürlich sich bildenden Preise und durch die Güte der Waren, dann wird das Verteilungsproblem von Kohle und Stahl ein anderes Gesicht bekommen. Damit komme ich zu dem Inhalt der Befugnisse der Ruhrbehörde. Man soll, bevor man die Dinge leidenschaftlich kritisiert – es scheint mir, daß die deutsche Öffentlichkeit dieses Erfordernis nicht immer erfüllt hat –, in der Tat mit Sorgfalt den Wortlaut des Statuts studieren, und neben den Wortlaut tritt, wie mein Herr Vorredner und wie sofort nach Veröffentlichung des Ruhrstatuts der Sprecher der CDU ausgeführt hat, der Geist, in dem dieses Statut einmal gehandhabt wird. Die Hauptaufgabe der Ruhrbehörde wird die Verteilung dieser beiden Rohstoffe sein. Diese Aufgabe wird mit der Zeit an Bedeutung verlieren können, wenn die Entwicklung eintritt, die ich soeben erwähnt habe. Dagegen liegt gerade hier eine große Gefahr für die deutsche Wirtschaft, nämlich die Gefahr, daß bei Konjunkturschwankungen die Handhabung zu unseren Ungunsten erfolgen kann. Lassen Sie mich auch das an zwei Beispielen erläutern. Die Ruhrbesetzung des Jahres 1923 hatte einen sofortigen Aufschwung des britischen Kohlen- und Stahlexports zur Folge. Umgekehrt hatte der Generalstreik in Großbritannien Mitte der 20er Jahre eine vorübergehende Blüte der deutschen Wirtschaft zur Folge. Sie sehen also, welche Gefahrenmomente bei diesen Fragen eintreten können, wenn eine internationale Behörde, die aus Vertretern der verschiedensten Staaten, deren Interessen nicht immer gleichläufig sind, besetzt wird, diese Fragen regelt. Eine trumspartei, 1934 Flucht in die Niederlande und Übersiedlung in die USA, 1937–1951 Professor für Politische Wissenschaften an der Harvard-Universität, 1951–1955 Professor für Politische Wissenschaften an der Universität Köln.

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Drosselung des deutschen Exports, wenn es für ausländische Industrien erwünscht ist, eine Förderung des deutschen Exports, wenn es gerade für die deutsche Industrie unerwünscht ist, das sind Gefahren, die die Voraussetzungen, die für die Persönlichkeiten der Ruhrbehörde gefordert werden müssen, außerordentlich hochstellen. Wir wollen der Hoffnung noch Raum lassen, daß die Ruhrbehörde mit Persönlichkeiten besetzt wird, die ein hohes wirtschaftliches Verständnis mit einem hohen internationalen Verantwortungsbewußtsein verbinden. Noch hat die Welt nicht genügend Erfahrungen mit internationalen Behördenkörpern. Oder ich kann es auch so ausdrücken: die Erfahrungen, die wir mit den Organisationen [S. 379] des Völkerbundes vor 1933 gemacht haben, waren nicht immer befriedigend. Dazu kommt noch ein Weiteres: Es wird hier eine neue Bürokratie geschaffen, eine internationale Bürokratie. Internationale Bürokratien sind im allgemeinen noch kostspieliger als nationale Bürokratien. Und wem ist diese internationale Bürokratie verantwortlich? Die nationalen Bürokratien sind immer noch den Parlamenten und der öffentlichen Volksmeinung verantwortlich. Wird es möglich sein, hier eine internationale öffentliche Meinung zu schaffen, die mit kritischer Aufmerksamkeit die Arbeiten der Ruhrbehörde verfolgt, eine Aufgabe, die wir insbesondere der öffentlichen Meinung des Auslandes und insbesondere den ausländischen Sachverständigen in Wissenschaft und Praxis zuweisen wollen? (Renner [KPD]: Die Wallstreet wird es schon machen!) Ich glaube, daß psychologisch durch die sechs Unterzeichnermächte des Ruhrstatuts ein Fehler gemacht worden ist, auf den mein Herr Vorredner schon hingewiesen hat. Es wäre für uns alle und für das ganze deutsche Volk viel leichter gewesen, dieses Ruhrstatut mit dem erforderlichen Verständnis zu würdigen und es hinzunehmen, wenn die Wirtschaftsfragen nicht in einer durch die Sache nicht gerechtfertigten Weise mit den Fragen des Sicherheitsproblems verquickt worden wären, dies um so mehr, als gleichzeitig mit dem Erlaß des Ruhrstatuts das Sicherheitsamt der Alliierten gebildet worden ist. Man hat hier eine große Gelegenheit einer versöhnlichen Geste versäumt und hat dem deutschen Volk mit einer brutalen Deutlichkeit das Mißtrauen vor Augen geführt, das offenbar nicht nur gegen die nationalsozialistischen Gewaltherrscher des deutschen Volkes, sondern gegen das deutsche Volk überhaupt noch besteht. Dieses Mißtrauen erschwert es einem Deutschen leider auch so sehr, sich zu europäischen Fragen und Fragen der Zusammenarbeit der Völker zu äußern. Man gerät in Gefahr, daß einem Motive unterstellt werden, die keinesfalls obwalten. Wir sollten aus diesem Mißtrauen, das nur die Zeit überwinden kann, die Lehre ziehen, daß wir durch unsere tatsächliche Leistung unseren Beitrag auch dann als Vorleistung darbringen, wenn wir innerlich sehr stark gehemmt sind und wenn bei uns umgekehrt das nicht unberechtigte Mißtrauen waltet, daß alle diese Organisationsformen und Maßnahmen dazu ausgenutzt werden können, um diese Befugnisse und Aufgaben einseitig zu Ungunsten des deutschen Volkes zu handhaben. Für uns ist eine der gewichtigsten Bestimmungen des Ruhrstatuts der schon erwähnte Art. 26, der die gleichberechtigte Behandlung aller beteiligten Volkswirtschaften vorsieht und der zum Ausdruck bringt, daß bei der Handhabung des Ruhrstatuts keinerlei Konkurrenzmotive vorherrschend sein dürfen. Ich möchte

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mit allem Ernst und allem Nachdruck an das Ausland appellieren: das deutsche Volk wird das Ruhrstatut danach beurteilen, wieweit der eigentlich selbstverständliche Gedanke dieses Art. 26 voll und ganz verwirklicht wird. Wird er verwirklicht, dann, so glaube ich, kann man deutscherseits das nötige Maß an Vertrauen aufbringen, daß das Ruhrstatut, das in dem im 20. Jahrhundert sehr schnellen Fluß der Dinge nur ein Übergangsstadium darstellen kann, einen Ansatz zu bieten vermag, um zu einer Zusammenarbeit im Wirtschaftlichen zu kommen, von der es abhängen wird, ob die europäische Wirtschaft und damit die Völker Europas nicht nur Hoffnung schöpfen, sondern überhaupt überleben können. Die deutsche Demokratie wird als gesamtdeutsche Demokratie ihr Leben in diesem Jahr unter düsteren Auspizien beginnen. Wir sollten statt von zuviel Hoffnungen von dem notwendigen Maß an Wirklichkeitssinn reden. Wir sollten uns bewußt sein, wie stark noch jede Verantwortlichkeit einer deutschen Stelle – mag es sich um ein Parlament, mag es sich um eine deutsche Regierung handeln – durch die Teilung der Verantwortlichkeiten belastet ist, nämlich dadurch, daß die Verantwortlichkeiten sowohl bei den Besatzungsmächten als auch bei deutschen Stellen liegen. Geteilte Verantwortlichkeit führt leicht zur Verantwortungsscheu oder führt dazu, daß, wenn verantwortlich gehandelt und dann in dieses Handeln eingegriffen wird, das Vertrauen des Volkes in die Arbeitsfähigkeit und in die echte Form der Demokratie erschüttert werden kann. Durch alle Völker Europas geht nach diesem dreißigjährigen Kriegszustand, der für uns auch im vierten Jahr nach Ende der Kampfhandlungen noch nicht einmal formell beendet worden ist, eine ungeheure und verzweifelte Sehnsucht nach einem Mindestmaß an Sekurität, Wohlstand und Freude. Sekurität und Wohlstand sind die Voraussetzungen zur Lebensfreude. Ohne Lebensfreude wird die Gefahr des Nihilismus, die über Europa schattet, noch größer werden. Lebensfreude des einzelnen in allen Völkern ist das, was das Leben überhaupt ermöglicht. Wenn wir also die Gewißheit hätten, daß auch die sechs Unterzeichnermächte des Ruhrstatuts das Ruhrstatut als eine Übergangslösung ansehen, und wenn wir in voller Kenntnis des nach unserer Auffassung unangebrachten und die gesamte Zukunft gefährdenden Mißtrauens, das im Ausland noch gegenüber dem deutschen Volk besteht, nicht mit viel Reden und Orationen, sondern durch echte Leistung, durch Beweis unseres guten Willens, durch Handeln und Tat bewußt eine Vorleistung auf uns nehmen, dann kann das Ruhrstatut trotz aller Vorbehalte, die wir im heutigen Augenblick ihm gegenüber noch geltend machen müssen, vielleicht doch den Weg in eine bessere gesamteuropäische Zukunft eröffnen. Lassen Sie mich zusammenfassend die Stellung der CDU/CSU am heutigen Tag wie folgt verlesen28): Die CDU/CSU kann in dem ohne deutsche Mitwirkung zustande gekommenen Ruhrstatut nur eine schmerzliche Übergangslösung sehen, die im Schatten einer düsteren Vergangenheit steht. Nach der Verengung des westeuropäischen Wirtschaftsgebietes harrt der Ruhr eine größere Aufgabe als je zuvor:

28)

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Die Erklärung der CDU/CSU-Fraktion zum Ruhrstatut wurde als Drucks. Nr. 461 vervielfältigt. Vgl. dazu auch die Fraktionsberatungen zum Ruhrstatut; Salzmann, S. 327–329.

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zum friedlichen Wiederaufbau der deutschen und der europäischen Wirtschaft ihren wesentlichen Beitrag zu leisten. Gerade um dieser Aufgabe willen bedauert die CDU/CSU, daß die Fragen der internationalen Sicherheit mit dem Ruhrstatut verknüpft worden sind. Das Statut hätte ausschließlich unter die Gesichtspunkte des allgemeinen wirtschaftlichen Wiederaufbaus und der engeren Vereinigung der wirtschaftlichen Systeme der beteiligten Völker gestellt werden sollen. Die Sicherheitsfragen hätten gesonderten Abkommen überlassen bleiben können. Seit Jahren leidet das deutsche Volk, besonders der Arbeiter an der Ruhr, bitterste Not. Trotzdem hat es sich jedem politischen und sozialen Radikalismus versagt. Man wird daher begreifen, daß es das Ruhrstatut zunächst als neue Belastung empfinden muß. Die CDU/CSU erwartet, daß der im Vorspruch des Statuts bekundete Wille seiner Unterzeichner, den Handel der beteiligten Länder durch Abbau von Handelsbeschränkungen zu erleichtern, verwirklicht wird. Sie glaubt, daß ein solcher Abbau auch wesentliche Teile des Ruhrstatuts überflüssig machen kann. Die Einheit einer verantwortlichen deutschen Wirtschaftspolitik erfordert ebenso den Abbau der Befugnisse der alliierten Kontrollgruppen für Kohle und Stahl. Die CDU/CSU sieht es daher als vordringliche deutsche Aufgabe an, wirtschaftliche Machtzusammenballungen und den Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen durch deutsche Gesetzgebungsmaßnahmen zu verhüten, die an die Stelle von Regelungen durch die Besatzungsmächte und ihre Kontrollgruppen treten sollten. Wenn auch das deutsche Volk zu einer Vorleistung für eine europäische wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit entschlossen ist, so erwartet es aber zugleich, daß Maßnahmen der Gegenseitigkeit folgen und daß diese Maßnahmen auch dem Wiederaufbau der von allen europäischen Volkswirtschaften am schwersten getroffenen deutschen Wirtschaft helfen werden. Wenn das Ruhrstatut [S. 380] hierfür einen Ansatz bietet und wenn die Ruhrbehörde nach Art. 26 des Statuts bei Ausübung ihrer Befugnisse keine wirtschaftlichen oder Konkurrenzinteressen irgendeines Landes bevorzugt, kann das Ruhrstatut den Schlußsätzen des Begleitkommuniqués der sechs Mächte zur Verwirklichung verhelfen, die wie folgt lauten: „Wenn die Ruhrbehörde vernünftig gehandhabt wird, kann sie einen weiteren Beitrag für eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Völkern Europas darstellen.“ (Beifall.)

[1.3. STELLUNGNAHME DER FDP-FRAKTION ZUM RUHRSTATUT]

Dr. Schäfer (FDP): Meine Damen und Herren! Das Zeitalter der Weltkriege, in die uns ein feindseliges Schicksal hineinverdammt hat, hat im Grunde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seinen Anfang genommen. Damals begann die Abkehr von der Vorstellung, daß alle Güter dieser Erde allen Menschen zugänglich sein müßten. Damals begannen die Völker, sich abzuschließen, in geschlossenen Wirt-

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schaftsräumen zu denken und zu planen. Damals entstand aus dieser Tendenz zur Geschlossenheit der Wirtschaftsräume die Vorstellung, daß man Lücken im eigenen Wirtschaftsraum, daß man den Mangel an wirtschaftlichen Gütern aus Boden und Landschaft des eigenen Landes mit den Einflußmitteln machtstaatlicher Politik statt mit der Gegenseitigkeit von Leistung und Gegenleistung ausfüllen müßte. Aus diesem Geiste erwuchs die Vorstellungswelt eines wirtschaftlichen Imperialismus. Aus solcher Abkehr von den Ideen des Freihandels entstand eine Denkweise, die darauf ausging, mit den Mitteln der Politik den Ablauf der wirtschaftlichen Geschehnisse zu beeinflussen und zu bestimmen und auch mit den Mitteln der politischen Machtentfaltung in den natürlichen Ablauf des Güteraustausches einzugreifen, die Wettbewerbsbedingungen zu verfälschen und schließlich überhaupt die freie Bewegung von Menschen, Gütern und Gedanken in Fesseln zu schlagen. Wir hatten geglaubt, daß bei dem Verfassungswerk, zu dem wir hier zusammengetreten sind, auch die Möglichkeit gegeben wäre, einen deutschen Beitrag zur Wiederkehr einer Politik des freien Menschentums zu beginnen, die die Möglichkeit gibt, über die Staaten hinweg eine Gesellschaft freier Menschen zu entwickeln, um damit zugleich die Wunden dieses Krieges zu heilen und für internationale Beziehungen und zwischenstaatliche Ordnung Formen zu finden, die das Leben wieder lebenswert erscheinen lassen. Der Entwurf zu einem Abkommen über die Gestaltung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse an der Ruhr hat auf dem Weg zu einem solchen Ziel ein schweres Hindernis aufgetürmt. Es ist im Ausland stellenweise der Ausdruck der Besorgnisse und Enttäuschungen, der sich an die Veröffentlichung dieses Entwurfs in Deutschland geknüpft hat, mit Äußerungen der Verwunderung oder gar des Unmuts aufgenommen worden. Wir sind die letzten, die Gefühlsausbrüche für ein wirksames und erstrebenswertes Mittel der politischen Auseinandersetzung halten. Aber wir glauben auf der anderen Seite doch auch beanspruchen zu müssen, daß die Einwände, die von unserer Seite gemacht werden, mit dem Ernst aufgenommen werden, den sie verdienen. Denn maßgebend ist für uns bei der ganzen Betrachtung und Würdigung dieses Entwurfs nicht lediglich eine wirtschaftsegoistische Gewinn- und Verlustrechnung aus der Perspektive materieller Interessen; sondern wir befürchten in erster Linie von diesem Entwurf eine Störung der großen Konzeption, die über ein geeintes Europa oder gar über eine Gesellschaft der vereinten Nationen verkündet wurde. Wir kommen nun einmal nicht darüber hinweg, daß in diesem Entwurf ein unlösbarer Widerspruch besteht zwischen den friedlichen Zwecken, die in der Einleitung des Abkommens gefordert sind, und den Maßnahmen und Einrichtungen, die der Entwurf in seinem materiellen Teil vorsieht. In der Präambel des Abkommens wird von dem Abbau der Handelsschranken gesprochen. Gewiß, gerade er wäre eines der entscheidenden Mittel, um durch die freie Bewegung von Menschen, Gütern und Gedanken in aller Welt, zwischen allen Völkern eine solche Vielfalt von überstaatlichen und zwischenstaatlichen Zusammenhängen und Wechselbeziehungen zu knüpfen, daß daraus wirklich für eine weltstaatliche Föderation freier Völker gleichsam die gesellschaftliche Voraussetzung, die gesellschaftliche Grundlage wirkungsmächtig werden könnte. Der praktisch vorherrschende Zweckgedanke des Entwurfs geht aber von wesentlich anderen Beweggründen aus. Er ist

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völlig fern von der Idee, daß Bindungen internationaler Art, die dem Frieden eine Grundlage zu schaffen vermögen, allein auf Wechselseitigkeit und Gegenseitigkeit beruhen können. So wird in diesem Ruhrstatut nicht ein Vorstoß in eine neue Welt des freien Güteraustausches gewagt, sondern hier waltet in erster Linie ein autarkes Wirtschaftsdenken mit negativen Vorzeichen. Ein begrenztes Erzeugungsgebiet mit bestimmten Produktionsstätten wird von seiner volkswirtschaftlichen Umwelt abgesondert zur Erzielung einseitiger Vorteile zugunsten anderer Volkswirtschaften, anderer nationalwirtschaftlicher Zusammenhänge. Auch die leistungssteigernden Antriebe eines freien Weltmarktes werden hier nicht ausgelöst, sondern eine neue Zitadelle der Zwangswirtschaft, von der wir im eigenen Land schon soviel Unheil erfahren und erlebt haben, bedroht hier die schöpferische Initiative. Wir haben mit Wirtschaftsbehörden in unserem eigenen Land recht viele unerfreuliche Erfahrungen gemacht. Da kann es doch keine Verwunderung erregen, wenn wir einer Ruhrbehörde, die noch dazu mit Personen besetzt werden soll, denen die Eigentümlichkeiten unserer Wirtschaftsentwicklung fremd sind, mit einem erheblichen Vorbehalt, wenn nicht gar mit Mißtrauen gegenüberstehen. Auch die drei vorgesehenen deutschen Vertreter werden die Schwierigkeiten, Reibungsverluste und Fehlleitungen nicht aufhalten können, die sich nun einmal ergeben müssen, wenn wirtschaftliche Entscheidungen von Personen getroffen werden, die aus einer anderen Erfahrungswelt stammen. Jede Volkswirtschaft hat nun einmal ihre eigenen Entwicklungsgrundlagen, hat ihre Besonderheiten, sie ist ein vielgliedriges, kompliziertes Triebwerk. Wer nicht in ihr gewachsen ist, kann sie in ihren letzten und entscheidenden Zusammenhängen nie restlos durchschauen und wird immer der Gefahr ausgesetzt sein, aus fremder Vorstellungswelt in die wirtschaftlichen Zusammenhänge hinein zu wirken. Den deutschen Beitrag zu einem wirtschaftlichen Neuaufbau in einem geeinten Europa bejahen wir aus tiefster Überzeugung. Wir möchten sogar darüber hinausgehen und die deutsche Fähigkeit wiederherstellen, durch eine wachsende Ausfuhr die lebensnotwendigen Einfuhren zu bezahlen. Wir möchten auf diese Weise zu dem Gelingen des Marshallplans29) und aller anderen Bemühungen beitragen, aus der Not, aus den Mängeln, Schäden und Wirrnissen, die sich aus dem Krieg ergeben haben, wieder herauszukommen. Wir lesen zwar in dem Entwurf, daß „dringende Bedürfnisse Deutschlands berücksichtigt“ werden sollen. Aber kann man eigentlich darüber erstaunt sein, daß wir Zweifel hegen, wenn wir von all den Eingriffen dann weiter lesen, die gegenüber dem Transportwesen, den Preisen, Geschäftsbedingungen, Absatzquoten und Zöllen vorgesehen sind? Das ist nicht nur eine Beschränkung der deutschen Gesetzgebung und Verwaltung, der hier unsere ganze Arbeit gilt. Sie läßt geradezu unsere Arbeit fragwürdig erscheinen. Denn sie überlagert die gesamte Wirtschaftspolitik einer künftigen deutschen Bundesregierung mit einer Fülle von zusätzlichen Unsicherheitsfaktoren. Statt dessen setzt eine fortschrittliche Wirtschaftstätigkeit voraus, daß ein Markt besteht, der von behördlichen Eingriffsdrohungen möglichst weitgehend entwirrt

29)

Zum Marshall-Plan vgl. oben Dok. Nr. 6, S. 181, Anm. 22.

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ist. Wie soll denn jemand im wirtschaftlichen Geschehen etwas wagen und Neues anfangen und planen, wenn er von heute auf morgen nicht übersehen kann, ob diese oder jene Stelle in der Lage ist, in seine Dispositionen einzugreifen? Es ist darüber hinaus ein gewisses Maß an Sicherheit gegenüber devisenwirtschaftlich nachteiliger Beeinflussung des Transport- und Verkehrswesens notwendig. Wie soll das Verkehrswesen sich entfalten können, wenn immerwieder die Möglichkeit gegeben ist, unter anderen Gesichtspunkten als der volkswirtschaftlichen Rationalität in die Entwicklung, in die verwickelten Dispositionen auf diesem Gebiet einzugreifen? [S. 381] Über einen Punkt schweigt sich das Statut aus, wenigstens sagt es nichts Verbindliches darüber; das ist das Gebiet der Konjunkturpolitik. Hier sehen wir aber eine sehr ernste Gefahr. Es besteht die Möglichkeit, daß, solange der Bedarf wächst, Kohle und Eisen ausgeführt werden, daß aber bei rückläufiger Entwicklung des Bedarfs das ganze Gewicht einer möglichen Depression – die Herren Vorredner haben schon einige Möglichkeiten angedeutet –, die in anderen Volkswirtschaften entsteht, auf die Ruhrwirtschaft abgewälzt wird. Das würde bedeuten, daß alle diejenigen, die in der Bergbau- und Hüttenindustrie des Ruhrgebiets tätig sind, geradezu eine Pufferfunktion für alle Produktions- und Absatzschwankungen zu übernehmen hätten, die auf den europäischen Märkten auftreten. Gerade diese Überlegung zeigt, wie notwendig es wäre, nicht nur die Montanindustrie an der Ruhr zu reglementieren, sondern mit ihr die gleichartigen und verwandten Erzeugungsgebiete ganz Europas zu einem System wechselseitiger Austausch- und Ausgleichsordnung zusammenzufassen. Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung, die wir hier schaffen, wird bald nach ihrer Bildung über ihren Beitritt zum Ruhrabkommen entscheiden müssen. Ihre Aufgabe, das deutsche Volk mit dem Glauben an die politische Überlegenheit demokratischer Staatsformen zu erfüllen, ist unsagbar erschwert, wenn dabei ein solcher Staat im Staate aufgerichtet wird. Wenn wir also mit ganzem Ernst unsere Bedenken aussprechen, so geschieht es aus der Erkenntnis, daß ein dauerhafter Friede nicht in der Erhärtung von Machtverhältnissen, sondern im Ausgleich von Interessen und Abhängigkeiten besteht. Ergebnis aller Überlegungen aber bleibt, daß durch dieses Ruhrabkommen ein großer Gefahrenherd für die Erfüllung der deutschen Aufgaben auf nationalem und internationalem Gebiet in der Nachkriegszeit entstanden ist. Uns scheint weiterhin ein Element der Erschwerung in alle Bemühungen um eine Einheit Europas hineingetragen. Vor allen Dingen aber ist denen die Aufgabe erschwert, die die Menschen über das machtstaatliche Denken hinausführen und ihnen das Bewußtsein einflößen möchten, daß der Rechtsgedanke die eigentliche tragende Möglichkeit ist, über alle schweren Schicksalsschläge hinwegzukommen, die dies Zeitalter der Kriege den Menschen der abendländischen Welt zugefügt hat. Ich fürchte sehr, daß der Eindruck der Beweggründe, die aus diesem Abkommen sprechen, denen Auftrieb geben könnte, die allein in der Machtanbetung eine realistische Form der politischen Betrachtung sehen. Wir werden uns trotzdem nicht von einer solchen Denkweise beeinflussen und beeindrucken lassen. Wir werden trotz dieser Einrichtung und trotz der Versuche, die mit ihr nun wohl gemacht werden müssen, nicht aufhören, die Menschen diesseits und jenseits der Grenzen anzusprechen,

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daß der Machtgeist abgebaut werden muß, um zu einer wirklichen menschlichen Lebensordnung zwischen den Völkern zu gelangen30).

[1.4. STELLUNGNAHME DER DP-FRAKTION ZUM RUHRSTATUT]

Dr. Seebohm (DP): Meine Damen und Herren! Der in London im Dezember 1948 unterzeichnete Entwurf eines Übereinkommens über die internationale Kontrolle der Ruhr und das dazugehörige Schlußkommuniqué der unterzeichnenden Staaten ist ein Übereinkommen der drei westlichen Besatzungsmächte Deutschlands und der drei Staaten der Beneluxgruppe. In diesem Abkommen werden deutsche Hoheitsrechte in einem klar begrenzten Bezirk, dessen Industrie 90% der Kohlenförderung und 75% der Stahlerzeugung umfaßt, die dem deutschen Volk im Rahmen der vier Besatzungszonen verblieben sind – also ohne Berücksichtigung der polnischer Verwaltung unterstellten deutschen Ostgebiete und des wirtschaftlich mit Frankreich vereinigten deutschen Saargebietes –, einer internationalen Behörde übertragen, die sich aus Vertretern der sechs Staaten zusammensetzt, die das Abkommen unterzeichnet haben. Die Aufgabe, die diese internationale Behörde zusammen mit anderen ähnlichen Organisationen zu übernehmen hat, die nach dem Schlußkommuniqué noch entstehen sollen, über deren Zusammensetzung und Machtbereiche wir jedoch bisher keine genauen Angaben erhalten haben, soll es sein, die Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands sicherzustellen, die Gesundung der Länder Europas einschließlich eines demokratischen Deutschlands zu fördern und eine enge Verbindung ihres wirtschaftlichen Lebens herzustellen, die letzten Endes allein ein friedliches und blühendes Europa sichern kann. Dieses Übereinkommen zwischen den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg ist verhandelt, abgefaßt und unterschrieben, ohne das deutsche Volk daran in irgendeiner Weise zu beteiligen. Es wird dem deutschen Volk auferlegt wie alle Maßnahmen, die die Besatzungsmächte vorgenommen haben, seit sie durch Entgegennahme der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht die Verantwortung für das Leben und Sterben jedes Deutschen und für die Entwicklung des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens in Deutschland übernommen haben. Es handelt sich bei der Abfassung des Ruhrstatuts wahrlich nicht um einen Akt, durch den die Besatzungsmächte dem deutschen Volk einen Teil seiner ihm unabdingbar zustehenden Souveränitätsrechte zurückgegeben, sondern um eine völlig einseitige Willensbekundung, diese Rechte nicht dem deutschen Volk, sondern einer internationalen Behörde zu übertragen. Wie zu all diesen völlig einseitigen Willensbekundungen auf wirtschaftspolitischem Gebiet – es sei an die verschiedenen Pläne zur Beschränkung der deutschen Industrieproduktion, an die Übernahme der deutschen Kohle- und Eisenproduktion, an die Demontagepläne erinnert hat das deutsche Volk als besiegte Nation 30)

Im gedruckten Wortprot., S. 9, folgt danach die Angabe des stenograph. Dienstes: „(Bravo!)“

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und als besiegtes Land keine Möglichkeit, die Folgen solcher einseitigen Willenshandlungen abzuwehren. Diese bittere Erkenntnis zwingt uns bei unserer Stellungnahme die Zurückhaltung auf, die einem stolzen Volk in dieser Lage allein ansteht. Entgegen dem bisherigen Brauch ist im Ruhrstatut vorgesehen, daß Deutschland an der internationalen Behörde beteiligt wird – allerdings ohne Stimmrecht –, sobald eine deutsche Regierung errichtet ist. Dieses Recht sollte uns im Parlamentarischen Rat zur Beschleunigung unserer Arbeiten anspornen. Die deutsche Vertretung in der internationalen Ruhrbehörde soll Stimmrecht erhalten, wenn die deutsche Regierung durch Beitritt zu dem Übereinkommen oder auf andere Weise freiwillig die Verantwortung übernommen hat, die nach dem Abkommen für Deutschland vorgesehen ist. Es ist also erst die Aufgabe der zukünftigen deutschen Regierung, die deutsche Einstellung zu dem Ruhrstatut endgültig festzulegen. Wir halten es daher heute nicht für angebracht, der zukünftigen deutschen Regierung durch eine Stellungnahme zu dem Statut in ihrer Entscheidung vorzugreifen. Erst die deutsche Regierung und die Volks- und Ländervertretung, deren Exekutive sie bildet, hat die deutsche Stellungnahme zu dem Ruhrstatut endgültig festzulegen. Wir wissen heute nicht, wie sich bis zu dem Zeitpunkt, an dem die deutsche Regierung sich dieser Aufgabe unterziehen muß, die Gesamtlage entwickeln wird. Wir wissen insbesondere nicht, welchen Inhalt das Besatzungsstatut31) haben wird, welche Stellung die Besatzungsmächte zu dem Bonner Grundgesetz einnehmen werden und welche anderen internationalen oder ähnlichen Organisationen uns noch auferlegt werden sollen. Daher halten wir es heute für durchaus unangebracht, Erklärungen abzugeben. Wir können nur feststellen, daß das Übereinkommen über eine internationale Kontrolle der Ruhr der vorläufige Abschluß einer Entwicklung ist, die in der Vergangenheit dem deutschen Volk ständig größte Sorge bereitet hat. Wir sehen aber auch, daß diese Entwicklung nicht endgültig abgeschlossen sein kann; denn das Statut kann sowohl durch den Friedensvertrag als auch durch internationales Übereinkommen vor Ablauf der Besatzungsperiode geändert und im deutschen Sinn verbessert werden. Diese schwache Hoffnung gilt es festzuhalten, mit allen Kräften zu stärken und zur Voraussetzung künftiger Entwicklungen zu machen. Auch das Ruhrstatut darf nur eine Phase sein auf dem Wege zu einem friedlichen, in [S. 382] Freiheit schaffenden Deutschland in einem befriedeten, wirtschaftlich und politisch zusammengeführten Europa. In unserem Kampf um die Wiedererringung der deutschen Souveränität wird uns das Ruhrstatut ein weiterer Ansporn sein. Wir müssen ehrlich feststellen, daß sein Inhalt zwar nicht so niederschmetternd ist, als es nach den früheren Vorschlägen für die Zukunft der Ruhr, insbesondere nach dem französischen Memorandum vom 1. Februar 194732), zu erwarten war. 31)

Zum Besatzungsstatut vom 10. April 1949 vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 5, Anm. 15. Vgl. zuletzt Dok. Nr. 29, S. 859. 32) Am 1. Febr. 1947 übermittelte die französische Regierung den Botschaftern Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion ein Memorandum über die Zukunft des Ruhrgebietes. Darin empfahl die Regierung, eine internationale Kontrolle über die

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Die politische Abgrenzung des Ruhrgebiets innerhalb Deutschlands ist gefallen. Die Einbeziehung der chemischen Industrie, der Maschinenindustrie, der Elektrizitätsherstellung usw. in das Abkommen ist unterblieben. Unterblieben sind die Forderungen auf Überführung der Grundstoff- und der verarbeitenden Industrie in ausländisches Eigentum und ausländische Verwaltung. Aber trotzdem ist der Eindruck der dem deutschen Volk auferlegten Beschränkungen niederdrückend. Art und Umfang der Verfügung über die deutsche Produktion an Kohle, Koks und Stahl bestimmt die internationale Behörde, sie bestimmt auch die gesamte Verteilung. Wir dürfen dabei nicht vergessen, welche Beschränkungen uns der Industrieplan auferlegt, über dessen Abänderung jetzt wieder ohne Deutschland verhandelt wird. Die Fortsetzung des bisherigen Zustandes, daß die Verteilung von Kohle, Koks und Stahl der deutschen Zuständigkeit entzogen wird, stellt die bisherigen Erfolge der Wiederbelebung unserer Wirtschaft in Frage. Eine solche wirtschaftsmechanistische Kontrolle führt zu weiterer Komplizierung des wirtschaftlichen Ablaufs und ist besonders für die für den Bergbau unbedingt notwendige kontinuierliche Entwicklung unerträglich. Der Leistungswille des deutschen Bergmannes sowohl unter Tage vor Ort wie in den Leitungen der Betriebe wird durch diese Entwicklung einer sehr bedenklichen und gefährlichen Zerreißprobe unterzogen. Kohlengruben, die Eisen- und Stahlindustrie und die sekundären Industrien im Ruhrgebiet auszuüben. Die Industrie des Ruhrgebietes sollte zukünftiges als alliiertes Gemeingut gelten. Daher sollte ein von der Kontrolle der übrigen deutschen Industrie unabhängiges besondere Behörde mit folgenden Zielen errichtet werden: „1. Steigerung der Kohlenförderung und Verteilung der Ruhrkohle gemäß den Bedürfnissen der europäischen Staaten. 2. Die Zahlenangaben im künftigen deutschen Friedensvertrag sollen sich auf die Deutschland vorbehaltene Industrielle Produktion beschränken. Das Eigentum an den Bodenschätzen des Ruhrgebietes soll ausschließlich den mit ihrer Unterschrift auf dem künftigen Friedensvertrag vertretenen Vereinten Nationen zustehen: alliiertes Eigentum im Ruhrgebiet soll davon ausgenommen sein. Wenn die bisherigen deutschen Eigentümer Nationalsozialisten oder Kriegsverbrecher waren, sollen herangezogen werden. Die Leitung soll den besonders interessierten sie keine Entschädigung erhalten, vielmehr zum Schadenersatz herangezogen werden. Die Leitung soll den besonders interessierten Staaten unter den Vereinten Nationen übertragen werden. Die Betriebsgewinne sollen dagegen nicht den Vereinten Nationen zukommen, sondern den territorialen Behörden ausgehändigt werden. Für die Kohlengruben wird eine interalliierte Verwaltung vorgesehen. Sie hätte für die Produktion und die Betriebsleitung zu sorgen und die Verteilung vorzunehmen. Es soll ein Verwaltungsrat gebildet werden, in dem jedes direkt interessierte Land vertreten sein soll, und dem auch zwei Vertreter der lokalen Behörden angehören würden. Der Generaldirektor würde aus Staatsangehörigen der Vereinten Nationen ausgewählt, die Gruben würden in Grubendistrikte eingeteilt, mit einem alliierten Chef an der Spitze, unter dessen Aufsicht deutsche Direktoren in den einzelnen Gruben wirken würden. Für die Eisenindustrie ist eine ähnliche Organisation vorgesehen. Die deutsche Industrie hätte sich obligatorisch in Syndikate für die Produktion, die Forschung und Verteilung unter alliierter Kontrolle zu gruppieren. Das Statur für das Ruhrgebiet sollte dem Friedensvertrag einverleibt und von den Vereinten Nationen garantiert werden. Die Vereinten Nationen hätten einen Oberkommissar zu bezeichnen, der beim Grubenbetrieb mitzuwirken hätte. Er hätte alle Verwaltungsentscheide zu vidieren und würde das Vetorecht besitzen. Weiter würde ihm das Recht zugestehen, die im Ruhrgebiet oder seiner Umgebung stehenden alliierten Streitkräfte anzufordern.“ Archiv der Gegenwart 1947, S. 996.

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Die große Gefahr liegt vor allem darin, daß durch eine derartige Kontrolle die Sicherung des Absatzes und damit die Sicherung der Arbeitsplätze nicht nur an der Ruhr, nein, im ganzen deutschen Wirtschaftsraum nicht so erfolgen wird, wie es im deutschen Interesse notwendig ist. Wenn auch erklärt wird, daß die friedliche technische Entwicklung oder eine erhöhte Leistungsfähigkeit nicht behindert werden, daß weiter wirtschaftliche oder Konkurrenzinteressen irgendeines Landes nicht geschützt werden sollen, so sind das nur unzulängliche Sicherungen, um Deutschland bei allem Auf und Ab der wirtschaftlichen Entwicklung vor ernsten sozialpolitischen und wirtschaftlichen Krisen zu schützen und ihre Folgen von unseren schaffenden Menschen abzuwenden. Hier liegt eine der größten Gefahren, die diese Büchse der Pandora für die westeuropäischen Völker enthält, und wir haben nicht den Eindruck, daß die Väter des Statuts sich dieser Gefahren und ihrer Verantwortung gegenüber solchen Entwicklungen voll bewußt waren. Wir kennen die großen Sorgen um die Zukunft des Ruhrbergbaus in dem durch den Krieg so furchtbar zerstörten Land an Rhein und Ruhr. Zwei Kriege, Aufrüstung und dazwischenliegende Wirtschaftskrisen haben einen jahrelangen Raubbau veranlaßt. Die dagegen ergriffenen Maßnahmen, die neue Erschließung von Kohlenfeldern und der technische Fortschritt, durch den nicht abbauwürdige Flöze wirtschaftlich gewinnbar werden, sind nicht ausreichend gewesen. Der Ruhrbergbau bedarf einer weitgreifenden Erneuerung seiner Betriebsstätten. Im Bergbau darf nur tätig sein, wer nicht für sich, für die Gegenwart, sondern weitsichtig für die Zukunft arbeitet. Die Früchte der Arbeit im Bergbau ernten die Söhne, oft erst die Enkel. Das Ruhrstatut gibt uns aber keine Möglichkeit, die für die Zukunft notwendige Entwicklung im Bergbau so einzuleiten und durchzuführen, wie es richtig erscheint. Das ist eine große Gefahr für Europa. Abschließend erscheint es mir nochmals notwendig, den Gesamtvorgang dieses Übereinkommens über die internationale Kontrolle der Ruhr in unsere Zeit einzuordnen. Wir Deutschen und mit uns ebenso die anderen Völker Europas wollen eine friedliche Entwicklung, wollen die Zusammenarbeit der Völker auf wirtschaftlichem Gebiet, wollen den europäischen Zusammenschluß. Wir begrüßen und unterstützen alle Maßnahmen, die dazu dienen, die den Menschen gegebenen Erkenntnisse und die ihnen geschenkten Schätze der Natur für diese friedliche Entwicklung, für die Wohlfahrt der Menschen, insbesondere für die Hebung des Lebensstandards der schaffenden Menschen einzusetzen, und alle Maßnahmen, die verhindern, daß diese Kräfte zur Vorbereitung neuer Katastrophen und zum Untergang von Millionen von Menschen verwendet werden. Wir begrüßen deshalb die Worte, mit denen der französische Außenminister Schuman33) seine außenpolitische Rede Anfang Dezember 1948 in der französischen Kammer schloß, als er sagte: Europa, der Friede, die Sicherheit werden in einem einzigen Wurf verwirklicht werden müssen, wenn sie überhaupt verwirklicht werden sollen. Deutschland muß sich in dieses Gebäude einfügen, zuerst wirtschaftlich, dann politisch. Die Ruhr wird ein unentbehrlicher Beitrag für die europäische Lösung der Probleme des Friedens und der deutschen Frage sein. 33)

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Zu Schuman vgl. oben Dok. Nr. 25, S. 742, Anm. 9.

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Wenn ich diese Worte höre, erinnere ich mich an den Kongreß, der im Mai vorigen Jahres im Haag stattfand. Im Haag waren fast tausend Delegierte europäischer Völker versammelt, um sich zu Europa zu bekennen34). In den uns in den Kommissionen vorgelegten Entschließungen waren auch Vorschläge enthalten, die sich mit der Regelung der Ruhrfrage beschäftigten. Sie waren so gefaßt, daß sie für uns Deutsche unannehmbar waren. Wir haben diesen Standpunkt dort mit Nachdruck vertreten. Die Ausführungen unseres Sprechers, Rudolf Petersen35), haben einen tiefen Eindruck hinterlassen. Gerade aus den Kreisen der jungen Franzosen, Holländer, Belgier und Schweizer kam uns Verständnis entgegen. Sie ergriffen die Initiative und schlugen mit uns vor, die für den Frieden notwendige Überwachung aller großen Industriegebiete Europas, die in der Vergangenheit in allen Ländern Zentren der Rüstung gewesen waren, in allen europäischen Ländern gemeinsam vorzunehmen. Nicht nur das Ruhrgebiet, sondern alle europäischen Industriegebiete sollten der gemeinsamen Überwachung durch die Völker Europas unterstellt und so der europäische Friede gesichert werden. Diesem Vorschlag hat die Vollversammlung des Kongresses zugestimmt. Das war die gemeinsame Bekundung des europäischen guten Willens der Völker. Davon ist das Ruhrstatut leider noch sehr weit entfernt. Aber wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. So begrüßen wir insbesondere die Erklärung des französischen Deputierten André Philip36), der Anfang Dezember 1948 in der französischen Kammer erklärte: Wir wollen aus der Ruhr eine europäische Gemeinschaftseinrichtung machen, die den öffentlichen Bedürfnissen aller europäischen Völker dient. Wir sind 34)

In Den Haag wurde unter der Ehrenpräsidentschaft von Winston Churchill am 7. Mai 1948 der „Kongreß von Europa“ statt, der einberufen wurde von: „United Europe Movement“ (von Winston Churchill gegründet), „Ligue Indépendante de Coopération Européenne“, „Conseil Français pour l’Europe Unie“ und „Union Européenne des Fédéralistes“. An der Konferenz nahmen etwa 750 Delegierte aus über 30 Ländern darunter die 17 Teilnehmerstaaten des ERP, ferner Exil-Spanien, die Vereinigten Staaten, die britischen Dominien sowie Emigranten aus Osteuropa und ein Vertreter des Heiligen Stuhls teil. Am 10. Mai 1948 wurde der Kongreß mit der Annahme von drei Resolutionen und einer feierlichen Erklärung abgeschlossen. In den Resolutionen wurde u.a. gefordert, dass die Völker Europas die „dringende Pflicht“ hätten, eine wirtschaftliche und politische Union zu schaffen und dazu ggf. auf Souveränitätsrechte verzichten müssten. Die Union müsse auch das deutsche Problem lösen. Der Kongreß forderte schließlich ein geeintes Europa, das in seiner ganzen Ausdehnung den freien Verkehr der Menschen, Ideen und Güter gewährleistet, eine Charta der Menschenrechte, einen Gerichtshof, der Sanktionen ergreift, um die Respektierung der Charta zu sichern, und ein europäisches Parlament, in dem die lebenden Kräfte aller Nationen zu Worte kommen. Vgl. Archiv der Gegenwart 1948/49, S. 1489 f. und 1492 f. 35) Rudolf H. Petersen (1878–1962), Vorsitzender des Hamburger Exportverein und des Verbandes für Groß- und Überseehandel sowie bis 1933 Vorsitzender des Verbandes deutscher Exporteure, 1945–1946 Erster Bürgermeister von Hamburg (von der britischen MilReg. ernannt), Mitglied des Zonenbeirates. 36) André Philip (1902–1970), Vertrauter von Charles de Gaulle, in der französische Exilregierung, am Plan für ein Konzept der westeuropäischen Integration mit Jean Monnet und René Mayer beteiligt, auf dessen Grundlage wurde die Montanunion und die Europäische Gemeinschaft für Kohle- und Stahl (EGKS) gegründet, 1945–1951 Mitglied der französischen Nationalversammlung. 1946–1947 Wirtschafts- bzw. Finanzminister.

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im übrigen bereit, die Ruhrkommission mit den gleichen Befugnissen in jedem beliebigen westeuropäischen Land anzunehmen. Nur wenn das Ruhrstatut der Anfang dazu ist, die wirtschaftspolitische Zusammenarbeit der Völker Europas, die gemeinsame Ausnutzung der Bodenschätze ihrer Länder zu friedlichen Zwecken und die gegenseitige Unterstützung in der Erhaltung des Friedens zu erreichen, dann allein wird es der europäischen Verantwortung und Aufgabe gerecht, die seine Unterzeichner zu tragen haben. Dieses Ziel wird nur erreicht werden, wenn die Gleichberechtigung aller Völker Europas bei diesen Aufgaben im Rahmen einer europäischen Föderation gesichert ist. Sie bedarf dazu des Vertrauens der europäischen Völker zueinander und zu sich selbst. Das deutsche Volk ist bereit. Die anderen Völker dürfen ihm ihr Vertrauen nicht vorenthalten, sonst kann unser Kontinent nicht befriedet werden. Das Ruhrstatut ist dieser von uns erwartete Vertrauensbeweis nicht. Daher ist es für alle Menschen, die einem geeinten Europa zustreben, eine schwere Enttäuschung. Die Unterzeichner des Statuts tragen die Verantwortung, die Aufgabe zu lösen, durch die Art, wie sie das Statut anwenden und im Laufe der Zeit abbauen, Mißtrauen in Vertrauen zu verwandeln [S. 383] und so den entscheidenden Beitrag zu leisten, um Europa vor dem Sturz in den Abgrund zu bewahren. (Bravo!)

[1.5. STELLUNGNAHME DER ZENTRUMSFRAKTION ZUM RUHRSTATUT]

Frau Wessel (Z): Meine Damen und Herren! Die grundsätzliche Haltung zum Ruhrstatut ist bereits in ausführlicher Weise von meinen Vorrednern dargelegt worden. Ich kann mich deshalb auf einige wenige Ausführungen im Namen der Zentrumsfraktion beschränken37). Es wird entscheidend darauf ankommen, wie die im Ruhrstatut vorgesehene Kontrolle ausgeübt wird. Darum müßte es das Bestreben der Deutschen sein, an dieser Kontrolle so schnell als möglich teilzunehmen. Hierzu kann die Arbeit des Parlamentarischen Rates wesentlich beitragen, indem wir dafür sorgen, daß das Grundgesetz möglichst schnell zustande kommt und wir in die Lage versetzt werden, eine deutsche Bundesregierung zu wählen, die diese Funktion ausüben kann. Ich glaube, es hat keinen Sinn, das Ruhrstatut nur zu kritisieren, ohne die Möglichkeit zu ergreifen, die uns Deutschen zu einer konstruktiven Mitarbeit immerhin geboten worden ist. Nach der öffentlichen Weltmeinung soll das Ruhrstatut ein Instrument des Wiederaufbaus und der Einigung Europas sein. Es fällt den Deutschen schwer, besonders uns, die wir an der Ruhr wohnen und sie als unsere Heimat betrachten, die wir auch bei den schwersten Angriffen und im Bombenhagel unsere Heimat nicht verlassen haben, sie heute nicht mehr als eine deutsche, sondern als eine internationale Angelegenheit zu sehen. Wir können es nur tun, indem wir den von meinen

37)

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Vgl. zum Folgenden die Erklärung der Zentrumsfraktion zum Ruhrstatut, vervielfältigt als Drucks. Nr. 476.

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Vorrednern schon dargelegten großen Gedanken der europäischen Föderation sehen. So betrachten wir das Ruhrgebiet wirklich nur als ein Instrument der Einigung Europas, das nicht dazu dienen darf, das deutsche Volk dauernd zu entrechten. Darum sind wir der Überzeugung, daß das Ruhrstatut zeitlich auf eine Reihe von Jahren begrenzt werden muß, in deren Verlauf alle Wirtschaftszentren in Europa derselben europäischen Auswertung unterstellt werden müssen. Erfolgt diese Ausdehnung der jetzt nur für das Ruhrgebiet geschaffenen internationalen Autorität in den wenigen Jahren, die unserer Überzeugung nach der europäischen Einigung noch zur Verfügung stehen, nicht, dann muß auch das Ruhrstatut hinfällig werden. Wenn jetzt von Deutschland eine Vorleistung auf Europas Zusammenschluß gefordert wird, muß uns auch die Garantie gegeben werden, daß es sich tatsächlich nur um eine Vorleistung handelt; denn nur mit dieser Garantie kann das Ruhrstatut von den Deutschen mit innerer Zustimmung betrachtet und durchgeführt werden. So erwarten wir vor allem auch nach den Erklärungen des Generals Robertson38), daß das Jahr 1949 uns Deutschen die Möglichkeit geben wird, nach Bildung einer deutschen Regierung entscheidender als bisher an den Angelegenheiten unseres Landes teilzunehmen, und daß wir, um es mit den Worten des Generals zu sagen, „eine Partnerschaft mit den demokratischen Ländern Europas eingehen, die eines Tages zur gleichberechtigten Teilnehmerschaft an einem gemeinsamen Unternehmen entwickelt wird“39). Nur in diesem Sinne und von einem solchen Geiste geprägt wird es überhaupt möglich sein, das Ruhrstatut als einen Fortschritt in den Beziehungen der Völker zu sehen. Sonst müssen wir befürchten, daß die Demokratie – auch das ist von meinen Vorrednern ausführlich dargelegt worden – in Deutschland durch das Ruhrstatut nicht einen weiteren Fortschritt nimmt, sondern daß die demokratischen Anfänge, die wir in den vergangenen drei Jahren in unserem Volk aufgerichtet haben, durch eine solche Entwicklung wieder zuschanden gemacht werden. Darum hat nicht nur das deutsche Volk, sondern haben alle, die mit heißem Herzen Europa wollen und den europäischen Zusammenschluß ersehnen, das gemeinsame Interesse daran, dieses Europa, diese europäische Föderation so schnell wie möglich zustande zu bringen, damit auch das deutsche Volk in dieser Föderation den ihm gebührenden Platz einnehmen kann. (Bravo!)

[1.6. STELLUNGNAHME DER KPD-FRAKTION ZUM RUHRSTATUT]

Renner (KPD): Meine Damen und Herren! Wir Kommunisten waren es, die durch die Einbringung unserer Entschließung zum Ruhrstatut überhaupt diese Aussprache möglich gemacht haben. Wir haben sie erzwungen, das stelle ich wahrheitsgemäß fest. Aber wir haben darüber hinaus verlangt, daß diese Materie in einer Voll38) 39)

Zum brit. MilGouv. Robertson vgl. oben Dok. Nr. 6, S. 169, Anm. 5. Möglicherweise Äußerungen des britischen MilGouv. Robertson in einem Interview vom 22. Dez. 1948. Für Auszüge vgl. Archiv der Gegenwart 1948/49, S. 1745.

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versammlung des Parlamentarischen Rates behandelt wird. Wir erblicken in der Tatsache, daß sich nur der Hauptausschuß damit befaßt, eine gewollte Verkleinerung der tragischen Schwere und einen Widerspruch gegen die Bedeutung des Ruhrstatuts für unser gesamtes deutsches Volk, dieses Ruhrstatuts, das am Tage seiner Veröffentlichung das CDU-Organ „Kölnische Rundschau“ in fetter Schlagzeile als „Kolonialstatut für die Ruhr“ angekündigt hat. Man muß hören, was die Menschen im Ruhrgebiet, insbesondere die Ruhrkumpels, zum Ruhrstatut sagen, und muß das in dieser Stunde deutlich aussprechen, damit es in das Ohr der Werktätigen in der ganzen Welt dringt. In der von uns eingebrachten Entschließung ist gesagt, was allein der deutsche Standpunkt zum Ruhrstatut sein kann. Ich beantrage auch an dieser Stelle, daß der Parlamentarische Rat diese unsere Resolution annimmt und endlich einmal darauf verzichtet, nur das Echo fremder Wünsche und Einflüsterungen zu sein. In Ihrem Verfassungsentwurf steht, die Abgeordneten seien an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Wenn Sie bisher sich zwar nicht gescheut haben, Weisungen und Aufträge für Ihre Entscheidungen von den Besatzungsmächten entgegenzunehmen und sie zu befolgen, jetzt ist meines Erachtens die Stunde gekommen, in der Sie sich aufraffen müssen zu einer befreienden Tat, zu einer klaren Ablehnung des Ruhrstatuts und zu einer klaren Ablehnung der Mitarbeit an seiner Durchführung. Spielen Sie bitte nicht die Überraschten, spielen Sie nicht die Getäuschten und Enttäuschten. Was das Ruhrstatut beinhaltet, das kennen wir, wenn wir es kennen wollen, seit dem Sommer des vergangenen Jahres. Das Ruhrstatut ist Inhalt der Londoner Empfehlungen, besonders des Schlußkommuniqués zu diesen Empfehlungen. Diese Londoner Empfehlungen enthalten daneben die Währungsreform, sie enthalten die Spaltung Deutschlands, den Auftrag der Bildung einer Regierung für diesen separaten deutschen Weststaat und sie enthalten schließlich und endlich auch den Befehl, demzufolge Sie hier sitzen und eine Verfassung für diesen separaten westdeutschen Staat ausarbeiten. (Zuruf von der SPD: Ich würde an Ihrer Stelle nach Hause gehen!) – Ich habe schon einmal gesagt, welche Interessen ich dadurch verfolge, daß ich hier bin. – Ich berufe mich auf keinen geringeren als auf den sehr hochgeschätzten Präsidenten dieses Hohen Hauses, den Herrn Abgeordneten Dr. Konrad Adenauer. Ich habe vor einigen Wochen bereits einmal Gelegenheit genommen, aus dem Stenogramm seiner Erklärung zu den Londoner Empfehlungen, die er im Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen abgegeben hat, wörtlich zu zitieren. Wissen Sie, Herr Dr. Konrad Adenauer, das war die herrliche Rede, die mich damals veranlaßt hat, Ihnen zuzurufen: „Das ist eine der denkbar besten Erklärungen gegen den Marshallplan, die ich jemals gehört habe.“ Das war die herrliche Rede, in der Sie einmal in einem, ich weiß heute noch nicht wie zu erklärenden Augenblick von absoluter geistiger Klarheit (große Heiterkeit) oder aus irgendeinem andern Grund, vielleicht aus der Erwägung, daß Sie als Vertreter des deutschen Monopolkapitals im Augenblick gute Miene zu einem bösen Spiel machen müssen – das traue ich Ihnen nämlich zu, daß Sie auf Ihre Stunde warten und deshalb diese Mimik hier mitmachen –, gesagt haben, was Sie in einer späteren öffentlichen Kundgebung in die Formulierung zusammengefaßt haben:

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Diese Londoner Empfehlungen sind ein noch üblerer Blumenstrauß als das Versailler Diktat40). Haben Sie das gesagt oder nicht? (Dr. Adenauer [CDU]: Ja, ja!) [S. 384] – Das haben Sie getan. Welch eine Wendung durch Gottes oder Wallstreets Fügung, erlaube ich mir zu sagen, wenn ich Ihre damalige Fanfare mit der heutigen Schamade Ihres Parteigenossen Dr. Strauß vergleiche. Herr Dr. Strauß hat einigen Wünschen Ausdruck gegeben. Er meinte: Hoffentlich wird das, was im Ruhrstatut steht, nicht so wörtlich exerziert, hoffentlich entstehen zwischen den Worten, zwischen Geist und Tat gewisse Widersprüche, die uns Hoffnung geben, daß das doch nicht so hart durchgeführt werden wird. Er sprach von dem Geist und bezeichnete das Ruhrstatut als hoffentlich nur einen Übergangszustand. Dabei erinnere ich mich des Wortes, das der berühmte Fuchs – ich meine den richtigen Fuchs41) – sich tröstend zurief, als man ihm das Fell über die Ohren zog: Ach, das ist ja nur ein Übergang! (Heiterkeit.) Dieser „Übergang“, der uns im Ruhrstatut beschert wird, bedeutet nackt und nüchtern gesagt, daß man dem deutschen werktätigen Mann das Fell über die Ohren zieht. Und der Geist, der diese Ruhrbehörde beseelen wird, ist der Geist der Wallstreet, das ist der Geist unserer deutschen Monopolkapitalisten, Kriegshetzer, Kriegsaufrüster und Kriegsgewinnler, die – im Gegensatz zu der Auffassung des Herrn Dr. Strauß – mit Hitler zusammen gegen das deutsche Volk und gegen die Völker der Welt ihren Krieg gemacht haben. Wir haben in unserer Resolution, die wir Ihnen zur Annahme vorlegen, gesagt42): Das Ruhrstatut vollzieht die wirtschaftliche Annexion des Ruhrgebietes, des Herzens der deutschen Wirtschaft. Zugleich bedeutet das Ruhrstatut einen weiteren Schritt auf dem Wege zur Zerreißung der Einheit Deutschlands und verletzt aufs neue das Potsdamer Abkommen43), das uns die wirtschaftliche und politische Einheit zusichert. Die Unterstellung des wirtschaftlichen Potentials des Ruhrgebietes unter die vorgesehene internationale Körperschaft nimmt dem deutschen Volke die Möglichkeit, eine Friedenswirtschaft aufzubauen. Die Mächte, die auf Grund des Ruhrstatuts nach ihren Interessen über die deutsche Wirtschaft verfügen, bestimmen damit auch die Lebenshaltung des deutschen Volkes in den westlichen Zonen und seinen Anteil am Sozialprodukt. Der Ausverkauf der wertvollsten Güter der deutschen Wirtschaft unterwirft das deutsche Volk einer doppelten Ausbeutung, der durch die eigenen und der durch die westlichen Konzernherren.

40)

Zur Rede von Adenauer im Nordrhein-Westfälischen Landtags am 14. Juli 1948 vgl. oben Dok. Nr. 26, S. 773, Anm. 24. 41) Renner wollte mit dem Hinweis auf die Fabelgestalt „Reineke Fuchs“ eine Verwechslung mit dem Direktor beim Rechnungshof in Hamburg, Dr. Arthur Fuchs ausschließen, dessen Anhörung im Parlamentarischen Rat vorgesehen war. Zu Fuchs vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 36, S. 889, Anm. 1. 42) Die Erklärung der KPD-Fraktion zum Ruhrstatut wurde als Drucks. Nr. 469 vervielfältigt. 43) Zum Potsdamer Abkommen vgl. oben Dok. Nr. 30, S. 889, Anm. 20.

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Die in dem Ruhrstatut als maßgebliches Ziel angegebene Entmilitarisierung und Demokratisierung der deutschen Wirtschaft wird durch dieses Statut nicht erreicht, weil die bisherigen deutschen Eigentümer von Kohle und Eisen nicht entmachtet werden. Nur die Überführung der Brennstoffindustrie an Rhein und Ruhr in die Hände des Volkes und ihr Einbau in die gesamtdeutsche Wirtschaft sichern Demokratisierung und Frieden. Der Parlamentarische Rat lehnt aus diesen Gründen das Ruhrstatut ab und verweigert jegliche Mitarbeit an seiner Durchführung. Es ist notwendig, eine Begründung beizufügen, damit deutlich wird, worum es geht, welchem Schicksal wir entgegengehen, und damit auch erkannt wird, in welchem Ausmaß der von Ihnen entworfene Verfassungsentwurf der Zielsetzung des Ruhrstatuts bereits entspricht und warum deshalb dieser Ihr Verfassungsentwurf verworfen werden muß. Deutschland hat nicht aufgehört, als Staat weiterzubestehen, und das deutsche Volk hat ein unbestreitbares Recht, sich eine neue Verfassung auszuarbeiten. Aber mit Dr. Carlo Schmid, dem Sozialdemokraten, schlußfolgere ich, daß dieses Recht des deutschen Volkes nur dann Recht wird, wenn es vom gesamten deutschen Volk angewendet wird. Sie sind nicht das deutsche Volk, nicht einmal das Volk Westdeutschlands. Eine Verfassung sich zu geben, ohne aus der Tatsache des Fortbestandes Deutschlands als Staates das Recht unseres Volkes auf diese Verfassung und damit auf das Weiterbestehen Deutschlands herzuleiten, ist untragbar. Dieses Recht ist aber nur dann gesichert, wenn das gesamte Volk sich dieses Recht erwirbt und geltend macht. Das Ruhrstatut und Ihr Verfassungsentwurf haben gemeinsam, daß die Grundrechte des schaffenden Volkes darin völlig übergangen werden, daß auf den schaffenden Menschen, auf den es doch auch nach Ihrer Diktion allein ankommt und der allein unser Volk aus der Not führen und den Frieden sichern kann, überhaupt nicht Bezug genommen wird. In bezug auf die Verfassung hat meine Fraktion immer wieder die Aufnahme der sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte gefordert. Wir haben Anträge eingebracht, in denen die Grundbedingungen für die Demokratisierung und Entmilitarisierung, nämlich die Entmachtung der Monopolkapitalisten, eingehend formuliert sind. Wir haben die Bemühungen des Gewerkschaftsrates der Bizone44), diese Grundrechte in der Verfassung zu verankern, nachdrücklich unterstützt. Es ist die SPD gewesen – von der CDU/CSU braucht man in diesem Zusammenhang gar nicht zu sprechen –, die die Aktionen der Gewerkschaften zweimal abgeblasen hat. Der Verfassungsentwurf ist in diesem Punkte – und es wird sich herausstellen, nicht nur in diesem – auf das Besatzungsstatut und seinen Vorläufer, das Ruhrstatut, direkt abgestimmt. Ihr Verfassungsentwurf darf der eigentlichen Verfassung, dem Besatzungsstatut, nicht im Wege stehen. Warum beugen Sie sich, warum verzichten Sie auf die sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte? Fürchten Sie, daß die Besatzungsmächte dann Ihre Verfassung ablehnen? Lassen Sie es doch einmal darauf ankommen! Die gesamte Arbeiterschaft das schaffende deutsche Volk würde Ihnen dafür danken.

44)

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Für die Eingabe des Gewerkschaftsrates der vereinten Zonen vom Okt. 1948 vgl. oben Dok. Nr. 18, S. 541 mit Anm. 28, sowie Dok. Nr. 27, S. 794 mit Anm. 25.

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In bezug auf das Ruhrstatut hat auch der Zweizonen-Vorsitzende der Gewerkschaften, Dr. Hans Böckler45), jede Bezugnahme auf die schaffenden Menschen an Rhein und Ruhr vermißt, und ein Mann aus den Reihen der CDU, der Herr Ministerpräsident Karl Arnold46), ist es gewesen, der in einem Aufsatz verlangt, man solle sich daran erinnern, daß nicht die neugeschaffene Ruhrbehörde und nicht die drei deutschen Statisten, die in ihr figurieren sollen, die Kohle fördern und das Eisen verhütten, sondern daß es die Menschen sind, von der Werksleitung bis zum jüngsten Arbeiter herunter, von denen allein alles abhängt. Wollte Herr Arnold nur schöne Worte machen? Auch nur schöne Worte sind meines Erachtens sein Vorschlag, diese Ruhrindustrie in eine gesamteuropäische Gesellschaft einzugliedern. Begreifen Sie jetzt, wie verhängnisvoll diese Übereinstimmung Ihres Verfassungsentwurfs, auf die ich gestern an dieser Stelle schon hingewiesen habe, mit dem Ruhrstatut ist? Wenn Sie es nicht begreifen oder nicht zugeben wollen, das werktätige Volk in den Zechen und Hütten an der Ruhr hat es schon begriffen. Man muß auch den Zusammenhang zwischen dem Ruhrstatut und dem Militärregierungsgesetz Nr. 75 sehen. Die Vorgänge im Lande Hessen haben auch dem Begriffsstutzigsten wohl klar gemacht, wohin die Reise geht. Das Land Hessen hat im Art. 41 seiner Verfassung die Überführung der Grundindustrien in Gemeineigentum bestimmt47). Eine überwältigende Mehrheit des hessischen Volkes hat in gesonderter Abstimmung diesen Art. 41 beschlossen und damit seinen Willen unzweideutig bekundet. Ein erstes Ausführungsgesetz zum Art. 41 hat die betroffenen Betriebe unter Treuhänderschaft gestellt. Sie sind damit in Gemeineigentum übergeführt. Lediglich die Rechtsform der Betriebsführung ist in Hessen noch offengeblieben. Jetzt hat die amerikanische Militärregierung auf Grund des Gesetzes Nr. 75 befohlen, daß diese Treuhänderschaft aufzuheben und die Kohlen- und Eisenbetriebe ihren früheren Besitzern zurückzugeben sind. Anschließend sollen sie als reprivatisierte kapitalistische Betriebe in die Treuhänderschaft nach Gesetz Nr. 75 genommen werde. Allerdings hat der Ministerpräsident des Landes Hessen einstweilen erklärt, daß ihn sein Eid auf die Verfassung daran hindere, diesen Befehl auszuführen. Hoffen wir, daß ihm niemand einen Ausweg aus dieser Gewissensnot zeigen wird, der hessische Staatsgerichtshof müßte sonst seine erste Belastungsprobe bestehen und den Mann verurteilen, [S. 385] der den Ausweg entdeckt. Welchen Sinn soll man darin finden, frage ich, daß diese hessischen Betriebe nicht als treuhänderisch verwaltetes Gemeineigentum von dem Gesetz Nr. 75 direkt erfaßt werden können? Doch nur den einen Sinn, daß die Sozialisierungsvorschrift der hessischen Verfassung rechtsunwirksam gemacht und gebrochen werden soll. 45)

Hans Böckler (1875–1951), 1924–1926 Stadtverordneter in Köln (SPD), 1928–1933 Mitglied des Reichstags, Kontakte zum Widerstandskreis um Wilhelm Leuschner, 1945 Wiederaufbau der Gewerkschaften in der Britischen Zone, 1947 Vorsitzender des Gewerkschaftsbund in der britischen Besatzungszone, 1949 Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Vgl. Hans Böckler: Ein Leben für die Gewerkschaft. Köln 1950. 46) Zu MinPräs. Arnold vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 3, Anm. 3. 47) Für den Wortlaut des Art. 41 der Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dez. 1946 vgl. Wegener: Verfassungen, S. 151 f.

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Das Gesetz Nr. 75 bringt alle Kohlenzechen in eine große Aktiengesellschaft ein, die Eisen- und Stahlbetriebe ebenso, um aus diesen beiden großen Töpfen die Neufassung der Betriebe nach den Dekartellierungsvorschriften vornehmen zu können. Das Gesetz Nr. 75 läßt die Frage offen, in wessen Eigentum die dekartellierten Betriebe später, irgendwann einmal, übergehen sollen. Die amerikanische Militärregierung hat – darüber sind wir uns doch alle einig – zusammen mit General Clay48) nie einen Zweifel darüber aufkommen lassen, daß sie keine Freunde der Sozialisierung sind. Sozialisierung widerstrebt nach klaren Auslassungen des Herrn General Clay seinen Wirtschaftsauffassungen. Das Ruhrstatut läßt diese Frage nach der Sozialisierung auch offen. Darin hat Herr Dr. Strauß und auch der sozialdemokratische Sprecher recht. Aber die einzelnen Bestimmungen des Ruhrstatuts verbauen die Möglichkeit einer späteren Sozialisierung weitgehend. Der Parlamentarische Rat hätte die Möglichkeit, die Sozialisierung der Grundstoffindustrien in der Verfassung vorzuschreiben. Lehnen dann die Militärregierungen diese Vorschrift ab, dann hat das Volk seinerseits die Möglichkeit, die Verfassung abzulehnen. Fehlt aber diese Sozialisierungsvorschrift, wie Sie es ja wollen, dann bleibt es völlig in der Initiative der Militärregierung, ob und wann sie die Zustimmung geben will, daß das künftige Bundesparlament von seinem gesetzgeberischen Vorrang Gebrauch machen darf, die Eigentumsverhältnisse aller Grundstoffindustrien zu regeln. Das besonders an die Adresse des Herrn Dr. Strauß von der CDU. Beschließt das Parlament die Sozialisierung, dann genügt das im Besatzungsstatut vorgesehene totale Vetorecht der Militärregierung zu jedem Beschluß eines deutschen Parlaments, zu jeder Handlung irgendeiner westdeutschen Regierung, um die Sozialisierung endgültig zu verhindern. Dieses Veto ist in diesem Falle so sicher wie das Amen in der Kirche. Das Volk hat dann keine Möglichkeit, seinen Willen zur Sozialisierung zu bekunden, wie es jetzt eventuell bei einer Volksabstimmung über die Verfassung möglich sein würde, falls Sie diese Volksabstimmung beschließen, was ja auch noch nicht absolut klar ist. Der Verfassungsentwurf des Parlamentarischen Rates in Bonn, geschaffen von der absoluten Mehrheit dieses Parlamentarischen Rates, ist also nichts anderes als eine Ausführungs- oder Durchführungsverordnung zum Besatzungsstatut und zum Ruhrstatut. Er schafft darüber hinaus die Voraussetzung zur Ausschaltung des Volkswillens und zur Volksbefragung über die sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte. Das Gesetz Nr. 75 und das Ruhrstatut belassen die deutschen Monopolherren in ihren Machtstellungen. Die alten Wehrwirtschaftsführer und deren Helfershelfer dürfen über ihr Eigentum an Kohle und Stahl als Treuhänder weiter schalten. Sie bleiben an der Macht, jetzt und bis zu jenem Zeitpunkt, an dem die vollen Eigentumsrechte wieder an sie übergehen werden. Das ist der Weg, den die Entwicklung bei uns in Westdeutschland nehmen wird, es sei denn, daß die Kumpels an der Ruhr das Problem der Sozialisierung aus der Zeche heraus lösen. Hoffen wir, daß sie den Weg gehen werden. Geht es nach Ihren Plänen, dann wird jede Hoffnung auf eine Demokratisierung und Entmilitarisierung der Großindustrie illusorisch. Das sagen wir Kommunisten 48)

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Über den US-amerikanischen MilGouv. Gen. Clay vgl. oben Dok. Nr. 3, S. 76, Anm. 21.

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der Weltöffentlichkeit, damit sie unseren Protest gegen das Ruhrstatut nicht mit dem Geschrei des in allen Gassen sich formierenden Neo-Faschismus verwechselt. Das Ruhrstatut gibt keine Handhabe gegen das Wiederaufkommen des Nationalsozialismus. Es beseitigt nicht Macht und Einfluß der Aggressoren von gestern. Es schafft keine Sicherheit für jene Völker, die Hitlers Angriffskrieg zum Opfer fielen, im Gegenteil, es erhält die Kriegstreiber in ihrer Macht und gibt ihnen eine neue Chance, von der sie und viele ausländische Monopolkapitalisten mit ihnen hoffen, daß sie eines nicht fernen Tages gegen Sowjetrußland ausgenutzt werden könnte. Es gibt nur eine Gruppe, nur eine Macht in Deutschland, die wirklich Demokratie, Frieden, Sicherheit und einen Wiederaufbau Europas verbürgen kann, das ist die deutsche Arbeiterklasse. Das ist einer der Gründe, weshalb die Werktätigen das Mitbestimmungsrecht in den kapitalistischen Betrieben verlangen, nicht nur in den sozialen Angelegenheiten, sondern bei allen wirtschaftlichen Entscheidungen. Wie steht es damit? Die hessische Verfassung schreibt in ihrem Art. 36 das wirtschaftliche Mitbestimmungsrecht vor49). Das vom Landtag beschlossene Betriebsrätegesetz gibt die Ausführungsbestimmungen dazu. Die Militärregierung hat alle Bestimmungen über das wirtschaftliche Mitbestimmungsrecht suspendiert. Das gleiche geschah mit den einschlägigen Bestimmungen der Bremer Verfassung. Das sei Sache des künftigen Bundes, wurde uns gesagt. Hier hat der Sprecher der CDU anscheinend seiner eigenen Hoffnung Ausdruck gegeben, indem er davon sprach, daß der Bund diese Lösung finden müsse. Nun, wenn der Bund Abklatsch des Geistes dieses Parlamentarischen Rates ist und damit muß man rechnen –, wenn also im Bund die CDU/CSU-Majorität so wie hier gegeben ist – und Herr Adenauer ist ja dessen sicher, er weiß es ja, Bundespräsident, Bundeskanzler usw., diese Dinge sind ja alle schon von ihm geregelt – (Dr. Adenauer [CDU]: Fertig!) – Ich weiß, sie sind fertig. Ich weiß allerdings nicht, ob Sie auf denselben jungen Mann zurückgreifen, den Sie damals als Leiter des Wirtschaftsrates nach Frankfurt geschickt haben. (Dr. Adenauer [CDU]: Na, dann einen anderen!) – Da gibt es noch einen besseren, unter uns gesagt50). Aber so stehen die Dinge. Dem deutschen Arbeiter, der von der kommenden Bundesregierung und von dem kommenden Frankfurter oder Bonner Bundesparlament etwa eine Sozialisierung der Grundstoffindustrien erwartet, dem ist einfach nicht mehr zu helfen. Die Auguren lächeln. Herr Dr. Adenauer, ich erinnere Sie an Ihr Interview, das Sie seinerzeit, nachdem wir im Landtag von Nordrhein-Westfalen die „Sozialisierung“ des Bergbaus beschlossen hatten, dem „Abend“ gegeben haben. Was sagten Sie damals in der Ihnen eigenen Klugheit? Sie sagten: Das ist doch kein Zustand, daß in einem Lande Voraussetzungen zur Lösung eines Problems auf Grund einer Zufallsmehrheit in diesem Lande geschaffen werden, sol49)

Art. 36 der Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dez. 1946: „Die Freiheit, sich in Gewerkschaften oder Unternehmervertretungen zu vereinigen, um die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gestalten und zu verbessern, ist für alle gewährleistet. [.. .]“. Wegener: Verfassungen, S. 150. 50) Statt „Da gibt es noch einen besseren, unter uns gesagt.“ im stenograph. Wortprot., S. 13: „Finden Sie einen Besseren, unter uns gesagt.“

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che Dinge können doch nur auf höherer Ebene, also in einem gesamten Bund, gelöst werden. Daß dieser Bund ein reaktionärer ist, dafür sorgen Sie dann, Herr Dr. Konrad Adenauer. Daß die „Sozialisierung“ dann so aussieht, daß sie Ihre kapitalistischen Auftraggeber wieder in die Machtpositionen hineinbringt, dafür sorgt neben Ihnen unter anderem auch der Herr Kardinal Dr. Frings, der ja Ihr Parteigenosse geworden ist51). (Dr. Adenauer [CDU]: Herr Renner, das glauben Sie alles selbst nicht, was Sie sagen!) – Das glaube ich alles, was ich sage, weil ich Sie seit Jahrzehnten so gut kenne, wie ich mich kenne, und weil ich genau weiß, was ich von Ihnen erwarten darf. Sie sind der vollbewußte Großbürger, Sie machen keine Mimik, wo Sie das nicht notwendig haben. Sie gehen Ihren geraden Weg, und Sie wissen, daß Ihr gerader Weg für Sie gangbar ist, weil hinter Ihnen neben der gesamten deutschen Reaktion als Schutzwall das Ausland, das Monopolkapital und die ausländischen Militärmächte stehen. (Dr. Adenauer [CDU]: Wer steht denn hinter Ihnen?) – Hinter mir steht die deutsche Arbeiterklasse. (Große Heiterkeit.) Herr Dr. Adenauer, was hinter mir steht, davon sind Sie innerlich so klar überzeugt, daß ich mich eigentlich [S. 386] über diese, verzeihen Sie, unkluge Zwischenfrage etwas wundere. Sie kennen mich, wie ich Sie kenne, Herr Dr. Adenauer. Sie wissen, woher ich meinen Titel habe, um hier aufzutreten. Sie kennen mich und Sie sollten sich solche Zwischenrufe ersparen, Herr Dr. Adenauer, sonst muß ich die Hochachtung, die ich Ihnen, dem Großkapitalisten und Vollbürger, zolle, doch noch einmal einer Revision unterziehen. (Heiterkeit.) Das macht Ihren Wert aus. Sie haben nicht nötig zu schwanken. Sie gehen Ihren Weg, weil Sie gerade genug und stark genug sind – dank der Geldschränke der Wallstreet –, den Weg zu gehen. Sie brauchen keine Kompromisse. Sie sind Dr. Konrad Adenauer, die deutsche und internationale Reaktion, und das genügt Ihnen. (Erneute Heiterkeit.) Warum, so frage ich, wird dieses Mitbestimmungsrecht in allen Betriebsangelegenheiten nicht in Ihrem Verfassungsentwurf verankert als eine gewisse Garantie zur Verhinderung jeder Art von Kriegsvorbereitungen in der deutschen Großindustrie? Warum bieten Sie der Welt nicht diese Friedensgarantie an? Bei der Abstimmung über die Verfassung könnte das Volk auch darüber sein Votum abgeben und seinen Friedenswillen bekunden. Warum geben Sie ihm keine Gelegenheit dazu? Weil Sie 51)

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Zum Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings vgl. oben Dok. Nr. 21, S. 629, Anm. 75. – Am 10. Nov. 1948 gab Adenauer in der Sitzung der CDU/CSU-Fraktion bekannt, daß Kardinal Frings in einem Brief an ihn darum gebeten habe, „Mich als Mitglied der CDU zu führen“. Vgl. Salzmann, S. 153. Zur Auseinandersetzung um den Eintritt sowie zum Austritt aus der CDU am 7. Mai 1949 vgl. Norbert Trippen: Josef Kardinal Frings (1887–1978): Bd. I: Sein Wirken für das Erzbistum Köln und für die Kirche in Deutschland (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B, Bd. 94). Paderborn u. a. 2003, S. 349–353.

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die Nichtgenehmigung der Verfassung durch die Militärregierungen befürchten? Dann wäre die Ablehnung der Verfassung bei der Volksabstimmung durch das Volk ein um so stärkerer Beweis für den aufrichtigen Friedenswillen des deutschen Volkes und ein Beweis für die Wertlosigkeit des Ruhrstatuts als Instrument der Demokratisierung und Entmilitarisierung. Über die Betriebsräte und über ihr Mitbestimmungsrecht in den Betrieben muß das schaffende Volk an Rhein und Ruhr sich auch den Weg bahnen zu einem Mitbestimmungsrecht bei einer internationalen Kontrolle des Ruhrgebietes. Dieses Recht verschafft ihm nicht der Parlamentarische Rat, dieses Recht verschafft ihm nur sein Wille, sich durch Kampf diese Position zu erobern. Auch wir Kommunisten sind mit der Schaffung einer internationalen Kontrolle zur Verhinderung der Wiederherstellung eines Kriegspotentials der Ruhrindustrie einverstanden. Der Aufbau dessen, was wir wollen und bejahen, der Aufbau einer Friedensindustrie an der Ruhr ist aber nur möglich, wenn auch die Sowjetunion an dieser internationalen Kontrolle beteiligt ist. Das Ruhrstatut sieht diese Beteiligung nicht vor, entgegen den klaren Abmachungen von Potsdam, es ist gegen diese Beteiligung der Sowjetunion an der internationalen Kontrolle der Ruhr eingestellt. Damit ist auch die Ostzone Deutschlands und jede Beteiligung der übrigen Länder des Ostens ausgeschlossen, ohne die eine europäische Wirtschaft überhaupt nicht aufgebaut werden und nicht lebensfähig sein kann. Das Ruhrstatut ist also ein neuer Bruch des Potsdamer Abkommens. Es verletzt nicht nur die Rechte des sowjetrussischen Vertragspartners, sondern damit zugleich und das ist das Wesentliche – die Rechte aller deutschen schaffenden Menschen, die in der Sowjetunion ihren einzigen Bundesgenossen im Kampf gegen den Imperialismus, für den sozialen Fortschritt und die sozialen Menschenrechte sehen. Wir haben in den letzten Tagen eine große Anzahl Kundgebungen von bürgerlichen Politikern und Wirtschaftswissenschaftlern zum Ruhrstatut gelesen, die sich sehr kritisch und ablehnend über das Ruhrstatut äußerten. Ich brauche sie nicht alle zu zitieren, sie dürften Ihnen bekannt sein. Die Ruhrbehörde wird nicht nur die Ruhrwirtschaft beherrschen und in völlige Abhängigkeit von ausländischen, vielfach mit der deutschen Wirtschaft konkurrierenden Kräften bringen, ihr untersteht praktisch die gesamte westdeutsche Wirtschaft. In unserem Resolutionsantrag ist gesagt, daß das Ruhrstatut die Lebenshaltung des Volkes in den Westzonen und damit seinen Anteil am Sozialprodukt bestimmen wird. Genau dasselbe sagt der Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, wenn er feststellt, daß die Ruhrbehörde die konjunkturelle Entwicklung Westdeutschlands vollständig in der Hand haben werde. Für jeden einzelnen Menschen bedeutet diese Kräfteverlagerung, sagen wir deutlicher, diese völlige Ausschaltung einer effektiven deutschen Mitbestimmung eine Abhängigkeit des Lebensstandards von politischen Tatsachen, die nicht innerhalb unserer Grenzen entschieden werden können und nicht entschieden werden. Die Ausfuhrlenkung wird nicht den natürlichen Lebensinteressen des deutschen Volkes entsprechen, wie sie das bisher bereits nicht getan hat. Die Lebensinteressen unseres Volkes weisen – das beweisen alle Statistiken der früheren Jahre – eindeutig zu einem sehr erheblichen Teil nach Osteuropa. Das Ruhrstatut will und wird diese Verbindungen nach dem europäischen Osten unterbinden. Marshall-

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plan und Ruhrstatut stellen uns auf die Schaffung von Rohprodukten ab. Marshallplan und Ruhrstatut nehmen uns die Möglichkeit des Ausbaus und Aufbaus einer Fertigwarenfabrikation und die Möglichkeit eines Exports veredelter Produkte. Was wir und in welchem Umfange wir produzieren dürfen, zu welchen Bedingungen der Arbeiter an der Ruhr arbeiten muß, wohin wir exportieren, was und zu welchen Bedingungen wir exportieren, das bestimmen der Marshallplan und das Ruhrstatut. Was wir importieren an Rohstoffen, an Gebrauchsgütern, an Genußmitteln, an Lebensmitteln, das bestimmt die Ruhrbehörde bzw. der Marshallplan. Die gesamte Lebenshaltung des schaffenden Menschen an Rhein und Ruhr hängt also ureigentlich von den Handlungen dieser internationalen Behörde, dieser dem internationalen Monopolkapital verhafteten Körperschaft ab. Man wird das Ruhrgebiet und die von den Ruhrbetrieben beherrschte westdeutsche Wirtschaft auf hohe Touren kurbeln, wenn man Bedarf für den Export ihrer Produktion hat. Man wird uns als lästige Konkurrenten überall dort fernhalten, wo man deutsche Produkte nicht haben will. Man wird die deutsche Wirtschaft stilllegen, wenn Konjunkturrückgang und Profitinteressen auf den Weltmärkten dies für das industrielle Monopolkapital vorteilhaft erscheinen lassen. Man wird uns nicht gestatten, die Märkte aufzusuchen, die aus politischen Gründen trockengelegt werden sollen. Das ist ein Kolonialstatut, das ist ein Kolonialstatus, unter den wir gestellt werden, wie ihn die neuere Geschichte bisher noch nicht gekannt hat. Man darf nicht sagen, wie es teilweise vom Ausland geschieht, wir müßten uns jetzt mit einer untergeordneten Rolle abfinden, irgendwann werde es auch wieder besser werden. Man darf uns noch weniger sagen, das Ruhrstatut sei streng, aber gerechtfertigt, weil Deutschland in der letzten Generation zwei Kriege verursacht habe. Wir verlangen selber strenge, sehr strenge Maßnahmen gegen alle Kriegsverbrecher und alle am Kriege mitschuldigen Monopolkapitalisten und Grundherren. Aber ihnen geschieht ja bei uns nichts, sie werden durch das Ruhrstatut noch nicht einmal benachteiligt, geschweige denn entmachtet. Das Ruhrstatut ist einzig gegen das arbeitende Volk gerichtet. Das muß man sehen und erkennen52). Wir haben auch einige Stimmen aus dem Ausland gehört, die das einsehen und unsere Ablehnung des Ruhrstatuts erwarten. Das sind die wahren Freunde des westdeutschen Volkes. Ihrer Hilfe dürfen wir gewiß sein, doch nur dann, wenn wir Westdeutschland, die westdeutsche Wirtschaft und die westdeutschen schaffenden Menschen nicht zu Objekten einer auf die Teilung der Welt, die Zerreißung Europas und die Zerreißung Deutschlands gerichteten Politik machen helfen, in der Westdeutschland nur die Rolle eines Protektorates ohne Souveränitätsrechte, ohne Verfügungsrecht über seine Wirtschaft, deren Produkte und Ertrag und ohne Anrecht auf ein sozial gesichertes Dasein spielt. Wir können und dürfen dazu unsere Hand nicht geben. Aus unserem Nein zum Besatzungsstatut muß die Welt und müssen auch die westlichen Siegermächte erkennen, daß sie mit diesen beiden Statuten das Vertrauen des deutschen Volkes in ihre Politik gröblich untergraben haben und daß ihre Politik auch dem deutschen Volk keine Chance gibt, sich das Vertrauen der Welt zu verdienen. Dieses Nein soll nicht als ein [S. 387] aus irgendwelchen nationalistischen Ressentiments geborener Wi52)

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Im stenograph. Wortprot., S. 14, folgt danach „. . ., das ist auch das Entscheidende.“

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derstand gegen Wiedergutmachung begangenen Unrechts und zugefügten Schadens gedeutet werden können. Es muß durch die konstruktive Idee ergänzt und begründet werden, daß nur ein geeintes Deutschland, eine ungeteilte deutsche demokratische Republik aus der Souveränität, der Autorität und dem guten Willen des ganzen deutschen Volkes heraus der Welt in Ost und West die Sicherheit für die Zukunft geben kann, nach der die Völker der Welt mit Recht verlangen. Man lasse uns die Voraussetzungen für diese Sicherheit schaffen. Das werktätige Volk wird sie schaffen. Man verlege uns nicht den Weg in die Zukunft durch endlose Verlängerung der Besatzung, durch das Besatzungsstatut, durch das Ruhrstatut, durch die Zerreißung Deutschlands. Man dränge uns nicht in die Situation eines Kolonialvolkes hinein. Gebt uns, so rufen wir den ausländischen Mächten des Westens zu, die wirtschaftliche und politische Einheit Deutschlands! Gebt uns den gerechten Frieden, nach dem die Welt und das deutsche Volk verlangen! Deshalb sagen wir Kommunisten nein zum Ruhrstatut, wir sagen nein zu Ihrem Verfassungsentwurf, nein zum Besatzungsstatut und nein zu dem westdeutschen Separatstaat. Wer seine Hand dazu hergibt, das Ruhrstatut in Westdeutschland durchzuführen, übt Verrat an den nationalen Interessen des gesamten deutschen Volkes. Statt Deklarationen, statt halber Ablehnungen, statt mehr oder weniger verwaschener Kritiken am Ruhrstatut muß heute eine entscheidende Tat kommen, eine Willenserklärung, die nur darauf hinausgehen kann: Wir, der gesamte Parlamentarische Rat, lehnen das Ruhrstatut ab, und wir lehnen jede Beteiligung jedes deutschen Menschen an seiner Durchführung mit absoluter Entschiedenheit ab, weil wir Deutsche sind und die Interessen unseres deutschen Volkes vor den Interessen des internationalen kriegstreiberischen Monopolkapitals zu wahren haben.

[1.7. DRUCKLEGUNG DES STENOGRAPHISCHEN WORTPROTOKOLLS]

Dr. Eberhard (SPD): Ich glaube, der Hauptausschuß ist sich über die besondere politische Bedeutung dieser Sitzung einig. Ich beantrage daher, daß das Protokoll dieser Hauptausschußsitzung ausnahmsweise wie die Protokolle der Plenarsitzungen in Druck gegeben wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ist der Ausschuß einverstanden? – Offensichtlich besteht allgemeines Einverständnis.

[1.8. ANTRAG, DIE STELLUNGNAHME DER KPD ZUR ABSTIMMUNG ZU STELLEN]

Der Abgeordnete Renner hat den Antrag gestellt, die Resolution seiner Fraktion zur Abstimmung zu stellen. In dieser Resolution heißt es unter anderem, daß der Parlamentarische Rat beschließen soll, dieses und jenes zu tun und anderes zu lassen. Wir sind hier im Hauptausschuß nicht „der Parlamentarische Rat“. Wir können über diese Resolution nicht abstimmen. Sie lächeln sanft, Herr Renner, aber Sie sind ein kluger Mann und verstehen darum, daß wir nicht anders verfahren können.

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Renner (KPD): Ich zeige Ihnen den Weg. Diese Resolution ist in einem Augenblick geboren, als wir geglaubt haben, daß der gesamte Parlamentarische Rat sich damit beschäftigen würde. Aber ich habe zu Eingang meiner Ausführungen bedauert, daß das nicht geschehen ist, sondern daß nur der Hauptausschuß sich damit beschäftigt hat. Um aber die von Ihnen gesehene und, wenn ich Sie richtig verstanden habe, zu beseitigende Schwierigkeit aus der Welt zu schaffen, ändere ich den Schlußtenor um, indem ich formuliere: Der Hauptausschuß empfiehlt dem Plenum des Parlamentarischen Rates, diese Willenserklärung abzugeben. Ich stelle den Hauptausschuß vor die Möglichkeit, diesen Antrag noch einmal zu besprechen und an das Plenum mit einer klaren und eindeutigen Willensäußerung des Hauptausschusses weiterzuleiten. Ich glaube, nachdem der bisherige Ablauf hier zum mindesten eine gewisse Kritik aller Parteien an dem Ruhrstatut gebracht hat, daß sich vielleicht doch eine deutsche Mehrheit für die Annahme dieser Entschließung finden wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Eine deutsche Mehrheit? Sitzen hier andere als deutsche Staatsangehörige? Renner (KPD): Ich will mich nicht der Gefahr eines Ordnungsrufes aussetzen, sonst würde ich Ihnen auch dazu etwas sagen. Aber nebenbei bemerkt, Herr Dr. Carlo Schmid, beim nächsten Ordnungsruf erlaube ich mir die Frage, aus welchem Recht Sie hier Ordnungsrufe erteilen. In Ihrer Geschäftsordnung steht nämlich die Möglichkeit nicht drin53). Das müssen Sie also aus eigener Machtvollkommenheit machen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich werde auf Ihre Belehrung hin die Geschäftsordnung noch einmal studieren. Renner (KPD): Sie haben sich damit auch eine Machtfülle angeeignet, die Ihnen nach der Geschäftsordnung nicht zukommt. Da ich aber einen Ordnungsruf nicht so tragisch nehme, habe ich mich nicht auf die Geschäftsordnung bezogen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wenn ich meine Befugnisse mißbraucht haben sollte, werde ich mich dem Gericht des Ältestenrates zu stellen haben. Ich glaube kaum, daß der Hauptausschuß die Befugnis hat, solche Empfehlungen zu beschließen. Wenn der Ausschuß anderer Meinung sein sollte, mag er das kundtun. Ich stelle die Frage an den Ausschuß, ob er der Meinung ist, daß geschäftsordnungsmäßig über den Antrag auch in der abgeänderten Form entschieden werden kann. – Offenbar scheint nur der Abgeordnete Renner dieser Meinung zu sein. Alle anderen Abgeordneten sind anderer Meinung. Es ist also keine Möglichkeit gegeben, Ihrem Antrag stattzugeben. (Renner [KPD]: Ihre Stellung ist klar, mehr wollte ich nicht erreichen!) – Sie haben vollkommen recht. Der Hauptausschuß vertagt sich hierauf. Schluß der Sitzung 13.10 Uhr.

53)

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§ 29 der Geschäftsordnung des Parl. Rates vom 22. Sept. 1948 ließ Ordnungsrufe nur durch den Präsidenten zu. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 10, Dok. Nr. B 5, S. 195 f.; zur Entstehung des § 29 vgl. ebd. S. 145.

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Nr. 32 Zweiunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses 7. Januar 1949 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 389–402. PA 2004. Ungez. von Meidinger gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 525 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: de Chapeaurouge, Fecht, Kleindinst, Laforet, Lehr, von Mangoldt, Süsterhenn, Walter SPD: Hoch, Katz, Löwenthal, Maier, Mücke, Schmid (Vors.), Schönfelder, Zimmermann FDP: Becker, Dehler DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Wessel Abgeordnete ohne Stimmrecht: Eberhard (SPD), Höpker Aschoff (FDP), Kaiser (CDU), Lensing (CDU), Schäfer (FDP) Stenographischer Dienst: Meidinger Dauer: 15.35–18.00 Uhr

[1. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT III: BUND UND LÄNDER: ART. 36: VORRANGGESETZGEBUNG DES BUNDES (FORTSETZUNG)]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir beginnen mit der Beratung der in der vorletzten Sitzung3) aus dem Abschnitt III Bund und Länder zurückgestellten Ziffern des Art. 36. Als Vorlage dient uns die Fassung der ersten Lesung des Hauptausschusses (PR. 12.48 – 340)4). Ich rufe auf Ziffer 11 des Art. 36: 11. das Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, Privatversicherungen); Dr. Schäfer (FDP): Ich wiederhole meinen gestern5) gestellten Antrag, das Wort „Privatversicherungen“ durch „Versicherungswesen“ zu ersetzen. Es ist der gleiche Begriff, der in der Weimarer Verfassung an dieser Stelle angewendet wurde6). Er würde bedeuten, daß auch die öffentlich-rechtlichen Versicherungen wie die reinen Privatversicherungen unter die Versicherungsaufsicht und die Versicherungsgesetzgebung fallen. Beide Versicherungsarten betreiben häufig gleichartige Geschäfte, sie sind im Gegensatz zur Sozialversicherung Individualversicherungen 1) 2) 3) 4) 5) 6)

Protokollführer Strätling. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Vgl. die 30. Sitzung des HptA am 6. Jan. 1949; oben Dok. Nr. 30, S. 882–912. Für den Wortlaut der Drucks Nr. 340 mit den Beschlüssen der 1. Lesung im HptA vom 10. Dez. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 3, S. 91–132. Vgl. die 30. Sitzung des HptA am 6. Jan. 1949; oben Dok. Nr. 30, S. 897. Art. 7 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Das Reich hat die Gesetzgebung über: [. . .] 17. das Versicherungswesen; [. . .]“ RGBl. S. 1385.

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und sind gleichermaßen auf dem Äquivalenzprinzip aufgebaut. Daher besteht keine Veranlassung, für beide Versicherungsarten eine unterschiedliche Rechtsstellung zu fordern. Dr. Laforet (CSU): Ich muß ganz anderer Anschauung sein; denn so, wie die öffentlich-rechtlichen Versicherungen aufgebaut sind, sind sie überhaupt kein Teil der Wirtschaft. Sie sind gemeinnützige Anstalten des öffentlichen Rechts und waren bis jetzt ausschließlich in Landeszuständigkeit. Nur für eine ganz vorübergehende Zeit, als die Nazi die Staatlichkeit der Länder vernichtet hatten, war einmal eine Zuständigkeit des Reiches gegeben. Diese öffentlich-rechtlichen Versicherungen bilden einen völligen Gegensatz zu den Privatversicherungen. Die öffentlich-rechtlichen Versicherungen haben nicht den Zweck, irgendeinen Gewinn zu erzielen; sie sind gemeinnützige Anstalten. Nun sind sie allerdings nach den verschiedenen Länderrechten verschieden gestaltet. Es kann vorkommen, daß auch ein solcher öffentlich-rechtlicher Versicherungsträger ein Rechtsgeschäft des Privatrechts ähnlicher Art, vor allem ähnlicher wirtschaftlicher Art macht wie eine Privatversicherung. Dann unterliegt sein Versicherungsvertrag nach Ziffer 117) selbstverständlich dem allgemeinen Recht des Bundes. Soweit aber solche ganz besonderen Fälle nicht vorliegen, soweit das Versicherungsverhältnis durch die Erfüllung eines gesetzlichen Tatbestandes begründet wird, wie wir es in mehreren Ländern, zum Beispiel in Bayern haben, ist überhaupt kein Vertrag, sondern ein gesetzlicher Tatbestand gegeben, an dessen Erfüllung Rechtsfolgen geknüpft sind. Es kommt nun allerdings auch vor, daß sich allgemeine Grundsätze des Versicherungsrechts, wie sie vom Reichsaufsichtsamt für Privatversicherungen geltend gemacht werden, mittelbar auf die Versicherungsträger dieser Art, auf die Gebilde des öffentlichen Rechts auswirken. Deshalb ist es vorgekommen und kommt es vor, daß das Reichsaufsichtsamt von dem Inhalt seiner Entschließung den Länderregierungen Mitteilung macht. Aber es war bisher noch niemals ein Zweifel darüber, daß diese öffentlich-rechtlichen Versicherungen nicht unter die Zuständigkeit der Bundesgesetzgebung fallen. Was wir jetzt hier machen würden, wäre eine völlig neue und in keiner Weise sachlich begründete Maßnahme. Es sind Versicherungen, die von dem Landesrecht als öffentliche Anstalten geschaffen sind. Sie sind kein Teil der Wirtschaft und gehören nicht in diese Klasse. Dr. Hoch (SPD): Ich habe keine Bedenken, mich dem Vorschlag des Herrn Dr. Schäfer anzuschließen. Wir waren uns darüber klar: Unter Privatversicherung hat man nicht die Versicherungsgesellschaften verstanden, die in der Form einer privatwirtschaftlichen Unternehmung geführt werden, im Gegensatz zu den Versicherungen, die in Form einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft geführt werden, sondern Privatversicherung hieß Individualversicherung im Gegensatz zur Sozialversicherung. Wenn wir den Ausdruck „Versicherungswesen“, den Herr Dr. Schäfer vorgeschlagen hat, wählen, wird das klargestellt. Ich glaube, bei der großen Bedeutung der Privatversicherung für unsere Gesamtwirtschaft sollte man sich freuen, wenn eines Tages der Bund einheitliche Bestimmungen in dieser Hinsicht erließe. Es handelt sich hier ja auch nicht um ausschließliche Zuständigkeit, sondern um Vorranggesetzgebung, so daß die Länder in der Lage sind, in weitgehendem Um7)

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Statt „11“ im stenograph. Wortprot., S. 2: „1“

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fang ihren Landesbedürfnissen Rechnung zu tragen. Ich möchte mich daher dem Vorschlag des Herrn Dr. Schäfer anschließen, daß wir statt „Privatversicherungen“ den Ausdruck „Versicherungswesen“ gebrauchen. Dr. Laforet (CSU): Es ist eine wesentliche Veränderung einer Einrichtung, die bisher unbestritten als reines Gebilde der Länder gestaltet worden ist und deren Rechtsverhältnisse abgesehen von dem Recht des Vertrags, wenn ein solcher abgeschlossen wurde – sich ausschließlich nach Landesrecht bemessen würden. Die Regierungen, die hier in Frage stehen, vor allem Bayern und Württemberg, legen größten Wert darauf, daß diese Gebilde in ihrer Hand bleiben. Es ist staatliche Verwaltung. Die Versicherungskammer bei uns in Bayern führt eine staatliche Verwaltung über öffentliche Anstalten. Es sind keine Individualversicherungen, es sind Gebilde der öffentlichen Hand, der Gemeinnützigkeit und nichts anderes als Teile der allgemeinen Verwaltung. (Zuruf: Sie versichern Privatrisiken.) – Sie versichern Tatbestände, die entweder schon nach dem Landesgesetz versichert sind oder nach dem Landesgesetz versichert werden können, aber sie tun es nicht in der Form der Individualversicherung, sondern in der Form einer gemeinnützigen Anstalt. Es gibt keinen Gewinn wie bei den Privatversicherungen. Es ist ein Unterschied, ob ich ein solches Gebilde als einen Teil der Wirtschaft oder als einen Teil der Verwaltung auffasse. Da die Verwaltung unbestritten dem Lande zukommt, muß sich auch diese öffentlich-rechtliche Versicherung, also das [S. 390] Recht der Einrichtung der öffentlichen Anstalten, allein nach Landesrecht bemessen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es handelt sich doch praktisch um die Brandkassen und die Hagelversicherung. Dr. Laforet (CSU): Es können nach Landesrecht noch Viehversicherungen usw. in Betracht kommen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich möchte auf folgendes hinweisen. Wir haben in allen altpreußischen Provinzen Lebensversicherungsanstalten und Feuerversicherungsanstalten. Alle diese Anstalten stehen im freien Wettbewerb mit den privaten Versicherungsgesellschaften und schließen Individualverträge mit den Versicherten ab. Für alle diese Gesellschaften und die Verträge, die sie abschließen, gilt heute schon das Reichsgesetz über den Versicherungsvertrag; und das muß so bleiben. (Dr. Laforet [CSU]: Wird nicht bestritten.) – Ja, wenn Sie das nicht bestreiten, warum folgen Sie dann nicht unserem Gedankengang, diese Zweifel dadurch klarzustellen, daß wir an die Stelle des Wortes „Privatversicherungen“ das Wort „Versicherungswesen“ setzen? Weiter wollen wir nichts. Dr. Laforet (CSU): Was mich bestimmt, entsprechend der allgemeinen Überzeugung von der Art der Verträge und der Anstalten des öffentlichen Rechts diesen Standpunkt einzunehmen, ist folgendes. Dort, wo sie wirklich ausnahmsweise als Konkurrenten in Gebiete eindringen, sind sie ohnehin erfaßt. Aber sie sind – jedenfalls bei uns im Süden – nicht als solche Individualversicherungen, sondern als Anstalten des öffentlichen Rechts geschaffen worden. Wenn Sie vielleicht die Sache genauer machen wollen, können Sie sagen: „Versicherungen, soweit es sich nicht um öffentlich-rechtliche Versicherungen handelt“. Dann bin ich einverstanden.

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Dr. Schäfer (FDP): Das würde nicht gehen. „Öffentlich-rechtlich“ ist lediglich eine äußere Form; das berührt in keiner Weise die Geschäftstätigkeit in diesen Versicherungsträgern. Im übrigen darf ich darauf aufmerksam machen, daß in der britischen Zone diese öffentlich-rechtlichen Gesellschaften wie die privaten Versicherungsunternehmen dem Aufsichtsamt unterstehen. Übrigens bilden sie gemeinsame Organisationen mit der Privatversicherung8). Es gibt eine Organisation der öffentlich-rechtlichen und der privaten Versicherungsunternehmen. Die sind wieder zu gemeinsamen Spitzenverbänden zusammengeschlossen. Ich habe eine Äußerung vorliegen, wonach der Generaldirektor der Rheinischen Provinzialversicherung ausdrücklich den Wunsch hat, daß die Gesetzgebung für das private Versicherungswesen auch auf die öffentlich-rechtlichen Versicherungen angewandt wird9). Dr. Laforet (CSU): Für uns ist die Frage von großer Bedeutung; denn wir bekommen eine Beseitigung der alleinigen Zuständigkeit des Landes. Wir haben in diesen Gebilden Anstalten des öffentlichen Rechts; es sind keine Individualversicherungen, sie sind nach Landesrecht gestaltet, sind von den Ländern ins Leben gerufen, und ihre Rechtsverhältnisse haben sich bisher ausschließlich nach Landesrecht bemessen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Abänderungsantrag abstimmen, das letzte Wort der Ziffer 11: „Privatversicherungen“ durch das Wort „Versicherungswesen“ zu ersetzen. – Der Abänderungsantrag ist mit 15 gegen 5 Stimmen angenommen. Dann lasse ich über die ganze Ziffer 11 abstimmen. – Ziffer 11 ist mit 15 Stimmen bei Stimmenthaltungen angenommen. (Dr. Laforet [CSU]: Ich enthalte mich!) Ich rufe auf Ziffer 14: das Enteignungsrecht in den Angelegenheiten, für die dem Bund die Befugnis zur Gesetzgebung zusteht; Ich lasse abstimmen. – Einstimmig angenommen. Ziffer 14a: die Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum; Dr. Lehr (CDU): Ich bitte, bei Ziffer 14a hinter den Worten: „in Gemeineigentum“ die Worte einzufügen: „oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft“. Gemeineigentum ist der engere Begriff, Gemeinwirtschaft der weitere Begriff. Er lehnt sich an die Weimarer Verfassung an, die in dem Art. 15610) in Verbindung mit Art. 7 8)

Im stenograph. Wortprot., S. 6, folgt danach: „(Widerspruch des Abg. Dr. Laforet.)“ Im stenograph. Wortprot., S. 6, folgt danach der Zwischenruf: „(Dr. Laforet [CSU]: Ich bitte ums Wort!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, Herr Kollege Dr. Laforet, wir haben diese zweifellos sehr wichtige Materie schon sehr ausführlich behandelt.“ 10) Art. 156 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919: „Das Reich kann durch Gesetz, unbeschadet der Entschädigung, in sinngemäßer Anwendung der für Enteignung geltenden Bestimmungen, für die Vergesellschaftung geeignete private wirtschaftliche Unternehmungen in Gemeineigentum überführen. Es kann sich selbst, die Länder oder die Gemeinden an der Verwaltung wirtschaftlicher Unternehmungen und 9)

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Ziffer 1311) den Begriff der Vergesellschaftung geprägt hat. Wir möchten damit erreichen, daß neben dem Gemeineigentum im gegebenen Fall andere Formen der Gemeinwirtschaft zulässig sind. Renner (KPD): Das ist die praktische Illustration zu den Darlegungen des Herrn Dr. Strauß von heute morgen, die praktische Illustration dessen, was die CDU tatsächlich will, wenn sie von Gemeinwirtschaft redet. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zuerst über den Abänderungsantrag abstimmen, die Worte hinzuzufügen: „oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft“. – Der Antrag ist mit 20 Stimmen gegen 1 Stimme angenommen. Nun lasse ich über die Ziffer 14a in der ergänzten Form abstimmen. – Einstimmig angenommen. Ziffer 15: die Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung; Ich lasse abstimmen. – Einstimmig angenommen. Wir haben an und für sich noch Ziffer 10 von Art. 35 zu erledigen, aber ich glaube, daß die Besprechungen, die darüber geführt werden sollten, noch nicht ganz zu Ende geführt sind. Dr. Laforet (CSU): Ich ändere meinen Antrag12) folgendermaßen um: „die Zusammenarbeit der Länder in der Kriminalpolizei.“

Verbände beteiligen oder sich daran in anderer Weise einen bestimmenden Einfluß sichern. Das Reich kann ferner im Falle dringenden Bedürfnisses zum Zwecke der Gemeinwirtschaft durch Gesetz wirtschaftliche Unternehmungen und Verbände auf der Grundlage der Selbstverwaltung zusammenschließen mit dem Ziele, die Mitwirkung aller schaffenden Volksteile zu sichern, Arbeitgeber und Arbeitnehmer an der Verwaltung zu beteiligen und Erzeugung, Herstellung, Verteilung, Verwendung, Preisgestaltung sowie Einund Ausfuhr der Wirtschaftsgüter nach gemeinwirtschaftlichen Grundsätzen zu regeln. Die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und deren Vereinigungen sind auf ihr Verlangen unter Berücksichtigung ihrer Verfassung und Eigenart in die Gemeinwirtschaft einzugliedern.“ RGBl. S. 1413. 11) Art. 7 Ziffer 13 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Das Reich hat die Gesetzgebung über: [. . .] 13. die Vergesellschaftung von Naturschätzen und wirtschaftlichen Unternehmungen sowie die Erzeugung, Herstellung, Verteilung und Preisgestaltung wirtschaftlicher Güter für die Gemeinwirtschaft; RGBl. S. 1384. 12) Vgl. den von Laforet gez. Antrag der CDU/CSU-Fraktion vom 3. Jan. 1949 auf Drucks Nr. 448: „Der Hauptausschuss wolle beschließen: a) die Ziffer 10 des Art. 35 (Bundeskriminalwesen) zu streichen; b) in Artikel 36 folgende neue Ziffer [.. .] aufzunehmen ,Grundsätze für die Zusammenarbeit der Länder in der Kriminalpolizei‘.“ Dem Antrag folgt eine ausführliche Begründung. Darin heißt es u.a.: „ Auf einer Besprechung der Polizeireferenten der Innenministerien von Württemberg-Baden, Bayern und Hessen am 18. und 19. 10. [19]48 bestand Übereinstimmung, daß zur Erreichung dieser polizeitechnischen Ziele die Errichtung eines Bundeskriminalamtes überflüssig ist. Die Ziele werden, ohne daß durch die unklare Bezeichnung ,Bundeskriminalwesen‘ die Gefahr einer völligen Änderung der Grundgestaltung oder die Gefahr ständiger Streitigkeiten eintritt, völlig durch Vereinbarung der Länder erzielt. Doch kann für das Zusammenarbeiten der Gliedstaaten (die Koordination der obersten Polizeistellen der Länder)noch eine besondere Sicherung gegeben werden, wenn dem Bunde in der Vorranggesetzgebung die Befugnis gegeben wird, ,Grundsätze für das Zusammenarbeiten der Länder in der Kriminalpolizei‘ aufzustellen.“

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Vors. Dr. Schmid (SPD):13) Wir haben immer noch die Möglichkeit, in einer späteren Lesung eine Abänderung vorzunehmen. Ich lasse abstimmen. – Art. 35 Ziffer 10 ist in der von Herrn Dr. Laforet vorgeschlagenen Fassung: „die Zusammenarbeit der Länder in der Kriminalpolizei“ einstimmig angenommen.

[2. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT IV: DER BUNDESTAG] [2.1. ART. 47: ABGEORDNETE]

Wir kommen zu Abschnitt IV Der Bundestag. Ich rufe auf Art. 47 Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Jeder Abgeordnete folgt bei Reden, Handlungen, Abstimmungen und Wahlen seiner Überzeugung und seinem Gewissen. Der Redaktionsausschuß (PR. 12.48 – 370)14) schlägt für Satz 2 folgende Formulierung vor: Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Dr. Katz (SPD): Wir halten die textliche Fassung des Redaktionsausschusses für besser. Sie ist sachlich das gleiche, aber sie klingt besser. Darum würde ich ihr den Vorzug geben. Ich mache sie zu meinem eigenen Antrag. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse satzweise abstimmen. – Satz 1 ist in der Fassung der ersten Lesung des Hauptausschusses gegen 1 Stimme angenommen. Ich lasse über Satz 2 in der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Satz 2 ist in dieser Fassung mit 14 Stimmen angenommen. [S. 391]

[2.2. ART. 48: WAHLPERIODE]

Art. 48 (1) Der Bundestag wird auf vier Jahre gewählt. (2) Die Neuwahl findet frühestens im letzten Monat des vierten Jahres, spätestens im folgenden Monat statt. (3) Wird der Bundestag gemäß Art. 87 oder 90a aufgelöst, so ist er spätestens 60 Tage nach der Auflösung neu zu wählen. Auch hier hat der Redaktionsausschuß Abänderungsvorschläge gemacht. Dr. Katz (SPD): Der Redaktionsausschuß hat eine etwas präzisere Fassung gewählt und schlägt vor:

13)

Im stenograph. Wortprot., S. 8, folgt danach: „Herr Dr. Menzel legt auf diese Sache großen Wert. Haben Sie sich mit ihm unterhalten?“ 14) Für den Wortlaut der Drucks Nr. 370 vom 13. Dez. 1948 mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu Art. 1–85 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 4, S. 133–161.

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(1) Der Bundestag wird auf vier Jahre gewählt. Die Wahlperiode des Bundestags endigt vier Jahre nach dem ersten Zusammentritt. Die Neuwahl findet im letzten Vierteljahr der Wahlperiode statt. (2) Die Wahlperiode des Bundestags endigt vorzeitig mit seiner Auflösung gemäß Art. 87 oder 90a. In diesem Falle ist der Bundestag spätestens sechzig Tage nach der Auflösung neu zu wählen. Wir halten diese Fassung textlich für klarer. Sie legt die Frist des ersten Endes auf vier Jahre nach dem ersten Zusammentritt – nicht nach der ersten Wahl15) fest. Wir schlagen vor, der Fassung des Redaktionsausschusses beizutreten. Die tatsächliche Änderung ist minimal. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über die von Herrn Dr. Katz verlesene Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Art. 48 ist in der Fassung des Redaktionsausschusses gegen 1 Stimme angenommen.

[2.3. ART. 49: KONSTITUIERUNG DES BUNDESTAGES]

Art. 49 Der Bundestag tritt spätestens am 30. Tage nach der Wahl zusammen. Damit endet die Wahlperiode des vorherigen Bundestags. Dr. Katz (SPD): Hier sind wir für die alte Fassung, aber mit einem kleinen Einschiebsel: Damit endet, mit Ausnahme des Falles der Auflösung, – das ist neu – die Wahlperiode des vorherigen Bundestags. Damit wird alles geklärt; denn bei der Auflösung tritt die Wirkung bereits mit dem Dekret ein. Walter (CDU): Ich wollte bloß bemerken, daß bei dieser Fassung: „Der Bundestag tritt spätestens am 30. Tage nach der Wahl zusammen“ Zweifel entstehen könnten. Wenn im Wahlgesetz eine Art Nachwahl oder Stichwahl festgelegt würde, ist dann der Tag der Hauptwahl oder der Tag der Stichwahl gemeint? Ich sage das nur, damit keine Zweifel entstehen. Wir könnten das vielleicht, wenn das Wahlgesetz beraten ist, noch einmal endgültig festlegen. Dr. Dehler (FDP): Der zweite Satz: „Damit endet die Wahlperiode des vorherigen Bundestags“ muß entfallen, weil wir im Art. 48 festgestellt haben, daß die Wahlperiode des Bundestags vier Jahre nach dem ersten Zusammentritt des Bundestags endigt. Damit sind Anfang und Ende genau präzisiert. Nicht mehr mit dem Zusammentritt des neuen Bundestags endigt die Wahlperiode, sondern nach Ablauf der vier Jahre nach dem ersten Zusammentritt des Bundestags. Im Falle der Auflösung endigt die Wahlperiode mit der Auflösung ohne weiteres. Wir haben vorgeschlagen, Art. 49 wie folgt zu fassen: Der Bundestag tritt spätestens am 30. Tage nach der Wahl, jedoch nicht vor Ablauf der Wahlperiode des letzten Bundestags zusammen.

15)

Statt „ersten Wahl“ im stenograph. Wortprot., S. 10: „Neuwahl“.

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Die Möglichkeit ist gegeben, weil wir gesagt haben, der neue Bundestag kann ein Vierteljahr vor Ablauf der Wahlperiode gewählt werden. Dr. Seebohm (DP): Wir haben uns bei der ersten Lesung darüber unterhalten, daß diese Bestimmung von Einfluß auf die Sicherung der Immunität zwischen den Wahlperioden während der Wahlzeit ist und daß deshalb die Wahlperiode erst mit dem Zusammentritt des neuen Bundestags endigen soll, damit bis zu diesem Tag die Immunität der Abgeordneten des früheren Bundestags aufrechterhalten bleibt. Deswegen erscheint es mir notwendig, daß wir den Satz beibehalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann müssen wir zurückgehen und Art. 48 noch einmal aufrufen. Renner (KPD): Ich bin der Meinung, daß auch im Falle einer Auflösung des Bundestags das Mandat und die aus dem Mandat resultierende Immunität des Abgeordneten mindestens bis zum Zusammentritt des neugewählten Bundestags erhalten und wirksam bleiben muß. Wir waren uns im Wahlrechtsausschuß darüber klar, daß wir das sichern müssen. Meines Wissens hat aber niemand an den Fall einer zwangsweisen Auflösung des Bundestags gedacht. Auch für diesen Fall bin ich der Meinung, daß wir den alten Mitgliedern die Immunität bis zum Zusammentritt des neuen Bundestags sichern müssen. (Widerspruch.) – Doch! Vestigia terrent16)! Es könnte durchaus die Notwendigkeit für einen solchen Schutz eintreten. Wird der Abgeordnete wiedergewählt, ist er automatisch wieder unter dem Schutz der Immunität. Dr. Dehler (FDP): Die Immunität sichert wohl die Tätigkeit des Abgeordneten, nicht aber die Wahltätigkeit des Bewerbers um ein Mandat. Darum halte ich es für richtig, es bei Art. 48, wie er angenommen ist, zu belassen, und Art. 49 so zu fassen, wie ich vorgeschlagen habe. Renner (KPD): Über die Notwendigkeit der Sicherung der Immunität im Falle der normalen Auflösung des Bundestags war man sich im Wahlrechtsausschuß einig, nämlich daß die Immunität bis zum Zusammentritt des neuen Bundestags gesichert werden muß. Darüber bestand keine Meinungsverschiedenheit. Vors. Dr. Schmid (SPD): Geschäftsordnungsmäßig sehe ich keine Möglichkeit, den gefaßten Beschluß in dieser Lesung anzugreifen. Wir haben so beschlossen, und es muß bis zur nächsten Lesung so bleiben. Wir müssen uns an diese geschäftsordnungsmäßige Vorschrift halten. Es ist kein Zweifel, daß wir mit diesem Beschluß von dem abgegangen sind, was, glaube ich, in der früheren Lesung allgemeine Meinung gewesen ist. Dr. Lehr (CDU): Zurückverweisung an den Organisationsausschuß! Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann müssen wir uns bei den Artikeln, die jetzt folgen, entscheiden, ob wir so oder so wollen. Also, Art. 49, den ich aufgerufen habe, soll ergänzt werden durch die Bestimmung: „. . . mit Ausnahme des Falles der Auflösung“. Aber der zweite Satz paßt nicht mehr zu Art. 48 in der nunmehr beschlossenen Fassung. Dr. Katz (SPD): Ich schließe mich dieser Ansicht an und schlage vor, den zweiten Satz ganz wegzustreichen. Die Frage der Immunität werden wir bis zu einer spä16)

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Vgl. oben Dok. Nr. 22, S. 649, Anm. 30.

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teren Lesung noch einmal prüfen. Ich persönlich neige zu der Auffassung, daß es nicht notwendig ist, diese Frage hier zu regeln. Ich empfehle, nur den ersten Setz des Art. 49 anzunehmen und den zweiten Satz wegzustreichen, weil er durch die neue Fassung des Art. 48 schon erledigt ist. Dr. Dehler (FDP): Ist der Zusatz, den der Redaktionsausschuß zu Satz 1 gemacht hat: „jedoch nicht [S. 392] vor Ablauf der Wahlperiode des letzten Bundestags“, im Hinblick auf die Fassung des Art. 48 notwendig? Es ist doch selbstverständlich, daß der neue Bundestag nicht vor Ablauf der Wahlperiode des letzten Bundestags zusammentritt. Dr. Katz (SPD): Ja, das halte ich für selbstverständlich. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Zusatz: „jedoch nicht vor Ablauf der Wahlperiode des letzten Bundestags“ abstimmen. – Die Einfügung dieses Zusatzes ist abgelehnt. Dann lasse ich über Art. 49 Satz 1 in der Fassung der ersten Lesung des Hauptausschusses abstimmen. – Satz 1 ist in dieser Fassung angenommen. Zu Satz 2 ist der Antrag auf Streichung gestellt. Ich lasse darüber abstimmen. – Die Streichung ist gegen 1 Stimme beschlossen. Renner (KPD): Wie ist es mit der Frage der Immunität? Darüber bin ich mir nicht klar geworden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das können wir später bei dem Immunitätsartikel besprechen.

[2.4. ART. 50: BUNDESTAGSPRÄSIDENT]

Ich rufe auf

Art. 50 (1) Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und die Schriftführer. Er gibt sich eine Geschäftsordnung. (2) Der Präsident übt das Hausrecht und die Polizeigewalt im Bundestagsgebäude aus. Ohne seine Genehmigung darf in den Räumen des Bundestags keine Durchsuchung oder Beschlagnahme stattfinden. (3) Dem Präsidenten untersteht die Verwaltung des Bundestags. Er verfügt über dessen Einnahmen und Ausgaben; er vertritt den Bund in allen Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten des Bundestags. Ich lasse abstimmen. – Einstimmig angenommen.

[2.5. ART. 51: WAHLPRÜFUNG]

Art. 51 (1) Die Wahlprüfung obliegt dem Bundestag. Gegen die Entscheidung des Bundestags ist die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zulässig. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt. (2) Entsprechendes gilt, wenn ein Abgeordneter die Mitgliedschaft bei dem Bundestag verloren hat.

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Dr. Katz (SPD): Hier hat der Redaktionsausschuß eine andere textliche Fassung vorgeschlagen, die tatsächlich genau das gleiche bedeutet. Er sagt: (1) Die Wahlprüfung obliegt dem Bundestag. Gegen die Entscheidung des Bundestags ist die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. (2) Das gleiche gilt, wenn ein Abgeordneter des Bundestags die Mitgliedschaft verloren hat. Textlich ist diese Fassung meiner Meinung nach besser, und so schließe ich mich ihr an. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube auch, daß diese Fassung besser ist. Ich lasse über Art. 51 in der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses abstimmen. – Mit allen gegen 1 Stimme angenommen. Art. 52 entfällt.

[2.6. ART. 53: ÖFFENTLICHKEIT DER VERHANDLUNGEN]

Art. 53 (1) Der Bundestag verhandelt öffentlich. Auf Antrag eines Zehntels seiner Mitglieder oder auf Antrag der Bundesregierung kann mit Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Über den Antrag wird in nichtöffentlicher Sitzung entschieden. (2) Wahrheitsgetreue Berichte über die öffentlichen Sitzungen des Bundestags und seiner Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei. Ich lasse abstimmen. – Mit allen gegen 1 Stimme angenommen.

[2.7. ART. 54: BESCHLÜSSE DES BUNDESTAGES]

Art. 54 (1) Zu einem Beschluß des Bundestags ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, wenn dieses Grundgesetz nichts anderes vorschreibt. Für die vom Bundestag vorzunehmenden Wahlen kann die Geschäftsordnung Ausnahmen zulassen. (2) Die Beschlußfähigkeit wird durch die Geschäftsordnung geregelt. Hier sind vom Redaktionsausschuß einige textliche Änderungen vorgesehen. Dr. Katz (SPD): Der Redaktionsausschuß schlägt zwei textliche Änderungen vor, die inhaltlich genau das gleiche sagen. Er schlägt im zweiten Halbsatz des ersten Satzes vor, statt „wenn“ zu sagen: „soweit“ und statt „nichts anderes vorschreibt“ zu sagen: „nichts anderes bestimmt“. Ich halte das textlich für besser und würde der Fassung des Redaktionsausschusses zustimmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, wir können so verfahren, daß wir nach der Vorlage des Redaktionsausschusses abstimmen. Sie lautet: (1) Zu einem Beschluß des Bundestags ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt. Für die

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vom Bundestag vorzunehmenden Wahlen kann die Geschäftsordnung Ausnahmen zulassen. (2) Die Beschlußfähigkeit wird durch die Geschäftsordnung geregelt. – Angenommen.

[2.8. ART. 55: TEILNAHME VON MITGLIEDERN DER BUNDESREGIERUNG UND DES BUNDESRATES AN DEN SITZUNGEN]

Art. 55 (1) Der Bundestag und seine Ausschüsse können die Anwesenheit jedes Mitglieds der Bundesregierung verlangen. (2) Die Mitglieder des Bundesrats und der Bundesregierung sowie die von ihnen bestellten Beauftragten haben zu allen Sitzungen des Bundestags und seiner Ausschüsse Zutritt. Sie müssen jederzeit gehört werden. Dr. Katz (SPD): Der Redaktionsausschuß schlägt eine kleine textliche Änderung vor. Es soll statt „die von ihnen bestellten Beauftragten“ heißen: „ihre Beauftragten“. Ich halte das für besser und würde diese Fassung wählen. Renner (KPD): Ich bin dagegen, weil hier dem Bundesrat ein Recht konzediert wird, das vice versa dem Bundestag gegenüber dem Bundesrat nicht zusteht. Nach dieser Fassung haben die Mitglieder des Bundesrats jederzeit das Recht, an Sitzungen des Bundestags teilzunehmen. Umgekehrt ist das nicht der Fall. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse auch hier über die Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen: (1) Der Bundestag und seine Ausschüsse können die Anwesenheit jedes Mitglieds der Bundesregierung verlangen. (2) Die Mitglieder des Bundesrats und der Bundesregierung sowie ihre Beauftragten haben zu allen Sitzungen des Bundestags und seiner Ausschüsse Zutritt. Sie müssen jederzeit gehört werden. – Angenommen.

[2.9. ART. 56: PLENARSITZUNGEN]

Art. 56 (1) Der Bundestag bestimmt den Schluß und den Wiederbeginn seiner Sitzungen. (2) Der Präsident des Bundestags kann den Bundestag früher einberufen. Er ist hierzu [S. 393] verpflichtet, wenn der Bundespräsident, der Bundeskanzler oder ein Drittel der Mitglieder dies verlangen. Hier hat der Redaktionsausschuß einige Änderungen vorgeschlagen: Der Präsident des Bundestags beruft den Bundestag zu seinen Sitzungen ein. Er ist hierzu verpflichtet, wenn der Bundespräsident, der Bundeskanzler oder ein Drittel der Mitglieder des Bundestags es verlangt. Im übrigen bestimmt der Bundestag Schluß und Wiederbeginn seiner Sitzungen. Dr. Lehr (CDU): Wir bitten, in unserer Fassung im zweiten Absatz die Worte „des

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Bundestags“ zu streichen, weil sie überflüssig sind, so daß es dann heißen würde: „Der Präsident kann den Bundestag früher einberufen.“ Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube auch, daß man die beiden Worte streichen kann. Wir können hier über die Fassung des Hauptausschusses abstimmen mit der Maßgabe, daß die zwei Worte „des Bundestags“ gestrichen werden. – Einstimmig angenommen.

[2.10. ART. 57: UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSS]

Art. 57 (1) Der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines Viertels der Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen. (2) Der Untersuchungsausschuß erhebt in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise. Die Öffentlichkeit kann vom Untersuchungsausschuß mit Zweidrittelmehrheit ausgeschlossen werden. (3) Die Gerichte und Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, einem Ersuchen des Ausschusses um Aktenvorlage und Rechtshilfe Folge zu leisten. (4) Auf die Erhebungen des Ausschusses und der von ihm ersuchten Behörden finden die Vorschriften über den Strafprozeß sinngemäß Anwendung. Das Brief-, Fernmelde- und Postgeheimnis bleibt unberührt. (5) Die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses endigt spätestens mit dem Ablauf der Wahlperiode. Auch hier sind vom Redaktionsausschuß kleine redaktionelle Änderungen vorgeschlagen, und ich glaube, daß sie berücksichtigt zu werden verdienen. Der Redaktionsausschuß schlägt vor, in Abs. 1 statt „eines Viertels der Mitglieder“ zu sagen: „eines Viertels seiner Mitglieder“ und in Abs. 4 statt „auf die Erhebungen“ zu sagen: „auf die Beweiserhebungen“. Dr. Katz (SPD): Meine Fraktion beantragt, einen Abs. 6 anzufügen, und zwar mit Rücksicht auf Vorkommnisse im früheren Reichstag. Dieser Abs. 6 soll lauten: Die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses unterliegt keiner richterlichen Nachprüfung. Dieser Absatz erscheint uns notwendig, weil bei früheren Vorkommnissen der Versuch gemacht worden ist, durch Prozesse, Zivil- oder Strafprozesse, den Nachweis zu führen, daß die Vorgänge im Untersuchungsausschuß irgendwie, tatsächlich oder im Ergebnis, unrichtig dargestellt worden sind. Dieser Antrag sieht keinen Eingriff in die Rechtspflege vor. Er will nur verhüten, daß Richter oder richterliche Behörden, die dazu nicht berufen sind, eine Nachprüfung der Tätigkeit der Untersuchungsausschüsse vornehmen. Walter (CDU): Ich habe immerhin gewisse Bedenken gegen diesen Vorschlag, wenn er auch an sich sympathisch erscheinen mag und vielleicht aus der Praxis geboren ist. Die Gerichte können bezüglich eines Strafverfahrens in größte Schwierigkeiten kommen. Hat der Untersuchungsausschuß tatsächliche oder vielleicht gar rechtliche Feststellungen getroffen, daß dieser oder jener Tatbestand nicht vorliegt oder einen bestimmten Paragraphen rechtlich nicht umfaßt, so können nachher unter Umständen die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung und Durchführung des Straf-

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verfahrens und das Gericht bei der Feststellung in gewisse Schwierigkeiten kommen. Dr. Katz (SPD): Ich möchte bemerken, daß sich aus den Dokumenten dieser Beratung ergeben wird, daß das nicht der Fall ist. Das richterliche Nachprüfungsrecht über die Tatbestände, die dem Gericht unterbreitet werden, bleibt frei. Es soll nur eine Kritik des Richters an der parlamentarischen Tätigkeit ausgeschaltet werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es soll die Feststellungsklage ausgeschaltet werden, daß der Untersuchungsausschuß falsch verfahren sei. Dr. Katz (SPD): Es könnten Zivil- oder Strafprozesse mit dem Zweck geführt werden, den Nachweis zu erbringen, daß der Untersuchungsausschuß fehlerhaft gearbeitet hat. Das soll ausgeschlossen bleiben. Walter (CDU): Ich habe Bedenken gegen Ihre Formulierung; sachlich habe ich nichts einzuwenden. Dr. Katz (SPD): Ich wüßte im Augenblick keine bessere Formulierung als die vorgeschlagene: „Die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses unterliegt keiner richterlichen Nachprüfung.“ Dr. Seebohm (DP): Wir haben denselben Antrag schon in erster Lesung diskutiert und abgelehnt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das Problem ist genügend geklärt. Ich kann abstimmen lassen. – Die Einfügung des durch den Zusatzantrag Dr. Katz vorgeschlagenen Abs. 6 ist mit 11 gegen 10 Stimmen abgelehnt. Dann lasse ich über Art. 57 abstimmen. (Dr. Dehler [FDP]: Mit den Änderungen des Redaktionsausschusses!) – Art. 57 ist gegen 1 Stimme angenommen.

[2.11. ART. 58: STÄNDIGER AUSSCHUSS]

Art. 58 (1) Der Bundestag bestellt einen ständigen Ausschuß. Solange der Bundestag nicht versammelt ist, hat dieser Ausschuß die Rechte der Volksvertretung gegenüber der Bundesregierung zu wahren. (2) Der ständige Ausschuß hat die Befugnisse des Bundestags, jedoch nicht das Recht der Gesetzgebung, der Wahl des Bundeskanzlers und der Anklage gegen den Bundespräsidenten. Er hat die Rechte eines Untersuchungsausschusses. Zu diesem Artikel liegt ein Abänderungsvorschlag des Redaktionsausschusses vor. Abs. 1 soll in der Fassung des Redaktionsausschusses lauten: Der Bundestag bestellt einen ständigen Ausschuß, der die Rechte des Bundestags gegenüber der Bundesregierung zwischen zwei Wahlperioden zu wahren hat. Abs. 2 soll nach dem Vorschlag des Redaktionsausschusses wie die Fassung der ersten Lesung des Hauptausschusses lauten17). 17)

„Abs. 2 soll nach dem Vorschlag des Redaktionsausschusses wie die Fassung der ersten Lesung des Hauptausschusses lauten.“, fehlt im stenograph. Wortprot., S. 22.

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Dr. Dehler (FDP): Das ist eine Folge der Neufassung von Art. 48 und 49, weil wir sagen: Der Bundestag ist immer versammelt; es gibt nicht mehr den Begriff der Sitzungsperiode18). Der ständige Ausschuß kann nur zwischen zwei Wahlperioden tätig sein. Dr. Katz (SPD): Ich schließe mich diesem Antrag an. Es kommt nur dieser eine Fall in Frage. Dadurch wird es klar. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich über die Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Art. 58 ist in dieser Fassung angenommen.

[2.12. ART. 59: INDEMNITÄT]

Art. 59 Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestag oder in einem seiner Ausschüsse [S. 394] getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestags zur Verantwortung gezogen werden. Dies gilt nicht, wenn ein Abgeordneter die Ehre eines anderen Abgeordneten wider besseres Wissen verletzt. Dr. Lehr (CDU): Ich bitte, im letzten Satz das Wort „Abgeordneten“ zu streichen, so daß es dann heißt: „Dies gilt nicht, wenn ein Abgeordneter die Ehre eines anderen wider besseres Wissen verletzt.“ Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse satzweise abstimmen. – Satz 1 ist angenommen. Zu Satz 2 ist vorgeschlagen, statt „die Ehre eines anderen Abgeordneten“ zu sagen: „die Ehre eines anderen“. – Satz 2 ist in dieser Form gegen 1 Stimme angenommen.

[2.13. ART. 60: IMMUNITÄT]

Art. 60 (1) Ein Abgeordneter darf wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung nur mit Genehmigung des Bundestags zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, daß er bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird. (2) Die gleiche Genehmigung ist bei jeder anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit eines Abgeordneten erforderlich.

18)

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Der Reichstag der Kaiserzeit kam in „Tagungen“, auch „Sessionen“ genannt, zusammen. Eine Session konnte mehrer Monate und sogar Jahre umfassen. Von 1871 bis 1918 tagte der Reichstag in 13 Legislaturperioden und 42 Sessionen. Vgl. Kurt Perels: Das autonome Reichstagsrecht. Die Geschäftsordnung und die Observanz des Reichstags in systematischer Darstellung. Berlin 1903. Vgl. dazu auch die Übersicht in: Michael F. Feldkamp: Die Parlamentarische „Sommerpause“ im Reichstag und im Deutschen Bundestag, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 38 (2007), S. 632.

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(3) Jedes Strafverfahren gegen einen Abgeordneten und jede Haft oder sonstige Beschränkung seiner persönlichen Freiheit ist auf Verlangen des Bundestags auszusetzen. Der Redaktionsausschuß hat zu Abs. 2 eine Änderung vorgeschlagen: Die Genehmigung des Bundestags ist ferner bei jeder anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit eines Abgeordneten oder zur Einleitung eines Verfahrens gegen einen Abgeordneten gemäß Art. 20b erforderlich. Dr. Dehler (FDP): Es handelt sich um eine Ergänzung, die noch nicht spruchreif ist, nämlich um den Fall, daß gegen einen Abgeordneten ein Verfahren gemäß Art. 20b, Verwirkung der Grundrechte, eingeleitet wird. Nun haben wir über Art. 20b noch nicht entschieden, so daß die Bestimmung noch in der Luft hängt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann können wir das bei einer späteren Fassung machen, wenn der Tatbestand klar ist. Ich glaube, er ist klar; aber es wird keine Schwierigkeiten machen, das nachzuholen. Dr. Lehr (CDU): Ich schlage vor, Abs. 2 wie folgt zu fassen: Die Genehmigung des Bundestags ist ferner bei jeder anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit eines Abgeordneten erforderlich. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 60 absatzweise abstimmen. Abs. 1 liegt in der unveränderten Fassung der ersten Lesung des Hauptausschusses vor. – Angenommen. Zu Abs. 2 hat Herr Dr. Lehr die von ihm eben verlesene Änderung vorgeschlagen. Ich lasse über Abs. 2 in dieser geänderten Fassung abstimmen. – Angenommen. Ich lasse über Abs. 3 abstimmen. – Angenommen. Art. 60 ist damit angenommen.

[2.14. ART. 61: RECHT AUF ZEUGNISVERWEIGERUNG]

Art. 61 Die Abgeordneten sind berechtigt, über Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete oder denen sie in dieser Eigenschaft Tatsachen anvertraut haben, sowie über diese Tatsachen selbst das Zeugnis zu verweigern. Im gleichen Umfang ist auch die Beschlagnahme von Schriftstücken bei einem Abgeordneten unzulässig. Ich lasse abstimmen. – Angenommen.

[2.15. ART. 62: FREIE MANDATSAUSÜBUNG]

Art. 62 (1) Niemand darf an der Übernahme oder Ausübung des Mandats im Bundestag gehindert werden. Eine Kündigung oder Entlassung von Beamten, Angestellten oder Arbeitern aus diesem Grunde ist unzulässig. (2) Wer sich um einen Sitz im Bundestag bewirbt, hat Anspruch auf den zur Vorbereitung seiner Wahl erforderlichen Urlaub.

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Zu Abs. 1 schlägt der Redaktionsausschuß folgende Änderung vor: Niemand darf gehindert werden, das Amt eines Abgeordneten des Bundestags zu übernehmen und auszuüben. Eine Kündigung oder Entlassung aus diesem Grunde ist unzulässig. Dr. Dehler (FDP): Den Begriff Mandat, den man sonst nicht anwendet, sollte man vermeiden. Walter (CDU): Ich bin einverstanden, aber ich habe eine allgemeine sprachliche Sache vorzubringen. Hier ist plötzlich gesagt: „das Amt eines Abgeordneten des Bundestags zu übernehmen und auszuüben“. Bei den vorhergehenden Bestimmungen haben wir die Worte „des Bundestags“ weggelassen. Es könnten Zweifel entstehen, ob die Vorschriften, die wir bisher beschlossen haben, auch für die Abgeordneten eines Landtags gelten oder ob sie nicht gelten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich schlage vor, diesen Genitiv zu streichen. Ich lasse über die Fassung des Redaktionsausschusses mit dieser Streichung abstimmen. Renner (KPD): Ich beantrage, in Abs. 2 vor dem Wort „Urlaub“ das Wort „bezahlten“ einzufügen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag Renner abstimmen. – Der Antrag Renner ist mit 8 gegen 8 Stimmen bei einigen Stimmenthaltungen abgelehnt. Dann lasse ich über den ganzen Art. 62 in der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen, mit der Maßgabe, daß die Worte „des Bundestags“ gestrichen werden. – Gegen 1 Stimme angenommen.

[2.16. ART. 63: ENTSCHÄDIGUNG]

Art. 63 Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene Entschädigung. Sie haben das Recht der freien Benutzung aller staatlichen Verkehrsmittel. Der Redaktionsausschuß schlägt vor, folgenden Satz anzufügen: Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Mir scheint das zweckmäßig zu sein. Wir stimmen über die Fassung des Redaktionsausschusses ab. – Einstimmig angenommen. Art. 64 soll entfallen. Der Redaktionsausschuß hat folgenden Vorschlag gemacht: Für die Mitglieder des Präsidiums und des ständigen Ausschusses sowie für deren erste Stellvertreter gelten die Art. 59, 60, 61, 62 Abs. 1 und 63 auch für die Zeit zwischen zwei Wahlperioden. Diese Bestimmung ist nunmehr notwendig, nachdem wir den bisherigen Beschluß nicht erneuert haben, wonach die Wahlperiode bis zum Zusammentritt des neugewählten Bundestags dauern soll. Wir müssen diesen Artikel mitbeschließen, wenn wir konsequent sein wollen. Dr. Katz (SPD): Ich erhebe ihn zum Antrag. Walter (CDU): Ich habe Bedenken, weil es heißt: „sowie für deren erste Stellvertreter“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es heißt: „für die Mitglieder des Präsidiums“. [S. 395] Dr. Katz (SPD): Die Worte „sowie für deren erste Stellvertreter“ gelten nur für den Ausschuß.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den vom Redaktionsausschuß vorgeschlagenen Art. 64 abstimmen. – Einstimmig angenommen. Damit ist Abschnitt IV erledigt.

[3. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT VI: DER BUNDESPRÄSIDENT] [3.1. ART. 75: WAHL DES BUNDESPRÄSIDENTEN]

Ich schlage vor, fortzufahren mit Abschnitt VI Der Bundespräsident. Ich rufe auf Art. 75 (1) Der Bundespräsident wird ohne Aussprache von der Bundesversammlung gewählt. (2) Die Bundesversammlung besteht aus den Mitgliedern des Bundestags und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden. (3) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. (4) Die Bundesversammlung tritt spätestens 30 Tage vor Ablauf der Amtszeit des Bundespräsidenten, bei vorzeitiger Beendigung spätestens 30 Tage nach diesem Zeitpunkt, zusammen. Sie wird von dem Präsidenten des Bundestags einberufen. (5) Ist die Wahlperiode des Bundestags abgelaufen oder der Bundestag aufgelöst, so beginnt die Frist des Abs. 4 Satz 1 mit dem erstmaligen Zusammentritt des Bundestags. (6) Gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder der Bundesversammlung erhält. Wird diese Mehrheit in zwei Wahlgängen von keinem Bewerber erreicht, so findet ein dritter Wahlgang statt, in dem derjenige gewählt ist, der die meisten Stimmen erhält. (7) Wählbar ist jeder Deutsche, der das Wahlrecht zum Bundestag besitzt und das 40. Lebensjahr vollendet hat. Zu Abs. 5 hat der Redaktionsausschuß einen redaktionellen Abänderungsvorschlag gemacht, der diesen Absatz erheblich verkürzt: Nach Ablauf der Wahlperiode beginnt die Frist des Abs. 4 Satz 1 mit dem ersten Zusammentritt des Bundestags. Dr. Becker (FDP): Mein Freund Dr. Dehler und ich haben zu Abschnitt VI und VII einen umfassenden neuen Antrag (PR. 1.49 – 463)19) gestellt, der noch nicht verteilt ist. Er läuft auf die konstante Regierung hinaus. Ich glaube, es wird nicht möglich sein, über Abschnitt VI zu debattieren, ohne daß dieser Antrag vorliegt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Vielleicht können Sie uns den Inhalt dieses Antrags mitteilen, und vielleicht wird auf die schriftliche Vorlage verzichtet, je nachdem, wie er lautet. Dr. Becker (FDP): Er ist an sich sehr wichtig. Er bedeutet eine umfassende Ände-

19)

Für den Wortlaut des Antrags vom 7. Jan. 1949 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 41, S. 1025, Anm. 100.

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rung des bisher Geschaffenen und läuft auf die konstante Regierung, eine Präsidialregierung nach schweizerischem und amerikanischem Muster, hinaus. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist allerdings ein sehr bedeutsamer Vorschlag. Er hätte verdient, früher vervielfältigt zu werden. Wir können meines Erachtens so im Abschnitt VI nicht fortfahren und wir können auch den Abschnitt „Die Bundesregierung“ nicht beraten. Dr. Katz (SPD): Ich nehme an, daß dieser Vorschlag identisch ist mit Vorschlägen, die bereits im Organisationsausschuß vorgetragen wurden, oder daß er ihnen ähnlich ist20). Ich würde mich damit einverstanden erklären, daß dieser Antrag mündlich vorgetragen wird, damit wir in der Debatte Stellung nehmen und dann in der Beratung des ganzen Gebietes fortfahren können. Dr. Becker (FDP): Der Antrag deckt sich nicht vollkommen mit dem Antrag, der dem Organisationsausschuß vorlag. Ich darf das mit ein paar Worten kurz skizzieren. Im Organisationsausschuß lag ein Antrag vor, neben den Bundespräsidenten einen Bundeskanzler auf Zeit, auf festbestimmte Zeit, zu wählen. Der jetzige Antrag geht von der Erwägung aus, daß der Bundespräsident nach den Bestimmungen, wie sie in der Verfassung bisher geschaffen worden sind, ein sehr schattenhaftes Dasein führt. Er geht davon aus, beide Funktionen, Bundespräsident und Bundeskanzler, in einer Hand zu vereinigen, also den Bundeskanzler auf Zeit gleichzeitig zum Staatsoberhaupt zu machen, so daß er die hauptsächlichsten Befugnisse des Staatspräsidenten, nämlich die völkerrechtliche Vertretung nach außen und das Begnadigungsrecht – das sind die wesentlichen Rechte, die der Bundespräsident hat –, auch in seiner Hand vereinigt. Die Begründung dafür könnte gegeben werden, wenn eine Generaldebatte gewünscht wird. Aber ich glaube, daß man wohl erst den Antrag vorliegen haben müßte, damit man in der Lage ist, sich in die Gedankengänge genau zu vertiefen. Dr. Seebohm (DP): Ich habe gestern21) schon darauf hingewiesen, daß es schwierig ist, wenn man Abänderungsanträge, die so wichtig sind, nicht so rechtzeitig zugestellt erhält, daß man sich vorher eingehend mit ihnen beschäftigen kann. Selbst für den Fall, daß der Antrag jetzt verteilt wird, würde ich der Auffassung sein, daß wir ihn heute nicht behandeln können. Wir müssen uns dazu erhebliche Gedanken machen und können nicht gleich im Galopp darüber entscheiden. Sonst wird dem Antrag das Schicksal zuteil, daß er praktisch ohne Prüfung abgelehnt wird, weil wir uns mit seinen Auswirkungen nicht eingehend beschäftigen können. Das liegt aber nicht im Sinne der Arbeit, die sich die Antragsteller damit gemacht haben. Dr. Lehr (CDU): Wir verweisen den Antrag am besten an den Organisationsausschuß zurück. Dr. Katz (SPD): Ich erlaube mir anderer Ansicht zu sein. Mit diesem Antrag fällt, wenn ich Herrn Dr. Becker richtig verstanden habe, das gesamte System der Abschnitte „Bundespräsident“ und „Bundesregierung“. Der Antrag – ich habe ihn 20)

Für den Wortlaut des Antrags von Becker, der am 8. Okt. 1948 in der 12. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vorgelegen hatte, vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/1, Dok. Nr. 16, S. 470–472, Anm. 16. 21) Vgl. die 30. Sitzung des HptA am 6. Jan. 1949; oben Dok. Nr. 30, S. 909.

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noch nicht durchgelesen – ist nach der mündlichen Begründung, die Herr Dr. Bekker gegeben hat, nicht so neu, daß wir nicht darüber diskutieren können, sondern er nimmt den Kern der Vorschläge auf, die Herr Dr. Becker und seine Freunde im Organisationsausschuß gestellt haben, nämlich das System der parlamentarischen Demokratie nach Mehrheitswillen, das wir hier einführen wollen, durch das System der Gewaltenteilungsdemokratie und der Regierung auf Zeit zu ersetzen. Das ist eine prinzipielle Frage, die wir diskutieren können. Aber wir können sie jetzt und sofort auch diskutieren; denn die Herren sind alle über das Problem orientiert. Wir müssen es doch entscheiden. Durch eine Zurückverweisung an den Organisationsausschuß wird nicht das geringste gewonnen. Ich bin bereit, diese Diskussion sofort zu führen, und würde empfehlen, das zu tun, damit keine unnötige Unterbrechung eintritt. Dr. Becker (FDP): Ich bin einverstanden. Wir können gleich in die Generaldebatte eintreten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Auch ich möchte empfehlen, die Generaldebatte zu führen. Sie wollen gleich das ganze System vortragen, Herr Kollege Dr. Becker, so daß darüber debattiert werden kann. Dr. Becker (FDP): Wir haben während der durch die Weihnachtsfeiertage bedingten Ferien noch einmal die ganze Struktur der Verfassung überdacht und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß wir hier in unserem Gremium versuchen, mitten im 20. Jahrhundert eine Regierung nach dem Vorbild des 19. Jahrhunderts zu schaffen und dabei den Elan und den Optimismus, den das 19. Jahrhundert für die von uns bisher vorgesehene Form mit sich brachte, nicht mehr haben, [S. 396] sondern im Gegenteil – die Verhandlungen haben das gezeigt – von tiefem Mißtrauen und von Skepsis erfüllt sind. Den Bundespräsidenten haben wir wegen der Erfahrungen mit Art. 48 der Weimarer Verfassung22) so schwach gemacht, wie er blässer und schattenhafter nicht sein könnte. Aus föderalistischen Grundsätzen, aus der Angst, der Bund könne die Länder verschlingen, haben wir dem Bundesrat große Rechte gegeben, so große, daß die Frage aufgetaucht ist: Wer schützt den Bund vor den Ländern? Manche sind der Meinung gewesen, daß der Bundesrat eine solche Macht bekommen hat, daß wir in die Gefahr einer Herrschaft der Bürokratie der Länderregierungen hineinkommen. So haben wir vor lauter Mißtrauen einen Zickzackweg durch alle diese Möglichkeiten und Schwierigkeiten, die wir zu sehen glaubten, hindurchzugehen versucht. Insbesondere haben wir versucht, Sicherungen dagegen zu schaffen, daß die Demokratie wieder durch Parlamentskrisen und Regierungskrisen in Verruf kommen könnte. Wir haben das parlamentarische Regime als System genommen, haben aber dieses System so umkleidet, daß es praktisch für den Fall eines Mißtrauensvotums zu einer Regierung auf Zeit wird. Die Bestimmung, die dahin geht, daß nur dann ein Mißtrauensvotum zum Zug kommen kann, wenn der neue Bundeskanzler zur Verfügung steht, bedeutet praktisch eine Regierung auf Zeit, aber auf unbestimmte Zeit. Die Folge würde sein, daß der Bundeskanzler, der zwar zum Sturz reif ist, weil eine Majorität ihn stürzen will, der aber nicht gestürzt werden 22)

Für den Wortlaut des Art. 48 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 9, Anm. 38.

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kann, weil kein Nachfolger zu finden ist, das Odium trägt: er ist eigentlich nach den Grundsätzen des parlamentarischen Systems nicht mehr der Mann, der dahin gehört. Da er nie wissen kann, ob sich ein Nachfolger findet, ist er ferner während der Zeit, die zwischen dem schwebenden Mißtrauensvotum und seiner eventuellen Durchführung liegt, nicht mehr so Herr seiner Entschlüsse und nicht mehr so in der Lage, das, was er will, mit einem gewissen Elan durchzuführen, so daß er auf Schritt und Tritt gehemmt ist und ihm insbesondere eine gewisse Reformtätigkeit verleidet wird. Wir regeln vor allen Dingen nur die Frage des Mißtrauensvotums, die Frage einer Regierungskrise durch Mißtrauensvotum, aber nicht die Frage, die viel häufiger ist, die Frage einer Regierungskrise durch Zerfall der Koalition, die ihn trägt. Wenn wir davon ausgehen, daß dagegen praktisch kein Kraut gewachsen ist, dann ergibt sich die Regierung auf Zeit, eine Regierung, die ihre Vorbilder immerhin in zwei sehr alten Demokratien hat, in zwei Demokratien, deren Verfassung unangefochten außerordentlich lange Zeit schon besteht. Das waren dieselben Gedankengänge, die uns im Oktober zu dem Antrag veranlaßt hatten, den Bundeskanzler, die Bundesregierung auf Zeit zu schaffen. Wenn wir nun dazu überlegen, daß der Bundespräsident – aus den Erfahrungen, die man mit dem Art. 48 gemacht hat – praktisch eigentlich eine sehr geringe Wirkungsmöglichkeit hat und eigentlich nur eine symbolhafte Figur darstellt, so ist nicht einzusehen, warum man nicht beide Ämter verbinden soll23). Vorbilder hierfür haben wir in der Schweiz und in Amerika24). Unser Antrag läuft darauf hinaus, daß eine Bundesversammlung, bestehend aus Bundestag, Bundesrat – den ich persönlich auch lieber mit einer recht breiten senatorialen Schleppe sehen würde, als nur mit Vertretern der Länderbürokratie besetzt – und einer gleich großen Zahl von Vertretern, die durch die Länderparlamente proportional zu wählen wären, den Mann wählt, der als Präsident des Bundes sowohl den Bundespräsidenten wie den Bundeskanzler in einer Person verkörpert. Er würde auf vier Jahre zu wählen sein und würde sofort nach Zusammentritt des Bundestags unter Vorsitz des Präsidenten des Bundestags gewählt werden. Wir hätten damit den Vorteil, daß, auch wenn der Bundespräsident nicht durch das Volk gewählt wird, praktisch in einem Wahlkampf für den Bundestag die Person des präsumtiven Bundespräsidenten schon eine sehr bedeutende Rolle spielen kann. Der Bundespräsident, so wie wir ihn denken, hat nur die vollziehende Gewalt. Er vertritt den Bund völkerrechtlich, er bestimmt gleichzeitig die Richtlinien der Politik und ernennt und entläßt die Minister und Staatssekretäre. Das ist praktisch der einzige neu formulierte Artikel, den wir brauchen. Alles übrige ist eine sehr umfangreiche Streichung von Bestimmungen aus dem Abschnitt VII betreffend die Bundesregierung. Es fällt das Notverordnungsrecht im Falle des Gesetzgebungsnotstandes fort, es besteht nicht das Veto des Präsidenten gegenüber Gesetzen, es herrscht vollkommene Trennung der Gewalten. Der Präsident ist nicht in der Lage, über den Rahmen der Verwaltung hinaus neue Dinge zu schaffen, wenn nicht die beiden Kammern des Parlaments in Form eines Gesetzes ihm die Möglichkeit dazu an die Hand geben. Es besteht kein Veto, andererseits auch nicht das Recht, ein 23) 24)

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Im stenograph. Wortprot., S. 33, folgt danach: „(Zuruf: Wie bei Hitler!)“ Im stenograph. Wortprot., S. 34, folgt danach: „(Zuruf: Und im Dritten Reich!)“

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Parlament aufzulösen. Es besteht daher der Zwang, entweder sich im Wege des Kompromisses zu verständigen oder die Konsequenz zu ziehen, daß der eine oder der andere Mitarbeiter vom Präsidenten zu entlassen ist. Das ist in ganz großen Zügen das Bild, das uns vorschwebt. Wir hoffen damit etwas zu schaffen, was vielleicht geeignet ist, den Begriff der Demokratie in einem Volk, das, wie das deutsche Volk, ein bißchen autoritätsgläubig ist, fester zu verankern und das Volk zu einer demokratischen Auffassung der Dinge besser zu erziehen, als wenn wir in Form von Regierungskrisen ihm so manche Schattenseiten der Demokratie und des parlamentarischen Regimes in der Praxis vorexerzieren. Wenn Sie sich nur die eine Bestimmung vor Augen halten – ich glaube, in einer der Ausschußsitzungen hat Herr Löwenthal darauf verwiesen –, wieviele Wochen vergehen, bis nach den Bestimmungen, wie sie bisher formuliert waren, eine Bundesregierung auf den Beinen steht, wenn Sie sich überlegen, daß das nach diesen Bestimmungen fünf Wochen, vielleicht noch länger dauern kann und daß vielleicht schon beim Zusammentritt der ersten Bundesregierung dem ganzen Volk gegenüber diese Schwächen in Erscheinung treten könnten, dann glaube ich, daß Sie damit, daß Sie unserem Vorschlag folgen, dieses schlechte Bild wegretuschieren und dem Volke zeigen könnten, daß eine Demokratie auch anders funktioniert. Wir sind der Meinung, daß, wenn an wirkliche Aufgaben herangegangen werden soll, eine Regierung, die auf diese Weise auf eine bestimmte Zeit besteht, eher in der Lage ist, ein Reformwerk anzupacken. Es ist doch so, daß, wenn eine auf einer Koalition aufgebaute Regierung beginnt, eine Reformvorlage einzubringen oder durchzuführen, im ersten Zeitpunkt große Übergangsschwierigkeiten auftreten können und daß diese Übergangsschwierigkeiten sofort in einer Erregung der Bevölkerung ihren Widerhall finden, daß daraufhin die Abgeordneten anfangen, unruhig zu werden, daß es im Gebälk der Koalition zu knistern beginnt und daß damit für die Regierung schon wieder Schwierigkeiten bestehen, daß sie Rücksichten nehmen muß, obwohl sich doch jeder sagen muß, daß solche Übergangschwierigkeiten dazu da sind, überwunden zu werden. Ich führe nur dieses eine Beispiel an, um zu zeigen, welche Vorteile mit dem von uns vorgeschlagenen System verbunden wären. Man könnte einwenden, daß dann nicht die Möglichkeit bestünde, in gefährdeten Situationen den Steuermann auszuwechseln. Aber, meine Damen und Herren, haben Sie denn nach dem vorliegenden Text der Verfassung diese Möglichkeit? Sie haben die Möglichkeit nur unter der einen Bedingung, daß Sie sofort einen Ersatzmann, nämlich einen anderen Bundeskanzler zur Verfügung haben. Ob diese Möglichkeit sehr oft gegeben sein wird, steht dahin. Auf der anderen Seite ist es sowohl in dem Fall, der hier geregelt ist, im Fall des parlamentarischen Systems, als auch im Fall der präsidialen Demokratie möglich – um ein auf den Grund geratenes Schiff wieder flottzumachen –, den einen oder anderen Mitarbeiter auszuwechseln. Diese Auswechslung geht nach unserem System leichter und ohne Rücksichten parlamentarischer und parteipolitischer Art vor sich, als [S. 397] wenn auf der Grundlage einer Koalition nachgefragt und Rücksicht auf parteipolitische Empfindlichkeiten personeller Art genommen werden muß. Die Gefahr einer Diktatur liegt nicht vor, genau so wenig wie sie in den Vereinigten Staaten oder in der Schweiz vorliegt. Sie liegt nicht nur deshalb nicht vor, weil dort die Demokratie

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mehr Wurzel gefaßt hat, sondern weil die Neuschaffung von Gesetzen jeder Art unabhängig vom Präsidenten ist, der, auch wenn er die Gesetzesinitiative hat, doch vollkommen an die Zustimmung beider Häuser des Parlaments gebunden ist. Und wie wir ihn gebunden haben, darüber bitte ich die Bestimmungen über den Bundesrat nachzulesen. Da kann nach der bestehenden Fassung nicht viel passieren. Die Geschichte der Vereinigten Staaten und der Schweiz hat gezeigt, daß dieses System sich in einem großen und in einem kleinen Staat durchaus bewährt hat. Ob ein Sezessionskrieg, wie ihn die Vereinigten Staaten von 1861 bis 1865 überstanden haben, unter einer parlamentarischen Regierungsform zu überstehen gewesen wäre, das weiß ich nicht. Ich will damit nicht irgend etwas an die Wand malen, sondern nur sagen, daß selbst der stärksten Zerreißprobe, die einem Staat beschieden sein kann, diese Form der Verfassung sich gewachsen gezeigt hat. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist nicht selten, daß man glaubt, in unruhigen Zeiten Abhilfen gegen drohende Gefahren am besten dadurch schaffen zu können, daß man die Regierung möglichst stark macht, indem man eine möglichst auf eine Person konzentrierte Regierungsgewalt schafft. Eine solche verfassungsrechtliche Figur kann ihre Meriten haben, aber ich glaube nicht, daß wir sie heute wählen sollten und wählen können. Es ist immer mißlich, wenn man bei den Erfahrungen anderer Jahrhunderte und anderer Völker Anleihen macht. Herr Kollege Dr. Becker sagt uns, wir hätten nach einer verstaubten Institution des 19. Jahrhunderts gegriffen. Er hat nach einer Institution gegriffen, die das 18. Jahrhundert erfunden hat: Der Präsident, der in seiner Hand die Fülle der Exekutive vereinigt und über seine Amtszeit weg nicht gestürzt werden kann, ist im 18. Jahrhundert erfunden worden. Diese Einrichtung hat sich in den Vereinigten Staaten ausgezeichnet bewährt; das ist keine Frage. Die Frage ist nur, ob sie sich in Deutschland bewähren würde. Ich glaube es nicht, aus zwei Gründen und von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus. Eine solche Machtfülle verleitet dazu, die Macht zu mißbrauchen; und die Macht kann allzuleicht mißbraucht werden, wenn dem Staatsoberhaupt, das gleichzeitig unstürzbarer Chef der Exekutive ist, ein straff gegliedertes, auf Befehl und Gehorsam eingestelltes Beamtentum zur Verfügung steht, wie wir es in Deutschland haben. Der Grund, warum der Präsident der Vereinigten Staaten die Machtfülle, die er hat, nicht mißbrauchen kann, liegt darin, daß der Staat der Vereinigten Staaten – und zwar sowohl in den Gliedstaaten als auch im Bund – nicht wesentlich auf einer Beamtenhierarchie aufgebaut ist. Dasselbe trifft für die Schweiz zu. Auch in der Schweiz gibt es sehr viel mehr Verwaltung von unten her als Verwaltung im Sinne einer Kommandoverwaltung von oben. Deswegen darf, wenn die Freiheit der Bürger nicht allzusehr in Gefahr gebracht werden soll, ein Staat, der aus geschichtlichen Gründen so gefügt ist wie unser deutsches Staatswesen, kein Oberhaupt haben, das zu viel Exekutivgewalt in seinen Händen vereinigt. Das mag in diesem oder jenem Fall mißlich sein, aber ich glaube, daß man diesen Umständen Rechnung tragen sollte. Wenn Herr Kollege Dr. Becker darauf hingewiesen hat, daß unser Volk nun einmal so autoritätsgläubig sei, daß ihm eine solche Konstruktion die Demokratie am ehesten schmackhaft machen könne, und daß wir darum seinem Vorschlag um der Demokratie willen zustimmen sollten, so möchte ich umgekehrt sagen: Wir sollten alles tun, um unserem Volk diese Autoritätsgläubigkeit auszutreiben, und sollten

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das dadurch tun, daß wir es nicht in Versuchung führen, sich irgendeiner Autorität zuzuwenden, auf die es wieder einmal gläubig bauen könnte – aus der es wieder einmal einen Mythos machen könnte, und sei es nur einen Mythos des Bürokratischen, zum mindesten aber des beamtenmäßigen Pathos. Ich fürchte nämlich, daß dieser Staatspräsident, der gleichzeitig Regierungschef auf Zeit wäre, mit der Zeit immer mehr Beamtencharakter annehmen würde, daß er mehr und mehr sich benehmen würde wie eine Art von Oberbürgermeister. Nichts gegen die Oberbürgermeister als Oberbürgermeister in ihren Städten, aber ich hätte sehr viel dagegen, wenn man eine Regierung in erster Linie als eine Institution ansähe, die administrativ zu planen hat – davon wurde gesprochen –, die Verwaltungsmaßnahmen zu planen und durchzuführen hat. Eine Regierung hat zu regieren, das heißt zwar wohl auf lange Sicht hin zu operieren, aber in erster Linie hat sie den wechselnden politischen Situationen in spontanen Gegenwirkungen gerecht zu werden. Und gerade hierbei scheint mir das Planen in dem Sinn, der hier gemeint war, nicht gerade die Aufgaben einer Regierung auszumachen. Dann bitte ich noch eines zu bedenken. Der Gedanke, der die Menschen im 19. Jahrhundert bestimmt hat, das parlamentarische Regierungssystem von England herüber auf den Kontinent zu nehmen, war, daß man ein Regierungssystem haben wollte, das so elastisch ist, daß im Fall von Krisen – Krisen, die außerhalb des Parlaments oder innerhalb des Parlaments entstehen können – die Möglichkeit gegeben ist, den durch die Krise entstandenen Überdruck durch eine Art von Ventil abzublasen. Das ist der Sinn der Regel, daß die Regierung im Falle, daß sie nicht mehr das Vertrauen des Parlaments besitzt, abtreten muß. Wie wäre es denn, wenn wir eine Regierung auf Zeit, obendrein eine solche Präsidialregierung auf Zeit hätten und es zu solchen Krisen käme? Entweder müßte dann der Präsident, wenn er die Situation auf friedliche Weise nicht meistern kann, gehen dann hätten wir die gleiche Situation, die Sie vermeiden wollen –, oder er würde, auf seine Macht gestützt, justament bleiben wollen und mit seinem Parlament Krieg anfangen. Er würde versuchen, sich durchzusetzen. Das würde die Krise verschärfen, und man weiß heute, daß hinter parlamentarischen Krisen sehr häufig Krisen stehen, die in unserer Gesellschaftsstruktur begründet sind. Ein solches Beharren könnte – um mich prägnant auszudrücken – den Tatbestand des Vorliegens einer revolutionären Situation ungeheuer virulent machen, und ich glaube, daß wir in der Zeit, in der wir leben, die Wahrscheinlichkeit für eine solche Entwicklung nicht vermehren sollten. Aus diesen Gründen glaube ich, daß wir gerade heute ein parlamentarisches Regierungssystem brauchen. Es wird häufig gesagt: Ja, das ist ganz schön in ruhigen Zeiten und in ruhigen Ländern, aber in Ländern, in denen es unruhig zugeht, in denen Krisenherde vorhanden sind, ist das „starke“ System richtiger. Ich glaube, genau das Gegenteil ist richtig. Ich möchte sagen: Solche Regierungen auf Zeit, solche inamoviblen25) Regierungen sind dort zu ertragen und ungefährlich, wo es friedlich zugeht, wo eine gesellschaftliche Struktur vorhanden ist, die nicht von innen oder außen bedroht ist, wo die Wirtschaft einigermaßen im Gleichgewicht steht und wo man es sich leisten kann, auch dringende Dinge auf die nächste Wahlperi25)

Aus dem Lateinischen: „unabsetzbaren“.

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ode zu vertagen. Deswegen funktioniert dieses System in der Schweiz und in den Vereinigten Staaten ausgezeichnet. Aber gerade dort, wo Bewegung ist – eine Bewegung, die man vielleicht nicht will, die einem aber durch die Umstände, in denen man lebt, aufgezwungen ist –, muß ein Regierungssystem elastisch sein, gerade dort muß die Möglichkeit vorhanden sein, in rechtlich geordneter Weise die erforderlichen Auswechslungen vorzunehmen, erforderlich durch die Situation, in der man sich befindet, erforderlich, um das Ventil zum Funktionieren bringen zu können. Die Sicherungen, die wir durch unsere bisherigen Beschlüsse geschaffen haben, um eine sinnlose Regierungsstürzerei durch heterogene Mehrheiten zu verhindern, scheinen mir probate Mittel zu sein. Sie erlauben uns einerseits, ein parlamentarisches Regierungssystem zu haben – das heißt eine Regierung zu haben, die dem Parlament verantwortlich ist und [S. 398] die dem Willen eines Parlaments, das eine arbeitsfähige Mehrheit hat, unter Umständen weichen muß. Auf der anderen Seite erlauben uns diese Sicherungen, diese Regierung für den Fall, daß das Parlament sich außerstande zeigen sollte, mit homogenen Mehrheiten zu arbeiten, diesem untauglichen Parlament gegenüber so stark zu machen, wie Sie die Regierung stark haben wollen. Mit anderen Worten, unsere parlamentarische Regierung bleibt bei den Sicherungen, die wir eingeschaltet haben, verantwortlich und zur Verfügung eines Parlaments, das imstande ist, eine arbeitsfähige, homogene Mehrheit zu produzieren. Im anderen Fall ist sie praktisch eine Regierung auf Zeit, und da ist dann der Zustand geschaffen, den Sie haben wollten. Ich glaube, daß wir obendrein ausreichende Möglichkeiten geschaffen haben, damit für den Fall, daß diese Regierung zwar nicht gestürzt, das heißt, nicht ersetzt werden kann, aber mit einem Parlament regieren muß, das eine heterogene Mehrheit hat, die sich gegen die Regierung stellt, diese Regierung trotzdem arbeiten kann und zum mindesten auf die Zeit eines Jahres imstande ist, mehr zu tun, als nur die Geschäfte zu führen. Aus diesen Gründen glaube ich, daß die Lösung, die der Hauptausschuß bisher gefunden hat, gegenüber der nunmehr vorgeschlagenen Lösung den Vorzug verdient. Dr. Süsterhenn (CDU): Die Anträge, die Herr Kollege Dehler und Herr Kollege Bekker vorgebracht haben, bedeuten einen völligen Systemwechsel gegenüber dem, was in der ersten Lesung des Hauptausschusses – soweit ich mich erinnere, nahezu einstimmig – beschlossen worden ist. Ich verkenne nicht, daß die Gründe, die von Herrn Kollegen Dr. Becker vorgebracht worden sind, aller Beachtung wert sind. Es ist zweifellos richtig – das hat auch Herr Kollege Dr. Schmid in seinen letzten Ausführungen aufgegriffen –, daß wir alle von einem starken Mißtrauen gegenüber einem Mißbrauch des parlamentarischen Systems getragen sind. Das hat sich schon bei der Beratung der ersten Länderverfassungen in Deutschland gezeigt. Zum Beispiel ist in der bayerischen Verfassung der Versuch gemacht worden, eine Art Regierung auf Zeit einzurichten. Ich glaube nicht, daß man das, was in der bayerischen Verfassung gefunden worden ist, als eine echte Regierung auf Zeit bezeichnen kann. Aber immerhin, es ist ein Versuch in dieser Richtung. Auch in Württemberg-Baden hat man zur Verhinderung destruktiver Mehrheiten die Bestimmung eingeführt, die wir in ihrem Kerngehalt für unser Staatsgrundgesetz übernommen haben. Diese Tatsache bestätigt, daß Kollege Becker durchaus recht hat, wenn er sagt, daß wir mit einer Fülle von Zweifeln und mit einer Fülle von

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Hemmungen an das parlamentarische System herangegangen sind. Während der Arbeiten des Hauptausschusses waren uns insbesondere die Ereignisse, die sich in Paris abgespielt haben, wo die Regierung mitunter nur tage- und wochenweise im Amt blieb, um dann wieder gestürzt zu werden, ein abschreckendes Beispiel dafür, was sich unter Umständen aus einem zu weit ausgebauten parlamentarischen System ergeben kann, etwas, was zweifellos nicht im politischen Interesse desjenigen Volkes liegt, bei dem dieses System eingeführt ist. Es ist kein Zweifel, daß man Demokratie so und so gestalten kann. Es wird keiner behaupten können, daß das amerikanische oder das schweizerische System an sich weniger demokratisch ist als das parlamentarische System. Wenn Herr Kollege Dr. Schmid ausgeführt hat, man habe das parlamentarische System von England übernommen, weil es da seine Vorzüge bewiesen habe, so dürfen wir unter gar keinen Umständen außer acht lassen, daß das relativ gute Funktionieren des parlamentarischen Systems in England nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, daß in England ein ganz besonders geartetes Wahlrecht gilt, welches einen Wechsel von Regierung und Opposition ermöglicht. Dadurch, daß eine stabile Regierung für eine Legislaturperiode fest in den Sattel gesetzt wird, wird in England praktisch mit Hilfe des parlamentarischen Systems über das Wahlrecht das erreicht, was durch die Anträge, die jetzt gestellt worden sind, hier erreicht werden soll, nämlich daß eine Regierung auf Zeit fest eingeführt wird. Der Antrag Dr. Dehler, Dr. Becker, dessen ernsthafte Begründung ich durchaus respektieren muß und der wirklich einer Überprüfung und Überlegung wert ist, kommt für meine Fraktion, nachdem bisher auf einer ganz anderen Linie verfahren worden ist, sehr überraschend. Wir sind nicht in der Lage, zu diesem grundsätzlichen Systemwechsel heute bereits eine grundsätzliche Erklärung nach der einen oder anderen Seite abzugeben, da die Gegenargumente, die von Herrn Dr. Schmid angeführt worden sind – nämlich der Hinweis auf die Sicherungen, die gegen einen Mißbrauch des parlamentarischen Systems in unser Staatsgrundgesetz bereits in der ersten Lesung eingebaut worden sind –, immerhin zeigen, daß auch dadurch gewisse Gefahren, die sonst zu befürchten sind, in einem gewissen Umfang gebannt sind. Wir sind andererseits der Meinung, daß wir den Fortgang unserer Arbeiten nicht blockieren dürfen und daß wir auf der Grundlage des Systems, das bisher im Hauptausschuß erarbeitet worden ist, die Lesung der Abschnitte VI und VII fortsetzen sollten, wobei wir uns vorbehalten, den grundsätzlichen Charakter des Antrags in unseren Fraktionssitzungen noch einmal zu überprüfen. Wenn wir uns mit dem Gedanken eines solchen Wechsels des Gesamtsystems befreunden können, ist noch die Möglichkeit gegeben, bei einer späteren Lesung die technisch verhältnismäßig einfachen Änderungen anzubringen. Ich schlage daher unter Vorbehalt unserer grundsätzlichen Stellungnahme vor, daß wir auf der Basis des Systems, das wir bisher beschlossen haben, unsere Lesung der Abschnitte VI und VII fortsetzen. Dr. Katz (SPD): Ich bin der gleichen Ansicht wie meine beiden Vorredner Dr. Schmid und Dr. Süsterhenn, allerdings mit dem Unterschied, daß ich für eine vorbehaltlose Fortsetzung der Debatte bin. Wir haben die Vorschläge von Herrn Dr. Dehler und Dr. Becker bereits innerhalb unserer Fraktion mehrfach eingehend diskutiert und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß angesichts der in Deutschland gegebenen Verhältnisse das System der parlamentarischen Demokratie gegen-

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über dem System der Gewaltenteilungsdemokratie den Vorzug verdient. Es ist das europäische demokratische System, und Herr Kollege Dr. Becker wird zugeben, daß dieses System in allen westlichen Demokratien Europas – mit der einzigen Ausnahme der Schweiz, die hier eine Sonderstellung einnimmt funktioniert. Daß die Funktion der pouvoir neutre in anderen Staaten eine größere Macht hat, kann man nicht sagen. Seien es die Monarchen in England, in den skandinavischen Staaten, in Holland oder in Belgien oder die Präsidenten in Irland, Frankreich, Italien oder anderen parlamentarischen Demokratien, sie alle haben eine ähnliche geringe verfassungsmäßige Gewalt, wie wir sie hier in unserem Entwurf vorgesehen haben. Es ist erstaunlich, daß ein Vorschlag wie dieser gerade von einer Partei kommt, die zu den kleineren Parteien rechnet. Denn das System, das Herr Dr. Bekker vorschlägt, arbeitet gut nur in denjenigen Ländern, in denen wir ein Zweiparteiensystem haben. (Dr. Becker [FDP]: In der Schweiz nicht!) Es mag auch dort mehrere Parteien geben, aber das System der wechselnden Regierungen, das Opposition und Regierung austauscht, ist in all den Ländern, wo die parlamentarische Demokratie gut funktioniert, am stärksten ausgebildet. Das System, das Herr Dr. Becker vorschlägt, hat große technische Mängel. Es würde mich nicht beunruhigen, wenn es wirklich das Ei des Kolumbus wäre. Wir müßten aber unsere gesamte Arbeit umstülpen. Wenn das System eingeführt würde, müßten wir mehr tun, als ein paar Umstellungen vornehmen. Wir müßten unsere Arbeit mehr oder weniger von Grund auf neu beginnen. Ich wäre bereit, diese Arbeit zu machen, wenn ich der Überzeugung wäre, daß es besser funktionieren würde als das System, das wir [S. 399] bisher erarbeitet haben. Ich bin aber überzeugt, daß es nicht besser funktionieren würde. Wo sind die Hauptmängel des Systems, das Herr Dr. Becker vorgetragen hat? Der erste ist, daß wir keine plebiszitäre Präsidentenwahl vornehmen wollen und können. Auch Herr Dr. Becker schlägt das nicht vor. Das ist aber das Grundprinzip in den Vereinigten Staaten, wo der Präsident vom Volk gewählt wird. Darauf gründet sich die gewaltige Autorität des Präsidenten und der Exekutivgewalt. (Dr. Becker [FDP]: In der Schweiz nicht!) Daß die Elektorenwahl unter den heutigen Umständen in Deutschland in einer ähnlichen Weise so vorgenommen werden könnte, daß bereits auf die Person des zukünftigen Präsidenten und Kanzlers, des sogenannten neuen Führers, abgestellt wird, ist doch ausgeschlossen. Denn die eine Hälfte der Elektoren wird von den Landtagen gestellt, die bereits gewählt sind, und nur die andere Hälfte der Bundestagsabgeordneten könnte so gewählt werden. Ich kann mir nicht denken, daß die Wahl unter dem Motto des zu wählenden Präsidenten-Kanzlers geführt werden könnte. Auch haben wir weltanschauliche Parteien in Deutschland und nicht Parteien wie in den Vereinigten Staaten, die nicht auf Weltanschauung beruhen. Das wird die Bildung des Zweiparteiensystems, das für das Funktionieren des vorgeschlagenen Systems erforderlich ist, gewaltig erschweren. Ich bin der Ansicht, daß wir das System, das wir bis heute zugrunde gelegt haben, nicht umstürzen sollten und daß die Gründe des Herrn Kollegen Dr. Becker nicht überzeugend sind. Wir haben sie bereits im Organisationsausschuß geprüft und diskutiert und wir haben sie mit überwiegender Mehrheit zurückgewiesen. Unsere

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Fraktion hat sie nach eingehender Aussprache zurückgewiesen. So schließe ich mich den Ausführungen des Herrn Dr. Süsterhenn an und schlage vor, daß wir die Debatte auf der bisherigen Basis fortsetzen, allerdings – das kann ich für meine Fraktion sagen vorbehaltslos. Denn ich glaube nicht, daß sich irgendwelche Vorteile daraus ergeben, daß wir unsere bisherige Basis verlassen und versuchen, eine neue Basis zu finden. Dr. Dehler (FDP): Mein Freund Dr. Becker und ich haben – das darf ich sagen – aus ehrlicher Sorge das ganze Problem noch einmal angeschnitten, nicht leichten Herzens und auch ohne Unterstützung unserer Freunde, was Sie aus der Art des Antrags ersehen. Das wollen wir unverhohlen eingestehen. Auch in unserem Kreis sind die Dinge strittig und werden mit verschiedenen Augen angesehen, teilweise vielleicht auch durch Generationsunterschiede begründet. Man ist skeptischer, man ist gläubiger. Aber ich glaube, der Parlamentarische Rat würde seine Aufgabe nicht erfüllen, wenn er nicht auch einmal in einem größeren Gremium die Problematik der Dinge erörtern würde. Das scheint notwendig zu sein. Wir haben schon vor dem Organisationsausschuß die Frage gestellt und haben dort keine Gegenliebe gefunden. Mein Freund Dr. Becker hat bereits gesagt, daß die Muße der Weihnachtszeit uns dazu geführt hat, die Dinge noch einmal aufzunehmen. Wir stehen doch vor der großen Aufgabe, eine starke und eine wirksame Demokratie aufzubauen. Wir müssen uns fragen: erfüllen wir diese Aufgabe? Wird das Grundgesetz, so wie es sich jetzt darbietet, einen Staat schaffen, der wirksam ist? Ich sage nein und nochmals nein. Das ist doch ein Staat der Ohnmacht, dieser Bund, wie Sie ihn schaffen wollen: ein Bund ohne Außenpolitik, ohne Polizei, ohne Verwaltung, ein Bund mit Menschen ohne Gläubigkeit, ein Staat für ein Volk mit einer Zukunft voll Dunkel und Hoffnungslosigkeit. Wenn Sie den Staat so gründen, dann trägt er den Todeskeim in sich. Wollen wir aus dem lernen, was wir in der Weimarer Republik erfahren haben, oder wollen wir das nicht? Ich habe schon einmal gesagt, die kontinentale Demokratie ist an ihrer falschen Form untergegangen. Das ist meine Überzeugung. Hitler ist nicht zum Siege gekommen, weil er einem Zug der Zeit entsprochen hätte; er ist zum Siege gekommen, weil die Demokratie versagt hat, nicht nur in Deutschland, sondern lange vorher schon im anderen Europa. Die Demokratie, wie sie unser Herr Vorsitzender predigt, hat ihre Aufgabe im 20. Jahrhundert nicht bestanden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe nicht gepredigt, ich habe etwas erläutert. Dr. Dehler (FDP): Sie haben etwas erläutert. – Das Sterben dieser parlamentarischen Demokratie hat schon 1919 begonnen und hat mit dem Zusammenbruch Frankreichs im Jahre 194026) geendigt. Was schaffen wir hier anderes als das Wiederaufleben dieser todkranken Demokratie? Das ist der Glaube meines Freundes Becker und mein eigener Glaube. Wir imitieren in beinahe sklavischer Weise die parlamentarische Demokratie von Frankreich, von der wir sehen, daß sie nicht leben und nicht sterben kann. Ein ohnmächtiger, schattenhafter Präsident, ein Parlament, das die Omnipotenz in Anspruch nimmt und in Wirklichkeit ohnmächtig ist, diese parlamentarische Demokratie ist nicht in der Lage, die große Aufgabe des 20. Jahrhunderts, die Lenkung der großen Massen, in Wirklichkeit zu erfüllen. 26)

Statt „1940“ im stenograph. Wortprot., S. 48: „1941“.

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(Dr. Schmid [SPD]: Eine gefährliche Sache, was Sie hier sagen!) Ich sehe keine Chance für den Parlamentarismus, wie er hier wieder niedergelegt wird, ohne Witz und ohne neue Einfälle. Es ist nicht richtig, daß das konstruktive Mißtrauensvotum die Situation wesentlich ändert. Aus den Erfahrungen der Weimarer Zeit wissen wir, daß alle Kabinette, bis auf eines, nicht durch ein Mißtrauensvotum gestürzt wurden27), sondern durch das Auseinanderfallen der Koalition. Das wird wiederkommen. Es wird der Fall eintreten, daß einem Kanzler die Felle davonschwimmen, daß er sich nicht wird halten können; und auch wenn er im Amte bleibt, wird er das Amt nicht führen können, weil ihm die Grundlage fehlt. Dann stehen wir vor derselben Situation. Herr Dr. Schmid sagt, eine Demokratie muß den großen strukturellen Krisen nachgeben können – so ungefähr habe ich es verstanden –, es muß ein Ventil da sein für die politischen Spannungen. Ich halte das für eine Utopie. Viel wichtiger ist die Aufgabe, eine Regierung zu schaffen, die handeln kann und die nicht deswegen undemokratisch ist, weil sie nicht jeder Stimmung im Parlament folgen muß. Daß eine unechte Krise die Regierung lähmt, das ist die große Gefahr, der wir begegnen müssen und der wir dadurch begegnen, daß wir dem Chef der Regierung Stabilität geben. Darauf kommt es an. Wenn ich an die Erfahrungen der Weimarer Zeit denke, so muß ich fragen: Waren es echte Krisen, die dazu geführt haben, daß die verschiedenen Kabinette gestürzt wurden? War der Flaggenerlaß28) des Herrn Luther29) ein echter Anlaß oder der Young-Plan30) oder vorher schon der DawesPlan31)? Nicht die großen soziologischen Krisen haben dazu geführt, daß die Regierungen stürzten, sondern irgendwelche Anlässe, vor denen man auswich, vor denen die Parteien oder ein Regierungschef nicht bestanden, haben zu Krisen geführt. Ich sehe nicht die Gefahr, daß ein Mißbrauch des Präsidialsystems möglich ist, der zu einer Entartung führen würde. Jede Regierungsform hat ihre Schwächen. Ich glaube nicht, daß bei der Form, die wir vorschlagen, wirklich ein Mißbrauch möglich ist. Ein Mißbrauch ist nicht möglich angesichts der Tatsache, daß die Gesetzgebung ausschließlich beim Parlament32) liegt. Die Regierung kann nur im Rahmen der Gesetze handeln. Wenn es uns gelingt, neben dem Präsidenten eine saubere, intakte Gerichtsbarkeit auf verfassungsgerichtlicher Grundlage aufzubauen, so gibt es nicht die Gefahren, die hier an die Wand gemalt werden. Mein Freund Dr. Becker hat mit Recht gesagt, unser Volk hat einen Autoritätsglauben. (Dr. Schmid [SPD]: Leider!) [S. 400] 27) 28) 29)

30) 31) 32)

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Vgl. dazu oben Dok. Nr. 3, S. 78 mit Anm. 24. Zur Flaggenordnung von 1926 vgl. oben Dok. Nr. 4, S. 123, Anm. 37. Hans Luther (1879–1962), 1904 Dr. iur., 1907 Stadtrat in Magdeburg, 1918–1922 Oberbürgermeister von Essen, 1922–1923 Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, 1923–1925 Reichsfinanzminister, 1925–1926 Reichskanzler, 1930–1933 Reichsbankpräsident, 1933–1937 deutscher Botschafter in den USA, 1952–1955 Vorsitzender des Sachverständigen-Ausschusses für die Neugliederung des Bundesgebietes. Zum Young-Plan vgl. oben Dok. Nr. 22, S. 667, Anm. 64. Der Dawes-Plan vom 16. Aug. 1924 regelte die Reparationszahlungen Deutschlands nach dem Friedensvertrag von Versailles. Statt „Parlament“ im stenograph. Wortprot., S. 50: „Präsident“.

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– Ich sage nicht „leider“. Das ist eine der wenigen Aktiven, die wir noch haben. Eine Demokratie ohne Vertrauen, ohne Gläubigkeit kann nicht bestehen. (Dr. Schmid [SPD]: Demokratie ist Funktion des Selbstvertrauens und nicht des Vertrauens auf andere.) Wir haben im Parlamentarischen Rat bei der Adenauer-Krise erlebt, wie ein künftiger Bundestag und seine Arbeit sich gestalten werden, so wie Sie sie sich vorstellen. Es war erschreckend, zu sehen, wie echte Anlässe, die zu einer echten Krise hätten führen müssen, parteitaktisch verdorben, parteitaktisch mißbraucht worden sind. Das gleiche wird bei den großen Anlässen wiederkehren. Der Parlamentarismus wird nicht die Möglichkeit des Spieles und des dynamischen Sich-auswirkens der Gegensätze geben. Das ist die große Gefahr, daß in dieser Zeit die Unruhe, in der nichts vorhanden ist, was uns zusammenhält, das Spiel der Parlamente nur auflösend und nicht zusammenschließend wirken wird. Wir müssen unserem Staat feste Formen geben, und darum ist der Gedanke der amerikanischen Präsidialregierung nach meiner Meinung für uns etwas Konstruktives und Positives. Es ist falsch, die Schweiz zu apostrophieren. Dort liegen die Dinge anders. Natürlich sind bei uns manche Voraussetzungen Amerikas nicht gegeben; wir haben kein Zweiparteiensystem und wir haben Weltanschauungsparteien. Das sind aber alles keine Gründe gegen die von uns vorgeschlagene Lösung. Es wäre selbstverständlich sympathischer, wenn wir zum Plebiszit übergehen könnten. Wir haben die Bedenken, die im Hause geteilt worden sind, auch nicht wegschieben können. Wir sind der Meinung, daß unser Volk in der jetzigen Lage nicht befähigt ist, den richtigen Mann herauszustellen. Deshalb die Bundesversammlung als breitgefügtes Gremium, das an die Stelle des Volkes treten soll. Der Bundespräsident hat seine Legitimation nicht im Parlament, ist nicht vom Parlament abhängig, sondern von einem Gremium, das weit über das Parlament hinausreicht. Das gibt ihm eine Kraft eigener Art und macht ihn gegenüber dem Parlament selbständig. Das Parlament hat ausschließlich die Gesetzgebungsfunktion und damit die Macht der Kontrolle gegenüber dem Bundespräsidenten. Ich möchte bitten, diese Dinge schon deswegen, weil wir gegenüber unserem Volk die Verantwortung dafür tragen, die Dinge erwogen und nach den richtigen Formen gesucht zu haben, nicht einfach wegzuschieben. Die Probleme müssen einmal erörtert werden, und zwar vor der Öffentlichkeit. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß in unserem Volk der Wunsch nach einer starken Demokratie vorhanden ist und daß die Skepsis gegenüber dem reinen Parlamentarismus mit seinen Entartungen groß ist. Tragen Sie diesem gesunden Gefühl unseres Volkes Rechnung und prüfen Sie reiflich, bevor Sie entscheiden! Dr. Lehr (CDU): Die Aussprache über das Für und Wider in dieser Sache hat gezeigt, daß es notwendig ist, die Angelegenheit heute nicht zu entscheiden, sondern noch einmal zurückzuverweisen, damit das Gewichtige des neuen Vorschlags noch einmal gründlich geprüft wird. Es sind so ernsthafte und große Gedanken, daß sie in der rechten Weise noch einmal gewürdigt zu werden verdienen. Das kann nicht durch die heutige Aussprache geschehen, sondern das muß in dem engeren Kreis des zuständigen Ausschusses noch einmal gründlich erwogen werden. Wir sind uns durchaus bewußt, daß nicht diese oder jene Form der Demokratie das Entscheidende für die Zukunft ist, sondern der Geist, der die Demokratie und die

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Parteien erfüllt. Trotzdem ist auch die äußere Form ein sehr wesentliches Moment, das wir nicht außer acht lassen dürfen. Deshalb nehme ich meinen ursprünglichen Vorschlag auf und beantrage die Zurückverweisung an den Organisationsausschuß. Dr. Katz (SPD): Ich hätte gegen eine erneute Diskussion im Organisationsausschuß nichts einzuwenden unter der Voraussetzung, daß wir hier in der Beratung fortfahren. Sonst sind wir für unsere weitere Arbeit gelähmt. Ich hätte auch nichts dagegen, daß diese Diskussion im Organisationsausschuß öffentlich geführt wird. Es ist das offenbar einer der Wünsche, die die Herren Dr. Becker und Dr. Dehler haben. Dr. Becker (FDP): Ich bitte, mir das Wort zu einer kleinen Nachlese zu geben. Ich habe nichts gegen den Antrag Dr. Lehr einzuwenden, bin aber auch bereit, vor dem Hauptausschuß die Debatte fortzusetzen. Wir brauchen nur die Generaldebatte. Was an technischen Einzelheiten zu erörtern wäre, falls Sie unserem Antrag zustimmen, kann man im Fachausschuß erledigen; sie sind nicht so groß, wie Sie vielleicht meinen. Wir haben uns die Vorlage daraufhin angesehen. Unser Herr Vorsitzender33) hat darauf hingewiesen, es bestehe die Gefahr, daß dieser neue Bundespräsident sich eine große Macht anmaße, und daß die Gefahr einer Diktatur drohe. Dem ist nicht so, sondern der Präsident hat nach unserem Vorschlag nur die vollziehende Gewalt. Die Gesetzgebung liegt ausschließlich bei den beiden Kammern des Parlaments, und ohne deren Zustimmung kann er keine neuen Bestimmungen treffen. Umgekehrt ist gesagt worden, es bestehe die Gefahr, daß Staatskrisen auftreten und schließlich eine revolutionäre Entladung zur Folge haben könnten, weil nichts geschieht. Auch das trifft nicht zu. Die beiden Kammern des Parlaments sind in der Lage, von sich aus Gesetze zu beschließen, genau so wie der Kongreß in Nordamerika. Wir haben sogar kein Veto dieses Präsidenten vorgesehen. Das Parlament kann von sich aus, wenn es das Zeug dazu in sich fühlt, auf gesetzgeberischem Weg die Lösung solcher Krisen seinerseits in die Hand nehmen, wenn der Präsident versagen sollte. Es ist auch auf die Gefahr hingewiesen worden, es könnte zu einer Herrschaft der Bürokratie kommen. Ich möchte darauf hinweisen, daß gerade durch die Verwaltungsrechtsprechung – nicht nach dem alten preußischen Enumerationsprinzip34), sondern so, daß gegen jede behördliche Anordnung die Möglichkeit verwaltungsgerichtlichen Einschreitens besteht – das Volk dazu erzogen wird, sich nichts gefallen zu lassen, was es für unrecht hält. Kommt diese Erziehung in das Volk hinein, dann sehe ich die Gefahr einer Bürokratisierung oder eines In-die-Knie-Sinkens des Volkes vor einer bürokratisch angehauchten Regierung nicht als gegeben an. Ich sehe sie dann nicht – und damit komme ich zurück auf eine Lieblingsidee von mir, eine Idee, in die ich mich hier in Bonn verliebt habe, die Senatsidee –, wenn wir es fertigbringen, in einem Senat eine Gruppe von Menschen, Führerpersönlichkeiten heranzuziehen, wie sie die Demokratie auch braucht. Damit schaffen wir etwas, was der Demokratie Ansehen gibt. Die Demokratie braucht auch eine 33) 34)

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Carlo Schmid. Aus dem Lateinischen „enumerare“ – aufzählen; juristischer Fachbegriff, der ein Prinzip beschreibt, eine Zuordnung im Wege der Aufzählung vorzunehmen.

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Elite, zu der sie hinaufsehen kann. Wenn ich an meine Jugendjahre denke, dann erinnere ich mich an Namen wie Bebel35), Singer36), von Kardorff37), Naumann38), Bassermann39); das waren Namen, zu denen man aufblickte und die etwas vorstellten. Das muß wieder kommen. Wenn es uns gelingt, auf dem Weg über eine vernünftige Kommunalpolitik, gewissermaßen im Rahmen einer aufgegliederten Demokratie von unten herauf, die Massenherrschaft, wie sie in einer großen Demokratie entstehen könnte, durch die Aufgliederung der Demokratie aufzufangen und auf der anderen Seite das Volk von unten her zur Selbstregierung zu erziehen, dann sehe ich die Gefahren, die an die Wand gemalt worden sind, nicht als vorhanden an. Es ist gesagt worden, dieses System funktioniere nur in den Staaten mit einem Zweiparteiensystem. Ich habe schon in einem Zuruf das Beispiel der Schweiz erwähnt. Dort läuft es mit mehreren Parteien genau so. Endlich darf ich darauf verweisen: Wenn wir hier als Mitglieder einer kleinen Partei diesen Vorschlag machen, dann tun wir es nicht deswegen, weil wir Angehörige einer kleinen Partei sind. Wir tun es ganz ohne Rücksicht darauf, ob wir einer kleinen oder einer großen Partei angehören, sondern wir tun es, weil wir vom staatspolitischen Standpunkt aus diese Dinge für richtig halten. Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, kann ich auf Grund der Besprechungen, die ich mit Damen und Herren aus allen parteipolitischen Schichten geführt habe, sagen, daß diese unsere [S. 401] Meinung überall vertreten wird, teils in größerem Umfang, teils in kleinerem Kreis. Die Demokratie muß, wie sie ihre Elite haben muß, auch ihre Würde und ihre Autorität haben, wenn sie bestehen will. Regierungsverhältnisse, die dahin führen, daß der Herr, der heute Kolonialminister ist, morgen Finanzminister oder Minister des Innern ist, erinnern doch sehr an das Spiel, das die Kinder spielen: „Bäumchen, wechselt euch!“ Es dient nicht zum Ruhm der demokratischen Einrichtung, wenn ein derartiges Spiel alle paar Monate vorgeführt wird. Wir wol-

35)

Zu August Bebel vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 30, Anm. 64. Wilhelm von Kardorff (1828–1907), 1866–1876 und 1888–1907 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, 1868–1906 Mitglied des Reichstags (Freikonservative Partei), Vertrauter des Reichskanzlers Otto von Bismarck, 1885 Mitglied des Preußischen Staatsrates. 37) Paul Singer (1844–1911), 1862 Mitglied der liberalen Deutschen Fortschrittspartei, 1868 Mitbegründer des „Demokratischen Arbeitervereins“, 1869 Mitgründer der Damenmäntelfabrik „Gebr. Singer“, Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), 1879 Initiator der Zeitschrift „Sozialdemokrat“ in Zürich, 1884–1911 Stadtverordneter von Berlin, 1884 Gründer des „Berliner Volksblatt. Organ für die Interessen der Arbeiter“ (Vorläufer des „Vorwärts“), 1884–1911 Mitglied des Reichstags, 1890 mit Bebel Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). 38) Zu Naumann vgl. oben Dok. Nr. 21, S. 622, Anm. 55. 39) Ernst Bassermann (1854–1917), 1880 Rechtsanwalt in Mannheim, 1893 Mitglied Des Reichstags (Nationalliberalen Partei), 1898 Vorsitzender der Reichstagsfraktion, 1901 Mitbegründern der Gesellschaft für soziale Reform. 1905 Vorsitzender der NLP, 1914 Soldat im Ersten Weltkrieg, 1917 gehörte er zu den Unterstützern des sogenannten uneingeschränkten U-Boot-Kriegs. Zugleich forderte er von der Regierung innenpolitische Reformen. Im Februar 1917 trat Bassermann von allen politischen Ämtern zurück und legte sein Reichstagsmandat nieder. Am 24. Juli verstarb er in Baden-Baden. 36)

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len eine Demokratie mit Würde und Autorität, und ich glaube, daß unser Antrag der Weg dahin ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Eine kurze Bemerkung. Ich glaube nicht, daß es im Falle der Annahme des Antrags Dr. Dehler, Dr. Becker damit getan sein wird, einige kleine technische Modifikationen vorzunehmen. Wenn dieser Antrag angenommen werden sollte, dann haben wir einen völlig anderen Staat vor uns, als wir ihn bisher gewollt haben. Wir werden nicht nur einige technische Modifikationen vornehmen, sondern uns ganz neu überlegen müssen, wie dieser neue Staat nun im einzelnen auszusehen hätte. Das würde dem ganzen Grundgesetz eine völlig andere Bedeutung geben, als das nach unseren bisherigen Beschlüssen der Fall ist. Es würde der Administration einen völlig anderen Charakter geben, als sie ihn bisher hat. Ich könnte mir nicht vorstellen, daß man diesen Dingen durch kleine technische Modifikationen Rechnung tragen könnte. Wir müßten ein völlig neues Grundgesetz schaffen, neu in jedem seiner Abschnitte. (Widerspruch des Abgeordneten Dr. Becker [FDP].) Wir müssen jetzt über die Prozedur entscheiden. Es ist der Antrag gestellt, den Antrag Dr. Dehler, Dr. Becker an den Organisationsausschuß zurückzuverweisen, im übrigen aber in den Beratungen und Abstimmungen fortzufahren. Mit anderen Worten, das Ergebnis der Beratungen des Organisationsausschusses würde in eine dritte Lesung kommen müssen. Ich kann es mir technisch nur so vorstellen, daß entweder die Herren Antragsteller sich jetzt in unseren Beratungen auf den Standpunkt stellen, daß nach der Konzeption dieses Abschnitts VI abgestimmt wird, oder daß wir über den Antrag in Ziffer 7 der Vorlage Dr. Dehler, Dr. Becker (PR. 1.49 – 463) abstimmen, den Art. 82 wie folgt umzuändern: Der Bundespräsident übt die vollziehende Gewalt aus. Er bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Er ernennt und entläßt die Minister und Staatssekretäre. Auf die Minister findet Art. 77 Anwendung. Falls über diesen Antrag abgestimmt wird, ist Klarheit geschaffen. Dr. Katz (SPD): Ich fasse es so auf, daß Sie diese Anträge für eine spätere Lesung zurückstellen – weil sonst bei jedem Artikel abgestimmt werden müßte – und daß wir auf der bisherigen Basis weiterfahren. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wollen Sie, daß so verfahren wird, Herr Kollege Dr. Becker? (Dr. Becker [FDP]: Das ist nicht möglich.) – Oder wollen Sie so verfahren, als ob dieser Antrag für diese Lesung nicht gestellt wäre? Dr. Becker (FDP): Ich könnte mir folgenden Weg denken. Wir debattieren weiter auf der Grundlage der bisher vorliegenden Entwürfe, wir stellen also in dieser Debatte fest, ob auf der Grundlage des bisher vorhandenen Systems noch Abänderungsanträge oder Wünsche bestehen oder nicht, stellen aber die Abstimmung, die eine Formangelegenheit sein würde, auf der Grundlage des bisherigen Entwurfs bis Montag oder Dienstag zurück, so daß in der Zwischenzeit die grundsätzlichen Fragen geklärt werden können. Vors. Dr. Schmid (SPD): So können wir nicht verfahren. Wir müssen zu den einzelnen Artikeln abstimmen. Dr. Katz (SPD): Ich wollte dasselbe sagen. Wir müssen eine Abstimmung vorneh-

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men. Das soll nicht ausschließen, daß Ihre neuen Gedanken, wenn eventuell ein neues System herauskommt, bei der späteren Lesung vorgebracht werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann können wir so verfahren40). Ich stelle zur Beratung und Abstimmung den Abs. 1 des Art. 75 in der Fassung der Beschlüsse des Hauptausschusses. – Abs. 1 ist angenommen. Wir kommen zu Abs. 2. Walter (CDU): Hier haben die Demokraten den Antrag gestellt, hinter den Worten „des Bundestags“ einzufügen: „des Bundesrats“. Wir möchten uns diesem Antrag anschließen, daß die Bundesversammlung nicht nur aus den Mitgliedern des Bundestags, sondern auch aus denen des Bundesrats bestehen soll. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Bundesversammlung soll sich also zusammensetzen nicht nur aus den Mitgliedern des Bundestags und aus den Elektoren, sondern als Drittes kämen dann noch die Mitglieder des Bundesrats hinzu. Dr. Becker (FDP): Ich möchte sagen, daß dieser Antrag Teil eines Ganzen war und auf der Grundlage der Dinge beruht, die ich vorgetragen habe. Wir haben jetzt nichts dagegen, daß auf der Grundlage des bisherigen Systems einstweilen dieser Zusatz gemacht wird. Nur möchte ich bitten, daß er, wenn darüber debattiert wird, nicht aus unserem System herausgebrochen wird. Dr. Katz (SPD): Es handelt sich, wenn ich Herrn Kollegen Walter richtig verstanden habe, um die Wiederaufnahme des Antrags erster Lesung, auch die Bundesratsmitglieder zu Elektoren zu machen. Dagegen haben wir die größten Bedenken, weil sie normalerweise ein instruiertes Votum abzugeben haben. Instruierte Elektoren darf es nicht geben. Man könnte einwenden, daß sie für diesen Fall entbunden werden können. Es paßt aber nicht in das System hinein, daß ein Bundesratsmitglied, das für jede andere Abstimmung seine Instruktion von der heimatlichen Hauptstadt zu holen hat, nur für diesen einen Fall entbunden wird. Ich bitte daher, diesen Antrag abzulehnen. Dr. Seebohm (DP): Wir haben in der ersten Lesung über diese Frage eingehend debattiert. Ich habe noch einen anderen Antrag gestellt, er ist neu formuliert und liegt als unser Antrag Nr. 22 auf Drucksache PR. 12.48 – 41741) vor: Der Hauptausschuß wolle beschließen: Art. 75 Abs. 6 erhält folgenden Zusatz: Die Wahl bedarf der Zustimmung des Bundesrats. Stimmt der Bundesrat nicht zu, so ist der Wahlakt zu wiederholen. Er wird rechtskräftig, wenn die Bundesversammlung die gleiche Persönlichkeit wie beim ersten Wahlakt wählt. Begründung: Der Bundesrat als Träger des Bundeswillens muß bei der Wahl des Bundespräsidenten beteiligt werden. Kommt keine Übereinstimmung zwischen Bundesversammlung und Bundesrat zustande, so geht der Wille der Bundesversammlung vor. Dabei soll es keinen Unterschied machen, ob beim zweiten 40)

Der Antrag von Becker und Dehler wurde in der 29. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 11. Jan. 1949 behandelt. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 41, S. 1024–1040; Vgl. dazu auch 49. Sitzung des HptA am 9. Febr. 1949 unten Dok. Nr. 49, S. 1541–1551. 41) Richtig: 416. – Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 22 der DP-Fraktion zu Art. 75 vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 416.

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Wahlakt in der Bundesversammlung ein anderes Abstimmungsergebnis erzielt wird als beim ersten Wahlakt. Unter Wahlakt sind einer oder mehrere Wahlgänge in der Bundesversammlung zu verstehen. Ich bitte, diesen Antrag, den ich eigentlich erst zu Abs. 6 gestellt habe, gleich hier mit zu behandeln. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zuerst abstimmen über den Abänderungsantrag, hinter den Worten: „des Bundestags“ die Worte einzufügen: „des Bundesrats“, so daß es dann heißen würde: [S. 402] Die Bundesversammlung besteht aus den Mitgliedern des Bundestags, des Bundesrats und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden. – Mit 11 gegen 9 Stimmen angenommen. Damit würde Ihr Antrag in Wegfall kommen, Herr Kollege Dr. Seebohm? Dr. Seebohm (DP): Natürlich. Er war als Ergänzung gedacht für den Fall, daß der Bundesrat nicht ein Teil des Wahlkörpers werden sollte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Abs. 3 abstimmen. – Einstimmig angenommen. Ich lasse über Abs. 4 abstimmen. – Einstimmig angenommen. Wir kommen zu Abs. 5. Dr. Dehler (FDP): Der Redaktionsausschuß schlägt vor, zu sagen: Nach Ablauf der Wahlperiode beginnt die Frist des Abs. 4 Satz 1 mit dem ersten Zusammentritt des Bundestags. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Abs. 5 in der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Abs. 5 ist in dieser Fassung einstimmig angenommen. Wir kommen zu Abs. 6. Walter (CDU): Nur eine sprachliche Änderung! Können wir am Anfang von Abs. 6 nicht sagen: „Gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält“? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube auch, daß die Formulierung „Gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält“ besser ist. Ich lasse über Abs. 6 in dieser Formulierung abstimmen. – Angenommen. Ich lasse über Abs. 7 abstimmen. – Einstimmig angenommen.

[3.2. ART. 76: AMTSDAUER UND WIEDERWAHL]

Art. 76 Das Amt des Bundespräsidenten dauert fünf Jahre. Anschließende Wiederwahl ist nur einmal zulässig. Ich lasse abstimmen. – Angenommen.

[3.3. ART. 77: INKOMPATIBILITÄT]

Art. 77 – die Frage der Inkompatibilität ist zurückgestellt worden. Der Redaktionsausschuß hat folgenden Vorschlag gemacht:

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(1) Der Bundespräsident darf weder der Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes angehören. (2) Der Bundespräsident darf kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung noch dem Aufsichtsrat eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören. Walter (CDU): Es heißt in Abs. 1, daß der Bundespräsident „weder der Regierung . . .“ angehören darf. Das bezieht sich wohl nur auf die Bundesregierung. Ich gehe aber davon aus, daß der Bundespräsident auch nicht einer Landesregierung angehören kann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es steht ja hier: „. . . oder eines Landes“. Das bezieht sich auf beides. Walter (CDU): Wenn das die Auffassung ist, dann habe ich keine Bedenken. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 77 in der verlesenen Fassung abstimmen. – Einstimmig angenommen.

[3.4. ART. 78: AMTSEID]

Art. 78 Der Bundespräsident leistet bei seinem Amtsantritt vor den versammelten Mitgliedern des Bundestags und der Länderkammer folgenden Eid: „Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohl des deutschen Volkes widmen, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“ Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden. Der Redaktionsausschuß hat eine Änderung in der Eidesformel vorgeschlagen: Ich schwöre, daß ich meine Pflichten als Präsident der Bundesrepublik Deutschland gewissenhaft erfüllen, meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe. Dr. Seebohm (DP): Wir haben einen Antrag (Antrag Nr. 23, PR. 12.48 – 417)42) eingebracht, um die Eidesformel der Weimarer Verfassung43) wieder aufzunehmen, weil sie uns sprachlich schöner erscheint: Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze 42)

Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 23 der DP-Fraktion zu Art. 78 vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 417. 43) Art. 42 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Der Reichspräsident leistet bei der Übernahme seines Amtes vor dem Reichstag folgenden Eid: Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, die Verfassung und die Gesetze des Reichs wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. Die Beifügung einer religiösen Beteuerung ist zulässig.“ RGBl. S. 1391.

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des Bundes wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. Ich weiß nicht, ob es notwendig ist, daß, wenn man den Bundespräsidenten vereidigt, er dann ausdrücklich erklären muß, daß er seine Pflichten als Bundespräsident erfüllen wird. Das ist doch selbstverständlich, und ich glaube nicht, daß es notwendig oder gar schön ist, daß man ihn seinen Amtstitel in der Schwurformel nennen läßt. Vors. Dr. Schmid (SPD): In Ihrem Vorschlag vermisse ich die Wendung: „. . . das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes verteidigen“. Ich glaube, das ist doch recht wichtig. Dr. Seebohm (DP): Das ist wohl nur ein Druckfehler. Es soll heißen: „. . . wahren und verteidigen.“ Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben nun außer der Vorlage des Hauptausschusses zwei Anträge. Dr. Dehler (FDP): Abs. 2 könnten wir streichen, weil schon in Art. 5 Ziffer 3 festgelegt ist, daß niemand gezwungen werden darf, eine religiöse Eidesformel zu benutzen. Das ist bereits in den Grundrechten festgelegt und versteht sich von selbst. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen. Man kann hier nicht gut sagen, welcher Antrag weiter geht. Ich stelle zuerst den Antrag Dr. Seebohm zur Abstimmung. – Mit 10 gegen 7 Stimmen angenommen. Wird der Antrag gestellt, daß Abs. 2, dessen Streichung Herr Dr. Dehler beantragt hat, hinzugefügt wird? Dr. Katz (SPD): Ich bitte, ihn aufrechtzuerhalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, diesen zweiten Absatz hinzuzufügen. – Es ist mit 9 gegen 6 Stimmen so beschlossen. Der Hauptausschuß vertagt sich auf Sonnabend, den 8. Januar 1949, 9 Uhr. Schluß der Sitzung 18 Uhr.

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Nr. 33 Dreiunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses 8. Januar 1949 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 403–415. PA 2004. Ungez. von Herrgesell gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 531 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: de Chapeaurouge, Fecht, Kaufmann, Kleindinst, Laforet, Schlör, Walter, Wirmer SPD: Katz, Kuhn, Löwenthal, Maier, Menzel, Mücke, Runge, Schmid (Vors.), Schönfelder FDP: Heuss, Schäfer DP: Seebohm KPD: – Zentrum: Wessel Abgeordnete ohne Stimmrecht: Dehler3) (FDP), Kaiser (CDU/CSU), Lehr (CDU/CSU), Lensing (CDU/CSU), Schäfer (FDP) Stenographischer Dienst: Herrgesell Dauer: 9.25–11.05 Uhr

[1. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT III: BUND UND LÄNDER, ART. 36 ZIFFER 13]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben uns zunächst mit Art. 36 Ziffer 13 zu befassen. Die Ziffer lautet4): „die Förderung der wissenschaftlichen Forschung“. Ich habe den Eindruck, der Austausch der Gedanken ist hier so weit fortgeschritten, daß wir heute darüber Beschluß fassen können. Herr Dr. Laforet, ich bitte Sie, dem Ausschuß Ihre Formulierung bekanntzugeben. Dr. Laforet (CSU): Ich würde die ursprüngliche Formulierung5) lassen. Ich würde nicht aufnehmen: die Organisation, sondern sagen: die Förderung der wissenschaftlichen Forschung, damit eine Grundlage für den Fall gegeben ist, daß man irgendeine Bundesunterstützung braucht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Förderung der wissenschaftlichen Forschung bedeutet nicht nur, daß Geld gegeben wird, sondern eine Förderung der wissenschaftlichen Forschung kann auch darin liegen, daß man für diese Forschung bestimmte Organisationen schafft.

1)

Protokollführer Pauls; geschrieben Frau Wistorf; verlesen v. Zitzewitz/Kelz. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Dehler war als Vertreter des Redaktionsausschusses anwesend. 4) Grundlage der Beratung war die Drucks Nr. 340 mit den Beschlüssen der 1. Lesung im HptA vom 10. Dez. 1948 vgl. unten Anm. 6. – Der HptA empfahl allerdings zu Art. 36 Ziff. 13: „entfällt“. Statt dessen wurde hier in der 30. Sitzung des HptA am 8. Jan. 1949 die wissenschaftliche Forschung eingefügt. Vgl. nachfolgende Anm. 5) Für den Wortlaut der Fassung vom 8. Jan. 1949 vgl. Dok. Nr. 30, S. 898: „die Organisation und die Förderung der wissenschaftlichen Forschung“. 2)

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(Dr. Laforet [CSU]: Daß man Aufgaben stellt!) Besteht darüber Einverständnis? (Zustimmung.) – Dann lasse ich darüber abstimmen, ob in Art. 36 Ziffer 13 aufgenommen werden soll: „die Förderung der wissenschaftlichen Forschung“. – Die Ziffer ist einstimmig angenommen.

[2. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT VI: DER BUNDESPRÄSIDENT (FORTSETZUNG)] [2.1. ART. 79: VERTRETUNG DES BUNDESPRÄSIDENTEN]

Wir können dann beim Abschnitt VI Der Bundespräsident fortfahren. Wir sind bei Art. 79 stehengeblieben. Die Fassung der ersten Lesung des Hauptausschusses (PR. 12.48 – 340)6) lautet: (1) Der Bundespräsident wird im Falle seiner Verhinderung durch den Präsidenten der Länderkammer vertreten. Das gleiche gilt für die einstweilige Vertretung bei vorzeitiger Erledigung des Amtes. (2) Bei vorzeitiger Erledigung des Amtes findet binnen 30 Tagen die Neuwahl statt. (3) Hat die Verhinderung des Bundespräsidenten mehr als sechs Monate gedauert oder stellen die Präsidenten des Bundestags und der Länderkammer gemeinsam mit dem Bundeskanzler fest, daß die Verhinderung voraussichtlich länger als sechs Monate dauern wird, so gilt Abs. 2 entsprechend. Man kann das Wort „Länderkammer“ als farbloses Wort einmal stehenlassen. Man wird dann die Bezeichnung einsetzen, auf die das Haus sich für die Vertretung der Länder geeinigt haben wird. Die Fassung des Redaktionsausschusses (PR. 12.48 – 370)7) lautet: (1) Die Befugnisse des Bundespräsidenten werden im Falle seiner Verhinderung oder bei vorzeitiger Erledigung des Amtes durch den Präsidenten des Bundesrats wahrgenommen. (2) Bei vorzeitiger Erledigung des Amtes findet binnen dreißig Tagen die Neuwahl statt. (3) Stellen die Präsidenten des Bundestags und des Bundesrats gemeinsam mit dem Bundeskanzler fest, daß die Verhinderung des Bundespräsidenten mehr als sechs Monate gedauert hat oder voraussichtlich länger als sechs Monate dauern wird, so ist die Bundesversammlung binnen dreißig Tagen einzuberufen. Bestätigt die Bundesversammlung die Feststellung, so hat sie die Neuwahl vorzunehmen. 6)

Für den Wortlaut der Drucks Nr. 340 mit den Beschlüssen der 1. Lesung im HptA vom 10. Dez. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 3, S. 91–132. 7) Für den Wortlaut der Drucks Nr. 370 vom 13. Dez. 1948 mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu Art. 1–85 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 4, S. 133–161.

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Dr. Seebohm (DP): Wir haben den Antrag gestellt (PR. 12.48 – 418)8), in Abs. 3 der Fassung des Redaktionsausschusses die Worte „oder voraussichtlich länger als sechs Monate dauern wird“ zu streichen, weil sonst die Gefahr gegeben ist, daß der Bundespräsident aus Anlaß einer Erkrankung abgesetzt wird, wenn die Präsidenten beider Kammern des Parlaments und der Bundeskanzler übereinstimmen. Noch bedenklicher würde es aber sein, wenn das Bundesverfassungsgericht durch einstweilige Anordnung gemäß Art. 85 Abs. 2 die Verhinderung des Bundespräsidenten, sein Amt auszuüben, bestimmen sollte. Dann könnte das endgültige Urteil des Bundesverfassungsgerichts durch Amtsverlust vorweggenommen werden. Es ist natürlich eine sehr schwierige Angelegenheit, festzustellen, worin diese Behinderung besteht. Es liegt immer eine gewisse Gefahr darin, daß das Bundesverfassungsgericht in diesem Fall die Möglichkeit hat, wenn irgendwelche besonderen Anlässe vorliegen, einzugreifen. So glauben wir, daß es richtiger ist, diesen Passus herauszunehmen, um irgendwelche Krisen von vornherein zu vermeiden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich halte die Fassung, die der Redaktionsausschuß für Abs. 1 vorschlägt, für besser als die von uns beschlossene Fassung. Es könnte sich empfehlen, daß die Fassung des Redaktionsausschusses von der einen oder anderen Seite zum Antrag erhoben wird. (Dr. Seebohm [DP]: Ja!) Ich lasse absatzweise abstimmen, zunächst über Abs. 1 in der Fassung des Redaktionsausschusses. – Der Abs. 1 ist in der Fassung des Redaktionsausschusses einstimmig angenommen. Ich lasse über Abs. 2 abstimmen, der in beiden Fassungen gleich ist. – Abs. 2 ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu Abs. 3 von Art. 79. Dr. Katz (SPD): Der Redaktionsausschuß hat zu Abs. 3 einen neuen Vorschlag gemacht, nämlich die endgültige Feststellung der Amtsunfähigkeit des Bundespräsidenten aus den Händen dieses Komitees der beiden Präsidenten der Kammern der Bundesversammlung zu übertragen. Das ist der Sinn der Neuerung, die der Redaktionsausschuß hier vorschlägt. Da es sich um eine sehr wichtige Entscheidung handelt, nämlich darum, die Erledigung des [S. 404] Amtes des Präsidenten festzustellen, möchte ich dieser vorgeschlagenen Neuregelung zustimmen. Der Fall wird nicht häufig vorkommen. Aber es ist mit der Möglichkeit zu rechnen. Dr. Seebohm (DP): Ich möchte in diesem Zusammenhang nur bitten, die Worte: „oder voraussichtlich länger als sechs Monate dauern wird“ herauszunehmen, weil das eine Entscheidung ist, die die Präsidenten des Bundestags und des Bundesrats gemeinsam mit dem Bundeskanzler sehr schwer treffen können. Man kann so etwas nie genau vorhersehen, und das Gremium ist vielleicht dazu doch nicht ganz kompetent. Dr. Katz (SPD): Ich glaube doch, daß solche Fälle eintreten können, Schlaganfälle, Paralyse – wie bei Lenin beispielsweise –, Fälle, in denen völlig klar ist, daß der Mann niemals in das Amt zurückkehren kann. Warum soll man dann sechs Monate warten? Also dieses „Voraussichtlich-nicht-zurückkehren“, wofür man auf 8)

Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 24 der DP-Fraktion zu Art. 79 vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 418.

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ein ärztliches Gutachten Bezug nehmen wird, soll man ruhig stehenlassen. Dann braucht man diese Pause mit der Vertretung von sechs Monaten nicht zu haben. Ich habe kein Bedenken, es so zu lassen, wie der Redaktionsausschuß es vorgeschlagen hat. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, daß auch Ihre Bedenken, Herr Dr. Seebohm, zerstreut sind. Ich lasse über Abs. 3 in der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Abs. 3 ist in der Fassung des Redaktionsausschusses angenommen. Dr. Seebohm (DP): Wollen Sie über meinen Antrag nicht abstimmen lassen? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe angenommen, daß Sie ihn für erledigt halten. Dr. Seebohm (DP): Ich möchte doch darauf bestehenbleiben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag Dr. Seebohm abstimmen.- Der Antrag ist mit 10 gegen 7 Stimmen abgelehnt.

[2.2. ART. 80: ANORDNUNGEN DES BUNDESPRÄSIDENTEN]

Wir kommen zu

Art. 80 Anordnungen des Bundespräsidenten bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den zuständigen Bundesminister. Dies gilt nicht für die Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers. Der Redaktionsausschuß hat noch den Zusatz am Ende: „und die Auflösung des Bundestags gemäß Art. 37“. Dr. Seebohm (DP): Ich stelle den Antrag, die Fassung des Redaktionsausschusses anzunehmen. Dr. Katz (SPD): Ich schließe mich an. Dr. Lehr (CDU): Einverstanden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 80 in der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Art. 80 ist in der Fassung des Redaktionsausschusses [ist einstimmig angenommen.]9)

[2.3. ART. 81: VÖLKERRECHTLICHE VERTRETUNG DES BUNDES]

Wir kommen zu

Art. 81 (1) Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. (2) Staatsverträge bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung des Bundestags und der Länderkammer gemäß den für die Bundesgesetzgebung geltenden Vorschriften. Für Verwaltungsabkommen gelten die Vorschriften über die Bundesverwaltung entsprechend.

9)

Lücke im Text; statt der Ergänzung nach dem stenograph. Wortprot. S. 5, „ist einstimmig angenommen.“ folgt in der Druckfassung bereits der letzte Teil des Art. 81 Abs. 2.

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Hierzu ist ein Antrag Dr. von Mangoldt eingereicht worden10). Dr. Lehr (CDU): Ich möchte den Art. 81 Abs. 2 wie folgt ändern: „Politische Verträge mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften“. Oder man kann auch sagen: „des Bundestags und der Länderkammer“. Das ist von Herrn von Mangoldt aus staatsrechtlichen Gründen so formuliert worden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das Wort „politisch“ ist bisher in dem Text noch nicht vorgekommen. Was gemeint ist, ist klar. Ich suche nur ein anderes Wort dafür. Ist zum Beispiel ein Handelsvertrag ein politischer Vertrag? Ich würde sagen, in einem Handelsvertrag kann mehr Politik liegen als in einem Bündnisvertrag. Dr. Dehler (FDP): Ein Handelsvertrag betrifft die Materie des Wirtschaftsrechts. Wenn der Bund einen Handelsvertrag abschließt, macht er von der Vorranggesetzgebung Gebrauch. Ein politischer Vertrag scheidet sich nicht nach Gesetzgebungskompetenz. Nehmen wir das Beispiel eines Freundschaftsvertrages. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir sind uns völlig klar. Ich suche nur nach einem Wort, das „politisch“ übersetzt. Dr. Seebohm (DP): Ich werde darauf aufmerksam gemacht, daß durch bestimmte Veröffentlichungen, insbesondere von Graf Mandelsloh, die Bezeichnung „politischer Vertrag“ seit 193911) ein feststehender Begriff sei. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe mit meinem Freund Mandelsloh seinerzeit sehr viel gesprochen. Ich kenne das Problem sehr gut. Das sehr allgemeine Wort „politisch“ kommt mit diesem Vorschlag in einen deutschen Verfassungstext. Ich würde mich nicht daran stoßen, aber das Wort „politisch“ ist so vieldeutig, schillert so sehr und ist – obwohl hier etwas ganz Konkretes gemeint ist – recht abgeschliffen. Wir sprechen doch von kultur-„politisch“, sozial-„politisch“, kommunal-„politisch“ usw. Das Wort hat dadurch, daß es als Suffix mißbraucht worden ist, schon fast keinen spezifischen Sinn mehr. Deswegen suche ich nach einem anderen Wort, welches das Gemeinte konkreter zum Ausdruck bringt. Dr. Laforet (CSU): Kann das Wort nicht wegfallen? Dr. Katz (SPD): Kann das Wort nicht einfach weggestrichen werden? Es würde mir genügen, zu sagen Verträge mit fremden Staaten. Dr. Lehr (CDU): Wir wollen es vielleicht bis zur Rückkehr von Herrn Dr. von Mangoldt zurückstellen. Das betrifft nur den Abs. 2. Gegen Abs. 1 bestehen keine Bedenken. Vors. Dr. Schmid (SPD): Den Abs. 2 stellen wir bis zur Rückkehr des Herrn Dr. von Mangoldt zurück12). Ich lasse über Abs. 1 abstimmen – Abs. 1 ist angenommen.

10)

Der Antrag zu Abs. 2. wurde schon am 14. Dez. 1948 durch von Mangoldt angekündigt; Salzmann, S. 283. 11) Vgl. Asche Graf von Mandelsloh: Politische Pakte und völkerrechtliche Ordnung, in: 25 Jahre Kaiser Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, Bd. 3, Berlin 1937, S. 213 ff. 12) Vgl. dazu weiter unten Dok. Nr. 34, TOP 2, S. 1058.

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Dreiunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses 8. Januar 1949 [2.4. ART. 82: ERNENNUNG VON BUNDESBEAMTEN]

Wir kommen zu

Art. 82 Der Bundespräsident ernennt und entläßt die Bundesbeamten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Er kann diese Befugnis auf andere Stellen übertragen13). Dr. Seebohm (DP): Wir haben zu Art. 82 einen Antrag Nr. 27 (PR. 12.48 – 421)14) gestellt. Wir beantragen, dem Artikel folgenden Abs. 2 zuzufügen: Zur Ernennung und Entlassung der leitenden Bundesbeamten bedarf es der Zustimmung des Bundesrats. Wir sind der Auffassung, daß bei der Bildung des Bundeswillens in der Exekutive der Wille der Länder, vertreten durch den Bundesrat, zu berücksichtigen ist. [S. 405] Der wichtigste Teil der Exekutive ist zweifellos die Personalpolitik. Daher muß die Einschaltung des Bundesrats auf diesem Gebiet der Ernennung und Entlassung der leitenden Bundesbeamten gefordert werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Noch eine Zuständigkeit für den Bundesrat! Dr. Seebohm (DP): Warum nicht? Das ist eine sehr wesentliche Zuständigkeit. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wollen wir ihn nicht gleich regieren lassen? Dr. Menzel (SPD): Was heißt „leitende Beamte“? Dr. Katz (SPD): Wir haben uns in der ersten Lesung schon mit einem ähnlichen Antrag beschäftigt und ihn abgelehnt. Ich muß mich hier Herrn Dr. Adenauer anschließen, der die Ansicht vertreten hat, daß der Bundesrat eine solche Fülle von Kompetenzen bekommen hat, daß es für den Bundeskanzler und die Bundesregierung fast unmöglich ist, zu regieren. Wenn wir nun auch die Ernennung von Staatssekretären, von Ministerialdirektoren, von Präsidenten oberster Ämter, von Oberpostdirektoren usw. jeweils von der Zustimmung des Bundesrats abhängig machen, bringen wir ein derartiges Hemmnis und derartige Schwierigkeiten in die Verwaltung hinein, daß eine Erschwerung entsteht, die nicht mehr zu überbieten ist. Ich bin gegen diesen Antrag. Dr. Seebohm (DP): Ich darf nur darauf hinweisen, daß in der Weimarer Republik der Reichsrat dieses Recht für bestimmte hohe Beamtenstellen ausübte und daß ihm nach der Weimarer Verfassung15) dieses Recht auch zustand. Die „leitenden Bundesbeamten“ ist ein klarer und feststehender Begriff. Das hat meines Wissens nie zu Schwierigkeiten geführt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich fürchte, daß dieses Recht im wesentlichen im Sinne der Ämterpatronage und nicht etwa aus den Gründen ausgeübt werden wird, die Ihnen vorschweben. 13)

Im stenograph. Wortprot., S. 7, folgt danach: „Das ist der Punkt, an dem Ihr umstürzender Antrag einsetzen würde. Wir gehen darüber in dieser Lesung weg.“ 14) Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 27 der DP-Fraktion zu Art. 82 vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 421. 15) Art. 46 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Der Reichspräsident ernennt und entläßt die Reichsbeamten und die Offiziere, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Er kann das Ernennungs- und Entlassungsrecht durch andere Behörden ausüben lassen. RGBl. S. 1392.

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(Dr. Laforet [CSU]: Nein, nein.) Ich kann mir nicht gut vorstellen, daß ein Minister es wird riskieren wollen, daß ein Mann, den er zum Ministerialdirektor haben will, nicht genehmigt und ihm womöglich ein anderer oktroyiert wird. So kann man doch keine Verantwortung übernehmen; das ist doch unmöglich. Dr. Katz (SPD): Ich glaube doch, daß Herr Kollege Seebohm sich hinsichtlich der Weimarer Verfassung irrt. Zur Ernennung eines Staatssekretärs oder eines Ministerialdirektors in einem Ministerium bedurfte es nicht der Zustimmung des Reichsrats. Dr. Lehr (CDU): Ich möchte noch eine kleine textliche Änderung vorschlagen. Die Fassung des Redaktionsausschusses ist besser. Ich schlage also vor, in Art. 82 statt „auf andere Stellen“ zu sagen: „auf andere Behörden“. (Dr. Katz [SPD]: Einverstanden!) Dr. Kleindinst (CSU): In der Weimarer Verfassung stand nichts. Dagegen war unter der alten Verfassung die Übung, daß der Bundesrat Leute vorgeschlagen hat. Dr. Seebohm (DP): Dann muß es wohl auch eine Übung in der Weimarer Zeit gewesen sein. Dr. Lehr (CDU): Wir könnten vielleicht das Vorschlagsrecht hereinnehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann würde ich schon sagen, der Bundesrat soll die Verantwortung übernehmen und nicht nur vorschlagen. Ich lasse über die Vorlage des Redaktionsausschusses abstimmen. – Art. 82 ist in der Fassung des Redaktionsausschusses angenommen. Dann lasse ich über den Zusatzantrag Dr. Seebohm abstimmen. – Der Antrag ist mit 13 gegen 5 Stimmen abgelehnt.

[2.5. ART. 83: BEGNADIGUNGSRECHT]

Wir kommen zu

Art. 83 (1) Der Bundespräsident übt im Einzelfall für den Bund das Begnadigungsrecht aus. Er kann dieses Recht auf andere Behörden übertragen. (2) Die Amnestie von Verstößen gegen Bundesgesetze bedarf eines Bundesgesetzes. Hierzu liegt der Antrag des Redaktionsausschusses vor, an Stelle von Abs. 2 dem Abs. 1 folgenden Satz anzufügen: Bundesamnestien bedürfen eines Bundesgesetzes. Ich sehe darin einen Unterschied. Nach der Vorlage des Hauptausschusses können Bundesamnestien überhaupt nur bei Verstößen gegen Bundesgesetze erlassen werden, während nach der Fassung des Redaktionsausschusses Bundesamnestien schlechthin erlassen werden können, das heißt, ohne Rücksicht darauf, ob gegen ein Bundesgesetz oder ein Landesgesetz verstoßen worden ist. Dr. Dehler (FDP): Das wird hier nicht geregelt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Aber zumindest ist es möglich. Ich ziehe Ihre Fassung vor. Ich sage nur, danach wäre beides möglich, während es sonst verfassungsrechtlich ausgeschlossen wäre, eine Bundesamnestie zu erlassen, durch die etwa Verstöße

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gegen Landesgesetze erfaßt werden, etwa Disziplinarurteile auf Grund des Landesrechts. Man sollte sich das vor der Abstimmung über die Fassung überlegen. Ich lasse über Abs. 1 der Fassung des Hauptausschusses abstimmen. – Der Abs. 1 ist angenommen. Ich lasse nunmehr über den Antrag des Redaktionsausschusses abstimmen, dem Abs. 1 den verlesenen Satz anzufügen. – Der vom Redaktionsausschuß beantragte Satz ist mit 13 gegen 6 Stimmen angenommen. Damit entfällt Abs. 2 der Fassung des Hauptausschusses.

[2.6. ART. 84: IMMUNITÄT]

Wir kommen zu

Art. 84 Art. 60 findet auf den Bundespräsidenten Anwendung; für die Genehmigung ist der Bundestag zuständig. Es handelt sich um die Immunität. Die Fassung des Redaktionsausschusses lautet: Art. 60 findet auf den Bundespräsidenten entsprechende Anwendung. Dr. Seebohm (DP): Wir haben hierzu folgenden Antrag (PR. 12.48 – 422) gestellt: Der Hauptausschuß wolle beschließen: Art. 84 erhält folgende Fassung: Der Bundespräsident darf ohne Zustimmung der Bundesversammlung nicht strafrechtlich verfolgt, verhaftet oder sonst in seiner persönlichen Freiheit beschränkt werden. Wir sind der Auffassung, daß mit Rücksicht auf die staatsrechtliche Stellung des Bundespräsidenten als Staatsoberhaupt die den Mitgliedern der gesetzgebenden Körperschaften zuerkannte Immunität für ihn nicht genügt, um die Unverletzlichkeit seiner Person und seine Handlungsfreiheit gegen Gewaltakte zu schützen. Wir sind der Ansicht, daß dies in der Verfassung klar zum Ausdruck kommen muß, um ihn aus der ganzen Gruppe, die den Immunitätsschutz genießt, noch einmal besonders herauszuheben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie wollen ihn nicht nur immun machen, sondern „legibus absolutus“. [S. 406] Dr. Seebohm (DP): Ja. Ich halte das bei dem höchsten Repräsentanten des Volkes für absolut notwendig. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist eine gefährliche Sache. Dann können Sie auch keine Anklage vor dem Staatsgerichtshof gegen den Bundespräsidenten wollen. Dr. Seebohm (DP): Doch. Es steht allerdings in unserer Fassung: „ohne Zustimmung der Bundesversammlung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann ist er nicht legibus absolutus, dann ist er nur immun. Dr. Heuss (FDP): Ich bin dafür, es bei der jetzigen Fassung zu belassen, weil es sonst nach meinem Gefühl eine schlechte Optik gibt. Wenn der Bundespräsident hier noch ein besonderes Gehege von Schutzmaßnahmen bekommt, so wirkt das nach meinem Gefühl, wenn ich an den berühmten Mann auf der Straße denke, schlecht. Die Position des Bundespräsidenten muß sich aus sich selber entwik-

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keln, ohne daß eine solches Schutzgehege von besonderen Maßnahmen um ihn gelegt wird. Es sieht sonst so aus, als ob der Mann an sich gefährdet ist und besonders geschützt werden muß. Dr. Seebohm (DP): Wenn wir nur die Genehmigung des Bundestags und nicht der Bundesversammlung zuständig sein lassen und ihm nur das normale Immunitätsrecht geben, kann der Bundespräsident bei irgendwelchen Gewaltakten, die unter Umständen von einer herrschenden Partei vorgenommen werden, ohne weiteres in seiner persönlichen Freiheit beschränkt werden. Ich sehe doch Möglichkeiten vor uns, die wir nicht wünschen wollen und die sich durch eine solche Bestimmung ausschließen lassen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Gewaltakte, die Sie meinen zum Beispiel Freiheitsberaubung durch ein Rollkommando, können Sie auch durch diesen Art nicht verhindern. So etwas können Sie nur durch eine gut organisierte präsidiale Schutzwache wenigstens erschweren. Diese Bestimmung hat doch nur den Sinn, daß geordnete gerichtliche Verfahren – also nicht Gewaltakte irgendwelcher Art – zwar nicht schlechthin verhindert, aber doch an die Zustimmung der Bundesversammlung geknüpft werden. Es ist genau derselbe Fall wie beim Abgeordneten. Es hätte einen gewissen Sinn gehabt – obwohl ich mich nicht hätte dafür entscheiden können –, wenn Sie ihn für legibus absolutus erklärt hätten, für einen Mann, der für seine Akte überhaupt nicht verantwortlich gemacht werden kann. Das wäre für einen Präsidenten ein bißchen viel. Aber es wäre etwas Neues gewesen. Auch in Ihrem Antrag liegt nichts anderes als eine Übertragung der Abgeordnetenimmunität auf den Präsidenten. Der Unterschied ist nur der, daß der Text, den wir in erster Lesung beschlossen haben, eine Verweisung auf Art. 60 enthält, während hier der Inhalt wiedergegeben wird. Dr. Seebohm (DP): Im Grunde genommen wäre ich dafür, ihn für legibus absolutus zu erklären, also absolut zu schützen, solange er das Amt des Bundespräsidenten hat. Für den Fall, daß er unter Anklage gestellt wird, müßte er vorher abgesetzt werden. Der höchste Repräsentant kann, solange er im Amt ist, nicht einem solchen Verfahren ausgesetzt werden. Dr. Dehler (FDP): Der Redaktionsausschuß empfiehlt nur eine geringe Änderung. Mit der entsprechenden Anwendung ist alles gesagt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es handelt sich praktisch nur um eine andere textliche Fassung. Dr. Laforet (CSU): Es fragt sich nur, ob man nicht bei der Bedeutung der Stelle den Inhalt noch einmal wiederholen sollte, statt eine Verweisung vorzunehmen. Das würde ich vorziehen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde dann den Text nehmen, den wir in Art. 60 hatten. Dr. Laforet (CSU): Er geht etwas weiter. Dr. Seebohm (DP): Meine Fassung geht weiter. Dr. Lehr (CDU): Ich würde den Antrag Dr. Seebohm zuerst zur Abstimmung bringen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag Dr. Seebohm abstimmen. – Der Antrag ist mit 13 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Dann lasse ich über Art. 84 in der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen,

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damit das Wort „entsprechende“ hereinkommt. – Die Fassung des Redaktionsausschusses ist gegen 1 Stimme angenommen.

[2.7. ART. 85: PRÄSIDENTENANKLAGE]

Wir kommen zu

Art. 85 (1) Der Bundestag oder die Länderkammer können den Bundespräsidenten wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht anklagen. Der Antrag auf Erhebung der Anklage ist nur zulässig, wenn er von mindestens einem Viertel der Mitgliederzahl gestellt ist. Der Beschluß auf Erhebung der Anklage bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder. Die Anklage wird von einem Beauftragten der anklagenden Kammer vertreten. (2) Das Bundesverfassungsgericht kann nach Erhebung der Anklage durch einstweilige Anordnung bestimmen, daß der Bundespräsident an der Ausübung seines Amtes verhindert ist. Hier hat der Redaktionsausschuß eine ganze Reihe von Abänderungswünschen. Die Fassung des Redaktionsausschusses lautet: (1) Der Bundestag oder der Bundesrat können den Bundespräsidenten wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht anklagen. Der Antrag auf Erhebung der Anklage muß von mindestens einem Viertel der Mitglieder des Bundestags oder einem Viertel der Stimmen des Bundesrats gestellt werden. Der Beschluß auf Erhebung der Anklage bedarf der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags oder von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats. Die Anklage wird von einem Beauftragten der anklagenden Körperschaft vertreten. (2) Stellt das Bundesverfassungsgericht fest, daß der Bundespräsident einer vorsätzlichen Verletzung des Grundegesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes schuldig ist, so kann es ihn des Amtes für verlustig erklären. Durch einstweilige Anordnung kann es nach Erhebung der Anklage bestimmen, daß er an der Ausübung seines Amtes verhindert ist. (3) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Dr. Dehler (FDP): Es sind in Abs. 1 eigentlich nur Änderungen in der Fassung, daß nämlich beim Bundesrat ein Viertel der Stimmen bzw. zwei Drittel der Stimmen gegeben sein müssen. In Abs. 2 handelt es sich um sachliche Änderungen. Wir wollen das Bundesverfassungsgericht ermächtigen, zu einem bestimmten Spruch zu kommen, nämlich festzustellen, daß der Bundespräsident der Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes schuldig ist, in welchem Falle er seines Amtes für verlustig erklärt werden kann. Das muß natürlich ausgesprochen werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Sanktion muß drinstehen. [S. 407] Dr. Seebohm (DP): Wir haben den Antrag (PR. 12.48 – 423) gestellt, die Fassung des Redaktionsausschusses anzunehmen, insbesondere wegen des Abs. 2, weil wir

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eine erhebliche Verbesserung darin sehen, daß Feststellung und Rechtsfolge des Urteils erwähnt werden. Dr. Katz (SPD): Ich schließe mich dem Antrag an, die Fassung des Redaktionsausschusses zu nehmen. Sie ist besser. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Abs. 1 bis 3 der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Die Fassung des Redaktionsausschusses ist angenommen.

[3. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT VII: DIE BUNDESREGIERUNG] [3.1. ART. 86: ZUSAMMENSETZUNG DER BUNDESREGIERUNG]

Wir kommen zu Abschnitt VII Die Bundesregierung. Art. 86 Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und aus den Bundesministern. Der Redaktionsausschuß (PR. 12.48 – 374) scheint die Streichung dieses Artikels zu wollen. Dr. Dehler (FDP): Nein, er ist nur aus Versehen weggeblieben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 86 abstimmen. – Der Art. 86 ist angenommen.

[3.2. ART. 87: WAHL DES BUNDESKANZLERS]

Art. 87 (1) Der Bundeskanzler wird vom Bundestag ohne Aussprache mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder gewählt und vom Bundespräsidenten ernannt. (2) Kommt binnen 14 Tagen seit Beendigung des Amtes des bisherigen Bundeskanzlers die Wahl nicht zustande, so schlägt der Bundespräsident dem Bundestag einen Bundeskanzler vor. Erhält dieser Vorschlag nicht die absolute Mehrheit der Stimmen des Bundestags, so findet eine neue Wahl statt, in der gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. In diesem Falle muß der Bundespräsident binnen 7 Tagen nach der Wahl entweder den Gewählten ernennen oder den Bundestag auflösen. Dr. Seebohm (DP): Wir haben zu Art. 87 eine andere Fassung vorgeschlagen. Es liegt Ihnen unser Antrag Nr. 30 (PR. 12.48 – 424)16) vor. Danach soll der Art. 87 folgende Fassung erhalten: (1) Der Bundeskanzler wird vom Bundestag auf Vorschlag des Bundespräsidenten ohne Aussprache mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder gewählt und vom Bundespräsidenten ernannt. (2) Kommt diese Wahl nicht zustande, geht das Vorschlagsrecht auf den Bundestag über. Wird binnen 14 Tagen seit Beendigung des Amtes des bisherigen 16)

Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 30 der DP-Fraktion zu Art. 87 vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 424.

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Bundeskanzlers kein neuer Bundeskanzler gewählt, so geht das Vorschlagsrecht auf den Bundesrat über. Erhält der Vorschlag des Bundesrates nicht die absolute Mehrheit der Stimmen des Bundesrates, findet eine neue Wahl über die vom Bundespräsidenten, dem Präsidenten des Bundestages und dem Präsidenten des Bundesrates gemeinschaftlich dem Bundestag unterbreiteten Vorschläge statt. Gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. In diesem Falle muß der Bundespräsident binnen 7 Tagen nach der Wahl entweder den Gewählten zum Bundeskanzler ernennen oder den Bundestag auflösen. Das Auflösungsrecht entfällt, wenn für den Gewählten mehr als die Hälfte der Mitglieder des Bundestages gestimmt hat. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß der Bundespräsident das grundsätzliche Vorschlagsrecht erhalten muß, damit er bei der Regierungsbildung als ausgleichender und neutraler Faktor walten kann. Andernfalls ginge das Vorschlagsrecht automatisch auf die stärkste Fraktion des Bundestags über. Dadurch kann der Ablauf der Verhandlungen sehr erschwert werden. Erst bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bundespräsidenten und dem Bundestag geht die Initiative und damit die sichtbare Verantwortung auf den Bundestag über. Kommt es dann zu weiteren Schwierigkeiten, so soll das Vorschlagsrecht auf den Bundesrat als Legalitätsreserve übergehen. Führt auch dieser Vorschlag im Bundestag zu keinem Ergebnis, so tritt als letzte Vermittlungsreserve der gemeinsame Vorschlag des Bundespräsidenten, des Präsidenten des Bundestags und des Präsidenten des Bundesrats in Erscheinung. Diese präsentieren dem Bundestag gemeinschaftlich einen oder mehrere Kandidaten, die notfalls mit relativer Mehrheit gewählt werden können. Dabei kann es natürlich zu einer Minderheitsregierung kommen. Der Bundespräsident muß sich dann entschließen, ob eine Minderheitsregierung, die dann vielleicht sogar mit dem Gesetzgebungsnotstand regieren muß, gewagt werden soll oder nicht. Im letzteren Fall muß er den Bundestag auflösen, um durch Neuwahl eine Mehrheitsregierung zu ermöglichen. Kommt dagegen durch absolute Mehrheit bei der Wahl des Bundeskanzlers eine Mehrheitsregierung zustande, so muß folgerichtig das Auflösungsrecht entfallen. Man muß sich darüber im klaren sein, daß die tatsächlichen Vorgänge bei der Regierungsbildung immer die gleichen sein werden, gleichgültig ob man das Gewicht des Vorschlagsrechts mehr auf die Seite des Bundespräsidenten oder mehr auf die Seite des Bundestags und damit zu den Fraktionsvorsitzenden hin verlagert. Unser Abänderungsantrag zielt darauf ab, die Stellung des Bundespräsidenten als neutrale, vermittelnde Gewalt stärker in Erscheinung treten zu lassen, um seine Autorität bei der Überwindung von Schwierigkeiten nutzbar zu machen und damit den Verhandlungen vor der Gesamtheit des Volkes ein klareres Gesicht zu geben. Dr. Katz (SPD): Der Organisationsausschuß hat sich mit diesen Vorschlägen des Redaktionsausschusses eingehend befaßt und ist auch zu einer Neufassung gekommen. Diese Sitzung hat am 16. Dezember 1948 stattgefunden. Im Anschluß an diese Sitzung liegt eine Neufassung des ganzen Kapitels „Die Bundesregierung“ (PR. 12.48 – 390) vor. Da im Ausschuß bereits eine weitgehende Einigung erfolgt ist, möchte ich generell vorschlagen, daß wir für die Beratung dieses ganzen Kapitels diese Formulierung als Grundlage nehmen. Der Art. 87, mit dem wir uns jetzt befassen, nimmt das auf, was der Kollege Dr. Seebohm gefaßt hat, und schiebt den

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Präsidenten ein. Ich bin nicht ganz sicher, ob es genau die Fassung des Redaktionsausschusses ist, und möchte es der Sicherheit halber noch einmal verlesen: (1) Der Bundeskanzler wird vom Bundestag ohne Aussprache gewählt und vom Bundespräsidenten ernannt. (2) Die Wahl erfolgt auf Vorschlag des Bundespräsidenten mit mehr als der Hälfte der Mitglieder des Bundestags. (3) Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen 14 Tagen nach dem Wahlgang mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen. (4) Kommt eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande, so findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. In diesem Falle muß der Bundespräsident binnen sieben Tagen nach der Wahl entweder den Gewählten ernennen oder den Bundestag auflösen. Das Auflösungsrecht entfällt, wenn für den Gewählten mehr als die Hälfte der Mitglieder des Bundestags gestimmt hat. Das ist die Fassung, auf die sich der Organisationsausschuß mit überwiegender Mehrheit geeinigt hat. Ich glaube, sie ist nicht ganz identisch mit der Fassung des Redaktionsausschusses. (Dr. Dehler [FDP]: Doch! Das ist unser zweiter Vorschlag.) [S. 408] Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist identisch. Das ergibt ein ganz anderes System. Es ist nicht ganz gleichgültig, in welchem Akt man den Präsidenten auftreten läßt, ob im ersten Akt oder erst im zweiten Akt, ob er der Initiator oder der Mann ist, der aus der Reservestellung heraustritt und dem Parlament erst, wenn es allein nicht zum Ziele kam, durch seinen Vorschlag hilft. Dr. Katz (SPD): Wir sind von der Erwägung ausgegangen, daß der Präsident auf jeden Fall bei der Bildung der Regierung mitwirkt. Da er zweifellos hinter den Kulissen doch eingeschaltet ist, sollte man ihn schon im ersten Akt offiziell einschalten. Man gibt ihm nicht das Bestimmungsrecht; denn der Abs. 3 sieht vor, daß das Bestimmungsrecht des Bundestags auf jeden Fall bestehenbleibt. Darum hat sich der Organisationsausschuß entschlossen, den Bundespräsidenten offiziell gleich von Anfang an mit einzuschalten. Dr. Seebohm (DP): Auch unser Vorschlag geht dahin, den Bundespräsidenten von Anfang an einzuschalten. Unser Vorschlag enthält aber noch weitere Ausweichmöglichkeiten, nämlich den Bundesrat als Legalitätsreserve einzuschalten und, wenn auch das nicht zum Erfolg führt, ein Vorschlagsgremium aus dem Bundespräsidenten, dem Präsidenten des Bundestags und dem Präsidenten des Bundesrats zu bilden. Man hat auf diese Weise in Zukunft also vier verschiedene Möglichkeiten, um auch unter schwierigen Verhältnissen zu einer Regierungsbildung zu kommen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Eine Frage. Herr Dr. Seebohm: Glauben Sie, daß ein Bundeskanzler, der schließlich durch eine Kombination von Zangengeburten kreiert wird, viel Autorität haben wird? Dr. Seebohm (DP): Das Glas mit einem Sprung hält bekanntlich am längsten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Man sollte sich für ein weniger „sorgfältig“ ausgedachtes Verfahren entscheiden. Dieses ist mir fast zu fein; die Mechanik ist zu fein, es sind zu viel Rädchen dran. So kann viel leichter etwas kaputtgehen, als wenn sie etwas

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gröber wäre. Wenn der Vorschlag des Präsidenten keine Mehrheit findet, wenn der eigene Kandidat des Bundestags keine absolute Mehrheit findet, soll man eben die relative Mehrheit entscheiden lassen. Das sollte doch eigentlich genügen. Dann noch einige Möglichkeiten hereinzunehmen, scheint mir doch ein bißchen künstlich. Stellen Sie sich einmal die Atmosphäre vor, die dabei entstehen müßte. Stellen Sie sich vor, daß dieses Verfahren scheitert, daß man es dann mit dem anderen probiert und schließlich noch vor dieses letzte Gremium geht! Dann ist es, glaube ich, doch eine sauberere und weniger gefährliche Sache, etwas, das mehr Aussicht auf Stabilität verspricht, wenn man einen Minderheitskanzler erstehen läßt und ihm sagt: Nimm das Steuer in die Hand und versuche zu fahren! Dr. Seebohm (DP): Unser Vorschlag war von dem Gedanken getragen, die letzte Reserve, nämlich die Auflösung des Bundestags, so weit wie möglich hinauszuschieben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ehe aufgelöst wird, geschehen doch eine ganze Reihe von Akten: erstens das Scheitern der Initiative des Präsidenten, zweitens das Scheitern der Eigeninitiative des Parlaments, drittens die Wahl eines Minderheitskanzlers, und viertens kommt dann noch die Erwägung des Präsidenten: Löse ich auf oder löse ich nicht auf? So ist doch der Auflösung eine ganze Reihe von Akten vorgeschaltet. Dr. Seebohm (DP): Das einzige, was ich jedenfalls eingeschaltet sehen möchte, ist die Legalitätsreserve des Bundesrats, weil ich der Auffassung bin, daß durch den Bundesrat noch einmal, wahrscheinlich sogar mit Erfolg, eine solche Aktion vorgenommen werden könnte. Denn es bestehen doch sehr viele Wechselbeziehungen zwischen Bundesrat und Bundestag, einmal schon über die Landtage, die Landesregierungen und ähnliche Einrichtungen, so daß man vielleicht doch zu einer besseren Lösung kommen könnte. Ich würde es in diesem Fall doch für richtig halten, bevor man alle Möglichkeiten als erschöpft ansieht, noch die Legalitätsreserve des Bundesrats einzuschalten, weil man hier ein mindestens in gewisser Weise gleichwertiges Organ neben dem Bundestag besitzt, das man nicht übergehen sollte. Dr. Dehler (FDP): Wir brauchen die Legalitätsreserve des Bundesrats nicht einzuschalten, weil wir mit der Legalitätsreserve des Bundestags operieren, nämlich mit der relativen Mehrheit. Dr. Heuss (FDP): Ich würde ein Einschalten der Bundesratsreserve für falsch halten, weil es dann die gegebene Ausweichstelle ist, die von dem Zwang zur Entscheidung entlastet. Man muß dann dem Parlament die Verantwortung schon deutlich geben, damit es nicht sagen kann: Wir kommen nicht weiter. Es liegt ein Erziehungszwang drin, wenn wir auf die Bundesratsreserve verzichten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können dann auf Grund der Vorlage des Organisationsausschusses absatzweise abstimmen. Vielleicht können Sie Ihren Abänderungsantrag betreffend die Legalitätsreserve des Bundesrats da vorbringen, wo er am besten passen würde. (Dr. Seebohm [DP]: Ja.) Ich lasse über Abs. 1 abstimmen. – Abs. 1 ist angenommen. Ich lasse über Abs. 2 abstimmen. – Abs. 2 ist angenommen. Wir kommen zu Abs. 3. Dr. Seebohm (DP): Hier würde ein Absatz einzuschalten sein: „Wird der Vorge-

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schlagene nicht gewählt, so geht das Vorschlagsrecht auf den Bundesrat über.“ Dann würde Abs. 3 kommen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag auf Einfügung dieses Absatzes abstimmen. – Der Antrag ist mit 15 gegen 3 Stimmen abgelehnt. Ich lasse über den Abs. 3 in der Fassung des Organisationsausschusses abstimmen. – Abs. 3 ist gegen 1 Stimme angenommen. Ich lasse über Abs. 4 Satz 1 abstimmen. – Abs. 4 Satz 1 ist angenommen. Ich lasse über Abs. 4 Satz 2 abstimmen. – Abs. 4 Satz 2 ist angenommen. Ich lasse über Abs. 4 Satz 3 abstimmen. – Abs. 4 Satz 3 ist angenommen. Nun lasse ich über den ganzen Art. 87 in der absatzweise beschlossenen Fassung abstimmen. – Art. 87 ist in der Fassung des Organisationsausschusses einstimmig angenommen. Art. 88 entfällt.

[3.3. ART. 89: WAHL DER BUNDESMINISTER]

Wir kommen zu Art. 89. Die Fassung des Hauptausschusses lautet: (1) Der Bundespräsident ernennt und entläßt die Bundesminister auf Vorschlag des Bundeskanzlers. (2) Die Bundesminister bedürfen zum Antritt ihres Amtes des Vertrauens des Bundestags. (3) Der Bundeskanzler kann dem Bundespräsidenten die Entlassung eines Bundesministers auch ohne dessen Antrag vorschlagen. Die Fassung des Redaktionsausschusses lautet: Die Bundesminister werden auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen. [S. 409] Dr. Katz (SPD): Wir haben uns im Organisationsausschuß der Fassung des Redaktionsausschusses angeschlossen, unter Streichung des zweiten Absatzes der Fassung der ersten Lesung des Hauptausschusses. Wir sind zu der Erwägung gekommen: für den Fall, daß ein Minderheitskanzler regiert, sei es ein originärer Minderheitskanzler, sei es ein solcher, der durch Auseinanderfallen der Koalition zum Minderheitskanzler geworden ist, kann de destruktive Opposition die Regierung dadurch unmöglich machen, daß sie keinem seiner Minister das erforderliche Vertrauen gibt. Es gehört zu der Logik unserer Konstruktion, daß wir, um die Stabilität der Regierung zu erreichen, in diesem Falle das Vertrauen streichen. Das heißt, von den beiden Übeln, zwischen denen wir zu wählen haben, nämlich unter Umständen gar keine Minister zu bekommen oder den Minister nicht an ein Vertrauensvotum des Parlaments zu binden, haben wir im Interesse der Stabilität und der Regierungsmöglichkeiten das geringere genommen. In Zukunft ist also ein Vertrauensvotum für den einzelnen Minister nicht erforderlich. Das mußten wir wählen, um mit der Chance einer Minderheitsregierung überhaupt operieren zu können. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das stärkt die Stellung des Bundeskanzlers enorm. Das macht ihn in einem ganz anderen Umfang zum Herrn der Regierung, als er es nach unseren bisherigen Vorstellungen gewesen ist. Man kann das wollen. Aber man

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muß sich darüber klar sein, daß man damit mehr tut, als nur um eine technische Schwierigkeit herumsegeln. Dr. Seebohm (DP): Wir haben uns trotzdem auch bei klarer Überlegung dieser Gegengründe entschlossen, denselben Antrag zu stellen, bevor wir wußten, daß der Organisationsausschuß sich so entscheiden würde. Wir sind der Auffassung, daß sonst eine Minderheitsregierung überhaupt nicht in Kraft treten kann. Wenn wir uns in Art. 87 entschlossen haben, den Weg der Minderheitsregierung im Ausweichfall zu wollen, müssen wir auch hier diese beiden Absätze streichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es gäbe die Möglichkeit, daß man für den Fall des Art. 87 Abs. 4 von dem Erfordernis der Vertrauenserklärung bei der Ernennung dispensiert. Man könnte im Falle des Minderheitskanzlers auch einen Minderheitsminister möglich machen. Dr. Katz (SPD): Das würde nicht funktionieren, wenn die Koalition auseinanderfällt und die Regierung zunächst einmal bleibt. Dr. Dehler (FDP): Dann könnte nie mehr ein Minister ausgewechselt werden. (Dr. Katz [SPD]: Der müßte dann ewig bleiben.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist mir vollkommen klar. Ich will die Dinge nur auseinanderlegen, damit man sich die Konsequenzen klar vorstellen kann und wirklich weiß, welche Konsequenzen zu übernehmen man bereit ist. Dr. Laforet (CSU): Ich möchte darum bitten, daß das, was der Herr Kollege Dr. Katz vorhin ausgeführt hat, in dem Bericht des Referenten17) an das Plenum geht, weil diese Motive klar herausgeholt worden sind. (Dr. Katz [SPD]: Einverstanden!) Der Referent wird gebeten, im Sinne der Ausführungen des Kollegen Dr. Katz die Meinung des Ausschusses in dem Bericht an das Plenum zu vertreten. Schönfelder (SPD): Ich beantrage die Fassung der ersten Lesung des Hauptausschusses. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über die Vorlage des Organisationsausschusses abstimmen: „Die Bundesminister werden auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen.“ – Die verlesene Fassung ist angenommen. Nun kommt der Antrag, einen Abs. 2 einzufügen: „Die Bundesminister bedürfen zum Antritt ihres Amtes des Vertrauens des Bundestages.“ Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 11 gegen 6 Stimmen abgelehnt. Der Abs. 3 ist wohl auch zum Antrag erhoben? (Schönfelder [SPD]: Ja!) Er lautet: „Der Bundeskanzler kann dem Bundespräsidenten die Entlassung eines Bundesministers auch ohne dessen Antrag vorschlagen.“ Dr. Dehler (FDP): Das ist nach Abs. 1 selbstverständlich. Dr. Heuss (FDP): Ich habe die Empfindung, daß das in der Fassung: „Die Bundes17

Berichterstatter des Hauptausschusses für den Abschnitt VII: Die Bundesregierung vor dem Plenum war Lehr (CDU). Vgl. Parl. Rat, Bonn 1948/49. Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (auf Drucks. Nr. 850 und 854) (= Anlage zum stenograph. Bericht der 9. Sitzung des Parl. Rates am 6. Mai 1949. S. 17–31.

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minister werden auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen“ enthalten ist, so daß es nicht besonders hervorgehoben werden muß. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das brauchen wir nicht, das ist überflüssig. Dr. Katz (SPD): Das ist überflüssig, es wird durch Abs. 1 gedeckt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben mit diesem einzelnen Satz jetzt eine wesentlich andere Art von Regierung beschlossen, als wir sie ursprünglich wollten. Dr. Laforet (CSU): Es ist wieder meine Bitte, daß auch das in dem Bericht des Referenten ausdrücklich klargestellt wird. Wir haben eine Veränderung des Bildes, und die authentische Interpretation kann wenigstens dadurch vorbereitet werden, daß der Referent in dem Bericht an das Plenum die Gründe und die Folgerungen darlegt, die den Ausschuß bestimmt haben. Dr. Katz (SPD): Diejenigen Herren, die das Protokoll der Sitzung des Organisationsausschusses vom 16. Dezember 1948 durchgelesen haben18), werden dort sämtliche Gründe finden, die sehr breit erörtert worden sind. Selbstverständlich werden wir bei der Besprechung im Plenum all die Gründe wiederholen, die uns dazu bewogen haben. Dr. Dehler (FDP): Sie ergeben sich in allen Einzelheiten auch aus der Begründung des Redaktionsausschusses19). Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe die große Sorge, daß man mit der jetzt beschlossenen Lösung das Regieren nicht erleichtert, sondern erschwert. (Dr. Seebohm [DP]: Nein.) – Doch, Sie laufen Gefahr, daß man einem so einseitig ernannten Minister von den Bänken des Parlaments aus zuruft: Sie sind gar nicht unser Mann, wir haben Sie gar nicht gewollt, niemand hat uns fragt, ob wir Vertrauen zu Ihnen haben! Auf der anderen Seite mag die Mehrheit den Kanzler aus den verschiedensten Gründen nicht stürzen. Nun ist eine Malaise da, die nicht gut ausgeräumt werden kann. Das ist das, was ich fürchte. Dr. Dehler (FDP): In der Praxis wird es doch so sein, daß die Koalitionsverhandlungen auch die Aussprache über die Zusammensetzung des Kabinetts einschließen. Die Billigung des Kanzlers bedeutet natürlich auch die Billigung seines Kabinetts. Schönfelder (SPD): Ich darf zur Geschäftsordnung einen Vorschlag machen. Es besteht die Gefahr, daß im Plenum darüber groß geredet wird. Ich darf bitten, daß diese Sache wie verschiedene andere Sachen in einer späteren Sitzung des Hauptausschusses noch einmal aufgerufen wird, nachdem die Fraktionen dazu Stellung genommen haben. [S. 410] Dr. Katz (SPD): Ich habe nichts dagegen, daß dieses Kapitel in eine dritte Lesung gebracht wird. Wenn sich heute herausstellt, daß dieses Kapitel über die Bundesregierung ein neues System ist, das der Organisationsausschuß in ausführlichen

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Für den Wortlaut des Kurzprot. der 28. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes vgl. Drucks. Nr. 560; für den Wortlaut des stenograph. Wortprot. vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 39, S. 970–994. Für den Wortlaut der Begründungen des Allgemeinen Redaktionsausschusses auf Drucks. Nr. 374 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 4, S. 161–201, hier S. 161 ff.

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Beratungen ausgearbeitet hat20), so bedarf das vielleicht einer eingehenden Erörterung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können am Schluß der zweiten Lesung darüber Beschluß fassen, was man eventuell in eine dritte Lesung bringt21).

[3.4. ART. 89a: AMTSEID]

Wir kommen zu Art. 89a, für den der Organisationsausschuß folgende Fassung vorschlägt: Der Bundeskanzler und die Bundesminister leisten bei der Amtsübernahme vor dem Bundestag folgenden Eid: „Ich schwöre, daß ich das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und die Pflichten meines Amtes getreu und gewissenhaft erfüllen werde. So wahr mir Gott helfe.“ Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden. Ich würde vorschlagen, hinter dem Wort „wahren“ einzusetzen: „und verteidigen“. Dr. Katz (SPD): Einverstanden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen. – Art. 89a ist in der Fassung des Organisationsausschusses unter Beifügung der Worte „und verteidigen“ angenommen.

[3.5. ART. 89b: RICHTLINIENKOMPETENZ]

Wir kommen zu Art. 89b. Der Organisationsausschuß schlägt folgende Fassung vor: (1) Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung. (2) Der Bundeskanzler führt den Vorsitz in der Bundesregierung und leitet ihre Geschäfte nach einer von ihr beschlossenen und vom Bundespräsidenten genehmigten Geschäftsordnung. Die Bundesregierung entscheidet über Meinungsverschiedenheiten unter ihren Mitgliedern. Kaufmann (CDU): Das kann man in der Eile nicht übersehen; das ist vollständig umgestaltet. Dr. Dehler (FDP): Das entspricht dem Vorschlag des Redaktionsausschusses. Dr. Katz (SPD): Es hat darüber keine Meinungsverschiedenheit im Organisationsausschuß gegeben. Auch die Herren Ihrer Fraktion waren vollkommen einverstanden. 20

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Der Ausschuß für die Organisation des Bundes befaßte sich in seiner 29. Sitzung am 11. Jan. 1949 u. a. mit dem Abschnitt über „Die Bundesregierung“; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 41, S. 999–1043. Zur 3. Lesung des Abschnittes Die Bundesregierung vgl. unten Dok. Nr. 49, TOP 2, S. 1558–1562.

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Dr. Laforet (CSU): Ich wäre nur dankbar, wenn uns vom Organisationsausschuß eine Frage beantwortet werden könnte. Es heißt: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung . . . Die Bundesregierung entscheidet über Meinungsverschiedenheiten unter Ihren Mitgliedern.“ Welche Meinung hat der Organisationsausschuß in der Streitfrage, die schon in der ersten Lesung aufgerollt worden ist: Geht die Prärogative des Kanzlers der Beschlußfassung der Bundesregierung vor? Mit anderen Worten: Entscheidet der Kanzler allein, ob etwas zu den Richtlinien der Politik gehört, oder wird auch darüber von der Bundesregierung entschieden? Das ist die Streitfrage, die im Schrifttum aufgeworfen worden ist und die ich in der ersten Lesung zu klären gebeten habe. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Sache ist ganz klar. Es ist das ausschließliche Recht des Bundeskanzlers, die Richtlinien der Politik zu bestimmen. Das ist in unserem Falle auch logisch. Denn nur er hat das Vertrauen ausgesprochen bekommen. Die anderen Minister sind wesentlich von ihm berufen, sind also übertrieben ausgedrückt – seine Geschöpfe. Der Schlußsatz bedeutet: wenn unter zwei oder drei Ministern eine Meinungsverschiedenheit in Ressortangelegenheiten entsteht meinetwegen über die Frage, zu wessen Zuständigkeit diese oder jene Sache gehört –, dann soll das Kabinett entscheiden. Dann soll nicht der Kanzler par ordre de mufti22) die Geschäftsverteilung vornehmen können. Dr. Katz (SPD): Ich habe die Frage des Kollegen Dr. Laforet verstanden. Es handelt sich darum, wer darüber zu entscheiden hat, wenn streitig ist, ob eine bestimmte Frage zu den Richtlinien der Politik gehört oder eine Meinungsverschiedenheit im Sinne des letzten Satzes ist. (Dr. Laforet [CSU]: Jawohl.) Hierüber sagt die Verfassung nichts. Meiner Meinung nach hat das Kabinett zu entscheiden. Wenn streitig ist, ob etwas zu den Richtlinien gehört oder nicht, so ist das eine Kabinettsfrage. Bleibt der Kanzler in der Minderheit, so wird er daraus Konsequenzen ziehen müssen. Aber diese Frage läßt sich nicht in der Verfassung festlegen. Dr. Laforet (CSU): Sie läßt sich schon festlegen, wenn Sie dem letzten Satz: „Die Bundesregierung entscheidet über Meinungsverschiedenheiten unter ihren Mitgliedern“ den Beisatz anfügen: „vorbehaltlich der Befugnis des Kanzlers nach Art. 89b Abs. 1 Satz 123)“. Anschütz24) vertrat den Standpunkt, daß der Kanzler jederzeit eine Sache an sich nehmen und sagen kann: Herr Minister, darüber entscheide ich; denn ich vertrete dem Parlament gegenüber die Richtlinien der Politik25). Es ist im Text selber eine Klarstellung vorzunehmen, daß der Kanzler einem Minister sagen kann: Hier wird nicht im Kabinett entschieden, sondern hier entscheidet meine Befugnis, über die Richtlinien der Politik zu befinden; Sie sind an meine Entscheidung gebunden. Das muß in irgendeiner Weise klar zum Ausdruck kommen. 22 23 24 25

Mit der im französischen, niederländischen und deutschen gebräuchlichen Redewendung „par ordre del mufti“ wird eine von oben herab erlassene Anordnung bezeichnet. Statt „Abs. 1 Satz 1“ im stenograph. Wortprot., S. 29: „Satz 2“. Über den deutschen Staatsrechtler Gerhard Anschütz vgl. oben Dok. Nr. 3, S. 94, Anm. 38. Vgl. Anschütz: Verfassung, S. 310–312 und 326–329.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Das geht nicht. Schönfelder (SPD): Ich hoffe, daß wir die Sache noch einmal besprechen und daß dann bestimmt wird, daß die anderen Minister zum Antritt ihres Amtes auch des Vertrauens des Parlaments bedürfen. Dann wird die Sache ein etwas anderes Gesicht bekommen. Wenn der Kanzler die Richtlinien der Politik bestimmen soll, so ist das ein Begriff, der nicht immer eindeutig ausgelegt werden kann. Es gibt eine ganze Reihe von Fragen, die nicht gerade die Richtlinien der Politik betreffen. Wenn zum Beispiel – diese Fälle werden am häufigsten auftreten – der Finanzminister mit dem Ressortminister nicht einverstanden ist, braucht das die Richtlinien der Politik nicht zu betreffen. Aber es ist unter Umständen für ganz wichtige Dinge entscheidend, so daß der Finanzminister möglicherweise immer den Kanzler für oder gegen sich hat und die anderen Ressortminister mit den Wünschen und Forderungen, die ihr Ressort zu vertreten hat, wirklich nicht zur Geltung kommen. Ich würde doch glauben, daß die Regierung entscheiden muß. Sollten dann einmal Meinungsverschiedenheiten im Kabinett auftreten, die nicht geschlichtet werden können, muß eben der Bundestag behelligt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Dr. Laforet, Ihre Konstruktion kommt letzten Endes darauf hinaus, daß die Minister eine Art von gehobenen Staatssekretären werden sollen. Wenn im Konfliktsfall der Kanzler einseitig sagen kann: Das entscheide ich!, ist die Situation letzten Endes nicht anders als nach der Bismarckschen Verfassung. Denn der politische [S. 411] Charakter einer Verfassungsbestimmung entscheidet sich letzten Endes nach dem Grenzfall und nicht nach der Routine. Auch mit Ihrem Vorschlag hätten wir eine ganz andere Art von Regierung – über das hinaus, was wir jetzt schon beschlossen haben –, als wir ursprünglich wollten. Dr. Seebohm (DP): Was der Herr Kollege Katz gesagt hat, ist richtig. Nach meinen eigenen Erfahrungen ist es auch notwendig. Es ist natürlich im Einzelfall eine sehr schwierige Entscheidung. In dieser Beziehung sind wir durchaus einig. Aber es ist eine Kabinettsfrage. Dr. Katz (SPD): Ich verstehe die Bedenken des Kollegen Dr. Laforet. Aber es lassen sich nicht sämtliche zukünftigen Konfliktsmöglichkeiten, die innerhalb des Kabinetts und zwischen Kabinettsmitgliedern und dem Kanzler entstehen, von vornherein durch eine Formel lösen. Das wäre auch unmöglich, wenn die von Ihnen vorgeschlagene Fassung gewählt wird. Wir müssen dem Leben einen gewissen Spielraum geben. Wir haben diese Möglichkeiten im Organisationsausschuß besprochen und haben die hier vorgeschlagene Lösung für die allein mögliche gehalten. Wir sind nicht dafür, dem Bundeskanzler zuzubilligen, daß er jede Sache an sich reißen und entscheiden kann, daß er – wenn beispielsweise der Justizminister einen bestimmten Herrn an den obersten Gerichtshof haben will und darüber Meinungsverschiedenheiten entstehen – unter allen Umständen sagen kann: Das ist eine Sache der Politik, die entscheide ich. Wir wollen dem Kabinett als Gesamtgremium die Möglichkeit geben, derartige Kleinigkeiten durch Mehrheitsbeschluß zu entscheiden. Dr. Heuss (FDP): Das ist eine Mischung von reinem Ministersystem und Kollegialsystem, die aber praktisch notwendig ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es geht noch weiter als das Prime-Minister-System. Dr. Heuss (FDP): Wir haben bei der Bestimmung der Richtlinien das Prime-Mini-

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ster-System. Wenn das Kabinett über Meinungsverschiedenheiten entscheidet, liegt das Kollegialsystem vor. Beides ist notwendig und verständlich. Es ist noch nicht davon geredet worden, daß sich dieses Kabinett eine Geschäftsordnung gibt. In der Geschäftsordnung selber wird das Verfahren für solche Fälle niedergelegt werden. Nach meiner Meinung kann die Verfassung selber darüber nichts aussagen, weil sie Bindungen des sich bewegenden Lebens und der praktischen Politik vornehmen würde, die zwecklos und unter Umständen hemmend sind. Es gibt in jeder Regierung solche Ressortfragen. Es handelt sich zum Beispiel um die Wohnungsfrage, um die sich das Sozialministerium und das Innenministerium streiten. Darüber verständigt man sich innerhalb des Kabinetts. Es wäre falsch, in diesen Dingen technischer Natur dem Kanzler eine so starke Prärogative zu geben. Das muß im verständigen Ausgleich entschieden werden. Dabei wird die Geschäftsordnung feststellen, daß in Zweifelsfragen der Kanzler den Stichentscheid hat. Dr. Kleindinst (CSU): Man kann die Frage, die Anschütz aufgeworfen hat, in der Verfassung regeln. Aber die praktische Entscheidung im Einzelfall wird immer eine politische sein indem, wenn die Minister mit der Stellungnahme des Kanzlers nicht einverstanden sind, eine Regierungskrise entsteht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Man sollte die Bestimmung doch so fassen, daß eine Möglichkeit geschaffen wird, die erlaubt, den Streitfall aus der Welt zu schaffen, ohne daß es zur Krise kommt. Das ist der Fall, wenn man eine zuständige Stelle schafft, die in diesem Falle nicht der Kanzler sein dürfte, sondern die nur das Kollegium sein könnte. Sonst haben wir alle 14 Tage eine Sache, die irgendwie in den Fraktionen ausgetragen werden muß, und kommen nicht zur Ruhe. Es gehört doch mit zu den Funktionen der formalen Bestimmungen einer Verfassung, die Möglichkeit zu schaffen, Dinge, die an sich zum Konflikt führen könnten, in einer Art von geordnetem Verfahren konfliktfrei, krisenfrei zu erledigen. Deswegen würde ich bitten, die hier vorgeschlagene Fassung anzunehmen. Dr. Laforet (CSU): Wir kommen so nicht über die Schwierigkeiten hinweg. Es gibt in der Staatspraxis zweifellos viele Fälle, in denen der Kanzler die Überzeugung hat: das berührt die Richtlinien der Politik nicht. Dann entscheidet das Kabinett. Die Kernfrage ist, ob diese Entscheidungsbefugnis des Kabinetts auch in die Richtlinien der Politik eingreift, ob Anschütz recht hat, wenn er das Beispiel bringt: Der Minister X treibt eine Politik, die den Richtlinien des Kanzlers, die dieser vom Parlament empfangen hat, widerspricht. Kann dann der Kanzler sagen: Herr Minister, ich erachte das als einen Teil der Richtlinien der Politik und bitte, sich an diese Richtlinien zu halten?26) (Dr. Katz [SPD]: Sehr richtig! Das kann er sagen.) – Gut! Dann entscheidet darüber nicht das Kabinett, sondern er. (Dr. Katz [SPD]: Ja.) Der Herr Vorsitzende hat durchaus recht, das ist von grundsätzlicher Bedeutung. Wenn Sie das zugeben, muß in dem Bericht an das Plenum klargestellt werden, daß der Satz 2 des Abs. 2: „Die Bundesregierung entscheidet über Meinungsverschiedenheiten unter ihren Mitgliedern“ nur so weit Bedeutung hat, als nicht ein Gegenstand der Richtlinien der Politik vorliegt, über die der Kanzler allein entscheidet. 26)

Ebd., bes. S. 328.

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(Dr. Katz [SPD]: Das ergibt sich aus dem Text, das ist sicher.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Nehmen wir an, in den Richtlinien der Politik ist bei der Vorstellung des Kabinetts vor dem Parlament ausgesprochen worden: die Wirtschaft wird planwirtschaftlich betrieben, und der Wirtschaftsminister kommt nach einem Vierteljahr darauf, zu sagen: Ich mache es anders, ich mache eine ausgesprochene Freiwirtschaft. In diesem Fall ist es völlig klar, daß der Kanzler ihm sagen kann: Du trittst damit aus den Richtlinien der Politik heraus, ich bitte dich, das zu ändern: wenn du es nicht ändern kannst oder willst, schlage ich dem Präsidenten deine Entlassung vor. Dr. Laforet (CSU): Und darüber entscheidet nicht das Kabinett, sondern der Kanzler. Dr. Katz (SPD): Ja, der Kanzler, und zwar nach Abs. 1 Satz 1: Richtlinien der Politik. Dr. Dehler (FDP): Wenn zum Beispiel der Wirtschaftsminister einen Beamten einstellen will, der ein Freiwirtschaftler ist! Vors. Dr. Schmid (SPD): Nein, das nicht. Der Minister ist dazu da, zu verhindern, daß der Beamte seinen privaten Liebhabereien nachgeht. Wenn er es trotzdem tun sollte, kann er ihn entlassen. Dr. Dehler (FDP): Wenn der Beamte eine Schlüsselposition im Wirtschaftsministerium bekäme! Vors. Dr. Schmid (SPD): Es fällt unter die Verantwortung des Ministers, daß sein Ressort sich so verhält, wie es sich nach den Richtlinien der Politik verhalten muß. Dafür trägt er die Verantwortung. Dr. Fecht (CDU): Aus der Tatsache, daß der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt, ergibt sich doch ohne weiteres – da er auch die Verantwortung dafür trägt –, daß er, wenn eine Frage nach seiner Auffassung die Richtlinien verletzt, nicht an eine Mehrheitsentschließung des Kabinetts über diese Meinungsverschiedenheit gebunden ist, sondern daß er [S. 412] dann bestimmt: Das geht gegen die Richtlinien der Politik, die ich verantworte. Wenn dagegen Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und einzelnen Ministern bestehen, die nichts mit den unmittelbaren Richtlinien der Politik zu tun haben, so kann er die Entscheidung des Kabinetts herbeiführen und wird sich auch der Entscheidung des Kabinetts fügen müssen. Ich glaube, man braucht an dem Wortlaut, den der Organisationsausschuß hier vorgeschlagen hat, nichts zu ändern. Es ergibt sich bei Überlegung als natürliche Folge, daß die Sache so ist, wie ich sie soeben vorgetragen habe. Ich bin im übrigen auch der Meinung des Herrn Vorsitzenden, man kann nicht jeden einzelnen Fall, der im Kabinett vorkommen kann, vorher überlegen. Man kann dafür nicht irgendeine Bestimmung in die Verfassung aufnehmen. Der Herr Kollege Dr. Heuss hat mit Recht darauf hingewiesen, daß auch eine Geschäftsordnung besteht. Gerade in der Geschäftsordnung sind solche Dinge zu regeln. Man kann sehr wohl etwas von dem, was hier zum Teil beanstandet worden ist, in der Geschäftsordnung in Ordnung bringen. Ich glaube also, daß wir es bei der Fassung des Organisationsausschusses belassen sollten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe mich nur gegen die Bemerkung des Kollegen Dr. Laforet gewehrt, daß der Kanzler das Recht haben soll, zu sagen: Die Sache ist politisch, darum entscheide ich sie. Das soll er keinesfalls dürfen.

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Dr. Laforet (CSU): Ja, völlig einverstanden. Es ist aber die Frage, ob er sagen kann, wie das jetzt wiederholt von den Herren Kollegen zum Ausdruck gebracht worden ist: Diese Frage gehört zu den Richtlinien der Politik, also entscheide ich darüber. (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Er stellt sie ja auf!) Ja. Das kann er. Schönfelder (SPD): Ist es immer ganz klar, ob es zu den Richtlinien der Politik gehört? Die Richtlinien der Politik sind schließlich vom Parlament gutgeheißen. Dann kann auch ein Minister nicht sagen: Nein, das berührt die Richtlinien der Politik gar nicht; im Gegenteil, ich bin der Meinung, deine Politik kann ruhig fortgeführt werden, in diesem Punkt, in welchem wir verschiedener Meinung sind, glaube ich, daß die Richtlinien deiner Politik nicht berührt werden. Deshalb muß das Kabinett entscheiden, ob die Richtlinien der Politik berührt werden oder nicht. Nebenbei möchte ich bemerken, daß diese Debatte zu dem Standpunkt führt, den ich vertrete, zur Kollektivverantwortung und zur Kollegialregierung. Jedenfalls meine ich, wenn man den Gedanken völlig zu Ende denkt, müßte man zu diesem Standpunkt kommen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist ein alter Rechtsgrundsatz, daß derjenige, der eine Norm aufstellen kann – und die Richtlinien der Politik aufstellen heißt eine Norm aufstellen –, auch das Recht hat, sie authentisch zu interpretieren. Darüber sollte Einigkeit bestehen. Dr. Dehler (FDP): Das ist der Standpunkt Dr. Laforet, nicht der Ihre. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nein, das ist mein Standpunkt. Ich wehre mich gegen das, was Herr Dr. Laforet vorhin gesagt hat: der Kanzler könne eine Entscheidung, die an und für sich in die Zuständigkeit eines Ministers fällt, mit der Begründung an sich ziehen, daß sie eine politische Entscheidung sei. Die Richtlinien der Politik bestimmen ist etwas völlig anderes, als sich das Monopol politischer Entscheidungen reservieren. Dr. Laforet (CSU): Einverstanden. Der gegenteilige Standpunkt für die andere Meinung ist vorhin von dem Herrn Kollegen Schönfelder zum Ausdruck gebracht worden. Er will im Falle eines solchen Konfliktes das Kabinett entscheiden lassen. Die Auffassung, die ich Ihnen vorgetragen habe, die im Schrifttum eine bedeutende Vertretung von einem unserer Rechtslehrer gefunden hat, führt zu einem anderen Ergebnis und sagt: All die Dinge, die nicht die Richtlinien der Politik betreffen, entscheidet das Kabinett; über die Richtlinien der Politik entscheidet allein der Kanzler; da er die Richtlinien der Politik vom Kabinett empfangen hat, ist er allein zuständig; er ist also auch allein befugt, authentisch zu interpretieren, was unter diese Richtlinien der Politik fällt. Es ist die Frage, ob man sich zu diesem Standpunkt durchringen kann. Jedenfalls kann man das nicht schlechthin der Praxis überlassen. Man muß den Art. 89b Abs. 1 Satz 1 mit Art. 89b Abs. 2 Satz 227) in Übereinstimmung bringen. Es genügt mir auch, wenn der Text bleibt, jedoch die Prärogative des Kanzlers – wie das Schrifttum sagt – vom Hauptausschuß ausdrücklich als bestehend anerkannt wird. Ich möchte vermeiden, daß in einer derartig grundsätzlichen Frage eine bewußte Unklarheit hinaus ins Leben geht. 27)

Statt „Art. 89b Abs. 1 Satz 1 mit Art. 89b Abs. 2 Satz 2“ im stenograph. Wortprot.: „Art. 89 Abs. 1 Satz 2 mit Art. 89 Abs. 2 Satz 2“

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Dinge sind hier eingehend erörtert. Mir scheint, es besteht eine recht einhellige Meinung darüber, so daß wir an diesem Text nichts zu ändern brauchen. Ich kann insgesamt über Art. 89b in der Fassung des Organisationsausschusses abstimmen lassen. – Der Art. 89b ist einstimmig angenommen.

[3.6. ART. 89c: NEBENTÄTIGKEIT VON BUNDESKANZLER UND BUNDESMINISTERN]

Der Art. 89c lautet in der Fassung des Organisationsausschusses: Der Bundeskanzler und die Bundesminister dürfen kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung noch dem Aufsichtsrat eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören. Dr. Dehler (FDP): Der Redaktionsausschuß hat die Frage aufgeworfen, ob man nicht eine Ausnahme für solche Unternehmen zulassen soll, bei denen der überwiegende Einfluß des Bundes sichergestellt ist. Dr. Katz (SPD): Der Organisationsausschuß hat das abgelehnt, weil er der Ansicht ist, daß in denjenigen Unternehmungen, an denen der Bund beteiligt ist, nicht der Minister derjenige sein wird, der dem Aufsichtsrat oder der Leitung angehört. Das werden die Staatssekretäre oder Ministeraldirektoren sein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Bei uns in Württemberg spielt die EVS, das große gemeinwirtschaftliche Elektrizitätswerk28), eine bedeutende Rolle. Statutenmäßig gehört ein Minister dem Aufsichtsrat an. Dr. Seebohm (DP): Ich darf darauf hinweisen, daß es bei bestimmten schwierigen Verhältnissen sehr zweckmäßig ist, wenn der Minister selber Mitglied des Aufsichtsrats oder Beirats ist. Wir haben zum Beispiel in Niedersachsen den Fall der Reichswerke und haben uns damals im Kabinett auch dazu entschlossen, die jeweiligen Ressortminister in den Aufsichtsrat zu entsenden, damit auf diese Weise ein stärkerer Einfluß von der politischen Seite her gesichert ist. Die Probleme spielen mindestens zurzeit stark in das politische Gebiet hinein, sie sind nicht nur rein wirtschaftlicher Natur, so daß die Staatssekretäre oft nicht den entsprechenden Einfluß haben oder nehmen können, zumindest soweit die Staatssekretäre reine Beamte sind. Deswegen bin ich der Ansicht, daß man der Auffassung des Redaktionsausschusses zustimmen sollte, damit wenigstens die Möglichkeit gegeben ist, in solchen besonderen Fällen eine Ausnahme zu machen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Man könnte die Zustimmung des Bundestags einführen und sagen: „noch ohne Zustimmung des Bundestages dem Aufsichtsrat angehören.“ Dr. Katz (SPD): Das würde eine Lösung sein. [S. 413] Dr. Seebohm (DP): Ja, durchaus. 28)

Die Energie-Versorgung Schwaben AG (EVS) wurde am 1. April 1939 durch den Zusammenschluss des Zweckverbandes Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW) und der Elektrizitäts-Versorgung Württemberg AG (EVW) gegründet. Die EVS fusionierte 1997 mit der Badenwerk AG zur Energie Baden-Württemberg AG (EnBW). Bis dahin war der Hauptsitz der EVS in Stuttgart.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über die Einfügung der Worte „ohne Zustimmung des Bundestags“ hinter dem Wort „noch“ abstimmen. – Das ist angenommen. Kaufmann (CDU): Kann einer der Herren des Organisationsausschusses begründen, warum ausdrücklich gesagt ist: „kein anderes besoldetes Amt“? Was für andere Ämter gibt es, die übernommen werden können? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ehrenämter, Sitz in Stadtverordnetenversammlungen. Kaufmann (CDU): Hat das für den Minister einen Sinn? Vors. Dr. Schmid (SPD): Oh ja. Das kann er bleiben. (Dr. Laforet [CSU]: Im Familienrecht ist an den Vormund zu denken.) Dr. Seebohm (DP): Es könnte sein, daß ein Minister Vorsitzender einer großen Organisation ist, wie zum Beispiel einer Gesellschaft zur Förderung des gewerblichen Bildungswesens oder ähnliches, und daß er während seiner Tätigkeit als Minister dieses Amt beibehalten soll. (Dr. Heuss [FDP]: Oder von irgendeiner Stiftung!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Das sollten wir schon so lassen. Ich lasse über den ganzen Art. 89 c abstimmen. – Der Art. 89 c ist in der geänderten Fassung des Organisationsausschusses einstimmig angenommen.

[3.7. ART. 90: KONSTRUKTIVES MISSTRAUENSVOTUM]

Für Art. 90 schlägt der Organisationsausschuß folgende Fassung vor: (1) Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Mißtrauen mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder aussprechen, jedoch nur in der Form, daß er den Bundespräsidenten unter Benennung eines durch die Mehrheit des Bundestages gewählten Nachfolgers ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen. (2) Zwischen dem Antrag und der Abstimmung über das Mißtrauensvotum müssen 48 Stunden liegen. Dr. Dehler (FDP): Der Redaktionsausschuß hat eine andere Fassung vorgeschlagen, die ich für richtig halte: Der Bundeskanzler ist vom Bundespräsidenten zu entlassen, wenn ihm der Bundestag durch Wahl eines neuen Bundeskanzlers mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder das Mißtrauen ausspricht. Diese Fassung legt klar, daß der Bundespräsident einen Bundeskanzler zu entlassen hat, wenn ein neuer mit absoluter Mehrheit gewählt ist, und darüber hinaus, daß der Bundespräsident den Bundeskanzler nicht nach eigenem Ermessen, sondern nur bei der Neuwahl eines Nachfolgers mit absoluter Mehrheit entlassen kann. In der Neuwahl liegt eben das Mißtrauen gegen den alten Bundeskanzler. Daß man jede Form des Mißtrauens im übrigen ausschalten will, scheint mir sehr theoretisch zu sein. Wenn man das parlamentarische System will, kann man doch nie verhindern, daß das Parlament aus irgendeinem konkreten Anlaß ein Mißtrauen ausspricht, ein Mißfallen zum Ausdruck bringt. Das technische Mißtrauensvotum will vom Organisationsausschuß auf den Fall der Neuwahl eines neuen Bundeskanzlers beschränkt werden. Dann kann man das auch konkret sagen: daß der Bundeskanzler zu entlassen ist, wenn ein neuer Bundeskanzler mit absoluter

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Mehrheit gewählt ist. Im übrigen hat es die Möglichkeit des Mißtrauensvotums in der Verfassungswirklichkeit immer gegeben. Ich glaube, daß unsere Fassung klarer und konsequenter ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte das auch sagen. Dr. Katz (SPD): Der Organisationsausschuß hat sich mit diesem Antrag befaßt und ist zu dem entgegengesetzten Ergebnis gekommen. Der Art. 90 ist eigentlich der Kern des neuen Regierungssystems. Wir waren der Ansicht, daß die jetzige Fassung diese Angelegenheit weit deutlicher und sichtbarer zum Ausdruck bringt als die Fassung, die der Redaktionsausschuß vorschlägt. Wir sind dagegen, daß das alte Mißtrauensvotum auch nur in irgendeiner Form wieder erscheint. Deswegen wird hier viel klarer und deutlicher obwohl es sachlich dasselbe ist – festgelegt, das Mißtrauensvotum kann nur in der Form ausgesprochen werden, daß gleichzeitig von der Mehrheit ein neuer Kanzler benannt wird. Das haben wir deswegen für richtig gehalten, weil der Entwurf des Redaktionsausschusses in anderen Fällen leider an das alte Mißtrauensvotum wieder angeknüpft hat. Um das völlig klar und scharf auseinanderzuhalten, haben wir uns im Organisationsausschuß dazu entschlossen, die alte Fassung beizubehalten und die Fassung des Redaktionsausschusses abzulehnen, obwohl sie sachlich dasselbe sagt. Dr. Laforet (CSU): Das ist meiner Ansicht nach einer der entscheidenden Kernpunkte der ganzen Neuerung. Man mag sagen, das ist eine Konstruktion. Aber es ist eine neue brauchbare Konstruktion, aufgebaut auf der Einheit des Aktes. Es muß gelesen werden: Das Mißtrauen kann nur in der Form ausgesprochen werden, daß der Bundespräsident unter Benennung eines Nachfolgers ersucht wird, den Bundeskanzler zu entlassen. Diese Uno-actu-Theorie ist doch das Entscheidende Ihrer Auffassung (Dr. Katz [SPD]: Sehr richtig.) und sie tritt meiner Ansicht nach klar hervor. Es ist deutlich ausgesprochen, was Sie wollen. Deshalb sollte man Ihrer Anregung entsprechen. Dr. Seebohm (DP): Es ist doch klar, daß der Bundespräsident dem Ersuchen zu folgen hat? Vors. Dr. Schmid (SPD): Natürlich. Das ergibt sich aus dem Text. Dr. Seebohm (DP): Nicht absolut. In der Fassung des Redaktionsausschusses steht klar: „Der Bundeskanzler ist vom Bundespräsidenten zu entlassen“, während hier steht: der Bundestag ersucht den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler zu entlassen. Auf Grund einer Auslegung des reinen Textes könnte man also sagen, es ist dem Bundespräsidenten freigestellt, ob er dem Ersuchen stattgeben will oder nicht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Man kann den Satz hinzusetzen: Der Bundespräsident hat diesem Ersuchen stattzugeben. Dr. Seebohm (DP): Das halte ich für klarer. Ich würde vorschlagen, den Satz hinzuzufügen. Walter (CDU): Ich möchte erneut auch im Hauptausschuß darauf hinweisen, daß vielleicht doch insofern eine Lücke vorhanden ist, als hier nur ein neuer Bundeskanzler zu ernennen ist, aber noch lange nicht feststeht, daß eine neue Bundesregierung entsteht. In der Regel ist es so, daß vorher die einzelnen Minister unter den Parteien vereinbart werden. Es könnte aber auch der Fall eintreten, daß die Flügel-

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parteien aus einem gemeinsamen Haß gegen den bisherigen Bundeskanzler sich schließlich dahin einigen, diesen Mann zu stürzen – sie haben die Mehrheit –, sich jedoch später nicht über die einzelnen Ressorts einig werden, die zu bilden sind, so daß vielleicht eine Bundesregierung nicht entsteht. Ich gebe zu, der Fall liegt vielleicht abseits. Aber vor 1933 wäre er ohne [S. 414] weiteres denkbar gewesen. Ich habe bei der ersten Lesung in dieser Richtung einen Antrag gestellt. Ich möchte davon absehen, diesen Antrag zu wiederholen. Ich will mich vorläufig einmal mit der Sache abfinden. Kaufmann (CDU): Es ist notwendig, noch auf eine andere Merkwürdigkeit hinzuweisen und sie zu durchdenken. Bei der Ernennung des Bundeskanzlers gemäß Art. 87 erfolgt die Wahl nach Abs. 2 auf Vorschlag des Bundespräsidenten als erste Form der Ernennung des Kanzlers. Bei der Abberufung hat der Bundespräsident überhaupt keine Mitwirkung, sondern derjenige, der den Mann im Normalfall als erster vorgeschlagen hat, verschwindet hier bei der Ersetzung des Kanzlers vollständig. Das scheint nicht absolut logisch zu sein, es sei denn, man ist der Meinung, die Entwicklung, die sich gezeigt hat, ist eine so starke Korrektur an der Ernennung durch den Bundespräsidenten, daß man sagt, man kann ihn nicht mehr an der Sache beteiligen, denn er hat sich in der Person geirrt. Dr. Laforet (CSU): Was Herr Kollege Kaufmann sagt, ist durchaus bedeutsam. Aber so, wie ich die Dinge auffasse, wie ich die Meinung des Organisationsausschusses auf mich wirken ließ, wird eben der Bundespräsident mit Absicht ausgeschaltet. (Dr. Katz [SPD]: Sehr richtig.) Er hat zwar die Möglichkeit der ersten Einführung, aber im späteren Spiel der Kräfte ist allein der Bundestag maßgebend. Man kann daran denken, auch hier den Bundespräsidenten einzubauen. Nur kann ich mich im Augenblick nicht für eine Fassung entschließen. Wenn ich die Meinung des Organisationsausschusses richtig verstanden habe, ist das doch der Wille: der Bundespräsident kann zwar den Bundeskanzler ins Leben setzen oder entscheidend dabei mitwirken, aber über seinen späteren Bestand entscheidet allein der Bundestag. (Dr. Katz [SPD]: Sehr richtig. Vors. Dr. Schmid [SPD]: Krisenentscheidungen werden durch den Bundestag getroffen.) – Krisenentscheidungen werden durch den Bundestag getroffen. Dr. Heuss (FDP): Was Herr Kaufmann gesagt hat, möchte ich in dem Sinne zum Vortrag bringen, daß hier immerhin ein gewisser logischer Bruch dadurch entstanden ist, daß wir – womit ich einverstanden bin – den Bundespräsidenten in das Zustandekommen einer Regierung, einer Ernennung mit eingeschaltet haben. Die Staatsrechtler werden darüber die wunderbarsten Kommentare schreiben, weil in der Konstruktion des Bundeskanzlers logisch gesehen eine Inkonsequenz vorliegt. Denn es wird sozusagen vorausgesetzt: Es kommt zur Krise, du bist zunächst ganz gut als Hebamme im ersten Fall, aber nachher hast du weiter keine Funktionen mehr. Ich finde im Augenblick noch nicht die Form, wo man den Bundespräsidenten in diesem Fall wieder irgendwie aktiv werden lassen kann. Der Sinn ist natürlich, die Ministerkrise zu vermeiden. Das ist sehr sinnvoll und sehr gesund und wird von uns allen im Gedankengang bejaht. Was aber der Herr Kollege Kaufmann gesagt hat, bewegt mich selber. Es liegt hier eine gewisse Inkohärenz in der Situa-

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tion des Bundespräsidenten vor. Wir müssen uns darüber einmal Gedanken machen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es liegen zwei Fälle vor. Einmal der Normalfall, daß ein Kanzler ohne Krise, also ohne kämpferischen Druck der Mehrheit auf ihn, zu bestimmen ist, zum Beispiel in dem Fall, daß der Kanzler zurücktritt, durch Tod abgeht usw. Da ist der Präsident eingeschaltet. Der zweite Fall ist der Krisenfall. Es kommt zum Kampf zwischen einer aktionsfähigen Mehrheit des Bundestags und dem Bundeskanzler. Hier soll der Bundestag die Krise lösen. Da liegt kein logischer Bruch vor, sondern es wird auf zwei Ebenen operiert. Dr. Heuss (FDP): Ich weiß wohl. Aber ich sehe im Krisenfall die Funktion des Bundespräsidenten als sehr viel dringlicher an. Dr. Kleindinst (CSU): Ich wollte das gleiche sagen. Die Anregung des Kollegen Walter ist jetzt schon durch den Art. 89 gedeckt, weil die Minister nicht mehr des Vertrauens bedürfen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Er muß es eben durchfechten. Dr. Laforet (CSU): Der Herr Kollege Dr. Heuss wie auch der Herr Kollege Kaufmann haben durchaus recht. Es ist eine bewußte Abweichung von der Linie, die hier für den Regelfall gegeben ist. Der Herr Vorsitzende hat durchaus recht gehabt, als er sagte, es sind zwei Fälle, der Fall der ersten Ernennung und der Fall der Erledigung des Kanzleramtes ohne Krisis, bei Tod, bei Rücktritt. Hier bleibt nach dem Willen des Organisationsausschusses nach wie vor die entscheidende Befugnis des Präsidenten. Aber, wie vorhin gesagt worden ist, im Krisenfall haben Sie bewußt den Bundespräsidenten ausgeschaltet und die Befugnis allein dem Bundestag gegeben. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Wenn man im Krisenfall den Bundespräsidenten irgendwie einschalten will, könnte man das eventuell in Art. 90 Abs. 2 tun, indem man dort schreibt: „Zwischen dem Antrag und der Abstimmung über das Mißtrauensvotum müssen 48 Stunden liegen. Der Bundespräsident ist berechtigt, innerhalb dieser Frist dem Bundestag seine Auffassung mitzuteilen.“ (Dr. Katz [SPD]: Nein. Um Gottes willen!) Dr. Seebohm (DP): Ich bin der Auffassung, daß die Einschaltung des Bundespräsidenten in diesem Fall zu Schwierigkeiten führt. Wenn man dem Ablauf logisch folgt, könnte man daran denken, daß man dem Bundespräsidenten noch ein Vorschlagsrecht zubilligt, falls er sieht, daß eine Krise sich bemerkbar macht, so daß er vielleicht eingreifen könnte, um eine latente Krise in der Weise zu lösen, daß er dem Bundestag einen Vorschlag macht. Aber ich halte das nicht für zweckmäßig; denn dadurch würden zweifellos Schwierigkeiten, die sich sonst unter Umständen durch seine Initiative noch überwinden lassen, erst recht zum Ausbruch kommen. Wenn wir vermeiden wollen, daß ein häufiger Wechsel eintritt, müssen wir eben diese Wechselmöglichkeit erschweren. Sie wird am meisten dadurch erschwert, daß man außer der Initiative des Bundestags selber keine andere Initiative zuläßt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wäre die groteske Situation möglich, daß der Bundespräsident, solange sein Kanzler noch im Amt ist, mit den Parteien über seine Absetzung verhandeln muß. Eine solche Situation kann man kaum wünschen. Dr. Dehler (FDP): Das kann man, glaube ich, kaum umgehen. Wir haben bewußt in Kauf genommen, daß im Krisenfall der Präsident nicht eingreifen kann. Wir haben

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aber im Redaktionsausschuß einen anderen Fall vorgesehen, um die Initiative des Präsidenten wieder in Lauf zu bringen, nämlich durch die Bestimmung des Art. 95 – die leider im Organisationsausschuß keine Gegenliebe gefunden hat –, daß auf jeden Fall das Amt des Bundeskanzlers mit der Wahl eines neuen Bundestags endigt. Es erscheint mir eine unbedingte Notwendigkeit zu sein, daß über die Wahlperiode eines Parlaments hinaus der Bundeskanzler keinen Bestand haben darf, daß dann das Spiel des Art. 87 wieder beginnt und daß der Bundespräsident wieder sein Initiativrecht hat. (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Das ist doch allgemein üblich.) Der Organisationsausschuß hat sich auf einen anderen Standpunkt gestellt. Ich wollte das nur erwähnen, weil hier in diesem Punkt auch jene Bestimmung ihre Bedeutung hat. [S. 415] Dr. Kleindinst (CSU): Ich wollte nur gegenüber dem Herrn Kollegen Dr. de Chapeaurouge etwas sagen. Es gibt hier nur ein Entweder Oder. Wenn man das Mißtrauensvotum auf die Fälle beschränken will, daß es nicht unüberlegt, sondern nur auf Vorschlag des Bundeskanzlers kommt, muß man den Weg des Organisationsausschusses gehen. Das ist das Neue. Dann kann man nichts mehr daran ändern. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zuerst über den Zusatz zu Abs. 1 abstimmen: „Der Bundespräsident muß diesem Ersuchen Folge leisten.“ – Der Zusatz ist angenommen. Dann lasse ich über den ganzen Art. 90 mit dem beschlossenen Zusatz abstimmen. – Der Art. 90 ist einstimmig angenommen.

[3.8. ART. 90a: AUFLÖSUNG DES BUNDESTAGES]

Der Art. 90a lautet in der Fassung des Organisationsausschusses: (1) Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung von mehr als der Hälfte der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen 21 Tagen den Bundestag auflösen. Das Recht zur Auflösung erlischt, sobald der Bundestag mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen anderen Bundeskanzler wählt. (2) Zwischen dem Antrag und der Abstimmung müssen 48 Stunden liegen. Das ist also das Gegenbild von dem Bisherigen, die Möglichkeit für den Bundeskanzler, eine Entscheidung zu erzwingen. Dr. Seebohm (DP): Wir hatten dazu noch einen Antrag (PR. 12.48 – 426) gestellt, der allerdings in der Formulierung jetzt nicht mehr ganz in das Bild hineinpaßt. Wir wollten vermeiden, daß ein Präsidialkabinett entsteht und sich längere Zeit infolge eines Minderheitsrechts hält. Es ist ja möglich, daß der Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellt und daß die Vertrauensfrage verneint wird, so daß er dann mit dem Bundesnotstand regiert. Wir wollten deshalb gern die Möglichkeit eingeschaltet haben, daß der Bundestag aufzulösen ist, wenn der Bundesrat es verlangt. Das heißt, daß wir auch hier noch einmal den Bundesrat einschalten wollen, um eine Minderheitsregierung nicht zur Dauererscheinung werden zu lassen. Der Antrag müßte jetzt so formuliert werden, daß es in Abs. 3 heißt:

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Stellt der Bundeskanzler im Zeitraum von sechs Monaten zweimal vergebens die Vertrauensfrage, ohne daß der Bundestag einen Nachfolger benennt, so muß der Bundespräsident binnen 21 Tagen den Bundestag auflösen, wenn der Bundesrat das verlangt. Es sollte hier nur versucht werden, noch eine weitere Lösungsmöglichkeit einzufügen, um ein dauerndes Präsidialkabinett zu vermeiden. Dr. Dehler (FDP): Der Redaktionsausschuß hat eine Änderung vorgeschlagen, die der Organisationsausschuß nicht akzeptiert hat29). Wir wollten die Möglichkeit gewähren, daß der Bundespräsident den Bundestag auflöst, wenn eine Mehrheit im Bundestag dem Bundeskanzler das Mißtrauen ausspricht, ohne einen neuen Bundeskanzler zu wählen. Der Fall ist denkbar. (Dr. Laforet [CSU]: Nein.) – Sie wollen es nicht, das hat Ihre Beschlußfassung zu Art. 90 schon ergeben. Aber in der Verfassungswirklichkeit ist der Fall durchaus denkbar, daß zwar eine Mehrheit gegen den Bundeskanzler steht und an sich auch die Möglichkeit hat, einen Bundeskanzler zu wählen, aber in der gegebenen Situation der Meinung ist, daß die Auflösung richtiger ist, weil ihre Mehrheit zu knapp ist, um Bestand zu haben. Soll man für diesen Fall einer doch immerhin vorhandenen Spannung und Krisis nicht dem Bundespräsidenten auch die Möglichkeit der Auflösung geben? Nach der jetzigen Formulierung ist das Auflösungsrecht nur gegeben, wenn ein Mißtrauensbegehren des Bundeskanzlers vom Bundestag abgelehnt wird. Wir wollen es auf den Fall erweitern, daß eine Mehrheit des Bundestags ein Mißtrauen ausspricht, aber aus irgendwelchen Gründen davon absieht, einen Bundeskanzler zu benennen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Also beim heterogenen Mißtrauen soll dann das hier vorgeschlagene Verfahren eintreten. Dr. Katz (SPD): Wir haben manche Anträge des Redaktionsausschusses abgelehnt. Wir haben diesen Antrag mit ganz besonderer Schärfe zurückgewiesen. Denn die Fassung des Art. 90a, wie ihn der Redaktionsausschuß vorschlägt, bedeutet einen schlimmen und bedauerlichen Rückfall in das Mißtrauensvotum der Weimarer Verfassung, das in keiner Weise, auch nur irgendwie angedeutet, wieder zum Vorschein kommen sollte. Der Sinn des Art. 90a ist, der Regierung die Chance einer Neuwahl zu geben, wenn sie es für gegeben erachtet. Mit dem heterogenen, dem destruktiven Mißtrauensvotum hat die Sache nichts zu tun. Wir müssen ganz energisch dem Versuch entgegentreten, das in irgendeiner Form wieder aufleben zu lassen, wenn auch nur in der schwachen Form wie in dem neuen Vorschlag des Redaktionsausschusses zu Art. 90a. Dr. Laforet (CSU): Die Möglichkeit einer Regelung im Sinne des Vorschlages des Redaktionsausschusses ist an sich gegeben. Aber mit dem Kern des Art. 90 ist das unvereinbar. Wer den Weg des Art. 90 geht, muß sich der weiteren Folgerungen bewußt werden. Ich verstehe, daß der Organisationsausschuß hier erklärt hat: Auch nicht auf dem Umweg lasse ich an meinem Prinzip des Art. 90 etwas ändern. So ist doch die Meinung gewesen. 29)

Vgl. die 28. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 16. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 39, S. 977–984.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich über die Fassung des Organisationsausschusses abstimmen. – Art. 90a ist angenommen. Dr. Seebohm (DP): Ich darf fragen, ob über meinen Antrag abgestimmt werden soll. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag Dr. Seebohm auf Einfügung eines Abs. 3 in Art. 90a abstimmen. – Der Antrag ist gegen 2 Stimmen abgelehnt. Der Hauptausschuß vertagt sich auf Dienstag, den 11. Januar 1949, 10 Uhr. Schluß der Sitzung 11.05 Uhr.

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Nr. 34 Vierunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses 11. Januar 1949 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 417–429. PA 2004. Ungez. von Reynitz gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 538 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: von Brentano, de Chapeaurouge3), Fecht4), Kaufmann, Kleindinst5), Lehr, von Mangoldt, Schlör6) SPD: Eberhard7), Greve, Katz8), Löwenthal9), Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Wolff FDP: Becker10), Höpker Aschoff11) DP: Seebohm KPD: Renner12) Zentrum: Wessel13) Abgeordnete ohne Stimmrecht: Bergsträsser (SPD), Dehler14) (FDP), Heiland (SPD), Zinn (SPD) Stenographischer Dienst: Reynitz Dauer: 10.20–12.20 Uhr

[1. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT VII: DIE BUNDESREGIERUNG] [1.1. ART. 90b: GESETZGEBUNGSNOTSTAND]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe auf

Art. 90b (1) Findet im Fall des Art. 90a eine Auflösung des Bundestags nicht statt und lehnt der Bundestag eine von der Bundesregierung als dringlich bezeichnete Gesetzesvorlage ab, so kann die Bundesregierung beim Bundesrat den Antrag stellen, für diese Gesetzesvorlage das Bestehen eines Gesetzgebungsnotstandes festzustellen. (2) Stimmt der Bundesrat zu, so entscheidet der Bundespräsident, ob für diese Gesetzesvorlage der Gesetzgebungsnotstand zu verkünden ist.

1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

10) 11) 12) 13) 14)

Protokollführer Wernicke. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Vertreter für Adenauer. Vertreter für Süsterhenn. Vertreter für Pfeiffer. Vertreter für Laforet. Vertreter für Zimmermann. Vertreter für Schönfelder. Vertreter für Stock. Vertreter für Heuss. Vertreter für Dehler. Vertreter für Reimann. Vertreterin für Brockmann. Dehler war als Vertreter des Redaktionsausschusses anwesend.

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(3) Legt die Bundesregierung diese Gesetzesvorlage mit dem Vermerk des Gesetzgebungsnotstandes dem Bundestag erneut vor und lehnt der Bundestag sie wiederum ab oder nimmt er sie in einer von der Bundesregierung als unannehmbar erklärten Fassung an, so gilt die Gesetzesvorlage als angenommen, sobald der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt hat. Das gleiche gilt, wenn die Vorlage vom Bundestag nicht innerhalb von vier Wochen nach der erneuten Vorlage verabschiedet worden ist. Das Gesetz tritt spätestens zwölf Monate nach seiner Verkündung außer Kraft. (4) Der Bundespräsident kann derselben Bundesregierung den Gesetzgebungsnotstand für einzelne Gesetzesvorlagen nicht für einen längeren Zeitraum als zwölf Monate zuerkennen. Das ist die Fassung, die der Organisationsausschuß in seiner 28. Sitzung am 16. Dezember des letzten Jahres angenommen hat (PR. 12.48 – 390)15). Dr. Lehr (CDU): Meine Freunde bitten, dieser Fassung zuzustimmen und nicht der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses, die Ihnen in der Zusammenstellung der Empfehlungen des Allgemeinen Redaktionsausschusses nach dem Stande vom 16. 12. 1948 (PR. 12.48 – 374)16) vorliegt. Wir haben lediglich folgende Ergänzungen oder Abänderungen dazu zu beantragen17): 1.) In Abs. 3 des Art. 90b wird die Frist für das Außerkrafttreten des Notgesetzes auf sechs Monate beschränkt. 2.) In Abs. 4 wird die Frist, in welcher der Bundespräsident derselben Bundesregierung den Gesetzgebungsnotstand für einzelne Gesetzesvorlagen zuerkennen kann, auf sechs Monate beschränkt. – [3.)] Als Abs. 5 möchten wir folgende Bestimmung eingefügt wissen: Das Grundgesetz darf durch ein Gesetz, das im Rahmen eines Gesetzgebungsnotstandes erlassen wird, nicht geändert werden. [4.)] Schließlich wünschen wir, daß die Notstandsgesetzgebung des Art. 90b im Abschnitt IX „Die Gesetzgebung“ an entsprechende Stelle aufgenommen wird. Wir glauben, daß die Verkürzung der Frist wesentlich ist für den Grundgedanken, der dem Art. 90b zugrunde liegt, und man sollte am Schluß noch einmal in einem besonderen Absatz ausdrücklich sagen, daß es sich wirklich nur um einen Gesetzgebungsnotstand handelt und in solchen Fällen bestimmt keine Vorschriften aufgenommen werden können, die das Grundgesetz verändern oder durchlöchern. Dr. Katz (SPD): Der uns vorliegende Art. 90b ist von großer Bedeutung; denn er soll das Bestehen einer arbeitsfähigen Regierung in Krisenzeiten sichern. Er soll eine Lücke ausfüllen, die wir in der Weimarer Verfassung gehabt haben. Hätten wir eine solche Bestimmung gehabt, so hätten höchstwahrscheinlich eine ganze Reihe von Krisen, wie wir sie in der Weimarer Zeit erlebt haben, nicht auftreten können. 15)

Für den Wortlaut der Zusammenstellung der in der 28. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes unter Einarbeitung der Vorschläge des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 16. Dez. 1948 beschlossenen Fassung des Kapitels VII: Die Bundesregierung vom 16. Dez. 1948 vgl. Drucks. Nr. 390; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 40, S. 995–998. 16) Für den Wortlaut der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 16. Dez. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 4, S. 161–201, hier S. 166–169. 17) Vgl. die Sitzung der CDU/CSU-Fraktion am 10. Jan. 1949; Salzmann, S. 336.

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Gegen den Antrag des Herrn Kollegen Dr. Lehr habe ich große Bedenken. Wir haben die Angelegenheit auch im Organisationsausschuß besprochen, sind aber damals mit überwiegender Mehrheit – einschließlich von Mitgliedern auch Ihrer Partei – auf eine Frist von zwölf Monaten, und zwar für die beiden ersten Fälle Ihres Antrags, zurückgekommen. Wenn ein Zustand gegeben ist, der es erforderlich macht, einen Gesetzgebungsnotstand anzuerkennen, so ist nicht mit völliger Sicherheit vorauszusehen, ob dieser Zustand innerhalb von sechs Monaten beendigt sein wird. Wenn man eine solche Frist von sechs Monaten zugrunde legte, so würde am Ende dieser sechs Monate entweder ein Wechsel der Regierung stattfinden müssen – vorausgesetzt, daß die Verhältnisse sich nicht wesentlich verändert haben – oder es müßte eine Auflösung des Bundestags erfolgen. Es ist mir also zweifelhaft, ob man die Frist so kurz belassen kann, und zwar gerade im Hinblick auf die Theorien, die die Kollegen Dr. Becker und Dr. Dehler in der letzten Sitzung vorgetragen haben, nämlich die Arbeitsfähigkeit der Regierung möglichst stark zu sichern. Schon deswegen wäre eine längere Frist vorzuziehen. Wir verkennen nicht, daß es sich hier um eine Art von Ausnahmezustand handelt. Dieser Ausnahmezustand darf aber niemals die Regel werden und muß eines Tages sein Ende finden. Es erscheint nicht unbedingt notwendig, in Pausen von sechs oder sieben Monaten eine Serie von Regierungswechseln oder Bundestagsauflösungen zu erzwingen. Dadurch lösen wir wahrscheinlich einen Krisenzustand nicht, würden ihn vielmehr verschärfen. Deswegen habe ich große Bedenken, die Frist in beiden Fällen auf sechs Monate abzukürzen, und möchte bitten, daß Sie sich die Sache noch einmal überlegen. Dadurch, daß dieser Artikel in das Grundgesetz hineinkommt, wird sich seine Anwendung wahrscheinlich erübrigen; er soll ja einen Zwang zur Demokratie enthalten, soll eine Aufforderung an die destruktiven Oppositionsparteien sein, sich jeder destruktiven Opposition zu enthalten und eine konstruktive Opposition zu machen. Wenn diese Parteien also schon eine Regierung oder einen bestimmten Kurs ablehnen und wenn sie irgendwie die Mehrheit auf sich vereinigen, dann ist eben eine neue Regierung zu bilden. Dadurch, daß wir ihnen eine solche destruktive Opposition unmöglich machen, zwingen wir derartige Gruppen innerhalb des Parlaments zur aktiven Mitarbeit. Sonst könnten sie nämlich in ihrer Opposition verharren. Wenn man diesen Zeitraum auf zwölf Monate bemißt, trifft man die destruktive Opposition viel stärker und [S. 418] macht ihr das Vorgehen viel schwieriger als bei sechs Monaten. Bei einer Frist von sechs Monaten könnten sie vielleicht in ihrer obstinaten Haltung verharren; wenn man aber zwölf Monate vorsieht, macht man ihnen das nach unserer Ansicht unmöglich. Im übrigen: wenn wirklich ein derartiger Zustand zwölf Monate lang andauern sollte, dann wäre die Zeit für eine Volksbefragung reif, und dann könnte ohne große Schwierigkeiten neu gewählt werden. Auch deshalb darf ich die Bitte an Sie richten, diese Überlegungen noch einmal anzustellen und doch der ursprünglichen Fassung zuzustimmen, wie sie die überwiegende Mehrheit im Organisationsausschuß gefunden hat, nämlich die Frist in beiden Fällen auf zwölf Monate zu bemessen. Dr. Seebohm (DP): Wir haben zu Art. 90b ebenfalls einen Antrag gestellt, der Ihnen unter PR. 12.48 – 427 vorliegt. Dieser Antrag bezieht sich zum Teil auf die gleiche

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Materie, die dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU zugrunde liegt. Im ersten Teil des Antrags wird jedoch eine andere Materie behandelt und vorgeschlagen, in Art. 90b Abs. 1 hinter dem Wort „Gesetzesvorlage“ einzufügen: in den Teilen, die von der Bundesregierung als wesentlich bezeichnet werden. Der Gesetzgebungsnotstand soll also schon gegeben sein, wenn der Bundestag wesentliche Teile einer Gesetzesvorlage ablehnt oder abändert. Es kann nämlich sein, daß eine Vorlage zwar grundsätzlich angenommen wird, aber solche Änderungen daran vorgenommen oder Teile der Vorlage abgelehnt werden, daß damit praktisch der Minderheitsregierung ein Fortbestehen nicht mehr möglich ist. Um den Gedanken des hier vorgeschlagenen Systems logisch durchzuführen, scheint es uns daher richtig zu sein, diese Einfügung in Abs. 1 vorzunehmen, und ich beantrage sie daher. Ziffer 1 des Antrags der CDU/CSU entspricht dem Antrag, den wir unter Buchstabe B zu Abs. 2 gestellt haben – in der Fassung der Vorlage der ersten Lesung –, der Notverordnungskabinette als Dauererscheinung verhindern will, und zwar durch die Bestimmung, daß der Gesetzgebungsnotstand für Vorlagen derselben Bundesregierung nur innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten nach seiner erstmaligen Verkündung in Anspruch genommen werden kann. Weiter wird erklärt: Wird der Bundestag nicht aufgelöst, so erlischt das Recht, den Gesetzgebungsnotstand zu verkünden, sechs Monate nach seiner erstmaligen Verkündung. In beiden Fällen soll also der Gesetzgebungsnotstand nach sechs Monaten erlöschen. Im Gegensatz zu dem, was Herr Kollege Dr. Katz vorgetragen hat, bin ich der Auffassung, daß ein Zeitraum von zwölf Monaten viel zu lang ist. Gerade im Hinblick auf die Schnellebigkeit unserer Zeit und die sich rasch ändernden Verhältnisse kann ich einer so weit erstreckten Frist unter keinen Umständen zustimmen, weil damit Verhältnisse geschaffen würden, die sich auch nachher bei einer Volksbefragung unter Umständen gar nicht mehr ändern lassen. Das Provisorische dieses Gesetzgebungsnotstandes und sein Charakter als der einer Notlösung soll ja gerade dadurch zum Ausdruck kommen, daß für ihn nur eine ganz beschränkte Zeit gegeben ist und die Organe der Exekutive gezwungen sind, wegen dieser zeitlichen Beschränkung sofort nach endgültigen Lösungen zu suchen. Wenn sie ein Jahr vor sich haben, werden sie durchaus geneigt sein, erst eine ganze Zeit verstreichen zu lassen, ehe sie mit aller Energie an die Lösung herangehen. Der dritte Teil unseres Antrags beschäftigt sich mit derselben Materie wie Ziffer 3 des Antrags der CDU/CSU. Schon in der ersten Lesung hatten wir darauf hingewiesen, daß es notwendig sei, eine Feststellung zu treffen, wonach Bestimmungen des Grundgesetzes auf dem Wege über den Gesetzgebungsnotstand nicht geändert werden dürfen. Wir hätten dazu folgende Fassung vorzuschlagen: Das Grundgesetz darf auf dem Wege des Gesetzgebungsnotstandes weder geändert, noch ganz oder in Teilen außer Anwendung gesetzt werden. Diese Fassung scheint uns etwas weiter zu gehen als die der CDU/CSU. In der CDU-Fassung steht nur, daß das Grundgesetz nicht geändert werden darf. Wir möchten gern noch hinzufügen, daß es auch nicht ganz oder in Teilen außer Anwendung gesetzt werden darf. Man könnte sonst sagen: Wir ändern ja nicht, aber wir dürfen ja außer Anwendung setzen! – Das Verbot muß aber ganz klar zum Ausdruck kommen, damit jede Möglichkeit verbaut wird, daß sich irgend jemand miß-

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bräuchlich dieses Gesetzgebungsnotstandes bedient. Es muß verhindert werden, daß über diese Frage, die sowieso den Verfassungsgerichtshof auf Betreiben der Opposition stark in Anspruch nehmen wird, von vornherein teuere und langwierige Prozesse angesagt werden. Kaufmann (CDU): Ich glaube, die Argumentation von Herrn Kollegen Katz ist nicht ganz richtig. Es handelt sich in diesem Fall nicht ausschließlich um das, was wir destruktive Opposition nennen. Es kann auch anders sein; es kann auch so sein, daß ein Kanzler aus irgendwelchen Motiven nicht bereit ist, die Auflösung der Kammer vorzuschlagen, und das ist ja die Bedingung für die Auflösung. Es kann sein, daß er aus guten oder aber auch aus nicht guten Gründen so verfährt, oder die Kammer wenigstens kann der Meinung sein, daß es aus nicht guten Gründen geschieht, etwa aus einer Hartköpfigkeit des Kanzlers. Es ist aber noch eine andere Möglichkeit gegeben: es ist durchaus möglich, daß zwei Parteien, die vorher miteinander regiert oder sich mindestens gestützt haben, aus irgendwelchen Gründen glauben, nicht mehr miteinander arbeiten zu können, auf der andern Seite aber auch keine andere Koalition zusammenbringen können, weil sie glauben, daß mit den übrigen Parteien überhaupt nicht zu arbeiten ist. Daraus ergäbe sich wiederum die Notwendigkeit einer Auflösung. Der Kanzler weigert sich aber, den Vorschlag dazu zu machen, weil er ein Jahr vor sich hat, während dessen er die Sache mit gewissen Kautelen praktisch allein machen kann. Deshalb ist es richtig, die Frist so kurz wie möglich zu bemessen, um auf diese Weise Kanzler, Bundestag und Volk zu zwingen, schnellstens eine neue Lösung zu suchen oder zu erzwingen. Soweit vernünftige Menschen vorhanden sind, muß man doch annehmen, daß sich innerhalb eines halben Jahres für jeden dieser drei Kreise ein Weg zu einer vernünftigen Lösung finden lassen wird. Oder aber man überläßt die Sache der Entscheidung des Volkes. Man sollte also diese Ausnahmebestimmung so genau wie möglich umgrenzen und die Frist so kurz wie nur irgend angängig bemessen, um unter allen Umständen von diesem praktischen Gesichtspunkt aus einen Mißbrauch zu verhüten. Dr. Lehr (CDU): Meine Freunde haben diesen Art. 90b in einer gestrigen Fraktionssitzung noch einmal kritisch geprüft. Es hat eine große Neigung dafür bestanden, den ganzen Artikel abzulehnen. Eine Zustimmung ist nur dadurch erreicht worden, daß wir die Fristen auf sechs Monate kürzten. Das ist das, womit sich eine starke Mehrheit bei uns einverstanden erklärt hat. In bezug auf die Fassung des Abs. 5 würde ich keine Bedenken haben, sie in Übereinstimmung mit dem Vorschlag der DP zu bringen. Dr. Katz (SPD): Ich kann die Einwendungen des Kollegen Kaufmann nicht als begründet anerkennen. Er sprach über den Fall des Auseinanderfallens einer Koalition, ohne daß sich eine neue, die Regierung tragende Mehrheit bildet, und er befürchtet, daß der Kanzler aus gewissen Gründen – Scheu vor der Auflösung – nunmehr beschließt, ein Jahr lang auf Grund des Art. 90b zu regieren. Das ist aber doch nicht möglich, wenn der Bundesrat und der Bundespräsident ihm nicht zustimmen. Wenn der Herr Kollege [S. 419] Kaufmann der Ansicht ist, es müßte sich doch eine Reihe vernünftiger Menschen finden, die bereit sind, eine andere Lösung einer derartigen Krise zu suchen, so stimme ich mit ihm überein; aber diese „vernünftigen Menschen“ müssen eben die Herren vom Bundesrat und auch der Bun-

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despräsident selbst sein. Es handelt sich hier um einen Ausnahmezustand, eine Art von Notzustand, der nicht unnötig verlängert werden soll. Er kann aber auch nur verlängert werden, wenn die Mehrheit des Bundesrats und der Bundespräsident zustimmen; sie müssen davon überzeugt sein, daß es keine andere Lösung gibt; denn sonst werden sie nicht zustimmen. Da sind also in den beiden anderen Staatsorganen Garantien gegen einen Mißbrauch dieser Bestimmung eingeschaltet. Zu einer derartigen Situation kommt es doch auch nur in Krisenzeiten ersten Ranges. Ich bitte Sie, an die Zeit etwa von 1933 zurückzudenken. Es kann durchaus sein, daß eine derartige Lösung innerhalb von sechs Monaten nicht als annehmbar erscheint, daß im Gegenteil befürchtet werden muß, die negative Stimmung, die eine derartige Situation herbeigeführt hat, werde durch die Ausschreibung von Neuwahlen oder eventuell auch durch einen Regierungswechsel nur verschärft werden. Darum also die Erstreckung dieser Frist auf zwölf Monate. Wir werden das Ziel, das wir verfolgen, nämlich arbeitsfähige Regierungen zu schaffen und Krisen der Demokratie zu verhindern, bei einer längeren Frist eher erreichen als bei einer kurzen. Die Krisen der Demokratie, die durch nicht arbeitsfähige Regierungen eingeleitet werden, werden die Gelegenheit bieten, die Treppe zu bauen, auf der der nächste Diktator in die Macht hinaufsteigt, und dieser Art. 90b soll ja gerade dazu dienen, die Zahl von Krisen der Demokratie möglichst niedrig zu halten. Noch einige Worte zu den beiden anderen Absätzen, die Herr Kollege Dr. Lehr vorgeschlagen hat. Er möchte einen Abs. 5 eingesetzt haben, wonach das Grundgesetz nicht geändert werden darf. Das ist für mich und war für alle Herren, die im Organisationsausschuß an der Fassung dieser Artikel mitgearbeitet haben, eine solche Selbstverständlichkeit, daß wir es für überflüssig gehalten haben, eine solche Bestimmung hineinzunehmen. Es wäre geradezu frivol, auch nur daran zu denken, auf diesem kalten Wege einen Staatsstreich zu machen, auf diesem Wege also die Verfassung in einzelnen Bestimmungen außer Kraft zu setzen oder gar abzuändern. Ich bin überhaupt noch nicht auf den Gedanken gekommen, daß das Grundgesetz auf diesem Wege geändert werden könnte, zumal das Grundgesetz doch von jeder Kammer mit Zweidrittelmehrheit abgeändert werden kann. Außerdem haben wir ein fakultatives Referendum vorgesehen, für das schon 25 Prozent einer jeden Kammer genügen. Daß man Verfassungsbestimmungen etwa auf dem Wege des Gesetzgebungsnotstandes außer Kraft setzen könnte, halte ich für derart undenkbar, daß ich einen besonderen Abs. 5 nicht für notwendig halte. Wohlverstanden also: mit der Idee bin ich hundertprozentig einverstanden, aber ich halte das für so überflüssig, daß ich es darum nicht aufzunehmen bitte. Der letze Absatz des CDU-Antrags betrifft lediglich den Platz, an dem diese Bestimmung stehen soll. Herr Dr. Lehr ist der Ansicht, wir sollten sie in den Abschnitt Gesetzgebung bringen. Ich bin dagegen, und auch die Mehrheit des Organisationsausschusses hat sich dagegen ausgesprochen. Es handelt sich hier nicht um einen Fall der normalen Gesetzgebung, sondern es ist ein Fall des Funktionierens der Regierung; deshalb gehört das in das Kapitel der Regierungsfunktion. Wir haben bewußt den Art. 48 der Weimarer Verfassung18) verschwinden lassen oder ab18)

Für den Wortlaut des Art. 48 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 9, Anm. 38.

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getötet. Das, was wir jetzt in Art. 111 haben, die Notgesetzgebung, beschränkt sich auf rein technische Notstände, Naturkatastrophen, Aufruhr, Generalstreik oder ähnliche Dinge, wenn also normale technische Verhältnisse nicht gegeben sind, Züge nicht fahren usw. Das hat also mit dem früheren Art. 48 nichts zu tun. Wir wollen ja eine Wiederholung des Art. 48 ausdrücklich nicht haben. Wir wollen eine Flucht vor der Verantwortung, wie politische Parteien sie in der Vergangenheit ergriffen haben, nach Möglichkeit verbauen. Wir wollen das Funktionieren der normalen Regierung auch unter schwierigen Umständen ermöglichen. Daher gehört dieser Artikel in das Kapitel über das Funktionieren der Regierung und nicht in das Kapitel Gesetzgebung, denn er hat mit der normalen Gesetzgebung gar nichts zu tun. Ich gebe zu, es ist eine Kleinigkeit, ob der Artikel hier oder da steht; aber in das System gehört er dort hinein, wo wir die Organisation und das Funktionieren der Regierung aufnehmen. Dr. Lehr (CDU): Wir sind uns im Organisationsausschuß klar gewesen, daß der Art. 90b keine Handhabe für Verfassungsänderungen oder Durchlöcherungen der Verfassung sein soll. Weil aber Mißtrauen nun einmal eine demokratische Tugend ist, möchte ein Teil meiner Freunde diesen Tatbestand ausdrücklich in einem besonderen Absatz vermerkt haben. Man kann gewiß der Auffassung sein wie Herr Kollege Katz, daß dieser Artikel seinen Platz im Anschluß an Art. 90a finden sollte. Auf der anderen Seite haben wir aber aus dem ganzen Bereich der Notstände, wie Art. 48 der Weimarer Verfassung sie vorsah, nur zwei herausgenommen, die wir für unsere Verfassung anerkennen wollen. Der eine ist der von Herrn Dr. Katz erwähnte technische Notstand, den wir jetzt in Art. 111 haben, der andere ist der Gesetzgebungsnotstand des Art. 90b. Man kann sowohl für das eine wie für das andere plädieren. Wir haben uns aber mit Mehrheit entschlossen, die beiden Notstände in demselben Abschnitt, eben dem der Gesetzgebung zu bringen. Dr. Becker (FDP): Es war soeben die Rede davon, daß Mißtrauen eine demokratische Tugend sei. Ich bin der Meinung, daß man diese demokratische Tugend auch übertreiben kann. Wenn ich mir Art. 90b gerade unter diesem Gesichtspunkt ansehe, dann komme ich zu dem Ergebnis, daß er eigentlich viel weiter geht als der von uns am Freitag eingebrachte Antrag. (Dr. Katz [SPD]: Er liegt in derselben Linie.) – Nein, er liegt nicht nur in derselben Linie, er geht sogar viel weiter; denn er gibt der Regierung auf zwölf Monate nicht nur die volle Exekutive, die sie bisher gehabt hat, sondern auch noch mindestens 50 Prozent der legislativen Befugnisse insofern, als sie jetzt das Votum des Bundestags nicht mehr braucht. (Dr. Katz [SPD]: Aber nur im Ausnahmefall!) – Ich komme darauf gleich zurück. Wenn Sie Art. 90b genau lesen, dann erkennen Sie, daß sich dieses Notverordnungsrecht nicht auf den vom Bundestag abgelehnten Gesetzentwurf, hinsichtlich dessen ein Mißtrauensvotum eingebracht worden oder nicht durchgegangen ist, sondern auf jedes andere Gesetz bezieht, das nach einem solchen Ereignis irgend einmal eingebracht werden kann, vorausgesetzt nur, daß Bundespräsident, Bundesrat und Bundesregierung die Eilbedürftigkeit oder Dringlichkeit bejahen. Die Erstreckung der Frist auf die Dauer von zwölf Monaten kann die Folge haben, daß damit der Bundeskanzler Zeit gewinnt, um einen für

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sich und seine Richtung günstigen Moment für eine Auflösung, die er ursprünglich nicht riskiert hat, abzuwarten. (Dr. Katz [SPD]: Das ist doch nichts Schlechtes!) – Das ist an sich nichts Schlechtes, gesehen vom Standpunkt des Bundeskanzlers aus, aber schlecht vom Standpunkt der Mehrheit des Bundestags aus. (Dr. Katz [SPD]: Nicht der konstruktiven Mehrheit, denn sie kann ihn jeden Tag stürzen!) Es kommt weiter folgendes hinzu. Dieser Zwiespalt zwischen Bundestag und Bundesregierung braucht ja nicht nur deshalb einzutreten, weil kein Mißtrauen zum Ausdruck kommt, sondern kann auch bei der Ablehnung von Gesetzentwürfen getragen sein, von der Erwägung einer gewissen Scheu vor der Verantwortung durch eine Anzahl von Parteien. Wir haben es doch erlebt, daß der Art. 48 in der Weimarer Zeit gerade auch deshalb angewandt wurde, weil die Parteien nur parteipolitisch, aber nicht staatspolitisch dachten und dann vielfach der Regierung die Gefolgschaft versagten oder Gesetzen nicht zustimmten. [S. 420] Wenn wir diese Frist auf zwölf Monate erweitern, dann hat das die Folge, daß der Zeitraum, innerhalb dessen diese Flucht aus der Verantwortung eintreten kann, noch verlängert wird. Wenn wir deshalb diesen Artikel, ausgehend von der Grundlage des parlamentarischen Systems, schon für notwendig erachten, dann neigen wir in der Tat dazu, nun wenigstens die Rückkehr zum parlamentarischen System zu erleichtern, indem wir es auf eine Fristverkürzung abstellen. In diesem Zusammenhang nun die weitere Frage: Warum ist eigentlich die Fassung des Redaktionsausschusses bis jetzt noch nicht zur Sprache gekommen? Wenn ich die Fassung des Redaktionsausschusses richtig lese, dann enthält sie doch die Abweichung von der hier zur Debatte stehenden Fassung, daß die Gesetzesvorlage dem Bundestag ein zweites Mal zugeleitet werden muß und daß nach der zweiten Ablehnung, wenn dieses Notverordnungsrecht in Kraft tritt, – (Dr. Katz [SPD]: Auch jetzt!) – ich bitte, mich zu korrigieren, wenn ich eine falsche Auffassung vortrage. Insofern scheint mir diese Fassung des Redaktionsausschusses doch mehr den Grundsätzen des parlamentarischen Regimes zu entsprechen. (Kaufmann [CDU]: Das steht ja drin, die erneute Vorlage, Ziffer 3!) – Dann ist dieses Bedenken erledigt. Nun zu der letzten Frage, wo diese Bestimmung einzuordnen ist. Wir meinen auch, es handle sich um eine Art der Gesetzgebung. Natürlich hat Herr Kollege Katz recht: es dreht sich auch um die Frage des Funktionierens der Bundesregierung. Es ist mir nicht ganz leicht, nun klar zu sagen, wohin sie gehört. Wir neigen mehr dazu, diese Sache auch in den Abschnitt Gesetzgebung hineinzubringen, wobei ich aber schon andeuten möchte, daß man bei der Generaldurchsicht des Verfassungswerkes vielleicht überhaupt hier und da noch eine Umgruppierung wird vornehmen müssen, um dem Ganzen einen flüssigeren, klareren Aufbau zu geben. Dr. Katz (SPD): Ich möchte dem Herrn Kollegen Becker zunächst erwidern, daß der Vorschlag des Redaktionsausschusses den späteren Beratungen des Organisationsausschusses zugrunde gelegen hat. Das, was wir jetzt in diesem Vorschlag bei Art. 90b nach dem Entwurf des Organisationsausschusses beraten, ist das Ergebnis eines Vergleichs der beiden Entwürfe der ersten Lesung und des Vorschlags des Re-

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daktionsausschusses. Das, was Herr Kollege Becker beanstandet, daß nämlich in dem Entwurf des Redaktionsausschusses eine zweite Vorlage vorgesehen sei, ist auch hier der Fall. Das steht in Abs. 3. (Dr. Becker [FDP]: Ich habe mich bereits korrigiert.) – Es muß also eine zweite Vorlage gemacht werden. Wir sind aber im Gegensatz zu dem Vorschlag des Redaktionsausschusses der Ansicht gewesen, daß der Bundestag bei der zweiten Vorlage noch einmal das Recht zur vollen Beratung hat, ebenso das Recht, gewisse Abänderungsvorschläge zu machen. Das wollte die Vorlage des Redaktionsausschusses ausschalten. Sie sah vor, daß der Bundestag da nur entweder glatt annehmen oder ablehnen könnte, daß ihm also das Gesetz erneut vorgelegt werden könnte etwa mit der Aufforderung: „Friß Vogel oder stirb! Abändern darfst du nichts mehr!“ Wir haben das nicht akzeptiert, sondern haben dem Bundestag die Möglichkeit gegeben, bei der erneuten Vorlage mit dem Vermerk, daß es sich hier um den Fall des Gesetzgebungsnotstandes handle, erneut in die Beratung einzutreten, sich sozusagen zu einem Besseren zu bekehren und sich zu aktiver Mitarbeit zu entschließen. Der zweite Einwand des Kollegen Becker, daß wir hier einer Regierung, einer Minderheitsregierung sogar auf längere Zeit quasi-diktatorische Vollmachten geben, stimmt in diesem Umfang nicht. Dieser Vermerk hinsichtlich des Gesetzgebungsnotstandes kann ja nur für einen einzelnen Gesetzentwurf gegeben werden, und bei jedem einzelnen Gesetzentwurf müssen zwei andere Staatsorgane, der Bundesrat und der Bundespräsident, mitwirken. Es ist also nicht so, daß da generell eine Art Generalvollmacht für zwölf Monate an die Regierung gegeben wird, sondern es handelt sich darum, daß Bundesrat und Bundespräsident in jedem einzelnen Gesetzgebungsfall erneut prüfen müssen, ob eine derartige außerordentliche Notwendigkeit besteht oder nicht. Wir müssen dem Verantwortungsbewußtsein dieser beiden höchsten Staatsorgane soweit vertrauen, daß sie von diesem Recht auch nur den spärlichen Gebrauch machen werden, den ein derartiges Ausnahmerecht seinem Charakter nach nur in sich schließen kann. Auf der anderen Seite – und das ist der Hauptgrund für unsere Überlegung – ist es notwendig, die Arbeitsfähigkeit einer Regierung auch in Krisenzeiten zu sichern. Das ist also dasselbe, was der Kollege Becker in der vorigen Woche mit solcher Energie vertreten hat. Dieser Grundgedanke liegt doch dem ganzen Art. 90b zugrunde. Wir haben aber keine Garantie, daß sich in Krisenzeiten – und so etwas kann eben nur in Krisenzeiten vorkommen – nach sechs Monaten bereits eine so wesentliche Änderung der Situation ergeben hat, daß man dann auf jeden Fall entweder die Regierung wechseln oder den Bundestag auflösen muß. Wir sind überzeugt, daß nach dem Verlauf von zwölf Monaten, wenn sich bis dahin dieser Notzustand nicht geändert hat, eine neue Befragung des Volkes oder ein Regierungswechsel stattfinden muß. Sechs Monate scheint uns da etwas zu kurz zu sein, zumal wenn man bedenkt, daß derartige Gesetze doch im Laufe ihres Werdens zweimalige Beratung im Bundesrat – wahrscheinlich mehrere Monate in Anspruch nehmen werden. Das sind die Gründe, die uns bewegen, den Art. 90b in dieser Fassung aufzunehmen. Es handelt sich hier, wie ich gleich betonen möchte, nicht um eine weltanschauliche oder eine Parteifrage. Die Meinungen waren in beiden Parteien ge-

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trennt. Es handelt sich um eine rein technische Frage: die Frage des Funktionierens einer demokratischen Regierung, einer auf Grund des parlamentarischen Systems bestehenden demokratischen Regierung in Krisenzeiten. Wir gehen hier einen neuen Weg, einen Weg, den bisher kein anderes Regierungssystem, das das parlamentarische Regime zugrunde gelegt hat, gegangen ist. Aber wir halten diesen Weg für gut und günstig und glauben, daß eine solche Einrichtung erheblich zur Stabilisierung der Regierungsform und zur Herbeiführung eines arbeitsfähigen Regiments auf Grund des parlamentarischen Systems beitragen wird. Wir werden so eine Gewähr dafür haben, daß arbeitsfähige Regierungen auf Grund des parlamentarischen Systems auch in solchen Krisenzeiten vorhanden sein werden, wenn gewisse Parteien oder Gruppen sich aus einer Scheu vor der Verantwortung nicht entschließen können, sich an der Regierung zu beteiligen. Dr. Menzel (SPD): Der Art. 90b ist aus der Idee des Art. 90a entstanden. Darum gehört er auch hierher und nicht in die Notstandsgesetzgebung und zu Art. 110. Aber er ist zugleich ein unabdingbarer Bestandteil des Art. 90a und zugleich auch eine Einschränkung des Art. 90a, und zwar in zeitlicher Hinsicht. Bei Art. 90a haben wir das konstruktive Mißtrauensvotum bejaht und waren uns klar, daß einer solchen Regierung – und zwar kann sie gleich zu Anfang ihrer Existenz möglicherweise auf einer Minderheit beruhen auch das wichtigste Handwerkszeug, nämlich die Gesetzgebungsmaschine, zur Verfügung stehen muß. Es hätte keinen Sinn, in unserer Verfassung eine Minderheitsregierung anzuerkennen, wenn wir ihr gleichzeitig den Boden entziehen, Gesetzentwürfe durchzubringen. Daraus haben wir gefolgert, daß wir einer Regierung, die Minderheitsregierung ist, einen Weg zur Gesetzgebung offenlassen müssen. Das geschieht durch Art. 90b. Nun kommen heute die Einschränkungen, und wir müssen uns klar sein, daß die Befristung auf ein Jahr schon eine erhebliche Einschränkung der Idee des Art. 90a ist. Deswegen sollte man diese Frist nicht abändern. Wenn Sie diese Frist so kurz bemessen oder, wie es vom Sprecher der CDU [S. 421] angedeutet worden ist, ganz verneinen, dann müssen Sie auch so konsequent sein, Art. 90a zu streichen. Dr. Greve (SPD): Ich würde bitten, zu überlegen, ob es nicht möglich ist, die Angelegenheit noch einmal im Organisationsausschuß zu besprechen, und zwar auch im Hinblick darauf, daß einzelne Formulierungen noch nicht die notwendige Klarheit zu haben scheinen. Da heißt es zum Beispiel in Abs. 3: Legt die Bundesregierung diese Gesetzesvorlage mit dem Vermerk des Gesetzgebungsnotstandes dem Bundestag erneut vor usw. Was soll das heißen? Muß sie vorlegen oder kann sie nur vorlegen? (Zurufe: Sie kann!) – Wenn sie nur vorlegen kann, dann ergeben sich daraus natürlich ganz andere Folgen, als wenn sie vorlegen muß. Und was heißt, daß sie diese Gesetzesvorlage „erneut vorlegt“? Erneut legt sie gar nichts vor, sondern sie legt erstmalig mit dem Vermerk des Gesetzgebungsnotstandes vor. Außerdem bitte ich, auch den Abs. 4 noch in irgendeiner Form klarer zu fassen, weil mir das, was in Abs. 4 gemeint ist, auch nicht genug präzisiert zu sein scheint. Für den Fall aber, daß der von der CDU gestellte Antrag zu Ziffer 3 in Verbindung mit dem von Herrn Kollegen Dr. Seebohm gestellten Antrag angenommen werden

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sollte, möchte ich doch bitten, auch hier eine andere Fassung zu wählen, und zwar dann zu überlegen, ob nicht folgende Fassung möglich ist: Das Grundgesetz darf durch ein Gesetz, das im Rahmen eines Gesetzgebungsnotstandes erlassen wird, weder geändert, noch ganz oder teilweise außer Kraft gesetzt werden. Es „außer Anwendung zu setzen“, scheint mir auch von Herrn Kollegen Seebohm nicht gemeint zu sein; denn angewendet werden Gesetze, die in Kraft sind. Hier ist gemeint, daß das Grundgesetz nicht außer Kraft gesetzt werden kann. Im übrigen wiederhole ich meine Bitte, zu erwägen, ob es nicht zweckmäßiger ist, sich über all diese Dinge noch einmal im Organisationsausschuß auszusprechen. Renner (KPD): Ich habe den Eindruck, als wenn Herr Kollege Greve die Komik der Situation, in die sich die SPD mit ihrer Verteidigung hineinmanövriert hat, begriffen hätte. Was ist eigentlich los? Versuchen wir einmal, die Sache auf einen einfachen Nenner zu bringen. Hier ist mit Recht gesagt worden, daß Art. 90b Ausfluß des Art. 90a ist. Die Situation ist folgende. Der Bundeskanzler findet nicht das Vertrauen des Bundesrats. Von dieser Situation muß man ausgehen, um den Art. 90b zu begreifen. Der Bundeskanzler hat dann das Recht, den Bundestag aufzulösen. Aus Gründen, die in seiner Entscheidung liegen, macht er von diesem Recht keinen Gebrauch. Nun, so wird hier gesagt, soll aus technischen Gründen eine arbeitsfähige Bundesregierung geschaffen werden. Einer der Herren Sozialdemokraten hat in dem Zusammenhang das Wort „Handwerkszeug“ gebraucht. Ich wage die Frage zu stellen: Wer ist eigentlich das Handwerkszeug? Ist die Bundesregierung das Handwerkszeug des Bundestags? Ist der Bundestag die Kraft, die die Regierung in Bewegung setzt, ist der Bundestag, der vom Volke gewählte Bundestag, die Organisation, die der Regierung die Gesetze des Handelns vorschreibt, oder ist es umgekehrt? Nach der hier vorherrschenden Konzeption ist es umgekehrt! Es ist hier so, daß die Bundesregierung das A und O ist, und nicht der Bundestag, der doch auch nach Ihrer Konzeption die Verkörperung des Willens der Wählermassen sein soll. Nun ist hier gesagt worden, man müsse für eine konstruktive Mehrheit sorgen. Pilatusfrage an die SPD: Habt ihr, liebe sozialdemokratische Brüder, euch vor 1933 nicht als konstruktive Mehrheit gefühlt? – Ihr habt euch da mindestens als der konstruktiven Mehrheit zugehörig betrachtet. Das hat euch aber nicht daran gehindert, der Notverordnungspolitik19) der Regierung Brüning20) zuzustimmen, also aus Angst vor der Verantwortung oder um nicht vor dem Volke die Verantwortung für das zu tragen, was mit dem Art. 48 exerziert worden ist, Notverordnungen, Hungerdiktate usw. Darum seid ihr, meine lieben Sozialdemokraten, damals einverstanden gewesen, daß Herr Brüning mit dem Art. 48 regierte, und letzten Endes ist ja auch Hitler mit dem Art. 48 an die Macht gekommen, das darf hier auch einmal erwähnt werden. (Heiland [SPD]: Das war auch nur möglich, weil ihr euch zu der destruktiven Mehrheit geschlagen habt!)

19) 20)

Vgl. dazu auch oben Dok. Nr. 18, S. 534, Anm. 16. Zu Reichskanzler Brüning vgl. oben Dok. Nr. 31, S. 939, Anm. 27.

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– Lieber Freund, was ist destruktiv, was ist Demokratie? Demokratie ist das, was Sie darunter verstehen! Was der einzelne von Ihnen darunter versteht, das ist „Demokratie“! Man sucht uns hier einzureden, daß der Bundesregierung keine Generalvollmacht erteilt werden soll. Hier heißt es aber: Legt die Bundesregierung diese Gesetzesvorlage mit dem Vermerk des Gesetzgebungsnotstandes dem Bundestag vor usw. Die Bundesregierung erteilt also den Titel „dringlich“. Es wird auch hier kein Zwang statuiert, wonach die Bundesregierung eine solche Gesetzesvorlage, der sie den Titel „dringlich“ gegeben hat, vorzulegen verpflichtet ist. Das ist hier nicht drin. Die Bundesregierung kann zusammen mit dem Bundespräsidenten so verfahren, und zwar unterstützt vom Bundesrat, der doch die Verkörperung der Regierungen der Länder ist, der sogar nicht bloß aus Ministern, sondern Ministerialdirektoren zusammengesetzt sein kann, also aus der Hierarchie der Beamten. Das ist die Körperschaft, meine Herren Sozialdemokraten, der Sie im Gegensatz zu den scheinbar demokratischeren CDU-Leuten eine Existenzberechtigung von zwölf Monaten zusprechen wollen. Die CDU-Leute plädieren nur für sechs Monate. Ist das nicht tatsächlich ein Witz der Weltgeschichte für Sie Sozialdemokraten? – Doch, das ist ein Witz der Weltgeschichte! (Dr. Löwenthal [SPD]: Ihr macht es viel einfacher!) – Ja, ganz recht, wir machen es viel einfacher. Wir sind der Meinung, daß die Macht im Staate dem Bundestag gehören soll und daß die Regierung ausübendes Organ des Willens des Bundestags ist. Da können gar keine Konflikte entstehen. Wir machen uns gar keine Sorge um solche Begriffe wie konstruktive Mehrheit. Nach unseren Vorschlägen wird die Regierung gebildet aus den Parteien, und wer nicht mitspielen will, hält sich draußen. Das ist meiner Meinung nach konstruktiv. Aber Sie können eine solche Mehrheit nicht brauchen, weil Sie für Ihre kommende Bundesrepublik eine reaktionäre Regierung schaffen müssen. So liegen die Dinge! Dr. Becker (FDP): Ich kann meinem Herrn Vorredner nicht folgen, wenn er von einer komischen oder witzigen Situation spricht. (Renner [KPD]: Ich habe nicht Sie gemeint, sondern die Sozialdemokraten! Sie scheinen die besseren Demokraten zu sein.) – Ich spreche auch nicht für mich, sondern allgemein, und möchte hervorheben, daß alle, die hier sind, und alle Teilnehmer an der Debatte über diesen Artikel von ernsten staatspolitischen Motiven beseelt sind. Eine Frage zu Abs. 4 des Art. 90b. Da heißt es: Der Bundespräsident kann derselben Bundesregierung den Gesetzgebungsnotstand für einzelne Gesetzesvorlagen nicht für einen längeren Zeitraum als zwölf – eventuell also sechs – Monate zuerkennen. Nun die Frage: Kann sich das wiederholen? Kann also, wenn ein neues Mißtrauensvotum im fünften oder elften Monat eingebracht wird, oder wenn im fünften oder elften Monat ein positives Mißtrauensvotum [S. 422] abgelehnt worden ist, diese Frist erneut ins Laufen gesetzt werden? (Dr. Katz [SPD]: Nein.)

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– Wo steht das? (Dr. Katz [SPD]: Wenn ein neues Gesetz da ist, ja.) – Aber es ist eine neue Situation auf Grund eines abgelehnten Mißtrauensvotums. (Dr. Katz [SPD]: Aber es steht doch drin. Ob ein oder zwei Minister ausgetauscht sind, spielt keine Rolle. Dr. Menzel [SPD]: Das ist die zeitliche Einschränkung!) – Oder wenn ein oder zwei Minister ausgetauscht sind, dann nicht? (Dr. Katz [SPD]: Dieselbe Bundesregierung unter demselben Kanzler! Ob ein oder zwei Minister ausgetauscht sind, ist ohne Belang.) Dr. Seebohm (DP): Wir hatten folgenden Zusatz beantragt: Wird der Bundestag nicht aufgelöst, so erlischt das Recht, den Gesetzgebungsnotstand zu verkünden, sechs Monate nach seiner erstmaligen Verkündung. Das sollte noch eine weitere Beschränkung sein. Zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Greve möchte ich auf folgendes hinweisen. Es ist durchaus richtig, wenn er sagt, es sei gewollt, daß das Grundgesetz weder ganz noch in Teilen „außer Kraft“ gesetzt werden dürfe. Wir haben die Worte „außer Anwendung“ deswegen gewählt, weil wir uns an die Gesetzgebung erinnern, wie sie die Hitlerregierung im Februar 1933 durchgeführt hat. Da hat man nämlich den Begriff der Anwendung gewählt. Man hat gesagt: Die Verfassung bleibt in Kraft, sie wird nur außer Anwendung gesetzt21). – Das war ein Dreh, um sich um die Verfassungsänderung herumzudrücken, und um einen solchen Dreh in Zukunft zu vermeiden, wollten wir die Worte „außer Anwendung“ eingesetzt wissen. Wir wollten eine solche Gefahr ausschließen und durch diese Worte in unserem Antrag die Möglichkeiten zu derartig unerfreulichem Vorgehen noch weiter einschränken. Vors. Dr. Schmid (SPD): Vielleicht darf ich ganz kurz zusammenfassen, was sich an Problematik aus der Diskussion ergeben hat. Der Fall der Anwendung des Art. 90b ist abhängig von dem Zusammentreffen einer ganzen Reihe von Voraussetzungen. Die erste Voraussetzung ist, daß eine ernsthafte Krise entsteht. Die zweite Voraussetzung ist: diese Krise kann nicht dadurch gelöst werden, daß eine homogene Mehrheit imstande ist, einen neuen Kanzler zu wählen und dadurch die bisherige Regierung abzulösen. Die dritte Voraussetzung ist, daß die Regierung, die nicht abgelöst werden konnte, ein Vertrauensvotum beantragt, das ihr verweigert wird. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, beginnt der Art. 90b zu spielen. Daneben sind noch eine Reihe von anderen Voraussetzungen zu erfüllen. Man sollte nicht vergessen: auch wenn sämtliche Voraussetzungen des Art. 90b erfüllt sind, ist nicht etwa eine generelle Ermächtigung an die Regierung gegeben, mit Hilfe des Bundesrats für zwölf Monate zu legiferieren, die außerordentlichen Mittel des Art. 90b können vielmehr immer nur für einzelne Gesetzesvorlagen bewil21

Die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat (sog. „Reichstagsbrandverordnung“) vom 28. Febr. 1933 (RGBl. I, S. 83) kennt eine solche Formulierung nicht. Vgl. jedoch Art. 3 des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich (sog. „Ermächtigungsgesetz“) vom 24. März 1933: „[. . .] Die Artikel 68 bis 77 der Reichsverfassung finden auf die von der Reichsregierung beschlossenen Gesetze keine Anwendung“. RGBl. I, S. 141. – Zum Ermächtigungsgesetz vgl. oben Dok. Nr. 21, S. 631, Anm. 80.

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ligt und angewandt werden. Es ist durchaus möglich, daß Art. 90b im Laufe dieser zwölf Monate nur bei einer Gesetzesvorlage angewandt wird, während alle anderen Gesetze innerhalb dieser Frist von zwölf Monaten im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens beschlossen werden. Nun geht die Sache weiter. Wir haben als vierte Voraussetzung, daß keine Auflösung des Bundestags erfolgt, daß eine Gesetzesvorlage eingebracht und als dringlich bezeichnet wird, der Bundestag sie aber ablehnt. Dann ist an den Bundesrat heranzutreten, der zu beschließen hat, ob der Fall des Gesetzgebungsnotstandes festgestellt werden kann oder nicht. Erst in diesem Falle tritt der Bundespräsident ein und verkündet für diese einzelne Gesetzesvorlage den Gesetzgebungsnotstand. Dann legt die Bundesregierung dem Bundestag erneut diese Gesetzesvorlage vor mit dem Vermerk, daß der Gesetzgebungsnotstand gegeben sei. Wenn dann der Bundestag wiederum ablehnt oder die Vorlage in einer so abgeänderten Fassung annimmt, daß die Regierung diese Fassung für unannehmbar erklärt, kommt der Bundesrat wieder zum Zuge, und wenn er zustimmt, gilt die Vorlage als angenommen. Dasselbe Verfahren greift Platz, wenn er diese erneut eingebrachte dringliche Gesetzesvorlage nicht innerhalb von vier Wochen erledigt. Nun kommt noch weiter die Befristung der Geltung eines so beschlossenen Gesetzes auf zwölf oder nur auf sechs Monate, wie es von anderer Seite vorgeschlagen wird. Das alles muß zusammenwirken, damit ein Gesetz – und auch das nur für eine befristete Zahl von Monaten – im Wege dieser Ersatzlegislative beschlossen werden kann. Dazu tritt weiter die Bestimmung, daß für eine Gesetzesvorlage der Gesetzgebungsnotstand nur für diesen begrenzten Zeitraum von zwölf oder sechs Monaten ausgesprochen werden kann. Ich glaube, daß die hier eingeschalteten Kautelen nicht nur zahlreich, sondern auch wirksam sind. Es sind Kautelen, von denen angenommen werden kann, daß sie Anlaß geben werden, recht wirksam an die Verantwortung und an die Vernunft eines Bundestags und einer Regierung zu appellieren. Auch ich bin der Meinung, daß die bloße Existenz des Art. 90b ursächlich dafür sein wird, daß Krisen weniger häufig vorkommen werden. Er wird als eine Art von Generalprävention wirken. Den Zusatz, den die Fraktionen der CDU/CSU und der DP verlangen, daß durch ein solches Gesetz das Grundgesetz nicht geändert werden darf, halte ich auch für nötig; denn es könnte doch sein, daß die von der Regierung eingebrachte Gesetzesvorlage auf Abänderung der Verfassung geht. In diesem Falle wäre es möglich, daß im Wege des Art. 90b bei Zusammentreffen aller dieser Voraussetzungen – doch eine Verfassungsänderung erfolgt. Wenn man das nicht will – und ich glaube, man sollte es nicht wollen –, sollte man den vorgeschlagenen Abs. 5 mitbeschließen. Wir kommen zur Abstimmung. Es sind eine Reihe von Abänderungsanträgen gestellt, und zwar zu Abs. 1 ein Abänderungsantrag der Fraktion der Deutschen Partei. Die Fraktion der Deutschen Partei beantragt, in Art. 90b Abs. 1 hinter „Gesetzesvorlage“ folgende Worte einzufügen: . . . in den Teilen ab, die von der Bundesregierung als wesentlich bezeichnet werden . . .

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Ich halte an sich den Zusatz nicht für erforderlich, nachdem in Abs. 3 die „Unannehmbarkeit“ der vom Bundestag beschlossenen Fassung vermerkt worden ist; aber der Zusatz schadet auch nichts. Ich lasse abstimmen. – Der Zusatz ist abgelehnt. Dann lasse ich abstimmen über Abs. 1 in der vom Organisationsausschuß beschlossenen Fassung. – Angenommen gegen eine Stimme. Zu Abs. 2 hat die Fraktion der DP den Zusatz beantragt: Der Gesetzgebungsnotstand kann für die Vorlagen derselben Bundesregierung nur im Zeitraum von sechs Monaten nach seiner erstmaligen Verkündung in Anspruch genommen werden. Wird der Bundestag nicht aufgelöst, so erlischt das Recht, den Gesetzgebungsnotstand zu verkünden, sechs Monate nach seiner erstmaligen Verkündung. Vielleicht kann man zuerst einmal über das Prinzip abstimmen und die Zahl 6 beschließen, jedenfalls für den Zeitraum, der für das Spiel dieser Bestimmung des Art. 90b überhaupt vorgesehen ist. Wir werden nachher abstimmen, ob wir uns für 6 oder 12 Monate entscheiden wollen. Ich lasse also über die Hinzufügung dieser beiden Sätze abstimmen; jedoch wird die Abstimmung nichts [S. 423] für die Zahl der Monate präjudizieren22). – Die Hinzufügung der beiden von der DP beantragten Sätze ist beschlossen. Abs. 2 lautet nunmehr wie folgt: Stimmt der Bundesrat zu, so entscheidet der Bundespräsident, ob für diese Gesetzesvorlage der Gesetzgebungsnotstand zu verkünden ist. Der Gesetzgebungsnotstand kann für die Vorlagen derselben Bundesregierung nur im Zeitraum von . . . Monaten nach seiner erstmaligen Verkündung in Anspruch genommen werden. Wird der Bundestag nicht aufgelöst, so erlischt das Recht, den Gesetzgebungsnotstand zu verkünden, . . . Monate nach seiner erstmaligen Verkündung. Wir kommen dann zu Abs. 3. Hierzu sind Abänderungsanträge von der CDU/CSU gestellt worden. Danach soll es im letzten Satz heißen: Das Gesetz tritt spätestens sechs Monate nach seiner Verkündung außer Kraft. Ich lasse über diesen Abänderungsantrag abstimmen. – Angenommen mit 11 gegen 10 Stimmen. Dann kann ich wohl auch gleich für den Abs. 4 die Frage stellen, ob auch hier die Frist in sechs Monate abgeändert werden soll. Das ergibt sich ganz zwangsläufig, und ich brauche wohl nicht darüber abstimmen zu lassen. An sich könnten wir dann wohl auch gleich sechs Monate in die nach dem Antrag der DP zu Abs. 2 angenommenen neuen Sätze einsetzen? Dr. Katz (SPD): Mir ist der Antrag nicht klar, wie er zu Abs. 2 angenommen worden ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Bei Abs. 2 haben wir eben beschlossen, daß der Gesetzgebungsnotstand nur für den Zeitraum von x Monaten anerkannt werden kann, nach den weiteren Beschlüssen also sechs Monate. (Dr. Katz [SPD]: Das steht jetzt in Abs. 3!)

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Im stenograph. Wortprot., S. 29, folgt danach der Zwischenruf: „(Dr. Katz [SPD]: Das ist also Abs. 2?!)“

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– Nein, das ist ein Unterschied. Es bedeutet nach den angenommenen Abänderungsanträgen, daß es nach sechs Monaten – vom ersten Mal an gerechnet, wo der Gesetzgebungsnotstand für eine Gesetzesvorlage ausgesprochen worden ist – mit der Anwendung des Art. 90b aus ist, (Dr. Katz [SPD]: Das ist der seitherige Abs. 4!) und zwar generell. Dr. Katz (SPD): Deshalb glaube ich, daß Abs. 2 gar nicht notwendig ist. Dr. Greve (SPD): Oben wird gesagt, daß der Notstand für die Gesetzesvorlage festgestellt wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir brauchten dann Abs. 4 nicht mehr. Dr. Katz (SPD): Ich glaube, hier liegt ein Mißverständnis in bezug auf Abs. 2 vor. Ich persönlich habe dafür gestimmt, weil ich glaubte, es ist diese Fassung. Abs. 2 in seiner ursprünglichen Fassung müßte dann rekonstruiert werden; denn damit ist der Fall klargestellt. Ich glaube, es ist logisch richtiger, das in Abs. 4 zu sagen als in Abs. 2. (Dr. Lehr [CDU]: Das ist richtig.) Zinn (SPD): Der Zusatz zu Abs. 2 gehört in Abs. 4. Dr. Katz (SPD): Vielleicht wiederholen wir die Abstimmung über Abs. 2 und Abs. 4. Zinn (SPD): Im Zusammenhang mit dem Zusatzantrag der Deutschen Partei zu Abs. 2 ist inhaltlich – abgesehen von der Frist, also das, was seither in Abs. 4 enthalten war – praktisch nur noch zu entscheiden, ob die Regelung in Abs. 2 oder 4 erfolgt. Es gehört aber systematisch in Abs. 4; denn Sie wollen in den Absätzen 1 bis 3 zunächst einmal den Gang des ganzen Verfahrens im Einzelfall schildern. Ich würde empfehlen, es, so wie es beschlossen ist, in Abs. 4 zu nehmen. Dr. Katz (SPD): Ich bitte, die Abstimmung über Abs. 2 und 4 zu wiederholen. Dr. Seebohm (DP): Wir haben den Antrag ursprünglich zu der Fassung des Hauptausschusses in der ersten Lesung gestellt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, das Einfachste wäre, Sie nehmen Ihren Antrag zurück. Dr. Seebohm (DP): Durch den Abs. 4 würde das gedeckt sein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Also Sie nehmen Ihren Antrag zurück? Dr. Greve (SPD): Wenn in dieser Form etwas beschlossen werden soll, halte ich es für richtig, den Kollegen Seebohm zu bitten, den Abänderungsantrag, den er zu Abs. 2 gestellt hat, bei Abs. 4 zu stellen. Ich mache darauf aufmerksam: es heißt in Abs. 1, daß ein Gesetzgebungsnotstand für die Gesetzesvorlage festgestellt wird, während es nach der Fassung des Organisationsausschusses in Abs. 4 heißt, daß der Bundespräsident den Gesetzgebungsnotstand derselben Bundesregierung zuerkennt. Das ist doch etwas anderes. Ich bin der Auffassung, daß der Gesetzgebungsnotstand nur für die Gesetzesvorlage festgestellt wird, aber die Bundesregierung selbst keine Zuerkennung erhält. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das ist klargestellt. Dr. Greve (SPD): Aber das steht bisher noch in Abs. 4, daß der Bundespräsident derselben Bundesregierung den Gesetzgebungsnotstand für einzelne Gesetzesvorlagen nur für zwölf Monate zuerkennen kann. Wenn wir also etwas Derartiges beschließen wollen, sollten wir lieber die Fassung des Seebohmschen Abände-

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rungsantrags nehmen an Stelle des Abs. 4 in der Fassung des Redaktionsausschusses. Dr. Seebohm (DP): Ich möchte das, was Herr Dr. Greve eben vorgeschlagen hat, zum Antrag erheben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie nehmen also Ihren Antrag insoweit zurück, als er zu Abs. 2 gestellt ist, und der Ausschuß ist damit einverstanden, daß die Abstimmung, die wir vorgenommen haben, keinerlei Rechtswirkung haben soll. Dann ist Abs. 2 also in der Fassung des Organisationsausschusses angenommen, aber ich lasse zur Vorsicht noch einmal darüber abstimmen. – Es ist so beschlossen. Über Abs. 3 haben wir abgestimmt und haben die zwölf Monate in sechs Monate umgeändert. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Wenn man die Frist in Abs. 4 ändert, also sechs statt zwölf sagt, dann ist es nicht notwendig, Abs. 3 zu ändern. Um Klarheit zu schaffen, möchte ich nur sagen, daß es sich um völlig verschiedene Dinge handelt. Ich bin zum Beispiel der Meinung, daß man die Frist in Abs. 4 verkürzen und der Regierung dieses Recht nur für sechs Monate geben sollte, daß aber ein Gesetz, wenn es in dieser außerordentlichen Form erlassen wird, für zwölf Monate gelten soll. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann kann ich, nachdem diese Ausführungen gemacht worden sind, vielleicht die Abstimmung über den Abänderungsantrag zu Abs. 3 wiederholen. Wer ist dafür, daß ein im Wege des Art. 90b verkündetes Gesetz nicht zwölf Monate, sondern nur sechs Monate gelten soll? – Es ist mit 11 gegen 10 Stimmen eine Geltungsdauer von zwölf Monaten beschlossen. [S. 424] Dann lasse ich über Abs. 4 abstimmen. Hier beantragt jetzt Herr Dr. Seebohm – ich will den Antrag noch einmal verlesen –: Der Gesetzgebungsnotstand kann für die Vorlagen derselben Bundesregierung nur im Zeitraum von sechs Monaten nach seiner erstmaligen Verkündung in Anspruch genommen werden. Wird der Bundestag nicht aufgelöst, so erlischt das Recht, den Gesetzgebungsnotstand zu verkünden, sechs Monate nach seiner erstmaligen Verkündung. Dr. Katz (SPD): Der zweite Teil ist, glaube ich, überflüssig. Vors. Dr. Schmid (SPD): Vielleicht kann Herr Dr. Seebohm sagen, warum er den zweiten Satz für notwendig hält. Dr. Seebohm (DP): Ich halte es für präziser, wenn man ausdrücklich feststellt, daß das Recht nach der erstmaligen Verkündung erlischt, damit es nicht wiederholt werden kann, damit also Krisen nicht zu Dauererscheinungen werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es heißt doch schon, daß der Gesetzgebungsnotstand für die Vorlagen derselben Bundesregierung nur im Zeitraum von sechs Monaten nach seiner erstmaligen Verkündung in Anspruch genommen werden kann. Dr. Seebohm (DP): Der zweite Satz bezieht sich auf den Fall, daß die Bundesregierung sich geändert hat und bedeutet, daß also der Gesetzgebungsnotstand grundsätzlich auch einer anderen Bundesregierung nicht gegeben werden kann. Es kann der Fall eintreten, daß man einen Wechsel vornimmt, eben um sich die Möglichkeit zu schaffen, ein Gesetz erneut vorzulegen, um den Gesetzgebungsnotstand zu erwirken.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Aber ein solcher Wechsel könnte nur vorgenommen werden, wenn sich eine Mehrheit findet, die einen neuen Bundeskanzler wählt. Also ist doch dann eine Mehrheit da. Renner (KPD): Der Bundeskanzler kann selber auswechseln! Dr. Katz (SPD): Erst müßte er zurücktreten, und neu gewählt wird er mit relativer Mehrheit. Wollen Sie ihm dann auch keine Chance geben? Dr. Seebohm (DP): Nein, denn dann könnte innerhalb der relativen Mehrheit einfach das Spiel „Verwechselt das Bäumelein“ gespielt werden und die ganze Geschichte sich lebhaft fortsetzen. Es handelt sich zwar um eine ziemlich unwahrscheinliche Möglichkeit, aber sie ist gegeben und soll ausgeschaltet werden. So hätten wir eine derart präzise Fassung, daß das unter gar keinen Umständen mehr möglich ist. Dr. Katz (SPD): Es ist aber nicht präzis. Wenn es zu Neuwahlen mit demselben Ergebnis und einem neuen Kanzler mit relativer Mehrheit kommt, so wollen Sie dem das nicht verweigern? (Dr. Seebohm [DP]: Nein.) – Deshalb halte ich es nicht für nötig, diese zweite Möglichkeit zu schaffen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, wir stimmen zu Abs. 4 am besten satzweise ab. Es besteht Einverständnis darüber, daß zuerst der Antrag von Herrn Dr. Seebohm zur Abstimmung gestellt wird, und zwar Satz 1: Der Gesetzgebungsnotstand kann für die Vorlagen derselben Bundesregierung nur im Zeitraum von sechs Monaten nach seiner erstmaligen Verkündung in Anspruch genommen werden. Dr. Katz (SPD): Da haben wir zwölf Monate gefordert. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie stellen also zu dem Abänderungsantrag Dr. Seebohm den Antrag, statt sechs Monate zwölf Monate zu setzen. Ich lasse zuerst darüber abstimmen. – Wer ist dafür, daß der Abänderungsantrag der Deutschen Partei, PR.[ 12.48 –]427, in der beschriebenen Weise abgeändert werden soll? – Die Änderung ist mit 12 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Ich lasse über Satz 1 des Antrags Dr. Seebohm abstimmen. – Gegen 2 Stimmen angenommen. Dann lasse ich abstimmen über Satz 2: Wird der Bundestag nicht aufgelöst, so erlischt das Recht, den Gesetzgebungsnotstand zu verkünden, sechs Monate nach seiner erstmaligen Verkündung. Satz 2 ist mit 9 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Dann wäre noch abzustimmen über den Antrag, einen Abs. 5 einzufügen. Wir müßten auch hier wohl zunächst über die Fassung des Antrags Dr. Seebohm abstimmen. (Dr. Greve [SPD]: Dazu hatte ich einen Abänderungsantrag gestellt!) Ich verlese den Antrag: Das Grundgesetz darf auf dem Wege des Gesetzgebungsnotstandes weder geändert noch ganz oder in Teilen außer Anwendung gesetzt werden. Beharren Sie auch auf den Worten „außer Anwendung“? Dr. Seebohm (DP): Ich möchte die Fassung vorschlagen: . . . weder geändert, noch ganz oder in Teilen außer Kraft oder außer Anwendung gesetzt werden,

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und zwar mit Rücksicht auf die Form, in der man damals das betreffende Gesetz unter der ersten Hitler-Regierung gemacht hat. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte mich dafür einsetzen, daß man die Worte „außer Anwendung“ hinzunimmt; denn es gibt ja immerhin die Möglichkeit, das Grundgesetz nicht außer Kraft zu setzen, sondern das „Ruhen“ zu dekretieren, wie es die Nazis gemacht haben. Dr. Greve (SPD): Ich habe keine Bedenken dagegen, aber meine Formulierung war anders. Ich hatte im ersten Teil die Formulierung des Antrags der CDU/CSU gewählt: Das Grundgesetz darf durch ein Gesetz, das im Rahmen eines Gesetzgebungsnotstandes erlassen wird, usw. Das scheint mir besser zu sein, als zu sagen „auf dem Wege des Gesetzgebungsnotstandes“. Ich würde also empfehlen, die Formulierung jetzt folgendermaßen zu wählen: Das Grundgesetz darf durch ein Gesetz, das im Rahmen eines Gesetzgebungsnotstandes erlassen wird, weder geändert noch ganz oder in Teilen außer Kraft oder außer Anwendung gesetzt werden. (Dr. Seebohm [DP]: Einverstanden!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Gut, dann legen wir der Abstimmung diesen Antrag zugrunde. – Der Antrag Dr. Greve ist angenommen. Dann wäre noch über die Frage Beschluß zu fassen, ob Art. 90b an dieser Stelle oder in Abschnitt IX Gesetzgebung aufgenommen werden soll. Dr. Katz (SPD): Das würde dann also Art. 111a und käme hinter die Notgesetzgebung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wer ist dafür, Art. 90b von hier wegzunehmen und in Abschnitt IX zu setzen? – Es ist mit 12 gegen 8 Stimmen so beschlossen. [S. 425] Ich lasse nun über den gesamten Artiel in der absatzweise beschlossenen Fassung abstimmen. – Gegen 1 Stimme bei einer Enthaltung angenommen.

[1.2. ART. 95: RÜCKTRITT VON REGIERUNGSMITGLIEDERN]

Dr. Katz (SPD): Wir können dann gleich zu Art. 95 übergehen; die anderen fallen weg. In unserer Vorlage ist das inzwischen in Ordnung gebracht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir kommen also zu Art. 95 nach der Vorlage des Organisationsausschusses: (1) Bundeskanzler kann durch Erklärung gegenüber dem Bundespräsidenten, ein Bundesminister durch Erklärung gegenüber dem Bundeskanzler von seinem Amt zurücktreten. (2) Ersuchen des Bundespräsidenten ist der Bundeskanzler, auf Ersuchen des Bundeskanzlers ein Bundesminister verpflichtet, die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen. Dr. Seebohm (DP): Ich darf darauf hinweisen, daß der Redaktionsausschuß hier eine Änderung vorschlägt, und zwar hat er Abs. 1 so formuliert: Das Amt des Bundeskanzlers oder eines Bundesministers endigt in jedem Falle mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestags; das Amt eines Bun-

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desministers auch mit jeder anderen Erledigung des Amtes des Bundeskanzlers. Mir scheint diese Fassung zweckmäßig zu sein; ich erhebe sie deshalb zum Antrag. Dr. Katz (SPD): Der Organisationsausschuß hat sich mit dieser Frage befaßt und ist zu dem Ergebnis gekommen, diesen Antrag abzulehnen. Die Regierung soll also nicht automatisch zurücktreten, wenn sie beispielsweise bei Wahlen gesiegt hat. Dazu liegt keine Veranlassung vor; wir halten das für überflüssig. Das wird der Lauf der Dinge und der politischen Entwicklung automatisch ergeben. Wir halten daher diesen zusätzlichen Vorschlag des Redaktionsausschusses nicht für gerechtfertigt. Zinn (SPD): Wenn Sie diesen Standpunkt vertreten, müssen Sie sich nur darüber klar sein, daß ein Minderheitskanzler, der während der Legislaturperiode eines Bundestags regiert hat, dann unter Umständen im Amte bleibt, wenn ein neuer Bundestag gewählt wird. Es besteht also dann kein Zwang, nach Wahl eines neuen Bundestags einen neuen Kanzler zu wählen. Das ergibt unter Umständen eine Diskrepanz. Es kann geschehen, daß eine Minderheitsregierung verewigt wird, wenn weder im alten Parlament noch im neuen eine arbeitsfähige Mehrheit vorhanden ist. Es brauchte dann kein Wechsel einzutreten, und das ist natürlich eine sehr bedenkliche politische Folge. Dr. Seebohm (DP): Es handelt sich hier um zwei Dinge: Zunächst einmal um das Erlöschen des Kanzler- und Ministeramtes mit dem Zusammentritt des neuen Bundestags. Soweit ich es kenne, ist dieser Brauch praktisch in jeder Demokratie üblich, und ich halte es auch für zweckmäßig, auf diese Weise einem Bundeskanzler die Möglichkeit zu geben, daß er, wenn er vielleicht aus anderen Gründen ausscheiden möchte, wenigstens ein Ende seiner Tätigkeit vor sich sieht. Je nach den Verhältnissen wird er ja wiedergewählt werden, oder er kann das ablehnen. Das ist also mehr eine formale Angelegenheit. Aber der zweite Satz nach dem Semikolon sagt etwas ganz anderes, nämlich daß das Amt eines Bundesministers auch mit jeder anderen Erledigung des Amtes des Bundeskanzlers endigt. Das heißt also, daß mit dem Rücktritt des Bundeskanzlers auch der Rücktritt der Gesamtregierung erfolgt. Das halte ich für notwendig, damit der neue Bundeskanzler das Kabinett, das er bildet, nach seinem Willen zusammensetzen kann und nicht genötigt ist, Minister zu übernehmen, die in der früheren Regierung tätig waren. Dr. Katz (SPD): Es handelt sich hier um zwei verschiedene Gesichtspunkte. Der erste Gesichtspunkt ist, ob die Regierung nach Wahl eines neuen Bundestags auf jeden Fall zurücktreten muß. Wie gesagt, der Organisationsausschuß ist dagegen. Wenn klare Mehrheitsverhältnisse gegeben sind, wird sich der Fall automatisch erledigen, und der Kanzler wird automatisch von der neuen Mehrheit gewählt werden. Schwierig ist der Fall, wenn vorher eine Minderheitsregierung am Ruder gewesen ist und nach der Neuwahl auf Grund der gegebenen Lage auch nur eine Minderheitsregierung zustande kommen kann. Das ist der Fall, den Kollege Zinn meint. Auch dann sehe ich keinen Zwang für die Regierung zurückzutreten. Wenn diejenigen Gruppen, die den Kanzler gestellt haben, der Ansicht sind, daß das auf Grund der Ergebnisse dieser Wahl nicht mehr angebracht ist, werden diese Parteien oder Gruppen den Kanzler von sich aus zum Rücktritt veranlassen und auf

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dem vorgeschriebenen Wege einen neuen Minderheitskanzler wählen. Das sind alles Dinge, die das parlamentarische Leben als solches erledigt. Ich vermag die Notwendigkeit, hier einen gesetzlichen Zwang einzubauen, nicht einzusehen. Nun zu dem zweiten Halbsatz, wonach das Amt eines jeden Bundesministers mit der Erledigung des Bundeskanzleramtes endigt. Das halte ich für selbstverständlich. Bei der Art der Regierung, die wir hier ins Auge gefaßt haben, in der der Bundeskanzler nicht ein primus inter pares23) ist, sondern sozusagen der leitende Kopf des gesamten Ministeriums, ist es selbstverständlich, daß der neue Kanzler, wenn er antritt, über die Zusammensetzung seiner Regierung bestimmt. Er kann ohnehin einen einzelnen Minister auch gegen dessen Willen entlassen. Dieser Satz ist selbstverständlich und daher überflüssig. Darum brauchen wir diesen ganzen zusätzlichen Absatz, wie er hier vorgeschlagen wird, nicht. Dr. Lehr (CDU): Wir stimmen dieser Auffassung zu und bitten Sie, an der Formulierung des Organisationsausschusses festzuhalten. Es erscheint uns nicht zweckmäßig, in der Verfassung schon zwangsweise das Ende des Amtes eines Bundeskanzlers oder das Ausschalten seiner Kabinettsmitglieder vorzusehen. Wir möchten das den vielfältigen Möglichkeiten des parlamentarischen Lebens und des Kräftespiels der Parteien nicht von vornherein vorschreiben. Das muß im Rahmen der sich in dieser Verfassung reichlich bietenden Möglichkeiten von Fall zu Fall geregelt werden. Dr. von Brentano (CDU): Ich kann der Argumentation von Herrn Kollegen Dr. Katz nicht folgen. Herr Dr. Katz geht, wie er selbst sagt, davon aus, daß die Sache selbstverständlich sei. Aber das, was er angeführt hat, sind keine Selbstverständlichkeiten. Ich meine, wir sollten hier jeden Weg gehen, um auch das Parlament zu einer Entscheidung zu zwingen. Es soll ein Zwang für das neugewählte Parlament gegeben sein, sich zunächst einmal mit der Neubildung einer Regierung zu beschäftigen; dafür ist es gewählt. Man soll ihm nicht die goldene Brücke bauen, sich dieser Verantwortung zu entziehen und zu sagen: „Wir brauchen uns nicht zu einigen, der alte Kanzler bleibt ja im Amt.“ Die Neuwahl eines Parlaments bedeutet im politischen Leben eine so einschneidende Zäsur, daß sie auch in dem gesetzlich vorgeschriebenen Wechsel in der Regierung zum Ausdruck kommen muß, und es ist Aufgabe und Verpflichtung des Parlaments, diese Zäsur auch durch Neuwahl zum Ausdruck zu bringen. Eine Neuwahl hat stattgefunden, das Volk hat sich neu entschieden. Es ist davon auszugehen, daß dadurch auch Veränderungen entstanden sind. Diesem neu zum Ausdruck gebrachten Willen der Wähler soll das neue Parlament meiner Meinung nach pflichtgemäß Rechnung tragen. Dr. Seebohm (DP): Zu dem, was Herr von Brentano eben ausgeführt hat, möchte ich noch hinzufügen: In einem solchen Falle muß auch die Initiative des Bundespräsidenten wieder eingeschaltet werden [S. 426] können. Das würde hier ausgeschlossen sein. Ich könnte mir auch den Fall vorstellen, daß eine Regierungskoalition bei einer Neuwahl wiederum die Mehrheit bekommt, sich innerhalb der Regierungsparteien aber eine wesentliche Verschiebung ergibt, so daß die eine Partei stärker, die andere aber, die bisher den Bundeskanzler gestellt hat, schwächer wird. Um die Koalition zusammenzuhalten, kann die stärkere Partei ohne den Re23)

Lateinisch: Erster unter Gleichen.

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gierungsrücktritt ihren eigentlichen Willen, den Bundeskanzler abzulösen, nicht durchsetzen, weil sonst die ganze Koalition auseinanderbricht. Das ergäbe doch eine ganze Menge von Einschränkungen und Schwierigkeiten, die ich nicht wünschen möchte. Gerade dann möchte ich die Möglichkeit gegeben sehen, daß der neue Bundestag sich ganz frei entscheidet und nicht an irgendwelche Voraussetzungen gebunden ist, die sich im Laufe der Legislaturperiode des vorigen Bundestags ergeben haben können. Mit Rücksicht auf das gesamte optische Bild täte man dem Volk gegenüber doch gut, diese Zäsur klar in Erscheinung treten zu lassen, das Vorschlagsrecht des Bundespräsidenten wieder aufleben zu lassen, dem Willensakt der neugewählten Volksvertretung zu folgen und das Spiel von neuem zu beginnen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, die Entscheidung der Kontroverse hängt davon ab, wie man die Stellung der Regierung überhaupt sieht. Sieht man die Regierung als etwas, was dem Parlament gegenübersteht – wie es etwa in der Zeit der konstitutionellen Monarchie gewesen ist –, so ist es klar, daß mit dem Wechsel des Parlaments die Regierung nicht zu wechseln braucht. Sieht man aber in der Regierung ein Produkt des Parlaments in seiner jeweiligen Zusammensetzung – und das ist doch wohl im parlamentarischen Regierungssystem das Richtige –, dann hat jedes Parlament die ihm zugeordnete Regierung, und wechselt das Parlament, so muß eigentlich auch die Regierung wechseln. Dann muß aus diesem neuen Parlament eine neue Regierung hervorgebracht werden, die zwar personell die alte sein kann, begrifflich aber eine neue Regierung ist. In diesem Fall – und das scheint mir doch die Konstruktion zu sein, die wir alle angenommen haben – erscheint es mir logisch, daß die alte Regierung bei dem Zusammentritt eines neuen Bundestags ihre Ämter zur Verfügung stellt und daß der neue Bundestag eine neue Regierung schafft. Vielleicht werden es dieselben Personen sein wie die der alten Regierung, aber es ist dann die Regierung, die sich der neue Bundestag gewünscht hat. Aus diesem Grunde hat der vom Redaktionsausschuß vorgeschlagene Abs. 1 durchaus seinen Sinn und sollte beschlossen werden. Dr. Kleindinst (CSU): Ich möchte nicht, daß wir in die Verfassung noch mehr Kasuistik hineintragen, als schon darinsteht. Die Auffassung des Herrn Vorsitzenden ist richtig. Aber sollen wir das auch dort erzwingen, wo es politisch nicht unbedingt notwendig ist? Wenn sich die Stärkeverhältnisse im neugewählten Parlament ändern, dann tritt das von selbst ein. Es ist nicht richtig, daß dieser Standpunkt in der Verfassungsübung aller parlamentarischen Staaten befolgt würde. Wenn im englischen Parlament die Mehrheit die gleiche bleibt, wechselt in der Regel die Regierung nicht. Dr. Dehler (FDP): Wir müssen den Art. 95 auch im Zusammenhang mit Art. 87 sehen. Wir haben uns dahin geeinigt, daß zunächst der Bundespräsident das Initiativrecht für die Wahl des Bundeskanzlers hat. Wir beschneiden dieses Recht überaus, wenn ein Bundeskanzler verschiedene Wahlperioden überdauern kann. Aus den Gründen, die auch Herr Kollege Schmid anführte, ist es zweckmäßig, bei der Wahl jedes Bundestags die Zäsur zu machen und ihm die Möglichkeit zu geben, die Regierung neu zu bilden und dabei den Bundespräsidenten einzuschalten. Noch ein Wort zu dem Standpunkt des Herrn Kollegen Dr. Katz. Es ist durchaus denkbar, daß ein Minderheitskanzler mit einer relativ großen Minderheit gewählt

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wird, sagen wir einmal mit 48%. Es wird neu gewählt, und diese Minderheit schrumpft erheblich zusammen, ohne daß die Möglichkeit besteht, einen Mehrheitskanzler zu wählen. Dann wäre es grotesk, wenn das Amt dieses Minderheitskanzlers fortdauern sollte. Zumindest muß ein neuer Bundestag die Möglichkeit haben, einen neuen Bundeskanzler – und sei es einen anderen Minderheitskanzler – zu wählen. (Dr. Katz [SPD]: Die hat er trotzdem!) – Nein, die hat er nicht. Ein neuer kann nur gewählt werden, wenn er eine Mehrheit findet. Deshalb ist es notwendig, mit der Neuwahl des Bundestags einer vom alten Bundestag gewählten Regierung, besonders aber einem Minderheitskanzler das Lebenslicht auszulöschen. Dr. Katz (SPD): Diese geringfügige Differenz – es besteht keine große Differenz zwischen uns beiden – erklärt sich meines Erachtens daraus, daß die eine Gruppe formalistisch, die andere politisch denkt. (Heiterkeit und Widerspruch.) – Ja, wir denken in dem Sinne, daß wir die Fakten des politischen Lebens ohne weiteres einkalkulieren. Bei dem Fall, den Herr Kollege Dehler eben angeführt hat, daß eine Regierung vorher 48% der Stimmen und nach der Wahl nur noch 45% (Dr. Dehler [FDP]: oder 30%!) oder 30% auf sich vereinigt, so daß also eine Mehrheit von 51% nicht zusammenzubringen ist, glauben wir, daß die Fakten des politischen Lebens so stark sein werden, diejenige Partei, die vorher den Kanzler mit 48% der Stimmen bestimmt und jetzt nur noch 38% erhalten hat, zu veranlassen, ihn von sich aus auszuwechseln24). Sie wird ihren eigenen Kandidaten dazu bestimmen, zurückzutreten. Ich bin also gegen diese Änderung, weil ich Kabinettswechsel nicht unter allen Umständen obligatorisch machen möchte, und das tun wir, wenn wir diesen Artikel einführen. Wir bringen unter Umständen ein zusätzliches Krisenmoment hinein, das hineinzubringen nicht nötig ist. Im Grunde stimme ich mit der Auffassung von Herrn Kollegen Schmid überein, daß die Gesetze des parlamentarischen Regimes in dem einen und in dem anderen Falle gelten werden. Aber obligatorisch zu statuieren, daß der Kanzler gewechselt werden muß, wenn eine Neuwahl gewesen ist, scheint mir ein etwas zu starker Zwang. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Der Brauch ist in parlamentarisch regierten Ländern verschieden. Es ist durchaus nicht so, daß in allen parlamentarisch regierten Ländern die Regierung nach jeder Wahl zurücktritt, sondern eben nur dann, wenn eine Änderung in den Mehrheitsverhältnissen eintritt. Ich möchte da auch auf die preußische Praxis hinweisen. Nach der preußischen Verfassung wurde der Ministerpräsident vom Landtag gewählt und ernannte seine Minister25). Als sich das Kabinett Braun26) im Jahre 1925 durchsetzte, ist es sehr lange Jahre im Amte gewesen und 24)

Im stenograph. Wortprot., S. 49, folgt danach der Zwischenruf: „(Dr. Dehler [FDP]: Na, na!)“ 25) Art. 45 der Verfassung des Freistaats Preußen vom 30. November 1920 „Der Landtag wählt ohne Aussprache den Ministerpräsidenten. Der Ministerpräsident ernennt die übrigen Staatsminister.“ Preußische Gesetzsammlung 1920, S. 543–558. 26) Über den preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun vgl. oben Dok. Nr. 22, S. 652, Anm. 37.

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hat eine ganze Reihe von Wahlen überstanden. Es war durchaus nicht Brauch, daß das Kabinett nach einer Neuwahl zurücktrat und ein neuer Ministerpräsident gewählt wurde. Renner (KPD): Das Kabinett Braun hat die Jahre überstanden bis zu dem Tage, an dem Herr von Papen27) es mit Hilfe des Herrn Bracht28) und des Herrenklubs29) in die Wüste geschickt hat30). (Dr. Katz [SPD]: Und mit Ihrer Hilfe31), nicht zu vergessen!) – Den Leutnant, der damals Herrn Severing32) herausgeschmissen hat, haben nicht wir geschickt – also Vorsicht, Vorsicht! –, den hat der Herrenklub und hat Herr von Papen geschickt. Wenn Sie schon politische Witze machen wollen, machen Sie wenigstens vernünftige, über die man wirklich lachen kann. Das Kabinett Braun ist an der Macht geblieben, weil im neuen Landtag dieselben Mehrheitsverhältnisse gegeben waren. Das war das Entscheidende. Aber ich kenne kein Land und keine Demokratie in [S. 427] einem Lande – ich mag ein schlechter Demokrat sein, wenigstens werden Sie mir das sagen –, in dem die Regierung nicht – wenn nicht direkt zwangsläufig, dann doch de facto – das Vertrauen des neuen Parlaments, und zwar ausgesprochen durch besonderen Akt, haben muß. Nun stelle ich mir vor, daß ein Bundeskanzler seine Macht nicht gern preisgibt. Er be27)

28)

29)

30)

31)

32)

Franz von Papen (1879–1969), 1932 Reichskanzler, 1933–1934 Vizekanzler, 1946 im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in allen Anklagepunkten freigesprochen. Franz Bracht (1877–1933), Jurist und Politiker, seit 1908 Mitarbeiter beim Reichsversicherungsamt in Berlin, 1911 Regierungsrat, 1916–1918 gleichzeitig als Dozent für Verwaltungsrecht an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin, 1918–1923 Vortragender Rat im Reichsministerium des Innern und als Ministerialdirektor im Ministerium für Volkswohlfahrt des Landes Preußen, 1923/24 Staatssekretär in der Reichskanzlei, 1924 Oberbürgermeister der Stadt Essen, im Zuge des sogenannten Preußenschlags 1932 stellvertretender Reichskommissar für Preußen und mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Preußischen Ministers des Innern beauftragt, am 29. Okt. 1932 Reichsminister ohne Geschäftsbereich im Kabinett von Reichskanzler von Papen, am 3. Dez. 1932 Reichsinnenminister im Kabinett von Reichskanzler Schleicher. Der „Deutsche Herrenklub“ war der Zusammenschluß von hochgestellten Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Industrie und Verwaltung während der Weimarer Republik Er wurde 1924 nach dem Vorbild der großen englischen Klubs der London Gesellschaft als politischer Klub gegründet. Vgl. Manfred Schoeps: Der Deutsche Herrenklub. Ein Beitrag zur Geschichte des Jungkonservativismus in der Weimarer Republik. Diss. phil. Erlangen-Nürnberg 1974. Anspielung auf den durch Reichskanzler Franz von Papen verantworteten so genannten „Preußenschlag“ im Juli 1932, durch den das Kabinett von MinPräs. Braun aus dem Amt entlassen wurde. Der Landtag von Preußen war seit den Landtagswahlen am 24. April 1932, bei der die NSDAP 162 und die KPD 57 (zusammen also 219 Sitze) von insgesamt 423 Mandaten erlangten, nicht mehr fähig eine Regierung zu bilden. Ohne eine der beiden politisch extremen Parteien konnte keine mehrheitsfähige Regierung gebildet werden. Somit blieb die bisherige Landesregierung gemäß Art. 59 der Verfassung des Freistaats Preußen vom 30. Nov. 1920 geschäftsführend im Amt bis zu Carl Severing (1875–1952), 1919/20 Mitglied der Weimarer Nationalversammlung, 1920–1933 Mitglied des Reichstags, 1919–1933 Mitglied des preußischen Landtags, 1919/20 Reichs- und Staatskommissar im Ruhrgebiet, 1920–1926 preußischer Innenminister, 1928–1930 Reichsinnenminister, 1930–1932 preußischer Innenminister.

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stimmt ja seine Minister selber. Wenn er in die Minderheit gerät, könnte er vielleicht dem Rate der Partei, aus der er stammt, freiwillig abzutreten, nicht folgen. Er sagt dann: Ich habe ja den wundervollen Art. 90b, damit regiere ich weiter. – Den Bundespräsidenten wird er dann auch finden, und bei dem Charakter des zukünftigen Staates, den Sie bauen, wird er auch den Bundesrat dazu bereit finden. Dazu noch einen Gesichtspunkt. Meines Wissens ist noch gar nicht entschieden, ob die Minister einschließlich des Bundeskanzlers überhaupt dem Bundestag angehören müssen. (Dr. Katz [SPD]: Das müssen sie nicht!) – Das müssen sie auch nach Ihrer Auffassung nicht. Also hätten wir den klassischen Zustand, daß nach dem Willen der Sozialdemokraten ein Beamtenkabinett weiter regieren kann auch für den Fall, daß das neue Parlament politisch eine ganz andere Zusammensetzung hat als das alte. Das ist nach Ihrer Verfassung durchaus möglich. Art. 90b gibt dem Bundeskanzler ein Recht, alles zu überstehen, was auch kommen mag. Dr. Becker (FDP): Der Satz 2 in der Fassung des Redaktionsausschusses, wonach das Amt eines Bundesministers auch mit jeder anderen Erledigung des Amtes des Bundeskanzlers erlischt, ist an sich logisch und richtig. Das ist die logische Folgerung unseres Beschlusses, daß die Bundesminister nicht eines Vertrauensvotums des Bundestags bedürfen. Nun bitte ich nur den Fall des Todes zu erwägen. Ich greife damit eine Zwischenbemerkung meines Nachbarn zur Linken auf. Für den Fall des Todes ist in Art. 95a Abs. 2 des Entwurfs des Redaktionsausschusses vorgesehen, daß der Stellvertreter bis zur Neuwahl an die Stelle des Bundeskanzlers tritt. Hier müßte man logischerweise dahin interpretieren, daß die Minister nicht schon durch den Tod des Bundeskanzlers aus dem Amt kommen, sondern dann bis zum Ausscheiden des Stellvertreters, bis zur Neuwahl eines neuen Bundeskanzlers im Amte bleiben müssen. Nach der Fassung des Redaktionsausschusses zu Art. 95 Abs. 1 soll das Amt des Bundeskanzlers in jedem Falle mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestags endigen. Ich glaube, wir müssen das annehmen, und zwar in Konsequenz des bereits in zweiter Lesung so beschlossenen Art. 87. Dieser Artikel regelt ja nicht nur für den ersten Fall des Zusammentritts des ersten Bundestags die Wahl des Bundeskanzlers, sondern soll doch sinngemäß dahin verstanden werden, daß er die Wahl des Bundeskanzlers für jeden Fall des Zusammentritts eines neugewählten Bundestags regelt. Wir sind also jetzt gezwungen, auf der Basis des Art. 87 fortzufahren, und müssen den Satz 1 im Abs. 1 des Art. 95 in der Fassung des Redaktionsausschusses annehmen; sonst ist kein innerer Zusammenhang zwischen den bisher angenommenen Artikeln gegeben. Ich verkenne nicht die politischen Notwendigkeiten, auf die Kollege Dr. Katz hingewiesen hat, daß nämlich das neue Parlament die gleiche oder eine kleinere Minderheit hat und eine aktionsfähige Mehrheit nicht vorhanden ist, so daß wir gleich wieder mit Art. 87 in gewisse Schwierigkeiten kommen. Aber die Schwierigkeiten lösen sich doch dadurch, daß gegebenenfalls nach Art. 87 auch eine relative Mehrheit den Bundeskanzler wählen kann. Alle diese Schwierigkeiten erledigen sich nach unserem Vorschlag, wenn eine stabile Regierung durch eine Bundesversammlung gewählt wird. Dann lösen sich all diese Fragen sehr leicht, und dann

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löst sich auch die andere Schwierigkeit, daß wir einen Bundeskanzler haben könnten, der noch über diese Zeit hinaus bleibt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, ich kann abstimmen lassen, und zwar lasse ich zunächst halbsatzweise abstimmen, zuerst über den Antrag des Redaktionsausschusses, der der Fassung des Organisationsausschusses einen Absatz vorschalten will. Abs. 1, Halbsatz 1: Das Amt des Bundeskanzlers oder eines Bundesministers endigt in jedem Falle mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestags; Halbsatz 1 ist mit 11 gegen 10 Stimmen angenommen. Halbsatz 2: das Amt eines Bundesministers – endigt – auch mit jeder anderen Erledigung des Amtes des Bundeskanzlers. Angenommen mit 11 gegen 9 Stimmen. Wir kommen zu Abs. 2: Der Bundeskanzler kann durch Erklärung gegenüber dem Bundespräsidenten, ein Bundesminister durch Erklärung gegenüber dem Bundeskanzler von seinem Amt zurücktreten. Angenommen. Abs. 3: Auf Ersuchen des Bundespräsidenten ist der Bundeskanzler, auf Ersuchen des Bundeskanzlers ist ein Bundesminister verpflichtet, die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen. – Einstimmig angenommen. Ich glaube, ich brauche über den ganzen Artikel nicht mehr abstimmen zu lassen.

[1.3. ART. 95a: STELLVERTRETER DES BUNDESKANZLERS]

Art. 95a (1) Der Bundeskanzler ernennt einen Bundesminister zu seinem Stellvertreter. (2) Im Falle des Todes des Bundeskanzlers übernimmt der Stellvertreter vorläufig die Geschäfte. Das gleiche gilt, wenn der Bundeskanzler zurücktritt und der Bundespräsident davon absieht, ihn um die Weiterführung der Geschäfte zu ersuchen. Ich lasse absatzweise abstimmen. – Abs. 1 ist in der verlesenen Fassung angenommen. – Abs. 2 ist gleichfalls angenommen. Ich stelle fest, daß ein Vizekanzler im eigentlichen Sinne des Wortes damit ausgeschlossen ist; es ist nur eine echte Stellvertretung durch einen Ressortminister möglich. Dr. Greve (SPD): Aber der Stellvertreter kann den Titel Vizekanzler bekommen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das nehme ich nicht an. Dr. Greve (SPD): Das ist dadurch nicht ausgeschlossen. Das Kabinett kann beschließen, dem Stellvertreter, der ein Bundesminister sein muß, den Titel Vizekanzler zu geben.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, seine Bezeichnung würde sein: Der Stellvertreter des Bundeskanzlers. Aber das würde wohl im Gesetz über die Bundesminister beschlossen werden. Renner (KPD): Wir hätten dann einen Vizekanzler, der das Vertrauen des Bundestags nicht nötig hat; denn er wird ja vom Bundeskanzler eingesetzt. Dr. Becker (FDP): Sind wir uns in der Auslegung dahin einig, daß der Stellvertreter des Bundeskanzlers das Vertrauen des Bundestags braucht, oder liegt das implizite darin, daß sein Chef in gewissem Maße das Vertrauen hat? Dr. Katz (SPD): Es liegt darin, daß der Chef das Vertrauen hat. Wir wollen hier die Debatte über einen der früheren Artikel nicht wieder aufnehmen, wo wir über die Vertrauensfrage in bezug auf die einzelnen Minister gesprochen haben. Das liegt automatisch darin, daß sich eben doch politisch die [S. 428] Zusammensetzung der ganzen Regierung aus parlamentarischen Verhandlungen ergibt. Dr. Becker (FDP): Ich habe die Frage nur gestellt, damit etwaige Kommentatoren aus dem Protokoll ersehen, was gemeint ist.

[1.4. ART. 96: LANDESVERTRETUNGEN]

Vors. Dr. Schmid (SPD):

Art. 96 Die Landesregierungen können bei der Bundesregierung Vertretungen errichten. – Angenommen gegen 3 Stimmen. Damit sind wir mit dem Abschnitt VII Die Bundesregierung zu Ende.

[2. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT VI: DER BUNDESPRÄSIDENT, ART. 81 ABS. 2: ZUSTIMMUNG BEI POLITISCHEN VERTRÄGEN]

Wir haben aus dem Abschnitt VI Der Bundespräsident noch den zurückgestellten Art. 81 Abs. 2 zu behandeln33). Herr Dr. von Mangoldt beantragt hierzu folgende Fassung: (2) Politische Verträge mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften (oder des Bundestags und der Länderkammer). Dr. von Mangoldt (CDU): Der ganze Artikel ist nur zu verstehen im Zusammenhang mit der Fassung, die der Art. 41 in unseren Beratungen erhalten hat. Wir haben den Art. 41 in folgender Fassung angenommen: Die Zuständigkeit, Verträge mit auswärtigen Staaten zu schließen, richtet sich nach der Zuständigkeit zur Gesetzgebung. Aus den Ausführungen im Hauptausschuß ergab sich, daß damit für Bund und Länder die Zuständigkeit auf diesem Gebiet festgelegt werden sollte. Vom Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff wurde ausdrücklich angeführt, daß, wenn meinem 33)

Vgl. dazu oben Dok. Nr. 33, TOP 2.3, S. 1005.

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Antrag stattgegeben würde, dann nirgends die Zuständigkeit des Bundes zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge geregelt sei, da in dem von mir vorgeschlagenen Abs. 1 nur von den Ländern die Rede sei. Wenn wir dieser Auslegung folgen, ist nach der nunmehr angenommenen Vorschrift des Art. 41 Abs. 1 keine Zuständigkeit des Bundes mehr gegeben für Verträge, die sich nicht innerhalb des Bereichs halten, in dem der Bund die Zuständigkeit zur Gesetzgebung hat. Es gibt aber eine ganze Reihe von Verträgen, und zwar sehr wichtigen Verträgen, zum Beispiel den Beitritt zu einem System kollektiver Sicherheit, Bündnisse usw., für die diese Frage bedeutsam wird. Weiter kann der Bund nach dieser Fassung keine Kulturabkommen schließen. Es zeigt sich also, daß hier ein Fehler in der Fassung des Art. 41, wie wir ihn angenommen haben, vorliegt. Um nun die Berichtigung dieser Fassung zweiter Lesung des Art. 41 vorzubereiten und um die Dinge in Ordnung zu bringen, muß das Notwendige über die Zuständigkeit des Bundes zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge in Art. 81 gesagt werden. Unter Ziffer 1 in Art. 35 – die Zuständigkeit zur Gesetzgebung in auswärtigen Angelegenheiten – fällt diese Frage nicht ohne weiteres, sondern sie muß bei der Feststellung der Befugnisse der zur völkerrechtlichen Vertretung des Bundes berufenen Organe geregelt werden. Wir sollten uns hier nicht ohne Not von den Fassungen entfernen, wie sie etwa in der Weimarer Reichsverfassung niedergelegt waren. Dort hieß es in Art. 45 Abs. 1 Satz 134): Der Reichspräsident vertritt das Reich völkerrechtlich. Und weiter in Satz 2: Er schließt im Namen des Reichs Bündnisse und andere Verträge mit auswärtigen Mächten. Nun tritt hier eine gewisse Schwierigkeit auf. Unsere besondere Lage läßt es prekär erscheinen, in dem Grundgesetz von Bündnissen zu reden. Auch die andere Frage wird hier hineinspielen, bei wem etwa die Zuständigkeit für einen Friedensschluß liegt. Gewisse Variationsmöglichkeiten für die zu wählende Fassung, für die es in anderen Verfassungen eine Reihe von Beispielen gibt, sind vorhanden. Die französische Verfassung und, soviel ich weiß, auch die italienische, spricht zum Beispiel von „politischen Verträgen“. In unserer Lage etwas über Bündnisse zu sagen, würde – wie schon hervorgehoben nicht den augenblicklichen Gegebenheiten entsprechen; es müßte also vielleicht noch ein anderer genereller Begriff gefunden werden, der in seiner Fassung nicht die Weite hat wie der von mir vorläufig gewählte Begriff der politischen Verträge, ein Begriff, der gleichzeitig Verträge umfaßt wie etwa die Teilnahme an einem System kollektiver Sicherheit, oder Verträge ähnlicher Art, Schiedsgerichtsverträge oder etwas Derartiges.

34)

Art. 45 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Der Reichspräsident vertritt das Reich völkerrechtlich. Er schließt im Namen des Reichs Bündnisse und andere Verträge mit auswärtigen Mächten. Er beglaubigt und empfängt die Gesandten. Kriegserklärung und Friedensschluß erfolgen durch Reichsgesetz. Bündnisse und Verträge mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung des Reichstags.“ RGBl. S. 1392.

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Nun könnte man sagen: Das alles ist gar nicht notwendig, wenn man einfach „Staatsverträge“ sagt. Dazu kann man ausführen, daß es unter der Fülle der Staatsverträge doch gewisse geben kann, bei denen gar kein Interesse vorliegt, die gesetzgebenden Körperschaften daran zu beteiligen. Etwas Ähnliches wird hier ja schon im Satz 2 bei den Verwaltungsabkommen angedeutet. Diese Frage der Verwaltungsabkommen ist zum Beispiel in den Vereinigten Staaten auch anders geregelt. Die sonstigen Vorschriften gelten dort nicht für die sogenannten Executive Agreements; es erscheint mir unzweckmäßig, nach dieser Richtung Entwicklungen, die sich anspinnen könnten – man kann nicht übersehen, wie die Dinge laufen –, durch eine zu weite Fassung, nämlich durch die Fassung „Staatsverträge“ zu verbauen. Ich würde deshalb vorschlagen, doch nach dieser Richtung zu der Formulierung zurückzukehren, wie wir sie in Abs. 3 des Art. 45 der Weimarer Verfassung hatten: Bündnisse und Verträge mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung des Reichstags. Wir können diese Formulierung nicht ganz übernehmen, sondern müssen aus den schon angeführten Gründen sagen: Politische Verträge und Verträge mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften. Eine andere Möglichkeit der Formulierung wäre: . . . bedürfen der Zustimmung des Bundestags und der Länderkammer. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wäre auch möglich, zu sagen: bedürfen eines Gesetzes. (Dr. von Mangoldt [CDU]: Das kann man auch sagen.) – Wenn es hieße: „bedürfen der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften“, so würde das bedeuten: eines Beschlusses des Bundestags und eines übereinstimmenden Beschlusses des Bundesrats. Unter Umständen könnte man sich auch damit begnügen, daß der Bundesrat in der Weise beteiligt wird, in der er sowieso bei der Gesetzgebung beteiligt ist. (Dr. von Mangoldt [CDU]: Die Worte „für ihre Gültigkeit“, die hier drinstanden, sind meiner Meinung nach überflüssig.) Dr. Katz (SPD): Der Ausdruck „politische Verträge“ gefällt mir nicht. Es wäre das erste Mal, daß das Wort „politisch“ in die Nomenklatur des Grundgesetzes hineinkommt. Ich möchte anregen, diese Frage doch noch einmal im Organisationsausschuß zu besprechen. Vielleicht können wir uns dort auf eine Fassung einigen, die den Tatbestand deckt, den Herr Kollege von Mangoldt hier beschrieben hat. Mir fällt im Augenblick kein Wort ein, mit dem man das ersetzen könnte, aber ich glaube, dazu ist der Fachausschuß der richtige Ort, um das noch einmal zu [S. 429] erörtern. Ich kann die ganzen Konsequenzen im Augenblick nicht übersehen. Da der Organisationsausschuß doch noch einmal zusammentreten wird, könnte dort auch die Fassung dieses Absatzes des Art. 81 noch einmal besprochen werden. Dr. Greve (SPD): In diesem Zusammenhang wird auch die Frage des Gesandtschaftsrechts erörtert werden müssen, die bisher unter den Tisch gefallen ist, also die Entscheidung darüber, daß das Gesandtschaftsrecht künftig nur dem Bunde zusteht. Ich nehme nicht an, daß da eine andere Absicht besteht.

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Dr. Seebohm (DP): Mir scheint es richtig zu sein, den Begriff „Staatsverträge“ jedenfalls zu ersetzen und diesen Begriff in der deutschen Terminologie auf den innerstaatlichen Bereich des Bundesstaates zu beschränken, für Verträge aber, die eine Wirkung nach außen haben, einen neuen Begriff zu schaffen. Ich hatte schon darauf hingewiesen, daß in einer Abhandlung des Grafen Mandelsloh alle diese Verträge unter dem Begriff der „politischen Verträge“ erstmalig eindeutig erfaßt sind35), so daß dieser Begriff mindestens in der Diskussion der Wissenschaft einigermaßen fest umrissen zu sein scheint. Ich kann allerdings nicht beurteilen, wieweit diese vorliegende Deduktion nun von den übrigen Institutionen übernommen und anerkannt wird. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf nur noch einmal darauf aufmerksam machen, daß dieser Begriff in ausländischen Verfassungen verwendet wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ist der Ausschuß einverstanden, daß die Materie an den Organisationsausschuß zurückverwiesen wird? – Allgemeines Einverständnis; es ist so beschlossen36). Der Hauptausschuß vertagt sich auf Mittwoch, den 12. Januar, 9.30 Uhr. Schluß der Sitzung 12.20 Uhr.

35) 36)

Vgl. oben Dok. Nr. 33, S. 1005. N och am gleichen Tag befaßte sich der Ausschuß für die Organisation des Bundes in seiner 29. Sitzung mit der Materie. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 41, S. 1000– 1008.

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Nr. 35 Fünfunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses 12. Januar 1949 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 431–443. PA 2004. Ungez. von Peschel gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 526 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: von Brentano, de Chapeaurouge, Fecht, Kaufmann, Kleindinst, Laforet, Lehr, von Mangoldt SPD: Greve, Katz, Löwenthal, Maier, Menzel, Mücke, Schmid (Vors.), Wolff FDP: Dehler, Höpker Aschoff DP: Heile KPD: – Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Eberhard (SPD), Hoch (SPD), Schwalber (CDU/CSU), Zinn (SPD) Stenographischer Dienst: Peschel Dauer: 9.45–12.02 Uhr

[1. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT X: DIE AUSFÜHRUNG DER BUNDESGESETZE UND DIE BUNDESVERWALTUNG] [1.1. ART. 112/1: AUSFÜHRUNG DER BUNDESGESETZE]

Auf der Tagesordnung steht die Beratung des Abschnitts X Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung. Der Ausschuß beschließt, insoweit der hierzu vorliegende Antrag Dr. Laforet, Dr. Hoch (Drucksache PR. 1.49 – 487)3) reicht, diesen der Beratung zugrunde zu legen, im übrigen die Vorlage des Allgemeinen Redaktionsausschusses (Drucksache PR. 12.48 – 374)4). Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe Art. 112/1 nach dem Antrag Dr. Laforet, Dr. Hoch auf. Der Artikel lautet: Die Länder führen die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zuläßt. Sie regeln die Ein1)

Protokollführer Keßler. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Die von Lehr und Hoch gez. Drucks. Nr. 487 vom 11. Jan. 1949 umfaßte Artikelentwürfe zu: Art. 112/1 Zuständigkeitsvermutung; Art. 112/2 (bisher Art. 114 des HptA) Eigene Verwaltung der Länder; Art. 113 Länderverwaltung nach Weisung; Art. 114a Weisungsrecht (wird ersetzt durch Art. 112/2, Abs. 4); Art. 115 (bisher Art. 112/3 des HptA) Bundeseigene Verwaltung; Art. 118c (bisher Art. 115a) Polizeihilfe. 4) Für den Wortlaut der Drucks. Nr. 374 ediert im Zusammenhang mit dem Entwurf zum Grundgesetz in der vom Allgemeinen Redaktionsausschuß redigierten Fassung mit Stand vom 13.–18. Dez. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 4, S. 133–201, hier S. 176–181. 2)

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richtung der Behörden, das Verwaltungsverfahren und das verwaltungsgerichtliche Verfahren, soweit nicht Bundesgesetze etwas anderes bestimmen. Dr. Laforet (CSU): Der Satz muß so verstanden werden, daß der Nachdruck auf „soweit nicht Bundesgesetze etwas anderes bestimmen“ liegt. Wenn es bei der Beschlußfassung bleibt, daß der Bund das verwaltungsgerichtliche Verfahren regeln kann, und der Bund es geregelt hat, ist für eine Länderzuständigkeit nur noch im Rahmen dieses Verwaltungsgerichtsgesetzes Raum. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 112/1 in dieser Fassung abstimmen. – Der Art. 112/1 ist einstimmig angenommen.

[1.2. ART. 112/2 (BISHER ART. 114): AUSFÜHRUNG DER BUNDESGESETZE]

Wir kommen zu Art. 112/2. Das ist der bisherige Art. 114 nach den Beschlüssen des Hauptausschusses. Er ist in dem Antrag Dr. Laforet, Dr. Hoch mit „Eigene Verwaltung der Länder“ überschrieben und lautet: (1) Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, so kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen. (2) Die Bundesregierung übt die Aufsicht über die gesetzmäßige Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder aus. Die Bundesregierung kann zu diesem Zwecke Beauftragte zu den obersten Landesbehörden und mit deren Zustimmung auch zu den nachgeordneten Behörden entsenden. (3) Werden Mängel, die die Bundesregierung bei der Ausführung der Bundesgesetze in den Ländern festgestellt hat, nicht beseitigt, so beschließt auf Antrag der Bundesregierung oder des Landes der Bundesrat, ob das Land das Gesetz verletzt hat. Gegen den Beschluß des Bundesrats ist die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zulässig. (4) In besonderen Fällen können der Bundesregierung durch Bundesgesetz weitergehende Befugnisse verliehen werden. Das Bundesgesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats. Dr. Laforet (CSU): Ich möchte mich zunächst zu Abs. 1, 2 und 3 äußern. In Abs. 1 wird ausdrücklich erklärt, daß die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen kann. Das ist bis jetzt nicht zum Ausdruck gekommen. Das ist nur eine Darlegung der wirklichen Rechtslage. Die Absätze 2 und 3 entsprechen der bisher übernommenen Regelung. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich vermisse hier die Rechtsverordnung. (Dr. Laforet [CSU]: Die ist vorn geregelt.) Es ist ein Unterschied zu machen. Es gibt Rechtsverordnungen, die keine Ausführungsverordnungen sind, und es gibt Ausführungsverordnungen, die keine Rechtsverordnungen sind; denn die Ausführungsverordnungen können sowohl Rechtsverordnungen wie Verwaltungsvorschriften sein. Die Bestimmung, die wir vorn haben, handelt nur davon, daß Rechtsverordnungen nur auf Grund einer besonderen Ermächtigung erlassen werden können. Der allgemeine Grundsatz ist vorn bei der Gesetzgebung ausgesprochen. Ich würde es deshalb für notwendig halten, im Abschnitt „Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung“ die

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Frage aller Ausführungsvorschriften – sowohl der Rechtsverordnungen als der Verwaltungsvorschriften – zu regeln. Ich habe seinerzeit im Redaktionsausschuß schon einmal eine Ausarbeitung über diesen Abschnitt überreicht. Sie hat leider vor den Augen des Redaktionsausschusses nicht allzuviel Gnade gefunden. Aber in diesem Abschnitt habe ich die Frage der Ausführungsvorschriften nachher in einem besonderen Artikel zusammengefaßt und gesagt: Ausführungsvorschriften, Rechtsverordnungen und allgemeine Verwaltungsvorschriften zu Bundesgesetzen, die durch die Länder auszuführen sind, bedürfen der Zustimmung des Bundesrats. Das gleiche gilt für Ausführungsvorschriften zu Bundesgesetzen, die durch Bundesbehörden oder bundesunmittelbare Selbstverwaltungskörperschaften auszuführen sind, wenn die Bundesgesetze der Zustimmung des Bundesrats bedürfen. Das ist also keine materielle Änderung dessen, was die übrigen Herren auch wollen. Es werden hier nur als Ausführungsvorschriften sowohl Rechtsverordnungen wie Verwaltungsvorschriften zusammengefaßt, und es wird zum Ausdruck gebracht, daß alle Ausführungsvorschriften, soweit es sich um Ausführung der Bundesgesetze durch Länderverwaltung als eigene Angelegenheit oder durch Länderverwaltung nach Weisung des Bundes handelt, der Zustimmung des Bundesrats bedürfen. Es kommt bei dem Abs. 2 weiter zum Ausdruck, daß darüber hinaus auch Ausführungsvorschriften zu Bundesgesetzen, die durch bundeseigene Behörden oder bundesunmittelbare Behörden ausgeführt werden, der Zustimmung des Bundesrats bedürfen, aber nur in bestimmten Fällen, wenn nämlich die [S. 432] Bundesgesetze der Zustimmung des Bundesrats bedürfen. Dabei ist vor allen Dingen an die Steuer- und Finanzausgleichsgesetze gedacht. Wir sind immer davon ausgegangen, daß die Steuermittel sowohl für den Bund wie für die Länder bestimmt sind, daß hier eine Mitwirkung des Bundesrats bei der Gesetzgebung in voller Gleichberechtigung stattfinden soll. In Konsequenz dieses Gedankens muß meiner Meinung nach nun ausgesprochen werden, daß auch Rechtsverordnungen in diesem Fall der Zustimmung des Bundesrats bedürfen. Ich möchte also doch einmal zur Erwägung stellen, ob es nicht richtiger wäre, so zu prozedieren. Dann brauchten in dem vorangehenden Artikel die Verwaltungsvorschriften nicht besonders erwähnt zu werden, sondern wir hätten die ganze Frage der Ausführungsvorschriften in einem Artikel für alle Formen der Verwaltung erledigt. Sie können daraus noch eine mehr redaktionelle Folgerung ziehen. Sie haben jetzt in dem Antrag Dr. Laforet, Dr. Hoch die Art. 112/1 und 112/2 mit Überschriften versehen5). Das soll natürlich nachher wegfallen. Ich möchte sagen, beide Artikel beziehen sich auf die Eigenverwaltung der Länder. Ich möchte also hier nicht zwei Artikel nennen, sondern einen. Wenn Sie meinem Vorschlag folgen würden, würde im Art. 112/2 der erste Absatz wegfallen, weil ich ja die ganzen Ausführungsvorschriften in einem besonderen Artikel für alle Verwaltungen regeln will. Dann hätten Sie die Möglichkeit, Art. 112/1 und 112/2 zusammenzufassen. Es würde dann Art. 112/1 der erste Absatz sein, und Art. 112/2 Abs. 2, 3 und 4 wür5)

Das stenograph. Wortprot., S. 4, folgt danach der Zwischenruf von Laforet: „(Dr. Laforet [CSU]: Nein!)“

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den sich anschließen. Die Frage ist, ob eine solche Regelung nicht klarer und eindeutiger wäre. Dr. Hoch (SPD): Der Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff entspricht dem, was wir seinerzeit im Zuständigkeitsausschuß vorgesehen hatten. Nachher ist aber vom Redaktionsausschuß gerade diese Aufteilung gewünscht worden. Wir haben uns der Systematik, die der Redaktionsausschuß für das gesamte Grundgesetz vorgesehen hat, selbstverständlich angeschlossen. Man kann es so machen, man kann es anders machen. Die Herren des Redaktionsausschusses haben geglaubt, den ganzen Aufbau nach anderen Prinzipien vornehmen zu sollen. Da haben wir uns als Bearbeiter einer Spezialmaterie diesem Vorschlag gefügt. Ich glaube, es ist nicht zweckmäßig, die Frage an dieser Stelle zu erörtern, sondern man sollte vielleicht dem Redaktionsausschuß empfehlen, zu prüfen, ob er seine Systematik ändern will. Das ist eine grundsätzliche systematische Frage, keine grundsätzliche sachliche Angelegenheit. Ich würde deshalb vorschlagen, es zunächst bei der Systematik, die wir dem Vorschlag des Redaktionsausschusses entsprechend in unserem Vorschlag vorgesehen haben, zu belassen. Dr. Kleindinst (CSU): Ich schließe mich den Anregungen an. Dr. Laforet (CSU): Völlig einverstanden. Aber es fragt sich, ob nicht der allgemeine Gedanke des Herrn Dr. Höpker Aschoff, wie er in seinem Art. 114 ausgesprochen ist, unmittelbar hinter der Zuständigkeitsvermutung vor der Aufzählung eingefügt werden sollte. (Dr. Hoch [SPD]: Er müßte dann dahin kommen!) Wir müssen, um überhaupt Klarheit zu bekommen, scheiden zwischen der Zuständigkeitsvermutung des Art. 112/1, der eigenen Verwaltung der Länder, der Länderverwaltung nach Weisung und der bundeseigenen Verwaltung. Von dieser Systematik geht die ganze Gestaltung aus. Aber es kann durchaus zweckmäßig sein, im Sinne der Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff dem Art. 112/1 einen Art. 112/x folgen zu lassen, der die Ausführungsvorschriften – einerlei, ob sie Rechtsverordnungen und allgemeine Verwaltungsvorschriften sind – zusammenfaßt. Der Redaktionsausschuß muß dann nur sehen, ob er nicht Schwierigkeiten mit dem Art. 108a bekommt. Ich hätte nichts dagegen, wenn zunächst vorbehaltlich näherer Prüfung auch durch den Redaktionsausschuß eine Bestimmung im Sinne des Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff nach Art. 112/1 eingeschoben wird. Nicht möglich ist es dagegen, die Art. 112/1 und 112/2 zusammenzufassen. Dr. Dehler (FDP): Die Anregung möchten wir gern aufnehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können so nicht gut prozedieren, wir müssen uns in dieser Lesung für eine der Eventualitäten entscheiden. Ich schlage vor, wir entscheiden uns auf der Grundlage des Antrags Dr. Laforet, Dr. Hoch. Der Antrag Dr. Höpker Aschoff scheint mir bei Art. 108a untergebracht werden zu können, der ganz allgemein von den Rechtsverordnungen handelt. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Das ist eine Frage der Systematik. Ich bin der Meinung, daß man das ganze Grundgesetz klarer gestaltet, wenn man von der Materie ausgeht, wenn man also das, was zur Durchführung der Gesetze der Verwaltung zu sagen ist, auch im Abschnitt Verwaltung zusammenfaßt und infolgedessen auch im Abschnitt Verwaltung die Vorschriften über die Ausführungsverordnungen bringt; denn Ausführungsverordnungen dienen der Durchführung der Gesetze und sind

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Regeln für die Verwaltung. Das würde nach meinem Dafürhalten viel übersichtlicher sein. Ob man die Art. 112/1 und 112/2 zusammenfaßt, ist eine redaktionelle Frage. Ich gebe zu, daß die Ausführungen von Herrn Dr. Laforet manches für sich haben. Aber wenn man sich meinem Gedankengang anschließt und die Frage der Ausführungsvorschriften in einem Artikel zusammenfaßt, kann man sie nicht an Art. 112/1 angliedern. Denn der Leser weiß, wenn er Art. 112/1 liest, noch gar nichts von den verschiedenen Formen der Verwaltung, sondern die verschiedenen Formen der Verwaltung werden dann erst aufgezählt. Darum müßte dahinter kommen: Die Ausführungsvorschriften, die Rechtsverordnungen und Verwaltungsverordnungen zu all den Formen der Verwaltung werden so und so erlassen. Dr. Laforet (CSU): Es müßte wohl noch bei der endgültigen Redaktion geprüft werden, ob man nicht die Ausklammerung in den vorderen Bestimmungen vornimmt und alles zusammentut. Das gilt aber für alle Abschnitte des Grundgesetzes. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich bin der Auffassung des Herrn Vorsitzenden, daß wir uns einem der vorliegenden Vorschläge anschließen sollten; denn wir haben immer wieder gesehen, wenn wir einen neuen Vorschlag aufnehmen, der nicht nach allen Richtungen durchdacht ist, gibt es nachher bei irgendwelchen anderen Vorschriften Schwierigkeiten. Wenn man hier eine Änderung vornehmen will, ist es richtig, das in der dritten Lesung zu tun. Im übrigen möchte ich zu den Ausführungen von Herrn Dr. Höpker Aschoff bemerken, daß es sich um Rechtsverordnungen handelt. Diese Rechtsverordnungen sind aber Rechtsnormen und gehören systematisch in den Teil über die Gesetzgebung, das heißt in den Art. 108a hinein. Wenn man deshalb die Frage – wie das geschehen ist – in Art. 108a behandelt, würde es den Zusammenhang völlig zerreißen, wenn man über die Frage, ob der Bundesrat zuzustimmen hat, erst in dem Kapitel über die Verwaltung etwas sagen würde. Tatsächlich steht alles, was hier gewünscht worden ist, in Art. 108a drin. Die Frage müßte also sehr eingehend überlegt werden, und das können wir zur Zeit im Hauptausschuß nicht machen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Abs. 1 in der Fassung des Antrags Dr. Laforet, Dr. Hoch abstimmen. – Abs. 1 ist einstimmig angenommen. Nun folgt Abs. 2. Dr. Menzel (SPD): Ich möchte zwei Änderungen vorschlagen. Zunächst ist es wohl etwas mißverständlich, wenn es heißt, daß die Bundesregierung die Aufsicht über die „gesetzmäßige“ Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder ausübt. Es müßte sogar [S. 433] eine Aufsicht über die ungesetzmäßige Ausführung sein. Wenn sie gesetzmäßig ist, dann bedarf es keiner Aufsicht. Ich glaube, es ist das beste, diesen Zusatz zu streichen. Die zweite Änderung, die ich vorschlage, geht dahin, in der letzten Zeile dieses Abs. 2 hinter dem Wort „Zustimmung“ einzufügen: „oder mit Zustimmung des Bundesrats“, und zwar aus folgenden Gründen. Abs. 3 sieht die Möglichkeit vor, daß die Bundesregierung Mängelrüge erhebt und die Mängelrüge dann zum Gegenstand eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens wird. In diesem Streit muß der Bund die Tatsachen vorbringen und beweisen, die ihn zu der Mängelrüge veranlaßt haben, das heißt also, wir müssen dem Bund auch die Möglichkeit geben, nachzuprüfen, ob die Tatsachen so liegen, wie sie ihm durch irgendeinen Bericht übermittelt worden sind. Wir müssen daher dem Bund auch dann die Möglichkeit

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geben, Inspektoren oder Beamte zu den nachgeordneten Behörden zu entsenden, wenn das betroffene Land, bei dem die Vermutung einer Bundesuntreue oder die Vermutung besteht, daß es ein Gesetz nicht richtig ausführt, damit nicht einverstanden ist. Wenn wir das nicht tun, geben wir gerade dem Beklagten durch Verweigerung der Einsicht in die tatsächliche Lage die Möglichkeit, den Bund beweisfällig werden zu lassen. Daher schlage ich vor, zu sagen, daß eine mangelnde Zustimmung des betroffenen Landes durch die Zustimmung des Bundesrats ersetzt werden kann, daß also, wenn ein Land diese Einsichtnahme verweigert, der Bundesrat – und damit sind die Länder gut gesichert – diese Erlaubnis ersetzen kann. Dr. Laforet (CSU): Hier ist etwas klarzustellen. Die eigene Verwaltung der Länder ist in Gegensatz zur Länderverwaltung nach Weisung gestellt. Bei der eigenen Verwaltung der Länder gibt es eine Aufsicht nur hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Ausführung. Bei der Länderverwaltung nach Weisung gibt es, wie Sie sich bitte überzeugen wollen, in Art. 113 Abs. 3 auch eine Aufsicht über die Zweckmäßigkeit der Ausführung. Das ist insbesondere wichtig, wenn die Länderfinanzverwaltung eingeführt wird. Deshalb muß in Art. 112/2 Abs. 2 klargestellt werden, daß die Aufsicht nur insoweit besteht, als zu prüfen ist, ob die Bundesgesetze gesetzmäßig ausgeführt werden. Es hieß im früheren Vorschlag über die Art der Ausführung – das ist aber nicht erschöpfend genug –: nachzuprüfen ist, ob die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder dem Gesetz widerspricht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Und den allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Abs. 1! Es bedeutet dies, allgemeiner ausgedrückt, ob die Verwaltung der Länder sämtlichen Rechtsnormen gerecht wird, die der Bund zu dieser Materie auf Grund des Grundgesetzes erlassen konnte und erlassen hat, und zu diesen Rechtsnormen gehören auch die allgemeinen Verwaltungsvorschriften. (Dr. Laforet [CSU]: Soweit sie Rechtsnormen sind!) – Ich würde darüber hinausgehen. Soweit allgemeine Verwaltungsvorschriften mit Zustimmung des Bundesrats auf Grund des Abs. 1 erlassen worden sind, binden sie das Ermessen der Länder genau so wie andere Vorschriften, wie Gesetze oder Rechtsverordnungen. (Dr. Laforet [CSU]: Die Frage ist dahingestellt!) – Ich glaube, man kann sie nicht dahinstellen, man muß sie schon beantworten. Ich glaube, daß man nicht gut anders als mit ja antworten kann; sie binden die Länder. Dr. Hoch (SPD): Die Bemerkungen des Herrn Vorsitzenden sind durchaus zutreffend. Alles das, was der Bund im Rahmen auch der allgemeinen Verwaltungsvorschriften anordnen kann, muß das Land beachten. Das Recht der Nachprüfung, ob es beachtet ist, steht dem Bund auch zu. Darüber kann nach meiner Meinung gar kein Zweifel bestehen. Es könnte höchstens einmal ein Zweifel auftauchen, ob der Bund eine bestimmte Meinung in der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausdruck bringen durfte oder nicht. Wenn er das aber durfte, muß das Land danach handeln. Dr. Laforet (CSU): In dieser Begrenzung bin ich damit einverstanden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, man kann schlechthin nicht anders. Sonst hat es keinen Sinn, dem Bund das Recht zu geben, allgemeine Verwaltungsvorschriften zu erlassen.

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Dr. Laforet (CSU): – An die die Länder gebunden sind und bei denen nur ein Streit entstehen kann, ob das in die allgemeinen Verwaltungsvorschriften aufgenommen werden konnte. Die Bindung des Landes an die Norm, auch an die Verwaltungsvorschrift, ist zuzugeben. Das Entscheidende ist, daß bei der eigenen Verwaltung der Länder nur die Rechtmäßigkeit nachgeprüft wird, nicht die Zweckmäßigkeit des Verhaltens der Länder. Anders ist es bei der Länderverwaltung nach Weisung. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich möchte nur zu dem zweiten Antrag von Herrn Dr. Menzel kurz Stellung nehmen. Wie ich aus dem Kommentar von Anschütz6) ersehe, hat man sich mit der gleichen Frage, nämlich der Frage der Zustimmung der Länder zur Entsendung von Beauftragten zu den unteren Verwaltungsbehörden, schon unter der Weimarer Verfassung beschäftigt7). Es liegt eine interessante Äußerung des Reichsministers Preuß8) zu dieser Frage vor, nämlich zu Art. 15 der Weimarer Verfassung9). Ich kann sie vielleicht vorlesen, da sie die Frage trifft10): Dagegen ist es keine Durchbrechung, sondern vielmehr eine Bestätigung und Bekräftigung des Grundsatzes der strengen Verbandsaufsicht, wenn Abs. 2 Satz 2 die Entsendung von Reichsbeauftragten zu den unteren Behörden von der Zustimmung der Landeszentralbehörde abhängig macht. Es sollte hiermit ganz im Sinne der herkömmlichen Anschauungen über das Verhältnis von Reich und Land – nun kommt die Äußerung von Reichsminister Preuß „den Wünschen der Einzelstaaten entgegengekommen und verhindert werden, daß sich die Reichsregierung über den Kopf der Landeszentralbehörden hinweg mit mittleren und unteren Behörden in Verbindung setzt, weil dadurch nach Auffassung der einzelstaatlichen Regierung der ganze Behörden6) 7) 8)

9)

10)

Über den deutschen Staatsrechtler Gerhard Anschütz vgl. oben Dok. Nr. 3, S. 94, Anm. 38. Vgl. Anschütz: Verfassung, S. 111–124. Hugo Preuß (1860–1925), Jurist, gilt als „Vater“ der Weimarer Reichsverfassung, 1883 1. Staatsexamen in Berlin und Promotion in Göttingen, 1889 Habilitation in Berlin, Privatdozent für öffentliches Recht, 1906 Professor an der Handelshochschule Berlin, dort 1918 Rektor, 1895 Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung, 1910–1918 Stadtrat des Berliner Magistrats, 1918 Mitbegründer der DDP, 1919–1925 Mitglied der Preußischen Landesversammlung und des Preußischen Landtags, 1918 Staatssekretär des Reichsamts des Inneren, dort mit dem Entwurf einer Reichsverfassung beauftragt, 1919 Reichsminister des Innern. Art. 15 der Verfassung des Deutschen Reiches von 11. Aug. 1919: „Die Reichsregierung übt die Aufsicht in den Angelegenheiten aus, in denen dem Reiche das Recht der Gesetzgebung zusteht. Soweit die Reichsgesetze von den Landesbehörden auszuführen sind, kann die Reichsregierung allgemeine Anweisungen erlassen. Sie ist ermächtigt, zur Überwachung der Ausführung der Reichsgesetze zu den Landeszentralbehörden und mit ihrer Zustimmung zu den unteren Behörden Beauftragte zu entsenden. Die Landesregierungen sind verpflichtet, auf Ersuchen der Reichsregierung Mängel, die bei der Ausführung der Reichsgesetze hervorgetreten sind, zu beseitigen. Bei Meinungsverschiedenheiten kann sowohl die Reichsregierung als die Landesregierung die Entscheidung des Staatsgerichtshofs anrufen, falls nicht durch Reichsgesetz ein anderes Gericht bestimmt ist.“ RGBl. S. 1386. Abg. von Mangoldt zitiert die Äußerung von Preuß aus der Verfassunggebenden Nationalversammlung von 1919 nach Anschütz: Verfassung, S. 118 f.

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organismus gelockert und die Autorität der Landeszentralbehörden gegenüber ihren eigenen mittleren und unteren Behörden erschüttert werden könnte.“ So ist es in dem Protokoll zu der Weimarer Verfassung11) ausgeführt. Das ist ein Gedanke, der auch hier zu erwägen ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist nur so, der Fall, den Herr Dr. Menzel vorhin beispielhaft angezogen hat, kann vorkommen. Die Zeit kann die mannigfachsten Entwicklungen bringen. Es kann vorkommen, daß ein Land sich weigert, dem Bund die Möglichkeit zu geben, bei nachgeordneten Behörden bestimmte Erhebungen zu machen, die nötig sind, um dem Land vorhalten zu können: Du hast dich nicht gesetzmäßig verhalten. Wenn nun die Landesregierung diese Genehmigung verweigert, wird der Bund beweisfällig. Er kann dann nicht beweisen, was er beweisen muß. Hier sollte an die Stelle der Genehmigung der obersten Landesbehörde eine Art von Ersatzgenehmigung treten können, die auf der Ebene „Land“ gegeben wird, am ehesten also durch die Körperschaft, in der die Länder durch ihre Regierungen vertreten sind, durch den Bundesrat. Ich glaube, daß das nützlich ist und daß man so nicht in die Autonomie der Länder eingreift. Dr. Hoch (SPD): Ich möchte auch bitten, das Wort „gesetzmäßige“ zu streichen. Das ist auch deshalb unbedenklich, weil im Abs. 3 der Inhalt der Mängelrüge klar zum Ausdruck gebracht wird. Es wird dann [S. 434] nämlich entschieden, ob das Land das Gesetz verletzt hat. Wir können, da offenbar die Anführung des Ausdrucks „gesetzmäßige“ oben zu Bedenken Anlaß gibt, den Ausdruck weglassen; denn das wird durch den Abs. 3 gedeckt. Meine zweite Anregung, um den soeben vom Herrn Kollegen von Mangoldt vorgetragenen Bedenken Rechnung zu tragen, geht dahin, den Zusatz, den Herr Kollege Menzel empfohlen hat, so zu formulieren, daß man hinter den Worten „und mit deren Zustimmung“ einfügt: „und im Falle der Versagung mit Zustimmung des Bundesrats“. Dann wird klar festgestellt: nur wenn diese Zustimmung versagt wird, kann sie durch eine Zustimmung des Bundesrats ersetzt werden. Dr. von Brentano (CDU): Bei solchen Diskussionen habe ich oft den Eindruck, daß man in dem Art. 1 der Verfassung eigentlich eine praesumptio juris et de jure12) aufnehmen sollte, daß alle Instanzen, die in der Verfassung genannt sind, gegen das Gesetz verstoßen werden. Wir müßten wohl versuchen, von diesem unerträglichen Mißtrauen, das wir in die Verfassung einbauen, wegzukommen. Wir gehen davon aus, daß jedes Land notwendigerweise die Gesetze des Bundes nicht oder falsch ausführen wird, daß es sich einer Kontrolle entziehen wird, daß es den Beauftragten der Bundesregierung bei der obersten Landesbehörde die erforderlichen Auskünfte verweigern wird. Ebenso gehen die Länder davon aus, daß der Bund alle Befugnisse, die man ihm einräumt, schlechterdings mißbrauchen wird. Wir belasten meines Erachtens auch die Verfassung, indem wir nur Bremsen und Schleusen einbauen, um einen solchen Mißbrauch auf beiden Seiten zu verhin11)

Vgl. Berichte und Protokolle des Achten Ausschusses über den Entwurf einer Verfassung des Deutschen Reiches (= Berichte der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung 1919, Nr. 21), Berlin 1920. Zu dieser Ausgabe vgl. Anschütz: Verfassung, S. 26, Anm. 44. 12) Lateinisch für „unwiderlegbar“

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dern, mit einer Unmasse von Vorschriften, die sich in der Praxis wahrscheinlich sehr verhängnisvoll auswirken werden. Wenn ich hier lese: „Die Bundesregierung kann zu diesem Zwecke Beauftragte zu den obersten Landesbehörden und mit deren Zustimmung auch zu den nachgeordneten Behörden entsenden“ und wenn man jetzt darüber diskutiert, was geschehen soll, wenn die Zustimmung verweigert wird, kann ich nur sagen: dafür ist ja ein Beauftragter bei den obersten Landesbehörden, der kann doch dort als Beauftragter des Bundes die Aktenvorlage verlangen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das kann er nur bei Verwaltung nach Weisung. Dr. von Brentano (CDU): Wenn der Beauftragte bei der obersten Landesbehörde ist, um die Gesetzmäßigkeit oder Ungesetzmäßigkeit – wenn wir das anders formulieren – der Ausführung eines Gesetzes nachzuprüfen, ist seine Aufgabe ja nur zu erfüllen, wenn er wirklich – das könnte man ohne weiteres hineinnehmen – das Recht hat, jede Auskunft zu verlangen. Aber die Absicht, die hier besteht und für die ich volles Verständnis habe, die in dem Zitat des Kollegen von Mangoldt zum Ausdruck kommt, ist doch die folgende.13) Es bedeutet jedesmal eine Einbuße an gesunder Autorität, wenn von der Zentralstelle vielleicht bis herunter zur kleinsten Dienststelle im Lande irgendein Sonderbeauftragter erscheint. Wenn wir so weit gehen und sagen: das Land wird dem Beauftragten des Bundes die Auskunft verweigern und wird die Zustimmung nicht erteilen, daß die Beauftragten auch zu den unteren Landesbehörden gehen, dann sind wir wahrscheinlich wieder so weit, daß der Beauftragte auch bei den unteren Behörden nichts erreichen kann. Denn dann wird die Zentralbehörde auch den unteren Behörden erklären: Ihr dürft dem Beauftragten keine Auskunft geben. Dann sind wir so weit, daß der Bund auseinanderfällt; das können wir auch durch Verfassungsbestimmungen nicht verhindern. (Dr. Menzel [SPD]: Dann müssen Sie die Mängelrüge streichen!) – Nein, es muß eine Instanz sein, die es nachprüft. Die Möglichkeit der Nachprüfung ist absolut gegeben, wenn der Beauftragte bei der obersten Landesbehörde, falls man es für nötig hält, noch ausdrücklich in der Verfassung das Recht bekommt, jede Auskunft einzuholen, wenn die oberste Landesbehörde ihm zur Verfügung stehen und die Auskünfte geben muß, die ihm erteilt werden müssen. Ich sehe nicht ein – obwohl ich es für eine cause célèbre halte –, daß man alles versucht, aus diesem Mißtrauen auch die Möglichkeit zu schaffen, die Landesverwaltungen – hier handelt es sich um die eigene Verwaltung der Länder – bis in die letzte Instanz nach unten durch solche Bundesbeauftragte nachzuprüfen. Ich glaube nicht, daß wir dadurch den organischen Aufbau eines wirklich gesunden dezentralisierten Bundesstaats fördern. Vors. Dr. Schmid (SPD): Vielleicht darf ich auf folgendes aufmerksam machen. Es ist im letzten Jahr vorgekommen, daß Beauftragte einer Frankfurter Verwaltung14), als sie in ein Land kamen, das dieser Verwaltung untersteht, ausgewiesen worden

13)

Im stenograph. Wortprot., S. 15, folgt danach: „Man soll doch wirklich mit dem Kommentarunwesen aufräumen.“ 14) Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes in Frankfurt.

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sind. Es ist also nicht so ganz selbstverständlich, daß immer so verfahren werden wird, wie Sie und wir alle hoffen. Dr. von Brentano (CDU): Wir hatten bisher keine Verfassung. Wir hoffen, daß die Bundesregierung etwas mehr gesunde Autorität haben wird als die Frankfurter Institutionen. Soviel Optimismus möchte ich doch für die Zukunft haben. Dr. Laforet (CSU): Der Herr Kollege Dr. Hoch hat darauf aufmerksam gemacht, daß der entscheidende Punkt in Art. 112/215) Abs. 3 darin liegt, ob das Land das Gesetz verletzt hat, und nicht darin, ob es in der Art seiner Verwaltung zweckmäßig gehandelt hat oder nicht. Wenn das klargestellt ist, dann fragt sich nur, ob in Abs. 2 die Aufsicht über die gesetzmäßige Ausführung der Bundesgesetze noch eigens aufzuführen ist. Ich würde jedoch vorziehen, es ausdrücklich zu sagen; sonst muß es erst aus dem Abs. 3 herausgeholt werden. Der Schwerpunkt liegt, wie dargelegt, in dem Gegensatz der Worte: Ausführung der Bundesgesetze nach ihrer Rechtmäßigkeit, während bei der Länderverwaltung nach Weisung die Aufsicht auch die Zweckmäßigkeit der Ausführung erfaßt. Ich möchte deshalb raten, es bei dem Ausdruck „Aufsicht über die gesetzmäßige Ausführung der Bundesgesetze“ zu belassen. Dr. von Mangoldt (CDU): Mir scheint schon in den bisherigen Vorschriften eine Möglichkeit gegeben zu sein, mit den Schwierigkeiten fertig zu werden, die den Antrag des Herrn Dr. Menzel veranlaßt haben. Mir scheint die Möglichkeit gegeben zu sein, daß, wenn über die Frage, ob zu den unteren Landesbehörden Beauftragte entsandt werden können, eine Streitigkeit zwischen Bund und Ländern entsteht, dieser Streit vor dem Bundesverfassungsgericht ausgetragen wird. Jedenfalls wird diese Zustimmung nicht völlig willkürlich versagt werden können. Wenn aber die Möglichkeit besteht, die Streitigkeit vor dem Bundesverfassungsgericht auszutragen, dann bestehen auch keine Beweislasten oder Beweispflichten; denn wie in allen öffentlich-rechtlichen Prozessen, wie im Verwaltungsgerichtsverfahren und im Strafprozeß ist hier keine einseitige Beweislast des Bundes gegeben, sondern das Gericht hat die Pflicht der Aufklärung. Das Gericht wird Beweiserhebungen nach der Richtung vornehmen können, so daß es nicht notwendig erscheint, eine solche Ergänzung aufzunehmen. Wenn man sie aufnehmen will, würde ich vorschlagen, sie nach dem Antrag des Kollegen Hoch aufzunehmen. Heile (DP): Ich möchte die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Laforet nachdrücklich unterstreichen. Wenn wir von diesen Gedankengängen abgehen, kommen wir dahin, daß der Bund eine unmittelbare Dienstaufsicht ausübt. Dazu ist er nicht da, sondern der Bund hat es lediglich mit den Ländern und nicht mit der Verwaltung der Länder zu tun. Er soll nicht in die Einzelheiten eingreifen, er soll nur die Gesetzmäßigkeit kontrollieren, soll nur eine Aufsicht über die Gesetzmäßigkeit ausüben. Darum bitte ich, daß wir bei dem bleiben, was Herr Dr. Laforet vorgeschlagen hat. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, daß zu dem ersten Punkt, der die Streichung des Wortes „gesetzmäßige“ [S. 435] betrifft, die beiden Standpunkte genügend zur Geltung gekommen sind.

15)

Statt „Art. 112/2“ im stenograph. Wortprot., S. 17: „Art. 112“.

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Dr. Laforet (CSU): Es ist klarer, wenn wir es lassen. (Dr. Menzel [SPD]: Ich halte es juristisch für unmöglich.) – Gesetzmäßigkeit der Ausführung ist das gleiche; das war gemeint. Wenn Sie Bedenken tragen, bitte ich, zu sagen: „übt die Aufsicht über die Gesetzmäßigkeit in der Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder aus.“ Dr. Menzel (SPD): Das würde noch nicht die Kontrolle über die – ich sage jetzt absichtlich – korrekte Ausführung der Verwaltungsvorschriften erfassen. Dr. Laforet (CSU): Liegt da auch eine rechtliche Bindung vor? Die rechtliche Bindung wird nicht zu bestreiten sein. Dr. Menzel (SPD): Ich glaube, der Hinweis von Herrn Kollegen Hoch sollte Ihre Bedenken zerstreuen. In Abs. 3 sind die rechtlichen Voraussetzungen der Mängelrüge klar abgegrenzt. Daran ist auch der Umfang der Aufsicht im Abs. 2 gebunden. Ich glaube nicht, daß Sie irgendwelche Bedenken zu haben brauchen, daß durch die Streichung des Wortes „gesetzmäßige“ eine Aufsicht hinsichtlich der Zweckmäßigkeit entstehen könnte. Dr. Laforet (CSU): Würden Sie Bedenken tragen, wenn es heißen würde: „über die Gesetzmäßigkeit der Ausführung“? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte für meinen Teil nicht die Befürchtung haben, daß man aus dem Wort „Gesetzmäßigkeit“ schließen könnte, daß die Einhaltung der allgemeinen Verwaltungsvorschriften nicht der Aufsicht unterliegen soll. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften werden auf Grund der vorher gegebenen Ermächtigung von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats erlassen. Meiner Meinung nach würde ein Land, das nachher sagen würde: „Diese Verwaltungsvorschriften betrachten wir als nicht verbindlich, wir haben im Bundesrat auch unsere Zustimmung versagt“, auch gegen die Gesetzmäßigkeit verstoßen. Wir müssen auf vernünftige Weise interpretieren. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde vorschlagen, das Wort „rechtmäßig“ zu nehmen. (Dr. Laforet [CSU]: Einverstanden! Dr. Menzel [SPD]: Rechtmäßigkeit der Ausführung der Bundesgesetze!) Dr. von Mangoldt (CDU): Entsprechend einer Formel, die viel verwendet wird, könnte man sagen: „daß die Bundesgesetze dem geltenden Recht gemäß ausgeführt werden“. Es müßte hier also heißen: „. . . übt die Aufsicht darüber aus, daß die Bundesgesetze dem geltenden Recht gemäß ausgeführt werden.“ (Zustimmung.) Dr. Laforet (CSU): Das ist das gleiche. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Abänderungsantrag gestellt, statt „Die Bundesregierung übt die Aufsicht über die gesetzmäßige Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder aus“ zu setzen: „Die Bundesregierung übt die Aufsicht darüber aus, daß die Bundesgesetze durch die Länder dem geltenden Recht gemäß ausgeführt werden.“ Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist einstimmig angenommen. Dr. Menzel (SPD): Herr Kollege Mangoldt, Ihr Hinweis darauf, daß in einem Prozeß das Bundesverfassungsgericht von sich aus den Umfang der Beweiserhebung bestimme, trifft nicht ganz zu. Es wird davon abhängen, ob die Prozeßvorschriften

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des Strafverfahrens zugrunde gelegt werden, nach denen das Gericht in der Tat von Amts wegen alle erforderlichen Beweise zugunsten und zu Ungunsten der Anklage und des Angeklagten zu erheben hat, oder ob wir, wie es bisher üblich war, die Grundsätze des zivilprozessualen Verfahrens zugrunde legen, nach denen der Kläger die Pflicht hat, seine Behauptungen nicht nur glaubhaft zu machen, sondern auch tatsächlich durch Zeugen, Urkunden usw. zu beweisen. Zur Anstrengung einer Klage, aber auch schon zum Antrag vor dem in erster Linie vorab entscheidenden Bundesrat genügt daher nicht nur eine Glaubhaftmachung, sondern bedarf es des Beweises, und diesen Beweis kann man nur führen, wenn man dem Antragsteller die Möglichkeit zur Nachprüfung des Sachverhalts gibt. Was Herr Kollege von Brentano über das Mißtrauen sagt, halte ich gerade in diesem Zusammenhang nicht für berechtigt. Wenn wir überhaupt zustimmen, daß der Bund eine nicht rechtmäßige Ausführung beanstanden darf – und darin liegt ja schon ein gewisses Mißtrauen –, müssen wir ihm auch die Möglichkeit geben, die Tatsachen zu beweisen, auch im Interesse der Länder. Vielleicht überzeugt er sich durch die Einsichtnahme, daß seine Mängelrüge gar nicht begründet ist, und erspart damit den beiden streitenden Parteien, daß in der Öffentlichkeit eine Beunruhigung eintritt. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Das Bundesverfassungsgericht kann doch von Amts wegen Beweise erheben, soviel es will, und nach dem Grundgesetz haben alle Behörden dem Bundesverfassungsgericht Rechtshilfe zu leisten. Das Bundesverfassungsgericht kann doch also den Fall funditus aufklären und kann zu diesem Zweck seinerseits auch Prüfungen bei den unteren Verwaltungsbehörden anstellen. Das kann doch keinem Zweifel unterliegen. Mit Rücksicht darauf ist, glaube ich, die Sorge des Herrn Kollegen Dr. Menzel nicht begründet. Zinn (SPD): Wenn ich den Herrn Kollegen Dr. Menzel richtig verstehe, will er sicherstellen, daß für den Fall der Verweigerung der Zustimmung eines Landes oder falls aus irgendeinem Grund, objektiv gesehen, das Land nicht in der Lage ist, seine Zustimmung zu erteilen, eine Ersatzvornahme möglich ist, und zwar durch den Bundesrat. Diese Ersatzfunktion kann niemals das Bundesverfassungsgericht ausüben. Wenn man es also für notwendig hält, daß irgendeine andere Stelle an Stelle des Landes die Zustimmung erteilt, weil das Land sich ohne durchsichtigen Grund weigert oder aus irgendeinem Grunde nicht in der Lage ist, sie zu erteilen, muß man das hier vorsehen; man kann aber nicht auf die Möglichkeit eines Prozesses vor dem Bundesverfassungsgericht verweisen. (Dr. Höpker Aschoff [FDP]: Man kann Beweise erheben!) – Das nützt nichts. Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht feststellt: hier hat das Land eine Zustimmung nicht erteilt, obwohl die Sachlage es geboten hätte, die Zustimmung zu erteilen, kann das Bundesverfassungsgericht mangels irgendeiner ihm dieses Recht einräumenden Vorschrift niemals sagen: Ich erteile jetzt die Zustimmung. Dr. Menzel (SPD): Herr Kollege Höpker Aschoff, Sie gehen davon aus, daß das Bundesverfassungsgericht von Amts wegen Beweise erheben kann. Das ist nirgends verankert. Selbst wenn es so wäre, so muß der Kläger die Sache schlüssig in Gang setzen. Eines haben Sie übersehen, der Verfassungsgerichtshof tritt eigentlich erst subsidiär in Tätigkeit, zunächst soll der Bundesrat entscheiden. Darum soll der

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Bundesrat, um seine Entscheidung richtig fundieren zu können, die Ersatzzustimmung von sich aus geben. Bei Ihrer Argumentation müssen Sie die Konsequenz ziehen, daß wir den Bundesrat in Abs. 3 als Vorentscheidungsbehörde streichen und gleich die Anrufung des Verfassungsgerichtshofs mit der Maßgabe zulassen, daß er von sich aus auch auf eine bloße Behauptung hin Beweise [S. 436] erheben darf. Sie müßten bedenken, daß Sie damit dem Bundesrat die Möglichkeit einer Sachentscheidung nehmen. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich wollte nur kurz auf die Ausführungen von Herrn Zinn eingehen. Es ist ja nicht so, daß nun etwa Beweise darüber erhoben werden würden, ob diese Zustimmung zu Unrecht verweigert worden ist, sondern der Verfassungsgerichtshof würde von Amts wegen Beweis darüber erheben, ob entsprechend dieser Behauptung eine Verletzung der Vorschriften der Verfassung erfolgt ist. (Dr. Menzel [SPD]: Und der Bundesrat, der vorentscheiden soll?) – Der Bundesrat kommt ja nur durch Ihren Antrag hinein. (Dr. Menzel [SPD]: Nein, nach Abs. 3 muß er erst entscheiden!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Bundesrat muß zuerst entscheiden, ob das Land das Gesetz verletzt hat. Erst dann kann das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof in Gang gesetzt werden. Da erscheint es mir durchaus notwendig zu sein, daß dem Bundesrat die Möglichkeit gegeben wird, sich durch eine Inspektion, die auch den Weg zu den nachgeordneten Behörden muß finden können, von dem zu überzeugen, was vorliegt. Dr. Kleindinst (CSU): Ich glaube, der Herr Kollege Laforet und ich sind mit dem Antrag Dr. Hoch durchaus einverstanden. Es ist eine Abkürzung, wenn man zuerst den Bundesrat befaßt und nicht gleich an den Verfassungsgerichtshof geht. Wir sind sonst in Gefahr, unsere Diskussion über die Verwaltung in eine Diskussion über den Verfassungsgerichtshof zu verwandeln. Dr. Laforet (CSU): Wenn die Grundlage einmal genommen wird, wie wir sie in der Mängelrüge haben, dann muß dem Bund auch die Möglichkeit gegeben werden, nachzuprüfen, ob er die nötigen Grundlagen für seine Mängelrüge bekommt, und das kann nicht erst zum Verfassungsgerichtshof gehen. (Zuruf: Das ist der Antrag Dr. Hoch!) Wenn ich Sie richtig verstehe, ist das Ihre Absicht, und soweit ich es aus Ihrem mündlichen Vortrag entnehmen kann, ist das der Kern Ihrer Begründung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Man kann hier redaktionell auf zwei verschiedene Weisen verfahren, entweder so, daß man nach den Worten „mit deren Zustimmung“ einfügt: „oder im Falle der Versagung mit der Zustimmung des Bundesrats“, oder so, daß man einen dritten Satz einfügt, der etwa lauten könnte: „Im Falle der Versagung der Zustimmung durch das betroffene Land kann diese durch den Bundesrat ersetzt werden“. Dr. Hoch (SPD): Ich würde den ersten Vorschlag empfehlen, weil er kürzer ist. Ich würde aber bitten, nicht „oder“ zu sagen, sondern „und“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich über den Antrag abstimmen, nach den Worten „mit deren Zustimmung“ einzufügen: „und im Falle der Versagung mit der Zustimmung des Bundesrats“. – Der Antrag ist einstimmig angenommen. Dann lasse ich über den gesamten Abs. 2 von Art. 112/2 in der jetzt beschlossenen Fassung abstimmen. – Abs. 2 ist einstimmig angenommen.

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Wir kommen zu Abs. 3 von Art. 112/2. Dr. Menzel (SPD): Müßte nicht in Abs. 3 hinter „Bundesgesetze“ zur Klarstellung eingefügt werden: „und der allgemeinen Verwaltungsvorschriften“? Zinn (SPD): Ja. Oder man müßte in Abs. 3 schreiben: ob das Land rechtswidrig gehandelt hat. Dr. Menzel (SPD): Ich will nur Abs. 1 und Abs. 3 in ihrem materiellen Umfang gleichmäßig aufbauen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Dr. Menzel hat die Frage gestellt, ob wir – da wir uns darüber einig geworden sind, daß die Rechtmäßigkeit der Ausführung eines Bundesgesetzes durch das Land nicht nur die Frage betrifft, ob das Gesetz richtig ausgeführt worden ist, sondern auch die Frage, ob die allgemeinen Verwaltungsvorschriften richtig ausgeführt worden sind nicht konsequenterweise in der zweiten Zeile hinter „Ausführung der Bundesgesetze“ noch einfügen sollten: „und der allgemeinen Verwaltungsvorschriften“. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Meiner Meinung nach müßte man konsequent sein und in Abs. 3 dieselbe Formulierung wählen wie in Abs. 2. In Abs. 2 haben wir die Formulierung gewählt, daß die Bundesgesetze durch die Länder „dem geltenden Recht gemäß“ ausgeführt werden. Man muß also hier in Abs. 3 eine entsprechende Fassung nehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Rechtsverordnungen brauchen wir nicht ausdrücklich aufzunehmen. Zinn (SPD): Es genügt meines Erachtens entsprechend dem, was Herr Kollege Dr. Höpker Aschoff gesagt hat, wenn man sagt: „ob das Land das geltende Recht verletzt hat“. (Dr. Laforet [CSU]: Einverstanden!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Es würde genügen zu sagen: „das Recht“. (Zustimmung.)16) Es ist also beantragt, in der fünften Zeile des Abs. 3 zu sagen: „ob das Land das Recht verletzt hat“. Hierüber besteht wohl allgemeines Einverständnis. – Ich stelle das fest. Dann lasse ich über den so geänderten Abs. 3 abstimmen. – Der Absatz ist in der geänderten Fassung einstimmig angenommen. Wir kommen zu Abs. 4 von Art. 112/2. Dr. Laforet (CSU): Hier ist eine ganz entscheidende Frage, ob wir den Zustand, wie er bis 1933 war, aufrechterhalten oder ob wir Bestimmungen des Nazistaates, des Einheitsstaates festlegen. Zunächst ein Irrtum. Man nimmt an, daß im Grundgesetz ausdrücklich ein Weisungsrecht des Bundes vorgesehen sein muß, wenn ein Bundesministerium oder auch eine Bundesoberbehörde auf Grund einer in dem Gesetz verliehenen Befugnis eine Anordnung gegenüber einer Landesbehörde treffen will. Das ist nicht richtig. Der Bund ist durch nichts verhindert, je nach dem Erfordernis des Sachgegenstandes eine Verpflichtung oder ein bestimmtes Verhalten der Länder vorzuschreiben. Die Länder haben dann die Pflicht, die nötigen Verwaltungsakte durch ihre Landesbehörden dem Recht gemäß vornehmen zu lassen, auch wenn Bundesgesetze in landeseigener Verwaltung ausgeführt werden. Es kann 16)

„(Zustimmung)“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 27.

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zum Beispiel ein Bundesgesetz über das Flüchtlingswesen ohne weiteres bestimmen, daß Flüchtlinge aus einem Land in ein anderes Land übernommen werden. Oder solange die Ernährungswirtschaft so wie jetzt noch besteht, kann ein Bundesgesetz ein Bundesministerium ermächtigen, zu bestimmen, daß ein Land bestimmte Lieferungen landwirtschaftlicher Erzeugnisse tätigt. Hierzu bedarf es keiner Weisung, sondern da ist die Verpflichtung des Landes bereits im Gesetz gegeben. Die Bundesregierung kann auch mit Zustimmung des Bundesrats allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen und hier das Ermessen der Landesbehörde beschränken, ja ausschließen. Wir waren uns vorher einig, daß die Ausführungsvorschriften, auch soweit sie Verwaltungsvorschriften sind, zu dem Recht gehören, an das die Länder gebunden sind. Das war die verfassungsrechtliche Grundlage der ganzen Gesetzgebung von 1871 bis 1933. In der Nazizeit werden die Länder ihrer Eigenschaft als Staat entkleidet, wir erleben die Gleichschaltung. Die Länder verschwinden [S. 437] als Staaten, und es wird ein Einheitsstaat mit unmittelbarer Weisungsgewalt der Spitze bis herunter zu den untersten Behörden eingeführt. Dagegen wehren wir uns. Deshalb ist diese Bestimmung eine Frage von ganz grundsätzlicher Bedeutung, die die Entscheidung über das Gesetz selber wesentlich berührt. Es ist nun im Laufe der Zeit in der bizonalen Verwaltung vorgekommen, daß in einzelnen Fragen einer obersten Behörde der Wirtschaftsverwaltung abgesehen von dem Gesetze, also bei dem der Imperativ nicht durch das Gesetz gegeben ist, sondern erst aus dem Gesetz abgeleitet wird, ein Weisungsrecht gegeben worden ist. Die Durchsicht zeigt, daß es nur ganz wenige Fälle sind. Es stehen die Verordnungen über land- und forstwirtschaftliche Betriebsmittel vom 18. 12. 194717), es steht das Gesetz zur Neuordnung des Veranlagungs- und Ablieferungswesens in der Landwirtschaft vom 23. 1. 194818) und das Gesetz über Preisbildung und Preisüberwachung vom 10. 4. 194819) in Frage. Bedeutsam ist aber, daß alle Weisungsrechte nur gegenüber den obersten Landesbehörden bestehen. Auch im bizonalen Recht ist ein unmittelbares Weisungsrecht im Einzelfall gegenüber einer Unterbehörde nicht vorgesehen. Es dreht sich nun darum, ob nicht in ganz besonderen Fällen, ein solches Weisungsrecht auch bei der eigenen Verwaltung der Länder gegeben werden soll. Zunächst entsteht die Frage der Fortgeltung dieses bizonalen Rechts. Herr Kollege Dr. Hoch und ich haben uns mit der Frage befaßt. Wir sind zu der Anschauung gekommen, daß dieses bizonale Recht auch mit seinem vorhandenen Weisungsrecht fortbesteht, so daß die in meinem eigenen Antrag, den ich mit dem Herrn Kollegen Dr. Kleindinst gestellt habe, vorgesehene Übergangsbestimmung nicht erforderlich 17)

Verordnungen über land- und forstwirtschaftliche Betriebsmittel vom 18. Dez. 1947; Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1948, S. 10. 18) Gesetz zur Neuordnung des Veranlagungs- und Ablieferungswesens in der Landwirtschaft vom 23. Jan. 1948; Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1948, S. 23. 19) Übergangsgesetz über Preisbildung und Preisüberwachung vom 10. April 1948; Gesetzund Verordnungsblatt des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1948, S. 27.

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ist. Diese Weisungsrechte aus bizonaler Zeit wirken so lange im neuen Recht, als das Gesetz selber wirkt. Es fragt sich, ob noch in ganz besonderen anderen Fällen die wir nicht erfassen können, weil wir nicht wissen, welche Entwicklung unser Rechtsleben nehmen wird, ein solches Weisungsrecht außerhalb des Gesetzes gegenüber den Behörden der Länder geschaffen werden soll. Hier schlägt der Redaktionsausschuß einen Weg ein, der meiner Ansicht nach im wesentlichen zur Durchführung des Einheitsstaates führt und der untragbar ist. Es dreht sich nur darum, ob nicht diesem Gedanken, der zugrunde liegt, in ganz besonderen Fällen ein Weisungsrecht zu schaffen, Rechnung zu tragen ist. Da ist zuerst im Zuständigkeitsausschuß ein Art. 114 gegeben worden20). Ich bin noch darüber hinausgegangen, indem ich gesagt habe, in besonderen Fällen können auch in der eigenen Verwaltung der Länder der Bundesregierung durch Bundesgesetz weitergehende Befugnisse als die Mängelrüge gegeben werden. Es kann also in ganz besonderen Fällen auch eine Weisungsbefugnis im Sinne des Art. 113 erteilt werden, nur soll das einer erschwerenden Inkraftsetzung bedürfen. Ich bin sogar so weit gegangen, daß ich gesagt habe, es sollen weitergehende Befugnisse gegeben werden können, als sie in Art. 112/2 Abs. 2 enthalten sind. Sie haben heute selber schon eine weitergehende Befugnis vorgesehen, indem Sie jetzt Beauftragte mit Zustimmung des Bundesrats auch gegen den Willen der Landesbehörden zulassen. Alle diese Fälle wollte ich mit der allgemein gehaltenen Klausel festgehalten wissen, um hier der Entwicklung keinerlei entscheidende verfassungsrechtliche Schranken entgegenzusetzen. Aber auf der anderen Seite muß betont werden, daß aufs ernsteste vor dem Weg zu warnen ist, diesen grundsätzlichen Aufbau der Eigenverwaltung der Länder aufzugeben und, wenn auch nur für bestimmte Materien, aber hier für die allerwichtigste Materie, eine nazistische Einheitsgestaltung der Verwaltung zu schaffen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Gestatten Sie mir eine Bemerkung. Die Kopulierung von Einheit und Nazismus scheint mir nicht ganz zutreffend zu sein. Dr. Laforet (CSU): Ich mache nur darauf aufmerksam, daß in unserer ganzen Verfassungsgeschichte allein in dieser Zeit der Einheitsstaat geschaffen worden ist. Vorher, 1919 bis 1933, war die Rechtsbasis gegeben, wie ich sie Ihnen vorgetragen habe, und diese Rechtsbasis möchte ich erhalten wissen. Ich warne nachdrücklich vor dieser uferlosen Gefahr, im Art. 114 Abs. 1 im Sinne des Beschlusses des Redaktionsausschusses die Verwaltung der Länder völlig auszuschalten, sie völlig an den Willen der Zentralverwaltung zu binden, also eine Einheitsverwaltung zu schaffen. Was an dem Gedanken tragbar ist, was vielleicht notwendig ist, in ganz besonderen Verhältnissen ein Weisungsrecht zu schaffen, das will gegeben werden. Aber diese allgemeine Gestaltung des Überganges in den Einheitsstaat ist von einer derartigen Bedeutung, daß es für uns unhaltbar ist. Ich spreche nicht vom Standpunkt des Bayern, sondern vom Standpunkt der Gestaltung der Verwaltung überhaupt, der Verwaltung eines Bundesstaats und der Zweckmäßigkeit der Verwaltung, in der nur ein Wille bestehen kann, allerdings bestimmt durch die Aufsicht des Bundes. Ich spreche für eine Landesverwaltung, die allerdings durch die 20)

Vgl. dazu zuletzt die 20. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 2. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 26, S. 735–742.

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Bundesgesetze einschließlich der Verwaltungsvorschriften gebunden ist, die aber selber die verantwortliche Tätigkeit entfaltet und nicht abgelöst wird durch eine einheitliche Bundesverwaltung, auch nicht auf einem begrenzten Gebiet. Dr. Menzel (SPD): Herr Geheimrat Laforet, ich finde Ihre Ausführungen etwas widerspruchsvoll. Wenn Sie sich aus guten Gründen auf den Standpunkt stellen, daß das, was bisher bizonal an Kompetenzen gewachsen ist, von dem neuen Bund übernommen werden soll, müssen wir doch die Formulierung zugrunde legen, die der Redaktionsausschuß in Art. 114 Abs. 1 gefunden hat. (Dr. Laforet [CSU]: Nein.) Ich glaube, daß es zur sachlichen Führung der Debatte richtig wäre, uns die Kompetenzen vor Augen zu führen, die in Art. 114 Abs. 1 aufgeführt sind. Dort heißt es: „Auf den Gebieten, in denen der Bund gemäß Art. 35 Ziffer 4 und 5 sowie Art. 36 Ziffer 7, 11, 12, 15, 16 und 2021) das Recht zur Gesetzgebung hat“, kann der Bund Weisungen erteilen. Um was für Zuständigkeiten handelt es sich? Es handelt sich um die Fragen der Freizügigkeit, des Paßwesens, der Ein- und Auswanderung und der Auslieferung. Es ist ganz klar, daß da immer ein Weisungsrecht des Bundes bestehen muß, zumal es sich hier um die ausschließliche Gesetzgebung handelt. Es handelt sich um die Fragen des Währungs-, Geld- und Münzwesens, der Maße und Gewichte und der Zeitbestimmung. Es handelt sich um das Flüchtlingswesen, das Recht der Wirtschaft, das Arbeitsrecht einschließlich des Rechts der Sozialversicherung, um die Gesetzgebung über die Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung, um die Planung und Lenkung auf dem Gebiet der Sicherung der Ernährung, der Ein- und Ausfuhr landwirtschaftlicher Produkte und dergleichen, um die Hochsee- und Küstenfischerei22). Das sind alles Materien, von denen doch heute keiner annehmen wird, daß wir insoweit das Rad der Geschichte nicht nur bis zur Kapitulation, sondern um Jahrzehnte zurückdrehen können. Das sind doch alles Probleme, die geradezu nach einer großräumigen Planung und Lenkung und Entscheidung schreien. Zum Formellen darf ich noch darauf hinweisen, daß wir vorhin beschlossen haben, die Vorschläge der Herren Kollegen Dr. Laforet und Dr. Hoch bei der Beratung nur insoweit zugrunde zu legen, als sie bestimmte Materien regeln. Der Art. 114 des Redaktionsausschusses umfaßt in seinem Abs. 2 das, was die Anträge der beiden Herren Kollegen in Art. 112/223) Abs. 4 enthalten. Aber der Abs. 1 des Art. 114 in der Fassung des Redaktionsausschusses ist nicht mit erfaßt. Insofern ist bei der Abstimmung Art. 114 Abs. 1 des Redaktionsausschusses zugrunde zu legen. Bezüglich meiner Bedenken – ich kann nur noch einmal wiederholen, ich finde die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Laforet etwas widerspruchsvoll – möchte ich auf folgendes hinweisen. Wir waren gerade im Ruhrgebiet sehr froh, daß die britische Militärregierung alsbald nach der Kapitulation für die britische Zone eine Reihe von Zentralämtern, vor allem auf dem Gebiet der Ernährung und der Wirtschaft, [S. 438] geschaffen hat. Denn nur so war es möglich, etwaige Kata21)

Im stenograph. Wortprot., S. 41, folgt danach: „bis 22“. Im stenograph. Wortprot., S. 41, folgt danach: „. . ., um den gesamten Verkehr auf der Eisenbahn und den sonstigen Straßenverkehr“. 23) Statt „Art. 112/2“ im stenograph. Wortprot., S. 42: „Art. 112“ 22)

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strophen im Ruhrgebiet zu vermeiden. Wenn es nicht zu solchen Katastrophen gekommen ist, so ist das wahrscheinlich nur der damals vorhanden gewesenen allgemeinen Lethargie der großen Masse der Bevölkerung zu verdanken. Wenn wir es mit der Forderung nach der deutschen Wirtschaftseinheit ehrlich meinen, die wir vor allem deshalb immer wieder aufgestellt haben, weil wir hofften und hoffen können, daß sich daran auch die politische Einheit Deutschlands ankristallisiert, sollten wir nicht von uns aus das, was bisher nach der Kapitulation an Gesamtzuständigkeiten eines größeren Gebildes gewachsen ist, jetzt wieder zerstören. Wer sich an die Hunger- und Kältewinter erinnert, der weiß, in welcher Situation wir trotz der Frankfurter Einrichtung waren. Es war nicht der böse Wille von Frankfurt/Main. Vielmehr haben den bizonalen Einrichtungen in Frankfurt/Main vielleicht die erforderliche Autorität, aber auch die Machtbefugnisse gefehlt. Ich möchte gerade um des Ruhrgebiets willen dort nicht die Befürchtung entstehen lassen, daß das mühselig geschaffene Fundament einer gewissen Sicherung unserer Ernährung wieder gefährdet wird. Das würde gerade für den arbeitenden Menschen in der Grube und in der Fabrik eine Beunruhigung bedeuten, die sich auf die Arbeitsleistung auswirken würde. Nun sagt der Herr Kollege Dr. Laforet, wir könnten im Wege der Bundesgesetze die gegenseitigen Leistungen von Land zu Land abstecken. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, in die romantische Vorstellung zurückzufallen, daß man innerhalb Deutschlands eine Art von internationalem Handelsvertragssystem aufziehen kann. Das hat unter Umständen auch für die anderen Länder eine sehr negative Kehrseite. Wir sind hinsichtlich der Ernährung im Ruhrgebiet gewiß auf die Überschußländer angewiesen. Aber in noch viel stärkerem Maße sind die übrigen Länder nicht nur auf Stahl, Eisen und Fertigfabrikate, sondern auch auf Kohle und sonstige Energien, vor allem auch auf den Strom angewiesen. Glauben Sie, daß es überhaupt möglich ist, bei der doch recht schwerfälligen Apparatur, die wir bisher für die Gesetzgebung vorgesehen haben, die gegenseitigen Leistungspflichten der Länder im Wege der Gesetzgebung festzusetzen? Es handelt sich um Leistungspflichten, die sich nach den täglichen Erfahrungen nicht nur von Monat zu Monat, sondern von Woche zu Woche, manchmal von Tag zu Tag ändern. Ich erinnere an die gerade jetzt auch im Ruhrgebiet notwendig gewordenen Sperrstunden für Energien der Industrie, weil einem anderen großen Land durch den Wassermangel die weiße Kohle, nämlich das Wasser fehlt. Es ist unmöglich, diesen Lastenausgleich der Energien in einem Gesetz zu bestimmen. Die Quantitäten, die wir täglich vom Ruhrgebiet gern abgeben – weil wir wissen, daß auch auf diesem Gebiet nur eine Gesamtplanung und -regelung den erforderlichen Erfolg verspricht –, eine solche täglich variierende Abgabe von Kilowattstunden an andere Länder kann man niemals in einem Gesetz bestimmen. Hier bedarf es einer Gesamtplanung, einer Gesamtlenkung, die nichts mit einer Zwangswirtschaft zu tun hat. Das bringen Sie nicht in Gesetze hinein, das bringen Sie auch nicht in gegenseitige Verträge hinein. Ein Land könnte, wenn es glaubt, einen schlechten Vertrag geschlossen zu haben, nach einer gewissen Zeit zur Kündigung schreiten, und in das so klein gewordene deutsche Wirtschaftsgebiet würde eine ewige Ungewißheit gebracht werden. Nicht zuletzt würde es den Nachteil haben, daß man keine klaren und einwandfreien Unterlagen für eine Planung, auch für eine Planung in den einzelnen Betrieben

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hätte. Wir sollten alles daran setzen, hier nicht, wie ich vorhin schon einmal sagte, um mehrere Jahrzehnte zurückzugehen. Ich bin daher der Auffassung, daß wir den Art. 114 Abs. 1 des Redaktionsausschusses ohne Bedenken übernehmen können, ohne daß wir uns damit dem etwas – ich darf einmal sagen: befremdenden Vorwurf aussetzen müßten, eine nazistische Regelung zu treffen. Was ich vorschlage, ist eine Regelung, die mit dieser Vergangenheit nichts zu tun hat, sondern im gesamtdeutschen Interesse erforderlich ist. Zinn (SPD): Ich darf zunächst darauf hinweisen, daß nach dem bizonalen Recht, dem Verwaltungsrecht des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, den Direktoren der einzelnen Verwaltungen gegenüber den Landesregierungen oder Landesbehörden nicht nur Weisungsrechte auf Grund der Gesetze, die der Herr Kollege Laforet soeben zitiert hat, zustehen, sondern daß es darüber hinaus noch die bizonalen Abkommen gibt, die im Jahre 1946/47 geschlossen worden sind, ehe der Wirtschaftsrat errichtet wurde, und daß diese Abkommen bereits Weisungsbefugnisse für die damaligen Verwaltungen vorsehen, die durch das Überleitungsgesetz des Wirtschaftsrats ausdrücklich aufrechterhalten worden sind. Der Kreis der Weisungsbefugnisse der bizonalen Behörden geht also weiter, als aus den vorhin erwähnten Gesetzen zu ersehen ist. Das ist das eine, aber meines Erachtens nicht das Wesentliche. Ich bitte Herrn Kollegen Dr. Laforet, zu verzeihen, wenn ich sage, ich halte seine übrigen Ausführungen für nicht zutreffend, so wenn er zum Beispiel erklärt, daß die Regelung des Art. 114 in der Fassung des Redaktionsausschusses etwa der Regelung entspreche, wie sie während des Dritten Reiches für das Verhältnis von Reich und Ländern getroffen worden ist. Es ist zwar richtig, daß durch das Gesetz24) von 1934 die Eigenstaatlichkeit der Länder beseitigt worden ist25) und daß zumindest de facto die Landesbehörden zu einer Art Reichsbehörden geworden sind. Das ist das Entscheidende in diesem Gesetz. Das tritt aber durch den Art. 114 in der Fassung des Redaktionsausschusses nicht ein. Es werden hier keine Reichsbehörden geschaffen, sondern die Ausführung der Bundesgesetze bleibt bei den Landesbehörden. Was eingeführt werden soll, ist nichts weiter als auf gewissen, für die Gesamtheit besonders wichtigen Gebieten eine bereits im Grundgesetz vorgesehene Weisungsverwaltung. Diese Regelung entspricht durchaus der Regelung der Weimarer Zeit. (Dr. Laforet [CSU]: Nein.) – Jawohl, ich werde Ihnen gleich die Artikel und die Auslegungen von Anschütz26) erläutern. Eine solche Regelung ist heute weit notwendiger als in der Weimarer Zeit, weil nach dem jetzt vorliegenden Entwurf des Grundgesetzes die Bundesgesetze, von ganz wenigen Gebieten wie dem der auswärtigen Verwaltung, der Eisenbahn und Post und vielleicht der Finanzverwaltung abgesehen, nur durch die Länder ausgeführt werden. Werden aber die Bundesgesetze grundsätz24)

Statt „Gesetz“ im stenograph. Wortprot., S. 45: „Aufbaugesetz“. Vgl. Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30. Jan. 1934; RGBl. I, S. 75. 26) Zinn bezieht sich hier auf den Kommentar von Anschütz zu Art. 14 der Weimarer Reichsverfassung; vgl. Anschütz: Verfassung, S. 109–111. 25)

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lich durch die Länder ausgeführt, muß auf gewissen, für die Gesamtheit besonders wichtigen Gebieten als Ausgleich ein gewisses Weisungsrecht, und zwar bereits im Grundgesetz, geschaffen werden. Die Weimarer Verfassung sah in ihrem Art. 1427) vor, daß die Reichsgesetze durch die Landesbehörden ausgeführt werden28), soweit nicht Reichsgesetze etwas anderes bestimmen. Der Erlaß derartiger Reichsgesetze war im Gegensatz zu der Regelung, die wir jetzt im Grundgesetz haben, an keine besonderen Erschwernisse gebunden. Es war also auf sehr einfache Weise, durch ein einfaches Reichsgesetz möglich, auf allen möglichen Gebieten Reichsbehörden zu schaffen, die die Reichsgesetze durchführten. Damit konnte das Reich sicherstellen, daß seine Gesetze seinem Willen gemäß oder dem Willen des Gesetzgebers gemäß schnell und schlagartig ausgeführt werden. Diese Möglichkeit besteht in diesem Umfange nicht mehr. Das ist der eine Grund dafür, daß man in vermehrtem Umfange im Grundgesetz auf gewissen Gebieten von vornherein ein Weisungsrecht des Bundes vorsehen muß. Es kommt noch etwas Weiteres hinzu. Die Weimarer Verfassung regelt in ihrem Art. 1529) die Ausführung der Reichsgesetze durch die Länder. Diese Ausführung der Reichsgesetze entspricht mindestens dem, was wir jetzt Weisungsverwaltung nennen. Der Art. 15 Abs. 2 schreibt vor: „Soweit die Reichsgesetze von den Landesbehörden auszuführen sind, kann die Reichsregierung allgemeine Anweisungen erlassen.“ An wen richten sich diese allgemeinen Anweisungen? Ich [S. 439] zitiere Anschütz: Sie richten sich nicht etwa nur oder können sich nicht etwa nur an die Landesregierungen, sondern unmittelbar an jede Landesbehörde richten30); sie umfassen auch konkrete Anweisungen im Einzelfall. Das ist die Auffassung der Rechtslehre gewesen. Also in jedem Falle der Durchführung eines Reichsgesetzes durch die Länder konnte die Reichsregierung in der Weimarer Zeit auf Grund des Art. 15 Abs. 2 Satz 1 unmittelbare Anweisungen an die Landesregierungen, aber auch an die nachgeordneten Behörden richten. Diesen Zustand wollen wir nicht in dem Umfang der Weimarer Verfassung, aber in beschränkterem Umfang aufrechterhalten, nämlich auf den Gebieten, die für den Bund besonders wichtig sind. Sie ersehen daraus, daß wir hier nicht von der Weimarer Zeit abweichen und der Regelung des Dritten Reiches folgen, sondern daß wir im Vergleich zur Weimarer Zeit von vornherein nur eine Weisungsverwaltung kraft der Bestimmungen des Grundgesetzes einführen wollen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Das Verhältnis des Art. 112/231) Abs. 4 zu dem Art. 114, wie er auch von dem Redaktionsausschuß beantragt wird32), bietet einige Schwie-

27) 28)

29) 30)

31) 32)

In der Vorlage: „114“. Art. 14 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Die Reichsgesetze werden durch die Landesbehörden ausgeführt, soweit nicht die Reichsgesetze etwas anderes bestimmen.“ RGBl. S. 1386. Für den Wortlaut des Art. 15 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 vgl. oben S. 1068, Anm. 9. Zinn zitiert hier Anschütz: Verfassung, S. 121, dort heißt es: „Sie können sich, wie bereits oben (Nr. 4) erwähnt, nicht nur an die Landesregierungen, sondern auch direkt an die diesen unterstellten Behörden wenden (durchgreifende Aufsicht).“ Statt „Art. 112/2“ im stenograph. Wortprot., S. 48: „Art. 112“. Für den Wortlaut des Gesetzes zum Grundgesetzes in der vom Allgemeinen Redaktions-

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rigkeiten. Ich bin mir selber über das Verhältnis nicht ganz klar. Ich wäre dankbar, wenn insbesondere der Herr Kollege Dr. Laforet mir hierzu eine Auskunft geben würde. Ich verstehe die Dinge doch so: in dem Art. 112/233) Abs. 4 wird nicht eine neue Weisungsverwaltung in besonderen Fällen vorgesehen, sondern es handelt sich um eine Erweiterung der Verwaltung als eigene Angelegenheiten. (Dr. Laforet [CSU]: Jawohl.) Der materielle Unterschied würde darin liegen, daß in den besonderen Fällen, die der Abs. 4 von Art. 112/234) meint, Weisungen an die Landesregierungen, nicht aber an die Landesbehörden erteilt werden können. Ist das richtig? Dr. Laforet (CSU): Mit der bisherigen Ausführung bin ich völlig einverstanden. Es ist also kein neues Gebiet der Länder nach Weisung, sondern Erweiterung der Befugnisse der obersten Bundesbehörden bei der eigenen Verwaltung der Länder auf den Gebieten, die hier so wirkungsvoll vorgetragen worden sind, vor allem auf dem Gebiet der Ernährung, der Energieversorgung, der Heraushebung besonderer Notfälle durch besonderes Gesetz und nicht durch Verfassung für ewige Zeit. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Der materielle Unterschied würde der sein, daß, wenn wir nach den Gedankengängen des Herrn Kollegen Dr. Laforet verfahren, nur Weisungen an die Landesregierungen erteilt werden können, daß dagegen, wenn wir nach den Gedankengängen des Redaktionsausschusses verfahren, eine weitere Weisungsverwaltung mit dem Ergebnis eingeführt wird, daß Weisungen von der Bundesregierung auch unmittelbar an die nachgeordneten Behörden gegeben werden können. Dr. Laforet (CSU): Auch das ist durch Art. 112/2 Abs. 4 gedeckt. Zinn (SPD): Das paßt nicht. Dann müssen Sie es aus dem Artikel herausnehmen. Dr. Laforet (CSU): Nein, es können weitergehende Befugnisse auch bei eigener Verwaltung der Länder gegeben werden. Der entscheidende Unterschied ist nur der: Sie wollen hier die Dinge verfassungsmäßig festlegen, wir wollen diese verfassungsmäßige Festlegung nicht. Den Sonderverhältnissen, die hier bestehen, kann vielmehr je nach dem Wechsel der Bedürfnisse durch ein einzelnes Bundesgesetz Rechnung getragen werden. Zinn (SPD): Wandeln Sie die eigene Verwaltung in Weisungsverwaltung um, dann paßt die Vorschrift nicht mehr in diesen Artikel. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Absatz paßt nicht mehr in den Artikel. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Soll der Abs. 4 bedeuten: im Rahmen der landeseigenen Verwaltung kann ein besonderes Weisungsrecht an die Landesregierungen vorgesehen werden, oder soll er nicht nur dies, sondern außerdem vorsehen, daß in besonderen Fällen auch durch Bundesgesetz an Stelle der landeseigenen Verwaltung die Weisungsverwaltung gesetzt werden kann? Dann müssen wir uns darüber klar sein, was der gemeinsame Antrag Dr. Laforet, Dr. Hoch in Art. 112/2 Abs. 4 bedeuten soll. Wenn das letztere der Fall ist, wenn damit auch die Einführung einer neuen Weisungsverwaltung gemeint ist, steht die Sache, glaube ich, an einem ausschuß redigierten Fassung vom 13./18. Dez. 1948 auf Drucks. Nr. 374 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 4, S. 161–201, hier S. 177 f. 33) Statt „Art. 112/2“ im stenograph. Wortprot., S. 48: „Art. 112“. 34) Statt „Art. 112/2“ im stenograph. Wortprot., S. 48: „Art. 112“.

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schlechten Platz. Dann greift der Abs. 4 auch in den Art. 113 hinein, der von der Weisungsverwaltung spricht. (Dr. Laforet [CSU]: Das tut er aber nicht.) Der Vorschlag des Redaktionsausschusses dagegen geht einen anderen Weg. Er sieht eine Weisungsverwaltung in bestimmten Fällen auf Grund des Grundgesetzes vor und gibt darüber hinaus die weitere Möglichkeit, neue Weisungsverwaltungen durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrats einzuführen. Ich muß schon gestehen, mir würde eine Regelung am zweckmäßigsten erscheinen, welche sich auf Einzelheiten gar nicht einläßt, aber grundsätzlich den Gedanken zum Ausdruck bringt, der in Abs. 2 des Art. 114 des Redaktionsausschusses enthalten ist, so daß wir also, den Bedürfnissen der Zukunft Rechnung tragend, allgemein sagen würden: Eine Verwaltung mit Weisung kann durch ein Bundesgesetz, das dann allerdings der Zustimmung des Bundesrats bedarf, eingeführt werden. Wenn wir darüber hinaus das, was bisher in Frankfurt geschehen ist und was wir für notwendig halten, durch die Übergangsbestimmungen aufrechterhielten, ersparen wir uns den Abs. 4 in dem Art. 112/235) nach dem Antrag Dr. Laforet, Dr. Hoch. Wir bedürfen auch nicht der Aufzählung der einzelnen Fälle, wie sie jetzt in Art. 114 Abs. 1 des Antrages des Redaktionsausschusses vorgesehen ist. In redaktioneller Hinsicht ist nicht ganz ohne Bedeutung das Verhältnis unserer Bestimmungen hier zu dem Art. 105, wie ihn der Redaktionsausschuß beantragt hat. Dort steht nämlich: „Der Zustimmung des Bundesrats bedürfen Gesetze, .. . durch die im Rahmen der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ein neues im Grundgesetz bisher nicht vorgesehenes Weisungsrecht gegenüber den Landesbehörden begründet wird.“ Wenn man nach meiner Anregung verfahren und in unseren Abschnitt hineinsetzen würde, daß neue Weisungsverwaltungen durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrats eingeführt werden können, würde diese Bestimmung überflüssig werden. Die Bestimmung selber gibt auch nicht die Möglichkeit, neue Weisungsrechte einzuführen. Dieser Art. 105 setzt vielmehr immer wieder eine Bestimmung an anderer Stelle voraus – das ist eben die unübersichtliche Systematik –, daß der Bund ein neues Weisungsrecht einführen kann, und sagt nur: Für den Fall, daß der Bund ein solches Recht hat, ist die Zustimmung des Bundesrats erforderlich. Ich würde es also für das einfachste halten, wenn wir von dem vom Redaktionsausschuß vorgeschlagenen Art. 114 ausgingen, uns aber auf den Abs. 2 beschränkten, demgegenüber den Abs. 4 des Art. 112/236), wie er von den Herren Dr. Hoch und Dr. Laforet vorgeschlagen worden ist, fallenließen und dem Redaktionsausschuß ebenfalls anheimgäben, das, was in Art. 105 steht, entsprechend zu streichen. Dr. Kleindinst (CSU): Die ganze Aussprache zeigt, daß sich nicht alle Herren über den Begriff des Weisungsrechts klar sind. Der Herr Abgeordnete Zinn hat von den allgemeinen Weisungen im Sinne des Art. 15 gesprochen. Dem Herrn Kollegen Dr. Laforet schwebt die unmittelbare Weisung an die Mittel- oder Unterbehörden im einzelnen Fall vor. Das wäre eine unmittelbare Bundesverwaltung, die rein praktisch von der Zentrale aus gar nicht möglich wäre. Denn die Zentrale ist gar 35) 36)

Statt „Art. 112/2“ im stenograph. Wortprot., S. 50: „Art. 112“. Statt „Art. 112/2“ im stenograph. Wortprot., S. 51: „Art. 112“.

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nicht in der Lage, die Verhältnisse [S. 440] so zu übersehen, wie sie draußen wirklich liegen und wie das Recht auf den gegebenen Tatbestand anzuwenden ist. Das würde zu sehr bedenklichen Konsequenzen führen. Wenn eine solche Weisung an eine untere Behörde im konkreten Fall gegeben wird und sich auf irgendeine Beschwerde hin – in der Zeitung oder im Bundestag – herausstellt, daß die Voraussetzungen der Weisung falsch sind, muß die Weisung zurückgenommen werden. Das schwächt die Autorität sowohl der Bundesverwaltung wie der Landesverwaltung. Allgemeine Weisungen sind etwas anderes, sie binden alle Behörden. Allgemeine Weisungen sind durch die Bundesregierung, durch den einzelnen Bundesminister möglich. Soweit allgemeine Weisungen im Rahmen des vorgesehenen Artikels über das Weisungsrecht erteilt werden können, liegen keine Bedenken vor. Wenn das alles klargestellt wird, wird der Hinweis des Herrn Abgeordneten Dr. Höpker Aschoff auf den Abs. 2 des Art. 114 ganz anders gesehen werden, und man kann ihm eine gewisse Berechtigung nicht versagen. Wieweit wir dann den Abs. 2 des Art. 114 mit dem Vorschlag der Herren Dr. Hoch und Dr. Laforet ins Einvernehmen setzen können, möchte ich zunächst den beiden Herren überlassen. Dr. Mücke (SPD): Die Materien in der Fassung des Redaktionsausschusses zu Art. 114 Abs. 1, in denen von vornherein ein Weisungsrecht festgelegt werden soll, dienen doch ausschließlich der Existenzsicherung und Existenzerhaltung der deutschen Bevölkerung. Es wird hier von reinen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten, keinesfalls aber von irgendwelchen politischen Gesichtspunkten ausgegangen. Schon aus diesem Grunde ist es unverständlich, daß man diese Fassung hier mit so etwas wie einer Einheit nazistischer Prägung in Zusammenhang bringt. Herr Dr. Laforet hat gesagt, daß die Bundesgesetze an sich schon eine Verpflichtung für ein Land bedeuteten. Aber die praktische Erfahrung besonders auf dem Gebiet des Flüchtlingswesens, das Herr Dr. Laforet hier erwähnt hat, hat doch ergeben, daß es mit Gesetzen allein nicht getan ist, sondern daß auch die Durchführung gewährleistet sein muß. Es gibt eben Materien – und das ist vor allem das Flüchtlingswesen –, bei denen die Durchführung einheitlich gewährleistet sein muß. Gerade auf dem Gebiet des Flüchtlingswesens ist doch die wesentliche Aufgabe, die schnellstens gelöst werden muß, daß die zunächst unorganisch verteilten Flüchtlinge organisch verteilt werden, das heißt an die Arbeit herangebracht werden. Das ist eine sehr schwierige Aufgabe, die auch in der Durchführung einheitlich gesichert sein muß. Ich möchte als Beispiel anführen: Wenn einem Land die Auflage gemacht wird, eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen aufzunehmen, die Flüchtlinge ankommen und das Land keine Vorkehrungen getroffen hat, um die Flüchtlinge unterzubringen, kann diese notwendige Verteilung von vornherein inhibiert werden. Es müssen also auch in diesen Fragen Weisungen erteilt werden können. (Dr. Laforet [CSU]: Kraft eines Einzelgesetzes mit besonderer Weisungsgewalt!) – Gerade bei dem Flüchtlingswesen kann man doch nicht warten, bis ein Bundesgesetz zustande kommt. Es muß schon in dem Grundgesetz, sei es in den Bestimmungen des Grundgesetzes, sei es in den Übergangsbestimmungen, dieses Weisungsrecht festgelegt werden. Dr. Laforet (CSU): Die Sache wird vor allem dank dem Eingreifen des Herrn Dr. Höpker Aschoff auch für den weiteren Kreis klar. Wir sind uns vollständig ei-

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nig, daß man in diesen Notzeiten mit der allgemeinen Regelung der Gesetze allein nicht auskommen kann und daß ein besonderes Weisungsrecht auf ganz besonderen Gebieten geschaffen, wenigstens zugelassen werden muß. Es dreht sich nicht um die Überführung dieser Gebiete in die Länderverwaltung nach Weisung, sondern es bleiben die Länder nach wie vor in eigener Verwaltung. Aber auf diesen Gebieten wird kraft eines einzelnen, mit besonderer Mehrheit des Bundesrats angenommenen Gesetzes ein Ausnahmefall gegeben. Es werden besondere Weisungsrechte an die Landesregierungen – ich bin auch damit einverstanden –, an untere Behörden gegeben. Weiter kommt in Betracht, daß vielleicht jetzt schon eine Lücke besteht, indem es über die Fälle in der Gesetzgebung der bizonalen Verwaltungen einschließlich dieser Abkommen – die ich außer Betracht gelassen habe hinaus Gebiete geben kann, auf denen ein sofort wirksames Weisungsrecht eingeführt wird, zum Beispiel beim Flüchtlingswesen. Ich hätte keine erheblichen Bedenken, wenn für diese Übergangszeit in einer Vorschrift der Übergangsbestimmungen ein solches Recht geschaffen wird. Aber was hier geschaffen werden will, ist eine verfassungsmäßige Änderung der ganzen Grundgestaltung der Eigenverwaltung der Länder, indem schlechthin ohne jedes weitere Eingreifen des Gesetzgebers die Eigenverwaltung der Länder aufgehoben wird und auf diesen Gebieten verfassungsmäßig ein besonderes Weisungsrecht geschaffen wird. Ich habe nichts dagegen, wenn ein einzelnes Gesetz, das mit qualifizierter Mehrheit angenommen ist, in diesen Notzeiten ein besonderes Weisungsrecht schafft. Ich möchte es nur unter keinen Umständen hier in dieser Form festgelegt wissen. Herr Dr. Höpker Aschoff hat hier gesagt, daß auf Gebieten, auf denen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, die Bundesregierung dieses Weisungsrecht erhalten soll. (Dr. Höpker Aschoff [FDP]: Mit Zustimmung des Bundesrats!) – Da gehen die Meinungen wieder auseinander. Wenn die Zustimmung von zwei Dritteln des Bundesrats vorgesehen wird, ist es sachlich das gleiche, was wir in Art. 112/237) Abs. 4 Satz 2 haben. Die Meinungsverschiedenheit ist dann nur noch die, daß wir für diese Ausnahmefälle der Not zwei Drittel der Stimmen des Bundesrats fordern, während Herr Dr. Höpker Aschoff mit einer einfachen Mehrheit zufrieden wäre. Hier muß nachdrücklich betont werden, wenn es sich wirklich um Notfälle handelt, um Fragen des Währungsrechts, des Flüchtlingsrechts, und wenn der Ausnahmefall anerkannt wird, besteht auch die Sicherheit, daß zwei Drittel der Stimmen des Bundesrats vorliegen. Wir wehren uns gegen die Überführung einer ganzen Summe von Materien in eine Vorschrift, in welcher dem Bund schlechthin die Weisung gegeben ist. Wir bitten, das jeder einzelnen Materie vorzubehalten und die qualifizierte Mehrheit des Bundesrats vorzusehen. Dr. von Brentano (CDU): Ich glaube, daß der Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff uns praktisch dahin führt, wo wir hinwollen. Wir sind uns einig, daß dort, wo zurzeit ein zentrales Lenkungs- und Weisungsrecht besteht und nötig ist, dies zunächst im Rahmen der bisherigen Gesetzgebung, insbesondere der Bizone, erhalten bleiben soll. Diese Vorschrift würde zweckmäßigerweise in die Über37)

Statt „Art. 112/2“ im stenograph. Wortprot., S. 55: „Art. 112“.

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gangsbestimmungen aufgenommen werden. Wir sind uns weiter einig, daß in besonderen Fällen ein besonderes Weisungsrecht begründet werden kann und unter Umständen begründet werden muß. Dazu bedarf es eines besonderen Gesetzes. Wenn wir entsprechend der Anregung des Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff den Art. 112/2 Abs. 4 in der Fassung des Antrags der Kollegen Dr. Laforet, Dr. Hoch streichen, wenn wir den Inhalt des Art. 114 Abs. 1 in die Übergangsbestimmungen nehmen und im übrigen den Art. 114 Abs. 2 aufnehmen, durch den generell durch besonderes Gesetz eine Weisungsbefugnis des Bundes begründet werden kann, dann ist meines Erachtens allen unseren Wünschen, aber auch allen unseren Bedenken Rechnung getragen. Ich möchte anregen, daß wir die Sache auf diesem Boden lösen, daß wir, um nicht in uferlose Diskussionen zu kommen, die Beschlußfassung hier aussetzen und drei Herren bitten, diese Formulierung auf der Grundlage des Vorschlages von Herrn Dr. Höpker Aschoff vorzubereiten. Die Formulierung wird dann meines Erachtens heute nachmittag ohne Diskussion angenommen werden können. [S. 441] Brockmann (Z): Ich schließe mich dem zuletzt gemachten Vorschlag an, möchte aber grundsätzlich folgendes sagen. Meine Auffassung geht dahin, daß die Bundesbehörden in allen Fällen ein Weisungsrecht an die oberen Landesbehörden, nicht an die weiteren Instanzen der Länder in allen Fragen haben müssen, in denen der Bund die ausschließliche Verantwortung zu tragen hat. Sonst kann er die Verantwortung nicht tragen. Er kann die Verantwortung nicht für eine Angelegenheit tragen, bei der er keine Möglichkeit hat, sie im gesamten Bund nach seiner Auffassung und nach seinen Intentionen durchzuführen. Das, Herr Kollege Dr. Laforet, würde doch durch Ihren Antrag bzw. Ihre Auffassung eingeschränkt. Ich bin aber der Meinung, daß wir dem Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. von Brentano folgen sollten. Wenn uns dann ein akzeptabler Vorschlag vorgelegt wird, ist die Sache erledigt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wird immer davon gesprochen, daß es sich hier um Befugnisse für Notzeiten handelt. Ich glaube, Herr Kollege Dr. Laforet, das ist eine Verkennung der Situation. Es handelt sich nicht nur darum, für bestimmte Notzeiten Engpässe zu überwinden, sondern auch darum, der Struktur unseres gesamtdeutschen Wirtschaftslebens Rechnung zu tragen. Auch in 50 Jahren werden wir es nötig haben, eine gesamtdeutsche Energieverbundwirtschaft zu führen. Diese werden wir nur führen können, wenn von einer zentralen Wirtschaftsstelle aus die Schaltwerke unmittelbar angewiesen werden können. Wir werden, auch wenn wir sehr viel Glück haben sollten, auf lange, lange Zeit hinaus mit Ernährungsschwierigkeiten zu kämpfen haben. Wir werden unsere innerdeutschen Möglichkeiten sehr viel penibler ausschöpfen müssen, als es früher notwendig war, weil wir jede Mark für den Import von Rohstoffen und von Waren, die wir nicht selber erzeugen können, werden verwenden müssen. Deswegen werden wir auf dem Gebiet der Ernährung auf Jahrzehnte hinaus sehr viel straffer verwalten müssen, als es früher notwendig war. Dasselbe wird auf dem Gebiet der Wirtschaft gelten. Wir treiben doch in Deutschland keine Länderwirtschaft, sondern wir treiben eine gesamtdeutsche Wirtschaft. Sämtliche Verteilungsmaßnahmen des Wirtschaftsministeriums des Bundes werden sich nicht an die Länder als solche wenden können, sondern an Wirtschaftszweige, die durch alle Länder hindurchgehen. Es wird an Bran-

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chen und nicht etwa an Nordrhein-Westfalen oder an Württemberg-Baden verteilt werden müssen. Wir können das nicht durch Einzelgesetze machen. Hier muß eine allgemeine gesetzliche Ermächtigung vorliegen. Es ist richtig, wir sind ein Rechtsstaat, ein Staat, in welchem auf Grund des Gesetzes verwaltet wird; aber die einzelnen Maßnahmen können doch nicht der Gesetzgebung überlassen werden, sondern müssen der schöpferischen Gestaltung durch die Verwaltung überlassen bleiben. Aus diesem Grund halte ich es für erforderlich, in dem Grundgesetz für eine Reihe beschränkter Materien, nämlich der Materien, die sinnvollerweise nur auf dem gesamtdeutschen Niveau geregelt werden können, das Anweisungsrecht des Bundes zu schaffen. Dr. Greve (SPD): Für den Fall, daß es gelingen sollte, die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff so in das Grundgesetz hineinzubringen, daß eine Mehrheit dafür gefunden werden kann, schlage ich vor, den Artikel folgendermaßen zu fassen: „Auf den Gebieten, auf denen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, kann der Bundesregierung durch Bundesgesetz das Recht übertragen werden, zur Ausführung von Bundesgesetzen die Landesbehörden unmittelbar mit Weisungen und Anordnungen zu versehen. Dieses Gesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrats“, und entsprechend dem Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. von Brentano die in Art. 114 Abs. 1 enthaltene Bestimmung in die Übergangsvorschriften zu bringen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich schlage vor, entsprechend der gegebenen Anregung die Beschlußfassung auszusetzen und einen kleinen interfraktionellen Ausschuß einzusetzen, der uns sicherlich bis heute nachmittag einen Vorschlag wird machen können. Dr. Menzel (SPD): Ich empfehle, daß der Ausschuß sich in materieller Richtung hin festlegt, damit der Unterausschuß lediglich die Aufgabe der Formulierung und der systematischen Einordnung hat. Dr. von Brentano (CDU): Entsprechend den Anregungen der Kollegen Dr. Höpker Aschoff und Dr. Greve. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist nicht Unbescheidenheit, wenn ich bitte, vielleicht auch den Ausführungen Rechnung zu tragen, die ich mir zu machen erlaubt habe. (Dr. von Brentano [CDU]: Selbstverständlich.) Dr. Menzel (SPD): Der Art. 114 Abs. 1 müßte an irgendeiner Stelle des Grundgesetzes erscheinen. (Dr. Laforet [CSU]: Das werden wir nicht billigen.) – Ich schlage vor, darüber Beschluß zu fassen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wird angeregt, über eine Generallinie Beschluß zu fassen, die dem interfraktionellen Redaktionsausschuß gegeben werden soll. Wie würden Sie den Antrag fassen? Zinn (SPD): Art. 112/238) Abs. 4 soll gestrichen werden. Statt dessen soll unter Berücksichtigung des Vorbringens von Herrn Dr. Höpker Aschoff der Art. 114 neu formuliert und eine Übergangsvorschrift aufgenommen werden.

38)

Statt „Art. 112/2“ im stenograph. Wortprot., S. 59: „Art. 114-2“.

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Dr. Menzel (SPD): In der die Grundsätze des Art. 114 neu formuliert und eine Übergangsvorschrift aufgenommen werden39). Dr. Lehr (CDU): Einverstanden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann ist so beschlossen. (Als Mitglieder des Unterausschusses werden die Abgeordneten Dr. Laforet, Dr. Höpker Aschoff, Dr. Menzel und Dr. Hoch bestimmt.)

[2. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT VI: DER BUNDESPRÄSIDENT, ART. 81: VÖLKERRECHTLICHE VERTRETUNG]

Ich rufe nunmehr aus dem Abschnitt VI Der Bundespräsident den Art. 81 auf. Dr. Lehr (CDU): Wir haben uns gestern im Organisationsausschuß weitgehend verständigt40). Ich schlage Ihnen vor, einer Fassung zuzustimmen, die sich im Abs. 1 aus dem Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. von Mangoldt und im Abs. 2 aus dem Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. Mücke zusammensetzt. Der Wortlaut dieses gemeinsamen Vorschlages ist Ihnen im Umdruck – PR. 1.49 – 49041) – zugegangen. Ich lese ihn vor: (1) Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit den auswärtigen Staaten. (2) Verträge mit auswärtigen Staaten, welche die politischen Beziehungen des Bundes zu auswärtigen Staaten zum Gegenstand haben oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen eines Bundesgesetzes. Ich bitte um Abstimmung und Annahme. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich für meinen Teil schließe mich Ihrer Empfehlung an. Ich glaube, daß diese Fassung alles enthält, was im Grundgesetz geregelt werden muß. Wir hätten dann lediglich dem Abs. 1, den wir schon beschlossen haben, noch einen zweiten Satz beizufügen, den Satz nämlich: Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit den auswärtigen Staaten. Dr. Lehr (CDU): Ich bitte, über den ganzen Artikel noch einmal gemeinsam abzustimmen. [S. 442] Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja. – Dann hätten wir noch einen zweiten Absatz an Stelle des bisherigen Vorschlages beizufügen. Dieser zweite Absatz würde wie die von Herrn Dr. Lehr vorgetragene Fassung des Organisationsausschusses lauten. 39)

Statt „In der die Grundsätze des Art. 114 neu formuliert und eine Übergangsvorschrift aufgenommen werden“ im stenograph. Wortprot., S. 59: „I n der die Grundsätze des Art. 114 Abs. 1 der Fassung des Redaktionsausschusses zugrunde gelegt werden.“ 40) Vgl. die 29. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 11. Jan. 1949; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 41, S. 1000–1008. 41) Für den Wortlaut der Zusammenstellung der in der 29. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes unter Verarbeitung der Vorschläge des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 13./16. Dez. 1948 beschlossenen Fassung der Abschnitts IX: Die Gesetzgebung vom 11. Jan. 1949 auf Drucks. Nr. 490 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 42, S. 1044–1047; ebd., S. 1047, ist jedoch auf den Abdruck von Art. 81 verzichtet worden.

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Dr. Dehler (FDP): Zu Abs. 1 ist die Frage, ob wir nicht an Stelle von auswärtigen Staaten von „auswärtigen Mächten“ sprechen sollten, um den Vatikan einzuschließen. Das ist wohl gemeint. Der Vatikan wird als völkerrechtliches Subjekt anerkannt. Dann hat der Organisationsausschuß den dritten Satz des Vorschlages des Kollegen Dr. von Mangoldt nicht übernommen, daß der Bundespräsident die Gesandten beglaubigt und empfängt, mit der Begründung, das sei schon durch den Satz 1 ausgesprochen, nach welchem der Präsident den Bund völkerrechtlich vertritt. Der Satz hat aber deswegen eine Bedeutung, weil das ausschließliche Gesandtschaftsrecht beim Bund liegen und damit ausgedrückt werden soll, daß die Länder kein Gesandtschaftsrecht haben. Wir wissen alle, daß diese Frage im Augenblick schon akut ist. Darum halte ich den Satz 3, der im Organisationsausschuß nicht gebilligt worden ist, für bedeutsam und bitte, ihn wieder aufzunehmen. (Dr. Greve [SPD]: Richtig.) Dr. Lehr (CDU): Wir haben diese Fragen gestern im Organisationsausschuß eingehend geprüft. Wir sind der Meinung gewesen, mit dem Satz: „Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich“ ist letzten Endes auch gesagt, daß er die Gesandten beglaubigt und empfängt. Es braucht deshalb nicht ausdrücklich erwähnt zu werden. Es ist im Augenblick auch nicht ganz unbedenklich, diesen Satz aufzunehmen. Ich würde Sie bitten, es bei der Streichung zu belassen. Dr. Katz (SPD): Wir haben gestern den dritten Satz, der dann weggestrichen worden ist, im Organisationsausschuß ausführlich diskutiert. Das Prinzip, das der Herr Kollege Dr. Dehler soeben ausgesprochen hat, hat allseitige Anerkennung gefunden, was ich für das Protokoll festzulegen bitte, daß nämlich das aktive und passive Gesandtenrecht beim Bund ruhen soll, daß nicht etwa ein auswärtiger Gesandter in Stuttgart oder München oder Koblenz akkreditiert werden kann. Wir haben trotzdem davon Abstand genommen, das hier ausdrücklich festzulegen, weil wir der Ansicht sind, durch den ersten Satz: „Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich“ wird das vollkommen gedeckt. Wir hatten weiter das Bedenken, daß der Ausdruck „Gesandte“ zu Zweifeln Anlaß geben könnte, weil es verschiedene Kategorien von auswärtigen Vertretern gibt, Botschafter, Gesandte, Chargés d’affaires, Geschäftsträger, die verschiedene Beglaubigungen haben. Es könnte mißverständlich sein, wenn wir lediglich das Wort „Gesandte“ gebrauchen würden. Was gemeint ist, schien uns vollkommen klar zu sein, wenn wir diesen Satz wegstreichen. Über den Sinn dieser Bestimmung bestand volles Einverständnis. Es ist so aufzufassen, wie der Herr Kollege Dr. Dehler es soeben dargelegt hat. Ich kann mir nicht denken, daß irgendwelche Zweifel in dieser Beziehung auftreten können. Dr. Greve (SPD): Ich gehöre zu denjenigen, bei denen solche Zweifel aufkommen. Ich schließe mich ganz den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Dehler an. Wenn in Abs. 1 gesagt wird: „Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich“, ist nach meiner Auffassung in keiner Weise etwas davon gesagt, daß der Bund das ausschließliche aktive und passive Gesandtschaftsrecht hat. Wenn gesagt ist: „Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich“, sind damit nach der bisherigen Auffassung ganz andere Dinge gemeint als das aktive und passive Gesandtschaftsrecht als ausschließliche Kompetenz des Bundes. Das ergibt sich eindeutig

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auch aus der Formulierung des entsprechenden Artikels der Weimarer Verfassung42), nach dem auch der Reichspräsident das Deutsche Reich völkerrechtlich vertrat, während daneben dem Deutschen Reich das ausschließliche aktive und passive Gesandtschaftsrecht ausdrücklich zuerkannt wurde, auch nur mit der Bezeichnung „Gesandter“, weil mit Gesandten sowohl Botschafter als die besonderen Gesandten, also auch die übrigen bei einem entsprechenden Organ zu akkreditierenden Beamten eines Staates gemeint sind. Es ist also nicht notwendig, wenn wir uns lediglich auf den Begriff „Gesandte“ festlegen, darunter etwas anderes zu verstehen, als unter dem Recht der Weimarer Verfassung verstanden wurde. Ich bitte doch, der Anregung des Herrn Kollegen Dr. Dehler zu folgen und ausdrücklich in das Grundgesetz hineinzuschreiben, daß der Bund das ausschließliche aktive und passive Gesandtschaftsrecht hat, und demzufolge die weiteren entsprechenden Bestimmungen in das Grundgesetz aufzunehmen. Falls die Anträge nicht von Herrn Dr. Dehler gestellt werden, werde ich mir erlauben, sie bei späterer Gelegenheit zu stellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte dazu vom rechtlichen Standpunkt ausführen, daß in der Tat mit dem ersten Satz über das ausschließliche Gesandtschaftsrecht des Bundes nichts ausgesagt ist. Die Gesandtschaften beschränken sich ja nicht auf die Herstellung völkerrechtlicher Beziehungen, sondern können unter Umständen ausschließlich politische Funktionen haben, die sich nicht notwendig in irgendwelchen Rechtshandlungen niederzuschlagen brauchen. Ich glaube, man kann so weit gehen, zu sagen, daß die Hauptfunktion einer Gesandtschaft nicht völkerrechtlicher, sondern rein politischer Art ist und sich auf einem Gebiet abspielt, das dem des Rechts fremd ist. Wenn man also klar zum Ausdruck bringen will, daß der Bund das ausschließliche aktive und passive Gesandtschaftsrecht haben soll, sollte man das schon hier sagen, wobei ich mir selber allerdings über die Formulierung noch nicht ganz klar bin. Die Worte „aktives und passives Gesandtschaftsrecht“43) kann man nicht gut nehmen. (Dr. Greve [SPD]: Das soll auch nicht die Formulierung sein.) Man könnte höchstens so sagen: Der Bundespräsident hat das ausschließliche Recht, Gesandte zu entsenden und zu akkreditieren. Das ist aber auch nicht gut. Dr. Dehler (FDP): Wir haben bisher die auswärtigen Beziehungen in die Verwaltung nicht aufgenommen. Das ist meines Erachtens ein Mangel. Die Weimarer Verfassung hatte in Art. 7844) unter dem Gebiet der Verwaltung ausdrücklich ausge-

42)

Für den Wortlaut des Art. 45 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 vgl. oben Dok. Nr. 34, S. 1059, Anm. 34. 43) Als aktives Gesandtschaftsrecht wird die Fähigkeit eines Staates bezeichnet, diplomatische Vertreter zu entsenden; vom passiven Gesandtschaftsrecht wird gesprochen als das Recht, Gesandte fremder Staaten zu empfangen. 44) Art. 78 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919: „Die Pflege der Beziehungen zu den auswärtigen Staaten ist ausschließlich Sache des Reichs. In Angelegenheiten, deren Regelung der Landesgesetzgebung zusteht, können die Länder mit auswärtigen Staaten Verträge schließen; die Verträge bedürfen der Zustimmung des Reichs. Vereinbarungen mit fremden Staaten über Veränderung der Reichsgrenzen werden nach Zustimmung des beteiligten Landes durch das Reich abgeschlossen. Die Grenzverände-

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sprochen, daß die Pflege der Beziehungen mit den auswärtigen Mächten Sache des Reiches ist. Nach meiner Meinung müßten wir eine analoge Bestimmung etwa bei Art. 116 einfügen, daß die Pflege der Beziehungen mit den auswärtigen Mächten dem Bund obliegt. Das ist ein wesentlicher Teil der Exekutive, der bisher nicht oder nur nebenbei erwähnt ist. Dann ist es klar, daß auch das aktive und passive Gesandtenrecht dem Bund obliegt. An der Verwendung der Bezeichnung „Gesandte“ kann kein Anstoß genommen werden. „Gesandte“ ist der allgemeine Begriff für die diplomatischen Vertreter. Ich würde in Abs. 1 Satz 3 die Formulierung: „Der Bundespräsident beglaubigt und empfängt die Gesandten“ für ausreichend halten und bitte weiter, in Abs. 1 und 2 an Stelle von Staaten von Mächten zu sprechen. Ich stelle dahingehende Anträge. Dr. Katz (SPD): Ich habe vorhin ausgedrückt, daß ich, wenn Zweifel bestehen sollten, gegen die Aufnahme einer derartigen Bestimmung keine Bedenken haben würde. Es bestehen, wie sich herausgestellt hat, Zweifel. Infolgedessen würde ich mich dem Antrag anschließen und ähnlich, wie es in der Weimarer Verfassung gesagt ist, hinter dem ersten Satz hinzufügen: „Er beglaubigt und empfängt die Gesandten.“ Damit ist diese Materie geregelt. Die beiden ersten Sätze würden also lauten: „Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. Er beglaubigt und empfängt die Gesandten.“ Das ist der erste Antrag des Kollegen Dr. Dehler. [S. 443] Der zweite Punkt betrifft Verträge mit auswärtigen Staaten oder auswärtigen Mächten. Ich verstehe den Antrag Dr. Dehler dahin – ich weiß nicht, ob ich mich irre –, daß er die Möglichkeit von diplomatischen Beziehungen zum Vatikan mit dieser Bestimmung einschließen will. Mit der Einschließung sind wir doch alle einverstanden. Die Möglichkeit soll doch nicht ausgeschlossen werden. Der Vatikan fällt doch unter den Begriff Staat. Infolgedessen sehe ich keine Notwendigkeit zu einer Änderung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube auch, wir sollten das Wort „Staaten“ lassen. Selbst auf den Vatikan treffen die Begriffsbestimmungen des Staates zu. Er hat ein Gebiet – Città del vaticane45) –, es gibt eine vatikanische Staatsangehörigkeit, es gibt eine Obrigkeit. Die Staatselemente sind erfüllt. (Dr. Schwalber [CSU]: Aber darin besteht nicht der Inhalt eines Konkordats.) – Ich weiß, es ist kein Vertrag wie ein Vertrag zwischen Deutschland und einem anderen Staat. (Dr. Schwalber [CSU]: Der Vertrag wird nicht mit dem Vatikanstaat geschlossen, sondern mit der Kirche.) Das Wort „Macht“ wäre wohl auch dann nicht angemessen. Dr. Greve (SPD): Ich möchte noch einmal das aufgreifen, was Herr Dr. Dehler im Hinblick auf die Bestimmung des Art. 78 Abs. 1 der Weimarer Verfassung gesagt hat. Wenn es unbestritten ist, daß die jetzt von uns gewählte Fassung: „Der Bunrungen dürfen nur auf Grund eines Reichsgesetzes erfolgen, soweit es sich nicht um bloße Berichtigung der Grenzen unbewohnter Gebietsteile handelt. Um die Vertretung der Interessen zu gewährleisten, die sich für einzelne Länder aus ihren besonderen wirtschaftlichen Beziehungen oder ihrer benachbarten Lage zu auswärtigen Staaten ergeben, trifft das Reich im Einvernehmen mit den beteiligten Ländern die erforderlichen Einrichtungen und Maßnahmen.“ RGBl. S. 1398. 45) Richtig: „Città del Vaticano“.

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despräsident vertritt den Bund völkerrechtlich“ auch das umfaßt, was in Art. 78 Abs. 1 der Weimarer Verfassung gesagt ist, daß auch die Pflege der deutschen Beziehungen, auch der partikularen – wie es in dem Kommentar von Anschütz heißt46) –, zu fremden Staaten ausschließlich Sache des Bundes ist, dann ist es nicht notwendig, eine besondere Bestimmung aufzunehmen. Wenn das aber bestritten sein sollte, würde es sich empfehlen, gemäß der Anregung des Herrn Dr. Dehler eine entsprechende Formulierung hier zu bringen. Es ist nicht notwendig, diese Vorschrift in einem besonderen Artikel zu bringen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube nicht, daß man das so machen kann. Wenn die Vorschrift der Weimarer Verfassung47): Die Pflege der Beziehungen mit auswärtigen Staaten usw. ist Sache des Bundes, angenommen werden soll, gehört diese Bestimmung woanders hin, nämlich dorthin, wo die Exekutive geregelt ist. Hier handelt es sich darum, die Prärogative des Bundespräsidenten festzustellen. Das ist etwas anderes. Die Pflege der auswärtigen Beziehungen ist nicht Sache des Bundespräsidenten, sondern Sache der Bundesregierung. Dr. Eberhard (SPD): Art. 81 hatte in der früheren Fassung noch einen Satz über Verwaltungsabkommen. Ist es im Organisationsausschuß Absicht gewesen, diesen Satz fallenzulassen? Dr. von Mangoldt (CDU): Nein, der Satz sollte bestehenbleiben. Dr. Eberhard (SPD): Er steht nicht in dem neuen Umdruck. Dr. von Mangoldt (CDU): Es ist richtig, der Satz sollte bestehenbleiben. Dr. Katz (SPD): Sollte das nicht in Art. 41 geregelt werden? Dr. von Mangoldt (CDU): Nein, es sollte in Abs. 2 von Art. 81 kommen. Heile (DP): Ich möchte bitten, der Anregung des Kollegen Dr. Dehler stattzugeben und statt „Staaten“ „Mächte“ zu sagen. Es besteht die Möglichkeit, vielleicht sogar die Wahrscheinlichkeit, daß die Mächtegruppierungen, die wir jetzt haben, zu verhandlungsfähigen Organisationen werden ich denke an Europa oder die UNO – und daß dorthin eventuell Gesandtschaften entsandt werden müssen. Das würden nicht Staaten, sondern Mächte sein. Der Begriff Mächte umfaßt alles und deckt jede Möglichkeit. Vors. Dr. Schmid (SPD): „Macht“ ist ein politischer und kein juristischer Begriff. Wenn es einmal zu diesen Organisationen kommen sollte – was ich hoffe –, wird zweifellos niemand an dem Wortlaut dieses Artikels Anstoß nehmen, wenn Gesandte zu diesen Institutionen entsandt werden sollen. Aber es könnte vielleicht doch zu Mißdeutungen Anlaß geben, wenn man sich im Text von der gebräuchlichen Nomenklatur entfernte. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich würde auch vorschlagen, daß man bei dem Begriff Staaten bleibt und nicht zu dem Begriff Mächte übergeht. Die auswärtige Macht ist im Völkerrecht kein Begriff, mit dem man irgend etwas verbindet. Man würde auch das nicht erreichen, was Sie, Herr Heile, erreichen wollen. Heute besteht 46)

Bei Anschütz: Verfassung, S. 416, heißt es wörtlich: „Nunmehr steht ,die Pflege der Beziehungen zu den auswärtigen Staaten‘ ohne Ausnahme, also die Vertretung aller deutschen Interessen, nicht nur der allgemeindeutschen, nationalen, sondern auch aller partikularen, dem Reiche ausschließlich zu.“ 47) Art. 78 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919.

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schon die Möglichkeit, Vertreter zu den Unterorganisationen der Vereinten Nationen, zu den sogenannten specialized angencies zu entsenden. Das sind keine Mächte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das sind auch keine Gesandtschaften. Das sind Delegierte zu einer Konferenz oder Mitglieder einer internationalen Behörde, aber keine Gesandtschaften im Rechtssinn. Eine Gesandtschaft ist dadurch determiniert, daß sie von einem Staat zu einem anderen Staat entsandt wird. Ich lasse abstimmen, und zwar satzweise. Der erste Satz lautet: „Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich.“ – Satz 1 von Abs. 1 ist einstimmig angenommen. Zweiter Satz: „Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit den auswärtigen Staaten.“ – Satz 2 von Abs. 1 ist einstimmig angenommen. Satz 3: „Er beglaubigt und empfängt die Gesandten.“ – Satz 3 von Abs. 1 ist einstimmig angenommen. Abs. 2: „Verträge mit auswärtigen Staaten, welche die politischen Beziehungen des Bundes zu auswärtigen Staaten zum Gegenstand haben oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen eines Bundesgesetzes.“ – Abs. 2 Satz 1 ist einstimmig angenommen. Der zweite Satz zu Abs. 2 lautet: „Für Verwaltungsabkommen gelten die Vorschriften über die Bundesverwaltung entsprechend.“ – Abs. 2 Satz 2 ist einstimmig angenommen. Damit ist der Art. 81 in dieser Form angenommen. Der Hauptausschuß vertagt sich auf den 12. Januar 1949, 15.30 Uhr. Schluß der Sitzung 12.02 Uhr.

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Nr. 36 Sechsunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses 12. Januar 1949 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 445–460. PA 2004. Ungez. von Reynitz gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 527 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: Fecht, Kaufmann, Kleindinst, Laforet, Lehr, von Mangoldt, Schlör, Süsterhenn SPD: Greve, Katz, Maier, Menzel, Mücke, Schmid (Vors.), Wolff, Zimmermann FDP: Dehler, Schäfer DP: Heile KPD: Renner Zentrum: Wessel Abgeordnete ohne Stimmrecht: Eberhard (SPD), Hoch (SPD), Löwenthal (SPD), Zinn (SPD) Stenographischer Dienst: Reynitz Dauer: 15.43–18.08 Uhr [1. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT X: AUSFÜHRUNG DER BUNDESGESETZE UND BUNDESVERWALTUNG] [1.1. ART. 112/2 UND ART. 114: BUNDESGESETZ UND ZUSTIMMUNG DURCH BUNDESRAT]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir fahren fort in der Beratung von Abschnitt X Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung. Der Unterausschuß, den wir heute vormittag mit der Formulierung der Richtlinien betraut haben3), die wir zu Art. 114 – nach der Zählung des Redaktionsausschusses vereinbart hatten, hat uns eine Vorlage ausgearbeitet. Ich nehme an, daß sie allgemein verteilt worden ist, und glaube, daß wir diese Vorlage den weiteren Beratungen zugrunde legen können. Dr. Kleindinst (CSU): Zu dieser Vorlage wird Herr Dr. Süsterhenn Ihnen einen Antrag unterbreiten, der gerade geschrieben wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können aber vielleicht in der Zwischenzeit über diese Vorlage debattieren. Vielleicht spricht am besten zuerst Herr Zinn als Berichterstatter des Unterausschusses. Zinn (SPD): Der Unterausschuß, der unter Vorsitz von Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff getagt hat, schlägt vor, wie bereits im Hauptausschuß angeregt, den Art. 112/2 Abs. 4 zu streichen und dafür den Art. 114 mit folgender Fassung beizubehalten: Neue Weisungsrechte (Art. 113) können durch Bundesgesetz eingeführt werden. Ein solches Bundesgesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrats. 1)

Protokollführer Strätling. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Vgl. die 35. Sitzung des HptA vom 12. Jan. 1949; oben Dok. Nr. 35, S. 1087 f. 2)

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Dieser Art. 114 soll also festlegen, in welcher Weise die Durchführung eines Bundesgesetzes durch die Länder nach Weisung des Bundes erfolgen kann. Herr Kollege von Brentano stand auf dem Standpunkt, daß ein solches Gesetz von der Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats abhängig gemacht werden sollte. Weiterhin hat man entsprechend der Anregung des Hauptausschusses von heute morgen einen Artikel formuliert, der noch in die Übergangsvorschriften aufgenommen werden soll. Durch diesen Artikel soll bis zu einer anderweitigen gesetzlichen Regelung, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 1954, dem Bund auf gewissen Gebieten, auf denen eine einheitliche Regelung im gesamten Bundesgebiet erforderlich ist, ein Weisungsrecht eingeräumt werden. Es handelt sich um die Gebiete, die bereits in Art. 114 Abs. 1 der Fassung des Redaktionsausschusses aufgeführt worden sind, aber erweitert um den Art. 36 Ziffer 22, der sich mit Bahnen, soweit sie andere als Bundesbahnen sind, befaßt. Der Artikel würde dann lauten: Auf den Gebieten des Art. 35 Ziffer 4 und 5, des Art. 36 Ziffer 7, 11, 12, 15, 16, 20 und 22 steht dem Bunde bis zu einer anderweitigen gesetzlichen Regelung, längstens bis zum 31. 12. 1954, ein Weisungsrecht (Art. 113) zu. Wenn bis zum 31. Dezember 1954 eine gesetzliche Regelung nicht eintritt, würde das Weisungsrecht auf Grund dieser Vorschrift erlöschen. Wenn eine gesetzliche Regelung erfolgt, kann sie dieses Weisungsrecht neu begründen, es für einzelne Gebiete aber auch abschaffen. Es ist also alles völlig in die Hand des Bundesgesetzgebers gegeben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich werde soeben darauf aufmerksam gemacht, daß der Berichterstatter der CDU4), der hierzu sprechen sollte, erkrankt ist und daß deswegen von der Fraktion der CDU nur sehr schwer diskutiert werden könnte. Der Hauptausschuß beschließt hierauf, die Beratung und Beschlußfassung über die Art. 112/2 Abs. 4 bis 114 auszusetzen.

[1.2. ART. 115: BUNDESEIGENE VERWALTUNGEN]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe auf Art. 115 in der Fassung des Vorschlags Dr. Laforet, Dr. Hoch (PR. 1.49 – 487)5): Führt der Bund die Bundesgesetze durch bundeseigene Verwaltung oder durch bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts aus, so erläßt die Bundesregierung, soweit nicht das Gesetz Besonderes vorschreibt, die allgemeinen Verwaltungsvorschriften. Sie regelt, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, mit Zustimmung des Bundesrats die Einrichtung der Behörden. Ich lasse abstimmen. – Art. 115 ist in der verlesenen Fassung einstimmig angenommen.

4) 5)

Felix Walter. Zu Drucks. Nr. 487 vom 11. Jan. 1949 vgl. oben Dok. Nr. 35, S. 1062, Anm. 3.

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Sechsunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses 12. Januar 1949 [1.3. ART. 116: OBERSTE BUNDESBEHÖRDEN]

Ich rufe auf Art. 116 in der Vorlage des allgemeinen Redaktionsausschusses (PR. 12.48 – 374). Dr. Laforet (CSU): Im Einverständnis mit Herrn Kollegen Dr. Hoch bitte ich zu formulieren: „neue bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts“. Sonst muß man sagen, daß juristische Personen des öffentlichen Rechts gemeint sind. Theoretisch sind aber sowohl Personenvereinigungen wie Anstalten möglich. Wenn ich nicht irre, war es Herr Kollege Dr. Greve, der darauf aufmerksam gemacht hat, daß es sich hier nicht nur um Versicherungsträger handelt, sondern daß möglicherweise auch andere wirtschaftliche Gebilde in Frage stehen. Sie können in doppelter Form gefaßt sein: in der Form einer Personenvereinigung, einer Körperschaft und einer Anstalt. Wir werden dann bei allen Stellen, bei denen das nötig ist, die Worte „bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten“ wählen. In Art. 116 heißt es dann: Außerdem können für Angelegenheiten . . . selbständige Bundesoberbehörden und neue bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts durch Bundesgesetz errichtet werden. Die Errichtung selbständiger Bundesoberbehörden bedarf der Zustimmung der Mehrheit, die Errichtung bundesunmittelbarer Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts der Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats. Das Ganze ist nur eine redaktionelle Änderung. [S. 446] Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lese den Artikel absatzweise vor. Wenn diskutiert werden soll, bitte ich, das Wort zu den einzelnen Absätzen zu nehmen. (1) In bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau werden geführt der Auswärtige Dienst, die Bundeseisenbahn und die Bundespost. Dr. Dehler (FDP): Ich möchte noch einmal die Frage aufwerfen, ob der Auswärtige Dienst in seiner Bedeutung als Verwaltung nicht näher umschrieben werden sollte, wie es etwa in Art. 78 der Weimarer Verfassung6) geschehen ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich halte das an sich nicht für nötig. Was ein Auswärtiger Dienst zu tun hat, wenn man von einem Auswärtigen Dienst mit bundeseigenem Unterbau spricht, ist klar umrissen. Und wenn obendrein in Art. 81 gesagt ist, daß der Verkehr mit auswärtigen Mächten Sache des Bundespräsidenten ist, sollten keine Zweifel mehr bestehen können. Wir brauchen darum, meine ich, nicht noch besonders zu stipulieren, daß die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten Sache des Bundes ist. Vielleicht täusche ich mich, aber ich glaube, daß die Bezeichnung „der Auswärtige Dienst“ eigentlich genügt. Es steht dort der bestimmte Artikel; es heißt nicht, ein auswärtiger, sondern der Auswärtige Dienst. Das schließt eigentlich andere auswärtige Dienste aus, die, wie ich annehme, übrigens auch niemand will. Ich lasse über Abs. 1 in der verlesenen Fassung abstimmen. – Angenommen.

6)

Für den Wortlaut des Art. 78 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 vgl. oben Dok. Nr. 35, S. 1092, Anm. 34.

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Abs. 2: Als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts werden diejenigen sozialen Versicherungsträger geführt, in deren Bereich der Gefahrenausgleich die einheitliche Zusammenfassung für das ganze Bundesgebiet erfordert. Dr. Schäfer (FDP): Diese Bestimmung scheint mir nicht ganz eindeutig zu sein. Hier steht in der Vorlage: „. . . in deren Bereich der Gefahrenausgleich die einheitliche Zusammenfassung für das ganze Bundesgebiet erfordert.“ Die Einrichtungen der Sozialversicherung sind auf Grund von Reichsgesetzen7) geschaffen worden; ihre Gliederung, der Zuständigkeitsbereich, ist durch Gesetz geregelt. Wenn man das jetzt abstellt auf ein so vages Merkmal wie die Notwendigkeit eines Gefahrenausgleichs – ich nehme an, es soll der Wagnis-, der Risikoausgleich damit gemeint sein –, ergibt sich jede Möglichkeit, nach Belieben zu interpretieren. Das kann darauf hinauslaufen, daß beispielsweise ein Land auf dem Gebiete der Unfallversicherung erklärt: Ein Unfallversicherungsträger bedarf eines Gefahrenausgleichs mit Versicherungsträgern anderer Gebiete nicht, er macht seinen Gefahrenausgleich für sich; infolgedessen ist das Erfordernis einer bundesunmittelbaren Selbstverwaltung auf diesem Gebiete nicht gegeben. Dann wird gegebenenfalls der Staatsgerichtshof in Anspruch genommen, und der soll dann über die versicherungstechnische oder versicherungswirtschaftliche Frage entscheiden, ob ein Gefahrenausgleich notwendig ist oder nicht. Hinzu kommt, daß eine derartige Feststellung auf Grund von Ziffern zu wechselnden Ergebnissen kommen muß. Es kann eine Situation eintreten, in der die Wagnisse in einem Teilgebiet günstiger sind. Es kann im nächsten Jahre das Gegenteil eintreten8). Mit dieser Abhängigkeit vom Begriff des Gefahrenausgleichs können wir in eine ständig wechselnde Gesetzgebung hineingeraten. Ich möchte vorschlagen, zu sagen: . . . werden diejenigen sozialen Versicherungsträger geführt, deren Zuständigkeitsbereich über das Gebiet eines Landes hinausgeht. Dann ist es klar und eindeutig. Der Zuständigkeitsbereich des Versicherungsträgers ist durch das Reichsgesetz geregelt, das die personelle und örtliche Zuständigkeit festlegt. Dr. Kleindinst (CSU): Dieser Abs. 2 ist für die Angestelltenversicherung und für die Arbeitslosenversicherung gedacht. Hier ist der Gefahrenausgleich für das ganze Bundesgebiet gesetzlich geregelt. Wir sind im Zuständigkeitsausschuß dazu gekommen, noch weitere bundesunmittelbare Körperschaften vorzusehen, weil gar nicht vorausgesehen werden kann, für welche Aufgaben sie noch nötig werden. Dazu ist der Abs. 3 bestimmt. Ich glaube also, man kann es ruhig bei dieser Fassung lassen, weil für diese beiden Gebiete der Sozialversicherung der Gefahrenausgleich für das ganze Bundesgebiet gesetzlich festgelegt ist; andere Gebiete kommen zur Zeit nicht in Frage. Dr. Laforet (CSU): Die geschichtliche Entwicklung der Bestimmung ist von Herrn Kollegen Dr. Kleindinst schon dargelegt worden: es kommen nur die sozialen Ver7) 8)

Statt „Reichsgesetzen“ im stenograph. Wortprot., S. 7: „Bundesgesetzen“. „Es kann im nächsten Jahre das Gegenteil eintreten.“, fehlt im stenograph. Wortprot., S. 7.

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sicherungsträger in Frage, die bestimmungsgemäß für das ganze Bundesgebiet wirken sollen. Wenn wir sagen, daß der Gefahrenausgleich oder die Tätigkeit über das Gebiet eines einzelnen Landes hinausgeht, kommen wir in Konflikte. (Dr. Schäfer [FDP]: Nicht Gefahrenausgleich! Ich habe gesagt: Zuständigkeitsgebiet.) – Sie wissen, daß unsere Berufsgenossenschaften ganz verschieden gestaltet sind. Es gibt Versicherungsträger, die für das ganze Gebiet bestehen; es gibt solche, die nur für bestimmte Länder bestehen. Die Regelung dieses Versicherungsrechts bestimmt sich ausschließlich nach Versicherungsgesetzen. Hier steht nur in Frage, ob diejenigen sozialen Versicherungsträger, die für das ganze Bundesgebiet tätig sind, einheitlich für das ganze Bundesgebiet zusammengefaßt werden können; mehr steht nicht drin. Es ist der näheren Regelung unserer RVO9) überlassen, wie sie es mit den anderen Versicherungsträgern macht. Ich habe auch im ersten Augenblick Bedenken gehabt, ob hier nicht eine Schwierigkeit für denjenigen entsteht, der das Recht der RVO vor sich hat. Aber ich habe die Bedenken zurücktreten lassen können, weil nichts anderes gesagt wird, als daß diese Körperschaften des öffentlichen Rechts – hier solche besonderer Art – ihr Verwaltungsgebiet bestimmungsgemäß auf das ganze Bundesgebiet erstrecken. Mehr darf nicht gesagt werden, sonst bekommen wir Schwierigkeiten in der Gestaltung der anderen Versicherungsträger. Dr. Schäfer (FDP): Ich finde in den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Laforet meine Erwägungen eigentlich bestätigt; denn er hat selber immer nur von dem Aufgabenbereich und von dem gesprochen, was ich mit dem Begriff Zuständigkeit der Versicherungsträger bezeichnet habe. Ich wende mich nicht dagegen, daß Versicherungsträger, deren Bereich sich auf das Gebiet eines Landes erstreckt, unter der Aufsicht von Landesbehörden stehen sollen. Es sind auch jetzt schon örtliche Versicherungsträger der Aufsicht der Versicherungsämter unterstellt. Es handelt sich hier vielmehr darum, daß der Begriff des Gefahrenausgleichs eine Konfusion in die Entwicklung hineinzutragen droht. Er ist so unbestimmt, so willkürlicher Deutung zugänglich, daß er der Auslegung nach Belieben Tür und Tor öffnet. Ich stelle mir die ungewöhnliche Situation vor, daß das Bundesverfassungsgericht in einem Konfliktfall entscheiden soll, ob versicherungswirtschaftlich gesehen ein Gefahrenausgleich erforderlich ist oder nicht. Dagegen richten sich meine Bedenken, und deswegen möchte ich diese Abhängigkeit des Gesetzgebers vom sogenannten Gefahrenausgleich wegfallen lassen und die Entscheidung über die Bundeszuständigkeit auf den Zuständigkeitsbereich der Versicherungsträger abstellen. Ich würde also vorschlagen, zu sagen: . . . deren Zuständigkeitsbereich über das Gebiet eines Landes hinausgeht. Dr. Laforet (CSU): Bitte nicht so, sondern: der das ganze Bundesgebiet umfaßt. (Widerspruch. – Dr. Schäfer [FDP]: Das geht zu weit!) – Die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte – auch die dann etwa wieder entstehende Reichsanstalt [S. 447] für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung – umfaßte das ganze Reichsgebiet10). Sie dürfen nicht an das Land anknüpfen, 9)

Die Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 19. Juni 1911 (RGBl. I, S. 509) bildete die gesetzliche Grundlage der Sozialgesetzgebung im Deutschen Reich. 10) Statt „Reichsgebiet“ im stenograph. Wortprot., S. 10: „Bundesgebiet“.

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sonst kommen wir mit dem Recht der RVO in Konflikt. Aber ich habe nichts dagegen, wenn das Wort „Gefahrenausgleich“ herauskommt und es dann heißt: diejenigen sozialen Versicherungsträger, deren Bereich das ganze Bundesgebiet erfaßt. Renner (KPD): Ich freue mich, daß die Diskussion über diesen Punkt heute so breite Formen angenommen hat. Die Gedankengänge, die heute hier zum Ausdruck gebracht werden, habe ich mit gewissen Varianten bereits in der ersten Lesung vorgetragen. Es gibt Versicherungsträger zweierlei Art: Versicherungsträger, deren Tätigkeits- oder Wirkungsbereich sich über das ganze Bundesgebiet, früher also das alte Reich, erstreckt, und Versicherungsträger in den einzelnen Ländern. Aber die Verwaltung der Versicherungsträger nach der RVO war Landesangelegenheit. Wir hatten Landesversicherungsanstalten, etwa der Rheinprovinz usw. Worauf es mir ankommt und was ich bei der ersten Lesung auch schon gesagt habe, ist folgendes. Das Argument, daß ein Lastenausgleich notwendig sei, trifft meines Erachtens nicht nur auf die beiden Versicherungsträger zu, von denen die Herren von der CDU gesprochen haben. Die Notwendigkeit eines Lastenausgleichs ist bei der derzeitigen finanziellen Lage aller Versicherungsträger wohl für das Bundesgebiet in seiner Gesamtheit gegeben. Es wird zum Beispiel nicht bestritten werden können, daß eine Landesversicherungsanstalt etwa in Bayern einen Lastenausgleich nicht in dem Umfange nötig hat wie die Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein, wo durch das Zuströmen von Flüchtlingen und Vertriebenen ein erheblich größerer Personenkreis Leistungsberechtigter anfällt. Man sollte also das Moment des Lastenausgleichs für das gesamte Reich und für alle Versicherungsträger über den bisherigen Rahmen hinaus anerkennen. Auch aus einem anderen Grunde darf man nicht nur von Versicherungsträgern sprechen, deren Tätigkeitsbereich sich über das ganze Reich oder das ganze Bundesgebiet erstreckt. Wenn wir diese Einschränkung hier akzeptieren, erschweren wir eine doch von allen Seiten gewünschte Vereinheitlichung der Sozialversicherungsgesetzgebung in ihrer Gesamtheit und erschweren auch die zum Beispiel von den Gewerkschaften getragenen Bestrebungen, den Versicherten im Bundesmaßstab ein bestimmtes, mindestens den Rahmen der alten Rechte ausfüllendes Mitbestimmungsrecht zu gewähren. Man sollte also das, was hier steht, auf sämtliche Versicherungsträger ausdehnen, wobei das Recht der Länder, diese Versicherungsträger zu verwalten, durchaus bejaht wird. Man sollte den Nachsatz: „in deren Bereich der Gefahrenausgleich die einheitliche Zusammenfassung . . . erfordert“ einfach weglassen; denn das ist eine Selbstverständlichkeit. Dieses Moment war bei der Schaffung der Versicherungsträger von Anfang an berücksichtigt. Die Notwendigkeit, den Lastenausgleich jetzt auf das ganze Bundesgebiet auszudehnen, wird doch keiner bestreiten, der die finanzielle Lage der Versicherungsträger kennt. Ich rege also an, den Nachsatz zu streichen und einfach zu sagen: Als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts werden die sozialen Versicherungsträger anerkannt. Dr. Greve (SPD): Ich glaube, man kann dem, was Herr Kollege Dr. Laforet sagte, nicht folgen, daß man bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts nur dann zulassen sollte, wenn die Sozialversicherungsträger sich auf das ganze Bundesgebiet erstrecken. Man müßte hier vielleicht dem Antrag von Herrn Dr.

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Schäfer folgen, und zwar schon aus rein praktischen Erwägungen. Ich erinnere zum Beispiel an die Seeberufsgenossenschaft, die sich zweifellos über mehrere Länder, aber nicht über das ganze Bundesgebiet erstreckt. Es wäre doch erforderlich, auch auf diesem Gebiet eine bundesunmittelbare Körperschaft zu errichten. Nehmen Sie weiter die Knappschaften. (Renner [KPD]: Die waren immer Reichsanstalten!) – Sicher! Aus diesem Grunde ist es nicht möglich, die Ausdehnung auf das gesamte Bundesgebiet zur Voraussetzung zu machen. Wie Herr Kollege Schäfer sagt, muß darauf abgestellt werden, ob der Zuständigkeitsbereich sich über den Rahmen eines Landes hinaus erstreckt. Schon wenn der Bereich über ein Land hinausgeht, ist es nicht mehr möglich, ein oder zwei Länder allein zuständig sein zu lassen, sondern dann ist es nötig, bundesunmittelbare Körperschaften entstehen zu lassen. Dr. Laforet (CSU): Ich bin mit dem, was hier angeregt worden ist, einverstanden; denn es ließe sich auch mit dieser Fassung das Notwendige regeln. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse darüber abstimmen, ob der Abs. 2 des Art. 116 insoweit abgeändert werden soll, daß es statt „.. . in deren Bereich der Gefahrenausgleich die einheitliche Zusammenfassung für das ganze Bundesgebiet erfordert“ nunmehr heißt: „. . . deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt.“ – Es ist so beschlossen. Ich lasse nun über den ganzen Absatz abstimmen. – Einstimmig angenommen. Wir kommen zu Abs. 3: Außerdem können für Angelegenheiten, für die dem Bund die Gesetzgebung zusteht, selbständige Bundesoberbehörden und neue bundesunmittelbare Körperschaften – hier wird nun beantragt, hinzuzufügen: und Anstalten – des öffentlichen Rechts durch Bundesgesetz errichtet werden. Die Errichtung selbständiger Bundesoberbehörden bedarf der Zustimmung der Mehrheit, die Errichtung bundesunmittelbarer Körperschaften – und Anstalten – des öffentlichen Rechts der Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats. Dr. Hoch (SPD): Ich beantrage, den zweiten Satz dieses dritten Absatzes zu streichen. Ich stoße mich nicht so sehr daran, daß für die Errichtung selbständiger Bundesoberbehörden die Zustimmung der Mehrheit des Bundesrats erforderlich ist, als daran, daß für die Errichtung bundesunmittelbarer Körperschaften des öffentlichen Rechts zwei Drittel der Stimmen des Bundesrats notwendig sein sollen, also eine besonders hohe qualifizierte Mehrheit. Ich weise dabei auf folgende Konsequenz hin. Es handelt sich hier unter Umständen um Sozialisierung über den Bereich eines Landes hinaus. Nun können wir nach Art. 15 Naturschätze und Produktionsmittel auf Grund eines einfachen Gesetzes in Gemeineigentum überführen. Wir dürften also auch, wenn dieser zweite Satz stehenbleibt, eine selbständige Bundesoberbehörde für den Bergbau schaffen; aber das wäre nur in dieser verhältnismäßig leichten Form, in der bürokratischen Form des Staatsbetriebes möglich und nicht in der minder bürokratischen Form einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit gewisser Selbständigkeit.

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Nun glaube ich nicht, daß in diesem Gremium eine Einigkeit über die Notwendigkeit einer Sozialisierung und darüber, ob sie wünschenswert ist, zu erzielen ist. Aber ich glaube, es ist Einigkeit darüber vorhanden, daß, wenn man sozialisiert, man es dann besser offenläßt, ob man das nicht in einer weniger bürokratischen Form tun kann. Aus diesen Gründen bitte ich, den zweiten Satz zu streichen. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich möchte für die Beibehaltung dieses zweiten Satzes plädieren, und zwar aus der grundsätzlichen Erwägung heraus, die überhaupt zu der Aufnahme dieses Gedankens hier geführt hat. Der Grundsatz, der in der Verfassung [S. 448] niedergelegt ist, will, daß die Verwaltung, insbesondere mit eigenem Verwaltungsunterbau, eine Angelegenheit der Länder ist. Dieser Grundsatz kann an sich nur auf dem Wege der Verfassungsänderung geändert werden. Wenn man hier dem Bunde die Möglichkeit geben würde, durch einfaches Bundesgesetz in beliebiger Form bundesunmittelbare Selbstverwaltungskörperschaften auch mit eigenem Unterbau bis in die Länder hinein zu schaffen, dann würde das unter Umständen dazu führen, daß auf diesem Wege das Verwaltungsrecht der Länder in der unteren Instanz ausgehöhlt wird. Wenn aber ein derartiger Weg beschritten werden soll, dann erscheint es doch nötig, den Bundesrat mit einer qualifizierten Mehrheit zustimmen zu lassen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, den zweiten Satz zu streichen. Ich stelle den Antrag zur Abstimmung. – Der Antrag auf Streichung ist mit 11 gegen 10 Stimmen abgelehnt. Dr. Menzel (SPD): Ich möchte beantragen, Satz 2 des Abs. 3 wie folgt zu fassen: Die Errichtung selbständiger Bundesoberbehörden und die Errichtung bundesunmittelbarer Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts bedarf der Zustimmung des Bundesrats. Das steht in Übereinstimmung mit dem, was wir neulich in Art. 105 mit den Stimmen der Herren der Rechten bei der Umwandlung von Selbstverwaltungsangelegenheiten der Länder in Weisungsangelegenheiten beschlossen haben. Man könnte sich auch hier mit der Zustimmung des Bundesrats begnügen; denn damit dürften die Interessen der Länder gewahrt sein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über diesen Antrag Dr. Menzel abstimmen. – Abgelehnt mit 11 gegen 10 Stimmen. Dr. Menzel (SPD): Dann möchte ich beantragen: Die Errichtung selbständiger Bundesoberbehörden sowie die Errichtung bundesunmittelbarer Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts bedarf der Zustimmung der Mehrheit des Bundesrats. (Dr. Laforet [CSU]: Das ist ja eben abgelehnt worden!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Abgelehnt worden ist die Formulierung: „bedarf der Zustimmung des Bundesrats.“ Hier geht es um die Mehrheit der Stimmen. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich habe außerordentliche Bedenken, ob eine Abstimmung über diesen Antrag noch möglich ist, da er identisch ist mit dem ersten Antrag Dr. Menzel, statt der Zweidrittelmehrheit eine einfache Mehrheit zu setzen. Der Ausschuß hat seinen Willen zum Ausdruck gebracht, an der Zweidrittelmehrheit festzuhalten. Ich glaube nicht, daß nach diesem Beschluß eine weitere Beschlußfassung möglich ist.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Es gibt folgende Möglichkeiten. Die erste ist, die Mitwirkung des Bundesrats über seine einfache Mitwirkung bei der Gesetzgebung hinaus überhaupt herauszulassen. Die zweite Möglichkeit ist, den Bundesrat mitwirken zu lassen, und zwar im Maximum, das hier gefordert ist, mit einer Zweidrittelmehrheit. Dann käme als Minimum, die einfache Mehrheit zuzulassen. Es gibt ferner eine Lösung dazwischen, und diese ist soeben hier beantragt worden: eine insoweit qualifizierte Mehrheit, als mindestens 51 Prozent der Stimmen des Bundesrats sich dafür aussprechen müssen. Dr. Süsterhenn (CDU): Dann müßte über den weitergehenden Antrag zunächst abgestimmt werden, und das ist der mit der Zweidrittelmehrheit. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe zunächst Abänderungsanträge zu dieser Fassung zur Abstimmung gestellt. Ich glaube, das ist geschäftsordnungsmäßig richtig; sonst hätte ich satzweise abstimmen [lassen] müssen. Ich lasse dann über den letzten Eventualantrag von Dr. Menzel abstimmen, wonach die Errichtung usw. der Zustimmung der Mehrheit der Stimmen des Bundesrats bedürfen soll. Abgelehnt mit 11 gegen 10 Stimmen. Dann lasse ich über Abs. 3 in der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen, und zwar mit dem jeweils vereinbarten Zusatz: „und Anstalten“ hinter „Körperschaften“. Über diese Hinzufügung brauche ich wohl nicht besonders abstimmen zu lassen. – Mit 12 gegen 1 Stimme bei Stimmenenthaltungen angenommen. Wir kommen zu Abs. 4: Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank. Ich lasse abstimmen. – Angenommen. Dann lasse ich über den gesamten Art. 116 abstimmen. – Mit 18 gegen 1 Stimme angenommen.

[1.4. ART. 117: BUNDESEISENBAHN, POST- UND FERNMELDEWESEN]

Ich rufe auf

Art. 117 (1) Die Bundeseisenbahn sowie das Post- und Fernmeldewesen werden als einheitliche Verkehrsanstalten des Bundes verwaltet. (2) Die Verwaltung der Bundeseisenbahn und der Bundespost bestellen je einen ständigen Vertreter bei den Landesregierungen. Wird die Bundeseisenbahn in eine andere Verwaltungsform als die der Bundesverwaltung übergeführt, so gilt diese Bestimmung entsprechend. (3) Das Nähere regelt – und nun muß es richtig heißen – ein Bundesgesetz. Ich lasse abstimmen, und zwar absatzweise. – Abs. 1 ist einstimmig angenommen. Ich lasse über Abs. 2 abstimmen. – Abs. 2 ist mit 17 gegen 3 Stimmen angenommen. Ich lasse über Abs. 3 abstimmen. – Abs. 3 ist angenommen.

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[1.5. ART. 118: BUNDESWASSERSTRASSEN]

Wir kommen zu

Art. 118 (1) Der Bund ist Eigentümer der bisherigen Reichswasserstraßen. Ich lasse abstimmen. – Ohne Gegenstimmen angenommen. Abs. 2 lautet: Der Bund verwaltet durch eigene Behörden die Bundeswasserstraßen und solche über den Bereich eines Landes hinausgehende staatliche Verwaltungsaufgaben der Binnenschiffahrt auf den Bundeswasserstraßen und der Seeschiffahrt, die ihm durch Gesetz übertragen werden. (Zinn [SPD]: Das ist geändert!) Dr. Laforet (CSU): Dazu liegt ein Nachtrag vom Redaktionsausschuß vor. Zinn (SPD): Ich darf den Vorschlag vorlesen: Der Bund verwaltet durch eigene Behörden die Bundeswasserstraßen und solche über den Bereich eines Landes hinausgehende staatliche Aufgaben der Binnenschiffahrt auf den Bundeswasserstraßen und Aufgaben der Seeschifffahrt, die ihm durch Gesetz übertragen werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es heißt dann weiter in Abs. 2: Er kann die Verwaltung von Bundeswasserstraßen, soweit sie im Gebiet eines Landes liegen, diesem Land auf Antrag übertragen. Berührt eine Wasserstraße das Gebiet mehrerer Länder, so kann der Bund dasjenige Land mit der Verwaltung beauftragen, für das die beteiligten Länder dies beantragen. (Renner [KPD]: Und wenn sie nicht einig werden?) [S. 449] – An wen denken Sie? (Renner [KPD]: Die beteiligten Länder!) – Es heißt doch: „so kann der Bund dasjenige Land mit der Verwaltung beauftragen, (Renner [KPD]: Es heißt hier: „. . . für das die beteiligten Länder dies beantragen“!) Ich lasse über Abs. 2 in der geänderten Fassung abstimmen. – Mit allen Stimmen gegen 1 angenommen. Wir kommen zu Abs. 3: Bei der Verwaltung, dem Ausbau und dem Neubau von Wasserstraßen sind die Bedürfnisse der Landeskultur und der Wasserwirtschaft im Einvernehmen mit den Ländern zu wahren. Ich lasse abstimmen. – Abs. 3 ist mit allen Stimmen angenommen. Abs. 4: Zur Mitwirkung in den Angelegenheiten der Wasserstraßen werden bei den Bundeswasserstraßen nach näherer Anordnung der Bundesregierung unter Zustimmung des Bundesrats Beiräte gebildet. Dr. Greve (SPD): Das muß wohl heißen: „. . . bei den Behörden der Bundeswasserstraßenverwaltung“. Dr. Laforet (CSU): Es heißt zwar in Abs. 5 des Art. 118, daß das Nähere durch das Gesetz geregelt wird, aber aus den Verhandlungen im Zuständigkeitsausschuß möchte ich doch berichten, daß man unter dem Wort „Beiräte“ nicht nur beratende, sondern beschließende Körper verstehen will.

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(Dr. Greve [SPD]: Das ist neu!) – Das Nähere ist zwar dem Gesetz überlassen, aber ich habe mir das aus den Verhandlungen im Zuständigkeitsausschuß hierzu vorgemerkt und bitte, daß das geklärt wird. Dr. Greve (SPD): Ich glaube, wir weichen dann von der Terminologie ab. Unter „Beiräten“ versteht man bisher keine beschließenden, sondern beratende Organe. Wenn die Auffassung der Mehrheit des Ausschusses sein sollte, daß diese Institutionen beschließende Organe sein sollen, dann müßte man statt „Beiräte“ sagen „Ausschüsse“; sonst kommen wir mit der Terminologie ohne Zweifel durcheinander. Dr. Hoch (SPD): Ich kann nur bestätigen, was Dr. Laforet gesagt hat: Wir waren uns einig, es sollte eine beschließende Mitwirkung erfolgen. Ich würde auch empfehlen, das Wort „Beiräte“ durch „Ausschüsse“ zu ersetzen. (Dr. Laforet [CSU]: Einverstanden.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann besteht Einverständnis darüber, daß wir „Beiräte“ durch „Ausschüsse“ ersetzen und in Zeile 2 des Absatzes sagen: „werden bei den Behörden der Bundeswasserstraßenverwaltung . . .“ Abs. 4 würde dann lauten: Zur Mitwirkung in den Angelegenheiten der Wasserstraßen werden bei den Behörden der Bundeswasserstraßenverwaltung nach näherer Anordnung der Bundesregierung unter Zustimmung des Bundesrats Ausschüsse gebildet. Ich lasse abstimmen. – Abs. 4 ist in dieser Fassung mit 14 Stimmen bei Stimmenthaltungen angenommen. Wir stimmen über Abs. 5 ab: Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Mit allen Stimmen angenommen. Ich lasse nun über den gesamten Art. 118 abstimmen. – Angenommen mit 18 Stimmen bei Stimmenthaltungen.

[1.6. ART. 118a: AUTOBAHNEN]

Wir gehen über zu

Art. 118a (1) Der Bund ist Eigentümer der bisher im Eigentum des Reiches stehenden Autobahnen (Bundeskraftfahrstraßen). Die bisherigen Reichsstraßen sind Eigentum des Landes, in dem sie liegen. Dr. Hoch (SPD): Dazu habe ich einen Abänderungsantrag (PR. 1.49 495) gestellt. Vielleicht kann man beides zunächst einmal zusammen diskutieren. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Abänderungsantrag Dr. Hoch lautet: (1) Der Bund ist Eigentümer der bisherigen Reichsautobahnen und Reichsstraßen. Dr. Hoch (SPD): In der Beratung der ersten Lesung hat Herr Dr. Höpker Aschoff gegen einen von mir gestellten Antrag insofern Bedenken erhoben, als ich ein Eigentum des Bundes für die Reichsstraßen nicht vorgesehen hatte. Der Satz 2, wie ich ihn in der ersten Lesung beantragt hatte, sah vor, daß die Verwaltung nicht nur der

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Bundesautobahnen, sondern auch der großen Fernverkehrsstraßen nach Weisung erfolgen sollte. Herr Dr. Höpker Aschoff hatte damals erklärt, er könne deswegen nicht mitstimmen, weil nicht auch das Eigentum des Bundes an den Reichsstraßen vorgesehen sei. Deshalb hat er gewünscht, auch die Reichsstraßen in das Eigentum des Bundes zu überführen. Um diesem Wunsch zu entsprechen, also die Weisungsverwaltung für die Fernverkehrsstraßen zu ermöglichen, habe ich in Abs. 1 vorgeschlagen, daß der Bund Eigentümer sowohl der Reichsautobahnen als auch der Reichsstraßen ist. Kaufmann (CDU): Nur der Klärung halber möchte ich darauf aufmerksam machen, daß die Verwaltung für Verkehr auf die Eigentumsverhältnisse gar keinen Wert legt und daß der Direktor der Verwaltung für Verkehr erklärt hat, unter Umständen verzichte er auch auf das Eigentumsrecht an den Autostraßen, da es ihm lediglich darauf ankomme, daß Bau, Bearbeitung und Pflege der Straßen nach Weisung der Verkehrsverwaltung erfolgten. (Renner [KPD]: Dann braucht er nicht zu zahlen!) – Natürlich muß er bezahlen. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich habe Bedenken gegen den Antrag Dr. Hoch, weil wir damit praktisch eine Enteignung der Länder hinsichtlich des Eigentums an diesen Straßen beschließen würden. (Zinn [SPD]: Es sind ja Reichsstraßen!) – Diese Straßen waren wohl hinsichtlich der Verkehrsverwaltung als Reichsstraßen deklariert, aber ein Eigentum des Reiches an diesen Straßen hat niemals bestanden; (Widerspruch) denn diese Straßen sind doch von den Ländern gebaut worden. (Zinn [SPD]: Das stimmt nicht!) Dr. Hoch (SPD): Ich glaube, was Herr Kollege Dr. Süsterhenn gesagt hat, beruht auf einem Irrtum. Die Reichsstraßen waren Eigentum des Reiches, aber sie wurden im Auftrage des Reiches durch die Länder, in Preußen durch die Provinzialverwaltungen, verwaltet. Das möchte ich jetzt wieder erreichen. Es ändert sich also nichts an den Eigentumsverhältnissen. Mir ist im übrigen bekannt, daß der Direktor der Verwaltung für Verkehr die Auffassung hat, daß ein Eigentumsrecht des Bundes an sich nicht erforderlich ist, eine Ansicht, die auch ich geteilt habe. Ich hatte dementsprechend in der ersten Lesung meinen Antrag gefaßt. Mein Antrag hat aber aus den angeführten Gründen nicht die Zustimmung von Herrn Höpker Aschoff gefunden. Um seinen Bedenken Rechnung zu tragen, habe ich den jetzigen Antrag gestellt. Entscheidend ist, daß die Verwaltung der großen Fernverkehrsstraßen nach Weisung einer Zentralstelle nach einheitlichen Gesichtspunkten erfolgt. Das möchte ich erreichen, und da ich es nicht anders erreichen kann, weil nämlich die Stimme des Kollegen Höpker Aschoff erforderlich wäre – wenigstens nach der bisherigen Einstellung der Herren der CDU –, habe ich diesen Vorschlag gemacht. Wenn Sie heute [S. 450] bereit sind, mitzumachen, daß also die großen Fernverkehrsstraßen nach Weisung des Bundes verwaltet werden, dann kommt es mir auf die Eigentumsfrage überhaupt nicht an. Kaufmann (CDU): Ich habe mich soeben noch einmal an maßgebender Stelle erkundigt und festgestellt, daß die Besitzverhältnisse tatsächlich nicht klar sind. Was

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Herr Dr. Süsterhenn gesagt hat, stimmt also: wir würden durch einen solchen Beschluß den Ländern etwas wegnehmen. (Dr. Hoch [SPD]: Für welche Zeit? Seit 1945 oder vor 1945? Dr. Greve [SPD]: Das haben die Länder sich nämlich unter den Nagel zu reißen versucht!) – Nein, das stimmt nicht! Der andere Weg, den Sie soeben vorgeschlagen haben, wäre etwas anderes. Dr. Hoch (SPD): Wir kommen um die Frage sofort herum. Wenn Sie meinem letzten Vorschlag zustimmen, habe ich keine Bedenken, daß man das Eigentum auch an den Autobahnen den Ländern überträgt. Ich habe nur deshalb Hemmungen, weil diese großen Fernverkehrsstraßen wahrscheinlich auch in der Zukunft überwiegend vom Bund werden finanziert werden müssen. Dann wäre es, glaube ich, zweckmäßig, ihm auch das Eigentum zuzuweisen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen. Am weitesten geht der Antrag Dr. Hoch. – Der Antrag Dr. Hoch ist mit 12 gegen 9 Stimmen angenommen. Wir kommen zu Abs. 2: Die Länder verwalten die Bundeskraftfahrstraßen nach Weisung des Bundes. Das ist die Fassung des Redaktionsausschusses. Nach dem Antrag Dr. Hoch heißt es: Die Länder oder die nach Landesrecht damit beauftragten Selbstverwaltungskörperschaften verwalten die Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs nach Weisung des Bundes. Dr. Hoch (SPD): Ich habe hinzugefügt, daß die nach Landesrecht beauftragten Selbstverwaltungskörperschaften usw. verwalten, weil ich die Regelung, wie sie im Gebiet des früheren Preußen üblich war und die sich gut bewährt hat, aufrechterhalten wissen möchte. Aus der bisherigen Fassung, daß die Länder verwalten, könnte sonst entnommen werden, daß sie die Aufgabe nicht weiter übertragen können. Im übrigen habe ich die Begründung zum ersten und auch zum zweiten Absatz bereits gegeben. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich beantrage, in der Fassung des Antrags Dr. Hoch die Worte „und sonstige Bundesstraßen“ zu streichen. Wir sind grundsätzlich der Überzeugung, daß die Bundesautobahnen weisungsgemäß zu verwalten sind, daß dagegen die Verwaltung der übrigen Straßen Angelegenheit der Länder sein soll. Dr. Hoch (SPD): Ich darf darauf hinweisen, daß auch die Verwaltung für Verkehr den Wunsch hat, den ich hier zum Antrag erhebe, daß die Verwaltung der großen Fernverkehrsstraßen, soweit es nicht Autobahnen sind, ebenfalls nach Weisung des Bundes erfolgen soll. Ich glaube, diesem sachverständigen Vorschlag sollte man sich doch fügen. Renner (KPD): Ich erlaube mir den Vorschlag, in dem Antrag Dr. Hoch die Worte „oder die nach Landesrecht damit beauftragten Selbstverwaltungskörperschaften“ zu streichen. Damit können nur die Provinzialverbände gemeint sein. Ich appelliere hier an Herrn Dr. Menzel und bitte um seine Unterstützung. Für das Land Nordrhein-Westfalen bestand wenigstens die Auffassung, daß diese Provinzialbehörden verschwinden sollten, damit das Land, der zuständige Minister, allein die Verwaltung in die Hand bekommt.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann ist eben nach Landesrecht keine zuständige Selbstverwaltungskörperschaft mehr da. (Renner [KPD]: Man kann ja die Frage offenlassen.) Aber in anderen Ländern ist oder wird es vielleicht anders. (Renner [KPD]: Nur im alten Preußen war es so.) Dr. Greve (SPD): Es gibt ja auch noch andere Länder des früheren Landes Preußen als nur Nordrhein-Westfalen. Renner (KPD): Dann haben sie ohnehin das Recht, Selbstverwaltungskörperschaften zu bilden. Ich möchte das gestrichen haben, damit auch im Notfall niemand auf die Idee kommt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zunächst über die zu dem Antrag Dr. Hoch gestellten Abänderungsanträge abstimmen. Der Antrag Renner geht dahin, die Worte „oder die nach Landesrecht damit beauftragten Selbstverwaltungskörperschaften“ zu streichen. – Die Streichung ist mit allen gegen 1 Stimme abgelehnt. Der Antrag Dr. Süsterhenn geht auf Streichung der Worte „und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs“. – Die Streichung ist mit 12 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Dann lasse ich über Abs. 2 in der nunmehr beschlossenen Fassung abstimmen. – Angenommen mit 12 gegen 7 Stimmen. Wir kommen zu Abs. 3 in der Fassung des Vorschlags Dr. Hoch: Auf Antrag eines Landes kann der Bund Bundeskraftfahrstraßen und andere Bundesstraßen des Fernverkehrs, soweit sie im Gebiet dieses Landes liegen, in bundeseigene Verwaltung übernehmen. Die Fassung des Redaktionsausschusses lautete: Auf Antrag eines Landes kann der Bund Bundeskraftfahrstraßen, soweit sie im Gebiet dieses Landes liegen, in bundeseigene Verwaltung übernehmen. Die Konsequenz aus dem beschlossenen Abs. 2 wäre der von mir zuerst verlesene Antrag Dr. Hoch. Ich lasse über ihn abstimmen. – Mit 12 Stimmen bei Stimmenthaltungen angenommen. Ich lasse dann über den ganzen Art. 118a abstimmen. – Mit 13 gegen 2 Stimmen, im übrigen Stimmenthaltung, angenommen.

[1.7. ART. 118b: PFLICHTEN DER LÄNDER]

Wir kommen zu

Art. 118b (1) Wenn ein Land die ihm nach dem Grundgesetz oder einem anderen Bundesgesetz obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats die notwendigen Maßnahmen treffen, um das Land im Wege des Bundeszwanges zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten. Die Zustimmung des Bundesrats bedarf der Mehrheit der gesetzlichen Stimmenzahl. Zinn (SPD): „Der Mehrheit seiner Stimmen“ ist beantragt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich verlese gleich Abs. 2: Zur Durchführung des Bundeszwanges hat die Bundesregierung oder ihr Beauftragter das Weisungsrecht gegenüber allen Ländern und ihren Behörden.

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Zinn (SPD): Dieser Artikel ist sowohl vom Hauptausschuß als auch vom Redaktionsausschuß in den Abschnitt Verwaltung aufgenommen. Meines Erachtens ist die Frage aufzuwerfen, ob er nicht in den Abschnitt Bund und Länder gehört; der Bundeszwang kann ja nicht nur aus Anlaß einer nicht gesetzmäßigen oder nicht ordnungsmäßigen Durchführung von Bundesgesetzen notwendig sein, [S. 451] sondern auch dann, wenn Verpflichtungen auf anderen Gebieten von den Ländern verletzt werden. Es können also auch andere Anlässe vorhanden sein, so daß der Artikel systematisch besser in den Abschnitt Bund und Länder gehörte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir wollen zuerst über den materiellen Inhalt des Art. 118b abstimmen lassen, unbeschadet der Frage, wo er im System hingestellt wird. – Mit 20 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung angenommen. Die systematische Einordnung des Artikels ist eine Preisfrage. Meines Erachtens kann er mit sehr guten Gründen an dieser Stelle eingereiht werden. Man kann ihn natürlich, mit auch recht guten Gründen, anderswo hinstellen. Aber vielleicht läßt man ihn besser hier. Ich lasse darüber abstimmen, ob der Art. 118b systematisch an dieser Stelle eingeordnet bleiben soll. – Das ist auf alle Fälle die überwiegende Mehrheit.

[1.8. ART. 118c: VERTEIDIGUNG DER DEMOKRATISCHEN GRUNDORDNUNG]

Wir kommen zu Art. 118c. Hier ist ein Antrag Dr. Laforet, Dr. Hoch (PR. 1.49 – 487)11) gestellt worden. Ich lese den Artikel in der Fassung des Antrags Dr. Laforet, Dr. Hoch vor: (1) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche oder demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann ein Land die Polizeikräfte anderer Länder anfordern. (2) Ist das Land, in dem die Gefahr droht, nicht selbst zur Bekämpfung der Gefahr bereit oder in der Lage, so kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats die Polizei in diesem Lande und die Polizeikräfte anderer Länder ihren Weisungen unterstellen. Die Anordnung ist nach Beseitigung der Gefahr, im übrigen jederzeit auf Verlangen des Bundesrats aufzuheben. Dr. Laforet (CSU): Sie haben bei der ersten Lesung die Beschlußfassung zurückgestellt. Der Zuständigkeitsausschuß ist nicht mehr zur Beratung des Gegenstandes gekommen. Darauf haben Herr Kollege Dr. Hoch und ich Ihnen hier eine Anregung gegeben. Wir gehen von einer doppelten Möglichkeit aus. In Abs. 1 stellen wir fest, daß ein Land die Polizeikräfte anderer Länder anfordern kann. Zu Abs. 2 sind wir der Meinung, daß hier nicht klar genug gesagt werden kann, was die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats tun kann: nämlich die Polizei in dem bedrohten Lande und die Polizeikräfte anderer Länder ihren Anweisungen unterstellen. Alleinige Voraussetzung ist, daß das Land, in dem die Gefahr droht, nicht selbst zur Behebung der Gefahr bereit oder in der Lage ist. Ist das Land dazu bereit und in der Lage, so ist die Voraussetzung des Abs. 2 nicht gegeben. 11)

Zu Drucks. Nr. 487 vom 11. Jan. 1949 vgl. oben Dok. Nr. 35, S. 1062, Anm. 3

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Die wesentliche Abweichung liegt in Abs. 2 in dem Requisitionsrecht, wenn ich so sagen darf, einem formalen Recht des Bundes, die Polizeikräfte anderer Länder anfordern zu können. Dr. Menzel (SPD): Ich sehe in der Notwendigkeit, den Bundesrat einzuschalten, eine Schwierigkeit; denn die Situation, wie sie dann sein wird, wenn die Bundesregierung glaubt, die Lage in einem Lande oder in mehreren Ländern ist so, daß sie die polizeilichen Befugnisse an sich ziehen muß, kann durchaus zur Folge haben, daß der Bundesrat aus rein äußeren, technischen Gründen gar nicht zusammentreten kann. Ich verweise auf das Notgesetzgebungsrecht, das wir bei Art. 111 schon besprochen haben. Ich glaube, es würde ausreichen, wenn wir dem Bundesrat die Möglichkeit geben, jederzeit zu verlangen, daß diese Maßnahmen aufgehoben werden; denn dann ist zugleich gesagt, daß er in der Lage ist zusammenzutreten. Wenn also die Bundesregierung einen Mißbrauch mit der Ermächtigung des Abs. 2 treiben würde, kann der Bundesrat am selben Tag oder 24 Stunden später zusammentreten und die Aufhebung verlangen. Renner (KPD): Der Artikel enthält noch eine dritte Möglichkeit, von der hier noch nicht gesprochen worden ist. Hier wird gesagt: „Ist das Land, in dem die Gefahr droht, nicht selbst zur Bekämpfung der Gefahr bereit“. Nun will ich heute hier nicht von den Erfahrungen der Weimarer Zeit reden, die man damals mit dem Einsatz dieser zentralen Polizeikräfte gemacht hat. Ich will heute nur auf eine Möglichkeit hinweisen: Das Land Nordrhein-Westfalen oder irgendein Land, in dem – ich will das einmal als möglich unterstellen – sich eine etwas fortschrittlichere Entwicklung vollzogen hat oder vollzieht, (Heiterkeit und Zurufe) erregt damit den Unwillen einiger anderer Länder. Das Land selbst sieht aber gar keine Gefahr als gegeben an. Bundesregierung und Bundesrat und damit die anderen ausgesprochen reaktionären Länder kommen dann auf die Idee: Dort droht eine Gefahr, die wir durch Einsatz unserer Polizei beseitigen müssen! Wenn man also etwa in unserem Lande oder in einem anderen Lande auf die tolle Idee käme, die Agrarreform gegen die im Augenblick bestehenden Schwierigkeiten doch durchzuführen, Herr Dr. Menzel, so würde es heißen: Gefahr droht, und die Bayern schicken uns die Polizei ins Land, die Bayern im Verein mit dem Bunde. Das ist nach Ihrer Fassung möglich. Ich denke dabei an eine kommende Bundesregierung und ihre politische Zusammensetzung; denn die wird sich nicht wesentlich von der unterscheiden, die heute in Bayern herrscht. Dazu sage ich nur ein Wort: Wer ist denn vor ein paar Tagen in diesem Bund CDU/CSU wieder einmal überrannt worden? Die Bayern haben doch gesiegt! (Heiterkeit und Zurufe rechts.) – Von denen da drüben erwarte ich ja gar nichts, ich rede ja den Herren der Linken ins Gewissen! Der kommende Bundespräsident könnte doch nicht Dr. Konrad Adenauer sein; es könnte ein anderer sein. Aber ich will keine Namen nennen, ich könnte mir einen Ordnungsruf zuziehen. Die Möglichkeit aber ist gegeben: man schickt uns nach Nordrhein-Westfalen, falls wir gegen den von Bayern als richtig angesehenen Kurs vorgehen, bayerische Polizei, vielleicht sogar noch hessische und badische dazu. Das ist der Zustand, den Ihre Verfassung ermöglicht. Wenn dann noch, Herr

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Dr. Menzel, irgendwo, vielleicht in Bayern, eine für diesen Zweck besonders zusammengestellte kasernierte Polizei eingesetzt wird, dann sind alle Möglichkeiten aus der Weimarer Periode gegeben. (Dr. Süsterhenn [CDU]: Die kasernierte Polizei gibt es bis jetzt nur in der Ostzone!) – Das ist eine Erfindung von Ihnen, die man bisher nur in den westlich orientierten Zeitungen lesen konnte, die aber den Tatsachen nicht entspricht. Bei uns aber, Herr Dr. Menzel, werden wir in einigen Tagen eine Zusammenkunft der Innenminister haben, die sich mit dem Problem der kasernierten Polizei beschäftigt. (Dr. Menzel [SPD]: Dann wissen Sie mehr als ich.) – Sie sind doch einer der Hauptträger dieser Idee, zusammen mit Ihrem Kollegen aus Hessen, oder stimmen sogar die Berichte Ihrer westlich orientierten Zeitungen nicht mehr? Fällt die Regie so auseinander? Diese Möglichkeit muß man doch sehen. Ich verwahre mich im Prinzip gegen diese Möglichkeit und vor allen Dingen gegen den Satz, daß die Polizei sogar gegen den Willen des beteiligten Landes eingesetzt werden kann, in dem angeblich eine Gefahr besteht oder droht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, nach diesem heiteren föderalistischen Intermezzo (Heiterkeit und Zustimmung) kann ich Herrn Dr. Laforet das Wort erteilen. (Renner [KPD]: Wir haben mit gewissen Einrichtungen der Weimarer Zeit böse Erfahrungen gemacht. Sie nicht; Sie standen ja noch im anderen Lager!) [S. 452] Dr. Laforet (CSU): Herr Dr. Menzel hat darauf aufmerksam gemacht, es könne durchaus möglich sein, daß ein Notstand eintritt, ohne daß der Bundesrat zusammentritt, weil der Herd der Unruhe gerade in dem Lande ist, in dem der Bundesrat seinen Sitz hat. Ich glaube – ohne Herrn Kollegen Dr. Hoch vorzugreifen –, daß wir mit der Streichung der Worte einverstanden sein können; denn das entscheidende Kontrollrecht liegt immer in der Hand des Bundesrats. Kann er zusammentreten, so braucht er nur den Beschluß auf Aufhebung zu erlassen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist also der Antrag gestellt, die Worte „mit Zustimmung des Bundesrats“ in der dritten und vierten Zeile des zweiten Absatzes zu streichen. (Dr. Laforet [CSU] und Dr. Hoch [SPD]: Wir ändern unsern Antrag.) – Er lautet also: . . . so kann die Bundesregierung die Polizei in diesem Lande und die Polizeikräfte anderer Länder ihren Weisungen unterstellen. Ich lasse über Art. 118c in der nunmehr festgestellten Fassung abstimmen. – Mit 20 gegen 1 Stimme angenommen. Damit ist dieser Abschnitt beendet.

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[2. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT IX: DIE GESETZGEBUNG]

Ich rufe auf Abschnitt IX Die Gesetzgebung. Dr. Katz (SPD): Der Organisationsausschuß hat gestern getagt12) und hat die Vorschläge des Redaktionsausschusses einer Durchsicht unterzogen. Er hat einige der Vorschläge akzeptiert, andere zurückgewiesen, dritte wieder korrigiert. Ich würde empfehlen, daß wir diesen Vorschlag jetzt zugrunde legen, weil schon weitgehend eine Einigung erzielt worden ist. Die Vorschläge liegen als Drucksache PR. 1.49 – 49013) vor. Dr. Lehr (CDU): Ich stimme diesem Vorschlag von Herrn Kollegen Katz zu. Ich darf noch daran erinnern, daß wir gestern einig geworden sind, die Frage Bundesrat solle dabei zurückgestellt bleiben. (Dr. Katz [SPD]: Die Beratung soll nichts präjudizieren.) – Es soll nichts präjudiziert werden. Auch ich schlage vor, daß wir zunächst einmal über diese Fassung abstimmen und dann später eventuell die Änderungen vornehmen, die sich bei einer anderen Entscheidung über den Bundesrat ergeben.

[2.1. ART. 103: GESETZESVORLAGEN]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe auf

Art. 103 (1) Gesetzesvorlagen werden beim Bundestag durch die Bundesregierung, durch den Bundesrat oder aus der Mitte des Bundestags eingebracht. (2) Vorlagen der Bundesregierung sind dem Bundestag und dem Bundesrat zu gleicher Zeit zu unterbreiten. (3) Vorlagen des Bundesrats oder eine Stellungnahme des Bundesrats zu einer Vorlage sind dem Bundestag durch die Bundesregierung zuzuleiten; sie hat hierbei ihre Auffassung darzulegen. (4) Der Präsident des Bundestags hat jede vom Bundestag angenommene Gesetzesvorlage alsbald an den Bundesrat weiterzuleiten. Der Abs. 4 ist eine redaktionelle Änderung gegenüber dem bisherigen Beschluß des Hauptausschusses, in dem es hieß: „zuzustellen“. Ich lasse abstimmen. – Mit 20 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung angenommen.

12)

Für den Wortlaut der 29. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 11. Jan. 1949, vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 41, S. 999–1043. 13) Für den Wortlaut der Zusammenstellung der in der 29. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes unter Berücksichtigung der Vorschläge des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 13./16. Dez. 1948 beschlossenen Fassung des Abschnitts IX: Die Gesetzgebung vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 42, S. 1044–1047.

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Sechsunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses 12. Januar 1949 [2.2. ART. 104: EINSPRUCHSGESETZE]

Wir kommen zu

Art. 104 (1) Die Bundesgesetze werden vom Bundestag beschlossen. (2) Gegen ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz steht dem Bundesrat der Einspruch zu. Der Einspruch ist binnen eines Monats nach Eingang des Gesetzesbeschlusses bei dem Präsidenten des Bundestags einzulegen. Der Bundestag beschließt über den Einspruch. Er kann den Einspruch mit Zweidrittelmehrheit, zumindest mit der Mehrheit seiner Mitglieder überstimmen. Das bedeutet also: mit Zweidrittelmehrheit der Anwesenden, die aber zumindest 51 Prozent der gesetzlichen Zahl ausmachen müssen. Ich finde, das ist nicht sonderlich gut gefaßt. Heile (DP): Zu diesem Artikel liegt ein Antrag unserer Fraktion (PR. 12.48 – 429)14) vor. Wir wollen eine wirkliche Gleichberechtigung von Bundesrat und Parlament erzielen. Dr. Katz (SPD): Die CDU hat ähnliche Anträge im Interesse des Fortgangs der Arbeiten zurückgestellt. Ich weiß nicht, ob die Vertreter der Deutschen Partei nicht das gleiche tun wollen. Dr. Lehr (CDU): Wir von der CDU haben ausdrücklich erklärt, die heutige Abstimmung nur vorzunehmen vorbehaltlich einer Korrektur, die durch die Abstimmung über den Bundesrat nötig werden würde. Wir würden dann auf Ihren Antrag zurückkommen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie nehmen also Ihren Antrag in diesem Falle zurück? (Heile [DP]: Ja!)15) Ich lasse über Art. 104 in der verlesenen Fassung abstimmen. – Art. 104 ist mit 19 gegen 1 Stimme angenommen.

[2.3. ART. 105: ZUSTIMMUNGSGESETZE]

Wir kommen zu

Art. 105 Der Zustimmung des Bundesrats bedürfen Bundesgesetze

14)

Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 35 der DP-Fraktion zu Art. 104 vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 429: „Der Hauptausschuß wolle beschließen: Art. 104 erhält folgende Fassung: (1) Bundesgesetze kommen durch Übereinstimmenden Mehrheitsbeschluß im Bundestag und im Bundesrat zustande. (2) Wird keine Übereinstimmung zwischen Bundestag und Bundesrat erzielt, so kann der Bundespräsident den Bundestag und den Bundesrat zu gemeinsamer Sitzung einberufen und hat das zu tun, wenn ein viertel der gesetzlichen Zahl der Mitglieder des Bundestages in Gemeinschaft mit den Vertretern von mindestens 3 Ländern im Bundesrat das verlangen. Die gemeinsame Versammlung von Bundestag und Bundesrat entscheidet mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl ihrer Mitglieder.“ Der Artikelformulierung folgt eine ausführliche Begründung. 15) „(Heile [DP]: Ja!)“, fehlt im stenograph. Wortprot., S. 38.

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1. über Steuern, deren Reinaufkommen den Ländern, Gemeindeverbänden und Gemeinden zufließt oder gemeinsame Einnahmen des Bundes und der Länder sind, 2. über den Finanzausgleich, 3. durch die neue Bundesoberbehörden oder neue der unmittelbaren Bundesaufsicht unterstehende Körperschaften des öffentlichen Rechts geschaffen werden, 4. durch die ein neues Weisungsrecht gegenüber den Bundesbehörden begründet wird. Dr. Laforet (CSU): Der Redaktionsausschuß hat, meiner Meinung nach mit Recht, darauf aufmerksam gemacht, daß, wenn diese neuen Weisungsrechte an eine qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln gebunden werden, ein Abs. 2 beizufügen ist, der diesen Rechtszustand wiedergibt. Ich glaube, wir setzen die endgültige Entscheidung am besten aus, bis über das Weisungsrecht beschlossen ist. Dr. Katz (SPD): Wir haben heute in der Abstimmung über ein anderes Kapitel schon eine Regelung getroffen, bei der auch eine Zweidrittelmehrheit in Frage kommt. Ich möchte anregen, doch heute über diesen Artikel zu beschließen und die Angleichung der beiden Kapitel, die noch erfolgen muß, dem Redaktionsausschuß zu überlassen. Wir haben vorhin bei dem anderen Kapitel über die Bundesverwaltung in einem Punkte etwas anderes beschlossen. Ich glaube, da wäre auch eine Konkretisierung nötig. Trotzdem würde ich jetzt nicht aussetzen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist hier nur gesagt: der Zustimmung des Bundesrats bedürfen die und die Bundesgesetze. Bei der Regelung der einzelnen Materien kann später gesagt werden, auf welche Art diese Zustimmung zu erteilen ist, ob durch einfache oder durch qualifizierte Mehrheit. Mir scheint das kein Widerspruch zu sein. [S. 453] Dr. Laforet (CSU): Wenn man diese Anschauung zugrunde legt, dann sind meine Bedenken nicht aufrechtzuerhalten. Dr. Greve (SPD): In Ziffer 4 müßte es doch heißen: durch die ein neues Weisungsrecht gegenüber den Landesbehörden begründet wird. (Dr. Laforet [CSU]: Das ist ein Schreibfehler.) Ich möchte den Herrn Vorsitzenden16) oder Berichterstatter17) des Organisationsausschusses bitten, uns mitzuteilen, warum nicht die Fassung des Redaktionsausschusses gewählt ist, die allein meines Erachtens das klar sagt, was zum Ausdruck gebracht werden soll. Wenn es hier in Ziffer 4 heißt: „durch die ein neues Weisungsrecht gegenüber den Landesbehörden begründet wird“, so ist damit nicht zugleich festgestellt, daß es sich um das Weisungsrecht im Rahmen der Gesetzgebungszuständigkeit handelt, für das im Grundgesetz bisher keine Bestimmung vorgesehen ist. Ich halte es für unbedingt notwendig, das zu sagen. Es müßte heißen: 16)

Zum Vorsitzenden wurde am 15. Sept. 1948 der Abg. Robert Lehr (CDU) gewählt. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 1, S. 1. 17) Zum Berichterstatter wurde am 15. Sept. 1948 der Abg. Felix Walter (CDU) gewählt. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 1, S. 1. Walter starb am 17. Febr. 1949.

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durch die im Rahmen der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ein neues im Grundgesetz bisher nicht vorgesehenes Weisungsrecht gegenüber den Landesbehörden begründet wird. Denn dasjenige Weisungsrecht, das sich im Rahmen der Gesetzgebungszuständigkeit hält und hier im Grundgesetz vorgesehen ist, kann doch nach Art. 105 Ziffer 4 nicht gemeint sein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, daß das Wort „neues Weisungsrecht“ nicht gut anders verstanden werden kann als ein Weisungsrecht, das über das durch das Grundgesetz bereits festgestellte Weisungsrecht hinausgeht. Dr. Lehr (CDU): Das war unsere Auffassung im Organisationsausschuß. Dr. Katz (SPD): Wir wollten Pleonasmen vermeiden und haben diese fünf Worte weggestrichen. Es ist im Grunde dasselbe wie ein bisher im Grundgesetz nicht vorgesehenes Weisungsrecht. Uns erschienen diese fünf Worte überflüssig. Nur aus diesem Grunde haben wir sie weggestrichen, nicht etwa, um materiell einen neuen Rechtszustand zu schaffen. Dr. Greve (SPD): Ich kann mich mit dem Begriff „neu“ nicht befreunden. „Neu“ ist etwas anderes als „bisher nicht vorgesehen“. Ich halte die Formulierung des Redaktionsausschusses nicht nur für klarer, sondern auch für die einzig mögliche; denn es ist kein neues Weisungsrecht. Es kann auch ein anderes Weisungsrecht sein, und ein anderes braucht nicht zugleich ein neues zu sein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ein „anderes“ Weisungsrecht ist gegenüber den bisherigen ein neues Weisungsrecht. Ich glaube, Sie treiben hier die Tugend des demokratischen Mißtrauens zu weit. (Heiterkeit und Zustimmung.) Dr. Süsterhenn (CDU): Ich möchte anregen, die Abstimmung über Ziffer 4 zurückzustellen und die Sache im Zusammenhang mit den ebenfalls zurückgestellten Artikeln 112/2 Abs. 4 bis 11418) (Dr. Laforet [CSU]: und 116!) zu behandeln, weil das automatisch da mit hineingreift. Wenn wir das jetzt beschließen, würden wir Unklarheiten über Art. 112/2 Abs. 4 bis 11419) aufkommen lassen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Aber daß neue Weisungsrechte möglich sein sollen auch nach Ihrer Absicht –, ist klar. Mehr wird hier nicht gesagt. Ich glaube, diese Ziffer ist mehr oder weniger eine Hohlform. Der in diese Form zu gießende Inhalt ist im einzelnen nach Art. 114 zu bestimmen. Ich glaube, Sie können das tun, ohne irgendeine Präjudizierung befürchten zu müssen. Dr. Süsterhenn (CDU): Wenn das nur eine hohle Form ist, sind wir einverstanden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wann ein solches Weisungsrecht begründet werden kann, (Dr. Laforet [CSU]: Und mit welcher Mehrheit!) steht an anderer Stelle. 18)

Statt „Artikeln 112/2 Abs. 4 bis 114“ im stenograph. Wortprot., S. 42: „Artikeln 112 bis 114“. 19) Statt „Artikeln 112/2 Abs. 4 bis 114“ im stenograph. Wortprot., S. 42: „Artikeln 112 bis 114“.

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Dr. von Mangoldt (CDU): Ich habe aus den Vorschlägen des Redaktionsausschusses ersehen, daß er eine gewisse Schwierigkeit in dem Begriff der Zustimmung findet. Der Redaktionsausschuß geht davon aus, daß das Gesetz, das vom Bundestag an den Bundesrat verwiesen wird, auch die Zustimmung des Bundesrats finden kann. Der Bundesrat kann zustimmen, er kann Einspruch erheben. Um dieses Verhältnis ganz klarzumachen, würde ich vorschlagen, an den Anfang des Artikels die Formulierung zu setzen: Eines übereinstimmenden Beschlusses von Bundestag und Bundesrat bedürfen usw. Denn das ist ja der Sinn des ganzen Artikels. Dr. Katz (SPD): Es ist sachlich dasselbe. Die Frage ist: Ist es notwendig? (Dr. Greve [SPD]: Die Zustimmung kann auch anders erteilt werden, zum Beispiel durch Schweigen!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Mir scheint das die zuverlässigere Fassung: Eines übereinstimmenden Beschlusses von Bundestag und Bundesrat bedürfen die Bundesgesetze usw. (Dr. Greve [SPD]: Keine Bedenken.) Dann lasse ich abstimmen über Art. 105 mit den gemachten Vorbehalten und in der neu vorgeschlagenen Fassung. Mit 18 gegen 1 Stimme angenommen.

[2.4. ART. 105a: ZUSTANDEKOMMEN EINES ZUSTIMMUNGSGESETZES]

Wir kommen zu

Art. 105a Ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz ist zustande gekommen, wenn der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt, innerhalb der gesetzlichen Frist keinen Einspruch eingelegt oder ihn zurückgenommen hat oder wenn der Einspruch vom Bundestag überstimmt worden ist. Ich lasse abstimmen. – Mit 20 gegen 1 Stimme angenommen.

[2.5. ART. 106: GRUNDGESETZÄNDERUNG]

Wir kommen zu

Art. 106 (1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das ausdrücklich den Wortlaut des Grundgesetzes ändert oder ergänzt. Ich lasse zuerst über diesen ersten Absatz abstimmen. – Mit 20 Stimmen ohne Gegenstimme angenommen. Abs. 2: Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats. Dr. Katz (SPD): Ich bitte, nach diesem Satz abzubrechen und darüber zunächst abzustimmen, weil das Nächste etwas anderes ist.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Satz 1 von Abs. 2 abstimmen. – Mit 20 gegen 1 Stimme angenommen. Ich verlese Satz 2: Ein Gesetz, durch das der bundesstaatliche Aufbau wesentlich verändert wird, bedarf im Bundesrat der Zustimmung von drei Vierteln der Stimmen. Dr. Katz (SPD): Ich bitte, diesen Satz, der für gewisse Fälle der Verfassungsänderung eine Erschwerung vorsieht, wieder zu streichen. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich muß mich dieser Streichung widersetzen. Wir wollen unter allen [S. 454] Umständen an dem bundesstaatlichen Charakter des neuen Staates, den wir bauen, festhalten. Im Grunde genommen sind eine ganze Reihe von Möglichkeiten vorgesehen, um in einzelnen Fällen etwa notwendige Korrekturen zugunsten einer bundeseinheitlicheren Regelung vorzunehmen. Hier geht es um eine wesentliche Veränderung des bundesstaatlichen Aufbaus, die eigentlich absolut ausgeschlossen sein müßte. Wenn hier eine Änderung nur mit drei Vierteln der Stimmen möglich sein soll, so scheint uns das das Mindestmaß an Sicherung zu sein, auf dem wir bestehen müssen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich hätte von mir aus nichts dagegen, wenn „bundesstaatlicher Aufbau“ ein sehr präzis definierbarer Begriff wäre. Wenn ich mir in die Erinnerung zurückrufe, was in diesem Ausschuß schon zum unverzichtbaren Element bundesstaatlichen Aufbaus erklärt worden ist – es ist ein ganzer Katalog verschiedener Elemente –, dann könnte ich mir vorstellen, daß praktisch fast jede Verfassungsänderung unter Abs. 2 gebracht werden könnte. Dr. Süsterhenn (CDU): Der Begriff „wesentlich“ scheint mir doch davor zu schützen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wie oft ist hier das Wort „unverzichtbar“ gefallen! Dr. Mücke (SPD): Meines Erachtens ergibt sich die Notwendigkeit der Streichung schon aus der Formulierung des Abs. 1; denn dort ist gesagt, daß das Grundgesetz nur durch ein Gesetz geändert werden kann, das ausdrücklich den Wortlaut des Grundgesetzes ändert oder ergänzt. Das sind andere Verfassungsänderungen als die, wie sie hier festgestellt und ausgeschlossen sind. Meines Erachtens bedeutet die Streichung noch eine wesentliche Verschärfung des Schutzes des bundesstaatlichen Aufbaus. Aus Abs. 1 ergibt sich der indirekte Schluß, daß Verfassungsänderungen, die sich auf den bundesstaatlichen Aufbau beziehen, unzulässig sind. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich kann den Ausführungen von Herrn Kollegen Mücke nicht zustimmen. Abs. 1 regelt lediglich die formale Seite, daß eben nicht so nebenbei auch einmal eine Verfassungsänderung beschlossen werden kann, sondern daß sie ausdrücklich eine Änderung des Wortlautes des Grundgesetzes darstellen muß. Abs. 2 dagegen betrifft den materiellen Charakter, den Aufbau des Bundesstaates. Wenn dieser wesentlich verändert werden soll, soll wenigstens eine Dreiviertelmehrheit der Länder zustimmen. Man kann nicht über den Kopf der Länder hinweg einfach im Wege einer normalen Verfassungsänderung etwa zum zentralistischen Einheitsstaat gehen. Jedenfalls widerspricht das unserer Auffassung, die wir in dieses Grundgesetz hineingesetzt haben möchten. Dr. Katz (SPD): Ich stimme mit der Auslegung, die Kollege Mücke gegeben hat, nicht überein. Abs. 1 soll nach den Erfahrungen der Weimarer Zeit Verfassungsänderungen incidenter, wie sie damals üblich waren, ausschließen.

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Dagegen scheint mir der Begriff der „wesentlichen Veränderung“ so unbestimmt und so schwammig, daß ich gegebenenfalls eine Serie von Prozessen vor dem Staatsgerichtshof über die Auslegung dieses Begriffes kommen sehe. Das halte ich in diesem Falle nicht für nötig. Vor allen Dingen aber sind die Rechte der Länder durch das übrige Verfahren reichlich gewahrt: Zweidrittelmehrheit des Bundesrats, dann die Volksabstimmung bei derartigen Änderungen mit qualifizierter Mehrheit, so daß ich eine derartige zusätzliche Erschwerung nicht für nötig halte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Satz 2 von Abs. 2 abstimmen. – Der Satz ist mit 12 gegen 9 Stimmen angenommen. Abs. 3: Die Verkündung eines Gesetzes im Sinne von Abs. 1 und 2 ist erst 14 Tage nach der Annahme zulässig. Ein Viertel der Mitglieder des Bundestags und der Stimmen des Bundesrats können innerhalb dieser Frist verlangen, daß das Gesetz nicht verkündet, sondern zum Volksentscheid gebracht wird. Das Gesetz ist nur angenommen, wenn beim Volksentscheid zwei Drittel aller Abstimmenden sowie in der Mehrzahl der Länder jeweils die Mehrheit der Abstimmenden dem Gesetz zugestimmt hat. Das Verfahren über den Volksentscheid regelt ein Gesetz. Dr. Dehler (FDP): Ich bitte, die Voraussetzung im zweiten Satz, daß zwei Drittel aller Abstimmenden zustimmen müssen, abzuändern in „Mehrheit der Abstimmenden“. Man muß bedenken, daß an sich eine Gesetzesänderung in den beiden Kammern schon mit Zweidrittelmehrheit beschlossen ist, daß es sich nur um eine Sanktion dieser schon mit großer Mehrheit beschlossenen Gesetzesänderung handelt. Wenn man da noch einmal das Erfordernis von zwei Dritteln aller Abstimmenden aufstellt, läuft man Gefahr, daß praktisch eine Änderung des Grundgesetzes gar nicht möglich ist. Es genügt, wenn die Mehrheit der Abstimmenden den Beschluß der beiden Kammern bestätigt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich zuerst über diesen Abänderungsantrag abstimmen, wonach es in der fünften Zeile von unten heißen soll: . . ., wenn beim Volksentscheid die Mehrheit aller Abstimmenden . . . zugestimmt haben. – Die Abänderung ist mit 11 gegen 6 Stimmen angenommen. Dann lasse ich über den Abs. 3 in der jetzigen Fassung abstimmen. – Mit 16 gegen 1 Stimme angenommen; im übrigen Enthaltungen. Dann lasse ich über den gesamten Art. 106 abstimmen. – Mit 17 gegen 3 Stimmen angenommen. Art. 107 und 108 entfallen.

[2.6. ART. 108: ÄNDERUNGEN VON GRUNDRECHTSARTIKELN]

Dr. Dehler (FDP): Ich nehme Art. 108 des Redaktionsausschusses (PR. 12.48 – 374) erneut auf. Vors. Dr. Schmid (SPD): Er lautet: Der Verfassungsänderung gemäß Art. 106 sind die in den Artikeln 1 und 21 dieses Grundgesetzes niedergelegten Grundsätze entzogen.

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Dr. Dehler (FDP): Über die Formulierung kann man streiten, ob also die Bezugnahme auf diese beiden Artikel glücklich ist. Man kann vielleicht eine andere Formulierung wählen und dem Wortlaut nach anführen, welche demokratischen Grundsätze des Grundgesetzes einer Verfassungsänderung entzogen sein sollen. Auf jeden Fall halte ich es für notwendig, daß wir diese Barriere aufrichten, nicht in dem Glauben, daß wir dadurch einer Revolution begegnen können, aber doch in dem Willen, einer Revolution die Maske der Legalität zu nehmen. Dr. Katz (SPD): Ich bin mit dem Geist, der aus dem Antrag Dr. Dehlers spricht, vollkommen einverstanden, aber ich halte einen derartigen Antrag für zwecklos oder nicht als den Verhältnissen entsprechend. Dieser Antrag besagt nicht mehr und nicht weniger als: Staatsstreiche und Revolutionen sind unzulässig. Eine derartige Bestimmung in die Verfassung hineinzuschreiben, ist meines Erachtens nicht zweckmäßig. Niemand wird sich davon abhalten lassen, einen Staatsstreich durchzuführen, wenn er von diesem Art. 108 hört. Aus diesem Grunde gehört eine solche Formulierung nicht in die Verfassung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich trete der Ansicht des Kollegen Dehler bei. Es ist schon ein Unterschied, ob [S. 455] jemand gezwungen ist, offen Revolution zu machen, oder ob man ihm die Möglichkeit gibt, unter dem Schutz einer Scheinlegalität effektiv Revolution zu machen, ohne sich dazu bekennen zu müssen. Er wird in diesem Fall die Dummen im Volk eher hinter sich bekommen, als wenn er von vornherein klipp und klar sagen muß: Ich will eine Tyrannei errichten und die Demokratie abschaffen. – Außerdem wird er so auch in die Illegalität mit allen ihren Nachteilen gedrängt. (Renner [KPD]: Es gibt auch eine dritte Möglichkeit!) Ich lasse über Art. 108 in der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Mit 18 gegen 1 Stimme angenommen.

[2.7. ART. 108a: RECHTSVERORDNUNGEN]

Ich rufe nach der Vorlage des Organisationsausschusses (PR. 1.49 – 490)20) auf Art. 108a (1) Durch Gesetz können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierung ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen, wenn Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt sind. Die Rechtsgrundlage der Ermächtigung soll in der Verordnung angegeben sein. Die weitere Übertragung der Ermächtigung kann zugelassen werden, bedarf aber selbst der Form der Rechtsverordnung. (2) Der Zustimmung des Bundesrats bedürfen Rechtsverordnungen der Bundesregierung oder eines Bundesministers über Grundsätze und Gebühren für die Benutzung der Einrichtungen der Bundeseisenbahnen und des Post- und 20)

Für den Wortlaut der Zusammenstellung der in der 29. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes unter Berücksichtigung der Vorschläge des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 13/16. Dez. 1948 beschlossenen Fassung des Abschnitts IX: Die Gesetzgebung vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 42, S. 1044–1047.

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Fernmeldewesens, über den Bau, den Betrieb und den Verkehr der Eisenbahnen sowie auf Grund von Bundesgesetzen im Sinne des Art. 105 und von Bundesgesetzen, die von den Ländern nach Weisung des Bundes oder als eigene Angelegenheit ausgeführt werden. Damit ist das geregelt, wovon wir heute morgen gesprochen haben. Dr. Schäfer (FDP): Sind unter dem Begriff des Fernmeldewesens auch die Rundfunkgebühren geregelt? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde das annehmen. Ich kann es allerdings nicht authentisch interpretieren, das ginge über die Befugnis des Vorsitzenden dieses Ausschusses hinaus. Es ist meine persönliche Meinung. Kaufmann (CDU): Man könnte aber die Meinung des Ausschusses feststellen. Dr. Katz (SPD): Wir haben den Abs. 2 deswegen übernommen, weil er von einer anderen Stelle übernommen worden war. Vielleicht könnte man einen der Herren des Redaktionsausschusses dazu hören. Zinn (SPD): Diese Angelegenheit war bisher in Art. 117 Abs. 221) geregelt. Dort wurden die Rechtsverordnungen auf dem Gebiete des Bahn- und Postwesens behandelt. In den Abschnitt Verwaltung gehört aber nicht die Frage des Erlasses von Rechtsverordnungen. Deshalb haben wir es hier hereingenommen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist die Frage, ob nicht der Ausschuß seine Meinung kundtun soll, daß unter den Gebühren des Fernmeldewesens auch die Rundfunkgebühren zu verstehen sind. Ich weiß nicht, wie die Meinung des Ausschusses dazu ist. Abstimmen lassen kann ich nicht gut darüber, aber ich habe den Eindruck, als wenn die überwiegende Meinung dafür ist22). Ich stelle fest: die überwiegende Meinung des Hauptausschusses scheint zu sein, daß unter den Gebühren des Fernmeldewesens im Sinne dieses Artikels auch die Rundfunkgebühren zu verstehen sind. Wir werden darüber noch dort zu sprechen haben, wo wir über den Rundfunk unter anderen Gesichtspunkten als dem der Gebühren sprechen. (Dr. Laforet [CSU]: Es handelt sich nicht nur um die Gebühren der Post, sondern auch um diejenigen der Sendegesellschaften.) Ich lasse über Art. 108a in der verlesenen Fassung abstimmen. – Mit 18 gegen 3 Stimmen angenommen. Art. 109 und 110 sollen entfallen.

[2.8. ART. 111: NOTVERORDNUNGEN]

Wir kommen zu Art. 111. Es handelt sich um den technischen Notstand. Abs. 1 lautet: (1) Ist eine der gesetzgebenden Körperschaften durch höhere Gewalt an der Ausübung ihrer Befugnisse verhindert, so kann die Bundesregierung zur Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr für den verfassungsmäßigen Be21) 22)

Statt „Art. 117 Abs. 2“ im stenograph. Wortprot., S. 51: „Art. 118b, 2“. Im stenograph. Wortprot., S. 51, folgt danach: „(Dr. Greve [SPD]: Dafür soll Zustimmung des Bundesrats erforderlich sein?)“

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stand des Bundes oder seine freiheitliche und demokratische Grundordnung mit Zustimmung der Präsidenten des Bundestags und des Bundesrats im Rahmen der Bundeszuständigkeit Notverordnungen mit Gesetzeskraft erlassen. Ich möchte einleitend betonen, daß dieser Art. 111 etwas völlig anderes ist als der alte Art. 48 der Weimarer Verfassung23). Dr. Dehler (FDP): Man könnte schon einen kleinen Roman über das Grundgesetz schreiben, wenn man die Anträge des Redaktionsausschusses, die Beschlüsse des Organisationsausschusses und des Hauptausschusses gegenüberstellt. Ich glaube, wir vom Redaktionsausschuß können sagen, daß wir uns reichlich Mühe gegeben haben, aber bei uns ist der Eindruck entstanden, daß das, was wir niedergelegt haben, kaum gelesen worden ist. (Lebhafter Widerspruch.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, Herr Dr. Dehler, Sie unterschätzen die Achtung, die dieser Ausschuß vor der Arbeit des Redaktionsausschusses hat. Dr. Dehler (FDP): Ich wollte das einmal feststellen. Wir sind schon etwas müde geworden in der Verteidigung dessen, was wir geschaffen haben. Ich halte nach wie vor unseren Vorschlag für erheblich besser. Überlegen Sie nur, wie wenig konsequent dieser Abs. 1 ist. Hier ist festgelegt: wenn eine Kammer an der Mitwirkung verhindert ist, geht das Notverordnungsrecht auf die Bundesregierung über. Nehmen wir den grotesken Fall an: der Bundestag ist versammelt, es kommt ein Generalstreik. Der gerade nicht versammelte Bundesrat ist verhindert, sich am Sitz der Bundesregierung zusammenzufinden. Dann geht das Notverordnungsrecht auf die Regierung über, und der versammelte Bundestag ist ausgeschaltet. Oder umgekehrt, ein Fall, der noch leichter möglich ist: der Bundesrat ist da, und der Bundestag kann nicht zusammentreten. Dann kann der Bundesrat nicht mitwirken, obwohl er präsent und auch zur Mitwirkung bereit ist. So kann man es meiner Meinung nach nicht machen. Ich will mich auf die Anführung dieser einen Unstimmigkeit beschränken. Dr. Katz (SPD): Ich bin überzeugt, daß sämtliche Mitglieder des Organisationsausschusses ebenso wie ich selber mehrere schlaflose Nächte gehabt haben, um über den Vorschlag, den der Redaktionsausschuß zu Art. 111 unterbreitet hat, nachzudenken. Wir haben uns nach langem inneren Ringen entschlossen, dem Vorschlag des Organisationsausschusses den Vorzug zu geben. Wenn diese beiden Körperschaften die Möglichkeit haben, sich zu versammeln, so können sie nach Abs. 2 dieses Artikels ohne weiteres die Aufhebung beantragen. Das Notverordnungsrecht an die Zustimmung einer so großen Körperschaft zu binden, wie Sie das vorschlagen, entweder des Bundestags, wenn ihm die Möglichkeit gegeben ist, sich zu versammeln, oder des [S. 456] Bundesrats, wenn dessen Versammlung möglich ist, erschien uns als sehr unglücklich; denn höchstwahrscheinlich wird ein derartiger Fall kaum eintreten. Es handelt sich um den Fall der technischen höheren Gewalt, also Erdbeben, Aufruhr, Generalstreik oder Ähnliches; Versammlungsmöglichkeiten sind gar nicht gegeben. Die Sicherungen, die wir in Abs. 1 eingebaut haben, erschienen uns genügend: die Zustimmung der Präsiden23)

Für den Wortlaut des Art. 48 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 9, Anm. 38.

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ten der beiden Kammern bzw. ihrer Vertreter. Es ist also nicht so, daß wir Ihren Vorschlag unbesehen beiseite geschoben haben, sondern der Ausschuß hat sich dazu entschlossen, seine eigene Fassung vorzuziehen. Zinn (SPD): Ich glaube nicht, daß der Art. 111, wie ihn der Organisationsausschuß uns vorgelegt hat, nur für den Fall des sogenannten Katastrophennotstands Anwendung finden soll und kann. Er kann auch Anwendung finden, wenn aus irgendwelchen politischen Gründen, zum Beispiel aus Anlaß eines Aufruhrs, der Bundestag oder Bundesrat nicht zusammentreten kann. (Dr. Katz [SPD]: Das ist auch technisch!) – Sie können es vielleicht so bezeichnen; aber wenn nun eine der Kammern da ist, sehe ich nicht ein, warum diese nicht wenigstens mitwirken soll. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, es ist am besten, man stellt beide Fassungen zur Abstimmung. Zinn (SPD): Ich habe noch einen weiteren Einwand. Hier heißt es: Die Notverordnung soll, falls eine der beiden Kammern verhindert ist, durch die Bundesregierung mit Zustimmung der Präsidenten der beiden Kammern erlassen werden, wenn es zur Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr für den verfassungsmäßigen Bestand des Bundes oder seine freiheitliche und demokratische Grundordnung erforderlich ist. Ich frage mich: Was können das noch für Notverordnungen sein? Ich kann mir praktisch kaum andere denken als solche, die gewisse Strafvorschriften enthalten. Andere können kaum in Frage kommen. Strafvorschriften wird man aber nicht ad hoc durch Notverordnungen einführen, sie wird man schon durch das allgemeine Strafrecht einführen müssen. Also auch materiell ist der Anwendungsbereich dieses Artikels so gestaltet, daß ich nicht recht weiß, wie er überhaupt einmal praktisch Anwendung finden kann. (Dr. Katz [SPD]: Requisition von Beförderungsmitteln usw.) – Das können Sie ohnehin, dazu brauchen Sie keine Notverordnung. Das können Sie schon auf Grund allgemeiner Vorschriften, zum Beispiel eines Leistungspflichtgesetzes, wie wir es vielfach schon in den Ländern haben, oder auf Grund der Weisungsbefugnis, die die Verkehrsverwaltungen haben. Es gibt eine Reihe von Vorschriften, die derartige Maßnahmen möglich machen. Materiell-rechtlich sehe ich kaum eine Möglichkeit, die wirklich erforderlichen Maßnahmen zu treffen, außer etwa Strafvorschriften; und die können nicht Gegenstand von Notverordnungen sein. Renner (KPD): Wir sehen, wie die Diskussion der beiden Herren von der SPD eindeutig beweist, daß es sich doch um einen Ersatzparagraphen 48 handelt. Die Regie klappt wieder mal nicht zwischen Ihnen, Herr Dr. Katz, und Ihren Kollegen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Da können wir bei Ihnen noch etwas lernen. (Dr. Hoch [SPD]: Sie setzen eben eine Regie voraus!) Renner (KPD): Bei einer anständigen Koalition muß man eine anständige Regie machen, sonst merkt das „dumme Volk“, was für ein Kuhhandel gemacht wird. Lassen Sie sich das von Dr. Adenauer sagen, der weiß, wie man das macht. (Zuruf von der SPD: Demokratie!) – Das sagt ihr, wo ich euch doch so gut kenne?! Nach den Vorschlägen, die uns hier die geschätzten Herren von der SPD gemacht haben, kann man den Gedankenfaden noch weiterspinnen: Was tritt ein, so frage ich, wenn auch die Bundesregierung am Zusammentreten verhindert ist, wenn

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zum Beispiel einer der Herren Minister „zufällig“ Ferien in Berchtesgaden macht oder sonstwo im schönen Deutschland weilt und dann nicht nach Frankfurt oder Bonn kann? (Dr. Katz [SPD]: Das sieht die Geschäftsordnung vor.) – Da ist noch etwas mehr drin! Da aber die Minister nicht einmal das Vertrauen des Bundestags brauchen, kann der Bundeskanzler im Effekt alles machen. Sie stellen also praktisch diesen Notverordnungsparagraphen in der Anwendbarkeit auf den Bundeskanzler ab. Das ist die Konsequenz, und was man mit Notverordnungen machen kann, das weiß man ja. Denjenigen, die das aus der Weimarer Zeit noch nicht gelernt haben, ist nicht zu helfen. Da ist man mit den Notverordnungen von der Bekämpfung der Reblaus – Sie erinnern sich an den Tatbestand – bis zur Vernichtung der Arbeit oppositioneller und unliebsamer Parteien gegangen. In dem Rahmen wickeln sich die Dinge ab. Man kann mit Notverordnungen alles machen, um einen politischen Gegner niederzuringen. Man kann Sondergerichte, KZ’s und all diese Dinge einrichten. Das liegt alles in Art. 48, und der Wille des Volkes spielt dann keine Rolle mehr. Zinn (SPD): Herr Kollege Katz hat darauf hingewiesen, daß man in erster Linie an den Katastrophennotstand gedacht hat, (Dr. Katz [SPD]: Ausschließlich!) zum Beispiel Erdbeben oder ähnliche Naturvorgänge, die die gesetzgebenden Körperschaften daran hindern zusammenzutreten. Nun wird man aber nicht sagen können, daß eine Naturkatastrophe unbedingt die freiheitliche und demokratische Grundordnung des Bundes gefährdet. Dadurch, daß Sie dieses materielle Erfordernis als Voraussetzung festlegen, schließen Sie jede Notverordnung aus, die zur Bekämpfung der Katastrophe oder der Folgen der Katastrophe notwendig ist. Gerade die schnelle Bekämpfung einer Katastrophe durch eine Verordnung der Bundesregierung schließen Sie aus. Dr. Greve (SPD): Ich hätte gern eine Frage von Herrn Dehler und Herrn Zinn beantwortet. Es heißt hier: Ist eine der gesetzgebenden Körperschaften durch höhere Gewalt an der Ausübung ihrer gesetzgeberischen Befugnisse verhindert. Zu diesen gesetzgebenden Körperschaften gehören meines Wissens Bundestag und Bundesrat. Wenn also der Bundesrat an der Ausübung seiner gesetzgeberischen Befugnisse verhindert ist, wie stellt man sich dann vor, daß die Bundesregierung die Zustimmung dieses Bundesrats zur Erklärung des Verfassungsnotstandes bekommt, wenn doch gerade dieser Bundesrat als eine der gesetzgebenden Körperschaften verhindert ist, seine gesetzgeberischen und damit auch seine übrigen Befugnisse wahrzunehmen? Zinn (SPD): Nach unserer Vorstellung – und wir haben es entsprechend gefaßt – wäre das so zu regeln, daß die gesetzgeberischen und sonstigen Befugnisse der Körperschaft, die am Zusammentreten verhindert ist, auf die Bundesregierung übergehen. Ist also der Bundestag verhindert, dann werden Bundesregierung und Bundesrat die Verordnung erlassen müssen. Ist der Bundesrat verhindert, werden Bundestag und Bundesregierung zusammenwirken müssen. Das heißt also, die Bundesregierung wird die Rechte des Bundesrats wahrnehmen, unter Umständen Einspruch gegen ein Gesetz oder eine Notverordnung einlegen. Sie hat einfach eine Ersatzfunktion.

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Renner (KPD): Zu Art. 111 Abs. 1 hat Herr Dr. Katz hier noch einmal ausgesprochen, daß die höhere Gewalt nur beim Vorliegen von Naturkatastrophen gegeben ist. Ich schlage also vor, zusätzlich zu sagen: durch höhere Gewalt in Form einer Naturkatastrophe. Ich will damit Herrn Katz zwingen, zu der Frage Stellung zu nehmen: Ist der Generalstreik eine Naturkatastrophe? (Heiterkeit.) – Das ist doch die Konsequenz! [S. 457] Vors. Dr. Schmidt (SPD): Ich glaube, Herr Abgeordneter Renner, Sie haben nicht voll hingehört. Herr Dr. Katz hat gesagt: Höhere Gewalt sind Naturkatastrophen, Aufruhr, Generalstreik usw. Er hat also den Generalstreik und den Aufruhr nicht als eine Naturkatastrophe, sondern neben den Naturkatastrophen genannt. (Renner [KPD]: Er hat zuletzt nur von der Naturkatastrophe gesprochen!) Dr. Katz (SPD): Ich darf noch einmal feststellen: es handelt sich lediglich um den technischen Notstand. Ein technischer Notstand, der eine normale Funktion des gesellschaftlichen Lebens ausschließt, bringt Gefahren auch für den Bestand der demokratischen und verfassungsmäßigen Grundordnung; denn wenn keinerlei Regierungsgewalt funktionieren kann, die öffentliche Ordnung durch Feuersbrünste, Naturkatastrophen usw. gestört ist, dann reißt doch alles auseinander, und es sind gewisse technische Maßnahmen notwendig. Nur für den Fall des technischen Notstandes gilt diese Verordnung, und da sind unter Umständen gewisse Maßnahmen zu treffen. Der Ausschuß ist sich darüber einig gewesen, daß man diese Maßnahmen nicht an die vorherige Zustimmung auch einer Kammer binden sollte, selbst wenn es technisch möglich sein sollte, daß eine Kammer sich versammelt; was außerordentlich unwahrscheinlich ist. Das Verfahren, das der Redaktionsausschuß in diesem Falle vorgeschlagen hat, ist sehr viel umständlicher, aber es geht gleichzeitig weiter: in gewissen Fällen kann nämlich von der Zustimmung der Präsidenten der beiden gesetzgebenden Kammern abgesehen werden. Davon sehen wir auf keinen Fall ab, so daß also eine gewisse Garantie der Mitwirkung von anderen Stellen gegeben ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über beide Anträge abstimmen. Renner (KPD): Ich habe einen Zusatzantrag gestellt, über den ich abzustimmen bitte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Er war ernst gemeint? Renner (KPD): Ja, ich will die Herren zwingen, sich mit ihren Gewerkschaftskollegen auseinanderzusetzen. Ich will Herrn Katz Gelegenheit geben, sich über das Problem Generalstreik – Naturkatastrophe mit den Gewerkschaften zu unterhalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann darf ich bitten, genau zu formulieren. Renner (KPD): Ich schlage vor, zu sagen: Ist eine der gesetzgebenden Körperschaften durch höhere Gewalt in Form einer Naturkatastrophe an der Ausübung ihrer Befugnisse verhindert usw. Dr. Dehler (FDP): Zur Abstimmung! Der Redaktionsausschuß hat von sich aus die Materie ganz neu geregelt und nur vorsorglich Art. 111 des Organisationsausschusses redigiert. Unser eigener Vorschlag ist enthalten in Art. 111-1 usw. (Dr. Greve [SPD]: Das hatte ich bei meinen letzten Ausführungen auch übersehen.)

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe auch diesen Antrag vorliegen und werde ihn verlesen. Ich möchte aber dem Anliegen des Kollegen Renner Rechnung tragen und über seinen Zusatzantrag abstimmen lassen. Dr. Dehler (FDP): Vorher muß die Frage entschieden werden, ob nicht unser Entwurf weitergeht. Wir haben nicht nur den Art. 111 der Fassung des Organisationsausschusses umredigiert, sondern den Art. 111 in Art. 111-1, 111a und 111b nach neuen Gesichtspunkten gefaßt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Er liegt mir hier vor; ich habe Sie schon richtig verstanden. Dr. Dehler (FDP): Also müßte der Hauptausschuß sich schlüssig werden, ob nicht diese Fassung einer Abstimmung zugrunde gelegt werden soll. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich will ja die beiden Fassungen zur Abstimmung stellen, die des Organisationsausschusses und die des Redaktionsausschusses. Und zwar will ich zuerst über den weitergehenden Antrag und dann über den andern abstimmen lassen. Dr. Greve (SPD): Herr Kollege Dr. Dehler meint: für den Fall, daß der Antrag des Redaktionsausschusses angenommen werden sollte, ist kein Raum mehr für den Antrag des Herrn Kollegen Renner. (Renner [KPD]: Doch!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich kann dann nicht mehr über seinen Zusatzantrag abstimmen lassen, muß also vorher darüber abstimmen lassen. Ich lasse über den Antrag Renner abstimmen, der Fassung des Organisationsausschusses hinzuzufügen: durch höhere Gewalt „in Form von Naturkatastrophen“. – Außer der Stimme des Herrn Renner sind alle Stimmen dagegen. Bei der Frage, welche der beiden Fassungen am weitesten geht, die des Organisationsausschusses oder die des Allgemeinen Redaktionsausschusses, habe ich gewisse Zweifel. Mir scheint, am weitesten in der Zuerkennung von Befugnissen an die Bundesregierung geht die Fassung des Organisationsausschusses. Dr. Dehler (FDP): Unsere Fassung geht erheblich weiter! (Dr. Lehr [CDU]: Ich glaube auch. Dr. Katz [SPD]: Teils so, teils so.) Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Voraussetzungen sind in dem einen Fall schwieriger. Die Kompetenzen gehen in dem einen Fall weiter, im andern Fall weniger weit. Man müßte eine Gleichung aufstellen und das durchrechnen, aber ich glaube, daß wir uns das ersparen können. Der Ausschuß scheint damit einverstanden zu sein, daß ich zuerst über die Fassung des Redaktionsausschusses, also den Antrag Dr. Dehler, abstimmen lasse. (Zustimmung.) – Ich stelle ihn zur Abstimmung. – Die Fassung von Dr. Dehler ist mit 11 gegen 10 Stimmen abgelehnt. Dann stelle ich die Fassung des Organisationsausschusses zur Abstimmung. – Diese Fassung ist mit 10 gegen 6 Stimmen angenommen. Zinn (SPD): Es muß aber heißen: „freiheitliche oder demokratische Grundordnung“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja, das ist ein Redaktionsfehler; beides steht nicht kumulativ, sondern alternativ nebeneinander.

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Wir kommen zu Abs. 2: (2) Die Notverordnungen treten außer Kraft, wenn eine der beiden Körperschaften ihre Aufhebung verlangt oder sie nicht binnen vier Wochen vom Bundestag und vom Bundesrat bestätigt werden. Sind infolge höherer Gewalt Bundestag und Bundesrat nicht in der Lage, eine Bestätigung auszusprechen, so können die Notverordnungen in der gleichen Weise jeweils um vier Wochen verlängert werden. (Kaufmann [CDU]: Das ist doch identisch?!) Ich lasse abstimmen. – Mit 18 Stimmen angenommen. Heile (DP): Meine Fraktion hat beantragt, zwischen Abs. 2 und Abs. 3 folgenden Absatz einzufügen (PR. 12.48 – 432): Unbeschadet des Abs. 2 sind die Notverordnungen dem Bundesverfassungsgericht vom Bundespräsidenten vorzulegen. Stellt das Bundesverfassungsgericht fest, daß die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlaß einer Notverordnung nicht gegeben sind, so hat der Bundespräsident die Notverordnung unverzüglich außer Kraft zu setzen. Es handelt sich also lediglich um eine Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen; es soll eine zusätzliche Garantie gegen einen Mißbrauch sein. [S. 458] Dr. Greve (SPD): Nach diesem Antrag würde das, was aus politischen Gründen notwendig war, um die Notverordnungen zu erlassen, in die Sphäre des Rechts übertragen. Ich glaube nicht, daß dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit gegeben sein sollte, die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlaß einer Notverordnung zu prüfen. Die rechtlichen Voraussetzungen müssen von der Regierung in gleicher Weise beachtet werden, und Notverordnungen, die mit den rechtlichen Bestimmungen nicht in Übereinstimmung zu bringen sind, sind sowieso hinfällig. Heile (DP): Es ist aber gerade zur Beruhigung der Gemüter in solchen Situationen sehr gut, wenn die höchste Rechtsinstanz feststellt, daß die Rechtsgrundlagen gegeben sind. Dr. Katz (SPD): Es handelt sich nur um den technischen Notstand. Nach vier Wochen treten die Notverordnungen außer Kraft. Wie soll der Staatsgerichtshof nach vier Wochen überhaupt entschieden haben, abgesehen davon, daß er – das können wir unterstellen – wegen der Naturkatastrophe auch nicht wird zusammentreten können? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag der DP abstimmen. – Der Antrag ist mit 17 Stimmen abgelehnt. Wir gehen weiter zu Abs. 3: (3) Durch eine Notverordnung können nur die Grundrechte der Pressefreiheit (Art. 6), der Versammlungsfreiheit (Art. 8), der Vereinigungsfreiheit (Art. 9) sowie das Fernsprech- und Telegraphengeheimnis (Art. 10) vorübergehend außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden. In der Verordnung müssen die außer Kraft gesetzten oder eingeschränkten Grundrechte namentlich und mit ihrer Artikelzahl bezeichnet sein. Änderungen des Grundgesetzes durch Notverordnungen sind unzulässig. Heile (DP): Ich beantrage, die Vereinigungsfreiheit hier auszunehmen. Das ist ein zu starker Eingriff.

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Dr. Dehler (FDP): Es würde sich ergeben, daß die beiden Kammern nicht in der Lage sind, die Grundrechte außer Kraft zu setzen; aber wenn sie infolge eines technischen Notstandes nicht zusammentreten können, kann die Regierung unter diesen Voraussetzungen die Grundrechte aufheben. Das ist doch eine unmögliche Konsequenz! Dr. Katz (SPD): Zu dem Antrag Heile: der Fall dieses technischen Notstandes kann auch im Aufruhrfalle gegeben sein, und die Aufhebung der Vereinigungsfreiheit ist wahrscheinlich eines der Mittel, einen Aufruhr zu beseitigen und normale gesetzmäßige Zustände wiederherzustellen. Wenn man schon von der Aufhebung von Grundrechten spricht, scheint mir die Vereinigungsfreiheit mit dazuzugehören. Renner (KPD): Wenn man nach den Ausführungen der Herren Vertreter der bürgerlichen Parteien und der SPD noch Zweifel haben könnte über den Sinn dieses Artikels in seiner Gänze, darüber, daß er den alten Art. 48 ersetzen soll, dann braucht man nur nachzulesen, was hier aufgehoben werden soll. Es ist wirklich beachtlich, daß es nicht ein Sozialdemokrat ist, sondern ein Vertreter einer bürgerlichen Partei, der sich gegen die Aufhebung der Vereinigungsfreiheit verwahrt. Für einen Sozialdemokraten ist es wirklich – verzeihen Sie, ich habe kein anderes Wort dafür – beschämend, hier auszusprechen, daß die Aufhebung der Versammlungsfreiheit eine der Hauptvoraussetzungen für die Beseitigung des Notstandes ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Zum Beispiel die Versammlungsfreiheit der Nazis! Renner (KPD): Sie meinen ja nicht die Nazis. Die sitzen ja in Ihrem (nach rechts weisend) holden Verein, die sitzen ja in diesem Kreis, die ehemaligen Nazis, SALeute, die sitzen ja hier sogar in diesem Hause, in diesem Raum, an diesem Tische, ehemalige – (Dr. Lehr [CDU]: Wer denn?) – Sie wissen das nicht? Ist denn einer der Herren von Ihnen hinausgegangen? (Große Heiterkeit.) – Ist Herr . . .24) nicht mehr da? (Lebhafte Zurufe: Wer? Wer?) Die Konsequenz ist die, Herr Katz, daß der Bundeskanzler dieser Bundesregierung mit einem Federstrich sogar Gewerkschaften beseitigen kann; denn hinter den Streiks stehen normalerweise die Gewerkschaften. Das aber konzedieren Sie damit, und damit sind Sie dafür. (Dr. Katz [SPD]: Sie möchten einen Naziaufstand?) – Ich möchte keinen Naziaufstand, aber wenn diese Möglichkeit existiert, sind wir Kommunisten daran schuld, wenn es zu einem Streik kommen sollte, und wenn dann noch Nazis da sind, dann ist es die Schuld derjenigen, die die Entnazifizierung nach den Regeln durchführen, wie sie hier bei uns gelten. (Kaufmann [CDU]: Sie haben sie ja damals mit allen Mitteln unterstützt!) – Der alte Witz! Vors. Dr. Schmid (SPD): Trotz der Ausführungen der Herren Vorredner möchte ich wiederholen, was ich im Ausschuß und im Plenum gesagt habe: ich bin der Mei24)

Der Abg. Adolf Blomeyer (CDU), war Mitglied des SA-Reitersturms in Minden gewesen. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 9, Dok. Nr. 11, S. 649 mit Anm. 51. Zur Person vgl. auch: Feldkamp: Der Parl. Rat, S. 208.

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nung, daß das Recht, Grundrechte zu suspendieren, nicht nur nicht gegeben werden sollte, sondern auch nicht gegeben zu werden braucht. Wenn wirklich Umstände eintreten, die die Ausrufung des Notstands erforderlich machen, dann kann man durch Beschränkung der Pressefreiheit nicht sehr viel ausrichten und auch durch die Beschränkung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, des Fernsprech- und Telegraphengeheimnisses nicht sehr viel. Entweder kann man mit staatlichen Mitteln noch etwas tun; dann reichen die allgemeinen Polizeimittel aus. Wenn das nicht mehr der Fall sein sollte, dann haben wir den Bürgerkrieg, und den muß man eben in der Weise austragen, wie man einen Bürgerkrieg auszutragen hat. Ich glaube darüber hinaus, die Aufnahme solcher Bestimmung könnte dazu führen, daß die Bürger sich zu sehr in Sicherheit wiegen. Die Bürger dieses Landes könnten sich veranlaßt sehen, zu sehr auf den Staatsapparat und die Polizei zu vertrauen. Wenn man ihnen klar vor Augen führt, wie gefährlich die Situation ist, daß die Polizei mit ihren Mitteln nicht mehr durchkommt, werden sie vielleicht ihre Schlafmützen vom Kopfe ziehen und selber tätig werden. Mit dieser Argumentation, die ebenso eine Argumentation des Prinzips als auch der Pädagogik ist, möchte ich vorschlagen, überhaupt davon abzusehen, die Möglichkeit des Aufhebens von Grundrechten vorzusehen. Dr. Lehr (CDU): Ich kann mich den Ausführungen des Herrn Vorredners nicht anschließen. Man muß dem Staatsapparat die Möglichkeit geben, durch die Aufhebung dieser einzelnen Artikel je nach den Bedürfnissen zunächst einmal auf diesem Wege vorzugehen, ehe die ultima ratio eintritt, der Einsatz der vorhandenen Machtmittel der Exekutive. Ich glaube, daß die Aufhebung der einzelnen Artikel, die wir für den Notfall vorgesehen wissen wollen, doch auch eine sehr starke Warnung ist. Dr. Katz (SPD): Auch ich möchte den Ausführungen des verehrten Kollegen Dr. Schmid widersprechen. Wir wollen mit unserem Vorschlag einer kämpferischen Demokratie die Möglichkeit geben, bei der Abwehr von antidemokratischen Angriffen auch die entsprechenden Mittel anzuwenden. Das Vertrauen auf die guten Bürger, die ihre Schlafmützen herunterziehen werden, wenn, sagen wir, ein faschistischer oder antidemokratischer Angriff kommen sollte, habe ich leider nicht. Da muß der Staat gewisse scharfe Machtmittel haben, um einen derartigen Angriff niederzuschlagen. Dazu ist die Suspension gewisser Grundrechte nötig. Die kämpferische Demokratie soll sich gegen Angriffe auf die Demokratie verteidigen können, [S. 459] und ich glaube, daß wir dabei auf diese Mittel nicht verzichten können. Renner (KPD): Herr Dr. Lehr sprach vom Staatsapparat. Was ist der Staatsapparat, Herr Lehr? (Dr. Lehr [CDU]: Das ist im Osten wesentlich verschieden vom Westen!) – Ich will sachlich mit Ihnen reden, nicht Ihren faulen Zauber mitmachen! Was ist der Staatsapparat, was können Sie Ihrer ganzen Tradition nach darunter verstehen? Da wir keine Reichswehr mehr haben, ist das bestenfalls die noch zu kasernierende Polizei und die Bürokratie. Das ist der Staatsapparat, an den Sie denken. Etwas anderes können Sie sich bei Ihrer ganzen Vergangenheit unter dem „Staatsapparat“ gar nicht vorstellen. Wenn ein Sozialdemokrat wie Herr Dr. Katz sagt, man müsse die Mittel einer „kämpferischen“ Demokratie einsetzen, dann heißt das

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in der Praxis, man setzt die Polizei unter der Führung dieser reaktionären Bürokratie ein, also die reaktionäre Polizei. Ich weiß nicht, Herr Katz, wie alt Sie sind – ich meine politisch alt –, aber was wir mit dem Einsatz der „kämpferischen Mittel der Demokratie“ in der Weimarer Zeit erlebt haben, das dürfte sogar Ihnen wenigstens aus der Literatur bekannt sein. Gibt es, so frage ich, denn nicht ein anderes Mittel für einen Schutz der Demokratie? Haben wir nicht das demokratische Volk, das seine Einrichtungen und seinen Staat verteidigt? Ist das nicht die einzige Gewähr für den Bestand eines demokratischen Staates? Das ist meine Meinung. Der Entwurf einer Verfassung, den der Volksrat gemacht hat, geht komischer- und bezeichnenderweise – komischerweise für Sie, bezeichnenderweise für mich – von dem Gedanken aus, daß der Staat, den aufzubauen wir bereit sind, vom Volke, von der Mehrheit des Volkes getragen sein muß, daß dieser Staat in seiner Gesetzgebung und Verwaltung dem Willen der Mehrheit dieses Volkes gerecht werden muß. Wenn diese Kautele beachtet wird, dann kann der Staat nie in die Lage kommen, daß er sich von einer bewaffneten Minderheit, von einem Organ der Staatsmacht, etwa der Polizei, verteidigen lassen muß; denn dann steht das Volk auf, dann wacht das Volk über seine Demokratie und seine demokratischen Einrichtungen. (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Wie in Berlin am 5. Dezember!) Für Sie, Herr Katz, ist das unvorstellbar, denn Ihre ganze bisherige Einstellung zur Verfassung, die Sie hier auf Befehl der Militärregierung ausarbeiten, schaltet das Volk aus. Sie haben vor dem Volk und seinem Einsatz eine geradezu hysterische Angst, so daß Sie überall zwei, drei Sicherungen und Gegensicherungen gegen einen eventuellen demokratischen Volkswillen einschalten. So liegen die Dinge, und nur ein Demokrat, der so denkt wie Sie, braucht einen Art. 48 oder einen Ersatz dafür. Der Mann aber, der einen demokratischen Staat aufbauen will, in dem alle Rechte und Pflichten vom Volke ausgehen, in dem diese Rechte dem Volke wirklich zugute kommen, braucht keinen Schutz für diesen Staat. Aber wenn man an die Bildung eines Staates à la Frankfurt herangeht – es kann jetzt auch Bonn sein, das ändert am Charakter nichts –, dann braucht man auch einen Art. 48. Wenn man einen reaktionären Staat aufbaut, der gegen die Interessen des Volkes ist, zwangsläufig gegen die Interessen der Mehrheit seiner Bürger sein muß, dann braucht man einen Art. 48, aber auch nur dann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Kollege Renner, warum hat man, wenn man die Entscheidung des Volkes geradezu will, in der Ostzone im letzten Jahre die Gemeindewahlen nicht abgehalten25)? Renner (KPD): Soll ich Ihnen ein Kolleg halten über die politische Entwicklung in der Ostzone? Vors. Dr. Schmid (SPD): Nein. (Zurufe: Um Gottes willen!) 25)

Am 8. Sept. 1946 haben die ersten und letzten Gemeindewahlen in der sowjetischen Besatzungszone stattgefunden. Bei den für den Herbst 1948 angesetzten Gemeindewahlen wurde von der Sowjetischen Militäradministration zunächst die Einhaltung des Wahltermins von den „Wünschen der deutschen Bevölkerung“ abhängig gemacht und schließlich der Termin auf Befehl auf unbestimmte Zeit verschoben.

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Renner (KPD): Warum hat man zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen die Kommunalwahl26) über ein Jahr hinausgeschoben? (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Aber man hat sie durchgeführt!) – Das war nicht in der Ostzone. Kommen Sie nicht mit solchen pflaumenweichen Geschichten! Aber ich bin gern bereit, Ihnen ein Kolleg über Verfassungsfragen hier bei uns im Westen und im Osten zu halten. Dann werden Ihnen manche Dinge, falls Sie Sozialdemokrat sind, und bestimmt, wenn Sie Sozialist sind, verständlicher sein als bisher, wie gesagt: falls Sie Sozialist sind. (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Es wird für Sie schwer sein, mich zu überzeugen.) – Ich könnte Sie überzeugen, wenn Sie Sozialist wären. Aber ich glaube nicht an die Möglichkeit, Sie zu überzeugen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Welch ein indirekter Konditionssatz! Ich lasse über Abs. 3 abstimmen. – Abs. 3 ist in der verlesenen Fassung mit 12 Stimmen bei Enthaltungen angenommen. Heile (DP): Sie hätten vorher über meinen Antrag abstimmen lassen müssen. Ich konnte infolgedessen nicht mitstimmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Verzeihung, ich habe das übersehen. Aber Sie erheben keine Beschwerde? Heile (DP): Hätten Sie abstimmen lassen, so wäre ich überstimmt worden. Ich stelle das nur fest. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir kommen zu Abs. 4: (4) Solange Grundrechte gemäß Abs. 3 außer Kraft gesetzt sind, dürfen Wahlen zu politischen Körperschaften und Volksabstimmungen im gesamten Bundesgebiet nicht stattfinden. Die Wahlperioden verlängern sich entsprechend. Ich lasse abstimmen. – 16 Stimmen sind dafür. (Renner [KPD]: Mit Nein kann man dabei nicht stimmen!) – Ich habe immer gesagt, Herr Renner, Sie sind Gründen zugänglich. – Der Abs. 4 ist angenommen. Abs. 5: (5) Die in diesem Artikel vorgesehenen Verordnungen und Beschlüsse sind im Bundesgesetzblatt zu verkünden. Ist dieses nicht möglich, so genügt jede andere Form der allgemeinen Bekanntgabe, insbesondere durch Rundfunk; die Verkündung im Bundesgesetzblatt ist unverzüglich nachzuholen. Ich lasse abstimmen. – Mit 19 Stimmen angenommen. Dann lasse ich über den gesamten Art. 111 abstimmen. – Art. 111 ist mit 13 gegen 1 Stimme, im übrigen Enthaltungen, angenommen.

26)

Kommunalwahlen fanden in Nordrhein-Westfalen am 13. Okt. 1946 und am 17. Okt. 1948 statt. Für die im Herbst 1947 vorgesehenen Ergänzungswahlen zu den Vertretungen der Gemeinden und Gemeindeverbände wurden im Juli 1947 dem Verfassungsausschuß des nordrhein-westfälischen Landtags vorgelegt und dort beraten. Danach wurden schließlich im Herbst 1948 nicht mehr nur Ergänzungswahlen durchgeführt, sondern Neuwahlen. Vgl. Kabinettsprotokolle von Nordrhein-Westfalen, S. 339–341, 355, 533, 567, 610, 514, 872, 877, 909.

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Sechsunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses 12. Januar 1949 [2.9. ART. 111z: NOTSTANDSRECHT (VORHER ART. 90b)]

Wir kommen zu Art. 111z. (Dr. Lehr [CDU]: Das ist der gestern beschlossene Art. 90b.) – Den haben wir an einer anderen Stelle untergebracht.

[2.10. ART. 111a: MITWIRKUNG BEI DER BUNDESGESETZGEBUNG]

Wir kommen zu

Art. 111a Die Befugnis zur Mitwirkung bei der Bundesgesetzgebung kann nicht übertragen werden, auch nicht auf einen von einem Bundesorgan gebildeten Ausschuß. Es wird sich im wesentlichen auch um Bundesratsbeschlüsse handeln. Dr. Lehr (CDU): Ich glaube, wir müßten doch darüber abstimmen, daß Art. 111z, der gestern beschlossene Art. 90b, an diese Stelle kommt. [S. 460] Vors. Dr. Schmid (SPD): Jawohl, ich lasse darüber abstimmen und präzisiere die Frage. Der gestern beschlossene Art. 90 b soll als Art. 111 z hier eingeordnet werden. Ich lasse hierüber abstimmen. – Mit 16 Stimmen angenommen. Ich lasse über Art. 111a abstimmen. – Mit 18 Stimmen angenommen.

[2.11. ART. 111b: RECHTSVERORDNUNGEN]

Wir gehen zu

Art. 111b (1) Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze werden vom Bundespräsidenten ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet. Rechtsverordnungen werden von der Stelle, die sie erläßt, ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt oder Bundesanzeiger verkündet. (2) Jedes Gesetz und jede Rechtsverordnung soll den Tag des Inkrafttretens bestimmen. Fehlt eine solche Bestimmung, so treten sie mit dem vierzehnten Tage nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem das Bundesgesetzblatt ausgegeben worden ist. Ich lasse abstimmen. – Mit 19 Stimmen ohne Gegenstimmen angenommen. Damit ist der Abschnitt erledigt. Der Hauptausschuß vertagt sich auf Donnerstag, den 13. Januar 1949, 10 Uhr. Schluß der Sitzung 18.08 Uhr.

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Nr. 37 Siebenunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses 13. Januar 1949 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 461–473. PA 2004. Ungez. von Meidinger gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 537 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: von Brentano, de Chapeaurouge, Fecht, Kaufmann, Kleindinst, Laforet, Lehr, von Mangoldt SPD: Greve, Katz, Maier, Schmid (Vors.), Schönfelder, Selbert, Wolff, Zimmermann FDP: Becker, Dehler DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Eberhard (SPD), Löwenthal (SPD), Strauß (CDU), Zinn (SPD) Stenographischer Dienst: Meidinger Dauer: 10.40–12.55 Uhr

[1. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT VIII: GERICHTSBARKEIT UND RECHTSPFLEGE]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir hatten gestern vereinbart, heute den Abschnitt VIII Gerichtsbarkeit und Rechtspflege zu behandeln. Wir haben zu diesem Abschnitt eine Vorlage des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege bekommen (PR. 1.49 – 492)3), die auf der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses (PR. 12.48 – 374)4) aufgebaut ist. Ich schlage Ihnen vor, daß wir als Vorlage die Ausarbeitung des Allgemeinen Redaktionsausschusses nehmen und daß wir uns an die Reihenfolge halten, die der Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vorschlägt. Danach soll die Reihenfolge der Artikel wie folgt geändert werden: Art. 128, 128b, 128c, 128e, 128a5), 128d, 129 und dann weitergehend nach der Zählung des Allgemeinen Redaktionsausschusses.

1)

Protokollführer Strätling. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Für den Wortlaut der in der 9. und 10. Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege gefaßten Änderungsanträge vgl. das als Drucks Nr. 492 vervielfält. Schreiben des Vorsitzenden des Ausschusses an den Vors. des HptA vom 12. Jan. 1949; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 62, S. 1550 f., Anm. 107. 4) Für den Wortlaut der Drucks. Nr. 374 vom 16. Dez. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 4, S. 161–201. 5) „128a“, fehlt im stenograph. Wortprot., S. 1. 2)

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Siebenunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses 13. Januar 1949 [1.1. ART. 128: BUNDESGERICHTE]

Ich stelle Ihr Einverständnis hierzu fest und rufe auf Art. 128 Die rechtsprechende Gewalt wird durch das Oberste Bundesgericht, das Bundesverfassungsgericht, durch die in diesem Grundgesetz vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt. Hier schlägt der Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vor, daß die Worte „das Oberste Bundesgericht“ und „das Bundesverfassungsgericht“ ausgetauscht werden, daß also als erstes das Bundesverfassungsgericht genannt wird, als zweites das Oberste Bundesgericht und dann die Bundesgerichte und die Gerichte der Länder. – Ich stelle Ihr Einverständnis damit fest, daß die Reihenfolge in der vorgeschlagenen Weise geändert wird. Dr. Strauß (CDU): Ich empfehle, das Wort „durch“ entweder überall zu setzen oder es überall wegzulassen, also zu sagen: „Die rechtsprechende Gewalt wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch das Oberste Bundesgericht, durch die in diesem Grundgesetz vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt.“ Dr. Katz (SPD): Das ist wohl das richtigste. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen. – Art. 128 ist in der vorgeschlagenen Fassung einstimmig angenommen.

[1.2. ART. 128b: ENTSCHEIDUNGEN DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS]

Nach der Reihenfolge, die wir eben beschlossen haben, rufe ich auf Art. 128b (1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet: 1. über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Ich werde hier ziffernweise verlesen und ich bitte, auch ziffernweise zu beraten. Ich lasse über Ziffer 1 abstimmen. – Ziffer 1 ist in der verlesenen Fassung einstimmig angenommen. Ziffer 2: bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht (Art. 44 Ziffer 2, Art. 114 Abs. 3); (Dr. Laforet [CSU]: Das Zitat muß offengelassen werden.) Zinn (SPD): Das muß offengelassen werden, weil wir den Abschnitt Verwaltung noch nicht behandelt haben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann werden wir dieses Zitat offenlassen. Zinn (SPD): Ich empfehle, die Ziffer 2 nicht an dieser Stelle, sondern hinter Ziffer 4 als Ziffer 4a einzufügen, weil die Ziffern 1, 3, 3a und auch 4 die Fälle der so-

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genannten Normenkontrolle behandeln, Fälle, in denen eine Rechtsnorm mit einer übergeordneten Rechtsnorm zu vergleichen ist, während es sich hier auch um andere Fälle handeln kann. Ich würde die Fälle der sogenannten Normenkontrolle – Ziffer 1, 3, 3a und 4 – voranstellen und hinzufügen Ziffer 2, dann 5, 6 usw. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie möchten also lediglich diese Ziffer als Ziffer 4a an anderer Stelle haben. Dr. Seebohm (DP): Es liegt ein Antrag unserer Fraktion (PR. 12.48 – 435)6) vor, der sich auf die Fassung der ersten Lesung bezieht. Wir legen auf die Klarstellung Wert, daß es sich nur um Streitigkeiten nichtprivatrechtlicher Art handelt, daß diese Streitigkeiten hier also nur dann entschieden werden können, wenn sie nichtprivatrechtlicher Art sind, und zwar Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Gerichtshof zuständig ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dem ist bei Ziffer 6 Rechnung getragen. Dr. Seebohm (DP): Das geht hier etwas durcheinander, weil diese Probleme jetzt anders gefaßt sind. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ziffer 2 betrifft eine andere Materie. Hier kann es sich um privatrechtliche Streitigkeiten nicht handeln. – Sie stellen also keinen Antrag? (Dr. Seebohm [DP]: Nein.) Dann lasse ich über Ziffer 2 abstimmen, vorbehaltlich der Frage, wo diese Ziffer eingeordnet werden soll. – Einstimmig angenommen. Ich komme zum Antrag Zinn, diese Ziffer 2 an anderer Stelle einzufügen, als Ziffer 4a. Dr. Strauß (CDU): Ich bitte, das zurückzustellen und erst einmal Ziffer 3, 3a und 4 zusammen zu behandeln, weil wir unseren Antrag aus der ersten Lesung aufnehmen, diese Fälle der Normenkontrolle nicht dem Bundesverfassungsgericht, sondern dem Obersten [S. 462] Bundesgericht zuzuweisen. Eine Begründung kann ich mir ersparen, nachdem wir das eingehend behandelt haben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ziffer 3: über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetz oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht auf Antrag eines Gerichtes (Art. 137 Abs. 1), auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Drittels der Mitglieder des Bundestags; Dr. Seebohm (DP): Zum sachlichen Inhalt dieser Ziffer haben wir den Antrag gestellt – es ist unser Antrag Nr. 41 (PR. 12.48 – 435) –, daß der in Ziffer 3 vorgesehene Antrag auch durch den Bundespräsidenten und ferner durch ein Fünftel der Mitglieder des Bundestags oder eines Landtags gestellt werden kann. Wir sind der Auffassung, daß einmal der Bundespräsident, die höchste Spitze des Bundesstaats, in der Lage sein muß, einen solchen Antrag einzubringen. Wir sind ferner der Auffassung, daß, wenn eine Landesregierung und wenn eine bestimmte Anzahl von Mitgliedern des Bundestags einen Antrag einbringen kann, auch eine bestimmte 6)

Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 41 der DP-Fraktion zu Art. 128 b vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 435.

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Anzahl von Mitgliedern eines Landtags berechtigt sein muß, derartige Anträge zu stellen. Es ist zweifellos, daß die Bestimmung, nach der ein Drittel der Mitglieder des Bundestags Anträge einbringen kann, doch eingefügt worden ist, um eine Minderheit zu schützen, und diese Minderheit muß genau so, wie sie hier auf der Bundesebene gegenüber der Bundesregierung geschützt wird, auch auf der Landesebene gegenüber der Landesregierung geschützt werden. Die Forderung nach einem Drittel der Mitglieder erscheint uns zum Schutz der Minderheit nicht ausreichend; wir sind der Auffassung, daß man die antragsberechtigte Minderheit auf ein Fünftel begrenzen soll. Daher geht unser Antrag dahin eigentlich sind es ja zwei Anträge –, einmal dem Bundespräsidenten die Antragsmöglichkeit zu geben und zum zweiten einer bestimmten Gruppe von Landtagsmitgliedern in der gleichen Größenordnung, wie sie für den Bundestag vorgesehen ist, diese Möglichkeit zu geben, wobei wir ein Fünftel dem jetzt vorgeschlagenen Drittel vorziehen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Sache mit dem Bundespräsidenten geht nicht. Wenn der Bundespräsident die pouvoir neutre darstellen soll, darf er in Streitigkeiten nicht persönlich eingreifen. Er könnte einen solchen Antrag nur mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers stellen. Dann aber wäre praktisch der Bundeskanzler die Person, die entscheidend tätig wird und auch die Verantwortung für diesen Akt übernehmen würde. Man sollte bewußt den Bundespräsidenten nicht zur antragsberechtigten Partei machen. Zinn (SPD): Ich möchte mich der Auffassung von Herrn Kollegen Dr. Schmid anschließen und darauf hinweisen, daß diese Frage bereits früher einmal erörtert worden ist, und zwar auf dem 14. Deutschen Juristentag7). Auch damals hat sich der Reichsgerichtspräsident Simons8) dagegen gewandt, daß dem Reichspräsidenten ein derartiges Antragsrecht eingeräumt wird, und hat das damit begründet, daß die Stellung des Reichspräsidenten die einer neutralen Gewalt sei, daß er sich infolgedessen in einem solchen Verfassungsstreit nicht zu einer Partei aufwerfen solle und daß er im übrigen an der Gesetzgebung nur durch die Ausfertigung und Verkündung beteiligt sei. Soweit er selber gewisse Zweifel über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes habe, sei er in der Lage, ein Gutachten des Staatsgerichtshofs einzuholen und den politisch verantwortlichen Instanzen zuzuleiten und dadurch einen solchen Verfassungsstreit in Gang zu bringen. Man hat sich damals mit sehr wohl überlegten Gründen gegen eine Einschaltung des Reichspräsidenten9) ausgesprochen. Ich glaube, daß diese Gründe heute noch berechtigt sind. Was die Gewährung eines besonderen Antragsrechts für einen Landtag oder gar für eine Fraktion oder eine bestimmte Minderheit eines Landtags anbetrifft, so möchte 7)

Offensichtlich der 34. Deutsche Juristentag in Köln 1926; vgl. oben Dok. Nr. 23, S. 684, Anm. 6. 8) Walter Simons (1861–1937), Jurist, 1905 im Reichsjustizamt, 1911 im Auswärtigen Amt, 1918 Chef der Reichskanzlei. Generalkommissar der deutschen Friedensdelegation in Versailles, 1920–1921 Außenminister des Deutschen Reiches, 1922–1929 Präsident des Reichsgerichts in Leipzig, 1925 als Reichspräsident im Gespräch, 1929 Professor für Völkerrecht in Leipzig. Vgl. Horst Gründer: Walter Simons als Staatsmann, Jurist und Kirchenpolitiker (= Bergische Forschungen, Bd. 13), Neustadt an der Aisch 1975. Simons ist der Vater des US-amerikanischen Verbindungsoffiziers Hans Simons; vgl. unten Dok. Nr. 55, S. 1756, Anm. 17. 9) Statt „Reichspräsidenten“ im stenograph. Wortprot., S. 6: „Bundespräsidenten“.

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ich mich dagegen aussprechen. Wenn ein Landesgesetz von einem Land verabschiedet wird, wird das Land zunächst davon ausgehen, daß dieses Gesetz dem Bundesrecht entspricht und dem Grundgesetz nicht widerspricht. Der Bund wird nachprüfen, ob das Land seine Kompetenzen überschritten und sich im Gegensatz zu dem geltenden Grundgesetz gesetzt hat. Der Streit wird von oben in Gang gebracht werden können. Soweit der Landtag interessiert ist, in einem bestimmten Fall die Frage zu klären, ob ein von ihm beabsichtigtes oder angenommenes Gesetz in irgendeinen Konflikt mit dem Bundesrecht oder dem Grundgesetz gerät, kann er diese Frage mit der gutachtlichen Tätigkeit des Verfassungsgerichtshofs im Wege der Bestimmung der Ziffer 2, die wir soeben behandelt haben und an anderer Stelle bringen wollen, lösen. Ich würde also nicht empfehlen, dieses Antragsrecht hereinzunehmen, ganz abgesehen davon, daß man die Verfassung nicht mit derart weitgehenden Antragsrechten belasten soll. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ziehen Sie den Antrag insoweit zurück, Herr Kollege Dr. Seebohm? Dr. Seebohm (DP): Ich möchte doch bitten, darüber abstimmen zu lassen. Ich weiß, daß der Nachfolger von Herrn Reichsgerichtspräsident Simons, Herr Bumke10), anderer Auffassung gewesen ist. Er hat die Auffassung vertreten, daß ein Antragsrecht des Bundespräsidenten notwendig ist. In dieser Beziehung sind die Ansichten verschieden. Der Bundespräsident ist als oberste Spitze der Exekutive unter Umständen (Dr. Schmid [SPD]: Das ist er nicht!) – Doch, er hat sowohl exekutive wie neutrale Funktionen. Der Grad hängt natürlich von dem Charakter ab, den wir dem Bundespräsidenten geben wollen. Angenommen, dem Wunsch der Herren Dehler und Becker würde Folge gegeben, dann würde der Bundespräsident natürlich an der Spitze der Exekutive stehen, denn er würde Chef der Regierung sein und ein Antragsrecht haben müssen. Es ist in dieser Fassung aber so vorgesehen, daß nur die Bundesregierung, nicht der Bundeskanzler den Antrag stellen kann. Der Bundeskanzler ist dazu aber an die Mehrheit des Kabinetts gebunden. Ich könnte mir vorstellen, daß der Bundespräsident und der Bundeskanzler durchaus anderer Auffassung sind als die gesamte übrige Bundesregierung. Daher müßte man dem Bundespräsidenten ein Antragsrecht zubilligen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag auf Hinzufügung des Antragsrechts des Bundespräsidenten abstimmen. – Mit überwiegender Mehrheit abgelehnt. Ich lasse weiter abstimmen über die Hinzufügung eines Antragsrechts eines Fünftels der Mitglieder eines Landtags. – Die überwiegende Mehrheit lehnt das ab. 10)

Erwin Bumke (1874–1945) Jurist, seit 1907 im Reichsjustizamt (später: Reichsministerium der Justiz), Leiter der Abteilung II (Strafsachen), bereitete 1927 ein neues Strafgesetzbuch vor, 1930 Präsident der internationalen Strafrecht- und Gefängniskommission, 1929 Reichsgerichtspräsident, 1937 Mitglied der NSDAP, im Bundesgerichtshof in Karlsruhe fehlt sein Porträt, weil er persönlich für den Justizmord an Ewald Schlitt aus dem Jahre 1942 verantwortlich war. Vgl. Dieter Kolbe: Reichsgerichtspräsident Dr. Erwin Bumke. Studien zum Niedergang des Reichsgerichts und der deutschen Rechtspflege. Karlsruhe 1975.

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Ich lasse abstimmen über Ziffer 3. – Gegen 1 Stimme angenommen. Ziffer 3a: in Fällen des Art. 137 Abs. 2 und über die Auslegung des Grundgesetzes gemäß Art. 137 Abs. 3; Ich lasse abstimmen. – Gegen 1 Stimme angenommen11). Ziffer 4: über die Vereinbarkeit früheren Rechts mit dem Grundgesetz und das Fortgelten von Recht als Bundesrecht (Art. 139); Ich lasse abstimmen. – Angenommen. Nun ist der Antrag gestellt, die Zuständigkeit für die Entscheidung der Materien, die in Ziffer 3, 3a und 4 geregelt sind, an das Oberste Bundesgericht zu geben. Es soll also nicht das Bundesverfassungsgericht über Streitfälle der genannten Art entscheiden können, sondern das – ich betone: unpolitische – Oberste Bundesgericht. Auch das Bundesverfassungsgericht ist ein [S. 463] Gericht, aber ein Gericht, in das bewußt ein politisches Element eingefügt ist. Begründet ist der Antrag schon in erster Lesung. Dr. Becker (FDP): Soll sich diese Verweisung an das Oberste Bundesgericht nur auf die Fälle beziehen, in denen in privatrechtlichen Streitigkeiten oder in einem Verwaltungsrechtsstreit diese Fragen zur Debatte stehen, oder auch auf die anderen hier gemeinten Fälle, in denen öffentlich-rechtliche Körperschaften miteinander vor Gericht debattieren, ob Bundesrecht oder Landesrecht gilt? Es ist wohl beides gemeint? (Zinn [SPD]: Beides.) Dr. Strauß (CDU): Ich glaube nicht, daß man trennen kann, weil bei Ziffer 4 eine derartige Antragsmöglichkeit wohl auch in Betracht kommt. Zinn (SPD): Ich glaube auch nicht, daß eine Trennung möglich ist. Man muß entweder in allen drei Fällen das Bundesverfassungsgericht für zuständig erklären oder man muß alle drei dem Obersten Bundesgericht zuweisen. Ich bin aus den Gründen, die ich schon in der früheren Sitzung des Hauptausschusses, als dieses Kapitel behandelt wurde, angeführt habe, dafür, diese Streitfälle der Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts zuzuweisen. Ich möchte noch auf folgendes hinweisen. Die Weimarer Verfassung hat in ihrem Art. 1312) vorgesehen, daß bei Zweifeln oder Meinungsverschiedenheiten über die Vereinbarkeit von Reichs- und Landesrecht diese Streitfälle einem obersten Gerichtshof des Reiches zu übertragen sind. Dazu erging ein Gesetz vom 6. April 1920, wodurch das Reichsgericht für zuständig erklärt wurde. Die Erfahrungen und die Entwicklung haben gezeigt, daß das Reichsgericht nicht die geeignete Instanz gewesen ist, solche Fragen zu entscheiden. Es ist interessant, daß später bei der Behandlung des Gesetzes über den Staatsgerichtshof – ebenfalls auf dem vorhin erwähnten 14. Deutschen Juristenkongreß im Jahre 1926 – vom Reichsgerichtspräsidenten Simons ausgeführt wurde, daß es nicht Sache eines Gerichtshofs wie des Reichsgerichts sei, derartige 11)

Im stenograph. Wortprot., S. 9, folgt danach: „Dr. Strauß (CDU): Ich glaube, das ist jetzt Art. 129c, nicht mehr Art. 137 nach der Fassung des Redaktionsausschusses.“ 12) Für den Wortlaut des Art. 13 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 vgl. oben Dok. Nr. 6, S. 188, Anm. 30.

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Streitfragen zu entscheiden, und daß die Entscheidung von Streitfragen, bei denen die Entscheidung unter Umständen mit Gesetzeskraft ausgestattet sei, einem Verfassungsgerichtshof übertragen werden sollte. Bereits damals hat man die gleichen Gründe angeführt, die wir heute dafür anführen, daß man das Bundesverfassungsgericht für zuständig erklären soll. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich stelle den Antrag, die drei Ziffern 3, 3a und 4 überhaupt zu streichen, und behalte mir vor, für die dritte Lesung einen Antrag zu stellen, wonach die in diesen Ziffern aufgeführten Streitfälle von den oberen Gerichten zu entscheiden und nur in Zweifelsfällen an das Oberste Bundesgericht heranzutragen sind, damit dieses nicht zu stark belastet wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Streichung ist nicht mehr gut möglich; wir haben die Ziffern soeben angenommen. Sie hätten den Antrag stellen müssen, ehe wir abgestimmt haben. Wir können jetzt nicht mehr darüber abstimmen. Das muß in einer späteren Lesung gemacht werden. Ich lasse über den Antrag abstimmen, die Ziffern 3, 3a und 4 in den Artikel zu überstellen, in dem von der Zuständigkeit des Obersten Bundesgerichts gehandelt wird. – Der Antrag ist mit 14 gegen 5 Stimmen abgelehnt13). Wir haben jetzt über den Antrag zu beschließen, die Ziffer 2 als Ziffer 4a hinter Ziffer 4 einzufügen. – Es ist einstimmig so beschlossen. Ziffer 5: in Streitigkeiten über die Vermögensauseinandersetzung aus Anlaß der Neugliederung (Art. 138aa) oder der Änderung des Gebietsbestandes der Länder (Art. 26) und aus Anlaß der Auseinandersetzung über das Vermögen von Körperschaften im Sinne der Art. 143e und f; Auch hier müssen die Artikelbezeichnungen offengelassen werden. Ich lasse abstimmen. – Einstimmig angenommen. Ziffer 6: in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist; Ich lasse abstimmen. – Einstimmig angenommen. Ziffer 7: über Anklagen gegen den Bundespräsidenten (Art. 85); Ich lasse abstimmen. – Angenommen. Ziffer 7a: über Anklagen gegen Bundesrichter gemäß Art. 133 Abs. 1; Dr. Becker (FDP): Hierzu liegt ein Antrag (PR. 1.49 – 491)14) seitens meiner Fraktion vor, die Zuständigkeit des Bundesdienststrafgerichts letzter Instanz zu schaffen. Das wird bei Art. 133 zu erörtern sein, und ich bitte daher, die Abstimmung über Ziffer 7a zurückzustellen, bis dort die Entscheidung gefallen ist. 13)

Im stenograph. Wortprot., S. 11, folgt danach: „Dr. Strauß (CDU): Dann müssen wir natürlich auch Ziff. 4 dem Bundesverfassungsgericht geben und nicht wie in erster Lesung differenzieren. (Zinn [SPD] und Dr. Greve [SPD]: Ja.)“ 14) Der von Heuss und Dehler auf Drucks. Nr. 491 vervielfältigte Antrag der FDP-Fraktion ist vom 12. Jan. 1949.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag gestellt, die Entscheidung über Ziffer 7a zurückzustellen, bis über den Antrag Dr. Becker auf Errichtung eines obersten Disziplinargerichts für Richter entschieden ist. – Ich stelle Ihre Zustimmung fest; die Abstimmung über Ziffer 7a wird ausgesetzt. Ziffer 8: über die Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei (Art. 21a Abs. 2); Ich lasse abstimmen. – Gegen 1 Stimme angenommen. Ziffer 9: über die Verwirkung von Grundrechten (Art. 20b Abs. 2); Ich lasse abstimmen. – Angenommen. Ziffer 10: über Beschwerden gegen Beschlüsse des Bundestags, die im Wahlprüfungsverfahren ergehen oder den Verlust der Mitgliedschaft zum Bundestag betreffen (Art. 51). Ich lasse abstimmen. – Angenommen. Abs. 2: Das Bundesverfassungsgericht wird ferner in den ihm sonst durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen tätig. Ich lasse abstimmen. – Einstimmig angenommen. Ich lasse über den gesamten Art. 128b abstimmen, unter Vorbehalt einer späteren Abstimmung über Ziffer 7a. – Gegen 1 Stimme angenommen.

[1.3. ART. 128c: EINSTWEILIGE ANORDNUNGEN DURCH DAS BUNDESVERFASSUNGSGERICHT]

Art. 128c (1) Das Bundesverfassungsgericht kann einstweilige Anordnungen treffen. (2) In den Fällen des Art. 128b Ziffer 3 und 4 haben die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft. Sie sind im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. (Dr. Greve [SPD]: Ziffer 3 und 4 müssen jetzt andere Ziffern haben.) Ich bitte, die Umänderung der Bezifferung dem Redaktionsausschuß zu überlassen. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich beantrage aus den Gründen, die ich schon in erster Lesung angeführt habe, die Streichung des Abs. 2. Zinn (SPD): Ich möchte diesem Antrag aus den früher vorgetragenen Gründen widersprechen. Dr. Becker (FDP): Ich glaube, man wird sich, um den Bedenken des Herrn von Mangoldt Rechnung zu tragen, klarmachen müssen, wie in der Praxis ein [S. 464] Spruch des Verfassungsgerichtshofes lautet. Lautet er: „Artikel soundsoviel des hessischen Gesetzes vom soundsovielten ist mit Ziffer soundsoviel der Bundesverfassung nicht vereinbar“, dann besteht kein Bedenken, einem solchen Spruch Rechtskraft zu geben. Lautet er so: „Die Klage des Landes Hessen gegen den Bund wird zurückgewiesen“, und steht in den Gründen des Spruches etwas, was man als durchaus präjudiziell ansehen kann, dann hat eine Rechtskraft des Tenors keinen

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praktischen Sinn. Aber die Gründe selbst kann man nicht in Rechtskraft erwachsen lassen, weil man nicht weiß, welchen Satz man herausnehmen soll. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es heißt: Die Entscheidungen haben Gesetzeskraft. Zinn (SPD): Herr Kollege Dr. Schmid hat schon darauf hingewiesen, daß es hier heißt: Die Entscheidungen haben Gesetzeskraft. Das Bundesverfassungsgericht wird sich in seinem Verfahren, soweit nicht etwa noch ergehende Gesetze zur Ausführung des Art. 128b etwas Bestimmtes vorschreiben, dieser verfassungsrechtlichen Situation anpassen. Es wird sich bewußt sein müssen, daß seine Entscheidungen Gesetzeskraft haben und daß sie einen Fall der Normenkontrolle darstellen, und es wird seine Fassung entsprechend wählen müssen. Dr. Laforet (CSU): Ich bin der gleichen Meinung. In allen Fällen, in denen eine Entscheidung Gesetzeskraft haben soll, ist der Entscheidungssatz falsch, wenn er dem nicht Rechnung trägt. Es muß also der Entscheidungssatz so gefaßt werden, wie Herr Kollege Dr. Becker es hier in der ersten Alternative ins Auge gefaßt hat. Ich meine, daß das ohne weiteres vom Bundesverfassungsgericht auch so geschehen wird. Der Entscheidungssatz muß fähig sein, Gesetzeskraft zu haben. Es ist Sache des Bundesverfassungsgerichts, dieser Forderung Rechnung zu tragen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse absatzweise abstimmen. – Abs. 1 ist einstimmig angenommen. Ich lasse über Abs. 2 abstimmen. – Abs. 2 ist mit 15 gegen 3 Stimmen bei einigen Stimmenthaltungen angenommen. Ich lasse über den ganzen Art. 128c abstimmen. Art. 128c ist gegen 1 Stimme bei einigen Stimmenthaltungen angenommen.

[1.4. ART. 128e: MITGLIEDER DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS]

Ich rufe auf

Art. 128e (1) Das Bundesverfassungsgericht besteht aus Bundesrichtern und anderen Mitgliedern. Seine Mitglieder werden je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt. (2) Es entscheidet in einer Besetzung, bei der die Zahl der Mitglieder, die nicht Bundesrichter sind, die Zahl der Bundesrichter um höchstens ein Mitglied überschreiten darf. Abs. 2 wird vom Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege zur Streichung empfohlen. (3) Der Präsident und die Vorsitzenden der Senate werden aus den Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung ernannt. Sie müssen die Befähigung zum Richteramt haben. (4) Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts dürfen weder dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes angehören. Ich lasse zunächst über die vom Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vorgeschlagene Streichung des Abs. 2 abstimmen. – Die Streichung ist beschlossen.

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Dann lasse ich abstimmen über den ganzen Artikel mit der Maßgabe, daß der bisherige Abs. 3 Abs. 2 und der bisherige Abs. 4 Abs. 3 wird. – Gegen 1 Stimme angenommen.

[1.5. ART. 128a: ZUSTÄNDIGKEIT DES OBERSTEN BUNDESGERICHTS]

Art. 128a (1) Zur Wahrung der Einheit des Bundesrechts wird ein Oberstes Bundesgericht errichtet. (2) Das Oberste Bundesgericht entscheidet als Gericht des letzten Rechtszuges in Fällen, deren Entscheidung für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung der oberen Bundesgerichte von grundsätzlicher Bedeutung ist. (3) Die Zusammensetzung, die Zuständigkeit und das Verfahren regelt ein Bundesgesetz. Dr. Greve (SPD): Bezüglich der Formulierung des Abs. 2 ist es meine Auffassung und auch die Auffassung der Mehrheit der Mitglieder des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege, daß es sich hier nicht um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung jedes der oberen Bundesgerichte handelt, sondern um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sämtlicher oberen Bundesgerichte. Wir sind der Meinung, daß auf dem Gebiete der ordentlichen Gerichtsbarkeit das obere Bundesgericht für die ordentliche Gerichtsbarkeit zunächst einmal die Einheit des Bundesrechts und der Rechtsprechung zu wahren hat, wie das auch für die übrigen oberen Bundesgerichte der Fall ist, und daß die Formulierung des Abs. 2 des Art. 128a die Bedeutung hat, daß das Oberste Bundesgericht die Einheit aller oberen Bundesgerichte zu wahren hat. Vors. Dr. Schmid (SPD): Also wenn eines der oberen Bundesgerichte von der Rechtsprechung eines anderen oberen Bundesgerichts abweichen will, nicht, wenn es von Entscheidungen abweichen will, die von ihm selbst gefällt worden sind. Dr. Becker (FDP): Ich möchte diese Ausführungen ganz besonders unterstreichen. Wir haben uns schweren Herzens dazu bereit erklärt, diesem vereinigten Senat den Titel „Oberstes Bundesgericht“ zu geben. Wir haben es gewissermaßen aus optischen Gründen getan, um die Einheit der Justiz nach dieser Richtung hin zu dokumentieren, vielleicht auch, um die Auswirkung der Einheit der Justiz von der Spitze aus gesehen nach unten zu dokumentieren. Man war sich im Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege über folgendes klar: 1) Das Oberste Bundesgericht entscheidet Einzelfälle, es schafft keine abstrakten Normen; 2) es entscheidet nicht als vierte Instanz, sondern an Stelle einer dritten Instanz; 3) es entscheidet nur dann, wenn ein oberes Bundesgericht von einem anderen oberen Bundesgericht abweichen will. Es soll damit nicht die Mitarbeit der oberen Bundesgerichte in irgendeiner Form langsam ausgehöhlt werden15). 15)

Vgl. die 7. Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 6. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 57, S. 1352–1358.

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Nun ist zu befürchten, daß der uns vorliegende Text später in der Praxis anders ausgelegt wird. Ich möchte daher einer Fassung den Vorzug geben, die das etwa folgendermaßen zum Ausdruck bringt: Das Oberste Bundesgericht entscheidet an Stelle des sonst zuständigen oberen Bundesgerichts diejenigen Fälle, in denen ein oberes Bundesgericht von der Rechtsprechung eines anderen oberen Bundesgerichts abzuweichen beabsichtigt. Damit ist klar zum Ausdruck gebracht, was wir im Rechtspflegeausschuß wollten, und nicht mehr. Es soll, wenn ein Senat eines Obergerichts von einem anderen Senat des gleichen Obergerichts abweichen will, zunächst das obere Bundesgericht entscheiden, nicht das Oberste Bundesgericht. Nur wenn ein oberes Bundesgericht, zum Beispiel das der ordentlichen Gerichtsbarkeit, von dem oberen Bundesgericht der Verwaltung oder der Finanzen abweichen will, tritt das Oberste Bundesgericht in Tätigkeit. Deshalb sind wir der Auffassung, daß es auf Grund dieser Verfassungsbestimmung nicht notwendig ist, nun gleich mit allem äußeren Pomp eine neue Behörde zu schaffen. Das läßt sich vielmehr mit den Mitteln schaffen, mit denen man zunächst nur einen vereinigten, gemeinsamen Senat geschaffen hätte. Man kann es dann der praktischen Durchführung und der praktischen Auswirkung überlassen, ob es notwendig sein wird, im Laufe der Zeit eine selbständige Behörde zu schaffen. [S. 465] Zinn (SPD): In der Sache sind wir einig, aber die Fassung, die Herr Dr. Becker vorschlägt, scheint zu eng zu sein. Sie ist zu eng, weil Fälle auftreten können, in denen ein oberes Bundesgericht von einer bereits ergangenen Entscheidung des Obersten Bundesgerichts abweichen will. Auch in diesem Fall muß die Sache an das Oberste Bundesgericht abgegeben werden. Ich empfehle, bei der vorgeschlagenen Fassung zu bleiben. Jede neue Fassung würde die Angelegenheit komplizieren. Wir sind uns im übrigen darüber einig: bei der besonderen Funktion des Obersten Bundesgerichts, wie sie nach dieser Fassung gedacht ist, soll seine Anrufung der Parteiverfügung entzogen sein. (Dr. Becker [FDP]: Und ebenso den unteren Gerichten.) Schon daraus ergibt sich, welche Funktion das Oberste Bundesgericht haben soll, daß es nämlich auf den Ausgleich der Rechtsprechung der oberen bundesgerichtlichen Spitzen beschränkt sein soll. Dr. Greve (SPD): Ich glaube, Ihre Fassung ist aus anderen Gründen zu eng, Herr Kollege Dr. Becker, wenn wir uns auch im Prinzip einig sind. Das Oberste Bundesgericht wird nicht nur dann, wenn ein oberes Bundesgericht von der Entscheidung eines anderen oberen Bundesgerichts abweichen will, tätig sein, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu wahren. Es kann auch sein, daß ganz bestimmte Rechtssätze und Rechtsbegriffe die Entscheidung des Obersten Bundesgerichts erforderlich machen, um die Einheit der Rechtsprechung aller oberen Bundesgerichte zu wahren. Ich erinnere daran, daß neue Gesichtspunkte, wie es zum Beispiel bei der Frage der Geschäftsgrundlage der Fall war, in der Rechtsprechung eine Rolle spielen können. Es muß Aufgabe des Obersten Bundesgerichts sein, eine Entscheidung zu fällen, die ihrem Inhalt nach die Möglichkeit gibt, daß alle oberen Bundesgerichte auf diesem Gebiet die Rechtseinheit wahren. Dr. Becker (FDP): Das Entscheidende ist, daß durch diese Debatte und durch das

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Protokoll festgelegt wird, daß die Aufgabe des Obersten Gerichtshofs in der hier umschriebenen Form begrenzt wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das wird aus dem bisher angefertigten Stenogramm hervorgehen. Ich lasse über Art. 128a in der verlesenen Fassung abstimmen. – Gegen eine Stimmenthaltung angenommen.

[1.6. ART. 128d: MITGLIEDER DES BUNDESGERICHTSHOFS]

Art. 128d (1) Die Richter des Obersten Bundesgerichts müssen das 40. Lebensjahr vollendet haben und die Befähigung zum Richteramt besitzen.16) (2) Sie werden auf Vorschlag des Bundesjustizministers von einem Richterwahlausschuß gewählt, der aus den Landesjustizministern sowie einer gleichen Anzahl von Mitgliedern besteht, die vom Bundestag gewählt werden. Zu Abs. 2 empfiehlt der Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege, die Bestellung der Richter durch einfaches Bundesgesetz regeln zu lassen. Zinn (SPD): Nein, das hat er nicht vorgeschlagen. Er hat nur darauf hingewiesen, daß, falls dieser Artikel nicht angenommen werde, die Bestellung der Richter durch einfaches Bundesgesetz die rechtliche Konsequenz sei. Wir stellen diesen Antrag. Falls sich für diesen Vorschlag keine Mehrheit finden sollte, so sagt der Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege, würde die Bestellung der Richter durch Bundesgesetz zu regeln sein. Dr. Seebohm (DP): Wir haben für Art. 128d folgende Fassung vorgeschlagen (PR. 12.48 – 436): (1) Die Richter des Obersten Bundesgerichts müssen das 45. Lebensjahr vollendet haben und die Befähigung zum Richteramt besitzen. (2) Sie werden auf Vorschlag des Bundesjustizministers von einem Richterwahlausschuß auf Lebenszeit gewählt, der aus den Landesjustizministern, den Oberlandesgerichtspräsidenten, je 1 Vertreter der Anwaltskammer jedes Landes und je 1 Vertreter der rechtswissenschaftlichen Fakultäten jeder Landesuniversität besteht. Den Vorsitz in diesem Richterwahlausschuß hat der Bundesjustizminister. Zur Begründung möchte ich folgendes ausführen. Die Richter des Obersten Bundesgerichts sollten auf Lebenszeit bestellt werden, damit Erfahrungen gesammelt werden und eine kontinuierliche Praxis ermöglicht wird. Eine Heraufsetzung des Lebensalters von 40 auf 45 Jahre erscheint angebracht. Im Richterwahlausschuß sollten vor allem Männer vertreten sein, die die fachlichen Qualitäten der zu wählenden Richter beurteilen können. Die Wahrung der politischen Gesichtspunkte geschieht durch die ihren Landtagen verantwortlichen Landesjustizminister. 16)

Im stenograph. Wortprot., S. 21, folgt danach der Zwischenruf: „(Dr. Katz [SPD]: Abs. 2 fällt weg.) [Schmid:] Abs. 3 – jetzt Abs. 2 –“

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Eine Vertretung der Anwaltschaft und der Rechtswissenschaft neben den Präsidenten der obersten Landesgerichte erscheint geboten. Insbesondere glauben wir, daß die Vertretung der Anwaltschaft und der Rechtswissenschaft hier von erheblicher Bedeutung sein kann und daß sie deshalb nicht ausgeschlossen werden sollte. Dr. Becker (FDP): Es liegt ein Antrag seitens unserer Fraktion (PR. 1.49 – 491) vor, in Art. 128d Abs. 1 hinter den Worten „Obersten Bundesgerichts“ einzufügen: „und die Berufsrichter der oberen Bundesgerichte“, damit eine gleichmäßige Behandlung hinsichtlich des Alters von 40 Jahren erfolgt. Zinn (SPD): Es wird später darauf Bezug genommen. Insofern erübrigt es sich. Dr. Becker (FDP): Den Abs. 3, jetzt Abs. 2, wollen wir gestrichen haben, weil wir grundsätzlich der Meinung sind, daß der Wahlausschuß nicht das gegebene Gremium für die Wahl der Richter ist – auch nicht nach dem Vorschlag, den Herr Dr. Seebohm gemacht hat –, sondern daß es in diesem Fall die Bundesregierung sein soll. Unser Antrag war formuliert: „Sie werden auf Vorschlag des Bundesjustizministers von der Bundesregierung ernannt“. Die Worte: „auf Vorschlag des Bundesjustizministers“ können auch wegbleiben. Zinn (SPD): Ich möchte zu dem Antrag von Herrn Kollegen Dr. Seebohm Stellung nehmen. Er hat vorgeschlagen, das Lebensalter auf 45 Jahre zu erhöhen. Das scheint nicht erforderlich zu sein. Ich darf darauf hinweisen, daß nach meiner Erinnerung für die Richter des Reichsgerichts und des preußischen Oberverwaltungsgerichts ein Mindestlebensalter von 35 Jahren vorgeschrieben war und daß man damit ausgekommen ist. Wir erhöhen das Mindestlebensalter bereits auf 40 Jahre. Aber das ist eine untergeordnete Frage. Ich möchte mich auch gegen den weiteren Antrag Dr. Seebohm aussprechen. Es kommt darauf an, der Justiz wieder eine gewisse Vertrauensbasis zu schaffen. Das werden Sie keinesfalls dadurch erreichen, daß Sie den Richterwahlausschuß so gestalten, daß die Richter sich gewissermaßen aus sich selbst erneuern. Dann wird es bestimmt nicht gelingen, diese Vertrauensbasis zu schaffen. Sie werden es auch nicht dadurch erreichen, daß Sie die Richter bürokratisch ernennen lassen. Wenn Sie es so regeln, wie es hier vom Redaktionsausschuß vorgeschlagen ist – ohne daß der Rechtspflegeausschuß sich dagegen ausgesprochen hat –, dann erreichen Sie durch die Einschaltung des Bundesjustizministers, daß ein Richter nur ernannt werden kann, wenn der Bundesjustizminister ihn vorschlägt. Wenn die Bundesjustizverwaltung der Auffassung ist, daß der Betreffende qualitativ nicht geeignet ist, wird er nicht zur Wahl gestellt. Es wirken schließlich die Landesjustizminister mit, also Männer, von denen man annehmen darf, daß sie in der Lage sind, sich ein Urteil über die fachliche und sonstige Eignung zu bilden. Sie schalten damit auch die Länder ein. Dadurch, daß daneben noch Mitglieder mitwirken, die vom Vertrauen des Parlaments getragen sind, schaffen Sie für die Bestellung [S. 466] dieser Richter eine sehr breite und fundierte Basis, so daß man sagen kann, diese Richter bringen von vornherein durch die Art ihrer Bestellung eine gewisse Autorität mit. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen, und zwar absatzweise. Abs. 1, der die Altersbegrenzung für die Richter enthält, ist gegen 1 Stimme angenommen. Zu Abs. 2 – bisher Abs. 3 – liegen vor der Antrag Dr. Seebohm, der Antrag des Redaktionsausschusses und für den Fall, daß keiner dieser beiden Anträge angenom-

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men werden sollte, ein dritter Antrag, ferner der Antrag Dr. Becker auf Streichung. Wir werden zuerst über den Antrag auf Streichung abstimmen müssen. (Dr. Becker [FDP]: Der liegt nicht vor.) – Sie stellen keinen Antrag auf Streichung? Dr. Becker (FDP): Ich habe nur vorgeschlagen, die Worte: „auf Vorschlag des Bundesjustizministers“ zu streichen, weil sie ein Superfluum sind. Vors. Dr. Schmid (SPD): So daß es dann heißt: Sie werden von der Bundesregierung ernannt. Dr. Seebohm (DP): Mein Antrag enthält in Abs. 2 nicht nur die Bildung des Richterwahlausschusses, sondern auch den Vorschlag, daß die Richter des Obersten Bundesgerichts auf Lebenszeit gewählt werden. Darüber müßte gesondert abgestimmt werden. Zinn (SPD): Das ist Sache des Gesetzes. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist Sache des Gesetzes, das zu bestimmen. Wir brauchen das hier nicht hineinnehmen. Dr. Seebohm (DP): Wenn es hineingenommen ist, dann ist das Gesetz dadurch präjudiziert. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sie stellen den Antrag, einzufügen: „Sie werden auf Lebenszeit ernannt.“ Renner (KPD): Ich verstehe nicht, warum man die Ernennung von der Zustimmung der Landesjustizminister oder der Bundesregierung abhängig macht. Die politische Zusammensetzung dieser Gremien kann sich ändern, und es ist doch angedeutet worden, daß bei den Richtern außer den rein juristischen und persönlichen Voraussetzungen auch noch einige andere gegeben sein müssen. Das ist ein Widerspruch in sich selber. Der Mann, der zu diesem Amt berufen wird, ist von der Beurteilung durch ein Gremium abhängig, das sich in seiner personellen Zusammensetzung oder seiner politischen Konzeption ändern kann. Deshalb kann man nicht so weit gehen, daß man von vornherein eine Wahl auf Lebenszeit vorsieht. Es muß eine Ablösung möglich sein. Dr. Seebohm (DP): Ich verstehe die Einwendungen von Herrn Renner durchaus, wenn es sich um die Fassung handelt, die vom Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vorgeschlagen ist. Bei meiner Fassung ist das anders, weil dabei die politische Beeinflussung nicht so ausschlaggebend in Erscheinung tritt. Bei dem anderen Vorschlag würde es sich ergeben, daß bei einer Änderung der Mehrheitsverhältnisse und einer Neuwahl des Richterwahlausschusses auch automatisch eine Abberufung der Richter vorgesehen werden müßte, wenn man den hier vorgetragenen Gedanken Rechnung tragen sollte. Man muß aber versuchen, eine kontinuierliche Praxis herbeizuführen. Deswegen vertrete ich den Standpunkt, daß die Wahl der Richter des Obersten Bundesgerichts auf Lebenszeit erfolgen sollte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Diesen Satz: „Sie werden auf Lebenszeit ernannt“ würde ich am Schluß bringen. Dr. Greve (SPD): Ich weiß nicht, über was abgestimmt werden soll. Herr Kollege Dr. Seebohm hat einen Abänderungsantrag zu Art. 128d Abs. 2 in der Form des Antrages Nr. 42 gestellt. Darüber hinaus liegt kein Antrag vor. Dr. Seebohm (DP): Ich habe den Antrag gestellt, über die Bestellung der Richter auf Lebenszeit gesondert abzustimmen.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zuerst über den Antrag des Allgemeinen Redaktionsausschusses abstimmen, der mir der weitestgehende zu sein scheint. – Mit 12 gegen 6 Stimmen angenommen. Nun stellen Sie den Antrag, Herr Kollege Dr. Seebohm, zu sagen: „Sie werden auf Lebenszeit ernannt“. Meinem Dafürhalten nach gehört das nicht in die Verfassung, vor allem jetzt nicht, da nach Ihren eigenen Ausführungen ein politisches Gremium die Wahl vollzogen hat. Es erscheint nicht ganz logisch, daß, wie Sie ausführten, die Wahl dieses politischen Gremiums den Wechsel der politischen Verhältnisse überdauern soll. Dr. Strauß (CDU): An und für sich wäre ich dafür, die Wahl auf Lebenszeit vornehmen zu lassen. Ich teile nicht die Bedenken, daß ein politisches Gremium hier eine politische Entscheidung fällt. Ich gehe davon aus, daß dieses Gremium so viel Verantwortungsgefühl besitzt, daß es die Entscheidung nicht nach politischen Gesichtspunkten trifft. Aber wir wissen heute noch nicht, wie wir die Konstruktion dieses Obersten Bundesgerichts machen. Unser Kollege Becker wünscht keine Dauerinstitution. Ich wünsche sie, aber ich will nicht das kommende Bundesparlament festlegen, ich will das der künftigen Diskussion überlassen. Aus diesem Grund möchte ich an dieser Stelle die Worte „auf Lebenszeit“ nicht hineinnehmen. Zinn (SPD): Ich möchte das unterstreichen. Aus diesen Erwägungen hatten wir ursprünglich einmal die Fassung: „Sie werden auf Lebenszeit oder auf Zeit gewählt“ vorgeschlagen. Das ist aber überflüssig. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ziehen Sie den Antrag zurück, Herr Kollege Dr. Seebohm? (Dr. Seebohm [DP]: Ja.) – Der Antrag ist zurückgezogen. Zinn (SPD): Es muß noch folgender Abs. 3 aufgenommen werden: Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über diesen Antrag auf Anfügung eines Abs. 3 abstimmen. – Gegen 1 Stimme angenommen. Dann kommen wir zur Abstimmung über den ganzen Artikel. – Art. 128d ist gegen 4 Stimmen angenommen.

[1.7. ART. 129: OBERE BUNDESGERICHTE]

Zu Art. 129 hat der Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vorgeschlagen, Abs. 1 wie folgt zu fassen: (1) Für das Gebiet der ordentlichen, der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit sind obere Bundesgerichte zu errichten. Sie können miteinander verbunden werden. Abs. 2 und 3 lauten in der Vorlage des Redaktionsausschusses: (2) Auf die Richter der oberen Bundesgerichte findet Art. 128d Anwendung. (3) Der Bund kann für Dienststrafverfahren gegen Bundesbeamte und Bundesrichter Bundesdienststrafgerichte errichten. Es liegt ein weiterer Antrag von Herrn Dr. Laforet zu Art. 129 vor, in Abs. 1 das Wort „Verwaltungsgerichtsbarkeit“ zu streichen und dafür den Satz einzufügen:

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Für das Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit kann ein Bundesgericht errichtet werden, wenn der Bundesrat mit zwei Dritteln seiner Stimmen zustimmt. [S. 467] Der Herr Abgeordnete Schönfelder möchte den Antrag stellen, den letzten Satz des Abs. 1 in der Fassung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege zu streichen. Dann liegt noch ein Antrag der Deutschen Partei vor. Dr. Seebohm (DP): Wir beantragen für Art. 129 folgende Fassung (PR. 12.48 – 437): (1) Für das Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit können obere Bundesgerichte errichtet werden. Für das Gebiet der Finanzen ist als oberstes Steuergericht ein Bundesfinanzgericht, für das Gebiet der Arbeitsgerichtsbarkeit ist ein Bundesarbeitsgericht und für das Gebiet der Sozialversicherungen ist ein Bundessozialgericht zu errichten. (2) Der Bund kann für Dienststrafverfahren gegen Bundesbeamte und Bundesrichter Bundesdienststrafgerichte errichten. (3) Ein Bundesverwaltungssenat beim Obersten Bundesgericht entscheidet auf Antrag des für den Einzelfall zuständigen Landesverwaltungsgerichts als Gericht des letzten Rechtszuges in Fällen, deren Entscheidung für die Einheit des Verwaltungsrechts von grundsätzlicher Bedeutung ist. Zur Begründung möchte ich folgendes ausführen. Das Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit sollte bis auf Fälle von grundsätzlicher Bedeutung, falls für diese eine oberste Entscheidung durch das höchste Verwaltungsgericht eines Landes beantragt wird, der ausschließlichen Justizhoheit der Länder unterstellt bleiben. Das höchste Landesverwaltungsgericht muß ein Gericht des letzten Rechtszuges bleiben. Für die Fälle, die für die Einheit des Verwaltungsrechts von grundsätzlicher Bedeutung sind, ist kein selbständiges oberstes Bundesverwaltungsgericht einzurichten, sondern ein Senat des Obersten Bundesgerichts mit dieser Aufgabe zu betreuen, dessen Richter hierfür unter den Verwaltungsrichtern ausgesucht werden müssen. Streitsachen aus dem Gebiet der bundeseigenen Verwaltung gehören vor die Bundesverwaltungsgerichte. Hierin liegt ein wichtiges Korrektiv gegen Mißbräuche der Bundesverwaltung auf dem Territorium der Länder. Eine Richterwahl bei den oberen Bundesgerichten ist nicht erforderlich. Dr. Greve (SPD): Die Mehrheit der Mitglieder des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege war der Auffassung, daß es nicht angängig ist, wie es der Hauptausschuß in erster Lesung beschlossen hat, lediglich für das Gebiet der Arbeitsgerichtsbarkeit obligatorisch die Einrichtung eines oberen Bundesgerichts vorzusehen und auf den Gebieten der übrigen Gerichtsbarkeit, insbesondere der ordentlichen Gerichtsbarkeit, nur die Möglichkeit zu geben, obere Bundesgerichte einzurichten. Aus diesem Grunde war die Mehrheit der Mitglieder des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege der Ansicht, daß es notwendig ist, für alle Gebiete der Gerichtsbarkeit, der ordentlichen, der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und der Sozialgerichtsbarkeit es dem Bundesgesetzgeber zur Vorschrift zu machen, obere Bundesgerichte einzurichten. Ich lehne den Antrag, den Herr Dr. Seebohm gestellt hat, ab, weil in diesem Antrag für das Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht vorgesehen ist, daß der Gesetzgeber obere Bundesgerichte einzurichten hat. Schönfelder (SPD): In erster Lesung war gesagt worden, daß alle diese Gerichte ein-

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gerichtet werden können; das ist in Ziffer 1 entsprechend festgelegt worden. Nunmehr ist aber durch den Redaktionsausschuß vorgesehen worden, daß für alle diese Gebiete Gerichte einzurichten sind. Damit würde auch ein Arbeitsgericht einzurichten sein. Mein Standpunkt war damals schon, daß das Arbeitsgericht nicht in diese allgemeine Gerichtsbarkeit eingegliedert werden sollte, sondern daß es als ein besonderes Gericht eine besondere Stellung einnehmen sollte. Deshalb beantrage ich, den letzten Satz: „Sie können miteinander verbunden werden“ zu streichen, damit der besondere Charakter des Arbeitsgerichts, eine ganz alte Forderung der Gewerkschaften, hier unzweideutig klargestellt und verwirklicht wird. Dr. Laforet (CSU): Ich kann mich sehr kurz fassen. Ich habe das Nötige für meinen Antrag schon bei der ersten Lesung vorgebracht. Wir sind der Meinung, daß für das Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit besondere grundsätzliche Verhältnisse gegeben sind. Der Vorschlag des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege macht uns diesen Standpunkt erst recht zur Pflicht. Denn jetzt heißt es nicht mehr, daß für das Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit ein oberes Bundesgericht errichtet werden kann, sondern daß es zu errichten ist. Damit werden die Verwaltungsgerichtshöfe der Länder gegenstandslos. Schon der Verfassungsgesetzgeber entscheidet hier, nicht mehr später der Gesetzgeber, wie es nach der ersten Fassung möglich war, wo es hieß, daß Verwaltungsgerichtshöfe höchster Art geschaffen werden können. Es ist also um so bedeutsamer, daß das Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit hier herausgenommen wird. Ich will es nicht schlechthin ausschließen, daß auch ein Bundesverwaltungsgericht geschaffen wird. Ich möchte es jedoch an die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundesrats geknüpft wissen und habe deshalb den Antrag gestellt, das Wort „Verwaltungsgerichtsbarkeit“ hier zu entfernen und den Zusatz beizufügen: „Für das Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit kann ein Bundesgericht errichtet werden, wenn der Bundesrat mit zwei Dritteln seiner Stimmen zustimmt.“ Dr. Becker (FDP): Die Bestimmung, über die wir jetzt debattieren, Art. 129, ist das Kardinalstück der deutschen Rechtseinheit. Das wollen wir deutlich unterstreichen. Die vorliegende Fassung geht auf einen Antrag zurück, den wir gestellt haben und der nunmehr im Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege akzeptiert worden ist. Um Herrn Kollegen Dr. Laforet zu beruhigen, darf ich bemerken: Wenn wir sagen, es muß ein Bundesverwaltungsgericht geschaffen werden, so wollen wir damit zum Ausdruck bringen, daß auf dem Gebiet der Bundesverwaltung gegebenenfalls nur ein gemeinsames oberes Gericht geschaffen werden soll. Die Mitwirkung des Bundesrats an der Schaffung dieses Gesetzes ist nach wie vor durch unsere Verfassung gegeben und gesichert. Der andere Satz: „Sie können miteinander verbunden werden“ erscheint uns auch wesentlich; denn wir wollen neben dem Grundsatz der Einheit des Rechts auch den Grundsatz der Einheit der Justiz wenigstens anzubahnen suchen und nach Möglichkeit dort, wo es organisatorisch geht, eine Zusammenfassung vornehmen. Deshalb glaube ich nicht, daß diese Fassung der Intention des Herrn Kollegen Schönfelder widerspricht; denn es soll nur die Möglichkeit einer Verbindung für die Zukunft offengelassen werden17), da17)

Im stenograph. Wortprot., S. 32, folgt danach der Zwischenruf: „(Schönfelder [SPD]: Diese Möglichkeit will ich nicht offenlassen.)“

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mit der Bundesgesetzgeber später die Möglichkeit einer organisatorischen Zusammenfassung schaffen kann. Dr. Seebohm (DP): Ich muß die Auffassung von Herrn Kollegen Schönfelder unterstreichen. Ich bin auch nicht der Meinung, daß wir den Satz: „Sie können miteinander verbunden werden“ aufnehmen sollten. Die Einheit kann meiner Meinung nach auch in anderer Weise genügend gesichert werden. Ich bin der Auffassung, daß der Antrag Schönfelder berechtigt ist und daß der Satz gerade in bezug auf die Arbeits- und Sozialgerichte wegfallen sollte. Ich habe das schon in erster Lesung ausgeführt. Ich möchte noch ein Weiteres hinzufügen. Durch den neu gefaßten Abs. 2 wird auf Art. 128d Bezug genommen, den wir soeben behandelt haben. Ich möchte an dieser Stelle meinen Antrag wieder aufnehmen, daß die Richter der oberen Bundesgerichte auf Lebenszeit bestellt werden. Es scheint notwendig zu sein, das hier einzufügen, weil diese Frage in Art. 128d nicht behandelt ist. Zinn (SPD): Ich darf zunächst zu dem Antrag, den Herr Dr. Seebohm hinsichtlich der Verwaltungsgerichtsbarkeit [S. 468] gestellt hat, Stellung nehmen. Ich möchte mich gegen diesen Antrag aussprechen. Dieser Antrag bedeutet, daß wir ein Stück Gerichtsverfassung in dieses Grundgesetz aufnehmen. Es kann nicht Aufgabe des Grundgesetzes sein, in diesem weitgehenden Umfang rein gerichtsverfassungsrechtliche Fragen zu regeln. Die Lösung, die Sie im Auge haben, ist trotz der Fassung des Abs. 1 denkbar, indem man das Bundesverwaltungsgericht personell dadurch beschränkt, daß man zunächst Richter von anderen Gerichten heranzieht. Es ist nicht gesagt, daß es mit einem eigenen Richterstab errichtet werden muß, wenn dazu keine zwingende Notwendigkeit besteht. Zu den Ausführungen von Herrn Kollegen Dr. Laforet möchte ich folgendes bemerken. Wir sind nach der bisherigen Beschlußfassung des Hauptausschusses zu der Auffassung gelangt, daß der Gerichtsaufbau bei allen Sparten möglichst einheitlich sein soll, daß in den unteren und mittleren Instanzen auf allen Gebieten – nicht nur der ordentlichen Gerichtsbarkeit, sondern auch der Arbeitsgerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit – Ländergerichte bestehen sollen und daß die Länder die Richter zu bestellen haben. Nur die Spitze soll ein Oberstes Bundesgericht sein. Die Situation ist heute so, daß die Bundesgesetze durch die Länder ausgeführt werden, daß das Bundesverwaltungsrecht also in weitestem Umfang von den Ländern gehandhabt wird. Die Rechtseinheit auf dem Gebiet des Bundesverwaltungsrechts erfordert deshalb zwingend ein oberes Bundesverwaltungsgericht. Damit werden die Verwaltungsgerichtshöfe der Länder keinesfalls überflüssig. Denn sie sind einmal auf dem Gebiet des Bundesverwaltungsrechts mittlere Instanz und auf der anderen Seite auf dem Gebiet des reinen Landesverwaltungsrechts oberste Instanz. Wir verzichteten bei dieser Lesung bewußt auf besondere untere und mittlere Bundesverwaltungsgerichte, wie sie im Entwurf von Herrenchiemsee18) und in der Fassung der ersten Lesung des Hauptausschusses vorgesehen waren. Nun zu dem Antrag Dr. Seebohm, hier festzulegen, daß die Richter dieser oberen Bundesgerichte auf Lebenszeit angestellt werden sollen. Das halte ich nicht für 18)

Für den Wortlaut des Berichts über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 504–630, hier S. 610.

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zweckmäßig. Es ist zwar richtig, daß es angebracht ist, im Interesse der sachlichen Unabhängigkeit auch eine persönliche Garantie zu schaffen, die die Unabhängigkeit des Richters ermöglicht. Aber das hier auszusprechen, ist unzweckmäßig, weil Sie dann die Möglichkeit nehmen, zum Beispiel Hilfsrichter an diesen oberen Bundesgerichten zu beschäftigen, etwa oberste Richter der Länder. Dr. Laforet (CSU): Es wäre mir lieber gewesen, wenn erklärt worden wäre, daß man bei der ersten Fassung bleibt: „können errichtet werden“. Ich verstehe auf der anderen Seite durchaus, daß der einheitlichen Forderung der Gewerkschaften entsprechend ein höchstes Arbeitsgericht geschaffen werden muß und daß schon der Verfassungsgesetzgeber zu dieser Frage Stellung nehmen muß. Es ist von Herrn Kollegen Zinn bereits erklärt worden, daß reines Landesverwaltungsrecht nicht in die Zuständigkeit dieses Reichsverwaltungsgerichts fallen kann. Aber das Landesverwaltungsrecht und das Reichsverwaltungsrecht gehen so ineinander über, daß eine Scheidung im tatsächlichen Verlauf des Lebens nicht möglich ist. Es wird deshalb die Neigung bestehen, diesem Reichsverwaltungsgericht auch die zusammenhängenden Gebiete zuzuweisen, so daß eine völlige Ausschaltung der Landesverwaltungsgerichte mit Sicherheit zu erwarten ist. Ich bin durchaus für eine gleichmäßige Rechtsprechung und habe vorher bereits erklärt, daß ich es gerne sehen würde, wenn die Verwaltungsgerichtshöfe der Länder an die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gebunden würden. Da das nicht im Grundgesetz auszusprechen ist, ist es eine Forderung an den Gesetzgeber, der dieses neue Recht im einzelnen schaffen wird. Aber aus grundsätzlichen Erwägungen muß ich bitten – und es handelt sich hier nicht um eine bayerische Frage, sondern um eine Frage, die die anderen Länder genau so angeht, soweit sie selbständige Verwaltungsgerichtshöfe haben –, daß der Besonderheit des Verwaltungsrechts Rechnung getragen und hier bestimmt wird, daß für das Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit ein Bundesgericht nur in dem Umfang errichtet wird, in dem der Bundesrat mit zwei Dritteln seiner Stimmen zustimmt. Die Entscheidung wird also dem künftigen Gesetzgeber zugewiesen, aber es wird nicht schlechthin den Verwaltungsgerichtshöfen der Länder auf diesem Gebiet der Untergang gegeben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen, und zwar zunächst über den Abs. 1 Satz 1. Am weitesten geht der Antrag, den der Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege zu diesem Absatz gestellt hat. Satz 1 lautet: „Für das Gebiet der ordentlichen, der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit sind obere Bundesgerichte zu errichten.“ (Dr. Laforet [CSU]: Mein Antrag geht weiter.) – Am weitesten geht zweifellos der Antrag des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege, in dem gesagt ist, daß für bestimmte Gebiete obere Bundesgerichte zu errichten sind. Dr. Becker (FDP): Ich bitte, über die einzelnen Gerichte einzeln abstimmen zu lassen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann ist es nicht mehr der Antrag, über den abgestimmt wird, sondern wir stimmen dann über einzelne Vokabeln ab. Dr. Greve (SPD): Der Vorschlag des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege stellt in diesem Satz ein Ganzes dar, und es ist nicht möglich, ihn zu trennen.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Beantragen Sie, das Wort „Verwaltungsgerichtsbarkeit“ zu streichen, Herr Kollege Dr. Laforet? (Dr. Laforet [CSU]: Ja.) – Dann lasse ich über Ihren Antrag, das Wort „Verwaltungsgerichtsbarkeit“ zu streichen, abstimmen. Der Antrag Dr. Laforet ist mit 13 gegen 6 Stimmen abgelehnt. Ich lasse dann über Satz 1 abstimmen. – Mit 12 gegen 5 Stimmen angenommen. Zweiter Satz des Abs. 1: „Sie können miteinander verbunden werden.“ – Mit 15 gegen 3 Stimmen abgelehnt. (Dr. Becker [FDP]: Das ist die Beerdigung der Einheit der Justiz!) Ich lasse über Abs. 2 nach der Vorlage des Redaktionsausschusses abstimmen. – Angenommen. Ich lasse dann über den Ergänzungsantrag Dr. Seebohm abstimmen: „Sie werden auf Lebenszeit ernannt.“ – Bei Stimmengleichheit – 10 gegen 10 Stimmen – abgelehnt. Ich lasse über Abs. 3 in der Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. – Angenommen. Nunmehr lasse ich über den gesamten Art. 129 abstimmen. – Art. 129 ist in der soeben beschlossenen Form mit 16 Stimmen angenommen.

[1.8. ART. 129-1 (BISHER ART. 133): ENTLASSUNG EINES BUNDESRICHTERS]

Art. 129-1 (seither Art. 133) (1) Wenn ein Bundesrichter vorsätzlich oder grobfahrlässig in oder außerhalb des Amtes gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstößt, so kann das Bundesverfassungsgericht auf Antrag des Bundestags oder des Bundesjustizministers ihn seines Amtes für verlustig erklären und zugleich bestimmen, ob er in ein anderes Amt oder in den Ruhestand zu versetzen oder zu entlassen ist. (2) Die Länder können für Landesrichter entsprechende Bestimmungen erlassen. Hier hat der Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege beantragt, in Abs. 1 die Worte „vorsätzlich oder grobfahrlässig“ und „oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes“ zu streichen. Dr. Seebohm (DP): Wir hatten den Antrag gestellt (PR. 12.48 – 439)19), den ganzen Artikel zu streichen. [S. 469] Ich stimme aber dem Antrag von Herrn Dr. Becker zu, ein oberstes Bundesdienststrafgericht des letzten Rechtszuges einzusetzen. Zinn (SPD): Wir sind uns grundsätzlich über die Notwendigkeit einer solchen Richteranklage einig; auch der Antrag von Herrn Dr. Becker verneint sie nicht. Die Frage ist nur, wer über eine solche Richteranklage zu entscheiden hat, der Verfassungsgerichtshof oder ein oberstes Bundesdienststrafgericht. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß es sich hier nicht um ein eigentliches Disziplinarverfahren handelt, sondern um ein Verfahren besonderer Art, das ein Disziplinarverfahren nicht ausschließt. Es ist ganz interessant, daß der Göttinger Rechtslehrer Eberhard 19)

Antrag Nr. 45 der DP-Fraktion zu Art. 133 vom 16. 12. 1948 auf Drucks. Nr. 439.

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Schmidt20) den gleichen Standpunkt einnimmt, daß es, wenn man eine Richteranklage zuläßt, nicht Sache der Disziplinargerichte, sondern Sache eines Verfassungsgerichtshofs sei, über eine solche Richteranklage zu entscheiden. Er führt mit Recht aus, daß es sich hier um die Frage handle, nachzuprüfen, ob dem Richter noch das Vertrauen entgegenzubringen ist, ein Repräsentant der verfassungsmäßigen Justiz zu sein21). Aus diesem Grunde empfiehlt auch der Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege, die Worte „vorsätzlich oder grobfahrlässig“ zu streichen22). Auch Schmidt führt aus, daß, wenn man überhaupt eine derartige Verfassungsklage gegen einen Richter zulasse, es nicht darauf ankomme, zu klären, ob er im Sinne des Disziplinarstrafrechts schuldhaft gehandelt habe. Es ist klar, daß das Bundesverfassungsgericht mit besonderer Sorgfalt nicht nur zu prüfen hat, welcher Grundgesetzverletzung der Richter sich objektiv schuldig gemacht hat, sondern er wird einer besonderen Prüfung die Frage zu unterziehen haben, ob der Richter mit Rücksicht auf diese Grundgesetzverletzung noch ein Repräsentant der verfassungsmäßigen Justiz sein kann. Man sollte dem Bundesverfassungsgericht so viel Vertrauen entgegenbringen, daß man ihm diese Entscheidung überläßt. In keinem Fall kann es in Frage kommen, über diese Richteranklage ein Disziplinarstrafgericht entscheiden zu lassen. Dr. Laforet (CSU): Ich verstehe nicht, warum die Worte „oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes“ gestrichen werden sollen. (Dr. Katz [SPD]: Ich auch nicht.) Zinn (SPD): Ich habe persönlich dagegen keine Bedenken, wenn diese Worte stehenbleiben. Es wurde nur zum Ausdruck gebracht, daß, wenn die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verletzt wird, damit auch bereits das Grundgesetz verletzt ist, weil sich das gewissermaßen überdeckt. Infolgedessen kann man es ebensogut stehenlassen wie streichen. Dr. Laforet (CSU): Ich sehe auch nicht ein, warum die Worte „vorsätzlich oder grobfahrlässig“ gestrichen werden. Ich bitte zu bedenken, daß damit – wir haben das in erster Lesung schon erörtert – eine an und für sich ganz geringfügige Verfehlung zu einem solchen Verfahren führen könnte. Zinn (SPD): Ich habe vorhin schon auf das hingewiesen, was Eberhard Schmidt ausgeführt hat. Denken Sie an die Vorschrift über die Anklage gegen den Bundespräsidenten, daran, daß der Bundespräsident vor dem Staatsgerichtshof wegen Verletzung eines Bundesgesetzes oder des Grundgesetzes angeklagt werden kann. Auch hier ermöglicht theoretisch eine ganz harmlose Übertretung eines Bundesge20)

Eberhard Schmidt (1891–1977), Jurist, 1913 Promotion in Göttingen, 1914 Assistent in Berlin, 1920 Habilitation in Berlin, 1921 ordentlicher Professor in Breslau für Strafrecht und Strafprozessrecht sowie Rechtsgeschichte, 1926 Professor in Kiel, 1929 in Hamburg, 1935 in Leipzig, 1945 in Göttingen, 1948–1959 in Heidelberg. Schmidt verfasste u. a.: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafsrechtspflege, Göttingen 1947. Vgl. auch der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 62, S. 1541, Anm. 81. 21) Eberhard Schmidt: Politische Rechtsbeugung und Richteranklage, in: Justiz und Verfassung. Beiträge und Vorschläge zur Stellung der Rechtspflege im Staat aus Anlaß der westdeutschen Verfassungsberatung, Hamburg 1948, S. 55–102 (= Sonderveröffentlichung des Zentral-Justizblatts für die Britische Zone, Nr. 4). 22) Vgl. dazu die 10. Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof am 11. Jan. 1949; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 62, S. 1541–1550, bes. S. 1546.

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setzes die Anklage vor dem Staatsgerichtshof. Aber kein vernünftiger Mensch wird das tun. Vor allem wird bei einer harmlosen Übertretung das Bundesverfassungsgericht niemals zu einer Verurteilung des Bundespräsidenten kommen. Wenn man das bei der Anklage gegen den Bundespräsidenten voraussetzt, sollte man das auch hier voraussetzen. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich habe gegen die Streichung der Worte „vorsätzlich oder grobfahrlässig“, zumindest aber gegen die Streichung des Wortes „vorsätzlich“ die schwersten Bedenken und stelle mich auf den Standpunkt des Antrags Dr. Dehler, der die Wiedereinführung dieser Worte beantragt. Herr Zinn hat bei dem vorhergehenden Artikel zutreffende Worte über die Unabhängigkeit der Richter gesprochen. Wenn Sie nun bei einem kleinen Verschulden bereits die Möglichkeit der Richteranklage aus Art. 129-1 geben, bringen Sie in die Sicherheit der Existenz der Richter eine schwere Gefahr hinein. Ich habe im Rechtspflegeausschuß bereits ausgeführt, man könne zugeben, daß bei den Bundesrichtern die Gefahr eine geringere ist. Der Kernpunkt dieses Artikels liegt aber vor allem in Abs. 2, der den Länderregierungen die Möglichkeit gibt, entsprechende Bestimmungen in ihre Landesverfassungen aufzunehmen. Das würde ermöglichen, daß bei irgendeinem Fall, der zunächst als eine Art Justizskandal aufgerollt worden ist und in dem in Wirklichkeit gar kein Verschulden eines Richters vorliegt, ein Landtag die Einleitung eines Verfahrens beantragt. Nun ist richtig, daß die Einleitung eines Verfahrens noch nicht eine Verurteilung wegen eines Verstoßes bedeutet. Aber dadurch wird bereits eine Beunruhigung der Öffentlichkeit und eine Unsicherheit in der Richterschaft hervorgerufen. Das ist für mein Empfinden im Interesse des Ansehens der Justiz kaum tragbar. Ich warne davor, diese Bestimmung so aufzunehmen, wie sie jetzt beschlossen ist, und möchte dringend bitten, das Wort „vorsätzlich“ wieder einzufügen. Ich wäre einverstanden, wenn darüber hinaus, um den anderen Herren weiter entgegenzukommen, das Wort „grobfahrlässig“, wie es das erstemal beschlossen worden ist, daneben stehenbleibt. Aber schon bei leichtem Verschulden die Anklage möglich zu machen, bringt in die Justiz eine Unsicherheit hinein, die man den Richtern nicht zumuten sollte, wenn man ernstlich auf dem Standpunkt steht, die Unabhängigkeit der Richter zu erhalten. Frau Dr. Selbert (SPD): Ich muß Ihren Ausführungen, Herr Dr. de Chapeaurouge, widersprechen. Wenn Sie die Richteranklage als nötig und erforderlich anerkennen – und sie ist erforderlich, wenn wir die Justiz als die dritte tragende Säule des Staates ansehen –, dann können Sie sich keinesfalls auf den Standpunkt stellen, daß die Richteranklage nur bei vorsätzlicher oder grobfahrlässiger Verfassungsverletzung möglich sein sollte. Damit hätten Sie den Fall des § 336 StGB, nämlich den der Rechtsbeugung. Ich halte dann die zur Debatte stehende Verfassungsbestimmung für völlig überflüssig; dann brauchen wir keine besondere Richteranklage. Der mehrfach zitierte Staatsrechtslehrer Eberhard Schmidt hat ausgeführt, daß unter die Rechtsbeugung im erweiterten Sinne auch Verstöße gegen Grundrechte des Staates fallen sollten. Er hält es für erforderlich, den Tatbestand des § 336 StGB dahingehend zu erweitern, daß auch der dolus eventualis aufgenommen wird. Ich bin der Auffassung, daß damit das Übel nicht beseitigt wird, das wir bannen wol-

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len, nämlich die Gefahr einer neuen Justizkrise und die Gefahr, daß der Richter unserer Zeit nicht im Geist der Verfassung Recht spricht. Wir machen bereits wieder die Erfahrung, daß eine ganze Reihe von Richtern nicht Richter im Sinne eines politischen Richters sein möchten. Ich verstehe darunter den Richter, der innerlich staatsgebunden ist, der sich zu den Grundsätzen der Verfassung und der Demokratie bekennt. Man beruft sich demgegenüber betont auf das geheiligte Gut der Unabhängigkeit des Richters, ohne anzuerkennen, daß gerade diese Sonder- und Vertrauensstellung des Richters seine besondere Verantwortlichkeit dem Staat gegenüber bedingt. Ich darf Ihnen an einem Fall illustrieren, daß man im neuen Staat, im demokratischen Staat mit dem Tatbestand der Rechtsbeugung im Sinne des Strafgesetzbuchs nicht auskommt. Der bekannte Wuppertaler jüdische Kunstsachverständige Dr. Herz23), der sechs Jahre in KZ-Lägern verbracht hat und wie durch ein Wunder dem Tode entronnen ist – vierzig seiner Familienangehörigen sind auf der Strecke geblieben – kommt von Auschwitz nach Deutschland zurück und stößt eines Tages auf den ihm von früher her bekannten Staatsanwalt Hake. Er [S. 470] weiß, wie dieser dazu beigetragen hat, daß ein Leidens- und Rassegenosse, ein gewisser Goldschmidt, im Dritten Reich vernichtet worden ist. Hake hatte ein Verfahren wegen Rasseschande gegen Goldschmidt betrieben, und Goldschmidt landete im KZ24). Bis zu seinem Tode hat er dort hinausgeschrieen, daß Hake und noch ein anderer Staatsanwalt namens Schmitz seine Mörder seien. Beide Staatsanwälte sind heute wieder im Amte! Schmitz sogar als Oberstaatsanwalt! Er war ja nicht Pg.25), sondern „nur“ Vertreter des Nazi-Oberstaatsanwalts und ständiger Rassedezernent. Auch Hake amtiert weiter; er war „nur“ Pg. von 1933 und hat zwar häufig, aber nur „vertretungsweise“ das Dezernat seines Kollegen Schmitz geführt. Bei dem erwähnten Zusammentreffen verlegt sich Hake gegenüber allen Vorhaltungen auf stures Ableugnen; sogar die frühere Bekanntschaft will er nicht wahr haben. Dr. Herz sucht deshalb durch einige entsprechend deutliche Bemerkungen 23)

Friedrich Herz (6. März 1889–22. Sept. 1954) Dr. h.c., Kunstsachverständiger; im KZ Sachsenhausen: 3. Nov. 1939–18. Okt. 1942 nach Verurteilung zu 1 Jahr Zuchthaus wg. Betrug (weil er im April 1938 in Zürich logiert und sich dabei als Kunstsachverständiger Geld erschwindelt habe) Auschwitz, Polen: 22. 11. 1942–18. 01. 1945; KZ Mauthausen, Österreich: 23. Jan. 1945–28. Jan. 1945; KZ Melk, Oberösterreich: 28. Jan. 1945– 12. April 1945; KZ Mauthausen, Österreich: 12. April 1945–23. April 1945; KZ Gunstkirchen, Oberösterreich: 27. April 1945–5. Mai 1945, lebte nach dem Krieg in Köln, verstarb in Fulda. 24) Am 14. April 1939 verhaftete die Polizei auf Anweisung des Amtsgerichts Wuppertal den 31jährigen Lothar Goldschmidt in seiner Wohnung in der Roonstraße 22. Vorgeworfen wurde ihm, zwei Wochen zuvor mit einer Staatsangehörigen deutschen Blutes außerehelichen Verkehr gepflogen zu haben. Der Elberfelder Rechtsanwalt übernahm als Konsulent die Verteidigung in einem aussichtslosen Prozess. Die Akte schließt mit einem Vermerk vom 19. Okt. 1940. Der Kaufmann Lothar Israel Goldschmidt ist heute nach verbüßter Strafe in Vorbeugehaft genommen worden. Am 21. Nov. 1941 ist Lothar Goldschmidt im Konzentrationslager Groß-Rosen umgekommen. Der Prozeß wurde am Landgericht Wuppertal gegen Lothar Goldschmidt wegen Rassenschande geführt. Auskunft der Begegnungsstätte Alte Synagoge in Wuppertal. 25) Pg. – Parteigenosse, Bezeichnung für ein Mitglied der NSDAP.

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das Gedächtnis des Staatsanwalts aufzufrischen ohne Erfolg. Eine besonders eindrucksvolle Bestätigung erfahren diese Vorhaltungen übrigens später durch Mitteilungen des früheren Sondergerichtsvorsitzenden. Zunächst aber wird umgehend ein Verfahren wegen Beamtenbeleidigung gegen Dr. Herz eingeleitet. Und jetzt kommt das ungeheuerliche: Hake erwirkt durch Schmitz einen Haftbefehl gegen Dr. Herz. Die Beschwerdekammer des zuständigen Landgerichts Wuppertal bestätigt den Haftbefehl, und erst auf energischste Intervention höherer Stellen außerhalb der Justiz ist Herz aus der Haft entlassen worden. Diesen Richtern, die über den Haftbefehl entschieden haben, wird der Vorwurf der Rechtsbeugung im strafrechtlichen Sinne nicht gemacht werden können. Sie haben sicherlich fein säuberlich unter Beachtung der Vorschriften der StPO die Frage des Haftgrundes geprüft und den Haftbefehl erlassen bzw. bestätigt. Sie haben also zwar das Recht nicht gebeugt, wohl aber gröblich gegen den Geist der Verfassung verstoßen. Ein eklatantes Beispiel dafür, daß man weder mit der Vorschrift des § 336 StGB, noch mit dieser Richteranklage, wie Sie sie wollen, meine Herren, solche Verstöße ahnden und derartige Auswüchse abstellen kann! Ich sehe nur eine Möglichkeit, die Rechtsprechung zu überwachen und den Geist der Richterschaft im Sinne demokratischen Geistes und einer Ausübung sozialen Verständnisses zu ändern, nämlich die Zulassung einer Richteranklage ohne strafrechtliche Normen. Die Richteranklage ist etwas ganz anderes als die Anklage wegen einer kriminellen Tat. Ich darf zum Schluß noch den bekannten katholischen Schriftsteller Theodor Haecker26) zitieren, der in seinem Buch „Tag- und Nachtbücher“ seine Erlebnisse aus der Nazizeit niedergelegt hat und der 1940 schrieb: Was einem am tiefsten ans Herz greift, ist der geistige Zustand und das Gebaren des deutschen Richters. Sie verurteilen einen Menschen, der einem Polen ein Glas Bier bezahlt hat. Er erinnert damit an die Fälle, in denen der Arbeiter unmenschlich bestraft worden ist, weil er seinem polnischen Arbeitskameraden ein Stück Brot von seinem Frühstück abgegeben hat. „Sie verurteilen ihn zu Gefängnis, das ist furchtbar“, so sagt er. Ich habe die große Sorge, daß zahlreiche Richter, die heute in der britischen Zone noch im Amt sind, obwohl sie im Dritten Reich eine solche gnadenlose Justiz mitgemacht haben, diesen geistigen Zustand, von dem Haecker27) spricht, gar nicht überwinden können. Werden sie den Geist der Verfassung in der neuen Demokratie begreifen, in sich aufnehmen, nachdem sie einmal in dieser eingefleischten Einstellung groß und alt geworden sind?

26)

Vorlage: „Hecker“. Theodor Haecker (1879–1945), Schriftsteller und Philosoph, 1921 Konversion zum Katholizismus, 1936 Rede- und Publikationsverbot als Gegner des Nationalsozialismus, 1941 Hauptschriftleiter im Verlag Ferdinand Schreibers, seine Schrift „Tag- und Nachtbücher“ wurden 1947 postum veröffentlicht und zählen zu einem der bemerkenswerten Zeugnissen von innerer Emigration eines deutschen Intellektueller während der nationalsozialistischen Zeit. Vgl. Michael Langer: Theodor Haecker (1879–1945), in: Emerich Coreth, u. a. (Hrsg.): Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 3, Graz 1990, S. 216–225. Gebhard Fürst (Hrsg.): Theodor Haecker (1879–1945). Verteidigung des Bildes vom Menschen, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart 2001. 27) Vorlage: „Hecker“.

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Ich wiederhole: Die Gesinnung eines Richters, nicht die politische Gesinnung, sondern die Gesinnung in seiner Einstellung zum demokratischen Staat, zu den Grundrechten der Verfassung, zu den Grundrechten der Menschlichkeit, der Menschenwürde, der Freiheit, ist entscheidend. Die Erziehung des Richters zu einer solchen Denkungsart ist nur möglich, wenn durch den Verfassungsgerichtshof ohne Anwendung strafrechtlicher Normen eine entsprechende Kontrolle ausgeübt wird. Ich kenne Richter, die tadellose Juristen sind und die sich niemals des Verbrechens der Rechtsbeugung schuldig machen würden, die aber andererseits den Geist des neuen demokratischen Staates niemals verstehen werden und daher ohne Schuld unfähig sind, in diesem Geist Recht zu sprechen. Diese Richter können wir nicht gebrauchen. Nachdem ich in der Presse obendrein lese, daß die Entnazifizierung der Richter in der britischen Zone nach einer Erklärung des Zentraljustizamtes abgeschlossen ist, befürchte ich, daß alle diese Richter, die diese gnadenlose Justiz ausgeübt haben, auch weiterhin im Amte verbleiben. Dann, meine Herren, sehe ich schwarz für die Zukunft und dann glaube ich, daß die nächste Justizkrise schon vor der Türe steht. Ich bitte daher noch einmal, dem Antrag des Redaktionsausschusses bzw. des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege zuzustimmen. Dr. Becker (FDP): Wir haben alle den Eindruck, daß wir hier an einem besonderen Punkt unserer Verfassung stehen. Es soll die Grundlage dafür geschaffen werden, daß die dritte Säule der Demokratie intakt dasteht und eine wirkliche Grundlage für den demokratischen freiheitlichen Staat darstellt. In Verbindung mit diesem Artkel steht die Bestimmung, daß der Richter nur dem Gesetz unterworfen ist. Wir haben im Ausschuß schon zum Ausdruck gebracht, daß damit nicht nur das positive, geschriebene Recht gemeint ist, sondern daß der Richter auch dem hinter diesem positiven Recht stehenden ewigen Recht, das heißt, dem Recht als Ganzem, unterworfen ist. Wenn wir davon ausgehen, dann brauchen wir unabhängig gesonnene Menschen, Menschen von Charakter und von Persönlichkeit, die in der Lage sind, im Sinn und Geist des wirklichen Rechts unter Umständen einmal über einen Buchstaben des gesetzten Rechts hinweg juristisches Neuland zu erarbeiten. Die Unabhängigkeit und die Persönlichkeit der Richter zu erhalten, ist auch eine Grundlage unserer Demokratie. Es ist aber folgendes zu erwägen. Ich erachte die Motive, die zu dieser Verfassungsbestimmung geführt haben, und die Tendenz, die verfolgt wird, von unserem Standpunkt aus für durchaus gerechtfertigt. Wir wollen eine intakte Demokratie haben, wir wollen nicht, daß in dieser dritten Säule sich Risse zeigen, die gegebenenfalls das Gebäude der Demokratie zum Einsturz bringen können. Aber die Frage ist: Schaffen wir nicht mit einer vielleicht unpraktischen Formulierung einer solchen Bestimmung mehr Schaden für die Unabhängigkeit und für die Heranbildung charaktervoller Persönlichkeiten, als wir damit Nutzen schaffen können? Wir müssen uns deshalb die Bestimmung genau ansehen. So wie die Bestimmung formuliert war, mit den Folgen, die an die Erfüllung eines bestimmten Tatbestandes geknüpft sind, ähnelt sie sehr den Bestimmungen, die bisher als Strafbestimmungen aufgefaßt wurden. Wenn von dem Wort Richteranklage die Rede ist, so klingt das, wenigstens in der Öffentlichkeit, als eine Art Strafverfahren, zumal noch diese schwerwiegenden Folgen daran geknüpft sind. Daher unser Antrag, den Begriff

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„vorsätzlich“ hier hereinzubringen. Weiter war mir die vorgeschlagene Streichung der Worte „oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes“ insofern sympathisch, als sie mir die Zustimmung zu diesem Antrag grundsätzlich erleichtert hat. Wenn solche enormen Rechtsfolgen an einen bestimmten Tatbestand geknüpft werden, müssen wir verlangen, daß dieser Tatbestand sehr genau und exakt formuliert wird und daß für das „Verhalten“, das der Richter an den Tag legen soll, um nicht in ein solches Verfahren hineingezogen zu werden, ganz klare Voraussetzungen formuliert werden. Wenn es heißt, daß er innerhalb und außerhalb des Amtes nicht gegen die Grundsätze des Grundgesetzes verstoßen soll, so ist dieser Tatbestand meiner Auffassung nach exakter und klarer, als wenn hinzugefügt wird: „oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes“. Wenn beides das gleiche sein soll, kann man das zweite als Superfluum streichen. Denn dann sind mit diesen Grundsätzen des Grundgesetzes die Grundsätze der Demokratie – Freiheit und Menschlichkeit, die Gleichheit aller Menschen und das Gebundensein an ein ewiges Recht gemeint, und der Tatbestand ist klar. Die Gefahren, von denen ich sprach, wenn diese Bestimmung der Vorsätzlichkeit nicht hineinkommt, sind [S. 471] meines Erachtens, gerade vom Standpunkt der Demokratie aus, nicht zu unterschätzen. Wir wollen nicht diese Breinaturen, diese politischen Quallen, die vor lauter Ängstlichkeit nicht in der Lage sind, irgendwo in einem Prozeß eine klare Entscheidung zu treffen, und nun, um den Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, sich stundenlang um die Formulierung eines Vergleichs bemühen. Wir wollen nicht Leute haben, die nach außen etwas prästieren, was sie innerlich vielleicht nicht glauben. Gerade diese Ehrgeizlinge, diese Weltanschauungsakrobaten, wie ich sie einmal nennen will, sind kein Vorzug einer echten Justiz, sondern nur eine Belastung. Das müssen wir vermeiden. Deshalb unser Vorschlag, diese Entscheidung nicht einem Gerichtshof zu unterbreiten, der zu einem Teil seine Zusammensetzung auf parteipolitischer Grundlage findet, sondern einem Gericht, wie wir es vorgeschlagen haben, nämlich dem Dienststrafgericht des höchsten Rechtszuges, einer Instanz, von der man annehmen kann, daß ihre Richter nicht nur nach jeder Richtung hin demokratisch völlig einwandfrei sind, sondern daß sie auch die Abgeklärtheit besitzen, um in Ruhe und frei von allen Nebendingen, von äußeren parteipolitischen Motiven nach den Grundbegriffen des Schutzes der Demokratie und der Verfassung urteilen zu können. Das sind die Erwägungen, die uns geleitet haben, und ich glaube, daß wir damit das erreichen, was wir wollen: sowohl die Tendenz, die den Anträgen zugrunde liegt, nämlich die dritte Säule intakt zu halten, damit keine Feinde der Demokratie in sie eindringen können, als auch die Erhaltung unabhängiger und charaktervoller Richterpersönlichkeiten. Dr. von Brentano (CDU): Ich stimme Herrn Kollegen Dr. Becker durchaus zu. Die Rolle der Justiz in unserer neuen Demokratie ist schon eine grundsätzliche Debatte wert. Ich stimme auch dem zu, was Frau Kollegin Dr. Selbert vorgetragen hat. Aber ich glaube, daß wir uns, wenn wir ein solches Problem besprechen, doch von jeder Schwarzweißmalerei freimachen müssen. So wie die Dinge liegen und so wie sie in der Vergangenheit lagen, ist die generelle Feststellung, die Frau Dr. Selbert getroffen hat, die grundsätzlich in der Justiz bereits eine Gefahr für die Demokratie sieht, nicht richtig. Wir dürfen nicht über den Richtern, die sich im Dritten Reich

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in verhängnisvoller Weise zu Schrittmachern des Nationalsozialismus gemacht haben und die weit über einen Rechtspositivismus hinausgegangen sind und in zum Teil skrupelloser Weise Gesetze befolgt haben, von denen sie sich sagen mußten, daß sie mit dem Recht nichts mehr zu tun haben, nicht die große Zahl der Richter vergessen, die anders gehandelt haben. (Frau Dr. Selbert [SPD]: Der Fall, den ich erwähnte, ist aus dem Jahre 1948.) Es hat nicht nur in der Weimarer Republik eine Justizkrise gegeben, sondern auch im Dritten Reich. Wir würden den unzähligen Richtern, die ihre Pflicht getan haben, unrecht tun, wenn wir sie vergessen würden, wenn wir vergessen würden, mit welch ingrimmigem Haß gerade das Dritte Reich den Stand der Richter verfolgt hat, weil man mit Recht erkannt hat, daß es eine Unzahl von Richtern gab, die ihre Gewissenspflicht erfüllten und nicht zu Bütteln des Nationalsozialismus wurden. Im übrigen glaube ich nicht, daß der Weg, den Frau Dr. Selbert gezeigt hat, der richtige ist. Wir können nicht am Symptom kurieren, sondern wir müssen an das Problem selbst herangehen. Das Problem ist eine Frage des Nachwuchses und der Auslese. Es ist unsere Aufgabe, im neuen Staat dafür zu sorgen, daß das Nachwuchsproblem, das Ausleseproblem gelöst wird und daß nur noch Menschen, die die fachliche und moralische, charakterliche Qualifikation mitbringen, im Namen dieses neuen Staates Recht sprechen. Ich glaube aber, daß wir den falschen Weg gehen, wenn wir etwa glauben, die Richter dadurch, daß wir ein Damoklesschwert über ihnen aufhängen, zum Staate führen zu können. Sind Sie nicht auch der Überzeugung, daß wir durch alle solche Maßnahmen allenfalls erreichen könnten, daß der hochqualifizierte und charaktervolle Mensch sich nicht mehr zur Richterlaufbahn wird entschließen können? Wir sollten dafür sorgen, daß die Besten Richter werden, und diesen Richtern sollten wir im Interesse des Aufbaues der Demokratie und einer völligen Unabhängigkeit der Justiz alle Garantien mitgeben, die ein hochqualifizierter Richterstand im Interesse eines rechtsstaatlichen Aufbaus und Denkens besitzen muß. Dem Sinn des Art. 129-128) stimmen wir alle zu. Aber ich füge hinzu: Wir stimmen ihm zu, weil wir leider die Notwendigkeit erkennen, daß eine solche Vorschrift in der Verfassung steht. Aber nicht dadurch, daß wir diese Vorschrift in ihrer Anwendungs- und Auswirkungsmöglichkeit ausdehnen, können wir helfen; das soll vielmehr nur die letzte Möglichkeit sein. Wir wollen, daß die Anwendung dieses Art. 129-129) ein seltener Ausnahmefall ist, und wir wollen hoffen, daß er sich in der Praxis überhaupt nicht als Anwendungsfall zeigen wird. Ich bin nicht der Auffassung, daß wir das Problem der Justiz und die Einordnung der Justiz in den demokratischen Staat dadurch lösen, daß wir dem Richter Mißtrauen entgegenbringen. Wir können das vielmehr nur, indem wir dafür sorgen, daß als Richter in diesem neuen Staat nur der Recht spricht, von dem wir wissen, daß er innerlich mit diesem Staat verbunden ist. Dann werden wir uns über eine Justizkrise nicht mehr unterhalten müssen. Wir müssen alles tun, um die besten Kräfte auch in der Justiz heranzuziehen. Es wird unsere Aufgabe sein, uns über kurz oder lang grundsätzliche Gedanken zu machen, ob die ganze Stellung, die unser Richter im politischen Leben hat, nicht revidiert werden muß, ob wir nicht die 28) 29)

Statt „129-1“ im stenograph. Wortprot., S. 51: „133“. Statt „129-1“ im stenograph. Wortprot., S. 51: „133“.

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Vielzahl der Richter auf vielen Gerichten stark reduzieren und die Richter freimachen müssen beispielsweise von Aufgaben in der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, für die wir einen Richter nicht brauchen, und im übrigen eine verhältnismäßig geringe Zahl hochqualifizierter Richter herausheben, denen wir in wirtschaftlicher Beziehung eine ganz andere Sicherheit geben müssen. Dann erreichen wir, daß sich die Bestqualifizierten dem Staate zur Verfügung stellen, und wir werden über das Problem der Justizkrise leichter hinwegkommen, als wenn wir hier aus begreiflichem, leider in der Vergangenheit begründetem Mißtrauen Kautelen in die Verfassung einbauen, die unter Umständen das Gegenteil von dem erreichen, was wir wünschen. Zinn (SPD): Ich möchte die Debatte nicht durch grundsätzliche Ausführungen unnötig ausweiten, aber einiges möchte ich doch im Anschluß an die Ausführungen von Herrn Kollegen Dr. von Brentano sagen. Auch ich halte es für verkehrt, eine reine Schwarzweißmalerei zu bringen. Es ist zwar so, daß es nicht nur in der Weimarer Zeit, sondern auch in der Nazizeit eine Justizkrise gegeben hat. Darüber hinaus muß man sagen, daß eine Justizkrise im Grunde genommen immer eine allgemeine Rechtskrise ist. Schiffer30), der Präsident der Zentralverwaltung der Justiz in der Ostzone, hat einmal ausgeführt: Die Richter sind volksfremd, und das Volk ist rechtsfremd geworden. Die Krise ist also viel weitergehend. Es trifft schon zu, daß wir der Krise nur dadurch beikommen können – und das wird eine Aufgabe der ganzen nächsten Generation sein –, daß wir eine neue Richterschaft heranbilden. Wir müssen – hier pflichte ich Herrn Dr. von Brentano bei, und unsere hessischen Bestrebungen zielen darauf hin – eine neue Richtergeneration heranziehen. Wir müssen den Richter von allem entkleiden, was nicht zu seinem Amt gehört. Wir haben richtende Beamte und keine Richter im eigentlichen Sinn gehabt. Eine grundsätzliche Änderung der Justiz und der Rechtsstellung der Richter erfordert, daß man den Richter weitgehend von den kleinen Aufgaben, mit denen er betraut ist, entlastet. Der Richter soll nur im Notfall angerufen werden können, er soll die Vertrauensperson sein, an die sich das Volk wendet, und er darf nicht mit dem Durchschnittsbeamten gleichgestellt werden. Seine soziale Stellung muß gehoben und die Zahl der Richter verringert werden. Darüber sind wir uns in Hessen einig. [S. 472] Die hessische Verfassung kennt auch die Richteranklage31). Diese Anklage hat ein Verschulden nicht zur Voraussetzung, und obwohl diese Bestimmung seit mehr als 30)

Eugen Schiffer (1860–1954), Dr. iur., 1903–1918 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, 1912–1917 Mitglied des Reichstags (Nationalliberalen Partei) 1919/20 Mitglied der Weimarer Nationalversammlung, 1920–1924 Mitglied des Reichstags (DDP), 1921–1925 Mitglied des preußischen Landtags, 1924 Rechtsanwalt, u.a. Mitherausgeber der Deutschen Juristenzeitung, 1919 Reichsminister der Finanzen, 1919–1920 Justizministers und Vizekanzler, 1921 Justizminister, 1945–1948 Präsident der Deutschen Zentralverwaltung für Justiz (in der Sowjetischen Besatzungszone), 1950 Übersiedelung in den Westen, 1945–1948 Präsident der Deutschen Zentralverwaltung für Justiz (in der Sowjetischen Besatzungszone), 1949/50 Mitglied der provisorischen Volkskammer der DDR (Vorsitzender des Verfassungsausschusses), 1950 Mitglied des Zentralvorstandes der LDPD, 1950 Übersiedelung in den Westen, Mitglied des FDP. 31) Vgl. Art. 88 der Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dez. 1946; Wegener: Verfassungen, S. 114.

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zwei Jahren in Kraft ist, ist bisher noch kein Fall der Richteranklage vorgekommen. Ein solcher Fall der Richteranklage wird ein seltener Fall sein. Man wird nicht sagen können, daß in der hessischen Justiz die Unabhängigkeit des Richters durch die Möglichkeit, einen Richter ohne Verschulden wegen Verfassungsverletzung anzuklagen, erschüttert ist. Im Grundgesetz ist eine Vorschrift, die die sachliche Unabhängigkeit des Richters garantiert, vorgesehen. Die Unabhängigkeit des Richters beruht im Grunde aber nicht auf solchen Vorschriften, sondern hängt von der Persönlichkeit des Richters selber ab, ob er notfalls auch den Mut hat, für ein Entscheidung mit allen Folgen einzutreten. Daher kommt es auf eine richtige Auslese und Erziehung des Richternachwuchses an. Damit komme ich zu der Frage, ob man die Worte betreffend das Verschulden als Voraussetzung einer solchen Anklage streichen muß. Ich bin der Auffassung, es muß gestrichen werden. Nehmen Sie das Verschulden hinein, so bedeutet dies, daß Sie eine Anklage nur erheben können, wenn der Richter schuldhaft eine Gesetzesverletzung begangen hat. Das ist aber fast schon und in manchen Fällen sicher der Fall der Rechtsbeugung. Dann ändern Sie nur die Zuständigkeit; sie erklären nur das Bundesverfassungsgericht an Stelle eines ordentlichen Gerichts für zuständig. Das ist nicht Sinn dieser Vorschrift. Ihr Sinn ist – und ich freue mich, daß ich mich auf Eberhard Schmidt berufen kann –, daß hier geprüft werden muß, ob ein Richter, unabhängig von strafrechtlichen oder dienststrafrechtlichen Gesichtspunkten, noch Repräsentant einer verfassungsmäßigen Justiz sein kann. In diesem Zusammenhang möchte ich eines sagen: Es darf nicht vergessen werden – ohne mich zu den sonstigen Verhältnissen in der Trizone zu äußern –, daß in einigen Ländern immerhin ein Anfang gemacht worden ist, einen neuen Richterstand zu schaffen, und daß es zahllose Urteile gibt, die in einem neuen Geist gefällt worden sind. Aber es ist leider so, daß wenige Fehlurteile das Vertrauen mehr erschüttern, als zahllose gute und im modernen Geist gefällte Urteile geeignet sind, neues Vertrauen zu gewinnen. Wir müssen eine Vorschrift haben, um die wenigen unsicheren Elemente, die die Vertrauenskrise hervorrufen, im Interesse der wirklich brauchbaren Richter beseitigen zu können. Deshalb darf ein Verschulden nicht Voraussetzung sein. Schmidt weist mit Recht darauf hin: Wenn wir ein Verschulden als Voraussetzung vorsehen, dann ist die Bestimmung überflüssig, dann genügt im wesentlichen die Anklage wegen Rechtsbeugung. Die Bedeutung der Vorschrift liegt dann nur darin, daß das Bundesverfassungsgericht an Stelle eines ordentlichen Gerichts oder Dienststrafgerichtes für zuständig erklärt wird. Aus den gleichen Gründen wenden wir uns gegen den Dienststrafgerichtshof; denn es handelt sich hier nicht um ein typisches Dienststrafverfahren. Nun sagt Herr Dr. de Chapeaurouge, wenn man das Verschulden weglasse, könne es zu leichfertigen, unüberlegten Anklagen durch den Bundestag oder einen Landtag kommen. Er fügt hinzu, damit sei noch nichts über die Aburteilung gesagt, aber allein die Tatsache, daß eine solche Anklage möglich sei, erschüttere das Vertrauen in die Justiz. Abgesehen davon, daß ich der Auffassung bin, daß der Bundestag oder der Landtag eine Anklage nicht leichtfertig erheben wird – Sie trauen dem Bundestag ja auch nicht zu, daß er leichtfertig eine Anklage gegen den Bundespräsidenten, der eine repräsentative, unabhängige und neutrale Stellung haben soll, erhebt –, ist es doch so, daß der Bundestag oder Landtag subjektiv auf dem Stand-

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punkt stehen kann, es liegt ein Verschulden vor. Wird, wenn in einem solchen Fall kein Gericht entscheidet, das Vertrauen nicht noch mehr erschüttert? Erfolgt eine Anklage und stellt das Bundesgericht fest, daß dem Richter kein Vorwurf zu machen ist, dann ist von einer Seite, die – bei dem Charakter des Bundesverfassungsgerichts – Autorität genießen wird, festgestellt: Hier ist in der Justiz alles in Ordnung. Das ist besser und der Justiz dienlicher, als wenn die Möglichkeit der Anklage nicht gegeben wäre. Schließlich möchte ich in diesem Zusammenhang noch auf folgendes hinweisen. In den Verfassungen vor allem der Demokratien jenseits des Ozeans ist überall die Möglichkeit der Absetzung eines Richters vorgesehen, sogar ohne gerichtliches Verfahren und ohne daß ein Verschulden in dem hier erörterten Sinne erforderlich ist. Die kanadische Verfassung sieht in Art. VII Ziffer 9 vor, daß der Generalgouverneur auf Antrag des Senats und des Unterhauses jeden Richter wegen Pflichtverletzung oder Unfähigkeit aus dem Amt entfernen kann. Eine gleiche Vorschrift enthält die Verfassung von Südafrika von 1909 und die australische Verfassung von 1909, und sogar die Verfassung der Vereinigten Staaten enthält eine ähnliche Vorschrift. Die Verfassung der Vereinigten Staaten kennt das sogenannte Impeachment32), eine Anklage, die sich gegen den Präsidenten, die Kabinettsmitglieder, die Beamten der Bundesregierung und die Mitglieder der obersten Gerichtshöfe richten kann33). Es ist meines Wissens von dieser Anklage noch kein Gebrauch gemacht worden, wenigstens nicht gegen Richter. Aber die Möglichkeit ist gegeben und sie wird nicht von irgendeinem Verschulden abhängig gemacht. Was dort tragbar erscheint, sollte bei uns erst recht möglich erscheinen, um so mehr als bei uns eine Justizkrise vorhanden ist, in jenen Ländern aber nicht oder jedenfalls nicht in gleichem Umfang. [Vors.] Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, es ist niemand in diesem Raum, der nicht der Meinung ist, daß zur Justiz die Unabhängigkeit gehört, und weiter, daß die Unabhängigkeit der Justiz nur dadurch gewährt werden kann, daß der Richter als Person im Genuß gewisser Schutzbestimmungen steht. Aber es muß nicht nur der Richter gegen Versuche, seine Unabhängigkeit einzuschränken, geschützt werden, sondern es muß auch das Volk gegen die Gefahren geschützt werden, die ein Mißbrauch der Richtergewalt, der durch diese Privilegien begünstigt werden kann, mit sich bringen könnte. Man wird sagen: Dafür sorgt das Gesetz; wir haben Bestimmungen über die Rechtsbeugung usw., und überall, wo ein Richter das Recht verletzt, wo er das Recht beugt und wo er vorsätzlich oder vielleicht grobfahrlässig das Gesetz nicht so anwendet, wie es angewendet werden muß, steht hinter diesem Verhalten eine Sanktion. Aber, meine Herren, der Richter hat nicht nur das Gesetz anzuwenden, indem er einen Tatbestand unter eine Rechtsnorm stellt und daraus in einer 32) 33)

Statt „Impeachment“ im stenograph. Wortprot., S. 56: „Empeachment“. Für die amerikanische Militärverwaltung OMGUS hatte Kurt Glaser bereits im Mai 1948 eine englische sowie ein deutsche Ausgabe der Verfassungen der elf Staaten, Schweiz, Kanada, Südafrika, Australien, USA, Brasilien, Sowjetunion, Jugoslawien, Frankreich und Italien sowie schließlich auch die Verfassung des Deutschen Reiches (1919), herausgegeben und bereits den Teilnehmern des Verfassungskonventes auf Herrenchiemsee zur Verfügung gestellt. Weswegen wiederholt aus diesen Verfassung zitiert wurde.Vgl. dazu Feldkamp: Einleitung, in: Der Parl. Rat, Bd. 8, S. LXI mit Anm. 390 und Anm. 391.

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logischen Denkoperation Rechtsfolgen zieht, sondern der Richter hat auch vom Gesetz ganz unabhängig Bewertungen von Tatbeständen zu vollziehen. Der Richter wendet nicht nur „an und für sich“ das Gesetz an, sondern er handelt auch auf Grund bestimmter Wertmaßstäbe, und in einem demokratischen Staat sollte nur ein Richter geduldet werden, der die Wertmaßstäbe der Demokratie anwendet, die nicht in den Gesetzen stehen, sondern in seinem Bewußtsein liegen müssen und das Produkt einer persönlichen Lebensentscheidung sind. Es genügt nicht, daß ein Richter formaldemokratisch urteilt, sondern sein Urteil muß von den Wertmaßstäben, die den Kern der Demokratie ausmachen, getragen sein, mit anderen Worten, von dem ganzen Humanitätsgehalt der Demokratie. Bei Art. 129-1 handelt es sich nicht um eine Strafsanktion, sondern darum, daß unter gewissen Umständen soll festgestellt werden können, daß ein Richter diese menschliche Eignung zum Richterberuf nicht hat. Die berufliche Eignung zum Richterberuf wird ihm im Bestreitungsfall vor dem Disziplinargerichtshof bestätigt oder abgesprochen. Aber diese menschliche Eignung zum Richterberuf kann nicht von einem Disziplinargericht festgestellt oder aberkannt werden, sondern nur von einem Gericht besonderer Art. Dieses Bundesverfassungsgericht scheint mir ein Gericht dieser Art zu sein. Man sollte nicht befürchten, daß infolge der Drohung, vor dieses Gericht gestellt zu werden, die Richter an Charakterstärke einbüßen könnten, daß sie dadurch „Quallen“ würden. Ich glaube, daß der Charakter eines Menschen eher dadurch herangebildet [S. 473] wird, daß er weiß, unter Umständen für seine Entscheidung auch einstehen zu müssen, das heißt seine Person und nicht nur seinen Verstand und sein fachliches Wissen in die Waagschale legen zu müssen. Ich glaube, daß viel weniger Aussicht besteht, Charaktere heranzubilden, wenn jeder weiß: Es kann mir nichts passieren, ich kann so oder so judizieren; wenn ich die Formalien einhalte, wenn ich formell korrekt bleibe, dann passiert mir nichts. Ich glaube, daß die Rückgratlosigkeit, die man gelegentlich bei Richtern gefunden hat, dadurch ermöglicht wurde, daß dieser Stand sich nicht ausschließlich aus Personen zusammenzusetzen brauchte, die bereit waren, ein Risiko auf sich zu nehmen. Wenn es gefährlich gewesen wäre, Richter zu sein, dann hätten bestimmte Personen jeden anderen Beruf dem Richterberuf vorgezogen. Aus diesen Gründen sollten wir darauf verzichten, vorsätzliche oder grobfahrlässige Begehung eines Verstoßes gegen die Richterpflichten zur Voraussetzung der Anwendung des Artikels zu machen. Es handelt sich nicht um ein Strafverfahren. Deshalb können wir die für eine strafrechtliche Verfolgung erforderlichen Voraussetzungen hier nicht brauchen. Es handelt sich um die objektive Feststellung, ob ein Richter über die menschlichen Qualitäten – dieses Wort in weitestem Sinne verstanden verfügt, die von dem Richter eines demokratischen Staates verlangt werden müssen. Und weil es sich nicht um die Feststellung beruflicher Eignung handelt, bitte ich davon abzusehen, gemäß dem Antrag Dr. Becker an Stelle des hier vorgesehenen Gerichts ein Dienststrafgericht zu wählen. Renner (KPD): Herr Dr. von Brentano hat betont, daß es in der Weimarer Zeit und in der Zeit der Nazidiktatur eine Justizkrise gegeben hat. Er hat dann allerdings die Einschränkung gemacht, daß man diese Justizkrise und ihren Umfang nicht so darstellen dürfe, als ob alle Richter der damaligen Zeit von dieser Krise erfaßt worden seien. Das hat bisher meines Wissens in diesem Gremium noch niemand behaup-

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tet. Ich wage trotzdem einen Schritt weiterzugehen: Ich behaupte, daß man auch von einer Justizkrise von heute, also nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Systems, absolut sprechen kann. Der heute von Frau Dr. Selbert vorgetragene Fall ist kein Ausnahmefall, sondern nur einer der Fälle, durch die am deutlichsten manifestiert wird, wie notwendig es ist, bei einer Richteranklage die Voraussetzung eines Verschuldens auszuschalten. Denn mit Frau Dr. Selbert bin ich der Auffassung, daß die Richter, die in diesem Falle an den Entscheidungen beteiligt waren, sich klüglich gegen den Vorwurf oder gar gegen den Beweis eines Verschuldens gesichert haben. Wir haben in der letzten Debatte bei der ersten Lesung zu diesem Artikel darauf hingewiesen, wie hoch der Prozentsatz der Richter ist, die in der Zeit des Nationalsozialismus entweder als Mitglieder der NSDAP oder einer ihrer Organisationen oder Gliederungen positiv den Nationalsozialismus durch ihre Rechtsfällung gefördert haben, und wieviele Mitläufer es gegeben hat. Es ist festgestellt worden, daß die Entnazifizierung, zum mindesten in der britischen Zone, diese Elemente unangetastet im Amt gelassen hat. Ich behaupte, daß man die abgebauten Richter in unserer Zone an den zehn Fingern der beiden Hände abzählen kann. Ich wäre Herrn Dr. von Brentano dankbar, wenn er seine Behauptung, daß der Nationalsozialismus geradezu brutal gegen das Richtertum vorgegangen ist, zahlenmäßig unterlegen wollte. Wo sind da die Zahlen? Ich weiß, daß Richter auf Grund des Gesetzes über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entfernt worden sind. Wenn einer Jude war oder wenn einer einmal in der Weimarer Zeit ein wenig sein demokratisches Gesicht gezeigt hatte, dann war er in der damaligen Periode fällig. Dann wurde er aus irgendeinem Grund, unter irgendeinem Vorwand abgesetzt. Aber der normale Durchschnittsrichter hatte nichts zu befürchten; denn er hat diesem System mit der gleichen Treue gedient wie der Weimarer Republik und dem alten Kaiserreich. Die Ursache für die Krise in der Justiz scheint mir darin zu liegen, daß die Richter nicht nur volksfremd waren und sind, sondern darüber hinaus auf Grund der Auslese, auf Grund der Umstände, unter denen sie in ihren Beruf hineingekommen sind, Organe einer bestimmten Klasse waren und sind. Die Besten sollen Richter werden! Das ist doch nehmen Sie es mir nicht übel – ein schönes Wort. „Die Besten“ ist ein leeres Wort in der heutigen politischen und sozialen Atmosphäre. Das ist so etwas, was zu nichts verpflichtet, was sich aber schön anhört. Wer wird denn heute noch Richter oder wer ist früher Richter geworden? Das war und ist ein bezahlter Beruf wie jeder andere, in den man nach Absolvierung eines gewissen Studiums hineinkommt. Es war nötig, daß man betuchte Eltern hatte, die das Studium bezahlen konnten. Das Studium hat lange gedauert, es war sehr lange Zeit nötig, um überhaupt hineinzukommen, und man mußte eine finanzielle Basis haben. Heute ist es genau so wie damals: Der Zugang zum Richtertum ist heute genau so wie damals ein Vorrang einer bestimmten Schicht des Volkes; mindestens in den drei Westzonen ist das der Fall. Man komme mir nicht mit Behauptungen wie: Wir sind dabei, einen neuen Richterstand aufzubauen, wenn man nicht dafür sorgt, daß der Zugang zum Studium unter andere Bedingungen gestellt wird, als das heute der Fall ist. Dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn das Ergebnis dieser Universitätsstudien genau dasselbe bleibt, wie es auch in der Vergangenheit

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war. Ich bin der Meinung, man müßte den Zustand beseitigen, daß die Richter auf Grund ihrer Vorstudien und der Bedingungen, die dazu vorhanden sein müssen, nur aus einer bestimmten Schicht des Volkes kommen können. Das kann man nur dadurch ändern, daß man den Zugang zu den Universitäten ändert. Wenn man von einem Richter verlangt, daß er die Wertmaßstäbe der Demokratie anwendet, darf er nicht aus einer Klasse herauskommen, die bestimmte, gegen jede demokratische Auffassung verstoßende Wertmaßstäbe in sich trägt, die auf Grund ihrer Klassenzugehörigkeit naturgegeben sind. Ich bin der Meinung, daß die Herren, die zwar auf der einen Seite mit gewissen Vorbehalten das Bestehen einer Justizkrise bejahen, aber die Möglichkeit der Durchführung einer Anklage gegen einen Richter von dem Vorliegen eines Verschuldens abhängig machen, an dem Problem bewußt vorbeireden und an der Unantastbarkeit des Richters nicht rühren wollen. Ich darf abschließend noch darauf hinweisen, daß die Erhebung einer Anklage auch an gewisse Voraussetzungen gebunden ist. Die Körperschaften, die nach Ihrer Auffassung die Anklage erheben können, sind auch heute und in dem Staat, den Sie aufzubauen sich bemühen, klassenmäßig und politisch in der Mehrheit Vertreter der Auffassung von der Unantastbarkeit des Richters. Ich sehe wirklich keine Gefahr darin, daß man die Möglichkeit der Erhebung einer Anklage den Landtagen, wie sie sich hier im Westen zusammensetzen, überläßt, und ich sehe in der Erhebung einer Anklage noch keinen Urteilsspruch. Ich wiederhole einen Satz, den ich bei der ersten Besprechung gesagt habe: Ich kann mir vorstellen, daß ein tadelloser Richter absolut damit einverstanden ist, daß eine derartige Möglichkeit der Überprüfung seiner Urteilsfällung gegeben ist. Der tadellose Richter braucht weder Anklage noch viel weniger Verurteilung zu befürchten. Getroffen werden können durch diese Bestimmung nur Richter, denen man ein Verschulden durch Urteil nachweist. Mehr ist in dem Artikel leider nicht darin. Ich sage: leider! Dr. Lehr (CDU): Ich schlage vor, daß wir die Entscheidung heute aussetzen. Die Aussprache hat die große Bedeutung dieses Artikels ergeben, sie hat es aber auch als wünschenswert erscheinen lassen, daß wir noch eine kurze Zeit bekommen, um das Gehörte zu überdenken und miteinander Fühlung zu nehmen. Die Aussetzung braucht nur ganz kurz sein, aber ich möchte nicht in diesem Augenblick eine Entscheidung herbeiführen. Ich bitte deshalb, die Entscheidung auszusetzen. Der Hauptausschuß vertagt sich auf 17 Uhr. Schluß der Sitzung 12.55 Uhr.

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Nr. 38 Achtunddreißigste Sitzung des Hauptausschusses 13. Januar 1949 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 475–481. PA 2004. Ungez. von Herrgesell gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 539 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: de Chapeaurouge, Fecht, Kaufmann, Kleindinst, Laforet, Lehr, von Mangoldt, Schrage SPD: Greve, Maier, Schmid (Vors.), Schönfelder, Selbert, Stock, Zimmermann, Zinn FDP: Becker, Dehler DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Eberhard (SPD), Katz (SPD), Löwenthal (SPD), Walter (CDU/ CSU), Wolff (SPD) Stenographischer Dienst: Herrgesell Dauer: 17.153)–18.27 Uhr

[1. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT VIII: GERICHTSBARKEIT UND RECHTSPFLEGE] [1.1. Art. 129-1: RICHTERANKLAGE]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir müssen zuerst den Art. 129-14) erledigen. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich möchte im Namen meiner Fraktion erklären, daß wir nach eingehender Beratung zu dem Ergebnis gekommen sind, uns auf den Inhalt des ersten Beschlusses des Hauptausschusses zurückzuziehen5). Dieser Beschluß ist unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Frau Kollegin Dr. Selbert hat heute morgen erklärt, daß, wenn wir in dem Artikel die Worte „vorsätzlich oder grobfahrlässig“ belassen würden, kein Raum für den Artikel mehr bliebe, weil der Artikel durch die Bestimmung des Reichsstrafgesetzbuchs über Rechtsbeugung überflüssig wäre. Ich glaube, daß Frau Kollegin Dr. Selbert in dieser Beziehung irrt. Sie hat dabei übersehen, daß die Vorschrift des § 336 RStGB6). nur gilt, wenn das Recht zugunsten oder zum Nachteil einer Partei gebeugt wird. Hier handelt es sich aber um Äußerungen, bei denen eine Partei gar nicht notwendig ist. Es können bei der Begründung eines Urteils von dem Richter Ausführungen gemacht werden, die 1) 2) 3) 4) 5) 6)

Protokollführer Strätling; geschrieben Frau Wistorf; verlesen Kelz/von Zitzewitz Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Statt „17.15“ im stenograph. Wortprot., S. 1: „17“. Statt „129-1“ im stenograph. Wortprot., S. 1: „133“. Vgl. die Sitzung der CDU/CSU-Fraktion am 13. Jan. 1949; Salzmann, S. 341. § 336 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich (RStGB) vom 15. Mai 1871: „Ein Beamter oder Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache vorsätzlich zu Gunsten der zum Nachtheile einer Partei einer Beugung des Rechtes schuldig macht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft.“ RGBl. S. 127.

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die Voraussetzung dieses Tatbestandes erfüllen, ohne daß dadurch der betreffenden Partei ein Vorteil oder Nachteil zugefügt wird. Frau Dr. Selbert hat aber weiter übersehen, daß der Artikel auch auf das außerdienstliche Verhalten des Richters Anwendung finden soll, wobei es sich überhaupt nicht um Parteien handelt. Der Tatbestand als solcher ist eben ein verschiedener. Der Richter muß nach unserer Überzeugung für das, wofür er zur Verantwortung gezogen wird, auch subjektiv verantwortlich sein. Es genügt nicht, einfache culpa levis, ein einfaches Verschulden für ausreichend zu erklären. Das Verschulden muß vielmehr, wie der Hauptausschuß bei der ersten Lesung richtig beschlossen hat, wie er richtig gefühlt hat und wie es der württembergischen Verfassung entspricht, ein qualifiziertes sein. Das qualifizierte Verschulden wird im vorsätzlichen oder grobfahrlässigen Verhalten erblickt. Jedes kleine Versehen darf nicht zu einem solchen Verfahren führen. Wenn aber Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorliegen muß, können auch ruhig die im Rechtspflegeausschuß gestrichenen Worte „oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstößt“ hier stehenbleiben. Es ist kein Grund vorhanden, sie hier zu streichen, wenn ihre Streichung vielleicht auch kein großes Unglück sein würde. Es kommt aber etwas anderes hinzu. Als ich heute morgen ganz kurz meine Ausführungen machte, ahnte ich nicht, daß sich eine grundsätzliche Aussprache über die Stellung des Richters anschließen würde. Ich glaube, wir alle, ganz gleich, wo wir politisch stehen, haben die Aussprache als solche begrüßt, weil sie in unserem Kreise erwünscht war und man ihr nicht aus dem Wege gehen sollte. Ich mache aber darauf aufmerksam, daß eine Sache heute morgen in der Diskussion überhaupt nicht erwähnt worden ist, auf die ich bei meiner zweiten Wortmeldung ausdrücklich hinweisen wollte. Wir betrachten hier in Art. 129-1, wie er jetzt vorliegt, den einzelnen Richter in seiner Isolierung. Wir müssen uns aber darüber klar sein, daß ein isolierter Richter in der deutschen Rechtsprechung zwar in weitem Umfange vorkommt, daß aber ein sehr großer Teil der Rechtsstreitigkeiten nicht von einzelnen Richtern, sondern von Kollegialgerichten erledigt wird. Das Wesen des deutschen Kollegialgerichts besteht in der kollegialen Beratung, aber auch in dem Geheimnis der Beratung. Das Geheimnis des Beratungszimmers ist weder im Gerichtsverfassungsgesetz noch in der Verfassung irgendwie verankert. Es ist aber ein ungeschriebenes Gewohnheitsrecht. Es ist mir bekannt, daß das Reichsgericht im Einzelfall festgestellt hat, daß das Geheimnis des Beratungszimmers unter Umständen einem höheren Zweck weichen muß. Wir wollen die Richtigkeit dieser Feststellung in keiner Weise bestreiten. Wir müssen uns aber darüber klar sein, daß bei politischen Tatbeständen die Unabhängigkeit der Richter zweifellos stark beeinträchtigt wird, wenn sie damit rechnen müssen, daß Äußerungen, die sie in der Beratung machen, unter Umständen in einem späteren Verfahren gegen einen Kollegen zeugeneidlich bestätigt oder abgeleugnet werden müssen. Ich mache vor allem darauf aufmerksam, daß in diesem Einbruch in das Geheimnis des Beratungszimmers eine ganz schwere, in ihren Konsequenzen gar nicht absehbare Gefährdung unseres Laienrichtertums liegt. Wir haben jetzt beim Schöffengericht und beim Schwurgericht Laienrichter und Berufsrichter, die gleichberechtigt nebeneinander arbeiten. Wenn die Laienrichter ihrerseits damit rechnen müssen, daß sie unter

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Umständen in einem politischen Prozeß – politische Prozesse sind die interessantesten – über ihre eigene Stellungnahme in der Beratung irgendwelche Aussagen machen müssen, so wird dadurch ihre Unabhängigkeit unbedingt gefährdet und wird ihnen die Unbefangenheit genommen. Wie ich schon in meinen früheren Ausführungen gesagt habe, würde ich persönlich in allen diesen Fragen viel leichtsinniger sein, wenn es sich nur um Bundesrichter und Richter des Bundesverfassungsgerichts handeln würde. Für mich liegen die Gefahren des Artikels vor allem in dem zweiten Absatz, wo den Länderregierungen ausdrücklich die Möglichkeit gegeben wird, ihrerseits entsprechende Bestimmungen für die Länder zu erlassen. Ich nehme an, daß es, wenn dieser Artikel in das Grundgesetz aufgenommen wird, kein deutsches Land geben wird, das nicht einen entsprechenden Artikel, wenn es ihn nicht schon haben sollte, in seine Verfassung aufnehmen wird. Ich muß ganz ehrlich gestehen, da sehe ich die größte Gefahr. Ich kann nach meinen politischen Erfahrungen, die sich nicht allein auf Hamburg7) beschränken, nicht ohne weiteres glauben, daß in politisch erregten Zeiten, wenn irgendein Urteil gefällt wird, das anscheinend den Zorn des Volkes erregt, die Landtage so viel Zurückhaltung üben werden, daß sie nicht die Einleitung eines Verfahrens beschließen. Ich habe heute morgen schon darauf hingewiesen, daß die Einleitung eines solchen Verfahrens eine Gefahr für das Ansehen der Justiz ist, für den betroffenen Richter aber unter Umständen ein großes Unglück bedeuten kann, selbst wenn das Verfahren schließlich zu seinen Gunsten durchgeführt wird. Wir glauben, daß der Hauptausschuß bei seiner [S. 476] ersten Lesung in dieser schwierigen Frage glücklicher und richtiger gelegen hat, als es heute eine Reihe von Kollegen in der zweiten Lesung beschließen wollen. Ich möchte daher bitten, den Wortlaut der ersten Lesung heute zu bestätigen und von Änderungen, die der Rechtspflegeausschuß gegen meinen Widerspruch beschlossen hat, abzusehen. Zinn (SPD): Ich möchte gegenüber den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. de Chapeaurouge zunächst darauf hinweisen, daß immerhin ein so prominenter Vertreter der Justizverwaltung wie Ihr Parteifreund Dr. Strauß in der Sitzung des Rechtspflegeausschusses, der sich mit diesem Artikel befaßt hat, mit aller Entschiedenheit die Notwendigkeit der Streichung der Worte „vorsätzlich oder grobfahrlässig“ vertreten hat. Er hat genau wie wir mit Recht erkannt, daß es sich um ein Verfahren völlig eigener Art handelt, mit einem völlig anderen Ziel als etwa die Vorschrift des § 336 RStGB. oder aber das normale Dienststrafverfahren des richterlichen Dienststrafrechts. Wenn Sie die Vorschrift über das Verschulden als Voraussetzung einer solchen Anklage beibehalten, führt das einmal zu Kompetenzkonflikten. Selbst wenn Sie auf dem Standpunkt stehen, daß die Fälle des Art. 129-1 alter Fassung mit den Tatbeständen der Rechtsbeugung nicht immer identisch sind, können Sie nicht verneinen, daß Tatbestände der Rechtsbeugung im Sinne des § 336 RStGB. unter diesen Art. 129-1 fallen können. Zumindest würde eine schuldhafte Verletzung der verfassungsrechtlichen Pflichten ein Dienststrafverfahren gegen einen Richter rechtfertigen, so daß Sie zumindest in diesem Umfang mit Kompetenzkonflikten rechnen müssen. Ich muß nochmals be7)

De Chapeaurouge war ausschließlich in Hamburg berufstätig gewesen.

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tonen, daß es sich bei dem Verfahren des Art. 129-1 darum handelt, unabhängig von einem konkreten und individuellen Verschulden gegenüber dem Richter die Vertrauensfrage zu stellen, nämlich die Frage, ob er noch geeignet ist, Repräsentant einer verfassungsmäßigen Justiz zu sein. Unter diesem Gesichtspunkt müssen, wenn dieser Artikel überhaupt einen Sinn haben soll, die Worte, nach denen ein Verschulden Voraussetzung sein soll, gestrichen werden. Der Herr Kollege Dr. de Chapeaurouge hat darauf hingewiesen, daß, wenn wir diesen Artikel in der vom Rechtspflegeausschuß gegen, ich glaube, eine Stimme (Dr. de Chapeaurouge [CDU]: Zwei Stimmen waren es!) – oder gegen zwei Stimmen – beschlossenen Fassung annähmen, unter Umständen, um Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts zu ermöglichen, eine Verletzung des Beratungsgeheimnisses erforderlich sei. Das ist in jedem Fall notwendig, ganz gleichgültig, ob Sie ein Verschulden als Voraussetzung annehmen oder nicht. Im übrigen haben Sie mit Recht darauf hingewiesen, daß weder das Gerichtsverfassungsgesetz noch sonstige Gesetze irgendeine Bestimmung über das sogenannte Beratungsgeheimnis enthalten. Es ist aus dem Rechtsgrundsatz der Unabhängigkeit der Richter entwickelt worden. Aber das Reichsgericht hat es bereits weitgehend eingeschränkt. In einer der letzten Entscheidungen, die sich damit befaßt hat und meines Wissens im 107. Band8) veröffentlicht ist, hat das Reichsgericht ausgeführt, daß das öffentliche Interesse an der Wahrung der Unabhängigkeit der Richter und daß das daraus fließende Beratungsgeheimnis unter Umständen einem höheren Interesse zu weichen hat, wenn zum Beispiel aufzuklären ist, ob ein Richter eine Rechtsbeugung begangen hat. Das ist also nichts Neues. Es gibt durchaus Fälle, in denen das Beratungsgeheimnis eines höheren Interesses wegen aufgegeben werden muß. Es ist ganz interessant, daß zum Beispiel der Präsident unseres Verwaltungsgerichtshofs9), allerdings aus anderen Erwägungen, angeregt hat, grundsätzlich jedem Mitglied des Verwaltungsgerichtshofs das Recht einzuräumen, bei einer abweichenden Meinung gegenüber der Mehrheit des Verwaltungsgerichtshofs dies in einem in verschlossenem Umschlag zu den Akten zu nehmenden Votum niederzulegen. Es ist bei ausländischen Gerichten überhaupt nichts Ungewöhnliches, daß ein überstimmter Richter dies in einem besonderen Votum zum Ausdruck bringt, und zwar ganz öffentlich. Auch das deutsche Militärstrafrecht kannte eine ähnliche Regelung. Der Richter eines Militärstrafgerichts, der überstimmt war, konnte seine abweichende Meinung zu Protokoll niederlegen. Das sind also keine Gesichtspunkte, die gegen die vom Rechtspflegeausschuß vorgeschlagene Fassung ins Feld geführt werden können. Schließlich möchte ich mit allem Nachdruck auf folgendes hinweisen. Wenn Sie befürchten, daß aus irgendeinem Anlaß ein Landtag oder ein Bundestag vielleicht 8)

Vgl. dazu Entscheidung des Staatsgerichtshofs in Sachen der deutschnationalen Fraktion des sächsischen Landtags gegen die Regierung des Freistaates Sachsen vom 29. Sept. 1923, abgedruckt im Anhang (mit eigener Seitenzählung) zu: Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen, Bd. 107. Berlin/Leipzig 1924, S. 17–24 9) Gerhard Müller, 1947–1950 Präsident des hessischen Verwaltungsgerichtshofes. 50 Jahre hessische Verwaltungsgerichtsbarkeit. Festschrift zum 50. Jahrestag der Errichtung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in Kassel sowie der Verwaltungsgerichte, Darmstadt, Kassel und Wiesbaden. 1997, Fuldabrück S. 87 u. ö.

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unüberlegt eine Anklage gegen einen Richter erhebt, scheint es mir notwendig zu sein, daß dann auch das Bundesverfassungsgericht entscheidet, um festzustellen, ob ein Anlaß gegeben ist, die Justiz zu kritisieren oder nicht. Wenn Sie diese Möglichkeit nicht eröffnen, wird das Geschwür sich verbreitern, und die Folge wird sein, daß die durch den Fall entstandene Vertrauenskrise anhält. Abschließend möchte ich noch auf folgendes hinweisen. Ein hoher Richter der britischen Zone, der Präsident eines der größten Landgerichte in der britischen Zone, hat mir mitgeteilt, daß er angesichts der Verhältnisse in der britischen Zone die Richteranklage für notwendig halte, ohne daß ein Verschulden vorausgesetzt zu werden brauche, weil er auch der Auffassung sei, daß gegenüber der dritten Gewalt, nämlich der rechtsprechenden Gewalt, die Möglichkeit gegeben werden müsse, Mißbräuche zu verhüten. Das können Sie nur erreichen, wenn Sie hier nicht eine besondere Art von Disziplinarklage, sondern eine Verfassungsklage auf Entfernung eines im Geiste der Verfassung nicht brauchbaren Richters einführen. Er hat darauf hingewiesen, daß es für manche Richter, die nach seiner Auffassung für die Justiz nicht geeignet, aber noch im Dienst sind, nach seinen Beobachtungen bereits sehr heilsam gewesen ist, daß dieses Problem hier erörtert wird und daß man die Einführung der Richteranklage vorsieht. Es ist interessant, daß ein sehr hoher Richter der britischen Zone die Einführung der Richteranklage, und zwar in der Form, wie sie der Rechtspflegeausschuß dem Hauptausschuß empfiehlt, für empfehlenswert erachtet. Dr. Seebohm (DP): Ich habe zu der Diskussion von heute vormittag noch eine Bemerkung zu machen. Der Herr Vorsitzende hat ausgeführt, daß in diesem Verfahren auch die menschliche Eignung einer Nachprüfung unterzogen werden soll. Dagegen habe ich deshalb Bedenken, weil eine solche Nachprüfung bei der Unklarheit des Begriffs der menschlichen Eignung sich sehr leicht auch zu einer politischen Beurteilung auswachsen könnte. Dadurch würden in die Beurteilung bei diesen Verfahren, sicherlich nicht so gewollt, Gedanken hereingetragen werden, durch die das rechtsstaatliche System, auf dem das Grundgesetz beruht, verlassen werden würde. Ich bin der Auffassung, daß eine Überprüfung nur nach sachlichen Tatbeständen erfolgen und die menschliche Eignung in einem solchen Verfahren nicht zur Diskussion stehen kann. Aus diesem Grunde halte ich es für notwendig, an dem Antrag festzuhalten, den die Fraktion der Freien Demokratischen Partei mit meiner Unterstützung gestellt hat. Ich fürchte, da wir uns sonst auf ein Gebiet begeben, daß in unser Rechtsstaatsystem nicht hineinpaßt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe nicht von der menschlichen Eignung schlechthin gesprochen, sondern ich habe den Unterschied zwischen der beruflichen Eignung und der menschlichen Eignung in dem Sinne gemacht, daß festgestellt wird, ob ein bestimmter Richter – abgesehen von „beruflicher“ Tüchtigkeit – nach den Wertmaßstäben zu handeln vermag, die den Humanitätsgehalt der Demokratie zum Ausdruck bringen. (Dr. Seebohm [DP]: Das ist eine sachliche Eignung.) – Wenn Sie wollen, eine sachliche Eignung, aber immerhin doch eine sehr in persönlichen Qualitäten begründete sachliche Eignung. Dr. Dehler (FDP): Ich nehme mit einer gewissen Hemmung das Wort. Ich bin der einzige aktive Richter in Ihrem Kreis. Kein geborener und kein gewachsener Rich-

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ter, sondern ein Anwalt, der in dieser Notzeit die Verpflichtung gefühlt hat, ein Richteramt zu übernehmen. [S. 477] Sie rühren an eine der empfindlichsten Stellen unseres staatlichen Aufbaus, und niemand empfindet das mehr als derjenige, der die Dinge von innen sieht. Es gibt nichts Empfindlicheres als die Frage der Unabhängigkeit des Richters. Das Wort ist leicht gesagt, aber man empfindet es unglaublich schwer, wenn man in der Justiz tätig ist. Die jetzige Justiz, die aus der gründlich verdorbenen Justiz des Dritten Reiches herausgewachsen ist wir können da keine Zäsur machen –, steht unter Druck. Die Dinge waren nicht so und sind auch nicht so, daß nicht der Versuch der Beeinflussung von außen gemacht wird. Ich erlebe, wie der gute Richter auf solche Versuche sauer reagiert. Mir sind beste Richter davongelaufen, weil sie das Empfinden hatten, nicht restlos unabhängig zu sein, weil sie das Empfinden hatten, es wird Einfluß auf sie genommen. Ich habe bei unserer ganzen Diskussion das bittere Empfinden, irgendwo wirkt der Geist des autoritären Staates auch hier nach; irgendwo wird versucht, auf das Richtertum einzuwirken. Man sagt natürlich: Nein, es soll nur die Garantie sein, daß der Richter wirklich ein Diener des demokratischen Staates ist. Ich glaube, die Korrektur der Gefahr, die immer vorhanden ist, daß jemand zum demokratischen Richter nicht taugt und ausgeschaltet werden muß, muß auf einem ganz anderen Gebiet liegen. Der Herr Kollege Dr. von Brentano hat heute nach meiner Meinung in dankenswerter Weise aufgezeigt, wo die Korrektur liegt. Die Aufgabe der Auslese des richtigen, des guten Richters ist ungeheuer schwer. Meines Erachtens ist das Entscheidende, daß eine Standesethik geschaffen wird – die vielleicht noch nicht vorhanden ist, weil sie im Dritten Reich untergegangen ist –, daß es am Ende keinen Richter gibt, der sich nicht durch die Ethik seines Standes gebunden fühlt, der nicht10) selbstverständlich die Verpflichtung gegenüber dem demokratischen Staat fühlt. Ich glaube nicht, daß der Weg, der zum Teil schon in den Länderverfassungen beschritten wurde und der hier aufgenommen werden soll, daß man den Richter letztlich unter den Druck eines politischen Tribunals stellen will, der richtige ist. Ich bejahe die Möglichkeit, daß ein Richter, der innerhalb oder außerhalb des Amtes beweist, daß er demokratischen Grundsätzen nicht entspricht, beseitigt wird. Er soll dann durch den Spruch seiner Pairs beseitigt werden. Er soll vor seinen Richtern stehen, von denen ich die Überzeugung habe, daß sie höchste Anforderungen an ihn stellen werden. Deswegen unser Antrag, daß das Dienststrafgericht des letzten Rechtszuges zuständig sein soll. Dann scheiden auch die Konflikte aus, die der Herr Kollege Zinn aufgezeigt hat. Dann gibt es keine Doppelspurigkeit. Ich bin aber auch der Meinung, daß es notwendig ist, einen klaren Tatbestand als Voraussetzung der Verurteilung zu schaffen. Es ist gefährlich, einen Richter unter so allgemeinen Begriffen wie des Verstoßes gegen die Grundsätze unserer Verfassung zur Verantwortung ziehen zu wollen. Das genügt nicht als Tatbestand. Herr Dr. de Chapeaurouge hat schon die Schwierigkeiten aufgezeigt, die darin liegen, daß der Richter im Normalfall gar nicht als Einzelperson Recht spricht, sondern in der überwiegenden Zahl der Fälle Mitglied eines Kollegialgerichts ist. Wir haben doch das Prinzip des Kollegialgerichts und das Prinzip der Mitwirkung des Laien schon eingeführt, um zu verhin10)

„nicht“, fehlt im stenograph. Wortprot., S. 10.

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dern, daß ein Richter seine Stellung mißbraucht. Hier liegt schon ein wichtiges Korrektiv vor. Wir haben daneben ein System von Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen, um den Mißbrauch zu verhindern. Die Möglichkeit, daß wirklich ein böswilliger Richter, ein Richter, der unseren Staat verneint, am Werke ist, ist schon deswegen denkbar gering. Soll er ausgemerzt werden, muß ihm nachgewiesen werden, daß er Schuld hat, daß er vorsätzlich gegen den Staat handelt. Das allein kann die Voraussetzung für den tiefen Eingriff sein, einen Richter seines Amtes zu entheben. Es wäre gefahrvoll, sich hier mit einem dehnbaren Tatbestand zu begnügen. Wir müssen besonders daran denken, daß auch die Wogen politischer Leidenschaft in solche Rechtsverfahren schlagen können. Wenn wir heute unsere Kollegin Dr. Selbert gehört haben, so wissen wir, wie schwierig es ist, wenn Laien – und beim Verfassungsgerichtshof wirken Laien mit – Tatbestände der richterlichen Tätigkeit beurteilen sollen. Mich ergreift ein Schauer, wenn ich in unserer Presse Besprechungen von gerichtlichen Verfahren nachlese. Es ist erschütternd, welche Fülle von Mißverständnissen und von bösem Willen, besonders auch von Vorurteilen sich in diese Kritik hineindrängt. Einen Richterspruch kann am Ende nur derjenige beurteilen, der ein Verfahren von Anfang bis zu Ende miterlebt hat, der den Zeugen und Angeklagten gesehen hat. Wie will man vor einem doch immerhin politisch akzentuierten Gerichtshof das Verhalten eines Richters in einem gerichtlichen Verfahren reproduzieren wollen? Die Dinge sind so schwierig und so heikel, daß ich nur warnend meine Stimme erheben kann. Mir sind die Gefahren, die der Herr Kollege Zinn aufzeigt, durchaus bewußt. Aber ich glaube nicht, daß dieser Weg der richtige ist, um diese Gefahren zu bannen. Viel wichtiger ist das Beispiel des guten Richters und auf der anderen Seite die Neugestaltung unseres Richtertums aus unserem Geiste heraus. Der Herr Kollege Renner ist sehr skeptisch, daß das möglich ist, daß der Beste, der Geeignetste aus unserem Volk zum Richtertum findet. Herr Kollege Renner, ich sage Ihnen, das Gegenteil ist richtig. Ich kenne meine Richter. Das sind nicht Leute einer Klasse, das sind Leute, die von unten nach oben kommen. Das sind in unseren bayerischen Verhältnissen die Söhne von Bauern und von Kleinbürgern. Das sind keine Menschen mit einem Klassenvorurteil. Das sind auch Menschen, die für die Aufgaben unseres Staates aufgeschlossen sind. Hier finden sich die wenigsten Staatsfeinde. Für den Richter, der seiner Aufgabe nicht gewachsen ist, der letztlich politisch versagt, der – um das Wort zu gebrauchen – eine politische Rechtsbeugung begeht, muß ein Verfahren geschaffen werden; da gehen wir mit Ihnen einig. Ich glaube, daß der Vorschlag, den wir machen, der richtige ist: er soll angeklagt werden vor einem Gericht, das besetzt ist mit Richtern, mit seinesgleichen, mit den Menschen seines Standes, mit Menschen, die ihm gleich sind. Das entspricht dem hohen Stande des Richtertums in unserem Staate. Er soll selbstverständlich nur angeklagt oder verurteilt werden, wenn ihm nachgewiesen ist, daß er ein Feind dieses Staates ist, das heißt bewußt gegen diesen Staat handelt. Brockmann (Z): Ich möchte hier als Laie11) von meinem Standpunkt aus zu diesem Problem auch ein paar Worte sagen. Wenn ich den Art. 129-1 in der vorliegenden Fassung – bei Außerachtlassung der drei Worte „vorsätzlich oder grobfahrlässig“ – 11)

Brockmann war Volksschullehrer.

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auf mich wirken lasse, so lege ich mir nach all dem, was ich jetzt gegen die Auffassung, die von dem Herrn Kollegen Zinn dargelegt worden ist, gehört habe, die Frage vor, welche Sicherungen denn eigentlich noch weiter für die Beachtung der Unabhängigkeit und der hohen Stellung des Richters, wenn er sich schuldig gemacht hat, eingeschaltet werden sollen. Ich frage mich, welche Sicherungen für den einfachen Laien gegeben sind, wenn der Richter sich solcher Verstöße schuldig macht. Es scheint mir, daß dann der Richter doch an sich selbst einen viel höheren Maßstab anlegen muß, als er ihn bei dem Laien anwendet. Wenn gesagt wurde, daß heute so mancher Richter schon wieder besorgt darum ist, daß er unter irgendeinen inneren oder äußeren Druck gestellt werden könnte, dann ist es doch immerhin – und es ist nicht demagogisch, wenn man das zum Ausdruck bringt, sondern es ist doch das Bedürfnis, daß man seinen Teil dazu beitragen will, diese Krise zu beheben – erlaubt, zu fragen, wo denn diese Richter zum größten Teil in der Zeit der stärksten Rechtsbeugung, die wir gehabt haben, gewesen sind. Das ist doch das Entscheidende. Wir sind auch hier in diesem Ausschuß und im Parlamentarischen Rat nicht nur Fachleute – in diesem speziellen Fall sind es nur wenige von uns –, sondern wir haben auch die politischen Imponderabilien zu berücksichtigen, die uns veranlassen müssen, hier eine Regelung zu treffen, die auch für den Laien verständlich ist und dem Laien heute wieder das Vertrauen zur Rechtspflege gibt. Es heißt in Art. 129-1: „Wenn ein Bundesrichter vorsätzlich [S. 478] oder grobfahrlässig in oder außerhalb des Amtes gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstößt,“ was man von einem Richter überhaupt nicht erwarten sollte „so kann das Bundesverfassungsgericht auf Antrag des Bundestags oder des Bundesjustizministers ihn seines Amtes für verlustig erklären und zugleich bestimmen, ob er in ein anderes Amt oder in den Ruhestand zu versetzen oder zu entlassen ist.“ Für meine Partei, für meine Person werde ich mich dafür einsetzen, daß die Worte „vorsätzlich oder grobfahrlässig“, die außerordentlich dehnbar sind, mit denen man alles Mögliche anfangen kann, die einen Freibrief für jeden gewähren, der gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstößt, gestrichen werden. Ich bin der Überzeugung, damit tritt man der Freiheit und Unabhängigkeit des Richterstandes nicht zu nahe. Renner (KPD): Es ist hier mit so warmen Worten noch einmal die Notwendigkeit der Unabhängigkeit, das heißt der absolut unabhängigen Stellung des Richters, die Notwendigkeit der Ausschaltung jeder Beeinflussung, vor allen Dingen jeder politischen Beeinflussung des Richters unterstrichen worden. Wenn man den Richter, die Justiz, wie das heute hier geschehen ist, als dritte Säule der Demokratie, besser gesagt als dritte Säule des Staates, der die Demokratie verkörpern soll, bezeichnet, so frage ich mich: Haben wir überhaupt ein Recht, diesen Richter als Einzelperson und diesen Richterstand in seiner Gesamtheit so außerhalb des Wesens und des Geistes und der Einrichtungen des demokratischen Staatsapparates zu stellen? Wenn er dritte Säule sein soll, muß es doch eine Säule sein, die zusammen mit den beiden anderen Säulen Ihres Staatsaufbaus und Ihres Staates dieses ganze Gebäude trägt. Wenn dann diese Säule so ist, wie das im Augenblick zum Beispiel bei uns in der britischen Zone der Fall ist – wo, ich unterstreiche es noch einmal, deutsche Stellen auf die Entnazifizierung und auf die Zusammensetzung des Richterstandes

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bisher überhaupt keinen Einfluß auszuüben in der Lage waren –, wenn wir also in der britischen Zone Richter vor uns haben, die die Weimarer Zeit, die Hitler-Periode überstanden haben und auch heute noch in dieser angeblich neuen Zeit Richter sind, frage ich mich: Soll man überhaupt den Gedanken als so unantastbar herausstellen, daß diese Richter absolut unabhängig sein dürfen? Innerlich unabhängig sind sie nicht. Innerlich waren sie immer der Klasse verwachsen, aus der sie kamen und kommen. Innerlich haben sie während der Zeit der Weimarer Republik stets und zu einem ganz hohen Prozentsatz gegen diese Republik gestanden. Sie haben es fertiggebracht, die Weimarer Republik in ihren Urteilssprüchen sogar ganz offen zu verhöhnen. Dafür haben wir, wenn wir wollen, -zig Beweise. Was die heutige Zeit angeht, so ist der Fall, den wir heute gehört haben, kein Ausnahmefall. Den Fall, den die Kollegin Dr. Selbert heute vorgetragen hat, kann man vervielfältigen. Ich habe in der Tasche einen ähnlichen, vielleicht sogar noch etwas schlimmeren Fall als den heute vorgetragenen. Ich behaupte, daß der Richter auf Grund seines ganzen Werdeganges, auf Grund der Vorbereitungszeit, die er durchlaufen muß, schon zu einer bestimmten Schicht der Bevölkerung gehören muß. Das ist heute bestritten worden. Heute ist gesagt worden, es sei ungerechtfertigt, den Richterstand als volksfremd hinzustellen. Ich habe auch nicht beabsichtigt, den gesamten Richterstand so anzusprechen. Ich rede nur von der Masse der bei uns in der britischen Zone im Augenblick amtierenden Richter. Meines Wissens haben die Studenten der Jurisprudenz heute noch sieben Semester notwendig, dann durchlaufen sie die Referendarzeit und die Assessorenzeit. Das sind Jahre, in denen sie ihrem Herrn Papa auf dem Portemonnaie liegen. Das kann sich eben nur derjenige erlauben, der einen, wie man so sagt, betuchten Papa hinter sich hat. Schon diese Vorbedingung, um überhaupt in den Beruf hineinzukommen, erzwingt eine bestimmte Auslese. Man soll uns doch mit solchen vielleicht aus ehrlichem Herzen kommenden, aber doch dem tatsächlichen Leben widersprechenden Formulierungen von dem hohen Ethos des Richterstandes verschonen. Ich darf an einen einzigen Fall erinnern. In Saarbrücken lag neben mir jemand, der wegen politischer Dinge angeklagt wurde. Er wurde zum Tode verurteilt. Fünf Minuten Beratungszeit waren notwendig, um das Todesurteil zu fällen. Da schließe ich mich der Auffassung des Herrn Brockmann an: Sollen wir nicht auch einmal an den Menschen denken, der Opfer solcher Richter werden kann? Dann sagt der Herr Dr. Dehler, der böse, der „ungute“ Richter soll vor seinen Richtern stehen. Herr Brockmann hat den Prozeß aufgezeigt, der notwendig ist, um einen derartigen Richter überhaupt vor seinen Richter zu bringen. Es sind doch drei bis vier Voraussetzungen notwendig, um diese Anklage in Fluß zu bringen. Dann ist die Anklage noch keine Verurteilung. Wenn man alle diese Faktoren einschaltet, sollte man sich im Interesse des Richterstandes und vor allen Dingen im Interesse des Bürgers, der Objekt dieser Justiz und der Rechtsprechung derartiger schlechter und böser Richter werden kann, ohne jedes Bedenken zum mindesten für die Formulierung entscheiden, die der Rechtspflegeausschuß vorschlägt. Schönfelder (SPD): Ich möchte mir als Laie12) auch ein kurzes Wort gestatten. Ich will nicht darüber reden, wodurch es gekommen ist, daß der Richterstand so in 12)

Schönfelder war gelernter Zimmerer.

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Mißkredit geraten ist. Er ist beim Volk, bei den Laien in Mißkredit geraten. Deshalb hat Herr Dr. Dehler ein sehr gefährliches Wort gesprochen, wenn er gesagt hat, der Laie kann nicht beurteilen, ob in einem bestimmten Fall der Richter richtig oder falsch gehandelt hat. Was soll der Laie beurteilen können? Er soll beurteilen können, ob der Richter innerhalb oder außerhalb seines Amtes gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstößt. Das kann in 60 oder 70 von hundert Fällen der Laie besser beurteilen als der Richter selber. Wenn Herr Dr. Dehler sagt, der Richter darf in diesem Falle nur von seinesgleichen behandelt werden, wird er niemals erreichen, daß der Zwiespalt, der in der Bevölkerung zwischen dem Richterstand und dem Laien besteht, aufgehoben wird. Wenn der Laie meint, der Richter müsse unter Anklage gestellt werden, ist er durch diesen Laien noch nicht verurteilt, sondern zunächst einmal nur angeklagt. Dann wird untersucht, und nachher wird von einem hohen Gericht entschieden. Wenn man diese Kluft überbrücken will, darf man nicht wie Herr Dr. Dehler sagen: Das könnt ihr Laien nicht beurteilen, das muß vielmehr der Jurist machen. Ich behaupte hier – mögen Sie mich für vermessen halten –, daß ich die Tatsache, ob ein Richter gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder gegen die demokratische Ordnung verstoßen hat, besser beurteilen kann als ein ganz großer Teil der Juristen. Frau Dr. Selbert (SPD): Wir wollen uns dem tiefen Ernst nicht verschließen, der aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Dehler spricht. Wir können aber auch für uns in Anspruch nehmen, daß wir uns bei unserer Stellungnahme zu dieser so überaus weittragenden und bedeutungsvollen Frage – es ist eine Lebensfrage der neuen Demokratie – von dem gleichen Ernst und von dem gleichen Verantwortungsbewußtsein wie der Herr Kollege Dr. Dehler lenken lassen. Wir alle, die wir in engster Fühlung mit der Justiz stehen, besonders auch wir Anwälte, wissen, daß die Frage der Unabhängigkeit der Richter wohl eine der empfindlichsten Fragen der Justiz zu aller Zeit war. Wenn wir hier den Standpunkt der Richteranklage vertreten und der Meinung sind, daß die Richteranklage nicht mit einem schuldhaften Tatbestand gleichgesetzt werden kann, müssen wir uns gegen die Unterstellung verwahren, die in den Ausführungen des Herrn Dr. Dehler deutlich wurde, daß irgendwo und irgendwie hier der Geist des autoritären Staates nachklinge. Wenn die Verpflichtung des Richters zum demokratischen Staat, seine innere Verbundenheit mit ihm und mit den Grundsätzen der Demokratie sowie eine humanitäre Rechtsprechung so selbstverständlich wären, wie Sie meinen, Herr Dr. Dehler, brauchten wir natürlich keine Sicherung. [S. 479] Dann hätten wir aber auch in der Vergangenheit nicht all das erlebt, was in unsere Erinnerung eingegraben ist. Gerade die Unabhängigkeit des Richters hätte dem Richter im Dritten Reich die Möglichkeit gegeben, eine unabhängige Rechtsprechung und nicht eine Rechtsprechung im Sinne des Naziterrors zu üben. Sicherlich bin ich mit Ihnen der Auffassung, daß wir versuchen müssen, einen neuen Richterstand heranzubilden, der das Berufsethos hat, das wir bei einem unabhängigen Richter voraussetzen. Davon sind wir noch weit entfernt. Ich darf noch einmal wiederholen, bei den Richtern der britischen Zone sind wir davon ganz weit entfernt, nachdem alle dieselben Leute, die einmal im Namen Adolf Hitlers Recht gesprochen haben, die als Sondergerichtsvorsitzende, in den Hochverratssenaten

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oder sonstwo diese Blutjustiz geübt haben, noch im Amt sind. Der Fall Hertz, den ich Ihnen heute morgen als Beispiel angeführt habe, ist nur ein Beispiel dafür, daß man solche Mißstände mit den bisherigen Bestimmungen der Rechtsbeugung nicht beseitigen kann. Herr Kollege Dr. de Chapeaurouge, mir ist der Tatbestand der Rechtsbeugung sehr wohl bekannt. Ich weiß, daß er so auszulegen ist, wie Sie es sagen. Ich weiß aber auch, daß Sie mit diesem Tatbestand der Rechtsbeugung nicht an solche Richter herankommen. Und ich bin überzeugt, daß Sie mit einer Richteranklage, die Sie auf strafrechtlichem Verschulden aufbauen, vielleicht sogar nur auf Vorsatz, wie die Herren der FDP es wollen, ebensowenig eine demokratische Rechtsprechung erzielen und sichern. (Dr. de Chapeaurouge [CDU]: Das haben Sie selbst voriges Mal beschlossen.) Ich bin der Meinung – und diese Meinung habe ich heute morgen bereits vertreten –, daß wir dann eine Richteranklage nicht brauchen. Dann wäre sie dasselbe wie die Rechtsbeugung im Strafrecht, und wir hätten lediglich die Zuständigkeit verschoben. Herr Brockmann hat sehr richtig die Frage aufgeworfen, welche Sicherungen wir dann überhaupt noch gegen einen Mißbrauch der Unabhängigkeit haben, wenn nicht in dieser Form. Meine Herren Kollegen, Sie haben zu einem großen Teil den Gedanken der Richterwahl aus ähnlichen Gesichtspunkten, wie sie hier zum Ausdruck gekommen sind, abgelehnt. Das wäre eine Möglichkeit gewesen, eine Auswahl unter den Richtern danach zu treffen, ob sie geeignet sind, im Sinne des sozialen Verständnisses und im Geiste der Demokratie Recht zu sprechen. Wir in Hessen haben diese Möglichkeit. Wir in Hessen haben darüber hinaus auch die Richteranklage in der Form13), wie wir sie Ihnen heute vorschlagen. Herr Minister Zinn hat heute morgen sehr richtig darauf hingewiesen, daß wir, seitdem wir die Verfassung und die Richteranklage in diesem Sinne haben, glücklicherweise noch keinen einzigen Fall hatten, in welchem wir von der Richteranklage Gebrauch machen mußten. Es ist kein Damoklesschwert, das über den Richtern schwebt, und soll es auch nicht sein. Aber es soll eine Sicherung für den Menschen sein, für den rechtsuchenden Menschen und für den Menschen, der in die Stricke der Strafjustiz hineingerät. Wenn Sie, meine Herren von der FDP, glauben, mit einem besonderen Disziplinarhof für Richter auszukommen, so darf ich darauf hinweisen, daß Sie damit nichts weiter tun, als den Richter auf die Ebene des Beamten stellen. Der Richter nimmt aber im Verhältnis zum Beamten eine Sonderstellung ein. Selbst der höchste Beamte des Staates ist zwar nicht weisungsgebunden wie sein nachgeordneter Beamter, aber er unterliegt der Kontrolle des Parlaments. Der Richter unterliegt hinsichtlich seiner Tätigkeit als Rechtsprecher keiner Kontrolle, er ist unabhängig. Infolgedessen muß er sich auch gefallen lassen, daß er unter ein gewisses Sonderrecht gestellt wird. Was wir von dem Richter verlangen, ist nichts Ungewöhnliches und nichts Unbilliges. Wir verlangen von ihm nur, daß er Demokrat ist, daß er innerlich zum Staat steht und im Geiste des neuen Staates Recht spricht. Der gute demokratische Richter wird in dieser Regelung niemals eine unbillige Regelung sehen, wie die heute früh von Herrn Kollegen Zinn zitierte Stimme eines der höchsten Richter der britischen Zone beweist. Er wird es als etwas durchaus Selbstverständliches 13)

Vgl. oben Dok. Nr. 37, S. 1158 mit Anm. 31.

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empfinden, das als Korrelat seiner Vertrauensstellung als unabhängiger, keiner Kontrolle unterstehender Richter entspricht. Er braucht keine Sorge zu haben, daß irgendeine politische Partei ihn nur deshalb kritisiert, weil er ihr nicht angehört. Der parteipolitische Richter ist nicht unser Idealbild, sondern der politische Richter, der seine Rechtsprechung unter die Gesetze des Staatspolitischen im Sinne eines demokratischen Richters stellt. So möchten wir es verstanden haben und wir müssen uns dagegen verwahren, daß aus unserer Vorstellung und aus unserer Konzeption etwa andere und falsche Schlüsse gezogen werden. Zinn (SPD): Durch die Verfassung wird die Unabhängigkeit des Richters in sachlicher Hinsicht garantiert, durch die Gerichtsverfassungsgesetze wird die persönliche Unabhängigkeit garantiert. Mit der sachlichen Unabhängigkeit erlangt der Richter eine Macht, wie sie sonst keinem Organ des Staates, selbst nicht dem höchsten Repräsentanten dieses Staates, dem Bundespräsidenten, verliehen ist. Wer eine solche Macht in Händen hat, muß es sich gefallen lassen, daß er unter Umständen wegen Mißbrauchs dieser Macht zur Verantwortung gezogen wird. Der wahre Richter, der eine Richterpersönlichkeit ist, wird nicht so schwächlich sein, der Entscheidung eines höchsten Gerichtshofs, wenn er zur Verantwortung gezogen wird, auszuweichen. Auf die schwächlichen Charaktere brauchen wir keine Rücksicht zu nehmen. Es kommt hier überhaupt nicht auf das Schicksal des einzelnen Richters an, sondern darauf, wieder eine Grundlage zu schaffen, daß das Volk Vertrauen zur Justiz gewinnt. Nun hat Herr Kollege Dr. Dehler vorhin mit einem etwas akzentuierten, ich möchte beinahe sagen, diskriminierenden Unterton von dem Bundesverfassungsgericht als einem politischen Tribunal gesprochen. Das Bundesverfassungsgericht ist kein politisches Tribunal in dem Sinne, wie Sie das andeuten wollen. Es besteht aus Bundesrichtern und Mitgliedern, die vom Bundestag gewählt werden und wahrscheinlich zum Teil auch Juristen sein werden. Man kann wohl annehmen, daß diese Mitglieder, die nicht Bundesrichter sind, sorgfältiger ausgewählt werden als etwa die Laienbeisitzer einer Strafkammer, die über die Rechtsbeugung eines Richters zu befinden haben. Oder, Herr Kollege Dr. Dehler, wollen Sie etwa sagen, daß den nichtbundesrichterlichen Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichtshofs eine geringere Objektivität zuzutrauen ist als den Laienrichtern einer Strafkammer? Wenn Sie das tun, bringen Sie dem Bundesverfassungsgericht – ich glaube nicht, daß Sie das beabsichtigen – ein ungerechtfertigtes Mißtrauen entgegen. Wenn ein gleiches Mißtrauen von einem Richter einem solchen Bundesverfassungsgericht entgegengebracht würde, müßte man einem solchen Richter von vornherein Mißtrauen entgegenbringen. Mißtrauen gegen das Bundesverfassungsgericht bedeutet Mißtrauen gegen ein oberstes Bundesorgan und damit gegen die Demokratie schlechthin. Die Richter können sich also nicht darauf berufen, daß das Bundesverfassungsgericht nicht geeignet sei, einen solchen Fall zu entscheiden, ganz abgesehen davon, daß für diese Fälle dem Bundesgesetzgeber sogar die Möglichkeit gegeben ist, die Zahl der richterlichen Mitglieder gegenüber den Beisitzern überwiegen zu lassen. Nach der Regelung, die das Grundgesetz ursprünglich vorgesehen hat, überwiegen die bundesrichterlichen Mitglieder sogar grundsätzlich die Zahl der nichtbundesrichterlichen Mitglieder. Also Ihre Argumentation bedeutet unter diesem Gesichtspunkt schlechthin ein Mißtrauen gegen die Objektivität des Bundesverfassungsgerichts.

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Ich möchte noch kurz etwas anderes sagen. Ein Dienststrafgericht ist in den Augen der Bevölkerung nichts anderes als ein Standesgericht, und das Urteil eines Dienststrafgerichts wird in einem solchen Fall niemals die Autorität genießen wie die Entscheidung eines Bundesverfassungsgerichts. Eine solche Entscheidung wird nicht geeignet sein, im Interesse der Justiz zur Behebung der Vertrauenskrise beizutragen. Falls hier keine Einigung des Hauptausschusses zustande kommen sollte und der Hauptausschuß in seiner Mehrheit nicht auf dem Standpunkt des Rechtspflegeausschusses [S. 480] stehen sollte, daß die Frage des Verschuldens keine Rolle spielen kann, werde ich mir vorbehalten – wir haben noch eine dritte Lesung, notfalls aber im Plenum –, einen Ergänzungsantrag zu stellen, in welchem festgelegt wird, daß auf eine Entlassung im Falle der Richteranklage durch das Bundesverfassungsgericht nur erkannt werden kann, wenn der Richter vorsätzlich gehandelt hat. Das scheint mir notfalls eine tragbare Zwischenlösung zu sein, weil dann ohne Rücksicht auf die Frage des Verschuldens die Entfernung aus dem Amt, ferner auch die Versetzung in den Ruhestand erfolgen kann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es sind eine Reihe von Abänderungsanträgen gestellt, zuerst der Antrag, in die vom Rechtspflegeausschuß vorgeschlagene Fassung die Worte „vorsätzlich oder grobfahrlässig“ einzufügen. Dr. Dehler (FDP): Wir beantragen, daß nur das Wort „vorsätzlich“ eingefügt wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Antrag abstimmen, daß das Wort „vorsätzlich“ unter Weglassung von „grobfahrlässig“ eingefügt wird. – Der Antrag ist mit 11 gegen 10 Stimmen angenommen. Ich lasse weiter über den Antrag abstimmen, noch die Worte „oder grobfahrlässig“ beizufügen. – Dieser Antrag ist mit 11 gegen 7 Stimmen abgelehnt. Es heißt jetzt also nur: „Wenn ein Bundesrichter vorsätzlich in- oder außerhalb des Amtes . . .“. Dann ist beantragt, die Worte: „oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes“ zu streichen. Ich lasse hierüber abstimmen. – Der Antrag auf Streichung ist mit 12 Stimmen bei Stimmenthaltungen abgelehnt. Schließlich ist der Antrag gestellt, statt des Bundesverfassungsgerichts das Bundesdienststrafgericht des letzten Rechtzuges einzusetzen. – Der Antrag ist mit 15 gegen 3 Stimmen abgelehnt. Dann lasse ich über den ersten Absatz von Art. 133 (jetzt Art. 129-1) in der nunmehr beschlossenen Fassung abstimmen. – Der Abs. 1 ist mit 8 gegen 6 Stimmen bei Stimmenthaltungen angenommen. Wir kommen zu Abs. 2: Die Länder können für Landesrichter entsprechende Bestimmungen erlassen. Frau Dr. Selbert (SPD): Ich stelle den Antrag, einzufügen: „Weitergehendes Landesrecht bleibt unberührt.“ Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zunächst über Satz 1 abstimmen. – Der Satz 1 ist mit 15 gegen 2 Stimmen bei Stimmenthaltungen angenommen. Ich lasse über den Zusatz abstimmen: „Weitergehendes Landesrecht bleibt unberührt.“ Der Antrag ist mit 14 Stimmen bei Stimmenthaltungen angenommen. Ich lasse über den gesamten Art. 133 (jetzt Art. 129-1) abstimmen. – Der Artikel ist mit 8 gegen 2 Stimmen bei Stimmenthaltungen angenommen.

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[1.2. ART. 128b ZIFFER 7: ANKLAGE GEGEN BUNDESRICHTER]

Wir kommen nunmehr zu Ziffer 7a des Art. 128b. Es handelt sich nur noch um die Aufzählung; das Problem selbst ist entschieden. Die Ziffer lautet: „Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über Anklagen gegen Bundesrichter gemäß Art. 129-1.“ Ich lasse abstimmen. – Die Ziffer 7a des Art. 128b ist gegen 2 Stimmen angenommen.

[1.3. ART. 129a: RICHTERWAHLAUSSCHUSS IN DEN LÄNDERN]

Wir kommen zu

Art. 129a Die Länder können bestimmen, daß über die Anstellung der Richter in den Ländern der Landesjustizminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß entscheidet. Ich lasse abstimmen. – Der Artikel ist mit 13 gegen 4 Stimmen angenommen.

[1.4. ART. 129b: VERFASSUNGSSTREITIGKEITEN INNERHALB EINES LANDES]

Art. 129b Dem Bundesverfassungsgericht kann durch Landesgesetz die Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, den oberen Bundesgerichten für den letzten Rechtszug die Entscheidung in solchen Sachen zugewiesen werden, bei denen es sich um die Anwendung von Landesrecht handelt. Ich lasse abstimmen. – Der Artikel ist mit 17 Stimmen angenommen.

[1.5. ART. 129c: ENTSCHEIDUNGEN DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS]

Art. 129c (1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichts des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetz handelt. (2) Ist in einem Rechtsstreit zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesverfassungsrechts ist und ob sie unmittelbare Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Art. 20), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

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(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder des Verfassungsgerichts eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen; will es bei der Auslegung von sonstigem Bundesrecht von der Entscheidung des Obersten Bundesgerichts oder eines oberen Bundesgerichts abweichen, so hat es die Entscheidung des Obersten Bundesgerichts einzuholen. Ich lasse über Abs. 1 abstimmen. – Der Abs. 1 ist mit 18 gegen 1 Stimme bei Stimmenthaltungen angenommen. Ich lasse über Abs. 2 abstimmen. – Der Abs. 2 ist mit 18 Stimmen bei Stimmenthaltungen angenommen. Ich lasse über Abs. 3 abstimmen. – Der Abs. 3 ist mit 19 Stimmen angenommen. Ich lasse über den gesamten Art. 129c in der beschlossenen Fassung abstimmen. – Der Art. 129c ist mit 19 Stimmen einstimmig angenommen.

[1.6. ART. 129d: AUSFÜHRUNGSBESTIMMUNGEN DURCH BUNDESGESETZE]

Wir kommen zu Art. 129d. Zinn (SPD): Der Redaktionsausschuß muß sich hier die richtige Aufführung der Artikelbezeichnungen vorbehalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Durch die Abstimmung werden die Ordnungsziffern nicht präjudiziert. Der Redaktionsausschuß wird die passenden Ziffern einsetzen. Was gemeint ist, ist klar. Es heißt: Die näheren Bestimmungen zu den Artikeln 128, 128a, 128b, 128d, 128e, 129, 129–1 und 129c sind durch Bundesgesetze zu regeln. Ich lasse abstimmen. – Der Artikel ist einstimmig angenommen.

[1.7. ART. 131: VERBOT VON AUSNAHMEGERICHTEN]

Art. 131 (1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. (2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden. Dr. Seebohm (DP): Ich hatte bereits bei der ersten Lesung einen Protokollvermerk gemacht, daß unter diese Ausnahmegerichte auch Sonderstrafgerichte fallen14). Ich möchte das auch hier noch einmal zu Protokoll geben, damit es klargestellt ist. [S. 481] Vors. Dr. Schmid (SPD): Es wird zu Protokoll genommen. Ich lasse über Art. 131 abstimmen. – Der Artikel ist mit 20 Stimmen einstimmig angenommen.

14)

Vgl. dazu die 25. Sitzung des HptA am 9. Dez. 1948; oben Dok. Nr. 25, TOP 2.1, S. 745.

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[1.8. ART. 132: RICHTERLICHE UNABHÄNGIGKEIT]

Art. 132 Richter, Geschworene, Schöffen und andere Laienrichter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Walter (CDU): Ich möchte anregen, hinter „dem Gesetz“ „und ihrem Gewissen“ einzusetzen. Zinn (SPD): Nein. Der Rechtspflegeausschuß hat sich mit der Frage beschäftigt, ob die Worte „und ihrem Gewissen“ aufgenommen werden sollen. Er hat sich dagegen ausgesprochen. Es ist ganz interessant, daß die Richter des Obergerichts des Vereinigten Wirtschaftsgebiets sich aus guten Gründen gegen diese Formulierung, die in dem Herrenchiemseer Entwurf15) enthalten war, gewandt haben. Ich glaube, man sollte es bei der alten Regelung belassen und den Vorschlag des Redaktionsausschusses in der vorliegenden Fassung annehmen. Walter (CDU): Im Gerichtsverfassungsgesetz ist, wenn ich mich nicht täusche, die gleiche Formel. Zinn (SPD): Nein. Das ist neu. Dr. Dehler (FDP): Ich bin auch der Meinung, daß wir es bei dieser Fassung belassen sollten. Dahinter verbirgt sich das große Problem der Gewissensgebundenheit des Richters. Es würde zu weit führen, das hier erörtern zu wollen. Natürlich wird der Richter gelegentlich in seinem Gewissen mit dem Gesetz Konflikt kommen. Aber diesen Konflikt muß er dann in sich austragen und muß notfalls die Konsequenzen tragen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 132 abstimmen. – Der Artikel ist einstimmig angenommen.

[1.9. ART. 135: RECHTLICHES GEHÖR, VERBOT RÜCKWIRKENDER STRAFGESETZE UND DER DOPPELBESTRAFUNG, WAHL EINES VERTEIDIGERS]

Art. 135 (1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden. Dr. Seebohm (DP): Wir haben zu diesem Artikel unseren Antrag Nr. 46 (PR. 12.48 – 440)16) gestellt und bitten, zwischen Abs. 1 und 2 einen weiteren Absatz folgenden Inhalts einzufügen: Jeder körperliche oder durch sonstige Mittel vor oder während eines Verhörs ausgeübte Zwang ist unzulässig. Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen. 15)

Für den Wortlaut des Berichts über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 504–630, hier S. 611, 16) Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 46 der DP-Fraktion zu Art. 135 vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 440.

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Zur Begründung weise ich darauf hin, daß der Antrag mit unserem Antrag Nr. 4 auf Einfügung eines Art. 2a (Recht auf körperliche Unversehrtheit)17) korrespondiert. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben erwiesen, daß eine solche Schutzbestimmung erforderlich ist. Sie muß, obwohl sie geltendes Recht ist, verfassungsrechtlich bekräftigt werden. Zinn (SPD): Es steht bereits – ich weiß nicht genau, in welchem Art. – in den Grundrechten, daß jemand, der festgehalten wird, nicht körperlich oder seelisch mißhandelt werden darf. Das reicht aus. Das brauchen wir nicht für das richterliche Verhör besonders betonen. Der Grundrechtsartikel wendet sich nicht nur gegen Mißhandlungen durch die Polizei. Die weitere Bestimmung, daß jedermann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen darf, gehört in die Prozeßordnung. Außerdem kann die Bestimmung in diesem Umfang nicht in die Prozeßordnung aufgenommen werden. Denn im ersten Stadium des Ermittlungsverfahrens kann sich zwar jeder eines Beistandes bedienen, aber es kann dem Beistand noch nicht das Recht auf Akteneinsicht eingeräumt werden, wenn man das Ermittlungsergebnis nicht gefährden will. Das ist eine Frage, die sich der Rechtspflegeausschuß eingehend überlegt hat. Man kann diese Frage niemals in der Verfassung regeln, sie muß vielmehr in den Prozeßgesetzen geregelt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, Sie sollten Ihren Antrag zurückziehen. Dr. Seebohm (DP): Den ersten Satz möchte ich doch lieber aufrechterhalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann stimmen wir über den Antrag ab, in Abs. 1 hinzuzufügen: „Jeder körperliche oder durch sonstige Mittel vor oder während eines Verhörs ausgeübte Zwang ist unzulässig.“ – Der Antrag ist gegen 2 Stimmen abgelehnt. Ich glaube kaum, daß jemand daraus den Schluß ziehen wird, die Mitglieder des Ausschusses, die den Antrag abgelehnt haben, wollten die Folter einführen. Ich überlege, ob man in Abs. 2 nicht nur die Strafbarkeit vor Begehung der Tat, sondern auch das Strafmaß erwähnen sollte. Zinn (SPD): Das ist durch den Wortlaut mit umfaßt. Wir haben uns das eingehend überlegt. Das ist in der Rechtslehre einhellige Meinung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich über Art. 135 abstimmen. – Der Artikel ist einstimmig angenommen.

[1.10. ART. 136: RECHTSGARANTIEN BEI FREIHEITSENTZIEHUNG]

Art. 136 (1) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Eingreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln. 17)

Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 4 der DP-Fraktion zu Art. 2a vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 398. Vgl. unten Dok. Nr. 42, S. 1298, Anm. 27.

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(2) Jeder wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen. (3) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Ich lasse abstimmen. – Der Art. 136 ist einstimmig angenommen. Wir haben damit den Abschnitt Die Rechtspflege erledigt. Zinn (SPD): Der Rechtspflegeausschuß hat vorgeschlagen, diesen Abschnitt als Abschnitt VIII und nicht als Abschnitt XII einzufügen18), weil er im Grunde genommen die rechtsprechende Gewalt als solche betrifft. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können wohl beschließen, daß dieser Abschnitt als Abschnitt VIII in das System des Grundgesetzes eingeordnet wird. (Zustimmung.)19) – Es ist so beschlossen. Der Hauptausschuß vertagt sich auf Freitag, den 14. Januar 1949, 11 Uhr. Schluß der Sitzung 18.27 Uhr.

18)

Vgl. dazu die 7. Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof am 6. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 57, S. 1348 f. 19) Statt „(Zustimmung.)“ im stenograph. Wortprot., S. 31: „(Widerspruch erhebt sich nicht.)“

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Nr. 39 Neununddreißigste Sitzung des Hauptausschusses 14. Januar 1949 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 483–492. PA 2004. Ungez. von Koppert gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 533 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: de Chapeaurouge, Kaufmann, Kleindinst, Laforet, Lehr, von Mangoldt, Schlör, Süsterhenn SPD: Katz, Löwenthal, Maier, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wolff, Zimmermann FDP: Becker, Höpker Aschoff DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Bergsträsser (SPD), Eberhard (SPD), Menzel (SPD), Weber (CDU/CSU), Zinn (SPD) Vertreter der Länder: Ministerialdirektor Ringelmann (Bayern) Stenographischer Dienst: Koppert Dauer: 11.23–13.06 Uhr

[1. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT XIII: ÜBERGANGS- UND SCHLUSSBESTIMMUNGEN] [1.1. ART. 138a: BUNDESGEBIET – GELTUNGSBEREICH DES GRUNDGESETZES]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Zur Beratung steht Abschnitt XIII Übergangs- und Schlußbestimmungen. Es liegen uns hier die Beschlüsse vor, die der Organisationsausschuß in seiner 30. Sitzung am 13. Januar 19493) gefaßt hat (PR. 1.49 – 502)4). Ich rufe auf Art. 138a (1) Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiet der Länder Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. (2) Dieses Grundgesetz kann jederzeit durch Bundesgesetz für jeden anderen Teil Deutschlands in Kraft gesetzt werden. Wir sind uns wohl darüber einig, daß für den Fall, daß die Zusammenlegung der drei südwestdeutschen Länder erfolgt, der Text entweder – falls wir dann noch versammelt sein sollten – den veränderten Verhältnissen angepaßt werden wird 1)

Protokollführer nicht aufgeführt. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Für den Wortlaut des Wortprot. der 30. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 44, S. 1057–1095. 4) Auf Drucks. Nr. 502 ist das Kurzprot. der 30. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes vervielfält. worden. 2)

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oder für dieses neue Land das gilt, was hier als für seine Teile geltend stipuliert worden ist. Ich lasse abstimmen. – Art. 138a ist in der verlesenen Fassung angenommen.

[1.2. ART. 138aa: NEUGLIEDERUNG DES BUNDESGEBIETES]

Ich rufe auf Art. 138aa, seither Art. 25. Dr. Eberhard (SPD): Wir hatten beschlossen, die Bestimmungen über die Ländergrenzen sämtlich vorne zu behandeln. Ich schlage vor, diese Bestimmungen zusammen mit Art. 26 zu behandeln. Sie gehören sachlich zusammen. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich schließe mich dem Vorschlag des Herrn Dr. Eberhard an. Mir erscheint es notwendig, die Bestimmungen über die Neugliederung und die Ländergrenzen noch einer gewissen Prüfung und eventuell einer Abänderung zu unterziehen. Wir schaffen hier sozusagen eine Generalbestimmung, die für alle Länder gilt. Der Komplex der Ländergrenzen und der Neugliederung ist sehr verschiedenartig gelagert. Nach den jetzt vorgeschlagenen Bestimmungen könnte ein Land wie Bayern (Zuruf: Auch Hamburg, Bremen!) – auch Hamburg oder Bremen, in seinem Bestand angetastet werden, und zwar gegen den Willen der Gesamtbevölkerung. Wir müssen bei diesen Bestimmungen unterscheiden die alten Länder, die schon vor 1945 bestanden haben, die in ihrer Substanz mehr oder weniger erhalten geblieben sind und deren Bestand aus historischen und politischen Gründen niemand antasten sollte, und eine zweite Kategorie Länder, nämlich praktisch alle übrigen, die ihre Existenz und ihren Umfang einem Befehl der Besatzungsmächte verdanken. Unter diesen Umständen erscheint es mir zweckmäßig, diesen Fragenkomplex im zuständigen Ausschuß unter Berücksichtigung der vorgetragenen Gesichtspunkte noch einmal durchzuberaten. Dr. Lehr (CDU): Ich denke, wir sollten hier im Hauptausschuß zunächst einmal die Ergebnisse der einzelnen Ausschußberatungen auswerten und Beschluß darüber fassen, damit wir vorwärtskommen. Wenn zu diesen Fragen noch besondere Erwägungen gewünscht werden, so bestehen keine Bedenken dagegen, diese später noch anzustellen. Aber die Tatsache, daß der Organisationsausschuß in allen wesentlichen Punkten zu einstimmigen Beschlüssen gekommen ist, läßt die Bitte gerechtfertigt erscheinen, daß wir uns zunächst mit den Beschlüssen des Organisationsausschusses befassen, vorbehaltlich späterer Änderungen. Dr. Seebohm (DP): Eine Bemerkung zu den Ausführungen des Herrn Dr. Süsterhenn. Man kann, glaube ich, nicht so generell zwischen alten und neuen Ländern unterscheiden. Man muß dabei immerhin auch berücksichtigen, daß zahlreiche der sogenannten neuen Länder einen alten Staatskern enthalten. So enthält das Land Hessen das frühere Kurhessen und das frühere Großherzogtum Hessen als Staatskerne. Ähnlich liegt es mit Niedersachsen, das Oldenburg, Hannover und Braunschweig als Staatskerne umfaßt. Man kann und darf also nicht die Länder einfach danach werten, ob sie alt oder neu sind, wie es Herr Dr. Süsterhenn offenbar vorschlägt. Es gibt neue Länder, die keine alten Staatskerne enthalten; es gibt Länder, die im wesentlichen ihren früheren Staatskern beibehalten haben; und es

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gibt schließlich Länder, bei denen der alte Staatskern und ihre heutige Form identisch sind. Man müßte also drei Gruppen unterscheiden. Renner (KPD): Mit der vorliegenden Fassung des Art. 138aa bejahen Sie grundsätzlich die derzeitigen Ländergrenzen. Diese Länder sind wenigstens zum Teil durch Befehl der Militärregierungen zustande gekommen. Ich habe schon anläßlich der ersten Lesung darauf hingewiesen, daß Sie den Rechtstitel, überhaupt eine Verfassung zu schaffen, schlechthin aus der wahrheitswidrigen Tatsache herleiten, daß die Länder, die ehemals das deutsche Staatsgebiet gebildet haben, noch existent sind. Darin liegt meines Erachtens eine große Gefahr, die auch Sie sehen müßten. Wenn Sie den Art. 138aa in der Fassung des Organisationsausschusses annehmen, dann sanktionieren Sie damit die derzeitigen Ländergrenzen innerhalb der Trizone. Sie begeben sich damit des Rechtsanspruchs, den Herr Dr. Schmid zu Beginn unserer Beratungen ganz eindeutig herausgestellt hat. Im übrigen bitte ich im Protokoll zu vermerken, daß ich gegen den Art. 138a gestimmt habe. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir werden zunächst darüber abstimmen müssen, ob wir den Art. 138aa behandeln oder nicht. Ich möchte dazu nur eine kurze Bemerkung machen. Ich glaube kaum, daß man zwischen alten und neuen Ländern wird unterscheiden können. Tun wir das, dann schaffen wir ein Gefälle des Ranges im Verhältnis der einzelnen Länder zueinander. Das sollten wir nicht tun; das halte ich für [S. 484] bedenklich und gefährlich. Man würde damit gegen das Prinzip der Wertgleichheit der Länder verstoßen, das doch die Grundlage unseres Werkes sein soll. Auch mit dem Begriff Staatskern müßte man sehr vorsichtig hantieren. (Dr. Becker [FDP]: Das ist lediglich eine Frage des Stichtags!) – Der Herr Kollege Dr. Becker macht soeben mit Recht den Zwischenruf, daß das eine Frage des Stichtags sei. Im Laufe der Geschichte gab es in Deutschland viele „Staatskerne“. Die Stadt Reutlingen war auch einmal ein stolzes souveränes Gemeinwesen und könnte für sich in Anspruch nehmen, als ein „Staatskern“ Württembergs gewertet zu werden. Wir kommen mit solchen Begriffen zu nichts Rechtem. Vorstellungen solcher Art scheinen mir keine praktische Bedeutung zu haben; wir sollten sie daher nicht sonderlich in Erwägung ziehen, auf keinen Fall aber vertiefen. Ich lasse nunmehr zunächst darüber abstimmen, ob Art. 138aa hier behandelt werden soll oder nicht. – Der Hauptausschuß hat mit überwiegender Mehrheit beschlossen, und zwar gegen 1 Stimme, daß Art. 138aa jetzt und hier behandelt werden soll. Ich lese zunächst den Abs. 1 vor: Das Bundesgebiet ist unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch Bundesgesetz neu zu gliedern. Die Neugliederung soll Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können. Dr. Seebohm (DP): Hierzu liegt unser Antrag Nr. 15 (PR. 12.48 – 409)5) vor, hinter das Wort „Berücksichtigung“ die Worte „des bundesstaatlichen Gleichgewichts“ 5)

Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 15 der DP-Fraktion zu Art. 25 vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 409.

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einzufügen. Dieser Antrag bezweckt, zu verhindern, daß durch eine Neugliederung irgendwelche Hegemonien entstehen. Ich halte die Einfügung für wichtig und notwendig. Sie ist mehr oder weniger eine deklaratorische Feststellung, sollte aber bei der erstmaligen Neugliederung, die vom Bund und nicht von den Ländern ausgeht, also ein besonders wichtiger Akt ist, mit berücksichtigt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Unser Grundgesetz hätte dann zusammen mit der Kongreßakte von Utrecht den Vorzug, als einziges geschichtliches Dokument den Begriff des justum potentiae aequilibrium zu enthalten6). Ich glaube, daß wir damit etwas übertreiben würden. Wir wollen doch nicht annehmen, daß unsere Länder im Rahmen der Bundesrepublik Deutschland gegeneinander Politik machen werden und daß darum das Gleichgewicht der Kräfte innerhalb des Bundes eine Rolle spielen könnte. (Renner [KPD]: Vorsicht, Herr Dr. Schmid!) – Mag sein. Aber, Herr Renner, wir sollten es doch nicht darauf anlegen, nicht einmal dadurch, daß wir den Teufel an die Wand malen. Renner (KPD): Haben Sie das in der Hand? Hat nicht Herr Dr. Adenauer liebreich zu erkennen gegeben, welche Absichten er mit seinem Antrag auf Eingliederung bestimmter Gebiete der Rheinprovinz in das Land Nordrhein-Westfalen verfolgt? Dr. Becker (FDP): Ich bitte, diesen Antrag abzulehnen. Er kann nämlich dazu führen, daß immer wieder neu aufgegliedert werden müßte, wenn eine solche Hegemonie entsteht. Der Antrag steht auch in einem gewissen Widerspruch zur Aufgliederung der Bundesratsstimmen, die wir vorgenommen haben. Ich darf daran erinnern, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika Bundesstaaten von sehr verschiedener Größe umfassen. Dort gibt es zwölf Staaten, die eine Einwohnerzahl von unter 1 Million haben. Der Flächenumfang der Staaten weist die größten Unterschiede auf; das gleiche gilt für das Wirtschaftspotential. Trotz der Unterschiede kann man nicht davon sprechen, daß eine Hegemonie irgendwelcher Art vorhanden ist. Renner (KPD): Die Konsequenz des Antrags von Herrn Dr. Seebohm wäre, daß eine Bevölkerungszunahme in einem Land durch Abgabe an ein Nachbarland ausgeglichen werden müßte. Ebenso müßte man dauernd das Wirtschaftspotential umgruppieren, um einen wirtschaftlich gleichmäßigen Zustand unter den Ländern zu erzielen. Aber erlauben Sie mir eine grundsätzliche Erklärung zum Art. 138aa. Ich lehne diese Bestimmung ab. Ich sehe darin die Gefahr einer weiteren Zerstückelung des ohnehin schon zerstückelten deutschen Gebietes. Diese Bestimmung öffnet der Möglichkeit Tür und Tor, aus rein parteipolitischen Erwägungen Teile eines Landes einem anderen Land anzugliedern, um in diesem Land eine eventuell vorhandene und mißliebige politische Mehrheit zu paralysieren. Ich denke an die konkreten Bestrebungen gewisser Kreise des Landes Nordrhein-Westfalen, sich das Ge6)

Das „justum potentiae aequilibrium“, ein gerechte Mächtegleichgewicht, ist im Frieden von Utrecht 1713 ausdrücklich als maßgebliches Ordnungsprinzip verankert. Über die historische Einordnung der Friedensverträge von Utrecht von 1713, mit denen der Spanische Erbfolgekrieg beendet wurde, vgl. Heinz Duchhardt: Gleichgewicht der Kräfte, Convenance, Europäisches Konzert, Friedenskongresse und Friedensschlüsse vom Westfälischen Frieden bis zum Wiener Kongress. München 1976.

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biet von Koblenz und Trier anzugliedern. Dieser Gedanke resultiert offensichtlich aus einer politischen Spekulation der CDU, die Bevölkerung dieser Gebiete, die in der Mehrheit aus sicheren CDU-Wählern besteht, in unser Land Nordrhein-Westfalen einzubeziehen. Hinter den Plänen des Herrn Adenauer stehen ganz offensichtlich politische Spekulationen. Daher lehne ich den Art. 138aa ab. Dr. Seebohm (DP): Zu den Ausführungen des Herrn Dr. Becker folgendes. Man hat mit Recht betont, daß es sich bei diesem Artikel um eine Art Übergangsbestimmung handelt, die einen einmaligen Akt betrifft, bei dem die Initiative grundsätzlich vom Bund ausgeht, während in den Fällen des Art. 267) die Initiative bei den Ländern liegt. Im vorliegenden Fall, bei dem die Initiative vom Bund ausgeht, sollte also eine bestimmte Grundregel festgelegt werden, die einzuhalten ist. Dabei ist die Aufrechterhaltung des bundesstaatlichen Gleichgewichts wesentlich; denn hier handelt es sich um ein Prinzip des Bundesstaates selbst. Außerdem handelt es sich nur um einen einmaligen Akt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir stimmen zunächst ab über den Änderungsantrag Dr. Seebohm, hinter dem Wort „Berücksichtigung“ die Worte „des bundesstaatlichen Gleichgewichts“ einzufügen. – Der Änderungsantrag ist mit allen Stimmen gegen die Stimme des Herrn Dr. Seebohm abgelehnt. Nun lasse ich über den Abs. 1 abstimmen, wie ich ihn verlesen habe. – Abs. 1 ist mit 18 gegen 2 Stimmen angenommen. Wir kommen zu Abs. 2: Das Gesetz ist nach seinem Zustandekommen in den Gebieten, deren Landeszugehörigkeit geändert werden soll, zur Volksabstimmung zu bringen. In jedem Gebiet wird dabei nur über den Teil abgestimmt, der dieses Gebiet betrifft. Ich lasse abstimmen. – Mit allen Stimmen gegen die Stimme des Kollegen Renner angenommen. Wir kommen zu Abs. 3: Das Gesetz ist angenommen, wenn die Bevölkerung aller beteiligten Gebiete zustimmt. Stimmt ihm die Bevölkerung nicht in allen beteiligten Gebieten zu, so ist es erneut bei dem Bundestag einzubringen. Nach erneuter Verabschiedung ist es als Ganzes im gesamten Bundesgebiet zur Volksabstimmung zu bringen. Dr. Lehr (CDU): Der Ausschuß hat an der ursprünglichen Fassung nur kleine redaktionelle Änderungen vorgenommen. Er empfiehlt Ihnen einstimmig die Annahme in der Form, wie sie der Herr Vorsitzende soeben vorgelesen hat. Schönfelder (SPD): In Hamburg bestehen Bedenken gegen die Bestimmung, daß, wenn die Bevölkerung dem Gesetz nicht in allen beteiligten Gebieten zustimmt, die Entscheidung gegen den Willen eines Landes vom ganzen Bundesgebiet getroffen werden kann. Ich bin von Senatsseite wiederholt aufgefordert worden, dagegen Stellung zu nehmen. Ich glaube aber, daß der [S. 485] Bund über die Interessen kleiner Gebiete nicht hinweggehen wird, sondern daß eine Entscheidung getroffen wird, die den besonders gelagerten Interessen Hamburgs nicht zuwiderläuft. Zudem spricht Abs. 1 ausdrücklich von der „Berücksichtigung der landsmannschaft7)

Statt „26“ im stenograph. Wortprot., S. 10: „24“.

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lichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges“. Im Hinblick hierauf kann ich meine Besorgnisse wohl beiseitestellen und darf erwarten, daß Bundestag und Bundesrat so viel Weisheit besitzen werden, von Beschlüssen abzusehen, die dem gesamten Bund und damit auch Hamburg zum Schaden gereichen könnten. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Die Bedenken, die Herr Schönfelder soeben ausgesprochen hat, sind auch mir vom Hamburger Senat zugeleitet worden. Theoretisch besteht die Möglichkeit, durch eine Volksabstimmung Hamburg gegen seinen Willen und Widerspruch der Staatlichkeit zu entkleiden. Ich hoffe, daß eine solche Bestimmung sich nicht durchsetzen wird. Ich behalte mir für die dritte Lesung oder das Plenum vor, zu diesem Punkt noch einen Antrag zu stellen, falls die Bedenken, die von hamburgischer Seite geäußert wurden, sich bis dahin nicht beheben lassen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, wir können nicht nur auf die Weisheit des Bundestags und Bundesrats, sondern auch auf die hohe Weisheit des Senats der Hansestadt Hamburg hoffen und rechnen. Dr. Laforet (CSU): Die Bedenken, die der Hamburger Senat gegen diesen Absatz nach seiner juristischen Seite hin geltend macht, bestehen auch für Bayern. Theoretisch bestände die Möglichkeit, den Staat Bayern seiner Staatlichkeit durch Volksabstimmung zu entkleiden. Ich glaube jedoch, hier ist noch nicht der Ort, sich darüber endgültig zu entscheiden, und behalte mir vor, für die dritte Lesung eine andere Fassung vorzuschlagen, die auch den Bedenken Rechnung trägt, die von Hamburg und Bremen geäußert worden sind. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, wir können über Abs. 3 abstimmen. Abs. 3 ist in der verlesenen Fassung mit 18 Stimmen gegen die Stimme des Abgeordneten Renner und bei Stimmenthaltung der Herren Dr. Laforet und Dr. de Chapeaurouge angenommen. Renner (KPD): Das ist nicht richtig. Ich bin gegen den ganzen Artikel, aber ich bin selbstverständlich nicht dagegen, daß hier eine Volksabstimmung eingeschaltet wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich rufe auf den Abs. 4: Bei einer Volksabstimmung nach Abs. 2 oder 3 entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Ich lasse abstimmen. – Angenommen. Wir kommen zu Abs. 5: Über Streitigkeiten über die Vermögensauseinandersetzung aus Anlaß der Neugliederung des Bundesgebietes entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Dr. Lehr (CDU): Der Organisationsausschuß empfiehlt hierzu eine kleine redaktionelle Änderung. Statt „Über“ wäre zu sagen „Bei“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Also: „Bei Streitigkeiten über die Vermögensauseinandersetzung . . .“. Ich lasse abstimmen. – Abs. 5 ist in dieser Fassung gegen 1 Stimme angenommen. Wir kommen zu Abs. 6: Das Verfahren regelt ein Bundesgesetz, das von der Bundesregierung sofort nach Antritt ihres Amtes vorzulegen ist. Sie hat auch unverzüglich nach Über-

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nahme ihres Amtes oder nach Aufnahme eines neuen Landes die Neugliederung einzuleiten. Ich lasse abstimmen. – Mit allen Stimmen gegen 1 Stimme angenommen. Ich rufe auf Abs. 7: Die Neugliederung soll vor Ablauf von drei Jahren nach Verkündung des Grundgesetzes und, falls sie als Folge des Beitritts eines anderen Teiles von Deutschland notwendig wird, innerhalb von zwei Jahren nach dem Beitritt durchgeführt werden. Ich lasse abstimmen. – Angenommen. Wir stimmen nun über den ganzen Art. 138aa ab. Art. 138aa ist mit 17 gegen 1 Stimme bei Stimmenthaltung der Abgeordneten Dr. Laforet und Dr. Seebohm angenommen.

[1.3. ART. 138b: STAATSANGEHÖRIGKEIT]

Wir kommen zu

Art. 138b (1) Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat. (2) Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf ihren Antrag wieder einzubürgern, sofern sie eine andere Staatsangehörigkeit nicht besitzen oder diese vor der Einbürgerung aufgeben oder mit der Einbürgerung verlieren. Das Nähere regelt ein Gesetz. Dr. Lehr (CDU): Nur der Halbsatz: „sofern sie eine andere Staatsangehörigkeit nicht besitzen oder diese vor der Einbürgerung aufgeben oder mit der Einbürgerung verlieren“ und der letzte Satz: „Das Nähere regelt ein Gesetz“ sind neu. Ich bitte, der soeben verlesenen Fassung zuzustimmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das würde bedeuten, daß eine doppelte Staatsangehörigkeit nicht begründet werden soll. Dr. Katz (SPD): Soweit es nicht nach den internationalen Staatsangehörigkeitsbestimmungen zulässig ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nach dem Text ist die Sache wie folgt. Gesetzt, jemand ist nach seiner Ausbürgerung Holländer oder Franzose geworden. Will er nun wieder seine deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, dann muß er vorher seine holländische oder französische Staatsangehörigkeit aufgeben. Zinn (SPD): Oder nach dem fremden Recht verlieren. Dr. Seebohm (DP): Wir hatten bei der Debatte in der ersten Lesung dazu bereits einen Antrag gestellt. Damals wurde die Notwendigkeit klar, gewissen früheren deutschen Staatsangehörigen auch ohne Antrag die deutsche Staatsangehörigkeit wieder zu verleihen, und zwar solchen, die ihren Wohnsitz nach Deutschland

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zurückverlegen und Wert darauf legen, ihre in der Emigration erworbene fremde Staatsangehörigkeit zu behalten. Solchen Leuten wollen wir die deutsche Staatsangehörigkeit wieder verleihen, ohne daß sie dazu einen besonderen Antrag zu stellen haben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich fürchte, das läßt sich kaum machen. Zinn (SPD): Jedenfalls niemals gegen den Willen des Betreffenden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Wille, die deutsche Staatsangehörigkeit wieder zu erwerben, kann doch nur durch einen Antrag bekundet werden. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich glaube, der Zusatz, den der Redaktionsausschuß hineingebracht und den der Organisationsausschuß dann übernommen hat, ist nicht [S. 486] ganz zweckdienlich. Er macht nämlich die Wiedereinbürgerung von zusätzlichen Bedingungen abhängig. Ich halte das nicht für richtig. Man sollte es ruhig darauf ankommen lassen, daß einmal eine doppelte Staatsangehörigkeit entsteht. Vor allen Dingen sollte man einen Wiedergutmachungsanspruch festlegen. Schließlich – darüber waren wir uns klar – sollte die Wiedereinbürgerung nur auf Antrag erfolgen können, dies schon wegen der Schwierigkeiten, die dem Betreffenden aus seiner Wiedereinbürgerung erwachsen können. Wir wissen, die Wiedereinbürgerung kann in dem einen oder anderen Fall mit einem Vermögensnachteil verbunden sein, der es dem Betreffenden gar nicht wünschenswert erscheinen lassen wird, wieder eingebürgert zu werden. Man sollte also bei dem Erfordernis der Antragstellung bleiben, aber diesen Antrag dann bedingungslos zulassen und nicht die Vorschriften wegen der doppelten Staatsangehörigkeit hineinbringen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist nicht zu bestreiten, daß die Entwicklung des Staatsangehörigkeitsrechts international eine klare Tendenz gegen die doppelte Staatsangehörigkeit aufweist. Mehrere Länder, die noch vor einigen Jahren die doppelte Staatsangehörigkeit zugelassen haben, haben sie nunmehr in ihrer Gesetzgebung ausgeschlossen. Ob diese Entwicklung sehr glücklich ist, ob sie nicht vielmehr ein verspäteter Nachtrabant des nationalstaatlichen Denkens ist, möchte ich dahingestellt sein lassen. Gerade wenn man sich von dem nationalstaatlichen Denken entfernen will, sollte man kein Staatsangehörigkeitsmonopol schaffen, sondern ruhig zwei, drei, vier Staatsangehörigkeiten zulassen. Aus diesem Grund wäre auch ich dafür, diese Bedingung zu streichen. Dr. Katz (SPD): Ich schließe mich der Auffassung des Herrn Dr. von Mangoldt an. Der Redaktionsausschuß hat hier eine Erschwerung für die Rehabilitierung der Ausgebürgerten hineingebracht, die mir nicht unbedingt notwendig erscheint. Es mag Leute geben, die durch Hitler ausgebürgert wurden und ihre neuerworbene Staatsangehörigkeit behalten möchten. Aber wenn sie wieder Deutsche werden möchten, sollten wir es ihnen nicht erschweren, daneben auch noch die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen. Die Formulierung des Redaktionsausschusses schließt diese Möglichkeit aus; aber eine Notwendigkeit dafür liegt nicht vor. Wenn nach den Staatsangehörigkeitsgesetzen der beteiligten Länder eine doppelte Staatsangehörigkeit möglich ist, dann besteht kein Anlaß, sie unsererseits auszuschließen. Dr. Laforet (CSU): Vor allem im Verhältnis zur Schweiz sind doppelte Staatsangehörigkeiten heute durchaus möglich und häufig. Ich möchte dringend davor warnen, die doppelte Staatsangehörigkeit auszuschließen, jedenfalls nicht im Grund-

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gesetz, sondern die Regelung dem künftigen Bundesgesetz zu überlassen. Wir sollten aus dem Art. 138b alles streichen, was eine doppelte Staatsangehörigkeit ausschließt. Im übrigen schließe ich mich den Argumenten des Herrn Vorsitzenden an. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich darf also annehmen, daß der Antrag gestellt ist, die Worte: „sofern sie eine andere Staatsangehörigkeit nicht besitzen oder diese vor der Einbürgerung aufgeben oder mit der Einbürgerung verlieren“ zu streichen. Renner (KPD): Ich möchte eine weitere Änderung vorschlagen. Ich schlage vor, nach dem Wort „Abkömmlinge“ zu sagen: „gelten als wieder eingebürgert“. Ich darf hierbei auf das Bezug nehmen, was ich zu dieser Frage schon in der ersten Lesung gesagt habe. Es erscheint mir als eine unerträgliche Zumutung an einen Kämpfer gegen den Faschismus, dem das Hitlerregime die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt hat, vier Jahre nach dem Zusammenbruch des Systems die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft beantragen zu müssen. Ich selber gehöre zu den Ausgebürgerten, und ich würde ausgebürgert bleiben, falls diese Bestimmung angenommen würde. Mir erscheint es als die einfachste Lösung, daß jenen, die das Naziregime ausgebürgert hat, die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch zufällt. Es ist sogar anzunehmen, daß sie ihnen automatisch wieder zugefallen ist, weil man ihnen ja das aktive und passive Wahlrecht gegeben hat. Die Verleihung des aktiven und passiven Wahlrechts ist nun aber nicht ohne weiteres identisch mit der Wiederverleihung der Staatsbürgereigenschaft. Es ist nicht zu verwundern, daß diese Formulierung in den Kreisen der politischen Kämpfer gegen den Faschismus starke und berechtigte Empörung ausgelöst hat. Man stelle sich doch bloß einmal vor, daß wir, die wir ausgebürgert wurden, gezwungen sein sollen, vier Jahre nach dem Zusammenbruch bei den Gerichten oder Verwaltungsbehörden noch einen Antrag auf Wiederverleihung der Staatsbürgereigenschaft zu stellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Gerichte haben mit der Staatsangehörigkeit nichts zu tun; sie ist eine Angelegenheit der Verwaltungsbehörden, in Nordrhein-Westfalen des Regierungspräsidenten. Renner (KPD): Auch wenn der Regierungspräsident zuständig ist, kann es mir passieren, daß ich meinen Antrag bei einem ehemaligen Nazi stellen muß. Wollen Sie uns wirklich einer derartigen Beleidigung aussetzen? Sollte da nicht einfach die Festlegung im Grundgesetz genügen, daß vom Hitlerregime Ausgebürgerte automatisch als wieder eingebürgert gelten? Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Abgeordneter Renner, das geht deshalb nicht, weil man damit einer ganzen Reihe von Leuten erhebliche Rechtsnachteile zumutet, die sie gewiß nicht ohne weiteres auf sich nehmen wollen. Wenn das so rechtens würde, würden zahlreiche ausgebürgerte Deutsche, etwa in Belgien, politisch wieder Deutsche, und ihr Vermögen würde unter die belgische Kriegsgesetzgebung fallen, also der Beschlagnahme unterliegen. Solche Fälle sind schon vorgekommen, Herr Renner; daher Vorsicht bei der Formulierung solcher Vorschläge! Es hat da schon die größten Schwierigkeiten gegeben, und es ist den Betreffenden zum Teil nicht mehr gelungen, ihre Vermögen wieder freizubekommen. Daher sollte man auf dem Erfordernis der Antragstellung bestehen bleiben. Ihre Gründe sind durchaus zu verstehen; aber wir können nicht so weit gehen, diesen Leuten gegen ihren eigenen Willen erheblichen Vermögensschaden zuzufügen.

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Renner (KPD): Das Bäckerdutzend der Leute, (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Das sind Tausende!) für die eine solche Gefahr entstehen könnte, kommt aus Kreisen, denen ein Vermögensnachteil ohnehin erspart bleibt. Man sollte doch erwägen, ob man die Lücke, die auch Sie sehen, nicht schließen könnte, indem man den Nachsatz beibehält und durch den Zusatz ergänzt, daß sie nach Deutschland zurückgekehrt sein müssen. Wenn man diese Bedingung noch einschaltet und den Nachsatz aufrechterhält, sind alle Sicherungen gegeben. Dr. Becker (FDP): Ich möchte nur noch einen Vorbehalt machen. Wir haben im Wahlrechtsausschuß diese Fragen unter dem Gesichtspunkt der Verleihung des Wahlrechts geprüft8). Daher möchte ich bitten, daß die Abstimmung zu Abs. 1 vorbehaltlich gewisser redaktioneller Änderungen erfolgt. Dr. Seebohm (DP): Die Anregungen des Herrn Renner haben auch uns bei der Stellung unseres Antrags geleitet. Ich glaube, unser Antrag könnte diese Schwierigkeiten beseitigen und zugleich das Problem der doppelten Staatsangehörigkeit aus der Welt schaffen. Ich darf unseren Antrag Nr. 46a (PR. 12.48 – 440a) zu Art. 138b Abs. 2 noch einmal in die Erinnerung bringen9): Frühere deutsche Staatsangehörige, denen in der Zeit zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die deutsche Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen [S. 487] worden ist, und ihre Abkömmlinge sind, soweit sie staatenlos sind, ohne Antrag und, soweit sie inzwischen eine andere Staatsangehörigkeit erworben haben, auf Antrag wieder einzubürgern. Soweit sie ihren Wohnsitz wieder im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 genommen haben und bisher als Staatsangehörige behandelt worden sind, stehen ihnen alle staatsbürgerlichen Rechte zu, und sie sind allen Pflichten unterworfen wie die deutschen Staatsangehörigen. Die deutsche Staatsangehörigkeit gilt in diesem Falle als wiedererworben, wenn dem Erwerb nicht binnen drei Jahren nach Inkrafttreten dieses Grundgesetzes durch schriftliche Erklärung widersprochen worden ist. Dr. Löwenthal (SPD): Abs. 2 ist auf meine Anregung aufgenommen worden. Ich habe in meinem Antrag die Antragspflicht vorgesehen, weil ich es für notwendig hielt, die Verhältnisse zu klären. Praktisch liegen die Dinge wie folgt. Gesetzt, man würde erklären, daß die Ausgebürgerten ohne Antrag wieder deutsche Staatsangehörige werden, so käme man damit keinen Schritt weiter. Denn es müßte doch geklärt werden, ob die Voraussetzungen für die Wiedereinbürgerung vorliegen. Auf jeden Fall müßte der Betreffende, der von seinem Recht, wieder deutscher Staatsangehöriger zu werden, Gebrauch machen will, einen Antrag an die zuständige Behörde stellen. Diese stellt fest, daß der Betreffende unter die Vorschrift fällt. Ich

8)

Vgl. die 16. Sitzung des Ausschusses für Wahlrechtsfragen am 13. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 6, Dok. Nr. 17, S. 450–452. 9) Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 46a der DP-Fraktion zu Art. 138 b vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 440a. Der Antrag wurde zuvor in der 30. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 13. Jan. 1949 diskutiert. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 44, S. 1063 f.

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verstehe daher die Entrüstung, die angeblich in den Kreisen der politisch Verfolgten herrscht, nicht. Was schließlich die Bemerkungen des Kollegen Dr. Seebohm betrifft, so glaube ich, daß, wenn überhaupt, dann nur in ganz vereinzelten Fällen jemand, der nicht nach Deutschland zurückkehrt, sondern in dem Lande bleibt, wo er seine neue Staatsangehörigkeit erworben hat, von diesem Recht Gebrauch machen wird. Dr. Lehr (CDU): Ich stelle den Antrag, den Halbsatz von „sofern“ bis „verlieren“ zu streichen, im übrigen aber an der Formulierung festzuhalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse darüber abstimmen. – Der Halbsatz ist mit 20 Stimmen gestrichen. Renner (KPD): Ich könnte für den Vorschlag Dr. Seebohm stimmen. Er beinhaltet ungefähr das gleiche, was ich selber beabsichtigt habe. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich werde Ihren Änderungsantrag zur Abstimmung stellen. Renner (KPD): Ich ziehe meinen Antrag zurück, weil der Antrag Dr. Seebohm klar zum Ausdruck bringt, was nach unser aller Meinung vermieden werden soll. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Antrag Dr. Seebohm geht weiter als der Antrag des Organisationsausschusses; ich lasse über ihn abstimmen. – Mit 15 gegen 2 Stimmen abgelehnt. Nunmehr lasse ich über den Abs. 2 in der nunmehrigen Fassung abstimmen, also mit der gemäß Antrag Dr. Lehr beschlossenen Streichung. – Abs. 2 ist in dieser Fassung mit 19 gegen 2 Stimmen angenommen. Dr. Laforet (CSU): Aus der angenommenen Fassung darf ich die Auffassung des Hauptausschusses entnehmen, daß ein Rechtsanspruch auf Wiedereinbürgerung besteht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das geht aus dem Wortlaut deutlich bevor. Ich lasse nunmehr über den gesamten Art. 138b abstimmen. – Art. 138b ist mit 20 gegen 1 Stimme angenommen.

[1.4. ART. 138c-1: RECHT AUF BEZUG VON NAHRUNG UND KLEIDUNG]

Wir kommen zu

Art. 138c-1 Die im Rahmen einer öffentlichen Bewirtschaftung von Nahrung und Kleidung allgemein festgesetzten Bezugsberechtigungen dürfen einem Deutschen nicht verweigert werden. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich möchte beantragen, die Beschlußfassung hierüber auszusetzen, bis über die Grundrechte, vor allem über Art. 2, entschieden ist. Dr. Katz (SPD): Im Organisationsausschuß sind erhebliche Zweifel darüber laut geworden, ob ein solcher Artikel überhaupt in das Grundgesetz gehört10). Wenn er aber aufgenommen wird, dann sollte er allenfalls in den Übergangsbestimmungen seinen Platz haben. Jedenfalls sollte man ein echtes, verfassungsmäßiges Grund10)

Vgl. die 30. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 13. Jan. 1949; Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 44, S. 1059–1063.

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recht auf Bezugsrechte und Bezugscheine nicht schaffen. Wir sind uns wohl alle darüber einig, daß es sich hier lediglich um Übergangsbestimmungen handelt. Wir brauchen eine solche Bestimmung überhaupt nicht; denn in absehbarer Zeit werden Bezugsberechtigungen dieser Art ohnehin gegenstandslos werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Tragweite dieser Bestimmung ist klar. Sie bedeutet, daß ein Landrat einem Menschen, der ohne Zuzugsgenehmigung die Zuteilung von Lebensmittelkarten beantragt, diese nicht mit der Begründung verweigern darf, er habe keine Zuzugsgenehmigung. Dr. Laforet (CSU): Das gleiche würde gelten, wenn sich jemand einer gesetzlich eingeführten Arbeitsdienstpflicht entzieht. Dr. von Mangoldt (CDU): Ich darf nur noch darauf hinweisen, daß diese Frage im Ausschuß für Grundsatzfragen noch einmal ausführlich besprochen wurde11). Nach der neuen Fassung des Grundsatzausschusses ist dieser Teil in dem betreffenden Artikel nicht gestrichen. Es scheint mir daher doch richtiger zu sein, die Beschlußfassung darüber auszusetzen, bis über die Frage bei dem betreffenden Artikel entschieden ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zunächst darüber abstimmen, ob die Beschlußfassung über den Art. 138c-1 ausgesetzt werden soll. – Der Antrag auf Aussetzung der Beschlußfassung ist mit allen gegen 3 Stimmen abgelehnt. Dann lasse ich über den Art. 138c-1 in der von mir verlesenen Fassung abstimmen. – Mit 18 gegen 3 Stimmen angenommen. Wir kommen zu Art. 138c-2, seither Art. 148 in der Fassung des Hauptausschusses: Die dem Art. 7-1 entgegenstehenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Stellung der Frau bleiben bis zu ihrer Anpassung an diese Bestimmung des Grundgesetzes in Kraft, jedoch nicht länger als bis zum 31. März 1953. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich bin mit dem sachlichen Inhalt dieses Artikels in jeder Hinsicht einverstanden, habe aber gewisse Bedenken gegen seine Formulierung, insbesondere gegen den Nachsatz: „jedoch nicht länger als bis zum 31. März 1953“. Wir wissen nicht, wie die politische Entwicklung im Bundesparlament sich gestalten wird. Wir haben im Grundgesetz den Gesetzgebungsnotstand vorgesehen. Ist nun unglücklicherweise eine gesetzliche Neuregelung bis zu diesem Termin nicht möglich, dann würden automatisch sämtliche Bestimmungen außer Kraft treten, die die Rechtsstellung der Frau betreffen. Man stelle sich die unhaltbare Lage vor, in der Justiz und Verwaltung sich dann befinden würden. Ich möchte daher vorschlagen, daß wir ebenso wie bei der Frage der Neugliederung eine Verpflichtung statuieren, indem wir sagen: Die dem Art. 7-1 entgegenstehenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Stellung der Frau sind bis zum 31. März 1953 anzupassen. Zinn (SPD): Die Normierung einer derartigen Verpflichtung ist graue Theorie. Sie können den Gesetzgeber nicht zur Erfüllung dieser Verpflichtung zwingen. [S. 488] Der einzige Zwang, den Sie ausüben können, besteht darin, daß Sie vorschreiben, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt entgegenstehendes Recht außer Kraft tritt. 11)

Vgl. dazu die Erörterung von Art. 2 in der 32. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 11. Jan. 1949; Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 442, S. 918–927.

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Dann bleibt dem Gesetzgeber gar nichts anderes übrig, als rechtzeitig an die Reform des bürgerlichen Rechts heranzugehen. Wenn Sie es schon mit der Vorschrift der Grundrechte ernst meinen, die die Gleichstellung der Frau festlegt, dann müssen Sie auch auf die von mir angeregte Art einen Zwang auf den Gesetzgeber ausüben. Alles andere ist nichts weiter als Deklaration. Dr. Süsterhenn (CDU): Bedenken Sie aber die praktischen Auswirkungen, wenn die Neuregelung aus irgendeinem Grunde nicht rechtzeitig gelingt! Es besteht dann ein Zustand vollkommener Rechtlosigkeit. Zinn (SPD): Um diese Gefahr zu verringern, ist die Frist bis zum 31. März 1953 erstreckt. Dr. Katz (SPD): Ich wollte gerade auf diesen Gesichtspunkt hinweisen. Frau Dr. Selbert hatte im Ausschuß beantragt, die Frist auf zwei Jahre abzukürzen. Mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten der Rechtsangleichung haben wir uns aber für eine vierjährige Frist entschlossen. Denn schließlich müssen große Kapitel des BGB. umgestaltet werden, und ich bin etwas im Zweifel, ob diese umfangreiche Arbeit so rasch vonstatten gehen kann. Dr. Becker (FDP): Wir können bis zum Jahre 1953 wahrscheinlich die Aufgabe, die hier gestellt ist, nicht in vollem Umfange erfüllen und durchführen. Im Hinblick darauf müßten wir uns auf den Standpunkt stellen und diesen Standpunkt erläutern und zu Protokoll geben, daß, wenn in einem künftigen Gesetz die Anpassung des Rechts teilweise erfolgt ist, möglicherweise anzupassende andere Bestimmungen aber noch nicht angepaßt sind, dieser verfassungsrechtlichen Vorschrift Genüge getan ist. Renner (KPD): Das einzige Grundrecht, das das Grundgesetz enthält und das über den Rahmen einer reinen und zu nichts verpflichtenden Deklaration hinausgeht, ist der Art. 7-1. Seine Durchführung ist an einen Termin gebunden, Die Herren, die heute diesen Termin beseitigen wollen, sind sich wohl darüber klar, daß damit die Deklaration bezüglich der Umänderung der bürgerlich-rechtlichen Stellung der Frau einfach wertlos wird. Man sollte sich doch einmal in die Lage der Frauen hineindenken und vom Standpunkt der Frauen prüfen, ob sie ein berechtigtes Interesse daran haben, daß die derzeitigen Bestimmungen des BGB. möglichst rasch den neuzeitlichen Verhältnissen angepaßt werden. Bejaht man das – und man muß es bejahen –, dann gibt es nur eine Konsequenz: daß man dem Parlament, das das neue Gesetz zu schaffen hat, und dem Justizministerium den Rat gibt, schneller zu arbeiten und zu überlegen, als dies normalerweise der Fall ist. Die Durchführung geht dann sehr schnell vor sich. Was Sie angeregt haben, Herr Dr. Becker, könnte man am besten durch Streichung der Bestimmung erreichen. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich möchte auf folgendes hinweisen. Der Art. 138c-212), über den wir jetzt abstimmen sollen, hängt an sich in der Luft. Denn wir haben in der zweiten Lesung über den Art. 7-1 noch gar nicht abgestimmt. Er steht in den Grundrechten, und diese sollen erst später behandelt werden. Im übrigen enthalten die Beschlüsse erster Lesung, wie mir die Frau Kollegin Dr. Weber mitteilt, noch die alte Fassung bezüglich der staatsbürgerlichen Gleichstellung. Ich muß Sie also bitten, die Abstimmung über diesen Artikel zurückzustellen, bis wir über den 12)

Statt „c-2“ im stenograph. Wortprot., S. 27: „b-2“.

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Art. 7-1 abgestimmt haben, weil beide Artikel in einem engen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. Frau Dr. Weber (CDU): Außerdem haben wir von der CDU auch einen Antrag über die Gleichberechtigung der Frau gestellt. Dieser und ein Antrag der Frau Dr. Selbert müssen bei der Behandlung der Grundrechte besprochen und beschlossen werden. Erst dann kann man in Verbindung damit auch über den vorliegenden Artikel abstimmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Diese Bestimmung wird nötig bleiben, ob wir heute so oder so beschließen. Frau Dr. Weber (CDU): Ich bitte aber, den Art. 138c-2 erst in Verbindung mit dem Art. 7–1 zu erledigen; dann können wir Frauen dazu Stellung nehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ob wir beschließen, Mann und Frau sind gleichzustellen, oder, sind gleichgestellt, in beiden Fällen würde die Übergangsbestimmung gleich lauten. Frau Dr. Weber (CDU): Trotzdem bitte ich noch einmal, die Abstimmung bis zur Beschlußfassung über den Art. 7-1 zurückzustellen. Dr. Süsterhenn (CDU): Es handelt sich nicht bloß um die beiden Variationen, die nach der Auffassung des Herrn Vorsitzenden hier zur Diskussion stehen, sondern in der ersten Lesung war man davon ausgegangen, daß die staatsbürgerliche Gleichstellung in dem Grundrecht der allgemeinen Gleichheit zum Ausdruck kommen soll. Erst unter der Voraussetzung, daß der letztere Beschluß aufrechterhalten wird, wird die Anpassung der bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen eine zwingende Notwendigkeit. Ich bin der Meinung, wir können über den Art. 138c-2 nur in Verbindung mit dem Art. 7-1 abstimmen. Darin hat Frau Dr. Weber recht. Zinn (SPD): Die Fassung erster Lesung enthielt in Art. 4 Abs. 313) eine Bestimmung des Inhalts, daß niemand seines Geschlechtes usw. wegen benachteiligt oder bevorrechtigt werden darf. Hier ist genau wie die Gleichstellung unter religiösen Gesichtspunkten die Gleichstellung der Frau enthalten. Mit den staatsbürgerlichen Rechten hat das nichts zu tun, diese Regelung geht darüber hinaus. Dr. Süsterhenn (CDU): Art. 138c-2 nimmt nur auf Art. 7-1 Bezug, nicht aber auf Art. 4 Abs. 3. Dr. Katz (SPD): Sämtliche Einwendungen des Herrn Dr. Süsterhenn erledigen sich dadurch, daß gesagt wird, daß die dem Art. 7-1 entgegenstehenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts – gleichgültig, wie sie später lauten werden, also wenn sie schwächer sind, in schwächerer Form, wenn sie stärker sind, in stärkerer Form – bis zum 31. März 1953 anzugleichen sind. Es besteht also kein Anlaß zur Aussetzung der Beschlußfassung. Dr. Becker (FDP): Ich stimme dem Art. 138c-2 unter den von mir zu Protokoll gegebenen Vorbehalten zu. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 138c-2 in der verlesenen Fassung abstimmen. – Mit 19 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen. Wir kommen zu Art. 138c-3, seither Art. 13914) der Beschlüsse des Hauptausschusses. Er lautet: 13) 14)

Statt „Art. 4 Abs. 3“ im stenograph. Wortprot., S. 29: „Art. 3 Abs. 4“. Richtig „139d“; vgl. oben Dok. Nr. 20, TOP 2.5, S. 569 f.

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Gesetze, welche das Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11) einschränken, bleiben bis zu einer Neuregelung durch ein Bundesgesetz zulässig. Die volle Freizügigkeit gemäß Art. 11 kann durch Bundesgesetz wieder hergestellt werden. Dr. Lehr (CDU): Der Organisationsausschuß hat der ursprünglichen Fassung die Worte „bis zu einer Neuregelung durch ein Bundesgesetz“ eingefügt. Renner (KPD): Ich stimme gegen den Artikel, weil ich mit der Kann-Bestimmung des Satz 2 nicht einverstanden bin. Ich bin der Auffassung, daß die volle [S. 489] Freizügigkeit zu dem gegebenen Zeitpunkt wieder hergestellt werden muß15). Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen. – Art. 138c-3 ist in der verlesenen Fassung mit 19 Stimmen gegen die Stimme des Abgeordneten Renner angenommen.

[1.5. ART. 138c-4: VERLETZUNG DER AMTSPFLICHT]

Wir kommen zu

Art. 138c-4 (seither Art. 139aa) Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff gegen ihn vorbehalten. Der ordentliche Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen werden. Dr. Laforet (CSU): Der Hauptausschuß hat in seiner Sitzung vom 15. Dezember 194816) den Inhalt dieser Bestimmung als Art. 27c eingefügt. Der Zuständigkeitsausschuß hat den Gegenstand behandelt, und ich darf darauf aufmerksam machen17), daß auch in zweiter Lesung bereits ein Beschluß des Hauptausschusses vorliegt, und zwar in der richtigen Form, wonach der Nachsatz heißt: „Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.“ Dieser Gegenstand ist an den Art. 27b, der eine institutionelle Garantie der Beamtenrechte gibt, anzuschließen. Daher erscheint mir eine Beschlußfassung über Art. 138c-4 hier gegenstandslos. Dr. Katz (SPD): Dieser Artikel gehört, so meine ich, nicht in die Übergangsbestimmungen, sondern nach vorn. Das hindert uns nicht, heute sachlich darüber zu entscheiden; nur müssen wir die Bestimmung aus den Übergangsbestimmungen heraus nach vorn nehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Unter diesen Umständen können wir heute darüber nicht abstimmen; wir würden sonst doppelt nähen. Ist der Hauptausschuß damit einverstanden, daß die Abstimmung entfällt, weil die Materie schon durch Art. 27c geregelt ist? – Ich stelle Ihr Einverständnis fest. 15)

Zur Haltung Renners bei der 1. Lesung im HptA vgl. oben Dok. Nr. 20, TOP 2.5, S. 570, Anm. 22. 16) Vgl. die 27. Sitzung des HptA oben Dok. Nr. 27, S. 819. 17) Vgl. die 15. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 17. Nov. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 3, Dok. Nr. 20, S. 588–597.

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[1.6. ART. 138c-5: RELIGION UND RELIGIONSGESELLSCHAFTEN]

Wir kommen zu

Art. 138c-5 (seither Art. 139cc) (1) Die Bestimmungen der Art. 137, 138 Abs. 2, 138 und 141 der Deutschen Verfassung vom 11. August 1919 werden aufrechterhalten. (2) Die am 8. Mai 1945 bestehenden Verträge zwischen den Ländern und den Kirchen bleiben in Kraft, bis die Länder neue Verträge abschließen. Dr. Seebohm (DP): Wir haben hierzu in unserem Antrag Nr. 47 (PR. 12.48 – 441)18) vorgeschlagen, den Abs. 1 durch folgenden Satz einzuleiten: Die Kirchen ordnen ihre Angelegenheiten selbständig aus eigenem Recht. Wir sind der Auffassung, daß das Grundgesetz eine klare Entscheidung über das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen enthalten muß. Das Nebeneinander bedeutet nicht in allen Dingen die Trennung von Staat und Kirche. Die „jura in sacra“ sind als Ergebnis des Kirchenkampfes endgültig der Hand des Staates wieder entwunden worden. Das „jus circa sacra“, das heißt das aus der Hoheit des Staates fließende Aufsichtsrecht, das in Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Verfassung19) – „selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ – anklingt, hat gleichfalls durch den Kirchenkampf eine Korrektur erfahren, die den Staat zur Zurückhaltung zwingt. Die kirchliche Autonomie ist nicht in der staatlichen Rechtsordnung begründet; das ist keine verliehene, sondern eine ursprüngliche Autonomie, die auf einer anderen Rechtsebene steht als das Recht des Staates. Die Gemeinschaft der Gläubigen ist etwas anderes als ein Personenverband des bürgerlichen oder öffentlichen Rechts. Durch die Anerkennung, daß die Kirchen aus eigenem Recht leben, wird kein Interesse der staatlichen Ordnungsgewalt verletzt20). Dabei darf nicht vergessen werden, welche Bedeutung den Kirchen für die Verteidigung der Gewissensfreiheit im Kampf gegen totalitäre Ansprüche des Staates zukommt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube aber, daß gerade eine solche Vorschrift nicht in die Übergangsbestimmungen gehört. Dr. Seebohm (DP): Das ist aber der einzige Platz, an dem sie nach der jetzigen Gliederung einzufügen wäre. Wir legen Wert auf eine solche Festlegung. Zinn (SPD): Ich halte es für völlig unmöglich, Teile einer unter Umständen gar nicht mehr in Kraft befindlichen Verfassung oder eines sonstigen Gesetzes oder Vertrags hier zu zitieren und damit aufrechtzuerhalten. Aber auch davon abgesehen überschneidet sich der Inhalt Ihres Vorschlags zum Teil mit den Vorschriften, die das Grundgesetz enthält. Es ist eine gesetzestechnisch höchst unglückliche Lösung, die man hier gefunden hat. Wenn man schon materiell festlegen will, was die

18)

Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 47 der DP-Fraktion zu Art. 139cc vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 441. 19) Für den Wortlaut des Art. 137 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 vgl. oben Dok. Nr. 22, S. 642, Anm. 13. 20) Im stenograph. Wortprot., S. 32, folgt danach „. . ., solange der Staat auf die freiheitliche Grundordnung des Grundgesetzes begründet ist“.

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betreffenden Artikel der Weimarer Verfassung21) erklärt haben, dann sollte man sie dem Wortlaut nach aufnehmen, nicht aber bloß Teile daraus in Form eines Zitats. Überdies erscheint es mir höchst zweifelhaft, ob man überhaupt sagen kann, die Artikel der Weimarer Verfassung bleiben „aufrechterhalten“. Das kann man nur sagen, wenn sie noch in Kraft sind. Nach der ganzen Entwicklung muß man doch wohl annehmen, daß sie nicht mehr in Kraft sind, daß die Weimarer Verfassung in der Zwischenzeit völlig ausgehöhlt worden ist. Abs. 2, der davon spricht, daß die Verträge, die die Länder seinerzeit mit den Kirchen abgeschlossen haben, in Kraft bleiben sollen, würde ebenfalls voraussetzen, daß sie noch bis zum 8. Mai 1945 in Kraft gewesen sind. Dies trifft aber nicht zu. Die Konkordate mit der katholischen Kirche waren quasi-völkerrechtliche Verträge. Das Weitergelten solcher Verträge setzt voraus, daß die deutschen Länder Völkerrechtssubjekt blieben. Die deutschen Länder waren Völkerrechtssubjekt zweifellos bis zum Gesetz von 1934. Von diesem Zeitpunkt an haben die Länder ihre Eigenstaatlichkeit und ihren Charakter als Völkerrechtssubjekte verloren. Damit ist auch der Vertrag, den ein Land, zum Beispiel Bayern22), mit dem Vatikan in Form eines völkerrechtlichen Vertrags abgeschlossen hat, gegenstandslos geworden. Der Vatikan könnte aus einem solchen Vertrag keinerlei völkerrechtliche Ansprüche mehr herleiten. Der Vertrag hätte höchstens den Charakter innerstaatlichen Rechts behalten. Davon abgesehen würde eine solche Verfassungsvorschrift aber auch einen Eingriff in die kulturelle und kirchenpolitische Autonomie der Länder darstellen. Der Bund hat nach der Kompetenzabgrenzung gar kein Recht, diese Dinge in eigener Zuständigkeit zu regeln. Dies muß vielmehr den Ländern allein überlassen bleiben. Angesichts dieser Sach- und Rechtslage halte ich es für empfehlenswert und richtig, den ganzen Art. 138c-5 zu streichen. Er ist gesetzestechnisch und juristisch in dieser Form eine Unmöglichkeit. Ich beantrage daher seine Streichung. Dr. Bergsträsser (SPD): Die Formulierung, die Herr Dr. Seebohm vorschlägt, bedeutet nicht mehr und nicht weniger als einen Eingriff in Rechte, die die Länder früher hatten und die als innerstaatliches Recht der Länder heute noch bestehen. Wenn die Kirchen ihre Angelegenheiten frei bestimmen und ordnen sollen, dann werden die Bestimmungen, die dem Staat ein gewisses Einspruchsrecht bei Bischofswahlen geben, hinfällig. Diese Frage ist in der hessischen Verfassung geregelt. Der hessische Staat hat auf alle diese Rechte verzichtet. Aber soviel ich weiß, bestehen solche Rechte in einer Reihe von anderen Ländern noch fort23). Es wäre ein Eingriff in die noch bestehenden rechtsstaatlichen Gewalten, wenn man dem Antrag Dr. See21)

Für den Wortlaut der Art. 135–141 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 vgl. oben Dok. Nr. 22, S. 642 f., Anm. 13. 22) Für den Wortlaut des Konkordats zwischen Seiner Heiligkeit Papst Pius XI. und dem Staate Bayern vom 29. März 1924 vgl. Gesetz- Verordnungsblatt für den Freistaat Bayern 1925, S. 53–60; Schöppe: Konkordate, S. 46–50. 23) Vgl. Art. 49 der Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dez. 1946: „Jede Kirche, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für jedermann geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinden.“ Wegener: Verfassungen, S. 153.

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bohm stattgäbe. Falls Sie den Art. 138c-5 entsprechend [S. 490] dem Antrag Zinn nicht streichen wollen, möchte ich beantragen, daß in Abs. 1 die Worte „Abs. 2“ gestrichen werden. Diese Artikel der Verfassung von Weimar sind ein geschlossenes Ganzes; sie sind von den Parteien als Ganzes gewollt und beschlossen worden. Bricht man ein Stück davon heraus, dann entsteht etwas gänzlich Neues und – das möchte ich ausdrücklich bemerken – Einseitiges. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann könnte der Abs. 2 in der jetzigen Fassung nicht bestehen bleiben. (Zinn [SPD]: Er kann überhaupt nicht bestehen bleiben.)24) Dr. Süsterhenn (CDU)25): Ich stimme der Begründung, die der Herr Kollege Dr. Seebohm seinem Ergänzungsantrag gegeben hat, durchaus zu. Ich kann davon absehen, seine Argumente hier zu wiederholen und zu ergänzen. Gleichwohl möchte ich den Herrn Kollegen Dr. Seebohm bitten, seinen Antrag unbeschadet der grundsätzlichen Richtigkeit fallenzulassen. Er paßt nicht mehr in das System des jetzt formulierten Art. 138c-5 hinein. Dieser Artikel beschränkt sich bewußt auf eine bloße Bezugnahme. Sie ist zweifellos, gesetzestechnisch betrachtet, nicht schön. Aber ich glaube, man kann eine solche Bezugnahme in einer Übergangsbestimmung – und um eine solche handelt es sich hier – durchaus verantworten. Solche Bezugnahmen sind in zahlreichen Verfassungen üblich gewesen und noch üblich. Im übrigen bitte ich, die beiden Absätze des Art. 138c-5 doch als das anzusehen, was sie in Wirklichkeit sind: eine materielle Regelung des gegenwärtigen Rechtszustandes im Verhältnis zwischen Staat und Kirchen. Da nun die juristische Formulierung dieses Rechtszustandes sehr umstritten ist, würde möglicherweise der gesamte Komplex in der Luft hängen26). Ich erinnere an das, was Herr Zinn über die Fortgeltung der Bestimmungen der Weimarer Verfassung gesagt hat. Es gibt aber auch andere Theorien und andere ebenso gut begründete Standpunkte. Ich erinnere in dem Zusammenhang nur an die Fortgeltung des Art. 131 der Weimarer Verfassung27) hinsichtlich der Beamtenhaftung. Bei den Konkordaten herrschen hinsichtlich der Rechtspersönlichkeit und der Rechtskontinuität der Vertragspartner unter den Rechtslehrern ganz verschiedene Auffassungen. Gerade wegen dieser Unsicherheit würde der gesamte Komplex etwas in der Luft hängen. Um diese Zweifel auszuräumen, sollte der status quo festgehalten werden wenigstens soweit es sich um vertragliches Recht handelt, bis es zu einer anderweitigen Regelung kommt. Ich muß schließlich noch darauf hinweisen, daß gerade diese Bestimmungen für meine Fraktion von entscheidender Bedeutung sind. Wir können sie daher unter

24)

„Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann könnte der Abs. 2 in der jetzigen Fassung nicht bestehen bleiben. (Zinn [SPD]: Er kann überhaupt nicht bestehen bleiben.)“, fehlt im stenograph. Wortprot., S. 35. 25) Statt „Dr. Süsterhenn“ im stenograph. Wortprot., S. 35: „Vors. Dr. Schmid“. 26) Im stenograph. Wortprot., S. 36, folgt danach: „oder könnte von der Rechtsprechung als nicht oder teilweise nicht existierend ausgelegt werden“. 27) Für den Wortlaut des Art. 131 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 vgl. oben. Dok. Nr. 18, S. 546, Anm. 14.

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keinen Umständen streichen lassen; denn sonst würden wir hinsichtlich der rechtlichen Regelung dieses Komplexes unvermeidlich ins Rutschen geraten. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Wir haben seinerzeit um der Verständigung willen angeregt, den Art. 138c-5 Abs. 1 in die Übergangsbestimmungen aufzunehmen. Wir wollen daran festhalten. Etwas anderes ist es bei Abs. 2. Wenn ich nicht irre, haben wir dazu einen Beschluß gefaßt, der der Korrektur bedarf. Der Hauptausschuß hat vorgestern einen Beschluß darüber gefaßt, wie die Zuständigkeit, Verträge mit auswärtigen Mächten abzuschließen, zwischen Bund und Ländern verteilt werden soll28). Dabei hat man den Grundsatz aufgestellt, daß völkerrechtliche Verträge grundsätzlich zur Zuständigkeit des Bundes gehören, daß aber Verträge solcher Art in die Zuständigkeit der Länder fallen, wenn den Ländern die Gesetzgebung zusteht. Dies trifft nun für die Länderkonkordate in vollem Umfang zu. Daher ist der Bund nach dem Prinzip, das wir über die Verteilung der Zuständigkeiten im Grundgesetz aufgestellt haben, gar nicht in der Lage, Verträge anzuerkennen, die er selber nicht abschließen könnte, weil sie eben in die Zuständigkeit der Länder fallen. Daß die Länderkonkordate – das bayerische29), badische30) und preußische31) Konkordat – rechtsgültige Verträge sind, wird allgemein anerkannt. Diese Konkordate sind auch faktisch in Übung. Ihre Anerkennung durch den Bund würde auch merkwürdige Folgen haben. Sie würde dem Bund die Verpflichtung auferlegen, dafür einzustehen, daß die Länderkonkordate auch ausgeführt werden. Dazu ist der Bund gar nicht in der Lage. Der Bund hat auf diesem Gebiet weder eine Gesetzgebung noch eine Verwaltung. Ich beantrage daher, den Abs. 2 zu streichen. Zinn (SPD): Ich darf an das anknüpfen, was Herr Dr. Höpker Aschoff soeben ausgeführt hat. Die Meinungen darüber, ob die Länderkonkordate einmal als Völkerrechtsverträge, aber auch als innerstaatliches Recht noch in Kraft sind, sind durchaus geteilt. Sind sie noch in Kraft, dann brauchen wir die Bestimmung nicht; sind sie es aber nicht mehr, dann würden wir in das Kirchenstaatsrecht der Länder eingreifen, und zwar sehr zum Nachteil der Kirchen selbst. Ich befinde mich in der originellen Situation, daß ich mich in diesem Fall zum Anwalt der Kirchen, zum Beispiel in Hessen, mache. Die hessische Verfassung verzichtet auf eine ganze Reihe von Rechten des Staates, die auf Grund des preußischen Konkordats dem Lande Hessen gegenüber der katholischen und evangelischen Kirche zustehen würden. Halten Sie die Bestimmung hier aufrecht, dann stellen Sie die Rechte wieder her, auf die das Land Hessen den Kirchen gegenüber verzichtet hat. Daher müßte auch vom Standpunkt der Kirchen aus diese Vorschrift gestrichen werden. Dr. Seebohm (DP): Die Darlegungen des Herrn Kollegen Dr. Süsterhenn veranlassen mich, meinen Antrag bis zur Behandlung des Grundrechtsteils zurückzustellen; er kann dann zur gegebenen Zeit noch einmal behandelt werden. 28)

Vgl. die 35. Sitzung des HptA am 12. Jan. 1949; oben Dok. Nr. 35, TOP 2, S. 1093. Zum Konkordat zwischen Seiner Heiligkeit Papst Pius XI. und dem Staate Bayern vom 29. März 1924 vgl. oben S. 1198, Anm. 22. 30) Für den Wortlaut des Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Freistaat Baden vom 12. Okt. 1932 vgl. Badisches Gesetz- und Verordnungs-Blatt 1933, S. 20–30; Schöppe,: Konkordate, S. 38–43. 31) Zum Vertrag des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhl vom 14. Juni 1929 vgl. oben Dok. Nr. 22, S. 653, Anm. 39. 29)

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Dr. Süsterhenn (CDU): Hinsichtlich des Antrags, in Art. 138c-5 die Worte „Abs. 2“ zu streichen, möchte ich bemerken, daß der Abs. 1 von Art. 13832) der Weimarer Verfassung33) dadurch mit aufrechterhalten würde. Art. 138 Abs. 1 der Weimarer Verfassung steht in Widerspruch zum Abs. 2 unseres jetzigen Art. 138c-5. Es heißt nämlich dort, daß die auf Gesetz, Vertrag und besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften durch die Landesgesetzgebung abgelöst werden. Das bedeutet einen offenkundigen Verstoß gegen den Grundsatz: „Pacta sunt servanda“34). Durch die Aufrechterhaltung des Art. 138 Abs. 1 der Weimarer Verfassung würde aber die Möglichkeit zu einer einseitigen staatsrechtlichen Regelung gegeben sein. Dies würde sich mit dem Grundsatz „Pacta sunt servanda“ nicht vereinbaren lassen. Was ferner den Wunsch des Herrn Dr. Höpker Aschoff angeht, den Abs. 2 unseres Entwurfs zu streichen, so darf ich doch darauf hinweisen, daß zumindest in der Theorie die rechtliche Fortgeltung des preußischen Konkordats eine Frage ist, die durchaus diskutiert und verschieden beurteilt wird. Die Meinungen sind, wie gesagt, geteilt. Katholische Kirchenrechtslehrer sind der Auffassung, daß das preußische Konkordat fortbesteht. Es werden aber auch andere Auffassungen vertreten, die so argumentieren, daß nach der Auflösung Preußens durch Kontrollratsgesetz35) der eine Vertragspartner weggefallen und dadurch eine vertragslose Situation entstanden sei. Um alle diese Zweifel, die von verschiedenen Seiten vorgebracht werden, auszuschalten, scheint mir die Aufrechterhaltung des Abs. 2 dringend erforderlich zu sein. Dr. Lehr (CDU): Ich schlage vor, die Abstimmung über den Art. 138c-5 auszusetzen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Was zunächst den Abs. 1 angeht, so stimme ich der Auffassung des Herrn Dr. Süsterhenn zu. Bezüglich des Abs. 2 muß ich aber an meinen Bedenken festhalten. Ich weiß aus meiner Erfahrung im Lande Nordrhein-Westfalen, daß die vertraglichen Leistungen, die der preußische Staat [S. 491] im Konkordat übernommen hat, nach wie vor erfüllt werden. Ich weiß auch, daß das gleiche in anderen Ländern der Fall ist. Dies gilt sowohl für die katholische wie für die evangelische Kirche. Auch bei der Wahl von Bischöfen wird nach dem preußischen Konkordat verfahren. Ich zweifle nicht daran, daß die Länderkonkordate rechtswirksam sind und auch heute eingehalten werden. Ich sehe aber keinerlei Möglichkeit, die Länderkonkordate von Bundes wegen anzuerkennen, weil die Konkordate eben in die Zuständigkeit der Länder fallen und der Bund gar nicht die Möglichkeit hat, von sich aus solche Verträge anzuerkennen. Er würde auch durch eine solche Anerkennung Verpflichtungen übernehmen, die er gar nicht erfüllen 32)

Für den Wortlaut des Art. 138 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 vgl. oben. Dok. Nr. 22, S. 642, Anm. 13. 33) Statt „. . ., in Art. 138c-5 die Worte ,Abs. 2‘ zu streichen, möchte ich bemerken, daß der Abs. 1 von Art. 138 der Weimarer Verfassung“ im stenograph. Wortprot., S. 38: „. . ., den Abs. (2) des Art. 138c-5 zu streichen, möchte ich an das anknüpfen, was der Herr Kollege Dr. Schmid vorhin sehr richtig hervorgehoben hat, daß nämlich der Abs. (1)“. 34) Im stenograph. Wortprot., S. 38, folgt danach: „, den wir unter allen Umständen zum Ausdruck bringen wollen“. 35) Zur Auflösung des Staates Preußen vgl. oben Dok. Nr. 7, S. 225 mit Anm. 41.

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kann, weil er in diesem Bereich weder auf dem Gebiet der Gesetzgebung noch auf dem der Verwaltung zuständig ist. Dr. Süsterhenn (CDU): Es ist richtig, daß die Konkordate faktisch jedenfalls in den meisten Fällen gehandhabt werden. Aber die Frage der faktischen Handhabung ist nicht ohne weiteres identisch mit der Frage der rechtlichen Gültigkeit. Jedenfalls beweist die Tatsache, daß die Konkordate faktisch gehandhabt werden, nichts gegen die von mir behauptete Notwendigkeit, die Rechtslage in entsprechender Weise klarzustellen. Im übrigen schließe ich mich dem Vorschlag des Herrn Dr. Lehr an, die Abstimmung über den Art. 138c-5 zurückzustellen.36) Dr. Seebohm (DP): Wir hatten vorgeschlagen (PR. 12.48 – 441)37), das Datum des 8. Mai 1945 herauszulassen und nur zu sagen: „Die bestehenden Verträge mit den Kirchen bleiben in Kraft, bis sie durch neue von den Ländern abzuschließende Verträge ersetzt werden.“ Ich glaube, mit einer solchen Fassung sind die Bedenken beseitigt, die Herr Zinn bezüglich Hessens geäußert hat. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist beantragt, die Abstimmung über den Art. 138c-5 auszusetzen. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 11 gegen 10 Stimmen angenommen. Wir kommen zu Art. 138c-6, seither Art. 138c in der Fassung des Redaktionsausschusses: Mehrheit der Mitglieder einer Körperschaft im Sinne dieses Grundgesetzes ist die Mehrheit ihrer gesetzlichen Mitgliederzahl. Ich lasse abstimmen. – Einstimmig angenommen.

[1.7. ART. 138d: BISHERIGE GESETZGEBUNGSKOMPETENZEN]

Wir kommen zu

Art. 138d (1) Vom Zusammentritt des Bundestags an werden die Gesetze ausschließlich von den in diesem Grundgesetz anerkannten gesetzgebenden Gewalten beschlossen. (2) Gesetzgebende und bei der Gesetzgebung beratend mitwirkende Körperschaften, deren Zuständigkeit nach Abs. 1 endet, sind mit diesem Zeitpunkt aufgelöst. Dr. Menzel (SPD): Ist dieser Artikel, vor allem Abs. 1, überhaupt nötig? Es ist doch alles selbstverständlich, was darin steht. Dr. Katz (SPD): Nein. Der Wirtschaftsrat könnte zum Beispiel weitertagen. Wir sagen: vom Zusammentritt des Bundestags an. Das ist das wichtige Datum, und die36)

Im stenograph. Wortprot., S. 40, folgt danach: „Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Lage ist die: Entweder bestehen die Konkordate weiter, dann ist der Abs. (2) ein Pleonasmus, ob Sie nun die Rechtswirksamkeit der Konkordate anerkennen oder nicht. Erkennen Sie die Rechtsgültigkeit nicht an, dann würde der Bund durch ein Bundesgesetz für die Länder Konkordate abschließen. Das wäre eine seltsame rechtliche Situation.“ 37) Drucks. Nr. 441 enthält den Antrag Nr. 47 der Fraktion der Deutschen Partei vom 16. Dez. 1948 zu Art. 139cc Abs. 1 und Abs. 2.

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ses Datum muß irgendwie festgelegt werden. Vom Zusammentritt des Bundestags an darf der Wirtschaftsrat nicht mehr als Gesetzgeber oder als sonstige Instanz funktionieren. Diese Vorschrift ist notwendig. Dr. Menzel (SPD): Ist in den Übergangsbestimmungen nicht schon vorgesehen, daß solche Körperschaften automatisch zu existieren aufhören, wenn der Bundestag da ist? Zinn (SPD): Institutionen wie die Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, der Wirtschaftsrat usw. haben nicht nur Funktionen der Gesetzgebung, sondern darüber hinaus auch Funktionen auf dem Gebiet der vollziehenden Gewalt. Die Gesetzgebungsbefugnis des Wirtschaftsrats muß zu einem bestimmten Zeitpunkt erlöschen. Dieser Zeitpunkt muß festgelegt werden, um zu verhindern, daß über diesen Zeitpunkt hinaus von solchen Körperschaften materielles Recht beschlossen wird. Vom Tage des Zusammentritts des Bundestags an kann Recht nur noch vom Bundestag selbst gesetzt werden. Auf dem Gebiet der Verwaltung ist es anders; sie muß man weiterarbeiten lassen, bis die Verwaltung auf Grund des Grundgesetzes tätig werden kann. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich abstimmen. – Art. 138d ist mit allen Stimmen bei Stimmenthaltung des Abgeordneten Renner angenommen.

[1.8. ART. 139: RECHTSSETZUNG VOR KONSTITUIERUNG DES BUNDESTAGES]

Art. 139 Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestages gilt fort, soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht. Ich lasse abstimmen. – Einstimmig angenommen.

[1.9. ART. 139a: AUSSCHLIESSLICHE GESETZGEBUNG]

Art. 139a Recht, das Gegenstände der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes (Art. 35 und 122a) betrifft, wird innerhalb seines Geltungsbereichs Bundesrecht. Ich lasse abstimmen. – Angenommen.

[1.10. ART. 139b: VORRANGGESETZGEBUNG]

Art. 139b Recht, das Gegenstände der Vorranggesetzgebung des Bundes (Art. 36 und 122a) betrifft, wird innerhalb seines Geltungsbereichs und im Rahmen der Art. 36 und 122a Bundesrecht, 1. soweit es innerhalb einer oder mehrerer Besatzungszonen einheitlich gilt, 2. soweit es sich um Recht handelt, durch das nach dem 8. Mai 1945 früheres Reichsrecht abgeändert worden ist.

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Dr. Menzel (SPD): Sind die beiden Ziffern kumulativ oder alternativ gemeint? Vors. Dr. Schmid (SPD): Das sind zwei verschiedene Dinge. Zinn (SPD): Beide Sätze werden durch das Wort „soweit“ eingeleitet. Die Regelung ist also alternativ. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das Komma nach der Ziffer 1 ersetzt das Wort „oder“. Ich lasse abstimmen. – Art. 139b ist einstimmig angenommen.

[1.11. ART. 139c: RECHT DES VEREINIGTEN WIRTSCHAFTSGEBIETES]

Art. 139c Die Bundesregierung kann mit Zustimmung der beteiligten Landesregierungen Recht der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, soweit es nach Art. 139a oder b als Bundesrecht fortgilt, innerhalb eines Jahres nach Verkündung dieses Grundgesetzes in den Ländern Rheinland-Pfalz, Baden und Württemberg-Hohenzollern in Kraft setzen. Ich lasse abstimmen. – Gegen 1 Stimme angenommen.

[1.12. ART. 139e: FORTGELTENDES WEISUNGSRECHT]

Art. 139e Soweit nach fortgeltendem Recht Weisungsrechte im Sinne des Art. 112/238) Abs. 4 bestehen, bleiben sie in Kraft, bis eine anderweitige gesetzliche Regelung erfolgt. Dr. Laforet (CSU): Art. 112/239) Abs. 4 setzt den bisherigen Text voraus. Darüber haben wir noch nichts beschlossen. [S. 492] Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können hier beschließen, unabhängig davon, wie Art. 112/2 Abs. 440) aussehen wird. Ich lasse abstimmen. – Art. 139e ist angenommen.

[1.13. ART. 140: MEINUNGSVERSCHIEDENHEITEN]

Art. 140 Meinungsverschiedenheiten über die Vereinbarkeit des im Art. 139 bezeichneten Rechts mit diesem Grundgesetz sowie über das Fortgelten von Recht als Bundesrecht gemäß den Vorschriften in Art. 139a und 139b entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Ich lasse abstimmen. – Gegen 1 Stimme angenommen.

38)

Statt „112/2“ im stenograph. Wortprot., S. 44: „112“. Statt „112/2“ im stenograph. Wortprot., S. 44: „112“. 40) Statt „112/2“ Abs. 4“ im stenograph. Wortprot., S. 44: „112“. 39)

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[1.14. ART. 141: RECHTSVORSCHRIFTEN]

Art. 141 (1) Soweit in Rechtsvorschriften, die als Bundesrecht fortgelten, eine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen oder allgemeinen Verwaltungsvorschriften sowie zur Vornahme von Verwaltungsakten enthalten ist, geht sie auf die nunmehr zuständigen Stellen über. In Zweifelsfällen entscheidet die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Bundesrat; die Entscheidung ist zu veröffentlichen. (2) Soweit in Rechtsvorschriften, die als Landesrecht fortgelten, eine solche Ermächtigung enthalten ist, wird sie von den nach Landesrecht zuständigen Stellen ausgeübt. (3) Die Vorschriften der Absätze 1 und 2 gelten entsprechend, soweit in Rechtsvorschriften auf nicht mehr geltende Vorschriften oder nicht mehr bestehende Einrichtungen verwiesen ist. Könnte es sich hier nicht empfehlen, in Abs. 1 Satz 141) nach „nunmehr“ das Wort „sachlich“ einzufügen, damit klar wird, daß die Zuständigkeit von der Sache her gemeint ist? Ich glaube, das ist schon notwendig. Dr. Lehr (CDU): Ich habe keine Bedenken dagegen. Dr. Menzel (SPD): Ist es notwendig, in Abs. 1 Satz 2 den Bundesrat einzuschalten? Es handelt sich hier doch im wesentlichen um eine Frage der Exekutive. Dr. Süsterhenn (CDU): Nur in Zweifelsfällen wird der Bundesrat eingeschaltet, und da ist es zweckmäßig und gut, sich mit ihm zu verständigen, weil es sich in solchen Fällen immer um Schwierigkeiten zwischen Bund und Ländern handeln wird. Wenn Zweifel entstehen, ist es zweckmäßig, das repräsentative Organ der Länder einzuschalten. Zinn (SPD): Auch ich halte es für zweckmäßig, den Bundesrat zu beteiligen. Bei Abs. 1 handelt es sich um Bundesrecht, das weitergilt. Die Länder können mit der Durchführung beauftragt sein, und insofern ist es zweckmäßig, den Bundesrat zu beteiligen. Dr. Laforet (CSU): Man hat mir bereits vorweggenommen, was ich sagen wollte. Ich halte es für eine unabweisbare Notwendigkeit, die Vertretung der Länder heranzuziehen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Dr. Menzel, stellen Sie den Antrag, die Worte „im Einvernehmen mit dem Bundesrat“ zu streichen? Dr. Menzel (SPD): Soweit eine solche Regelung in eine Zuständigkeit der Länder eingreifen würde, würde ich meinen Antrag zurückstellen. Aber es handelt sich hier auch darum, daß die bisherigen Befugnisse bizonaler Stellen automatisch auf den Bund übergehen. Ich sehe nicht ein, weshalb man den Bundesrat einschalten soll, wenn keine Länderrechte berührt werden. Ich bin bereit, meinen Antrag dahin abzuändern: „In Zweifelsfällen entscheidet die Bundesregierung und, soweit dabei in Länderzuständigkeiten eingegriffen wird, im Einvernehmen mit dem Bundesrat.“

41)

Statt „Satz 1“ im stenograph. Wortprot., S. 45: „Zeile 4“.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde sagen: „. . . soweit dabei Länderzuständigkeiten streitig sind“. Dr. Süsterhenn (CDU): In dem Abs. 1 des Art. 141 ist nicht gesagt, daß die Ermächtigung auf Bundesstellen übergeht, sondern es ist gesagt, daß sie auf die sachlich zuständigen Stellen übergeht. Das können sowohl Bundes- wie Landesstellen sein. Gerade darüber könnten sich Zweifel und Meinungsverschiedenheiten ergeben. Diese Zweifel und Meinungsverschiedenheiten werden zweckmäßig durch die Bundesregierung, die die primäre Sachwalterin der Bundesinteressen ist, im Benehmen mit dem Bundesrat geklärt, der der Repräsentant der Länder ist. Die Koordination, die schiedlich-friedliche Auseinandersetzung sollte hier vorgesehen werden, und die beiden zuständigen Partner sind eben die Bundesregierung und der Bundesrat. Dr. Menzel (SPD): Ich ziehe meinen Antrag zurück. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 141 in der neuen Fassung abstimmen, also unter Einfügung des Wortes „sachlich“. – Art. 141 ist mit 19 gegen 1 Stimme angenommen.

[1.15. ART. 143a: VERWALTUNGSEINRICHTUNGEN, ANSTALTEN UND KÖRPERSCHAFTEN]

Art. 143a (1) Verwaltungsorgane und sonstige der öffentlichen Verwaltung oder Rechtspflege dienende Einrichtungen, die nicht auf Landesrecht oder Staatsverträgen zwischen Ländern beruhen, unterstehen der Bundesregierung oder dem zuständigen Bundesminister. Diese regeln innerhalb ihrer Zuständigkeit mit Zustimmung des Bundesrats die Auflösung, Abwicklung oder Überführung. (2) Die Dienststrafgewalt über die Angehörigen dieser Verwaltungen wird durch den zuständigen Bundesminister ausgeübt. (3) Nicht landesunmittelbare und nicht auf Staatsverträgen zwischen den Ländern beruhende Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts unterstehen der Aufsicht der zuständigen obersten Bundesbehörde. Ich lasse abstimmen. – Art. 143a ist angenommen. Der Hauptausschuß vertagt sich auf 16 Uhr. Schluß der Sitzung 13.06 Uhr.

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Nr. 40

Nr. 40 Vierzigste Sitzung des Hauptausschusses 14. Januar 1949 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 493–509. PA 2004. Ungez. von Peschel gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 529 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: de Chapeaurouge, Fecht, Kleindinst, Laforet, Lehr, von Mangoldt, Schlör, Süsterhenn SPD: Katz, Löwenthal, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wolff, Zimmermann FDP: Becker, Höpker Aschoff DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Eberhard (SPD), Menzel (SPD), Mücke (SPD), Zinn (SPD) Vertreter der Länder: Ministerialdirektor Ringelmann (Bayern) Stenographischer Dienst: Peschel Dauer: 15.20–17.50 Uhr

[1. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT XIII: ÜBERGANGS- UND SCHLUSSBESTIMMUNGEN]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir fahren fort mit der Beratung von Abschnitt XIII Übergangs- und Schlußbestimmungen. Grundlage unserer Beratung sind die heute vom Organisationsausschuß gefaßten Beschlüsse (PR. 1.49 – 504)3).

[1.1. ART. 143c-1: FRÜHERE ANGEHÖRIGE DES ÖFFENTLICHEN DIENSTES]

Ich rufe auf

Art. 143c-1 Die Rechtsverhältnisse von Personen einschließlich der Vertriebenen, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienste standen, aus anderen als beamtenrechtlichen Gründen ausgeschieden sind und bisher nicht oder nicht ihrer früheren Stellung entsprechend verwendet werden, sind durch Bundesgesetz zu regeln. Entsprechendes gilt für Personen einschließlich der Vertriebenen, die am 8. Mai 1945 versorgungsberechtigt waren und aus anderen als beamten-

1)

Protokollführer Keßler für TOP 1 sowie Pauls für TOP 2. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Auf Drucks. Nr. 504 wurde das Kurzprot. der 31. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes vom 14. Jan. 1949 vervielfält.; zur Sitzung vgl. auch Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 46, S. 1101–1134. – Dem Kurzprot. wurden die Formulierungen des Ausschusses unter Verarbeitung der Vorschläge des Unterausschusses und des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 13./16. Dez. 1948 verarbeitet; vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 47, S. 1135–1137. 2)

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Vierzigste Sitzung des Hauptausschusses 14. Januar 1949

rechtlichen Gründen keine oder keine entsprechende Versorgung mehr erhalten. Dr. Lehr (CDU): Bei den Artikeln 143c-1, 143c-2 ff. handelt es sich um Bestimmungen, die in der Beamtenschaft eine große Beunruhigung hervorgerufen haben. Ich darf dazu sagen, daß wir im Organisationsausschuß in der Tradition dieses Ausschusses, sachlich, intensiv und rasch zu arbeiten, auch diese Artikel gemeinsam gewissenhaft durchberaten haben und zu gemeinsamen Ergebnissen gekommen sind, so daß irgendein Grund zu einer Beunruhigung für die Beamtenschaft nicht besteht. Es ist nicht daran gedacht, den Verfassungsentwurf dazu zu benutzen, an irgendeiner Stelle ein Ausnahmerecht gegen die Beamtenschaft zu konstruieren. Auf der anderen Seite ist der Notwendigkeit Rechnung getragen, bestehende Organisationen und Institutionen in den künftigen Bund einzugliedern, ohne daß der Bund etwa mit allzu großen Kosten auf personellem Gebiet belastet wird. Wir haben die einzelnen Artikel in einer Fassung formuliert, wie sie Ihnen soeben vom Büro zugegangen ist, und ich behalte mir vor, im einzelnen als Berichterstatter dazu etwas zu sagen. Um nachzuweisen, mit welcher Sachlichkeit und Überparteilichkeit wir diese Artikel beraten haben, bitte ich, daß über die Tendenz der Formulierungen – wir haben gestern abend im Organisationsausschuß einen kleinen Unterausschuß4) gebildet, um einige Formulierungen zu finden, über deren Tendenz wir uns vorher einig waren – Herr Ministerialdirektor Dr. Ringelmann von der bayerischen Regierung als Sachverständiger einen kurzen Überblick gibt, der von uns als unparteiischer und guter Sachkenner der Materie zugezogen worden ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich nehme an, der Hauptausschuß ist damit einverstanden, daß Herr Ministerialdirektor Dr. Ringelmann, der seinen Rat schon dem Unterausschuß geliehen hat, als Sachverständiger hier berichtet. MinDir. Dr. Ringelmann: Unter den Fragen auf dem Gebiete des Beamtenrechts haben heute die Fragen, die sich mit jenen Beamten befassen, die ihre Beamtenlaufbahn aus Gründen nicht beamtenrechtlicher Art verlassen mußten, ein ganz besonderes Gewicht. Unter die Bestimmungen des Art. 143c-1 fallen in erster Linie Beamte, die infolge Untergangs ihrer Dienststelle im früheren Reichsgebiet ihren Dienstherrn verloren haben. Darunter fallen weiterhin verdrängte Beamte, also heimatvertriebene Beamte. Ferner fallen Beamte darunter, die durch Maßnahmen der Besatzungsmacht ihr Amt verloren haben, insbesondere soweit sie parteipolitisch belastet waren, inzwischen denazifiziert worden sind und nicht zu der Gruppe der Belasteten oder der Hauptschuldigen gehören, die kraft Gesetzes ihr Amt verloren haben. Schließlich fallen Beamte darunter, die aus Kriegsgefangenschaft zurückkommen und ihre Stelle besetzt finden oder für die kein Dienstherr mehr vorhanden ist.

4)

Zur Einsetzung des Unterausschusses in der 30. Sitzung des Ausschusses für die Organisation des Bundes am 13. Jan. 1949 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 44, S. 1090 und 1094 – Zur Zusammensetzung des Unterausschusses, dem nur Mücke (SPD) und Schwalber (CSU) angehörten vgl. ebd. Dok. Nr. 44, S. 1090, Anm. 118 – Für den Wortlaut des Vorschlags des Unterausschusses des Ausschusses für die Organisation des Bundes vom 13. Jan. 1949 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 46, S. 1101 f., Anm. 6.

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Die Rechtsverhältnisse aller dieser Beamten sind bis heute nicht einheitlich geregelt. Bisher hat jedes Land soweit als möglich versucht, eine gewisse Ordnung in die Rechtsverhältnisse dieser Beamten zu bringen. Der Erfolg war vor allem kein einheitlicher. Es ist unbedingt notwendig, hier Grundsätze zu schaffen, die darauf abzielen, daß wenigstens die vermögensrechtlichen Ansprüche dieser Beamten in irgendeiner Form geregelt werden. Hinzu kommen dann die Personen, die am 8. Mai 1945 versorgungsberechtigt waren, aber infolge der Entwicklung ihre Versorgung verloren haben: Wartestandsbeamte, Ruhestandsbeamte und Beamtenhinterbliebene, die die Versorgungskasse, wenn ich so sagen darf, aus der sie bisher ihre Bezüge erhalten haben, verloren haben. Nun setzt der Art. 143c-1 am Stichtag des 8. Mai 1945 an, indem er verlangt, daß damals ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis bestanden hat. Ein weiteres Erfordernis ist, daß der Beamte oder auch der Angestellte mit Versorgungsansprüchen am 8. Mai 1945 aus anderen als beamtenrechtlichen Gründen aus dem Dienst geschieden ist. Ein drittes Erfordernis ist, daß er bisher nicht oder nicht in einer seiner früheren Stelle entsprechenden Weise wieder verwendet wird, daß er also beispielsweise in untergeordneter Arbeit tätig sein muß, um sein Leben zu fristen. Die näheren Bestimmungen hinsichtlich der Personen, die diese Voraussetzungen erfüllen, sollen nun durch ein Bundesgesetz geregelt werden. Ebenso sollen für die Versorgungsempfänger, die keine Versorgung mehr oder eine nicht ausreichende Versorgung erhalten, durch ein Bundesgesetz weitere Bestimmungen getroffen werden. Das ist der Inhalt des Art. 143c-1. Dr. Seebohm (DP): Wir hatten seinerzeit nach der ersten Lesung unseren Antrag Nr. 48 (PR. 12.48 – 442)5) zu dieser Frage gestellt. Dem Antrag lag zugrunde, daß wir das Ausnahmerecht, das durch die Verhältnisse nach dem Zusammenbruch für die vertriebenen Beamten, für die Hinterbliebenen und für die Altpensionäre aus den Ostgebieten sowie für diejenigen entstanden ist, die durch die Militärregierungen unter Ausnahmerecht gestellt worden sind, beseitigen wollten. Wir sind der Auffassung, daß diesen Voraussetzungen durch die Fassung, wie sie der Organisationsausschuß gefunden hat, in etwa Rechnung [S. 494] getragen worden ist, insbesondere im Zusammenhang mit der Formulierung des Art. 27b Abs. 2 in der zweiten Lesung6). Infolgedessen kann ich den Antrag zurückstellen. Für den Fall, daß die Fassung so angenommen wird, wird er sich erübrigen. Zinn (SPD): Ich will nicht näher untersuchen, ob der neue Staat oder ein neues Land, ein demokratisch organisierter Staat als Rechtsnachfolger aus einem Beamtenverhältnis in Anspruch genommen werden kann, das, wenn ich den § 1 des Deutschen Beamtengesetzes vom 26. Januar 1937 zitiere, als ein „persönliches Dienst- und Treueverhältnis zum Führer“ galt7). Ich will das dahingestellt sein lassen. Ich gebe aber zu, daß unabhängig davon, ob ein Beamter sich auf ein solches persönliches Treueverhältnis gegenüber Adolf Hitler berufen kann, für diejenigen 5)

Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 48 der DP-Fraktion zu Art. 143b vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 442. 6) Vgl. dazu die 27. Sitzung des HptA am 15. Dez. 1948; oben Dok. Nr. 27, TOP 3.9, S. 818. 7) § 1 Abs. 1 des Deutschen Beamtengesetz vom 26. Jan. 1937: „Der deutsche Beamte steht zum Führer und zum Reich in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis (Beamtenverhältnis).“ RGBl. I, S. 39.

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irgend etwas geschehen muß, deren Verhältnisse nicht geregelt sind – weil die Behörden nicht mehr vorhanden sind oder die Kasse nicht mehr besteht, die ihre Versorgungsrente, ihr Ruhegehalt gezahlt hat – oder die aus Gebieten vertrieben worden sind, die jetzt nicht mehr zum Bund gehören. Aber ich sehe nicht ein, warum hier die Beamtenschaft wieder privilegiert werden soll. Es ist hochinteressant, daß bei der Fassung, die jetzt gewählt worden ist, an die Angestellten überhaupt nicht gedacht ist. (Widerspruch.) – Sie sprechen von „beamtenrechtlichen Gründen“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, das ist ein Irrtum. Die Fassung ist so allgemein, daß alle Personen erfaßt sind, die im öffentlichen Dienst standen. Zinn (SPD): Hier steht: „aus anderen als beamtenrechtlichen Gründen“, das paßt nicht. Wenn Sie es klarstellen wollen, müssen Sie hier eine andere Terminologie wählen8). Das Wort „beamtenrechtlichen“ paßt nicht, man muß hier eine positivere Fassung wählen. Nach der Tarifordnung sind zum Beispiel diejenigen Angestellten, die 25 Jahre im öffentlichen Dienst sind, unkündbar. Sie haben also eine ähnliche Stellung wie der auf Lebenszeit angestellte Beamte. Wenn sie nicht mehr im Dienst sind, kann man nicht davon reden, daß sie es aus beamtenrechtlichen Gründen nicht sind. Es ist zum mindesten bei dieser Fassung, weil sie von „beamtenrechtlichen Gründen“ spricht, zu erwarten, daß sie nur an Beamte denkt. Sie läßt mindestens Zweifel aufkommen. Aber das mag dahingestellt bleiben. Das kann man vielleicht bei einer redaktionellen Überprüfung ändern. Man muß meines Erachtens zwei Dinge unterscheiden. Zunächst die Frage: soll der betroffene Personenkreis in irgendeiner Form wieder sichergestellt werden, soll ihm ein Ausgleich für sein verlorengegangenes Gehalt, für seine verlorengegangene Versorgungsrente, seine Pension gewährt werden? Wer hat sie zu gewähren? Man muß darüber hinaus aber auch die Frage regeln, ob ein Anspruch auf Wiedereinstellung gewährt werden soll. Diese Frage lassen Sie aber ganz offen. Die Aufgaben, die der Bund und die Länder des Bundes zu erfüllen haben, sind zum Teil völlig andere als die, die früher das Reich und dessen Länder hatten. Man kann nicht einfach das gesamte Personal übernehmen oder wieder einstellen; das ist völlig unmöglich. Es wird auch Ihnen bekannt sein, daß gewisse Gerichte in der britischen Zone Beamten, die mit Rücksicht auf ihre Parteizugehörigkeit ausgeschieden sind, auf ihre Klage ein Recht auf Wiedereinstellung zugebilligt haben. Einer solchen Rechtsprechung muß durch eine gesetzliche Regelung entgegengetreten werden. Wenn Sie das Recht auf Wiedereinstellung nicht aberkennen, dann kann es geschehen, daß nächstens die Stadt Köln – gegen sie schwebt auch ein derartiger Rechtsstreit – neben dem bereits im Amt befindlichen noch einen zweiten Stadtkämmerer hat, oder es kann passieren, daß in der hessischen Justiz, in der wir ohnehin unsere Richterstellen verringert haben, die nicht mehr ins Amt gekommenen Richter plötzlich auf Wiedereinstellung klagen. Das ist der entscheidende Gesichtspunkt. Es muß verhindert werden, daß die neue Verwaltung durch die Recht8)

Im stenograph. Wortprot., S. 5, folgt danach der Zwischenruf: „(Dr. Lehr [CDU]: Aus anderen als beamtenrechtlichen Gründen!)“

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sprechung, die an das seitherige Beamtenrecht anknüpft, gezwungen werden kann, alle ausgeschiedenen Personen wieder zu übernehmen. Damit brauchen deren Versorgungsansprüche keineswegs als erledigt angesehen zu werden, diese können bundesgesetzlich geregelt werden. Insofern ist also die vorgeschlagene Fassung meines Erachtens unzureichend. Sie sprechen von den Personen, die aus anderen als beamtenrechtlichen Gründen ausgeschieden sind. Gerade in den Rechtsstreitigkeiten, die ich erwähnt habe, wird bestritten, daß ein Ausscheiden aus dem Amt erfolgt ist. Die Gerichte haben sich teilweise auf den Standpunkt gestellt, daß durch die Denazifizierungsvorschriften vor allen Dingen in der britischen Zone ein Ausscheiden aus dem Amt nicht eingetreten sei, so daß der Betreffende nach Abschluß der Denazifizierung einen Anspruch auf Wiedereinstellung habe. Deshalb schlage ich vor, die vorgeschlagene Fassung durch die Fassung des Redaktionsausschusses zu ersetzen, die ausdrücklich das Recht auf Wiedereinstellung aberkennt, auf der anderen Seite aber nach Maßgabe näherer bundesgesetzlicher Regelung einen Ausgleich für das verlorengegangene Gehalt oder die verlorengegangene Pension zusichert. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte eine Zweifelsfrage klarstellen. Sind unter den Personen, die Art. 143c-1 meint, etwa auch die Berufssoldaten zu verstehen? Zinn (SPD): Zum mindesten die Militärbeamten! Vors. Dr. Schmid (SPD): Es heißt: „von Personen, die im öffentlichen Dienst standen“. Das ist eine sehr allgemeine Begriffsbestimmung, unter die man meines Erachtens jeden subsumieren kann, der in irgendeiner Art und Weise im öffentlichen Dienst gestanden hat. (Zinn [SPD]: Auch die SS-Offiziere standen im öffentlichen Dienst!) – Ich möchte dies alles nur klargestellt wissen, damit man weiß, welche Konsequenzen sich aus der Abstimmung ergeben. Dr. Lehr (CDU): Wenn Sie den Text genau studieren, finden Sie, daß die Besorgnisse, die Herr Kollege Zinn soeben ausgesprochen hat, nicht begründet sind. Der Artikel bestimmt, daß die Rechtsverhältnisse der Personen, die dort genannt sind, durch ein Bundesgesetz geregelt werden sollen. Also hier ist nur eine Rahmenvorschrift dafür gegeben, daß diese Rechtsverhältnisse durch ein späteres Bundesgesetz im einzelnen geregelt werden. Nun kommt die Voraussetzung: wenn sie aus anderen als beamtenrechtlichen Gründen ausgeschieden sind und bisher nicht oder nicht ihrer früheren Stellung entsprechend verwendet worden sind. In Art. 143c-2 ist gesagt, daß diese Vorschrift auf in einem unkündbaren Arbeitsverhältnis stehende Angestellte entsprechende Anwendung findet. Das ist sowohl in Abs. 1 wie in Abs. 2 des Art. 143c-2 expressis verbis betont. Ich glaube also, man kann es ruhig der künftigen Bundesgesetzgebung überlassen, auf Grund dieser Rahmenvorschrift für die hier genannten Gruppen in Art. 143c-1 und 143c-2 das entsprechende Recht zu finden. Dr. Mücke (SPD): Wenn man der Argumentation des Herrn Kollegen Zinn folgt und das Recht auf Wiedereinstellung absprechen will, so muß man den Grundsatz aufstellen, daß alle Rechtsverhältnisse von Beamten und öffentlichen Angestellten, die am 8. Mai 1945 überhaupt bestanden haben, unabhängig davon, ob der Betreffende heute im Dienst ist oder nicht, einer Überprüfung zu unterziehen sind; denn sonst gibt es unmögliche Konsequenzen gegenüber denen, die ihre Stellung verlo-

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ren haben. Ich möchte nur als Beispiel ich habe das schon im Organisationsausschuß getan – auf die Konsequenzen hinweisen, die [S. 495] sich aus dem Denazifizierungsgesetz der amerikanischen Zone ergeben. Nach dem Denazifizierungsgesetz der amerikanischen Zone hat ein politisch belasteter Beamter, der ausgeschieden ist, keinen Anspruch auf Wiedereinstellung. In der Konsequenz würde also der politisch belastete einheimische Beamte, der kein Recht auf Wiedereinstellung hat, mit dem politisch unbelasteten Beamten gleichgestellt werden, der als Vertriebener seine Stellung verloren hat. Das ist eine unmögliche Konsequenz. Dr. Menzel (SPD): Ich möchte vorschlagen, die Entscheidung heute zu vertagen. Das Beamtenrecht war schon immer recht unübersichtlich und schwierig, es ist durch die Verhältnisse und die Entwicklung nach 1945 noch viel unübersichtlicher geworden. Die Anträge sind heute neu vorgelegt worden. Es ist selbst für mich, der ich durch meinen Beruf etwas in diesen Dingen drinstehe, unmöglich, alle Konsequenzen dieser Anträge zu übersehen. Außerdem bitte ich, nachdem der Hauptausschuß heute einen Sachverständigen vernommen hat, einen weiteren Sachverständigen zu vernehmen und zwar aus der bizonalen Verwaltung den Ministerialdirektor Dr. Schmidt aus Frankfurt/Main9), der seit jeher speziell im Beamtenrecht gearbeitet hat. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist der Antrag auf Vertagung und auf Ladung eines Sachverständigen gestellt. Ich werde über diesen Antrag zuerst abstimmen lassen. Dr. Lehr (CDU): Wir haben im Organisationsausschuß in voller Einstimmigkeit entschieden. Warum sollen wir diese Arbeit des Organisationsausschusses von zwei Tagen auch hier in der zweiten Sitzung nicht zum Erfolg führen und hier abstimmen? Es ist doch nichts weiter vorgeschlagen, als daß ein künftiges Bundesgesetz die Sache regeln soll. Dazu können später doch die Herren Sachverständigen zugezogen werden, wenn bei Erlaß des Bundesgesetzes neue Zweifel auftauchen. Über diese Rahmenvorschriften könnten wir uns doch einigen. Dr. Seebohm (DP): Ich wollte mich den Ausführungen von Herrn Dr. Lehr ausschließen. Die Angelegenheit ist doch im Rahmen des Organisationsausschusses so eingehend behandelt worden, und wir haben uns auch im Hauptausschuß in der ersten Lesung über die Frage eingehend unterhalten, so daß ich es nicht für notwendig halte, die Abstimmung hier noch einmal auszusetzen. Ich finde, die Fassung ist jetzt so durchgearbeitet, daß wir darüber endgültig abstimmen können. Ich bedaure die dauernden Anträge, die Abstimmung auszusetzen, weil sie unsere Arbeit immer weiter verzögern und hinausschieben. Wir dienen damit nicht der Notwendigkeit, unsere Arbeit so beschleunigt fertigzustellen, wie es erforderlich ist. Renner (KPD): Aus der Diskussion hat sich ergeben, daß wir wieder einmal einen der Fälle vor uns haben, in dem in einem Fachausschuß allem Anschein nach eine Übereinstimmung der Auffassungen erzielt worden ist, während hier im Haupt9)

Wolfgang Schmidt (geb. 1897) 1946–1948 Ministerialdirigent und Leiter der Abteilung II „Beamten- und Personalangelegenheiten“ im Innenministerium von Nordrhein-Westfalen, 1948–1955 Ministerialdirektor und stellvertretender Bevollmächtigteer des Landes beim Länderrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes bzw. im Ministerium für Bundesangelegenheiten. Vgl. Kabinettsprotokolle von Nordrhein-Westfalen, S. 162, 517, 948.

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ausschuß gegenteilige Auffassungen zutage treten; aber das nur nebenbei. Aufgefallen ist mir in den Ausführungen des Herrn Sachverständigen eine Formulierung. Er hat gesagt, daß auch die vermögensrechtlichen Ansprüche dieses Kreises geregelt werden müßten. (MinDir. Dr. Ringelmann: Das ist die Fassung des Redaktionsausschusses!) – Verstehen Sie darunter nur Ansprüche auf Gehalt und Pension oder weitergehende Ansprüche? MinDir. Dr. Ringelmann: Alle vermögensrechtlichen Ansprüche, die in der Hauptsache nichts anderes darstellen als Gehalts- und Versorgungsansprüche, sowie Berücksichtigung des Umstandes, daß der Beamte versicherungsfrei gewesen ist und auf Grund des § 18 des Angestelltenversicherungsgesetzes10) nunmehr für die innerhalb des Staatsdienstes oder des öffentlichen Dienstes zurückgelegte Zeit nachversichert werden müßte, nicht aber Schadensersatzansprüche. Renner (KPD): Also die aus dem Beamtenverhältnis entspringenden Rechte. Es wäre ein peinlicher Witz gewesen, wenn Ihre Auffassung dahin gegangen wäre, daß alle vermögensrechtlichen Ansprüche – bei denen dieser Personenkreis wie das gesamte deutsche Volk einen Anspruch auf Ausgleich geltend machen könnte – auch da wieder als Sonderrecht geregelt werden sollten. Aber zur Sache selber. Ich bin der Auffassung, daß wir uns einmal mit der tröstenden Darstellung des Herrn Lehr auseinandersetzen müßten, daß es sich nur darum handle, ein Prinzip festzulegen, daß also die Sache an und für sich durch ein kommendes Bundesgesetz geregelt werden solle. Ich bin anderer Auffassung. Wenn wir so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, daß diese Ansprüche zu regeln sind, dann ist das eine Verpflichtung, an der auch der kommende Bundestag nicht vorbeigehen kann. Meine grundsätzliche Auffassung über das Beamtenverhältnis möchte ich nicht vortragen, ich will nur auf die derzeitige Situation und auf das Problem eingehen, das durch diesen Art. 143c-1 berührt wird. Ich möchte mir auch einen Hinweis auf den Amtseid verkneifen, der in der Hitlerzeit von den Beamten geleistet worden ist. Ich will nicht bitter werden, ich könnte dann mit vollem Recht sagen, daß dieses Treueverhältnis bei einem großen Teil der heute noch amtierenden Beamten innerlich anerkannt wird. Aber ich erhebe eine Frage: bezieht sich die Bestimmung nur auf Beamte der zivilen Verwaltung, oder sind damit auch Berufssoldaten und Militärbeamte gemeint? (Zinn [SPD]: Bei der Fassung alle.) – Bei der Fassung sind sie meines Erachtens alle gemeint. (Zinn [SPD]: Sogar Waffen-SS!) Es heißt: „von Personen, die im öffentlichen Dienste standen“. Berufssoldaten und Militärbeamte standen genau wie die Beamten des Staates, des Landes und der Gemeinde im öffentlichen Dienst. Zweitens möchte ich darauf hinweisen, daß die Methode der Entnazifizierung in den verschiedenen Zonen des Westens verschieden durchgeführt worden ist. Dort haben sich im Zug der Entnazifizierung so widerspruchsvolle11) Zustände entwik10) 11)

Das Angestelltenversicherungsgesetz vom 28. Mai 1924; RGBl. I, S. 563. Statt „widerspruchsvolle“ im stenograph. Wortprot., S. 12: „wundervolle“.

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kelt, daß man die Dinge nicht ohne weiteres unter einen Hut bringen kann. Hier ist darauf hingewiesen worden, daß die Stadt Köln einen zweiten Kämmerer hat, der heute entnazifiziert ist und seine alten Rechte wieder geltend macht. Ich bin aus Essen, wir haben in Essen einen alten Oberbürgermeister, der ist auch vor einigen Wochen „entbräunt“ worden und kann jeden Tag wieder mit dem Antrag auftauchen entweder auf Zahlung seiner Pension oder auf Wiedereinstellung als Oberbürgermeister. Da kommen wir bei uns in der britischen Zone in eine doppelte Verlegenheit, weil wir den alten Oberbürgermeister rheinischen Stils gar nicht mehr haben, sondern nur noch den politischen Oberbürgermeister. Wir müßten ihn dann zum Oberstadtdirektor machen, um ungefähr seiner alten Position gerecht zu werden. Aber der Rechtsanspruch des Mannes ist unstreitig da; denn bei uns in der britischen Zone ist im Gegensatz zu der Urteilsfällung im Entnazifizierungsverfahren in der amerikanischen Zone ausdrücklich das Recht entnazifizierter Beamter auf Wiedereinstellung anerkannt, wir müssen sie also wiedereinstellen. Nun das Problem der Vertriebenen. Ich möchte mich nicht über die Formulierung „Vertriebene“ äußern, sonst könnte ich vielleicht darauf hinweisen, daß das ein gewisser Affront gegen die vier Besatzungsmächte ist; denn letzten Endes sind sie alle für den Beschluß verantwortlich, auf Grund dessen aus gewissen Teilen Deutschlands Beamte vertrieben worden sind. Man sollte also, da man sonst immer so weitgehende Rücksicht auf die Mentalität der westlichen Besatzungsmächte nimmt, auch den Begriff Vertriebene [S. 496] aus der Fassung herauslassen. Aber mich interessiert eine andere Seite der sogenannten vertriebenen Personen, das ist die Tatsache, daß bei ihnen eine Überprüfung ihrer politischen Vergangenheit in den allermeisten Fällen absolut unmöglich ist. Was sich in dem Personenkreis der sogenannten vertriebenen Beamten an Naziaktivisten herumtreibt, dafür erlebt man gelegentlich geradezu erstaunliche Beispiele. Wenn Herr Menzel aus seiner Erfahrung in unserem Land Nordrhein-Westfalen einmal darüber sprechen wollte, könnte er zum Beispiel einen Mann aufzeigen, der es sogar fertiggebracht hat, sich für tot erklären zu lassen, als Toterklärter seine ehemalige Gattin wieder zu heiraten und dann bei uns im Land Nordrhein-Westfalen als ausgemachter Naziaktivist in der Regierung wieder Anstellung zu finden. Wenn der Mann nicht in der Regierung bei uns krumme Dinger gedreht hätte, säße er heute noch unter seinem angenommenen Namen in Amt und Würden, und niemals hätten wir Gelegenheit gefunden, ihn nach der Seite einmal unter die Lupe zu nehmen. Solange also für die wirkliche politische Überprüfung dieser Beamten keine Sicherungen gegeben sind, ist gerade gegenüber diesem Personenkreis außerordentliche Vorsicht am Platze. Dann noch eine andere Seite der Geschichte. Der Berufsbeamte ist in der Erscheinungen Flucht (sic!) sozusagen der einzige ruhende Punkt. Seine Funktion, seine Rechtsansprüche stehen da ehern wie Erz, er überdauert ein System nach dem andern, stabil bleibt immer sein Rechtsanspruch auf Pension, auf Zahlung des Gehalts. Das Volk, das in sehr vielen Fällen Opfer der Amtshandlungen dieser Berufsbeamten geworden ist, die doch in der Naziperiode treueste Stützen des Naziregimes gewesen sind, die zum Teil die Verkörperung der faschistischen Diktatur waren, hat auf Grund der Politik des nationalsozialistischen Regimes, deren Träger in der Hauptsache auch diese Berufsbeamten waren, so viel an Not und Elend hin-

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nehmen müssen, daß man heute von einer Riesennot unseres Volkes reden kann. An die Beseitigung dieser Not können wir einfach nicht denken, weil dafür alle Mittel fehlen. Aber der Beamte ist da. Sein Rechtsanspruch wird von den Kreisen, die an der Erhaltung eines derartigen willfährigen Beamtentums, soll heißen eines derartigen willfährigen reaktionären Beamtentums, gegen den Fortschritt, gegen die demokratische Entwicklung einsetzbaren und verwendbaren Beamtentums ein Interesse haben, mit eiserner Entschiedenheit verteidigt, ohne zu fragen, woher unser armes Volk heute die Mittel nehmen soll, um derartigen Ansprüchen gerecht werden zu können. Wenn ich auf die Tatsache hinweise, daß die Pensionslasten in dem Haushalt der Gemeinde eines Landes normalerweise mehr als ein Viertel des gesamten Personalhaushalts ausmachen, dann frage ich, woher wollen wir denn die Mittel nehmen, um den nicht reduzierten Pensionsansprüchen dieses Personenkreises gerecht zu werden? Ich bin der Meinung, wer die Not unseres Volkes in ihrer Gesamtheit sieht, muß ihr auch in der Form Rechnung tragen, daß er für keinen Teil dieses Volkes Privilegien, Sonderrechte anerkennt. Das Opfer, das der Bürger wegen der Nazipolitik tragen muß, soll auch der Beamte tragen und muß es tragen. Wenn er Glied dieses neuen Staates ist, dann ist ihm auch zumutbar, daß er dieses Opfer im Interesse des gesamten Volkes trägt. Ich will damit sagen, der Beamte, der sich der Not des gesamten deutschen Volkes bewußt wird, vor allen Dingen der Beamte, der als ehemaliger Nazi sich seines Schuldanteils an dieser Not bewußt wird, müßte auch damit einverstanden sein, daß ihm zum mindesten gewisse Kürzungen seiner Pensionsansprüche zugemutet werden, und diese Kürzungen seiner Pension hinnehmen. Wie anders wollen wir sonst das Problem der Aufbringung dieser ungeheuren Lasten im kommenden Staat überhaupt lösen? Zinn (SPD): Ich will noch einmal darauf hinweisen, daß die Fassung, wie sie jetzt der Organisationsausschuß vorgelegt hat, keinen unmittelbaren Eingriff in das seither geltende Recht darstellt, sondern lediglich eine Anweisung an den Gesetzgeber, die Rechtsverhältnisse der Personen, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienst standen – darunter fällt auch die Wehrmacht, denn das war öffentlicher Dienst, sogar die Waffen-SS –, bundesgesetzlich zu regeln. Aber das Entscheidende, nämlich die Verwaltung davor zu schützen, daß sie den alten Apparat beschäftigen muß, wird nicht erreicht. Infolgedessen kann, wie es bereits in der britischen Zone geschehen ist, durch Urteile der Verwaltungsgerichte auf die Klage eines nicht mehr tätigen ausgeschiedenen Beamten festgestellt werden, daß das alte Beamtenverhältnis auf Grund des früheren Rechts noch fortbesteht und daß der Beamte einen Anspruch auf Wiedereinstellung hat. Das heißt, die Länder müssen unter Umständen alle früheren Beamten wieder beschäftigen. Das ist verwaltungstechnisch unmöglich, weil die Länder gar nicht mehr den gleichen Aufgabenkreis wie früher haben, so daß sie den alten Personalapparat gar nicht mehr gebrauchen können. Das alles hat aber mit der Frage der vermögensrechtlichen Sicherung etwa erworbener oder billigerweise anzuerkennender Ansprüche nicht das geringste zu tun. Worauf es ankommt, ist, hier festzulegen, daß keiner einen Anspruch auf Wiedereinstellung hat. Das erreichen Sie nicht mit dieser Vorschrift. Deshalb muß sie geändert werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe den Eindruck, daß hier vielleicht zu eng ausge-

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legt wird; denn es heißt „Die Rechtsverhältnisse von Personen“. Zu diesen Rechtsverhältnissen gehört auch ein eventuelles Recht auf das Amt. Zinn (SPD): Gewiß kann dieses Recht durch das neue Bundesgesetz wieder aberkannt werden; aber bis dahin müssen nach der sich entwickelnden Rechtsprechung die Beamten beschäftigt werden. Es ist schließlich etwas Ungewöhnliches, einmal durch ein gerichtliches Urteil zuerkannte Ansprüche nachträglich durch ein Gesetz wieder zu nehmen. Man wird also bei denen, die auf Grund einer erfolgreichen Klage jetzt wieder ins Amt kommen, im Zweifel dieses Recht nicht wieder beseitigen und sie nicht wieder entlassen. Im Interesse des Schutzes der Verwaltung muß daher die Wiedereinstellung meines Erachtens schon jetzt verhindert oder ausgeschlossen werden. Dr. Menzel (SPD): Jene Beamtengruppen, die von den Herren Kollegen Zinn und Renner angeführt worden sind, würden nach den Erhebungen, die ich habe anstellen lassen, wenn ihre Ansprüche als gerechtfertigt angesehen werden, allein für das Land Nordrhein-Westfalen 70 bis 90 Millionen DM jährlich erfordern. Man würde wahrscheinlich in Nordrhein-Westfalen die gesamte jetzige Polizei entlassen und die früher im SD und unter Himmler eingestellte Polizei wieder in die Polizei übernehmen müssen, wenn wir den Leuten den Rechtsanspruch auf ein aktives Amt belassen würden. Was das innenpolitisch und finanzpolitisch bedeutet, das scheint man sich zum Teil noch gar nicht klargemacht zu haben. Wir müssen also gerade aus diesem Grunde von Bundes wegen, wenn wir die rechtsstaatlichen Grundlagen des Bundes und der Länder garantieren wollen, hier eingreifen. Nun sagt Herr Kollege Seebohm, die Sache sei heute entscheidungsreif. Praktisch ist es hinsichtlich dieses Artikels die erste Lesung; denn in der ersten Lesung war ein in gleicher Richtung liegender Artikel nicht vorhanden. Erst der Redaktionsausschuß hat diesen Mangel entdeckt und eine Formulierung dafür vorgeschlagen. Daraufhin ist heute vom Organisationsausschuß eine andere Formulierung gewählt worden. Es ist also praktisch die erste Lesung, so daß wir hier nicht erklären können: weil im Organisationsausschuß ein Beschluß gefaßt worden ist, brauchen wir nicht weiter darüber zu diskutieren. Dann könnten wir in andern Fällen auch diese Beschlüsse ohne weiteres übernehmen. Da nun ein Sachverständiger hier von einer Seite benannt und durch das Entgegenkommen des Hauptausschusses auch vernommen worden ist, entspricht es wohl Billigkeitsgrundsätzen, auch den [S. 497] anderen, die heute gar nicht auf dieses Thema vorbereitet sind, die Möglichkeit zu geben, sich die Dinge zu überlegen und einen anderen Sachverständigen zu benennen. Das ist bisher doch immer üblich gewesen. Aber Herr Kollege Katz hat soeben die Zurückverweisung an den Organisationsausschuß angeregt. Ich nehme diesen Antrag auf und ziehe meinen Antrag auf Vertagung zurück. Ich werde dann im Organisationsausschuß bitten, dort den Sachverständigen Ministerialdirektor Dr. Schmidt zu hören. Brockmann (Z): Ich gehöre nicht zu den Beamten, die den Eid auf Hitler abgelegt haben. Aber ich meine, in der summarischen Weise, wie das zum Teil hier geschehen ist, kann man doch nicht die Beamten aburteilen, soweit ihr Verhältnis zum Nazistaat in Frage kommt. Ich habe das Bedürfnis, das zu sagen: Ich bitte zu berücksichtigen, daß die allermeisten Beamten auf einen unerhörten Druck hin im allgemeinen erst 1937 in die Partei eingetreten sind.

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(Renner [KPD]: Das stimmt leider nicht, die meisten sind 1933 eingetreten!) – Das kann man nun nicht sagen. Ich erkläre also noch einmal: Ich bin 1933 sofort aus dem Amt herausgeflogen, ich habe den Eid auf Hitler nicht abgelegt, habe ihn auch nicht abzulegen brauchen; aber es läßt sich nicht leugnen – das ist eine Tatsache –, daß sehr, sehr viele Beamte unter den größten persönlichen Opfern und inneren Widerständen sich gegen die Vergewaltigung politischer Art, die ihnen ununterbrochen angetan worden ist, gesträubt haben. Das einmal hier auszusprechen, ist mir ein Bedürfnis. (Dr. Menzel [SPD]: Hier geht es um ganz andere Beamtengruppen!) – Nein, in keiner Weise. Ich möchte mich mit dieser Feststellung nur ganz allgemein in die Diskussion einschalten. Wir haben hier einmal eine entsprechende Vorlage des Redaktionsausschusses. Dann sind wir in den Organisationsausschuß gegangen, haben uns mit der Materie befaßt und haben im Organisationsausschuß einen Unterausschuß gebildet. Dieser Unterausschuß einschließlich Sachverständigen hat sich mit der Materie befaßt. Wir haben geglaubt, nun sei die Sache spruchreif. Sie kommt vor den Hauptausschuß, und jetzt müssen wir sie leider Gottes wieder zurückverweisen. Ich will nur die Frage aufwerfen, ob wir mit dieser Methode auf die Dauer weiterkommen können, ob wir dann nicht erst zu einer generellen Besprechung im Hauptausschuß kommen müssen, damit wir das, was im Hauptausschuß an Ansichten hervorgetreten ist, mit in den Organisationsausschuß hineinnehmen und dort zu etwas Ganzem verarbeiten können, das hier sehr schnell verabschiedet werden kann. Mit der Methode, wie sie bisher gepflogen worden ist, kommen wir nach meiner Ansicht in diesen Dingen nicht weiter. Dr. Katz (SPD): Die Zurückverweisung ist notwendig. Herr Kollege Brockmann übersieht, daß es sich hier nur um einen Ausnahmefall handelt. Dieser Artikel ist durch den Redaktionsausschuß neu hineingebracht worden. Der Redaktionsausschuß war leider heute morgen bei der Beratung des Organisationsausschusses nicht dabei. Es handelt sich im Grunde um zwei Bestimmungen. Die erste Bestimmung haben wir gestrichen, weil wir sie für überflüssig gehalten haben. Herr Kollege Zinn hat nun ausführlich dargetan, daß sie in keiner Weise überflüssig ist, sondern auf Grund der ergangenen Urteile, die die Wiedereinstellung befohlen haben, leider wieder aufgenommen werden muß. Dieser Tatbestand war uns im Organisationsausschuß heute morgen unbekannt. Darum ist eine Zurückverweisung an den Organisationsausschuß notwendig. Ich glaube, wenn Herr Kollege Zinn oder ein anderer Herr vom Redaktionsausschuß dagewesen wäre und die Sachlage hinreichend dargestellt hätte, wären wir vielleicht zu einem anderen Ergebnis gekommen. Dr. Becker (FDP): Ich schlage vor, daß die Herren, die sich gemeldet haben und die zu diesem Artikel etwas Grundsätzliches zu sagen haben noch zu Wort kommen. Wir ersparen uns dann für später die Debatte und können deren Ausführungen im Organisationsausschuß mit verwenden und dort die Dinge vielleicht abkürzen. Dr. Lehr (CDU): Ich würde es sehr bedauern, wenn eine zweitägige Arbeit nun wieder vergeblich ist, ohne daß ein wirklich zwingender Grund vorliegt. Der Organisationsausschuß ist sich über diese Verabschiedung einstimmig schlüssig geworden. Was hat es denn für einen Zweck, wenn wir zwei Tage miteinander beraten und zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen und hier der Einspruch eines einzelnen genügt, um die ganze Sache wieder umzuwerfen?

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Ich darf auch noch sagen, die Anwesenheit des Herrn Ministerialdirektors Ringelmann war eine rein zufällige. Seine große Sachkenntnis hat nur zur beschleunigten Findung dieser Vorschläge gedient. Es war zunächst gar nicht vorgesehen, einen Sachverständigen zu zitieren. Ich habe einleitend gesagt, daß wir eine sehr sachliche, eine überparteiliche Arbeit geleistet haben. Was wir jetzt tun, ist genau das Gegenteil. Ich will gar nicht auf die Ausführungen des Herrn Renner eingehen. Ich weiß sehr gut, warum die Kommunisten entschiedene Gegner des Berufsbeamtentums sind und warum sie es in ihrem Bezirk ausrotten wollen. Wenn Sie die einzelnen Artikel einmal durchsehen, so wird im ersten Artikel nur gesagt, daß ein Bundesgesetz die Rechtsverhältnisse regeln soll. Es wird also gar nicht über vermögensrechtliche Ansprüche entschieden. Herr Dr. Menzel braucht gar nicht drohend die 70 Millionen bis 90 Millionen DM Kosten auffahren zu lassen; denn sie werden von uns hier gar nicht beantragt, sondern es wird lediglich gesagt, daß für gewisse Personengruppen durch ein Bundesgesetz später entschieden werden soll. Die nächsten beiden Artikel bestimmen gerade, daß bestimmte Beamte und Richter unter besonderen Bedingungen in den Ruhestand versetzt werden sollen. Ebenso wird bei in unkündbarem Arbeitsverhältnis stehenden Angestellten ausdrücklich gesagt, daß diesen entsprechend gekündigt werden kann und daß sie in den Ruhestand versetzt werden können. Es ist also keine Erschwerung und keine Belastung, sondern eine Erleichterung der Angelegenheit. Diese paar Vorschriften sind so übersichtlich und so einfach, daß ein so erfahrener Beamtenrechtler wie Herr Dr. Menzel sie sofort in ihrer ganzen Tragweite übersehen kann. Ganz entschieden möchte ich widersprechen, Herrn Dr. Schmidt als Sachverständigen hinzuzuziehen. Er begegnet auf unserer Seite auf Grund seiner Tätigkeit in Nordrhein-Westfalen der allerschärfsten Ablehnung und des größten Mißtrauens. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Man muß sich darüber klar sein, was der Art. 143c-1 bedeutet. Es ist doch die Rede von Rechtsverhältnissen von Personen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis gestanden haben. Insofern bezieht sich die Bestimmung auf Beamte und Angestellte, aber auch auf Offiziere und Militärbeamte. Das kann alles gar keinem Zweifel unterliegen. Aber die völlig ungeklärten Rechtsverhältnisse aller dieser Personen verlangen unter allen Umständen eine gesetzliche Regelung, mag der Inhalt dieser Regelung ausfallen, wie er will. Es ist in diesem Artikel nichts anderes bestimmt, als daß der Bund das Recht und den Auftrag erhält, diese Regelung herbeizuführen. Ich glaube, es kann auch keinem Zweifel unterliegen, daß ebenso die Frage, inwieweit diesen Personen ein Wiedereinstellungsanspruch zusteht, durch das kommende Gesetz geregelt werden soll und daß diese Bestimmung an sich unter keinen Umständen einen solchen Wiedereinstellungsanspruch gewährleistet. Die Bedenken, die Herr Kollege Zinn geäußert hat, beziehen sich meiner Meinung nach auf folgendes. Er rechnet damit – und damit könnte man rechnen –, daß dieses Gesetz nicht von heute auf morgen, sondern vielleicht nach ein oder zwei Jahren [S. 498] verabschiedet wird und daß in der Zwischenzeit auf Grund der heute völlig ungeklärten Verhältnisse Wiedereinstellungsansprüche geltend gemacht und bei den Gerichten durchgesetzt werden. Diese Befürchtung könnte man vielleicht – ich will das nur anregen – dadurch ausschließen, daß man sagt, daß bis

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zum Erlaß dieses Gesetzes Rechtsansprüche nicht geltend gemacht werden können. Ich möchte vorschlagen, das hinzufügen. (Zinn [SPD]: Einverstanden.) MinDir. Dr. Ringelmann: Es ist von Herrn Minister Zinn meines Erachtens mit Recht geltend gemacht worden, die Beschränkung des Ausscheidens auf andere als beamtenrechtliche Gründe könnte zu der Meinung führen, daß Angestellte nicht unter diese Bestimmung fallen. Für diesen Fall möchte ich zur Ausräumung von Zweifeln vorschlagen, einzusetzen: „aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen“. Dann wären wohl diese Zweifel behoben. Im übrigen scheint mir auch der Gedanke, den zum Schluß Herr Minister Dr. Höpker Aschoff geäußert hat, großer Beachtung wert zu sein. Dieser Gedanke hat allerdings für die amerikanische Zone keine Bedeutung, weil im Befreiungsgesetz für die amerikanische Zone bereits hinsichtlich der entnazifizierten Beamten die Bestimmung getroffen ist, daß aus der Entnazifizierung kein Anspruch auf Wiedereinstellung abgeleitet werden kann. Es kommt zweitens hinzu, daß für die Militärpersonen bis auf weiteres das Kontrollratsgesetz Nr. 3412) gilt. Die Militärpersonen haben durch das Kontrollratsgesetz Nr. 34 ihre sämtlichen Ansprüche verloren, die sie aus ihrem Dienstverhältnis hatten. Solange dieses Kontrollratsgesetz gilt – und es wird mindestens gelten, bis das hier vorgesehene Grundgesetz in Kraft tritt –, kann eine Militärperson, ein Militärbeamter keinen Anspruch auf Wiedereinstellung geltend machen. Was endlich die entnazifizierten Beamten anlangt, so darf ich auf die Kontrollratsdirektive Nr. 2413) verweisen, in der für das gesamte Gebiet, das der Gesetzgebung des Kontrollrats unterliegt, ausdrücklich bestimmt ist, daß die durch die Militärregierung entlassenen Beamten ihre Beamtenstellung mit allen daraus bezüglichen Rechten verlieren. Aus den Verhandlungen mit der Militärregierung in Bayern kann ich erklären, daß unter diesen Rechten die Beamtenrechte schlechthin verstanden sind, daß aber nicht die Ansprüche darunter fallen, die den Beamten aus Unterlassung der Versicherung zur Angestelltenversicherung erwachsen sind. Denn in einer Beziehung muß eine Gleichstellung erfolgen. Der Beamte darf nämlich nicht deshalb, weil er in einem Beamtenverhältnis gewesen ist, in der Gewinnung einer neuen Lebensgrundlage schlechter gestellt sein als derjenige, der nicht Beamter gewesen ist, im freien Beruf oder auch im Abhängigkeitsverhältnis gestanden und der Sozialversicherung unterlegen hat. Für denjenigen, der der Sozialversicherung angehört hat und nunmehr ausgeschieden ist, ist ein gewisser Rückhalt durch die Sozialversicherung gegeben; für den anderen ist dieser Rückhalt nicht gegeben. Zum Ausgleich dieses Mangels bestimmt der § 18 des Angestelltenversicherungsgesetzes; daß die beitragsfreie Zeit nachzuversichern ist. Dieser Anspruch ist auf keinen Fall durch die Kontrollratsdirektive Nr. 24 beseitigt. Nun stehen zu12)

Für den Wortlaut des Gesetzes Nr. 34 vom 27. Aug. 1946 betr. Auflösung der Wehrmacht vgl. Amtsblatt des französischen Oberkommandos in Deutschland, Jg. 1, 1946, Nr. 34, S. 287. 13) Für den Wortlaut der Direktive Nr. 24 vom 1. Juli 1946 betr. Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen vgl. Amtsblatt des französischen Oberkommandos in Deutschland Jg. 1 (1946), Nr. 28, S. 228.

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nächst die Länder vor der Tatsache, daß insbesondere für jene Beamten, die die Altersgrenze erreicht haben oder die nicht mehr dienstfähig sind, die Angestelltenversicherungsbeiträge, die bei dem einzelnen in die vielen Tausende und bei der Gesamtheit in die Millionen gehen, nachgefordert werden, damit der Betreffende, wenn er völlig dienstunfähig ist oder die Altersgrenze überschritten hat, wenigstens in den Genuß einer Versorgung gelangt, die nicht schlechter ist, als er sie gehabt hätte, wenn er in einem angestellten- oder invalidenversicherungspflichtigen Verhältnis beschäftigt gewesen wäre. Diese Konsequenzen müssen heute die Landesregierungen ziehen und müssen im Wege der Landesgesetzgebung bzw. der Verordnung, soweit, wie in Bayern, gesetzliche Grundlagen bereits vorliegen, eine Abhilfe schaffen. Wenn nichts geschieht, wird der Zustand weiter bleiben, daß landesrechtliche Normen verschiedenster Art geschaffen werden und keinerlei Gleichheit eintritt. Auf der anderen Seite will ich durchaus nicht verkennen, daß zu den Rechten des Beamten auch das Recht auf Verwendung gehört. Ich bin mit dem Vorschlag des Herrn Ministers Dr. Höpker Aschoff, gewissermaßen eine Sperre für die Zeit bis zum Erlaß dieses Gesetzes einzuführen, völlig einverstanden, möchte aber einen Zweifel nicht unterdrücken. Wir haben einzelne Fälle, in denen wir dem Beamten auch ein Recht auf Wiedereinstellung zugebilligt haben. Das sind diejenigen Beamten, die zwar entlassen worden sind, bei denen sich aber im Denazifzierungsverfahren herausgestellt hat, daß sie völlig unbelastet sind. Wenn Sie nun eine allgemeine Sperre verfügen, das heißt, wenn die Fassung so lautet, daß er kein Recht auf Wiedereinstellung hat, bleibt es im Einzelfall der Entscheidung der Verwaltung überlassen, ob sie den Beamten wieder einstellt. Es darf nur nicht so sein, daß der Verwaltung damit verboten wird, den Beamten wiedereinzustellen. (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Das ist in dem Antrag nicht gesagt.) Wird eine solche Fassung gewählt, bestehen, glaube ich, keine Bedenken gegen diese Bestimmungen. Mit der Einschaltung „tarifrechtliche Verhältnisse“ wären alle Kategorien getroffen. Das Kontrollratsgesetz bezüglich der Wehrmachtangehörigen besteht weiter. Die Kontrollratsdirektive bezüglich der entnazifizierten Beamten, soweit sie entlassen waren, besteht gleichfalls weiter. Infolgedessen bestehen nach meiner Meinung keinerlei Befürchtungen, es sei denn die Befürchtung für die britische Zone, daß ein Anspruch auf Wiedereinstellung geltend gemacht wird. Einen solchen Anspruch schneiden Sie aber durch einen derartigen Zusatz ab, wie er von meinem Herrn Vorredner beantragt worden ist. Dr. Menzel (SPD): Wir würden dem Zusatzantrag des Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff zustimmen und damit unsere Vertagungs- und Zurückverweisungsanträge zunächst fallenlassen, bitten uns aber für die dritte Lesung vorbehalten zu dürfen, noch etwas zu ändern. Der Hinweis des Herrn Kollegen Lehr auf die Person des von mir vorgeschlagenen Herrn Ministerialdirektors Dr. Schmidt verpflichtet mich zu einer kurzen Klarstellung und bringt mich leider in die Verlegenheit, zu erklären, daß wir von unserer Seite aus gegen den heute vernommenen Herrn Sachverständigen auch ein außerordentlich großes Mißtrauen haben, zumal wir nicht wissen, ob er als Ministerialdirektor im Finanzministerium die erforderlichen Sachkenntnisse hat wie ein Leiter der Beamtenabteilung des Innenministeriums.

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(MinDir. Dr. Ringelmann: Ich bin Leiter der Beamtenabteilung.) Immerhin war das angebliche Mißtrauen gegenüber Herrn Dr. Schmidt in Nordrhein-Westfalen nur so, daß er einstimmig von der Regierung vom Ministerialdirigenten zum Ministerialdirektor befördert worden ist. Zinn (SPD): Der Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff trägt im wesentlichen meinen Bedenken Rechnung. Mit diesem Vorschlag könnte man das erreichen, was der Redaktionsausschuß durch die von ihm vorgeschlagene Fassung erreichen wollte. Allerdings sind zwei Einschränkungen notwendig. Einmal muß im Interesse der Beamten bis dahin das in Kraft bleiben, was landesgesetzlich geregelt ist. Soweit Länder bisher übergangsweise bereits eine Regelung getroffen haben, muß sie aufrechterhalten werden. Zweitens muß verhindert werden, daß jetzt für die Zwischenzeit etwa Ansprüche gegen den Staat oder die Gemeinden auf Grund des Angestelltenversicherungsgesetzes geltend gemacht werden. Sonst könnten in [S. 499] der amerikanischen Zone im Falle eines Ausscheidens die Gemeinden, aber auch der Staat gezwungen werden, diese Nachzahlungen, die in die Tausende gehen, wie Herr Ministerialdirektor Dr. Ringelmann mit Recht gesagt hat, zu leisten, ohne daß sie später, wenn die bundesgesetzliche Regelung erfolgt, einen Rückforderungsanspruch haben. Diese beiden Gesichtspunkte müssen berücksichtigt werden. Ich glaube, man kann eine Fassung ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen finden, wenn auch nicht im Augenblick. Am Dienstagmorgen wird es aber wahrscheinlich sehr schnell gehen. Ich würde deshalb beantragen, die Sache bis Dienstag oder Mittwoch zu vertagen. In der Zwischenzeit kann die neue Fassung formuliert werden. Dr. Mücke (SPD): Die Sperre, die hier angeregt worden ist, kann doch nur in bezug auf die Beamten eingeführt werden, die politisch belastet sind. Die Sperre würde aber eine ungerechtfertigte Zurücksetzung beispielsweise der verdrängten Beamten bedeuten, die unbelastet sind. Sie kann also schon aus diesem Grunde nicht generell eingeführt werden. Ich will nicht unerwidert lassen, was der Herr Abgeordnete Renner in bezug auf die vertriebenen Beamten gesagt hat. Seine Ausführungen könnten den Eindruck erwecken, als ob die Vertriebenen allgemein besonders große Naziaktivisten gewesen sind. Das ist durchaus nicht der Fall. Ich möchte nur anführen, daß es beispielsweise in Schlesien, sowohl im oberschlesischen wie im niederschlesischen Provinziallandtag, bis 1933 keine nationalsozialistische Fraktionen gegeben hat und daß beispielsweise Oberschlesien im März 1933 mit 60 gegen Hitler gestimmt hat. Solche Argumentationen, wie sie Herr Renner gebracht hat, kommen meistens aus den Kreisen der Besitzenden, die den Flüchtlingen nichts abgeben wollen. Um so mehr wundert es mich, daß eine solche Argumentation ausgerechnet aus dem Mund des Abgeordneten Renner kommt. Die Flüchtlinge sind eine Minderheit. Es ist immer so; so ist es auch zum Antisemitismus gekommen: Die jüdische Gruppe im deutschen Volk war eine Minderheit, und man war es gewohnt, immer auf die schwarzen Schafe in dieser Minderheit zu sehen. So ist es im größeren Maße heute bei den Flüchtlingen der Fall. Die Flüchtlinge selbst haben durchaus ein Interesse daran, daß gerade diejenigen, die die Not und die Umstände ausnutzen und daraus Vorteile ziehen – und das sind meistens Naziaktivisten – ausgemerzt werden.

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Renner (KPD): Ich habe erstens nicht generell erklärt, daß alle „ostvertriebenen“ Beamten, wie Sie sie nennen, Naziaktivisten waren. Ich habe nur auf die Tatsache hingewiesen, die niemand, der die Sache von innen her gesehen hat, bestreiten kann, daß in diesem Kreis Personen sind, die dank der Umstände in einer außerordentlich bequemen Lage sind, ihre politische Vergangenheit zu verhüllen, und die es deshalb leichter als Beamte bei uns im Lande fertigbringen, diese Vergangenheit zu verschleiern und wieder in Funktion zu kommen. Ich habe ein Beispiel genannt und Herrn Dr. Menzel gebeten, aus der Fülle seines Materials hier einige Beispiele allein aus der Regierung von Nordrhein-Westfalen bekanntzugeben. Er könnte nämlich, wenn er wollte, Hunderte solcher Beispiele geben. Aber ist Ihnen nicht ein gewisser Lukaschek14) geläufig, war er nicht auch Beamter? Dr. Mücke (SPD): Er war bis 1933 Oberpräsident in Oberschlesien, er ist Opfer des Faschismus. Renner (KPD): Wozu gibt er sich heute her? Er ist einer der Haupthetzer, den die CDU/CSU in der Frage Ostkomplex einsetzt. Also vorsichtig mit solchen Formulierungen! Nun zum Herrn Brockmann. Herr Kollege Brockmann, ich hatte in der größten Stadt von Nordrhein-Westfalen Gelegenheit, mich genauestens des Eintrittsdatums der Beamten in die NSDAP zu versichern. In Essen sind 60% der rund 90% aller Beamten, die Mitglieder der Nazis waren, der Gruppe der sogenannten Märzgefallenen15) und der Maihasen16) zuzuzählen, also der Gruppe, die 1933 gar nicht schnell genug den Anschluß an die NSDAP vollziehen konnte. Daß man da von einem besonders gesteigerten Druck reden konnte, das ist mir neu. (Brockmann [Z]: Natürlich, das haben Sie ja gegen Ihren Oberbürgermeister jetzt geltend gemacht!) Der Druck hat viel später eingesetzt. Die Leute, die 1937/38 in die Partei eingetreten sind, die gegen ihren Eintritt einige Jahre Widerstand geleistet haben, können 14)

Hans Lukaschek (1885–1960), 1910 Dr. iur., 1914 Staatsexamen, 1914 Assessor beim Magistrat von Breslau, 1916–1919 Bürgermeister von Rybnik (Oberschlesien), 1919– 1921 Leiter des Schlesischen Ausschusses, der sich für den Verbleib des gesamten Oberschlesiens beim Deutschen Reich einsetzte, 1922–1927 Mitglied der Gemischten Kommission für Oberschlesien in Kattowitz, deren Aufgabe die Milderung der zwischenstaatlichen Probleme und der Schutz der jeweiligen Minderheiten war, 1927–1929 Oberbürgermeister von Hindenburg, 1929–1933 Oberpräsidenten der preußischen Provinz Oberschlesien und Regierungspräsidenten von Oppeln, 1933–1944 Rechtsanwalt in Breslau, nach dem 20. Juli 1944 verhaftet, April 1945 vom Volksgerichtshof freigesprochen, 1945 Mitbegründer der CDU in Thüringen, 1945–1946 Dritter Vizepräsident des Landes Thüringen, zuständig für Landwirtschaft, verließ 1947 die SBZ, 1947–1948 Amtsgerichtsrat in Königstein im Taunus, 1948–1949 Vizepräsident des Obergerichts der Bizone in Köln, 1949–1953 Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen, 1949–1960 Vizepräsident des Deutschen Caritasverbandes. 15) Spöttische Bezeichnung für diejenigen, die nach dem Reichstagswahlen am 5. März 1933 in die NSDAP eingetreten sind. Ursprünglich Bezeichnung für die 190 Toten, die bei Beginn der Märzrevolution am 18./19. März 1848 in Berlin im Barrikadenkampf gegen preußische Truppen unter General Prittwitz ums leben kamen. 16) Bezeichnung in Anlehnung an den Begriff „Märzgefallene“ für jene, die erst ab dem 10. Mai 1939 Mitglied der NSDAP wurden, nach dem die Aufnahmesperre vom 19. April 1933 gelockert wurde.

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allenfalls für sich geltend machen, daß sie einem gewissen Druck nachgegeben haben. Aber zu einer anderen Frage. Das Problem der Versorgung gerade der vertriebenen Beamten ist doch in den Ländern größtenteils in Form von Übergangsvorschriften bereits mehr oder weniger wohltuend gelöst. (Dr. Mücke [SPD]: 60 Mark im Monat!) – Dann müssen Sie dafür sorgen, daß in Ihrem Land etwas mehr geschieht. Die Regelung in Nordrhein-Westfalen ist eine durchaus anständige Regelung, da liegen die Sätze mindestens über dem doppelten Wohlfahrtsrichtsatz. Ein anderes Problem ist der Hinweis auf das Kontrollratsgesetz Nr. 64 betreffend Militärbeamte17). Schön, das ist so lange in Kraft, bis eventuell der neue Bund Gelegenheit bekommt, ein eigenes Gesetz zu dieser Materie zu schaffen. Aber ich verweise auf die Bestrebungen auch im Land Nordrhein-Westfalen, diesem Personenkreis vorweg eine Versorgung in Gestalt einer Pensionierung zu geben, und ich verweise auf den eigenartigen Widerspruch zwischen derartigen Bestrebungen und der Nonchalance, der Gleichgültigkeit mit der man etwa das Problem der Opfer des Krieges, der Kriegsbeschädigten, der Kriegerwitwen, der Kriegerwaisen und Kriegereltern behandelt. Dann noch eine dritte Sache. Dieser Vorschlag, nun eine gewisse Sperre in der Form einsetzen zu lassen, daß bis zur Schaffung des neuen Gesetzes die Beamten keinen Anspruch auf Wiedereinstellung geltend machen können, käme zum mindesten in der britischen Zone berechtigten Bestrebungen entgegen. Ich könnte mich auch für eine derartige Zwischenlösung aussprechen. Aber ich erinnere an das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, an die Methoden, mit denen die Nazis damals ihnen aus politischen Erwägungen unliebsam gewordene Beamte entfernt haben. Die sind mit den „wohlerworbenen Rechten“ der Beamten sehr großzügig umgesprungen. Ich will nicht die Forderung erheben, daß wir uns genau so verhalten sollen, aber ich möchte auf eine Tatsache hinweisen: Wieviel Beamte haben wir heute besonders in den Gemeinden sitzen, die 1933 nach Hitlers Machtantritt allein auf Grund der Tatsache, daß sie in den SA- und SS-Schlägerund Mordkolonnen hervorragende Dienste geleistet haben, in kleine und kleinste, manchmal auch gehobene Beamtenstellen hineingekommen sind! Da war es nicht notwendig, daß sie den Nachweis ihrer Eignung geführt haben. Sie brauchten den Nachweis in Form von soundsoviel Prüfungen usw. nicht zu führen. Sie wurden allein auf Grund der Tatsache eingestellt, daß die NSDAP sie belohnen wollte. Gerade diese Leute haben wir noch heute in einer Unzahl in den Gemeinden sitzen und müssen ihnen zum Teil Pension zahlen. Wäre es nicht wirklich angebracht, daß man über die Bestimmungen der Entnazifizierung hinaus, die bei uns in der britischen Zone mit so einer gloriosen Leichtfertigkeit gehandhabt worden sind, gerade diesen Personenkreis einmal unter die Lupe nimmt und prüft, ob man diesen Personen einen Rechtsanspruch auf Pension aus den öffentlichen Mitteln der Gemeinde in einem Augenblick geben soll, wo wir in den Gemeinden in einer ungeheuren Finanzkrise stehen und nicht einmal wissen, wie wir unsere primitiv17)

Vermutlich: Gesetz Nr. 34 vom 20. Aug. 1946 bezüglich der Auflösung der Wehrmacht. Vgl. Amtsblatt der Militärregierung Deutschland. Britische Zone Nr. 13 (1946), S. 295.

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sten kulturellen und sozialen Verpflichtungen erfüllen sollen? Ich meine, der Mann, der mit einem Herzen für die Gesamtheit des Volkes an diese Dinge herangeht, kann einfach nicht den Standpunkt vertreten, daß dem Beamtenstand unter allen Umständen die vollen Pensionsansprüche gewahrt bleiben müssen. (Dr. Lehr [CDU]: Das ist ja gar nicht vorgesehen!) [S. 500] – Doch, die sind drin, wenn ich Ihre Gedankengänge durchgehe. Herr Dr. Lehr, Ihre Vertröstung, daß der kommende Bundestag erst das Gesetz schaffen soll, ist für mich keine Vertröstung. Wie der kommende Bundestag politisch zusammengesetzt ist, das weiß ich, Sie wissen es genau so gut. Wenn Sie dann noch Ihre Kautelen im Wahlgesetz anwenden, wenn Sie dafür sorgen, daß jede Opposition gegen Ihren Machtanspruch ausgeschaltet wird, dann haben Sie alles, was Sie wollen, in der Hand. In der kommenden Bundeshauptstadt regiert die CDU, ob das nun Frankfurt oder Bonn ist. Deshalb können Sie beruhigt die Regelung der Frage dem kommenden Bundestag überlassen. Er ist Geist von Ihrem Geist, Herr Dr. Lehr, also der Geist der Reaktion. (Dr. Lehr [CDU]: Das würde mich herzlich freuen!) – Dessen können Sie beruhigt sein. Dr. Lehr (CDU): Ich möchte Ihnen auf Grund des Antrags von Herrn Dr. Höpker Aschoff eine Formulierung vorschlagen, die Sie meiner Ansicht nach ohne weiteres annehmen können, zunächst oben in Art. 143c-1 zu sagen: „aus anderen als beamtenrechtlichen und tarifrechtlichen Gründen“ und am Schluß einen neuen Absatz anzufügen, der folgendermaßen lautet: Bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes kann ein Anspruch auf Wiedereinstellung oder auf Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen nicht geltend gemacht werden, vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung durch die Landesgesetzgebung. Ich darf dazu noch einmal darauf hinweisen, daß alle diese Formulierungen eine außerordentliche Erleichterung für die Regelung der Materie bedeuten; denn wenn Sie in Art. 27b grundsätzlich die Rechte der Berufsbeamten aufrechterhalten haben, so bedürften Sie, wenn hier nichts in den Übergangsbestimmungen gesagt wird; eines verfassungsändernden Gesetzes, während Sie hier die Möglichkeit haben, durch einfaches Bundesgesetz etwa wünschenswerte Änderungen herzustellen. Ich muß noch ein Wort zu der Kritik von Herrn Menzel an dem Herrn Ministerialdirektor Dr. Ringelmann sagen. Es ist Ihnen vielleicht nicht bekannt, daß in Bayern die beamten-, angestellten- und arbeitsrechtlichen Bestimmungen nicht im Innenministerium, sondern im Finanzministerium geregelt werden. Herr Dr. Ringelmann ist Abteilungsleiter der Abteilung für Beamte, Angestellte und Arbeiter und gleichzeitig Vertreter des Ministers. Also ich glaube, wir haben Ihnen jemand präsentiert, der allen Ansprüchen genügt. Ich bitte Sie, die Fassung, die ich vorgeschlagen habe, anzunehmen und heute entsprechend zu formulieren. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Herr Renner hat es soeben für gut befunden, unfreundliche Worte über Herrn Lukaschek zu sagen. Herr Oberpräsident Lukaschek war einer unserer besten Oberpräsidenten in Preußen. Er ist 1933 aus dem Dienst herausgeflogen und hat dann sehr bittere Jahre erlebt. Er wurde nach dem 20. Juli 1944

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verhaftet, weil er in die Widerstandsbewegung verwickelt war, und verdankt sein Leben nur dem Umstand, daß es befreundeter Seite gelang, die Akten vom Volksgerichtshof anzufordern und das Verfahren abzutrennen. Er ist dann in Moabit gefangengehalten worden und von den Russen nachher befreit worden. Dann ist er in Thüringen Vizepräsident der Regierung gewesen, bis er dort von den Kommunisten herausgesetzt wurde. Zur Zeit ist er Richter beim Obergericht in Köln und gleichzeitig ehrenamtlicher Vorsitzender des Verbandes der Flüchtlinge. Diese Tätigkeit gereicht ihm sicherlich nicht zum Vorwurf, sondern höchstens zur Ehre. Dr. Becker (FDP): Ich glaube, die Formulierung vom Herrn Kollegen Lehr ist in einem Punkte zu eng. Wir haben in den Ländern der amerikanischen Zone – ich weiß es bestimmt von Hessen bereits ein Gesetz geschaffen, in dem die Frage der Unterhaltsbezüge für berufsunfähige, für pensionsberechtigte und solche Personen geregelt ist, die später als im Juni 1888 geboren sind. Gleichzeitig ist darin auch die Frage der Nachzahlung für die Angestelltenversicherung geregelt. Ich würde vorschlagen, daß wir einen Zusatz zum Antrag Lehr in dem Sinne machen, daß Ansprüche auf Wiedereinstellung nicht, Ansprüche vermögensrechtlicher Art dagegen geltend gemacht werden können, soweit sie auf dem Wege der Landesgesetzgebung neu geschaffen sind. Ich würde gleichzeitig vorschlagen, daß die Landesregierungen miteinander in Verbindung treten, um Gesetze mit einem ähnlichen Inhalt wie das hessische Gesetz zu erlassen. Renner (KPD): Ich möchte eine persönliche Bemerkung machen. Ich habe von dem Herrn Lukaschek von heute gesprochen und nicht von dem Herrn Lukaschek von gestern. Aber ich bin nach der Anzapfung durch Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff gezwungen, ausgerüstet mit Material über die derzeitige politische Haltung des Herrn Dr. Lukaschek bei nächster Gelegenheit etwas deutlicher zu werden. Ich werde mir diese Gelegenheit bestimmt nicht entgehen lassen. Dr. Seebohm (DP): Ich möchte nur die Bedenken, die der Herr Kollege Mücke bezüglich der vertriebenen Beamten vorgetragen hat, noch unterstreichen. Ich würde Wert darauf legen, zu Protokoll zu nehmen, daß in dem Fall der Vertriebenen, die nicht politisch belastet sind, Ausnahmen möglich sind. Das wird ja durch die Landesgesetzgebung geschehen können, die Herr Kollege Dr. Lehr in seinem Nachsatz angeführt hat. Aber es ist gut, wenn das bei den Motiven in Erscheinung tritt. Dr. Menzel (SPD): Wir würden dem Antrag des Herrn Kollegen Dr. Becker, wenn er noch einmal formuliert werden würde, zustimmen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich bin durch die Einwände, die der Herr Kollege Zinn erhoben hat, etwas unsicher geworden. Ich würde vorschlagen, einfach zu sagen: Bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes können Rechtsansprüche nicht geltend gemacht werden. Ob das aber alle Fälle deckt, vermag ich im Augenblick nicht zu übersehen. Vielleicht kämen wir aber weiter, wenn wir zunächst den Artikel mit diesem Zusatz annehmen und es dann dem Redaktionsausschuß überlassen, der ja doch noch eine allgemeine Nachprüfung vornehmen muß, diesen Satz vielleicht noch etwas feiner zu formulieren. Wir müssen doch irgendwie einmal zu dem nächsten Artikel kommen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es liegen zwei Anträge vor. Ihr Antrag, Herr Dr. Höpker Aschoff: „Bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes können Rechtsansprüche nicht geltend gemacht werden“ geht am weitesten.

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Dr. Lehr (CDU): Ich darf vorschlagen, ergänzend zu sagen: „vorbehaltlich anderweitiger landesrechtlicher Regelung“. Dann ist die Sache in Ordnung. Zinn (SPD): Dann fehlt noch die Sozialversicherungssache. (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Ansprüche überhaupt!) – Es sind nicht Ansprüche aus diesem Rechtsverhältnis, sondern es sind andere Ansprüche. (Dr. Menzel [SPD]: Es sind Ersatzansprüche!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Also: „Bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes können vorbehaltlich anderweitiger landesrechtlicher Regelung Rechtsansprüche nicht geltend gemacht werden.“ (Dr. Lehr [CDU]: Einverstanden!) Dann lasse ich abstimmen, ob dieser Satz dem Artikel hinzugefügt werden soll. – Dieser Satz ist mit 20 Stimmen bei Stimmenthaltung des Abgeordneten Renner angenommen. Dann lasse ich abstimmen, ob es in Zeile 3 heißen soll: „aus anderen als beamtenoder tarifrechtlichen Gründen“. – Der Zusatz ist einstimmig angenommen. [S. 501] Dr. Seebohm (DP): Es müßte dies dann wohl in der vorletzten Zeile ebenfalls geändert werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja, es muß auch dort heißen: „aus anderen als beamtenoder tarifrechtlichen Gründen“. Ich brauche wohl darüber nicht abstimmen zu lassen, es ist eine rein redaktionelle Frage. Dann lasse ich über den gesamten Art. 143c-1 abstimmen. – Der Artikel ist bei Stimmenthaltung des Abgeordneten Renner angenommen.

[1.2. ART. 143c-2: ZWANGSPENSIONIERUNGEN UND ENTLASSUNGEN VON BEAMTEN UND RICHTERN]

Art. 143c-2 (1) Beamte und Richter, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Grundgesetzes auf Lebenszeit angestellt sind und die persönlichen und fachlichen Voraussetzungen ihres Amtes nicht erfüllen, können bis zum 1. Januar 1950 auch vor Erreichung einer gesetzlich vorgeschriebenen Altersgrenze in den Ruhestand versetzt werden. Auf in einem unkündbaren Arbeitsverhältnis stehende Angestellte findet diese Vorschrift entsprechende Anwendung. (2) Das Dienstverhältnis der Beamten der in Art. 143a Abs. 1 bezeichneten Stellen, die in der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes lebenslänglich angestellt worden sind, kann innerhalb von 6 Monaten nach Inkrafttreten dieses Grundgesetzes durch den zuständigen Bundesminister mit einer sechsmonatigen Frist zum Ablauf eines Kalendervierteljahres widerrufen werden. Ebenso können Beförderungen und Zusicherungen vermögensrechtlicher Art innerhalb der gleichen Frist widerrufen werden. Auf die in einem unkündbaren Arbeitsverhältnis stehenden Angestellten finden diese Vorschriften entsprechende Anwendung. (3) Das Arbeitsverhältnis eines nicht beamteten Angestellten der in Art. 143a Abs. 1 bezeichneten Stellen kann innerhalb von sechs Monaten nach Inkraft-

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treten des Grundgesetzes mit der tarifmäßigen Kündigungsfrist auch in den Fällen gekündigt werden, in denen eine für den Verwaltungsangehörigen günstigere Kündigungsfrist vereinbart wurde. (4) Abs. 2 und 3 finden auf die den Zentralverwaltungen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes unterstehenden Sonderverwaltungen (Deutsche Reichsbahn im Vereinigten Wirtschaftsgebiet, Deutsche Post usw.) und die entsprechenden Verwaltungen des französischen Besatzungsgebietes keine Anwendung. Dr. Seebohm (DP): Ich habe etwas Bedenken gegen die Formulierung: „die persönlichen und fachlichen Voraussetzungen“. Das erinnert an das nationalsozialistische Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Kann man nicht besser die Worte „ohne die gesetzlichen Voraussetzungen zu erfüllen“ einfügen? Das sagt dasselbe, ist aber nicht so ausgesprochen auf diese alte, unerfreuliche Formulierung abgestellt. Zinn (SPD): Ich würde empfehlen, die neu eingefügten Worte „die persönlichen und fachlichen Voraussetzungen ihres Amtes nicht erfüllen“ zu streichen, so daß man im wesentlichen zu der Fassung des Redaktionsausschusses gelangt. Dieser Artikel sollte dem Bund nicht nur die Möglichkeit geben, alle diejenigen abzubauen oder zu pensionieren, die mit Rücksicht auf ihre Person den zu stellenden Anforderungen nicht genügen, sondern sollte auch einen Abbau ermöglichen, wenn das aus Gründen der Verwaltungsreform oder des Neuaufbaus der Verwaltung erforderlich ist. Eine gewisse Beweglichkeit muß ermöglicht werden. Dr. Lehr (CDU): Das würde mir zu weit gehen; denn es ist hier gerade eine der Voraussetzungen, daß sie sich persönlich und fachlich nicht als geeignet erwiesen haben. Sie wollen ungeeignete Elemente herausbringen, wollen aber guten und fähigen im einzelnen die Möglichkeit lassen, auch wieder in neue Verhältnisse berufen zu werden. Es handelt sich doch darum, minderwertige und ungeeignete, politisch unzuverlässige Personen herauszubringen und andere, die den Voraussetzungen entsprechen, hineinzubringen. Ich bitte deshalb, das stehenzulassen. Renner (KPD): Ich fürchte, daß das Gegenteil dessen eintreten könnte bzw. daß diese Formulierung zum Gegenteil dessen benutzt werden könnte, was man hier herausstellt. Es besteht nämlich durchaus die Möglichkeit, daß unter Ausnutzung der hier vorgesehenen Bestimmungen die Beamten aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden, die nach 1945 erst hineingekommen sind. Ich beantrage deshalb den Zusatz, daß diese Bestimmungen auf anerkannte Opfer des Faschismus nicht Anwendung finden können. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist kein ausdrücklicher Antrag auf Streichung dieses Halbsatzes gestellt, sondern nur eine Anregung gegeben. Dagegen ist der Antrag gestellt, den Satz hinzuzufügen: „Diese Bestimmung findet keine Anwendung auf anerkannte Opfer des Faschismus.“ Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 11 gegen 10 Stimmen angenommen. Ich lasse über den gesamten Abs. 1 von Art. 143c-2 abstimmen. – Der Abs. 1 ist in der neuen Fassung mit 20 Stimmen bei einer Stimmenthaltung angenommen. Ich lasse über Abs. 2 abstimmen. – Der Abs. 2 ist mit 17 Stimmen bei Stimmenthaltungen angenommen. Ich lasse über Abs. 3 abstimmen. – Der Abs. 3 ist gegen 1 Stimme angenommen.

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Ich lasse über Abs. 4 abstimmen. – Abs. 4 ist mit 13 Stimmen bei Stimmenthaltungen angenommen. Ich lasse über den gesamten Art. 143c-2 in der beschlossenen Fassung abstimmen. – Der Art. 143c-2 ist mit 20 Stimmen bei einer Stimmenthaltung angenommen.

[1.3. ART. 143e: REICHSVERMÖGEN]

Art. 143e (1) Bewegliches und unbewegliches Vermögen des Reichs ist Bundesvermögen; die mit diesem Vermögen in rechtlichem oder wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Forderungen, Verbindlichkeiten und Lasten gehen auf den Bund über. Gesetzliche oder vertragliche Heimfallrechte bleiben unberührt. (2) Vermögen, das dem Reich von den Ländern und Gemeinden (Gemeindeverbänden) unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurde, verbleibt den Ländern und Gemeinden (Gemeindeverbänden), soweit nicht der Bund es für eigene Verwaltungsaufgaben benötigt. (3) Verwaltungsvermögen des Reichs wird unentgeltlich Vermögen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände), wenn die Verwaltung nach diesem Grundgesetz landeseigene Verwaltung oder nach Maßgabe der Landesgesetze Verwaltung der Gemeinden (Gemeindeverbände) wird. Der Bund kann auch sonstiges Vermögen den Ländern übertragen. Dies gilt insbesondere für Beteiligungen an wirtschaftlichen Unternehmungen, die nicht Aufgaben des Bundes erfüllen. (4) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich glaube, es ist dem Organisationsausschuß nicht bekanntgeworden, daß auch der Finanzausschuß sich in der Zwischenzeit mit dieser Materie beschäftigt hat18). Der Finanzausschuß hat einmütig folgenden Beschluß (PR. 1.49 – 392)19) gefaßt: Das Reichsvermögen wird grundsätzlich Bundesvermögen. Das Verwaltungsvermögen des Reiches indessen wird unentgeltlich Vermögen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände), wenn die Verwaltung nach diesem Grundgesetz landeseigene Verwaltung oder nach Maßgabe der Landesgesetze Verwaltung der Gemeinden (Gemeindeverbände) wird. Der Bund kann auch sonstiges Reichsvermögen den Ländern übertragen, insbesondere ehemaliges Landesvermögen, das für die Reichswehr in Anspruch genommen worden ist. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Das gleiche gilt entsprechend für das preußische Staatsvermögen. [S. 502] Nun ist zwischen diesen beiden Fassungen in materieller Beziehung kein allzu großer Unterschied. Ich will auch keine Einwendungen dagegen erheben, daß 18)

Vgl. die 19. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen am 15. Dez. 1948; Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 21, S. 524–530. 19) Auf Drucks. Nr. 392 wurde das Kurzprot. der 19. Sitzung des Ausschusses für Finanzfragen am 15. Dez. 1948 vervielfält. Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 21, S. 520.

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wir unseren Beratungen die Beschlüsse des Organisationsausschusses zugrunde legen. Ich möchte nur einige Abänderungen vorschlagen. Ich würde zunächst die Worte „bewegliches und unbewegliches“ streichen und würde einfach sagen: „Vermögen des Reiches wird Bundesvermögen“. Ich würde nicht sagen: „ist Bundesvermögen“. Es heißt weiter: „die mit diesem Vermögen in rechtlichem oder wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden“ – „Forderungen“ fällt weg – „Verbindlichkeiten und Lasten gehen auf den Bund über.“ Die Forderungen brauchen nicht besonders erwähnt zu werden, denn die Forderungen gehören zum Vermögen. Der nächste Satz: „Gesetzliche oder vertragliche Heimfallrechte bleiben unberührt“ kann wegfallen; denn solche gesetzlichen und vertraglichen Heimfallrechte gehören zu den Verbindlichkeiten und Lasten. Dann würde ich Abs. 2 und 3 umstellen; denn der Abs. 2 ist eine Ausnahmeregelung. Der Abs. 3 enthält dagegen das Grundsätzliche und deckt sich im wesentlichen mit dem Beschluß, den wir im Finanzausschuß gefaßt haben. Ich möchte aber vorschlagen, in diesem Abs. 3 den letzten Satz zu streichen. Es heißt in Abs. 3 zunächst: „Der Bund kann auch sonstiges Vermögen den Ländern übertragen.“ Das ist in Ordnung. Dann heißt es weiter: „Dies gilt insbesondere für Beteiligungen an wirtschaftlichen Unternehmungen, die nicht Aufgaben des Bundes erfüllen.“ Diesen letzten Satz würde ich streichen, weil er eine Quelle von Streitigkeiten ist. Was soll das heißen: „wirtschaftliche Unternehmungen, die nicht Aufgaben des Bundes erfüllen“? Wenn der Bund die Befugnis hat, sonstiges Vermögen auf die Länder zu übertragen, wird er unwichtige Dinge ohne weiteres an die Länder abstoßen; denn mit einiger Vernunft kann man ja in einer kommenden Bundesregierung auch wohl rechnen. Aus dem Abs. 2 würde ich den Abs. 3 machen. Ich habe gegen den Abs. 2 keine Bedenken. Vielleicht empfiehlt sich hierbei eine kleine redaktionelle Änderung. Es heißt: „Vermögen, das dem Reich von den Ländern und Gemeinden (Gemeindeverbänden) unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurde, . . .“ Da kann man nicht sagen „verbleibt“, sondern man muß sagen: „wird wiederum Vermögen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände), soweit es der Bund nicht für eigene Verwaltungsaufgaben benötigt.“ Die Fassung: „soweit nicht der Bund es für eigene Verwaltungsaufgaben benötigt“ ist ein Verstoß gegen die Regeln der deutschen Sprache. Das können wir bei dieser Gelegenheit miterledigen. Dann würde ich vorschlagen, als Abs. 5 hinzuzufügen: „Das gleiche gilt entsprechend für das preußische Staatsvermögen“, da nach meinem Dafürhalten auch hier eine Regelung getroffen werden muß. Das würde in Ansehung des preußischen Staatsvermögens bedeuten, daß das Verwaltungsvermögen des preußischen Staates im wesentlichen auf die Nachfolgestaaten unentgeltlich übergeht, daß dagegen über das nutzbare Vermögen von Fall zu Fall vom Bund Entscheidung getroffen wird. Dabei könnte ich mir denken, daß der Bund ohne weiteres zum Beispiel Kunstschätze den Ländern unentgeltlich überträgt. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, daß das Land Hessen Wilhelmshöhe20) und Wilhelms20)

Das heutige Schloß Wilhelmshöhe in Kassel entstand 1786–1798 nach Entwürfen der Architekten Simon Louis du Ry und Heinrich Christoph Jussow unter Landgraf Wilhelm IX., dem späteren Kurfürst Wilhelm I. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es als Museum genutzt mit einer Antikensammlung, Gemäldegalerie Alter Meister sowie italienische, spanische und niederländische Malerei des Barock.

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thal21) und die staatlichen Theater in Wiesbaden und Kassel bekommt. Ich habe nicht einmal etwas dagegen einzuwenden, wenn die Bayern unentgeltlich die Schack-Galerie bekommen, weil die Schack-Galerie22) immer in Bayern war. Es gibt andere Vermögensobjekte, wie zum Beispiel Domänen und Forsten, die nach meiner Meinung auch den Ländern übertragen werden sollten, nämlich den Nachfolgestaaten. Aber ob man sie entgeltlich oder unentgeltlich übertragen soll, wird man sich überlegen. Es gibt dann noch wirtschaftliche Unternehmungen des preußischen Staates, die nach meinem Dafürhalten grundsätzlich in dem Besitz des Bundes bleiben sollten. Wenn Sie beispielsweise an die preußische Elektra23) denken, so eignet sie sich ganz ausgezeichnet dazu, mit der Reichs-Elektro-Aktiengesellschaft verbunden zu werden. Ähnliches gilt auch für andere große wirtschaftliche Unternehmungen des preußischen Staates. Daß diese unentgeltlich einfach den Ländern zufallen sollen, in denen sie gerade gelegen sind, das halte ich nicht für eine richtige Lösung. Dr. Lehr (CDU): Ich glaube, daß wir uns den Ausführungen von Herrn Dr. Höpker Aschoff anschließen und diese Verbesserungen vornehmen können. Nur mit den Bildern bin ich nicht so ganz einverstanden. Als alter Düsseldorfer Bürgermeister ist mir das immer sehr schmerzlich, wenn von den „bayerischen Bildern“ gesprochen wird. Eigentlich müßten wir heute noch die Rückgabe der alten Pinakothek an Düsseldorf fordern. Aber wir wollen heute nicht daran erinnern, wir wollen die bayerischen Beziehungen nicht belasten. Dr. Katz (SPD): Ich bin mit allen Vorschlägen, die der Herr Kollege Dr. Höpker Aschoff gemacht hat und die durchaus im Sinne der heutigen Beratung liegen, einverstanden. Sie stellen größtenteils Verbesserungen, teilweise redaktionelle Änderungen dar. Sie liegen im Sinne der Beschlüsse, die wir heute im Organisationsausschuß gefaßt haben. Dr. Seebohm (DP): Unser Antrag Nr. 51 (PR. 12.48 – 445)24) zu dieser Materie ist durch die Neufassung zum größten Teil erledigt. Nur eine Bestimmung möchte ich gern mit aufgenommen wissen. Es handelt sich hier um eine Materie, die die Länder sehr stark interessiert. Deswegen bin ich der Auffassung, daß in Abs. 4 hinzugefügt werden sollte: „Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrats bedarf.“ Ich möchte in dem Fall die volle Zustimmung des Bundesrats fordern und stelle daher den Antrag auf diesen Zusatz. 21)

Das Schloss Wilhelmsthal bei Calden in Nordhessen ließ Landgraf Wilhelm VIII. von Hessen 1743–1761 als Sommerresidenz von François de Cuvilliés und später von Simon Louis du Ry erbauen. 22) Die Schackgalerie in München (Prinzregentenstraße) entstand aus der Kunstsammlung des Kunstmäzen Graf Adolf Friedrich von Schack. Das Gebäude wurde ursprünglich 1907 für die Preußische Gesandtschaft im Königreich Bayern errichtet. DIe Galerie ist heute Teil der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und enthält überwiegend Werke des 19. Jahrhunderts. 23) Preußische Elektrizitäts AG war ein 1927 gegründetes Energieversorgungsunternehmen mit Sitz in Hannover. Ihr Versorgungsgebiet umfaßte weite Teile Deutschlands. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Werke in der Sowjetischen Besatzungszone beschlagnahmt und das Untenehmen belieferte die nordwestdeutschen Länder SchleswigHolstein, Niedersachsen und Teile von Hessen und Nordrhein-Westfalen. 24) Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 51 der DP-Fraktion zu Art. 143e vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 445.

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MinDir. Dr. Ringelmann: Herr Minister Dr. Höpker Aschoff hat beantragt, daß der Zusatz: „Gesetzliche oder vertragliche Heimfallrechte bleiben unberührt“ als entbehrlich gestrichen wird. Ich habe Zweifel, ob auf Grund der absoluten Bestimmung, daß das Vermögen des Reiches Bundesvermögen wird und daß die mit diesem Vermögen in rechtlichem oder wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten und Lasten auf den Bund übergehen, diese Heimfallrechte als Lasten angesehen werden können. Das erscheint mir nach verschiedenen Richtungen zweifelhaft. Es gibt gesetzliche Heimfallansprüche auf Grund des Reichseigentumsgesetzes25), dann auf Grund des Gesetzes zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich26), auf Grund des Gesetzes über Finanzmaßnahmen auf dem Gebiete der Polizei27), ferner auf Grund des Weimarer Abkommens28), als die Reichsfinanzverwaltung eingerichtet wurde. Außerdem war die Bestimmung des Reichseigentumsgesetzes vom Jahre 1873 für Bayern hinsichtlich der Militärliegenschaften nicht verbindlich. Es mußte ein besonderes Abkommen getroffen werden, das im Jahre 1923/24 geschlossen worden ist und das eine Art vertraglichen Heimfallrechts vorgesehen hat29). Jetzt könnte die Meinung entstehen, daß mit der Fassung, daß dieses Vermögen auf den Bund übergeht, über diese Heimfallrechte, diese Rückgabeansprüche ohne weiteres der Stab gebrochen ist. Die Länder könnten unter diesen Umständen gezwungen werden, vor dem Bundesverfassungsgericht Recht zu nehmen, und es könnte sich hieraus eine große Anzahl von Streitigkeiten ergeben. Aus diesem Grunde würde ich bitten, selbst wenn die Bestimmung, wie Herr Minister Dr. Höpker Aschoff meint, überflüssig ist, sie doch aufzunehmen. In diesem Falle würde das Superfluum jedenfalls nichts schaden. Renner (KPD): Ich nehme an, der Herr Kollege, der hier den Gedanken ausgesprochen hat, daß man nicht ohne weiteres das Eigentum des alten Landes Preußen30) den Nachfolgeländern zufallen lassen dürfe, geht davon aus, daß dieses Vermögen zum Teil durch gemeinschaftliche Anstrengungen des Reiches zustande [S. 503] gekommen ist. Wenn man den Gedanken bejaht, dann frage ich mich, ob es richtig ist, in dem ersten Satz auszusprechen, daß bewegliches und unbewegliches Vermögen, also schlechthin Vermögen des Reiches Bundesvermögen werden soll. Dieses Reichsvermögen, über das Sie hier so verfügen, ist ja durch die Leistung aller Länder und aller Bürger des gesamten deutschen Reiches zustande gekommen. Sie 25)

26) 27) 28) 29)

30)

Gesetz über die Rechtsverhältnisse der zum dienstlichen Gebrauche einer Reichsverwaltung bestimmten Gegenstände (sog. Reichseigentumsgesetz) vom 25. Mai 1873; RGBl. S. 113. Dittes Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 24. Jan. 1935; RGBl. I, S. 68. Gesetz über Finanzmaßnahmen auf dem Gebiet der Polizei vom 19. März 1937; RGBl. I, S. 325. Zum Weimarer Abkommen vgl. oben Dok. Nr. 13, S. 406, Anm. 48. Vgl. dazu auch unten Dok. Nr. 41, S. 1277. Zum Streit zwischen dem Reich und Bayern über die Frage der Eigentumsverhältnisse der bayerischen Militärgrundstücke, der mit dem „Übereinkommen über die Auseinandersetzung bezüglich des bayerischen Heeresguts“, vom 10./17. Apr. 1924, bzw. 29. März 1924 beigelegt war, vgl. ausführlich Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 46, S. 1117–1119 mit Anm. 55 und 57. Zur Auflösung des Staates Preußen vgl. oben Dok. Nr. 7, S. 225, Anm. 41.

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maßen sich hier meines Erachtens ein Eigentumsrecht über Dinge an, die Ihnen nicht zustehen; denn der Bund, den Sie schaffen, ist nun einmal nicht das Deutsche Reich in seiner alten Zusammensetzung. Ich möchte Sie nur auf diese Parallele hinweisen. Es ist daran zu denken, daß zum Vermögen des Landes Preußen zum Beispiel auch die Zechen bei uns gehören, Hibernia31) und andere mehr. Ich kann mir vorstellen, daß Bestrebungen auf Überführung dieser Zechen in die Hand des Landes, also auf Sozialisierung schwerer realisierbar sind, wenn wir im Lande Nordrhein-Westfalen zum Beispiel über Vermögen verfügen wollen, das dem gesamten Bund gehört. Ich bitte die Mitglieder der SPD, soweit sie Gewerkschaftsmitglieder sind, sich einmal diese Seite der Sache zu überlegen. Ich bin tatsächlich der Meinung, daß, wenn man schon über das Vermögen des alten Landes Preußen verfügt, dann nur eine Regelung dahingehend möglich ist, daß das Vermögen in den Besitz der Nachfolgeländer übergeht. Dr. Seebohm (DP): Ich hatte nach den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff angenommen, daß der letzte Satz des Abs. 1 durch den vorletzten Satz gedeckt ist. Nach den Ausführungen des Herrn Vertreters der bayerischen Regierung möchte ich mich auch dafür aussprechen, daß er doch besser erhalten bleibt. Ich denke dabei insbesondere an die Rechtsverhältnisse, die dadurch entstanden sind, daß in der Zeit der Aufrüstung militärische Anlagen größeren Umfangs, Schießplätze und Truppenübungsplätze, entstanden sind, durch die eine große Anzahl von Bauern ihr Land verloren haben. Daß bei der Aufteilung dieser Ländereien die ursprünglichen Besitzer entsprechend berücksichtigt werden müssen, erscheint mir nicht anders als recht und billig und entspricht auch den Grundsätzen einer vernünftigen bäuerlichen Aufsiedlung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Diese Rechtsverhältnisse werden durch diesen Satz nicht betroffen. Das sind ganz besondere, im wesentlichen auf Bayern zutreffende vertragliche Rechte, die das Militärärar und ähnliche Dinge betroffen haben. (MinDir. Dr. Ringelmann: Das macht ungefähr 150 Millionen aus, die in der Hauptsache für Siedlungszwecke usw. verwendet werden.) – Das regelt doch das Bundesgesetz. Dr. Lehr (CDU): Wir haben heute morgen bei der Beratung im Organisationsausschuß beim Abs. 2 noch gesagt: Es gibt auch Fälle, in welchen Länder oder Gemeinden zwar nicht unentgeltlich, aber doch zu einem wesentlich ermäßigten Preis seinerzeit Gelände oder andere Einrichtungen zur Verfügung gestellt haben, um dafür gewisse Vorteile zu erhalten, zum Beispiel Belegung mit Truppen oder anderes. Wir sind der Meinung, man sollte heute im Protokoll festlegen, daß solches Vermögen, das zwar nicht völlig unentgeltlich, aber doch dem Wesen nach zu geringerem Entgelt überlassen wurde, ebenfalls unter diese Vorschriften fällt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über die Abänderungsanträge abstimmen. Zuerst sollen die drei Worte „bewegliches und unbewegliches“ gestrichen werden, so daß 31)

Die Zeche Hibernia war ein Steinkohlen-Bergwerk in Gelsenkirchen. Und gehörte zur 1855 gegründeten Hibernia AG, die 1873 als „Hibernia & Shamrock Bergwerksgesellschaft“ ihren Sitz in Berlin hatte. 1917 ging die Bergwerksgesellschaft Hibernia in den Besitz des Preußischen Staates über und kam zur Bergwerksdirektion Recklinghausen.

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der Absatz beginnen würde: „Vermögen des Reichs“. – Die Streichung ist einstimmig angenommen. Dann soll in Abs. 1 Satz 1 das Wort „ist“ gestrichen und durch das Wort „wird“ ersetzt werden. – Die Änderung ist einstimmig angenommen. Dann soll in der dritten Zeile von Abs. 1 das Wort „Forderungen“ gestrichen werden. – Die Streichung ist angenommen. Dann soll der letzte Satz des Abs. 1: „Gesetzliche oder vertragliche Heimfallrechte bleiben unberührt“ gestrichen werden. – Gegenprobe: – 8. Der Satz ist mit 12 gegen 8 Stimmen gestrichen. Dann soll der Abs. 3 an die Stelle des bisherigen Abs. 2 treten. Hier soll der letzte Satz gestrichen werden: „Dies gilt insbesondere für Beteiligungen an wirtschaftlichen Unternehmungen, die nicht Aufgaben des Bundes erfüllen.“ – Der Satz ist mit 16 Stimmen gestrichen. Dann soll Abs. 2 Abs. 3 werden. Es soll statt „verbleibt den Ländern und Gemeinden“ heißen: „wird wiederum Vermögen der Länder und Gemeinden“. – Die Änderung ist einstimmig angenommen. Dann sollen einige Worte in der letzten Zeile des jetzigen Abs. 3 umgestellt werden. Es soll heißen: „soweit es nicht der Bund für eigene Verwaltungsaufgaben benötigt“. Das ist eine rein redaktionelle Umstellung, über die ich wohl nicht abstimmen zu lassen brauche. Dann soll ein vierter Absatz des Inhalts angefügt werden: „Das gleiche gilt entsprechend für das preußische Staatsvermögen.“ – Der Absatz ist mit 9 Stimmen angenommen. Dann kommt der bisherige Abs. 4 als Abs. 5. Hier ist beantragt, den Zusatz hinzuzufügen: „das der Zustimmung des Bundesrats bedarf“. Ich lasse über diesen Zusatz abstimmen. – Der Zusatz ist mit 11 gegen 10 Stimmen abgelehnt. Ich lasse über den gesamten Art. 143e abstimmen. Der Art. 143e ist in der nunmehr beschlossenen Fassung mit 20 Stimmen bei einer Stimmenthaltung angenommen.

[1.4. ART. 143d: ÜBERNAHME DER PFLICHTEN DER VERWALTUNG DES VEREINIGTEN WIRTSCHAFTSGEBIETES]

Wir kommen zu Art. 143d, den ich vorher vergessen habe und den wir vor dem jetzt beschlossenen Artikel einreihen werden. Der Organisationsausschuß hat die Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses (PR. 1.49 – 504 in Verbindung mit PR. 12.48 – 374) belassen32). Diese lautet: Der Bund tritt in die Rechte und nach Maßgabe besonderer gesetzlicher Bestimmungen in die Pflichten der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes ein. Dr. Becker (FDP): Das gilt natürlich vorbehaltlich des jetzt angenommenen Art. 143c-1. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja, es heißt ja auch: „gesetzlicher Bestimmungen“. Ich habe mich gefragt, ob man nicht in irgendeiner Weise hier auch den Verhältnissen 32)

Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 47, S. 1135.

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der französischen Zone Rechnung tragen sollte. Dort gibt es keine zonalen Einrichtungen im Rechtssinne, es gibt dort eine ganze Reihe von Einrichtungen, die die Länder führen, aber nicht für sich, sondern weil eben überländermäßige Zusammenfassungen für die Zone noch nicht bestehen. Aber das kann vielleicht durch das Gesetz gemacht werden. Ich wollte nur darauf hingewiesen haben. Es wird sicher notwendig sein, da einiges zu übernehmen. Ich lasse über Art. 143d abstimmen. – Der Artikel ist mit 18 Stimmen angenommen.

[1.5. ART. 143f: VERMÖGENSÄNDERUNG BEI GEBIETSÄNDERUNG]

Nunmehr kommt Art. 143f, der nach der Fassung des Organisationsausschusses, die im wesentlichen die Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses zugrunde legt, lautet (PR. 1.49 – 504 in Verbindung mit PR. 12.48 374): (1) Hat sich nach dem 8. Mai 1945 bis zum Inkrafttreten dieses Grundgesetzes die Landeszugehörigkeit eines Gebietes geändert, so steht in diesem Gebiet das Vermögen des Landes, dem das Gebiet angehört hat, dem Land zu, dem es jetzt angehört. Ich lasse abstimmen. – Der Abs. 1 ist gegen 1 Stimme angenommen. [S. 504] (2) Das Vermögen nicht mehr bestehender Länder und nicht mehr bestehender anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts geht, soweit es nach seiner ursprünglichen Zweckbestimmung überwiegend für Verwaltungsaufgaben bestimmt war, oder nach seiner gegenwärtigen nicht nur vorübergehenden Benutzung überwiegend Verwaltungsaufgaben dient, auf das Land oder die Körperschaft des öffentlichen Rechts über, die nunmehr diese Aufgaben erfüllt. Dr. Becker (FDP): Ist nicht mit den Bestimmungen, die wir nach den Anregungen des Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff geändert haben, ein wesentlicher Teil dieses Abschnitts schon erfüllt? Besteht nicht die Gefahr, daß wegen etwa widersprechender Formulierungen Differenzen auftauchen? (Vors. Dr. Schmid [SPD]: Hessen zum Beispiel!) Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich kannte diese Bestimmung gar nicht, mir ist sie völlig unverständlich. Es kann alles nur den preußischen Fall betreffen. (Zinn [SPD]: Nein, Hessen!) – An der Grenze ist doch nichts geändert. Zinn (SPD): Doch, ein Teil des Volksstaates Hessen gehört heute zum Land Hessen, ein anderer Teil des Volksstaates Hessen gehört zu Rheinland-Pfalz, und ein Teil der früheren preußischen Provinzen gehört zu Rheinland-Pfalz. Also in Süddeutschland hat sich vieles geändert. (Dr. Seebohm [DP]: In Norddeutschland auch: Braunschweig und Oldenburg!) Vors. Dr. Schmid (SPD): Hessen besteht nicht mehr wie früher. Das Land des gleichen Namens ist nicht mehr das alte Hessen. In dem Text ist ein kleiner Schreibfehler. Es muß zum Schluß heißen: „die nunmehr diese Aufgaben erfüllen“.

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Dr. Becker (FDP): Ich glaube, wir müssen wohl auch in den Abs. 2 hineinschreiben: „unbeschadet der Bestimmungen des Art. 143e“, damit wir nicht in Widerspruch geraten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über die von Herrn Dr. Becker beantragte Abänderung abstimmen. – Die Abänderung ist einstimmig angenommen. Ich lasse über Abs. 2 in dieser neuen Fassung abstimmen. – Abs. 2 ist einstimmig angenommen. (3) Grundvermögen nicht mehr bestehender Länder geht einschließlich des Zubehörs, soweit es nicht bereits zu Vermögen im Sinne des Abs. 1 gehört, auf das Land über, in dessen Gebiet es belegen ist. Dr. Seebohm (DP): Ich kann im Moment nicht übersehen, ob diese Bestimmung nicht im Widerspruch steht zu Abreden, die bei der Bildung des Landes Niedersachsen bezüglich des Eigentums gewisser Stiftungen in den Ländern Braunschweig und Oldenburg getroffen wurden, die als Grundlage kultureller und sozialer Einrichtungen dienen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wenn es Stiftungen gehört, ist es nicht Grundvermögen von Ländern. Dr. Seebohm (DP): Ich kann es im Moment nicht eindeutig erklären. Es handelt sich zum Teil um Domänen, von denen ich nicht genau weiß, ob sie nicht doch noch im Besitz des Landes waren, aber der Stiftung nur zur Ausnutzung übertragen sind. Es bestehen gewisse Bedenken, und ich möchte bitten, diese Fragen noch einmal durch einen sachkundigen Vertreter der Länder überprüfen zu lassen, damit wir nicht eine Bestimmung aufnehmen, die die Rechte der kulturellen und sozialen Einrichtungen ändert, die bei der Gründung des Landes Niedersachsen ausdrücklich als fortbestehend erklärt worden sind. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Sache scheint mir klar zu sein. Gemeint sind lediglich Grundstücke, die im Grundbuch für das Land eingetragen sind. (Dr. Katz [SPD]: Der Abs. 4 regelt das!) Dr. Seebohm (DP): Ich habe trotzdem Bedenken. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich kann den Abs. 4 vorlesen, ehe ich über Abs. 3 abstimmen lasse. Er lautet: (4) Im übrigen wird die Rechtsnachfolge und die Auseinandersetzung über das sonstige Vermögen nicht mehr bestehender Länder oder nicht mehr bestehender Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie nicht bis zum 1. Januar 1952 durch Vereinbarung zwischen den beteiligten Ländern oder Körperschaften des öffentlichen Rechts erfolgt, durch Bundesgesetz geregelt. Dann ist doch wohl Ihren Bedenken Rechnung getragen. Dr. Seebohm (DP): Dann wird das wohl gedeckt sein. MinDir. Dr. Ringelmann: Die Absätze 3 und 4 stehen wiederum unter dem Vorbehalt der Sonderregelung für Preußen; denn sonst würde auf Grund dieser Bestimmung die Schack-Galerie ohne weiteres an Bayern fallen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich habe leider diesen Artikel nicht prüfen können. Ich habe aber das Gefühl, daß es richtig wäre, den ganzen Artikel mit einem doppelten Vorbehalt zu versehen, einmal mit dem Vorbehalt der preußischen Regelung in Abs. 4 des vorhergehenden Artikels und mit einem weiteren Vorbehalt betreffend

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abweichende Vereinbarungen. Ich denke zum Beispiel an das Land Lippe, der Herr Kollege Menzel wird da noch besser Bescheid wissen. Es sind zwischen dem Land Lippe und Nordrhein-Westfalen auch besondere Vereinbarungen getroffen, durch die gewisser Grundbesitz dem Land Lippe für Sonderzwecke erhalten ist. Ähnliche Vereinbarungen scheinen nach den Ausführungen des Herrn Kollegen Seebohm auch zwischen Niedersachsen und Braunschweig und Oldenburg getroffen worden zu sein. Vielleicht kommt man über die Sache dadurch hinweg, daß man den ganzen Artikel so annimmt, am Schluß aber wegen der preußischen Frage und wegen solcher Vereinbarungen einen Vorbehalt macht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, es genügt ein Vorbehalt wegen der preußischen Frage; denn in Abs. 4 wird ausdrücklich davon gesprochen: soweit nicht bis zum 1. Januar 1952 Vereinbarungen erfolgen. Es ist nicht gesagt, daß sie erst nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes zu erfolgen brauchen, sie können auch schon vorher erfolgt sein. (MinDir. Dr. Ringelmann: Dann würde ich den Abs. 3 streichen, er steht nicht unter dem Vorbehalt.) – Ich hätte am Schluß einen Vorbehalt über die preußischen Verhältnisse gemacht. Ich würde vorschlagen, einen Abs. 5 des Wortlauts einzufügen: „Art. 143e Abs. 4 bleibt unberührt.“ Wir haben noch eine dritte Lesung. Ich glaube, daß hier wirklich nur technische Bedenken eine Rolle spielen können und nicht etwa politische Bedenken. Vielleicht machen sich einige Herren, die etwas von den Dingen verstehen und die harte Arbeit nicht scheuen, die Mühe, sich diese Dinge zu überlegen und Vorschläge zu machen. Für heute aber, meine ich, könnten wir in dieser vorgeschlagenen Weise abstimmen. Ich lasse über Abs. 3 und 4 abstimmen. – Die Absätze 3 und 4 sind gegen 1 Stimme angenommen. Dann lasse ich abstimmen über die Hinzufügung eines Abs. 5: „Art. 143e Abs. 4 bleibt unberührt“. – Der Zusatz ist angenommen. Nun lasse ich über den ganzen Art. 143f abstimmen. – Der Art. 143f ist einstimmig angenommen. [S. 505]

[1.6. ART. 144: ÜBERNAHME VON BEFUGNISSEN DES BUNDESPRÄSIDENTEN DURCH DEN PRÄSIDENTEN DES BUNDESRATES]

Art. 144 lautet in der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses: (1) Bis zur Wahl des ersten Bundespräsidenten werden dessen Befugnisse von dem Präsidenten des Bundesrats ausgeübt. Das Recht zur Auflösung des Bundestags steht ihm nicht zu. (2) Die Frist des Art. 87 Abs. 2 Satz 1 beginnt mit dem Zusammentritt des Bundestags. Dr. Becker (FDP): Wir stimmen zu, aber unter dem Vorbehalt einer Umredigierung, wenn das Wahlgesetz vorliegt, weil zum Beispiel die Bestimmung des Wahltages, die sonst die Prärogative des Bundespräsidenten ist, für die erste Wahl wahrscheinlich durch das Präsidium des Parlamentarischen Rates vorgenommen werden muß.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 144 abstimmen. – Der Art. 144 ist mit 20 Stimmen angenommen.

[1.7. ART. 145: WAHLGESETZ]

Art. 145 lautet in der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses: Für die Wahl des ersten Bundestags und der ersten Bundesversammlung der Bundesrepublik Deutschland gilt das diesem Grundgesetz beigefügte Wahlgesetz. Dr. Becker (FDP): Ich möchte vorschlagen, hinzuzufügen: „Durch einfaches Bundesgesetz kann seine Weitergeltung vorgeschrieben werden“, und zwar aus folgender Erwägung. Wir kennen alle den Satz: Le provisoire c’est le définitif. Es ist durchaus möglich, daß eine Wahl aus irgendeinem Grunde einmal plötzlich notwendig wird, zum Beispiel im Falle der Auflösung, in einem Zeitpunkt, in dem ein neues Wahlgesetz noch nicht beschlossen ist. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, eine Bestimmung dieser Art ist gar nicht notwendig. Es ist doch von vornherein möglich, durch einfaches Bundesgesetz dieses Wahlgesetz zu verlängern oder es als zweites Wahlgesetz gleichlautend zu erlassen. Dr. Becker (FDP): Dies ist doch eine Verfassungsbestimmung. Diese Verfassungsbestimmung kann man nur unter ganz bestimmten Kautelen ändern. Vors. Dr. Schmid (SPD): Aber es handelt sich doch nicht darum, die Verfassung abzuändern, sondern darum, etwas, das durch das Grundgesetz geschaffen worden ist, durch ein einfaches Bundesgesetz über den von dem Grundgesetz gewollten Zeitpunkt hinaus zu verlängern. Dr. Katz (SPD): Dieser Vorbehalt ist schon in dem Abschnitt über den Bundestag gemacht worden, wo steht, daß das Wahlrecht durch einfaches Bundesgesetz geregelt wird. Infolgedessen ist hier ein derartiger Zusatz nicht mehr nötig. (Dr. Becker [FDP]: Wenn wir uns einig sind, ist es gut.) Dr. Laforet (CSU): Was hindert denn den einfachen Bundesgesetzgeber, einfach zu beschließen: dieses Wahlgesetz gilt? Dr. Becker (FDP): Wenn es in dem Kapitel über den Bundestag drinsteht, ist es in Ordnung. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 145 abstimmen. – Der Art. 145 ist einstimmig angenommen.

[1.8. ART. 145a: SÜDDEUTSCHES NOTARIAT]

Über den Art. 145a haben wir schon anläßlich unserer Beschlußfassung zu Ziffer 1 des Art. 36 beschlossen. Das ist der Vorbehalt für die süddeutschen Länder betreffend das Notariatswesen33).

33)

Vgl. dazu oben Dok. Nr. 30, S. 882–887.

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Vierzigste Sitzung des Hauptausschusses 14. Januar 1949 [1.9. ART. 146: RECHTSVORSCHRIFTEN ZUR BEFREIUNG VOM NATIONALSOZIALISMUS]

Art. 146 lautet in der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses: Die zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt. Dr. Becker (FDP): Auch hier muß ich je nach dem Inhalt des Wahlgesetzes einen kleinen Vorbehalt für einen etwaigen Zusatz machen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich weiß nicht, ob die Bestimmung alles das decken wird, was gedeckt werden müßte. Bei uns in Württemberg-Hohenzollern zum Beispiel ist außer dem Befreiungsgesetz zur Korrektur einiger Mängel, die sich durch die Anwendung dieses Gesetzes ergeben haben – zu freigebige Entlastung durch die Spruchkammern und ähnliches –, noch ein besonderes Gesetz ergangen, das es der Regierung ermöglichst, auch Beamten, die etwa für entlastet erklärt worden sind, trotzdem den Genuß ihrer alten Beamtenrechte zu versagen, weil die Spruchkammerentscheidung, materiell gesehen, offensichtlich falsch war. Ich weiß nicht, ob ein Gesetz dieser Art gedeckt wäre. (Zinn [SPD]: Es ist ja auch eine Rechtsvorschrift!) – Aber nicht zur „Befreiung“, sondern in deren Gefolge. Zinn (SPD): Diese Vorschriften werden dadurch nicht aufgehoben; denn das Grundgesetz kennt keine wohlerworbenen Rechte. Infolgedessen kann das Land sein Beamtenrecht durchaus eigenständig gestalten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dann lasse ich über Art. 146 abstimmen. – Der Art. 146 ist angenommen. [1.10. ART. 148: VORLÄUFIGE WAHRNEHMUNG DER AUFGABEN DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS]

Art. 148 lautet nach der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses: Die dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 51 Abs. 1 zustehende Befugnis wird bis zu seiner Errichtung von dem Obergericht der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes wahrgenommen, das nach Maßgabe seiner Verfahrensordnung entscheidet. Ich lasse abstimmen. – Art. 148 ist einstimmig angenommen. [1.11. ART. 148a UND 148b: ANGLEICHUNG DER LANDESVERFASSUNGEN]

Art. 148a Die Verfassung eines Landes kann binnen zwei Jahren nach Inkrafttreten dieses Grundgesetzes zur Angleichung an das Grundgesetz durch einfaches Landesgesetz geändert werden. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Dr. Seebohm (DP): Wir hatten den Antrag gestellt, die beiden Art. 148a und b zu streichen, weil sie nach unserer Auffassung nicht notwendig sind. Mit der An-

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nahme des Grundgesetzes durch die Länder treten ja entgegenstehende Verfassungsbestimmungen und Landesrechte außer Kraft. Das gilt auch im Hinblick auf die Landeswahlgesetze. Ich glaube, es ist nicht notwendig, diese Bestimmungen hier extra aufzunehmen. Sie stellen einen unnötigen Eingriff in das Landesverfassungsrecht dar. (Zinn [SPD]: Nein!) Dr. Laforet (CSU): Die gleichen Bedenken muß ich äußern. Wird hier nicht in die Landesverfassung eingegriffen, in das ausschließliche Recht des Landes, im Rahmen des Bundesgesetzes sein Verfassungsrecht in alleiniger Zuständigkeit zu ordnen? Die Bestimmungen einer Länderverfassung, die dem Grundgesetz widersprechen, sind ohnehin rechtsunwirksam. Aber ein Bedürfnis für Art. 148a und b ist nicht gegeben. Das kann nur mißverstanden werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, es wäre zur Bereinigung der Texte der Verfassungen doch gut, wenn [S. 506] man bestimmte Änderungen erleichtern würde. Manche dieser Länderverfassungen kennen die Abänderung der Verfassung nur im Wege des Volksentscheids oder durch ganz besonders hohe qualifizierte Mehrheiten. Ich glaube, daß es wirklich sinnvoll wäre, für diesen einen Fall die Länderverfassungen von diesem Ballast zu befreien. Ich denke zum Beispiel an die Bestimmung der badischen Verfassung, daß Baden einem deutschen Bundesstaat durch ein Gesetz beitreten wird, das mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden soll34). Diese Bestimmung wird durch das Grundgesetz selber völlig gegenstandslos. Es wäre aber ein Schönheitsfehler, wenn diese Bestimmung in der badischen Verfassung verbliebe. Bei der erforderlichen qualifizierten Mehrheit mit Volksabstimmung usw. könnte es sein, daß etwas Dummes passiert und so die Mehrheit nicht erreicht wird. Man hätte dann in Baden einen Verfassungstext, der sich angesichts des Grundgesetzes, das wir nun beschließen, grotesk ausmachen würde. Dr. Fecht (CDU): Ich kann den Ausführungen des Herrn Vorsitzenden nur zustimmen. Wir haben schon seinerzeit bei der Weimarer Verfassung eine solche Schwierigkeit gehabt. Unsere badische Verfassung ist ja etwas früher erlassen worden als die Weimarer Verfassung35). (Vors. Dr. Schmid [SPD]: In Württemberg war es genau so!) Es hat einige Jahre gedauert, bis wir endlich so weit waren, daß wir aus einem bestimmten Grunde die notwendige Volksabstimmung abhalten konnten. Ich glaube, man sollte diese Erleichterung den Ländern wirklich geben. Dr. Lehr (CDU): Ich schließe mich ebenfalls an und mache darauf aufmerksam, daß keine Vergewaltigung eines Landes erfolgen kann. Es ist eine Kann-Vorschrift, es kann gar nichts Böses passieren. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 148a abstimmen. – Art. 148a ist mit 17 gegen 4 Stimmen angenommen.

34)

Art. 52 der Verfassung des Landes Baden vom 19. Mai 1947: „Das Verhältnis des Landes Baden zu den übrigen deutschen Ländern wird durch Gesetz geregelt. Die Zustimmung zu einer Bundesverfassung der deutschen Länder bedarf eines verfassungsändernden Gesetzes.“ Wegener: Verfassungen, S. 268. 35) Vgl. die Verfassung der Republik Baden vom 21. März 1919 und die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919.

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Art. 148b Vorschriften einer Landesverfassung, die über die Vorschriften dieses Grundgesetzes hinaus das Wahlverfahren und die Art des Wahlrechts regeln, können jederzeit durch einfaches Landesgesetz geändert werden. Das würde zum Beispiel bedeuten, daß, wenn in einer Verfassung das Verhältniswahlrecht zwingend vorgeschrieben ist, auf Grund des Art. 148b ein anderes Wahlrecht durch einfaches Gesetz eingeführt werden könnte. Dr. Lehr (CDU): Wir haben heute morgen im Organisationsausschuß auch diese Frage noch einmal erörtert36) und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß Art. 148b eigentlich in Art. 148a schon enthalten ist, also nicht notwendig ist. Aber wir haben ihn trotzdem hier stehenlassen, auch wieder deshalb, weil es sich um eine Kann-Vorschrift handelt. Endlich könnte man empfehlen, die Sache zurückzustellen, bis das Wahlgesetz verabschiedet ist. Dr. Becker (FDP): Ich bin aus folgendem Grunde für eine Streichung dieses Artikels. Ich sehe keine Notwendigkeit, eine Verfassungsbestimmung des Landes zu ändern, die mit der Verfassungsbestimmung des Bundes in gar keinem Widerspruch steht; denn das Bundesrecht regelt die Wahl zu den Bundesinstanzen, das Landesrecht die Wahl zu den Landesinstanzen. Ich entdecke einen Widerspruch nicht. Das mögen die Länder selber nach ihren eigenen Verfassungen ändern. Vors. Dr. Schmid (SPD): Diese Bestimmung kann als eine Hilfe zur leichteren Korrektur übereilter Beschlüsse der verfassunggebenden Versammlungen des Jahres 1946 bezeichnet werden. An und für sich gehören meines Erachtens Bestimmungen über die Modalitäten des Wahlrechts nicht in eine Verfassung. Man sollte der Entwicklung eine Chance geben, indem man die Möglichkeit offenläßt, ein Wahlsystem nach den gemachten Erfahrungen zu ändern. Wenn ein bestimmtes Wahlsystem in einer Verfassung verankert ist, schleppt man es weiß Gott wie lange durch die Zeiten hindurch und man kann es nicht ändern, obwohl sehr gute Gründe dafür sprechen mögen, es zu ändern. Hier wird nun eine Möglichkeit geschaffen, das zu korrigieren. Es braucht aber nicht zu geschehen; es kann nur geschehen. Dr. Seebohm (DP): Ich bin aber doch der Auffassung, daß der Artikel in Wegfall kommen kann. Wenn in den Länderverfassungen etwas enthalten ist, das ihr eigenes Landeswahlrecht betrifft und das die Länder ändern wollen, dann sollen es die Länder aus ihrer Zuständigkeit nach den für sie geltenden Rechtssätzen machen. Es ist nicht Aufgabe des Bundes, ihnen da Erleichterungen zu schaffen oder Vorschriften zu machen. Das ist ein Eingriff in das Landesverfassungsrecht, der in das Grundgesetz nicht hineingehört. Selbst eine Kann-Bestimmung halte ich in diesem Fall für unerfreulich. Zinn (SPD): Die hessische Verfassung enthält tatsächlich eine Vorschrift, die das reine Verhältniswahlrecht zwingend vorschreibt37). Wir in Hessen bedauern es, daß diese Vorschrift damals im Jahre 1946, ich muß wie der Herr Kollege Schmid 36) 37)

Vgl. Der Parl. Rat, Bd. 13/2, Dok. Nr. 46, S. 1129–1132. Art. 75 der Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dez. 1946: „Der Landtag besteht aus den vom Volke nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählten Abgeordneten. [. . .].“ Wegener: Verfassungen, S. 156.

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sagen, übereilt in die Verfassung hineingekommen ist. Man sollte solche Dinge nicht verfassungsrechtlich verankern. Heute hat man es eingesehen, und wir legen in Hessen Wert darauf, daß uns durch das Bundesgesetz die Möglichkeit gegeben wird (Dr. Seebohm [DP]: Ihr könnt es selber machen!) – Nein, eine Verfassungsänderung ist bekanntlich sehr schwierig und umständlich, sie ist unter Umständen von einem Volksentscheid abhängig. Aus diesem Grunde begrüßen wir es, wenn wir die Möglichkeit haben, auf erleichtertem Wege, nämlich durch gewöhnliches Landesgesetz, diese Vorschrift zu ändern. Brockmann (Z): Ich möchte bemerken, daß der Nachdruck auf das Wort „können“ gelegt ist. Zweitens heißt es: „durch einfaches Landesgesetz“. Mir ist die Begründung, die Herr Dr. Seebohm für seine Ablehnung gibt, sympathisch; aber ich weiß auch nicht, wenn es hier stehenbleibt, ob dadurch Porzellan zerschlagen werden könnte. Ich kann mir denken, daß tatsächlich ein Land auf diese Weise ohne große Komplikation aus einer Verfassungsbestimmung herauskommt, die es sonst niemals würde ändern können. Dann ist es völlig von dem Landtag des Landes abhängig; er hat zu beschließen. Allerdings würde mir auch sympathisch sein, zunächst einmal zu wissen, wie das kommende Wahlgesetz für den Bund aussehen wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Das hat damit nichts zu tun. Es hat für Nordrhein-Westfalen auch keine Bedeutung. Sie haben ja noch keine Verfassung. Aber in den süddeutschen Verfassungen hat man ein bißchen viel hineingepackt, was man besser draußen gelassen hätte. Dr. Laforet (CSU): Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß Verfassungen geirrt haben können. Aber sie sind dann in der Form zu ändern, wie es die Landesverfassung vorschreibt. Ich bedaure, auch wenn Zweckmäßigkeitserwägungen für den Art. 148b sprechen, ihn nicht annehmen zu können; denn er greift in das alleinige Bestimmungsrecht des Landes hinsichtlich seines Verfassungsrechts ein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir können über Art. 148b abstimmen lassen. – Der Artikel ist mit 12 gegen 9 Stimmen angenommen. Dr. Katz (SPD): Es fehlen noch vier Artikel. Der Organisationsausschuß hat leider dieses Pensum nicht bewältigen können. Diese vier Schlussartikel bitte ich auf eine spätere Sitzung zurückzustellen, damit der [S. 507] Organisationsausschuß Gelegenheit hat, zu den Vorschlägen des Redaktionsausschusses in diesen Punkten noch Stellung zu nehmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe sie durchgesehen. Ich glaube, sie sind so, daß man beraten könnte. Dr. Katz (SPD): Es sind noch einige rechtliche und sonstige Schwierigkeiten. Dr. Lehr (CDU): Ich schließe mich dem Antrag an. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich bin nicht so anspruchsvoll wie meine Nachbarn, ich fand die Artikel sehr gut. Aber ich lasse mich überzeugen. Die Gründe meines Nachbarn scheinen mir sehr pertinent zu sein. Dann stellen wir die Art. 148c und 148e zurück38).

38)

Vgl. dazu unten Dok. Nr. 51, S. 1647.

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Vierzigste Sitzung des Hauptausschusses 14. Januar 1949 [1.12. ART. 148f: ANNAHME UND INKRAFTTRETEN DES GRUNDGESETZES]

Art. 148f (1) Der Parlamentarische Rat stellt in öffentlicher Sitzung unter Mitwirkung von Abgeordneten Groß-Berlins die Annahme dieses Grundgesetzes fest, fertigt es aus und verkündet es. (2) Dieses Grundgesetz tritt mit dem Ablauf des Tages der Verkündung in Kraft. (3) Es ist im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. (Schönfelder [SPD]: Wenn es noch keines gibt?) Dr. Becker (FDP): Ich würde vorschlagen, den letzten Absatz zu formulieren: daß es in den Gesetzblättern der einzelnen Länder zu verkünden ist; denn das Bundesgesetzblatt haben wir bis dahin noch nicht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es ist im Bundesgesetzblatt und, solange wir das nicht haben, in den Gesetzblättern der Länder zu veröffentlichen. (Dr. Katz [SPD]: Das kann nachgeholt werden!) Zinn (SPD): Die eigentliche Verkündung mit der Wirkung des Inkrafttretens erfolgt nach der vorgeschlagenen Fassung nicht durch die Veröffentlichung in einem Gesetzblatt, sondern durch die Verkündung – so ist es gedacht – durch den Parlamentarischen Rat. Die Veröffentlichung hat keine andere Bedeutung, als daß der Text im Gesetzblatt irgendwann einmal festgehalten wird. Das kann also nachgeholt werden. Der Bevölkerung gibt man den Text natürlich sofort durch die Presse bekannt. Die Bevölkerung muß gewiß den Text lesen können, sie liest aber wohl kaum die Landesgesetzblätter. Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Verkündung wird wohl so erfolgen müssen, daß unser armer Präsident die ganzen 149 Artikel vorliest. Zinn (SPD): Das kann man sich ersparen. Er ist nur in den Gesetzblättern der Länder zu veröffentlichen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 148f abstimmen. – Der Artikel ist gegen 1 Stimme angenommen.

[1.13. ART. 149: GÜLTIGKEIT DES GRUNDGESETZES]

Art. 149 Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem gesamten deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist. Ich lasse abstimmen. – Der Art. 149 ist bei einer Stimmenthaltung angenommen.

[2. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT V: DER BUNDESRAT]

Damit ist auch dieser Abschnitt vorbehaltlich der zurückgestellten Artikel erledigt. Ich schlage vor, daß wir den Abschnitt V Der Bundesrat nehmen, in dem lediglich die organisatorischen Bestimmungen über den Bundesrat enthalten sind und in

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dem nicht sein Verhältnis zum Bundestag und seine Beteiligung an der Gesetzgebung geregelt ist. Ich schlage vor, daß wir den Entwurf des Allgemeinen Redaktionsausschusses (PR. 12.48 – 370)39) zugrunde legen. Dann haben wir noch die Vorlage des Hauptausschusses erster Lesung (PR. 12.48 – 340)40). Der Ausschuß möge beschließen, welche Vorlage verwendet werden soll. Dr. Süsterhenn (CDU): Es ist das Natürliche, daß wir das verwenden, was wir selber beschlossen haben, und nicht das Material des Redaktionsausschusses benutzen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir haben uns an diesen „Naturrechtssatz“ nur sehr wenig gehalten, vielleicht zu Unrecht, aber wir haben hier recht frei geschaltet und gewaltet. Ich habe mir jedesmal erlaubt, den Ausschuß zu fragen, welchen der vorliegenden Vorschläge er zur Arbeitsgrundlage machen möchte. Ich stelle auch diesmal die Frage. Sollen wir die Vorschläge des Redaktionsausschusses oder unsere Beschlüsse erster Lesung nehmen? Ich lasse abstimmen. – 10 gegen 10 Stimmen. Also nehmen wir die Beschlüsse erster Lesung des Hauptausschusses.

[2.1. ART. 65 UND 66: AUFGABE UND ZUSAMMENSETZUNG DES BUNDESRATES]

Art. 65 Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mit. Ich lasse abstimmen. – Der Art. 65 ist einstimmig angenommen. Herr Kollege Renner scheint zu fehlen. Art. 66 (1) Der Bundesrat besteht aus Mitgliedern der Landesregierungen. Sie werden von den Landesregierungen bestellt und abberufen. Sie können durch Bevollmächtigte vertreten werden. Zinn (SPD): Der Redaktionsausschuß empfiehlt, die Worte „durch Bevollmächtigte“ durch die Fassung zu ersetzen: „durch andere Mitglieder ihrer Landesregierung“. Bei der Bedeutung, die der Bundesrat hat, sollten an den Sitzungen nur Mitglieder der Landesregierungen teilnehmen und nicht etwa Ministerialbeamte als Bevollmächtigte. Das geht technisch; denn die Landesregierung braucht immer nur ein Mitglied zu schicken, das dann mehrere Stimmen führt. Es kommt ja beim Bundesrat nicht auf die Zahl der Mitglieder, sondern auf die Zahl der Stimmen an. Dr. Katz (SPD): Ich schließe mich dieser Auffassung an. Es bedeutet nicht, daß die Länder über 6 Millionen Einwohner nun fünf Minister zu jeder Sitzung hinschikken müssen. Es soll aber bedeuten, daß diejenigen Herren, die sie etwa in Begleitung als Fachleute mitnehmen, nicht die stimmberechtigten Mitglieder sind, sondern der eine oder die zwei Herren des Landes geben dann sämtliche Stimmen bei der Abstimmung ab, und es wird dort der notwendige und wünschenswerte Unter39)

Für den Wortlaut der Drucks. Nr. 370 vom 13. Dez. 1948 mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu Art. 1–85 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 4, S. 133–161. 40) Für den Wortlaut der Drucks. Nr. 340 mit den Beschlüssen der 1. Lesung im HptA vom 10. Dez. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 3, S. 91–132.

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schied zwischen den stimmführenden Mitgliedern und den Sachbearbeitern, den Referenten, gemacht. Ich halte das im Interesse des Ansehens und der Würde des Bundesrats für angebracht. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Das ist nach meinen Erfahrungen im Reichsrat unmöglich. Es gab nämlich sehr langweilige Tagesordnungen des Reichsrats, und wird es auch in Zukunft sehr langweilige Tagungen des Bundesrats mit sehr belanglosen Angelegenheiten geben. Daß dann zu jeder Sitzung des Bundesrats vielleicht zweimal in der Woche oder wer weiß wie oft, immer die Minister aus allen Hauptstädten heranfahren, das ist eine Unmöglichkeit. Sie müssen das den Landesregierungen überlassen. Zu wichtigen Angelegenheiten werden die Minister kommen, zu unwichtigen Angelegenheiten werden sie die Bevollmächtigten schicken. Das kann man gar nicht vermeiden. Dr. de Chapeaurouge (CDU): Ich möchte mich dieser Auffassung des Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff durchaus anschließen. Wir haben doch vorgesehen, daß die Länder bei der Bundesregierung Ländervertretungen halten können. Das Normale und Gegebene ist doch, daß die Chefs dieser Ländervertretungen auch im Bundesrat ihre Länder vertreten und die Herren Minister nur bemüht werden, wenn es [S. 508] wirklich notwendig ist. Es ist auch früher im Reichsrat so gewesen, daß die Chefs der Vertretungen der Länder die regelmäßigen Besucher waren und daß die betreffenden Minister erst kamen, wenn ihre Anwesenheit wirklich notwendig war. Deswegen ist der Vorschlag, hier die Anwesenheit der Minister zwingend vorzuschreiben, meines Erachtens zu weitgehend. Er greift meiner Meinung nach auch zu stark in die Ländersouveränität ein. Vors. Dr. Schmid (SPD): Der Bundesrat ist doch ein Bundesorgan. Seine Zusammensetzung kann doch wirklich nur durch Bundesgesetz bestimmt werden. Das hat doch mit der Souveränität der Länder nichts zu tun. Vielleicht darf ich darauf hinweisen, daß wir seinerzeit, als wir über die gegenseitigen Vorzüge von Senat und Bundesrat diskutierten, von den Vertretern der Bundesratslösung gesagt bekamen, dieser Bundesrat soll kein Beamtenparlament werden, sondern im Gegensatz zu früher sollen in diesem Bundesrat die politisch verantwortlichen Minister der Länderregierungen sitzen. Ich kann mir nicht gut vorstellen, daß man hier zwischen wichtigen und unwichtigen Angelegenheiten trennen kann. Wie lange haben wir uns hier über scheinbar unwichtige Angelegenheiten unterhalten, die sich nachträglich als höchst bedeutsam herausgestellt haben! Für meinen Teil möchte ich mich für den Entwurf des Redaktionsausschusses aussprechen. Dr. Menzel (SPD): Ich möchte mich persönlich dem Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff anschließen. Ich glaube in der Tat, daß man es den Ländern selber überlassen sollte, wie sie es regeln wollen. Gerade diejenigen Länder, die heute am größten sind und bei denen die Minister am meisten zu tun haben, werden gar nicht in der Lage sein, die Rechte ihres Landes im Bundesrat immer persönlich wahrzunehmen, und zwar gerade diejenigen Länder, die an den Entscheidungen des Bundesrats wegen ihrer Größe am meisten interessiert sind. Man muß ihnen meines Erachtens die Möglichkeit geben, diese Frage der Vertretung selber zu regeln. Schönfelder (SPD): Es besteht auch die Möglichkeit, den Vertreter, den man meistens mit dieser Aufgabe betraut, in die Landesregierung hineinzunehmen. Mir scheint, das Verfahren hat man in Nordrhein-Westfalen schon ganz geschickt ge-

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übt, indem man den ständigen Vertreter im Wirtschaftsrat, glaube ich, zum Minister ernannt hat. Dann meine ich, fünf Herren sind bei der Stimmabgabe nicht nötig. Die Herren können, wenn sie es für zweckmäßig halten, wechseln. Es kann ein anderer oder es können mehrere kommen. Ich würde also glauben, daß die Länder sich wohl damit abfinden können, damit wir dem Vorwurf, der gegen den Bundesrat immer wieder erhoben wird, daß er ein Parlament von Bürokraten ist, wirklich begegnen können. Dr. Süsterhenn (CDU): Ich stimme den Ausführungen des Herrn Schönfelder in vollem Umfang zu. Ich bin der Meinung, daß das Schwergewicht der Detailarbeit in den Ausschüssen liegt. Es ist ausdrücklich in Art. 72 vorgesehen, daß die Länder sich in den Ausschüssen auch durch sonstige Bevollmächtigte vertreten lassen können. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, es wird sich gar nicht umgehen lassen, daß in den einzelnen Ländern ein besonderer Minister für Bundesangelegenheiten, also ein Bundesratsbevollmächtigter im Ministerrang, bestellt wird. (Dr. Süsterhenn [CDU]: Siehe Nordrhein-Westfalen!) Wenn er dann verhindert ist, soll einer seiner Kollegen ihn vertreten. Es ist der Abänderungsantrag gestellt: „Sie können durch andere Mitglieder ihrer Landesregierung vertreten werden.“ Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. – Der Antrag ist mit 13 gegen 3 Stimmen angenommen. Dann lasse ich über den Abs. 1 von Art. 66 in der neuen Fassung abstimmen. – Der Abs. 1 ist einstimmig angenommen. (2) Jedes Land entsendet 3 Mitglieder; Länder mit mehr als 2 Millionen Einwohnern entsenden 4, Länder mit mehr als 6 Millionen Einwohnern entsenden 5 Mitglieder. Die Stimmen eines Landes können nur einheitlich und nur durch anwesende Mitglieder oder Bevollmächtigte abgegeben werden. Hierzu möchte ich bemerken, daß mir der Redaktionsausschuß ein besseres System zu vertreten scheint. (Dr. Süsterhenn [CDU]: Sehr richtig!) Im Bundesrat zählen nicht die Mitglieder, sondern die Stimmen. Man sollte eine Fassung, wie sie der Redaktionsausschuß vorgeschlagen hat, wählen. (Zustimmung.) Dann lasse ich über die Fassung des Redaktionsausschusses abstimmen. Jedes Land hat drei Stimmen; Länder mit mehr als zwei Millionen Einwohnern haben vier, Länder mit mehr als sechs Millionen Einwohnern haben fünf Stimmen. Jedes Land kann soviel Mitglieder entsenden, als es Stimmen hat. Die Stimmen eines Landes können nur einheitlich und nur durch anwesende Mitglieder oder deren Vertreter abgegeben werden. Dr. Menzel (SPD): Mir ist nach der Abstimmung von vorhin nicht ganz klar, bedeutet das, daß es genügt, wenn ein Landesminister da ist? Vors. Dr. Schmid (SPD): Der anwesende Landesminister kann seine fünf Stimmen abgeben. Dr. Menzel (SPD): Nach dieser Fassung doch nicht. (Dr. Katz [SPD]: Er ist Vertreter für die anderen vier.) – Das geht nicht daraus hervor. Die Stimmen können nur durch anwesende Mitglieder abgegeben werden.

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Vors. Dr. Schmid (SPD): Die Stimme kann nicht durch einen Beamten abgegeben werden oder nicht telegraphisch oder schriftlich. Dr. Menzel (SPD): Aber der Vertreter kann doch wieder nur ein Minister sein. Folglich können doch nur anwesende Minister abstimmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ein konkreter Fall! Nehmen wir an, Nordrhein-Westfalen führt fünf Stimmen. Diese fünf Stimmen werden durch den Bundesratsbevollmächtigten abgegeben und wenn er nicht da ist, durch den Minister, der ihn vertritt. Was ausgeschlossen werden soll, ist, daß die Stimme etwa telegraphisch abgegeben wird oder durch einen Oberregierungsrat, den man in die Sitzung schickt, oder gar telephonisch, wie es gelegentlich vorgekommen sein soll. Ich lasse über Abs. 2 in der verlesenen Fassung abstimmen. – Abs. 2 ist einstimmig angenommen. (3) Groß-Berlin hat das Recht, eine entsprechende Anzahl von Stimmen zu führen. Nach den bisherigen Beschlüssen wäre das so richtig. Ich lasse abstimmen. – Der Abs. 3 ist einstimmig angenommen. Ich lasse über den gesamten Art. 66 in der beschlossenen Fassung abstimmen. – Der Art. 66 ist einstimmig angenommen.

[2.2. ART. 68 BIS 74: PRÄSIDENT, GESCHÄFTSORDNUNG, ZUSAMMENSETZUNG UND PRIVILEGIEN DER MITGLIEDER DES BUNDESRATES]

Art. 68 Der Präsident des Bundesrats wird aus dessen Mitte auf ein Jahr gewählt. Wiederwahl ist zulässig. Der Redaktionsausschuß schlägt dieselbe Fassung vor. Ich lasse abstimmen. – Art. 68 ist einstimmig angenommen. [S. 509] Art. 69 Der Präsident des Bundesrats beruft den Bundesrat ein. Er muß ihn einberufen, wenn die Vertreter von mindestens zwei Ländern oder die Bundesregierung es verlangen. Ich lasse abstimmen. – Art. 69 ist einstimmig angenommen. Art. 70 Der Bundesrat gibt sich eine Geschäftsordnung. Der Redaktionsausschuß macht den Vorschlag, die Art. 71 und 72 unserer Beschlüsse zu einem einzigen Art. 70 zusammenzuziehen. Mir scheint dieser Vorschlag durchaus richtig zu sein. Dann verlese ich den Art. 70 in der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses: (1) Der Bundesrat gibt sich eine Geschäftsordnung. (2) Er verhandelt öffentlich. Nach Maßgabe der Geschäftsordnung kann die Öffentlichkeit für einzelne Beratungsgegenstände ausgeschlossen werden. (3) Er bildet Ausschüsse, denen auch andere Mitglieder oder Beauftragte der Landesregierungen angehören können. Damit ist klar: man unterscheidet Mitglieder und deren Vertreter – diese sind allein für die Plenarsitzungen zuständig – und darüber hinaus noch Beauftragte,

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die die Ausschußsitzungen wahrnehmen können. – Ich lasse abstimmen. – Art. 70 ist in der Fassung des Redaktionsausschusses einstimmig angenommen. Art. 73 (1) Die Mitglieder der Bundesregierung haben das Recht und auf Verlangen die Pflicht, an den Verhandlungen des Bundesrats und seiner Ausschüsse teilzunehmen. Sie müssen während der Beratung jederzeit gehört werden. (2) Der Bundesrat ist von dem Bundeskanzler und von den Bundesministern über die Führung der Bundesgeschäfte auf dem laufenden zu halten. Zur Beratung über wichtige Gegenstände ziehen die Bundesminister den zuständigen Ausschuß des Bundesrats zu. Ich lasse abstimmen. – Der Art. 73 ist einstimmig angenommen. Art. 74 Die Mitglieder des Bundesrats und die ständigen Mitglieder seiner Ausschüsse haben das Recht zur freien Benutzung aller staatlichen Verkehrsmittel. Ich lasse abstimmen. – Art. 74 ist angenommen. Der Ausschuß vertagt sich auf Sonnabend, den 15. Januar 1949, 9 Uhr. Schluß der Sitzung 17.50 Uhr.

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Nr. 41 Einundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses 15. Januar 1949 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 511–527. PA 2004. Ungez. von Koppert gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 544 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: Adenauer, Binder, de Chapeaurouge, Kleindinst, Laforet, Schlör, Süsterhenn, Weber SPD: Greve, Katz, Löwenthal, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Stock, Wolff FDP: Becker, Höpker Aschoff DP: Seebohm KPD: Renner Zentrum: Brockmann Abgeordnete ohne Stimmrecht: Runge (SPD), Schwalber (CSU), Selbert (SPD) Vertreter der Länder: Ministerialdirektor Ringelmann (Bayern) Stenographischer Dienst: Koppert Dauer: 9.19–12.10 Uhr

[1. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT XI: DAS FINANZWESEN]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir behandeln heute den Abschnitt XI Das Finanzwesen. Auch hier erhebt sich zunächst die Frage, welche Vorlage wir unserer Beratung zugrunde legen wollen: die Beschlüsse erster Lesung (PR. 12.48 – 340)3) oder aber die Vorschläge des Redaktionsausschusses. Der Redaktionsausschuß hat uns zwei Vorlagen zugeleitet, die Vorschläge, die in dem Sammelband (PR. 12.48 – 374)4) enthalten sind, und die Ergänzungsberichtigungen vom 18. Dezember 1948, Drucksache PR. 12.48 – 3945). Ferner ist heute ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion zu Abschnitt XI (PR. 1.49 – 508) verteilt worden, der uns wohl noch im ganzen und im einzelnen begründet werden wird.

[1.1. ART. 122: DECKUNG DER AUSGABEN DES BUNDES]

Ich schlage vor so zu prozedieren, daß ich unmittelbar den Art. 122 in der Fassung der Beschlüsse des Hauptausschusses in erster Lesung aufrufe: Zur Deckung der Ausgaben des Bundes, insbesondere 1. der Kosten der Bundesverwaltung, 1)

Protokollführer Röttgen. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. 3) Für den Wortlaut der Drucks Nr. 340 mit den Beschlüssen der 1. Lesung im HptA vom 10. Dez. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 3, S. 91–132. 4) Vgl. ebd. Dok. Nr. 4, S. 161–201. 5) Vgl. ebd. Dok. Nr. 4, S. 133–201. 2)

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2. der Aufwendungen des Bundes für Besatzungskosten und sonstige äußere und innere Kriegsfolgelasten, 3. der Zuschüsse des Bundes zu den Lasten der Sozialversicherung mit Einschluß der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge, dienen folgende Einnahmen: 1. die Ablieferungen der Bundesbahn und Bundespost, die Überschüsse der dem Bund gehörigen Unternehmungen, die Erträge der Beteiligungen des Bundes, der Anteil am Gewinn der Bundesnotenbank und die Erträge sonstigen Bundesvermögens, 2. die Verwaltungseinnahmen des Bundes, 3. das Aufkommen der Zölle und der durch Bundesgesetz geregelten Steuern (Bundessteuern), soweit es nicht den Ländern und Gemeinden zufällt, und die Erträge der Finanzmonopole. Dr. Seebohm (DP): Ich darf die Frage stellen, ob Art. 105 Ziffer 1 schon verabschiedet oder zurückgestellt worden ist. Art. 105 Ziffer 1 sollte im Zusammenhang mit dem Abschnitt Finanzwesen behandelt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Den haben wir in zweiter Lesung schon verabschiedet, aber mit dem Vorbehalt, daß zur dritten Lesung neue Anträge gestellt werden können. Schlör (CSU): Ich darf zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion eine grundsätzliche Bemerkung machen. Sowohl in der Herrenchiemseer Denkschrift6) wie auch in der Denkschrift des Zonenbeirates7) ist der Grundsatz zum Ausdruck gebracht, daß weder der Bund Kostgänger der Länder noch die Länder Kostgänger des Bundes sein sollen. Man war daher der Anschauung, daß eine Aufteilung der einzelnen Steuerquellen auf Bund und Länder notwendig ist. Da die Besatzungskosten ihrer Höhe nach nicht bekannt waren und auch nicht feststand, wer sie zu tragen hat, ob der Bund oder die Länder, da im übrigen das Steueraufkommen nicht als normal anzusehen ist, hat man der Auffassung zugeneigt, zunächst einmal eine vorläufige Aufteilung der Steuern vorzunehmen, wie sie in Art. 122b des Entwurfs des Finanzausschusses ihren Niederschlag gefunden hat. Meine Fraktion ist der Meinung, daß im Grundgesetz selber eine so detaillierte Aufteilung der Steuern nicht vorgenommen werden kann, und zwar vor allem deshalb nicht, weil wir nicht wissen, ob die Steuern nicht irgendwie geändert werden, einen anderen Namen erhalten usw. Daher schlagen wir vor, in das Grundgesetz selber eine Bestimmung aufzunehmen, daß die einzelnen Steuerquellen auf Bund und Länder aufzuteilen sind, und die bisherige Regelung des Art. 122b ungefähr in der nämlichen Fassung in die Übergangsbestimmungen zu übernehmen. Wir sind dabei davon ausgegangen, daß nach Ablauf einiger Jahre wohl die Möglichkeit bestehen wird, die Steuerquellen als solche auf Bund und Länder aufzuteilen, und haben infolgedessen die Regelung des Art. 122b, die im allgemeinen dem ent6)

Für den Wortlaut des Berichts über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vgl. Der Parl. Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 504–630. 7) Als Ergebnis seiner verfassungspolitischen Diskussion gab der Zonenbeirat in der britischen Besatzungszone im August 1948 eine Denkschrift heraus. Vgl. Der Zonenbeirat zur Verfassungspolitik. Als Manuskript gedruckt. Hamburg 1948. Zur Denkschrift vgl. auch Der Parl. Rat, Bd. 11, S. 6, Anm. 26.

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spricht, was in dem Entwurf des Finanzausschusses enthalten war, bis zum Ablauf des Rechnungsjahres 1952 begrenzt. Im übrigen entspricht unser Antrag in der Hauptsache der Regelung des Finanzausschusses. Wir haben nur einzelnen Anregungen des Redaktionsausschusses Rechnung getragen, vor allem der Anregung, daß weder die Besatzungskosten noch die Ausgaben für Soziallasten in Art. 122 angeführt werden sollten. Wir haben diese Vorschriften, die wie die Besatzungskosten und Kriegsfolgelasten doch als eines Tages wegfallend bezeichnet werden müssen, in die Übergangsbestimmungen aufgenommen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Die Ausführungen des Herrn Kollegen Schlör bezogen sich nicht nur auf Art. 122, sondern auch auf die nachfolgenden Artikel. Aber die Dinge hängen so eng zusammen, daß allgemeine Ausführungen zu dem gesamten Fragenkomplex angebracht erscheinen. Wir haben zum Abschnitt Finanzwesen mannigfache Beschlüsse vor uns liegen, zunächst die Beschlüsse des Hauptausschusses erster Lesung, dazu einige Änderungsvorschläge des Redaktionsausschusses. Diese beschränken sich im wesentlichen auf das Haushaltsrecht. Wir können davon aus redaktionellen Gründen das eine oder andere übernehmen. Daneben liegt noch eine „Diskussionsgrundlage“ so hat sie der Redaktionsausschuß bezeichnet8) – vor, die nun in der Tat das ganze System, das wir beschlossen haben, völlig ändert. Ich muß sagen, bei aller Hochachtung, die ich vor der sorgfältigen Arbeit der Mitglieder des Redaktionsausschusses habe, vermag ich nicht einzusehen, daß die Diskussionsgrundlage, die der Redaktionsausschuß uns vorgelegt hat, unsere Arbeit in irgendeiner Richtung fördern könnte. Der Redaktionsausschuß war offenbar über die Erwägungen, die uns im Finanzausschuß und nachher im Hauptausschuß geleitet haben, nicht unterrichtet. Er hat eine Gestaltung versucht, die nach meinem Dafürhalten völlig unannehmbar ist. Schließlich liegt uns noch der neue Antrag der CDU/CSU-Fraktion vor, der auch grundlegende Änderungen enthält. Um es gleich vorwegzunehmen: Ich bin der Meinung, daß in einigen Punkten auf die [S. 512] Anträge, die hier gestellt sind, Rücksicht genommen werden kann. Ich werde im einzelnen noch darauf zu sprechen kommen. Zunächst möchte ich nach der grundsätzlichen Seite hin folgendes bemerken. In diesem Antrag wird darauf hingewiesen, daß eine Aufteilung der Steuerquellen zwischen dem Bund und den Ländern notwendig sei. Der Antrag schlägt vor, diesen Grundsatz der Aufteilung der Steuerquellen auf Bund und Länder in das Grundgesetz aufzunehmen, dann aber die vorläufige Verteilung in den Übergangsbestimmungen zu regeln. Was heißt Aufteilung der Steuerquellen? Wenn man dieses Wort in dem Sinne nimmt, in dem es bisher von Wissenschaft und Praxis gebraucht wurde, so würde es heißen: Aufteilung der Steuerquellen auch nach Maßgabe der Gesetzgebung, also etwa in der Form, wie es in der Bismarckschen Zeit üblich war. Damals standen dem Reich die Zölle und Verbrauchssteuern, den Län8)

Für den Wortlaut des Vorschlags des Allgemeinen Redaktionsausschusses an den Vorsitzenden des Ausschusses für Finanzfragen vom 17. Dez. 1948, maschinenschr. vervielfält. als Drucks. Nr. 451 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 12, Dok. Nr. 22, S. 531–533.

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dern die direkten Steuern zu. Eine Aufteilung der Steuerquellen in diesem Sinne ist in einem modernen Staatswesen eine völlige Unmöglichkeit. Dies muß einmal grundsätzlich gesagt werden. Denn wir wollen Sie ja nicht überreden, sondern überzeugen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf folgendes hinweisen. Der Steuergesetzgeber hat nicht nur die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die öffentlichen Körperschaften ihre Einnahmen erhalten; vielmehr verknüpfen sich mit der Steuergesetzgebung eine Fülle anderer Aufgaben. Die Steuergesetzgebung schließt die Sozialpolitik, die Wirtschaftspolitik, die Konjunktur- und Währungspolitik in sich ein. Diesem Gedanken muß man unbedingt Rechnung tragen. Die Gesetzgebung über die Zölle und Verbrauchssteuern ist seit den Tagen des Deutschen Zollvereins immer eine gemeinsame Gesetzgebung geblieben und muß es unter allen Umständen bleiben, weil die Zölle und Verbrauchssteuern letzten Endes Produktionskosten der Wirtschaft sind, die mit den Preisen auf den letzten Verbraucher abgewälzt und daher von der Masse der Verbraucher getragen werden. Hier handelt es sich um Abgaben, die unmöglich von der Gesetzgebung der Länder erfaßt und nach dem örtlichen Aufkommen erhoben werden können. Für die großen direkten Steuern gilt heute der gleiche Gesichtspunkt. Auch da muß die Gesetzgebung unter allen Umständen beim Bunde liegen, nicht nur aus Gründen der Gerechtigkeit, um eine gleichmäßige Belastung der Wirtschaft innerhalb des gesamten Bundesgebiets sicherzustellen, sondern vor allem auch deshalb, weil eine ungleiche Gesetzgebung auf diesem Gebiet zu einer Verschiebung der Wettbewerbsbedingungen und zu Standortverschiebungen innerhalb der Wirtschaft führen würde, weil die Kapitalbildung in entscheidender Weise durch die direkten Steuern beeinflußt wird und die Kapitalbildung für die einzelnen Unternehmen naturgemäß von entscheidender Bedeutung ist. Ich verweise auf die Pläne einer neuen großen Steuerreform, die zur Zeit in Frankfurt erörtert werden. Dabei überlegen sich die Herren nicht allein, wie man neue Steuern hereinbringt, sondern sie stellen auch wirtschaftspolitische Erwägungen an. Sie zerbrechen sich den Kopf, wie man durch die Gestaltung der Steuergesetze die Ersparnisbildung fördern kann, eine Aufgabe von eminenter Bedeutung. Wir kennen den allgemeinen Satz, daß Investitionen gleich Ersparnissen sind und daß, wenn die freiwilligen Ersparnisse nicht den Investitionen entsprechen, die Ersparnisse durch Preissteigerungen erzwungen werden. Das muß unter allen Umständen verhindert werden. Es muß schon aus wirtschaftspolitischen Gründen eine freiwillige Ersparnisbildung möglich sein. Es muß verhindert werden, daß an die Stelle der freiwilligen Ersparnisse die erzwungenen Ersparnisse treten, das heißt eine Einschränkung des Verbrauchs durch höhere Preise und die Bildung größerer Gewinne und Ersparnisse bei den Unternehmen. An diesem Beispiel erkennt man sofort, welch ungeheure Bedeutung die Steuergesetzgebung für die Wirtschaftspolitik und, mit Rücksicht auf das mögliche Steigen der Preise, auch für eine gesunde Währungspolitik hat. Seit den Tagen des großen Adolph Wagner9) wissen wir, was die Steuergesetzgebung für die Sozialpolitik be9)

Adolph Wagner (1835–1917), Ökonom und Finanzwissenschaftler, 1858 Lehrer an der Handelsakademie in Wien, 1863 in Hamburg, 1865 ordentlicher Professor in Dorpat, 1868 in Freiburg und 1870 in Berlin, Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Ber-

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deutet. Wagner drückte das ganz scharf aus, indem er sagte, der Steuergesetzgeber habe auch die Aufgabe, das Sozialprodukt nach sozialen Erwägungen zu verteilen. Daß der Steuergesetzgeber auf soziale Erwägungen Rücksicht nehmen muß, kann keinem Zweifel unterliegen. Bei dieser sozialen Verteilung des Sozialprodukts spielt das Verhältnis zwischen indirekten und direkten Steuern eine entscheidende Rolle. Die indirekten Steuern werden auf die Verbraucher abgewälzt und von arm und reich in gleicher Weise getragen. Bei den direkten Steuern dagegen ist ein vernünftiger Ausgleich nach der Leistungsfähigkeit möglich. Darum muß die Verfügung nicht nur über die indirekten, sondern auch über die direkten Steuern in der Hand einer Steuergesetzgebung liegen. Weil dem so ist, ist eine Aufteilung der Steuerquellen zwischen Bund und Ländern in der Weise, daß der Bund über einen Teil der Steuereinnahmen in Gesetzgebung und Verwaltung, über den anderen Teil dagegen die Länder in Gesetzgebung und Verwaltung verfügen, ein Ding der Unmöglichkeit. In keinem Lande der Welt, auch nicht in den Ländern, die heute eine bundesstaatliche Verfassung haben, wird so verfahren. Vielmehr hat sich überall der Gedanke durchgesetzt, daß innerhalb eines einheitlichen Wirtschaftsgebiets auch die Steuergesetzgebung für alle großen Steuern in der Hand des Gesamtstaates liegen muß und daß es völlig unmöglich ist, einfach zu teilen: Gesetzgebung und Verwaltung für diese Steuern dem Bunde, Gesetzgebung und Verwaltung für jene Steuern den Ländern. Wenn es aber so ist, müssen wir das auch in Art. 122a festlegen. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß auch in dem Antrag der CDU/CSU kein Änderungsvorschlag zu Art. 122a gemacht wird. Anders liegen die Dinge bei dem Finanzausgleich, Art. 122b. Da wird gesagt: Die Steuerquellen sind auf Bund und Länder (einschließlich ihrer Gemeinden und Gemeindeverbände) nach deren Aufgaben aufzuteilen. Ich sagte schon, daß diese Formulierung zu Zweifeln Anlaß geben kann. Der Antrag sagt weiter: Die Aufteilung erfolgt durch Gesetz, das der Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats bedarf. Wir hatten bisher beschlossen, daß die Länder für sich und ihre Gemeinden und Gemeindeverbände das Reinaufkommen bestimmter Bundessteuern in vollem Umfange erhalten sollen, insbesondere das Aufkommen der Biersteuer, Rennwettsteuer, Kraftfahrzeugsteuer, Vermögensteuer, Erbschaftsteuer und die Realsteuern. Ferner hatten wir vorgesehen, daß die Umsatzsteuer und Einkommen- und Körperschaftsteuer gemeinsame Einnahmen des Bundes und der Länder sein sollen und daß das Nähere durch ein Finanzausgleichsgesetz geregelt werden soll, das einem vernünftigen Lastenausgleich Rechnung tragen soll. Nun gebe ich zu, daß der Gedanke des Antrags der CDU/CSU, sich im Grundgesetz auf einige wenige grundlegende Bestimmungen zu beschränken und die vorläufige Regelung im einzelnen den Übergangsbestimmungen und die weitere Regelung dem Finanzausgleich zu überlassen, etwas für sich hat. Denn wenn wir schon in das Grundgesetz aufnehmen, daß das Reinaufkommen bestimmter Steuern den lin, 1882–1885 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses. Heinrich Rubner (Hrsg.): Adolph Wagner. Briefe, Dokumente, Augenzeugenberichte. 1851–1917. Berlin 1978,

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Ländern zustehen soll, daß bestimmte Steuern zwischen Bund und Ländern aufgeteilt werden sollen, dann sind wir bei der zukünftigen Gesetzgebung über den Finanzausgleich an das Grundgesetz gebunden, und ein durchschlagendes Finanzausgleichsgesetz würde nur mit einer Zweidrittelmehrheit unter der erschwerten Form eines verfassungsändernden Gesetzes verabschiedet werden können. Ich könnte mir daher denken, daß man hier dem Vorschlag der CDU/CSU mit einigen Modifikationen Rechnung trägt. Man könnte etwa dem Art. 122b folgende Fassung geben: Das Aufkommen der Bundessteuern wird gemäß den Aufgaben, die dem Bunde einerseits, den Ländern und Gemeinden andererseits obliegen, in der [S. 513] Weise aufgeteilt, daß den Ländern ein gesetzlicher Anspruch auf das Reinaufkommen bestimmter Bundessteuern oder Anteile des Reinaufkommens bestimmter Bundessteuern eingeräumt wird. Das Nähere regelt das Finanzausgleichsgesetz. Es hat einem angemessenen Lastenausgleich Rechnung zu tragen. In die Übergangsvorschriften wäre dann folgende Bestimmung aufzunehmen: Bis zum Inkrafttreten des Bundesfinanzausgleichsgesetzes gilt folgende Regelung: (1) Die Länder erhalten für sich und ihre Gemeinden von dem Aufkommen der Bundessteuern das Reinaufkommen der Biersteuer, der Rennwettsteuer, der Kraftfahrzeugsteuer, der Vermögensteuer (mit Ausnahme einmaliger Vermögensteuern), der Erbschaftsteuer und die Realsteuern. (2) Umsatzsteuer und Einkommen- und Körperschaftsteuer sind gemeinsame Einnahmen des Bundes und der Länder. Die beiden zustehenden Anteile werden durch das Haushaltsgesetz bestimmt10). Auf diese Weise behalten wir die Möglichkeit, bei der späteren Regelung des Finanzausgleichs, die nicht von heute auf morgen erfolgen kann, die Verteilung des Aufkommens in voller Freiheit zu bestimmen, also ohne durch konkrete Anordnungen des Grundgesetzes gebunden zu sein und ohne dem Zwang zu unterliegen, ein solches Finanzausgleichsgesetz mit Zweidrittelmehrheit zu beschließen. Das würde keine sachliche Änderung unserer bisherigen Beschlüsse bedeuten; wohl aber würden die Bestimmungen des Grundgesetzes nicht so kasuistisch sein. Dafür hätten wir eine vorläufige Regelung entsprechend unseren Bedürfnissen in den Überleitungsbestimmungen und könnten beim späteren Finanzausgleich die Dinge frei gestalten. Daß ein solches Finanzausgleichsgesetz der Zustimmung des Bundesrats bedarf, entspricht unserer allgemeinen Auffassung; daran muß festgehalten werden. In keiner Weise kann ich mich aber dazu verstehen, entsprechend dem Antrag der CDU/CSU die Zustimmung des Bundesrats an eine Zweidrittelmehrheit zu binden. Auf solche Weise würden wir niemals zu einer vernünftigen Regelung kommen. Ich darf meinen Vorschlag kurz zusammenfassen. Ich schlage Ihnen vor, grundsätzlich an den Beschlüssen des Hauptausschusses zu den Artikeln 122, 122a, 123 10)

Im stenograph. Wortprot., S. 10, folgt danach: „Die Festsetzung der Anteile bedarf der Zustimmung des Bundesrats.“

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und 124a festzuhalten, bei 122b dagegen eine Teilung vorzunehmen dergestalt, daß wir vorn in das Grundgesetz nur das Grundsätzliche aufnehmen, während wir eine vorläufige Regelung in die Übergangsbestimmungen nehmen und die endgültige Regelung der Aufteilung einem Bundesfinanzausgleichsgesetz überlassen, das der Zustimmung, aber der einfachen Zustimmung, des Bundesrats bedarf. Dann noch eine Bemerkung zu Art. 122. Der Vorschlag des Herrn Schlör zu Art. 122 deckt sich in seinem zweiten Teil mit unseren Beschlüssen. Dagegen soll der erste Teil: „Zur Deckung der Ausgaben des Bundes, insbesondere“ usw. wegfallen. Ich kann nicht dazu raten, von unseren bisher gefaßten Beschlüssen abzugehen. Wir haben uns an den Vorschlag von Herrenchiemsee angeschlossen und wir haben es ebenso wie die Verfasser des Herrenchiemseer Entwurfs für richtig gehalten, wenigstens die wichtigsten Aufgaben, die nach unserer Meinung der Bund übernehmen soll, aufzuzählen. Warum? Weil in dieser Aufzählung ein großes Stück Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern steckt. Der Finanzausgleich kann sich nicht allein in der Weise vollziehen, daß man die Bundessteuern nach bestimmten Gesichtspunkten verteilt, sondern er muß sich auch so vollziehen, daß man gewisse Aufgaben und Ausgaben zu Gesamtaufgaben und -ausgaben des Bundes macht. Das wollen wir doch! Wir gehen davon aus, daß der Bund im wesentlichen die Kosten der Besatzung tragen soll, um die steuerschwachen Länder zu entlasten. Wir gehen auch davon aus, daß der Bund im wesentlichen die Kriegsfolgelasten und die Zuschüsse zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung tragen soll. Daher schlage ich vor, den Art. 122 unverändert in der Fassung zu verabschieden, die wir hier im Hauptausschuß angenommen haben. Gestatten Sie mir noch zum Finanzausgleich eine kurze Bemerkung. Der Finanzausgleich kann sich auch in der Weise vollziehen, daß der Bund auf seine Schultern schwere Lasten nimmt und daß das Aufkommen an Steuern zwischen Bund und Ländern nach vernünftigen Gesichtspunkten verteilt wird. Daß ein solcher Finanzausgleich bei unseren Verhältnissen eine Notwendigkeit ist, ist uns allen klar. Dies wird aber draußen vielfach verkannt. Man ist offenbar außerstande, sich in die deutschen Verhältnisse hineinzudenken. Der Unterschied zwischen steuerstarken und steuerschwachen Ländern ist natürlich nicht in allen Staaten geläufig, vor allem dort nicht, wo eine zentralistische Gesetzgebung und Verwaltung besteht, wo die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern nicht so groß sind und wo vielleicht auch der Reichtum des Landes es gestattet, daß Bund und Gliedstaaten sich im Wettbewerb auf die Steuerquellen stürzen. Bei uns ist das alles anders: für uns ist der Finanzausgleich schlechthin eine Notwendigkeit. Ich darf in diesem Zusammenhang ein besonders krasses Beispiel erwähnen, das Land SchleswigHolstein. Wie soll Schleswig-Holstein von sich aus die Besatzungskosten tragen? Wie soll ein Land wie Rheinland-Pfalz aus sich heraus die Besatzungskosten aufbringen können? Wir können solche Länder mit noch so vielen Steuern ausstatten; es ist schlechterdings eine Unmöglichkeit. Besonders kraß tritt dies jetzt bei dem Beschluß des Landes Schleswig-Holstein hervor, die Kraftfahrzeugsteuer zu erhöhen. Ja, was gewinnt das Land Schleswig-Holstein bei einer solchen Erhöhung? Gar nichts! Wenn es die Kraftfahrzeugsteuer erhöht, erhält es nämlich kaum viel mehr als bisher. Denn die Kraftfahrzeugsteuer kommt nicht im Lande SchleswigHolstein auf, sondern zu einem erheblichen Teil in Hamburg. Die Kraftfahrzeug-

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steuer wird dort erhoben, wo die Kraftfahrzeuge gehalten werden. Es sind die Hamburger Großfirmen, die die Kraftfahrzeuge halten und mit ihren Wagen auf den Straßen Schleswig-Holsteins nach Flensburg und Kiel und zurück fahren. Die alte Regelung, nach der die Kraftfahrzeugsteuer Reichssteuer war und auf die Länder und innerhalb der Länder auf die Provinzen nach der Kilometerlänge der Straßen verteilt wurde, schafft hier einen gesunden, vernünftigen Ausgleich; denn ihrem Wesen nach ist die Kraftfahrzeugsteuer zur Deckung der Straßenunterhaltungslasten bestimmt. Ich erwähne dieses Beispiel nur, um die Notwendigkeit eines vernünftigen Finanzausgleichs, so oder so, zu begründen. Dr. Binder (CDU): Ich darf kurz auf die Ausführungen des Herrn Dr. Höpker Aschoff eingehen. Im großen und ganzen hat er die Gesichtspunkte vorgetragen, die weitgehend auch von meiner Fraktion geteilt werden. Ich glaube, daß die Divergenzen mehr auf einem Mißverständnis beruhen. Wir haben mit unserer Formulierung zu Art. 122b nicht die Absicht verfolgt, etwa die Gesetzgebung über die aufgeteilten Steuerquellen auf die Länder zu übertragen. Dies geht eindeutig schon daraus hervor, daß unser Antrag den Art. 122a völlig unverändert übernimmt. Unser Grundgedanke war vielmehr der, daß ein Finanzausgleich sich sehr viel leichter bewerkstelligen läßt, wenn die einzelnen Landesfinanzminister ungefähr wissen, welche Grundeinnahmen sie in jedem Fall haben. Da empfiehlt es sich natürlich, das Aufkommen der Steuern von vornherein möglichst weitgehend und nach den Steuerarten gegliedert auf den Bund, die Länder und die Gemeinden aufzuteilen. Es ist auch denkbar, in Zukunft das Steuersystem so umzugestalten, daß wir von der jetzigen Kalamität, daß Bund und Länder weitgehend auf gemeinsame Steuern angewiesen sind, abkommen. Um eine solche Entwicklung nicht zu verbauen, haben wir unsere Formulierung zu Art. 122b gewählt. Aber wir sind uns vollkommen darüber klar, daß die Steuergesetzgebung und die Durchführungsverordnungen mit sämtlichen Veranlagungs-, Stundungs- [S. 514] und Erlaßrichtlinien nur bundeseinheitlich geregelt werden können. Vors. Dr. Schmid (SPD): Könnte man das nicht durch eine Formulierung zum Ausdruck bringen, die besagt, daß das Aufkommen der Steuern zwischen Bund und Ländern aufzuteilen ist? Dr. Binder (CDU): Wenn man die Steuerquellen aufteilt, so steht das Aufkommen einer bestimmten Steuer den Ländern zu; sie haben einen Rechtsanspruch auf die Steuer. Wenn wir nur das Aufkommen teilen, so ist das mehr eine verwaltungsmäßige Angelegenheit. Uns kommt es darauf an, festzulegen, daß die Länder einen Rechtsanspruch auf das Aufkommen bestimmter Steuern haben, damit die Länderfinanzminister von Anfang an und unter allen Umständen mit dem Aufkommen aus dieser oder jener Steuer rechnen können. Durch dieses Verfahren werden bestimmte Steuern dem Finanzausgleich entzogen, der sich nachher nur mit dem Spitzenausgleich zu befassen hat, während sonst gar nicht sicher ist, ob nicht ein neues Finanzausgleichsgesetz das bisherige auf den Kopf stellen könnte. Vors. Dr. Schmid (SPD): Nun ist es so, daß der Terminus technicus der Finanzwissenschaftler „Aufteilung der Steuerquellen“ auch die Gesetzgebung umfaßt. Durch eine entsprechende Formulierung könnte man jedes Mißverständnis ausschalten. Dr. Binder (CDU): Wir sind der Auffassung, daß kein Mißverständnis aufkommen kann, da Art. 122a die Befugnis zur Steuergesetzgebung eindeutig dem Bund über-

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trägt, während Art. 122b sich lediglich auf die Zuweisung des Aufkommens bezieht. MinDir. Dr. Ringelmann: Gestatten Sie mir, daß ich als Vertreter der bayerischen Staatsregierung zur Frage der Verteilung der Steuern und späterhin zur Frage der Abgabenverwaltung kurz Stellung nehme. Die bayerische Staatsregierung hat seit jeher betont, daß sie alles Interesse an einem starken Bund habe. Sie hat betont, daß sie jederzeit bereit sei, an einer Regelung mitzuarbeiten und dieser zuzustimmen, die dem Bunde alle Mittel an die Hand gebe, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben brauche. Andererseits hat sie aber aus dem Gesichtspunkt, daß die Steuereinnahmen gewissermaßen das Blut der öffentlichen Verwaltung sind (Zuruf von der SPD: Das Blut der Wirtschaft!) – zunächst einmal der öffentlichen Verwaltung; von hier aus strömt es wieder in die Wirtschaft –, (Zurufe: Umgekehrt!) seit jeher verlangt, daß auch die Länder jenes Maß von Einkünften erhalten, das sie brauchen, um ihre Selbständigkeit aufrechterhalten und ihren Aufgaben gerecht werden zu können. Die Regelungen, die bisher vorgeschlagen worden sind, stellen in der Hauptsache mehr oder weniger darauf ab, daß der Bund der finanzkräftige wird, daß aber die Länder sich mit einem ganz geringen Betrag begnügen müssen. Ich weiß, daß die Forderung vertreten wird, zu dem Bismarckschen Grundsatz zurückzukehren und die indirekten Steuern dem Bund, die direkten den Ländern zuzuweisen. Dieser Grundsatz stammt aus vergangener Zeit und ist überholt, weil die Verhältnisse sich mehrfach geändert haben. Auf der anderen Seite muß man aber an dem Prinzip festhalten, daß der Bund ein bestimmtes und begrenztes, die Länder hingegen ein unbestimmtes Maß von Aufgaben haben. (Zuruf von der SPD: Umgekehrt!) – Die Aufgaben des Bundes sind durch das Grundgesetz katalogisiert; alles andere, auch das, was neu herantritt, ist Aufgabe der Länder. Deshalb darf man die Länder nicht der Gefahr aussetzen, daß sie ihren Aufgaben, auch den unvorhergesehenen Aufgaben – ich erinnere nur an Katastrophen und andere Dinge, bei denen die örtliche Instanz, das Land, eingreifen muß –, mit restlos leeren Kassen gegenüberstehen. Aus diesem Grunde verlangt die bayerische Staatsregierung eine Sicherung der Länder hinsichtlich ihrer Beteiligung an den Steuereinkünften. Ich habe von meiner Regierung den positiven Auftrag, hier dafür einzutreten, daß den Ländern die Einkommen- und die Körperschaftsteuer unverkürzt zur Verfügung steht. (Lachen bei der SPD.) – Ja, da ist nichts zu lachen; das ist sehr ernst, Herr Abgeordneter! Denn hier steht das Leben der Länder auf dem Spiel. Wenn die Länder zusammenbrechen, wie soll dann der Bund sich halten können? Das bitte ich doch auch zu berücksichtigen. Wir alle haben den Wunsch, daß die Länder bundesfreudig in den Bund hineingehen; wir wollen nicht haben, daß sie vergrämt und verbittert in den Bund eintreten. Die Länder sollen sich doch als starke und erfüllungsbereite Glieder des Bundes fühlen. Sie sollen auch in der Lage sein, den Aufgaben gerecht zu werden, die

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das Grundgesetz ihnen zuweist. Daher kommen Sie nicht um die Notwendigkeit herum, die Länder auch in ihrer finanziellen Existenz zu sichern. Mein Auftrag ist – ich wiederhole es –, hier dafür einzutreten, daß die Einkommenund Körperschaftsteuer unverkürzt den Ländern verbleibt. Ich gehe dabei von folgenden Gesichtspunkten aus. Wir haben heute den Zustand, daß die Länder die gesamten Besatzungskosten und den Aufwand für die äußeren und inneren Kriegsfolgelasten zu tragen haben. Diesen Aufwand bestreiten die Länder mit Hilfe der Verbrauchssteuern, der Zölle und der sogenannten direkten Steuern. Wenn nunmehr davon ausgegangen werden soll, daß der Bund die Besatzungskosten und die äußeren und inneren Kriegsfolgelasten zu tragen hat, so bedeutet das gegenüber dem gegenwärtigen Zustand ein Novum. Nach meiner Ansicht genügt es nicht, in Art. 122 zu sagen: „Zur Deckung der Ausgaben des Bundes, insbesondere der Kosten der Bundesverwaltung, der Aufwendungen des Bundes für Besatzungskosten und sonstige äußere und innere Kriegsfolgelasten . . .“. Diese Formulierung besagt noch nicht, daß diese Aufgaben auf den Bund übergehen, sondern das müssen Sie positiv aussprechen. Zweitens müssen Sie positiv aussprechen, was unter „Besatzungskosten und sonstige äußere und innere Kriegsfolgelasten“ im einzelnen zu verstehen ist. Das kann man nicht einfach der Bundesgesetzgebung überlassen; denn der Bund könnte diese Aufwendungen nach Belieben einschränken. Sie stellen das aber einfach als Aufgabe des Bundes dar und nehmen das für die Gesamtheit dieser Aufwendungen erforderliche Geld ohne weiteres für den Bund in Anspruch. Später aber überlassen Sie durch ein Bundesgesetz gütigst diese und jene Aufgabe den Ländern, und diese können sich daran verbluten. Nein, so kann man die Rechnung nicht aufmachen. Wollen wir statuieren, daß der Bund die Besatzungskosten trägt? Wir wissen es nicht; wir können es nur unterstellen. Wir können lediglich sagen: Im Verhältnis zwischen Bund und Ländern soll der Bund die Besatzungskosten bestreiten; aus diesem Gesichtspunkt sollen und müssen wir ihm die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen. Nun erhebt sich die Frage: Besteht im Zusammenhang damit eine absolute Notwendigkeit, die Einkommen- und Körperschaftsteuer mit in die Finanzmasse des Bundes hereinzunehmen, oder kann man sie den Ländern überlassen? Ich habe die bestimmte Hoffnung, daß das Besatzungsstatut11) und die Regelung des Lastenausgleichs doch dazu führen werden, daß die Verbrauchssteuern und die Umsatzsteuer ausreichen werden, um die Besatzungskosten und den Aufwand für die inneren und äußeren Kriegsfolgelasten zu tragen. Auf der anderen Seite übernehme ich es – und daraus mögen Sie entnehmen, wie ernst mir die Verantwortung für diese Frage ist –, hier dafür einzutreten, daß dem Bund auch noch die Möglichkeit gelassen wird, im Bedarfsfall auf die Einkommen und Körperschaftsteuer zurückzugreifen, wenn das [S. 515] Aufkommen aus den Verbrauchssteuern und der Umsatzsteuer wirklich nicht zureichen sollte. Auf alle Fälle bitte ich Sie aber, wenigstens im Grundgesetz eine gewisse Zäsur zu machen, um so zu verdeutlichen, daß der Zugriff auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer nur das äußerste und

11)

Zum Besatzungsstatut vom 10. April 1949 vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 5, Anm. 15. Vgl. zuletzt Dok. Nr. 31, S. 948, Anm. 31.

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letzte Hilfsmittel sein darf, damit der Bund nicht die Lebensfähigkeit der Länder ertötet. Die steuerpolitischen Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Höpker Aschoff waren hochinteressant, und ich unterschreibe sie in jedem Wort. Nur habe ich den Eindruck gehabt, daß sie hier nicht am Platze sind; denn Art. 122a legt mit aller Deutlichkeit fest, daß der Bund die ausschließliche Gesetzgebung über die Steuern vom Einkommen, Vermögen, von Erbschaften und Schenkungen hat. Auf diesen Gebieten kommt also auf gar keinen Fall ein Gesetzgebungsrecht der Länder in Frage. (Zuruf: Abs. 2 des Art. 122a in der Fassung des CDU/CSU-Antrags!) – Der Abs. 2 ist neu: „Die Länder können durch Landesgesetze zu den Steuern von Einkommen Zuschläge für die Landeskasse erheben.“ Wenn Sie nach dieser Richtung hin Bedenken haben – ich kann das verstehen –, dann setzen Sie die Worte hinzu: „im Rahmen eines Bundesgesetzes“. Dann sind Ihre Befürchtungen sofort beseitigt. Das ist nichts anderes als das, was Ihr eigener Redaktionsausschuß empfohlen hat. Er hat ausdrücklich gesagt (PR. 12.48 – 374, Vorbemerkung Ziffer 3): „Darüber hinaus sollte durch Landesgesetz die Erhebung von Zuschlägen zu dieser Einkommen- und Körperschaftsteuer durch die Länder vorgesehen werden.“ (Zuruf von der SPD: Das ist eine private Arbeit!) – Das ist in der amtlichen Ausgabe des Redaktionsausschusses enthalten. Ich bin hier nicht so zu Hause, daß ich zwischen einer privaten und einer amtlichen Arbeit unterscheiden kann. Ich habe es jedenfalls mit der Arglosigkeit des Staatsbürgers gelesen. Auf jeden Fall ist die Situation so, daß die ausschließliche Gesetzgebung über die Einkommen- und Körperschaftsteuer dem Bund zusteht. Es gehört nach meinem Empfinden fast ein Mißverstehen, das dem bayerischen Mißtrauen fast vergleichbar ist, dazu, aus dem Art. 122b herauslesen zu wollen, daß hier gewissermaßen ein Gesetzgebungsrecht der Länder hineingeschmuggelt werden soll. Was die Verteilung der Steuerquellen angeht, so ist zu fragen, was man bei den bisherigen Finanzausgleichen verteilt hat. Man hat das Aufkommen der Steuern festgestellt, hat es zusammengeworfen und hat zum Schluß einfach aus diesem Aufkommen bestimmte Summen herausgenommen. Das einzelne Land mußte dann von Jahr zu Jahr sehen, wieviele Brosamen vom Tisch des Herrn gefallen sind. Diesen Zustand wollen wir künftig nicht mehr haben. Wir wollen genau wissen, daß das Aufkommen der und der und der Steuer an die Länder fällt, daß die Länder einen Rechtsanspruch auf dieses Aufkommen haben. Das wollen wir haben, damit wir rechnen können, damit wir nicht von der Hand in den Mund leben müssen, damit wir eine geordnete, planmäßige Finanzwirtschaft führen können. Das ist doch kein unbilliges Verlangen. Wir billigen auch dem Bund das Recht und die Möglichkeit zu zu disponieren. Warum wollen Sie uns das unmöglich machen und uns vor die absolute Notwendigkeit stellen, jedes Jahr zu hören: Wir brauchen soundso viel mehr, das geht, das muß gehen. Dann drückt man uns soundso viele Millionen ab, und dann macht man ein Finanzausgleichsgesetz, wenn das Etatsjahr beinahe vorüber ist. Wir haben auf diesem Gebiet so viel erleben müssen, daß wir etwas dagegen haben müssen. Herr Dr. Höpker Aschoff mag recht haben, wenn er sagt, daß bei der Verteilung der Steuerquellen die Rechnung einmal nicht aufgehen könne; es könne vorkommen,

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daß wir bei der Verteilung der Steuerquellen nicht zu einer brauchbaren Regelung kämen, und dann könne es zur Erleichterung der Situation beitragen, wenn man auch noch den Anspruch auf Teile des Aufkommens einer Steuer als Surplus zum Ausgleich hinzugebe. Dagegen habe auch ich gewiß nichts. Auf jeden Fall aber müssen wir die unbedingte Forderung stellen, daß zunächst die Steuerquellen verteilt werden und daß darüber hinaus ein Ausgleich der besonderen Belastung einzelner Länder stattfindet. Ein solcher Ausgleich wird in der Gegenwart unbedingt notwendig sein, weil wir in den einzelnen Ländern Verhältnisse haben, die sich nicht miteinander vergleichen lassen. Im Laufe der Zeit wird durch den Lastenausgleich, die Flüchtlingsgesetzgebung usw. eine allmähliche Einebnung stattfinden. Wir werden auch bei der Neugliederung des Bundes nach dieser Richtung hin eine Abflachung bekommen. Auf jeden Fall muß gegenwärtig noch eine solche Gewähr in das Grundgesetz aufgenommen werden. Nun hat man Bedenken dagegen erhoben, daß die Zustimmung des Bundesrats an eine Zweidrittelmehrheit gebunden sein soll. Ich bin der festen Überzeugung, daß bei einer so lebenswichtigen Regelung auf das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit keineswegs verzichtet werden kann. Hier geht es buchstäblich um die Existenz der Länder, und es darf nicht einer Zufallsmehrheit im Bundesrat überlassen bleiben, eine solche Regelung zu treffen, von der die Existenz eines oder gar mehrerer Länder abhängen kann. Wenn Sie auf dieses Erfordernis der qualifizierten Mehrheit im Bundesrat verzichten, ist die ganze Regelung nach meiner Ansicht wertlos, weil sie dem Zufall und etwaigen Gehässigkeiten Tür und Tor öffnet. Eine derartige Regelung wäre für die Länder, die schwer zu kämpfen haben, völlig wertlos. Das sind die Gedanken, die ich zu der vorgeschlagenen Regelung äußern wollte. Ich bitte Sie nochmals: Treten Sie dem Gedanken nahe, eine durch qualifizierte Mehrheit gesicherte Aufteilung der Steuerquellen unter Einschluß eines Ausgleichs für leistungsschwache Länder in der Zukunft zu schaffen und für die Gegenwart eine Regelung, wie sie in der Übergangsbestimmung vorgesehen ist und durch ein Finanzausgleichsgesetz ergänzt und näher präzisiert werden soll. Ich bitte Sie weiterhin, grundsätzlich festzulegen, daß die Besatzungskosten und die äußeren und inneren Kriegsfolgelasten im Rahmen eines Bundesgesetzes vom Bund zu tragen sind. Dr. Seebohm (DP): Es ist durchaus richtig, wenn wir bei diesem Kernstück des Grundgesetzes auch in der zweiten Lesung in eine Generaldebatte über bestimmte Punkte dieses Abschnitts eintreten. Wir hatten bei dem Abschnitt Finanzwesen drei Gruppen zu unterscheiden, zunächst die Art. 122, 122a, 122b, weiter Art. 123 und als letzte Gruppe die dann folgenden Artikel. Wir sprechen zunächst über die Probleme der Art. 122, 122a und 122b. Die Erörterung über Art. 123 kann später erfolgen; es ist dann auch noch Gelegenheit, dazu etwaige Änderungsanträge zu stellen. Bei der Regelung der Finanzfragen befinden wir uns in einer äußerst unglücklichen Situation. Wir müssen diese Fragen regeln, ohne heute schon die Konsequenzen unserer Regelung im einzelnen übersehen zu können, ohne daß wir schon heute klar erkennen können, welche finanziellen Folgen sich aus dem Besatzungsstatut und aus der Gesetzgebung über den Lastenausgleich ergeben werden.

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Ich bin der Auffassung, daß die Gesetzgebung über die Steuern und Zölle, Anleihen und Finanzmonopole12) einheitlich beim Bund zu liegen hat, aus den wiederholt vorgetragenen Gründen insbesondere wirtschaftspolitischer und sozialpolitischer Art, wie sie Herr Dr. Höpker Aschoff hier eingehend dargelegt hat. Aber auch die, ich möchte sagen, klassische Formulierung, die Herr Dr. Höpker Aschoff für die Begründung der Steuer selbst gefunden hat, ist von entscheidender Bedeutung für unsere Beschlüsse. Darüber hinaus sind seine Ausführungen von großem Wert für die Diskussion, die sich außerhalb unseres Kreises zu dem Finanzproblem angesponnen hat. Ich möchte sie daher durchaus unterstreichen. Für uns kommt es heute vor allem darauf an, eine Regelung zu vermeiden, die angesichts der zur Zeit gegebenen besonderen Voraussetzungen den Gesetzgeber [S. 516] derart festlegt, daß er in Zukunft nur unter Schwierigkeiten den Erfordernissen des Tages Rechnung tragen kann. Gerade in der Finanzgesetzgebung spiegeln sich die Erfordernisse des Tages im Hinblick auf die erwähnten wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Auswirkungen besonders klar und eindeutig wieder. Daher begrüße ich grundsätzlich den Antrag der Fraktion der CDU/CSU, der die Entwicklung für die Zukunft offenläßt und es ermöglicht, daß die zahlreichen Einwendungen, die von außen her an uns herangetragen werden, in der öffentlichen Diskussion ausgeräumt werden. Deshalb halte ich es für sehr glücklich, daß man die Probleme, deren Regelung wir ursprünglich im Finanzausschuß in den Abschnitt über das Finanzwesen eingebaut hatten, nunmehr den Übergangsbestimmungen zuweist und damit ohne weiteres die Möglichkeit der Entwicklung schafft. Dies ist vor allem auch deshalb notwendig, weil wir beim Aufbau des Bundesstaats besonders den Grundsatz berücksichtigen wollen, den auch Bismarck befolgt hat, daß es nämlich darauf ankommt, in einem Bund die Bundesfreudigkeit der Länder zu stärken. Diese Bundesfreudigkeit der Länder wird zweifellos durch die Formulierungen und Regelungen gestärkt werden, die uns in dem Antrag der CDU/CSU vorgelegt worden sind. Ich halte es darüber hinaus für richtig, nicht nur die Aufteilung der Steuerquellen nach Art. 122b, sondern auch gewisse Materien der Art. 122 und 122a den Übergangsbestimmungen zuzuweisen. Wenn wir den ersten Abschnitt des Art. 122 den Übergangsbestimmungen zuweisen, so ist dabei zu betonen, daß wir hier keine erschöpfende Aufzählung vorgenommen, sondern nur bestimmte besonders wichtige Gebiete herausgehoben haben. Daß der Bund die Kosten der Bundesverwaltung zu tragen hat, versteht sich von selbst. Daß der Bund die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung zu tragen hat, ist gleichfalls selbstverständlich. Diese beiden Aufgaben des Bundes werden auch in Zukunft bestehenbleiben. Dagegen sind die Aufwendungen des Bundes für Besatzungskosten und die sonstigen äußeren und inneren Kriegsfolgelasten, wenn auch für einen längeren Zeitraum, als vorübergehende Aufgabe anzusehen. Daher ist es zweckmäßig, sie auch in den Übergangsbestimmungen festzulegen. Ich bin allerdings der Auffassung, daß es vielleicht zweckmäßig wäre – entgegen der Auffassung, die zum Teil von anderer Seite vorgetragen wird –, die Frage der Zuschüsse des Bundes zu den Lasten der Sozialversicherung hier zu erwähnen, und zwar aus Gründen der Klarheit. Ich 12)

Statt „Finanzmonopole“ im stenograph. Wortprot., S. 23: „sonstige Finanzfragen“.

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sehe hier ein Gebiet, auf dem der Bevölkerung eindeutig gesagt werden kann, daß der Bund sich als Treuhänder für alle die Menschen fühlt, die der Sozialversicherung unterliegen, und die Garantie dafür übernimmt, daß die Leistungen der Sozialversicherung unter allen Umständen aufrechterhalten bleiben. Dies ist auch für die Einstellung vieler Menschen zu dem gesamten Grundgesetz von entscheidender Bedeutung. Deshalb sollte man nicht daran vorbeigehen, eine solche Bestimmung ausdrücklich aufzunehmen. Was den Art. 122a Abs. 2 angeht, so habe ich von der Wirtschaft her gegen diese Formulierung Bedenken. Aber diese Bedenken der Wirtschaft werden sich überwinden lassen, wenn diese Fragen im Rahmen eines Bundesgesetzes geregelt werden. Ich glaube nicht, daß man in der Praxis sehr oft dazu kommen kann und wird, von dieser Bestimmung Gebrauch zu machen; aber sie mag immerhin als Ventil erhalten bleiben. Ich möchte da die Anregung aufnehmen, die Herr Ministerialdirektor Dr. Ringelmann vorhin gegeben hat, und beantragen, für den Fall der Annahme des Abs. 2 die Worte „im Rahmen eines Bundesgesetzes“ einzufügen. Was den Art. 122b betrifft, so wäre es nach unserer Auffassung sehr viel einfacher, zu diesem Problem Stellung zu nehmen, wenn wir in dem Art. 105 Ziffer 1 festlegen würden, daß alle Finanz und Steuergesetze der Zustimmung des Bundesrats bedürfen. Unter dieser Voraussetzung würde ich glauben, daß auch eine qualifizierte Mehrheit nicht notwendig ist. Dieses Problem berührt – darauf hat man mit Recht hingewiesen – die Existenz der Länder. Ich glaube aber, die Existenz der Länder wird in jedem Fall und für alle Länder gleichmäßig berührt, und in einem echten Bundesrat werden hier keine allzu großen Differenzen zwischen den Auffassungen der einzelnen Länder auftreten, so daß eine qualifizierte Mehrheit hier kein unbedingtes Erfordernis darstellt, wenn der Bundesrat stets bei allen Finanzund Steuergesetzesvorlagen als gleichwertige Instanz neben dem Bundestag eingeschaltet wird. Sollte allerdings die von uns beantragte Einschaltung in Art. 105 Ziffer 1 nicht beschlossen werden, so erscheint mir eine stärkere Betonung des Gewichtes des Bundesrats gerade beim Finanzausgleich unerläßlich. Der Finanzausgleich muß in erster Linie ein Spitzenausgleich sein; er soll wirklich nur die Spitzen ausgleichen. Deshalb sind die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Länder grundsätzlich ihre Ausgaben aus eigenen Einnahmen finanzieren können, aus Einnahmen, auf die sie einen Rechtsanspruch haben und die ihnen nicht erst durch ein besonderes Bundesgesetz zuzuweisen sind. Je weiter wir in dieser Richtung gehen, desto mehr werden wir die Bundesfreudigkeit der Länder stärken. Die Möglichkeit dazu gibt die Formulierung des Art. 122b. Derjenige, der diese Bestimmung im Zusammenhang liest, kann nicht die Befürchtung haben, daß der Ausdruck „Aufteilung der Steuerquellen“ sich in irgendeiner Weise auf die Gesetzgebung beziehen kann, die im vorhergehenden Artikel eindeutig klargestellt ist. (Dr. Binder [CDU]: Das kann auch noch klargestellt werden.) Man könnte vielleicht eine andere Formulierung finden13). Aber ich glaube, die Formulierung kann so bestehenbleiben, weil für die Menschen draußen, die das 13)

„(Dr. Binder [CDU]: Das kann auch noch klargestellt werden.) Man könnte vielleicht eine andere Formulierung finden.“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 27.

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Gesetz so lesen, einfacher zu erfassen sein wird, daß es unser Wille ist, den Ländern alle Einnahmen zuzuweisen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben brauchen, und im übrigen nur den notwendigen Spitzenausgleich durchzuführen, der sich aus der verschiedenen wirtschaftlichen Kraft der einzelnen Länder ergibt. Aus diesen Gründen möchte ich mich nochmals dafür einsetzen, daß wir die bisher beschlossenen Formulierungen zu den Artikeln 122, 122a und 122b und damit das ganze System ändern. Wir geben damit dem künftigen Bundesgesetzgeber die Möglichkeit, der Entwicklung in einem weiten Umfange Rechnung zu tragen, den Ländern aber das Bewußtsein, daß diese Regelung ihren Interessen genügend gerecht wird. Dr. Greve (SPD): Die Ausführungen des Herrn Dr. Höpker Aschoff werden von meinen Freunden und mir unterstützt. Wenn Herr Ministerialdirektor Dr. Ringelmann gefordert hat, auch den Ländern auf dem Gebiet der Steuergesetzgebung und -verwaltung so viel Bewegungsfreiheit zu geben, daß ihre Selbständigkeit gewahrt bleibt, so möchte ich wiederholen, was von unserer Seite schon mehrfach ausgesprochen worden ist. Uns liegt in keiner Weise daran, in das Grundgesetz Bestimmungen über das Finanzwesen aufzunehmen, die nur die Tendenz haben könnten, die Länder auf dem Gebiet der Finanzen zu vergewaltigen. Sowohl dem Bund wie auch den Ländern muß das gegeben werden, was sie zur Durchführung ihrer Aufgaben benötigen. Nur die Wege, die wir gehen wollen, sind verschieden. Auch hier kann ich mich darauf beschränken, dem zuzustimmen, was Herr Dr. Höpker Aschoff ausgeführt hat. Ich halte es nicht für möglich, den Ländern, wie es Herr Ministerialdirektor Dr. Ringelmann gefordert hat, das gesamte Aufkommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu überlassen. Denn dadurch würde eine Verschiebung nicht nur auf dem Gebiet der Steuerkraft eintreten, sondern gerade auf wirtschaftlichem Gebiet, auf sozialem Gebiet und vielleicht noch auf weiteren Gebieten. Was heißt es denn, den Ländern das Aufkommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu überlassen? Es bedeutet, [S. 517] diejenigen Länder, in denen das Schwergewicht des Steueraufkommens liegt, stark zu machen und diejenigen Länder, die ohnehin steuerschwach sind, schwächer zu machen, selbst wenn durch ein Bundesgesetz den Ländern vorgeschrieben wird, die Einkommensteuer überall in gleicher Höhe zu erheben. Das würde heißen, daß diejenigen Länder, deren Aufkommen aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer sehr hoch ist, es zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht notwendig hätten, die Steuerschraube bei anderen Steuern in dem Umfang anzuziehen, wie gerade steuerschwache Länder es tun müssen. Ich darf hier das Beispiel aufgreifen, das Herr Dr. Höpker Aschoff erwähnt hat. Diejenigen Länder, die aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer einen erheblichen Teil ihrer Gesamtausgaben decken können, haben es eben nicht nötig, etwa zur Kraftfahrzeugsteuer Zuschläge in Höhe von 50 oder 100 Prozent zu erheben. Sie hätten es auch nicht nötig, andere Steuern in dem Umfang in Anspruch zu nehmen, wie steuerschwache Länder es tun müßten, die nicht das hohe Aufkommen aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer haben. Wir sind also der Auffassung, daß dieser Weg nicht gangbar ist. Vielmehr kann und muß es die Aufgabe eines vernünftigen Finanzausgleichs sein, den Ausgleich zu treffen, der im Interesse aller Länder notwendig ist. Ich bedauere es sehr, daß wir hier immer nur die Auffassung des Vertreters der

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Regierung eines Landes hören. Das liegt selbstverständlich nicht an uns, sondern an den Regierungen der anderen Länder14). Ich glaube, daß es in dem Gebiet, für das wir ein Grundgesetz zu beschließen haben, auch noch Länder gibt, die mit uns der Auffassung sind, daß es gerade im Interesse der Länder liegt, dem Bund auf dem Gebiet der Steuergesetzgebung und Steuerverwaltung so viel Möglichkeiten wie nur irgend denkbar zu geben. Man kann wohl so viel Vertrauen zum Gesetzgeber unseres neuen Staates haben, daß er im Rahmen eines vernünftigen Finanzausgleichs das Gleichgewicht herstellen wird, das den Interessen aller Länder gerecht wird. Herr Ministerialdirektor Dr. Ringelmann hat gesagt, daß es im Interesse einer geordneten Finanzwirtschaft notwendig sei, das zu tun, was der Antrag der CDU/ CSU-Fraktion vorschlägt. Das klingt so, als ob die Weimarer Republik und ihre Länder keine geordnete Finanzwirtschaft gehabt hätten. Ich denke, der Herr Kollege Dr. Höpker Aschoff würde sich sehr gegen den Vorwurf verwahren, daß etwa in dem Preußen der Weimarer Republik keine geordnete Finanzwirtschaft bestanden habe. Die Bestimmungen, die vom Reich her zur Zeit der Weimarer Republik galten, gaben den Ländern durchaus die Möglichkeit, das durchzuführen, was Sie, Herr Ministerialdirektor Dr. Ringelmann, wünschen, nämlich eine geordnete Finanzwirtschaft. Aber, Herr Ministerialdirektor, Ihr Minister hat die Katze aus dem Sack gelassen, er will den Bund auf Matrikularbeiträge setzen. (MinDir. Dr. Ringelmann: Nicht nur!) – Das hat Herr Finanzminister Dr. Kraus im Finanzausschuß gesagt. Und das wollen wir gerade nicht! (MinDir. Dr. Ringelmann: Wir15) auch nicht!) Wir wollen nicht, daß der Bund der Kostgänger – um diese Platitüde noch einmal zu gebrauchen – der Länder wird. Wir sind der Auffassung, daß eine geordnete Finanzwirtschaft unter Berücksichtigung dessen, was Herr Dr. Höpker Aschoff gesagt hat – eine einheitliche Zusammenfassung aller Aufgaben auf dem Gebiet der Gesetzgebung und Verwaltung beim Bund notwendig macht. Es ist übrigens bezeichnend, daß hier von der Verwaltung überhaupt nicht gesprochen wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir sind noch nicht dabei. Dr. Greve (SPD): Dann möchte ich verzichten, auf das einzugehen, was zur Frage der Verwaltung zu sagen ist. Jedenfalls meinen wir, daß es nicht unsere Aufgabe sein kann, hier Bestimmungen zu treffen, durch die wir uns keine Freiheit schaffen, sondern uns binden. Wenn das, was Herr Dr. Höpker Aschoff gesagt hat, richtig ist – und es ist richtig –, dann bleibt uns nur die eine Möglichkeit, so zu prozedieren, wie wir es im Finanzausschuß und auch hier im Hauptausschuß beschlossen haben. Zu dem, was Herr Dr. Höpker Aschoff mit seinem Abänderungsantrag zu Art. 122b gesagt hat, möchte ich erklären, daß ich diesen Weg für durchaus gangbar halte und daß wir gerade dadurch in keiner Weise die Möglichkeit verbauen, auch auf 14)

„Das liegt selbstverständlich nicht an uns, sondern an den Regierungen der anderen Länder.“ fehlt im stenograph. Wortprot., S. 29. 15) Statt „Wir“ im stenograph. Wortprot., S. 30: „Ich“.

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das einzugehen, was die Länder glauben heute schon fordern zu müssen. Ihr Antrag, Herr Schlör, könnte durchaus seine Berechtigung haben in einer Zeit, in der wir eine Übersicht darüber haben, welches die Aufgaben des Bundes und welches die Aufgaben der Länder sind. Das Gegenteil dessen, was gesagt worden ist, ist richtig. Die bestimmten oder zu bestimmenden Aufgaben liegen heute bei den Ländern, und die Masse der nicht bekannten und nicht bestimmbaren Aufgaben liegt beim Bund. Deshalb ist es auch notwendig, gerade den Ausgleichsfonds beim Bund zu belassen, um auf Grund dieses Ausgleichsfonds im Rahmen des Finanzausgleichs jeweils dem Bundesgesetzgeber die Möglichkeit zu geben, festzulegen, welches die Anteile sein sollen, die die Länder zur Erfüllung ihrer Aufgaben erhalten, und welches der Anteil sein soll, den der Bund zur Erfüllung seiner heute noch nicht bekannten und auch nicht bestimmbaren Aufgaben in Anspruch nehmen muß. Vors. Dr. Schmid (SPD): Es könnte den Hauptausschuß interessieren, einige Zahlen darüber zu bekommen, wieviel unter Berücksichtigung unserer bisherigen Beschlüsse und Ihrer Vorschläge aus der gesamten Finanzmasse je auf die Länder und den Bund entfällt. Falls Sie, Herr Dr. Höpker Aschoff, die Zahlen zur Verfügung haben sollten, wäre es auch interessant, gewisse Vergleichszahlen aus anderen Bundesstaaten, etwa den Vereinigten Staaten von Amerika usw., kennenzulernen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Ich begrüße es, daß unsere Verhandlungen zu einer gewissen Annäherung geführt haben. Besonders bin ich Herrn Ministerialdirektor Dr. Ringelmann dafür dankbar, daß er namens der bayerischen Regierung die Notwendigkeit anerkannt hat, dem Bund das Gesetzgebungsrecht über alle großen Steuern einzuräumen. Ich bin ihm ferner für die Erklärung dankbar, daß der Begriff „Aufteilung der Steuerquellen“ in dem Antrag Schlör jedenfalls nach Auffassung der bayerischen Landesregierung nicht in dem Sinne zu verstehen sei, daß eine Teilung der Gesetzgebung gewünscht würde. Ich stimme Herrn Ministerialdirektor Dr. Ringelmann auch darin zu, daß den Ländern ein fester, gesetzlicher Anspruch auf einen Teil des Steueraufkommens eingeräumt werden muß, daß die Länder nicht auf Zuweisungen des Bundes angewiesen sein können. Aber dem trägt unsere bisherige Beschlußfassung und das, was ich zur Abänderung vorgeschlagen habe, Rechnung. Darin wird gesagt, die Länder sollen einen gesetzlichen Anspruch auf das Reinaufkommen bestimmter Bundessteuern und auf Anteile des Reinaufkommens anderer Bundessteuern haben. Der gesetzliche Anspruch, der es den Ländern ermöglicht, ihren Haushaltsplan vernünftig aufzustellen, ist also durchaus gegeben. Ein besonderes Wort muß noch der Frage der Einkommensteuer gelten. Es liegt ein gewisser Widerspruch in dem Antrag Schlör, daß er gerade das Zuschlagsrecht zur Einkommensteuer hier vorn in den Text des Grundgesetzes aufnimmt, während im übrigen die nähere Regelung in die Übergangsbestimmungen verwiesen wird. Von diesem Schönheitsfehler sei aber abgesehen. [S. 518] Wir sind bei unserer Beschlußfassung davon ausgegangen, daß wir dem Bund das Gesetzgebungsrecht über die Einkommen- und Körperschaftsteuer einräumen. Es steht nichts im Wege, daß wir bei einer günstigen Entwicklung unserer Wirtschaft einmal nicht das Gesamtaufkommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer

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zwischen Bund und Ländern aufteilen, sondern die Tarife der Einkommensteuer stark herabsetzen und daneben den Ländern das Recht einräumen, Zuschläge zur Einkommen- und Körperschaftsteuer zu erheben. Aber das sind Dinge, die heute nach der einhelligen Auffassung aller Sachverständigen völlig unmöglich sind, die man vielmehr erst in Zukunft in Aussicht nehmen kann. In Parenthese möchte ich hier bemerken, daß, wenn man ein solches Zuschlagsrecht der Länder einführen will, die Bundesfinanzverwaltung eine zwingende Notwendigkeit wird, weil nämlich dann das prinzipale Aufkommen aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer, das nach den herabgesetzten Sätzen in die Bundeskasse fließt, für die Zuschläge zerlegt werden muß. Aber das nur nebenbei. Nun hat der Herr Vorsitzende angeregt, ich möchte einige Zahlen geben. Ich kann sie nur aus dem Gedächtnis geben, aber sie werden ungefähr stimmen. Wenn Herr Ministerialdirektor Dr. Ringelmann gemeint hat, es bestehe die Gefahr, daß die Länder und Gemeinden mit kümmerlichen Brosamen abgefunden würden, so ist das ganz gewiß nicht richtig. Ich habe im Finanzausschuß eine Aufstellung gemacht und dabei zugrunde gelegt, daß das tatsächliche Aufkommen im Rechnungsjahr 1947 im Vereinigten Wirtschaftsgebiet rund 13 Milliarden betrug. Dabei standen mir die Zahlen der französischen Zone nicht zur Verfügung. Man muß also diese Ziffer etwa um ein Achtel erhöhen, um die Gesamtzahl der Trizone zu gewinnen. Aber einen Überblick geben auch die Zahlen für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet. Ich muß dabei eine Unterstellung machen und davon ausgehen, daß das Aufkommen der Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer nach bestimmten Prozentsätzen verteilt wird, die erst durch das Finanzausgleichsgesetz und das Haushaltsgesetz festgestellt werden können. Wenn ich von der Verteilung in der Weimarer Republik ausgehe, als die Länder und Gemeinden 75 Prozent des Aufkommens der Einkommen- und Körperschaftsteuer und 30 Prozent des Aufkommens der Umsatzsteuer erhielten, so würde sich die gesamte Steuermasse so verteilen, daß die Länder und Gemeinden 8,2 Milliarden und der Bund 5,5 Milliarden erhalten würde. Man kann also ganz gewiß nicht davon reden, daß die Länder und Gemeinden mit kümmerlichen Brosamen abgespeist würden. (MinDir. Dr. Ringelmann: Das kann gar nicht stimmen, weil allein die Verbrauchssteuern 2,5 Milliarden und die Umsatzsteuer 2,3 Milliarden ausgemacht haben!) – Herr Ministerialdirektor, Sie können sich darauf verlassen, daß diese Zahlen stimmen. Ich habe sie aus der Aufstellung zusammengestellt, die wir von der Finanzverwaltung in Frankfurt und von der Steuerleitstelle in Hamburg für das Aufkommen der einzelnen Steuern im Vereinigten Wirtschaftsgebiet erhalten haben. Ich habe in meiner Aufstellung nicht nur die Reichssteuern eingerechnet, sondern auch die Grundsteuer und Gewerbesteuer. (MinDir. Dr. Ringelmann: 1,8 Milliarden!) Ich wiederhole, das gesamte Aufkommen aller Steuern, die ich erwähnt habe, betrug für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet über 13 Milliarden. Ich habe das Aufkommen im Rechnungsjahr 1947 zugrunde gelegt und bin bei meiner Schätzung von der Voraussetzung ausgegangen, daß die Einkommen- und Körperschaftsteuer zu 75, die Umsatzsteuer zu 30 Prozent den Ländern und Gemeinden zufällt. Von die-

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ser Voraussetzung ausgehend stimmen die Zahlen, die ich angegeben habe. Ich bin gerne bereit, Herr Ministerialdirektor, mit Ihnen in einer ruhigen Stunde diese Aufstellung durchzurechnen, und ich hoffe Sie von der Richtigkeit meiner Rechnung überzeugen zu können. Der Vorschlag, das Aufkommen so zu verteilen, daß meinetwegen der Bund die ganzen indirekten Steuern, insbesondere die Biersteuer, die Rennwettsteuer, also auch die Umsatzsteuer bekommt, und daß die Länder und Gemeinden das ganze Aufkommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer erhalten, erscheint mir vom Standpunkt der Länder und Gemeinden aus sehr gefährlich. Wir wissen aus Erfahrung, daß die direkten Steuern viel konjunkturempfindlicher sind als die indirekten Steuern. Gerade vom Standpunkt der Länder und Gemeinden aus erscheint es sehr ratsam, die Länder und Gemeinden an beiden großen Steuern, der Umsatzsteuer und der Einkommen- und Körperschaftsteuer, zu beteiligen, um sie gegen den Wechsel der Konjunktur und den damit verbundenen Wechsel des Steueraufkommens in etwa zu schützen. Gestatten Sie mir noch ein kurzes Wort zu der Äußerung des Herrn Ministerialdirektors Dr. Ringelmann, daß es sich hierbei um eine Frage von Leben und Sterben für die Länder handle. Daß die Frage bedeutsam ist, gebe ich ohne weiteres zu. Aber daraus zu folgern, daß eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat notwendig ist, das geht zu weit, Herr Ministerialdirektor, warum haben Sie ein solches Mißtrauen gegenüber dem Bundesrat? Der Bundesrat ist das Vertretungsorgan der Länder. Wenn Leben und Sterben der Länder zur Debatte stünden, glauben Sie, daß nur die bayerische Regierung sich um das Leben und Sterben der Länder kümmern würde? Ich glaube, daß die einfache Mehrheit des Bundesrats vollkommen ausreichen wird. Noch eine kurze Bemerkung zur Frage der Besatzungskosten. Ich gebe zu, es mag im Augenblick vielleicht nicht ratsam sein, zu bestimmen, daß der Bund die Besatzungskosten zu tragen hat. Das ist auch die Erwägung der Herrenchiemseer Verfassungsgeber gewesen. Man kann aber ruhig davon ausgehen, daß der Bund jedenfalls die Hauptlast der Besatzungskosten zu tragen haben wird, schon um die steuerschwachen Länder vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Daher hat man in Herrenchiemsee zum Ausdruck gebracht: zur Deckung der Ausgaben, „insbesondere“ . . . usw. Ich halte das für eine durchaus glückliche Lösung und bitte Sie, daran festzuhalten. Dr. Binder (CDU): Zunächst möchte ich, um Mißverständnisse aufzuklären, bemerken, daß in dem Vorschlag der CDU/CSU zu Art. 122a Abs. 2 durchaus vermerkt werden kann, daß das Zuschlagsrecht der Länder nur im Rahmen eines Bundesgesetzes erfolgt. Ebenso kann in Art. 122b gesagt werden: Die Steuerquellen sind unbeschadet der Gesetzgebungs- und Weisungsbefugnis des Bundes auf Bund und Länder (einschließlich ihrer Gemeinden und Gemeindeverbände) nach deren Aufgaben aufzuteilen. Damit ist auch hier jedes Mißverständnis ausgeschlossen. Zweitens möchte ich auf folgendes aufmerksam machen. Wenn wir für eine Aufteilung der Steuerquellen eintreten, so nur deshalb, um sicherzustellen, daß die Länder auf die Masse dessen, was Sie dem Finanzausgleich vorbehalten wollen, einen klaren Rechtsanspruch haben und dann nur noch die Spitzen durch das Finanzausgleichsgesetz neu geregelt werden müssen. Damit erleichtern Sie den künftigen

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Finanzausgleich. Es ist keineswegs gesagt, daß die Aufteilung der Steuerquellen durch den künftigen Bundestag und Bundesrat in einer Weise erfolgt, daß die Länder den Löwenanteil erhalten und die Interessen des Bundes dabei geschwächt werden. Es bleibt der künftigen Gesetzgebung vorbehalten, die Steuerquellen so aufzuteilen, wie sie es für richtig hält, und dafür zu sorgen, daß immer noch eine gewisse Manövriermasse für den Bund zur Verfügung bleibt. Wenn Herr Ministerialdirektor Dr. Ringelmann mit besonderem Nachdruck für die Sicherung der [S. 519] Existenz der Länder eingetreten ist, so ist mir das vollkommen verständlich. In Zukunft werden Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern die drei leistungsschwachen Länder sein. Bei Schleswig-Holstein und Niedersachsen wird man die schwierige finanzielle Lage wahrscheinlich überhaupt nicht im Wege eines Finanzausgleichsgesetzes meistern können, sondern nur durch eine Änderung ihrer Struktur. Dies gilt vor allem für Schleswig-Holstein. Sollte die Struktur von Schleswig-Holstein und Niedersachsen geändert werden, dann bliebe als einziges leistungsschwaches Land in Deutschland Bayern übrig. Da glaube ich, daß die Befugnis der Länder, Zuschläge zu den Bundessteuern zu erheben, unter Umständen auch den Finanzausgleich mit Bayern erleichtern könnte. Gerade vom Standpunkt der leistungsstarken Länder aus halte ich diese Bestimmung für recht glücklich, weil man immerhin bei einem Finanzausgleich sagen kann, daß das leistungsschwache Land zunächst einmal seine eigenen Steuerquellen in einer maximalen Weise ausnutzen muß, ehe es mit einem größeren Anspruch an den Bund herantreten kann. Daher verstehe ich die Einwendungen nicht, die Herr Dr. Greve gegen diese Bestimmung erhoben hat. Dr. Kleindinst (CSU): Die ganze Angelegenheit ist früher und auch heute wieder nur vom Gesichtspunkt der Finanzen aus betrachtet worden. Ich möchte sie aber doch in das gesamte Verfassungsleben, in die Selbstverwaltung hineinstellen. Die Finanzen sind nur das Korrelat zur Verwaltung in den Ländern und Gemeinden. Hier handelt es sich darum, den Weg zu beschreiten – nur hinsichtlich des Weges sind wir verschiedener Meinung –, daß der Zusammenhang von Verwaltung, finanziellem Aufkommen und politischer Verantwortung wieder sichergestellt wird. Das war seit dem Landessteuergesetz von 1920 nicht mehr der Fall. Die Situation war damals die, daß die Anteile der Länder und Gemeinden an dem Aufkommen der gemeinsamen Steuern von Jahr zu Jahr gewechselt haben. Daher waren die Länder und Gemeinden gar nicht mehr in der Lage, Einnahmen zu beschließen, sondern mußten warten, was das Reich jeweils im Finanzausgleichsgesetz gegeben hat. Das hat dazu beigetragen, daß die Ausgabenwirtschaft sich nicht mehr an den Einnahmen hat orientieren können und daß die politische wie die finanzielle Verantwortung in weitem Umfange gefährdet worden ist. Hier liegt ein entscheidender Punkt bei der Behandlung der ganzen Angelegenheit. Das sind Dinge, die wir schon seit 1920 fortgesetzt im Auge behalten und beklagt haben. Dazu kam aber noch ein Umstand, den ich nur zur Erläuterung anführen möchte, weil Herr Dr. Greve meint, in der Weimarer Zeit sei alles in Ordnung gewesen. Für einzelne Verwaltungszweige sind immer wieder Schlüsselungen, Dotationen, Zuschüsse festgelegt worden – ob das nun, bis zum Jahre 1928, der Arbeitsnachweis war, die Polizeikosten oder die Straßenunterhaltungskosten –, die auch während des Haushaltjahres oft gewechselt haben. So entstand eine völlige Unsi-

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cherheit in der Ausgabengestaltung. Dagegen soll nun die Aufteilung des Aufkommens aus den Steuerquellen eine dauernde Sicherung geben. Der Spitzenausgleich soll lediglich das erfüllen, was nicht schon an der Wurzel gemacht werden kann16). Vors. Dr. Schmid (SPD): Zu Art. 122 ist eine Reihe von Abänderungsanträgen gestellt. Es ist zunächst der Antrag der Fraktion der CDU/CSU, den ersten Teil des Art. 122 aus dem eigentlichen Text des Grundgesetzes herauszunehmen und in die Übergangsbestimmungen zu verweisen. Ferner ist der Antrag angekündigt, durch eine positivere Fassung des Textes festzulegen, daß der Bund die Besatzungskosten und die äußeren und inneren Kriegsfolgelasten zu tragen hat. Schließlich hat Herr Ministerialdirektor Dr. Ringelmann darüber hinaus empfohlen, näher zu definieren, was unter inneren und äußeren Kriegsfolgelasten zu verstehen ist. Schlör (CSU): Wir haben die Anregung des Herrn Dr. Ringelmann übernommen, indem wir in die Übergangsbestimmungen den Satz eingefügt haben: „Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrats bedarf.“ Dadurch sollte näher bestimmt werden, was Besatzungskosten und innere und äußere Kriegsfolgelasten sind. Dr. Binder (CDU): Wenn wir dem Vorschlag des Redaktionsausschusses gefolgt sind, den ersten Teil des Art. 122 zu streichen, so vor allem deswegen, weil es uns darauf ankam, in die Übergangsbestimmungen aufzunehmen, daß die Besatzungskosten und die sonstigen inneren und äußeren Kriegsfolgelasten vom Bund getragen werden. Es kam uns entscheidend darauf an, klarzustellen, daß die Besatzungskosten und sonstigen äußeren und inneren Kriegsfolgelasten vom Bund übernommen werden und daß Näheres durch ein Bundesgesetz geregelt wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich für meinen Teil hätte Bedenken, diese Dinge in die Übergangsbestimmugen zu verweisen. Man spricht allerdings gern davon, die Besatzungskosten und Kriegsfolgelasten seien nicht endgültige Lasten, sondern Übergangslasten. Nun, wenn unser Grundgesetz solange Bestand haben müßte, bis wir keine Besatzungskosten und keine Kriegsfolgelasten mehr zu tragen haben, dann wäre es um den Bestand Deutschlands schlimm bestellt. Ich bin überzeugt, daß wir an den Besatzungskosten in irgendeiner Form noch auf Jahrzehnte hinaus zu tragen haben werden und daß die inneren und äußeren Kriegsfolgelasten uns wahrscheinlich noch viel mehr Jahrzehnte belasten werden. Wenn man bedenkt, wie lange zum Beispiel Frankreich an den Kriegsfolgelasten der napoleonischen Kriege zu tragen hatte, nämlich etwa ein Jahrhundert – im französischen Schuldbuch sind heute noch Verpflichtungen des Staates eingetragen, die in den napoleonischen Kriegen ihre Wurzel haben –, wenn man ferner bedenkt, wie lange Österreich-Ungarn an den Kriegsfolgelasten der Kriege in den 50er und 60er Jahren zu tragen hatte, dann kann die Prognose, die wir uns stellen können, nicht sehr günstig sein. 16)

Im stenograph. Wortprot., S. 40a, folgt danach: „Dies wollte ich zur Klärung der ganzen Angelegenheit hervorheben. Natürlich war es das ständige Bestreben des Reichsfinanzministeriums, jedes Detail festzulegen, mit Richtlinien zu arbeiten und allmählich auch die Finanzverwaltung wie eine Sonderverwaltung zu behandeln. Die Regelung, die wir hier schaffen, sollte das Ganze auf das Grundsätzliche zurückführen, die Aufgaben zwischen Bund und Ländern verteilen und so die politische Verantwortung für das finanzielle Aufkommen klarstellen.“

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Aus diesem Grunde widerstrebt es mir, in diesem Grundgesetz, das doch auch nur ein Übergangsgesetz ist – wir sollten gelegentlich daran denken –, die Besatzungskosten und Kriegsfolgelasten in die Übergangsbestimmungen aufzunehmen. Dr. Greve (SPD): Ich bitte, an der Formulierung festzuhalten, die der Hauptausschuß in der ersten Lesung beschlossen hat, insbesondere aber die Aufwendungen des Bundes für Besatzungskosten und sonstige äußere und innere Kriegsfolgelasten in den Wortlaut aufzunehmen, weil sowohl im Finanzausschuß wie im Hauptausschuß Klarheit darüber bestand, daß die Länder mit einer Interessenquote an den Besatzungskosten usw. beteiligt sein können. MinDir. Dr. Ringelmann: Ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie die Frage erörtern, inwieweit der Bund die Besatzungskosten und die sonstigen inneren und äußeren Kriegsfolgelasten übernehmen muß. Aber wenn Sie diese Fassung stehenlassen, wird sofort eine Quelle von Streitigkeiten darüber entstehen, was unter Besatzungskosten und was unter innere und äußere Kriegsfolgelasten fällt. Um das zu vermeiden, müßten Sie zum mindesten hinzusetzen: „nach näherer Bestimmung eines Bundesgesetzes.“ Dr. Greve (SPD): Ich habe keine Bedenken, als letzten Satz des Art. 122 die Bestimmung aufzunehmen: „Das Nähere regelt ein Bundesgesetz“. [S. 520] Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich würde vorschlagen, bei Ziffer 2 zu sagen: „nach Maßgabe eines Bundesgesetzes der Aufwendungen des Bundes für Besatzungskosten und sonstige äußere und innere Kriegsfolgelasten“. Dr. Menzel (SPD): Ich würde das hinterher anfügen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Also: „der Aufwendungen des Bundes für Besatzungskosten und sonstige äußere und innere Kriegsfolgelasten nach Maßgabe eines Bundesgesetzes.“ (Dr. Menzel [SPD]: Ja.) Dr. Seebohm (DP): Im Hinblick auf Art. 105 muß hinzugefügt werden: „das der Zustimmung des Bundesrates bedarf“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich hätte das ohne weiteres darunter genommen. Es ist ein Finanzgesetz. Dr. Seebohm (DP): Nach der Fassung des Art. 105 erster Lesung ist das nicht möglich. Es ist kein Finanzausgleichsgesetz. Dr. Süsterhenn (CDU): Die Bestimmung, was innere und äußere Kriegsfolgen sind, kann nicht unter den Finanzausgleich gebracht werden. Dr. Menzel (SPD): Wir haben bei der Frage der Gesetzgebung grundsätzlich daran festgehalten, daß der Bundesrat dem souveränen Bundestag bei der Gesetzgebung nicht gleichberechtigt ist. Ich sehe keine Veranlassung, daß wir wieder eine Ausnahme machen und von diesem Prinzip abgehen. Dr. Seebohm (DP): Es ist bei der Behandlung des Art. 105 von unserer Seite der Antrag gestellt worden: „Der Zustimmung des Bundesrats bedürfen Gesetze: 1. über alle Finanz- und Steuerangelegenheiten . . .“. Diese Bestimmung ist nicht aufgenommen worden. Bisher ist eine Zustimmung des Bundesrats nur vorgesehen, wenn es sich um Gesetze handelt, die den Finanzausgleich betreffen, oder um Gesetze über Steuern, die den Ländern zustehen. Hier wird also die Zustimmung des Bundesrats zu einem solchen Gesetz nicht notwendig sein, wenn es nicht ausdrücklich aufgenommen wird. Wir beantragen, das hinzuzufügen.

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MinDir. Dr. Ringelmann: Ich wollte nur sagen, Sie werden um die Notwendigkeit, die Zustimmung des Bundesrats vorzusehen, nicht herumkommen; denn es handelt sich in diesem Abschnitt nur um finanzielle Fragen. Es kommt insbesondere bei der Verdrängtenfürsorge darauf an, ob die Last herüber- oder hinübergenommen wird. Hier handelt es sich um die Ausgaben des Bundes. Gerade deshalb müssen Sie eine Mitwirkung des Bundesrats zugestehen. Sonst kommen Sie mit den nachfolgenden Bestimmungen über die Verteilung der Steuern in Widerspruch. Dr. Greve (SPD): In Abs. 1 ist gesagt: „Zur Deckung der Ausgaben des Bundes, insbesondere . . . 2. der Aufwendungen des Bundes für Besatzungskosten und sonstige äußere und innere Kriegsfolgelasten . . . dienen folgende Einnahmen:“ Es ist meines Erachtens gar nicht möglich, in diese Ziffer 2 die Bestimmung hineinzunehmen: „nach Maßgabe eines Bundesgesetzes“. Wir sagen hier nur, daß zur Deckung der Ausgaben, beispielsweise der Besatzungskosten, folgende Einnahmen dienen. Wenn wir hier die Worte „nach Maßgabe eines Bundesgesetzes“ hineinbringen, so ist das etwas, was in den Rahmen dieser ganzen Bestimmung nicht hineinpaßt. Was Besatzungskosten und sonstige äußere und innere Kriegsfolgelasten sind, muß sowieso ein Bundesgesetz bestimmen. Das kann nicht irgendwie geregelt werden, ohne daß die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zutreffen. Das ist aber für die Regelung dessen, wer die Kosten zu tragen hat, überhaupt nicht nötig. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Inwieweit Bundesgesetze zu den einzelnen Materien erlassen werden müssen, die unter Ziffer 1 bis 3 aufgeführt sind, ist schwer zu übersehen. Es wird solche Dinge geben, die einfach durch Haushaltsgesetze erledigt werden müssen, indem ein gesonderter Ausgabeposten dafür eingesetzt wird. Ich glaube, der Gedanke von Herrenchiemsee, hier nur gewissermaßen die Voraussetzung zu statuieren, daß diese Lasten vom Bund getragen werden sollen, muß für uns ausreichend sein. Es kann nicht immer alles mit dem furchtbaren Mißtrauen betrachtet werden, als ob der Bund unvernünftig wäre und den Ländern Abbruch tun wollte. Wir müssen Vertrauen zueinander haben. Aus diesen Erwägungen würde ich vorschlagen, Art. 122 ohne jeden Zusatz anzunehmen. MinDir. Dr. Ringelmann: Ich will die Debatte nicht verlängern. Aber ich denke praktisch, ich bin ein Mann, der mit diesen Dingen Tag für Tag zu tun hat. Vor uns steht eine große Zahl von einzelnen Materien, die die inneren und äußeren Kriegsfolgelasten betreffen. Es wird längere Zeit dauern, bis Klarheit geschaffen ist, ob diese Aufgaben bei den Ländern bleiben oder auf den Bund übergehen. Dann brauchen Sie ein Bundesgesetz, um den Übergang abzugrenzen. Wenn wir aber diese Abgrenzung nicht sofort bekommen, können wir nicht mehr wirtschaften. Ich weiß zu Beginn der Haushaltsaufstellung nicht, ob der Bund geneigt ist, diese oder jene Aufgabe zu übernehmen oder nicht. Infolgedessen brauchen wir hier ein Bundesgesetz, das reinliche Verhältnisse schafft. Sonst kommen wir in eine Finanzwirtschaft, bei der sich kein Mensch mehr auskennt. Vors. Dr. Schmid (SPD): Sind Abänderungsanträge gestellt? Dr. Binder (CDU): Ich stelle den Abänderungsantrag, bei Art. 122 Ziffer 2 an den Schluß zu setzen: „nach Maßgabe eines Bundesgesetzes“.

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Dr. Laforet (CSU): Dazu müßte gesagt werden: „das der Zustimmung des Bundesrats bedarf“. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über den Zusatzantrag Dr. Binder abstimmen. – Der Zusatzantrag ist mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Dann lasse ich über den Antrag der CDU/CSU abstimmen, den ersten Teil von Art. 122 in die Übergangsbestimmungen zu verlegen. – Der Antrag ist mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Schließlich lasse ich über den gesamten Art. 122 in der Fassung des Hauptausschusses abstimmen. – Art. 122 ist mit 11 gegen 1 Stimme angenommen; im übrigen Stimmenthaltungen.

[1.2. ART. 122a: GESETZGEBUNGSKOMPETENZ DES BUNDES]

Art. 122a Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über Zölle und Finanzmonopole und die Vorranggesetzgebung über folgende Steuern (Bundessteuern): 1. Die Verbrauchs- und Verkehrssteuern mit Ausnahme der Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungsbereich, insbesondere der Grunderwerbsteuer, Wertzuwachssteuer und Feuerschutzsteuer, 2. die Steuern vom Einkommen, Vermögen, von Erbschaften und Schenkungen, 3. die Realsteuern mit Ausnahme der Festsetzung der Hebesätze. Dr. Binder (CDU): Hier beantragt die CDU/CSU, einen Abs. 2 folgenden Wortlauts beizufügen: [S. 521] Die Länder können im Rahmen eines Bundesgesetzes durch Landesgesetze zu den Steuern vom Einkommen Zuschläge für die Landeskasse erheben. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zuerst über die Fassung des Hauptausschusses abstimmen. – Die Fassung ist mit 20 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung angenommen. Nunmehr lasse ich über den Antrag der CDU abstimmen, den verlesenen Abs. 2 beizufügen. – Die Beifügung ist mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt.

[1.3. ART. 122b: FINANZAUSGLEICH]

Art. 122b (1) Die Länder erhalten für sich und ihre Gemeinden (Gemeindeverbände) von dem Aufkommen der Bundessteuern das Reinaufkommen der Biersteuer, der Rennwettsteuer, der Kraftfahrzeugsteuer, der Vermögensteuer (mit Ausnahme einmaliger Vermögensteuern), der Erbschaftsteuer und die Realsteuern. (2) Umsatzsteuer und Einkommen- und Körperschaftsteuer sind gemeinsame Einnahmen des Bundes und der Länder; die beiden zufallenden Anteile werden durch Bundesgesetz bestimmt. (3) Das Nähere regelt das Bundesfinanzausgleichsgesetz. Es hat einem angemessenen Lastenausgleich Rechnung zu tragen.

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Hierzu liegen zwei Abänderungsanträge vor, ein Abänderungsantrag der CDU/CSU und ein Antrag Dr. Höpker Aschoff. Beide Anträge haben gemeinsam, daß sie den Stoff des Art. 122b teilen, einen Teil in den Grundtext des Grundgesetzes nehmen und den zweiten Teil in die Übergangsbestimmungen verweisen wollen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): In meiner Fassung sind zwei kleine Schreibfehler. Es muß am Schluß von Abs. 1 heißen: „oder Anteile des Reinaufkommens bestimmter Bundessteuern . . .“ und in Abs. 2: „Das Nähere regelt das Finanzausgleichsgesetz.“ Dr. Binder (CDU): In den Antrag der CDU zu Art. 122b ist einzufügen: „unbeschadet der Gesetzgebungs- und Weisungsbefugnis des Bundes“, so daß der Antrag nunmehr lautet: (1) Die Steuerquellen sind unbeschadet der Gesetzgebungs- und Weisungsbefugnis des Bundes auf Bund und Länder (einschließlich ihrer Gemeinden und Gemeindeverbände) nach deren Aufgaben aufzuteilen. Die Aufteilung erfolgt durch Gesetz, das der Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats bedarf. (2) Der Bund hat für einen angemessenen Lastenausgleich zugunsten leistungsschwacher Länder zu sorgen. Dadurch könnten die Steuerquellen auf die eine oder die andere Seite aufgeteilt werden, wobei nur der Spitzenausgleich durch den Finanzausgleich gefunden werden müßte. Die Grundmasse würde bereits aufgeteilt sein und damit die Kalamität vermieden werden, daß die Länder zu Beginn der Etatsverhandlungen nicht wissen, über welche Einnahmemasse sie verfügen können. Das ist notwendig. Ich bin der Meinung, daß unser Antrag weitergehend ist als der Ihre, Herr Dr. Höpker Aschoff, weil bei der Aufteilung des Aufkommens der Steuern nicht die ganzen Steuern nach der einen oder anderen Seite aufgeteilt werden. Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Dr. Binder, Sie müssen gleichzeitig den Antrag stellen, der auf Seite 2 steht und in die Übergangsbestimmungen aufgenommen werden soll. Es besteht hier ein Junktim. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Welcher Antrag der weitergehende ist, ist gleichgültig. Wir werden so und so abstimmen müssen. Ich habe nur gegen den Antrag der CDU eines einzuwenden. Sie sagen: Die Steuerquellen sind zu verteilen. Es ist klargestellt, daß Sie damit nicht die Gesetzgebung meinen. Dann würde die Möglichkeit, bestimmte Steuern anteilmäßig zu verteilen, bei der Einkommensteuer und bei der Umsatzsteuer nicht gegeben sein, während mein Antrag vorsieht, daß die Länder einen festen gesetzlichen Anspruch haben sollen. Das kommt in meinem Antrag so klar und eindeutig zum Ausdruck, daß keine Zweifel bestehen können. Dann ist noch die Frage, ob eine Zustimmung des Bundesrats nötig ist. Ich hätte mir gedacht, daß wir nachher, hinter Art. 123, das Verhältnis zu Art. 105 erörtern. Wir haben in Art. 105 bestimmt, daß Steuergesetze und Finanzausgleichsgesetze der Zustimmung des Bundesrats bedürfen. Ich würde es für besser halten, diese Bestimmung herüberzunehmen. Daß an sich dieses Finanzausgleichsgesetz der Zustimmung des Bundesrats bedarf, muß nach meiner Auffassung zum Ausdruck kommen. Es braucht aber jetzt noch nicht erörtert zu werden. Dr. Becker (FDP): Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß nach dem Vorschlag der CDU ein Gesetz, das die Steuern verteilt, der Zustimmung von zwei Dritteln

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des Bundesrats bedarf, das Gesetz aber, das gegebenenfalls die Steuerhöhe festsetzt, nur der einfachen Zustimmung. Das ist doch eine Anomalie. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zunächst über den Antrag der CDU abstimmen. Dabei sollten wir gleichzeitig abstimmen über den Vorschlag, der eine Abänderung des Art. 122b vorsieht, und über den Vorschlag auf Seite 2 unter Ziffer 2, der nach der Überschrift in die Übergangsbestimmungen aufgenommen werden soll. Es handelt sich um die gleiche Materie. – Der Antrag der Fraktion der CDU/CSU ist mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Ich stelle den Antrag Dr. Höpker Aschoff zur Abstimmung, und zwar auch diesen Antrag zusammen mit dem anderen, der für die Übergangsbestimmungen vorgesehen ist. Die Anträge lauten: Das Aufkommen der Bundessteuern wird gemäß den Aufgaben, die dem Bunde einerseits, den Ländern und Gemeinden andererseits obliegen, in der Weise aufgeteilt, daß den Ländern ein gesetzlicher Anspruch auf das Reinaufkommen bestimmter Bundessteuern oder Anteile des Reinaufkommens bestimmter Bundessteuern eingeräumt wird. Das Nähere regelt das Finanzausgleichsgesetz. Es hat einem angemessenen Lastenausgleich Rechnung zu tragen. Für die Übergangsbestimmungen: Bis zum Inkrafttreten des Bundesfinanzausgleichsgesetzes gilt folgende Regelung: 1. Die Länder erhalten für sich und ihre Gemeinden (Gemeindeverbände) von dem Aufkommen der Bundessteuern das Reinaufkommen der Biersteuer, der Rennwettsteuer, der Kraftfahrzeugsteuer, der Vermögensteuer (mit Ausnahme einmaliger Vermögensteuern), der Erbschaftsteuer und die Realsteuern. 2. Umsatzsteuer und Einkommen- und Körperschaftsteuer sind gemeinsame Einnahmen des Bundes und der Länder. Die beiden zustehenden Anteile werden durch das Haushaltsgesetz festgesetzt. Die Festsetzung der Anteile bedarf der Zustimmung des Bundesrats. Soll noch Abs. 3 von Art. 122b hinzugenommen werden? Dr. Höpker Aschoff (FDP): Das ist nicht mehr nötig. Dr. Menzel (SPD): Ist es nicht besser, das Wort „Haushalts“ zu streichen und nur „Gesetz“ stehenzulassen? Man könnte unter Umständen aus der jetzigen Fassung den Zwang ersehen, einen jährlichen Finanzausgleich zu machen. Da das Haushaltsgesetz auch ein Gesetz ist, bedarf es an sich nicht dieses Zusatzes. [S. 522] Vors. Dr. Schmid (SPD): Es würde also heißen: „Die beiden zustehenden Anteile werden durch Gesetz festgesetzt.“ MinDir. Dr. Ringelmann: Ich wollte auch die Streichung vorschlagen; denn das Haushaltsgesetz kommt regelmäßig verspätet. Dr. Süsterhenn (CDU): Obwohl wir grundsätzlich der Auffassung sind, daß es richtiger gewesen wäre, sowohl dem Bund wie den Ländern und den Gemeinden selbständige Steuerquellen zuzuweisen, um das Selbstverantwortungsgefühl zu heben, erblicken wir in den Anträgen Dr. Höpker Aschoff eine gewisse Verbesserung gegenüber den bisherigen Beschlüssen des Hauptausschusses und werden unter Aufrechterhaltung unseres grundsätzlichen Vorbehaltes diesen Anträgen zustimmen.

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Dr. Seebohm (DP): Ich würde empfehlen, zu sagen: „durch Bundesgesetz.“ Vors. Dr. Schmid (SPD): Ja, gut: „durch Bundesgesetz“. Also würde dieser Satz lauten: „Die beiden zustehenden Anteile werden durch Bundesgesetz festgesetzt.“ Ich lasse über diese Anträge Dr. Höpker Aschoff abstimmen. – Die Anträge sind mit allen Stimmen gegen 2 Enthaltungen angenommen. Dr. Wolff (SPD): Ich hatte mir gestattet, zu Art. 122b und 123a Anträge zu stellen, die sich mit besonderen finanziellen Rechten der Gemeinden befassen. Mit Rücksicht auf die fortgeschrittene Zeit möchte ich diese Anträge zurückstellen und zur dritten Lesung wieder aufnehmen.

[1.4. ART. 123: FINANZVERWALTUNG]

Vors. Dr. Schmid (SPD): Wir kommen zu Art. 123 (1) Die Bundessteuern werden durch Bundesfinanzbehörden verwaltet. Der Aufbau der Bundesfinanzbehörden und der Finanzgerichte und das von ihnen anzuwendende Verfahren werden durch Bundesgesetz geregelt. Die Richter des Bundesfinanzhofes werden mit Zustimmung des Bundesrates, die leitenden Beamten der Finanzverwaltung innerhalb der Länder im Einvernehmen mit den Landesregierungen ernannt. (2) Die Länder können die Verwaltung der Landessteuern den Bundesfinanzbehörden übertragen. (3) Die Erhebung der Realsteuern wird durch Landesgesetz geregelt. Hier möchte ich um eine Aufklärung bitten bei denen, die mehr von den Dingen verstehen als ich. Es heißt: „Die Bundessteuern werden durch Bundesfinanzbehörden verwaltet“. Ist darunter zu verstehen, was wir vorher in Klammern als „Bundessteuern“ bezeichnet haben, nämlich die Steuern, bezüglich derer die ausschließliche oder die Vorranggesetzgebung dem Bunde zusteht, oder die Steuern, deren Ertrag in die Bundeskasse fließt? Dr. Höpker Aschoff (FDP): Das ergibt sich aus obiger Definition. Dr. Binder (CDU): Die CDU/CSU hat zu Art. 123 einen abweichenden Antrag gestellt, der darauf hinausgeht, daß die Verwaltung der Steuereinnahmen als Auftragsverwaltung auf die Länder übertragen wird. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß die Übertragung der Steuerverwaltung auf die Länder die nötige Einheitlichkeit der Veranlagung und der Eintreibung der Steuern nicht gefährdet und daß unter den heutigen Verhältnissen die Kosten der Verwaltung durch die Übertragung auf die Länder wesentlich verringert werden können. Über diese Dinge ist schon so ausführlich gesprochen worden, daß ich darauf verzichte, hier den Antrag noch näher zu begründen. Dr. Seebohm (DP): Auch wir haben zu Art. 123 einen Abänderungsantrag (PR. 12.48 – 434) gestellt, der gleichfalls darauf hinausgeht, die Erhebung und Verwaltung der Zölle, der Finanzmonopole und der Bundessteuern den Ländern als Aufgabe zuzuweisen. Allerdings ist unsere Fassung in die Fassung der CDU eingegliedert und ermöglicht ein sehr viel weiteres Eingreifen, als es nur nach Maßgabe des Weisungsrechts gegeben ist. Bestimmte Kann-Bestimmungen des Antrags der

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CDU sind bei uns in Muß-Bestimmungen umgewandelt. Zur Begründung möchte ich nur auf die Ausführungen verweisen, die bei der Beratung in erster Lesung von Herrn Finanzminister Dr. Strickrodt17) gemacht worden sind. MinDir. Dr. Ringelmann: Ich hatte schon einmal Gelegenheit, in diesem Hause zu den Fragen Bundesfinanzverwaltung oder landeseigene Verwaltung, Mitbesorgung der Veranlagung der Bundessteuern zu sprechen. Ich habe seinerzeit schon auf die Denkschrift der Finanzminister der süddeutschen Länder hingewiesen18), um zu zeigen, daß es keine speziell bayerische Regelung ist, die wir hier verlangen, sondern daß diese Anträge und dieser Vorschlag, die Bundessteuern durch landeseigene Finanzverwaltungsbehörden mitbesorgen zu lassen, aus den Erfahrungen herausgewachsen sind, die wir in drei Jahren gesammelt haben. Sie haben die Ausführungen des Herrn Finanzministers Dr. Strickrodt gehört. Sie haben die Klagen gehört, die der schleswig-holsteinische Finanzminister vorgetragen hat. (Zuruf: Mit anderen Schlußfolgerungen.) – Es waren allerdings andere Schlußfolgerungen. Ich gestehe offen, daß ich diese Schlußfolgerungen nicht erwartet hatte. Wenn der Finanzminister eines Landes sich darüber beschwert, daß die in seinem Lande tätige Finanzverwaltung sich nicht als einwandfrei erwiesen hat, so ist nach meiner Anschauung die notwendige Schlußfolgerung, daß er darauf besteht, diese Finanzverwaltung in seine Hände zu bekommen19). Im Jahre 1945 ist in denjenigen Ländern, denen im Jahre 1920 ihre landeseigene Finanzverwaltung genommen worden war, die Finanzverwaltung wieder in die Hand der Länder zurückgekommen, und die Länder haben eine Arbeit geleistet, die sich sehen lassen kann, eine tadellose und einwandfreie Arbeit. Nun wird die Frage aufgeworfen: Wie steht es mit den Landessteuern? Sie sehen hier die Möglichkeit der Übertragung und der Besorgung der Landessteuern durch die bundeseigene Finanzverwaltung vor. Andererseits wird aber auch davon gesprochen, gewissermaßen zweigleisig zu fahren. Wir haben auf diesem Gebiet sehr große Erfahrungen. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, nach der Erzbergerschen Finanzreform20) zweigleisig zu fahren. Bayern hat den Versuch gemacht, seine eigenen Abgaben und seine sonstigen Aufgaben – die von den landeseigenen Finanzbehörden mitbesorgt wurden – durch eine eigene Landesfinanzverwaltung besorgen zu lassen. Dieser Versuch ist restlos gescheitert, und zwar deshalb, weil die drei Vorlagen, die an den Bayerischen Landtag gegangen sind, von diesem mit der Begründung, daß es nicht möglich sei, die Kosten einer solchen landeseigenen Finanzverwaltung dem Lande noch zu überbürden, abgelehnt wurden. Heute, in einer Zeit, in der wir uns in einer furchtbaren Finanznot befinden, ist es ein Verbrechen – das sage ich ganz offen –, mit dem Gedanken der Errichtung einer landeseigenen Finanzverwaltung neben einer bundeseigenen Verwaltung überhaupt 17)

Zu dem niedersächsischer Finanzminister Georg Strickrodt vgl. oben Dok. Nr. 8, S. 249, Anm. 5. 18) Zur Denkschrift vgl. oben Dok. Nr. 13, S. 396 mit Anm. 39. 19) Im stenograph. Wortprot., S. 54, folgt danach: „(Zurufe von der sozialdemokratischen Fraktion.)“ 20) Zur Erzbergerschen Finanzreform vgl. oben Dok. Nr. 13, S. 383, Anm. 24.

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nur zu spielen. Es wird schon finanziell nicht möglich sein, eine solche landeseigene Verwaltung neben einer bundeseigenen Verwaltung zu errichten. (Zuruf von der SPD: Das wollen wir auch nicht.) Nun stellen Sie sich auf den Standpunkt: Gut, dann soll die bundeseigene Verwaltung die Landesabgaben [S. 523] mitverwalten. Über die Frage der sonstigen Geschäfte sprechen Sie hier überhaupt nicht, obwohl in § 19 der Abgabenordnung, als man die Erzbergersche Finanzreform machte, ausdrücklich bestimmt wurde, daß die Reichsfinanzverwaltung auch die Aufgaben vermögensrechtlicher Art und sonstige Landesfinanzverwaltungsaufgaben zu erfüllen hat. Aber auch wenn Sie das mit hereinnehmen würden, wäre uns nicht geholfen. Ich spreche hier auf Grund der zahllosen Verhandlungen, die ich mit dem Reichsfinanzministerium bezüglich der Durchführung dieses § 19 der Abgabenordnung, der viel weiter gegangen ist als die jetzige Bestimmung, gehabt habe. Bei diesen Verhandlungen mußten sowohl die Herren des Reiches als auch die Vertreter der Länder anerkennen, daß es keine Lösung gibt, die dazu führt, daß eine reichseigene – jetzt bundeseigene – Steuerverwaltung die Landesfinanzaufgaben mitbesorgen kann. Denn diese Landesfinanzaufgaben, die von den bayerischen Rentämtern und den bayerischen Regierungsfinanzkammern mitbesorgt wurden und die heute von den Landesfinanzamtszweigstellen der Oberfinanzpräsidenten und zum Teil von den Finanzämtern mitbesorgt werden, sind so vielgestaltig und greifen so sehr in das gesamte Staatsverwaltungssystem ein, daß es nicht möglich ist, daß eine bundeseigene Verwaltung diese Aufgaben erfolgreich wahrnehmen kann. Wir haben in Bayern – das kann ich hier aussprechen und kann es Ihnen ziffernmäßig beweisen – Millionen und aber Millionen dadurch verloren, daß wir keine Verwaltung mehr hatten, die sich der bayerischen Angelegenheiten angenommen hat. Wir haben zahllose Streitigkeiten mit dem Reich gehabt hinsichtlich der Verwaltung unserer Liegenschaften, hinsichtlich der Besorgung unseres Fiskalates, hinsichtlich der Erledigung der Versorgungsangelegenheiten, der Festsetzung von Pensionen, Unterhaltsbeiträgen usw. und hinsichtlich der haushaltsrechtlichen Aufgaben. In allen diesen Streitigkeiten sind wir unterlegen. Ich will nicht sagen, daß es Schuld des Reiches war; die Schuld lag in einem ganz anderen Umstand, nämlich in der Sache selbst. Eine Landesfinanzverwaltung kann als Spezialgebiet die Bundessteuern mitverwalten, aber niemals kann eine nur auf Steuern eingerichtete Bundesverwaltung Geschäfte, die reine Staatsverwaltungsgeschäfte sind, mitübernehmen. Es geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, möchte ich sagen, als daß eine bundeseigene Steuerverwaltung in der Lage ist, Landesfinanzgeschäfte zu besorgen. Denn sie ist ihrem Grunde nach eine Spezialverwaltung, eine Sonderverwaltung, die sich niemals in die allgemeine Landesverwaltung einspielen kann. Wäre ich in der Lage, unsere bayerischen Finanzgeschäfte, die sich gegenüber früher noch erheblich vergrößert haben, in die Hände bayerischer Behörden zu legen, dann wäre ich zu stolz dazu, Sie hier überhaupt zu bitten, sich um die bayerischen Geschäfte zu kümmern. Aber ich kann das nicht. Ich habe mich mit dem Gedanken getragen, die Sache in die Landratsämter hineinzunehmen. Aber wie ist es mit den Landratsämtern? Wir haben heute bei den Landratsämtern den Dualismus zwischen Staatsverwaltung und Kommunalverwaltung. Soll ich einen Trialismus daraus machen, die Finanzgeschäfte noch hineinnehmen und dann alles zur Zerstük-

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kelung bringen? Ein Ding der Unmöglichkeit. Soll ich den Vermessungsämtern, den Bauämtern, den Straßen- und Flußbauämtern oder den Kulturbauämtern diese Aufgaben überweisen? Bitte, geben Sie mir einen Rat, wem soll ich diese Aufgaben übertragen? Sie zwingen mich, eine eigene Landesfinanzverwaltung aufzumachen und den Grundsätzen der Sparsamkeit und den Geboten unserer Finanznot ins Gesicht zu schlagen. So ist die Situation bei uns. Das ist kein Eigensinn, kein Partikularismus und nicht das kindische Verlangen, eine eigene Verwaltung zu haben, sondern das Gebot der Not, das uns zwingt, Sie zu bitten: Gehen Sie den Weg, den naturgegebenen Weg, den wir 50 Jahre, von 1870 bis 1920, gegangen sind. Wir verwalten Ihre Steuern mit und haben dann eine Verwaltung, die auch die Gewähr dafür bietet, daß die Landesfinanzgeschäfte ordnungsgemäß wahrgenommen werden. Wir sind bereit, Ihnen alle Konzessionen zu machen, die Sie vom Standpunkt der Bundesverwaltung aus verlangen. Wir ziehen doch am gleichen Strang; denn letzten Endes sind auch die Einkünfte aus diesen Steuern unsere eigenen Einkünfte. Sie haben den Antrag Dr. Höpker Aschoff angenommen. Hiernach werden die Bundessteuern verteilt. Glauben Sie, daß wir nun in unserer Landesabgabenverwaltung großzügig Niederschlagungen usw. machen, wenn wir die Bundessteuern verwalten? Glauben Sie, daß wir einen Unterschied machen zwischen Einkommenund Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer, Verbrauchssteuern und sonstigen Steuern? Das kommt nicht in Frage21). Wir haben die Möglichkeit, an einer einheitlichen Ausbildung der Beamten mitzuwirken. Wir geben Ihnen die Möglichkeit, das gesamte Veranlagungs-, Erhebungs- und Verwaltungssystem durch bundesgesetzliche Vorschriften zu regeln, und wir werden diese Vorschriften getreu erfüllen. Wir sind damit einverstanden, daß die gesamte Steuergerichtsbarkeit auch für die Landesabgaben in einer Weise geregelt wird, die vom Bund bestimmt wird. Wir sind bereit, uns allen Kontrollen hinsichtlich des Erlaß- und Niederschlagungswesens zu unterwerfen. Mehr kann ich nicht tun. Aber das eine verbietet mir mein Gewissen: hier zu schweigen von den Folgen, die sich für uns aus der Bundesverwaltung ergeben, besonders heute, nachdem die Zuständigkeit der Länder wieder gewachsen ist und die Finanzverwaltung, die in alle Zweige der Staatsverwaltung hineingreifen muß, unerhört höhere Aufgaben als früher hat. Denken Sie an die vielen Fragen auf dem Gebiet des Flüchtlingswesens, wo die Finanzbehörden mit der Festsetzung der Zuwendungen beauftragt sind. Sie haben die Versorgung für den ungeheuren Personenkreis zu übernehmen, an den man früher nicht gedacht hat. Wir haben durch Kontrollratsdirektive eine Unmenge von Vermögensgegenständen überwiesen bekommen – Parteivermögen, eingezogenes Vermögen usw. –, die das Land verwalten muß. Alle diese Aufgaben lasten auf uns, und Sie nehmen uns qua Steuerverwaltung diesen bayerischen Apparat weg und setzen uns vor das Nichts. Wir sind heute in einer ungleich schlimmeren Lage als 1919 vor dem sogenannten Weimarer Abkommen22). Damals konnten wir uns noch der Hoffnung hingeben, 21)

Im stenograph. Wortprot., S. 59, folgt danach: „Wir sind bereit, alle Konzessionen zu machen.“ 22) Zum Weimarer Abkommen vgl. oben Dok. Nr. 13, S. 406 mit Anm. 48, und Dok. Nr. 40, S. 1231.

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daß es uns gelingt, eine eigene Verwaltung aufzurichten und unsere Geschäfte in diese Verwaltung hineinzunehmen. Heute ist es hoffnungslos, und wir stehen vor Verlusten, die wir nicht mehr mit einer geordneten Finanzverwaltung vereinbaren können. Deshalb legt die bayerische Regierung – und ich glaube, daß es anderen Ländern, die einen eingearbeiteten landeseigenen Apparat hergeben müssen, genau so geht – das größte Gewicht darauf, daß unseren Interessen Rechnung getragen wird, nicht aus irgendwelchen Gründen, die man vielleicht vermuten könnte, sondern rein aus sachlichen Gründen, weil wir der Überzeugung sind, daß den anderen Ländern auch23) damit gedient ist, wenn sie gezwungen sind, einen eigenen Apparat aufzubauen. Ich wiederhole: Es ist unmöglich, daß eine bundeseigene Steuerverwaltung, die nur auf die Steuern abgestellt ist, die Landesfinanzgeschäfte mitbesorgt. Es ist aber auf der anderen Seite auch unmöglich, daß die Länder sich selber eine Finanzverwaltung zur Bewältigung ihrer ungeheuer gewachsenen Aufgaben schaffen können, weil die Mittel hierzu einfach nicht vorhanden sind. Dr. Menzel (SPD): Als Anhänger des Prinzips einer einheitlichen Bundesfinanzverwaltung hätte ich nie gewagt, den Aufbau der Landesfinanzverwaltung mit so harten Worten zu kennzeichnen, wie Herr Ministerialdirektor Ringelmann es getan hat, als er sagte, daß der Aufbau einer solchen Verwaltung einem Verbrechen gleichkäme. Die Gründe, die wir jetzt gehört haben, waren nicht neu. Wir haben sie in den Ausschüssen gehört, in den Fachausschüssen und auch im Hauptausschuß. Aber damit in der Öffentlichkeit kein falscher Eindruck entsteht, möchte ich feststellen: Die Mehrzahl der Länder, darunter das [S. 524] große und leistungsfähige Land Nordrhein-Westfalen, sind für die Bundesfinanzverwaltung, weil sie der Meinung sind, daß nur so die Interessen der Länder gleichmäßig und gerecht gewahrt werden können. Die sozialdemokratische Fraktion hält nicht nur aus steuertechnischen Gründen, sondern auch deshalb an einer Bundesfinanzverwaltung fest, weil nur so eine gerechte und damit in der Praxis auch soziale Belastung der arbeitenden Massen möglich ist. Wir sind bereit, das, was den Ländern nach der bisherigen Fassung der ersten Lesung des Hauptausschusses an Verwaltung der eigenen Steuern zugestanden werden sollte, dadurch noch klarer herauszustellen, daß wir dem Art. 123 Abs. 2 eine andere Fassung geben, und zwar deshalb, weil wir feststellen konnten, daß nicht nur in diesem Hause, sondern auch draußen der Eindruck entstanden war, daß wir die Länder zwingen wollten, ihre eigenen Steuern durch die Bundesfinanzverwaltung erheben zu lassen. Man hat in diesen Kreisen, die auf diese Bestimmungen sehr großen Wert legen, offenbar nur den Abs. 1, nicht aber den Abs. 2 gelesen. Wir wollen nunmehr in analoger Anwendung des Abs. 1 den Abs. 2 wie folgt formulieren: Die Landessteuern werden durch Landesfinanzbehörden verwaltet. Die Länder können diese Verwaltung den Bundesfinanzbehörden übertragen. Damit können die Länder alle die Sorgen, die vorher hinsichtlich der Schwierigkeiten in Bayern geschildert wurden, ruhig auf den Bund übertragen.

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Im stenograph. Wortprot., S. 60, folgt danach : „nichts“.

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MinDir. Dr. Ringelmann: Und die übrigen Aufgaben, die seither von uns wahrgenommen worden sind? Dr. Menzel (SPD): Die können sie behalten oder dem Bund übertragen. Dr. Höpker Aschoff (FDP): Herr Ministerialdirektor Dr. Ringelmann hat ausgeführt, daß er nicht nur für Bayern spreche, sondern für die süddeutschen Länder. Es ist richtig, daß seinerzeit die Denkschrift für eine Landesfinanzverwaltung von den süddeutschen Länderfinanzministern ausging. Inzwischen haben wir von Herrn Dr. Köhler, Finanzminister in Württemberg-Baden, gehört, daß er die Unterschrift unter diesem Dokument zurückgezogen hat. (MinDir. Dr. Ringelmann: Aus einer momentanen Verärgerung heraus.) Wir haben ferner den Finanzminister von Rheinland-Pfalz24) im Ausschuß gehört und von ihm erfahren, daß auch er ein Anhänger der Bundesverwaltung ist. Dagegen hat Herr Finanzminister Dr. Krauß25) allerdings gesagt, daß er, wenn er für die Landesfinanzverwaltung eintrete, nicht nur in eigenem Namen spreche, sondern auch im Namen von Südbaden. So liegen die Dinge in Wahrheit. Nun ist weiter richtig, daß Herr Minister Dr. Strickrodt – wie mir erzählt worden ist, ich habe selber die Ausführungen nicht gehört – gewisse Klagen über die Zonenfinanzverwaltung in Hamburg geführt hat, die für die britische Zone die Aufgaben der Reichsfinanzverwaltung übernommen hat. Diese Klagen sind begreiflich aus dem Zustand eines Übergangs heraus – diese Zonenfinanzverwaltung war mit sehr wenig Kräften ausgestattet –, und ich glaube nicht, daß in einer geordneten Bundesfinanzverwaltung solche Klagen laut werden würden. Dann zu der Frage, ob man den Ländern zumuten kann, die eigenen Finanzgeschäfte den Bundesfinanzbehörden zu überweisen. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß dieser Zustand in den zwanziger Jahren rechtens war. Ich habe mich mit Ihrem Finanzminister Krauß des öfteren unterhalten und nie die Klagen gehört, die Sie heute ausgesprochen haben. Ich habe die bayerische Entwicklung verfolgt. Wir haben in Preußen neben der Reichsfinanzverwaltung noch eine selbständige Finanzverwaltung für die Hauszinssteuer und die Gewerbesteuer gehabt und haben es als einen großen Mangel empfunden, daß oft über die gleichen Fälle, im Verhältnis Einkommensteuer – Gewerbesteuer insbesondere, durch verschiedene Verwaltungen entschieden wurde. Meine ganzen Bestrebungen, diesen Zustand zu ändern, die ich schon als preußischer Finanzminister verfolgt habe und die darauf abgezielt haben, das Ganze in die Hand der Reichsverwaltung zu legen, sind durch solche Erwägungen und durch das Vorgehen von Bayern ausgelöst worden. (Zuruf des MinDir. Dr. Ringelmann.) – Wenn Sie sagen, Herr Ministerialdirektor, Sie werden dabei zu kurz kommen, so muß ich Ihnen erwidern: Wir haben Ihnen große Zugeständnisse gemacht. Es heißt in Art. 123: „Die Richter des Bundesfinanzhofes werden mit Zustimmung des Bundesrates, die leitenden Beamten der Finanzverwaltung innerhalb der Länder im 24)

Zu dem Finanzminister in Rheinland-Pfalz Hans Hoffmann vgl. oben Dok. Nr. 8, S. 249, Anm. 9. 25) Zu dem bayerischen Staatsminister der Finanzen Johann-Georg Kraus vgl. oben Dok. Nr. 8, S. 249, Anm. 7.

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Einvernehmen mit den Landesregierungen ernannt.“ Sie werden also in Zukunft in Bayern bayerische Oberfinanzpräsidenten haben und werden in Zukunft in den leitenden Stellen Ihre Beamten haben. Insoweit Sie diesen Behörden Landesgeschäfte übertragen, ist die oberste Spitze dieser Verwaltung Ihr Landesfinanzminister, und er kann diese Behörden mit entsprechenden Weisungen versehen. (MinDir. Dr. Ringelmann: Das hat nichts zu sagen.) – Warum soll das nichts zu sagen haben? Dasselbe Mißtrauen könnten wir haben, wenn wir den Landesbehörden die Verwaltung übertragen. (MinDir. Dr. Ringelmann: Wir geben Ihnen alle Weisungsrechte.) Dann kommen Sie mit der Möglichkeit, Kontrollen einzurichten. Über diese Kontrollbefugnisse, die wir in der Zeit des Bismarckschen Reiches hatten, hat uns niemand so überzeugend und ausführlich Auskunft gegeben wie Präsident Selbig26) von der Steuerleitstelle Hamburg27). Er hat die ganze Unzulänglichkeit dieses Kontrollsystems dargestellt. Aus allen diesen Erwägungen heraus kann ich mich nicht dazu verstehen, von dem abzugehen, was wir im Finanzausschuß und im Hauptausschuß beschlossen haben. Gegen den Zusatz von Herrn Dr. Menzel habe ich keine Bedenken. Dr. Süsterhenn (CDU): Wir stehen grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß die Verwaltungsaufgaben im zukünftigen deutschen Bundesstaat Angelegenheiten der Länder sein sollen. Dieser Standpunkt ist als Grundsatz in dem bisher vorliegenden Entwurf des Staatsgrundgesetzes zum Ausdruck gebracht worden. Von diesem Grundsatz sollte nur dann abgegangen werden, wenn es die Natur der Sache und wenn es zwingende Notwendigkeiten erfordern. Wir sind der Überzeugung, daß in dem Fall der Finanzverwaltung solche zwingenden Notwendigkeiten zum mindesten dann nicht gegeben sind, wenn wir uns bereit erklären, dem Bundesfinanzminister hinsichtlich der Bundessteuern nicht nur ein absolutes Recht der Kontrolle, sondern auch ein Weisungsrecht gegenüber den Landesfinanzverwaltungen einzuräumen. Auf Grund dieser Möglichkeiten kann alles – Veranlagung, Niederschlagung, Stundung, Ausbildung der Beamten usw. – einheitlich so geregelt werden, daß keine Bundesinteressen in Gefahr geraten. Wenn wir dem Bundesfinanzminister einen solchen Einfluß in der weitesten Form geben, vermag ich keinen Grund einzusehen, warum wir von dem allgemeinen Prinzip, daß die Verwaltung Landesangelegenheit ist, abgehen sollen. Weiter sind wir der Meinung, daß die zahlreichen, aus praktischen Erfahrungen gesammelten Gesichtspunkte, die Herr Ministerialdirektor Dr. Ringelmann vorgetragen hat, doch weitgehend dafür sprechen, an dem Gedanken der Länderfinanzverwaltung festzuhalten. Dazu kommt noch ein weiteres Problem, über das wir uns hier im Hause auch einmal klarwerden sollten. Herr Kollege Dr. Schmid hat mit Recht die Frage gestellt, was der Begriff „Bundessteuern“ in Art. 123 bedeutet, wo es heißt: „Die Bundessteuern werden durch Bundesfinanzbehörden verwaltet.“ [S. 525] Er hat gefragt, ob 26)

Offensichtlich ein Hörfehler oder Schreibfehler: Zu Paul Sellnick vgl. oben Dok. Nr. 8, S. 252, Anm. 18. 27) Zur Leitstelle der Finanzverwaltung für die britische Zone in Hamburg vgl. oben Dok. Nr. 8, S. 252, Anm. 19.

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der Begriff „Bundessteuern“ so auszulegen ist wie in Art. 122a, wo gesagt ist, daß alle Steuern, die der Vorranggesetzgebung des Bundes unterliegen, Bundessteuern sind, oder ob als Bundessteuern nur diejenigen Steuern und Steueranteile zu betrachten sind, die dem Bund für die Erfüllung seiner verfassungsmäßigen Aufgaben zufließen. Diese Frage ist von Herrn Kollegen Dr. Höpker Aschoff nach den bisherigen Beschlüssen, insbesondere nach dem vorangehenden Art. 122b,28) dahin beantwortet worden, daß unter Bundessteuern alle Steuern zu verstehen sind, die der Vorranggesetzgebung des Bundes unterliegen. Damit kommen wir an einen sehr wichtigen Punkt von allgemein politischer Bedeutung. Wir sind uns darüber klar und das ist von den Rednern sämtlicher Parteien, teils positiv, teils negativ, bereits bei unserem ersten Zusammensein zum Ausdruck gebracht worden –, daß wir uns mit den Arbeiten, die wir zu vollziehen haben, in einem gewissen Rahmen zu bewegen haben. Ob diese Tatsache wünschenswert ist, ob wir sie begrüßen oder nicht, ob wir sie kritisieren, das sind Fragen, die an der realpolitischen Bedeutung des uns durch die Londoner Beschlüsse29) gezogenen Rahmens nichts ändern. Wir müssen uns darüber klar sein, ob wir eventuell diesen Rahmen verlassen oder nicht verlassen und ob wir dadurch das Zustandekommen des Verfassungswerkes hinsichtlich des zeitlichen Tempos und hinsichtlich seines Durchkommens überhaupt fördern oder nicht. Das sind Fragen, die wir uns vorzulegen haben. Wir müssen uns auch irgendwie damit auseinandersetzen, daß uns am 22. November 1948 ein Dokument überreicht worden ist30), das, wie ich inzwischen festgestellt habe, nicht eine Privatmeinung von Verbindungsstäben darstellt, sondern nichts anderes ist als eine Wiedergabe der Anlage II zu den Londoner Beschlüssen31). Darin ist – meines Erachtens zum mindesten als sehr dringliche Empfehlung – ganz klar zum Ausdruck gebracht, daß die Befugnis der Bundesregierung auf dem Gebiet der öffentlichen Finanzen auf die Verfügung über die Geldmittel einschließlich der Erhebung von Einnahmen für Zwecke, für die sie verfassungsmäßig verantwortlich ist, beschränkt ist. Wenn wir dem Begriff Bundessteuern die Auslegung geben würden, wie sie Herr Kollege Dr. Schmid als eine Möglichkeit der Auslegung wenigstens in Form einer Fragestellung hier vorgebracht hat, dann würde ich hier keinerlei Bedenken haben, daß wir uns in diesem immerhin deutlich gezogenen Rahmen bewegen. Würden wir dagegen dem Begriff „Bundessteuern“ die nach dem vorausgehenden Art. 122a einzig mögliche Auslegung geben, dann stehen wir vor einem politischen Gefahrenpunkt, über den wir uns zunächst klarwerden müssen und über den wir uns dann unter Berücksichtigung der gesamten realpolitischen Situation so oder so entscheiden müssen. Ich wollte nur auf diesen Gesichtspunkt einmal aufmerksam gemacht haben, da wir ihn nicht einfach unter den Tisch fallen lassen können. Renner (KPD): Ich habe mich bisher bewußt an der Aussprache zu diesem Punkt „Finanzwesen und Finanzverwaltung“ nicht beteiligt. Ich könnte den Grund in ei28)

Im stenograph. Wortprot., S. 67, folgt danach: „rechtssystematisch“. Zur Londoner Sechsmächte-Konferenz vom 23. Febr.–6. März und 20. April–2. Juni 1948 vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 5, Anm. 15. 30) Zum Memorandum der alliiertem MilGouv. vom 22. Nov. 1948 vgl. die 9. Sitzung des HptA am 25. Nov. 1948; oben Dok. Nr. 9, S. 278–281. 31) Vgl. dazu auch Der Parl. Rat, Bd. 8, Dok. Nr. 17, S. 34, Anm. 6. 29)

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ner leichten Variierung eines Bebelschen Wortes32), das ich hier aussprechen will, zum Ausdruck bringen: „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen.“33) Herr Dr. Süsterhenn hat mit dankenswerter Offenheit ich gebrauche das Wort, das heute schon einmal gefallen ist – „die Katze aus dem Sack gelassen“, indem er darauf hingewiesen hat, daß bezüglich der Fragen, die hier zur Behandlung stehen, Finanzwesen und Aufgaben der Finanzverwaltung, die Mächte, denen Sie hier Ihre Existenz verdanken, schon eine Reduzierung vorgenommen haben. So findet sich auch eine Erklärung dafür, daß der Antrag der CDU, der heute morgen hier vorgelegt worden ist, die Streichung des ersten Teils des Art. 122 verlangt. Die Militärmächte – mit besonderer Klarheit und Eindeutigkeit die französische Regierung – haben ihre Auffassung zu dem heute hier diskutierten Problem zum Ausdruck gebracht. Sie stehen auf dem Standpunkt, daß dem Bund nur so viel an Steuerhoheit und an Steuerquellen zur Verfügung gestellt werden darf, als er zur Durchführung seiner eigenen Bundesaufgaben benötigt. Was sich heute hier abspielt, ist nur ein Streit um das Problem des mehr oder minder föderativen bzw. mehr oder minder zentralistischen Aufbaus dieses Kompromisses. Aber wie gesagt – abschließend spreche ich das noch einmal aus –: Das letzte entscheidende Wort in der Frage sprechen ja, wie uns allen bekannt ist, die Herren Militärgouverneure, und sie haben den längeren Arm. Es ist wirklich dankenswert, daß Herr Dr. Süsterhenn ausgesprochen hat, daß man auf deren Wünsche Rücksicht nehmen muß. Dr. Binder (CDU): Das ist vollkommen falsch, Herr Renner (Renner [KPD]: Das hat er gesagt!) Verzeihung! –, vollständig falsch von Ihnen interpretiert. Wenn wir für eine Landesfinanzverwaltung eintreten, bei der der Bundesfinanzminister den notwendigen Einfluß hat, wollen wir gerade durch diese Form die Einheitlichkeit der Finanzverwaltung sichern, damit die Militärgouverneure nicht die Möglichkeit des Eingreifens haben. Renner (KPD): Ich möchte noch einen Satz aussprechen. Ich bekomme heute durch den Ablauf dieser Diskussion eine weitere Bestätigung für die von uns im Anschluß an den Besuch dieser Delegation bei den Militärgouverneuren zum Ausdruck gebrachte Auffassung, daß Dr. Adenauer an jenem denkwürdigen Tage gerade diese strittige Frage entgegen der Abrede gestellt hat, weil er die Tatsache, daß Herr General Koenig34) zu dem damaligen Zeitpunkt der Gouverneurkonferenz präsidierte35), benutzen wollte, um von diesen Herren eine Antwort zu erhalten,

32)

Zu August Bebel vgl. oben Dok. Nr. 2, S. 30, Anm. 64. Der Spruch war in Anlehnung an ein Flugblatt von Wilhelm Liebknecht entstanden, das titelte: „Dem Militarismus keinen Mann und keinen Groschen“ zur Reichstagswahl am 21. Februar 1887. Vgl. Wilhelm Liebknecht, Gegen Militarismus und Eroberungskrieg. Berlin 1986, S.100–158. Noch vor dem Ersten Weltkrieg hat auch August Bebel den Spruch verwendet und eine eigene Schrift in der Schriftenreihe „Kämpfe der deutschen Arbeiterklasse (Bd. 4) die Schrift diesen Titel gegeben: „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen. Aus Reden und Schriften. Nachdruck. Ost-Berlin 1961. Seitdem wird der Spruch Bebel zu geschrieben. 34) Zu Gen. Pierre Koenig vgl. oben Dok. Nr. 28, S. 831, Anm. 21. 35) Der Vorsitz bei den Zusammenkünfte der alliierten MilGouv., die seit dem Sommer 1948 institutionalisiert waren, wechselte monatlich. 33)

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die der Konzeption der CDU in dieser Frage entspricht. Mehr möchte ich zu der Sache heute nicht sagen36). Vors. Dr. Schmid (SPD): Herr Renner, dazu möchte ich etwas sagen. Der Umstand, daß Herr General Koenig präsidiert hat, war für die Antwort, die die drei Generale gegeben haben, ohne jede Bedeutung. Renner (KPD): Das habe ich nicht behauptet. Sie müssen mir nicht etwas unterstellen, was ich nicht behauptet habe. Ich habe nur gesprochen von dem Zweck, den Herr Konrad Adenauer verfolgt hat, als er diese zufällige Tatsache benutzt hat, um die von Ihnen ursprünglich äußerst gerügten Fragen zu stellen. Brockmann (Z): Ich möchte bei dieser Gelegenheit, da man hier grundsätzliche Auffassungen niedergelegt hat, nicht unterlassen, einmal mit ganz wenigen Worten die grundsätzliche Auffassung meiner politischen Freunde darzulegen. Wir sind aus Gründen der sogenannten Finanzklammer die wir unbedingt nötig haben, weil wir überhaupt keine andere Klammer haben – der Auffassung, daß man dem Art. 123 in der abgeänderten Fassung des Antrags Dr. Menzel wohl zustimmen kann. Wir sind auch der Auffassung, daß wir gerade aus Gründen der Sparsamkeit diesem Artikel zustimmen sollten, weil die Länder die Möglichkeit haben, falls ihnen die eigene Finanzverwaltung zu teuer erscheint, diese der Bundesfinanzverwaltung zu übertragen. (MinDir. Dr. Ringelmann: Und ihre sonstigen Aufgaben, Vermögensverwaltung, Etatsangelegenheiten, Fiskalat?) – Da möchte ich dem Herrn Vertreter der Bayerischen Regierung sagen, daß seine Darlegungen ohne Zweifel auf mich einen gewissen Eindruck machen; aber es ist nicht zu leugnen, daß ein Finanzminister, [S. 526] der der CDU angehört, Herr Minister Weitz37) von Nordrhein-Westfalen, einen ganz anderen Standpunkt einnimmt. Ich darf Ihnen weiter folgendes sagen. Ich habe in der Zeit vor 1933 Gelegenheit gehabt, mit dem früheren Finanzminister in Preußen, Herrn Dr. Höpker Aschoff, im Parlament ein Jahrzehnt lang gerade in diesen Fragen zusammenzuarbeiten, und ich muß sagen – das werden Sie mir nicht übelnehmen –, daß das Urteil einer Persönlichkeit, die so in der Erfahrung gestanden hat, doch auch ein großes und starkes Gewicht hat. Ich halte ein Bezugnehmen auf das Schreiben der Besatzungsmächte vom 19. Oktober 194838), soweit die Stellungnahme meiner politischen Freunde zu diesem Fragenkomplex in Betracht kommt, nicht für angebracht, weil ich der Auffassung bin, daß wir zunächst einmal das festlegen sollten, was wir aus unserer eigenen Auffassung, unserem eigenen Bewußtsein und Empfinden schaffen wollen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse zunächst über den Abänderungsantrag der CDU/ CSU zu Art. 123 abstimmen. – Der Abänderungsantrag ist mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt.

36)

Anspielung Renners auf die Besprechung mit den alliierten MilGouv. in Frankfurt am Main am 15. und 16. Dez. 1948. Vgl. dazu die 28. Sitzung des HptA am 18. Dez. 1948; oben Dok. Nr. 28. 37) Zu Heinrich Weitz vgl. oben Dok. Nr. 8, S. 249, Anm. 10. 38) Für den Wortlaut der Erklärung der MilGouv. über die Verteilung der Machtbefugnisse auf dem finanziellen Gebiet vom 19. Okt. 1948 vgl. Der Parl. Rat, Dok. Nr. 12, S. 18–20.

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Dr. Seebohm (DP): Ich bitte, über meinen Abänderungsantrag Nr. 4039) abstimmen zu lassen, der dem Art. 123 eine andere Fassung geben will, als sie der Antrag der CDU/CSU vorsieht. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse abstimmen über den Abänderungsantrag Nr. 40 der Fraktion der Deutschen Partei. – Der Antrag ist mit 10 gegen 9 Stimmen bei einer Enthaltung abgelehnt. Dann lasse ich über den Abänderungsantrag Dr. Menzel zu Abs. 2 abstimmen. – Der Antrag Dr. Menzel ist mit 20 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen. Dann lasse ich über Art. 123 in der nunmehr festgestellten Fassung abstimmen. – Der Art. 123 ist mit 11 gegen 9 Stimmen in der beschlossenen Fassung angenommen.

[1.5. ART. 123a: GESONDERTE FINANZWIRTSCHAFT VON BUND UND LÄNDERN]

Art. 123a Bund und Länder führen eine gesonderte Finanzwirtschaft. Ich lasse abstimmen. – Angenommen mit 11 gegen 7 Stimmen, im übrigen Enthaltungen.

[1.6. ART. 124 UND 124a: HAUSHALTSPLAN]

Art. 124 (1) Alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes müssen für jedes Rechnungsjahr veranschlagt und in den Haushaltsplan eingesetzt werden. (2) Der Haushaltsplan wird vor Beginn des Rechnungsjahres durch Gesetz festgestellt. Er ist in Einnahme und Ausgabe auszugleichen. Die Ausgaben werden in der Regel für ein Jahr bewilligt, sie können in besonderen Fällen auch für eine längere Dauer bewilligt werden. Im übrigen sind Vorschriften im Bundeshaushaltsgesetz unzulässig, die über das Rechnungsjahr hinausgehen oder sich nicht auf die Einnahmen und Ausgaben des Bundes oder seiner Verwaltung beziehen. (3) Das Vermögen und die Schulden sind in einer Anlage des Haushaltsplanes nachzuweisen. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. (4) Bei kaufmännisch eingerichteten Betrieben des Bundes brauchen nicht die einzelnen Einnahmen und Ausgaben, sondern nur das Endergebnis in den Haushaltsplan eingestellt zu werden. Ich lasse abstimmen. – Einstimmig angenommen. Art. 124a (1) Ist bis zum Schluß eines Rechnungsjahres der Haushaltsplan für das folgende Jahr nicht durch Gesetz festgestellt, so ist bis zu seinem Inkrafttreten die Bundesregierung ermächtigt, alle Ausgaben zu leisten, die nötig sind, 39)

Der von Seebohm gez. Antrag Nr. 40 der DP-Fraktion zu Art. 123 vom 16. Dez. 1948, vervielfält. auf Drucks. Nr. 434.

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a) um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen, b) um die rechtlich begründeten Verpflichtungen des Bundes zu erfüllen, c) um Bauten, Beschaffungen und sonstige Leistungen fortzusetzen oder Beihilfen für diese Zwecke weiter zu gewähren, sofern durch den Haushaltsplan eines Vorjahres bereits Beträge bewilligt worden sind. (2) Soweit nicht auf besonderem Gesetz beruhende Einnahmen aus Steuern, Abgaben und sonstigen Quellen oder die Betriebsmittelrücklage die Ausgaben unter Abs. 1 decken, darf die Bundesregierung die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftsführung erforderlichen Mittel bis zur Höhe eines Viertels der Endsumme des abgelaufenen Haushaltsplanes im Wege des Kredits flüssig machen. Ich lasse abstimmen. – Mit 20 Stimmen bei einer Stimmenthaltung angenommen.

[1.7. ART. 124b UND 124c: HAUSHALTSÜBERSCHREITUNGEN UND AUSSERPLANMÄSSIGE AUSGABEN]

Art. 124b Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der Zustimmung des Bundesministers der Finanzen. Sie darf nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden. Ich lasse abstimmen. – Mit 14 gegen 3 Stimmen angenommen. Art. 124c Beschlüsse des Bundestages und des Bundesrates, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, bedürfen der Zustimmung der Bundesregierung. Dr. Binder (CDU): Ich möchte hierzu vorschlagen, das erste Wort „Beschlüsse“ zu ersetzen durch „Anträge“. Das würde auch dem englischen Brauch entsprechen. Es scheint mir wenig sinnvoll zu sein – Herr Kollege Brockmann hat mich darauf hingewiesen –, daß man einen Antrag in Bundestag und Bundesrat bis zum Schluß behandeln und darüber abstimmen läßt und daß dann die Sache durch ein Veto der Regierung sistiert wird. Es ist sinnvoller, einen derartigen Antrag überhaupt nicht zur Verhandlung zu stellen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich glaube, daß der Antrag zu logisch ist. Es könnte ja sein, daß ein also gestellter Antrag in Bundestag und Bundesrat solche Abwandlungen erfährt, daß die Regierung schließlich einverstanden ist. Das hat den Vorteil, daß die Materie behandelt und diskutiert wird, während im anderen Fall die Materie nicht zur Diskussion kommt und daher gar keine Chancen gegeben sind, daß es zu einer Einigung zwischen Bundesregierung und Bundestag oder umgekehrt kommt. Deswegen bitte ich, diesen Antrag abzulehnen. Brockmann (Z): Nach meiner Auffassung schalten wir hier die Bundesregierung in die Legislative ein. Da geht kein Weg daran vorbei; da kann man sagen, was man will. Was Herr Kollege Dr. Binder unter Bezugnahme auf meine Darlegungen bei der letzten Behandlung dieses Artikels vorgebracht hat, bezieht sich auf die Frage,

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ob der Präsident des Hauses derartige Anträge überhaupt zur Behandlung zulassen soll. Es ist, soweit ich mich erkundigt habe, in anderen Ländern der Fall, daß sie dann nicht zugelassen werden, wenn nicht gleichzeitig vorher der betreffende Abgeordnete oder Antragsteller die durch seinen Antrag bedingten Erhöhungen der Ausgaben sichergestellt hat. Das kann er mit der Regierung machen, das kann er mit den Parteien machen, wie er will. Aber hier die Bundesregierung in die Legislative einzuschalten, halte ich für sehr [S. 527] bedenklich und ich vermag dem Antrag zu meinem großen Bedauern nicht zuzustimmen. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich lasse über Art. 124 c abstimmen. – Mit 11 gegen 10 Stimmen angenommen.

[1.8. ART. 125: RECHNUNGSLEGUNG UND RECHNUNGSPRÜFUNG]

Art. 125 Der Bundesminister der Finanzen hat dem Bundestag und dem Bundesrat über alle Einnahmen und Ausgaben sowie über das Vermögen und die Schulden jährlich Rechnung zu legen. Die Rechnung wird durch einen mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestatteten Rechnungshof geprüft. Die allgemeine Rechnung und eine Übersicht über die Vermögen und Schulden sind dem Bundestag und dem Bundesrat im Laufe des nächsten Rechnungsjahres mit den Bemerkungen des Rechnungshofes zur Entlastung der Bundesregierung vorzulegen.40) Die Rechnungsprüfung wird durch Bundesgesetz geregelt. Ich lasse abstimmen. – Mit 18 Stimmen ohne Gegenstimme angenommen.

[1.9. ART. 126: KREDITBESCHAFFUNG]

Art. 126 Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden und nur auf Grund eines Bundesgesetzes. Kreditgewährungen und Sicherheitsleistungen zu Lasten des Bundes, deren Wirkung über ein Rechnungsjahr hinausgeht, dürfen nur auf Grund eines Bundesgesetzes erfolgen. In dem Gesetz muß die Höhe des Kredits oder der Umfang der Verpflichtung, für die der Bund die Haftung übernimmt, bestimmt sein. Ich lasse abstimmen. – Gegen 1 Stimme angenommen. Wir haben damit den Abschnitt Finanzwesen erledigt. Der Hauptausschuß vertagt sich auf Dienstag, den 18. Januar 1949, 10 Uhr. Schluß der Sitzung 12.10 Uhr. 40)

Statt „Die allgemeine Rechnung und eine Übersicht über die Vermögen und Schulden sind dem Bundestag und dem Bundesrat im Laufe des nächsten Rechnungsjahres mit den Bemerkungen des Rechnungshofes zur Entlastung der Bundesregierung vorzulegen.“ im stenograph. Wortprot., S. 76: „Schulden sind dem Bundestag und dem Bundesrat im Laufe des nächsten Rechnungsjahres mit den Bemerkungen des Rechnungshofes zur Entlastung der Bundesregierung vorzulegen.“

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Nr. 42 Zweiundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses 18. Januar 1949 Druckausgabe: Verhandlungen des HptA, S. 529–544. PA 2004. Ungez. von Jonuschat gefertigtes stenograph. Wortprot. Kurzprot.: PA 2004, als Drucks. Nr. 540 vervielf.1) Anwesend 2): CDU/CSU: de Chapeaurouge3), Fecht4), Kaufmann, Kleindinst5), von Mangoldt, Strauß6), Süsterhenn, Weber7) SPD: Bergsträsser8), Eberhard9), Greve, Maier, Menzel, Schmid (Vors.), Schönfelder, Selbert10) FDP: Dehler, Heuss DP: Seebohm KPD: Renner11) Zentrum: Wessel 12) Abgeordnete ohne Stimmrecht: Ehlers (SPD), Katz (SPD), Löwenthal (SPD), Mücke (SPD), Nadig (SPD), Stock (SPD) Für den Redaktionsausschuß: Zinn (SPD) Stenographischer Dienst: Jonuschat Dauer: 10.20–12.50 Uhr

[1. ZWEITE LESUNG – ABSCHNITT I: GRUNDRECHTE]

Vors. Dr. Schmid (SPD):13) Für heute möchte ich Ihnen vorschlagen, die Grundrechte zu behandeln. Wir haben auch hier mehrere Vorlagen zur Verfügung. Ich schlage Ihnen vor, als Vorlage die Abänderungsvorschläge des Ausschusses für Grundsatzfragen zu nehmen, die Ihnen wohl ausgeteilt worden sind. Dr. von Mangoldt (CDU): Der Grundsatzausschuß hat es für seine Aufgabe gehalten, in einer Sitzung noch einmal eingehend zu den Vorschlägen Stellung zu nehmen, die der Redaktionsausschuß gemacht hatte, um eine entsprechende Änderung der im Hauptausschuß in der ersten Lesung beschlossenen Grundrechte möglich zu machen. Es ist gleichzeitig alles das herangezogen worden, was inzwischen 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

10) 11) 12) 13)

Protokollführer Wernicke. Anwesenheitsliste nach Kurzprot. Vertreter für Adenauer. Vertreter für Lehr. Vertreter für Pfeiffer. Vertreter für von Brentano. Vertreter für Laforet. Vertreter für Wolff. Vertreter für Stock. Vertreter für Zimmermann. Vertreter für Reimann. Vertreter für Brockmann. Zuvor brachte der Vors. Schmid eine kurzen Überblick über die im Laufe der bisherigen Beratungen zurückgestellten Artikel. Vgl. stenograph. Wortprot., S. 1.

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eingegangen ist und sich insbesondere mit der Verbesserung des Textes der Grundrechte beschäftigt. Auf Grund der Beratungen, die unter Heranziehung dieses gesamten Materials geführt worden sind, ist der in Ihre Hände gekommene Vorschlag des Ausschusses für Grundsatzfragen, der die Nr. PR. 1.49 – 49314) trägt, entstanden. Ich würde zur Vereinfachung des Verfahrens vorschlagen, daß dieser Vorschlag der Beratung zugrunde gelegt wird. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich habe den Eindruck, daß die Damen und Herren des Ausschusses mit diesem Vorschlag einverstanden sind. (Zustimmung.)15)

[1.1. ART. 1: MENSCHENWÜRDE UND GRUNDRECHTE]

Ich rufe auf

Art. 1 (1) Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Bereit, für die dauernde Achtung und Sicherung der Menschenwürde einzustehen, erkennt das deutsche Volk jene gleichen, unverletzlichen und unveräußerlichen Freiheits- und Menschenrechte an, auf denen Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden ruhen. (3) Diese Grundrechte, für unser Volk aus unserer Zeit geformt und niedergelegt, binden Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung des Bundes und der Länder als unmittelbar geltendes Recht. Dr. von Mangoldt (CDU): Zu Abs. 1 möchte ich bemerken, daß der Grundsatzausschuß sich nicht hat entschließen können, der andersgearteten Formulierung des Redaktionsausschusses (PR. 12.48 – 370)16) zuzustimmen. Der Redaktionsausschuß wollte noch eine besondere Verpflichtung zur Achtung der Menschenwürde aufgenommen haben. Durch diese Formulierung wäre dieser kurze und prägnante Satz schwerfällig geworden. Im übrigen schien es uns nicht erforderlich, diese besondere Verpflichtung zur Achtung der Menschenwürde noch aufzunehmen, da sich aus dem Satz, wie er von uns von Anfang an formuliert worden ist, die Verpflichtung zur Achtung der Menschenwürde ohne weiteres ergibt. Zu Abs. 2 ist zu bemerken, daß es sich hier nur um sprachliche Änderungen handelt. Die ursprüngliche Fassung, die im Hauptausschuß in erster Lesung angenommen war und in der es hieß: „mit der Menschenwürde und als eine der Grundlagen für ihre dauernde Achtung“, stieß etwas an. Das Aufeinanderfolgen der Worte „mit der Menschenwürde“ und „als eine“ fanden wir nicht gut. Wir sind deshalb zu der Formulierung gekommen, die wir jetzt in Abs. 2 vorgeschlagen haben. 14)

Für den Wortlaut der Abänderungsvorschläge des Ausschusses für Grundsatzfragen zur Fassung der Grundrechtsbestimmungen der 1. Lesung des HptA auf Drucks. Nr. 493 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 5/2, Dok. Nr. 43, S. 954–964. 15) („Zustimmung“) fehlt im stenograph. Wortprot., S. 3. Dort statt dessen der Namensaufruf zur Feststellung der Stimmberechtigung. 16) Für den Wortlaut der Drucks. Nr. 370 vom 13. Dez. 1948 mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu Art. 1–85 vgl. Der Parl. Rat, Bd. 7, Dok. Nr. 4, S. 133–161.

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Der Abs. 3 ist gleichfalls nur einfach umformuliert worden, so daß er unserer Auffassung nach sprachlich besser geworden ist. Klar sollte herauskommen – und insoweit haben wir uns den Formulierungen des Redaktionsausschusses nicht anschließen können –, daß für uns das Wichtigste, das am Anfang zu stehen hat, die Betonung der Menschenwürde ist, daß es dann Aufgabe des Artikels ist, die Freiheits- und Menschenrechte zu dieser Menschenwürde in das rechte Verhältnis zu setzen. Das hat sehr große Schwierigkeiten gemacht, weil dabei gewisse logische Schwierigkeiten aufgetaucht sind, die immer wieder zur Ablehnung der verschiedensten anderen Einzelformulierungen geführt haben. Der Redaktionsausschuß hat für den Abs. 2 eine vollkommene andere Formulierung gewählt, die gerade die innere Einheitlichkeit dieses Artikels, wie er vom Grundsatzausschuß vorgeschlagen worden ist, zu zerstören drohte. Es war nun für uns wichtig, in dem Absatz die Überleitung zu den Grundrechten zu finden und zu zeigen, daß diese Grundrechte, die in den Artikeln 2 bis 20 niedergelegt sind, eine Niederschrift dieser alten, wie es hier gesagt worden ist: gleichen, unverletzlichen und unveräußerlichen Freiheits- und Menschenrechte aus unserer Zeit darstellen. Dr. Seebohm (DP): Wir haben zu diesem Artikel zwei Anträge gestellt. Der erste Antrag bezieht sich auf den Abs. 1. Wir schlagen dafür folgende Fassung (PR. 12.48 – 396) vor: Die Würde des Menschen ist in der staatlichen Ordnung zu schützen. Der Staat hat mit der ihm anvertrauten Gewalt Recht und Gerechtigkeit zu verwirklichen. Wir sind der Auffassung, daß diese Sätze die Grundlage des gesamten Grundgesetzes bilden sollten. Wir sind weiter der Auffassung, daß sie in der Form eines Gesetzesbefehls ausgesprochen werden sollten. Wir haben gegen die Fassung des Grundsatzausschusses deshalb Bedenken, weil nach unserer Auffassung die Menschenwürde auch vor der staatlichen Ordnung zu schützen ist. Es handelt sich also nicht nur darum, daß sie im Schutz der staatlichen Ordnung steht, sondern daß sie innerhalb der staatlichen Ordnung geschützt werden muß. Ähnliche Gründe haben ja auch den Redaktionsausschuß bei seinen Vorschlägen bewogen. Dann habe ich zu Abs. 2 einen weiteren Antrag zu vertreten, der gemeinsam von verschiedenen Fraktionen, vom Zentrum, von der CDU/CSU und von uns gestellt ist. Wir bitten, zwischen die Worte „unverletzlichen und unveräußerlichen Freiheits- und Menschenrechte“ die Worte „von Gott gegebenen“ einzufügen. Wir sind der Auffassung, daß es notwendig ist, diese Herkunft der Freiheits- und Menschenrechte im Grundgesetz klar zum Ausdruck zu bringen. Der Mensch ist ja nur dann wirklich [S. 530] frei, wenn er nicht dem Menschen, sondern nur dem Gesetz untertan ist, das er von Gott gegeben in sich trägt, das ihm in Form seines Gewissens eingegeben ist. Wenn sich aus der von seinem Gewissen bestimmten Freiheit das Verantwortungsbewußtsein entwickelt, aus dem heraus der Mensch allein zum sozialen Handeln befähigt wird, so entwickelt sich aus dem von Gott gegebenen Gewissen auch sein Anspruch auf Freiheits- und Menschenrechte. Diese Entwicklung bedingt, daß der Mensch sich stets bewußt sein muß, daß ihm diese Freiheitsund Menschenrechte von Gott gegeben sind und im Rahmen der ihm dadurch von Gott auferlegten Verpflichtungen gewährleistet werden müssen. Um diese Wahr-

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Zweiundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses 18. Januar 1949

heit hier klar zum Ausdruck zu bringen, bitten wir, in Abs. 2 diese drei Worte „von Gott gegebenen“ einzufügen. Dr. Strauß (CDU): Es handelt sich hier um den ersten Artikel des Grundgesetzes. Wie wir überhaupt bei der Textfassung des Grundgesetzes darauf achten sollten, sprachlich so einwandfrei und so verständlich wie möglich zu verfahren, so müssen wir das meines Erachtens insbesondere bei dem Art. 1 tun. Ich habe schon bei der Fassung der ersten Lesung nicht verstanden – und ich glaube, weiteste Kreise werden es nicht verstehen –, was in diesem Zusammenhang im Abs. 2 das Wort „gleichen“ bedeutet. Das Wort „gleichen“ muß doch in irgendeiner Relation zu einem anderen Begriff stehen. Gemeint ist, daß das deutsche Volk die unverletzlichen und unveräußerlichen Freiheits- und Menschenrechte anerkennt. Was damit gemeint ist, ist, wenn man auf den historisch überlieferten Bestand der Freiheitsund Menschenrechte abstellt, ohne weiteres ersichtlich. Ich verstehe aber nicht, was das Wort „gleichen“ in diesem Zusammenhang bedeutet, und ich glaube, der Durchschnittsleser wird es erst recht nicht verstehen. Würde es denn irgendwie Schaden anrichten, wenn man das Wort „gleichen“ wegstreicht? Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich möchte diesen Ausführungen sehr nachdrücklich beitreten. Ich glaube, wir können dieses Wort „gleichen“ streichen. Es steht zwar in der klassischen Deklaration der Menschenrechte von 1789 „droits égaux“; aber ich glaube, daß das Wort dort einen ganz anderen und sehr spezifischen Sinn hatte, den es hier nicht haben soll. Die Gleichheitsbestimmungen kommen ja später im einzelnen. Ich meine, wir könnten das Wort „gleichen“ streichen. Kann ich das allgemeine Einverständnis annehmen, daß diese Vokabel gestrichen wird? (Zustimmung.) Dr. Heuss (FDP): Ich bin der Meinung – und habe das auch früher schon zum Ausdruck gebracht –, wir sollten um des sehr irdischen Charakters unserer Aufgabe willen nicht Theologie treiben. Infolgedessen bin ich bei aller Anerkennung der Grundhaltung, die Herr Dr. Seebohm zum Ausdruck gebracht hat, nicht dafür, die Berufung auf Gott hier mit hereinzunehmen. Mir scheint das eine Strapazierung der Religion zu sein, die wir uns aus religiösen Gründen nicht gestatten sollten. Vors. Dr. Schmid (SPD): Ich darf kurz darauf hinweisen, daß doch die Freiheit, von der in der christlichen Verkündigung die Rede ist, die Freiheit des Christenmenschen ist, und diese ist etwas wesentlich anderes als die Freiheitsrechte, die eine Verfassung geben kann. Wer darüber Zweifel haben sollte, der mag die Schrift Martin Luthers17) „Von der Freiheit eines Christenmenschen“18) nachlesen. Gerade bei Luther ist ja dem Staat praktisch die durch Zwang ordnende Willkür des Stockmeisters in die Hand gegeben, und gegen diese dem Gebrauch der Freiheit durch den Menschen gegenüber höchst pessimistische Staatsauffassung hat sich nun gerade in Deutschland nicht im Bereich des Religiösen, sondern im Zuge der zivilisatorischen Entwicklung der Kampf der Menschen um eine irdische Freiheit vollzogen, die auf einer anderen Ebene begründet ist als der Ebene, auf der die Freiheit des Christenmenschen steht. Diese hat ja auch der an der Galeere angekettete Sklave noch! 17) 18)

Zu Martin Luther vgl. oben Dok. Nr. 21, S. 618, Anm. 37. Das Buch von Martin Luther „Von der Freyheith eines Christenmenschen“ (De libertate christiana) aus dem Jahre 1520 besteht aus 30 Thesen.

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Zweiundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses 18. Januar 1949

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Dr. Süsterhenn (CDU): Wir wollen mit diesem Antrag keine Theologie treiben. Wir wollen auch die Frage der Freiheit des Christenmenschen nicht hier in die Verfassung hineinbringen. Wir wollten mit diesem Antrag lediglich noch klarer, als es in der bisher vorliegenden Fassung geschehen ist, den vorstaatlichen Charakter dieser Freiheitsrechte hervorheben, indem wir sagen, sie sind dem Menschen von Gott verliehen, also nicht etwa erst vom Staate verliehen. Man kann wohl sagen, daß durch die Worte „unverletzlich und unveräußerlich“ dieser Gedanke in etwa schon angeklungen ist. Aber es kam uns darauf an, diesen Gedanken dadurch, daß wir die Worte „von Gott gegebenen“ einfügen, noch schärfer und prägnanter zum Ausdruck zu bringen, um dadurch die Unantastbarkeit dieser Rechte durch den Staat auszudrücken. Also eine theologische Absicht ist unsererseits mit diesem Antrag in keiner Weise verknüpft. Vors. Dr. Schmid (SPD): Dazu ließe sich noch einiges sagen. Aber ich glaube, wir haben darüber schon ausreichend gesprochen. Dr. Heuss (FDP): Den Begriff des vorstaatlichen Rechtes können wir nicht zum Ausgangspunkt einer staatlichen Umschreibung machen. Wir sind uns sachlich einig. Aber ich kann mit dem Begriff des Vorstaatlichen nicht sehr viel anfangen, wenn ich ein Staatsgrundgesetz mache. Denn die Dinge bekommen ihren wesenhaften Charakter eben dadurch, daß wir sie in den Rahmen einer staatlichen Ordnung mit hineinst