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German Pages [160] Year 2014
Barmen I: Worauf hören?
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Evangelische Impulse Band 4 Herausgegeben im Auftrag der Union Evangelischer Kirchen (UEK) in der EKD
Reformation erinnern Eine theologische Vertiefung im Horizont der Ökumene
Herausgegeben von Martin Heimbucher
Neukirchener Theologie
Dieses Buch wurde auf FSC-zertifiziertem Papier gedruckt. FSC (Forest Stewardship Council) ist eine nichtstaatliche, gemeinnützige Organisation, die sich für eine ökologische und sozialverantwortliche Nutzung der Wälder unserer Erde einsetzt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2013 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn Umschlaggestaltung: Andreas Sonnhüter, Düsseldorf Lektorat: Ekkehard Starke DTP: Breklumer Print-Service, Breklum Gesamtherstellung: Hubert & Co, Göttingen Printed in Germany ISBN 978-3-7887-2647-8 (Print) ISBN 978-3-7887-2648-5 (E-Book-PDF) www.neukirchener-verlage.de
Inhalt
Vorwort
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Matthias Konradt Luthers reformatorische Entdeckung – Eine Relektüre aus exegetischer Sicht . . . . . . . . . .
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Johannes Schilling Die Reformation – »Segen« oder »Katastrophe«?
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Johanna Rahner Die Reformation als »Wunde« am Leib Christi . .
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Christine Axt-Piscalar Pluralität als »Gewinn« der Reformation . . . . . . .
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Christoph Schwöbel »Unterschiedliche Konstruktionsprinzipien« – Problem und Lösungsansatz im ökumenischen Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Ulrich Fischer Resümee aus kirchenleitender Sicht . . . . . . . . . . . 136
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Inhalt
Gury Schneider-Ludorff Resümee der Fakultäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Programm der Konsultation . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Teilnehmende an der Konsultation . . . . . . . . . . . . 153 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
Vorwort
Intensive Dialoge zwischen leitenden Geistlichen und Vertretern der wissenschaftlichen Theologie prägten die Konsultation, die im September 2012 im Eisenacher Haus Hainstein stattfand, am Fuß der Wartburg. »Was feiern wir eigentlich als evangelische Kirchen im Jahr 2017?«, so lautete die Ausgangsfrage. Dabei ging es um eine theologische Vertiefung der allseits anhebenden Überlegungen und Vorbereitungen zum Reformationsjubiläum. Dass dieses Jubiläum von der evangelischen Kirche keinesfalls in »splendid isolation« gefeiert werden kann, war den Beteiligten von vornherein klar: Evangelische leitende Geistliche bewegen sich in vielfältigen ökumenischen Beziehungen, so wie auch die theologische Wissenschaft in konfessionsüberschreitenden Zusammenhängen denkt und arbeitet. Diese Verbundenheit hat sich gerade beim Reformationsjubiläum zu bewähren. Der erste Beitrag wendet sich dem wichtigsten biblischen Quellort der Reformation zu: Aus exegetischer Perspektive fragt der Heidelberger Neutestamentler Matthias Konradt nach, ob Luthers Verständnis der paulinischen Rechtfertigungslehre auch im Licht heutiger Forschung Bestand haben kann. Er diskutiert dies besonders im Blick auf die angelsächsische new perspective on Paul, die schon als »Entlutherisierung des Paulus« apostrophiert wurde. Konradt kommt zu einer differenzierenden Einschätzung: Historisch-kritische Exegese müsse zwar die jeweiligen Kontexte und die unterschiedlichen Argumentations-
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richtungen in der Entfaltung der Rechtfertigungslehre bei Paulus und bei Luther präzise unterscheiden. Dennoch sei Luthers Lehre als eine konsequente Weiterentwicklung des paulinischen Ansatzes anzusehen. Luther formt dabei eine bei Paulus ekklesiologisch motivierte Denkfigur in eine anthropologische Fundamentallehre um. Konradt beschließt seine Überlegungen mit einem hoffnungsvollen Ausblick: Diese sorgfältige Differenzierung zwischen Paulus und Luther könne im ökumenischen Dialog positive Wirkungen freisetzen. Der Kirchengeschichtler Johannes Schilling sieht in dem heute notwendig ökumenischen, globalen Horizont des Reformationsjubiläums einen Anlass, die speziell aus der deutschen Perspektive erwachsenen Deutungsmuster der Reformation kritisch zu überprüfen. Ein historisch verantworteter Begriff der Reformation sei nicht allein durch eine Rekonstruktion der Konflikte und Spaltungen des Reformationszeitalters zu gewinnen, sondern müsse den neuen Typus von Kirche vor Augen stellen, der sich darin herausgebildet hat. Während sich das Interpretament einer »Modernität« der Reformation abgenutzt habe, führe das Nachzeichnen von Prozessen einer »normativen Zentrierung« (Berndt Hamm) zu angemesseneren historischen Beschreibungen. Mit Thomas Kaufmann bringt Schilling das Geschehen der Reformation auf die Formel: »Ein Aufstand der Kirche gegen die Kirche aus Liebe zur Kirche«. Die katholische Theologin Johanna Rahner nimmt die aus römischer Perspektive ebenso naheliegende wie problematische Metapher von der Reformation als einer »Wunde am Leib Christi« beim Wort. Die konfessionell behauptete Alternative für 2017: »Feiern« oder »Gedenken« sei Ausdruck von Projektionen auf die Geschichte der Reformation, die im Dienst jeweiliger Identitätssicherung stehen. Dabei sei auf beiden Seiten die notwendige Balance zwi-
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schen Einheit und Pluralität innerhalb der eigenen Konfession verloren gegangen. Sofern aber die Forschung der letzten Jahrzehnte die konfessionell-konfrontativen Schemata der Interpretation aufgebrochen habe, werde heute eine gemeinsam zu verantwortende theologische Deutung der Reformation möglich und nötig. Dabei seien der Begriff der Reformation, seine Verhältnisbestimmung zum Mittelalter, aber auch Luthers Rechtfertigungslehre und seine Abwendung von der römischen Kirche gemeinsam neu zu interpretieren. Bleibende Unvereinbarkeiten im theologischen Denken könnten als »plurale Ausdrucksformen der einen Wahrheit« komplementär aufeinander bezogen und so für das ökumenische Gespräch fruchtbar gemacht werden. Rahners bilateral kritische Reflexionen enden mit einem Memento an die eigene Adresse: Für die römischkatholische Kirche gehe es im Blick auf 2017 weniger um eine Neubewertung der Reformation als vielmehr um die vom Zweiten Vatikanum aufgegebene Klärung des eigenen Weges. Thematisch korrespondierend wendet sich Christine AxtPiscalar der protestantischen Antithese zu, nach der die kirchliche Pluralität, die mit der Reformation sichtbar geworden ist, als Gewinn zu verbuchen ist. Die Infragestellung des Kircheseins der evangelischen Kirchen sei deshalb als Beitrag der römisch-katholischen Kirche zum Reformationsjubiläum aufzufassen, der den Protestantismus zur Klärung seines Kirchenverständnisses nötige. Axt-Piscalar zeigt die Suffizienz römisch-katholischer Positionierungen seit dem Zweiten Vatikanum darin auf, dass dessen Kirchenverständnis prinzipiell auf die in der römisch-katholischen Kirche, insbesondere in dessen Amt und Eucharistie bereits verwirklichte Einheit ausgerichtet ist. Demgegenüber folge evangelisches Kirchenverständnis der Einsicht, dass bereits neutestamentlich die Einheit der Kirche Jesu Christi nur in der Vielgestaltigkeit ihrer Verwirk-
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lichungen vorliegt. Der evangelische Kirchenbegriff findet Einheit darum nicht im Verweis auf eine bischöfliche Sukzession, sondern völlig ausreichend in den ekklesiologischen Grundbestimmungen von Artikel VII der Confessio Augustana: in Wort und Sakrament, durch welche Jesus Christus selber die Einigkeit des Glaubens wirkt. Schließlich thematisiert Christoph Schwöbel die Frage nach den unterschiedlichen Konstruktionsprinzipien evangelischer und römisch-katholischer Theologie, die auf beiden Seiten als ein Schlüssel zur Fortführung des interkonfessionellen Dialogs erkannt worden ist. Über die Feststellung von Konsens oder Dissens in einzelnen Lehraussagen hinausgehend müsse der Dialog sich den fundamentaltheologischen Voraussetzungen eines gegenseitigen Verstehens zuwenden. Damit kommt die Frage auf den Prüfstand, wie sich einzelne, auf den ersten Blick widersprüchliche Lehraussagen zu der gemeinsamen Sache verhalten, auf die christliche Lehre sich bezieht. Schwöbel sieht eine Chance darin, dass sowohl das Zweite Vatikanum wie auch die Leuenberger Konkordie auf ein dynamisch verstandenes fundamentum fidei hinweisen, auf die Selbstvergegenwärtigung des dreieinigen Gottes, welche als Grundgeschehen aller christlichen Lehre vorausliegt. Damit sei sowohl die Voraussetzung wie auch das zentrale Thema eines ökumenischen Dialogs erkannt, aus dessen Praxis und von dessen ersten Ergebnissen Schwöbel berichten kann. Der vorliegende Band dokumentiert auch die beiden Resümees, in denen Ulrich Fischer und Gury Schneider-Ludorff am Ende der Konsultation Beobachtungen aus kirchenleitender wie aus wissenschaftlich-theologischer Perspektive zusammenfassten. Nur von Ferne können die für den Druck überarbeiteten Vortragsmanuskripte das engagierte gemeinsame Fragen und die lebhaften Diskussionen wiedergeben, die die Tage in Eisenach prägten. Anderer-
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seits lädt ihre Veröffentlichung nun dazu ein, auch an anderen Orten kundig darüber zu debattieren, welche Bedeutung und Ausrichtung das Jubiläum der Reformation im Jahr 2017 haben soll. Dass die evangelische Kirche ihr Tun und Lassen im Dialog mit der wissenschaftlichen Theologie fortwährend kritisch reflektiert, ist ein unverzichtbares Erbe der Reformation. Unter Beteiligung von EKD, UEK und VELKD stellen sich leitende Geistliche und Vertreter der evangelischtheologischen Fakultäten regelmäßig – im dreijährigen Turnus – mit ihrer gemeinsamen Konsultation dieser Aufgabe. Im Horizont der Ökumene und in der Begegnung mit anderen Religionen ist dieser Dialog das Beispiel einer öffentlich verantworteten und kritikfähigen Konfessionalität. Dafür steht die evangelische Kirche, gerade auch im Jubiläumsjahr 2017. Hannover im Januar 2013
Martin Heimbucher
Luthers reformatorische Entdeckung – eine Relektüre aus exegetischer Sicht Matthias Konradt
Das mir gestellte Thema wirft auf beiden Seiten des Gedankenstrichs Fragen und Probleme auf. Ich gehe allerdings davon aus, dass von einem Exegeten kein weiterführender Beitrag zur Lutherforschung bzw. speziell zur Diskussion über Luthers reformatorische Entdeckung erwartet wird. Fragen wie die, wann die in Luthers Vorrede zur Ausgabe seiner lateinischen Schriften von 1545 erwähnte exegetische Entdeckung zur Bedeutung der Wendung »Gerechtigkeit Gottes«1 zu datieren ist, ob in dem späten Rückblick ein längerer Prozess punktuell verdichtet wurde und inwiefern Entwicklungsphasen in Luthers Verständnis der Rechtfertigungslehre sowie in seinem Paulinismus zu beobachten sind2, klammere ich aus. Ich konzentriere mich darauf, den Grundansatz von Luthers Rechtfertigungsverständnis und Grundzüge seiner Paulusexegese, wie sie etwa in Luthers Auslegungen der hier primär relevanten Paulusbriefe, also des Römer- und des Galaterbriefes doku1 Martin Luther, Studienausgabe, hg. v. Hans-Ulrich Delius, Bd. 5, Leipzig 1992, 635-637 (vgl. WA 54, 185f). Deutsche Übersetzung in: Heiko A. Oberman u.a. (Hg.), Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III: Reformation, ausgewählt und bearbeitet von Volker Leppin, NeukirchenVluyn 2005, 22f. 2 Ich verweise exemplarisch auf den Ansatz von Berndt Hamm, Naher Zorn und nahe Gnade: Luthers frühe Klosterjahre als Beginn seiner reformatorischen Neuorientierung, in: ders., Der frühe Luther. Etappen reformatorischer Neuorientierung, Tübingen 2010, 25-64 sowie auf die beiden von Bernhard Lohse herausgegebenen Sammelbände: Der Durchbruch der reformatorischen Erkenntnis bei Luther, WdF 123, Darmstadt 1968 und Der Durchbruch der reformatorischen Erkenntnis bei Luther, VIEG.B 25, Stuttgart 1988.
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mentiert ist, einer Relektüre aus exegetischer Sicht zu unterziehen3. Ein kritischer Vergleich von Paulus’ und Luthers Rechtfertigungsverständnis muss sich in der gegenwärtigen Forschungslage allen voran den Anfragen stellen, die durch die sog. new perspective on Paul aufgeworfen wurden. Es ist allerdings zu beachten, dass sich in der new perspective keineswegs in umfassender Weise eine neue einheitliche Sicht paulinischer Theologie etabliert hat, sondern unter diesem Dach vielmehr ein ganzes Bündel unterschiedlicher Ansätze versammelt ist, die je auf ihre Weise die traditionelle lutherische Paulusdeutung (oder was jeweils dafür gehalten wird) entweder zu überwinden oder zu korrigieren oder jedenfalls zu ergänzen suchen4. Zudem ist zu konstatieren, dass die new perspective sich keines3
Im Rahmen dieses Beitrags kann ich weder auf Entwicklungen zwischen der Römerbriefvorlesung von 1515/16, der Galatervorlesung von 1516/17, dem auf dieser basierenden Kommentar von 1519 sowie schließlich der späteren Galatervorlesung von 1531 (gedruckt 1535) eingehen, noch ist es möglich, ihre jeweiligen spezifischen historischen Konstellationen zu thematisieren Für eine ausführliche Diskussion der Paulusrezeption Luthers in ihren unterschiedlichen Entwicklungsphasen siehe die Studie von Volker Stolle, Luther und Paulus. Die exegetischen und hermeneutischen Grundlagen der lutherischen Rechtfertigungslehre im Paulinismus Luthers, ABG 10, Leipzig 2002. Für eine kritische Auseinandersetzung mit Stolles Monographie siehe Christof Landmesser, Luther und Paulus. Eine Rezension in exegetischer Perspektive zu einem Buch von Volker Stolle, NZSTh 48 (2006), 222-238. Zu den Galaterauslegungen siehe die Untersuchung von Karin Bornkamm, Luthers Auslegungen des Galaterbriefes von 1519 und 1531, AKG 35, Berlin 1963. 4 Für Forschungsüberblicke siehe Christian Strecker, Paulus aus einer »neuen Perspektive«. Der Paradigmenwechsel in der jüngeren Paulusforschung, KuI 11 (1996), 3-18; Michael Wolter, Eine neue paulinische Perspektive, ZNT 14 (2004), 2-9; Klaus Haacker, Verdienste und Grenzen der »neuen Perspektive« der Paulus-Auslegung, in: Michael Bachmann unter Mitarbeit von Johannes Woyke (Hg.), Lutherische und Neue Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, WUNT 182, Tübingen 2005, 1-15; Christine Gerber, Blicke auf Paulus. Die New Perspective on Paul in der jüngeren Diskussion, VuF 55 (2010), 4560; Ivana Bendik, Paulus in neuer Sicht? Eine kritische Einführung in die »New Perspective on Paul«, Judentum und Christentum 18, Stuttgart 2010.
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wegs umfassend durchzusetzen vermochte5. Im Rahmen dieses Beitrags ist es unmöglich, die Paulusforschung in ihrer Vielfalt zu entfalten und die unterschiedlichen Interpretationen jeweils als kritischen Gradmesser auf Luthers reformatorische Entdeckung zu beziehen. Ich muss mich auf die Darlegung von Hauptlinien beschränken, die ich exemplarisch anhand der Positionen von namhaften Vertretern der new perspective illustrieren werde, nämlich anhand von Krister Stendahl, Ed Parish Sanders und James Dunn. In kritischer Anknüpfung an Positionen der new perspective werde ich anschließend versuchen, Differenzen und Gemeinsamkeiten von Paulus‘ Rechtfertigungslehre auf der einen Seite und ihrer Interpretation bei Luther auf der anderen herauszuarbeiten. In einem kurzen Schlussteil soll abschließend die hermeneutische Frage nach Sinn, Funktion und Ertrag einer solchen Relektüre aufgeworfen werden. 1 Die neue Paulusperspektive »Luther spricht, wie Paulus gesprochen hätte, wenn er zu der Zeit gelebt hätte, als Luther seine Vorlesungen hielt«6. Diese von Hans Dieter Betz im Blick auf Luthers Galaterbriefkommentar von 1535 formulierte Aussage aus dem Jahr 1979 würden seit dem Aufkommen und dem Bedeu5 Für eine kritische Auseinandersetzung mit der »new perspective« siehe v.a. Stephen Westerholm, Perspectives Old and New on Paul. The »Lutheran« Paul and His Critics, Grand Rapids (MI) / Cambridge (UK) 2004 sowie ders., The »New Perspective« at Twenty-Five, in: D.A. Carson / Peter T. O’Brien / Mark A. Seifrid (Hg.), Justification and Variegated Nomism, Vol. II: The Paradoxes of Paul, WUNT II.181 Tübingen 2004, 1-38. 6 Hans Dieter Betz, Der Galaterbrief. Ein Kommentar zum Brief des Apostels Paulus an die Gemeinden in Galatien, aus dem Amerikanischen übersetzt und für die deutsche Ausgabe redaktionell bearbeitet v. Sibylle Ann, München 1988, 8 (englisches Original: Galatians. A Commentary on Paul’s Letter to the Churches in Galatia, Hermeneia, Philadelphia 1979, XV).
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tungsgewinn der sog. new perspective on Paul viele Exegeten nicht mehr unterschreiben. In der new perspective wird vielmehr nicht selten der Eindruck vermittelt, die Paulusauslegung müsse aus ihrer captivitas lutherana befreit werden, um statt eines »lutherisierten« Paulus des wirklichen Paulus ansichtig werden zu können. Das Schlagwort der »Entlutherisierung« des Paulus macht die Runde7. Krister Stendahl hat in einem 1963 unter dem Titel »The Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West«8 veröffentlichten Vortrag9 auf die diametral entgegengesetzten biographischen Voraussetzungen von Luther und Paulus hingewiesen. Paulus sei weder vor noch nach Damaskus von schweren Gewissensqualen belastet gewesen und habe sich nicht durch introspektive Gewissenserforschung ausgezeichnet. Stendahl schreibt Paulus vielmehr auf der Basis von Phil 3,5f in einer berühmt gewordenen Formulierung ein robustes Gewissen zu10. Entsprechend seien die Fragen, auf die die Rechtfertigungslehre bei Paulus und in ihrer Variation bei Luther eine Antwort gibt, in keiner Weise dieselben. Paulus habe nämlich nicht die Frage umgetrieben, wie er einen gnädigen Gott bekomme, sondern bei ihm seien die Verweise auf die Unmöglichkeit, das Gesetz zu erfüllen, Teil einer theologischen und theoretischen Schriftargumentation über das Verhältnis zwischen Juden und »Heiden«11. Kurz gesagt: Thema der 7 Siehe z.B. Strecker, Paulus, a.a.O., 3-4; Francis Watson, Paul, Judaism and the Gentiles. A Sociological Approach, MSSNTS 56, Cambridge u.a. 1986, der seinen Forschungsüberblick zur »opposition to the Lutheran approach« (10) mit den Worten beschließt: »The process of ›delutheranizing Paul‹ is already well under way« (18). 8 HThR 56 (1963), 199-215 (deutsche Übersetzung unter dem Titel »Der Apostel Paulus und das ›introspektive‹ Gewissen des Westens« in KuI 11 [1996], 19-33). 9 Der Vortrag wurde am 3. September 1961 auf dem Annual Meeting der American Psychological Association gehalten. 10 Stendahl, Apostle, a.a.O., 200: »Paul was equipped with what in our eyes must be called a rather ‘robust’ conscience.« 11 So a.a.O., 202.
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Rechtfertigungslehre ist die Inklusion der »Heiden« in das Gottesvolk. Kein universal applikables individualsoteriologisches Problem werde hier therapiert, sondern die ekklesiologische Frage nach dem legitimen Status der Heidenchristen in der Kirche allein auf der Basis ihres Glaubens an Jesus Christus12. An diese Differenzen schließt sich an, dass Paulus auch kein programmatisches simul iustus et peccator zur Beschreibung des Christenmenschen kenne13. Der Beitrag von Ed Parish Sanders zur »new perspective« liegt nicht nur in der ihm eigenen Paulusdeutung, sondern auch, ja zuallererst darin, dass er in seinem 1977 erschienenen opus magnum »Paul and Palestinian Judaism. A Comparison of Patterns of Religion«14 dem Zerrbild vom Judentum als einer gleichermaßen von Leistungsstolz wie ängstlicher Heilsungewissheit gekennzeichneten Religion der Werkgerechtigkeit und des Verdienstdenkens, die nicht oder nur unzureichend von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes zu reden wisse, die These vom Bundesnomismus als Religionsstruktur des antiken Judentums entgegengestellt hat. Sanders‘ Bezeichnung ordnet zwei zentrale Größen jüdischen Selbstverständnisses einander zu: Bund und Gesetz. Sanders operiert dabei mit der Unterscheidung von »Hineingelangen und Darinverbleiben«15, von getting in und staying in16, d.h. er unterscheidet die Aspekte: Wie kommt man in den Bund hinein? und: Wie 12 Vgl. Krister Stendahl, Paulus unter Juden und Heiden, in: ders., Der Jude Paulus und wir Heiden. Anfragen an das abendländische Christentum, München 1978, 10-102 (11): Paulus habe seine »Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben zu einem ganz spezifischen, begrenzten Zweck erarbeitet«. 13 Stendahl, Apostle, a.a.O., 202.209f. 14 E.P. Sanders, Paul and Palestinian Judaism. A Comparison of Patterns of Religion, London 1977. Deutsche Übersetzung: Paulus und das palästinische Judentum. Ein Vergleich zweier Religionsstrukturen, StUNT 17, Göttingen 1985. 15 Siehe Sanders, Paulus und das palästinische Judentum, a.a.O., 18. 16 Sanders, Paul and Palestinian Judaism, a.a.O., 17.
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bleibt man darin? Seine These ist: Der Bund, die Erwählung, ist eine unverdiente Gabe Gottes. Das Leben nach der Tora ist die Antwort des Israeliten auf diese Gabe, und hierbei geht es eben nicht darum, in den Bund hineinzugelangen, sondern drinzubleiben. Des Weiteren gibt es innerhalb des Bundes Sühnmittel für Übertretungen. Hat Luther seinen Kampf gegen Rom auf Paulus’ Auseinandersetzung mit dem ihm zeitgenössischen Judentum projiziert17, so ging mit Sanders’ Bundesnomismusthese eine wesentliche Plausibilitätsgrundlage für die traditionelle Paulusdeutung verloren: Der Annahme, Paulus habe seine Rechtfertigungslehre als pointierte Alternative gegen einen soteriologischen Ansatz entwickelt und in Stellung gebracht, nach dem ein Mensch sich durch Werke vor Gott Verdienste erwirbt und Gott ihn auf dieser Basis als Gerechten annimmt, stellte Sanders entgegen, dass das antike Judentum im Grundsatz selbst als Gnadenreligion zu klassifizieren sei. Sein Verständnis der paulinischen Theologie hat Sanders 1991 in einem kleinen Buch zusammengefasst, das in der Reclam Universal-Bibliothek 1995 auch in deutscher Übersetzung erschienen ist18. In dieser Kurzdarstellung hebt Sanders wiederholt und dezidiert auf die Distanz zwischen Luther und Paulus ab. Luther habe Paulus’ Aussagen zur Gerechtigkeit aus dem Glauben »in den Mittelpunkt seiner eigenen, gänzlich anderen Theologie«19 gestellt. Luthers Probleme seien nicht die von Paulus gewesen, »und wir interpretieren Paulus falsch, wenn wir ihn mit Luthers Au17 Vgl. exemplarisch Wolfgang Kraus, Gottes Gerechtigkeit und Gottes Volk. Ökumenisch-ekklesiologische Aspekte der New Perspective on Paul, in: Michael Bachmann unter Mitarbeit von Johannes Woyke (Hg.), Lutherische und Neue Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, WUNT 182, Tübingen 2005, 329347: 332f. 18 E.P Sanders, Paul, Oxford / New York 1991, deutsch: Paulus. Eine Einführung, Reclam Universal-Bibliothek 9365, Stuttgart 1995. 19 Sanders, Paulus (Reclam), a.a.O., 63.
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gen sehen«20. »Die Vorstellung einer fiktiven, zugeschriebenen Gerechtigkeit«, die Sanders bei Luther vertreten findet, sei Paulus »nicht in den Sinn [gekommen]«; und wäre sie ihm in den Sinn gekommen, »hätte er gegen sie gewettert«21. Wie Stendahl sieht auch Sanders mit der Rechtfertigungslehre eine ekklesiologische Frage verhandelt. Das Thema der Rede von der Rechtfertigung durch Glauben »ist nicht: ›Wie kann der einzelne Mensch aus der Sicht Gottes gerecht sein?‹, sondern vielmehr: ›Wie ist es möglich, daß die Heiden in den letzten Tagen ins Volk Gottes aufgenommen werden?‹«22. Es gehe um die Frage der »Zugehörigkeit zum Gottesvolk: Paulus meinte, daß der Glaube an Christus die einzige Bedingung ist für die Zugehörigkeit zur Gruppe derer, die gerettet werden. Negativ ausgedrückt hieß dies, daß die Annahme des jüdischen Gesetzes nicht erforderlich war. Das ist die Bedeutung von ›gerechtfertigt aus dem Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes‹ und ähnlicher Wendungen«23. Nicht Einzel-, sondern Gruppenschicksale werden hier verhandelt24. Dieser Ansatz gewinnt bei Sanders dadurch an Profil, dass er die Frage nach dem Ausgangspunkt der paulinischen Theologie aufwirft und sich damit der Analyse ihres Konstruktionszusammenhangs zuwendet. Im Unterschied zu Bultmann ortet Sanders den Ausgangspunkt nicht in der Anthropologie, sondern in der Christologie und Soteriologie. Durch und im Gefolge von Damaskus habe sich Paulus als ihn tragende und bewegende Wahrheit erschlos20
A.a.O., 65. A.a.O., 90. 22 A.a.O., 65. 23 A.a.O., 90. 24 Letzteres in Anlehnung an Christoph Burchard, Die Summe der Gebote (Röm 13,7–10), das ganze Gesetz (Gal 5,13–15) und das Christusgesetz (Gal 6,2; Röm 15,1–6; 1Kor 9,21), in: ders., Studien zur Theologie, Sprache und Umwelt des Neuen Testaments, WUNT 107, Tübingen 1998, 151-183: 156 (zu Burchards Position siehe unten Anm. 66). 21
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sen, dass Gott in Christus gehandelt und in ihm unterschiedslos das Heil für alle Menschen, für Juden wie Nichtjuden, aufgerichtet habe. Von dieser Überzeugung aus konstruiere Paulus in konkreten situativen Herausforderungen alles Weitere, ohne dass er sich dabei das Prädikat eines systematischen Theologen verdiene. So sei die These der universalen Sündhaftigkeit der Menschen, genauer: ihrer Versklavung unter die Macht der Sünde schlicht eine Folgerung aus seiner christologisch-soteriologischen Grundthese: Wenn Gott Juden wie »Heiden« durch den Glauben an Christus retten wollte, mussten alle dieses Heils bedürftig sein25. Paulus, so Sanders, »dachte ›rückwärts‹ von der offenbarten Lösung – daß Gott Christus gesandt hatte, die Welt zu erretten – zu der Not, aus der er sie errettet hatte –, daß alles ›unter der Sünde‹ war«26, also mit Sanders’ einprägsamer englischer Wendung: from solution to plight27. Die These der universalen Sündhaftigkeit hat entsprechend im Grunde nur den Charakter eines Hilfsarguments. Sanders stimmt ferner in die bereits von William Wrede28 und Albert Schweitzer29 vertretene Position ein, dass die Rede von der Gerechtigkeit oder Rechtfertigung aus Glauben keineswegs in das Zentrum der paulinischen Theologie führt. Sanders zufolge ist sie vielmehr bloß ein Modus neben anderen, um den Übergang in das Heil zum Ausdruck 25
Sanders, Paulus (Reclam), a.a.O., 129f. A.a.O., 58. 27 Sanders, Paul and Palestinian Judaism, a.a.O., 443. Vgl. das englische Original des obigen Zitats: »He thought ›backwards‹ from the revealed solution … to the plight …« (Sanders, Paul, a.a.O., 41). 28 Paulus (1904), wiederabgedruckt in: Karl Heinrich Rengstorf (Hg.), Das Paulusbild in der Neueren Deutschen Forschung, WdF 24, Darmstadt 1964, 1-97: 67-69. 29 Die Mystik des Apostels Paulus, mit einer Einführung von Werner Georg Kümmel, Neudr. der 1. Aufl. von 1930, Tübingen 1981, 220: »Die Lehre von der Gerechtigkeit aus dem Glauben ist also ein Nebenkrater, der sich im Hauptkrater der Erlösungslehre der Mystik des Seins in Christo bildet.« 26
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zu bringen. Zentral sei der Gedanke der Partizipation an Christus bzw. an seinem Geist, und diese Partizipation bewirke einen realen Wandel der Person30. Zwar greife Paulus gelegentlich auf forensische Kategorien wie Gerechtigkeit und Rechtfertigung zurück, vornehmlich dort, wo ihm diese Redeweise durch seine alttestamentlichen Belegstellen oder durch die frühe christliche Überlieferung vorgegeben ist; aber forensisches Denken werde bei Paulus durch den Partizipationsgedanken überformt. Entsprechend sei »die tiefere Bedeutung von Paulus’ schwierigem passivischem Verb ›gerechtfertigt werden‹ …, daß jemand mit Christus stirbt und ein neuer Mensch wird«31. Die These des mit der Christusteilhabe verbundenen realen Wandels bedeutet zugleich, dass auch Sanders Luthers simul iustus et peccator zur Beschreibung eines Christenmenschen zurückweist32. Der Differenz zwischen Luther und Paulus gibt Sanders dabei noch dadurch Kontur, dass er bei Paulus einen ethischen Perfektionismus entdeckt, den viele Forscher im Gefolge von Luther übersehen hätten. »In der Zeit, in der sie auf die Wiederkehr des Herrn warteten, sollten Paulus’ Konvertiten sich rechtschaffen verhalten und moralische Vollkommenheit wahren«33. Paulus sei dabei davon ausgegangen, dass »gute Taten … ganz von selbst aus dem Leben in Christus ausfließen«34 sollten, worin sich wiederum die Zentralität des Partizipationsgedankens und die Vorstellung eines realen Wandels durch die Christusteilhabe Geltung verschaffen. Zugleich kann er seine Adressaten aber auch zu gutem Handeln mahnen und in Aussicht stellen, dass ihre Mühe im Endgericht belohnt werden würde. Analog zum Bundesnomismus erwerbe gutes Handeln für Paulus nicht das Heil, sei aber »die Bedingung dafür …, ›drin30
Siehe exemplarisch Sanders, Paulus (Reclam), a.a.O., 98-101. A.a.O., 101. 32 A.a.O., 64. 33 A.a.O., 132. 34 A.a.O., 134. 31
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Matthias Konradt
zubleiben‹«35. Die schroffe traditionelle Entgegensetzung von vermeintlicher jüdischer Werkgerechtigkeit und paulinischer Gnadenlehre wird also nicht durch die Bundesnomismusthese auf der jüdischen Seite korrigiert, sondern auch auf der paulinischen. Kurzum: Folgt man der Paulusdeutung von E.P. Sanders, ist bei einer Relektüre der reformatorischen Entdeckung Luthers aus exegetischer Perspektive nichts anderes als ein tiefgehender Dissens zu konstatieren, wobei Luther von Sanders ein rein forensisches Rechtfertigungsverständnis zugeschrieben wird36. Während Sanders und andere Vertreter der new perspective die lutherische Paulusdeutung als gravierendes Missverständnis betrachten37, hat sich James Dunn, oder präziser: vor allem der späte James Dunn, zurückhaltender geäußert38. Dunn nimmt die Bundesnomismusthese 35
Sanders, Paulus und das palästinische Judentum, a.a.O., 496. Für eine kritische Auseinandersetzung nicht nur mit der Paulusdeutung von Sanders, sondern auch mit seinem Verständnis Luthers siehe die luziden Ausführungen von Wilfried Härle, Paulus und Luther. Ein kritischer Blick auf die ›New Perspective‹, ZThK 103 (2006), 362-393, bes. 367374.382.384f. Zum (auch) effektiven Verständnis der Rechtfertigung bei Luther siehe a.a.O., 382-385; vgl. auch Berndt Hamm, Gerechtfertigt allein aus Glauben – das Profil der reformatorischen Rechtfertigungslehre, in: ders., Der frühe Luther. Etappen reformatorischer Neuorientierung, Tübingen 2010, 251-277: 260f.265f, der allerdings zugleich festhält: »Obwohl aus Luthers Sicht die Liebe unlösbar zum Wesen des durch den Heiligen Geist gewirkten Glaubens gehört und obwohl daher die Liebesreue als Herz wahrer, evangelischer Buße ebenfalls unlösbar mit dem Glauben verbunden ist, hat doch Luther die für die gesamte christliche Existenz grundlegende Rechtfertigungsbeziehung zwischen Evangelium und Glaube konsequent sowohl von der Liebe als auch von der Bußreue wie von jeder Aktivität des Menschen gelöst« (268). 37 Ich verweise neben Sanders exemplarisch auf Watson, Paul, a.a.O., 1: »the Reformation tradition’s approach to Paul is fundamentally wrong.« 38 In dem kleinen, zusammen mit Alan M. Suggate verfassten Buch The Justice of God: A Fresh Look at the Old Doctrine of Justification by Faith (Carlisle [UK] 1993) hatte James D.G. Dunn selbst Luthers Paulusdeutung noch als »misunderstanding of Paul« (2, s. auch a.a.O., 13-16) gescholten, diese Aussage aber später als »a misleading and unnecessarily provocative way of introducing my point« (The New Perspective: whence, what and whither?, in: ders., The New Perspective on Paul. Collected Essays, WUNT 185, Tübingen 2005, 1-88: 19, Anm. 85) revoziert. 36
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von Sanders bei aller Kritik, die man im Detail üben kann, im Ganzen positiv auf und verneint damit ebenfalls, dass eine vermeintliche jüdische Gesetzlichkeit bzw. Werkgerechtigkeit, nach der Menschen sich ihr Heil durch gute Werke zu verdienen haben, die Zielscheibe des paulinischen Ausschlusses der Werke des Gesetzes aus der Rechtfertigung sei39. Dunn verweist vielmehr auf die soziale Funktion der Tora, die Abgrenzung Israels als des erwählten Volkes Gottes von den übrigen Völkern lebensweltlich darzustellen und zu sichern. Die Werke des Gesetzes fungieren, kurz gesagt, als identity markers40 bzw. boundary markers41, und in dieser Hinsicht käme den rituellen Praktiken, also Beschneidung, Reinheitsgebote, Sabbatheiligung, eine prominente Rolle zu. Diese Bereiche der Tora stünden im Fokus, wenn Paulus die Werke des Gesetzes aus der Rechtfertigung ausschließe. Beachtet man den unmittelbaren Kontext des frühesten Belegs der antithetischen Rede von der Rechtfertigung nicht aus Werken des Gesetzes, sondern durch Glauben in Gal 2,16, so geht es dort allerdings um Beschneidung (Gal 2,1-10) und Speisevorschriften (2,11-14). Paulus kämpfe mit seinem kategorischen Ausschluss der Werke des Gesetzes gegen die Rolle der Tora als Instrument der Ausgrenzung der »Heiden«, gegen die erwählungstheologisch begründete Engführung und Einengung der Gnade Gottes auf das jüdische Volk, kurz: gegen ethnic pride42, gegen einen Ethnozentrismus, der im Widerspruch zur prinzipiellen Universalität des von 39 Siehe z.B. James D.G. Dunn, Romans 1-8, Word Biblical Commentary 38A, Dallas (TX) 1988, lxv-lxvi. 40 Siehe z.B. James D.G. Dunn, The New Perspective on Paul, in: ders., The New Perspective on Paul. Collected Essays, WUNT 185, Tübingen 2005, 89-110: 99; Dunn, Romans 1-8, a.a.O., lxix. 41 Siehe z.B. Dunn, The New Perspective: whence, what and whither?, a.a.O., 8; James D.G. Dunn, Works of the Law and the curse of the Law, in: ders., The New Perspective on Paul. Collected Essays, WUNT 185, Tübingen 2005, 111-130: 113. 42 Dunn, Romans 1-8, a.a.O., lxxii.
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Christus gewirkten Heils steht, zu dem alle durch den Glauben an Christus Zutritt haben. Dunn verneint, dass Paulus einen Bruch mit dem Judentum vollziehe; es ginge ihm allein um eine Ausweitung des Bundes auf die Völkerwelt hin. James Dunn hat in einer seiner späteren Veröffentlichungen zum Thema betont, er habe mit diesem Ansatz nicht die lutherische Paulusdeutung ersetzen, sondern eher ergänzen wollen43. Er habe nicht die »Werke des Gesetzes« auf boundary markers eingrenzen, sondern nur darauf hinweisen wollen, dass es in den frühesten erhaltenen Textzusammenhängen, in denen Paulus seine Rechtfertigungslehre entfaltet, um die Gesetzeswerke geht, »by which Judaism distinguished itself and kept itself separate from the (other) nations«44. Und er habe auch nicht den Ernst der Anklage der Menschheit bei Paulus herunterspielen, sondern nur darauf aufmerksam machen wollen, »that there is also a social and ethnic dimension to Paul’s own understanding and expression of the gospel«45. Man mag hier konstatieren, dass diese konzilianten Töne die Kritik reflektieren und verarbeiten, die gegen die new perspective bzw. hier speziell gegen James Dunns Variante der new perspective vorgebracht wurde. Der konziliante Ton kann aber nicht verdecken, dass sich Luthers und Dunns Paulusdeutung nicht ohne weiteres zu einem harmonischen Gesamtbild zusammenfügen lassen. Und wenn es richtig ist, dass zumindest einige Aspekte der traditionellen Deutung im Grundsatz weiterhin Gültigkeit beanspruchen können, wie Dunns Ausführungen konzedieren, aber auch die new perspective bleibend relevante Erkenntnisse beigesteuert hat, dann dürfte dies darauf hinweisen, dass die Zukunft der Paulusforschung 43
Dunn, The New Perspective: whence, what and whither?, a.a.O., 53f. A.a.O., 26. 45 A.a.O., 27, vgl. auch a.a.O., 33. 44
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»beyond the new perspective«46 liegt, ohne dass dies eine Rückkehr zur reformatorischen Paulusdeutung meint. Ich komme damit zum nächsten Teil. 2 Kritischer Vergleich von Luther und Paulus 2.1 Fragen wir zunächst nach dem thematischen Kontext der paulinischen Rechtfertigungslehre. Die skizzierten Varianten der neuen Paulusperspektive haben unter anderem darin einen wesentlichen gemeinsamen Nenner, dass die paulinische Rechtfertigungslehre nicht als Antwort auf ein individualsoteriologisches, sondern auf ein ekklesiologisches Problem verstanden wird. Ebendies wird auch in der neuesten deutschsprachigen Paulusdarstellung von Michael Wolter zur Geltung gebracht und ist m.E. auch nicht zu bestreiten. Bei der Rechtfertigungslehre handelt es sich »um eine ekklesiologische Theorie«47. Der Textbefund weist eindeutig in diese Richtung, denn es ist leicht zu beobachten, dass die ausgeführte Rede von der Rechtfertigung durch Glauben ohne Werke des Gesetzes (Röm 3,28; Gal 2,16) bzw. von der Gerechtigkeit durch Glauben an Christus im Unterschied zur Gerechtigkeit aus dem Gesetz (Phil 3,9) auf drei Textzusammenhänge beschränkt ist: erstens auf den Galaterbrief, zweitens auf einen Passus in Phil 3 und drittens auf den Röm. Im Gal richtet sich Paulus gegen die Position anderer Christusverkündiger, nach denen Christusgläubige aus den Völkern Juden werden müssen, um am Heil teilhaben zu können. In Phil 3 setzt sich Paulus, hier wahrscheinlich prophylaktisch, mit derselben gegnerischen Front auseinander. Der Römerbrief schließlich ist nicht ein46 So mit einer Formulierung, die Francis Watson in der zweiten, revidierten Auflage seiner Monographie »Paul, Judaism and the Gentiles« als Untertitel angefügt hat (Grand Rapids [MI] / Cambridge [UK] 2007). 47 Michael Wolter, Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, NeukirchenVluyn 2011, 5.
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fach ein theologischer Traktat, in dem Paulus seine Theologie so entfaltet, wie er es üblicherweise zu tun pflegt und so zuvor immer getan hat, sondern im Römerbrief führt Paulus, wie Ulrich Wilckens treffend in seinem Kommentar dargestellt hat, einen dialogus cum Iudaeo48. Er setzt sich mit Vorbehalten und Polemiken auseinander, die ihm von jüdischer bzw. judenchristlicher Seite entgegengebracht wurden, und sucht im Gegenzug zu erweisen, dass Juden wie Griechen in gleicher Weise allein durch den Glauben Zugang zum Heil haben49. Paulus kann die römischen Christen offenbar nicht einfach um Unterstützung bitten, sondern sieht sich damit konfrontiert, dass die Auseinandersetzungen, in die er zuvor verwickelt war, Wellen geschlagen haben, Vorwürfe gegen ihn die Runde machten und offenbar bis nach Rom gedrungen waren. Festzuhalten ist also: Allen drei Vorkommen der Rede von der Rechtfertigung durch Glauben ohne Werke des Gesetzes ist gemeinsam, dass sie auf die Fragen der Bedeutung des Erwählungsprivilegs Israels und der Bedingungen für den Zutritt zum Heil in Christus für Heidenchristen bezogen sind. Mit diesem klaren thematischen Bezug ist verbunden, dass die Rechtfertigungslehre bei Paulus zwar nicht bloß als ein »Nebenkrater« zu werten ist, wie Albert Schweitzer postulierte50, aber auch nicht schlechthin das organisierende Zentrum darstellt, zu welchem sie in der lutherischen Theologie erhoben wurde. Hilfreich scheint mir zu 48 Ulrich Wilckens, Der Brief an die Römer, 1. Teilbd.: Röm 1–5, EKK 6.1, Zürich u.a., 21987, 32.34. 49 Dieser Bezug bleibt bei Luther außen vor, wenn er den Römerbrief in der Vorrede von 1522 dadurch adelt, dass »wyr ynn diser Epistel auffs aller reychlichst [finden], was eyn Christen wissen sol, Nemlich, was gesetz, Euangelion, sund, straff, genad, glawb, gerechtigkeyt, Christus, Gott, gutte werck, liebe, hoffnung, creutz, sey« (WA.DB 7, 26), und weiter ausführt, Paulus habe »ynn diser Epistel wollen eyn mal ynn die kurtz verfassen, die gantz Christliche vnd Euangelische lere, vnd eyn eyngang bereytten ynn das gantze allte testament« (ebd.) 50 Siehe oben Anm. 29.
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sein, zwischen der Evangeliumsbotschaft im engeren Sinn und ihrer lehrhaften Explikation zu unterscheiden. Die Rechtfertigungslehre ist ein Modus der lehrhaften Explikation des Evangeliums, und zwar eben der Modus, der auf die Frage des Zugangs von Juden und »Heiden« zum Heil in Christus bezogen ist. Inhalt des Evangeliums sind für Paulus im Sinne der in 1Kor 15,3-5 rezipierten Formel Heilstod und Auferweckung Jesu Christi. Für Paulus bedeutet dies des Näheren, dass Gott in Christus allen Menschen zum Heil gehandelt hat51 und alle durch den Glauben an Christus in nicht ergänzungsbedürftiger Weise den gleichen Zugang zu diesem Heil haben. Als er in Galatien erneut mit der von anderen Christen erhobenen Forderung nach Beschneidung der Heidenchristen konfrontiert wurde und die Gegner dazu auf den mit Abraham geschlossenen, ewigen Beschneidungsbund rekurrierten, an dem die Heidenchristen ohne förmliche Eingliederung in das Gottesvolk keinen Anteil hätten52, begründet Paulus seine Position, indem er unter Berufung auf Gen 15,6 ausführt, dass Werke des Gesetzes keinen Beitrag zur Rechtfertigung leisten. Richtet sich diese Aussage situativ zunächst einmal gegen die Bestrebungen, Heidenchristen auf jüdische rituelle Praktiken zu verpflichten, so geht die Rede von Werken des Gesetzes darin aber nicht auf. Ebenso ist zu konstatieren, dass die Rechtfertigungslehre von Paulus zwar als Begründung für die Inklusion der »Heiden« entworfen wurde, Paulus die Frage aber theologisch so grundsätzlich an51 Sanders sieht in dieser These zu Recht das Zentrum der paulinischen Theologie (Sanders, Paulus und das palästinische Judentum, a.a.O., 415; Sanders, Paulus [Reclam], a.a.O., 32-35.58). 52 Siehe dazu Matthias Konradt, »Die aus Glauben, diese sind Kinder Abrahams« (Gal 3,7). Erwägungen zum galatischen Konflikt im Lichte frühjüdischer Abrahamtraditionen, in: Gabriella Gelardini (Hg.), Kontexte der Schrift, Bd. 1: Text, Ethik, Judentum und Christentum, Gesellschaft (FS W. Stegemann), Stuttgart 2005, 25-48.
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geht, dass hier formulierte theologische Einsichten keineswegs in dieser Problemstellung aufgehen. Ich komme damit an den wesentlichen Punkt, an dem die reformatorische Paulusauslegung und des Näheren der Kerngehalt der reformatorischen Entdeckung Martin Luthers ihr – partielles – Recht behält. 2.2 Die Kontroverse über die Bedeutung der Rede von Werken des Gesetzes ist alt. Luther selbst wendet sich explizit gegen die Sicht, damit seien allein die Zeremonialgesetze gemeint53, und zwar mit Recht. Paulus sucht nämlich die dargelegte ekklesiologische Problematik durch eine universal-hamartiologische Theorie zu lösen, durch die er aufweist, dass Juden trotz ihrer Zugehörigkeit zu Israel und trotz ihrer Kenntnis des Willens Gottes in der Tora soteriologisch gegenüber »Heiden« nicht im Vorteil, sondern Juden wie »Heiden« des in Christus eröffneten Heils bedürftig sind. Paulus sucht die Differenz zwischen Juden und »Heiden« zu nivellieren, indem der nicht nur »Heiden«, sondern auch Juden umgreifende Sünderstatus als das bestimmende Merkmal der adamitischen Menschheit etabliert wird. Anders gesagt: Die betreffenden anthropologischen Aussagen haben »die Funktion …, die durch das Gesetz zwischen Juden und Heiden markierte Grenze niederzulegen und beide in ein Licht zu stellen, das sie vollkommen gleich aussehen lässt«54. E.P. Sanders mag dabei, was die Genese der paulinischen Theologie angeht, mit seiner plakativen Formel from solution to plight etwas Richtiges gesehen haben55. Aber damit, dass Paulus’ hamartiologisch-anthropologische Po53 Siehe z.B. Martin Luther, Kommentar zum Galaterbrief – 1519, Bd. 10 der Calwer Luther-Ausgabe, Gütersloh 21979, 88.97; Hermann Kleinknecht (Hg.), D. Martin Luthers Epistel-Auslegung, 4. Bd.: Der Galaterbrief [1531], Göttingen 1980, 84. 54 Wolter, Paulus, a.a.O., 378. 55 Siehe dazu auch die Ausführungen von Wolter, Paulus, a.a.O., 376f.
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sition aus seiner christologisch-soteriologischen Erkenntnis gefolgert sein mag, ist Erstere nicht eo ipso als belanglos erwiesen. Es ist jedenfalls nicht in Abrede zu stellen, dass Paulus’ Rechtfertigungslehre zumindest nach seinem eigenen Anspruch eine allgemein gültige individual-anthropologische Dimension besitzt und diese sich durch den an sich zutreffenden Verweis auf die ekklesiologische Funktion der Rechtfertigungslehre nicht ausschalten lässt. Angesichts der Situation der adamitischen Menschheit kann es nur so sein, dass Menschen das Heil von Gott geschenkt wird. Zumindest in diesem grundlegenden Sinn hat denn auch Luthers Verständnis der Wendung »Gerechtigkeit Gottes« Bestand, anhand der Luther selbst bekanntlich in seinem eingangs erwähnten Rückblick von 154556, aber auch in diversen Tischreden57 seine »reformatorische Erkenntnis« festgemacht hat. Im Rahmen dieses Beitrags ist nicht detailliert in die anhaltende Diskussion einzusteigen, ob die Wendung δικαιοσ νη θεο Gottes eigene Gerechtigkeit meint (genetivus subjectivus) oder die Gerechtigkeit der Christusgläubigen entweder als von Gott herkommende (genetivus auctoris) oder als vor Gott geltende (genetivus objectivus bzw. relationis)58 bzw. ob an den verschiedenen Stellen59 unterschiedliche Bedeutungen vorliegen und wie sich die Wendung zur Rede von der »Glaubensgerechtigkeit«60 bzw. »Rechtfertigung aus Glauben«61 verhält. Auch wenn man, was m.E. jedenfalls für die Belege im Römer56
Siehe oben Anm.1. Siehe die Zusammenstellung in: Eduard Ellwein (Hg.), D. Martin Luthers Epistel-Auslegung, 1. Bd.: Der Römerbrief, Göttingen 1963, 15f. 58 Siehe dazu exemplarisch den Exkurs zu »Gerechtigkeit Gottes« in Ulrich Wilckens, Der Brief an die Römer, 1. Teilbd., a.a.O., 202-233. 59 Die Wendung kommt neben 2Kor 5,21 nur im Röm vor, siehe 1,17; 3,5.21.22.25.26; 10,3. 60 Siehe Röm 4,11.13; 9,30; 10,6 sowie auch Phil 3,9. 61 Röm 3,28; 5,1; Gal 2,16; 3,8.24. Siehe auch Röm 1,17; 3,26.30; 4,3.5.9; 10,4.9f; Gal 3,6; 5,5. 57
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brief naheliegt, δικαιοσ νη θεο im Sinne eines genetivus subjectivus versteht, geht es hier nicht um eine Eigenschaft Gottes an und für sich, sondern um sein Handeln, und nicht um sein gerechtes Richten, sondern um sein heilschaffendes Wirken auf der Basis seiner Verheißungstreue, genauer: um sein heilschaffendes Handeln in Christus, das dem Sünder durch Glauben gnadenhaft zuteil wird. Die Gerechtigkeit Gottes ist bei Paulus also tatsächlich und unbestreitbar eine iustitia salutifera. Und damit korrespondierend ist, blickt man auf die menschliche Seite, Luthers Rede von der iustitia passiva62 oder iustitia aliena bzw. externa63 durchaus treffend, auch wenn man zu dem Schluss kommt, dass das Verständnis von δικαιοσ νη θεο als vor Gott geltender Gerechtigkeit nicht exakt den Sinn der paulinischen Konzeption trifft. 2.3 Schon wegen dieser Einschränkung erlaubt nun umgekehrt das eben dargelegte partielle Recht der lutherischen Deutung nicht einfach eine Rückkehr zur traditionellen Perspektive, bei der der thematische Bezug auf die ekklesiologische Frage der Inklusion der »Heiden« unter der Hand dann doch zu einem geradezu zufälligen Applikationsfeld erblasst. Damit, dass der »Entdeckungszusammenhang«64 der Rechtfertigungslehre bei Paulus ein anderer ist als der ihrer Neuauflage bei Martin Luther, verbinden sich vielmehr bedeutsame weitere Differenzpunkte zwischen Paulus und seiner lutherschen und lutherischen Rezeption. Ich nenne vier Aspekte: 62 Siehe z.B. Kleinknecht, D. Martin Luthers Epistel-Auslegung, 4. Bd.: Der Galaterbrief [1531], a.a.O., 21. 63 Siehe z.B. WA 56, 158,10-159,24 (deutsche Übersetzung in: Martin Luther, Vorlesung über den Römerbrief 1515/16, in: Martin Luther, Ausgewählte Werke, hg. v. Hans Heinrich Borcherdt – Georg Merz, Ergänzungsreihe 2. Bd., München 1957, 10-12). 64 Ich nehme damit einen von Wolter, Paulus, a.a.O., 404(ff) verwendeten Terminus auf.
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2.3.1 Das Faktum, dass die Rechtfertigungsaussagen bei Paulus der Frage des Zutritts der »Heiden« zur ecclesia bzw. der Nivellierung des soteriologischen Privilegs von Juden zugeordnet sind, bringt eine auffällige, wenngleich nicht exklusive Konzentration von Rechtfertigungsaussagen auf den Beginn des Christseins, auf den anfänglichen Zugang zum Heil mit sich65. Die klassische Diskussion, ob Paulus Rechtfertigung rein forensisch-imputativ oder effektiv verstanden hat (und wie sich dies dann zu Luthers Rechtfertigungsverständnis verhält), verliert in diesem Zusammenhang dann ihre Brisanz, wenn man beachtet, dass die forensische Metaphorik der Rede vom δικαιο σθαι nicht für sich schon das Ganze der paulinischen Soteriologie expliziert und das Moment, das durch die These eines effektiven Rechtfertigungsverständnisses zur Geltung gebracht werden soll, bei Paulus zentral eben durch den Teilhabegedanken realisiert wird. Auch im Römerbrief tritt Rechtfertigungsterminologie dort auffällig zurück, wo Paulus, wie in den Kapiteln 6-8, den Existenzwandel der Glaubenden thematisiert66. Insgesamt lässt sich sagen, dass die 65
Während Sanders Rechtfertigung betont als einen Transferterminus ortet (Paulus [Reclam], a.a.O., 101), differenziert Dunn: »God’s justification is … God’s acknowledgement that someone is in the covenan [sic!] – whether that is an initial acknowledgment, or a repeated action of God (God’s saving acts), or his final vindication of his people« (The New Perspective on Paul, a.a.O., 97). 66 Mit den treffenden Worten von Christoph Burchard, Summe, a.a.O., 156f, die es verdienen im Zusammenhang zitiert zu werden: Paulus’ »›Rechtfertigungslehre‹ ist weder ›Nebenkrater‹ (A. Schweitzer) noch Kern und hermeneutischer Schlüssel seiner ganzen Theologie. Sie behandelt ein (freilich grundlegendes) soteriologisches Teilthema, nämlich wie mittels der gepredigten πολ τρωσις dank Jesu Tod, falls im Glauben ergriffen, nicht aber durch Hinwendung zu intensivem Toragehorsam, aus der sündigen Menschheit, Juden wie Heiden, Gerechte werden. Es geht hier um Gruppen-, nicht Einzelschicksale, und nicht auf die volle Länge, sondern vor allem um den Überschritt aus dem Zorngericht, das über die Ungerechten verhängt ist, in den Bereich der Gnade, die den Gerechten gilt. Das Ergebnis steht in Röm 5,1. Was dann im Römerbrief folgt, zieht nicht die Rechtfertigung ins christliche Leben und Handeln aus, sondern fügt etwas Weiteres hinzu, nicht etwa ›Heiligung‹, sondern die endgültige ›Rettung‹ vor dem Zorn, nämlich wie die
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Ethik bzw. das christliche Verhalten, das für Paulus von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist, bei Paulus als »die lebenspraktische Seite der Christus-Teilhabe«67 erscheint. Dass Rechtfertigungsterminologie keine leitende Rolle spielt, wenn Paulus vom christlichen Leben spricht, hat nun, wenn ich recht sehe, im Blick auf einen Vergleich von Paulus und Luther Konsequenzen. Man kann die sich hier ergebende Differenz exemplarisch daran illustrieren, dass Röm 7,7-25 nach Paulus’ eigener Intention keineswegs den Christenmenschen darstellt, sondern die Menschheit vor und außerhalb von Christus aus der Perspektive des durch und in Christus erlösten Menschen68, während letzterer selbst erst in Röm 8 zur Sprache kommt, und zwar als derjenige, der nicht mehr »nach dem Fleisch«, sondern »nach dem Geist« wandelt und in dem so die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllt wird (Röm 8,4). Auf den Punkt gebracht: Hätte man Paulus um eine prägnante formelhafte Zusammenfassung seines Verständnisses des Christenmenschen gebeten, wäre er schwerlich auf die bei Luther erstmals in seinem Römerbriefkommentar begegnende Formel simul iustus et peccator69 mit ihrer prägnanten Antithese von relationaler Beurteilung und quaGerechten, nun als Individuen, nicht mehr dem Tod verfallen bleiben, sondern durch die ζωή Jesu Christi das ewige Leben haben werden (5,9f.). Deshalb ist von Glauben kaum mehr die Rede, Paulus argumentiert nicht ›forensisch‹, sondern ›ontologisch‹, nicht mit der durch Christus erwirkten Entsühnung, sondern der Beteiligung an seinem Geschick durch Taufe und Geistbegabung. So stirbt der Mensch als ›Fleisch‹, das von der Sündensucht beherrscht wird, und wird dadurch auch der Tora in ihrer Funktion als Sündendroge (Röm 7) entzogen. Der Geist erneuert ihn, wenn auch noch nicht endgültig, als ›Leib‹ so, daß ihm das ewige Leben gewiß ist und er für den Rest seiner irdischen Existenz das δικα ωµα der Tora (Röm 8,4) erfüllt, was immer das nun genau ist.« 67 Knut Backhaus, Evangelium als Lebensraum: Christologie und Ethik bei Paulus, in: Udo Schnelle / Thomas Söding / Michael Labahn (Hg.), Paulinische Christologie (FS Hans Hübner), Göttingen 2000, 9-31: 24. 68 Vgl. zur Differenz zwischen Paulus und Luther an dieser Stelle Stolle, Luther und Paulus, a.a.O., 210-222. 69 WA 56, 272, 17-19, vgl. 271,29f.
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litativer Betrachtung des Glaubenden70 gekommen71, sosehr umgekehrt auch festzuhalten ist, dass Christen nach Paulus zwar von der Macht der Sünde an sich befreit sind, aber dennoch nach wie vor mit ihrem Fleisch zu kämpfen haben und auf die Gnade Gottes bleibend angewiesen sind. Aber der Ton liegt auf dem sich im konkreten Handeln manifestierenden Wandel durch das Sein in Christus. Damit sei nicht in Abrede gestellt, dass auch Luther durchaus von diesem Wandel zu reden weiß72, und es kann schon deshalb nicht darum gehen, hier einen Gegensatz zwischen Luther und Paulus zu behaupten, sondern es geht um eine Differenz im Sinne unterschiedlicher Akzentsetzungen. 2.3.2 Dass die Rechtfertigungsaussagen nicht das organisierende Zentrum des theologischen Denkens des Apostels bilden, sieht man insbesondere daran, dass Paulus nicht nur von der Rechtfertigung aus Glauben ohne Werke des Gesetzes spricht, sondern daneben ganz selbstverständlich und relativ häufig auf die Vorstellung eines Gerichts nach 70
Siehe dazu Hamm, Gerechtfertigt allein aus Glauben, a.a.O., 260 und die dortigen Verweise auf WA 39.2, 141,1-6 (Promotionsdisputation von Joachim Mörlin, 1540) und WA 56, 287,16-24 (Römerbriefvorlesung von 1515/16 zu Röm 4,7). 71 Zur diesbezüglichen Differenz zwischen Paulus und Luther vgl. neben Stendahl und Sanders (s.o.) exemplarisch Stolle, Luther und Paulus, a.a.O., 166.221f.433f. Anders akzentuiert hingegen James D.G. Dunn, The Theology of Paul the Apostle, Grand Rapids (MI) / Cambridge (UK) 1998, 386. 72 So ist etwa darauf hinzuweisen, dass Luther keinen untätigen Glauben propagiert, wie folgender Passus aus der Galaterbriefvorlesung von 1531 exemplarisch illustriert: »Wo der Hl. Geist ist, läßt er den Menschen nicht müßig, sondern treibt ihn zu allen Übungen der Frömmigkeit, zur Liebe Gottes, zu Geduld in Leiden, zu Gebet, zur Danksagung, zum Liebeserweis gegen alle. Daher sagen auch wir, daß der Glaube ohne Werke nichts und nichtig ist. Das verstehen die Papisten und Schwärmer so: der Glaube ohne Werke kann nicht rechtfertigen, oder der Glaube ohne Werke, wenn er noch so wahr ist, vermag nichts, wenn er nicht Werke hat. Das ist falsch. Aber ein Glaube ohne Werke, will sagen ein schwärmerischer Gedanke und ein leeres Geschwätz und ein Traum des Herzens, ein solcher Glaube ist falsch und rechtfertigt nicht« (Kleinknecht, D. Martin Luthers Epistel-Auslegung, 4. Bd.: Der Galaterbrief [1531], a.a.O., 103).
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den Werken rekurriert73. Die vor allem in der älteren Literatur nicht selten begegnenden Versuche, die Gerichtsaussagen zu domestizieren, indem ihnen die Rechtfertigungslehre als Vorzeichen vorangestellt wird74, sind exegetisch nicht zu begründen, sondern gehorchen theologischen Vorgaben. Die systematische Konsequenz, mit der Rechtfertigung allein aus Glauben bei Luther »das Ganze der Heilsgabe meint«75, ist nicht in Paulus hineinzulesen. Für Paulus gilt zwar, dass ein Christenmensch das Heil geschenkt bekommt. Aber er kann sich durch notorisches Fehlverhalten disqualifizieren76. Man kann diesen Befund auch nicht durch den Verweis darauf unterlaufen, dass Paulus christliches Handeln grundlegend als durch die Gabe des Geistes ermöglicht denkt. Letzteres ist zwar richtig, schaltet bei Paulus aber menschliche Verantwortlichkeit nicht aus, wie nicht allein die Gerichtsaussagen zeigen; dies ist vielmehr auch in den zahlreichen Paränesen vorausgesetzt. Man kann hier eine in exegetischer Hinsicht müßige Diskussion darüber anschließen, ob bzw. inwiefern Paulus’ soteriologischem Denken zumindest synergistische Tendenzen nicht völlig fremd sind77. In exegetischer Hinsicht wäre dies deshalb 73 Ausführlich dazu Matthias Konradt, Gericht und Gemeinde. Eine Studie zur Bedeutung und Funktion von Gerichtsaussagen im Rahmen der paulinischen Ekklesiologie und Ethik im 1 Thess und 1 Kor, BZNW 117, Berlin / New York 2003. 74 Siehe nur Ernst Käsemann, An die Römer, HNT 8a, Tübingen 41980, 54: »Entscheidend ist, die Lehre vom Gericht nach den Werken nicht der Rechtfertigung überzuordnen, sondern sie umgekehrt aus deren Perspektive heraus zu verstehen«. Dezidiert Tashio Aono, Die Entwicklung des paulinischen Gerichtsgedankens bei den Apostolischen Vätern, EHS.T 137, Bern u.a. 1979, 4: »Der Gerichtsgedanke ist ... völlig der Rechtfertigungsbotschaft untergeordnet.« – Ein typischer Ort, an dem dieses Verständnis ansichtig wird, ist außerhalb des Röm die Auslegung von 1 Kor 3,15. Siehe dazu Konradt, Gericht, a.a.O., 258-273, bes. 270-272. 75 Hamm, Gerechtfertigt allein aus Glauben, a.a.O., 258. 76 Vgl. Konradt, Gericht, a.a.O., passim. 77 Vgl. Dunn, The New Perspective: whence, what and whither?, a.a.O., 78: »If the finding that Judaism’s soteriology was synergistic means that salva-
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müßig, weil dies nicht sein Thema ist. Man merkt an dieser Stelle ganz einfach, dass Paulus seine Rechtfertigungslehre nicht in Auseinandersetzung mit synergistischen frühjüdischen Soteriologien entwickelt und im Gegenüber zu solchen profiliert hat. Luther hat hier jedenfalls – wie vor ihm Augustin – ein viel schärferes Problembewusstsein, als dies Paulus zuzuschreiben ist, der in 1Kor 7,19 unbefangen formulieren kann: »Die Beschneidung ist nichts, und das Unbeschnittensein ist nichts, sondern das Halten der Gebote Gottes.« 2.3.3 Ähnliches ist im Blick auf das Glaubensverständnis zu sagen. Paulus sagt nirgendwo explizit, dass der Glaube eine Gabe, ein Geschenk Gottes sei. Glaube kommt nach Röm 10,17 aus der Verkündigung; wie genau er entsteht, sagt Paulus aber auch hier nicht, also auch nicht, dass er eine reine creatura verbi sei78. Mit Michael Wolter ist an dieser Stelle vielmehr festzuhalten: »Paulus selbst hat die Frage nach der Entstehung des Glaubens nirgendwo thematisiert«79. Mit Wolter kann man Paulus ferner »nicht absprechen, dass er den Glauben zur Voraussetzung und Bedingung für die Teilhabe an Gottes Heil macht«80. Für die gewichtige Unterscheidung zwischen per fidem und propter fidem lässt sich Paulus nicht als biblischer Kronzeuge vorbringen, was wiederum damit zu erklären ist, dass er sich nicht mit einer Problemkonstellation konfrontiert
tion was in at least some measure dependent on obeying the law, then we note that Paul expected believers to obey the law, and warned them that if they did not fulfill the law, in that they continued to live according to the flesh, they would die (Rom. 8.4, 13).« 78 Anders Otfried Hofius, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, in: ders., Paulusstudien, WUNT 51, Tübingen 1990, 148-174. 79 Wolter, Paulus, a.a.O., 80. 80 A.a.O., 81. Wolter beruft sich dabei neben Röm 1,16, wo man der Wendung παντ τ πιστε οντι »eine konditionale und einschränkende Konnotation« (ebd.) nicht absprechen kann, auf »die explizit konditionale Aussage in Röm 10,9b« (ebd.) sowie auf »1Kor 15,2: Das Zum-Glauben-Kommen bewirkt das Heil, und das Festhalten an ihm sichert es« (ebd.).
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sah, die ihn zu einer Klärung dieser Frage herausgefordert hätte. 2.3.4 Dass die Rechtfertigungslehre bei Paulus und Luther auf unterschiedliche Fragen bezogen ist, manifestiert sich schließlich in den korrelierenden Gesetzesverständnissen. Die Gesetzesfrage bzw. die Frage der Werke des Gesetzes ist bei Luther im Zuge der Verankerung der Rechtfertigungslehre in der Anthropologie von der paulinischen Anbindung an die Israelfrage81 losgelöst82. Besonders eindrücklich wird dies darin sichtbar, dass Luther in seiner Galaterbriefvorlesung von 1531 so unterschiedliche Gruppierungen wie »Juden, Mohammedaner, Päpstliche oder Sektierer« unter der Rubrik »Werkleute« subsumieren kann83. Es geht für Luther nicht mehr spezifisch oder allein um die Tora, sondern ganz allgemein um Werke. Ferner: Luther charakterisiert Gesetzesgehorsam in seinem Galaterkommentar von 1519 durch das Moment, dass die Werke des Gesetzes nicht aus innerer, freudiger Zustimmung geschehen, »sondern weil das Gesetz durch Drohungen sie erpreßt oder durch Verheißungen sie hervorlockt«84, ja Luther problematisiert, »daß niemals ein Mensch aus eigenem Antrieb Werke des Gesetzes tun würde, wenn es ihm freigestellt wäre, ohne Gesetz zu leben«85. Analog dazu versteht Luther Paulus in der Vorrede zum Römerbrief von 1522 so, dass dieser den Juden in Röm 2 vorwerfe, dass 81
Siehe dazu a.a.O., 354-357. Freilich entspricht dies schon der frühen Rezeption, wie sie in Eph 2,8-10 begegnet (vgl. Wolter, Paulus, a.a.O., 410). 83 Kleinknecht, D. Martin Luthers Epistel-Auslegung, 4. Bd.: Der Galaterbrief [1531], a.a.O., 26. Siehe auch a.a.O., 16. An anderer Stelle stellt Luther sogar die Anhänger Zwinglis mit den »Papisten« zusammen: »Daher können die Papisten, die Zwinglianer, Wiedertäufer und alle, die die Gerechtigkeit Christi nicht kennen oder nicht festhalten, aus Christus nur einen Mose und Gesetz machen und aus dem Gesetz Christus. So nämlich lehren sie: der Glaube an Christus rechtfertigt zwar, aber zugleich müssen die Gebote Gottes gehalten werden« (a.a.O., 96, s. auch a.a.O., 100). 84 Luther, Kommentar zum Galaterbrief – 1519, a.a.O., 89. 85 Ebd. 82
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sie das Gesetz nur äußerlich halten, während sie im Herzen dem Gesetz feind seien86. Diese Ausführungen mögen sich als Reflex der Erfahrungen des Augustinermönches Luther erklären87; sie treffen aber nicht das Anliegen des Paulus. Dieser setzt anders an: Wenn jemand die Tora stets umfassend zu halten vermöchte, dann würde Gott ihn Röm 2,13 zufolge aufgrund seiner Werke rechtfertigen, nur vermag dies aufgrund der Macht der Sünde und der sarkischen Verfasstheit der adamitischen Menschheit eben niemand – trotz der Zustimmung des inneren Menschen zum Gesetz (Röm 7,22). Seinem imaginierten jüdischen Gesprächspartner wirft Paulus in Röm 2 vor, dass er sich zwar Gottes rühme und sich als Gesetzeskundiger zum Lehrer der Unmündigen aufschwinge, aber dem Gesetz in seinem eigenen Tun nicht entspreche88, nicht aber, dass er das Gesetz nur äußerlich halte. Man könnte den Aufweis von Differenzen noch weiterführen bzw. ausdetaillieren, doch ist es gewichtiger, in theologisch-hermeneutischer Hinsicht nach ihrer Bedeutung zu fragen. Ich komme damit zum letzten Abschnitt und frage nach dem Sinn einer Relektüre von Luthers reformatorischer Entdeckung bzw. seiner Rechtfertigungslehre aus exegetischer Sicht.
86 WA DB 7 2,19-6,26. – Ähnlich wirft Luther den Juden im Galaterbriefkommtar von 1519 (a.a.O.) mit Verweis auf Röm 2 vor, dass sie »das Gesetz nur äußerlich, nicht innerlich gehalten [haben]« (82). Siehe auch die Erläuterung der Wendung »Werke des Gesetzes« a.a.O., 90: »sie geschehen so, daß wohl die böse Lust nach außen in Schranken gehalten ist, aber innen brennt sie um so mehr und haßt das Gesetz. D.h. sie sind gut dem Augenschein nach, aber im Herzen sind sie böse.« Ferner auch a.a.O., 101: »Der Gesetzesmensch sündigt im Innern und nach außen täuscht er Gerechtigkeit vor.« 87 Vgl. dazu Härle, Paulus und Luther, a.a.O., 379-381. 88 Vgl. Stolle, Luther und Paulus, a.a.O., 259f.
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3 Sinn und Bedeutung einer Relektüre der reformatorischen Entdeckung Luthers aus exegetischer Sicht Der Sachverhalt, dass Differenzen zwischen Paulus und Luther zu konstatieren sind, kann an sich nicht überraschen. Sie illustrieren die unterschiedlichen situativen Kontexte, in denen Paulus und Luther ihre jeweilige Theologie entwickelten. Die Differenzen nicht zu verschleiern, sondern als solche zu benennen, ist schon aus intellektueller Redlichkeit geboten. Die eigene Stimme des Paulus, soweit dies geht89, herauszuarbeiten, ist aus historisch-exegetischer Perspektive im Dienste einer sich auf die Schrift gründen wollenden evangelischen Theologie zwingend. Insofern die Rezeptionsfilter derer, die Paulus lesen und zu verstehen suchen, durch die reformatorischen Interpretationen geprägt sind, impliziert dies, gegenüber deren Einfluss bei der Erfassung des Sinns der paulinischen Briefe besonders achtsam zu sein. Nicht weniger dezidiert ist aber festzuhalten, dass mit der Wahrnehmung der Differenzen keineswegs bereits ein theologisches Verdikt gegen Luthers Paulusrezeption gesprochen ist. Denn der Sachverhalt, dass Paulus, um noch einmal eine Formulierung von Krister Stendahl aufzunehmen, seine »Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben zu einem ganz spezifischen, begrenzten Zweck erarbeitet hat«90, bedeutet nicht eo ipso, dass keine Applikation von in diesem Kontext vorgetragenen theologischen Gedanken in anderen Sinnzusammenhängen möglich ist, weil die von 89 Es geht hier nicht darum, dem Phantom einer objektiven Lektüre nachzujagen. Dass »Auslegung ... nie ein voraussetzungsloses Erfassen eines Vorgegebenen [ist]« (Martin Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 161986, 150), dürfte heute als hermeneutischer Grundsatz allgemein akzeptiert sein. Gleichwohl bleibt es im Rahmen historisch-kritischer Exegese das Ziel, mögliche Subjektivismen und potentielle, durch die Distanz zum historischen Kontext des exegesierten Textes bedingte Verzerrungen so weit wie möglich aufzudecken. 90 Stendahl, Paulus, a.a.O., 11.
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Paulus in seiner Rechtfertigungslehre vorgebrachte theologische Reflexion so fest mit ihrem thematischen Kontext verbunden sei, dass sie von diesem nicht gelöst werden könne. Denn wie bereits angedeutet wurde, überführt Paulus selbst das ekklesiologische Problem, mit dem er sich konfrontiert sah, auf eine so grundsätzliche universal-anthropologische Ebene, dass das Sinnpotential der Rechtfertigungsaussagen in ihrer ekklesiologischen Funktion keineswegs aufgeht. Ist zu konstatieren, dass die Rechtfertigungslehre bei Luther gegenüber Paulus von der Ekklesiologie in die Anthropologie transferiert ist, so hat Paulus dem selbst vorgearbeitet, sofern er seine ekklesiologische Problemstellung durch eine universal-hamartiologische These anthropologisch gelöst hat. Luther entwickelte dabei Paulus’ gnadentheologischen Akzent konsequent weiter und schrieb diesen in das Verständnis des Glaubens ein, der auch bei Paulus die zentrale Größe christlicher Existenz darstellt. Fragt man auf diesem Hintergrund, ob Luthers Rechtfertigungslehre eine legitime Transformation paulinischer Gedanken angesichts der spezifischen historischen Konstellation des Reformators darstellt, so ist diese Frage m.E. grundsätzlich zu bejahen, da hier wesentliche Gedanken oder zumindest Denkansätze von Paulus aufgenommen und weitergeführt wurden91. Dass es dabei auch zu Verkürzungen von Paulus gekommen ist, die in heutigem Theologisieren auf der Basis der biblischen Texte zu korrigieren sind, ist angesprochen worden. Wertet man die lutherische Rechtfertigungslehre als eine in ihrem christentumsgeschichtlichen Kontext legitime Transformation der paulinischen Rechtfertigungslehre, so ist darin nun umgekehrt aber auch impliziert, dass sie nicht in den Rang der normativen Interpretationsgestalt der paulinischen Theologie zu heben ist. Jürgen Roloff hat in diesem Zusammenhang auf »einen paradoxen Sachverhalt« 91
Vgl. Wolter, Paulus, a.a.O., 411.
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hingewiesen: »Im Fall der Rechtfertigungslehre, die nach ihrem Selbstverständnis exemplarisch das Verständnis der Schrift als norma normans herausstellen wollte, hat sich de facto die Lehre der Kirche als norma normans etabliert«92. Es ist ein Verdienst der new perspective on Paul, die eigene Stoßrichtung der paulinischen Rechtfertigungslehre deutlich gemacht und Differenzen zwischen Luther und Paulus aufgewiesen zu haben. Wenn das reformatorische Schriftprinzip ernst genommen wird, sollte das bevorstehende Reformationsjubiläum für die evangelischen Kirchen kein Anlass sein, Luthers Rechtfertigungslehre gegen die neueren exegetischen Erkenntnisse als die normative Auslegungsgestalt der paulinischen Theologie neu zur Geltung bringen zu wollen93, sondern vielmehr dazu dienen, Luthers Paulusinterpretation eben als bedeutende Transformation zu würdigen, deren theologische Erträge in vielem sicher auch heute noch wegweisende Bedeutung haben, und zugleich an Luthers Ansatz, Theologie im Hören auf die Schrift zu entfalten, zu lernen, zu Paulus selbst zurückzukehren und Paulus’ Denken auf noch andere heute aktuelle Fragen zu beziehen94. Schließlich verwies Luther selbst seine Leser in der Vorrede zum ersten Band der 92 Jürgen Roloff, Die lutherische Rechtfertigungslehre und ihre biblische Grundlage, in: Wolfgang Kraus / Karl-Wilhelm Niebuhr (Hg.), Frühjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie. Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti, WUNT 162, Tübingen 2003, 275-300:278. 93 Es sei nur am Rande darauf hingewiesen, dass sich manche Erkenntnisse, die in der new perspective zur Geltung gekommen sind, bereits in einer kleinen Schrift von Paul Wernle (Der Christ und die Sünde bei Paulus, Freiburg/Leipzig 1897, bes. 82-85) finden. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jh.s war offenbar nicht der theologiegeschichtliche Kairos gegeben, um diesen exegetischen Einsichten die ihnen gebührende Resonanz zu verschaffen. 94 Mit Letzterem verbindet sich, dass nicht nur die unterschiedlichen christentumsgeschichtlichen Orte von Paulus und Luther zu bedenken sind, sondern auch die Problemkonstellationen des 21. Jh.s nicht mit denen des ausgehenden Mittelalters identisch und die drängenden Fragen heute andere sind als die, die den Augustinermönch Luther in Gewissensqualen und in die Verzweiflung trieben.
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Sammelausgabe seiner deutschen Schriften von 153995 darauf, zuallererst die Schrift zu studieren. Ein möglicher Impuls, der heute von der Reflexion über Paulus’ Rechtfertigungslehre ausgehen könnte, schließt direkt an Erkenntnisse der new perspective an. Denn der Sachverhalt, dass die Rechtfertigungslehre einer ekklesiologischen Thematik zugeordnet ist, indem sie die volle Zugehörigkeit der Heidenchristen zum Gottesvolk allein aufgrund ihres Glaubens und insofern die Einheit von Heiden- und Judenchristen in der einen Kirche Jesu Christi begründet, ist in seiner ökumenischen Relevanz nicht zu unterschätzen. Allein der Glaube an Jesus Christus ist das Kriterium der Zugehörigkeit. Die Rechtfertigungslehre »erinnert die Kirchen immer neu daran, dass es einzig und allein der gemeinsame Christus-Glaube ist, der die Christlichkeit aller christlichen Kirchen ausmacht und damit alle kulturellen Eigenarten und Differenzen, die ihnen durch ihre Geschichte und ihre Traditionen zugewachsen sind und durch die sie sich voneinander unterscheiden, theologisch relativiert«96. Um CA 7 abzuwandeln: Zur Einheit der Kirche genügt es, im Glauben an Christus grundsätzlich geeint zu sein.
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WA 50, 657-661. Wolter, Paulus, a.a.O., 407. Siehe auch die Applikation der Rechtfertigungslehre bei Dunn, The New Perspective: whence, what and whither?, a.a.O., 87: »[J]ustification by faith speaks against all attempts to add anything to the gospel as essential to salvation or to require anything additional to the gospel as the basis for believers to eat and work together – not excluding particular definitions of apostolic succession, eucharistic exclusivity, denial of women’s ministry, assertions of biblical inerrancy, and such extras« (vgl. in diesem Sinne auch a.a.O. 15 und 31f). 96
Die Reformation – »Segen« oder »Katastrophe«? Historiographische Konstruktionen in der Gegenwart Johannes Schilling Vorbemerkung Am 5. September 2012, eine knappe Woche vor Beginn der Konsultation, wurde ich gebeten, anstelle des erkrankten Kollegen Thomas Kaufmann (Göttingen) einen Beitrag zu dem Eisenacher Symposion vorzubereiten und dort einen Vortrag zu halten. An Zeit zur Vorbereitung blieb mir angesichts anderer Verpflichtungen e i n Vormittag. Den habe ich genutzt. Das Ergebnis meiner Bemühungen kann man im Folgenden nachlesen. Die Überschrift ist in Wahrnehmung der divergierenden konfessionellen Konzepte gegenüber dem Vortrag noch einmal verändert worden. Veröffentlichen wollte ich diese Ausführungen aus verständlichen Gründen nicht. Nun hat mich der Herausgeber freundlich bedrängt, es doch zu tun, und so mag schriftlich dokumentiert werden, was ich damals gesagt habe. Zweierlei ist mir dabei wichtig: 1. Mir kam es darauf an zu sehen, welche raschen Zugänge zum Thema gegenwärtig gewählt werden können (und werden), um sich Gegenstand und Fragestellungen zum Thema »Reformation« erschließen, und auf welche Informationen und Meinungen man in solchem Falle stößt. 2. Ich wollte gern einmal studieren, welches Bild der Epoche in den Normallehrbüchern der Kirchengeschichte in den letzten 150 Jahren von der Reformation vermittelt wurde. Seitdem die Abfassung von Büchern und Lehrbüchern stärker den Gesetzen des Buchmarktes und weniger dem Stand und den Erforder-
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nissen wissenschaftlicher Erkenntnis gehorcht, ist die Situation unübersichtlicher geworden. Die Ausführungen wurden im Großen und Ganzen frei vorgetragen; der hier publizierte Text, dessen mündliche Form nicht in die der Schriftlichkeit überführt wurde, beruht auf einer durchgesehenen und leicht überarbeiteten Abschrift von Tonaufnahmen, die aufgrund ihrer mangelnden technischen Qualität eine vollständige und wortgetreue Rekonstruktion des Vorgetragenen nicht ermöglichten. Angesichts des extemporierten, teils rhapsodischen Charakters der Ausführungen ist auf einen wissenschaftlichen Apparat verzichtet worden. Ausgangspunkte: Eine evangelische Sicht der Reformation in der einen Welt Meine Damen und Herren, es ist so ungefähr das Törichteste, was man machen kann, wenn man wenige Tage vor dem Beginn einer Konferenz einen Anruf bekommt und dann die Zusage für einen Vortrag gibt, obwohl man gar keine Zeit zu seiner Vorbereitung hat. Ich hoffe, dass ich zu dem Thema unserer Tagung trotzdem etwas Vernünftiges beitragen kann. 1. Die angekündigte Formulierung »Die Reformation aus historiographischer Sicht« möchte ich aus meiner Wahrnehmung der aktuellen Debatten dahingehend ändern, diese Ausführungen zu nennen: »Die Reformation – Epoche oder Etappe?«. Ein kirchengeschichtlicher Beitrag wird hier erwartet unter der Voraussetzung und angesichts der Tatsache, dass das Thema evangelisch weltweit diskutiert wird. Und das heißt, wie wir, die gerade an dem Internationalen Lutherforschungskongress in Helsinki teilgenommen haben, erfahren haben: in ganz verschiedenen Kontexten mit unterschiedlichen Problemstellungen und unterschiedlichen Verständnissen. Wie etwa Luther in Korea gelesen
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wird, unterscheidet sich grundlegend von Einsichten, die in europäischen Zusammenhängen geäußert worden sind – nicht zu reden von der dortigen [d. h. koreanischen] Pauluslektüre. In der Volksrepublik China soll es zwei Exemplare der Weimarer Lutherausgabe geben, die eine in Privatbesitz, eine andere in öffentlichem, aber es gibt offenbar eine »blühende« Lutherforschung. 2. Die Diskussion über die Bedeutung der Reformation soll stattfinden in der Perspektive der einen Christenheit mit besonderem Bezug auf die römisch-katholische Kirche. Darin besteht nun in der Tat eine Funktion der Kirchengeschichte, zur Wahrheitsfindung beizutragen, einen unbefangenen Blick auf die Geschichte zu richten und die konfessionelle Position, die selbstverständlich bei diesem Thema eine Rolle spielt und in aller Literatur und auch in unseren eigenen Positionen deutlich wird, dabei nicht zu verleugnen – die aber gleichwohl nicht, wie es früher oft geschehen ist, mit der einen Wahrheit zu verwechseln ist. 3. Wenn die Diskussion in der einen Welt stattfinden soll, in der wir ein Leben und Miteinander verschiedener Religionen haben, dann sehe ich es doch als unsere Aufgabe an, im Kontext und im Blick auf das Reformationsjubiläum zu fragen: Was ist eigentlich evangelisches Christentum? Wie verständigen wir uns mit unseren anders-religiösen Partnern über die Frage, was die Reformation und die Substanz dessen ist, worum es geht? Eine kleine Lesefrucht möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Der Leipziger Kollege Klaus Fitschen, der einmal Assistent an unserer Kieler Fakultät war, hat eine gelungene kurze Einführung in die Kirchengeschichte in der Reihe »Module der Theologie« geschrieben und lockt die Leser mit einem Zitat: »Ist einer eine grobe Sau qui non delectatur cognitione historiarum.«1 Das ist kein Lutherwort, 1
Klaus Fitschen, Kirchengeschichte (»Module der Theologie«), Gütersloh 2009, 7.
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sondern soll von Melanchthon stammen – es steht bei Fitschen leider ohne Nachweis. Auch ich habe mit den mir zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln diesen Text nicht verifizieren können. Was ich Ihnen jetzt extemporiere, soll in drei Teilen geschehen: 1. Aktuelle Zugänge zur Reformation; 2. Historiographische Realisierungen von Reformationskonzepten; 3. Debatten über die Stellung der Reformation in den historischen Wissenschaften. Danach folgt ein kurzer Schluss. 1 Aktuelle Zugänge zur Reformation Wer die Suchmaschine Ixquick aufruft und dort »Reformation« eingibt, findet als ersten Eintrag die Seite »Luther in Thüringen«2. – Ich gratuliere und vermute, dass das Geld kostet. – Geht man auf die Seite, dann liest man folgenden ersten Satz: »Luthers Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 gilt als das entscheidende Datum der Reformation, die einen Modernisierungsprozess ausgelöst hat, dessen Auswirkungen sich bis heute zeigen. Mit dem 500. Jubiläum dieses Ereignisses im Jahre 2017 wird Deutschland im Blickpunkt von Christen aus aller Welt stehen.« Historiographisch gesehen ist das ein bemerkenswerter Anfang: 1. Er transportiert die Fixierung auf Luther; 2. er transportiert die Fixierung auf ein großes, möglichst datierbares Initialereignis und 2
Das war am Vortage des Vortrags so und auch am Tag der Korrektur der Abschrift, am 29. Januar 2013.
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3. er verbindet mit der Reformation einen Modernisierungsprozess und insinuiert, dass dieser Modernisierungsprozess eben von der Reformation ausgegangen sei. Ein solches Verständnis leitet sich davon her, dass das Neue mit Macht kommt und dass es ein großes Initialereignis geben soll. Insofern haftet ihm auch etwas Gewaltsames an. Solch Gewaltsames gibt es in der Reformation selbst zum Teil auch, wenn wir nur denken an die Verbrennung der Bannandrohungsbulle am 10. Dezember 1520. Die Luthereiche, die jetzt in Wittenberg steht, ist in Erinnerung an dieses Ereignis gepflanzt worden, und insofern hat dieses Machtvolle, Theatralische durchaus seinen Sitz in der Rezeption der Reformation. In der konfessionalistischen und nationalistischen Verdichtung der Reformation und des Lutherverständnisses, die sich, wie mir scheint, besonders zwischen dem Ersten Vatikanum und dem Ersten Weltkrieg konzentriert, ist gerade ein solches Verständnis der Reformation gefördert worden. Wir werden sehen, dass das keineswegs immer so gewesen ist und dass die nationale und konfessionelle Verdichtung, die Luther in diesen Jahren erfahren hat, keine longue durée in der Geschichte des Protestantismus sein muss. Der junge Normalinteressent wird über Google auf die Reformation gehen und findet dort als ersten Eintrag Wikipedia. Auch dem Wikipedia-Artikel liegt ein historiographisches Modell zu Grunde. Ich zitiere den Anfang, damit uns allen klar wird, was die Mehrzahl unserer Studenten und der Normalbevölkerung über »Reformation« erfährt: »Reformation (von lat. reformatio »Wiederherstellung, Erneuerung«) bezeichnet im engeren Sinn eine kirchliche Erneuerungsbewegung zwischen 1517 und 1648, die zur Spaltung des westlichen Christentums in verschiedene Konfessionen (katholisch, lutherisch, reformiert) führte. […] Ihr Beginn wird allgemein auf 1517 datiert, als Martin Luther seine 95 Thesen auf die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg ge-
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schlagen haben soll, aber ihre Ursachen und Vorläufer reichen weiter zurück in die Geschichte. Die Entwicklung wird allgemein als mit dem Westfälischen Frieden 1648 für abgeschlossen betrachtet.«3
Das historiographische Modell, das dieser Konstruktion zu Grunde liegt, ist das Modell von Reformation und Gegenreformation, chronologisch gesprochen die Zeit zwischen 1517 bis 1648, das in der Geschichts- und Kirchengeschichtsschreibung lange gute Konjunktur hatte. Was dann ausgeführt wird, geht von der ursprünglichen Reformbewegung, die mit Ablass und Simonie kirchlich in die Krise gerät, zur Spaltung. (Den Begriff der »Spaltung« zu untersuchen, wäre übrigens einmal lohnend, und zwar sowohl den der »Kirchenspaltung« als auch den der »Glaubensspaltung«.) Zwischenfrage: Wie heißt eigentlich die Kirche vor der Reformation? In diesem Zusammenhang ist dann auch zu fragen, welche Bezeichnung für die vorhandene Kirche vor der Reformation die angemessene ist: Katholische Kirche? Ja, ihrem Selbstverständnis nach im Sinne von Universalkirche, die freilich schon zu diesem Zeitpunkt faktisch keine solche mehr war. Papstkirche? Ja, insofern diese Kirche den Papst zu ihrem Haupt hat und dieses Haupt in ihr wirkt. Verwendet man den Begriff unpolemisch, ist damit etwas Richtiges gesagt: papa est ecclesia. Nun muss man nicht so einen strengen Papalismus vertreten, und er wird ja auch nicht breit vertreten. Aber etwa aus der Perspektive des Reiches 3 So der (inzwischen veränderte) Wortlaut der Eintragung am 10. September 2012.
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um 1500 ist diese Kirche keineswegs immer nur Papstkirche, sondern sie ist vor allem die eigene Ortskirche, mit der man sich auseinandersetzt. Römische Kirche? Auch diese Bezeichnung ist nicht verkehrt. Aber auch die Römische Kirche wird in einem polemischen Sinne wahrgenommen von den Zeitgenossen. Und wir haben unsere liebe Not, mit diesen Differenzkriterien einen angemessenen Begriff für die vorhandene gegebene Kirche zu finden. Schließlich gibt es einen Versuch, auszuweichen und die »Kirche« als solche begrifflich überhaupt zu suspendieren: die Altgläubigen. Dagegen steht nun aber gerade der Anspruch der Reformatoren, sich selber als die »Altgläubigen« zu verstehen, und das in einem emphatischen Sinne. Denn sie hängen an der Alten Kirche. Wir sind die rechte alte Kirche, heißt es in den notae ecclesiae in Luthers Schrift »Wider Hans Worst«. Und damit ist auch dieser Versuch gescheitert, in einem konfessionellen Sinne die nicht evangelische Kirche als eine begrifflich klar zu fassende Kirche zu bezeichnen. Auch ist nicht der Glaube »gespalten« worden, sondern es ist tatsächlich die kirchliche Einheit aufgegeben worden. Ich komme später darauf zurück. Was bei diesem Verständnis des Reformationsgeschehens deutlich wird – ich bin immer noch bei dem Wikipedia-Artikel, auch wenn er im Ganzen besser ist als seine Einleitung – , ist, dass es sich um Konfessionen handelt, die sich nun aus diesem historischen Prozess herausschälen, wobei das etwas merkwürdige Missverständnis darin besteht, dass der Artikel insinuiert, die katholische Reform sei ihrerseits ein genuines Ergebnis der Reformation. Das ist nicht ganz falsch, aber wahrscheinlich auch wiederum nicht ganz richtig. Insofern ist die Reziprozität der historischen Prozesse im Hinblick auf den innovativen Charakter der Reformation für die Reform der römischen Kirche über Gebühr betont.
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Der Wikipedia-Artikel handelt dann weiter über geistesgeschichtliche, soziale, politische Faktoren und die Reichsverfassung, am Ende handelt er auch von den religiösen Faktoren: Mystik, Devotio moderna, Verinnerlichung und Veräußerlichung innerhalb der Kirche, Antiklerikalismus und den »Reformatoren vor der Reformation« Wyclif und Hus. Schließlich werden die beiden Jahre 1530 und 1555 – mit gutem Grund – als Jahre bezeichnet, in denen entscheidende Weichenstellungen für das Reformationsgeschehen sich vollzogen. Der Wikipedia-Artikel endet mit folgenden Sätzen: »Bedeutung und Folgen Die Reformation war einer der großen Wendepunkte in der Geschichte des Abendlandes. […] Zwar wurde die christliche Religion durch die Reformation nicht grundlegend in Frage gestellt, dennoch wurden fundamentale Glaubenssätze und religiöse Praktiken, die jahrhundertelang als unumstößlich galten, von den Reformatoren und ihren Anhängern verworfen (z. B. Marien- und Heiligenverehrung, Wallfahrten und andere »gute Werke«). Die Autorität der Kirchen über die Gläubigen wurde zwar zunächst nur teilweise aufgebrochen, dennoch bereitete die Reformation den Weg zum Zeitalter der Aufklärung, in dem das Individuum in seiner persönlichen Freiheit deutlich aufgewertet wurde und in der schließlich selbst atheistische Weltbilder Anerkennung erfuhren.«
Was für ein groteskes Missverständnis! Als ob die Reformation eine antikirchliche Fundamentalbewegung gewesen sei gegen die kirchliche Entwicklung, und als ob es das höchste Ziel sei, die Autorität der christlichen Kirche über die Gläubigen zu brechen. Wenn – und deswegen trage ich Ihnen das vor – wir erwarten können, dass die Mehrzahl unserer Zeitgenossen diese Informationen hat, dann stellt sich die Frage: »Was wollen wir ihnen eigentlich vermitteln?«
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2 Historiographische Realisierungen von Reformationskonzepten Ich mache einen Zwischenschritt und schaue, was die Alten ihren Zeitgenossen eigentlich vermitteln wollten, allerdings ohne Internet … Es kommen jetzt drei kleine Punkte, in denen ich jeweils das evangelische Normalbuch einer Generation vorstelle, mit dem diese, ungefähr ein halbes Jahrhundert lang in die jeweiligen Diskussionen um die Reformation gegangen ist. 1. Auch als eine Hommage an den Ort: Karl von Hase4. Karl von Hase lebte von 1800 bis 1890. Er war seit 1829 Professor in Jena und hielt seine letzte Vorlesung im Sommersemester 1883. Über 110 Semester hat der alte Hase gelesen, im eigenen Hörsaal übrigens. Ich kenne keinen anderen Kirchenhistoriker, der sich einen eigenen Hörsaal gebaut hat. Hase war reich und durch Heirat mit der Familie Härtel aus dem Musikverlag Breitkopf & Härtel verwandt. Sein Lehrbuch hat er in den 1830er Jahren entworfen. Die 12. Auflage erschien im Jahre 1900. Gewidmet ist sie dem Großherzog Carl Alexander von Sachsen-WeimarEisenach. Hase ist eine wunderbare Gestalt der Kirchengeschichte. Das Buch ist immer noch lesenswert, und zwar in einem Sinne, der sich unterscheidet von der fundamentalistischen und konfessionalistischen Zuspitzung, die das Reformations- und Lutherverständnis nach ihm gewonnen hat. Die Kirchengeschichte ist für ihn von besonderer Bedeutung für die Kirchenleitung. Ich finde seine Bestimmung der Kirchengeschichte so interessant, dass ich sie kurz verlese: »Der unbedingte Werth der Kirchengeschichte besteht darin, daß sie das Selbstbewußtsein der Kirche hinsichtlich ihrer ge4 Vgl. zuletzt Magdalena Herbst, Karl von Hase als Kirchenhistoriker, Tübingen 2012 (Beiträge zur historischen Theologie 167), bes. 89-100.
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sammten Entwicklung ist. Hieraus ihre praktische Nothwendigkeit: Wer irgend einem Theile der Kirche selbstthätig vorzustehn hat« [– und das sind alle Anwesenden! – ] »muß an diesem Selbstbewußtsein theilnehmen, ohne welches ihre gegenwärtige Lage nicht verstanden, noch ihre Zukunft vorgesehn und besonnen herbeigeführt werden kann. Hierin ist der Gebrauch zu polemischen und erbaulichen Zwecken oder zum Dienste anderer Wissenschaften eingeschlossen; aber einseitig hervorgehoben als Werth und Zweck gefährdet er die Kirchengeschichte als Wissenschaft.«5
Hases Reformationskonzept ist eingebettet in die alte traditionelle Dreiteilung der Geschichte in Alte Kirche, Mittelalter und Neuzeit, wobei er diese drei Perioden unterscheidet: von Christi Geburt bis 800 – für seinen Kontext verständlich: Mit dem Übergang des Römischen Reiches an Karl den Großen hat man ein Moment von Kontinuität. Das Mittelalter lässt er bis 1517 dauern und die Neuzeit von Luther bis in die Gegenwart, wobei er eine Abgrenzung auch bis zum Westfälischen Frieden 1648 fordert. Die Einleitung in dieses Reformationskapitel lautet folgendermaßen: »Das Erbe des Mittelalters war die anerkannte Nothwendigkeit und ihr selbst noch unbewußte Kraft einer Reformation. Gleichzeitig in Sachsen und unter den Eidgenossen ist sie vom Volk ausgegangen, nicht durch wissenschaftliche Aufklärung, obwol mit derselben und mit all den geistlichen Mächten verbündet, welche im Mittelalter aufgewachsen waren; nicht als Kampf wider das Papstthum, obwol durch seine Anmaßungen gefördert wie durch seinen Verfall: aber zunächst aus der Angst frommer Herzen, daß durch die Mißbräuche des Ablasses und der Werkheiligkeit die wahre Buße und Seligkeit verloren gehe; 5 Karl von Hase, Kirchengeschichte, 12. Auflage Leipzig 1900, 3 § 5 (Orthographie der Vorlage).
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dazu diese rein religiöse Bedeutung der Reformation zusammengefaßt in einer genialen, ihr unbedingt hingegebenen, volksthümlichen Persönlichkeit.«6
Wenn man diese Ausführungen ihres romantischen Charakters entkleidet, dann ergibt sich daraus Folgendes: – Hase redet von der Kontinuität bestimmter Entwicklungen des Spätmittelalters in die Reformation hinein. – Es gibt keine Lutherzentrierung: »gleichzeitig in Sachsen und unter den Eidgenossen«, also in der Schweiz. Die in der wissenschaftlichen Diskussion später geführte Debatte über die reformatorische Erkenntnis Zwinglis mit oder ohne Luther wird hier auf eine leichte Weise aufgerufen. – Der Rekurs auf das religiöse Zentrum der Reformation, allerdings dann auch die volkstümliche Persönlichkeit: Luther als Fokus und gleichsam als Katalysator für die Bewegung der Kirche in ihre Reformation, die ihre Dynamik aus den geistlichen Anliegen der Menschen gewinnt. Hases Kirchengeschichte hat von 1834 bis zur letzten Auflage 1900 – und das heißt mehr oder weniger bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs – allen evangelischen Theologiestudenten in Deutschland als Normalbuch gedient. Man hatte mit und in ihm eine ziemlich großzügige Perspektive auf die Reformation. 2. Nach Hase kam Heussi. Karl Heussi (1877-1961) hat sein Kompendium der Kirchengeschichte7 in den Jahren 1901 und 1902 angefangen. Wir alle sind damit groß geworden. Die konzeptionellen Umarbeitungen, die der Autor im Lauf eines halben Jahrhunderts vorgenommen hat, sind beachtlich, darauf kann ich jetzt nicht eingehen. Es ist aber interessant, unter welchen geschichtstheoretischen 6
A.a.O., 336 § 270. Karl Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, Tübingen 1907-1909. Letzte vom Autor autorisierte Auflage Tübingen 1960. Seit der 17. Auflage 1988 Nachdrucke dieser Ausgabe. 7
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Aspekten das Buch immer wieder neu konzipiert wird. Die letzte Auflage des Verfassers stammt von 1960. Es ist bei Mohr lieferbar und, wie ich höre, unter den jetzigen studierenden Kreisen wieder im Gebrauch – Totgesagte leben länger. Bei Heussi ist die Periode von »Reformation und Gegenreformation« von 1517 bis 1689 konzipiert, es gibt also keine nationale Zentrierung auf die deutsche Geschichte bzw. auf die Geschichte des Reiches, sondern er hat auch die europäische Perspektive im Blick und endet mit der englischen Revolution, wobei er Reformation und Gegenreformationen als eigenes »Zeitalter« – wir würden vielleicht weniger emphatisch sagen: als Abschnitte dieses Gesamtkomplexes – unterscheidet, auch chronologisch von 1517 bis 1555/60 und die Gegenreformation 1555/60 bis 1689. Der Augsburger Religionsfriede und das Trienter Konzil sind die entscheidenden Weichenstellungen für die jeweiligen konfessionellen Entwicklungen. Bei Heussi hört sich die Charakterisierung der Reformation nun ganz anders an als bei Karl von Hase. Denn im Vorblick zu seinem Reformationsabschnitt heißt es: »Im 16. Jh. brach über die Papstkirche eine gewaltige Katastrophe herein: die Reformation. Das Ergebnis der lebhaften Kämpfe, die die Reformation hervorrief, war die Auflösung der abendländischen Kircheneinheit und die Entstehung und Selbstbehauptung evangelischer Kirchen neben der Papstkirche.«8 Diese evangelischen Kirchen werden dann als Kirchentypen nach ihrer jeweiligen Nähe oder Differenz zur römischen Kirche bestimmt. Je näher, je römischer, also: anglikanisch, lutherisch, reformiert. Dann kommen auch noch Täufer, Spiritualisten und der Humanismus als eine Unterströmung. Das bedeutet: Dieses Geschehen artikuliert 8 Karl Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, 18. unveränd. Aufl. Tübingen 1991, 268.
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sich einerseits in der Sozialform von Kirche und institutionalisiert sich als christliche Religion dort; auf der anderen Seite in Gesinnungsgemeinschaften, in denen die reformatorischen Impulse fortgeführt werden. 3. Das gegenwärtige »Normalbuch« zum Thema ist Wolf-Dieter Hauschilds Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, Band 2: Reformation und Neuzeit9. Hauschild (1941-2010) verzichtet eigentlich auf die Reformation als Epoche, nimmt diesen Begriff aber wohl wegen seiner Dignität und einer gewissen Normativität dieser Epoche mit und entwickelt sein Konzept als ein ausgesprochen kirchengeschichtlich orientiertes Konzept dahingehend, dass neuartige Kirchentypen gegen die römische Papstkirche aus der Reformation entstehen. Wir haben jetzt drei Haupttypen des Christentums: den römischen Katholizismus, die östliche Orthodoxie und die verschiedenen Reformationskirchen. Ich finde es außerordentlich beachtlich und auch in einem hohen Sinne mutig – denn das macht man nicht leicht –, wenn Hauschild eine Definition von Reformation versucht. Diese Definition ist, wie ich meine, nicht nur klug, sondern sie hat eine Offenheit, die es erlaubt, bestimmte Entwicklungen der Reformation so zusammenzufassen, dass sie sowohl dem Gegenstand gerecht wird als auch historiographisch brauchbar ist für die Unterscheidung dieses Vorgangs in seinen geschichtlichen Kontexten. Ich zitiere Hauschilds Ausführungen unter dem Kapitel »Das Wesen der Reformation«: »Reformation ist die definitive durch eine neue Theologie begründete Loslösung von der Papstkirche, bei der das herkömmliche System der kirchlichen Heilsvermittlung und der Hierar9
Wolf-Dieter Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte. Band 1: Alte Kirche und Mittelalter, Gütersloh 1995. 3. Auflage 2007. - Band 2: Reformation und Neuzeit, Gütersloh 1999, 3. Auflage 2005.
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chie durch neue Formen von Kirche ersetzt wird. Tragende Funktion hat dabei der Rekurs auf das Evangelium, d. h. in inhaltlicher Hinsicht die Rechtfertigungslehre (allein wegen Christus - allein durch Glauben - allein aus Gnaden), in formaler Hinsicht das Schriftprinzip (allein die Bibel).«10
So weit Hauschilds Definition. Man muss sich klar machen, welche Prozesse dahin führen, einen solchen geronnenen Text zu formulieren, und wie viele Kautelen in einer solchen für Studenten gedachten Definition zunächst einmal vom Autor eingezogen werden, er dann aber tatsächlich selbst zum Sprung kommt und einen solchen Satz auch formuliert. Reformation der Kirche heißt in diesem Sinne, dass es tatsächlich darum geht, dass diese neuen Kirchenwesen dann etabliert sind, wenn sie eine Ordnung gewonnen haben, das heißt, wenn nicht nur der Widerspruch gegenüber der »Papstkirche« formuliert ist, sondern wenn sie ihr Kirche-Sein auch für sich selbst und andere identifizierbar gemacht haben. Die Verhältnisbestimmungen, die dabei vorgenommen werden und die jeder Historiker selbst auf seine Weise vornehmen muss, sind die geschichtlichen Größen, an denen sich schon Jacob Burckhardt abgearbeitet hat. Wer einmal in das Buch »Über das Studium der Geschichte«11 schaut, das heißt in die Vorlesungen, die Burckhardt in seiner ganzen Basler Lehrtätigkeit über die Konstruktion einer Universalgeschichte gehalten hat und die dann zu den »Weltgeschichtlichen Betrachtungen« gemacht wurden – die aber gar kein zusammenhängender Text sind –, der wird sehen, wie die verschiedenen Konstituenten immer wieder einander neu zugeordnet werden (in klassischer Weise etwa auch in der Dar10
Hauschild Band 2, 5. Typographie wie in der Vorlage. Jacob Burckhardt, Über das Studium der Geschichte. Der Text der ›Weltgeschichtlichen Betrachtungen‹ auf Grund der Vorarbeiten von Ernst Ziegler nach den Handschriften hrsg. von Peter Ganz, München 1982. 11
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stellung der Konstantinischen Wende): Staat – Religion – Kirche, die ja nicht mit der Religion identisch ist; auch Theologie spielt im Reformationszusammenhang eine herausragende Rolle – Kultur. Für das Folgende will ich nur andeuten, dass diese Faktoren (»Potenzen«): Staat, Religion, Kultur auch in den Debatten gegenwärtiger Historiker eine Rolle spielen, und die Frage ist, wie weit sie diese Konstituenten jeweils in ein Gesamtkonzept einpassen. Zwischenbemerkung: Die Abgrenzung vom Mittelalter In der Frage nach der Epoche hat die Reformation ja selber eine emphatische Abgrenzung vom Mittelalter vorgenommen. Wenn ich recht sehe, werden drei Gesichtspunkte dabei geltend gemacht: 1. Das Mittelalter war »finster«. Das finstere Mittelalter ist eine Erfindung der frühen Reformation, besonders zum Ausdruck gebracht in Melanchthons Antrittsvorlesung 1518. Es war deswegen finster, weil es den Verfall der Kultur befördert hat, insbesondere der Sprachen, und weil es ein falsches Verhältnis von ratio und auctoritas ausgebildet hat. Die Verkehrung des Verhältnisses von ratio und auctoritas ist es, die Melanchthon besonders eindrucksvoll bekämpft. Das Mittelalter war deswegen finster und ist für die Reformatoren dahinten zu lassen, weil der Ruf sapere aude, »wage, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen«, nicht erst bei Kant, sondern schon in Melanchthons Antrittsvorlesung, das Verhältnis von ratio und auctoritas so bestimmt, dass die ratio Vorrang gegenüber der auctoritas hat. 2. Das Mittelalter ist deswegen hinter sich zu lassen, weil es die Kontinuität der Kirche zerstört hat. Mit dem Mittelalter erst wird nach dem Verständnis der Reformatoren die katholische Kirche zur römischen Papstkirche. Und wenn man schaut, wie das definiert wird, gibt es dafür ei-
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nen ziemlichen klaren Beleg, nämlich den Pontifikat Gregors des Großen (590–604). Mit Gregor dem Großen wird die eine universale katholische Kirche zu einer römischen Papstkirche, und deswegen ist die Freude und die Emphase so groß, dass die Reformatoren nun »die rechte alte Kirche« über den Bogen von tausend Jahren an diese ecclesia catholica wieder anschließen können. 3. Die Reformatoren, das ist uns, glaube ich, nicht immer deutlich, leben in einem mehr oder weniger gespannten eschatologischen Bewusstsein. In vieler Hinsicht wird in der Forschung hervorgehoben, dass dieses Endzeitbewusstsein, »in diesen letzten Zeiten« zu leben, die Mentalität dieser Generation prägte. Chiliasten wollten sie nicht sein, und Luther hat Michael Stifel lächerlich gemacht, als dieser den Untergang der Welt errechnet haben wollte12: Auch in unserem Gesangbuch sind ja nicht alle Stellen gestrichen, die dieses eschatologische Bewusstsein des Reformationszeitalters spiegeln: Es gibt immer noch »in diesen letzten Zeiten« (und das soll bitte auch so bleiben!). Mit der Aufgabe dieser Zeitvorstellung kommt jedoch ein neues Moment in die Wahrnehmung der Reformation und der Zeit überhaupt hinein, das dann etwa kirchenhistoriographisch in der pragmatischen Geschichtsschreibung von Johann Lorenz von Mosheim und anderen deutlich wird. In der historiographischen Debatte, wie ich sie gleich noch wenig auffächern werde, ist gegenüber den älteren Modellen eine neue Kategorie eingeführt worden: die »Frühe Neuzeit«. Die alte Unterteilung zwischen Altertum, Mittelalter und Neuzeit, wie immer man sie gemacht hatte, kannte diese Zwischenzeit nicht. Die Diskussion um die »Frühe Neuzeit« ist wiederum eine unter den Historikern umstrittene Debatte. Hinsichtlich der zeitlichen Abgrenzung gibt es sowohl Argumente für einen Zeitraum zwi12 Nachträglicher Nachweis: Luther an Michael Stifel. Wittenberg, 24. Juni 1533. WA Briefwechsel 6, 495f. Nr. 2031.
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schen 1400 und 1600 als auch zwischen 1500 und 1800, um nur zwei Daten zu nennen, die auch in den Texten, die ich jetzt auf die Schnelle gefunden habe, eine Rolle spielen. Wir schreiben das Jahr 1355. Da ersteigt ein sensibler Italiener einen hohen Berg: Petrarca auf dem Mont Ventoux. Ich habe den Text13 früher einmal gelesen, es ist ein wunderschöner Text, und er handelt nicht nur vom Bergsteigen – davon auch –, sondern er handelt von einer Gottesbegegnung. Wenn immer von der Renaissance, von dem aufkommenden Individuum und einer neuen Wahrnehmung der Natur die Rede ist, dann ist diese Erfahrung zwar ein singuläres Ereignis einer exzeptionellen Persönlichkeit, aber sie ist kein historiographisches Datum, an das man Epochenüberlegungen anhängen könnte. Umgekehrt: Am Ende sind die Historiker unsicher, ob die Annahme, dass die Französische Revolution das definitive Ende dieser Frühen Neuzeit sei, in einem so emphatischen Sinne zur Geltung gebracht werden dürfe. Denn auch in diesem Fall geht es um die Frage, ob ein Ereignis oder ein Prozess eine Epochenbestimmung ermöglicht oder eben nicht. Wenn ich noch einen kleinen Schlenker machen darf, um der katholischen Seite jedenfalls Aufmerksamkeit zu schenken in einem ebenfalls, wenn ich recht sehe, für studentische Leser zum Normalbuch gewordenen Werk, dann habe ich im Auge August Franzens »Kleine Kirchengeschichte«. August Franzen (1912-1972) war Professor für Kirchengeschichte an der Katholisch-theologischen Fakultät in Freiburg. Das Buch stammt aus dem Jahr 1965. Es ist weitergeschrieben worden von anderen Autoren, gliedert sich traditionell in Alte Kirche, Mittelalter und Neuzeit und hat als Einleitung in die Kirche der Neuzeit eine – ich glaube für unsere Debatte auch interessante – Ausführung, die auf be13
Gut erreichbare Ausgabe: Francesco Petrarca, Die Besteigung des Mont Ventoux. Lateinisch-Deutsch, Stuttgart 1995.
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merkenswerte Weise deutlich macht, wie Gespräche zwischen 1965 und der Gegenwart sich verflüchtigt haben und vielleicht revitalisiert werden können. Franzen schreibt bei seiner Begründung der alten Einteilung: »Wenn wir dabei bleiben, so sind wir der Meinung, daß die Reformation in der Tat eine so tief einschneidende Zäsur in der Kirchengeschichte gewesen ist, daß wir mit ihr die kirchliche Neuzeit beginnen lassen können. [Nota bene: die kirchliche Neuzeit!] Sie [die Reformation] war nicht nur die »größte Katastrophe, von der die Kirche in ihrer ganzen Geschichte bis heute betroffen wurde« (Lortz) [– das ist nun kein Zitat aus Heussi! –], sondern hat auch die gesamte neuzeitliche Entwicklung so entscheidend geprägt, daß nichts anderes ihr an Bedeutung gleichkommt. Durch sie ist nicht nur die Einheit zerbrochen und das gemeinsame Glaubensfundament aufs tiefste erschüttert worden, sondern auch das religiöse Denken in konfessionelles Denken aufgespalten worden. Seitdem ist christliches Denken nicht mehr einheitlich bestimmt, sondern in katholisches, lutherisches, reformiertes und sektiererisches aufgespalten. Unserer Zeit [1965] scheint es aufgegeben, die gemeinsamen Wurzeln wiederzuentdecken. Sie hat wenigstens das Gespür dafür, daß es nicht bei dieser Aufspaltung bleiben kann und daß wir wieder »ökumenisch«, (besser würden wir sagen), »katholisch«, (nicht im konfessionellen Sinne) denken müssen, wenn wir Christen sind.«14
Es gibt unter den neueren kleinen Lehrbüchern gelungene und sehr holzschnittartige Ausführungen. Darauf will ich jetzt nicht eingehen. Ich habe diese Reflexionen über die Gliederungen der Geschichte in den Normalbüchern 14 August Franzen, Kleine Kirchengeschichte, Freiburg i. Br. 1965, 243. – Erweiterte Neuausgabe (24. Auflage des Gesamtwerks). Durchgesehen von Bruno Steiner. Erweitert bis in die Gegenwart von Roland Fröhlich, Freiburg-Basel-Wien, 2006, 247.
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Ihnen deswegen vorgestellt, weil ich damit eingehe auf das, was die Rezipienten dieser Literatur wahrnehmen. Es ging darum, nicht die gelehrten Debatten, sondern die Ergebnisse dieser Debatten und damit den Verständnishorizont zu rekonstruieren, der in den jeweiligen Realisierungen für die Öffentlichkeit geronnen ist. Ich komme damit zu einem letzten Punkt: 3 Debatten über die Stellung der Reformation in den historischen Wissenschaften Die Bedingungen für diese Debatten haben sich in den letzten fünfzig Jahren erheblich verändert. Die Wahrnehmung der Forschung im internationalen und interdisziplinären und interkonfessionellen und, wie wir jetzt sehen, auch in einem globalen Kontext lässt bestimmte Zentrierungen, die vorher wichtig waren, vergessen. Das heißt, wir haben heute in den historischen Wissenschaften keine nationale, auch keine konfessionalistische und auch keine eurozentrische Perspektive mehr. Wie sieht eigentlich ein Australier oder ein Hindu die Reformation, der nie in Wittenberg gewesen ist und auch niemals dorthin kommen wird? Ich habe schon angedeutet, dass die Reformation eingebettet wird in einen größeren Zusammenhang zwischen Spätmittelalter und dem konfessionellen Zeitalter. Ich halte an dem Begriff des »konfessionellen Zeitalters« fest (dies vor allem für die Fachkollegen), weil der Konfessionalisierungsprozess ja nun doch ein Prozess innerhalb des konfessionellen Zeitalters ist, mir aber als Epochenbegriff nicht wirklich geeignet scheint. Ist das Reformationsgeschehen ein revolutionäres Geschehen oder ein langsamer Wandel? Die französische sozialgeschichtliche Forschung hat insbesondere da, wo sie nicht ereignisorientiert war und nicht personenorientiert, gezeigt, dass longue durée in der Geschichte weit unter-
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schätzt worden sind. Im Verhältnis zwischen Kirche und Staat oder, anders gesprochen: zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt hat es schon seit dem 14. Jahrhundert Aufbrüche gegeben, die dann kanalisiert und auch verdichtet werden konnten. In den europäischen nationes – ich nenne den lateinischen Begriff mit Bedacht, weil er zeigt, dass es sich um eine vornationale, aber doch um eine Selbstwahrnehmung in der Unterschiedenheit von anderen Partnern handelt – gibt es Aufbrüche, die gegen die Universalität der Kirche eine Rolle gespielt haben. Und was das Potential einer Modernisierung durch die Reformation aus dem Blick der späteren Entwicklung angeht, muss man zweierlei bemerken: 1. Die Zeitgenossen kennen die Modernität ihrer Entwicklung nicht und wissen nicht, welche Folgen die Entwicklung freisetzen wird. 2. Die sogenannten »Unmodernen«, also diejenigen, die an der Reformation nicht teilhaben, werden vermeintlich von der Geschichte dahinten gelassen, weil sie unmodern seien, weil sie statisch seien, weil sie nicht selbstständig seien. Klassischer Fall: Die römische Kirche und ihre Institutionen seien eben von gestern. Aber die evangelische Emphase: »Wir sind die Herolde der Modernität«, die noch bis ins 19. Jahrhundert eine Rolle spielt und etwa in der Selbstwahrnehmung der Konfessionen zu einem katholischen Unterlegenheitsbewusstsein geführt hat, ist nun doch keine sinnvolle historiographische Kategorie. In unserer Wissenschaft hat der Begriff der normativen Zentrierung, der von dem Erlanger Kollegen Berndt Hamm aufgebracht worden ist, beachtliche Bedeutung gewonnen.15 Was Hamm mit normativer Zentrierung meint, 15
Berndt Hamm, Normative Zentrierung im 15. und 16. Jahrhundert. Beobachtungen zu Religiosität, Theologie und Ikonologie, in: Zeitschrift für Historische Forschung 26 (1999), S. 163-202; dazu Rudolf Suntrup / Jan R. Veenstra (Hrsg.), Normative Zentrierung, Frankfurt/M. 2002.
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ist ein Verdichtungsprozess, den er vor allem in seinen Nürnberger Studien und anderen fränkischen Studien anschaulich gemacht hat – an diesen Beispielen lässt er sich auch besonders schön zeigen. Aber er hat auch Aussagekraft über diese Beispiele hinaus. Damit können bestimmte Entwicklungen, die durch die Reformation kanalisiert werden, auf den Punkt gebracht und historisch wirksam werden. In einem solchen Zusammenhang ist dann auch die Debatte um die Reformatoren vor der Reformation vernünftig. Wenn John Wyclif und Jan Hus in der älteren Forschung sozusagen als »forerunners of the reformation« – das ist in der englischsprachigen Welt tatsächlich ein Terminus – teleologisch auf den Abschluss in Luther bezogen wurden, ist das historisch doch brauchbar, wenn man sie als »Ahnen« und nicht nur als »Vorläufer«, sondern als Vorbereiter einer Entwicklung versteht, die sich nun eben in einem solchen Prozess von Zentrierung verdichtet. Das schlechterdings Neue und völlig Fremde hat ja übrigens auch keine Chance auf Realisierung der Geschichte. Das heißt, jeder Reformationshistoriker hat zu erklären, warum die Plausibilität der Reformation in ihren jeweiligen Kontexten so gut funktioniert hat, dass etwa die Marburger im Jahre 1527, als die Reformation eingeführt wird, ihre Testamente aufkündigen, und das, was sie der Kirche vermacht haben, nun an die Kommune geben, weil die Kommune wesentliche Aufgaben der Kirche übernommen hat. Die sich kontinuierlich prägende Mentalität der Zeitgenossen ist ein Faktor, der durch kein brachiales Ereignis und keine heroische Gestalt aufgebrochen werden kann. In der Nachkriegszeit hat der Historiker Ernst Walter Zeeden – ein Konvertit – über »katholische Reste in lutherischen Kirchen« geschrieben, sozusagen entlarvend. Sachlich völlig richtig ist daran, dass eine Generation, die mit religiösen Bräuchen groß geworden ist, in ihnen lebt und verhaftet ist, selbstverständlich mit der obrigkeitlichen
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Einführung einer Reformation diese Disposition nicht verlässt. Wenn ich recht sehe, ist der Konsens unter den Historikern im Moment dieser: In einer Langzeitperspektive ist die Reformation innerhalb einer Schwellenzeit zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit, die mit dem Begriff Frühe Neuzeit verbunden wird, eine »Hauptetappe« – so der Begriff von Heinz Schilling, dem Berliner Historiker.16 In der Geschichte der Kirche sind dabei die Beziehungen zu drei unterschiedlichen Gesellschaftsmodellen zu bedenken: 1. Vorreformatorisch: societas christiana. In dieser societas christiana oder dem corpus christianum, hat die Judenheit keinen Platz, rechtlich nicht und auch religiös nicht. In dieser societas christiana ist die Kirche eine selbstverständliche Gegebenheit. 2. Mit der Reformation wird diese societas christiana differenziert in eine »multikonfessionelle Gesellschaft« – ich würde vorziehen: in eine mehrkonfessionelle Gesellschaft, denn so multikonfessionell ist sie nicht, im Zweifel gibt es zwei Optionen. Diese mehrkonfessionelle Gesellschaft hat als Kontext die Kirche als eine dominierende Größe, aber nicht mehr in einer Einheit, sondern in der Konkurrenz der Konfessionen. Und 3. die säkulare pluralistische Gesellschaft der Moderne. In ihr hat die Kirche eine mehr oder weniger marginale Funktion, je nachdem, welcher Platz ihr von Politik und Gesellschaft eingeräumt wird – und es hat den Anschein, dass jedenfalls in einigen Teilen Europas die Marginalisierung dieser Kirche fortschreitet.
16
Vg. Heinz Schilling, Die Reformation –ein revolutionärer Umbruch oder Hauptetappe eines langfristigen reformierenden Wandels?, in: W. Speitkamp und H.P. Ullmann (Hgg.), Konflikt und Reform. Festschrift für Helmut Berding, Göttingen 1995, S. 26-40; Thomas Kaufmann, Die Reformation als Epoche?, in: Verkündigung und Forschung 47, 2002, S. 49-63.
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Schluss: Ein evangelischer Begriff der Reformation Damit komme ich zu einem ganz knappen Schlusspunkt. Christen leben, vielleicht im Unterschied zu anderen Menschen, immer in und mit einem breiten Vergangenheitshorizont. Er ist beschrieben mit der Schöpfung und mit der ihr anhängenden Erhaltung, mit der Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth, den wir als den Christus glauben, und mit der Gegenwart des Heiligen Geistes, der den Weg in eine Zukunft öffnet. In einem anderen Sinne geht es um den Vergangenheitshorizont der Reformation, zumal für die Evangelischen, wenn wir unser Gedächtnis über die jüngste Vergangenheit hinaus erweitern. Tatsächlich ist die Präsenz der Reformation nicht ihre so nicht zu habende Gegenwart, ein Faktor, der das Leben der Kirche beschwingt, und nicht nur ihre Lehre und ihre Hoffnung. Das überschüssige Potential der Reformation, ihre historische Kraft ist noch immer evozierbar, und das kann man nicht von allen Erscheinungen der Kirchengeschichte behaupten. Deshalb etwa haben wir in den Perspektiven für das Reformationsjubiläum17 als ersten Satz formuliert: »Die Reformation ist ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung« – insofern ihr Potenzial, wie es scheint, bisher noch nicht abgegolten ist. Dass sie es auch war, steht auf einem anderen Blatt. Für die Beantwortung der Frage nach Epoche oder Etappe wird es bei anhaltender Forschung immer wieder neue und differenziertere Antworten geben. Einen Konsens kann man nicht erzielen, dazu sind die Forschungsperspektiven und Erkenntnisinteressen viel zu vielfältig. Was aber hat diese Reformation erbracht? Sie war, das hat Thomas Kauf17 Wissenschaftlicher Beirat für das Reformationsjubiläum, Perspektiven für das Reformationsjubiläum, mit einem Geleitwort von Nikolaus Schneider (o.J.), leicht zugänglich über http://www.luther2017.de/sites/default/files/downloads/perspektiven-lutherdekade.pdf.
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mann, der eigentlich heute hier hätte reden sollen, in seiner »Geschichte der Reformation«18 dargestellt, der Versuch, die Wirklichkeit der Kirche ihrem Ideal anzunähern, anders gesagt: Sie war ein Aufstand der Kirche gegen die Kirche aus Liebe zur Kirche. Das bedeutete eine Intensivierung des Christlichen in vielerlei Gestalt, von der wir zehren und von der wir, glaube ich, Gutes auch in Zukunft erwarten dürfen, nämlich: 1. die persönliche Aneignung des Glaubens (also nicht mehr einfach: credere cum ecclesia); 2. die Mitverantwortung aller für Lehre und Leben der Kirche; 3. ein neues Maß an Partizipation aller, und 4. die Verantwortung für die jeweiligen Zuständigkeitsbereiche. Daher die Bedeutung der Katechismen, die einen starken Bildungsimpuls gegeben haben; der Wegfall des Zweistufen-Christentums, der alle zu »Priestern« macht; und, nachdem alle zu Priestern und geistlichen Standes geworden waren, die emphatische Auffassung des »Berufs«. Der Aufstand der Kirche gegen die Kirche aus Liebe zur Kirche verändert die Kirche, die eigene und die anderen. Der Revolution im evangelischen Bereich stellt Kaufmann die »multidimensionale Klaviatur religiöser Sinnlichkeit«19 des Katholizismus gegenüber. Dass die wahre Kirche mit der real existierenden Kirche jemals identisch sein könnte, hatte schon Hus bestritten; Luther hat es energisch eingeschärft. Vielleicht ist das Bewusstsein dieser Differenzerfahrung nicht die schlechteste Hinterlassenschaft der Reformation der Kirche für die Gesellschaft. Reformation war eine verdichtete formative Phase auf dem Weg in die Moderne. Sie war ein historischer Prozess im 16. Jahrhundert, aber zu18 19
Thomas Kaufmann, Geschichte der Reformation, Frankfurt a.M. 2009. Kaufmann a.a. O., S. 716.
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gleich, seit ihren Anfängen, immer auch ein Konstrukt ihrer Anhänger und Gegner. Der Person Luthers kam und kommt dabei besondere Bedeutung zu. Heilsbringer oder Teufel lautete die Alternative bis vor ungefähr einem Jahrhundert. Luther wurde zu einem Mythos der Deutschen; Wittenberg und die Wartburg sind Erinnerungsorte von herausragender Bedeutung. Der »erste, rechte gründliche Anfang des Lutherischen Lärmens« im Jahre 1517 mit Tetzel usw., das ist die evangelische Meistererzählung seit 1527 und dann vor allem wieder seit Leopold von Ranke. Wir wissen es nun besser und gehen in und mit diesem Wissen auf das Reformationsjubiläum 2017 zu, mit Herz und Verstand.
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Prolog: Verpasste Fragen Auf Wikipedia kann man unter dem Stichwort ›Parzifal‹ u.a. Folgendes lesen: »Auf die Frage nach einer Herberge für die Nacht wird Parzival von einem Fischer auf eine nahegelegene Burg verwiesen und erlebt dort eine Reihe von mysteriösen Vorgängen: Die Besatzung der Burg freut sich ganz offenbar sehr über sein Erscheinen, wirkt aber gleichzeitig wie in tiefer Trauer. Im Festsaal der Burg trifft er den Fischer wieder; es ist der Burgherr Amfortas, der unter einer schweren Erkrankung leidet. Vor dem Mahl wird eine blutende Lanze durch den Raum getragen, was lautes Klagen der versammelten Hofgesellschaft verursacht. Dann tragen 24 junge Edelfrauen in einem komplizierten Ablauf das kostbare Tischbesteck auf, schließlich wird von der Königin der Gral hereingetragen, bei Wolfram ein Stein, der auf geheimnisvolle Weise wie ein ›Tischlein-deck-dich‹ die Speisen und Getränke hervorbringt. Und am Ende bekommt Parzival vom Burgherrn dann noch dessen eigenes kostbares Schwert geschenkt – ein letzter Versuch, den schweigsamen Ritter zu einer Nachfrage zu ermuntern, mit der er, nach Auskunft des Erzählers, den siechen König erlöst hätte. Wie er es von Gurnemanz als höfisch angemessenes Benehmen eingeschärft bekommen hatte, unterdrückt Parzival auch jetzt jede Frage im Zusammenhang mit den Leiden seines Gastgebers oder der Bedeutung der merkwürdigen Zeremonien. Am nächsten Morgen ist die Burg verlassen; Parzival versucht vergeblich, den Rittern zu folgen. Stattdessen trifft er im Wald
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auf Sigune, von der er den Namen der Burg und des Burgherrn erfährt und dass Parzival selbst jetzt ein mächtiger König mit höchstem gesellschaftlichen Ansehen wäre, wenn er den Burgherrn nach seinem Leiden gefragt und damit ihn und die Burggesellschaft erlöst hätte. Als er Sigune gegenüber zugeben muss, dass er nicht zu einer einzigen mitleidigen Frage fähig war, spricht sie ihm alle Ehre ab, nennt ihn einen Verfluchten und verweigert jeden weiteren Kontakt.«1
Ich denke, Sie wissen alle, wie die Geschichte weitergeht. Die Frage nach der Ursache des Leidens ist unterblieben und Parzifal wird zur Gralssuche verdonnert. Erst nach Jahren der vergeblichen Suche und nachdem er endlich gelernt hat, auch Mitleid zu zeigen, kehrt Parzifal auf die Gralsburg zurück, stellt die Frage nach der Verwundung des Oheims und vermag es nun endlich, alle zu erlösen. So gilt denn Parzifal auch als der tumbe Tor, der die entscheidende Frage nicht oder eben zu spät stellt. Ich werde uns die Jahre der Gralssuche im Folgenden ersparen und sofort die Frage nach der Wunde stellen. Ob Sie sich am Ende erlöst fühlen, weiß ich nicht. Indes erlauben Sie mir den Titel des Vortrags ein klein wenig zu verändern: Denn der Leib Christi trägt bekanntlich nicht nur eine Wunde, sondern fünf an der Zahl – zugegeben, eine typisch ›katholische‹ Sicht der Dinge. Vielleicht noch eine letzte Vorbemerkung: Einer, der katholischerseits schon einmal versucht hatte, die fünf Wunden Christi mit Anfragen an die Ekklesiologie zusammenzubringen, Antonio Rosmini,2 ist Mitte des 19. Jahrhunderts damit auf dem Index gelandet.
1
www. wikipedia.org/wiki/Parzifal (Abruf: 22.10.2012). Antonio Rosmini, Die fünf Wunden der Kirche (1848). Kritische Ausgabe. Herausgegeben und eingeleitet von Clemente Riva, Paderborn 1971. 2
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Die Wunde der rechten Hand: Exilsmentalitäten Historische Ereignisse, die sich dem kulturellen Gedächtnis eingeprägt haben, sind immer beides: reale Geschichte und identitätsstiftende Erinnerung. Gerade Letzteres macht ihre Bewertung im Nachhinein so schwierig. So kann die unterschiedliche Deutung und Bedeutung des 31. Oktobers 1517 an einfachen Begrifflichkeiten geradezu kontroverstheologisch festgemacht werden: Ist 2017 nun ein Reformationsjubiläum oder ›nur‹ ein Gedenken? Während die einen sagen, zu feiern gibt es genug, schließlich ist der 31. Oktober 1517 der symbolische Gründungstag jener Teile der katholischen Kirche, die aus der Reformation als Erneuerungs- und Befreiungsbewegung der alten Kirche hervorgegangen sind,3 kontern die anderen: Die verlorene Einheit der Kirche des Abendlandes, ja, die Sünde der Spaltung kann nicht gefeiert werden.4 So geht der entscheidende Streit gerade darum: Was bedeutet ›Reformation‹ eigentlich aus dem Blickwinkel der verschiedenen christlichen Konfessionen? Aus der Migrationsforschung haben wir nun gelernt, dass die ideengeschichtlich prägenden Bilder mentale Chimären sind.5 Der Traum der Exilanten von einer ›Rückkehr‹ in das ›Land der Väter‹ ist eine Illusion, denn die Heimat, so wie sie in der Phantasie der Exilanten existiert, gibt es nicht; besser: Es gab sie eigentlich nie. Sie ist nur eine Wunschvorstellung, eine Projektion derer, die in der 3 Vgl. Thies Gundlach, Was bedeutet aus der Sicht der EKD das Reformationsjubiläum, in: Ökumenische Rundschau 61 (2012) S. 64-69. 4 Z. B. der Erfurter Bischof Joachim Wanke (Christ in der Gegenwart Heft 23 [2011]), aber auch der Präsident des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, Kurt Kardinal Koch, in mehreren Presseinterviews. 5 Vgl. Marcus Banks, Ethnicity. Anthropological Constructions, London 1996; Akhil Gupta, /James Ferguson, Beyond »Culture«. Space, Identity and the Politics of Difference, in: Current Anthropology 7,1 (1992) S. 6-23; Fran Markowitz / Anders Stefansson (Hg.), Homecomings. Unsettling Paths of Return, Lanham 2004.
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Fremde weilen und sich nach dem Zuhause sehnen. Für die Frage nach der Bedeutung der Reformation gilt eine ähnliche Beobachtung. Es sind immer die aus der Verlusterfahrung entstandenen je eigenen, d.h. konfessionalisierten ›Erzähltraditionen‹, die das Erinnerte beeinflussen und darum das angemessene ›Gedenken‹ so schwierig gestalten. Gerade beim Thema ›Reformation‹ ist das Erwünschte wie das Abgelehnte, das Eigene wie das Fremde aber zumeist ein Ergebnis konfessioneller Phantasien und Projektionen. Für die protestantische Seite stellt sich die Frage: Gibt eine Form des Reformationsgedenkens jenseits einer identitätsstiftenden Sicherung der eigenen Gedächtniskultur; gar verbunden mit einer konfessionellen Polemik oder national-religiösen Inszenierung? Letzteres wird man sicher in die Mottenkiste des 18. bis 20. Jahrhunderts stecken; aber ›feiern‹ – das muss schon sein. Freilich in eine solche Jubelperspektive will das Resümee nicht so recht passen, das Wolfhart Pannenberg im Blick auf das 450jährige Gedenken der Confessio Augustana bereits im Jahr 1979 gezogen hat: »Die Spaltung der Kirche im 16. Jahrhundert kann ja nicht als Erfolg der Reformation, sondern kann nur als Ausdruck ihres vorläufigen Scheiterns verstanden werden; zielt die Reformation doch auf eine Erneuerung der ganzen Kirche aus ihrem biblischen Ursprung«6. Wenn also die Kirchenspaltung nur so etwas wie ein bedauerlicher Kollateralschaden einer zunächst innerkirchlich ansetzenden Reform-Bewegung ist, die immer an der Einheit der Kirche und daher an der Idee der Reform dieser einen Kirche festhielt und an diesem Selbstanspruch aber kläglich gescheitert ist, dann wäre es an der Zeit darüber nachzudenken, was man eigentlich feiert und ob und wie man das angemessen ›feiern‹ kann. 6 Wolfhart Pannenberg, Die Augsburger Konfession und die Einheit der Kirche, in: Ökumenische Rundschau 28 (1979) 99-114, hier S. 113.
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Doch auch die römisch-katholische Kirche steht vor einer ganz eigenen Herausforderung. Mit der Klage über Spaltung und Trennung, über die offene ›Wunde am Leibe Christi‹, wird allzu schnell auch jene Herausforderung der Reformation immunisiert, die sie für die eigene Identität darstellt. So hat es nicht nur bis zum Zweiten Vatikanum gedauert, dass auch kirchenoffiziell die Schuld an der Spaltung der Kirche auf beiden Seiten gesucht und eingeräumt wurde (UR 3,17) und sich die Bewertung von den verurteilenden Perspektiven auf Schismatiker und Häretiker (so die vorkonziliare Wortwahl) hin zu den ›getrennten Brüdern‹ verschoben hat. Und dennoch habe ich bis heute den Eindruck: Reformation – das ist immer noch eher ein Problem der ›anderen‹. Ich vermisse die Bereitschaft zu bedenken, wer oder was man selbst wäre ohne die Reformation. Die Katholische Kirche wäre eine andere, aber wäre sie tatsächlich eine bessere? Keines der konfessionellen Interpretamente begreift sich nun aber als das, was es wirklich ist: das Produkt einer Exilsmentalität. Daher unterschätzt man die subtile Dynamik einer Identität, in der das Eigene das Fremde als Kontrastfolie setzen muss, um einen doppelten Identitätsverlust zu verkraften: den erlittenen Verlust der Gemeinschaft und den selbst produzierten Mangel durch Exklusion des Fremden aus der eigenen Identität. Denn ›im Exil‹ bedingen sich die Konstruktionen von Identität und Fremdheit immer gegenseitig, und zwar nach einem gegenseitigen Ausschlussprinzip. Wo die Sensibilität für die damit verbundene Problematik fehlt, werden die Vorstellungen schnell zu einem die eigene Identität potenzierenden Mythos, zur (re-)konstruierten Vergangenheit, die als sich zunehmend verknöcherndes Artefakt weit davon entfernt ist, noch als eine die eigene Identität infrage stellende ›gefährliche Er7 Unitatis Redintegratio (UR), Dekret über den Ökumenismus, Zweites Vatikanisches Konzil, 1964.
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innerung‹ (Johann Baptist Metz) erfahren zu werden. Ich glaube kaum, dass ich hier noch ausführen muss, wie weit alle Beteiligten von diesem offenen Blick auf ihre Exilsexistenz und einem sich Bewusstmachen des eigenen Mangels noch entfernt sind. Geschweige denn, dass man beidseits des konfessionellen Grabens die Reformation schon wirklich als ›gefährliche Erinnerung‹ wahrgenommen hätte. Die Wunde der linken Hand: Verlusterfahrungen Schon ein eher oberflächlicher Blick in die Wirkungsgeschichte der Reformation macht auf das Entscheidende aufmerksam: Die Pluralität im Eigenen, wie es zum Beispiel noch gute Tradition in der mittelalterlichen Kirche war, wird im konfessionellen Zeitalter zu einer Einheitsidentität und -ideologie reduziert; und das wiederum beidseits der Konfessionsgrenzen: »Die römische Kirche hat ihre Möglichkeiten durch die Beschlüsse des Tridentinischen Konzils beschränkt, und die Protestanten haben ihrerseits konkurrierende Versionen des Protestantismus auszumerzen versucht, wann immer Fürsten und Stadtobere ihnen das ermöglichten. Sie wiesen viele Alternativen zurück, die von radikaleren Gesinnungsbrüdern verfochten wurden. Genau diese Beschränkungen der Möglichkeiten stärken das Gefühl der Andersartigkeit zwischen dem katholischen und dem protestantischen Europa, und zwar aufgrund der miteinander konkurrierenden Lehren, die der Reinigungsprozess herausgefiltert hat«8. Die Konkurrenz der Konfessionen im gleichen geographischen Raum zwingt dazu, das Eigene exklusiv zu bestimmen, es zu normieren und zu uniformieren. Konfessionelle Identität wird zur Gruppenidentität, das kirchliche Selbstverständnis definiert sich als tri8
Diarmaid MacCulloch, Die Reformation, München 2009, S. 16.
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bal ecclesiology9, die keine Binnendifferenzierung mehr zuzulassen wagt. Man kann nun versuchen, sich über diese Verarmung dadurch hinwegzutrösten, dass man die notwendige Vielfalt in der konfessionellen Aufspaltung wiederzuentdecken hofft; die Vielfalt der Konfessionen ›ersetzt‹ hier die verlorene ›Breite‹ der eigenen Identität. Diese Art des ›Lobs der Vielfalt‹ scheint mir die ›typisch evangelische‹ Art und Weise, mit der Spaltung umzugehen. Doch dieser ›Trost‹ erweist sich bei näherem Hinsehen als Illusion: Die verlorene Vielfalt der eigenen Konfession lässt sich nicht durch Auslagerung der Pluralität, d.h. durch Verlagerung des konfessionell Möglichen außerhalb der eigenen Mauern ausgleichen. Denn die Wahrheitsfrage selbst leidet, wenn die Kriterien einer legitimen Vielfalt der Wahrheit im Eigenen ebenso zunehmend ungreifbar werden wie die Einheit selbst. Es gibt zentrifugale und zentripedale Kräfte in jeder Konfession, dabei ist das richtige Gleichgewicht von beidem zu finden. Denn erst dort, wo der wohlwollende Streit und die Auseinandersetzung, das sich gegenseitig Aneinanderreiben und Abarbeiten und damit auch die ständige Herausforderung des Eigenen durch das Andere zur Selbstverständlichkeit wird, ist eine offene und damit umfassende, eben ›katholische‹ Sicht der Dinge wirklich möglich. An der binnenkonfessionellen Fähigkeit zur Wahrnehmung von Einheit oder/und Differenz entscheidet sich die Frage, wie viel Vielfalt im Miteinander der Konfessionen möglich und wie viel Einheit notwendig ist. Die römisch-katholische Kirche steht dabei wiederum vor einer ganz eigenen Herausforderung: Während die plurale Vielfalt innerhalb der eigenen Konfession darauf aufmerksam macht, dass Einheit Vielfalt nicht ausschließt, son9 Vgl. Roger Haight, Christian Community in History, Vol. II: Comparative Ecclesiology, New York – London 2005, bes. S. 1-9. und Vol. III: Ecclesial Existence, New York – London 2008, S. 3-5.
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dern erst ermöglicht bzw. eigentlich deren tragender Grund ist, ist eine nach außen gewendete Wahrheitssuche immer mit dem Phänomen konfrontiert, Einheit aus der Vielfalt erst wieder rekonstruieren zu müssen und ständig darüber im Streit zu liegen, wie viel Differenz die Einheit eigentlich toleriert und wie viel Einheit legitime Unterschiedenheit bedarf. Es gilt also eine Binnenvielfalt wiederzuentdecken, die das Eigene nicht als monolithischen Block versteht, sondern als plurales Spektrum an Einstellungen und Positionen zu respektieren gewohnt ist, denen man von vornherein die Legitimität zu- und nicht abspricht. Wer diese Notwendigkeit auf Dauer ignoriert, nivelliert schrittweise das Katholische zur Verkaufsschlagerstrategie einer Billigkette – selbst wenn der ›Preisprinz‹ in der Anerkennung des Papstamts als kleinstem gemeinsamen ökumenischen Nenner bestünde. 1 Die Wunde des rechten Fußes: Konfessionalistische Ursprungsmythen Eines ist offensichtlich: Bei der Frage ›2017 – Feiern oder nicht?‹ geht es natürlich um die theologische Bewertung der Reformation. Für die einen steht dabei das geschichtliche Ereignis im Mittelpunkt, das von seinen historischen Folgen her beurteilt wird: Eine durch den theologischen Disput um eine fehlgeleitete Praxis der Kirche ausgelöste Reform-Bewegung, die aufgrund ihrer entweder theologisch immer schon grundgelegten und/oder politisch instrumentalisierten ekklesiologischen Konsequenzen in nicht mehr versöhnbare Gegensätze führte und so in der Spaltung der abendländischen Kirche endete. Dagegen konzentriert sich das Interpretationsschema der anderen auf die Reformation der Kirche im Sinne einer Rückführung auf die Botschaft des Evangeliums selbst, auf den Punkt gebracht in der lutherischen Formel der Rechtfertigung des Sünders
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allein aus Gnade und allein durch den Glauben. Die real erfolgte Spaltung ist in dieser Perspektive ein sekundäres Phänomen, das zwar nicht einfach verdrängt werden sollte, das aber bei der theologischen Bewertung eben nicht im Vordergrund steht. Angesichts dieser konfessionell-konfrontativen Schemata wird deutlich: Eine neutrale Bewertung des Ereignisses kann es nicht geben. Das historische Urteil über das Geschehen beinhaltet immer auch ein Urteil über die Wirkungsgeschichte des Ereignisses und damit ein Urteil über die Kirchen und Gemeinschaften, die daraus hervorgegangen sind. Es handelt sich jeweils um konfessionalistische Ursprungsmythen – historisch betrachtet übrigens nicht allein der Kirchen der Reformation, sondern genauso auch der römisch-katholischen Kirche. Weil nun aber gerade dieses konfessionell-konfrontative Schema im Laufe der letzten Jahrzehnte durch Forschungen zur Theologie und Person Martin Luthers, zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Theologie und Kirchengeschichte (vom Nominalismus über die Deutsche Mystik bis zum Konziliarismus, zum Humanismus und den Anfängen der Renaissance) aufgebrochen wurde, steht das ökumenische Gespräch am Vorabend der Erinnerung an die Reformation im Jahr 2017 vor der Herausforderung einer theologisch angemessenen, gemeinsam zu verantwortenden Deutung des Ereignisses. Dabei können bereits heute verschiedene Arbeits- und Diskussionsfelder benannt werden, auf die bei einer gemeinsamen Bewertung zurückgegriffen werden könnte: Da ist zum einen ein vertieftes Nachdenken über den Begriff der Reformation selbst. Erst in der frühen Neuzeit wird ›Reformation‹ zum konfessionellen Epochenbegriff und erhält darüber hinaus im 19. Jahrhundert – jenseits irgendwelcher theologischer Tiefendimension – die Kontur eines die gesamtgesellschaftlichen Umbrüche und Verschiebungen des 16. Jahrhunderts umfassenden historiographi-
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schen Begriffs. Ein solcher Begriff taugt eigentlich nicht wirklich zu einer weiterführenden theologischen Bewertung. Angemessener scheint die Rückführung des Begriffs auf seinen primären pragmatischen Gehalt: Reformation als reformatio. Denn reformatio umschreibt sowohl das konkrete Geschehen als auch sein primäres theologisches Anliegen: die theologisch begründete notwende Selbstkorrektur der Kirche des 16. Jahrhunderts angesichts einer das eigene Fundament verdunkelnden Praxis, die die Kirche im Sinne einer Reinigung und Wiederherstellung der (verloren gegangenen) authentischen Gestalt der Kirche Jesu Christi auf ihre Ursprünge zurückführen will. In dieser Perspektive wird reformatio zu einem Begriff, der konfessionell öffnend interpretiert werden kann. ›Erneuerung‹ als das Alleinstellungsmerkmal nur eines Teils der Bewegung relativiert sich. So gefasst umschreibt reformatio nämlich nicht nur die Reformation als Erneuerungsbewegung, sondern kann auch die mit dem Konzil von Trient einsetzende Selbstbesinnung der römisch-katholischen Kirche im Sinne einer »Katholischen Reform« näher bestimmen. Das Trienter Konzil bedeutet für die römisch-katholische Kirche zunächst eine apologetische, in diesem Sinn auch bewusst antireformatorisch positionierte, dogmatische Antwort auf die Herausforderungen durch die Theologie der Reformatoren: die Auseinandersetzungen um Schrift und Tradition, um den Kanon der biblischen Bücher, um Rechtfertigung, Erbsünde, Eucharistie- und Sakramentenlehre, Ablass, Bilder- und Heiligenverehrung. Damit wird das Konzil zur Selbstvergewisserung. Innerkatholisch betrachtet bringt das Trienter Konzil darüber hinaus aber einen wichtigen, wenn auch keineswegs den einzigen und auch nicht immer den entscheidenden Reformimpuls für die katholische Erneuerung, die selbst breiter und in ihren Ursprüngen älter ist als das Konzil selbst und die Reformbewegung, die durch Martin Luther ausgelöst wurde. So wird deutlich, dass auch auf katholischer
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Seite als Reaktion auf die Reformation Reformimpulse der spätmittelalterlichen Kirche aufgegriffen und umgesetzt werden, die bereits vorreformatorisch begonnen haben und sich in die Neuzeit hinein fortsetzen – mit oder ohne Unterbrechung durch die Reformation, dann aber auch deutlich von ihr beeinflusst und sie damit positiv (!) aufnehmend. Freilich muss man eingestehen, dass die Beschlüsse dieses Konzils im Laufe ihrer Rezeption – mitunter gegen ihre eigene Intention – einer Zementierung der konfessionellen Differenzen dienten. Hierfür ist dann das konfessionalistische Schlagwort der Gegen-Reformation zutreffend, da sich die innerkatholische Reform von nun an explizit antireformatorisch inszeniert. Die theologische Bewertung der Reformation steht zum zweiten in engem Zusammenhang mit der Verhältnisbestimmung von Reformation und Mittelalter. Wenngleich zur Geschichte beider Konfessionen gehörend, fiel die Verhältnisbestimmung doch signifikant unterschiedlich aus: Die Abgrenzung von einer durch Dekadenz und Abfall gekennzeichneten Theologie des Mittelalters gehört fast schon zu den reformatorischen Stereotypen, ebenso wie ein positiver Anschluss einer in manchen Dingen gar als bleibend vorbildhaft bewerteten scholastischen Theologie zu den unaufgebbaren römisch-katholischen Identitätsmarkern zu zählen schien. Doch auch diese konfessionellen Zuschreibungen haben in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Aufweichung erfahren und die damit mitunter verbundene konfessionelle Polemik explizit hinter sich gelassen. Das gilt nicht nur für eine veränderte Einschätzung und Bewertung von Theologie und Person Martin Luthers. Katholischerseits werden Fehlentwicklungen und theologische Sackgassen der Spätphase mittelalterlicher Theologie ebenso offengelegt, wie evangelischerseits die Wurzeln der lutherischen Frömmigkeit in den mittelalterlichen Frömmigkeitsbewegungen und die mittelalterlichen Quellen und Vor-
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bilder der Theologie Luthers als relevante Faktoren einbezogen werden. Den konfessionell geöffneten Perspektiven ist eine veränderte Bewertung von Bruch, Neuheit und Originalität auf der einen bzw. Kontinuität und Fortentwicklung auf der anderen Seite gemeinsam. Manch einem Theologen war diese Gemeinsamkeit dann doch zu viel, so dass die einen energisch das reformatorische Differenzspezifikum als geistiges Erbe Luthers ins Gedächtnis riefen (wie z.B. Peter Manns), während die anderen sich energisch dagegen zur Wehr setzten, Luther als gemeinsamen Lehrer des Glaubens zu bezeichnen (hier ist vor allem Remigius Bäumer zu nennen). Beiden Seiten schien eine allzu vereinnahmende Irenik als der theologischen Brisanz der Sache unangemessen. Dieser Einwand bringt mich zu meinem dritten Punkt: Luthers theologischer Ansatz nimmt auf, intensiviert, spitzt zu, bricht aber auch mit den mittelalterlichen Vorgaben und setzt gerade dadurch neue Impulse und eine neue Perspektive frei. Im Zentrum dieser neuen Perspektive stehen die Gnadentheologie (Rechtfertigung) und die Ekklesiologie. Wenngleich durchaus im Spektrum des in der mittelalterlichen Theologie Möglichen verankert, gewinnt Luthers Konturierung der Gnadentheologie auf die Alleinigkeit der Gnade als Grundlage des Heils (sola gratia) und die Alleinigkeit des Glaubens bei der Zueignung des Heils (sola fide) eine Dynamik, die die soteriologischen wie ekklesiologischen Grundlagen des Mittelalters am Ende sprengt, weil sie sie auf eine andere Weise und in einer veränderten Form weiterzudenken wagt. Diese Erkenntnis ist auf katholischer Seite insbesondere den systematischen Arbeiten Otto Hermann Peschs zu verdanken, der die je unterschiedlichen und daher im letzten nicht vermittelbaren Denkformen Luthers und der mittelalterlichen (in ihrem Gefolge dann auch der nachreformatorischen katholischen) Theologie aufdeckt. Freilich ist es auch und gerade Pesch,
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der allen Nachfolgenden ins Stammbuch schreibt, dass diese jeweils unterschiedlichen Denkformen als komplementäre Verstehensmodelle zu deuten sind. Das widerspricht dem Versuch, die Wahrheitsfrage hier in einem einfachen ›entweder-oder‹ zu entscheiden, und nimmt stattdessen beide Seiten in die Pflicht, gerade diese unaufhebbare Komplementarität als plurale Ausdrucksformen der einen Wahrheit ökumenisch fruchtbar zu machen. Mit dieser theologischen Vertiefung ist aber jene hermeneutische Methode für das ökumenische Gespräch ins Recht gesetzt, die in den letzten Jahren wie ich finde allzu undifferenziert oder aus allzu offensichtlich strategischen Gründen kritisiert wurde: der differenzierte Konsens. Die konfessionellen Positionen werden nicht mehr monolithisch verstanden, sondern es eröffnet sich das Gefüge einer differenzierten theologischen Landschaft mit komplexen Bezügen, Verschränkungen und Ausdifferenzierungen. Die konfessionellen Standpunkte relativieren sich und werden zugleich nicht mehr kontradiktorisch, sondern komplementär erfahren und gedeutet. Das gilt auch für meinen vierten und letzten Punkt: Den ekklesiologischen Konsequenzen des Reformversuches Luthers wird man im Nachhinein den eigentlich kirchentrennenden Charakter der Reformation zuschreiben müssen.10 Freilich hat auch hier die historische Forschung zur Relativierung mancher Bewertung geführt. Denn gerade die mittelalterliche Ekklesiologie ist keinesfalls einheitlich oder gar eindeutig. Sie hält im Prinzip alle Notwendigkeiten der Reformation schon bereit: geopolitisch, kulturell, gesellschaftlich, religiös.11 Insbesondere die zentrifugalen und 10 Vgl. auch Volker Leppin, 2017 – ein Jubiläum, in: Ökumenische Rundschau 61 (2012), S. 23-35. 11 Roger Haight, Christian Community in History, Vol. II: Comparative Ecclesiology, New York / London 2005, S. 78f.
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zentripedalen Kräfte ringen in der Kirche über mehrere Jahrhunderte hinweg miteinander. Im 15. Jahrhundert trägt ein zentralistisch forcierter Papalismus nur knapp und auch nur vorläufig den Sieg über einen aus der Misere des abendländischen Schismas entspringenden Konziliarismus davon. Doch die Fronten sind nicht so gefestigt, wie sie scheinen, und die Dynamik, die die ekklesiologischen Reminiszenzen Luthers entwickeln, sind ein beredtes Zeugnis dafür, dass das 16. Jahrhundert ekklesiologisch auf einem Pulverfass sitzt, gerade weil der Streit zwischen zentralistischen Kräften und ihren regionalen Antagonisten ungeklärt ist. Erst nachtridentinisch geriert sich ein papalistischer Zentralismus zum Alleinstellungsmerkmal der römisch-katholischen Kirche. Hier wird deutlich: Vieles, was für die Theologen des Mittelalters an Pluralität kirchlicher Strukturen selbstverständlich, an vielfältigen liturgischen Formen möglich war, ist durch den nachtridentischen Uniformitätszwang schlicht von der katholischen Weltbühne verschwunden; zum Schaden der Identität des Katholizismus! Der Zwang zur Uniformität erreicht mit dem Ersten Vatikanischen Konzil und seiner Wirkungsgeschichte im katholischen Kirchenrecht seinen Höhe- und Endpunkt. Erst das Zweite Vatikanische Konzil bricht diese Vereinseitigung wieder auf und knüpft damit an eine, im Gefolge der gegenreformatorischen Profilbildung des Katholischen verloren gegangene Tradition an, die den ekklesiologischen Anfragen Luthers gerechter werden kann als die nachtridentinische Konfessionalisierung. 2 Die Wunde des linken Fußes: Der zu lange Weg der theologischen Anerkennung »Ohne die Augen davor zu verschließen, dass es im Laufe der Reformation zu deutlichen Widersprüchen zur katholischen Kirche kam, sollten wir auf diesem Weg einer
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gemeinsamen Annäherung an Martin Luther und sein religiöses Reformanliegen weiter voranschreiten. Von unserer Seite sind dabei die großen Reformschritte geltend zu machen, die das Zweite Vatikanische Konzil gebracht hat. Dazu gehört die Herausstellung der maßgeblichen Bedeutung der Heiligen Schrift für Leben und Lehre der Kirche12 ebenso wie die Bejahung der ständigen Erneuerungsbedürftigkeit der Kirche (LG 813; UR 6), um nur zwei Punkte zu benennen. Insofern bieten die nächsten Jahre, die katholischerseits von einer Neubesinnung auf das Zweite Vatikanische Konzil anlässlich des 50. Jahrestages geprägt sein werden, auch gemeinsame Anknüpfungspunkte zu den Anliegen des Reformationsgedenkens.« So das Statement von Bischof Dr. Gerhard Ludwig Müller, Vorsitzender der Ökumenekommission auf der Frühjahrskonferenz der Deutschen Bischofskonferenz im März 2011.14 Dieses Statement bringt mich zum nächsten Schritt meiner Überlegungen, zur Frage des Heimatrechts des theologischen Anliegens der Reformation in der heutigen katholischen Kirche, der Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil öffnet sich die katholische Kirche der Erkenntnis, dass ihre eigene Identität nicht mehr abgrenzend, exklusiv gegen alle anderen, sondern bleibend in einer Doppelperspektive ad intra wie ad extra zu bestimmen ist. Wegweisend kommt dies in der Konzilsrede von Kardinal Suenens zum Ausdruck, in der dieser 1962 die Doppelbewegung des Konzils beschreibt: Selbstbesinnung und Öffnung. Dies zielt auf eine veränderte Grundeinstellung im Kerngehalt, nämlich zu einer 12 Vgl. Dei verbum (DV), Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung, Zweites Vatikanisches Konzil, 1965. 13 Lumen Gentium (LG); dogmatische Konstitution über die Kirche, Zweites Vatikanisches Konzil, 1964. 14 Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz: http://www.dbk.de/ fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse/2011-041-Studientag_Oekumene-Bischof_Mueller.pdf (Abruf 22.10.2012).
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›Wahrheit im Dialog‹. Zunächst ist dabei auf die Grunddefinition von Kirche zurückzugreifen, wie sie das Konzil formuliert hat: »Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit.« (LG 1). Darum »geht«, wie die Pastoralkonstitution betont, »diese Kirche, zugleich ›sichtbare Versammlung und geistliche Gemeinschaft‹ …, den Weg mit der ganzen Menschheit gemeinsam und erfährt das gleiche irdische Geschick mit der Welt« (GS 4015). Kirche ist Teil dieser Welt und damit der Geschichte im Status der Pilgerschaft; und auf diesem Weg durch die Zeit ist sie stets ›der Reinigung und Erneuerung bedürftig‹ (LG 8,3) und ›von Christus‹ zur ›dauernden Reform gerufen‹ (UR 6). Das Bekenntnis zur Kirche als einer ›ecclesia semper reformanda‹ wird hier als Grundüberzeugung auch des katholischen Kirchenverständnisses festgehalten. Kriterien für die stets notwendige Umkehr und Erneuerung gewinnt die Kirche in der genannten doppelten Perspektive – von innen wie von außen. Hier muss damit gerechnet werden, dass mitunter gerade das ›Außen‹ in Gestalt der Fremdprophetie für das Eigene zum sinnerschließenden Korrektiv werden kann und muss. Nach innen führt dies zu einer Wahrnehmung und Würdigung von Vielfalt und Pluralität der einen überlieferten und zu überliefernden Wahrheit und der Erkenntnis ihrer personal-existentiellen und damit kommunikativen Grunddimension (DV 2-6; 8; AG16 22). Hier ist mit situativen, historischen, sprachlichen Differenzen, aber auch Mentalitätsdifferenzen als Faktoren zu rechnen und daher die Neigung zu pflegen, nicht von den Gegensätzen, sondern von der gemeinsamen Basis her die Unterschiede zu bestimmen. 15 Gaudium et Spes (GS), Pastoralkonstitution (»Freude und Hoffnung«) über die Kirche in der Welt von heute, Zweites Vatikanisches Konzil, 1965. 16 Ad Gentes (AG), Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche, Zweites Vatikanisches Konzil, 1965.
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Nach außen ergibt sich daraus eine veränderte Haltung zu den anderen Konfessionen samt einer eschatologischen Dynamisierung des eigenen Selbstverständnisses und der eigenen Selbstbestimmung als Kirche Jesu Christi17. Die Einheit der Kirche wird als vielfältig konturierte und gestufte Wirklichkeit erkannt, deren Mitte die wahre Verbindung zu Jesus Christus bildet und die sich in vielfältigen inneren und äußeren Verbindungselementen ausdrückt: Es gibt Wirklichkeit des Leibes Christi auch außerhalb der existierenden römisch-katholischen Kirche; und diese Wirklichkeit ist nun notwendig zu ihr in Beziehung zu setzen. Zur weiteren Bestimmung dieser Bezogenheit gehört auch das Hinhören auf die anderen. Eine ›Ökumene der Gaben‹, wie sie dann Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Ut unum sint entwirft,18 zeichnet sich bereits ab: Die römisch-katholische Kirche versteht sich selbst zwar als eine mit der Fülle der Gaben Beschenkte (vgl. UR 4,6), betont aber zum einen, dass die Gabe der Fülle und der Einheit kein Selbstzweck, sondern eine Gabe Christi an seine Kirche ist, damit ihr Zeugnis für die Welt glaubwürdiger werde (vgl. UR 4; LG 15). Zugleich relativiert sich diese Fülle eschatologisch: Die römisch-katholische Kirche ›besitzt‹ diese Fülle jener der Kirche Christi eigenen Gaben nicht einfach, sondern strebt immer nach der Fülle Christi, aus der sie allein ihre eigene Fülle empfangen kann (vgl. LG 7,7). Darum betont UR 4,6, dass die Spaltungen der einen Kirche Jesu Christi auch die römisch-katholische Kirche derart wesentlich (d.h. als Verwirklichung der einen Kirche Christi) beeinträchtigen, dass sie die ihr geschenkte katholische Fülle nicht zu realisieren vermag. Sie entbehrt durch den Mangel an den anderen der wahren Fül17 Vgl. das subsistit (LG 8,2); die non plena communio der nicht-katholischen Christen (LG 14f) bis hin zum Axiom des universalen Heilswillens Gottes, der alle Menschen umgreift (LG 16). 18 Johannes Paul II., Enzyklika Ut unum sint, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 121, Bonn 1995, bes. Nr. 87.
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le der Katholizität. Dieser Mangel kann nur im Miteinander mit den anderen ausgeglichen werden. Ökumene und Dialog sind die bleibenden Grundverpflichtungen der eigenen konfessionellen Identität. Können wir aber je dazu kommen, die innerhalb des ökumenischen Dialogs benannten Unterschiede als ›Gewinn‹ wahrzunehmen und damit nicht als ›Hindernis der Einheit‹, sondern als deren auch am Ziel zu bewahrendes, weil unaufgebbares Gut zu bewerten – im Sinne einer Akzeptanz der Denkform, einer Wahrnehmung der Wahrheit ihres Anliegens und einer möglichen Öffnung der eigenen Perspektive auf das andere hin? Kann es hier irgendwie gelingen, die Spaltungen der Kirche theologisch (und damit auch heilsgeschichtlich) positiv zu bewerten? Joseph Ratzinger hat einmal im Anschluss an 1Kor 11,19 von Spaltungen gesprochen, die sein müssen. Doch damit nur jene Grenzziehung um der Wahrheit willen zu intendieren, die andere Positionen exkludiert und verurteilt, wäre hermeneutisch banal. Viel eher werden die Ausführungen Ratzingers wohl in dem Sinne verstanden werden müssen, dass er von einer bleibenden Wahrheit der Unterschiede um der Sache selbst willen ausgeht: »Gewiss, Spaltung ist von Übel, vor allem dann, wenn sie zu Feindschaft und zur Verarmung des christlichen Zeugnisses führt. Wenn aber der Spaltung langsam das Gift der Feindseligkeit entzogen wird und wenn im gegenseitigen Sich-Annehmen aus der Verschiedenheit nicht mehr bloß Verarmung sondern neuer Reichtum des Hörens und Verstehens kommt, dann kann sie auf dem Übergang zur felix culpa sein, auch schon, bevor sie ganz geheilt wird«.19 Dem Anliegen der Reformation wirklich Heimatrecht in der römisch-katholischen Kirche zu gewähren, würde unter dieser Perspektive also nicht nur die Akzeptanz ihres theologischen Anliegens als ein damals wie 19 Joseph Ratzinger, Zum Fortgang der Ökumene, in: Theologische Quartalschrift 166 (1986), S. 243-248, hier S. 245.
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heute legitimes bedeuten. Mit dem heutigen Papst müsste man noch einen Schritt weiter gehen. Denn in Konsequenz hieße das, anzuerkennen, dass auch das Ergebnis, die Trennung als eine not-wendige, weil damals not-wendende und heute bereichernde zu verstehen sei. 3 Die Seitenwunde: Weil nichts ›beim Alten‹ bleiben kann Auch als römisch-katholische Kirche stehen wir noch immer in der Wirkungsgeschichte der Reformation, vielleicht in viel stärkerem Maße, als dies jene Kirchen wahrnehmen, die von sich so selbstbewusst und exklusiv behaupten, aus der Reformation hervorgegangen zu sein. Die zweite, entscheidende Phase dieser Wirkungsgeschichte hat für uns mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil begonnen. Ein Nachdenken über die ›Reformation‹ bedeutet daher nicht einfach nur eine Art ›Vergangenheitsbewältigung‹. Vielmehr sind es gerade die damit zu verbindende Gegenwartsanalyse wie die Frage der sich daraus ergebenden Zukunftsperspektive, die diese Angelegenheit bis heute so unübersichtlich gestalten. Angesichts der Tatsache, dass das Zweite Vatikanische Konzil auch ökumenisch zu einer ›Schleifung der Bastionen des Katholischen‹ geführt hat, stellt sich die Identitätsfrage ganz neu: Wer wollen wir als römischkatholische Kirche sein mit dem Erbe der Reformation als Auftrag im Gepäck? Wie wollen wir uns selbst verstehen im Blick auf unsere eigene Geschichte? Und das ist – offen gestanden – dann auch die entscheidende Ursache dafür, dass wir noch kein adäquates Verhältnis zur Reformation als ›theologisches Ereignis‹ gefunden haben. Denn noch wagt es meine Kirche nicht, über die Traumata zu sprechen, die in den nachreformatorischen Jahrhunderten die eigene Geschichte so sehr prägen, dass sie bis heute unbewältigt sind. Sie schweigt dazu wie ehedem Parzifal. Dass
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diese Wunde aber immer noch der Erlösung harrt, zeigt der neu aufgeflammte und ebenso medienöffentlich wie medienwirksam ausgetragene Streit um das Erbe des Konzils. Bereits während des Konzils, vor allem aber nachkonziliar aufgrund eines gewissen ›Kompromisscharakters‹ der Texte des Konzils selbst entwickeln sich zwei Denkformen, die je unterschiedliche Ansatzpunkte, Methoden und damit auch Zielsetzungen des Konzils im Verhältnis zu seiner Vorgeschichte für sich in Anspruch nehmen. In jüngster Zeit hat man versucht, sie unter den Zuschreibungen einer ›Hermeneutik der Kontinuität‹ bzw. der ›Diskontinuität‹ voneinander abzugrenzen. Indes dürfte sehr schnell deutlich werden, wie sehr diese Zuschreibungen von der Beschreibung dieser ›Vorgeschichte‹ und ihrer Reichweite abhängen. Das Konzil bricht bewusst mit einer ›Monotonie des Katholischen‹ im Gefolge des konfessionellen Zeitalters. Freilich versteht es diesen formalen ›Bruch‹ als Wieder-Entdeckung des ursprünglich Katholischen im Sinne von ressourcement (Rückbesinnung) und aggiornamento (Öffnung). So erweisen sich die Alternativen ›Kontinuität‹ und ›Diskontinuität‹ als ambivalent. Indes weist gerade der Streit an dieser Stelle auf das Entscheidende hin. Ohne eine positive Wahrnehmung der nachreformatorischen Entwicklungen als Teil der eigenen Geschichte, die die katholische Reform als Frucht dieser Geschichte ernstnimmt und sie zugleich gerade aus diesen Erfahrungen heraus weiterdenkt, kann es kein Weitergehen geben. Die Annahme dieser Geschichte kann dabei auch die Gestalt der Narbe annehmen, die heilsam daran erinnert, wer man heute ist, weil man weiß, woher man kommt. Das Zweite Vatikanum sollte – so der in der Eröffnungsansprache am 11. Oktober 1962 von Papst Johannes XXIII. geäußerte Wunsch20 – ein Konzil der Einheit werden. Die20 Rede Papst Johannes’ XXIII. zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils am 11. Oktober 1962 Gaudet Mater Ecclesia, deutscher Text in: Herderkorrespondenz 17 (1962/63), S. 85-88.
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ses versteht er nicht im Sinne der gescheiterten Unionskonzilien des späten Mittelalters, sondern im Zentrum seiner Vision von Einheit steht die Idee, die katholische Kirche möge sich selbst so verändern, dass sie als eine erneuerte Wirklichkeit in den Blick kommt, mit der man gerne Gemeinschaft pflegt, weil sie partnerschaftlich zugewandt, offen ist und – für sich selbst werbend – zur Einkehr in die Einheit einlädt. Seien wir ehrlich: Wie ist das heute mit der Einladung der anderen zur Einkehr in eine Einheit, mit der wir zurzeit selbst schon genug zu tun haben, ja es uns immer schwerer fällt, diese Einheit selbst noch zu erkennen oder gar sichtbar zu machen? Vielleicht ist diese Frage der entscheidende Hinweis darauf, dass es aus katholischer Sicht beim Blick auf 2017 gar nicht so sehr um Sie, die anderen, die Evangelischen, sondern um uns selbst, um nichts weniger als um das Erbe des Konzils geht. Dann aber sind die Jahre 2015 und 2017 nicht nur eine Frage der Chronologie, sondern vielleicht ein göttlicher Wink mit dem Zaunpfahl!
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Zu den zentralen Aufgaben, denen sich die evangelischen Kirchen im Zuge des Erinnerns der Reformation vor dem Hintergrund der Ökumene zu stellen haben, gehört es, die Frage zu klären, wie die evangelischen Kirchen zur Vielgestaltigkeit der Konfessionen und ihrer Kirchentümer im Zusammenhang mit der Frage nach der Einheit der Kirche stehen. Diesbezüglich eine Klärung herbeizuführen, ist für die innerevangelische Identitätsvergewisserung von grundlegender Bedeutung – und um eine Identitätsvergewisserung geht es beim Erinnern der Reformation zumindest auch. Wir greifen das uns gestellte Thema der Pluralität im Folgenden so auf, dass wir nach dem Verhältnis von Vielheit und Einheit in seiner Bedeutung für das evangelische Kirchenverständnis fragen und dies im Gegenüber zum Selbstverständnis der römischen Kirche entfalten. Es gehört zur Natur der Sache, dass beiherspielend die Kriterien von Kirchengemeinschaft angesprochen werden. Dadurch bekommt das Thema von vornherein einen spezifischen Fokus. Es ist beispielsweise völlig klar, dass vor dem Hintergrund der weltweiten Ökumene noch einmal ganz andere Gesichtspunkte zu gewichten sind als im Gegenüber zur römischen Kirche. Andererseits ist es nun
1 Der Titel des Beitrags war der Referentin so vorgegeben. Für die gedruckte Fassung ist der Vortragsstil beibehalten.
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einmal hier vor Ort die römische Kirche, die nichts weniger als das Kirchesein der evangelischen Kirchen in Frage stellt und immer schon in Frage gestellt hat. Sie nötigt insofern die Evangelischen zu einer Identitätsvergewisserung im Kirchenverständnis, und man darf schon darin, dass sie das tut, einen wesentlichen Beitrag der römischen Kirche zum Reformationsjubiläum sehen. Sich darauf einzulassen, heißt freilich, darauf zu achten, dass man sich die Deutungsvorgaben nicht von der römischen Kirche oktroyieren lässt. Dies sei vor allem im Blick auf die Frage nach der Bedeutung des Bischofsamtes in apostolischer Sukzession für das Kirchesein von Kirche zunächst nur angemerkt; die Frage wird an späterer Stelle aufgegriffen. Wir setzen ein mit Ausführungen zum Selbstverständnis der römischen Kirche unter dem Titel »Die Eine und die Vielen«. Dem korrespondieren anschließend Ausführungen zum Selbstverständnis der evangelischen Kirchen unter der Überschrift »Die Vielen und die Eine«. Damit ist bereits die Aussageintention der jeweiligen Erläuterungen angezeigt. 1 Die Eine und die Vielen – das Verhältnis der römischen Kirche zu den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften Wie wird in der römischen Kirche – nach deren eigenen Prinzipien – das Verhältnis der Einen zu den Vielen sowie die Einheit der Kirche bestimmt? Kommen die Vielen überhaupt vor, und, wenn ja, wie kommen sie vor? Hierbei ist zunächst zu sehen und anzuerkennen, dass die katholische Kirche sich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil genau dieser Aufgabe gestellt hat: nämlich ihr Selbstverständnis als Kirche zu bestimmen und von daher nun auch die Vielen in den Blick zu nehmen, die außerhalb der römischen
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Kirche sind und »Teilkirchen«2 oder »kirchliche Gemeinschaften«3 heißen, wie das Zweite Vatikanum formuliert und wie weitere diesbezügliche Verlautbarungen Roms es noch nachdrücklicher wiederholt haben.4 In dieser Formulierung – dass es außerhalb der katholischen Kirche nur »Teilkirchen« bzw. nur »kirchliche Gemeinschaften« geben kann – drückt sich das Selbstverständnis der römischen Kirche sowie ihre Vorstellung von der Einheit der Kirche Jesu Christi aus. Dieses Selbstverständnis geht davon aus, dass die eine Kirche Jesu Christi in sichtbarer Gestalt in der katholischen Kirche bereits existiert. »Das katholische Ökumeneverständnis setzt [...] die in der Katholischen Kirche bereits gegebene Einheit [...] voraus«.5 Von dieser sich in der römischen Kirche manifestierenden Einheit her wird die teilweise gegebene communio mit den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften bestimmt, insofern diese »in einer abgestuften Weise an der Einheit und Katholizität der Katholischen Kirche partizipieren und in einer nicht vollen Gemeinschaft [...] mit ihr leben«.6 Das heißt, die katholische Kirche bringt ihre ei2
Die Kennzeichnung als Teilkirchen kommt den Kirchen zu, die die apostolische Sukzession und die gültige Eucharistie bewahrt haben. Vgl. Unitatis Redintegratio Nr. 14 und 15; sowie das Schreiben an die Bischöfe ad Communio Nr. 17. 3 Das sind diejenigen Gemeinschaften, in denen sich zwar »Elemente der Heiligung und der Wahrheit« finden (vgl. Lumen gentium Nr.8 und dazu das Folgende), denen aber aus römischer Sicht insbesondere das Amt in apostolischer Sukzession und die gültige Eucharistiefeier fehlen. 4 Dominus Jesus verschärft die Aussage von den kirchlichen Gemeinschaften, indem gesagt wird, dass Kirchen, die den »gültigen Episkopat und die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben«, »nicht Kirchen im eigentlichen Sinn« sind (a.aO., Nr. 17). 5 Vgl. Kurt Kardinal Koch, Ökumene im Wandel. Zum Zukunftspotenzial des Ökumenismusdekrets Unitatis redintegratio. Vortrag beim ÖkumeneSymposium an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien am 23. April 2012, inzwischen veröffentlicht in: Jan-Heiner Tück (Hg.), in: Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg i.Br., 2012, S. 335-369 (hier: 355). 6 Kurt Kardinal Koch, aaO., S. 338.
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genen Prinzipien so zur Geltung, dass ein gestuftes Kirchenverständnis im Blick auf die anderen möglich ist. Die vorgenommene Stufung wiederum ist letztinstanzlich gesteuert von der Frage des Vorhandenseins des Bischofsamtes in apostolischer Sukzession. Denn ein Sein der Kirche in der Wahrheit kann es nach römischer Auffassung ohne das Bischofsamt in apostolischer Sukzession nicht geben; und ebenso kann es die Eucharistie in ihrer Fülle – in, mit und unter der die Kirche auferbaut wird bzw. sich auferbaut7 – nicht geben ohne das Bischofsamt in apostolischer Sukzession. Dies wiederum heißt, dass das Bischofsamt in apostolischer Sukzession für das Kirchesein von Kirche schlechthin konstitutiv ist. Anders gesagt: Wo dieses fehlt, kann es keine wahre Kirche, sondern nur kirchliche Gemeinschaften geben. Wie gelangt das Konzil zu dieser geordneten Verhältnisbestimmung zwischen nichtkatholischen Kirchen und römischer Kirche? Schlechthin grundlegend hierfür ist Lumen gentium (LG) Nr. 8. Das Konzil betont hier die Bedeutung der sichtbaren Kirche für das Wesen der Kirche Jesu Christi, indem es formuliert: »Der einzige Mittler Christus hat seine heilige Kirche […] hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfasst und erhält sie als solches unablässig«.8 Daraufhin wird das Verhältnis zwischen der »mit hierarchischen Organen ausgestatteten Gesellschaft und dem geheimnisvollen Leib Christi«, zwischen »sichtbarer 7 Vgl. dazu besonders die Enzyklica Ecclesia de Eucharistia vom 17. April 2003. Sie setzt gleich in Nr.1 ein: »Die Kirche lebt von der Eucharistie.« Dem an der Eucharistie orientierten Selbstverständnis des Wesens der Kirche entspricht der Aufbau und die Durchführung des Zweiten Vatikanums, das mit der Konstitution über die heilige Liturgie einsetzt und von ihr her das Wesen der Kirche begreift, was in Lumen gentium dann insbesondere auf die Bedeutung des kirchlichen Amtes für das ursprüngliche Wesen der Eucharistie hin weitergeführt wird und im Ökumenismusdekret zu den entsprechenden Aussagen über die anderen Kirchen bzw. kirchlichen Gemeinschaften führt. 8 Lumen gentium 8.
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Versammlung und geistlicher Gemeinschaft« dahingehend bestimmt, dass sie eine »komplexe Wirklichkeit« bilden, »die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst«.9 Die Einheit beider – der irdischen Kirche und der mit himmlischen Gaben beschenkten Kirche – ist, so heißt es dann weiter, »die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen«.10 Dies wiederum wird in der Darlegung sogleich mit ihrer Leitung durch den Nachfolger des Apostels Petrus und die mit ihm Gemeinschaft habenden Bischöfe verbunden. In der Konsequenz formuliert das Konzil für die römische Kirche folgenden Selbstanspruch: »Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger des Petrus und den Bischöfen geleitet wird.«11 Es ist zutreffend, dass hier nicht mehr wie vormals »est« steht – also nicht mehr die katholische Kirche ist die Kirche Jesu Christi auf Erden –, sondern »subsistit in« – die Kirche Jesu Christi subsistiert unabhängig von anderen in der katholischen Kirche. Die Diskussion geht insofern darum, ob überhaupt ein und, wenn ja: welcher Unterschied mit dieser Formulierung in das Selbstverständnis der römischen Kirche eingebracht ist. Es ist angeraten, sich diesbezüglich nicht an eine vermeintlich mögliche, sondern die lehramtlich bekräftigte Auslegung zu halten.12 Diese betont entschieden, dass mit dem subsistit in keine Relativierung des Selbstanspruchs der römischen Kirche gemeint ist; diese verstehe sich vielmehr als diejenige Kirche, in der die Kirche Jesus Christi auf 9
Ebd. Ebd. 11 Ebd. 12 Vgl. bes.: Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte der Kirche als Communio, 28. Mai 1992, mit welchem die Glaubenskongregation zu »liberale« Lesarten des subsistit in die Schranken gewiesen hat. 10
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Erden verwirklicht sei, und kläre von diesem Selbstverständnis her das Kirchesein der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften außerhalb der römischen Kirche. Denn es lassen sich, so das Konzil, »außerhalb ihres Gefüges [des der römischen Kirche, Anm. der Autorin] mehrere Elemente der Heiligung und der Wahrheit […] finden«.13 Diese Elemente werden vom Konzil sogleich als solche charakterisiert, die »als der Kirche Jesu Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen«;14 bzw. sie werden als solche »Mittel zum Heil« verstanden, die sich »von der der katholischen Kirche anvertrauten Fülle der Gnade und Wahrheit herleite(n)«.15 Damit wird für die kirchlichen Gemeinschaften – und wir beschränken uns aus evangelischem Interesse auf diese16 – außerhalb der römischen Kirche festgestellt: »Alle diese Elemente tragen den Hinweis auf die Einheit in sich, in der sie ihre Fülle finden sollen«.17 Die besagten Formulierungen haben allesamt ihren Grund in dem Anspruch der katholischen Kirche, dass in ihr »die Fülle des Heils« bzw. »die Fülle der Heilsmittel« gegeben ist. »Die Elemente dieser bereits gegebenen Kirche existieren in ihrer Fülle in der katholischen Kirche und nicht in dieser Fülle in den anderen Gemeinschaften«.18 Somit muss es das Ziel der Ökumenischen Bewegung sein, dass »alle Christen zur selben Eucharistiefeier, zur Einheit der einen und einzigen Kirche versammelt werden«,19 womit diejenige Eucharistiefeier gemeint ist, die dem katholischen Amts- und Kirchenverständnis entspricht. Denn durch die Teilhabe an der katholischen Eucharistiefeier be13
Lumen gentium 8. Ebd. 15 Unitatis redintegratio 3. 16 Vgl. dazu oben Anm. 2. 17 Ut unum sint 14. 18 Ebd. 19 Unitatis redintegratio 4. 14
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kommen die Christen Anteil an der Einheit, »die Christus seiner Kirche von Anfang an geschenkt hat, eine Einheit, die nach unserem Glauben unverlierbar in der katholischen Kirche besteht«.20 An diesen Ausführungen wird die enge Verbindung zwischen Amt, Abendmahl und Kirche deutlich, die in der katholischen Kirche behauptet wird und auf die sichtbare Gestalt der Kirche Jesu Christi in der römisch-katholischen Kirche hin ausgerichtet ist. Dies ist keine neue Aussage der katholischen Kirche. Sie sagt hier – im Zweiten Vatikanischen Konzil – etwas, was sie im Grunde genommen immer schon gesagt hat. Sie sagt es nun aber dezidiert so, dass von diesem Selbstverständnis her die anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in den Blick genommen werden und eine Zuordnung der anderen vollzogen wird, nämlich in konzentrischen Kreisen, je nach ihrer Nähe zur katholischen Kirche. Demgemäß werden die durchaus zugestandenen Wahrheitsgehalte in den kirchlichen Gemeinschaften sowie der Grad von deren »Katholizität« auf der Grundlage des Selbstverständnisses der katholischen Kirche bestimmt und im Blick auf die sichtbare Einheit der Kirche die Vorstellung einer »organischen Union«21 vertreten. Diese Vorstellung von einer »organischen Union« geht davon aus, dass alles, was in gewisser Weise wahr ist, indem es wahr ist und die Wahrheit nur eine sein kann, an sich selbst zur Wahrheit in der Fülle, wie sie bereits in der katholischen Kirche subsistiert, »hindrängt« bzw. hindrängen sollte. Einheit der Kirche, Einheit des Bischofsamtes in apostolischer Sukzession, Einheit der Eucharistie und darin sich manifestierend die unsichtbare und sichtbare Ein20
Ebd. Zu diesem Begriff und dem damit verbundenen Verständnis von Ökumene auf der Grundlage des Ökumenismusdekrets vgl. Wolfgang Thönissen, Plädoyer für ein gestuftes Modell von Kirchengemeinschaft, in: Ders. (Hg.), »Unitatis Redintegratio«. 40 Jahre Ökumenismusdekret – Erbe und Auftrag, Frankfurt/Main 2005, S. 151-162. 21
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heit des Leibes Christi bilden für die römische Kirche einen unauflöslichen Zusammenhang. Wenn und insofern dieser Zusammenhang gegeben ist, kann auch die katholische Kirche eine legitime Vielgestaltigkeit von Riten und Gebräuchen etc. durchaus zugestehen.22 Auf der Grundlage dieses Verständnisses von Einheit der Kirche (und Einheit des Leibes Christi) vertritt die römische Kirche eine massive, in den letzten Jahren noch einmal verstärkte Kritik an der Vorstellung von Einheit in der und unter der Bedingung der Vielheit der Kirchen, wie sie durch die Leuenberger Konkordie bestimmt und von den der GEKE zugehörigen Kirchen praktiziert wird. Man kann durchaus sagen, dass die Leuenberger Konkordie und ihr Verständnis von Kirche und Kirchengemeinschaft ein »rotes Tuch« für die römische Kirche ist. Der Vorwurf gegen die Leuenberger Konkordie und ihre Konzeption von prinzipieller Vielheit in der Einheit lautet dahingehend, dass »im heutigen Protestantismus« die »Sicht eines additiven ekklesiologischen Pluralismus« vertreten und die sichtbare Einheit der Kirche »in der Addition aller vorhandenen Kirchentümer« gesehen werde.23 Mit diesem Vorwurf wird dem evangelischen Kirchenverständnis unterstellt, dass es im Grunde genommen nicht 22 Peter Neuner weist darauf hin, dass es im Zweiten Vatikanum 50mal Belege für den Terminus Einheit gibt und kaum Belege für den Terminus Vielfalt. Vgl. Peter Neuner, Einheit in der Vielfalt als ökumenisches Ziel?, in: Wolfgang Thönissen (Hg.), »Unitatis Redintegratio«. 40 Jahre Ökumenismusdekret – Erbe und Auftrag, Frankfurt/Main 2005, S. 169-184. Dennoch liegt die Pointe der Ausführung des Zweiten Vatikanums darin, den Grundsatz extra ecclesia nulla salus dahingehend zu transformieren, dass bei unveränderter Geltung des Selbstanspruchs der katholischen Kirche die anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in den Blick genommen werden, dies freilich so, dass ihr Kirchesein im Verhältnis der graduellen Nähe zur römischen Kirche und ausgerichtet am Vorhandensein des apostolischen Bischofsamtes und der gültigen Eucharistie bestimmt wird. Wenn dieses gegeben ist, wird eine legitime Verschiedenartigkeit in der Liturgie u.a. zugestanden. Vgl. bes. Ut unum sint, Nr. 50-61 zu dem Dialog mit den orientalischen Kirchen. 23 So Kurt Kardinal Koch im Anschluss an Walter Kasper, a.a.O., 355.
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über ein schlecht verstandenes rein ortsgemeindliches Prinzip hinauskommt und insofern auch die Einheit der Kirche lediglich als bloße Addition der einzelnen Vielen verstehe, kurzum: dass die Evangelischen die unterschiedlichen Kirchentümer überhaupt nicht auf eine wahrhafte Einheit der Kirche hin begreifen. 2 Besonderheit und Universalität der Ortsgemeinde: Die Ekklesiologie von Artikel VII der Confessio Augustana Dieser Auffassung ist zu widersprechen24 und mithin zu zeigen, dass und wie im Selbstverständnis evangelischer Kirchen, und zwar als konkreter Ortsgemeinden congregatio sanctorum und als unterschiedlicher Konfessionskirchen, zugleich die Dimensionen der Einheit und Universalität der Kirche unveräußerlich präsent sind. Genau dieses Zugleich von – abstrakt gesprochen – Besonderheit und Allgemeinheit im Kirchenverständnis gehört zum genuinen Selbstverständnis evangelischer Kirchen.25 Wir müssen, um dieses zu verdeutlichen, im Grunde genommen nur bedenken, was die Confessio Augustana in Artikel VII vom Wesen der Kirche sagt und was die Leu24 Ich greife hier nur diesen Punkt der Auseinandersetzung auf und gehe nicht bzw. nur beiläufig auf die Bedeutung des Glaubens für das Sein der Kirche ein. Die wahre Kirche versteht Melanchthon als die Gemeinschaft der wahrhaft Glaubenden und insofern konstituiert das Zum-Glauben-Kommen die Kirche, freilich gebunden an die media salutis, mithin die sichtbaren Kennzeichen der Kirche. 25 Insofern gilt für das evangelische Verständnis von Ortsgemeinde, dass sie strukturell als individuelles Allgemeines zu verstehen ist. Selbiges gilt auch vom individuellen Glauben, dass er ein zuhöchst individuierter und zugleich ein allgemeiner ist. Dies betont mit Recht Gunther Wenz, Kirche. Perspektiven reformatorischer Ekklesiologie in ökumenischer Absicht, Göttingen 2005, vgl. S. 58. Daraus erwachse, so Wenz, die Aufgabe darzulegen, »inwiefern der Glaube zwar den einzelnen zunächst vereinzelt – ihn, unvertretbar ihn selbst meint – und ihn doch zugleich mit allen anderen ... zuinnerst verbindet; wie also der Glaube einzeln und allgemein zugleich ist« (ebd.).
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enberger Konkordie für die Erklärung und Praktizierung von Kirchengemeinschaft umsetzt.26 Durch den Rückgriff auf CA VII schlagen wir einen systematischen und zugleich geschichtlichen Bogen zwischen dem Selbstverständnis der evangelischen Kirchen in der Reformationszeit und den evangelischen Kirchen der Gegenwart, sofern diese CA VII als für ihr Selbstverständnis als Kirche grundlegend erachten. Zudem wird damit etwas von demjenigen deutlich, was die evangelischen Kirchen auch über 2017 hinaus in die immer noch andauernde Reformation einzubringen haben: dass nämlich eine Reformation der Kirche sich zu orientieren hat an dem, was mit den Bestimmungen des Wesens der Kirche nach CA VII ausgedrückt ist. Wir konzentrieren uns auf CA VII, weil dieser Artikel – salopp gesagt – ekklesiologisch Karriere gemacht hat, indem sein Verständnis von Kirche die Basis innerevangelischer Verständigung und des evangelischen Modells von Kirchengemeinschaft als Einheit von Kirchen unter Anerkennung ihrer konfessionellen Besonderheiten bildet, wie es in den Kirchen der GEKE praktiziert wird. Wir gehen insofern weniger auf Luther selbst ein, könnten aber zeigen, dass Melanchthon in CA VII die ekklesiologischen Grundimpulse Luthers aufgreift und konsequent umsetzt. Wenn wir die Bestimmungen von CA VII bedenken, können wir zugleich diejenigen Aussagen einer Klärung zuführen, die bei der Behandlung unseres Themas nicht fehlen dürfen: dass die evangelischen Kirchen der Reformationszeit ihrem Selbstverständnis zufolge keine neue Kirche grün26 Vgl. Konkordie evangelischer Kirchen in Europa, hg. von Wilhelm Hüffmeier, Frankfurt/Main 1993, sowie den Text der Leuenberger Vollversammlung »Die Kirche Jesu Christi. Der reformatorische Beitrag zum ökumenischen Dialog über die kirchliche Einheit«, hg. v. Wilhelm Hüffmeier, 1995, 3. Aufl. Frankfurt/Main 2001, der in gelungener Weise CA VII ekklesiologisch Zug um Zug zur Geltung bringt. Nicht umsonst wird in der Einführung darauf hingewiesen, dass dieser Text auf evangelischer Seite dem nachzukommen sucht, was das Zweite Vatikanum für die katholische Kirche entfaltet hat, vgl. aaO., S. 9.
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den wollten, sondern eine Reform der Kirche – an Haupt und Gliedern – anstrebten. Die weitere Annahme ist mit der genannten eng verknüpft, nämlich, dass die Kirchen der Reformationszeit sich als Glieder der einen, heiligen, christlichen (als Übersetzung für katholisch) und apostolischen Kirche verstanden haben, wie sie im Glaubensbekenntnis bekannt wird. Wie sind diese vielfach zitierten Sätze zur Bestimmung des Selbstverständnisses der Kirchen der Reformationszeit zu verstehen? Implizieren sie, wie nicht selten und nicht nur von römischer Seite zu hören ist, dass die Reformation mit ihrem Grundanliegen eigentlich gescheitert sei angesichts der Spaltung der Kirche? Legen sie nicht das Urteil nahe, dass die Vielgestaltigkeit konfessioneller Kirchentümer eine empirisch zu konstatierende Tatsache darstellt; eine empirische Tatsache, die sich vornehmlich einer bestimmten historischen Konstellation verdankt, die mithin – unter der Bedingung einer »strengen Historisierung« – die im Übrigen nicht nur von vielen Historikern, sondern – und das muss hellhörig machen! vor allem von der katholischen Kirche eingeklagt wird – eben als eine historisch bedingte, insofern kontingente Ausdifferenzierung zu verstehen ist. Ist diese Vielgestaltigkeit somit eine Ausdifferenzierung, der ein theologischer Grund im strikten Sinne eigentlich fehlt und an der, wenn ein theologischer Grund eigentlich fehlt, auch nicht auf Biegen und Brechen festzuhalten wäre? Mit dieser letztgenannten Konsequenz werden die Probleme einer strengen Historisierung sowie der mit ihr verknüpfbaren Argumentationsstrategie deutlich: In dem Moment, wo die Reformation rein aus historischen Bedingungen heraus verstanden werden kann und soll, ist es ein Leichtes, sie als ein bloß kontingentes Ereignis zu begreifen, das lediglich durch die damals herrschenden, durchaus zugegeben miserablen Zustände in der katholi-
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schen Kirche bedingt ist; als ein Ereignis mithin, dem nur ein kontingenter, nicht jedoch ein bleibend zu wahrender Charakter zukommt. Demgegenüber ist bei aller Historisierung darauf zu insistieren, dass die Reformation im Kern theologisch motiviert und theologisch – ja geistbestimmt – initiiert war und dass die evangelischen Kirchentümer eine evangeliumsgemäße Verwirklichung der Kirche Jesu Christi auf Erden darstellen. Wir führen im Folgenden die genannten Einwände mit und kommen auf sie zurück, indem wir nun CA VII analysieren. Ich nehme die zentrale These, die eben bereits angedeutet wurde, vorweg: Die evangelischen Kirchen sollten die Einsicht stark machen, dass die Vielgestaltigkeit evangelischer Kirchentümer eine evangeliumsgemäße (!) Verwirklichung der Kirche Jesu Christi auf Erden darstellt. Diese These ist zum einen für die innerevangelische Verständigung von grundlegender Bedeutung, insofern nicht bei allen evangelischen Kirchen gleichermaßen Klarheit darüber herrscht, dass die Vielgestaltigkeit evangelischer Kirchentümer gewollt werden kann und soll. Wo wiederum diese Klarheit nicht in hinreichendem Maß gegeben ist, wird man leicht anfällig, nicht nur für die entsprechende Kritik von Rom an den Evangelischen, sondern auch für die von Rom geltend gemachten Kriterien für die Frage nach der sichtbaren Einheit der Kirche. Von daher ist die besagte These neben ihrer Bedeutung für die innerevangelische Identitätsvergewisserung auch für die ökumenische Verständigung zentral. Denn die Behauptung, dass die Vielgestaltigkeit der Kirchentümer die evangeliumsgemäße Verwirklichung der Kirche Jesu Christi auf Erden ist, wird von Rom grundsätzlich in Frage gestellt, wie es der Beitrag von Kardinal Koch in aller Deutlichkeit vor Augen führt.
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Überzeugend wiederum ist diese evangelische Auffassung nur, wenn sie nicht einfach unter dem Vorzeichen eines allgemeinen Lobes des Pluralismus daherkommt, sondern theologisch begründet wird. Dabei sind die Deutungsvorgaben, welche die römische Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil und dann, dessen Aussagen noch einmal verstärkend, durch mehrere lehramtliche Verlautbarungen27 geltend macht, aus exegetischer, kirchengeschichtlicher und systematischer Sicht einer Kritik zuzuführen.28 Diese Deutungsvorgaben suchen den Anspruch der römischen Kirche zu begründen, dass in ihr die im Glaubensbekenntnis bekannte eine und einzige katholische Kirche bereits »subsistiert«, insbesondere weil sie über die für das Sein der Kirche in der Wahrheit (aus ihrer Sicht) konstitutive Ämterhierarchie verfügt. Demgegenüber ist festzuhalten: Es gibt im Neuen Testament und der frühen Kirche nicht die eine sichtbare Kirche und die eine und zeitinvariante Form der Ausübung des apostolischen Dienstes. Vielmehr gibt es die vielen Kirchen und eine vielfache Ausgestaltung der Wahrnehmung des apostolischen Dienstes. Insofern kann man beherzt die Auffassung vertreten, dass der Grund der Kirche – Jesus Christus selber – so der Grund seiner Kirche ist, dass er die Einheit seiner Kirche nur in der Vielheit der Kirchen und der Vielheit ihrer Dienste konstituiert.
27 Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte der Kirche als communio vom 28. Mai 1992; sowie Enzyklika Ut unum sint über den Einsatz für die Ökumene vom 25. Mai 1995 und die Erklärung Dominus Jesus. Über die Einigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche vom 6. August 2000. 28 Vgl. dazu die vom Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK) erarbeiteten Beiträge, die veröffentlicht sind in: Theodor Schneider / Gunther Wenz (Hg.), Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge, 3 Bde, Freiburg i.Br. 2004-2008.
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3 Die Vielen und die Eine. Was sagt CA VII über das Selbstverständnis evangelischer Kirchen? Die Vielheit der evangelischen Kirchen ist nach reformatorischer Auffassung keine in sich unbestimmte, bunte Vielfalt. Sie hat nach reformatorischer Überzeugung klare Kennzeichen, die gegeben sein müssen, wenn von der wahren Kirche Jesu Christi in sichtbarer Gestalt gesprochen werden soll. Diese Kennzeichen hängen unveräußerlich damit zusammen, dass und wie der Grund der Kirche – Jesus Christus selber – in seiner Kirche gegenwärtig sein will, nämlich durch die reine Verkündigung des Evangeliums und die rechte Verwaltung der Sakramente, indem es durch sie kraft des Heiligen Geistes dazu kommt, dass Glauben gewirkt wird. Insofern ist die Kirche proprie dicta die Versammlung der wahrhaft Glaubenden (congregatio sanctorum et vere credentium),29 nämlich derer, die »ihres Hirten Stimme hören«,30 welche sich ihnen durch die Verkündigung des Evangeliums und die rechte Sakramentsverwaltung vergegenwärtigt und sie kraft des Heiligen Geistes zu heiligen Gläubigen und so zur Kirche macht. Wiewohl die Kirche als Versammlung der wahrhaft Glaubenden verborgen ist, weil man in das Herz des Menschen nicht sehen kann, ist sie keine unsichtbare Größe, keine civitas platonica, wie Melanchthon beharrlich unterstreicht.31 Sie ist es deshalb nicht, weil sie an das Wort 29
CA VIII, BSLK, S. 62, Z. 2-3. Schmalkaldische Artikel, BSLK, S. 459, Z.22. 31 Vgl. Apologie zu CA VII, BSLK, S. 234, Z. 28 – 235, Z. 6: »Aber die christliche Kirche stehet nicht allein in Gesellschaft äußerlicher Zeichen, sondern stehet furnehmlich in Gemeinschaft inwendig der ewigen Güter im Herzen, als des heiligen Geistes, des Glaubens, der Furcht und Liebe Gottes«. Melanchthon betont jedoch in demselben Zusammenhang sogleich, »dieselbige Kirche hat doch auch äußerliche Zeichen, dabei man sie kennet, nämlich wo Gottes Wort rein gehet, wo die Sakrament demselbigen gemäß gereicht werden, da ist gewiß die Kirche, da sein Christen und dieselbige Kirche wird allein genennet in der Schrift Christus Leib.« 30
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der Verkündigung und die rechte Sakramentsverwaltung gebunden ist, ja, dort als verborgen anwesend geglaubt wird, wo im Raum der Kirche die Verkündigung des Evangeliums und die rechte Sakramentsverwaltung geschehen. Wenn die Kennzeichen der reinen Evangeliumsverkündigung und der rechten Sakramentsverwaltung gegeben sind, sind nach evangelischer Überzeugung diejenigen Bedingungen gegeben, eine Kirche als wahre Kirche Jesu Christi anzuerkennen und mit ihr in Kirchengemeinschaft, was die Abendmahlsgemeinschaft einschließt, zu treten. Theologisch prägnant und durchaus bereits im Sinne eines differenzierten Konsenses zu verstehen, hat Melanchthon festgehalten, dass dies genug sei zur Einigkeit der christlichen Kirchen – das einschlägige satis est aus CA VII: »Dann es ist gnug zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirchen, daß da einträchtiglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakramente dem gottlichen Wort gemäß gereicht werden.«32 Melanchthon fügt sogleich hinzu, es sei »nicht not zur wahren Einigkeit der christlichen Kirche, daß allenthalben gleichformige Ceremonien, von den Menschen eingesetzt, gehalten werden.«33 Dies letztere gehört zu dem, was der Gestaltung durch Menschen anheimgestellt ist (ich komme darauf zurück). Dass es Melanchthon mit dieser grundevangelischen Bestimmung des Wesens der Kirche zugleich um die Einheit der Kirche geht, macht sein Verweis auf Eph 4,5-6 am Schluss von CA VII deutlich. Melanchthon erhebt dezidiert den Anspruch, dass die evangelische Bestimmung des Wesens der Kirche, nämlich die um Wort und Sakrament versammelte Gemeinde, konsequent das einholt, was im Neuen Testament von der Einheit der Kirche gesagt wird: »Ein Leib, ein Geist, ein Herr, ein Glaub, ein Tauf«. Noch ein32 33
CA VII, BSLK, S. 61, Z. 8-12. CA VII, BSLK, S. 61, Z. 12-16.
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mal: Der eine Leib, der eine Geist, der eine Herr, der eine Glaube, die eine Taufe, dies alles wird durch die evangelische Bestimmung der Kirche allein durch die beiden notae ecclesiae eingeholt. Deshalb gilt: satis est – diese Kennzeichen genügen zur Einigkeit der christlichen Kirchen. Von der so bestimmten Kirche – die nach diesen notae verstanden ist – sagt Melanchthon am Anfang von CA VII, sie sei diejenige, von der gelehrt werde, »dass alle Zeit musse ein heilige christliche Kirche sein und bleiben«.34 In diese Kirche, die »heilige christliche Kirche, die ewiglich bleiben wird«, stellen sich die evangelischen Kirchen ein bzw. wissen sich eingestellt, indem sie diese beiden notae ecclesiae als zum Wesen der Kirche gehörig ansehen. Die notae gewähren das Sein der einen Kirche Jesu Christi in der Wahrheit. Sie führen die Wesensattribute der Kirche, wie sie im Credo bekannt werden, mit sich, indem durch sie Jesus Christus selber der Grund der una, sancta, catholica et apostolica ecclesia ist. Es ist insofern durchaus zutreffend, wenn gesagt wird, dass Melanchthon diesen Artikel, in dem er das Spezifische evangelischen Kirchenverständnisses festhält, auch ohne weiteres mit »de vera unitate ecclesiae« hätte überschreiben können,35 mithin das Evangelische mit dem wahrhaft Katholischen ineins führt. Mit dieser Bestimmung des Wesens der Kirche drücken die evangelischen Kirchen aus, dass die Kirche wahre Kirche Jesu Christi ist, in und durch diejenigen Vollzüge, durch welche der auferweckte Gekreuzigte seine Gegenwart zum Heil der Glaubenden verheißen hat und durch den Geist Glauben wirkt. Durch die Vollzüge der Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung ist Jesus Christus 34
CA VII, BSLK, S. 61, Z. 1-3. So Gunther Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Bd. 2, Berlin / New York.1998, S. 303. Nach Wenz umschreibt das ekklesiologische Attribut der Einheit »den eigentlichen Scopus der Kirchenlehre der Augustana« (ebd.). 35
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selbst in der Kraft des Heiligen Geistes der Grund der Kirche sowie ihrer Einheit. Genau dies halten die evangelischen Kirchen fest: Indem sie die Verkündigung des Evangeliums und die rechte Sakramentsverwaltung als für das Sein der Kirche konstitutiv erachten, lassen sie Jesus Christus selbst den Grund der Kirche und ihrer Einheit sein. Anders gesagt: Die Einheit der Vielheit christlicher Kirchen gründet und manifestiert sich in der Einheit der Evangeliumsverkündigung und der Sakramentsverwaltung, weil in und durch sie der Auferstandene selber die Kirche zur Kirche macht und die Einheit der Vielen zum Leib Christi konstituiert. Evangelisches Kirchenverständnis geht insofern davon aus, dass die beiden Kennzeichen der wahren Kirche genug und für sich hinreichend sind für das Kirchesein von Kirche. Ort dieses Geschehens ist die im Wort und Sakrament versammelte Ortsgemeinde. Sie ist voll und ganz Kirche, wenn auch nicht die ganze Kirche, d.h. nichts weniger als dies: dass die konkrete Ortsgemeinde die primäre Verwirklichung der katholischen Kirche ist – durch den Grund der Kirche selbst konstituierte Vielheit pur sozusagen. Jedoch, das müssen wir nun noch einmal besonders unterstreichen, eine Vielheit, die den universalkirchlichen Bezug von ihrem Selbstverständnis her in jeder Ortsgemeinde mit sich führt. Darin waren sich die evangelischen Konfessionskirchen der Reformationszeit einig und haben dem in ihren jeweiligen Bekenntnisschriften entsprechenden Ausdruck verliehen.36 Es schiene mir im Horizont der Ökumene und besonders gegenüber der römischen Kirche unklug, auf die Vielgestaltigkeit evangelischer Kirchentümer abzustellen, ohne zugleich den Anspruch zu benennen, dass die reformatorischen Kir36 Die reformatorischen Bekenntnisschriften drücken den universalkirchlichen Bezug auch dadurch aus, dass sie die altkirchlichen Symbola rezipieren und sich so in die eine, apostolische Kirche hineinstellen.
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chen von ihrem Selbstverständnis her den universalkirchlichen Bezug immer schon mitführen. Insofern ist es eine genuine Aufgabe evangelischer Ekklesiologie, in Theologie und Kirche diesen Bezug auf die eine und allumfassende Kirche an den einzelnen Grundvollzügen der Kirche aufzuzeigen. Namentlich ist das Abendmahl, wiewohl in seinem Zentrum die Zueignung der Heilsgabe an den individuellen Einzelnen und deren persönliche Aneignung im Glauben steht, zugleich Darstellung der durch die Gegenwart Jesu Christi ermöglichten Gemeinschaft der am Mahl Teilnehmenden untereinander sowie der Verbundenheit mit dem Leib Christi an allen Orten und zu allen Zeiten. Wenn dies als der Grundgehalt evangelischen Abendmahls festgehalten ist, dann müsste erst noch formuliert werden, was dem Katholiken daran noch fehlen sollte. Und damit kommen wir zu einem letzten Aspekt, den wir zu betrachten haben und der wieder zurückführt zu unseren Ausführungen zum katholischen Selbstverständnis von Kirche und ihrer Einheit: die Frage des Amtes. Letztlich hängt in der Auseinandersetzung mit der römischen Kirche alles an der Klärung des Amtsbegriffs. Dass es das Amt der öffentlichen und geordneten Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung braucht, damit Einzelne zum Glauben kommen und der Glaube der Christenmenschen in der Gemeinde erhalten und genährt wird, ist unter den Kirchen der GEKE unumstritten. Das Amt gehört, so wird unter Rückgriff auf CA V gesagt, zum Sein der Kirche. Es ist damit deutlich, dass das Amt von seiner Dienstfunktion für die Grundvollzüge der Kirche her verstanden wird. Auch die Notwendigkeit der Episkopé ist in den evangelischen Kirchen (VELKD, EKD, GEKE) nicht strittig. Ihre spezifische Ausgestaltung indes ist nach evangelischer Überzeugung der Kirche nicht in zeitinvarianter Weise vorge-
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geben, worauf wiederum die katholische Kirche insistiert, indem sie die apostolische Sukzession im historischen Bischofsamt als konstitutiv für das Kirchesein von Kirche ansieht.37 Mehr als diese beiden genannten Aussagen müssen für das reformatorische Verständnis der Kirche und ihrer Ämter nach meinem Dafürhalten nicht festgehalten werden. Im Blick auf das Amtsverständnis bedarf es unter den Vielen der Übereinstimmung: Zum einen, dass es um willen des den Glauben konstituierenden und ihn nährenden und erhaltenden Geschehens ein Amt der öffentlichen Verkündigung braucht. Zum andern, ich zitiere die Leuenberger Kirchenstudie, »dass die besondere Gestalt sowie die Strukturen des Amtes und der Kirche in den Bereich der legitimen geschichts- und ortsgebundenen Vielfalt [gehören].«38 Und daraus folgt: »Diese Vielfalt stellt die Kirchengemeinschaft nicht in Frage. Sie bedarf jedoch der steten theologischen Überprüfung am Ursprung und an der Bestimmung der Kirche, damit sie eine legitime Verschiedenheit bleibt.«39 In der Frage der Ämtertheologie darf mithin eine geordnete Entspanntheit herrschen. Indem die Kirchen der GEKE nicht eine bestimmte zeitinvariante Form der Ausgestaltung des Amtes als konstitutiv für die Kirche erachten und diese mithin auch nicht als Bedingung für Kirchengemeinschaft ansehen, können sie auf der Grundlage der prinzipiellen Anerkennung unterschiedlicher Gestaltungsformen des Amtes der Episkopé einerseits sagen, dass die apostolische Sukzession im historischen Bischofsamt nicht als notwendiges Moment sichtbarer Einheit der Kirche angese37 Dies gilt auch für die Kirchen der Wittenberger Reformation, die das Bischofsamt und die Praxis der bischöflichen Ordination zwar als eine sinnvolle, jedoch nicht als schlechthin notwendige und unter allen Umständen zu wahrende Ordnung gesehen haben. 38 Die Kirche Jesu Christi. Der reformatorische Beitrag zum ökumenischen Dialog über die kirchliche Einheit, 4. revidierte Auflage Leipzig 2012, S. 70. 39 Ebd.
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hen wird. Andererseits wird auch nicht bestritten, dass die apostolische Sukzession der Bischöfe ein sinnvolles Zeichen der Apostolizität der Kirche sein kann, wo es praktiziert wird – wie bei den skandinavischen Lutheranern und den Anglikanern – was für den innerevangelischen Diskurs von grundlegender Bedeutung ist. Damit setzen die Kirchen der GEKE das um, was sie als das reformatorische Verständnis von Kirche ansehen und was dem neutestamentlichen Zeugnis entspricht. Epilog Wir haben mit unseren Ausführungen darauf abgestellt, dass die – über die notae ecclesiae durchaus geordnete – Vielgestaltigkeit der evangelischen Kirchen eine theologisch legitime, weil evangeliumsgemäße Verwirklichung der Kirche Jesu Christi ist. Der Grund der Kirche selber konstituiert eine Vielheit der Kirchen und verbindet diese zugleich zur Einheit untereinander. Die so begründete Vielheit ist mithin keine bloß additive Vielheit. Vielmehr liegt darin der spezifische Charakter des Wirkens des Geistes Jesu Christi, dass er dort, wo er wirkt, mithin in allen Vollzügen der Kirche (Glaube, Taufe, Abendmahl, Gemeinde) die Einzelnen zuhöchst individuiert, sie zugleich zur Gemeinschaft untereinander verbindet und auf die Gemeinschaft des einen Leibes Christi an allen Orten und zu allen Zeiten hin ausrichtet, und zwar so, dass er sie in dieser Ausrichtung auf die Einheit des Leibes Christi hin zugleich als zuhöchst Individuierte bewahrt. Damit erst ist ein Verständnis von »Pluralität« erreicht, das evangelisch zu heißen verdient.
»Unterschiedliche Konstruktionsprinzipien« – Problem und Lösungsansatz im ökumenischen Dialog Christoph Schwöbel 1 Streiflichter: Sehnsucht nach Einheit und kreative Kontraste Wer sich über den ökumenischen Dialog im Kontext des Reformationsjubiläums Gedanken macht, konnte in den vergangenen Tagen erleben, wie durch zwei Streiflichter gleich zwei wichtige Aspekte dieses Zusammenhangs beleuchtet worden sind. Das eine war der Aufruf Ökumene jetzt von prominenten Vertretern des öffentlichen Lebens, am 5. September 2012 publiziert, in dem als Kernsatz formuliert wird: »Weil uns Gott in der Taufe Gemeinschaft mit Jesus Christus geschenkt hat, sind Getaufte als Geschwister miteinander verbunden. Sie bilden als Volk Gottes und Leib Christi die eine Kirche, die wir in unserem Credo bekennen. Deshalb ist es geboten, diese geistliche Einheit auch sichtbar Gestalt gewinnen zu lassen«.
Wer den Aufruf gelesen hat, wird einen nicht überhörbaren theologie- und kirchenleitungskritischen Ton darin vernommen haben. Es erscheint hier so, dass das gegenwärtige Tempo der ökumenischen Verständigung theologisch eher verlangsamt wird und durch die Kirchenleitungen auch nicht genügend vorangebracht wird. Wir sind also beide, Kirchenleitungen und wissenschaftliche Theologie, betroffen von dem, was der Aufruf Ökumene jetzt als gegenwärtige Situation diagnostiziert.
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In einem schönen Kontrast dazu konnte man in dem Interview, das Martin Walser am 6. September (also einen Tag nach der Veröffentlichung des Aufrufs Ökumene jetzt) zu seinem Roman »Das dreizehnte Kapitel«1 der Sendung »Kulturgespräch« (SWR 2) gegeben hat, noch einmal eine Betonung der Verschiedenheit und der Lust am kreativen Kontrast zwischen Katholischem und Evangelischem vernehmen. Walser sagte: »Verglichen mit dem Evangelischen ist unsere katholische Religion ein Kindergarten, eine liebe, gesellige, bunte, frohe Veranstaltung. Wirklich Radikales findet man nur in evangelischen Traditionen: Luther, Karl Barth, nicht zu vergessen Nietzsche. Das alles ist evangelisch. Da durfte ich auch einmal von der Denkradikalität der Daseinsentschlossenheit, der Risikobereitschaft erzählen.«
Walser tut das, indem er in diesem Roman die Liebesgeschichte zwischen dem katholischen Schriftsteller Basil Schlupp und der evangelischen Theologin Maja Schneilin, einer Schülerin Karl Barths, im Austausch von Briefen und E-mails erzählt. Man merkt: Es können in unserer Gesellschaft die Betonung der Sehnsucht nach Einheit auf der einen Seite und die Lust am kreativen Kontrast der Konfessionen auf der anderen Seite nebeneinander existieren. Zum Beispiel dann, wenn jemand, der in einem katholischen Milieu groß geworden ist, sagt: »Der Roman erlaubt es mir, einmal in die Rolle der anderen Tradition zu schlüpfen.« Und siehe da, man entdeckt eine Denkradikalität der Daseinsentschlossenheit und Risikobereitschaft, Möglichkeiten, die dem Autor als Katholiken in seiner eigenen Tradition so ohne weiteres gar nicht offen stehen. Ob Walser mit dieser Kontrastierung Recht hat, ist eine andere Frage. Es lohnt jedenfalls, das mir gestellte Thema der »Unter1
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schiedlichen Konstruktionsprinzipien. Problem und Lösungsansatz im ökumenischen Dialog« auch in diesem weiteren Zusammenhang der Wahrnehmung des konfessionellen Kontrastes und der Sehnsucht nach Einheit zu sehen. 2 Unterschiedliche Konstruktionsprinzipien Dieses Stichwort ist von keinem Geringeren als Josef Ratzinger schon in den achtziger Jahren im Zusammenhang seiner Erwägungen zu einer theologischen Prinzipienlehre in die Diskussion gebracht worden. Ratzinger schreibt im Vorwort zu seiner »Theologischen Prinzipienlehre. Bausteine zu einer Fundamentaltheologie«: »Zu den wesentlichen Folgen des II. Vatikanischen Konzils für die Theologie zählt es, daß ihr Denken und Sprechen nun durchgehend auf die ökumenische Dimension verwiesen ist: So sehr es zunächst aus dem Inneren der kirchlichen Überlieferung schöpfen muß, so wenig kann es daran vorbeigehen, daß andere Weisen der Entfaltung des christlichen Erbes bestehen, die ihm als Frage aufgegeben sind. Diese Situation der Theologie bringt es mit sich, daß bei aller sich immer noch ausweitenden Vielfalt ihrer Themen die Strukturfragen, die Fragen nach den Konstruktionsprinzipien des Ganzen, unabweislich in den Vordergrund drängen.« 2
Das Stichwort der Konstruktionsprinzipien deutet daraufhin, dass es in den unterschiedlichen kirchlichen Lehrgestalten und theologischen Konzeptionen innerhalb einer 2 Joseph Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre. Bausteine zur Fundamentaltheologie, München 1982, 5. In diesem Werk wird der Vergleich der Konstruktionsprinzipien nicht nur im Gegenüber der theologischen Traditionen, etwa in der Auseinandersetzung mit den Theologien der Ostkirchen und der reformatorischen Theologie, sondern auch in der kritischen Diskussion römisch-katholischer Theologie wie z.B. der Karl Rahners vorgenommen.
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Tradition und erst recht im Gegenüber der Traditionen, wie z.B. der römisch-katholischen und der evangelischen Tradition, Konstruktionsprinzipien gibt, die die einzelnen Lehraussagen miteinander und diese in ihrem Zusammenhang mit ihrem Grund verbinden. Die Frage nach den Konstruktionsprinzipien hat zur Konsequenz, dass die Fragen der ökumenischen Theologie als Fragen der Fundamentaltheologie zu behandeln sind, als Fragen nach dem Grund und Gegenstand des Glaubens. Gehörte für Ratzinger 1982 die Frage nach den Konstruktionsprinzipien zur »ökumenischen Dimension« der Theologie, die sich für die römisch-katholische Theologie als Folge des Zweiten Vatikanum präsentierte, so hat sich dieser Anlass heute, nahezu 50 Jahre nach Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils noch einmal aktualisiert. Zum aktuellen Anlass der Frage nach den »Konstruktionsprinzipien« der Lehrtraditionen gehört auch die Reflexion auf die Gründe für die Strittigkeit bzw. Unwirksamkeit von Formen ökumenischer Verständigung, die sich auf Fragen der »Übereinstimmung« zwischen den Lehraussagen der Kirchen konzentrieren. Die Frage nach den »Konstruktionsprinzipien« geht über die Vereinbarkeit der Lehraussagen und ihre Formulierung in Konsensaussagen hinaus und zielt auf die Klärung des Verhältnisses von Lehraussage (dictum), Lehrintention (intentio) und dem Gegenstand der Lehre (res). Die Ausrichtung der ökumenischen Verständigung auf die Konstruktionsprinzipien beinhaltet die kritische Überprüfung, ob und in welchem Maße in den Lehrtraditionen – möglicherweise in durchaus unterschiedlichen Konstruktionen – dieselbe Sache zur Sprache gebracht wird, um auf diese Weise die Angemessenheit der Lehraussagen und ihre referentielle Vereinbarkeit zu reflektieren. Die Reflexion auf die Konstruktionsprinzipien antwortet also auf ein Problem. In diesem Sinne ist diese Formulierung auch von evangelischen Theologen aufgenommen worden: Was bedeutet es, wenn festgestellte Übereinstim-
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mungen in den Lehraussagen trotzdem wirkungslos bleiben? Worin liegt es eigentlich begründet, dass ein festgestellter Konsens von keiner der beiden Traditionen unproblematisch aufgenommen werden kann? Die schwierige, oftmals noch ausstehende Rezeptionsgeschichte von vielen Dokumenten ökumenischer Übereinstimmung in der römisch-katholischen Kirche – und ich würde denken, auch die zu mindestens partielle Wirkungslosigkeit der »Gemeinsamen Offiziellen Feststellung über die Rechtfertigungslehre« (GOF) – sind Anlass zu überlegen, welche Konstruktionsprinzipien es eigentlich sind, die solchen Konsensformulierungen zu Grunde liegen oder zu mindestens zu Grunde liegen müssten. Damit werden fundamentale, aber auch ganz elementare Fragen der Hermeneutik virulent: In welchem Verhältnis steht die Aussage (die propositio, das dictum) eigentlich zu den Absichten, die damit geäußert werden? Schaut man sich die reiche Kommentarliteratur zum Zweiten Vatikanum an, dann bewegt sich gerade die von Peter Hünermann und Bernd-Jochen Hilberath herausgegebene große Kommentierung des Zweiten Vatikanums vorrangig auf dieser Ebene.3 Im Rückgang auf die Konzilsprotokolle versucht man hier deutlich zu machen, dass das, was an unterschiedlichen dicta im Text steht, zu erklären ist aus den intentiones der an der Diskussion beteiligten unterschiedlichen Gruppen. Diese intentiones wiederum lassen sich aus den unterschiedlichen Vorlagen rekonstruieren. Absicht, Interesse und die Aussage selbst werden so miteinander ins Verhältnis gesetzt. Bei diesem Vorgehen allerdings bleibt es auch in der Kommentierung des Zweiten Vatikanums bei einer gewissen Unentscheidbarkeit. Welche Intention gibt eigentlich die richtige Beziehung zur Sache wieder? Müssen wir nicht weiter fragen: Wie ist diese Intention auf 3 Peter Hünermann / Bernd-Jochen Hilberath (Hrsg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Freiburg u.a. 2009.
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die Sache gerichtet? Und noch deutlicher: Was lässt die Sache an möglichen Intentionen zu, die dann die dicta motivieren? Mit dieser Verflechtung ist eine alte Frage der Hermeneutik angesprochen, die sich bis in die erste Hermeneutik im 17. Jahrhundert, Dannhauers »Idea boni interpres« (1630), zurückverfolgen lässt. Im Zusammenhang der ökumenischen Verständigung muss diese – an sich klassische und gar nicht originelle – Frage gestellt werden, um zu überprüfen, ob in den Verständigungen der unterschiedlichen Traditionen eigentlich über dieselbe Sache geredet wird, oder ob wir möglicherweise über etwas anderes reden. Falls letzteres der Fall ist, ist ein in den Gesprächen erreichter Konsens nicht viel wert. Es muss also geklärt werden, dass die Aussage und die Sache vermittelt durch die intentio zusammen passen können. Gleichzeitig muss gefragt werden: Gibt es eine referentielle Vereinbarkeit, also eine Vereinbarkeit im Bezug auf die Sache auch in solchen Formulierungen, die nicht dieselbe Terminologie benutzen und anscheinend also unterschiedliche Standpunkte zu einer Sache darstellen? Könnte es sein, dass sich hinter der Verschiedenheit von Lehraussagen eine Einheit des Sachbezuges verbirgt? Gibt es eine referentielle Vereinbarkeit unterschiedlicher Lehraussagen? 3 Eine Hermeneutik der Referenz Ich verwende hier den Ausdruck »Referenz« dem großen Logiker Gottlob Frege folgend, der in seiner berühmten, für die Entwicklung der Logik höchst wichtigen Studie »Über Sinn und Bedeutung«4 die Bedeutung, die Referenz, 4 Gottlob Frege, Über Sinn und Bedeutung (1892), in: Ders., Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien, herausgegeben und eingeleitet von Günther Patzig, 5. Aufl. Göttingen 1980, 40-65. Frege formuliert folgendermaßen: »Es liegt nun nahe, mit einem Zeichen (Namen, Wortverbindung,
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am Beispiel des Planeten Venus illustriert, der sowohl »Morgenstern« wie »Abendstern« heißen kann. Es sind keine unterschiedlichen Sterne, sondern es ist ein und derselbe Planet. Die Frage nach Bedeutung und Sinn, nach dem Gegenstandsbezug und der Art und Weise des Gegebenseins eines Gegenstandes darf in den Prozessen der ökumenischen Verständigung nicht ausgeklammert werden. Damit stellt sich aber gleichzeitig die Frage: Ist diese Sache, um die es geht, eigentlich eine einheitliche oder steht die Sache (res) im Plural, ist sie also vieles Unterschiedliches, was dann auch in unterschiedlicher Weise aneinander gereiht werden kann, weil es kein eigenes Prinzip des Zusammenhanges hat? Oder gibt es das gerade in der Lehre der Kirche nicht, weil die Vielfalt der Formulierungen immer die Frage nach der zugrundeliegenden Einheit, nach dem Wurzelgrund dieser Aussagen, ihrer Begründung in der Sache stellt? Schon bei Frege kann man nachlesen, dass mit der Referenz der Wahrheitswert einer Aussage auf dem Spiel steht.5 Eine an den Konstruktionsprinzipien ausgerichtete ökumenische Hermeneutik der Referenz geht über eine ökumenische Konsenshermeneutik ebenso hinaus wie über eine Hermeneutik der Differenz. Sie bietet durch die Offenlegung der Konstruktionsprinzipien der Lehrtraditionen nicht nur die Chance, die Probleme von konsens- und differenzhermeneutischen Zugängen zu erkennen, sondern auch die Möglichkeit, den Ort und die Funktion von Konsensen und von tragbaren oder untragbaren Differenzen zu bestimmen. Ich will an dieser Stelle nicht noch einmal ausführlich auf die relativ umfangreiche Kritik an der Vorstellung eines difSchriftzeichen) außer dem Bezeichneten, was die Bedeutung des Zeichens heißen möge, noch das verbunden zu denken, was ich den Sinn des Zeichens nennen möchte, worin die Art des Gegebenseins enthalten ist ... Es würde die Bedeutung von »Abendstern« und »Morgenstern« dieselbe sein, aber nicht der Sinn.« (41) 5 »So werden wir dahin gedrängt, den Wahrheitswert eines Satzes als seine Bedeutung anzuerkennen.« (A.a.O., 48)
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ferenzierten Konsenses eingehen, sondern nur auf drei grundlegende Probleme hinweisen, die mit jedem differenzierten Konsens verbunden sind und die mit der Frage der Rezeption aufs engste zusammengehören: 1. Das erste Problem, das in der »Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre« (GER) in der Formulierung »Konsens in Grundwahrheiten« selbst angesprochen ist, ist die Frage der Vollständigkeit des Konsenses. Ist es möglich einen Konsens so zu beschränken, dass man sagen kann: Wir haben einen Konsens über die »Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre« erreicht, aber das schließt explizit einen Konsens über die Frage der Kirche, des Amts und alles dessen aus, was in der GER in einer langen Liste aufgeführt wird. 2. Die Frage der Vollständigkeit des Konsenses deutet auf das zweite Problem hin: Die einzelnen Konsensaussagen müssen in einem inneren Zusammenhang stehen. Das gilt gerade für das Thema der Rechtfertigungslehre. Hier zeigt sich sofort der produktive Gehalt der Frage nach den unterschiedlichen Konstruktionsprinzipien. Der Rechtfertigungsartikel ist nach evangelischem Verständnis der articulus stantis et cadentis ecclesiae, das Lehrstück, das über Sein oder Nichtsein der Kirche entscheidet. Auf alle Fälle hat er eine die Kohärenz des Gesamtzusammenhangs der Lehre bestimmende Funktion. Jedenfalls muss man sagen, dass der Rechtfertigungsartikel explizit spätestens seit dem 19. Jahrhundert als Kohärenzprinzip der evangelischen Lehre verstanden worden ist, während im römisch-katholischen Lehrzusammenhang Rechtfertigung ein Teilproblem der Gnadenlehre ist. Die Gnadenlehre aber ist einzuordnen in den Gesamtzusammenhang der Lehraussagen, der sich an der Reihenfolge der Lehraussagen in den klassischen ökumenischen Konzilen der Alten Kirche orientiert. In diesem Zusammenhang hat die Frage der Gnadenlehre – oberflächlich zumindest keine prononcierte Funktion. Damit wer-
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den die Debatten verständlich, die vor und nach der Unterzeichnung der GOF geführt worden sind: Auf der einen Seite der Protest der evangelischen Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen, der im wesentlichen darauf abzielt, dass der Zusammenhang des Rechtfertigungsartikels mit dem Gesamtzusammenhang des evangelischen Glaubens in der GER nicht hinreichend beachtet worden ist und dass es aus diesem Grunde zu Verzerrungen in den Lehrformulierungen kommt. Auf der anderen Seite die römische Note vom 28. Juni 1998, in der die zentrale Bedeutung des cooperatio-Gedankens für das römisch-katholische Verständnis von Rechtfertigung und Gnade herausgearbeitet worden ist und damit ein in der GER sorgsam vermiedener Begriff als zentrale Frage der Interpretation der Rechtfertigungslehre noch einmal neu ins Zentrum der Diskussion gestellt wurde. Übrigens ist das eine Frage, vor der wir Evangelischen uns keinesfalls sofort in die Flucht schlagen lassen müssen. Wo der Gedanke der Kooperation auftaucht, wird es noch nicht sofort katholisch. Vielmehr gehört die Frage der cooperatio cum Deo, des Zusammenwirkens mit Gott, zum Kernbestand reformatorischer Lehre.6 Die entscheidende Frage ist nur, wo diese Kooperation ihren Platz im Zusammenhang der Konstruktionsprinzipien der Lehre hat. Hat die Frage der Kooperation eine Funktion in der Heilskonstitution oder ist die Kooperation zwischen Gott und Mensch, obwohl schon in der Erschaffung des Menschen intendiert, konsekutiv in Bezug auf das Heilsgeschehen? Wer den cooperatio-Gedanken ganz ausschließt, hat offensichtlich die Rechtfertigungslehre nicht richtig verstanden, denn sie zielt auf unsere geschöpfliche Mitarbeit an den Zielen des dreieinigen Gottes mit seiner Schöpfung. 6 Vgl. dazu jetzt Eilert Herms, Opus Dei gratiae: Cooperatio Dei et hominum. Luthers Darstellung seiner Rechtfertigungslehre in De servo arbitrio, in: LuJ 78 (2011), 61-135.
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Das ist der Grund, warum in der Confessio Augustana die Reihenfolge der Artikel von CA IV, dem Rechtfertigungsartikel, über CA V, das ministerium ecclesiasticum7, in dem die Konstitution des Rechtfertigungsglaubens beschrieben wird, dann sofort auf den »neuen Gehorsam« in CA VI übergeht. Erst dann kann von der Kirche und ihrer durch die reine Evangeliumsverkündigung und die evangeliumsgemäße Sakramentsverwaltung konstituierten Einheit gesprochen werden. Das berühmte satis est in Bezug auf die reine Evangeliumsverkündigung und die evangeliumsgemäße Austeilung der Sakramente fasst insofern alles zusammen, was in der sehr genau gearbeiteten Struktur der CA vorher entwickelt wird. Diese Formulierung etabliert die Verbindung zum fundamentum fidei bis zum Art. I über die Trintitätslehre. Darum kann die Kirche als congregatio vere credentium, als Gemeinschaft der wahrhaft Glaubenden (CA VIII) beschrieben werden. Meine Vermutung ist, dass die mangelnde Explikation dieses inneren Zusammenhangs in den Konsensformulierungen zur Rechtfertigungslehre zu den bekannten Rezeptionsschwierigkeiten der »Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre« geführt hat. Für die katholische Seite ist innerhalb der GER nicht klar, wie sie sich auf das fundamentum fidei8 und auf den sensus fidelium9 bezieht. Damit sind die entscheidenden Begriffe für den Prozess der Rezeption leer. Von evangelischer Seite ist nicht klar, wie die einzelnen Formulierungen zu der kriteriologischen Funktion der Rechtfertigungslehre ins Verhältnis zu setzen sind, die von evangelischer Seite immer wieder eingeklagt worden ist. Kriterium ist die Rechtfertigungslehre für alle evangelische Lehre, weil sie das Verhältnis von opus Dei und opus hominum10 explizit macht, das für den ganzen Zu7
Dt.: »kirchliches Amt«. Dt.: »Glaubensgrund«. 9 Dt.: »Sinn der Glaubenden«. 10 Dt.: »Werk Gottes« und »Werk der Menschen«. 8
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sammenhang evangelischer Lehre und christlichen Lebens gilt. 3. Das dritte Problem, das die Hermeneutik des differenzierten Konsenses aufwirft, ist – wie in der GER an vielen Stellen gezeigt werden kann – das Problem der logischen und so auch theo-logischen Inkohärenz. Es ist nach meinem Verständnis ein Fehler zu glauben, dass man mit dem differenzierten Konsens über den Konsens hinausgehen kann. Konsense sind notwendig und es gibt auch in der Verständigung zwischen den Traditionen und Konfessionen an vielen Stellen die Notwendigkeit eines Konsenses. Aber ein Konsens ist von begrenzter Leistungsfähigkeit, weil er nur ein Kriterium zur Überprüfung von Wahrheitsansprüchen, aber kein Kriterium zur Begründung von Wahrheitsansprüchen bereitstellt. Dass wir alle übereinstimmen, kann genauso gut bedeuten, dass wir alle dem Irrtum verfallen sind, wenn wir kein anderes Wahrheitskriterium haben. Auch das Kohärenzkriterium ist kein in sich selbständiges Wahrheitskriterium. Bei einer paranoiden Störung beispielsweise tritt keinesfalls ein Mangel an Kohärenz auf. Sie ist therapiebedürftig, weil das Realitätsprinzip verloren gegangen ist. Logische Inkohärenz zeigt sich bei der GER besonders am Verhältnis des Obersatzes, der nach dem Prinzip des differenzierten Konsenses von beiden Partnern zusammen ausgesagt wird, zu den differenzierenden Untersätzen, in denen das Spezifische der jeweiligen Lehre formuliert wird. Hier gilt ganz einfach, dass es logisch unmöglich ist, dass ein Obersatz, der gemeinsam gesprochen wird, widersprüchliche Implikationen hat, die mit beiden Untersätzen ausgesprochen werden. Es ist also nicht möglich einen Obersatz zu formulieren und dann auf der einen Seite evangelischerseits das simul iustus et peccator11 zu bejahen und es katholischerseits zu verneinen (vgl. GER 28, 29 und 30). 11
Dt.: »Gerechter und Sünder zugleich«.
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Logisch unmöglich ist es ebenso, gemeinsam zu bekennen, »dass die Gläubigen sich auf die Barmherzigkeit und die Verheißungen Gottes verlassen können« (GER 34) und aus dieser Aussage lutherischerseits zu folgern, dass der Gläubige »im Vertrauen auf Gottes Zusage seines Heils gewiss« ist (GER 35), aber von katholischer Seite festzuhalten: »Aber jeder kann in Sorge um sein Heil sein, wenn er auf seine eigenen Schwächen und Mängel schaut« (GER 36). Im Sinne eines Konsenses der Lehraussagen ist dies logisch und theo-logisch widersprüchlich. Es wird nichts Falsches gesagt, aber es gelingt nicht, eine Aussage mit einem eindeutigen Wahrheitswert zu machen. Dass es so zu Schwierigkeiten bei der Rezeption kommt, ist nicht verwunderlich. Zugleich aber zeigt sich auch hier die Chance einer hermeneutischen Methode, die danach fragt, wie und nach welchen Konstruktionsprinzipien der Widerspruch in den Aussagen, auf die gemeinsame Sache der christlichen Lehre bezogen ist. Hier ist gar nicht ausgeschlossen, dass es von beiden Seiten als unaufgebbar betrachtete particula veri12 sind, die zu dem Widerspruch in den Aussagen führen, die aber bei einer genaueren Rekonstruktion dennoch als synthetisierbar erscheinen – zumindest in dem Sinne, dass beide Akzente als sachgemäße Aspekte eines einheitlichen Zusammenhangs erscheinen.13 Nun sollte man nicht meinen, wenn man sich vom Kon12
Dt.: »Teilchen von Wahrheit«. Das lässt sich auch an Luthers immer wieder neuer, und in unterschiedlichen Kontexten anders akzentuierter Auseinandersetzung mit der Formel simul iustus et peccator zeigen. Vgl. dazu Wilhelm Christe, »Gerecht und Sünder zugleich« – Zur Ontologie des homo christianus nach Martin Luther, in: Christian Polke, u.a. (Hg.), Niemand ist eine Insel. Menschsein im Schnittpunkt von Anthropologie, Theologie und Ethik. FS für Wilfried Härle zum 70. Geburtstag, Berlin 2011, 65-85; vgl. auch die Tübinger Habilitationsschrift von Wilhelm Christe, Gerechte Sünder: eine Untersuchung zu Martin Luthers simul iustus et peccator, Leipzig 2013 (im Druck). 13
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sens kritisch entfernt, habe man mit der Differenz schon das Allheilmittel gefunden. Ulrich Körtner hat diesen Vorschlag in seinem Buch »Wohin steuert die Ökumene? Vom Konsens- zum Differenzmodell«14 ausführlich begründet. Er hebt dabei auf materiale theologische Punkte ab, die darauf konvergieren, dass »Ökumene im Zeichen des Kreuzes«15 nur auf dem Weg der Versöhnung zu denken ist, der erst im Reich Gottes zum Ziel komme, so dass gilt: »Die Existenz der Kirche und jede denkbare Form der Einheit bzw. der Gemeinschaft steht unter eschatologischem Vorbehalt.«16 Deswegen ist nicht auf die Konsensfindung zu verzichten, aber sie lässt sich nach Körtner nur denken, wenn sie als »Kohärenz des unaufhebbar Differenten«17 gedacht wird, die nur durch das gemeinsame Einleuchten der Wahrheit des Geistes aufhebbar erscheint. An diesen Überlegungen ist ausdrücklich zu begrüßen, dass sie von den Lehraussagen zu ihrem Gegenstand führen und hier die eigentliche Aufgabe der ökumenischen Verständigung verankern. Allerdings erweist sich der Begriff der Differenz in diesem Zusammenhang als nur bedingt tragfähig. Kann eine theologisch qualifizierte Differenz nicht immer nur im Verhältnis zu einer theologisch präzisierten Einheit, also der Einheit des Gegenstandes der Lehraussagen, begriffen werden, so dass man eine sachhaltige Differenz von bloß arbiträrer Mannigfaltigkeit des Verschiedenen unterscheiden kann? Und ist die »Kohärenz des unaufhebbar Differenten«, wie sie Körtner im Reich Gottes erwartet, nicht daran gebunden, dass das so Unterschiedene nicht nur auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet, sondern auch als in einem gemeinsamen Grund verankert verstanden wird, dem ursprünglichen Gemeinschaftswillen des dreieinigen Gottes, der durch die gesam14
Göttingen 2005. A.a.O., 33. 16 A.a.O., 35. 17 A.a.O., 40. 15
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te Heilsökonomie hindurch schließlich im Reich Gottes vollständig realisiert wird? Wie beim Modell des differenzierten Konsenses von Lehraussagen zeigt sich auch hier, dass das Modell einer ökumenischen Hermeneutik der Differenz nur dann präzisiert werden kann, wenn die Verankerung von Lehrkonsensen und Lehrdifferenzen in der gemeinsamen Sache der Lehre gesucht wird, in dem, was sich als Grund und Gegenstand christlicher Lehre in beiden Traditionen identifizieren lässt.18 4 Der Grund des ökumenischen Dialogs (Unitas Redintegratio und Leuenberger Konkordie) Das Motiv der ökumenischen Verständigung ist nach den Prinzipien des römisch-katholischen Ökumenismus das Gebet Christi, wie es in Unitatis Redintegratio (UR) Nr. 2 zitiert wird: »ut omnes unum sint, sicut tu Pater in me, et ego in te, ut et ipsi in nobis unum sint: ut credat mundus quia tu me misisti«19 (Joh 17, 21). Diese Bitte wird in den Bestrebungen zur ökumenischen Verständigung, so ergänzt dann die weitergehende Begründung in UR 4, »afflante Spiritus sancti gratia«20 verwirklicht. In dem Dialog, in dem die Verständigung erreicht werden soll, muss die Lehre der katholischen Kirche, so betont UR 11, klar vorgelegt und tiefer und richtiger ausgedrückt werden, wobei die »Hierarchie der Wahrheiten« zu berücksichtigen ist, die die Leh18 Vgl. zu diesem Problemzusammenhang ausführlicher: Christoph Schwöbel, Konsens – Differenz – Referenz. Perspektiven ökumenischer Hermeneutik, in: Bernd Jochen Hilberath u.a. (Hg.), Ökumene des Lebens als Herausforderung der wissenschaftlichen Theologie, Beiheft zur ÖR Nr. 82, Frankfurt/Main 2008, 147-172. 19 Dt.: »dass alle eins seien, wie du Vater in mir, und ich in dir, dass auch sie in uns eins seien: damit die Welt glaube, weil du mich gesandt hast.« 20 Dt.: »durch die Eingebung der Gnade des Heiligen Geistes«.
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ren in den Zusammenhang des »fundamentum fidei christianae«21 stellt. Es ist wichtig, dass man an diesen Formulierungen beachtet, dass die Bitte »ut omnes unum sint«22, die immer als Aufruf zur Einheit im Gebet Christi interpretiert worden ist, sehr genau in den Indikativen verankert wird, die die Beziehung Jesu Christi zu Gott dem Vater und die Wirksamkeit dieser Beziehung im Heiligen Geist beschreiben. UR 12 enthält dann eine ausgeführte trinitarische Bestimmung dessen, was wir unter der Hierarchie der Wahrheiten und unter dem fundamentum fidei christianae in UR 11 verstehen sollen. Was offensichtlich in UR 11 nicht gemeint ist, ist ein depositum fidei23 in den Lehraussagen des christlichen Glaubens. Vielmehr richtet sich die Hierarchie der Wahrheiten an dem fundamentum fidei aus, an der Selbstvergegenwärtigung des dreieinigen Gottes, Gottes des Vaters durch den Sohn im Geist, so wie sie in UR 2 in heilsgeschichtlicher Perspektive entfaltet wird. Diese Auffassung des fundamentum fidei als eines dynamischen Geschehens, das der Kirche als ganzer zugrunde liegt, ist in allen Konzilsdokumenten nachzuweisen und bestimmt vor allem die Eingangsparagraphen (wie auch in UR) als Einordnung des jeweiligen Themas in den Gesamtzusammenhang der trinitarischen Heilsökonomie. Ich sehe darin einen der entscheidenden Schritte, wie das Zweite Vatikanische Konzil die Fixierung auf propositionale Wahrheiten, die sich in vielen Dokumenten des Ersten Vatikanums findet, im Sinne einer trinitarischen Heilsgeschichte dynamisiert. Auf diese Weise wird deutlich, dass, was immer wir an Aussagen formulieren, seine Bedeutung und seinen Konnex zur Wahrheit dadurch gewinnt, dass es im dynamischen fundamentum fidei begründet ist. Dieser dynamische »Grund 21
Dt.: »Grund des christlichen Glaubens«. Dt.: »dass alle eins seien«. 23 Dt.: »(der Kirche anvertrautes) Glaubensgut«. 22
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des Glaubens« wird nach UR 11 als das Prinzip der Einheit und als das Prinzip der Ordnung der Hierarchie der Wahrheiten in der Glaubenslehre gesehen. Die entscheidende Pointe besteht darin, dass es bei aller Abweisung eines falschen Irenismus und bei allem Festhalten an der puritas doctrinae catholicae24 im ökumenischen Dialog darum geht, dass die Lehre der katholischen Kirche klar vorgelegt wird (lucide exponatur) und gleichzeitig »tiefer und richtiger ausgedrückt werden [muss] auf eine Weise und in einer Sprache, die auch von den getrennten Brüdern wirklich verstanden werden kann« (et profundius et rectius exolicanda est). Das heißt die Lehre ist auch kein fixum in der Art und Weise, dass die Lehrformulierungen nicht über sie hinausgehen könnten. Und dies geschieht zur tieferen Erkenntnis des Gegenstandes der christlichen Lehre, der unerforschlichen Reichtümer Jesu Christi (omnes incitentur ad profundiorem cognitionem et clariorem manifestationem investigabilium divitiarum Christi). Diese Bestimmungen von UR 11 sind von uns aufmerksam zu studieren, weil sie die Vorurteile in Frage stellen, die die evangelische Theologie von der katholischen Lehre hat. Die katholische Lehre ist nicht eine Sammlung von Satzwahrheiten, sondern im dynamischen fundamentum fidei verankert, das der Grund ihrer Einheit ist, der durch die »Hierarchie der Wahrheiten« vermittelt wird. Die Formulierung dieses Fundaments kann über die geschichtlich überlieferten Formulierungen hinausgehen, wenn sich so tiefere und richtigere Ausdrucksweisen der Reichtümer Christi finden lassen. Diese hier ausgesprochene Differenz zwischen dem Grund und Gegenstand des Glaubens und den formulierten Glaubensaussagen eröffnet, wie UR 11 deutlich macht, den Raum des ökumenischen Gesprächs als Chance zum Verständnis des Anderen sowie zur tieferen Erkenntnis der Reichtümer Christi, welche niemals mit 24
Dt.: »Reinheit der katholischen Lehre«.
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einem gegebenen Lehrkorpus identisch sein können, sondern es in ihrer Unerforschlichkeit stets übersteigen. Nach evangelischer Auffassung– exemplarisch dargelegt in der Leuenberger Konkordie auf der Grundlage der Bekenntnisschriften der Reformation – ist die Voraussetzung ökumenischer Verständigung das »gemeinsame Verständnis des Evangeliums«, mithin die Selbstvergegenwärtigung des dreieinigen Gottes in Wort und Sakrament, durch die Gott Glauben schafft. Dieses fundamentum fidei verlangt nach einer fundamentaltheologischen Bearbeitung der Themen der ökumenischen Verständigung. Die ersten Diskussionen zur Verständigung über die Möglichkeit der Rezeption der Leuenberger Konkordie richteten sich alle darauf zu bestimmen, was eigentlich mit dem »gemeinsamen Verständnis des Evangeliums« gemeint ist. Wenn man annimmt, dass dieses gemeinsame Verständnis in der Konkordie in Form von Lehraussagen zusammengefasst sein müsste, wird man enttäuscht. Alle Aussagen im Sinne einer doktrinalen Lehrentfaltung erweisen sich sowohl aus lutherischer als auch aus reformierter Perspektive als höchst unvollständig. Sie sind in ihrer lehrmäßigen Unvollständigkeit überhaupt nur zu tragen, wenn das Verständnis des Evangeliums interpretiert wird, als das Verständnis, das vom Evangelium geschaffen wird - also in exakter Parallele zur paulinischen Definition des Evangeliums in Röm 1,16, wo das Evangelium bestimmt wird als »eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben«. Das Evangelium wird so als die aktive Kraft der Selbstvergegenwärtigung des Evangeliums verstanden, und es hat niemand anderen zum Autor und Inhalt als Christus selbst, der so den Glauben ermöglicht. Das Evangelium von Jesus Christus (genitivus objectivus) ist der Modus des Wirksamwerdens des Evangeliums von Jesus Christus (genitivus auctoris), die Kraft Gottes, die selig macht. In der Verständigung auf den gemeinsamen Grund des Glaubens konnten sich da-
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rum die Kirchen der Leuenberger Kirchengemeinschaft trotz bleibender Lehrdifferenzen in den Glaubensaussagen gegenseitig Kirchengemeinschaft gewähren. In diesem Sinne formuliert dann das Leuenberger Lehrdokument Die Kirche Jesu Christi (KJC): »Das rechtfertigende Handeln des dreieinigen Gottes ist der Inhalt des Evangeliums ... Die Kirche gründet in dem Wort des dreieinigen Gottes. Sie ist Geschöpf des zum Glauben rufenden Wortes, durch das Gott den von ihm entfremdeten und ihm widersprechenden Menschen mit sich versöhnt und verbindet, indem er ihn in Christus rechtfertigt und heiligt, ihn im Heiligen Geist erneuert und zu seinem Volk beruft«. (KJC 1.1)
Das Handeln des dreieinigen Gottes wird so als Grund des Glaubens, als Grund der Kirchen und als Grund der Kirchengemeinschaft entfaltet. Nach evangelischem Verständnis ist das Handeln des dreieinigen Gottes nicht im Modus eines in der räumlichen oder zeitlichen Vergangenheit bleibenden Handelns zu bestimmen, sondern stets als Modus der Selbstvergegenwärtigung Gottes, in der Gott durch sein Handeln Glauben schafft. Dieses Verständnis des trinitarischen Handelns Gottes als seiner Selbstvergegenwärtigung ist wohl nirgend prägnanter beschrieben als von Luther im Großen Katechismus in der zusammenfassenden Formulierung zum Credo am Ende der Erklärung des dritten Artikels: »Denn da hat er selbs offenbaret und aufgetan den tiefsten Abgrund seines väterlichen Herzens und eitel unaussprechlicher Liebe in allen dreien Artikeln. Denn er hat uns dazu geschaffen, daß er uns erlösete und heiligte und über, daß er uns alles geben und eingetan hatte, was im Himmel und auf Erden ist, hat er uns auch seinen Sohn und heiligen Geist geben, durch welche er uns zu sich brächte. Denn wir künnden (...) nimmermehr dazu kommen, daß wir des Vaters Hulde und Gnade erkenne-
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ten ohn den HERRN Christum, der ein Spiegel ist des väterlichen Herzens, außer welchem wir nichts sehen denn einen zornigen und schrecklichen Richter. Von Christo aber künndten wir auch nichts wissen, wo es nicht durch den heiligen Geist offenbaret wäre.«25
Was in UR 11 als fundamentum fidei christianae angesprochen ist und was die Leuenberger Konkordie als »gemeinsames Verständnis des Evangeliums« anspricht, erweist sich bei genauerer Interpretation als Selbstvergegenwärtigung des dreieinigen Gottes, von Luther in die Formulierungen des dreifältigen »Sichgebens« Gottes gegossen. Wenn diese Selbstvergegenwärtigung Gottes der Grund des ökumenischen Dialogs ist, dann ist dieses »Sichgeben« Gottes auch die Sache, die im ökumenischen Dialog zu verhandeln ist. Alle Einzelthemen und alle Einzelformulierungen christlicher Lehre müssen zu diesem Grundgeschehen in Beziehung gesetzt werden, um die Angemessenheit der Lehrformen, die Richtigkeit der in ihnen zum Ausdruck kommenden Intentionen und beider Beziehung zum Grund und Gegenstand des christlichen Glaubens im Gespräch miteinander zu überprüfen. Der Zugang zur ökumenischen Verständigung wäre dann auf Grund der Verfassung des christlichen Glaubens und kirchlicher Lehre immer ein fundamentaltheologischer: Angemessenheit, Identität, Zusammenhang und Entwicklungsmöglichkeit christlicher Lehre am fundamentum fidei zu überprüfen. Wendet man das auf den Dialog zwischen der römisch-katholischen Theologie und der evangelischen Theologie an, dann ist das, was in jeder der beiden Traditionen als fundamentum fidei betrachtet wird, der Horizont, in dem ökumenische Verständigung gesucht werden muss.
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BSLK 660, 28-47.
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5 Zur Methodik des ökumenischen Dialogs An dieser Stelle kann ich nun von den grundsätzlichen Überlegungen zum Bericht übergehen und versuchen, einen kleinen Einblick in die Arbeit der Arbeitsgruppe »Themen der Fundamentaltheologie in ökumenischer Perspektive« zu geben, die seit dem Jahr 2001 in Kooperation zwischen der Päpstlichen Lateran-Universität und der Universität Tübingen arbeitet. In dieser Arbeitsgruppe sollte im wissenschaftlichen Dialog ohne eine kirchliche Beauftragung und ohne eine ökumenische Zielerwartung der Versuch gemacht werden, zu untersuchen, nach welchen Konstruktionsprinzipien die jeweiligen Lehrtraditionen im Verhältnis zu dem von ihnen in Anspruch genommenen fundamentum fidei zu verstehen sind. Die Arbeit der Arbeitsgruppe, der von römischer Seite die Professoren Giuseppe Lorizio, Antonio Sabetta, Massimo Serretti und Lubomir Žak angehören und von deutscher Seite Eilert Herms, Wilfried Härle und ich, ist bisher in zwei Berichtsbänden dokumentiert: »Grund und Gegenstand des Glaubens nach römisch-katholischer und evangelisch-lutherischer Lehre« (Tübingen 2008) und »Sakrament und Wort im Grund und Gegenstand des Glaubens« (Tübingen 2011). Ein Band über Taufe, Abendmahl und Bußsakrament ist in Vorbereitung. Die methodischen Prinzipien dieser Arbeit lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: 1. Die Arbeit vollzieht sich als Auslegung autoritativer kirchlicher Lehrtexte der römisch-katholischen und evangelisch-lutherischen Tradition. Die Verständigung soll sich im Medium dessen vollziehen, was in der Kirche als gültige Lehre anerkannt ist. Dazu müssen z.B. auf katholischer Seite neben den Texten des Zweiten Vatikanums und den Lehrschreiben der beiden letzten Vertreter des römischen Pontifikats oder etwa dem Katechismus der katholischen Kirche auch die Texte herangezogen werden, auf die sich diese Lehräußerungen stützen. Auf evangelisch-lutherischer
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Seite musste neben den Bekenntnisschriften auch immer wieder auf die in ihnen herangezogenen oder vorausgesetzten Schriften Luthers Bezug genommen werden. 2. Rein praktisch vollzieht sich die Arbeit so, dass zunächst die römisch-katholischen Lehrzusammenhänge von einem römisch-katholischen Theologen und einem evangelischlutherischen Theologen vorgetragen werden; sodann die Zusammenhänge lutherischer Lehre von einem lutherischen Theologen und einem römisch-katholischen Theologen untersucht werden. Nach ausführlichen Diskussionen wird ein gemeinsames Protokoll erstellt, das von beiden Seiten gebilligt werden muss. Dieses Verfahren, das als »methodische Empathie« gekennzeichnet worden ist, verlangt, bei der Interpretationsarbeit nicht nur die eigene Lehrtradition, sondern auch die des Anderen in ihren Zusammenhängen zu entfalten. Ziel ist es, die eigene Tradition und die des Anderen füreinander transparent zu machen. 3. Die eigentliche Pointe dieser Arbeit liegt allerdings in ihrer fundamentaltheologischen Zuspitzung. Die Lehrtexte der eigenen und die der anderen Tradition werden unter der Voraussetzung untersucht, dass sie in derselben Sache, demselben fundamentum fidei, begründet sind und im Rekurs auf diesen Grund und Gegenstand in ihrer Lehrgestalt zu überprüfen sind. Die »methodische Empathie« gilt also der Lehre des Gesprächspartners in ihrem Bezug zum gemeinsamen Grund und Gegenstand in der Unterschiedlichkeit der Lehrgestalten. Das ist eine weitgehende Annahme, die sich allerdings bei näherem Nachdenken als unvermeidlich herausstellt. Sollte das fundamentum fidei für beide Seiten ein anderes sein, wäre die Inklusion der jeweils anderen Tradition in den eigenen Kirchenbegriff, den beide Traditionen behaupten, aufgegeben und das Gespräch könnte nicht mehr der ökumenischen Verständigung dienen. So selbstverständlich es für Lutheraner ist, dass die Bestimmungen in CA VII über das, was zur wahren Einheit der christlichen Kirche notwendig ist,
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auch für die römisch-katholische Kirche gelten, so selbstverständlich ist es für die römisch-katholische Seite, dass die nicht-katholischen Kirchen an der einen und einzigen Kirche, die Jesus Christus gegründet hat, teilhaben (vgl. z.B. UR 1 oder Lumen Gentium 8), dass also Spaltungen, aber auch die Bemühungen zur Überwindung dieser Spaltungen sich innerhalb der einen Kirche Jesu Christi vollziehen. Diese Annahme gilt auf Grund der für den christlichen Glauben unverzichtbaren Glaubensüberzeugung vom einen Grund des Glaubens, der Kirche und der Kirchengemeinschaft im Handeln des dreieinigen Gottes. Dies hat zur Folge, dass die Interpretation der Beziehung der Lehre des Anderen zum Grund und Gegenstand des christlichen Glaubens – jeweils in unterschiedlichen Lehrgestalten – auch die Beziehung ist, die die Lehre der eigenen Tradition zum Grund und Gegenstand des Glaubens beansprucht. Die kirchliche Tradition des Anderen mit ihren spezifischen Lehrformen hat also nach dem eigenen Verständnis des einen Grundes der Kirche immer schon einen Platz im eigenen kirchlichen Selbstverständnis. Das hermeneutische Vorgehen, dass dieser Grundannahme der gemeinsamen res entspricht, besteht also in einer Hermeneutik des Vertrauens, dass derselbe Grund und Gegenstand des Glaubens, der der eigenen Lehrform ihrem Selbstverständnis zugrunde liegt, sich auch in der Lehrform des Anderen zeigt, wenn diese nach ihren eigenen Konstruktionsprinzipien in ihrer Beziehung auf ihren Grund und Gegenstand nachvollzogen wird. Die Möglichkeit der Übersetzbarkeit und so auch der Kritisierbarkeit der einen Tradition für die andere besteht genau in diesem Bezug zum selben Grund und Gegenstand. Es ist dieselbe Relationalität, die auch das Wahrheitsbewusstsein der Lehre trägt. 4. Bei diesem Vorgehen zeigt sich immer wieder, dass der Zusammenhang der einzelnen Lehrstücke durch die Rekonstruktion ihrer Beziehung auf die gemeinsame Sache geklärt werden muss. Es ist keine separate Klärung einzel-
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ner Lehren möglich, ohne den Gesamtzusammenhang der Lehren in der Beziehung der Lehre auf das fundamentum fidei in den Blick zu nehmen. Die Kohärenz des Lehrzusammenhangs ist eine Funktion der Beziehung zum Grund und Gegenstand der Lehre. 5. Dieses Vorgehen führt zu Beobachtungen an der eigenen Lehrtradition im Spiegel der Rekonstruktion des Anderen, aber auch an der Lehrtradition des Anderen, die in selbständiger Rekonstruktion nachvollzogen wird. Divergenzen und Konvergenzen treten auf, die noch einmal an ihrem Bezug zum fundamentum fidei in ihren Gewichtungen im Gespräch zu würdigen sind. Diese Beobachtungen können auch zur Feststellung von Lücken und Mängeln in der rekonstruierten Lehrgestalt der eigenen Tradition und der des Anderen führen. Bei dem gewählten Verfahren der referentiellen Bezugnahme und Überprüfung der Lehrgestalten an ihrem Grund und Gegenstand, der Selbstvergegenwärtigung des dreieinigen Gottes, wird zugleich auch immer deutlich, dass die Lehre nicht der einzige und auch nicht der primäre Ort ist, an dem die Kirche sich des Grundes und Gegenstandes ihres Glaubens vergewissert und Vergewisserung erfährt. In beiden Lehrtraditionen ist es – wie gerade aus den ekklesiologischen Lehrtraditionen deutlich wird – der Gottesdienst, der als der primäre Ort der Feier der Selbstvergegenwärtigung des dreieinigen Gottes und der in Wortverkündigung und Sakramentsfeier, in Bekenntnis, Dank, Lobpreis, Bitte und Klage gestalteten Antwort der Kirche erscheint. Die Funktion der Lehre als Anleitung zur richtigen Feier der primären Lebensvollzüge des christlichen Glaubens und der christlichen Kirche tritt dabei besonders hervor. Damit wird als weiterer Komplex der Verständigung die gottesdienstliche Praxis in beiden Traditionen erschlossen, die z.B. in der Verständigung über die Sakramente an zentraler Stelle in die Diskussionen einfließt. Dabei
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kommt zugleich in den Blick, dass die Transparenz zwischen der Lehre und dem gottesdienstlichen Leben der Christen, das in je unterschiedlicher Weise nach reformatorischem und römisch-katholischem Verständnis auf das ganze Leben ausgreift, in besonderer Weise die Frage der Ordnung der Kirche aufwirft. 6 Ziele und Ergebnisse des Dialogs der Forschungsgruppe Nach mehr als zehn Jahren Arbeit sind die Einzelergebnisse der Arbeit der Forschungsgruppe in bisher zwei publizierten Bänden dokumentiert. Die jeweilige Vorstellung dieser Bände war Anlass, die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Beschäftigung auch der kirchlichen Öffentlichkeit zu präsentieren.26 Die Veröffentlichung weiterer Bände ist geplant. Neben den vielen Einzelergebnisse, die in den thematischen Studien vorgestellt werden, ist es zunächst auch die Kommentierung der römisch-katholischen Lehrtradition aus evangelisch-lutherischer Perspektive, die vor allem von Eilert Herms vorgelegt worden ist, und die Kommentierung der lutherischen Lehrtradition in den Beiträgen von Lubomir Žak, Antonio Sabetta und Giuseppe Lorizio, die im Gespräch römisch-katholischer und evangelisch-lutherischer Theologie eine wichtige Etappe bedeuten, da die Lehrtradition des ökumenischen Gesprächspartners bisher noch nicht in dieser Breite und Genauigkeit aus 26 Über die Vorstellung des ersten Bandes »Grund und Gegenstand des Glaubens nach römisch-katholischer und evangelisch-lutherischer Lehre« im April 2008 in Tübingen und Rom informiert der Materialdienst des konfessionskundlichen Instituts der EKD in MD 59 (2008) Heft 3 (u.a. mit Beiträgen von Hermann Barth, Renzo Gerardi, Wolfgang Huber, Christoph Markschies, Friederike Nüssel, Salvator Pie-Ninot, Kardinal Camillo Ruini, Friedrich Weber). Über die Vorstellung des zweiten Bandes »Sakrament und Wort im Grund und Gegenstand des Glaubens« informiert ein von Antonio Sabetta herausgegebener Band der Lateran University Press, 2013 (im Druck).
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ihren eigenen Prämissen zu rekonstruieren versucht wurde. An einigen Stellen sind es auch Einzelergebnisse, die in den jeweiligen Protokollen festgehalten wurden, die Aufmerksamkeit verlangen. Es gibt aber auch durchaus Ergebnisse, die große Tragweite für die Wahrnehmung der eigenen und der anderen Tradition besitzen. So stellt der zweite Band der Forschungsergebnisse »Sakrament und Wort im Grund und Gegenstand des Glaubens« nach einer genauen Textexegese die Frage, ob sich angesichts des Textbefundes die übliche Wahrnehmung der reformatorischen Kirchen als »Kirchen des Wortes« gegenüber der Sicht der römisch-katholischen Kirche als einer »Kirche der Sakramente« halten lässt. Ist die Beziehung von Wort und Sakrament nach den Lehrtexten beider Kirchen nicht eine komplexere, die diese konventionelle Sicht des Gegenübers zu transzendieren verlangt? Besonders interessant sind dabei die Wahrnehmungen, die sich jeweils in einer der beiden Gruppen nach der Darstellung der eigenen Lehrtradition durch den Gesprächspartner als Fragestellung an die Lehre der eigenen Kirche stellten. Oftmals sind es gerade die gewohnten Muster von Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung, die durch die Arbeitsweise kritisch und konstruktiv irritiert werden. Könnte der Vergleich der Lehrtraditionen anhand der Konstruktionsprinzipien nicht auch zur Einsicht in Lücken und Defizienzen (s.o.) der eigenen Tradition führen, die dann auf der Basis der eigenen Prinzipien verbessert werden müssten? Es gibt allerdings auch eine grundsätzliche Zielperspektive, die sich aus den bisherigen Ergebnissen der Forschungsgruppe nahelegt. Wenn die Lehrgestalt der Tradition des Gesprächspartners in nachvollziehbarer Art und Weise in demselben fundamentum fidei verankert ist, das auch für die eigene Lehrgestalt in Anspruch genommen wird, kann ihr dann die Anerkennung als gültiger Ausdruck dieses fundamentum fidei versagt werden, ohne die Begrün-
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dung der eigenen Lehre in diesem Grund und Gegenstand des Glaubens in Frage zu stellen? Damit ist zweifellos die grundsätzlichste Perspektive der Arbeit der Forschungsgruppe berührt: Die versöhnte Verschiedenheit der Lehrformen wäre dann in der Einheit des Grundes der Kirche und der kirchlichen Lehre in der Vielfalt ihrer Lehrgestalten begründet. 7 Das Reformationsjubiläum im Kontext des ökumenischen Dialogs Welche Perspektiven ergeben sich aus der Reflexion auf die Konstruktionsprinzien der kirchlichen Lehre im Kontext des ökumenischen Dialogs für die Feier des Reformationsjubiläums? Zwei mögliche Missverständnisse des Reformationsjubiläums sind von vornherein auszuschließen. Es ist auf alle Fälle verfehlt, das Reformationsjubiläum als Gründungsjubiläum der reformatorischen Kirchen zu begehen. Damit ist nicht nur die Intention der Reformation auf eine Reform der ganzen Kirche verfehlt. Es wäre zugleich eine Überschreibung von fünfzehnhundert Jahren Kirchengeschichte an die römisch-katholische Kirche, die doch auch zum legitimen Erbe der reformatorischen Kirchen gehören, deren reformatorische Impulse ohne die Anknüpfung an die gesamte Kirchen- und Theologiegeschichte post Christum natum gar nicht verständlich sind. Ebenso verfehlt ist es, das Reformationsgedenken nur als Trauerfeier über die verlorene Einheit der abendländischen Kirche zu begehen, die damit allem, was die Reformation an neuen Impulsen für die Kirchen- und Kulturgeschichte, nicht zuletzt für die Geschichte der römischkatholischen Kirche gebracht hat, die Legitimität entziehen würde. Ohne die Reformation ist die tridentinische Reform nicht denkbar und damit auch nicht der Weg der römisch-katholischen Kirche seit dem 16. Jahrhundert bis in
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die Gegenwart, einschließlich des Ersten und Zweiten Vatikanums. Sollte das Reformationsjubiläum nicht vielmehr das in den Blick nehmen, was die abendländische Kirche an kritischen und konstruktiven Potentialitäten dadurch gewonnen hat, dass sich durch die Kirchenspaltung auf dem Grund desselben fundamentum fidei zwei Ausprägungen kirchlichen Lebens und kirchlicher Lehre mit ihren Kulturen gegenüber stehen, die ihr Selbstverständnis und ihre Zugehörigkeit zu der einen Kirche, die wir beide im Glaubensbekenntnis bekennen, stets nur in der Beziehung zur anderen erfahren? Kann man in der Reformation und ihrer Folgegeschichte nicht auch eine providentielle Fügung sehen, die die Kirche in ihren allen ihren Ausprägungen, der römisch-katholischen und den reformatorischen bereichert hat; auch an Einsicht des Glaubens, Prägnanz der Lehre und Vielfalt des christlichen Lebens? Diese Perspektive hat wohl stets das Doppelgesicht »hominum confusione – Dei providentia«, aber nach der reformatorischen Zuordnung von opus Dei und den opera hominum wird dabei stets die Perspektive auf das opus gratiae Dei überwiegen müssen und dürfen. Zu dieser Perspektive hat jedenfalls 1986 der damalige Kardinal Joseph Ratzinger eingeladen, als er in einem Brief an den Tübinger Fundamentaltheologen Max Seckler folgende Fragen stellte: »War es für die katholische Kirche in Deutschland und darüber hinaus nicht in vieler Hinsicht gut, daß es neben ihr den Protestantismus mit seiner Liberalität und seiner Frömmigkeit, mit seinen Zerissenheiten und mit seinem hohen geistigen Anspruch gegeben hat? Gewiß, in den Zeiten des Glaubenskampfes war Spaltung fast nur ein Gegeneinander; aber immer mehr ist dann auch Positives für den Glauben auf beiden Seiten gewachsen, das uns etwas von dem geheimnisvollen ›Muß‹ des heiligen Paulus verstehen läßt, denn umgekehrt – könnte man sich eigent-
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lich eine nur protestantische Welt denken? Oder ist der Protestantismus in all seinen Aussagen gerade als Protest nicht so vollständig auf den Katholizismus bezogen, daß er ohne ihn kaum vorstellbar bliebe?«27
Wenn dieses Gegenüber der beiden Traditionen in einem gemeinsamen fundamentum fidei begründet ist, dann gibt diese providentielle Perspektive jedenfalls durchaus Anlass zum Feiern.
27 Joseph Ratzinger, Zum Fortgang der Ökumene, ThQ 166 (1986), 243248, hier: 246.
Resümee aus kirchenleitender Sicht Ulrich Fischer
1 Durch die Beiträge zu dieser Konsultation zum Reformationsjubiläum zieht sich als cantus firmus: eine heilsame Selbst-Relativierung und eine bemerkenswerte thematische Konzentration. Matthias Konradt bringt mit seiner Rückfrage nach der exegetischen Belastbarkeit der reformatorischen Grunderkenntnis – die Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade und allein aus Glauben – das reformatorische Prinzip der Heiligen Schrift als norma normans des theologischen und kirchlichen Redens gerade auch gegenüber der reformatorischen Tradition selbst zur Geltung. Damit geht eine notwendige Relativierung auch von Luthers Schriftauslegung, insbesondere seiner Paulusexegese, einher. Johannes Schilling relativiert die Geschichtsbilder vom »epochalen« Charakter des Reformationszeitalters, indem er im Blick auf traditionelle und gegenwärtige Deutungen die Reformation als eine »Etappe« auf dem langen Weg der kirchlich-politisch-kulturellen Entwicklung vom Mittelalter bis zur Neuzeit versteht. Dem Beitrag von Johanna Rahner verdanken wir die wichtige Erinnerung daran, dass das Zweite Vatikanum in vieler Hinsicht unerledigte Fragen der Reformation aufgegriffen hat. Damit wird das Vatikanum II zu einem entscheidenden Anknüpfungspunkt im Dialog mit unse-
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ren römisch-katholischen Partnern über das Erbe der Reformation, welches sich eben nicht allein in den evangelischen Konfessionen abbildet, sondern das auch in der Geschichte der römisch-katholischen Kirche nachwirkt. Christine Axt-Piscalar findet in der ekklesiologischen Elementarbestimmung von Artikel VII der Confessio Augustana die theologische Ursache und Begründung einer kirchlichen Pluralität, die nicht im Widerspruch zur Einheit der Kirche steht – und damit einen Angelpunkt für den ökumenischen Dialog darstellt. Christoph Schwöbel zeigt die Chancen einer elaborierten Form theologischer Dialogkultur auf, bei der die kirchliche Identität der Gesprächspartner kalkuliert aufs Spiel gesetzt wird, ohne dass die Partner einen Identitätsverlust als Kirche Jesu Christi befürchten müssten. Das Motto solcher Gespräche könnte sein: »Wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten« (Lk 9,25). 2 Beim Reformationsjubiläum feiert die Evangelische Kirche nicht sich selbst, sondern sie feiert das Evangelium, das von der Reformation erneut auf den Leuchter gestellt wurde. Die exegetische und hermeneutische Überprüfung der reformatorischen Erkenntnis ist die angemessene Art und Weise, das sola scriptura der Reformation heute auch im Blick auf die thematische Ausrichtung des Reformationsjubiläums zu Ehren zu bringen. Die reformatorische Konzentration der notae ecclesiae hilft gerade auch der evangelischen Kirche zur Selbst-Besin-
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nung und Selbst-Relativierung im Blick auf das Reformationsjubiläum, das sich nicht auf das (in der Rückschau stilisierte) »Gründungsdatum« einer evangelischen Konfession, sondern auf das Ursprungsgeschehen der Kirche bezieht, das zu allen Zeiten und an allen Orten und in vielen Variationen wirksam werden kann. Es gibt keinen evangelischen Exklusivitätsanspruch auf die Einsicht, dass die Kirche creatura verbi divini ist. Das Zweite Vatikanum kommt in der Konstitution »Dei Verbum« für die Römisch-Katholische Kirche zu konvergierenden Einsichten, an die wiederum das Apostolische Sendschreiben »Verbum Domini« von 2010 anknüpft. Eine theologische Chance im ökumenischen Gespräch ist die gemeinsame Arbeit am fundamentum fidei und die wechselseitige Vergewisserung im Verständnis der Positionen des jeweiligen Partners. Damit bekommt das Reformationsjubiläum Elemente eines »Jahres mit der Bibel«: Neben der dann revidiert vorliegenden Lutherbibel verdient auch das (m.E. allzu schnell abgebrochene) Projekt der »Einheitsübersetzung« neue Aufmerksamkeit. Die Entscheidung für das Leitwort der Reformationsdekade: »Am Anfang war das Wort« findet hier eine erfreuliche Bestätigung. 3 Im Reformationsjubiläum feiern wir eine bestimmte Wirkungs-Geschichte der Heiligen Schrift. Diesen die europäische Kultur vielfältig prägenden Aspekt des Ereignisses »Reformation« heben auch die Thesen des Wissenschaftlichen Beirats des Kuratoriums für das Reformationsjubiläum 2017 hervor. Im Gefälle dieser historischen Einsicht darf die evangelische Kirche
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selbstbewusst bestimmte (Mit-)Wirkungen der Reformation als Gewinn für die europäische Kultur feiern: den Bildungsschub im 16. Jahrhundert, die Entdeckung der Person, die Mitverantwortung der Christen für die Gestaltung des öffentlichen Lebens und die Formulierung eines umfassenden Ethos des Berufs. Diese Erkenntnisse zu unterstreichen bedeutet auch, jener Behauptung zu widersprechen, die z.B. in der »Regensburger Rede« Benedikts XVI. anklingt: die Reformation habe sich aus der »abendländischen« Verbindung von Glaube und Vernunft verabschiedet. Demgegenüber sind die ökumenischen Potentiale einer historisch-kritisch geschulten und auf die kirchliche Verkündigung bezogenen gemeinsamen Arbeit an der Auslegung der Heiligen Schrift freizulegen. 4 Das Reformationsjubiläum kann und soll in diesem Sinne auch zusammen mit den Glaubensgeschwistern der Römisch-Katholischen Kirche gefeiert werden. Dabei kann die Losung für die evangelische Kirche nicht lauten: sich mit einer ökumenisch gesonnenen »Basis« gegen eine vermeintlich »ökumenisch verhärtete Hierarchie« zu verbünden. Vielmehr gilt es, den inneren Zusammenhang von evangelischer und römischkatholischer Reformation (unübersehbar in Gestalt des Zweiten Vatikanum) herauszustellen. Es gilt, die Geschichte und die Geschichten der Reformation in neuer Weise so zu formulieren, dass sie nicht mehr einen protestantischen Ursprungsmythos konstruieren, sondern die ökumenisch bedeutsamen Anliegen und Erfahrungen der Reformation anschaulich machen. Die jeweils eigene Geschichte auch den Anderen zu erzählen, und den Anderen bei ihrer Geschichte zuzuhören, ist die Voraussetzung für eine heilende Wirkung gemeinsamer
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Erinnerung (»Healing of Memories«). Denn in dieser Geschichte hat nicht nur eine Seite Verletzungen davongetragen. Der Deutsche Evangelische Kirchentag und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken könnten die entscheidenden Akteure und Foren einer ökumenischen Begegnung im Herbst 2017 sein.
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Reformation erinnern. Die Konsultation hat auf vielfältige Facetten aufmerksam gemacht. In der Kürze der Zeit möchte ich nur drei Spannungsfelder nennen, die auf dem Weg nach 2017 berücksichtigt werden sollten, weil sie die Diskussion um das Erinnern produktiv weiterführen. 1 Historisches Wissen und theologische Zeitgenossenschaft Die Planung für das Jubiläum 2017 scheint mir derzeit stark historisch ausgerichtet. So wichtig für uns als Kirchenhistorikerinnen und -historiker die präzise Rekonstruktion der Ereignisse und auch das Ringen um deren Deutung ist und so sehr es notwendig ist, sich ein historisch angemessenes Bild der Reformation zu verschaffen, so wichtig ist es aber auch, dass wir dieses Jubiläum – und den Umgang mit der Reformation überhaupt – nicht musealisieren. Johannes Schilling hat in seinem Vortrag auf die vielfältigen Forschungsansätze und -kontroversen im Blick auf die Reformationsgeschichte aufmerksam gemacht. Diese Vielfalt der Perspektiven gilt es zu berücksichtigen und in der Darstellung der Reformation aufzuzeigen. Neben dem historischen Wissen ist aber auch die theologisch verantwortete Zeitgenossenschaft ein wichtiges Moment meines kirchenhistorischen Selbstverständnisses, und ich halte dies im Blick auf 2017 für unabdingbar.
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Die Tagung hat in mehrfacher Hinsicht eine erquickliche Unruhe in die Debatten um Reformation, Dekade, »Jubiläum oder Gedenken« gebracht. Denn wenn wir die verschiedenen Vorträge Revue passieren lassen, sehen wir uns nun herausgefordert, eine Vielzahl von Sachverhalten zu klären. Und das ist das eigentlich Produktive. Im Blick auf die Verhältnisbestimmung von »historischem Wissen« und »theologischer Zeitgenossenschaft« war die Tagung inspirierend, gerade im Gespräch zwischen den theologischen Disziplinen. Wenn Matthias Konradt uns durch seinen Vortrag zu den Unterschieden der New Perspective on Paul in der neueren Exegese und der lutherischen Paulusinterpretation konfrontiert, schärft dies den Blick auf die Frage: Welchen Luther meinen wir? Welche Lutherrezeption haben wir? Haben wir nicht mehrere Lutherrezeptionen? Müssen wir uns nicht immer wieder selbst fragen, was wir in unser Lutherbild hineintragen? Was uns heute wichtig ist? Und natürlich was wir wissenschaftlich verantwortet vertreten können. Die Auseinandersetzung um die Schriftauslegung ist ein wesentlicher Impuls, den die Reformation gegeben hat. Dabei muss nicht nur Luther selbst differenziert wahrgenommen werden. Bedacht werden muss auch – so die Überlegungen in einer Diskussionsgruppe – die Bibelauslegung der anderen Reformatoren, die der Täufer in der Auseinandersetzung um Kinder- oder Erwachsenentaufe, die innerreformatorischen Auseinandersetzungen um die Abendmahlsfrage oder auch die zeitgenössische Kritik an der fehlenden Umsetzung der Reformation. Es ginge somit darum, die Reformation in ihrer Pluralität zu würdigen. Die Wiederentdeckung der Schrift durch die Reformation ist ein wichtiger Aspekt, der für unsere Gesellschaft heute fruchtbar gemacht werden sollte. Und wie Landesbischof Bohl in seinem Bericht für die Kirchenleitungen aufgezeigt
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hat, ist ja schon einiges in Vorbereitung, wie die Überarbeitung der Lutherbibel oder die verschiedenen Projekte im Rahmen des 200-jährigen Jubiläums der Deutschen Bibelgesellschaft. Zugleich sollten wir überlegen, wie wir heute christliche Überzeugungen in die Gesellschaft hineinbuchstabieren können. Und hier sind nun alle theologischen Disziplinen gleichermaßen gefragt: Eigentlich wäre diese Konsultation fortzuführen. Denn es scheint mir, dass wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der unterschiedlichen theologischen Disziplinen uns noch mit den jeweiligen Zugängen der anderen Fächer etwas vertrauter machen sollten, um konstruktiv gegenseitig Impulse aufzunehmen zu können. Es wäre also zu fragen, ob der systematisch-theologische ökumenische Diskurs, den wir mit den unterschiedlichen Ansätzen in beeindruckender und zum Teil sehr heiterer Weise erlebt haben, durch Aufnahme der Anregungen von Exegese, Kirchengeschichte, Praktischer Theologie und Religionspädagogik noch stärker in der Breite rezipiert und hier auch im Blick auf 2017 eine stärkere Klarheit gewonnen werden könnte. Neben dem wissenschaftlichen Austausch, der unsere eigenen Ansätze und Forschungen bereichert, wäre zu fragen, wie wir unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse auch anderen verstärkt zugänglich machen, damit wir nicht nur uns diskutieren. Damit möchte ich die Vermittlungsfähigkeit unserer Erkenntnisse ansprechen. Und hier sehe ich bei allen theologischen Disziplinen zentrale Aufgaben: Zum einen haben alle theologischen Disziplinen zunächst einmal die Aufgabe, das grundlegende Wissen zu vermitteln. Anders als früher kann bei der heutigen Studierendengeneration wenig theologisches und konfessionskundliches Wissen vorausgesetzt werden. Es geht also darum, wie die einzelnen theologischen Disziplinen aus ihrer Perspektive und mit ihren Methoden und Medien die refor-
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matorischen Impulse und die Kenntnis der Ereignisse der Reformation weiter vermitteln. Also konkret: wie sie exegetisches, historisches, systematisch-theologisches, religionspädagogisches, praktisch-theologisches Werkzeug an die Hand geben, damit die nachfolgende Generation von Pfarrerinnen und Pfarrern, Lehrerinnen und Lehrern Kenntnis erlangt, sprachfähig wird, auskunftsfähig wird, aber auch ermutigt wird, die reformatorischen Impulse selbstständig weiterzudenken. Zum Zweiten wären im Blick auf das ökumenische Lernen und die Förderung der Diskussionsfähigkeit im ökumenischen Gespräch auch Lehrveranstaltungen mit den katholischen Kolleginnen und Kollegen in Kooperation mit den katholischen Fakultäten durchzuführen, so wie es in einigen Fakultäten und auch bei uns an der Hochschule schon üblich ist, um die nachwachsende Generation auch hier zu befähigen, in die Auseinandersetzung zu treten. Dies gilt auch für interdisziplinäre Forschungsprojekte und Kongresse. Zum Dritten ist die theologische Wissenschaft an den evangelischen Fakultäten und Hochschulen aber auch über die grundlegende Wissensvermittlung, die uns durch die Lehre aufgegeben ist, hinaus gefragt, ein noch stärkeres Bewusstsein zu entwickeln für die aktuellen Themen in der Gesellschaft und ihre Forschungen und Ergebnisse hier einzubringen. Das gilt auch für den Austausch mit den anderen Disziplinen: Luthers Freiheitskonzept ist in gegenwärtigen politischen Debatten hochaktuell. Der Toleranzbegriff wird in der politischen Philosophie in einem Umfang diskutiert, wie wir es noch nicht erlebt haben. Und in den Sozialwissenschaften spielt die Frage nach Anerkennung und Würde, also auch de facto Fragen der Rechtfertigungslehre eine immense Rolle in den aktuellen Debatten. Die Gesprächsangebote der anderen Disziplinen sind
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längst vorhanden, und es ist gut zu sehen, dass die Kollegen an den Fakultäten und Hochschulen in diese Debatten schon eingestiegen sind. Dies gilt es zu verstärken. 2 Kirche und Protestantismus Die Reformation war nicht nur ein kirchliches, sondern auch ein kulturelles Phänomen und ist als solches in das Selbstverständnis der europäischen Gesellschaft eingegangen. Auch wenn zu Beginn der Tagung darauf hingewiesen wurde, dass alle Konfessionen auf kulturelle Prägungen verweisen können, scheint es mir doch produktiv, noch einmal genauer hinzuschauen, ob es nicht spezifisch reformatorische Beiträge gibt; nicht aus Gründen der Abgrenzung, sondern zur Klärung des eigenen Selbstverständnisses. Zur kulturellen Bedeutung der Reformation gehörten ihre humanistische Tradition und ihre Bildungsorientierung, die nicht nur die theologischen Fakultäten umfassten, sondern auch die Schulbildung in den Vordergrund stellten. Zudem war die Reformation ein plurales Phänomen. Die unterschiedlichen Wege der Durchsetzung der Reformation in den Territorien sind hier ein anschauliches Beispiel und bis heute im Blick auf die Mentalitätsbildung nicht zu unterschätzen. Das liegt an den unterschiedlichen Verläufen: Die Reformation in Hessen beispielsweise unterscheidet sich in ihrer Akzentsetzung ganz wesentlich von der Wittenberger Reformation und in ihrem eigenen Weg zwischen Kursachsen und der Schweiz. Zu nennen wäre für Hessen der hohe Anteil der sogenannten Laien an der Reformation – den Theologen kam eher eine beratende Rolle zu, die kluge Integration von Täufern und Juden ins Territorium statt deren Ausgrenzung und die Sensibilisierung für soziale Belange, indem Klöster in landesherrliche Hospitäler umgewandelt wurden, was eine flächendeckende kostenlose Sozialversorgung gewährleiste-
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te, die bis zur Einführung der sozialen Sicherungssysteme seit Ende des 19. Jahrhunderts ihresgleichen sucht. Dies sind Akzente, die in ihrer Eigenständigkeit durchaus auch im Blick auf ein Jubiläum gewürdigt werden könnten. Derzeit habe ich den Eindruck, dass durch die Konzentration auf die Wittenberger Reformation diese Pluralität der reformatorischen Bewegung aus dem Blick gerät. Meiner Ansicht nach ist auch den anderen spezifischen Prägungen Rechnung zu tragen, damit eine Identifikation der evangelischen Christinnen und Christen nicht nur über die Person Luthers und Wittenberg gelingt, sondern die reformatorische Vielfalt und ihre spezifischen Prägungen ihre eigene Würdigung erhalten, auch im Blick auf das Jubiläum 2017. Landesbischöfin Junkermann hat diesen produktiven Impuls am Beispiel der Vorhaben und Projekte der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland im Blick auf die nächsten Jahre anschaulich gemacht. Was ich am hessischen Beispiel deutlich zu machen versucht habe, gilt auch für die Genese anderer Landeskirchen, die in der UEK, der VELKD, den schweizer und österreichischen Kirchen zusammengeschlossen und hier versammelt sind. Es lohnt sich, noch einmal genauer hinzuschauen. Ihrem jeweiligen Beitrag zum Protestantismus in Europa sollte stärker Rechnung getragen werden. Das Herausarbeiten von Einheit und Differenz ist meines Erachtens auch eine Aufgabe der wissenschaftlichen Theologie an den theologischen Fakultäten und Hochschulen. Dieser Pluralismus ist ein Gewinn der Reformation – innerhalb der Reformationskirchen und für den Protestantismus überhaupt. Die wissenschaftliche Theologie sollte durch ihre Forschungen darauf verweisen. Differenzbewusstsein, Differenz und Pluralität sind Prinzipien, die zu Auseinandersetzung und zum Dialog allererst befähigen. Im Blick auf den Ökumenischen Dialog und die anstehenden Jubiläen war mir die Aussage von Johanna Rah-
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ner eindrücklich, die das derzeitige Ringen um Selbstvergewisserung im Protestantismus und Katholizismus gleichermaßen akzentuiert hat. Nicht nur wir ringen um die angemessene Deutung der Reformation. Sondern auch die katholischen Geschwister. An diesen Gedanken könnte man anknüpfen. Für den Protestantismus sind die Vielfalt und die Verschiedenheit, die einen wichtigen Beitrag zu einer europäischen Kultur geleistet haben, ein hohes Gut. Darin sollten wir uns selbst ernst nehmen. 3 Wittenberg und Europa Die Reformation war ein europäisches Phänomen – Wittenberg, Zürich oder Genf als ein Zentrum der frühen Internationalisierung der Reformiertentums, auch die anglikanische Kirche wäre in den Blick zu nehmen, um nur einige Beispiele zu nennen. Durch die Jahrhunderte hindurch hat die Reformation aber auch immer wieder eine nationale Verengung, bis hin zu einer nationalreligiösen Verengung erfahren, besonders wenn man an den Protestantismus des 19. Jahrhunderts denkt. Heute gilt es, die reformatorische Bewegung im Rahmen des Jubiläums stärker als europäische Bewegung in Erinnerung zu rufen. Wir sind als Protestantinnen und Protestanten immer noch zu wenig Europäerinnen und Europäer. Wir sollten der Reformation wieder ihre europäische Ausrichtung zurückgeben. Die Dekade und das Jubiläum müssten deshalb mindestens ein europäisches, wenn nicht ein internationales sein. Für die wissenschaftliche Theologie bedeutet das noch mehr als jetzt, die europäischen und internationalen Kontakte auszubauen, um den unterschiedlichen kontextuellen Ausprägungen des Protestantismus auf die Spur zu kommen. Und es bedeutet, eine noch stärkere internatio-
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nale Ausrichtung in der Lehre und Forschung mit internationalen Kooperationspartnern und auch interdisziplinar anzustoßen. Die heutige Studiengeneration wächst europäisch auf. Viele sind schon als Schülerinnen und Schüler ein Jahr im Ausland, machen Erfahrungen in sozialen Auslandsprojekten, verbringen ein Studienjahr in Europa, Israel, Asien oder den USA. Die Fremdsprachenkompetenz hat in der heutigen Studierendengeneration beträchtlich zugenommen. Es könnte interessant und bereichernd sein, diese Generation in den Diskussionsprozess im Blick auf 2017 einzubinden. Eine erquickliche Unruhe also ist das Ergebnis dieser Konsultation. Und viele neue Impulse, die es weiterzudenken gilt. Für die theologische Wissenschaft an den Fakultäten und Hochschulen ist es inspirierend, bereichernd und von Interesse, diesen Prozess sowohl kritisch wie auch konstruktiv zu begleiten und den wissenschaftlichen Support im Blick auf das Jubiläum 2017 zu leisten.
Konsultation Kirchenleitung und wissenschaftliche Theologie Reformation erinnern – Eine theologische Vertiefung im Horizont der Ökumene 11. – 13. September 2012, Haus Hainstein Eisenach Union Evangelischer Kirchen in der EKD in Verbindung mit EKD und VELKD
Programm der Konsultation: Dienstag, 11. September 2012 Andacht und Begrüßung Bischöfin Ilse Junkermann, Magdeburg Einführung in die Tagung OKR Dr. Martin Heimbucher, Hannover Vortrag I Luthers reformatorische Entdeckung – Eine Relektüre aus exegetischer Sicht Prof. Dr. Matthias Konradt, Heidelberg Aussprache im Plenum Moderation: Professor Dr. Stefan Alkier, Frankfurt am Main Vortrag II Die Reformation, Epoche oder Etappen Prof. Dr. Dr. Johannes Schilling, Kiel
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Programm der Konsultation
Aussprache im Plenum Moderation: Bischof Dr. Ulrich Fischer, Karlsruhe Einladung auf die Wartburg Verleihung des Karl-Barth-Preises der UEK an Bischof i.R. Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Huber Mittwoch, 12. September 2012 Andacht Professor Dr. Peter Zimmerling, Leipzig Vortrag III Reformation als »Verletzung« des Leibes Christi Professorin Dr. Johanna Rahner, Kassel Vortrag IV Pluralität als »Gewinn« der Reformation Professorin Dr. Christine Axt-Piscalar, Göttingen Aussprache im Plenum: Moderation: Landesbischof Dr. Friedrich Weber, Braunschweig Vortrag V »Unterschiedliche Konstruktionsprinzipien« – Problem und Lösungsansatz im ökumenischen Dialog Professor Dr. Christoph Schwöbel, Tübingen Aussprache im Plenum Moderation: Professor Dr. Dr. h.c. Michael Beintker, Münster
Programm der Konsultation
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Diskussion zu den Vorträgen I - V in drei Gruppen Leitung: OKR Dr. Martin Heimbucher, UEK (zu I und II) OKR Joachim Ochel, EKD (zu III und IV) OKR Dr. Mareile Lasogga, VELKD (zu V) Bericht für die Theologischen Fakultäten Prof. Dr. Jürgen van Oorschot, Erlangen, Vorsitzender des Evangelisch-theologischen Fakultätentages Bericht für die Kirchenleitungen Landesbischof Jochen Bohl, Dresden, stellvertretender Vorsitzender des Rates der EKD Vorhaben der EKD zum Reformationsjubiläum 2017 EKD-Vizepräsident Dr. Thies Gundlach, Hannover Aussprache im Plenum Moderation: OKR Dr. Martin Heimbucher Abendgebet, Pastorin Hilke Klüver, Leer Donnerstag, 13. September 2012 Andacht Landesbischof Dr. Friedrich Weber, Braunschweig Resümee der Kirchenleitungen Landesbischof Dr. Ulrich Fischer, Karlsruhe
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Programm der Konsultation
Resümee der Fakultäten Professorin Dr. Gury Schneider-Ludorff, Neuendettelsau Aussprache im Plenum, Moderation und Schlussworte Bischof Martin Schindehütte, EKD Hannover Konzeption Vorbereitungsgruppe EKD-UEK-VELKD Michael Beintker, Ulrich Fischer, Martin Heimbucher, Mareile Lasogga, Joachim Ochel, Jens Schröter, Friedrich Weber Geschäftsführung Amt der Union Evangelischer Kirchen in der EKD
Teilnehmende an der Konsultation
Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland Prof. Dr. Stefan Alkier Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Prof. Dr. Heinrich Assel Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Prof. Dr. Christine Axt-Piscalar Georg-August-Universität Göttingen Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Beintker Westfälische Wilhelms-Universität Münster Prof. Dr. Reinhold Bernhardt Universität Basel Landesbischof Jochen Bohl Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens Direktor Dr. Hans-Anton Drewes Basel/Schweiz Bischof Dr. Dr. h.c. Markus Dröge Ev. Kirche Berlin-Brandenburgschlesische Oberlausitz Landesbischof Dr. Ulrich Fischer Ev. Landeskirche in Baden
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Teilnehmende an der Konsultation
Prof. Dr. Ute Gause Ruhr-Universität Bochum OLKR Prof. Dr. Klaus Grünwaldt Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers Vizepräsident Dr. Thies Gundlach Kirchenamt der EKD OKR Prof. Dr. Ulrich Heckel Ev.-Luth. Landeskirche in Württemberg OKR Dr. Martin Heimbucher Amt der UEK Referendarin Julia Hübner Amt der UEK Kirchenpräsident Dr. Volker Jung Ev. Kirche in Hessen und Nassau Landesbischöfin Ilse Junkermann Ev. Kirche in Mitteldeutschland Prof. Dr. Jürgen Kampmann Universität Tübingen Pastor Henning Kiene Kirchenamt der EKD Pastorin Hilke Klüver Ev.-reformierte Kirche Prof. Dr. Matthias Konradt Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Pfarrer Dr. Bernd Krebs Ev. Kirche Berlin-Brandenburg schlesische Oberlausitz
Teilnehmende an der Konsultation
Prof. Dr. Siegfried Kreuzer Kirchliche Hochschule Wuppertal / Bethel Prof. Dr. Martina Kumlehn Universität Rostock OKRin Dr. Mareile Lasogga Amt der VELKD Prof. DDr. Rudolf Leeb Ev.-Theologische Fakultät Wien Ratspräsident Dr. Gottfried Locher Schweizerischer Ev. Kirchenbund Landesbischof Dr. Karl-Hinrich Manzke Ev.-Luth. Landeskirche Schaumburg-Lippe Prof. Dr. Günter Meckenstock Christian-Albrecht-Universität zu Kiel OKR Joachim Ochel Kirchenamt der EKD Prof. Dr. Jürgen van Oorschot Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Prof. Dr. Johanna Rahner Universität Kassel, Institut für Katholische Theologie Kirchenpräsident Christian Schad Ev. Kirche der Pfalz Prof. Dr. Dr. Johannes Schilling Christian-Albrecht-Universität zu Kiel
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Teilnehmende an der Konsultation
Bischof Martin Schindehütte Kirchenamt der EKD Prof. Dr. Gury Schneider-Ludorff Augustana-Hochschule Neuendettelsau Kirchenpräsident Jann Schmidt Ev.-reformierte Kirche Pastor Dirk Schulz Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland Pfarrerin Petra Schwermann Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck Prof. Dr. Christoph Schwöbel Eberhard Karls Universität Tübingen Prof. Dr. Christopher Spehr Friedrich-Schiller-Universität Jena Prof. Dr. Johann Anselm Steiger Universität Hamburg PD Dr. Friedemann Stengel Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Prof. Dr. Christoph Strohm Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Prof. Dr. Christiane Tietz Johannes Gutenberg-Universität Mainz Theol. Kirchenrat Tobias Treseler Lippische Landeskirche Bischof Gerhard Ulrich Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland
Teilnehmende an der Konsultation
OKR Helmut Völkel Ev.-Luth. Kirche in Bayern Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber Ev.-Luth. Landeskirche in Braunschweig OKR Michael Wegner EKD - Wittenberg Prof. Dr. Peter Zimmerling Universität Leipzig
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Autorinnen und Autoren
Axt-Piscalar, Prof. Dr. Christine (*1959) Professorin für Systematische Theologie, Leiterin des Institutum Lutheranum und Dekanin der Theologischen Fakultät, Georg-August-Universität Göttingen; Vorsitzende des Theologischen Ausschusses der VELKD. Fischer, Dr. Ulrich (*1949) Vorsitzender der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK), Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Baden, Karlsruhe. Heimbucher, Dr. Martin (*1955) Oberkirchenrat, Theologischer Referent der Union Evangelischer Kirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover. Konradt, Prof. Dr. Matthias (*1967) Ordinarius für Neutestamentliche Theologie, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Rahner, Prof. Dr. Johanna (*1962) Professorin für Systematische Theologie, Institut für Katholische Theologie der Universität Kassel. Schilling, Prof. Dr. theol. Dr. phil. Johannes (*1951) Professor für Kirchen- und Dogmengeschichte; Direktor des Instituts für Kirchengeschichte und
Autorinnen und Autoren
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Kirchliche Archäologie der Theologischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; Präsident der Luther-Gesellschaft e.V. Schneider-Ludorff, Prof. Dr. Gury (*1965) Professorin für Kirchen- und Dogmengeschichte, Rektorin der Augustana-Hochschule Neuendettelsau; Präsidentin des Evangelischen Bundes. Schwöbel, Prof. Dr. Christoph (*1955) Professor für Systematische Theologie (Schwerpunkt Fundamentaltheologie und Religionsphilosophie), Evangelisch-theologische Fakultät Eberhard Karls Universität Tübingen, Leiter des Instituts für Hermeneutik und Dialog der Kulturen.