121 74
German Pages 141 [142] Year 2005
Myriam-Sonja Hantke
F.W.J. Schellings Identitätsphilosophie im Horizont 1 der Kyoto-Schule
Myriam-Sonja Hantke F.W. J. Schellings Identitätsphilosophie im Horizont der Kyôto-Schule
MYRIAM-SONJA HANTKE F.W. J. Schellings Identitätsphilosophie im Horizont der Kyôto-Schule
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 978-3-89129-179-5 ISBN 978-3-86205-979-9 (E-Book/PDF)
© IUDICIUM Verlag GmbH München 2005
Zunächst geht es um das Verstehen der Begriffe, dann erst um den Nachvollzug des eigenen Lebens. Die Traumerkenntnis
5
6
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.
Exposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.1
Die philosophische Moderne in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.2
Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.3
Zur Gestaltung des Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
2.
Die Identitätsphilosophie von F.W.J. Schelling . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
2.1
Der Lebensweg F.W.J. Schellings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2.2
Vom Frühidealismus zum spekulativen Idealismus . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.3
Eine Einleitung in die Identitätsphilosophie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2.4
F.W.J. Schellings ‚Darstellung meines Systems der Philosophie‘ von 1801 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 (1) Vorerinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 (2) Das Reich der Absoluten Vernunft (§ 1–23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 (3) Das Reich der Potenzen (§ 23–51) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
2.5
Zusammenfassung – Die Absolute Infinitialisierung . . . . . . . . . . . . . . 44
3.
Die Logik der widersprüchlichen Selbstidentität (mujunteki jikôdoitsu no ronri 矛盾的自己同一の論理 ) von Nishida Kitarô . . . . . . . 50
3.1
Der Lebensweg Nishida Kitarôs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
3.2
Der Denkweg Nishida Kitarôs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
3.2.1 Studie über das Gute (1911) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3.2.2 Ort (1926) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3.2.3 Ich und Du (1932) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3.2.4 Ortlogik und religiöse Weltanschauung (1945) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3.3
Die Logik der widersprüchlichen Selbstidentität. . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
3.4
Zusammenfassung – Die Absolute Infinitialisierung . . . . . . . . . . . . . . 74 7
4.
Rezeption – Identität oder Widerspruch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
4.1
Der Widerspruch oder die Positive Theologie – Tanabe Hajime . . . . . 84
4.2
Die Identität oder die Negative Theologie – Nishitani Keiji. . . . . . . . . 91
4.3
Das Prinzip der Absoluten Mediation – Gereon Kopf. . . . . . . . . . . . . . 99
5.
Ausblick auf das ,neue Zeitalter der Absoluten Infinitheit‘ (zettai mugen no shinjidai 絶対 無限 の 新時代 ). . . . . . . . . . . . . . . . . 108
5.1
Das sterbende Leben und der lebende Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
5.2
Das Absolute systemlose System und die Infinitolektik . . . . . . . . . . . 113
5.3
Der infinitologische Gotteserweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
5.4
Absolute Infinitheit – inf. – Liebe, Liebe – inf. – Absolute Infinitheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
5.5
Die infinitolektische Ethik als eine ethiklose Ethik . . . . . . . . . . . . . . . 120
5.6
Was ist Zettaimugendô ( 絶対無限道 )? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
6.
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
7.
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
8
VORWORT Wir leben heute in einer Zeit der Interkulturalität und des weltweiten Dialogs, wo der mediale Austausch zwischen den Kulturen bereits zum Alltag gehört. Die neuesten technischen Medien und Kommunikationsnetzwerke wie u.a. das Internet machen es möglich, daß wir mit allen Teilen der Welt jederzeit kommunizieren können. Auch wenn dies für manche Länder noch nicht möglich ist, so sind diese Länder doch für uns heute nicht völlig unerreichbar. Wir wissen doch sehr wohl, wie dort die Menschen leben und wie dort die wirtschaftliche und politische Situation aussieht. Leider ist dieser interkulturelle Dialog in der europäischen Philosophie noch nicht alltäglich. „Die deutschsprachige Philosophie scheint sich hingegen bisher für die über den europäischen Rahmen hinausblickende interkulturelle Perspektive weniger zu interessieren. Zwar gab es auch im deutschsprachigen Raum immer wieder Versuche, interkulturelle Aspekte in die philosophische Forschung einzubeziehen, doch führte dies bisher nicht dazu, daß sich eine eigene Disziplin innerhalb der institutionalisierten Philosophie für diese sachliche Ausrichtung etablierte.“1 Es gibt heute zum Teil noch große Vorbehalte der asiatischen Philosophie bzw. der japanischen Philosophie gegenüber. Noch heute hört man häufig von den Gelehrten, daß bspw. die japanische Philosophie keine Philosophie sei. Die Absprache des philosophischen Status der nicht-europäischen Denkweisen verhindert vielmehr den Zugang zu den anderen Kulturen, als daß er ihn fördert. Den nicht-europäischen Denkweisen wird so jeglicher philosophische Gehalt abgesprochen und damit sind sie für jegliche philosophische Betrachtung nicht von Bedeutung. Damit macht man es sich meines Erachtens zu leicht. Da „Jeder Mensch, der aus seiner geistigen Unmündigkeit tritt, philosophiert“2, wie bereits Schelling sagte, ist Philosophie per definitionem immer schon interkulturell. Obwohl sich die europäische Philosophie heute langsam zu den anderen Kulturräumen hin öffnet und eine Bereitschaft zum Dialog mit den anderen Kulturen zeigt, was u.a. an der Gründung von Gesellschaften und Jahrbüchern, der Veranstaltung von Kongressen und Tagungen sowie an der Einrichtung von neuen Interkulturellen Studiengängen abgelesen werden kann, gibt es bisher nur wenige Interkulturelle Studien. Ich bin daher dem Iudicium-Verlag (München), insbesondere Herrn Dr. Peter Kapitza und Frau Elisabeth Schaidhammer äußerst dankbar, daß sie mein Buch sofort in ihr Verlagspro1 2
Vgl. R. ELBERFELD, 2004, S. 13. Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 1, 1.
9
gramm aufnehmen wollten. Dieses Buch war zuvor meine Magisterexamensarbeit, die ich im Jahr 2004 Frau Prof. Dr. Claudia Bickmann vom Philosophischen Seminar und Frau Prof. Dr. Franziska Ehmcke von der Japanologie der Universität zu Köln zur Erlangung des Grades der Magistra Artium vorgelegt hatte. An dieser Stelle möchte ich allen herzlich danken, die mir geholfen haben, dieses Buch zu schreiben und zu veröffentlichen. Ganz besonders möchte ich mich bei Frau Prof. Dr. Claudia Bickmann (Köln), Frau Prof. Dr. Franziska Ehmcke (Köln), Herrn Prof. Dr. Helmut Girndt (Duisburg) und Herrn Prof. Dr. Mamoru Takayama (Tôkyô) bedanken, die mich auf meinem oft sehr eigensinnigen Weg förderten und immer unterstützten. Herrn Prof. Dr. Girndt bin ich ganz besonders dankbar, da er mich in die Philosophie der Kyôto-Schule und insbesondere in die Philosophie Nishitani Keijis einführte, was für mich ein seltenes Glück war, womit mein bisheriges Leben und Denken eine Wende erfahren sollte. Diese Philosophie faszinierte mich so sehr, daß ich sofort mit dem intensiven Studium der Werke und Schriften der Kyôto-Schule begann. Im Winter des Jahres 2002 las ich Nishida Kitarôs Studie über das Gute (Zen no kenkyû 善の研究 ) zum ersten Mal, wo mir während der Lektüre des letzten Kapitels eine erleuchtende Erkenntnis kam: Hinter Nishidas ,Absoluter Dialektik’ verbirgt sich entbergend die ,Absolute Infinitheit’, die sich in ihrer Absolutheit als unhintergehbar erweist, womit ich den ,infinitologischen Gotteserweis’ entdeckt hatte. Meine ursprüngliche philosophische Einsicht führte mich so auf den unwegsamen ,Weg der Absoluten Infinitheit’ (zettaimugendô 絶対無限道 ), dem ich in meinen folgenden Ausführungen als einem Leitstern folgen werde, auf dem ich mich eigentlich schon immer, ohne es zu wissen, befunden hatte. Auch Frau Prof. Dr. Bickmann bin ich ganz besonders dankbar, da sie mich immer dazu ermutigt hat und mir die Freiheit gab, meinen selbst gewählten Weg der Absoluten Infinitheit als den absolut infiniten Weg zu gehen, wo die absolute infinite Kritik die Kritik der Absoluten Infinitheit (zettai mugen no hihan 絶対無限の批判 ) ist. Ich möchte mich an dieser Stelle aber nicht nur bei meinen einzigartigen Lehrern, sondern auch ganz besonders bei Silke Sparenberg und Mercedes Kahl für die wundervolle Freundschaft bedanken, die uns verbindet. Natürlich möchte ich mich auch bei meinen Eltern, Beate Maria Hantke und Gerhard Hantke, sowie bei meinem Bruder André Gerard Hantke für die liebevolle Unterstützung während meines Studiums und beim Schreiben dieses Buches bedanken, das den unwegsamen Weg in das ,neue Zeitalter der Absoluten Infinitheit’ (zettai mugen no shinjidai 絶対無限の新時代 ) weisen soll, wo sich die Identität und der Widerspruch, die östliche und die westliche Kultur unendlich lieben. Düsseldorf, Winter 2004 10
Der Absoluten Infinitheit als dem gottlosen Gott 無神の神 と し ての 絶対無限
1. EXPOSITION
1.1 DIE PHILOSOPHISCHE MODERNE IN JAPAN Die moderne1 Philosophie in Japan beginnt in der Meiji-Zeit (im letzten Drittel des 19. Jhs.) mit der Öffnung Japans zur westlichen Welt hin. Mit der Öffnung Japans wird der gesamte Bestand europäischer Wissenschaft und Philosophie mit einem Schlag zugänglich. Übersetzungen wissenschaftlicher und philosophischer Werke erscheinen. Zudem beginnt ein reger Austausch von Gelehrten. In den ersten fünfzehn Jahren stehen der Positivismus und der Utilitarismus im Zentrum. Später gibt es eine Spaltung in Idealismus und Materialismus. Zugleich besann man sich auf den Konfuzianismus und den Shintôismus zurück. Die Moderne ist somit (aus unserer Sicht) durch einen großen Widerspruch gekennzeichnet: Einerseits gilt die europäische Philosophie (Subjektivität) als Vorbild für eine moderne Gesellschaft, andererseits werden gerade die Formen des Subjekts und der Vernunft im Namen japanischer Tradition kritisiert und zurückgewiesen. Es gibt somit (aus unserer Sicht) ein Spannungsfeld von Einsicht in die Moderne und Auslegung der Tradition bzw. von Über-setzung und Wieder-holung. Dieser Prozeß von Über-setzung2 der fremden Kultur und der Wiederholung der eigenen Kultur ist für die Philosophie von Nishida Kitarô (西田幾 多郎), dem Begründer der Kyôto-Schule, charakteristisch, der von 1870 bis 1945 in Japan lebte.3 Auf sein Denken übte die griechische Philosophie, der neuzeitliche Empirismus und Rationalismus, die Lebensphilosophie Bergsons 1
2
3
Ich benutze den Terminus ,modern’ unter Vorbehalt. Ich bin mir der Problematik bewußt, die in der Übertragung westeuropäischer Termini auf andere Kulturen besteht. Da mir selbst kein anderer Terminus zur Verfügung steht und der Terminus in der Forschung anerkannt ist, werde ich dieser Terminologie mit bewußter Vorsicht folgen. Dies gilt in gleicher Weise für die anderen Termini. Ôhashi Ryôsuke faßt die japanische Moderne als ein Problem der Über-setzung (lat. transferre) auf. Vgl. hierzu OHASHI R., 1999, S. 129–145 und S. 166–176. Ferner: R. ELBERFELD, 1999a. Der Prozeß der Über-setzung ist im Grunde kein origineller Gedanke der Meiji-Zeit, sondern beginnt bereits schon sehr früh mit der Transformation der Kanji aus China. Aus
11
bis hin zur Phänomenologie Husserls und Heideggers, aus Indien – die Upanishaden und der Buddhismus – und aus China – der Buddhismus und der Neokonfuzianismus – einen großen Einfluß aus. Mittels der Aufnahme und Überformung fremder Denkwelten durch die japanische Geisteswelt hat Nishida eine originär japanische Philosophie geschaffen, die die Differenz (Entzwei-ung) von Ost und West zum Ausgang ihrer Überlegungen nimmt. Dazu gehörte notwendigerweise die Neubildung dinglicher und abstrakter Begriffe, die in dem Wortschatz der ostasiatischen Sprachen vollkommen fehlten. Um die völlig fremden europäischen Gedanken sinnadäquat erfassen zu können, waren Neubildungen und Neuprägungen unerläßlich. Soon-Young Park schreibt in seiner Dissertation Die Rezeption der deutschen Philosophie in Japan und Korea (Bochum 1976) folgendes: „Aus diesen Gründen waren ja Anstrengungen, wie Neuschöpfung, Neuzusammensetzung aus den bekannten Schriftzeichen und Wiederbelebung der veralteten Wörter usw. überhaupt notwendig, um exakt und präzise die Wortbedeutung zu bestimmen und somit die sinngemäße Wiedergabe der europäischen Gedanken zu ermöglichen. Diese Bemühung, die sich hauptsächlich auf die Neubildung konzentrierte, dauerte bis zum 19. Jh. an. Die neugebildeten Wörter, die in den einzelnen Übersetzungen aus den europäischen Texten oder in den von Japanern selbstverfaßten Büchern auftauchten, sind entweder Fachsprache einer geschlossenen Gelehrtengruppe geblieben oder als Bestandteile der Alltagssprache später in die allgemeinen Wörterbücher aufgenommen worden.“4 Die Problematik der Übersetzung kommt besonders deutlich bei den Abstrakta zum Ausdruck, die nicht ohne weiteres in eine andere Sprache übertragen werden können, da sie neben dem Nachvollzug des Wortinhalts einen zweifachen Bewußtwerdungsprozeß erfordern:5 Erstens eine Bewußtwerdung des kulturellen, sozialen und weltanschaulichen Hintergrundes des Fremden und zweitens eine Bewußtwerdung der Wortverwendungen innerhalb des eigenen Sprachsystems. Dieser zweifache Bewußtwerdungsprozeß ist in sich zirkelhaft und selbstreferenziell. Rolf Elberfeld schreibt in seiner Dissertation Kitarô Nishida und die Frage nach der Interkulturalität (Würzburg 1994):
3
4
5
12
diesem Grunde stand Japan schon immer in einem ,kulturellen Austauschprozeß’. Andererseits ist die Über-setzung westkulturellen Gedankenguts in die japanische Denktradition einzigartig für die Meiji-Zeit. Vgl. S.-Y. PARK, 1976, S. 20. In diesem Zusammenhang muß unbedingt das erste philosophische Wörterbuch von Inoue Tetsujirô Tetsugaku Jii ( 哲学 辞彙 ) genannt werden, das 1881 zum ersten Mal erschien. Vgl. S.-Y. PARK, 1976, S. 23.
„Über-setzung und Wieder-holung deutet in das zirkelhafte Geschehen einer Weltenbegegnung. Das neu Hinzukommende wird über-setzt in die eigene Welt, das Althergebrachte wird wieder-holt mit den Mitteln des Neuen, so daß im Austrag von Altem und Neuem eine neue Welt entsteht, d.h. im Falle Nishidas japanische Philosophie. Sowohl das Alte, als auch das Neue erhält in diesem Prozeß eine neue Gestalt. Mit Über-setzen und Wieder-holen ist hier genau das gemeint, was Nishida andeutet, wenn er davon spricht, daß die Japaner die ,Weltkultur‘ in sich aufnehmen müßten. Denn für ihn ist die Rettung und das Herausarbeiten der ostasiatischen Kultur nur möglich im Durchgang durch die europäische Kultur. Dabei geht es ihm aber nicht um eine bloße Einheitskultur, sondern um die Entfaltung des je eigenen Anfangs durch die Begegnung mit den anderen.“6 Mittels Über-setzung des Fremden und Wieder-holung bzw. Über-formung des Eigenen ist ein infiniter Selbstbewußtwerdungsprozeß verbunden, der zu einer qualitativen Höherentwicklung des Bewußtseins führt. Die japanische Kultur gelangt im Durchgang durch die europäische Kultur zu sich selbst auf einer qualitativ-höheren Ebene zurück. Dadurch kann sich die japanische Kultur selbst als Kultur retten und ihr Kulturell-Spezifisches herausarbeiten. Ähnliches würde für die europäische Kultur umgekehrt gelten. Transzendental-philosophisch formuliert: Die Begegnung mit der anderen Kultur ist der Grund der Möglichkeit für die Existenz der eigenen Kultur. Das Fremde und das Eigene sind zwei gegensätzliche Relata, die sich in einem infiniten Prozeß wechselseitig implizieren und sich so allererst in ihrem Sein erhalten. Würde das Eigene verabsolutiert und radikalisiert werden, dann würde das Fremde verschwinden und somit das Eigene auch. Würde das Fremde verabsolutiert und radikalisiert werden, so würde das Eigene verschwinden und somit das Fremde auch. Das Eigene ist demnach genau dann Eigenes, wenn es nichteigen, sondern fremd geworden ist. Und umgekehrt: Das Fremde ist genau dann Fremdes, wenn es nicht-fremd, sondern Eigenes geworden ist. Fremdes und Eigenes, Eigenes und Fremdes sind zwei sich wechselseitig implizierende Relata, die sich in einem infiniten Prozeß in ihrem Sein erhalten und sich gegenseitig vor ihrer Selbst-Nichtung bewahren und schützen. Kurz: Interkulturelle Philosophie ist der Grund der Möglichkeit für kulturelle Philosophie. Die eigene Kultur kann erst vor dem Hintergrund einer fremden Kultur, die fremde Kultur erst vor dem Hintergrund der eigenen Kultur allererst verstanden werden. Es gilt als ein Verdienst Nishidas, diesen Zusammenhang gesehen und erkannt zu haben. Nishida Kitarô schreibt am Ende seines Aufsatzes über Die morgenländischen und abendländischen Kulturformen in alter Zeit vom metaphysischen Standpunkt aus gesehen aus dem Jahre 1934: 6
Vgl. R. ELBERFELD, 1994, S. 33.
13
„Die wahre Kultur der Welt bildet sich nur dadurch, daß die verschiedenen Kulturen, während sie ihren eigenen Standpunkt behalten, durch die Vermittlung der Welt sich selbst entwickeln. Man soll zu diesem Zweck über die Grundlage seiner eigenen Kultur tief nachdenken und erklären, auf welcher Grundlage sie beruht und welche Beziehungen zu anderen Kulturen sie hat. Welche Verschiedenheiten bestehen zwischen den Grundlagen der morgenländischen und abendländischen Kultur? Welche Bedeutung hat die japanische Kultur innerhalb der morgenländischen? Die starke Seite ist zugleich auch die schwache. Wenn wir uns selbst eingehend untersuchen und die anderen Kulturen zu verstehen suchen, dann können wir selbst unsern Weg, auf dem wir fortschreiten sollen, wirklich finden.“7 Fassen wir zusammen: Nishida gilt als Begründer einer originär-modernen Philosophie in Japan, die das Fremde in ihre eigene Sprache über-setzt und das Eigene in einer neuen Sprache wieder-holt und überformt. Nishida ist demnach sowohl ein Denker der Interkulturalität, als auch ein interkultureller Denker.8 Da Kyôto in der japanischen Moderne das Zentrum eigenständiger japanischer Philosophie darstellte, wird Nishida zusammen mit Tanabe Hajime als Begründer der Kyôto-Schule verstanden, obwohl Nishida mit seiner Philosophie im Grunde überhaupt keine Schule begründen wollte. Ôhashi Ryôsuke nennt in seinem Buch Die Philosophie der Kyôto-Schule (Freiburg/München 1990)9 als Begründer der Kyôto-Schule – Nishida Kitarô (1870–1945) und Tanabe Hajime (1885–1962). Die Schule wurde dann von Hisamatsu Shin-ichi (1889–1980), Nishitani Keiji (1900–1990), Kôyama Iwao (1905–1993), Kôsaka Masaaki (1900–1969), Shimomura Toratarô (*1900) und Suzuki Shigetaka (1907–1988) gebildet und von Takeuchi Yoshinori (*1913), Tsujimura Kôichi (*1922) und Ueda Shizuteru (*1926) fortgeführt. Allen ist die offene und interkulturelle Ausrichtung ihres Denkens gemeinsam. Sie nehmen die westliche Denktradition auf und überformen diese mit ihrer östlichen Denktradition zu einer originellen Synthese. Sie haben verstanden, daß die Eigenwelt nur mittels der Fremdwelt, die Fremdwelt nur mittels der Eigenwelt verstanden werden kann. Beide sind in einer ,widersprüchlichen Selbstidentität‘ (mujunteki jikodôitsu 矛盾的自己同一 ) aufeinander bezogen. Das Ziel dieser absolut dialektischen Synthese besteht in der Etablierung der Einen Welten-Philosophie bzw. der Einen Welten-Religion, ohne die Mannigfaltigkeit der Kulturen, Philoso7 8
9
14
Vgl. NISHIDA K., Die morgenländischen und abendländischen Kulturformen, S. 19. Vgl. R. ELBERFELD, 1994, S. 35 und R. ELBERFELD, 1999: „Die eine Richtung – d.h. interkulturelle Philosophie – betont die Identität, die andere – Philosophie der Interkulturalität – die Differenz, ohne aber das jeweils andere Moment ganz aus dem Auge zu verlieren.“ (S. 272). Vgl. zudem: Ohashi R., 1986, S. 121–134.
phien und Religionen zu quittieren. Ôhashi Ryôsuke, der als Vertreter der ,Neuen Kyôto-Schule’ gelten kann, betont in seinem Buch Japan im interkulturellen Dialog (München 1999) den Gedanken der ,welthaften Welt‘ (sekaiteki sekai 世界的 世界) der Kyôto-Schule, den er in Zeiten der Interkulturalität als wegweisend ansieht: „Heute, in der Zeit der Interkulturalität, sieht man, daß die Philosophen der Kyôto-Schule eines vorweggenommen und vorausgesehen hatten, was erst in jüngster Zeit ausdrücklich gesagt wird und noch klarer gemacht werden soll: Die Notwendigkeit der ,welthaften Welt‘, in der jede Kulturwelt, gerade indem sie ihre kreative Subjektivität beibehält, diese ,Welt‘ mitbestimmt, ohne den Anspruch auf eine egozentrische Herrschaft, geschweige denn auf ,Orientalismus‘ oder ,Okzidentalismus‘ .“10 Aus diesem Grunde möchte ich mit meinem Buch einen Beitrag für diese ,welthafte Welt‘ leisten, die weder die Einheit, noch die Vielheit und Pluralität der Kulturen, Philosophien und Religionen verabsolutiert. Es möchte vielmehr die differenten Denktraditionen in ein Gespräch bringen und zur Selbstreflexion über die eigenen Wurzeln und Ursprünge einladen, die uns heute selbst fremd geworden sind. Ich möchte daher einen interkulturellen Dialog zwischen F.W.J. Schelling (1775–1854) und der Kyôto-Schule, insbesondere mit Nishida Kitarô (1870–1945) führen, der meines Erachtens gerade heute in der Zeit der Globalisierung und der Interkulturalität unbedingt geführt werden muß. Dieser interkulturelle Dialog ist nicht nur für das Verstehen des Anderen und Fremden, sondern insbesondere auch für das eigene Selbstverständnis unentbehrlich, da wir in einer Zeit leben, wo wir uns selbst fragwürdig geworden und unseres eigenen Selbst verlustig gegangen sind. Da ein Dialog, sei er intersubjektiv, interkulturell oder interreligiös, immer durch Gemeinsamkeiten und Unterschiede gekennzeichnet ist, wird auch hier nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Denkweisen beider gefragt werden müssen. F.W.J. Schelling und Nishida Kitarô sind zwei einzigartige Philosophen, die aus unterschiedlichen Denktraditionen stammen: Schelling gilt als Philosoph des Deutschen Idealismus, in dem die Philosophie der Subjektivität kulminiert, aber auch grundlegende Kritik an der Vorrangstellung der Reflexionsphilosophie bzw. des Subjekts zur Sprache gebracht wird,11 Nishida gilt (wie bereits erwähnt) als Begründer der modernen Philosophie in Japan (Kyôto-Schule). Im Zentrum dieses interkulturellen Dialoges soll die Frage nach dem Kulminationspunkt von Subjekt und Objekt bzw. Identität und Differenz stehen: Worin bestehen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Schellings ,Absoluter Vernunft‘ und Nishidas ,Reiner Erfah10 11
Vgl. OHASHI R., 1999, S. 188. Vgl. zudem: OHASHI R., 1990. Vgl. J. MATSUYAMA / H. J. SANDKÜHLER, 2000, S. 9.
15
rung‘ (junsui keiken 純粋 経験 ) bzw. dem ,Ort‘ (basho 場所 )? Worin bestehen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Schellings ,Absoluter Identität‘ und Nishidas ,widersprüchlicher Selbstidentität‘12? Da beide Philosophen nach dem zutiefst-höchsten Punkt im jenseitigen Diesseits von Identität und Differenz bzw. Denken und Sein fragen, soll nicht nur auf deren Philosophien und Denkweisen eingegangen, sondern auch ihr Lebensweg kurz dargestellt werden, da sich Denken und Sein wechselseitig implizieren. Ferner möchte ich die Frage nach der Originalität der japanischen Philosophie stellen. Wie bereits erwähnt hat die (Alte und Neue) Kyôto-Schule die abendländische Philosophie (u.a. die Philosophie Schellings) in ihre eigene Sprache und in ihr eigenes Denken über-setzt, ihre eigene Denktradition wieder-holt und so eine neue originär-japanische Philosophie kreiert. Ich möchte daher fragen, worin die ,Originalität‘ bzw. das Surplus der Philosophie der Kyôto-Schule bzw. Nishidas im Hinblick auf die Philosophie Schellings besteht? Inwieweit besitzt die moderne japanische Philosophie im Hinblick auf die abendländische Philosophie, in diesem Fall die Philosophie Schellings, einen höheren Bewußtseinsgrad? Kurz: Worin besteht die Tiefsinnigkeit und die Überlegenheit der Philosophie der Kyôto-Schule bzw. Nishidas im Hinblick auf die abendländische Philosophie? In dem zu führenden interkulturellen Dialog soll zunächst F.W.J. Schelling selbst mit seiner Schrift Darstellung meines Systems der Philosophie von 1801 zur Sprache kommen, wo er seine Identitätsphilosophie als eine Absolute oder Spekulative Metaphysik zum ersten Mal formuliert. Zudem wird auf die Troxler-Vorlesungsnachschrift vom Sommersemester 1801 zurückgegriffen, wo Schelling seine Zuhörer in seine Identitätsphilosophie einführt und Bemerkungen zu seiner Darstellung macht (2. Kapitel). Erst nach dieser ausführlichen Darstellung der Identitätsphilosophie Schellings kann die Philosophie Nishidas vorgestellt werden (3. Kapitel). In seinem Erstlingswerk der Studie über das Gute aus dem Jahre 1911 steht die ,Reine Erfahrung‘ im Zentrum der Betrachtung, die Schellings ,Absoluter Vernunft‘ noch sehr nahe steht. Da Nishida sich zu einer zunehmenden ,Entsubjektivierung‘ und ,Entpsychologisierung‘ genötigt sieht, entwickelt er im Jahre 1926 den Gedanken des ,Ortes‘. Da Schelling in seiner Darstellung eine ,Entsubjektivierung‘ seiner Frühidealisti12
16
Der Gedanke der ,Logik der widersprüchlichen Selbstidentität (mujunteki jikodôitsu no ronri 矛繽自己同一の 論理)’, den Nishida entwickelte, ist im Grunde auch dem Christentum nicht fremd. Dies kommt besonders in dem folgenden Vers deutlich zum Ausdruck: Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten. (Lk, 9, 24) Damit ist meines Erachtens das Fundament für einen interreligiösen Dialog zwischen Buddhismus und Christentum gefunden. Vgl. H. WALDENFELS, 1976 und M. SHIMIZU, 1981.
schen Philosophie vornimmt, wird nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden der ,Entsubjektivierung‘ zwischen Schelling und Nishida gefragt werden müssen. Inwieweit kann Nishida die ,Entsubjektivierung‘ Schellings selbst weiter fortführen und somit diese transzendieren? Gelingt Nishida selbst die ,Entsubjektivierung‘ seiner eigenen ,Frühphilosophie‘? Damit stellt sich die Frage, inwieweit Nishida seinen eigenen hohen Anspruch selbst einzulösen vermag. Da Nishidas Philosophie nicht von Kritik verschont geblieben ist, wird nach der Rezeptionsgeschichte gefragt werden müssen (4. Kapitel). Dort gibt es zwei Lager, die einerseits die Identität, andererseits die Differenz der ,widersprüchlichen Selbstidentität‘ Nishidas betonen. Inwieweit die Kritik gerechtfertigt ist oder Nishidas philosophischen Ansatz absolut verfehlt, wird zu fragen sein. Abschließend soll ein Ausblick auf das ,neue Zeitalter der Absoluten Infinitheit‘ gegeben werden (5. Kapitel). Dabei soll gefragt werden, was sich hinter dem allen Dualitäten zutiefst erhabenen Kulminationspunkt in Wahrheit entbergend verbirgt? Verbirgt sich hinter diesen Philosophien nicht gerade die Absolute Unendlichkeit, die bei Schelling im Gewand der ,Absoluten Identität‘ und bei Nishida hinter der Maske der ,widersprüchlichen Identität‘ auftritt? Sind diese Philosophien nicht ,Infinitialien‘ (Signaturen) der Absoluten Unendlichkeit bzw. der Absoluten Infinitheit (zettai mugen 絶対無限)? Ist die Absolute Infinitheit nicht gerade das wahre Medium zwischen Identität und Differenz, Denken und Sein bzw. neuzeitlichem Systemdenken und postmoderner Systemlosigkeit? Können wir bei den Philosophien von Schelling und Nishida nicht eine ,Absolute Infinitialisierung‘ beobachten, die die Philosophien aufgrund der Infinitolektik von innen her sprengt? Erweist sich nicht gerade dadurch die Absolute Infinitheit als absolut unhintergehbar? Ist damit nicht ein ,neuer Gotteserweis‘ aufgefunden? Worin besteht die absolute infinite Kritik als Kritik der Absoluten Infinitheit? Stehen wir heute nicht an der Schwelle zu einem ,neuen Zeitalter‘ (shinjidai 新時代 ) in der Philosophiegeschichte, in dem wir uns eigentlich schon immer befunden haben? Folgen wir nach einer kurzen Skizzierung des Forschungsstandes dem unwegsamen ,Weg der Absoluten Infinitheit‘, der von der Philosophie Schellings über die Philosophie Nishidas bis in die Gegenwart führt.
1.2 FORSCHUNGSSTAND Die Notwendigkeit eines interkulturellen Dialoges zwischen Ost und West kann auch anhand der mangelnden Forschungsliteratur abgelesen werden. Dieses Desiderat an Forschungsliteratur besteht hauptsächlich auf westlicher Seite. Abgesehen von den Arbeiten von Ôhashi Ryôsuke, beispielsweise seine 17
Dissertation Ekstase und Gelassenheit. Zu Schelling und Heidegger (München 1975) und seine zahlreichen Aufsätze u.a. zu Schelling, Husserl, Heidegger und Nishida sowie zur Interkulturellen Philosophie und Ästhetik sowie die Dissertation von Hideki Mine Ungrund und Mitwissenschaft. Das Problem der Freiheit in der Spätphilosophie Schellings (Frankfurt/M. 1983) sind mir selbst keine vergleichbaren Arbeiten im europäischen bzw. westlichen Kulturraum bekannt. Da sich die europäische Schellingforschung zu anderen Kulturräumen hin noch nicht geöffnet hat, kann meines Erachtens von einer ‚prä-modernen-europäischen Schellingforschung‘ gesprochen werden.13 Diese mangelnde Beschäftigung mit der japanischen Philosophie kann meines Erachtens auf zweierlei Ursachen zurückgeführt werden: Erstens auf die mangelnden Kenntnisse der japanischen Sprache der westlichen Gelehrten, zweitens auf noch fehlende Übersetzungen der wesentlichen Texte der Kyôto-Schule, vor allem denjenigen von Nishida Kitarô (NKZ = Nishida Kitarô zenshû) und Tanabe Hajime (THZ = Tanabe Hajime zenshû). Aus diesem Grunde ist der interkulturelle Dialog auf seiten der westlichen Welt auf zweierlei Weise erschwert. Andererseits treffen diese Erschwernisse in gleicher Weise auf den ostasiatischen Kulturraum zu, so daß es im Grunde keine ‚wahren‘ Gründe für die Nicht-Beschäftigung mit der Rezeption Schellings in Japan gibt. Da dieser interkulturelle Dialog seitens Japans schon seit längerem geführt wird, wie dies der Sammelband von Matsuyama Juichi und Hans Jörg Sandkühler Natur, Kunst und Geschichte der Freiheit. Studien zur Philosophie F.W.J. Schellings in Japan (Frankfurt/M. 2000) klar zeigt, ist die Dialogverweigerung des Westens noch weniger begreiflich. 1992 wurde die Schelling-Gesellschaft Japan14 gegründet, deren heutiger Präsident Takayama Mamoru ist, die sich zum Ziel gesetzt hat, über die historisch bedingten kulturellen und sprachlichen Unterschiede der Traditionen hinaus, die universelle Bedeutung des Schellingschen Denkens für die Gegenwart an den Tag zu bringen.15 Zwei Jahre nach der Gründung der Schelling-Gesellschaft Japan ist ein umfangreicher Sammelband Abhandlungen über die Philosophie Schellings erschienen (über 400 Seiten), der von Nishikawa T., dem damaligen Präsidenten der Gesellschaft, Takayama M., Nagashima T., Fujita M. und Matsuyama J., dem damaligen Sekretär der Gesellschaft, herausgegeben wurde. Die Gesellschaft veran13
14 15
18
Nach Rolf Elberfeld ist „eine Moderne [genau; M.H.] dann modern, wenn sie zu einer welthaften Welt geworden ist, d.h. wenn sie sich in der bewußten Auseinandersetzung mit den anderen Kulturen selbst gestaltet. […] ,Modern’ ist demnach derjenige, der seiner eigenen Tradition ein Selbstbewußtsein gibt und sich auf seine Weise und geprägt durch den eigenen geschichtlichen Hintergrund in die Weltgemeinschaft einbringt.“ (R. ELBERFELD, 1994, S. 125). Vgl. zur Arbeit der ,Schelling-Gesellschaft Japan’ in: J. MATSUYAMA / H. J. SANDKÜHLER, 2000, S. 21–23. Ebd. S. 12.
staltet jährliche Fachtagungen und gibt die Zeitschrift Schelling-Jahrbuch (Schelling Nempo) sowie gelegentlich auch Schelling-Studien heraus. Zudem wird zur Zeit die Publikation einer zwölfbändigen japanischen Ausgabe der Schriften Schellings vorbereitet. Fernerhin sind in Japan bis heute in großer Zahl Schelling-Studien erschienen, die in Europa weitgehend unbekannt sind. Der oben genannte Sammelband von Matsuyama Juichi und Hans Jörg Sandkühler enthält eine ausführliche Bibliographie zur japanischen Schelling-Forschung von 1918 bis 1999 im Anhang, auf die an dieser Stelle hingewiesen sein soll. Die Rezeption der europäischen Philosophie hat, wie Matsuyama Juichi in seiner Einleitung – Zur Situation der Schelling-Forschung in Japan in diesem Sammelband schreibt, in Japan eine lange Tradition, deren Entwicklung sich in drei Zeitabschnitte gliedern läßt:16 (1) Die Vorbereitungszeit am Ende der Edo- (ca. 1860– 1868) und in der Meiji-Periode (1868–1912), (2) die Blütezeit in der Taisho(1912–1925) und in den ersten Jahren der Showa-Periode (1925–1945) und (3) die Entwicklungszeit in der zweiten Hälfte der Showa- (1945–1988) und während der Heisei-Periode (1988ff.), d.h. von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute: Wurde in der Vorbereitungszeit (1) der Name Schellings in den Vorlesungen von Nishi Amane und von dem amerikanischen Professor Ernest F. Fenollosa mehrmals erwähnt, so erschienen aber noch keine expliziten Aufsätze über Schelling. Aufsätze über Schelling erschienen erst in der Taisho- und in den ersten Jahren der Showa-Periode (2). Besonders zu nennen wäre die erste Monographie über Schelling von Okamoto H. im Jahre 1918 zum Thema Schellings Begriff des Symbols (Diplomarbeit) sowie die Aufsätze von Kubo M. Der Begriff des Absoluten bei Schelling (1919), von Sera H. Die Entwicklung der Philosophie der Freiheit bei Schelling und von Nishitani K. Das Reale und das Ideale. Zur Bedeutung der Identitätsphilosophie Schellings (1924). Fernerhin veröffentlichte Nishitani K. Übersetzungen mit Anmerkungen zu Philosophie und Religion sowie zur Freiheitsschrift Schellings. Zudem erschienen die weiteren Monographien von Katsuta M. Schelling (1934), von Suzuki T. Vorläufer Hegels. Unter besonderer Berücksichtigung Schellings (1935), von Kimura M. Studien zum Deutschen Idealismus (1941), von Akamatsu M. Studien zur Philosophie Schellings. Intellektuelle Anschauung und Dialektik (1943) und von Saito S. Metaphysik der Existenz (1944). In den Jahren nach 1945 (3) wurde die Philosophie Schellings zunehmend unter bestimmten Aspekten betrachtet, Schellings Philosophie als Zwischenstufe der Entwicklung des Deutschen Idealismus, Schellings Philosophie als Vorläufer der Existenzphilosophie, Schellings Naturphilosophie, Schellings romantische Ästhetik, Schellings Philosophie der Freiheit, Schellings Mythologie, u.a. 16
Ebd. S. 15ff.
19
Ich möchte hiermit die Darstellung des Forschungsstandes abschließen. Es dürfte deutlich geworden sein, daß Japan im Gegensatz zum Westen schon längst einen interkulturellen Dialog führt und sich dem Fremden geöffnet hat. Dies zeigt deutlich die Gründung der Schelling-Gesellschaft Japan im Jahre 1992 sowie die unzählig erschienenen japanischen Publikationen zur Philosophie Schellings, von denen hier nur ein kleiner Bruchteil erwähnt werden konnte. Deswegen möchte ich zusammen mit Matsuyama Juichi hoffen, „daß von nun an Schelling Interessierte ihre Aufmerksamkeit vermehrt auch der Japanischen Schelling-Forschung zuwenden.“17
1.3 ZUR GESTALTUNG DES TEXTES (1)Dieser Arbeit liegt folgende Schelling-Werkausgabe zugrunde: Friedrich Wilhelm von Schelling: Sämmtliche Werke [kurz: SW], hg. v. K. F. A. Schelling, Bd. 1–14, Stuttgart/Augsburg 1856–61. (2)Zur Ergänzung wird auf die Vorlesungsnachschrift von Ignaz Paul Vital Troxler (1780–1866) vom Sommersemester 1801 (in: Klaus Düsing (Hg.), 1988: Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801–1802). Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften von I. P. V. Troxler, Köln) und auf den FichteSchelling Briefwechsel in den beiden Ausgaben von Walter Schulz (Frankfurt/M. 1968) und Hartmut Traub (Neuried 2001) zurückgegriffen. (3)Aufgrund mangelnder Kenntnisse der japanischen Sprache wird auf deutsche und englische Übersetzungen verwiesen. (4)Die Transkription der japanischen Sprache erfolgt nach den Regeln des Hepburn-Systems (hebon-shiki ヘボ ン式 ). Der deutschen Übersetzung der japanischen Termini folgt in Klammern die Umschrift in Romaji und die Angabe des/der Kanji nach. (5)Bei den japanischen Autoren folgt in der üblichen Weise der Vorname dem Nachnamen nach.
17
20
Ebd. S. 23.
2. DIE IDENTITÄTSPHILOSOPHIE VON F.W.J. SCHELLING
Ich möchte mich nun auf eine Reise durch das Leben und das Denken F.W.J. Schellings (1775–1854) begeben. Schelling gilt als Philosoph des Deutschen Idealismus, in dem die Philosophie der Subjektivität kulminiert, aber auch grundlegende Kritik an der Vorrangstellung der Reflexionsphilosophie bzw. des Subjekts zur Sprache gebracht wird. Damit haben wir die erste Station auf dem ,unwegsamen Weg der Absoluten Infinitheit’ bzw. des ,Absoluten systemlosen Systems’ erreicht. Am Anfang unserer Reise soll zunächst Schellings Lebensweg stehen: Wer war Schelling? Wie sah sein Leben aus? – Diese Fragen erscheinen mir wichtig, da Schelling in seiner Identitätsphilosophie nach dem Kulminationspunkt von Philosophie und Leben bzw. Denken und Sein fragt. Aus diesem Grunde möchte ich nicht nur Schellings Identitätsphilosophie, sondern auch seinen gesamten Lebensweg betrachten. In den darauf folgenden Ausführungen wird der Weg von seinen Frühschriften hin zu seiner Identitätsphilosophie aufgezeigt werden. Was veranlaßte Schelling zur Konzeption der Absoluten oder Spekulativen Metaphysik? Was war der Anlaß für die ,Kehre‘ in seinem Denken? Wie sieht Schelling seine Philosophie im Verhältnis zur Philosophie Fichtes? Gelingt Schelling selbst die Entsubjektivierung seiner Frühphilosophie? Danach soll Schelling selbst mit seiner Schrift Darstellung meines Systems der Philosophie von 1801 zur Sprache kommen, wo er seine Identitätsphilosophie als eine Absolute oder Spekulative Metaphysik zum ersten Mal formuliert. Dabei soll das ,Reich der Absoluten Vernunft und der Potenzen‘ betrachtet werden. Was ist für Schelling das Absolute, wo alle Dualitäten in Eins zusammenfallen? Was verbirgt sich entbergend hinter diesem Absoluten? In einer abschließenden Betrachtung soll absolut kritisch gefragt werden, ob Schelling das ,wahre Medium‘ zwischen allen Dualitäten gefunden hat. Besteht das tragische Scheitern Schellings nicht gerade darin, daß sein ,systemloses System‘ die Identität, die Systematik, das Sein und die Widerspruchsfreiheit verabsolutiert und so letztlich von einer höheren ,Systematik‘ umfaßt wird? Können wir bei der Identitätsphilosophie nicht eine ,Absolute Infinitialisierung‘ beobachten, wo sich die Identitätsphilosophie hin zum ,Anderen ihrer selbst‘ sprengt? Ich möchte nun die Höhen und Tiefen von Schellings Leben betrachten.
21
2.1 DER LEBENSWEG F.W.J. SCHELLINGS18 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling wurde am 27. Januar 1775 in Leonberg (westlich von Stuttgart) als Sohn eines Pfarrers geboren, der neben der Theologie insbesondere auf dem Gebiet der Orientalistik sehr gelehrt war. Als Schelling zwei Jahre alt war, wurde sein Vater nach Bebenhausen versetzt, wo künftige evangelische Theologiestudenten erzogen wurden und das Schellings Heimat wurde. Mit bereits elf Jahren verfaßte Schelling eine Geschichte des Klosters Bebenhausen. Schelling besuchte 1785 in Nürtingen die Volks- und die Lateinschule, wo er ein Mitschüler Hölderlins war und kehrte ein Jahr später nach Bebenhausen zurück, wo er von seinem Vater selbst unterrichtet wurde. Schelling lernte so die Literaturen der Alten Welt und die klassischen Sprachen kennen und war mit ihnen so vertraut, daß er es verstand, in den fremden Sprachen Gedichte zu verfassen. Bereits mit 15 Jahren war Schelling seinen Mitschülern so weit voraus, daß sich sein Vater um eine Aufnahme in das Tübinger Stift bemühte. Von Herbst 1790 bis Sommer 1795 verbrachte Schelling im Tübinger Stift, wo ein Geist altväterlicher Strenge herrschte und die Studenten zu gesittetem Lebenswandel anhielt. Es war eine schicksalhafte Fügung, daß Schelling in die Augustinerstube eingewiesen wurde, wo er zusammen mit Hegel und Hölderlin leben sollte. Alle drei Philosophen gehören zu den größten Denkern ihrer Zeit und verlebten hier zwei entscheidende Studienjahre zusammen. Im Stift hielten langsam der Geist der Aufklärung und die revolutionären Ideen der französischen Revolution Einzug, die zu einer Auflehnung gegen die Stiftserziehung führten. Die Studenten gründeten daraufhin eine heimliche Verbindung, woran Schelling und Hegel auch beteiligt waren. Ihre Kritik kulminierte in biblischen Wendungen wie ,Das Reich Gottes komme, und unsere Hände seien nicht müßig im Schoße!‘ oder auch in Ausdrücken wie ,Vernunft und Freiheit bleiben unsere Losung‘, worin sich der Geist der Studenten widerspiegelt. Die drei Freunde, Schelling, Hegel und Hölderlin, versammelten sich zur gemeinsamen Lektüre von Platons Schriften und kamen mit den Philosophien Jacobis, Spinozas, Kants, Lessings, Herders und Schillers in Berührung. Kants Erkenntniskritik war den Stipendiaten schon durch die Vorlesungen von J.F. Flatt vertraut geworden, der sich scharfsinnig mit ihr auseinandersetzte. Die Studenten interessierte in der ,Kritik der reinen Vernunft‘ nicht so sehr die kritische Analyse des Erkenntnisvermögens, sondern vielmehr der Nachweis der Unmöglichkeit des Beweises vom Dasein Gottes und seine Implikationen für die Theologie. Ferner interessierte sie in der ,Kritik der prakti18
22
Vgl. A. GULYGA, 1989; X. TILLIETTE, 2004; J. KIRCHHOFF, 42000 und H. ZELTNER, 1954.
schen Vernunft‘ der Gedanke, daß die Vernunft ihr eigener Gesetzgeber ist, was ihre Auflehnung unterstützte. Ferner war für sie die Einheit von Natur, Mensch und Gott leitend, was in dem Wort Heraklits ,Hen kai pan (Ein und Alles)‘ zum Ausdruck gebracht wurde. Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, in welcher Fremdheit und Feindschaft die drei Philosophen der vorherrschenden Theologie gegenüberstanden, obwohl sie sich stets um eine Einheit von Philosophie und Theologie bemühten und nicht an der Wahrheit des Christentums zweifelten. Schelling hatte wie seine Freunde nach seinem Abschluß des Studiums kein kirchliches Amt übernommen, aber doch bei seinem Vater in Schorndorf öfters gepredigt. Schelling hatte bereits in seiner Kindheit eine schnelle Auffassungsgabe bewiesen. Zudem fiel es ihm erstaunlich leicht, Neues zu produzieren. Er brauchte nur einen kleinen Anstoß, um originelle und bedeutende Texte zu schreiben. Aufgrund seiner hervorragenden orientalischen Kenntnisse, die er von seinem Vater erworben hatte, erwartete man von ihm, daß er sich der Orientalistik zuwenden würde. Sein Geist war aber viel zu lebendig und zu umfassend, so daß er sich immer stärker der Philosophie zuwandte. Nach zwei Jahren legte Schelling am 26. September 1792 eine eigenständige philosophische Magisterdissertation Antiquissimi de prima malorum humanorum origine philosophematis Genes. III explicandi tentamen criticum et philosophicum vor. Dasselbe Thema hatte er in einer Abhandlung 1793 Über Mythen, historische Sagen und Philosopheme der ältesten Welt ausgeführt. In dieser Zeit lebt und webt Schelling in der Philosophie und sieht die Philosophie noch nicht an ihrem Ende. Was Schelling an seine Mission glauben läßt, ist die Begegnung mit J.G. Fichte. Schelling hatte 1794 unter dem Einfluß Fichtes eine philosophische Abhandlung Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt geschrieben. Schelling hatte sehr schnell das Wesentliche begriffen, woraufhin er 1795 eine weitere Abhandlung Vom Ich als Prinzip der Philosophie und seine theologische Examensdissertation De Marcione Paulinarum epistolarum emendatore. Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kritizismus verfaßte. Im November desselben Jahres erhielt Schelling eine Anstellung als Hofmeister bei Baron von Riedesel. Schelling erteilte den Baronen Unterricht in den verschiedensten Fächern, woraus die Neue Deduktion des Naturrechts erwuchs, die im ,Philosophischen Journal‘ erschien. Ende April 1796 siedelt Schelling von Stuttgart nach Leipzig über, wo er Vorlesungen über Mathematik, Physik und Chemie hörte. Er arbeitete sich in diese Gebiete schnell ein, so daß er schon bald mit der laufenden Diskussion vertraut war. Neben vielen naturwissenschaftlichen Studien schreibt Schelling 1797 die Ideen zu einer Philosophie der Natur und im folgenden Jahr die Schrift Von der Weltseele. Nachdem er bereits 1797 die Abhandlungen zur Erläuterung der Wissenschaftslehre schrieb, entstehen in den folgenden Jahren ähnliche Aufsätze und Rezensionen zu den verschiedensten 23
Problembereichen. Aufgrund der dauernden Überbeanspruchung wurde er krank. Der Theologieprofessor Immanuel Niethammer in Jena war schon früh auf das junge philosophische Genie aufmerksam geworden und vermittelte ihn zur Universität und machte ihn u.a. mit Goethe bekannt. Auch Schiller wies Goethe auf Schellings naturphilosophische Schriften hin. Schelling besuchte Goethe im Jahr 1798. In Goethe wuchs daraufhin der Wunsch, Schelling in der Nähe zu haben und ihn für die Jenaer Universität zu gewinnen. Bereits im gleichen Jahr wurde Schelling als außerordentlicher Professor der Philosophie nach Jena berufen. Jena war in dieser Zeit der geistige Mittelpunkt, wo u.a. auch Fichte wirkte. Vom 18. August bis zum 1. Oktober 1797 reiste Schelling nach Dresden, wo er Novalis, die Brüder Schlegel, Frau Karoline, Gries und Fichte traf. Auch dieses Zusammentreffen der größten Denker im Gespräch war etwas sehr Außergewöhnliches. Der Mittelpunkt dieses Kreises war jene einzigartige Frau, die für Schelling in den kommenden Jahren in seinem Leben eines wichtige Rolle spielte. Es war Karoline, die damals seit zwei Jahren die Frau August Wilhelm Schlegels war. Beide sahen sich füreinander bestimmt. Diese Zeit war Schellings reichste und produktivste Epoche. Durch gemeinsame schwere Erlebnisse, wie u.a. der Tod Auguste Böhmers, wurden sie vollends eins und sie beschlossen, zusammen zu leben, nachdem sie sich von Schlegel hatte scheiden lassen. In der gleichen Zeit wurde Goethes Verhältnis zu Schelling immer enger. Goethe war von Schellings System des transzendentalen Idealismus sehr angezogen, so daß er sich ,eine völlige Vereinigung‘ durch das Studium seiner Schriften und den persönlichen Umgang wünschte. Beide verband eine besondere Geistesverwandtschaft. Durch Schellings spätere Hinwendung zur Religion und zum Christentum hat sich Schelling von Goethe immer weiter entfremdet. In den Jenaer Jahren traf er auf den Kreis der Romantiker, zu dem u.a. die Gebrüder Schlegel, Tieck, Novalis und Schleiermacher zählten. In diesem Kreis lernte Schelling Italienisch und las die spanischen Dramatiker. Schellings Verhältnis zu seinen Kollegen war allerdings weniger erfreulich. Aufgrund des Atheismusstreites wurde dem persönlichen Umgang mit Fichte ein Ende gesetzt. 1799 war Fichte nach Berlin gegangen, wo in Briefen große Meinungsverschiedenheiten zu Tage traten, die beide Denker schon bald auseinander bringen sollten. Im Januar 1801 kam Hegel nach Jena, wo im folgenden Jahr beide das Kritische Journal der Philosophie herausgaben. Zu dieser Zeit betrieb Schelling sehr viele naturphilosophische Studien und wandte sich auch der Medizin zu, wo er ebenfalls großes Ansehen genoß. 1802 erhielt er in Landshut den Ehrendoktor der Medizin und 1803 wurde er Ehrenmitglied in der Physikalisch-Medizinischen Sozietät zu Erlangen. Im gleichen Jahr erschienen die Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, wo sich Schelling auf dem Höhepunkt seiner akademischen Wirksamkeit befand. 24
Jedoch gab es bereits Anzeichen für eine Krise. Im Herbst 1802 gab es von der Jenaer Literaturzeitung Angriffe gegen Schelling, so daß er nicht länger in Jena bleiben wollte und als Ordinarius 1803 an die Universität Würzburg ging. Da der Bischof den jungen Klerikern den Besuch der Vorlesungen von Schelling verbot und man ihn auch hier angriff, reiste Schelling 1806 zur Akademie der Wissenschaften nach München, wo er zu Franz v. Baader in eine nähere Beziehung trat. Neue literarische Vorhaben wurden durch vielfache Erkrankungen gehemmt. Zudem traf ihn der Tod Karolines am 7. September 1809 schwer. Dieses Ereignis markiert einen Wendepunkt in Schellings Leben. Er zog sich von der Öffentlichkeit zurück, suchte die Einsamkeit und veröffentlichte in den restlichen 43 Jahren seines Lebens kein größeres philosophisches Werk mehr. Das Jahr 1810 verbrachte Schelling im privaten Kreis, wo er nach mehrfachen Erkrankungen Erholung suchte. Dort wurde er auch gebeten, Vorlesungen zu halten, wo er neuen Mut schöpfte und mit der Arbeit an den Weltaltern begann. Dieses Vorhaben war allerdings zu gewaltig, so daß Schelling an seinem eigenen Ziel scheiterte. Inzwischen hatte er mit Pauline Gotter, der Tochter einer Freundin Karolines, eine zweite Ehe geschlossen, wo er das Glück des Familienvaters fand. Aufgrund seiner Labilität ging Schelling im Herbst 1820 nach Erlangen, wo er Erholung suchte, und im Jahr 1827 wieder zurück nach München. Dort hielt er Vorlesungen über die Geschichte der neueren Philosophie und arbeitete an philosophiegeschichtlichen Interpretationen zu Aristoteles und Platon, die die Einleitung zu seiner Philosophie der Mythologie und Offenbarung darstellen sollten. Im Herbst 1814 folgte Schelling, früh gealtert, dem Ruf an die Berliner Universität, wo er auf seine entschiedensten Gegner traf: die Hegelianer und die kirchliche Orthodoxie. In Berlin hielt er Vorlesungen über die Philosophie der Mythologie und der Offenbarung, die ohne Wissen und Wollen Schellings veröffentlicht wurden. G.E. Paulus veröffentlichte sogar die vollständige Vorlesung aus Schellings erstem Berliner Semester unter seinem eigenen Namen. Schelling führte gegen ihn einen Prozeß, allerdings ohne Erfolg. Dies nahm Schelling zum Anlaß, seine Vorlesungen für immer einzustellen. Seitdem lebte er sehr zurückgezogen mit Freunden, darunter Savigny und die Brüder Grimm, mit seinen Kindern und Enkelkindern. Er nahm noch Anteil an den Ereignissen seiner Zeit, jedoch ohne sich öffentlich zu äußern, und arbeitete an der Darstellung seiner philosophischen Ideen. Auf einer Erholungsreise in die Schweiz ist Schelling am 20. August 1854 im Alter von 79 Jahren in Ragaz gestorben. Das ihm dort von seinem königlichen Schüler errichtete Grabmal trägt die Aufschrift: ,Dem ersten Denker Deutschlands‘.
25
2.2 VOM FRÜHIDEALISMUS ZUM SPEKULATIVEN IDEALISMUS Das Jahr 1801 kann als ein entscheidender Wendepunkt im Denken des Deutschen Idealismus bezeichnet werden. Sowohl Schelling, als auch sein Freund Hegel konzipieren ihre erste ‚Absolute oder Spekulative Metaphysik’. War Schelling in seiner Frühphilosophie vom Ich bzw. vom Selbstbewußtsein als Prinzip19 ausgegangen und war für ihn das Absolute (wie auch in der Negativen Theologie) vollkommen unerkennbar, so geht er nun von der Absoluten Vernunft aus, womit gleichzeitig der „Anspruch auf vollständige Erkenntnis des Absoluten“20 erhoben wird, womit die Metaphysik dann selbst einen absoluten Status erhält. Damit der Wendepunkt bzw. die ‚Kehre’ (mit den Worten Heideggers gesprochen) im Denken des Deutschen Idealismus begreiflich gemacht werden kann, muß man sich die Beweggründe deutlich vor Augen führen, die zu einem solchen Wandel im Denken führten. Schelling hatte in seinem System des transzendentalen Idealismus (kurz: System) von 1800 den Streit der beiden Lager – Idealismus und Realismus – in der Genie-Ästhetik zu schlichten versucht. Jedoch blieb das Eine Absolute im künstlerischen Vollendungsakt des Genies letztlich unerkennbar, weil unser reflexiv-diskursives Denken das absolut Eine nicht zu erfassen vermag, da der Reflexionsakt immer in sich different und analytisch ist. Dieser philosophische Ansatz kann insgesamt als ‚frühidealistisch‘ bezeichnet werden: „Als idealistisch, d.h. als zugehörig zur Gesamtrichtung der Philosophie des deutschen Idealismus, kann eine Konzeption gelten, die als Lösung der Prinzipienfrage ein bestimmtes Verhältnis von Ich und Absolutem entwirft und metaphysisch expliziert. Frühidealistisch ist dann ein Ansatz, in dem das Absolute innerhalb dieses Verhältnisses zwar als Grund, aber zugleich in seinen wesentlichen Bestimmungen als unerkennbar für die Philosophie aufgefaßt wird. In dieser Weise konzipiert Schelling das Absolute in seinen Schriften um 1800.“21
19
20 21
26
Schelling geht in seiner Frühphilosophie vom Ich bzw. vom Selbstbewußtsein aus, die sehr von Fichtes Wissenschaftslehre inspiriert und somit noch sehr ,subjektiv’ ist. Schelling schreibt am Ende der Schrift Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt (1794): „Suchet die Merkmale, an denen alle die ewige Wahrheit erkennen müssen, zuerst im Menschen selbst, ehe ihr sie in ihrer göttlichen Gestalt vom Himmel auf die Erde rufet! Dann wird Euch das übrige alles zufallen!“ (SW, I, 1, 112; eigene Hervorhebung) Schellings gesamte Frühphilosophie kann demnach als eine ,Apotheose des Ich’ gelesen und verstanden werden. Erst mit seiner Schrift Darstellung meines Systems der Philosophie (1800) beginnt die ,Entsubjektivierung’ seiner Frühphilosophie. Vgl. K. DÜSING, 1988, S. 100. Ferner: K. DÜSING, 1980, S. 25–44; 1987, S. 109–136 und 1999, S. 144–163. Vgl. K. DÜSING, 1988, S. 105.
Doch was veranlaßte Schelling dazu, seinen frühidealistischen Standpunkt zu verlassen? Welche Beweggründe führten Schelling zu seiner Konzeption der Absoluten oder Spekulativen Metaphysik? Im Grunde deutet sich diese Entwicklung bereits in seinem System an. Dort hatte Schelling den Idealismus bereits als gleichrangig neben den Realismus gestellt. War bei Fichte der Idealismus dem Realismus klar vorgeordnet, so erfährt dieser von Schelling bereits im System eine deutliche Depotenzierung. Transzendental- und Naturphilosophie sind jetzt nur noch zwei gleichrangige und gleichwertige Perspektiven des Einen, das aber letztlich von uns nicht erkannt werden kann (Negative Theologie). Mit dieser Beiordnung der Naturphilosophie zur Transzendentalphilosophie hat Schelling eine ‚Entsubjektivierung‘ der Philosophie Fichtes vorgenommen. Damit hatte Schelling nicht nur die Philosophie Kants22, sondern auch die Philosophie Fichtes transzendiert und einen eigenen philosophischen Standpunkt gefunden.23 Schelling wollte den Idealismus bzw. die Transzendentalphilosophie nicht nur erweitern, sondern eine Philosophie entwickeln, die diesem deutlich überlegen ist.24 Der Grund für diesen Überbietungsversuch muß im starken Selbstbewußtsein und in der Hybris Schellings gesucht werden. Fernerhin können noch folgende Gründe für die Konzeption der Absoluten oder Spekulativen Metaphysik genannt werden. Klaus Düsing nennt in seinem Buch Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801–1802) (Köln 1988) folgende zusätzlichen Gründe, die Schelling veranlaßt haben dürften, seine Identitätsphilosophie zu entwickeln: Diese radikale ‚Kehre‘ im Denken und in den systematischen Ansätzen Schellings läßt sich einerseits auf seine Emanzipation von der Philosophie Fichtes, andererseits auf die Begegnung mit Hegel zurückführen. Klaus Düsing schreibt: „Daß […] Schelling über seinen frühidealistischen Ansatz hinausgeht, beruht offenbar auf seinem Ungenügen an seinen bisherigen Argumenten gegen Fichtes transzendentalen Idealismus. Es geht ihm dabei um die Andersartigkeit und Selbständigkeit seiner philosophischen Intuition und seines Ansatzes gegenüber Fichte; ihm schwebt ein tiefer begründeter Idealismus vor, als es seinem Verständnis nach der im Ich fundierte transzendentale Idealismus ist. In der Zeit vor dem Entwurf des Identitätssystems hält Schelling vor allem eine Erweiterung des Fichteschen Idealismus für erforderlich; dieser muß um Naturphilosophie und Philosophie der Kunst erweitert werden und bildet auch dann nur einen Teil der Philosophie.“25
22 23 24 25
Vgl. Y. Kubo, in: J. MATSUYAMA/H. J. SANDKÜHLER, 2000, S. 29. Vgl. C. IBER, 1994, S. 7. Vgl. K. DÜSING, 1988, S. 106. Ebd. S. 122.
27
Einerseits wird Fichtes transzendentaler Idealismus um die Naturphilosophie ergänzt, andererseits im Absoluten, das dem Ich und der Natur noch zugrunde liegt, transzendiert. Jedoch bleibt das Absolute in dem Frühidealismus noch inexplikabel, was sich dann mit der Konzeption des Identitätssystems vollkommen ändern wird. Doch was veranlaßte Schelling zu dem Schritt, seinen frühidealistischen Ansatz zu verlassen und sich nun der These von der ‚vollständigen Erkennbarkeit des Absoluten‘ zuzuwenden? Als immanente Gründe werden zum einen die Kontinuität im Denken26, zum anderen die Genialität Schellings genannt.27Als äußere Gründe werden zum einen platonische und neuplatonische Motivierungen28 für Schellings Wendung zur Absoluten Metaphysik, zum anderen die Zuwendung Schellings zu Spinoza und zum Spinozismus sowie die Übernahme von Gedanken Bardilis und Reinholds angenommen.29 Da diese Gründe meines Erachtens weniger stichhaltig sind und die Wende bzw. ‚Kehre‘ im Denken Schellings nicht zu erklären vermögen, was ich hier leider nicht näher ausführen kann, muß der eigentliche Grund woanders gesucht werden. Der eigentliche Grund liegt vielleicht in der Begegnung mit seinem Freund Hegel. Im Januar 1801 kam Hegel nach Jena und hat wahrscheinlich direkt mit Schelling philosophische Gespräche geführt.30 „In philosophisch-systematischer Hinsicht sind für Schelling insbesondere Hegels Position und Hegels Argumente in der Fichte-Kritik sowie deren Prämissen von entscheidender Bedeutung. […] / Hegel kritisiert Fichte in der Differenz-Schrift ganz anders als Schelling vor ihm; er fordert nicht eine inhaltliche Erweiterung des transzendentalen Idealismus bei gleichzeitiger Einschränkung von dessen systematischer Bedeutung; vielmehr unterscheidet er methodisch ein berechtigtes spekulatives Prinzip bei Fichte, die intellektuelle Anschauung des Ich, von der Ausführung des Systems in nur quantitativen, die Entgegensetzungen jeweils voraussetzenden Synthesen durch bloße Reflexion, die das Absolute nicht zu fassen vermag. Die bloße Reflexionsform ohne Vereinigung mit der intellektuellen Anschauung führt nach Hegel in die Sphäre der für sich gesetzten haltlosen Endlichkeit zurück.“31 Für Hegel ist die Philosophie Fichtes eine Philosophie, die sich noch vom Standpunkt der endlichen Reflexion erheben muß. Diese Fichte-Kri26 27 28
29 30 31
28
Diesen Erklärungsansatz findet man beispielsweise bei Ôhashi Ryôsuke ausgeführt, der Schellings Denkweg als einen ,Weg zur Ekstase’ versteht. Vgl. R. ÔHASHI, 1975. Vgl. K. DÜSING, 1988, S. 123–124 und 1999, S. 154. Vgl. hierzu: C. BICKMANN, 2003. Ferner: H. Holz, in: M. FRANK/G. KURZ, 1975, S. 227– 229; H. HOLZ, 1977, S. 64ff.; W. BEIERWALTES, 1972, S. 67–82, 100–144 und W. BEIERWALTES, 1980, S. 1–56, 204–240. Vgl. K. DÜSING, 1988 S. 124–126 und 1999, S. 154–155. Vgl. K. DÜSING, 1969, S. 95–128; 1980, S. 29ff.; 1988, S. 127 und 1999, S. 144–163. Vgl. K. DÜSING, 1988, S. 127–128.
tik32 wurde von Schelling in seine Darstellung meines Systems der Philosophie von 1801 (kurz: Darstellung) sofort aufgenommen, wo er der Philosophie Fichtes den „Standpunkt der Reflexion“33, sich selbst den „Standpunkt der Produktion“34 bzw. den der Spekulation zuweist. Aus diesem Grunde kann die Darstellung als ein Gegenentwurf zu Fichtes Wissenschaftslehre verstanden werden.35„Schelling folgt also mit Veränderungen im Detail Leitlinien der Hegelschen Fichte-Kritik, die grundsätzlicher sind als seine eigene frühere Fichte-Kritik, die er aufnimmt, setzt die Konzeption der absoluten Metaphysik und der Spekulation mit ihrer vollständigen Erkenntnis des Absoluten, d.h. einen neuen, für Hegel und für Schelling höheren, spekulativen Idealismus voraus und erklärt Fichtes transzendentalen Idealismus von daher – also nicht immanent – als unzureichend.“36 Fassen wir nun zusammen: Schelling hat bereits in seinem System Kritik an der Philosophie Fichtes geübt, wo er nicht nur den Idealismus mit der Naturphilosophie ergänzen, sondern auch in der Genie-Ästhetik überbieten wollte. Damit ist deutlich geworden, daß Schelling bereits in der Phase des Frühidealismus die Philosophie Fichtes für unzureichend hält. Erst mit der Begegnung Hegels im Januar 1801 gelingt Schelling dann die Formulierung einer klaren Kritik an der Philosophie Fichtes. Die Philosophie Fichtes ist für ihn (wie auch für Hegel) nichts anderes als eine Reflexionsphilosophie auf dem ‚Standpunkt der Endlichkeit‘, wobei er und auch Hegel sich bereits auf den ‚Standpunkt der Spekulation‘ erhoben haben. Damit haben Schelling und Hegel den Frühidealismus verlassen und ihre erste Absolute oder Spekulative Metaphysik begründet.
32
33 34 35 36
Ich möchte an dieser Stelle auf den Briefwechsel zwischen Fichte und Schelling hinweisen, wo sich Fichte zur Kritik selbst äußert. Fichte schreibt in einem Brief an Schelling in Jena (Berlin, 15. 9br.1800): „Die Sache kommt nach mir nicht zum Bewußtseyn hinzu, noch das Bewußtseyn zur Sache, sondern beide sind im Ich, dem idealrealen, realidealen, unmittelbar vereinigt.“ (H. TRAUB, 2001, S. 176; W. SCHULZ, 1968, S. 105). Schelling entgegnet daraufhin in einem Brief vom 19. November 1800: „Ich kann Ihnen nur soviel versichern: der Grund, warum ich diesen Gegensatz [zwischen Transscendentalphilosophie und Naturphilosophie; M.S.H.] mache, liegt nicht in der Unterscheidung zwischen idealer und realer Thätigkeit, er liegt etwas höher.“ (H. TRAUB, 2001, S. 178; W. SCHULZ, 1968, S. 107; eigene Hervorhebung). Fernerhin schreibt Schelling an Fichte (3. Oktober 1801): „Ich habe schon oben gesagt, dass ich Ihr System nicht falsch finde, denn es ist ein nothwendiger und integranter Theil des meinigen.“ (H. TRAUB, 2001, S. 207; W. SCHULZ, 1968, S. 137). Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 109 und 113. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 109. Vgl. R. LAUTH, 1975, S. 127–128, 154–157. Vgl. K. DÜSING, 1988, S. 128–129.
29
2.3 EINE EINLEITUNG IN DIE IDENTITÄTSPHILOSOPHIE Die Vorlesung vom Sommersemester 1801, die von Ignaz Paul Vital Troxler nach der Stunde aufgezeichnet wurde, kann als eine allgemeine Einleitung in die Identitätsphilosophie Schellings, als seine erste Absolute oder Spekulative Metaphysik gelesen und verstanden werden, da sie allgemeine Grundsätze seiner Philosophie formuliert. Betrachten wir nun die Nachschrift der Vorlesung vom Sommersemester 1801 selbst, die ich nun in ihren Grundzügen darstellen möchte. Ähnlich wie Aristoteles zu Beginn seiner Metaphysik den Satz „Alle Menschen streben von Natur (phýsei) nach Wissen (eidénai)“37 schreibt, formuliert Schelling zu Beginn seiner Vorlesung den Satz: „Jeder Mensch, der aus seiner geistigen Unmündigkeit tritt, philosophiert.“38 Damit hat Schelling nicht nur an Aristoteles, sondern auch an den Gedanken der Aufklärung, wie ihn Kant formulierte, angeknüpft.39 Der endliche (unmündige) Verstand „betrachtet seine Gegenstände nur nach Reflexionsbegriffen, der eigentliche philosophische aber unmittelbar an sich.“40 Wenn wir nun an die Ausführungen im vorhergehenden Kapitel denken, so ist hiermit eine versteckte Kritik an der Unerkennbarkeit des Kantischen Ding-an-sichs sowie an Fichtes Reflexionsphilosophie geäußert.41 Der wahre Philosoph muß sich vom Standpunkt der Reflexion und des Für sich zum Standpunkt der Spekulation und des An sich aufschwingen: „Wir müssen also zur ältesten ursprünglichen Philosophie zurückkehren, die keine solche Trennung kennt, die von einem Punkt ausgeht, auf dem Erscheinung und Ding an sich eins werden.“42 Damit ist bereits der Grundgedanke der Identitätsphilosophie formuliert. Die Philosophie muß zu dem Punkt zurückkehren (regressiver Rückgang in den Grund), wo Erscheinung und Ding-an-sich miteinander identisch sind. Nur die Spekulationsphilosophie kann sich in solche Höhen aufschwingen, wo es dem Kritizismus (Kants)43 und der Reflexionsphilosophie (Fichtes) schon längst schwindelig geworden ist. Da es nur Eine Wahrheit gibt, kann es auch nur Eine Philosophie und nur Einen Erkenntnisgegenstand dieser Philosophie geben.44 Ihr Gegenstand ist das Eine Sein, das Ewige im Wandelbaren, das Unvergängliche im Vergängli37 38 39 40 41 42 43 44
30
Vgl. ARISTOTELES, Metaphysik, Erstes Buch (A), 980a. Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 1, 1. Vgl. KANT, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, VI, A 481–494. Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 1, 1. Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 1, 1. Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 1, 2 (eigene Hervorhebung). Damit ist sowohl das Kantische Ding-an-sich in seiner Unhintergehbarkeit hintergangen, als auch das Fichtesche Ich in seiner postulierten Absolutheit relativiert. Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 1, 3.
chen, kurz: das Eine Absolute (hen).45 Die Philosophie als Wissenschaft vom Einen Absoluten, wird damit selbst absolut. Sie ist die Wissenschaft aller Wissenschaften. „Weder der Idealismus noch der Realismus einzeln ist wahre Philosophie; diese zu finden, muß man von einem Punkt ausgehen, auf dem beide eins sind. Dieser Punkt liegt aber außer dem Bewußtsein, weil dieses nur durch den Gegensatz des Ichs und der Außendinge existiert. In dem Bewußtsein ist es schlechthin unmöglich, das eine ohne das andre zu setzen. Wir treffen da notwendig das Denken und das Sein getrennt.“46 Das Eine Absolute als Gegenstand der ‚wahren Philosophie‘ liegt also jenseits von Denken (ratio cognoscendi) und Sein (ratio essendi) bzw. Geist und Natur.47 Es ist prä-reflexiv und prä-mundan. Warum? Würde das Absolute im Bewußtsein oder in der Welt angetroffen werden, da wäre es relativ und in sich analytisch entzweit. Denken und Sein wären nicht mehr Ein Absolutes, sondern Zwei Relative. Aus diesem Grunde muß das Eine Absolute, wo Denken und Sein bzw. Geist und Natur eins sind, jenseits dieser Dichotomien liegen. „Das Problem des Idealismus ist also, von der Intelligenz aus das Sein zu deduzieren und so zu dem Absoluten zu gelangen, die Aufgabe des Realismus ist eine umgekehrte Deduktion. Realismus und Idealismus werden so zu einer, der einzigen Philosophie.“48 Diese Annäherung an das Absolute aus der Perspektive der Transzendental- und der Naturphilosophie war bereits der Gegenstand der Ausführungen im System. Jedoch blieb dort das Eine Absolute im Sinne der Negativen Theologie unerkennbar. Hier jedoch vollzieht Schelling die Wendung zur Absoluten oder Spekulativen Metaphysik: „Erkenntnis unterscheidet sich gar nicht durch den Gegenstand, sie ist in dieser Hinsicht immer eine und dieselbe, nur in ihrer Form kann sie verschieden sein. Die unmittelbare absolute [Erkenntnis; M.S.H.] ist die philosophische.“49 Hiermit hat Schelling die Metaphysik des Frühidealismus überwunden, der die Erkenntnis des Absoluten als die absolute Erkenntnis für unmöglich erklärte. Die Erkenntnis des Absoluten als absolute Erkenntnis ist das Prinzip der Philosophie, „aus dem Mannigfaltiges kann abgeleitet werden, es ist vielmehr das All, das Absolute, das Unendliche selbst, es ist die absolute Identität. Dieses zerfällt in der Reflexion in Ich und Nicht-Ich, und erst da entsteht Mannigfaltiges. Diese Identität findet sich auch schon in dem sogenannten gemeinen Menschenverstande. Wenn er noch gar keine Idee von Philosophie hat, so ist vor ihm Geist und Materie eins, nur bei entwickeltem Denken treten sie 45 46 47 48 49
Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 1, 6 und 7. Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 1, 7 (eigene Hervorhebungen). Vgl. C. BICKMANN, 2003. Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 1, 8 (eigene Hervorhebungen). Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 1, 9 (eigene Hervorhebungen).
31
getrennt heraus.“50 Die Absolute Identität als das All oder das Unendliche ist somit prä-reflexiv und prä-mundan, d.h. sie liegt dem Ich und dem Nicht-Ich voraus, wo beide noch nicht unterschieden sind. Dieses ‚vor‘ darf jedoch nicht zeitlich und nicht räumlich verstanden werden, da die Absolute Identität beide – Raum und Zeit – transzendiert. Erst im analytischen Reflexionsakt treten dann beide – Ich und Nicht-Ich – als zwei völlig Differente aus dem Einen Absoluten heraus. Erst dann entsteht Mannigfaltiges in Raum und Zeit. Dieses Eine Absolute ist das Prinzip der Philosophie, worin Ich und NichtIch, Denken und Sein, Geist und Natur absolut identisch, d.h. jenseits von Identität und Differenz absolut eins sind. „Der oberste Grundsatz kann kein anderer sein als a = a. Da setz‘ ich aber nicht Form dem Stoff entgegen, sondern Stoff und Form vereint.“51 Mit dem a = a, das uns nur heuristisch dient, ist die Absolute Einheit von Denken und Sein bzw. Epistemologie und Ontologie gesetzt. „Der Stoff oder das Sein ist nicht ein Bedingtes, es ist ein Absolutes, Allgemeines, ich kann von ihm sagen: es ist – denn: es ist, gilt nur von einem Teile, nur von einem Modus, den ich in dieses Sein setze – dieses Sein ist also identisch mit dem Erkennen. Das Erkennen, das reine, ist ebenso wenig ohne das allgemeine Sein, es entsteht nur in diesem und mit diesem.“52 Das Eine Absolute identifiziert Denken und Sein bzw. Epistemologie und Ontologie, ohne eines auf das andere zu reduzieren. Beide aufeinander zu reduzieren, würde von einem hohen „Grade von dialektischer Unmündigkeit“53 zeugen. Beide Relata sind konträre Pole des Einen Absoluten.54 Das Denken ist so wenig Epiphänomen des Seins, wie umgekehrt das Sein Epiphänomen des Denkens ist. Beide sind in dem Einen Absoluten (der Einen Seinssphäre) als zwei konträre Pole miteinander gleichgewichtig ursprünglich vereint. Mit dem Satz a = a ist die Indifferenz und die Differenz zugleich gesetzt: „Identität und Nichtidentität müssen in jenem Absoluten sein, es muß gesagt werden durch das a = a, Denken und Sein sind verschieden und zugleich, Denken und Sein sind eins.“55 Da der Satz vom (ausgeschlossenen) Widerspruch ein Produkt der Reflexion ist, muß er auf den endlichen Verstand beschränkt bleiben und gilt hier auf dem Standpunkt der Spekulation nicht.56 In ähnlicher 50 51 52 53 54
55 56
32
Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 1, 9. Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 1, 12. Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 1, 12. Vgl. SCHELLING, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, SW, I, 7, 342. „Das Prinzip jener Einheit zu entfalten, um in diesem das Kontradiktorische als bloß konträren Gegensatz der Einen Seins-Vernunft-Sphäre sichtbar zu machen, ist Schellings Anliegen in seinem identitätsphilosophischen Systementwurf von 1801.“ Vgl. C. BICKMANN, 2003, S. 4–5 (Anm. 19) (eigene Hervorhebung). Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 1, 14 (eigene Hervorhebung). Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 1, 14 und Teil 2, 11.
Weise gilt dies für die anderen Gesetze der formal-binären Logik (Tertium non datur, Satz vom zureichenden Grund), die ebenfalls nur innerhalb des endlichen Verstandes Gültigkeit beanspruchen dürfen. Hier auf dem Standpunkt der Spekulation und der Dialektik57 sind diese reflexiven Gesetze aufgehoben. Aus diesem Grunde kann gesagt werden, daß in dem Einen Absoluten als dem a = a Denken und Sein zugleich als identisch und different gesetzt sind. Das Eine Absolute als dem a = a kann demnach als die Einheit von Denken und Sein bzw. als Einheit von Identität und Differenz verstanden werden,58 in welchem Alles und außer diesem Nichts ist. Kurz: es ist die Unendlichkeit.59
2.4 F.W.J. SCHELLINGS ‚DARSTELLUNG MEINES SYSTEMS DER PHILOSOPHIE’ VON 1801 In der Schrift Darstellung meines Systems der Philosophie von 1801 (kurz: Darstellung) werden die Grundgedanken der ersten Absoluten oder Spekulativen Metaphysik von F.W.J. Schelling ‚systemlos-systematisch’ entwickelt. Die ‚Systematik’ zeigt sich in der Gliederung der Schrift in Paragraphen, Beweise, Zusätze, Erläuterungen, Erklärungen und Anmerkungen, die Schelling Spinozas Ethik60 entlehnt hat. Die ‚Systemlosigkeit’ zeigt sich darin, daß das System in etwas gründet, das sich aller Darstellung entzieht und nur in der Intellektuellen Anschauung von uns erfaßt werden kann. Schellings Identitätsphilosophie ist somit ein systemloses System, welches allerdings in einer ‚höheren Systematik’ seinen Platz hat, was an dem Postulat der Widerspruchsfreiheit (A = A) und der Verabsolutierung der Identität abgelesen werden kann. Wenn Schelling vom ‚System’ spricht, dann meint er also nicht das relative System, welches der Systemlosigkeit noch gegenübersteht, sondern ein Absolutes System, welches die Systemlosigkeit und die Systematik in sich umgreift. Die Darstellung kann grob in zwei Teile gegliedert werden: Der erste Teil enthält eine ‚Vorerinnerung’ (1), der zweite Teil die eigentliche ‚Darstellung’. Die ‚Darstellung’ selbst ist in Paragraphen unterteilt und kann ebenfalls grob in zwei Teile gegliedert werden: (2) Das Reich der Absoluten Vernunft (§ 1–23), (3) Das Reich der Potenzen (§ 23–51). Danach folgen in den § 52–159 detaillierte Ausführungen zur Potenzenlehre, die ich im Rahmen dieser Arbeit lei57 58 59 60
Vgl. C. BICKMANN, 2003; W. HARTKOPF, 1975, S. 81–203 und H. Holz, in: M. FRANK/ G. KURZ, 1975, S. 215–236. Den Gedanken der ,Identität von Identität und Differenz’ als Formel der Spekulation und der Dialektik teilt Schelling mit seinen Tübinger Studienfreunden – Hegel und Hölderlin. Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 1, 19–20. Vgl. B. d. SPINOZA, Ethik nach geometrischer Ordnung dargestellt, Bd. 2, lat.-dt., neu übers., hg. u. mit einer Einl. vers. v. Wolfgang Bartuschat, Hamburg 1999.
33
der nicht genauer betrachten kann. Ich möchte mich daher auf die Darstellung der § 1–51 beschränken. (1) Vorerinnerung In der ‚Vorerinnerung’ der Schrift Darstellung meines Systems der Philosophie von 1801 knüpft Schelling an die Darstellung seiner Philosophie im System an, wo er sich von zwei Seiten – der Natur- und der Transzendentalphilosophie – dem absolut-transzendenten Einen sukzessiv-approximativ angenähert hatte: „Nachdem ich seit mehreren Jahren die eine und dieselbe Philosophie, welche ich für die wahre erkenne, von zwei ganz verschiedenen Seiten, als Natur= und als Transcendental=Philosophie darzustellen versucht habe, sehe ich mich nun durch die gegenwärtige Lage der Wissenschaft getrieben, […], das System selbst, […] öffentlich aufzustellen, […].“61 Schelling sieht sich im Jahre 1801 von äußeren Umständen (der gegenwärtigen Lage der Wissenschaft) dazu genötigt, seine Philosophie Interessierten zugänglich zu machen. Seine Eine und Wahre Philosophie soll die Gestalt eines totalitären bzw. Absoluten Systems62 haben, das er bereits bei den früheren ganz verschiedenen Darstellungen desselben immer vor Augen gehabt und woran er sich selbst, sowohl in der Natur-, als auch in der Transzendentalphilosophie, beständig orientiert habe.63 Schelling hält weder die Natur-, noch die Transzendentalphilosophie für das alleinige ‚System der Philosophie’,64 womit er die Kritik an der Reflexionsphilosophie Fichtes hier deutlich reformuliert. Nach Schelling gebührt der Transzendentalphilosophie der Platz neben der Naturphilosophie und kein übergeordneter Standpunkt. Fichte befand sich selbst auf dem „Standpunkt der Reflexion“65, Schelling dagegen stellt sich auf den höheren „Standpunkt der Spekulation“66. Hiermit ist nun deutlich geworden, daß Schelling eine tiefere bzw. höhere Philosophie vorschwebt, die sowohl die Natur-, als auch die Transzendentalphilosophie unterläuft und beide Philosophien in einer höheren Identität zu vereinigen sucht. Mit der Vorstellung der Einen und Wahren Philosophie als eines Absoluten Systems ist der Gedanke der Vermittlung eng verknüpft. Schelling möchte eine sogenannte ‚Vermittlungs- bzw. Indifferenz-Philosophie‘ aufstellen, die weder die Natur-, noch die Transzendentalphilosophie für die Einzig Wahre Philosophie hält: „Ich habe das, was ich Natur= und Transcendental=Philosophie nannte, immer als entgegengesetzte Pole des Philosophirens vorgestellt; mit 61 62 63 64 65 66
34
Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 107 (eigene Hervorhebungen). Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 107. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 108. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 108. Ferner: C. BICKMANN, 2003, S. 25. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 109 und 113. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 109 und 113.
der gegenwärtigen Darstellung befinde ich mich im Indifferenzpunkt, in welchen nur der recht fest und sicher sich stellen kann, der ihn zuvor von ganz entgegengesetzten Richtungen her construirt hat.“67 Damit hat Schelling den tiefsten bzw. höchsten Punkt seines Absoluten Identitätssystems68 benannt: Es ist der ‚Indifferenzpunkt‘ (die NichtVerschiedenheit), in dem die Natur- und die Transzendentalphilosophie kulminiert. Was ist nun dieser ‚Indifferenzpunkt‘? Wie läßt sich dieser Kulminationspunkt näherhin begreiflich machen? Um diese Fragen beantworten zu können, möchte ich mich nun dem Hauptteil der Darstellung widmen, wo dieser ‚Indifferenzpunkt‘ im Zentrum der Betrachtung steht. (2) Das Reich der Absoluten Vernunft (§ 1–23) In jener Indifferenz, die man auch die heilige Notwendigkeit nennen könnte, hat das göttliche und natürliche Prinzip in unzertrennlicher Einheit statt. (F.W.J. Schelling, Vorlesung, Teil 2, 45)
Der bereits erwähnte ‚Indifferenzpunkt’ als Kulminationspunkt der Naturund Transzendentalphilosophie wird von Schelling im § 1 der Darstellung als ‚Vernunft bzw. Absolute Vernunft’ bezeichnet, „insofern sie als totale Indifferenz des Subjektiven und Objektiven gedacht wird.“69 Dieser abstrakte Indifferenzpunkt als die absolut erste Wahrheit, wo die Differenten – Denken und Sein, Idealität und Realität – in Eins zusammenfallen (coincidentia oppositorum), ist das wahre An-sich70 (causa sui) bzw. die Absolute Identität71. „Da Sein und Erkennen in ihr eins sind, ist sie Einheit, da außer dem Sein und Erkennen nichts ist, ist sie Allheit.“72 Das wahre An-sich bzw. die Absolute Identität als die göttliche Substanz73 ist zugleich mannigfaltigkeitslose Einheit (§ 3. „Die Vernunft ist schlechthin Eine und schlechthin sich selbst gleich.“74) und Allheit (§ 2. „Außer der Vernunft ist nichts, und in ihr ist Alles.“75). Kurz:
67 68 69 70 71 72 73
74
75
Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 108. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 113. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 114. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 115. Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 2, 1–2. Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 2, 2. Vgl. zum Absoluten als der Einen ,Substanz’: SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 153–154, 195 und 212; K. DÜSING, 1980, S. 34ff.; K. DÜSING, 1988, S. 140–142 und 189–193; K. DÜSING, 1999, S. 159ff. und M. FUJITA, 1985, S. 133ff. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 116 und B. d. SPINOZA, Ethik nach geometrischer Ordnung dargestellt, Pars Prima, Propositio XV: „Quicquid est, in Deo est, et nihil sine Deo esse neque concipi potest.“ Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 115.
35
Die Absolute Identität ist die All-Einheit (hen-panta), wo sich alle differenten und relativen Dinge auflösen bzw. genichtet werden.76 In dieser schlechthin mit sich selbst gleichen Einigen substanziellen Vernunft ist alles und außer ihr ist nichts. „Die Vernunft ist also Eine im absoluten Sinne.“77 Sie ist die absolute substantielle qualitative Indifferenz von Subjekt und Objekt, worauf sich jede Philosophie gründen muß, wenn sie Philosophie sein möchte.78 Das höchste Ge-setz (‚setzen‘) für das Sein dieser Absoluten Vernunft ist das ‚Gesetz der Identität‘, das durch das A = A ausgedrückt wird (§ 4).79 Spätestens jetzt ist klar ersichtlich, daß Schellings Identitätsphilosophie nichts anderes als eine (spekulative) Ontologie 80 ist, da er von dem „Seyn der Vernunft“ spricht. Die Absolute Vernunft ist alles und außer ihr ist nichts. Aus diesem Grunde ist die Rede von einer ‚ontologischen Absoluten Identität‘ gerechtfertigt, die durch den Satz (‚setzen‘) A = A ausgedrückt wird. „Er [dieser Satz; M.S.H.] ist durch sich notwendig als Grundlage jeder Erkenntnis, als Zeigen des Wesens der Vernunft. Er ist durch sich und für sich allein wahr, keines Beweises fähig, durch die intellektuelle Anschauung allein zu fassen und einzig evident.“81 Dieses A = A ist raum- und zeitfrei und gilt Schelling als die absolut-unbedingt-evidente ‚Ewige und Einzige Wahrheit‘, die an sich gesetzt ist (§ 4, Zusatz 2).82 Dieser Satz bedarf keiner Demonstration, sondern ist vielmehr Grund aller Demonstration (Vgl. § 6, Fußnote 1).83 Er dient uns heuristisch, um die gesetzte Identität (X) darzustellen, die sich jeglicher systematischen Darstellung entzieht: X A=A Damit ist deutlich geworden, daß Schelling ein systemloses System im Blick hat, ein System, welches seinen Grund außerhalb seiner selbst findet. Die Absolute Identität (X) entzieht sich jeglicher Darstellung und jeglicher Systematisierung. Sie bedarf keiner Demonstration bzw. Systematisierung, sondern ist vielmehr Grund aller Demonstration und Systematik. Allein durch die Intellektuelle Anschauung bzw. durch die Intuition kann die Absolute Identität 76 77 78 79
80 81 82 83
36
Vgl. zum ,Auflösungsmoment und der Nichtung aller Dinge in der Absoluten Identität’: SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 167. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 116. Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 2, 1–2. Trotz aller Kritik knüpft Schelling in seiner Darstellung deutlich an Fichtes Wissenschaftslehre von 1794 an. Vgl. hierzu: FICHTE, „Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre von 1794“, Grundsätze der gesammten Wissenschaftslehre, § 1–3, 1–46, in: Fichtes Werke, Bd. I, S. 83–123. Vgl. H. ZELTNER, 1975, S. 91. Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 2, 6. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 117. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 117.
als das X erfaßt werden. Allerdings findet dieses ‚systemlose System’ seinen Platz in einer sogenannten ‚höheren Systematik’, was durch die Widerspruchsfreiheit (A = A) und die Verabsolutierung der Identität (Absolute Identität) deutlich wird. Da dieses ‚höhere System’ die relative Systemlosigkeit und die relative Systematik in sich umgreift, kann auch von einem totalitären bzw. Absoluten System jenseits von Systemlosigkeit und Systematik gesprochen werden. Zur näheren Differenzierung nennt Schelling das A an der ersten Stelle das Subjekt, das A an der zweiten Stelle das Prädicat (§ 5).84 Mit dem Satz A = A ist das Einzige Sein bzw. die „Identität selbst“85 (§ 6) unabhängig vom Dasein bzw. der Existenz von Subjekt und Prädicat gesetzt.86 Wäre sie hingegen vom Dasein und der Existenz beider abhängig, so wäre diese Identität nicht mehr absolut, sondern bedingt und relativ. Wie bereits oben erwähnt, konzipieren Schelling und Hegel im Jahre 1801 ihre erste ‚Absolute oder Spekulative Metaphysik‘. War im Frühidealismus das Absolute (wie auch in der Negativen Theologie) vollkommen unerkennbar, so wird jetzt der „Anspruch auf vollständige Erkenntnis des Absoluten“ erhoben, womit die Metaphysik dann selbst einen absoluten Status erhält. Diese ‚Kehre‘ wird besonders im § 7 der Darstellung deutlich, wo „die einzige unbedingte Erkenntnis […] die der absoluten Identität [ist; M.S.H.].“87 Diese Erkenntnis der Absoluten Identität, die zugleich Absolute Erkenntnis ist, ist selbst unbedingt, evident und kann nicht bewiesen werden. Sie gilt Schelling als das höchste unhintergehbare Axiom seines Systems, das in seiner Absolutheit nicht bewiesen werden kann, da es dann nicht mehr absolut, sondern bedingt und relativ wäre.88 Die Absolute Identität ist für Schelling ebenso intuitiv gewiß und evident wie der Satz A = A, die dadurch als seiend gesetzt wird (§ 8).89 Zum Wesen der Absoluten Identität gehört es notwendig, zu sein (§ 8, Zusatz 1)90, womit die obige Rede von der ‚ontologischen Absoluten Identität‘ wiederholt gerechtfertigt ist. Der Satz A = A gilt somit als ein ‚ontologisches Gesetz der Vernunft‘. Demnach sind Vernunft und Absolute Identität nicht nur dem Wesen, sondern auch dem Sein nach Eins (§ 9).91 „Das Seyn gehört
84 85 86 87 88 89 90 91
Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 117. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 117. Vgl. hierzu: SCHELLING, Vorlesung, Teil 2, 6. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 117. Vgl. zur Problematik von ,ersten und absoluten Sätzen bzw. Prinzipien’: ARISTOTELES, Lehre vom Beweis, 71b 9 – 73 a 20 und 99 b 15 – 100 b 19. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 118. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 118. Hiermit hat Schelling den ,ontologischen Gottesbeweis’ reformuliert. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 118 und PLATON, Parmenides, 1. Hypothesis (Wenn Eins ist), 137c–142a.
37
ebenso zum Wesen der Vernunft als zu dem der absoluten Identität“ (§ 9, Zusatz). Die Absolute Identität ist weder endlich noch unendlich, sondern vielmehr „schlechthin unendlich“ (§ 10).92 An diesem Paragraphen ist die Nähe zu Hegel sehr deutlich erkennbar. Diese Unendlichkeit der Absoluten Identität von der hier Schelling spricht, bezeichnete Hegel als die ‚wahre Unendlichkeit‘. Sie muß deutlich von der ‚schlechten Unendlichkeit‘ als das ‚Unendliche des Verstandes‘ unterschieden werden, da diese in Relation zur Endlichkeit steht und in infinite Re- bzw. Progresse führt. Die ‚wahre Unendlichkeit‘ hingegen hat den Gegensatz von Unendlichkeit und Endlichkeit in sich zu einer Einheit aufgehoben.93 Genau in diesem Sinne muß hier die Unendlichkeit der Absoluten Identität verstanden werden, die den Gegensatz von Unendlichkeit und Endlichkeit selbst in der Einheit aufgehoben hat und selbst nicht aufgehoben werden kann (§ 11),94 da es zu ihrem Wesen gehört, zu sein. Denn alles, was ist, ist die Absolute An-sich Eine Identität selbst (§ 12),95 die nicht entstanden ist, da alles Entstehen ein endliches Werden in Zeit und Raum ist (§ 13 und 14). Da diese Absolute Identität raum- und zeitfrei ist, ist sie nicht geworden und kann auch nicht vergehen. Die Absolute Identität ist demnach auch nie aus sich herausgetreten, da alles, was ist, in ihr ist.96 Der Übergang (ein Vor und ein Nach) ist demnach vollkommen unmöglich (§ 15).97 Alles ist sie selbst (das An-sich) – absolut ewig, gleichzeitig und unendlich.98 Der Satz A = A ist die einzige Form, wodurch die Absolute Identität ausgedrückt werden kann, die aber bereits unmittelbar durch das Sein gesetzt ist (§ 15).99 Damit drückt dieser Satz „die Existenz, das Wesen und die Form der absoluten Identität aus.“100 Zwischen dem subjektiven A und dem prädicativen A gibt es in der Absoluten Identität keinen Gegensatz an-sich – beide sind A (§ 16).101 Die Absolute Identität kann demnach unter der Form einer „Identität der Identität“ (§ 16, Zusatz 2)102 verstanden werden, da in dem Satz A = A dasselbe sich selbst gleich gesetzt wird, wobei zur Form ihres Seins die ursprünglich-absolute Erkenntnis desselben notwendig gehört (§ 17 und 18).103 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103
38
Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 118 (eigene Hervorhebung). Zur ,Endlichkeit’ und ‚Unendlichkeit’ als mathematische Metaphern vgl.: P. ZICHE, 1996, S. 106–132. Vgl. HEGEL, Wissenschaft der Logik I, S. 152 und 157. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 119. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 119. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 120. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 120 und SCHELLING, Vorlesung, Teil 2, 9. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 120. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 120. Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 2, 10. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 121. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 121. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 121–122.
Damit wird die Erkenntnis des Absoluten als eine absolute Erkenntnis zur notwendigen Form des Seins der Absoluten Identität erklärt. Kurz: Die absolute Erkenntnis der Absoluten Identität gehört notwendig zum Wesen, zur Form und zum Sein dieser, womit sie sich selbst erkennt. „Ihr Erkennen [ist; M.S.H.] nur ein Erkennen ihrer Identität mit sich selbst, und da sie nur unter der Form des Erkennens ist, so ist sie nur unter der Form des Erkennens ihrer Identität mit sich selbst“104 (§ 19). Die Absolute Identität kann dadurch selbst erkannt werden, da alles, was ist, in ihr ist, und sie sich unendlich selbst erkennt (§ 20 und 21).105 Damit ist nochmals die ‚Kehre‘ zur Absoluten oder Spekulativen Metaphysik vollzogen. Da es in der Absoluten Identität keinen Gegensatz von Subjekt und Prädicat, Subjekt und Objekt bzw. Denken und Sein gibt (§ 22), kann ihre Differenz nur quantitativer Natur sein (§ 23).106 Zwischen beiden gibt es demnach keine qualitative, sondern nur eine quantitative Differenz. Beide werden nur hinsichtlich der Größe ihres Seins unterschieden, „so nämlich, dass zwar das Eine und gleich Identische, aber mit einem Uebergewicht der Subjektivität [des Erkennens] oder Objektivität [Seyns] gesetzt werde.“107 Hiermit haben wir nun das ‚Reich der Absoluten Identität bzw. der Absoluten Vernunft‘ verlassen und sind in das ‚Reich der quantitativen Differenz‘ eingetreten. Diese Lehre der quantitativen Differenz wird auch die ‚Potenzenlehre‘ genannt, der ich mich nun im folgenden Kapitel zuwenden möchte. (3) Das Reich der Potenzen (§ 23–51) Das ganze Universum kann also in seiner ganzen Konstruktion durch die Vernunft in jeder Einzelnheit aufgewiesen werden. (F.W.J. Schelling, Vorlesung, Teil 2, 55)
Wir haben nun das ‚Reich der quantitativen Differenz bzw. der Potenzen’ betreten. Waren in der Absoluten Identität bzw. dem wahren An-sich Subjekt und Prädicat, Subjekt und Objekt bzw. Denken und Sein qualitativ absolut identisch, was durch den Satz A = A ausgedrückt wurde, so treten nun beide als zwei quantitativ Differente auseinander. Der § 23 kann demnach in der Darstellung als der Wende- und Umschlagspunkt verstanden werden, wo die qualitative Identität in die quantitative Differenz auseinander tritt. In diesem Paragraphen macht Schelling deutlich, daß „zwischen Subjekt und Objekt […]
104 105 106 107
Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 122. Vgl. B. RANG, 2000, S. 67–94 und 151–166. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 123. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 123.
39
keine andere als quantitative Differenz möglich“108 (§ 23, 24) ist. Zwischen Subjekt und Objekt gibt es somit keine qualitative, sondern nur eine quantitative Differenz (differentia formalis), d.h. sie werden nur hinsichtlich der Größe des Seins unterschieden. Aus diesem Grunde ist die Rede von einer ‚ontologischen quantitativen Differenz’ gerechtfertigt. Entweder wird das ontologische Übergewicht auf die Subjektivität (das Erkennen), oder auf die Objektivität (das Sein) gesetzt, so daß aus dem A = A ein A = B (B als Zeichen der Objektivität) wird:109 X A=B Im Grunde aber sind beide in dem Satze A = A [= 1] ontologisch absolut identisch (X):110 X A = B (A) Damit haben wir nun das ‚Reich der Absoluten Identität’ bzw. das ‚Universum der Absoluten Vernunft’ selbst in seiner Totalität verlassen. Innerhalb diesem ist keine quantitative Differenz denkbar, da in ihm beide qualitativ absolut Eins sind (§ 25 und 26). Demnach ist „die quantitative Differenz […] nur außerhalb der absoluten Identität möglich“111 (§ 25, Zusatz). Sie nimmt dann die Form eines einzelnen Seins oder Dinges an (§ 27). Dieses einzelne Sein kann aber nicht den Status eines An-sich (causa sui) beanspruchen, da es dann etwas außerhalb des Universums der Absoluten Vernunft geben würde, was in Widerstreit zu § 2 stehen würde: „Außer der Vernunft ist nichts, und in ihr ist alles.“112 Aus diesem Grunde darf man nicht von einer ‚Entäußerung’ sprechen, da es nichts (kein An-sich-Sein) außerhalb der Absoluten Vernunft geben kann. Das einzelne Sein bzw. das Ding ist demzufolge kein An-sich-Seiendes (§ 28): „Die quantitative Differenz der Subjektivität und Objektivität ist nur in Ansehung des einzelnen Seyns, nicht aber an sich, oder in Ansehung der absoluten Totalität denkbar.“113 (§ 29) Daran anschließend stellt sich folgende Frage: Welcher ontologische Status kommt denn dem einzelnen Sein bzw. Ding zu? Der § 30 sagt, daß „wenn die quantitative Differenz in Ansehung des einzelnen Dings wirklich stattfindet, so ist sie die Absolute Identität, insofern sie 108 109 110 111 112 113
40
Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 123. Vgl. C. BICKMANN, 1996, S. 185–190. Ebd. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 125. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 115. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 126.
ist,114 als die quantitative Differenz von Subjektivität und Objektivität vorzustellen.“115 Dies besagt, daß die quantitative Differenz die totale Absolute Identität ist, insofern sie ist. Alles, was von dieser abgesondert wird (Absonderungsakt, Abfall, Sündenfall), kann für sich demnach kein selbständiges An-sich-Sein beanspruchen. Das heißt: Das einzelne Ding ist ein Wirkliches, dessen Ermöglichungsgrund nicht in ihm selber liegt (Aristoteles’ Akt-Potenz-Lehre).116 Dieses unselbständige nichtige Sein (als eine bestimmte Form des Seins; § 38) in Raum und Zeit ist das endliche individuierte Einzelne (§ 37) als das Anderssein bzw. Für-sich-Sein117, dem kein Selbststand zukommt und in Abhängigkeit zu anderem einzel-endlichen Sein steht (§ 35 und 36). Dies kann formal mit dem A = B ausgedrückt werden (§ 37, Erläuterung). Mit dem endlichen Einzelnen ist zugleich das unendliche Ganze, mit dem unendlichen Ganzen zugleich das endliche Einzelne gesetzt (§ 39). „Diese Differenz im Einzelnen aber und Indifferenz im Ganzen ist eben Totalität.“118 (§ 30, Fußnote 1) Diese universale Totalität ist demnach die Absolute Identität von Unendlichkeit und Endlichkeit, die Absolute Identität von Identität und Differenz oder (mit den Worten Hegels gesprochen) das An-und-Für-sich-Sein (Grundformel der Spekulation bzw. der Dialektik). Die Absolute Identität ist somit das ewige (nicht zeitliche) unteilbar-totale Universum selbst und in jedem Teile des Universums ganz und gar dieselbe (§ 32, 33, 34 und 39). Somit ist das Teil, da in diesem das Ganze enthalten ist, selbst zwar nicht absolut, da es von einem anderen Einzelnen bestimmt wird, aber doch in seiner Art unendlich (§ 40). Es ist unendlich teilbar. Demzufolge ist „jedes Einzelne […] in Bezug auf sich selbst eine Totalität.“ (§ 41) Das heißt, daß jedes Einzelne in seinem Selbstbezug total ist. Diese ‚Totalität‘ nennt Schelling im § 42 die relative Totalität des Einzelnen im Gegensatz zur absoluten Totalität der Absoluten Identität. Doch dazu später. In der Erklärung zu § 42 sowie im § 43 wird von Schelling der Begriff der Potenz zum ersten Mal eingeführt. Die Potenz ist im Grunde ein synonymer Begriff für die quantitative Differenz.119 Sie markiert mit dem Exponent die Übergewichtung des Subjektiven bzw. Objektiven in Ansehung des Ganzen. Das Ganze bzw. die Absolute Identität als das A = A kann somit nur unter der Form aller simultanen Potenzen sein (§ 43 und 44). Der allgemeine Ausdruck
114 115 116 117 118 119
Vgl. PLATON, Parmenides, 2. Hypothesis (Wenn Eins ist), 142b–155e. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 126. Vgl. B. RANG, 2000, S. 50. „Was sich absondert, sondert sich nur für sich ab, nicht in Ansehung des Absoluten.“ (Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, § 95, Fußnote 1, 167). Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 127. „Unter Potenz wird nur die absolute Identität in quantitativer Differenz gedacht; A = B ist ihr Ausdruck.“ (Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 2, 15).
41
der Potenz ist A = B (§ 44, Anmerkung). „Man darf sich aber unter A nicht das Erkennen und unter B nicht das Sein vorstellen, das wäre Zernichtung der absoluten Identität, die schlechthin unmöglich ist. Beide Attribute kommen dem A und B – wie im ersten Satze dem A und A – gleich zu, und das A und B ist dem Wesen nach ebenso unzertrennlich und indifferent, wie es A = A ist. Die Verschiedenheit ist an sich keine, sie ist bloß formal, in der Totalität eine identische Form, im Einzelnen ebenso, nur daß sie da durch die Quantität herausgehoben wird, weil eben das Einzelne nur unter quantitativer Differenz existiert so wie das Absolute unter quantitativer Indifferenz.“120 A und B sind zwar in ihrem Wesen unzertrennlich und indifferent, können aber doch in Ansehung des Überwiegens der Subjektivität oder Objektivität als zwei ‚differente‘ Prinzipien verstanden werden: A stellt das ideelle-erkennende, B das reelle-ausgedehnte Prinzip dar (§ 44, I),121 das von A als dem Prinzip derselben begrenzt werden muß. A ist demnach als das Begrenzende, B als das Begrenzbare zu denken (§ 44 II und III). Aus diesem Grunde können A und B nicht unabhängig voneinander gesetzt werden, sondern nur mit der überwiegenden Subjektivität und Objektivität zugleich. „Weder A als Subjekt noch A als Objekt kann an sich gesetzt werden, sondern nur das Eine und Selbe A = A mit der überwiegenden Idealität (als Ausdruck des Erkennens) und Realität (als Ausdruck des Seyns) und der quantitativen Indifferenz beider.“122 (§ 45, Fußnote 2) Beide – Subjektivität und Objektivität, Denken und Sein – können nur in Ansehung des Ganzen überwiegend gesetzt werden. Im § 46 konstruiert Schelling die berühmte unendliche Linie123 als die Grundformel seines gesamten Systems, wo die Potenzen A und B überwiegend gesetzt sind und auf der Absoluten Identität A = A als ihrem Gleichgewichtspunkt ruhen: + A=B
+ A=B A=A
Im Zusatz zu § 46 schreibt Schelling: „Die Form des Seyns der absoluten Identität kann daher allgemein unter dem Bild einer Linie gedacht werden, worin nach jeder Richtung dasselbe Identische, aber nach entgegengesetzten Richtungen mit überwiegendem A oder B gesetzt ist, in den Gleichgewichtspunkt aber das A = A selbst fällt. (Wir bezeichnen das Überwiegen des einen über 120 121
122 123
42
Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 2, 15. Damit hat Schelling an Spinozas Attribute der absoluten Substanz – Denken und Ausdehnung – angeknüpft. Vgl. hierzu: B. d. SPINOZA, Ethik nach geometrischer Ordnung dargestellt, Pars Secunda, Propositio I: „Cogitatio attributum Dei est, sive Deus est res cogitans.“ et Propositio II: „Extensio attributum Dei est, sive Deus est res extensa.“ und B. RANG, 2000, S. 35–65. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 136. Zur ,Linie’ als mathematische Metapher vgl.: P. ZICHE, 1996, S. 200–240.
das andere durch das + Zeichen).“124 Die Linie symbolisiert125 die unendliche (unendlich teilbare; § 46, C) Absolute Identität von A = A, die nur in den entgegengesetzten Richtungen überwiegend gesetzt ist, im Grunde aber doch absolut identisch ist. Die überwiegend gesetzten Richtungen nennt Schelling auch Pole, die unendlich nahe bzw. unendlich weit voneinander liegen können (§ 46, E), A = A den Indifferenzpunkt (§ 46, D). Es kann demnach nie mehr als diese drei Punkte geben (§ 46, F) (triadische Struktur als Grundstruktur der Dialektik). Die unendliche Linie stellt demnach die Form des Seins der Absoluten Identität im Einzelnen wie im Ganzen dar (§ 47). D.h. sie ist die Absolute Identität von Einzelnem und Ganzen bzw. die Absolute Identität von Identität und Differenz. Sie ist aber nur, wenn A und B in der Formel A = B selbst in allen Potenzen als seiend gesetzt ist (§ 48 und 50). „Denn jedes A = B, insofern es ein Seyn bezeichnet, ist in Bezug auf sich selbst ein A = A (§ 41, Zusatz), d.h. relative Totalität, nun ist aber relative Totalität nur, was die absolute Identität für seine Potenz unter derselben Form ausdrückt, wie das Unendliche (§ 42), die absolute Identität aber ist im Unendlichen, nur insofern A und B in allen Potenzen als seyend gesetzt sind (§ 50). Also ist auch A = B Ausdruck eines Seyns, nur insofern A und B als seyend gesetzt sind.“126 (§ 50, Beweis) Hier müssen nun drei dialektische Momente (Triplizität) klar unterschieden werden: A und B sind in der Formel A = B relativ identisch und doch auch in sich relativ duplizitär: A ist das ideell Erkennende, B das reelle Sein. Beide Momente fallen aber in der relativen Totalität als dem A = B zusammen (§ 50, Erläuterung 1): A 1. A= B (relative Identität)
B
2. A B (relative Duplizität) 3. A = B (relative Totalität)
124 125
126
Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 137. Die unendliche Linie dient uns (wie der Satz A = A) nur heuristisch, um etwas (X) darzustellen, was Grund aller Darstellung und Systematik ist, im Grunde keiner Darstellung bedarf, sich aller Darstellung und Systematik vollkommen entzieht und nur in der Intellektuellen Anschauung für uns faßbar ist. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 117 (§ 6, Fußnote 1). Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 139–140.
43
Wie verhalten sich nun die relative Identität A = B und die relative Totalität A = B zueinander? Worin besteht ihr Unterschied? – Die relative Identität stellt im Gegensatz zur relativen Totalität eine niedere Einheit und eine niedere Stufe des unendlichen Selbsterkenntnisprozesses der Absoluten Identität dar (§ 50, Erläuterung 1). Der Selbsterkenntnisprozeß der Absoluten Identität führt aufgrund der Erkenntnis der Beschränkung127 von der relativen Identität über die relative Duplizität zur relativen Totalität, wobei die erste relative Totalität die Materie darstellt (§ 51). „Es wäre demnach zu unterscheiden: 1) Einheit von A und B, 2) Gegensatz von A und B, 3) Wiederhergestellte Einheit von A und B. So verstanden, bringt die Formel ‚Absolute Einheit der Einheit und des Gegensatzes’ das Grundmuster der idealistischen Dialektik zum Ausdruck.“128 Damit hat nun Schelling die Dialektik seines Absoluten Systems in der Grundformel der ‚Absoluten Einheit der Einheit und Vielheit’ bzw. der ‚Absoluten Identität der Identität und Differenz’ vollständig formuliert und zur Sprache gebracht, die im § 16 im Zusatz 2 in der Formulierung der ‚Identität der Identität’ noch unvollständig, aber bereits implizit enthalten war. In den § 52–159 folgen dann detaillierte Ausführungen zur Potenzenlehre, die ich im Rahmen dieser Studie leider nicht genauer betrachten kann. Aus diesem Grunde möchte ich an dieser Stelle nun die Darstellung der Potenzenlehre abschließen und die obigen Ausführungen und Gedanken in einem kurzen Rückblick zusammenfassen.
2.5
ZUSAMMENFASSUNG – DIE ABSOLUTE INFINITIALISIERUNG
In der Schrift Darstellung meines Systems der Philosophie aus dem Jahre 1801 hat F.W.J. Schelling den Grundgedanken seiner ersten Absoluten oder Spekulativen Metaphysik entwickelt. In dieser Schrift formuliert Schelling seine Absolute Identitätsphilosophie, an dessen Spitze (Kulminationspunkt) die Absolute Indifferenz (NichtVerschiedenheit) bzw. die Absolute Vernunft steht. Die Absolute Vernunft bzw. die Absolute Identität stellt die absolut Erste Wahrheit dar, in der alle konträren Differenzen und Dichotomien, wie Subjekt und Objekt, Denken und Sein, Idealität und Realität, in Eins zusammenfallen (coincidentia oppositorum). Die Absolute Identität als das wahre An-sich (causa sui) bzw. die göttliche Substanz ist die All-Einheit (hen-panta), wo alle mannigfaltigen Dinge aufgelöst bzw. genichtet werden. Sie ist mannigfaltigkeitslose Einheit, in der Alles und außer der nichts ist. Ihr höchstes Gesetz ist das ‚Gesetz der Identität’, das durch das A = A ausgedrückt wird. Das A an der ersten 127 128
44
Vgl. SCHELLING, Vorlesung, Teil 2, 16. Vgl. B. RANG, 2000, S. 14.
Stelle nennt Schelling das ‚Subjekt’, das A an der zweiten Stelle das ‚Prädikat’. Zwischen dem subjektiven und prädikativen A gibt es keinen Gegensatz an sich, beide sind A. Dieser Satz soll das Einzige und Eine Sein (vgl. Parm. 1. Hypoth.: Wenn Eins ist)129 bzw. die Identität selbst ausdrücken, womit Schellings Philosophie nichts anderes als eine (spekulative) Ontologie ist. Diese Identität (X), die mit diesem Satz A = A zugleich gesetzt wird, bedarf jedoch keiner Demonstration, da diese vielmehr Grund aller systematischen Demonstration ist: X A=A Damit ist deutlich geworden, daß Schelling ein systemloses System im Blick hat, ein System, welches seinen Grund außerhalb seiner selbst findet. Die Absolute Identität (X) entzieht sich jeglicher Darstellung und jeglicher Systematisierung. Sie bedarf keiner Demonstration bzw. Systematisierung, sondern ist vielmehr Grund aller Demonstration und Systematik. Allein durch die Intellektuelle Anschauung bzw. durch die Intuition kann die Absolute Identität als das X erfaßt werden. Allerdings findet dieses ‚systemlose System’ seinen Platz in einer sogenannten ‚höheren Systematik’, was durch die Widerspruchsfreiheit (A = A) und die Verabsolutierung der Identität (Absolute Identität) deutlich wird. Da dieses ‚höhere System’ die relative Systemlosigkeit und die relative Systematik in sich umgreift, kann auch von einem Absoluten System jenseits von Systemlosigkeit und Systematik gesprochen werden. Zur näheren Differenzierung nennt Schelling das A an der ersten Stelle das Subjekt, das A an der zweiten Stelle das Prädicat (§ 5).130 Der ontologische Satz A = A als höchstes Gesetz der Vernunft hat demnach nur eine heuristische Funktion, um das Einzige Sein bzw. die Absolute Identität auszudrücken, die sich aller Darstellung in Raum und Zeit entzieht, da sie ewig und unendlich ist. Da es in der Absoluten Identität keinen qualitativen Gegensatz an sich zwischen Subjekt und Objekt, Denken und Sein, Idealität und Realität geben kann, kann es nur eine quantitative Differenz (differentia formalis), d.h. nur einen Unterschied in der Größe des Seins geben. Damit haben wir nun das ‚Reich der Absoluten Vernunft‘ verlassen und das ‚Reich der Potenzen‘ betreten. Unter Potenz versteht Schelling die Absolute Identität in quantitativer Differenz gedacht, die durch das A = B ausgedrückt wird: X A=B 129 130
Vgl. PLATON, Parmenides, 1. Hypothesis (Wenn Eins ist), 137c–142a. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 117.
45
Im Grunde aber sind beide in dem Satze A = A [= 1] ontologisch absolut identisch (X): X A = B (A) Die Potenz als Absolute Identität in quantitativer Differenz gedacht, stellt die Absolute Identität, insofern sie ist, dar (vgl. Parm. 2. Hypoth.: Wenn Eins ist)131. Das ‚Reich der Potenzen’ stellt demnach die Welt des Einzelnen Seins bzw. der Einzelnen Dinge dar, die sich jedoch nur quantitativ in ihrer Größe des Seins unterscheiden. An-sich sind alle Einzelnen Dinge absolut identisch. Aus diesem Grunde kommt den Einzelnen Dingen im ‚Reich der Potenzen’ in Ansehung ihrer quantitativen Differenz kein An-sich und somit kein substanzieller Selbststand zu. Aus diesem Grunde kann man auch nicht von einer Entäußerung der Absoluten Vernunft sprechen, da es nichts außerhalb von ihr geben kann. Die Einzelnen sind unselbständige und nichtige Seiende, die in wechselseitiger Abhängigkeit zu anderem einzel-endlichen Sein in Raum und Zeit stehen. Die Seienden unterscheiden sich, wie bereits erwähnt, nur im Exponenten (+), der die Übergewichtung des Subjektiven oder Objektiven in Ansehung des Ganzen anzeigt. Jedem Einzelnen Sein kommt das A und B in gleicher Weise zu, nur ist es in Ansehung des Ganzen unterschiedlich gewichtet. A stellt das ideelle-erkennende, B das reelle-ausgedehnte Prinzip dar. A und B können nicht unabhängig voneinander, sondern nur mit überwiegender Subjektivität oder Objektivität zugleich gesetzt werden. Schelling konstruierte dazu die berühmte unendliche Linie, die die unendliche Absolute Identität von A = A als Gleichgewichts- bzw. Indifferenzpunkt symbolisiert, auf denen die beiden konträren Pole ruhen: + A=B
+ A=B A=A
Damit hat Schelling drei Punkte gewonnen, die die Grundstruktur aller Dialektik darstellen. Die unendliche Linie stellt demnach die Form des Seins der Absoluten Identität im Einzelnen wie im Ganzen dar. Sie ist die Absolute Identität der Differenten bzw. die Absolute Identität von Identität und Differenz. Der unendliche Selbsterkenntnisprozeß des Absoluten als die Absolute Erkenntnis führt somit aufgrund der Erkenntnis der Beschränkung von der ‚relativen Identität’ (Einheit von A und B) über die ‚relative Duplizität’ (Gegensatz von A und B) zur ‚relativen Totalität’ (Wiederhergestellte Einheit von A und B). Damit hat Schelling die Dialektik als Grundstruktur seines Identi131
46
Vgl. PLATON, Parmenides, 2. Hypothesis (Wenn Eins ist), 142b–155e.
tätssystem entdeckt, welche Hegel dann später in seiner Geistphilosophie aufgreifen und weiterentwickeln wird. Hiermit bin ich nun ans Ende meines kurzen Rückblicks gelangt, womit dreierlei in der Darstellung von Schellings Identitätsphilosophie deutlich geworden sein dürfte: Erstens hat Schelling sowohl Fichtes Wissenschaftslehre, als auch seine eigene Frühphilosophie transzendiert und ‚entsubjektiviert‘. War Schelling in seiner Frühphilosophie vom Ich bzw. vom Selbstbewußtsein als Prinzip ausgegangen und war für ihn das Absolute vollkommen unerkennbar, so geht er nun von der Absoluten Vernunft bzw. von der Absoluten Identität aus, die nun absolut erkennbar ist, womit die Erkenntnis selbst absolut wird. Allerdings ist die ‚Absolute Vernunft‘ von einer ‚höheren Sphäre‘ aus betrachtet wiederum ‚subjektiv‘, eine Absolute Subjektivität jenseits von Subjektivität und Objektivität, womit Schelling die Entsubjektivierung seiner Frühphilosophie nicht vollends gelungen ist. Schelling überwindet die Subjektivität und erliegt ihr zugleich. Zweitens hat Schelling mit seiner ersten Absoluten oder Spekulativen Metaphysik ein systemloses System innerhalb einer totalitären bzw. Absoluten Systematik entwickelt, das dem Gesetz der Widerspruchsfreiheit folgt und die Identität verabsolutiert (Absolute Identität), so daß es nur ‚quantitative Differenzen‘ und keine ‚qualitativen Differenzen‘ geben kann. Damit folgt Schelling eindeutig den Gesetzen der Wissenschaft, womit seine Philosophie keine Welt-Wissenschaft ist und der Welt fremd gegenübersteht. Natürlich geht es zunächst um das wissenschaftliche Verstehen der Begriffe, aber dann um den Nachvollzug des eigenen Lebens in der Welt. Dieses vermag Schelling leider nicht zu erklären. Drittens ist nach Schelling die Absolute Identität nichts anderes als die Unendlichkeit, die an der Spitze von Identität und Differenz, Denken und Sein steht, die noch nie aus sich herausgetreten ist und alles was ist, die Unendlichkeit selbst ist: „Die absolute Identität hat eben nie aufgehört es zu seyn, und alles, was ist, ist an sich betrachtet – auch nicht die Erscheinung der absoluten Identität, sondern sie selbst, und da es ferner die Natur der Philosophie ist, die Dinge zu betrachten, wie sie an sich (§ 1), d.h. (§ 14. 12) insofern sie unendlich und die absolute Identität selbst sind, so besteht also die wahre Philosophie in dem Beweis, daß die absolute Identität (das Unendliche) nicht aus sich herausgetreten, und alles, was ist, insofern es ist, die Unendlichkeit sey […].“132 Die Unendlichkeit ist es also, die sich entbergend hinter der Absoluten Identität verbirgt, was Schelling in der unendlichen Linie versinnbildlicht hat. In der gesamten Darstellung spricht Schelling an vielen Stellen von der Unendlichkeit stellvertretend für die Absolute Identität. Wie die vorherigen Ausführungen zei132
Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 120.
47
gen, ist mit der Unendlichkeit nicht die relative Unendlichkeit gemeint, die der Endlichkeit noch gegenüber steht, sondern vielmehr die wahre oder Absolute Unendlichkeit. Die Absolute Unendlichkeit tritt hier bei Schelling in Form eines Absoluten Systems jenseits von System und Systemlosigkeit hervor, was am wissenschaftlichen Postulat der Widerspruchsfreiheit (A = A) und der Verabsolutierung der Identität (Absolute Identität) abgelesen werden kann, wo alles in der Absoluten Vernunft seinen absoluten systematischen Platz findet und alles nur quantitativ different ist. Aufgrund dessen kann es keine qualitativ Differenten und kein ‚Anderes der Absoluten Identität‘ geben. Alles ist die Absolute Identität selbst. Da das Begründete in etwas gründen muß, was nicht Begründetes, sondern Grund von allem ist, so muß auch das Absolute System in etwas gründen, das nicht absolut systematisch, sondern absolut systemlos ist. Wir müssen also mit Schelling über Schelling hinaus denken. Das identitätsphilosophische Absolute System transzendiert sich bzw. bricht sich aufgrund seiner inneren Dynamik (Dialektik) hin zu dem ‚Anderen seiner selbst‘ auf, um sich in seinem Sein selbst erhalten zu können. Mit anderen Worten: Das Absolute System bzw. die Absolute Identität öffnet sich zum ‚Anderen ihrer selbst‘. Da die Absolute Identität nichts anderes als die Absolute Unendlichkeit ist, kann auch von einer Absoluten Infinitialisierung der Identitätsphilosophie Schellings gesprochen werden, wo die Absolute Identität zu ihrer eigenen Begründung auf das Andere ihrer selbst hinausgreift, um sich selbst zu begründen. Was für einen Sinn macht es, von einer Absoluten Identität zu reden, wenn es keine relativen (qualitativen) Differenzen gibt? Aufgrund der Absoluten Infinitialisierung werden die nur quantitativ Differenten so zu wahren Einzelnen bzw. qualitativ Differenten und das Gesetz der Widerspruchsfreiheit wird so zur Infinitolektik hin durchbrochen, womit die Dialektik der Absoluten Identität transzendiert wird. Das heißt, das Gesetz der Absoluten Identität als das A = A wird zum ‚Anderen seiner selbst‘ als seinem Widerspruch dem A = non-A durchbrochen und so absolut infinitialisiert. Die Infinitolektik besteht darin, daß sich die Identität (A = A) und die Differenz (A = non-A) ad infinitum implizieren, ohne eine Seite zu verabsolutieren. Die Rede von der Identität macht nur Sinn, wenn es auch Widersprüche gibt und umgekehrt. Aus diesem Grunde führt sich die Absolute Identitätsphilosophie Schellings selbst ad absurdum, wenn sie keine Widersprüche in ihrem ‚systemlosen System‘ zuläßt und die Systematik im Absoluten System verabsolutiert. Das Absolute Identitätssystem Schellings kann sich erst dann absolut selbst begründen und sich so vor seiner eigenen Selbstnichtung retten, wenn es sich zum ‚Anderen seiner selbst‘ öffnet bzw. absolut infinitialisiert und seinen Grund nicht in sich selbst, sondern außerhalb seiner selbst sucht. Erst dann wenn sich die Absolute Identität als die Absolute Unendlichkeit hin zum Anderen absolut infinitialisiert und die Widersprüche inkludiert, ohne sie 48
durch die Absolute Systematik aufzuheben und aufzulösen, kann von einem Absoluten systemlosen System gesprochen werden. Erst dieses als Infinitial (die Signatur) der Absoluten Infinitheit stellt die wahre Mitte zwischen Identität und Differenz, Denken und Sein bzw. neuzeitlicher Systematik und postmoderner Systemlosigkeit dar. Bereits hier kündigt sich das neue Zeitalter in der Philosophiegeschichte an. Wir stehen nun am Ende der ersten Station auf dem unwegsamen Weg zur Absoluten Infinitheit. Schellings Identitätsphilosophie hat gezeigt, daß es sich unter der Hand aufgrund seiner inneren dialektischen Dynamik zum ‚Anderen seiner selbst‘ absolut infinitialisiert, um sich so vor seiner eigenen Selbstnichtung zu bewahren und zu retten. Das Absolute System wurde so zum Absoluten systemlosen System als wahre Mitte zwischen Identität (A = A) und Widerspruch (A = non-A), womit die Dialektik hin zur Infinitolektik transzendiert wurde. Beide – Identität und Widerspruch – implizieren sich in einem infiniten Prozeß wechselseitig. Die Identität ist genau dann Identität, wenn sie Widerspruch ist. Der Widerspruch ist genau dann Widerspruch, wenn er Identität ist. Kurz: Identität – inf. – Widerspruch, Widerspruch – inf. – Identität. Genau darin besteht die Infinitolektik, wo sich die Absolute Infinitheit verbergend entbirgt. Hinter Schellings Absoluter Identität verbirgt sich also in Wahrheit (alétheia = Entbergung) die Absolute Infinitheit. Die Absolute Infinitheit ist also die Absolute Identität, die auch um das ‚Andere ihrer selbst‘ weiß. Schellings Identitätsphilosophie kann somit vor diesem Hintergrund als ein Infinitial (Signatur) der Absoluten Infinitheit verstanden werden, wo sich die Absolute Infinitheit einschreibt und zum Ausdruck bringt. Die Absolute Infinitheit tritt in Schellings Identitätsphilosophie im Gewand der Absoluten Identität auf, die sich unter der Hand zum ‚Anderen ihrer selbst‘ absolut infinitialisiert. Obwohl es Schelling an einer Vermittlungsphilosophie gelegen war, konnte er Verabsolutierungen nicht entgehen, die zu einer Selbstnichtung der Absoluten Identitätsphilosophie führen mußten. Darin muß das tragische Scheitern Schellings gesucht werden. Aus diesem Grunde müssen wir nach einer Philosophie Ausschau halten, die uns der Absoluten Infinitheit näher bringt, als dies Schelling vermochte. Halten wir also nach einer Philosophie Ausschau, die uns den unwegsamen Weg zur Absoluten Infinitheit und in ein ‚neues Zeitalter‘ der Philosophiegeschichte weisen wird, in dem wir uns eigentlich schon immer befunden haben. Betrachten wir nun die Philosophie von Nishida Kitarô, dem Begründer der modernen Philosophie in Japan.
49
3. DIE LOGIK DER WIDERSPRÜCHLICHEN SELBSTIDENTITÄT (MUJUNTEKI JIKODÔITSU NO RONRI 矛盾的自己同一の論理) VON NISHIDA KITARÔ
Ich möchte nun das Leben und Denken Nishida Kitarôs (1870–1945), des Begründers der modernen Philosophie in Japan, näher betrachten. In dem zweiten Teil meiner Ausführungen soll nun Nishidas Lebens- und Denkweg sowie seine ,Logik der widersprüchlichen Selbstidentität’ im Zentrum der Darstellung stehen. Damit haben wir nun die zweite Station auf dem ,unwegsamen Weg der Absoluten Infinitheit‘ bzw. des ,Absoluten systemlosen Systems‘ erreicht und sind so der ,Absoluten Infinitheit‘ einen großen Schritt näher gekommen. Am Anfang unserer Reise soll zunächst Nishidas Lebensweg stehen: Wer war Nishida? Wie sah sein Leben aus? – Diese Fragen erscheinen mir wichtig, da Nishidas Denken eng mit seinem Leben verbunden ist und auch er (wie Schelling) nach dem zutiefst-höchsten Punkt im jenseitigen Diesseits von Philosophie und Leben bzw. Denken und Sein fragt.133 Im Anschluß daran soll sein Denkweg anhand von vier paradigmatischen Schriften, die wichtige Wendepunkte in seinem Denken markieren, dargestellt werden. Bereits hier wird nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Denkweisen Schellings und Nishidas gefragt werden: Worin bestehen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Schellings ,Absoluter Vernunft‘ und Nishidas ,Reinen Erfahrung‘ bzw. dem ,Ort‘? Erst nachdem Nishidas Denken in den Grundzügen dargestellt wurde, kann der eigentliche interkulturelle Dialog zwischen Schelling und Nishida allererst geführt werden, wobei folgende Frage im Zentrum stehen soll: Worin bestehen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Schellings ,Absoluter Identität‘ und Nishidas ,widersprüchlicher Selbstidentität‘? Da Nishida in der Auseinandersetzung mit westlichem und östlichen Denken eine eigene ,originelle Philosophie‘ erschuf, wird nach der ,Originalität‘ seiner eigenen Philosophie gefragt werden müssen: Worin besteht die ,Originalität‘ bzw. das Surplus der Philosophie Nishidas im Hinblick auf die Philosophie Schellings? Fernerhin stellt sich die Frage, inwieweit Nishida die ,Entsubjektivierung‘ seiner eigenen Frühphilosophie gelingt. In seinem Erstlingswerk der Studie über das Gute aus dem Jahre 1911 steht die ,Reine Erfahrung‘ im Zentrum der Betrachtung, die Schellings ,Absoluter Vernunft‘ noch sehr nahe steht. Da Nishida sich zu einer zunehmenden ,Ent133
50
Vgl. NISHITANI K., 1991, S. 1–61.
subjektivierung‘ und ,Entpsychologisierung‘ genötigt sieht, entwickelt er im Jahre 1926 den Gedanken des ,Ortes‘. Da Schelling in seiner Darstellung eine ,Entsubjektivierung‘ seiner frühidealistischen Philosophie vornimmt, wird nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden der ,Entsubjektivierung‘ zwischen Schelling und Nishida gefragt werden müssen. Inwieweit kann Nishida die ,Entsubjektivierung‘ Schellings selbst weiter fortführen, diese transzendieren und sich von Schelling emanzipieren? Gelingt Nishida selbst die ,Entsubjektivierung‘ seiner eigenen Frühphilosophie? Damit stellt sich die Frage, inwieweit Nishida seinen eigenen hohen Anspruch selbst einzulösen vermag. Abschließend soll gefragt werden, was denn für Nishida das Absolute ist, wo alle Dualitäten in Eins zusammenfallen? Was verbirgt sich entbergend hinter diesem Absoluten? In einer absolut kritischen Betrachtung soll gefragt werden, ob Nishida das ,wahre Medium‘ zwischen allen Dualitäten gefunden hat, oder ob das tragische Scheitern Nishidas nicht gerade darin besteht, daß sein ,systemloses System‘ einer letzten ,Subjektivität‘ verhaftet bleibt und so einer letzten Verabsolutierung erliegt? Können wir bei Nishidas ,Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘ nicht eine ,Absolute Infinitialisierung‘ beobachten, wo sich die Ortlogik aufgrund ihrer inneren Dynamik hin zum ,Anderen ihrer selbst‘ sprengt? Ich möchte nun dem Weg durch die Höhen und Tiefen von Nishidas Leben folgen.
3.1 DER LEBENSWEG NISHIDA KITARÔS134 Nishida Kitarô wurde am 19. Mai 1870 (Meiji 3) in Unoke in der Präfektur Ishikawa geboren. Die Familie Nishida war eine alte Grundbesitzerfamilie. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts lag das Amt des Dorfschulzen in der Hand des jeweiligen Oberhauptes der Familie. Aufgrund der lokalen Vormachtstellung der Familie verlebte Nishida eine durchaus privilegierte Kindheit. Da er leicht kränkelte, konnte er sich der radikalen Fürsorge seiner Mutter, einer streng-gläubigen Buddhistin, nicht entziehen. Im April 1882 bestand Nishida die Abschlußprüfung der Elementarschule. Bereits in seiner frühen Kindheit erwachte seine philosophische Neugier. Nishida liebte es, auf den Speicher des Hauses zu klettern, um sich dort die Kisten mit den chinesischen Büchern anzusehen, die der Großvater gelesen
134
Vgl. NISHIDA K., Über das Gute, S. 9–19 (Einleitung v. P. Pörtner); P. PÖRTNER, 1990, S. 55–162; NISHITANI K., S. 1–61; U. SHUNPEI, 2000, S. 96–170; NISHIDA K., Logik des Ortes, Seite: 1–2 (Einleitung v. R. Elberfeld); R. ELBERFELD, 1994, S. 133 und R. ELBERFELD, 1999, S. 288.
51
hatte. Die Schriftzeichen faszinierten Nishida sehr, die er allerdings nicht verstehen konnte. Er war sich allerdings sicher, daß in diesen Büchern etwas Erhabenes geschrieben steht. Nishida bat seinen Vater dreimal, ihn auf eine weiterführende Schule nach Kanazawa zu schicken. Sein Vater allerdings war um die Nachfolge seines Amtes besorgt, so daß er befürchtete, daß eine zu hohe Bildung Nishida daran hindern könnte, in das Dorf zurückzukehren. Aufgrund der Fürsprache seiner älteren Schwester durfte Nishida nach Kanazawa gehen. Aufgrund einer Typhuserkrankung konnte Nishida die weiterführende Schule nicht mehr besuchen, so daß er dazu gezwungen war, Privatunterricht zu nehmen, der das Studium chinesischer Klassiker, Mathematik und Englisch umfaßte. Von 1886 bis 1890 besuchte Nishida wieder eine Schule, die Fachschule Ishikawa Senmongakkô (石川専門学校). Die Schüler stammten alle aus alten Samurai-Familien in Kanazawa und die Lehrer hatten alle auf dieser Schule ihr Examen abgelegt. Die Atmosphäre dieser Schule war durch Brüderlichkeit und Herzlichkeit gekennzeichnet. Nachdem diese Schule 1887 aufgelöst wurde, besuchte er zusammen mit Suzuki Daisetsu Teitaro die ,Höhere Mittelschule Nr. 4‘ (Dai-shikôtôchûgakkô 第四高等中学校). Nach einer dezidiert materialistischen und antireligiösen Phase erklärt Nishida zwei Jahrzehnte später die Religion zum grundlosen Grund aller Philosophie, womit die materielle Welt depotenziert wird. Im Vorwort zur 3. Auflage der ,Studie über das Gute‘ schreibt Nishida: „Ich weiß nicht, welchem Einfluß ich es verdanke, jedenfalls glaubte ich schon sehr früh, daß die Realität (jitsuzai 実在) die Aktualität-als-solche (genjitsu sono mono 現実その物) sein muß und daß die sogenannte materielle Welt etwas nur Gedachtes ist. Ich erinnere mich noch jetzt, wie mir einmal, als ich noch Schüler der Höheren Mittelschule war, beim Spaziergang durch die Straßen von Kanazawa dieser Gedanke wie im Traum aufging, ein Gedanke, der zur Grundlage dieses Buches geworden ist.“ Die Umorganisation der Schule zog einen Wechsel des Unterrichtsstiles mit sich – aus einer provinziell-familiären Schule war eine ,Kadettenanstalt mit Reglement‘ geworden, worunter Nishida sehr litt. Nishida und seine Freunde gründeten daraufhin einen kleinen ,Literaturclub‘, wo sie sich einmal im Monat trafen und selbst geschriebene Texte und Kritik austauschten. Nishida zeichnete seine literarischen Versuche mit „Pegasus“. Im Februar 1889, am Tage der Verkündung der Verfassung, ließen sich die Freunde um eine Fahne gruppiert photographieren, auf der stand: „Menschen auf dem Gipfel der Freiheit“. Im Juli 1889 wurde er aufgrund ,schlechten Benehmens‘ nicht in die nächste Klasse aufgenommen. Ob Nishida die Schule freiwillig verlassen hat oder sie verlassen mußte, weiß man nicht. Sicher ist, daß Nishida seitdem das Gefühl hatte, ein Versager zu sein. Im September 1891 begann Nishida das Studium der Philosophie an der Universität Tôkyô. Da er keinen Oberschulabschluß besaß, mußte er den soge52
nannten ,Sonderkurs’ absolvieren. Die Teilnehmer des ,Sonderkurses’ an der Tôkyô-Universität, an der die Elite Japans ausgebildet wurde und noch immer wird, wurden sehr gedemütigt, wie Nishida selbst berichtet: „Vom Gesichtspunkt der Universität her war es vielleicht selbstverständlich, aber die Studenten des ,Sonderkurses‘ waren einer äußerst diskriminierenden Behandlung ausgesetzt.“ An der philosophischen Fakultät unterrichtete neben dem jungen Deutschen Ludwig Busse (einem Schüler Lotzes) u.a. Inoue Tetsujirô, der den ,Sonderkurs-Studenten’ mit beispielloser Arroganz begegnete. Aufgrund dieser unerträglichen Außenwelt zieht sich Nishida in sein ,inneres Selbst’ zurück. Ab 1893 unterrichtete der deutsche Raphael von Köber an der Tôkyô-Universität, der Nishida in die Philosophie Schopenhauers einführte und ihn dazu motivierte, Griechisch und Latein zu lernen, um sich in die mittelalterliche Philosophie einarbeiten zu können. Beim späteren Begründer der deutschen Japanologie – Karl Florenz – studierte er die deutsche Literatur. In einem dieser Seminare lernte Nishida Natsume Sôseki, der zu einem der bedeutendsten Schriftsteller der frühen Moderne werden sollte, kennen. Im Juli 1894 schloß Nishida sein Studium mit einer Arbeit über David Hume ab, kurz bevor der Chinesisch-Japanische Krieg begann. Daraufhin bewarb er sich für eine Stelle an der Mittelschule in Kanazawa, die jedoch von einem anderen, der einen respektableren Bildungsweg aufzuweisen hatte, besetzt wurde. Neben dem Gefühl, ein Versager zu sein, standen die hilflose Wut auf die Provinzialbürokratie und große finanzielle Probleme. In dieser Zeit las Nishida mit Leidenschaft die Prolegomena to Ethics des englischen Hegelianers Thomas Hill Green (1836–1882), die trotz vehementer Kritik für ihn leitend wurde. Einerseits die Vorstellung vom Menschen als einem ,end in himself‘, andererseits die Idee, daß das Gute die Befriedigung eines inneren Begehrens des Selbst darstellt und das Absolute Gute in der Selbstverwirklichung eines Selbst zu sehen ist (Greens ,self-realization theory‘). Greens ,spiritual principle‘ entspricht Nishidas ,Reinen Erfahrung‘. Im April 1895 fand Nishida eine Anstellung als Lehrer an der Mittelschule im entlegenen Städtchen Nanao auf der Halbinsel Noto. Im Mai heiratete er seine Kusine Kotomi. In der zweiten Hälfte des Jahres arbeitete er an der Abfassung einer Geschichte der Ethik, die er allerdings nicht vollendete. Teile dieser Abhandlung nahm er in veränderter Form in die ,Studie über das Gute‘ auf. Ein Jahr später erhielt er eine Stelle an seiner mit ambivalenten Gefühlen belasteten ehemaligen Schule in Kanazawa, die mittlerweile zu einer Oberschule (Dai-shi-kôtôgakkô 第四高等学校 ) umorganisiert wurde und ihm ein Gefühl ökonomischer und existentieller Sicherheit gab. An der Schule unterrichtete er die Fächer Psychologie, Ethik und Deutsch und bemüht sich mit aller Kraft um die Aneignung der westlichen Denktradition. Dieser Erfolg führte zu einer zeitweiligen Überhöhung seines Selbstbildes. 1897 schreibt Nishida in sein Tagebuch: „Wer zu einem über53
durchschnittlichen Menschen werden will, der braucht einen Willen, der sich nicht beugen läßt, selbst wenn Himmel und Erde zusammenstürzen – und eine Kraft, vor der sich selbst Dämonen fürchten.“ Trotz dieser Selbstüberheblichkeit fühlt sich Nishida seinem Vater vollkommen ausgeliefert. Aus ungeklärten Gründen (Einmischung des Vaters) trennt sich Nishida im Mai 1897 von seiner Frau Kotomi. Sein Leben erscheint ihm wie eine Kette von Niederlagen, worüber seine selbstüberheblichen und größenwahnsinnigen Äußerungen in seinem Tagebuch nicht hinwegtäuschen können. Ab Sommer 1896 ließ sich Nishida in der Zen-Meditation unterweisen. Sein Lehrer und Freund Hôjô Tokiyoshi und sein Freund und Schulkamerad Suzuki Daisetz Teitaro hatten Nishida schon längst den Weg zum Zen gezeigt, den er allerdings erst jetzt beschreiten sollte. Erst jetzt versucht er seine geistige und seelische Krise mittels des Zen zu lösen. Im Juni 1897 zieht sich Nishida für ca. 40 Tage zur Zen-Meditation (sesshin) in den Taizô-in Tempel in Kyôto zurück. Im August ging er nochmal nach Kyôto, um seine Meditationen im Myôshin-ji Tempel fortzusetzen. Mittlerweile wurde sein Lehrer und Freund Hôjô Tokiyoshi der Direktor der Yamaguchi-Oberschule, der Nishida einlud, Lehrer an seinem Institut zu werden. Ohne die Meditation aufzugeben, lehrte er an dieser Schule. Die Zen-Erfahrung bedeutete für Nishida eine Konkretisierung dessen, was er bei Thomas Hill Green gelesen hatte. Er sah den Zen-Weg als einen Weg zur Realisation des Selbst, wo die Transzendenz in ihrer Präsenz erfahrbar wurde. Ferner wurde seine Überzeugung gefestigt, daß die Religion die Grundlage der Philosophie ist, zugleich aber auch die Einsicht, daß der Konflikt zwischen Philosophie und Religion letztlich unvermittelt bleibt. In der Zeit zwischen Zen-Meditation und Lehrverpflichtung las Nishida neben der Bibel die „Gespräche“ des Konfuzius, Shakespeare, Goethe, Eduard von Hartmann und sehr intensiv auch Kant. 1897 veröffentlichte er sogar einen Aufsatz über Die Existenz oder Nichtexistenz apriorischen Wissens. Im Februar 1899 wurde Hôjô Tokiyoshi Direktor der ,Höheren Schule Nr. 4’, die Nishida damals unehrenhaft verlassen mußte und an die er nun als Deutschlehrer zurückkehrte. Ebenfalls kehrte Kotomi, seine Frau, endgültig wieder zu ihm zurück, die, nachdem sie Nishida sechs Töchter und zwei Söhne geboren hatte, 1925 starb. Seine Tagebucheintragungen in dieser Zeit dokumentieren seine permanente, schmerzliche Auseinandersetzung mit dem Faktum, daß sein Leben mit seinen Wünschen und Vorstellungen nicht koinzidiert, u.a. der Neid auf Kollegen, die im Ausland Studien betreiben durften. Am 3. August 1903 bestätigt ihm sein Meister, daß er das Kôan Mu135 (公案無 ) völlig durchdrungen habe. Allerdings blieb die ,Große Freude‘ aus, so daß er nur noch bis 1905 medi135
54
Ein ,Kôan’ ist eine paradox formulierte, unlösbare Frage, auf die sich der Zen-Meditant in seiner Meditation konzentriert, die ihn zur Erleuchtung führen soll.
tierte. Nishida äußert sich daraufhin eher enttäuscht über den Zen-Weg und widmet sich wieder verstärkt seinen Forschungen in der Philosophie zu. Im März 1907 veröffentlichte Nishida einen Aufsatz mit dem Titel Eine Abhandlung über die Realität (jitsuzai-ron 実在論) in der Tetsugaku-zasshi Nr. 241, mit dem er sich einem größeren philosophischen Kreis vorstellte. Man reagierte sehr positiv auf diesen Aufsatz, so daß in der nächsten Ausgabe ein weiterer Aufsatz von Nishida erschien. Hôjô Tokiyoshi hielt den Zeitpunkt für gekommen, wo er Nishida zu einer angesehenen Position in der akademischen Welt verhelfen wollte. Ausgestattet mit Empfehlungsbriefen Hôjôs fuhr Nishida nach Tôkyô, um bei seinen ehemaligen Lehrern an der Universität vorzusprechen, allerdings ohne Erfolg. Erst 1910 wird Nishida als Assistenzprofessor für Ethik an die Kaiserliche Universität Kyôto berufen. Gleich im folgenden Jahr erscheint sein Erstlingswerk, die Studie über das Gute, mit dem er eine allgemeine Anerkennung in der philosophischen Welt Japans erlangt. In dieser Studie versöhnte er nicht nur das Denken zweier Jahrtausende, sondern auch das zweier Welten. Es ist der erste umfassende Versuch zu einem ,anderen Anfang‘ der Philosophie in Japan, worin östliche und westliche Denktraditionen miteinander verknüpft werden. 1913 wird er an derselben Universität Professor für Religionsphilosophie und 1914 für Philosophiegeschichte. Mit dem Aufsatz ,Ort‘ aus dem Jahr 1926 hat Nishida den Wendepunkt in seinem Denken erreicht und eine Grundlage für seine Philosophie gefunden, die er in den folgenden Jahren weiter ausarbeiten wird. 1928 (mit 59 Jahren) wird er emeritiert. 1929 wird Nishida Ehrenprofessor der Universität Kyôto und hält Vorträge an verschiedenen Universitäten, 1941 sogar einen Vortrag über Geschichtsphilosophie136 vor dem Kaiser von Japan. Seine Schaffenskraft ist bis zu seinem Lebensende ungebrochen. Nishida Kitarô stirbt am 7. Juni 1945 im Alter von 76 Jahren in Kamakura.
136
In diesem griff Nishida die wichtigsten Streitpunkte des damaligen politischen Denkens auf. Nishida ist der Meinung, daß es nicht um die Verneinung oder Bejahung von Totalitarismus (Faschismus) und Individualismus (Liberalismus) geht, sondern um ihre gleichzeitige Verneinung und Bejahung bzw. ihre gegenseitige Vereinbarung. Er wies auf die Tatsache hin, daß dies in der Geschichte Japans durch das Kaiserhaus ermöglicht worden sei. Nishida schrieb: „In der Geschichte unseres Landes [Japans; M.S.H.] steht das Ganze dem Individuum nicht entgegen und das Individuum nicht dem Ganzen. Das Individuum und das Ganze negieren sich gegenseitig und entwickeln sich unendlich mit dem Kaiserhaus als Zentrum.“ (Vgl. SHUNPEI U., 2000, S. 114–115; eigene Hervorhebung).
55
3.2 DER DENKWEG NISHIDA KITARÔS Nishidas Denkweg ist in der japanischen Forschung in verschiedene Phasen unterteilt worden. Lydia Brüll unterteilt in ihrem Buch Die japanische Philosophie. Eine Einführung (Darmstadt 1989) Nishidas Lebenswerk in fünf Phasen:137 1. Phase: Die Psychologie der reinen Erfahrung, mit dem Werk: Studie über das Gute (1911)
2. Phase: Das Problem des Selbstbewußtseins, mit den Werken: Denken und Erleben (1911/12) Anschauung und Reflexion im Selbstbewußtsein (1913/17) Das Problem des Bewußtseins (1917/20) Kunst und Moral (1921/23)
3. Phase: Die Logik des Ortes (bashô no ronri 場所の論理), mit den Werken: Vom Wirkenden zum Sehenden (1923/27) Das selbstbewußte System des Allgemeinen (1928/29) Die selbstbewußte Bestimmung des Nichts (1930/32)
4. Phase: Das dialektische Allgemeine (benshôhôteki ippansha 弁証法的 一般者) und die widersprüchliche Selbstidentität, mit den Werken: Grundlegende Probleme der Philosophie (1933/34) Sammlung philosophischer Essays (1935/44)
5. Phase: mit den Werken: Hin zu einer Religionsphilosophie geleitet von der prästabilierten Harmonie (1944) Ortlogik und religiöse Weltanschauung (1945)
Das Gesamtwerk Nishida Kitarôs läßt sich grob in drei Phasen unterteilen: A) Die Philosophie des Selbst (PhS), B) Philosophie der Welt (PhW) und C) die Philosophie des Absoluten bzw. Gottes (PhG).138 Die dritte Phase kann nicht zur zweiten gezählt werden, wie dies Rolf Elberfeld in seiner Dissertation tut, da dort Nishida die Sphäre der Religion betritt, die sowohl die PhS und die PhW fundiert und transzendiert. Damit folgt Nishida in seinem triplizitären Denkweg der ,metaphysica specialis‘ von Seele, Welt und Gott.139
137 138
139
56
Vgl. L. BRÜLL, 1989, S. 155–156; ebenso bei: P. MAFLI, 1996 und Y. MATSUDO, 1990, S. 59–60. Im Gegensatz zu Rolf Elberfeld spreche ich hier von der ,Philosophie’ und nicht von der ,Phänomenologie des Selbst bzw. der Welt’. Meines Erachtens ist die phänomenologische Ausrichtung der Interpretation der Philosophie Nishidas von Rolf Elberfeld (wie auch Ohashi Ryôsukes) zu einseitig, da den transzendentalphilosophischen Spuren im Denken Nishidas leider nicht (genügend) nachgegangen wird. Diese Triplizität hat Rolf Elberfeld in seiner Dissertation leider nicht gesehen. Vgl. R. ELBERFELD, 1994 und 1999.
Auf dem Weg durch das Denken Nishidas möchte ich vier Werke ins Zentrum der Betrachtung stellen, die wichtige Wendepunkte markieren:140 1. 2. 3. 4.
Studie über das Gute (1911) Ort (1926) Ich und Du (1932) Ortlogik und religiöse Weltanschauung (1945)
Ich möchte nun diese vier Stationen im Denken Nishidas näher betrachten. 3.2.1 Studie über das Gute (1911) Nishidas Erstlingswerk – die Studie über das Gute (Zen no kenkyû 善の研究 ) –, die 1911 zum ersten Mal erschien, enthält bereits viele Gedanken, die später von Nishida weiter ausgeführt werden. In der Studie über das Gute steht die gegenwärtige141 Reine Erfahrung (junsui keiken 純粋経験 ; bei William James: pure experience) im Zentrum der Betrachtung: „Erfahren (keiken 経験) bedeutet, das Tatsächliche als solches zu erkennen (jijitsu sono mama ni shiru 事実 そ の ま ま に 知 る ); ohne alles Mitwirken des Selbst nach Maßgabe des Tatsächlichen zu wissen. Rein beschreibt den Zustand einer wirklichen Erfahrung als solcher, der auch nicht eine Spur von Gedankenarbeit anhaftet. Dem, was gewöhnlich Erfahrung genannt wird, ist hingegen immer ein irgendwie geartetes Denken beigemischt. Das meint zum Beispiel, daß wir in dem Augenblick, in dem wir eine Farbe sehen oder einen Ton hören, weder überlegen, ob es sich um Einwirkungen äußerer Dinge handelt, noch ob ein Ich diese empfindet. Selbst das Urteil, was diese Farbe und dieser Ton eigentlich sind, ist auf dieser Stufe noch nicht gefällt. Somit sind Reine und unmittelbare Erfahrung eins. In der unmittelbaren Erfahrung des eigenen Bewußtseinszustands gibt es noch kein Subjekt und Objekt. Die Erkenntnis und ihr Gegenstand sind völlig eins: Das ist die reinste Form der Erfahrung.“142 Die Reine Erfahrung ist somit eine bedeutungsleere143 Ur-Erfahrung (genkeiken 原経験 ) eines Tatsächlichen von sich her bzw. der aktuellen Wirklichkeit-als-solche (genjitsu sono mama no mono 原実その ま ま の物). Diese Ur-Erfahrung der Realen Wirklichkeit (jitsuzai 実在 ) als reines Gegenwartsbewußt-
140
141 142 143
Die Studie über das Gute (Zen no kenkyû; 1911) liegt mir in deutscher Übersetzung von Peter Pörtner, Frankfurt/M. 21993 vor. Die drei anderen Aufsätze wurden alle von Rolf Elberfeld ins Deutsche übersetzt und in einem Band herausgegeben: Kitarô NISHIDA, Logik des Ortes. Der Anfang der modernen Philosophie in Japan, Darmstadt 1999. Vgl. NISHIDA K., Über das Gute, S. 32. Vgl. NISHIDA K., Über das Gute, S. 29. Vgl. NISHIDA K., Über das Gute, S. 30 und 36.
57
sein transzendiert sowohl das Selbst als Subjekt des Denkens, als auch die reflexive Gedankenarbeit bzw. das Denken selbst. Kurz: Die prä-reflexive und a-thetische Reine Erfahrung liegt jenseits von Subjekt und Objekt, Denken und Wille.144 In dieser sind Erfahrung und der Gegenstand der Erfahrung vollkommen Eins. Aus dieser ursprünglichen Einen Reinen Erfahrung heraus entwickeln sich zahlreiche differente Bewußtseinszustände, denen jedoch die ursprüngliche Einheit und Ungeschiedenheit von Subjekt und Objekt fehlt.145 Wie läßt sich diese Reine Erfahrung näherhin begreiflich machen? Diese Reine Erfahrung als die Ur-Erfahrung kann man sich folgendermaßen plausibel machen: Betrachtet man ein Kind, das tief versunken spielt und mit dem Spiel vollkommen eins geworden ist. Diese Einheit von Subjekt und Objekt kann von jedem im Alltag selbst konkret erfahren werden. Sie geschieht überall dort, wo wir unserem Gegenstand vollkommene gegenwärtige Aufmerksamkeit schenken, mit diesem eins werden und mit diesem vollkommen verschmelzen. Dies kann beim Lesen, beim Schreiben oder bei anderen Dingen sein. Dieser augenblickliche Verschmelzungsakt wird in der Psychologie auch ,flow-Effekt‘ genannt. Es ist ein Fluß im raumlosen Raum bzw. in der zeitlosen Zeit, der erfahren wird.146 Betrachten wir nun Schellings ,Absolute Vernunft‘ und Nishidas ,Reine Erfahrung‘, so fällt uns sogleich ihre strukturelle Ähnlichkeit auf. Nishida schreibt: „Schellings ,Identität‘ ist ein Zustand unmittelbarer Erfahrung.“147 Damit setzt Nishida seine ,Reine Erfahrung‘ mit Schellings ,Absoluter Identität‘ gleich. Beide – die Absolute Vernunft und die Reine Erfahrung – transzendieren das diskursive und reflexive Denken, das Sachverhalte analysiert und differenziert. In ihm (dem reflexiven Denken) kann niemals die strenge Einheit und Ungeschiedenheit der Absoluten Vernunft bzw. der Reinen Erfahrung gefunden werden. Sowohl die Absolute Vernunft, als auch die Reine Erfahrung befinden sich absolut jenseits des diskursiv-thetischen und entzweienden Denkens, jenseits von Subjekt und Objekt, Raum und Zeit. Zwischen Subjekt und Objekt gibt es sowohl in der Reinen Erfahrung Nishidas, als auch in der Absoluten Vernunft Schellings nicht die kleinste Differenz.148 Ihr Unterschied ist nicht qualitativ, sondern nur quantitativ.149 Damit hat Nishida an die 144 145 146
147 148 149
58
Vgl. Ohashi R., in: D. HENRICH, 1985, S. 223. Vgl. NISHIDA K., Über das Gute, S. 33. Vgl. D. T. SUZUKI, 1971, S. 13–16, 53, 62–68, 79 und 91–108. Da wir uns hier in einer Sphäre befinden, die sich jeglicher Diskursivität und Sprache entzieht, können wir über diese nicht anders als in Form von Paradoxien sprechen. Wir befinden uns in der ,Sphäre der Erlösung bzw. des Nirvana’ (Vgl. Ebd., S. 58–59). Vgl. NISHIDA K., Über das Gute, S. 65. Ferner schreibt G. K. PIOVESANA (31997, S. 94): „Schellings Identitaet is a characteristic of ‘pure experience’.“ Vgl. NISHIDA K., Über das Gute, S. 33. Vgl. NISHIDA, K., Über das Gute, S. 33, 38, 41–44, 46, 50, 53, 56, 58, 69, 63ff.
Potenzenlehre Schellings angeknüpft. Beide – die Reine Erfahrung und die Absolute Vernunft – entziehen sich jeglicher rationalen Erfassung und Darstellung in Raum und Zeit, da sie beide unendlich und ewig sind. Um diesen nicht rational faßbaren ,Ort‘ (X) absolut jenseits allen diskursivthetischen Denkens und aller Dichotomien sinnfällig zu machen, möchte ich an dieser Stelle auf den Denker Nagarjuna150 verweisen, der zu Beginn des 2. nachchristlichen Jhs. in Indien wirkte. Nagarjuna wollte mittels der Vierfachen Negation (Tetralemma), womit er alles diskursiv-thetische Denken in Aporien führte und zu Fall brachte, die Relativität und Leere aller Dinge in absolut dialektischer Weise151 erweisen. Dazu negierte er 1. Die Thesis (A), 2. Die Antithesis (non-A), 3. Die Konjunktion von A und non-A, 4. Die Disjunktion von A und non-A. Nachdem Nagarjuna diese Vier Negationen vorgenommen hatte, kam er zum Ergebnis, daß alle Dinge in sich leer, relativ und nichtig sind (Konklusion). Die Dinge sind nichts anderes als mâyâ.152 Hinter den mannigfaltigen Dingen sowie den zahlreichen differenten Bewußtseinszuständen fließt die Leere, die Reine Erfahrung bzw. die Absolute Identität (in der Versinnbildlichung der ,unendlichen Linie‘) wie ein ewiger unsichtbarer Strom.153 Aus diesem Grunde denkt Nishida die Reine Erfahrung im Gegensatz zu Schellings Absoluter Vernunft nicht ontologisch-substanziell, sondern unendlich fließend.154 Nishida fragt nicht wie Schelling nach dem ,Absoluten Sein‘, sondern vielmehr nach der ,Reinen Erfahrung‘, die der Entstehung des Bewußtseins vorangeht.155 Nishida befindet sich demnach in einer höheren Sphäre, die das „Seiende von der Seiendheit“156 befreien möchte. Nishida gelangt so zu der neuen Dimension der Reinen Erfahrung. Ich denke, daß genau hierin trotz aller Nähe die große Differenz zwischen den beiden Denkern – Schelling und Nishida – zu suchen ist. 150 151 152
153 154 155 156
Vgl. B. WEBER-BROSAMER/D. M. BACK, 1997. Und: E. CONZE, 1988, S. 275ff. „Vielmehr ist der Gedanke der mahâyâna-buddhistischen Weisheit (hannya, skrt. prajn7â) im radikalen Sinne absolut-dialektisch.“ Vgl. NISHIDA K., Logik des Ortes, S. 228. Einen umgekehrten Weg ist der chinesische Buddhist Fazang (643–712) gegangen, der nicht aus der Sicht eines Leidenden wie Nagarjuna, sondern aus der Sicht eines Erwachten spricht. Er formuliert das Tetralemma nicht negativ in weder-noch-, sondern positiv in sowohl-als-auch-Wendungen. In Übereinstimmung mit Rolf Elberfeld kann daher von Fazang als dem ,Vollender des Buddhismus in China’ gesprochen werden. Leider kann ich an dieser Stelle nicht näher auf Fazang selbst eingehen, da dies eine eigene Abhandlung erfordern würde. Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Verweis auf meine eigene Studie, wo ich das Problem von Sein und Nichts bei Platon, Fazang, Nagarjuna und Nishida betrachtet habe: M.S. HANTKE, 2005 (Publikation in Vorbereitung). Vgl. zudem: R. ELBERFELD, 1997, 38–60; 1999b, S. 151–169 und R. ELBERFELD/M. LEIBOLD/M. OBERT 2000, S. 111ff. Vgl. NISHIDA K., Über das Gute, S. 32–33. Vgl. MINOBE H., 2003, S. 71. Ebd. S. 63. Ebd. S. 63.
59
Die Studie über das Gute kann im Rückblick als ein frühes Zeugnis von Nishidas Denken gelesen werden: „Aus heutiger Sicht betrachtet, ist der Standpunkt des Buches der des Bewußtseins, und so blieb es wohl psychologistisch.“157 Dies gab Nishida Anlaß zu einer weiterführenden ,Entsubjektivierung‘. Auch seine Ausführungen in seinem nächsten Buch Anschauung und Reflexion im Selbstbewußtsein (1913) hatten, auf Fichtes ,Thathandlung‘ gestützt, die Subjektivität noch nicht völlig überwunden, ebenso sein Buch Das Problem des Bewußtseins (1917–20) nicht. Erst in seinem Aufsatz Ort aus dem Jahre 1926 gelingt, nach eigenem Bekunden Nishidas, die Entsubjektivierung seiner Frühphilosophie und eine logische Grundlegung seiner eigenen Gedanken. Damit hat Nishida nicht nur die ,subjektive‘ Reine Erfahrung, sondern auch Schellings ,Absolute Vernunft‘ transzendiert, die somit letztlich ,subjektiv‘ in einem höheren Sinne blieb. Schellings Entsubjektivierung ist damit letztlich gescheitert. Aus diesem Grunde kann Nishidas Bemühen der Entsubjektivierung als eine ,Entsubjektivierung der Entsubjektivierung‘ verstanden werden, die die Entsubjektivierung Schellings einer weiteren Entsubjektivierung unterzieht. Nishida denkt also mit Schelling über Schelling hinaus. Inwieweit Nishida diese Entsubjektivierung wirklich gelingt, werden die folgenden Ausführungen zeigen. Betrachten wir nun den Aufsatz Ort aus dem Jahre 1926 etwas näher. 3.2.2 Ort (1926) Der Aufsatz – Ort (Basho 場所)158 – aus dem Jahre 1926 kennzeichnet den ersten Wendepunkt in Nishidas Denkweg, der die subjektive Einseitigkeit von den idealistischen Bewußtseinsphilosophien überwindet und Nishidas eigene originären Gedanken logisch fundiert. Diese grundlegende Wende nennt Nishida die Wende vom Absoluten Willen zum Gedanken des Ortes. Dieser Ort des Absoluten Nichts (zettai mu no basho 絶対無の場所) läßt alle Dinge aus sich heraus entstehen, so wie sie von sich aus sind. Der Ort des Absoluten Nichts (der Ort-Worin) muß als ein Ort im jenseitigen Diesseits von Subjekt und Objekt, System und Systemlosigkeit verstanden werden. War seine Studie über das Gute nichts anderes als ein ,Absolutes System‘ des Bewußtseins, welches mit Schellings ,Absolutem System‘ der Absoluten Vernunft verglichen werden konnte, so geht Nishida in seinem Aufsatz Ort einen großen Schritt weiter, wo er den Gedanken eines ,systemlosen Systems‘ (muhôshiki no hôshiki 無方式 の 方式) des Absoluten Nichts entwickelt. Nishida schreibt in seiner Studie über das Gute: „Der Grund dafür, daß die Reine Erfahrung unmittelbar und rein ist, 157 158
60
Vgl. NISHIDA K., Logik des Ortes, S. 22. Vgl. NISHIDA K., Logik des Ortes, S. 72–139.
liegt nicht darin, daß sie einheitlich, unanalysierbar und momentan ist, sondern vielmehr in der strengen Einheit des konkreten Bewußtseins. Das Bewußtsein setzt sich keineswegs aus einfachen psychischen Elementen zusammen, wie die Psychologen sagen, sondern ist ein ursprünglich einheitliches System.“159 Das Bewußtsein ist nach Nishida ein ursprünglich einheitliches System absolut jenseits der Dualität von System und Systemlosigkeit. Damit hat er die Dualität von System und Systemlosigkeit, was der Dualität von Denken und Wille entspricht, wie Schelling in einer ,höheren Systematik‘ bzw. einem ,Absoluten System‘ aufgehoben. Mit dem Aufsatz Ort allerdings gelingt Nishida die Wende vom ,Absoluten System‘ der Reinen Erfahrung hin zum ,systemlosen System‘160 des Ortes. Er schreibt zu Beginn seines Aufsatzes Ort: „Um jedoch sagen zu können, daß Gegenstand und Gegenstand sich aufeinander beziehen, ein System bilden und sich selbst erhalten, ist etwas anzunehmen, das dieses System selbst erhält, in sich zustande kommen läßt und in dem sich dieses System befindet.“161 Damit hat Nishida seine Frühphilosophie und die Philosophie Schellings zu Grunde gebracht (subzendiert) und überstiegen (transzendiert). Nishida führt das Bewußtseinssystem jenseits von System und Systemlosigkeit auf seinen höchsten grundlosen Grund zurück und fragt in diesen selbst noch hinein. Das ,systemlose System‘ des Ortes unterscheidet sich vom ,Absoluten System‘ der Reinen Erfahrung darin, daß das ,systemlose System‘ hier nicht wie bei Schelling oder in seiner Studie über das Gute in einer ,höheren Systematik‘ bzw. einem ,Absoluten System‘ jenseits von System und Systemlosigkeit aufgehoben ist, wo es keine qualitativen, sondern nur quantitative Differenzen geben kann. Das ,systemlose System‘ stellt vielmehr das Zugleich von System und Systemlosigkeit dar, wo der Systematik kein übergeordneter Standpunkt eingeräumt wird und sie nicht verabsolutiert wird. Nishida sucht allerdings nicht nur nach dem Ort im jenseitigen Diesseits von System und Systemlosigkeit, sondern auch von Sein und Nichts. Denkt die westliche Philosophie vom Sein (wie auch Schelling), die östliche Philoso-
159 160
161
Vgl. NISHIDA K., Studie über das Gute, S. 33. Vgl. zum Terminus ,systemloses System’ die Ausführungen von MATSUDO Yukio in seinem Buch ,Die Welt als Dialektisches Allgemeines. Eine Einführung in die Spätphilosophie von Kitarô Nishida’ (Berlin 1990, S. 53), der in einem Zitat aus Funayama Shinichis Buch ,Hegel-tetsugaku to Nishida-tetsugaku’ (Hegel-Philosophie und Nishida-Philosophie; Tokyo 1984) m.E. den Terminus zum ersten Mal gebraucht. Mir ist z.Zt. kein anderer Philosoph bekannt, der diesen Terminus vorher schon einmal explizit gebraucht hätte. Da mir das Buch von Funayama aufgrund meiner noch zu geringen Kenntnisse der japanischen Sprache leider nicht zugänglich ist, kann ich auf Funayamas Ausführungen zu diesem Begriff nicht näher eingehen und bin daher in der Prägung des Begriffes allein auf mich gestellt. Vgl. NISHIDA K., Logik des Ortes, S. 74.
61
phie vom Nichts her (wie Nagarjuna und Fazang),162 so werden beide Denktraditionen bei Nishida im Ort des Absoluten Nichts miteinander synthetisiert und zugleich analysiert.163 Aus diesem Grunde unterläuft Nishida mit seiner Logik des Ortes, sowohl die abendländische, als auch die morgenländische Philosophie. Aufgrund dessen stellt meines Erachtens die Philosophie Nishidas die tiefsinnigste und die überlegenste aller Philosophien dar. D.T. Suzuki bringt in dem Vorwort „How to read Nishida“ zur englischen Übersetzung von A Study of Good die Tiefsinnigkeit der Philosophie Nishidas mit den folgenden Worten zum Ausdruck: „In the East nothingness or emptiness or the self-identity of contradictions has nothing to do with analysis and abstraction, it is purely an experience personally gone through. In other words, the West starts intellectually with a dualistic world, whereas the East keeps the feet firmly on the ground of emptiness, which is a world of concrete existentialism and not a logical framework of abstraction.“164 Hiermit hat Suzuki der abstrakten westlichen Subjektivität eine klare Absage erteilt, die einen konkreten Weltbezug vermissen läßt. Der Weltbezug gewinnt in der Philosophie Nishidas im Laufe der Zeit immer stärker an Bedeutung. Seine ,Philosophie des Selbst‘ wandelt sich in zunehmendem Maße zu einer ,Philosophie der Welt‘. Der Ort-Gedanke, den er in den Jahren 1925/26 herausarbeitete, vertieft er in seinem Werk Das selbstbewußtseinshafte System des Allgemeinen (1936) sowie in seinem Aufsatz Die intelligible Welt (1928). Erst in seinem Sammelband Selbstbewußte Bestimmung des Nichts (1931–32), worin der Aufsatz Ich und Du (1932) steht, leitet Nishida einen weiteren Wendepunkt in seinem Denken ein. 3.2.3 Ich und Du (1932) Der Aufsatz – Ich und Du (Watashi to nanji 私 と 汝)165 aus dem Jahre 1932 – markiert den zweiten Wendepunkt in Nishidas Denkweg. In diesem Aufsatz wendet sich Nishida dem Phänomen des Sozialen (Intersubjektivität) zu, wobei die Dimension der Welt immer weiter ins Blickfeld rückt. Zudem wird
162 163
164 165
62
Vgl. NISHIDA K., Die morgenländischen und abendländischen Kulturformen, S. 1–19; HISAMATSU S., 41988; H. MINOBE, 2003, S. 63–72 und M.S. HANTKE, 2005. Den Terminus ,Ort’ hat Nishida Platons ,Chora’ entlehnt (PLATON, Timaios, 49b–52c). Jedoch bleibt Platons Philosophie letztlich On-tologie, wo das ,Nichts’ im eigentlichen Sinne nicht thematisch wird. Vgl.: NISHIDA K., Die morgenländischen und abendländischen Kulturformen, S. 3–4 und R. Ohashi, in: D. HENRICH, 1985, S. 224–225. Vgl. SUZUKI D. T., 1960, S. iii (eigene Hervorhebungen). Ferner: Id., 1971, S. 97ff. In: NISHIDA K., Logik des Ortes, S. 140–203.
durch das Ich-Du-Problem die Logik des Ortes konkretisiert und sozial verankert. „Der Grundgedanke läßt sich zunächst folgendermaßen fassen: Da wir im Grunde unserer Selbstbestimmung auf die absolute Negation stoßen, treffen wir in uns selber auf das absolut Andere, wodurch in mir selber bereits ein Du bzw. ein absolut Anderes gegeben ist, so daß sich durch den absolut Anderen in mir selbst ein Zugang zum Du der anderen Person öffnet. Das heißt, die absolute Differenz von Ich und Du wird lebendig, indem wir beide in uns selber den absolut Anderen realisieren und so Ich Ich und Du Du wirst.“166 Das Verhältnis von Ich und Du ist eine absolut dialektische Bestimmung (benshôhôteki gentei 弁証法的限定): Erst vor dem Hintergrund eines Du kann sich das Ich realisieren und konstituieren; und umgekehrt. Kurz: Ich bin genau dann Ich, wenn ich Du bin, Du bist genau dann Du, wenn Du Ich bist (Resonanz-Ethik167). Beide – Ich und Du – befinden sich in einer Umgebung (Ort). Diese allgemeine Umgebung ist ihrerseits nur denkbar, wenn es besondere Individuen gibt; und umgekehrt. Kurz: Das Allgemeine ist genau dann allgemein, wenn es besonders ist. Das Besondere ist genau dann besonders, wenn es allgemein ist. Ich und Du168 können somit als Selbstausdruck und Selbstbestimmung des Absoluten Nichts (zettai mu 絶対 無 ) verstanden werden, das diese Relation von Ich und Du als diese Relation sein läßt. Damit haben wir den Begriff des dialektischen Allgemeinen erhalten, der für die Philosophie der Welt (sekai 世界 )169 und der diskontinuierlichen Kontinuität (hirenzoku no renzoku 非連続の連続 ) in der Spätphilosophie Nishidas grundlegend ist. Damit hat Nishida einen weiteren Wendepunkt erreicht. Die ,Philosophie des Selbst‘, die zu einer ,Philosophie der Welt‘170 geworden war, wird nun in seinem letzten Aufsatz zu einer ,Philosophie des Absoluten bzw. Gottes‘ und erreicht dort ihren Höhepunkt. 3.2.4 Ortlogik und religiöse Weltanschauung (1945) Den letzten Aufsatz – Ortlogik und religiöse Weltanschauung (Bashoteki ronri to shûkyôteki sekaikan 場所的 論理 と 宗教的 世界観 )171 – stellt Nishida noch kurz vor seinem Tode im April 1945 fertig. Mit diesem ist Nishidas Endpunkt sei-
166 167 168 169 170 171
Vgl. NISHIDA K., Logik des Ortes, S. 11. Vgl. R. ELBERFELD, 1999c, S. 25–38. Bei Nishida muß das intersubjektive Ich-Du-Verhältnis zugleich als ein interkulturelles Wir-Ihr-Verhältnis angesehen werden. Vgl. R. ELBERFELD, 1994, S. 75. Vgl. R. ELBERFELD, 1994, S. 78–111. Vgl. NISHIDA K., Selbstidentität und Kontinuität in der Welt, S. 54–118 und NISHIDA K., Das künstlerische Schaffen, S. 119–137. In: NISHIDA K., Logik des Ortes, S. 204–284.
63
nes Denkweges erreicht. In dem Aufsatz versucht Nishida den Ort der Religion (die Eine Welten-Religion) jenseits aller differenten Religionen zu eruieren, ohne die Mannigfaltigkeit der diesseitigen differenten Religionen aus dem Blick zu verlieren (absolute Diesseitigkeit). Er nimmt sowohl auf die christliche und jüdische, als auch auf den Buddhismus (Zen- und AmidaBuddhismus) Bezug. Der Ort der Religion ist kein absolut transzendenter Ort – ein jenseitiges Himmelreich oder ein Buddha-Paradies –, sondern die ,ungründige Struktur des alltäglichen Handelns‘ selber. Diese radikale Alltäglichkeit nennt Nishida auch die ,eschatologische Alltäglichkeit‘.172 Der Ort der Religion ist absolut diesseits, aus dem der Mensch und alle Dinge hervorgehen. Wie kann dies näherhin begreiflich gemacht werden?173 Zwischen Gott und Mensch bzw. dem Absoluten und dem Relativen besteht eine inverse Korrespondenz bzw. eine absolut widersprüchliche Selbstidentität. Ursprünglich sind beide Eins. Das Absolute entäußert sich aus absoluter Liebe (agape) und negiert sich dadurch selbst. Diese Selbstnegation des Absoluten impliziert die Bejahung bzw. die Selbstaffirmation des Relativen. Dadurch wird das Transzendente immanent und erschafft bzw. kreiert das Relative. Da diese Relativen als Selbstnegation des Absoluten zwangsläufig sündhaft und leidvoll leben, sehnen sie sich als vom Absoluten Abgefallenen (Sünden-Fall) zu diesem zurück (eros). Da sie sich von diesem leidvollen Dasein befreien wollen, müssen sie sich selbst negieren. Damit einher geht die Bejahung bzw. Affirmation des Absoluten in ihnen selbst. Fassen wir kurz zusammen: Die Selbstnegation des Absoluten bedeutet die Selbstaffirmation des Relativen. Die Selbstnegation des Relativen bedeutet die Selbstaffirmation des Absoluten. Das Transzendente wird immanent. Das Immanente wird transzendent. Absolutes und Relatives sind in einer widersprüchlichen Selbstidentität aufeinander bezogen. Nishida sucht mit dieser Neubegründung der Religionsphilosophie den Ort absolut diesseits aller differenten Religionen und aller differenten Kulturen. Aus diesem Grunde ist Nishidas Philosophie nicht nur interkulturell, sondern auch interreligiös.174 Sie ist auf dem Weg zu der Einen Welten-Philosophie und der Einen Welten-Religion, ohne die Mannigfaltigkeit der Philosophien und Religionen zu quittieren. Damit sind wir nun an das Ende unseres Weges durch Nishidas Leben und Denken gelangt. Nachdem nun sowohl Schellings, als auch Nishidas Leben und Denken in den Grundzügen vorgestellt wurde, kann nun endlich der interkulturelle Dialog zwischen Schelling und Nishida geführt werden, der meines Erachtens gerade heute in der Zeit der Globalisierung und Interkulturali172 173 174
64
Vgl. NISHIDA K., Logik des Ortes, S 274. Vgl. P. MAFLI, 1996, S. 383 und 398–399. Vgl. R. Ôhashi, in: D. HENRICH, 1985, S. 220.
tät unbedingt geführt werden muß. Dieser interkulturelle Dialog ist nicht nur für das Verstehen des Anderen und Fremden, sondern insbesondere auch für das eigene Selbstverständnis unentbehrlich, da wir in einer Zeit leben, wo wir uns selbst fraglich geworden sind und uns selbst fremd gegenüberstehen. Im Zentrum dieses interkulturellen Dialoges soll nun die Frage nach dem Kulminationspunkt von Subjekt und Objekt stehen: Worin bestehen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Schellings ,Absoluter Identität‘ bzw. dem ,Absoluten System‘ und Nishidas ,widersprüchlicher Selbstidentität‘ bzw. dem ,systemlosen System‘? – Der interkulturelle Dialog ist eröffnet!
3.3 DIE LOGIK DER WIDERSPRÜCHLICHEN SELBSTIDENTITÄT Für ewig voneinander geschieden, doch keinen Moment getrennt; den ganzen Tag gegenüber und doch in jedem Augenblick ohne Gegenstatz. Kokushi Daitô (1282–1338)
Schellings Absolute Vernunft bzw. Absolute Identität stellt die absolut Erste Wahrheit dar, in der alle konträren Differenzen und Dichotomien, wie Subjekt und Objekt, Denken und Sein, Idealität und Realität, System und Systemlosigkeit, in Eins zusammenfallen (coincidentia oppositorum). Das höchste Gesetz der Absoluten Vernunft bzw. der Absoluten Identität ist das ‚Gesetz der Identität‘, das durch das A = A ausgedrückt wird. Mit diesem Satz ist die Identität (X) zugleich gesetzt, die aber selbst keiner Demonstration bedarf, da sie vielmehr selbst Grund aller systematischen Demonstration ist. Schelling hat also ein ‚systemloses System‘ im Blick, das seinen Platz in einem ‚höheren System‘ bzw. einem ‚Absoluten System‘ findet. Da im Grunde alles Eins (X) ist (AllEinheit), d.h. ein in sich kohärentes (widerspruchsfreies) und absolut systematisches Ganzes mit dem höchsten Gesetz A = A darstellt, kann es nur quantitative bzw. un-wesentliche175 Differenzen geben. Die Einzelnen differieren nur in Ansehung ihrer Seinsgröße und nicht an sich. An-sich sind alle Eins. Aus diesem Grunde kann es nach Schelling keine Vielheit176, keine qualitative Differenz und keine wahrhaft kontradiktorischen Widersprüche geben. Die Ein175 176
Vgl. T. Shikaya, in: J. MATSUYAMA / H. J. SANDKÜHLER, 2000, S. 95. Vgl. zum Problem des Einzelnen in Schellings Identitätsphilosophie: T. Shikaya, in: J. MATSUYAMA / H. J. SANDKÜHLER, 2000, S. 93–114 und OHASHI R., 1975, S. 31–40. Die Frage nach dem Einzelnen bzw. dem Individuum wird dann später in der Positiven Philosophie Schellings zentral.
65
zelnen stellen nur konträre Pole der Einen Seinssphäre bzw. der Absoluten Identität dar: „Das Prinzip jener Einheit zu entfalten, um in diesem das Kontradiktorische als bloß konträren Gegensatz der Einen Seins-Vernunft-Sphäre sichtbar zu machen, ist Schellings Anliegen in seinem identitätsphilosophischen Systementwurf von 1801.“177 Dadurch, daß Schelling die Einzelnen als konträre Pole der Einen Seins-Vernunft-Sphäre versteht, hat er sie im Grunde aufgelöst und genichtet.178 Damit folgt Schelling eindeutig dem Wissenschaftsideal seiner Zeit und den Gesetzen der aristotelischen Logik179: „Denn das Logische drückt sich mit dem Satz der ‚Identität‘ und des [ausgeschlossenen; M.S.H.] ‚Widerspruchs‘ aus. Die Identität mit sich und die Widerspruchslosigkeit bilden die Basis des Logischen. Etwas logisch begreifen heißt, es in seinem logischen Wesen, in seiner widerspruchslosen Identität zu fassen. Das Fremde, das die Homogenität des Identischen in Unordnung bringt, muß vom logischen Wesen ausgeschlossen werden. Die Logik ist ihrer Natur nach immer die Logik der Orthodoxie und nicht die des häretisch Fremden, das doch aus dem Inneren der Orthodoxie kommt.“180 Damit ist Schellings Philosophie eindeutig als eine ‚Logik der Orthodoxie‘ zu klassifizieren, die das Fremde, d.h. den kontradiktorischen Widerspruch bzw. die qualitative Differenz nicht in ihr Denken zu integrieren weiß. Dieses Fremde würde die Harmonie und die Homogenität der Einen Absoluten Identität zerstören und in Unordnung bringen. Um dies zu verhindern, schließt Schelling das Fremde kategorisch aus seiner Absoluten Vernunft aus: „Außer der Vernunft ist nichts, und in ihr ist alles.“ (§ 2) Damit hat er dem Fremden bzw. ‚Anderen der Vernunft‘ eine klare Absage erteilt. Nach Schelling kann es demnach keine kontradiktorischen Widersprüche, keine qualitative Differenzen und keine Vielheit geben, da im Grunde Alles Eins ist (All-Einheit). Schellings Philosophie ist somit eine ‚Logik der Orthodoxie‘, die der Identitätslogik von A = A gehorcht. Ich denke, daß genau darin der Grund für das tragische Scheitern der Identitätsphilosophie gesucht werden muß. Darin liegt meines Erachtens die fundamentale Aporie der Identitätsphilosophie Schellings. Kann ein Ausweg aus dieser Aporie gefunden werden? Muß es nicht, wenn es ein Sich-Setzen der Absoluten Vernunft gibt (vgl. § 6), auch ein Sich-Setzen des ‚Anderen der Vernunft‘ geben, dem eine ‚eigene Identität‘ zugesprochen werden muß? Wenn es nun ein ‚Anderes der Vernunft‘ gäbe, müßte es nicht mit dem Identi177
178 179 180
66
Vgl. C. BICKMANN, 2003, S. 4–5 (Anm. 19) [eigene Hervorhebung] und S. 13 (Anm. 71), S. 13–14, S. 22, S. 25–26. Fernerhin: C. BICKMANN, 1996b, S. 38 und M. FRANK, 1991, S. 79–157. Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 167. Vgl. ARISTOTELES, Metaphysik, Γ, 1005a.19–1012b.32. Vgl. OHASHI R., 1999, S. 79–80.
tätssatz A = A formulierbar und durch die Absolute Vernunft geprägt sein, zugleich aber auch als das ‚Andere der Vernunft‘ die Vernunfteinheit durchbrechen und die Vernunfteinheit negieren? Wie sähe eine Logik aus, die sowohl dem Identitätssatz A = A, als auch dem Differenzsatz A = non-A Rechnung tragen würde?181 Eine solche Logik müßte also sowohl dem logisch Eigenen (der Vernunft), als auch dem häretisch Fremden (dem Anderen der Vernunft) Rechnung tragen. Es würde nicht genügen, das Fremde in die Sphäre des Eigenen zu integrieren, da das Fremde dann seines Selbststandes und seiner ‚eigenen Identität‘ beraubt werden würde. Ihm käme dann nämlich kein Ansich-Sein zu (vgl. § 28). Damit wäre das negativ Fremde ein vom logisch Eigenen Abhängiges und somit nicht wirklich fremd – es wäre Eigenes. Schellings Identitätsphilosophie ist eine solche ‚integrierende Philosophie‘, die kein wirklich Fremdes kennt. Aus diesem Grunde ist Schellings Identitätsphilosophie wie auch seine gesamte Philosophie ‚absolut systematisch‘:182 „In einem System ist jeder Teil das Ganze. In ihm verschwindet das Fremde schlechthin. Damit die systematische Ganzheit bestehen kann, muß das Aufkommen des Fremden gestoppt und das existierende Fremde ausgerottet werden. Es wird mit der ganzen Kraft und Macht des Systems unterdrückt.“183 Da es für Schelling, wie auch für Kant, Fichte und Hegel, nur Eine Wahrheit geben kann, so kann es für sie auch nur Eine Philosophie geben, die zwangsläufig totalitär und absolut systematisch ist.184 Diese totalitären Systementwürfe von Kant bis Hegel sind im Grunde ‚systemlose Systeme‘, die in einer ‚höheren Systematik‘ aufgehoben sind. Diese neuzeitlichen ‚Absoluten Systeme‘ jenseits von System und Systemlosigkeit sind durch vier Verabsolutierungen gekennzeichnet: 1. Die Verabsolutierung des Systemgedankens, 2. Die Verabsolutierung der Subjektivität, 3. Die Verabsolutierung der Widerspruchsfreiheit und 4. Die Verabsolutierung der Einheit und der Identität.
181 182
183 184
Vgl. OHASHI R., 1999, S. 83. Vgl. OHASHI R., 1975, S. 81. Fernerhin: OHASHI R., 1995; Ohashi R., in: J. MATSUYAMA / H. J. SANDKÜHLER, 2000, S. 183; H. HOLZ, 1977, S. 97–98; Ch. WILD, 1977, S. 215–217; H. ZELTNER, 1975, S. 92 und H. ZELTNER, 1977, S. 131–140. Vgl. OHASHI R., 1999, S. 84. „Daß die Philosophie sie selbst, nämlich ,Wissenschaft’, nur werde, wenn sie sich zum ‚System’ füge, war die leitende Überzeugung des Deutschen Idealismus.“ Vgl. O. PÖGGELER, 1975, S. 73. Zur Problematik des ‚Systemgedankens’ möchte ich auf meine eigene Abhandlung verweisen, wo ich bereits die Idee eines ‚systemlosen Systems’ als die wahre und einzige Form aller Philosophie antizipiert hatte, die sowohl der Einheit, als auch der Vielheit Rechnung zu tragen versucht: Verf., 2004, S. 80–84.
67
Mit Nietzsche beginnt dann in der Philosophiegeschichte ein neues Zeitalter. Die vier Verabsolutierungen im Denken der neuzeitlichen Philosophen von Kant bis Hegel werden nun hinterfragt und in ihrer Nichtigkeit hinfällig. Alle Totalitarismen werden nun von den Philosophen der Moderne und der Postmoderne, zu denen wie bereits erwähnt Nietzsche sowie Lyotard, Foucault, Derrida, Welsch u.a. zählen, streng als ‚Relikte aus alten Zeiten‘ abgelehnt, da sie dem qualitativ Einzelnen als dem ‚Anderen des Absoluten Systems‘ keinen Raum der Freiheit lassen. Nietzsche spricht im Hinblick auf die überkommenen Einheitsvorstellungen von einer „Lüge des Lebens“185, Derrida von einem „toten Dynasten“186 und Lyotard vom „Ende der Metaerzählungen“187. Auch Wolfgang Welsch ist mit seinem Konzept der transversalen Vernunft, die meines Erachtens richtiger ‚transversale Vernunft-form-en‘ heißen sollte, zum Lager der Postmodernisten zuzurechnen, da er der Pluralität den Vorrang einräumt und von prozessualen Beziehung-en, Ver-flechtung-en und Übergäng-en von Rationalitätstyp-en spricht.188 Kurz: Es ist eine Pluralität von Pluralitäten ohne einer letzten Synthese.189 Aus diesem Grunde „ist auch die Konzeption transversaler Vernunft den antitotalitären Intentionen post-modernen Denkens verbunden.“190 Ferner können wir die ‚phänomenologische Interkulturelle Philosophie‘191 von Elberfeld, die ‚interkulturelle analogische Hermeneutik‘192 von Mall und das ‚Polylog-Modell‘193 von Wimmer als postmoderne Entwürfe in Zeiten der Differenz und der Pluralität verstehen, die heute in der Interkulturellen Philosophie vorherrschend sind. Alle diese genannten Denker haben, wie auch die neuzeitlichen Philosophen, ein ‚systemloses System‘ jenseits von System und Systemlosigkeit im Blick, das seinen Platz allerdings nicht in einer ‚höheren Systematik‘, sondern in einer ‚höheren Systemlosigkeit‘ findet. Diese ‚Absolute Systemlosigkeit‘ jenseits von Systematik und Systemlosigkeit ist jedoch nicht frei von Verabsolutierungen, was den postmodernen Denkern entgangen sein dürfte: 1. 2. 3. 4. 185 186 187 188 189 190 191 192 193
68
Die Verabsolutierung der Systemlosigkeit, Die Verabsolutierung der Objektivität, Die Verabsolutierung des Widerspruchs und Die Verabsolutierung der Vielheit und der Differenz.
Vgl. F. NIETZSCHE, Die fröhliche Wissenschaft, Drittes Buch, § 111, S. 149–150. Vgl. J. DERRIDA, Die différance, S. 30. Vgl. J.-F. LYOTARD, Das postmoderne Wissen, S. 112. Vgl. W. WELSCH, Unsere postmoderne Moderne, S. 304. Vgl. W. WELSCH, Vernunft, S. 752. Ebd. S. 310. Vgl. R. ELBERFELD, 2004, S. 16–17. Vgl. R. A. MALL, 1998, S. 54–69. Vgl. F. M. WIMMER, 1998, S. 5–12.
Damit haben wir nun in der abendländischen Philosophiegeschichte zwei Positionen, die sich feindlich gegenüberstehen. Kann der Streit geschlichtet werden? – Da sich beide Parteien kontradiktorisch gegenüberstehen – die großen Absoluten Systeme der Neuzeit auf der einen Seite (Einheit und Identität), die pluralen Differenzphilosophien der Moderne bzw. Postmoderne auf der anderen Seite (Vielheit und Differenz), haben beide die Widersprüchlichkeit gemeinsam. Damit ist bereits eine erste Vermittlung zwischen beiden feindlichen Positionen gewonnen. Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Positionen liegt in ihrer eigenen Absurdität. Beide führen sich selbst ad absurdum. Warum? – Die Absoluten Systemdenker verabsolutieren und radikalisieren die Identität so sehr, daß die Differenz und der (kontradiktorische) Widerspruch verschwindet, und damit das System und die Identität selbst. Gleiches gilt umgekehrt für die Absoluten Antisystematiker: Sie verabsolutieren und radikalisieren die Pluralität und den (kontradiktorischen) Widerspruch so sehr, daß die Einheit und Systematik verschwindet, und damit die Systemlosigkeit und Pluralität selbst. Kurz: System und Systemlosigkeit, Widerspruchslosigkeit und Widerspruch, Identität und Differenz implizieren sich beide in einem infiniten Prozeß wechselseitig. Damit ist eine zweite Vermittlung zwischen den beiden feindlichen Lagern gefunden. Da sich beide Philosophien, sowohl die neuzeitlichen kohärenten Absoluten Systementwürfe, als auch die modernen bzw. postmodernen Absoluten Differenzphilosophien, aufgrund der Verabsolutierungen selbst nichten, muß eine ‚neue‘ Philosophie als Vermittlung zwischen den beiden feindlichen Positionen auftreten und ihren Streit schlichten. Sie darf weder die Identität und Widerspruchsfreiheit, noch die Differenzen und die Widersprüche verabsolutieren, sondern muß beide harmonisch miteinander vermitteln ohne ihre Gegensätzlichkeit zu quittieren (Harmonie der Sphären). Wir müssen also nach einer ,neuen‘ Philosophie Ausschau halten, die alle Positionen transzendiert. Diese ,neue‘ Philosophie hat Nishida Kitarô entwickelt. Seine Philosophie kann nicht nur den Streit zwischen den beiden feindlichen Positionen in der Aufstellung eines ‚systemlosen Systems‘ als der wahren und einzigen Form aller Philosophie schlichten,194 sondern vermag auch sowohl dem Eigenen (der Vernunft), als auch dem häretisch Fremden (dem Anderen der Vernunft) Rechnung zu tragen. Ich hege daher zusammen mit Ohashi Ryôsuke die Vermutung, „daß in der Philosophie von Nishida vielleicht eine bisher nicht sehr beachtete, wohl aber fruchtbare Möglichkeit für ein heutiges [und zukünfti-
194
Vgl. G. KOPF, 2004, S. 98.
69
ges; M.S.H.] Philosophieren verborgen liegt.“195 Nishida konzipierte eine ‚Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘, die ich nun in ihrem Grundgedanken vorstellen möchte. Nishida schreibt in seinem letzten Aufsatz Ortlogik und religiöse Weltanschauung aus dem Jahre 1945: „Wir selbst (jiko 自己) sind Wirkende [in der Welt]. Was aber ist ein Wirkendes? Wirken besteht in der gegenseitigen Beziehung von Dingen (mono 物 ). Aber um was für eine Beziehung handelt es sich dabei? Im Wirken muß zunächst ein gegenseitiges Negationsverhältnis vorliegen, in dem ein Ding ein anderes negiert und umgekehrt. Doch ein bloß gegenseitiges Negationsverhältnis kann nicht als Wirken bezeichnet werden. Die gegenseitige Negation muß zugleich (soku 即) gegenseitige Bejahung sein. Die Tatsache, daß beide Seiten durchaus eigenständig sind, einander [kontradiktorisch; M.S.H.] gegenüberstehen und negieren, bedeutet, daß sie sich miteinander vereinen und eine Gestalt bilden; umgekehrt muß die Tatsache, daß sie sich aufeinander beziehen, sich miteinander vereinen und somit eine Gestalt bilden, bedeuten, daß sie durchgehend einander [kontradiktorisch; M.S.H.] gegenüberstehen, sich gegenseitig negieren bzw. daß jedes Ding eigenständig wird und so zu einem einzelnen Ding wird. Anhand dieses Schemas verstehe ich die Welt, in der die Dinge aufeinander wirken bzw. die stofflich-materielle Welt. Hier liegt bereits die von mir so genannte Logik der widersprüchlichen Selbstidentität vor.“196 Anhand dieses Zitates wird meines Erachtens der Grundgedanke von Nishidas ,Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘ sehr schön deutlich. ,Wirken‘ (hataraki 働き ) wird von Nishida als eine gegenseitige Beziehung von Dingen in der Welt bzw. von Wirkenden (hataraki mono 働き 物 ) verstanden, die sich im Wirkungsakt zugleich wechselseitig bejahen und negieren. Im Wirkungsakt stehen sich beide Dinge als absolut kontradiktorische197 Einzelne (als zwei Absoluta) negierend gegenüber, das Eine ist das Wirkende, das Andere ist das Bewirkte. Beide sind ganz und gar eigenständig, d.h. absolut kontradiktorisch-widersprüchlich. Diese ganz und gar Einzelnen sind aber durch den Wirkungsakt miteinander synthetisiert und vereint, so daß die beiden ganz und gar Einzelnen Eines werden. Einzelne kann es nicht geben, wenn es nicht auch ein Allgemeines gibt, das sie vermittelt. Umgekehrt kann es ein Allgemeines nur geben, wenn es ganz und gar, d.h. kontradiktorisch-widersprüchliche Einzelne gibt.198 Transformieren wir dies auf unsere obige Problematik, so ist klar, daß beide ganz und gar kontradiktorisch195 196 197 198
70
Vgl. Ohashi R., in: D. HENRICH, 1985, S. 221. Vgl. NISHIDA K., Logik des Ortes, S. 207. Vgl. M. Saigusa, in: D. HENRICH, 1985, S. 109. Fernerhin: M. SHIMIZU, 1981, S. 40–49 und B. WEBER-BROSAMER/D. M. BACK, 1997, S. 42, 46 und 95. Vgl. NISHIDA K., Selbstidentität und Kontinuität der Welt, S. 55–56.
widersprüchlichen Einzelnen – das Eigene und das Fremde bzw. das Systematische und das Unsystematische – im Wirkungsakt sich wechselseitig zugleich bejahen und verneinen. Beide stehen somit in einer wechselseitig-relativen Abhängigkeit und implizieren sich in einem infiniten Prozeß gegenseitig, der sie allererst konstituiert. Damit haben wir die Identitätslogik hin zum ,wahren Absoluten‘ als der ,widersprüchlichen Selbstidentität‘ subtranszendiert und das häretisch Fremde als das ,Andere der Vernunft‘ in seiner ,Anderen Logik‘ gerettet: „Seine Identität [die Identität des ,Anderen der Vernunft‘; M.S.H.] kann nicht mit dem Identitätssatz A = A ausgedrückt werden. Seine Identität besteht eher darin, daß es seine Identität aufgibt. Es ist es selbst eben im Verlust seiner selbst. Logisch gesagt: A ist A, indem es –A ist.“199 Umgekehrt gilt: Non-A ist non-A, indem es A ist. A und non-A sind zugleich identisch und different. Dieses ,zugleich‘ darf aber nicht als eine strenge Identität im Sinne des logischen Identitätssatzes A = A verstanden werden, in dem das ,Andere der Vernunft‘ und die qualitative Differenz in ihrem Eigenstand nicht ernst genommen werden. Dies war die Insuffizienz des Schellingschen Systems und des Systems der Reinen Erfahrung. Das ,zugleich‘ deutet vielmehr auf eine Einheit in der Differenz und eine Differenz in der Einheit hin, die sich frei von jeglicher Verabsolutierung weiß. Diese ,Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘ wird auch die ,Logik des soku-hi‘ genannt. Betrachten wir nun die ,Logik des soku-hi‘ als eines heuristischen Mittels zum Ausdruck des Unaussprechlichen in einem kleinen Exkurs näher, da sie im westeuropäischen Raum außerhalb kleiner Fachkreise nahezu unbekannt sein dürfte: „Die ,Logik des soku-hi‘ ist eine von Suzuki stammende Logik der religiösen Erkenntnis. Die Erklärung des mahâyâna-buddhistischen ,Selbst’ ist eine Erklärung des soku bzw. soku-hi. Diese Logik ist folglich die Logik der Erkenntnis des mahâyâna-buddhistischen ,Selbst’. Mit anderen Worten: die religionsphilosophische Erkenntnis von Suzuki ist eine Erkenntnis, der eine seit dem Ursprung des Buddhismus andauernde geistliche Aktivität tief zugrunde liegt, eben die Prajn7 â [Weisheit; M.S.H.]. Diese bildet die Grundlage der Logik des Mahâyâna-Buddhismus, die aus der langen Meditationserfahrung hervorging. Sie wurde als eine Logik der Prajn7 â erkannt, als man sie mit Hilfe der
199
Vgl. OHASHI R., 1999, S. 88. Diese paradoxale Formulierung weist wiederholt daraufhin, dass wir uns hier in einer Sphäre befinden, die sich jeglicher Diskursivität und Sprache vollkommen entzieht und jegliches rationale Wissen übersteigt. Wir befinden uns hier in der ,Sphäre der Erlösung bzw. des Nirvana’. Da wir aber Anderen diese Sphäre begreiflich machen möchten, können wir nicht anders, als in paradoxalen Formeln sprechen. Vgl. D. T. SUZUKI, 1971, S. 58–59 und NISHITANI K., 2001, S. 210.
71
neuen Erläuterung Suzukis zum ersten Mal aus dem alten Diamant-Sûtra200 herauslesen konnte.“201 Im 13. Kapitel des Diamant-Sûtra heißt es:202 Der Buddha verkündet: „Prajňâpâramitâ ist gleich Nicht- Prajňâpâramitâ. Deshalb wird sie Prajňâpâramitâ genannt.“ Die Formel ,A ist gleich nicht-A und wird deshalb A genannt‘ tritt in sämtlichen zweiunddreißig Kapiteln des Diamant-Sûtra auf. Sie stellt die charakteristische Logik der Prajňâ-Philosophie dar und veranschaulicht hier die Betrachtungsweise der Dinge und die Denkweise über sie. Und in einem gewissen Sinne veranschaulicht sie die Arbeitsweise des Denkens der Prajňâ-Philosophie insgesamt. Mit anderen Worten: wenn man sagt, daß A gleich A ist, so ist es gleich Nicht-A. Folglich ist A gleich A. A und Nicht-A sind also in sich selbst identisch. Das ist in der ,Logik des soku-hi‘ die charakteristische Selbstidentität, bzw. die Selbstidentität durch Negation.“203 Die ,Logik des soku-hi‘ bzw. die ,Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘ ist demzufolge eine Logik, die dem ,Anderen der Identität‘ Rechnung tragen will, ohne daß das ,Andere der Identität‘, sprich der kontradiktorische Widerspruch bzw. die qualitative Differenz, auf die Identitätslogik reduziert und integriert wird.204 In die gleiche Richtung zielt Nishitani mit seiner Kritik in seiner Schrift Vom Wesen der Begegnung aus dem Jahr 1964: „Vom abendländischen Denken her könnte man sagen, daß hier jenes herrscht, was das ,absolute Eine‘, oder, z.B. bei Schelling und bei Hegel, die ,absolute Identität‘ oder die ,Indifferenz‘ genannt worden ist. Hier gibt es keine Relation mehr, kein ,Sich‘ und keinen ,Anderen‘, kurz keine ,Person‘ und kein ,persönliches Verhältnis‘. Will nun aber jenes Gespräch sagen, daß die Wirklichkeit des Ich-Du Verhältnisses im Wesentlichen in eine bloße Indifferenz zurückgenommen werden soll? Im Gegenteil: Während sich die bloße Indifferenz von der Wirklichkeit entfernt hält, handelt es sich hier unmittelbar um die Wirklichkeit des Ich und Du, d.h. um die Wirklichkeit der menschlichen Begegnung und darin 200
201 202 203 204
72
Das Diamant-Sûtra (Kongô-kyô) ist eines der tiefsinnigsten Sûtren des Mahâyâna-Buddhismus. Es war wohl das verbreitetste in der T’ang-Zeit und wird bis auf den heutigen Tag in den Zen-Klöstern Japans eifrig studiert. Der Name des Sûtra bedeutet: die Prajňâ (Weisheit) ist so hart und scharf gleich einem Diamanten, schneidet alle zum Unheil führenden Begierden ab und führt zum anderen Ufer der Erleuchtung. Der schmerzliche Weg durch die Negation und den Widerspruch ist eine unerläßliche Vorbereitung für den Durchbruch zur Bejahung, die im Erfassen des So-wie-seins geschieht. (Vgl. M. SHIMIZU, 1981, S. 153). Vgl. M. SHIMIZU, 1981, S. 17–18. Vgl. M. SHIMIZU, 1981, S. 18. Vgl. M. SHIMIZU, 1981, S. 18–19 und S. 131–132, 200. Ferner: E. CONZE, 1988, S. 275ff. und SUZUKI D. T., 1971, S. 41–76. Vgl. TANABE H., Todesdialektik, S. 109.
vor allem um die absolute Gegnerschaft, die in der Begegnung enthalten ist. […] Diese Beziehungslosigkeit ist hier aber nicht die obengenannte Indifferenz, sondern sie ist als die absolute Gegnerschaft, in der Ich und Du als die absolut Relativen in einem von allen Beziehungen abgeschnittenen Bereich stehen. Die Wahrheit der Begegnung von Ich und Du in der alltäglichen Wirklichkeit ist ein solches absolutes Gegeneinander, eine absolute Gegnerschaft und Todfeindschaft. Im Grunde der Begegnung ist verborgen ein unendlicher Schrecken.“205 Im Gegensatz zu Schellings Absoluter Identität und Nishidas Reiner Erfahrung wird hier, wie Nishitani betont, dem ,Anderen der Absoluten Identität‘ ein An-sich-Sein bzw. ein Eigenstand zugesprochen. Damit ist die Identitätslogik subtranszendiert und das ,Andere der Identität‘ in seiner Selbständigkeit gerettet, wodurch die Absolute Identität selbst gerettet wird, da es keine Identität ohne wahrhafte (qualitative) Differenz und umgekehrt geben kann: Die Identität ist Identität, wenn sie Differenz ist. Die Differenz ist Differenz, wenn sie Identität ist. Aus diesem Grunde führt sich Schellings Identitätssystem und Nishidas Bewußtseinssystem selbst ad absurdum, wenn es dem ,Anderen der Identität‘ keinen selbständigen ,Ort‘ einräumt. Dieser Selbstnichtung kann entgangen werden, wenn die ,Absolute Identität‘ hin zur ,widersprüchlichen Selbstidentität‘ des Ortes zu Grunde gebracht und überstiegen wird, wo in der Indifferenz die Todfeindschaft herrscht. Diese Wende hatte Nishida von der Reinen Erfahrung hin zum Ort vollzogen, wo die Identität und die Differenz bzw. der Widerspruch von da an miteinander in eine Absolute Dialektik eintraten: Identität-soku-Widerspruch, Widerspruch-sokuIdentität (dôitsu-soku-mujun, mujun-soku-dôitsu 同一即矛盾 , 矛盾即 同一 ). Darin ist meines Erachtens Nishidas ,Originalität‘ und das Surplus der ,Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘ zu suchen, die nicht nur den Streit zwischen den beiden feindlichen Positionen – neuzeitlicher Absoluter Systematik und postmoderner Absoluter Systemlosigkeit – im Abendland mittels der Aufstellung eines ,systemlosen Systems‘ im jenseitigen Diesseits von System und Systemlosigkeit zu schlichten weiß, das die Philosophen eigentlich schon immer suchten und so eine ,neue Logik‘ entwickelte, die die rechte Mitte zwischen Identität und Widerspruch sucht, sondern auch eine Brücke zwischen Ost und West zu schlagen versucht.
205
Vgl. OHASHI R., 1990, S. 267–268.
73
3.4 ZUSAMMENFASSUNG – DIE ABSOLUTE INFINITIALISIERUNG In diesem Kapitel sollte zunächst das Leben und Denken Nishida Kitarôs (1870–1945) als eines Philosophen vorgestellt werden, der alle Positionen in der Philosophiegeschichte zu transzendieren vermag. Wie wir sahen, war sein Denken durch drei Phasen gekennzeichnet: Zuerst entwickelte er eine ,Philosophie des Selbst’, die mit seinem Erstlingswerk der Studie über das Gute in dem Jahre 1911 begann, dann eine ,Philosophie der Welt‘, in der das ,Dialektische Allgemeine‘ und die ,widersprüchliche Selbstidentität‘ im Zentrum der Betrachtung standen und abschließend mit seinem letzten Aufsatz Ortlogik und religiöse Weltanschauung im Jahre 1945 eine ,Philosophie des Absoluten bzw. Gottes‘. Sein Denkweg konnte insgesamt als ein Prozeß der ,Entsubjektivierung‘ und der Emanzipation von der Philosophie Schellings verstanden werden, wobei Nishida mit Schelling über Schelling hinaus dachte. Man könnte daher auch von einer ,Entsubjektivierung der Entsubjektivierung‘ sprechen. Nachdem sein Leben und sein Denken in Grundzügen vorgestellt worden war, konnte endlich der interkulturelle Dialog zwischen Schelling und Nishida geführt werden, wobei sehr schnell klar war, daß Schelling das ,wahre Absolute‘ (Erlösung, Nirvana) nicht zu ergreifen vermag. Mittels der Verabsolutierung der Identität in der Aufstellung eines ,Absoluten Systems‘ jenseits von System und Systemlosigkeit gelang es Schelling nicht, das ,Andere der Vernunft bzw. der Identität‘ zu ergreifen. Schelling war dazu genötigt, das ,Andere der Vernunft‘, den kontradiktorischen Widerspruch und die qualitative Differenz aus dem Absoluten System der Absoluten Vernunft bzw. der Identität zu verbannen. Dies hatte zur Folge, das sich dieses Absolute Identitätssystem selbst nichtete, womit Schelling sich selbst zu Fall brachte. Dieser Selbstnichtung des Absoluten Identitätssystems konnte nur mittels der Subtranszendierung der ,Absoluten Identität‘ hin zur ,widersprüchlichen Selbstidentität‘ entgangen werden, die die Identität und die Differenz, die Vernunft und das Andere der Vernunft absolut dialektisch miteinander vermittelt, ohne Eines auf das Andere zu reduzieren. Damit war eine neue Logik, die ,Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘, gefunden, die auch die ,Logik des soku-hi‘ genannt wird, die sowohl der Vernunft als auch dem ,Anderen der Vernunft‘ Rechnung zu tragen vermag, da sie beide paradoxal miteinander verschränkt und uns mittels paradoxalen Formulierungen den Blick auf eine Sphäre hin öffnet, die sich allem Denken und Sprechen absolut entzieht und doch überall in allem immer schon da ist. Diese Sphäre zeigt sich uns im Zustand der Erleuchtung bzw. in der höchsten Verzückung. Nishida hatte in seinem Aufsatz ,Ort‘ die Wende vom Absoluten System der Reinen Erfahrung hin zum systemlosen System des Ortes vollzogen, wo 74
er allererst in den grundlosen Grund jeglicher Systematik hineinfragte. Damit hatte Nishida nicht nur Schelling, sondern auch seine eigene Frühphilosophie zu Grunde gebracht und überwunden. Mit der Aufstellung eines ,systemlosen Systems‘, das für ihn ab dem Jahr 1926 leitend werden sollte, fand Nishida eine ,neue Form‘ der Philosophie, die heute den Streit zwischen den neuzeitlichen Absoluten Systemdenkern und den postmodernen Absoluten Differenzphilosophen zu schlichten vermag. Im Zentrum seiner Philosophie steht der ,Ort‘ bzw. das ,Absolute Nichts‘, welches alle Dualitäten absolut dialektisch vermittelt. Allerdings stellt sich die Frage, ob Nishida wirklich das zutiefst-höchste Medium zwischen allen Polaritäten gefunden hat? Erliegt Nishidas Philosophie nicht ihrerseits einer letzten Verabsolutierung, die zu einer Absoluten Infinitialisierung der Ortlogik führt? Konnte Nishida seinen eigenen Anspruch einlösen? Nishida hat in seinem gesamten Leben die widersprüchliche Selbstidentität von Identität und Differenz zu denken und die Absolute Systematik mit der Absoluten Systemlosigkeit in der Aufstellung eines ,systemlosen Systems‘ absolut dialektisch zu vermitteln versucht. Jedoch gelang es Nishida selbst leider nicht, die letzte ,Subjektivität‘ zu durchbrechen, was er aber doch im Grunde wollte. Seine Philosophie ist rational, wissenschaftlich und bis zu seinem letzten Aufsatz ,Ortlogik und religiöse Weltanschauung‘ aus dem Jahr 1945 eine Logik (ronri 論理), eine Ortlogik (basho no ronri 場所 の 論理). Ich denke, daß Nishidas Philosophie weit mehr als nur eine Logik ist. Sie ist eine Welt(en)logik (sekai no ronri 世界の論理), d.h. eine Logik, die auch um das Andere ihrer Selbst, nämlich um die Welt weiß: Einzelne-soku-Allgemeines, Allgemeines-soku-Einzelne. Nach Nishida sind die unabhängigen Individuen der Selbst-Ausdruck bzw. die Selbst-Bestimmung der Welt: „Die Welt ist in diesem Sinne in eins damit, daß sie einzeln ist, allgemein, in eins damit, daß sie allgemein ist, einzeln, in eins damit, daß sie subjektiv ist, objektiv und in eins damit, daß sie objektiv ist, subjektiv. Daß diese Welt sich selbst bestimmt, bedeutet zugleich, daß die Dinge sich einander gegenüberstehen und sich gegenseitig bestimmen.“206 Und an anderer Stelle: „Daß die wirklich subjektivobjektive, objektiv-subjektive, diskontinuierlich-kontinuierliche Welt sich selbst bestimmt, heißt, daß gleichzeitig die sich selbst bestimmenden Einzelnen sich einander gegenüberstehen und gegenseitig bestimmen. Die Welt, die sich subjektiv-objektiv selbst bestimmt, d.h. die Welt wirklicher Gestaltungsakte, ist die Welt unseres Handelns.“207 Allerdings wird die Selbstbestimmung bei Nishida nicht zur Fremdbestimmung der Welt. Einzelnes (kobutsu 個 物) und Allgemeines (ippansha 一般者), Subjekt und Objekt werden als Selbst206 207
Vgl. OHASHI R., 1990, S. 69–70 (eigene Hervorhebung). Vgl. OHASHI R., 1990, S. 71 (eigene Hervorhebung) und 73.
75
bestimmung bzw. Selbstreflexion208 der Welt verstanden, wo sich die Einzelnen gegenüberstehen und sich gegenseitig bestimmen und handeln: Subjektsoku-Objekt, Objekt-soku-Subjekt (shukan-soku-kyakkan, kyakkan-soku-shukan 主観 即 客観 , 客観 即 主観). Umgekehrt gibt es keine Fremdbestimmung der Welt, wo die Welt von den Einzelnen fremdbestimmt wird. Ähnlich wie bei Leibniz die Monaden lebendige, immerwährende Spiegel des Universums sind,209 ist nach Nishida alles ein Selbst-Ausdruck der Welt, wo die Welt kein Spiegel der Einzelnen darstellt. Subjekt und Objekt haben nach Nishida ihren Ort in der umfassenden Selbstbestimmung der Welt, wo es keine Fremdbestimmung der Welt geben kann. Damit ist Nishidas Logik, die vorgibt, eine Welt-Logik zu sein, im höheren Sinne eine ,subjektive‘ Philosophie, da die Selbstbestimmung der Welt nicht zur Fremdbestimmung durchbrochen wird. Daß Nishidas Ortlogik im höheren Sinne der ,Subjektivität‘ verhaftet bleibt, kann man auch Nishidas Ausführungen in seinem letzten Aufsatz entnehmen: „In welchem Sinne ist aber nun das Absolute das wahre Absolute? Das Absolute ist das wahre Absolute, indem es dem Nichts gegenübersteht. […] Dies bedeutet aber nicht, daß ihm selbst außerhalb seiner selbst irgend etwas Gegenständliches gegenüberstünde, nein, dem absoluten Nichts gegenüberzustehen bedeutet, daß es selbst in widersprüchlicher Weise sich selbst gegenübersteht; dies nenne ich widersprüchliche Selbstidentität. Das bloße Nichts steht sich selbst nicht gegenüber. Was sich selbst gegenübersteht, muß sich selbst negieren. Aber was sich selbst negiert, muß in irgendeinem Sinne den gleichen Ursprung wie es selbst aufweisen. Denn was keine Beziehung zu sich selbst besitzt, kann sich auch nicht selbst negieren. […] Das Absolute muß in sich selbst absolute Selbstnegation enthalten.“210 Hier bringt Nishida deutlich zum Ausdruck, daß das Absolute seine absolute Selbst-Negation in sich enthalten muß und diese nicht von außen erfahren darf, da sonst das Absolute Nichts nicht mehr absolut wäre. Das Absolute findet nach Nishida seine Negation nicht außerhalb seiner selbst, sondern nur innerhalb seiner selbst. Das Absolute enthält also die Welt als Negation seiner selbst in sich, womit sie eine Logifizierung erfährt und aufhört, eine Welt zu sein. So wie bei Fichte das ,Absolute Ich‘ bzw. das ,Absolute Wissen‘ die Welt umfaßt und konstituiert,211 so umfaßt das Absolute, welches mit Gott gleichbedeutend ist, die Welt als Ne208 209
210 211
76
Vgl. NISHITANI K., 1991, S. xvii. Vgl. G. W. LEIBNIZ, Monadologie, § 56, S. 51: „Diese Verknüpfung oder diese Anpassung aller erschaffenen Dinge an jedes einzelne und jedes einzelnen an alle anderen hat zur Folge, daß jede einfache Substanz Beziehungen enthält, welche die Gesamtheit der anderen zum Ausdruck bringen, und daß sie infolgedessen ein lebendiger, immerwährender Spiegel des Universums ist.“ (eigene Hervorhebungen) und § 83, S. 65. Vgl. NISHIDA K., Logik des Ortes, S. 225–226. Vgl. J.G. FICHTE, Vom Verhältnis der Logik zur wirklichen Philosophie, als ein Grundriss der Logik, und eine Einleitung in die Philosophie (1812) (unveröffentlichtes Manuskript).
gation seiner selbst in sich, womit das Absolute eine Verabsolutierung erfährt, die dazu führt, daß das Relative bzw. die Welt genichtet wird. Nishidas ,Ortlogik‘ ist somit eine ,Subjektivitätsphilosophie‘, die dem Eigenstand der Welt nicht gerecht wird. Die Welt ist nicht nur die Selbstnegation des Absoluten in sich, sondern auch zugleich die Fremdnegation des Absoluten außerhalb seiner selbst. Erst wenn die Selbstnegation zugleich die Fremdnegation und umgekehrt ist, ist die Welt als das ,Andere der Logik‘ in ihrem Eigenstand gerettet, wo sich Gott selbst fremd geworden ist. Dies ist zugleich die Erklärung für das Böse in der Welt, das nach der Philosophie Nishidas nicht erklärt werden kann. Nishida schreibt in seinem letzten Aufsatz: „Der absolute Gott muß in sich selbst absolute Selbstnegation enthalten, er muß sich zum radikal Bösen erniedrigen können. Erst der Gott, der den Gottlosen rettet, ist wahrlich absoluter Gott.“212 Der Absolute Gott ist also nach Nishida derjenige, der seine eigene Selbstnegation bzw. das radikal Böse in sich enthält. Gott muß in sich seine eigene Gottlosigkeit enthalten. Damit wird dem Bösen aber sein Stachel genommen, womit das Böse aufhört das ,Andere Gottes‘ zu sein. Nishida vermag nicht nur nicht die selbständige Existenz der Welt zu erklären, sondern auch nicht die Existenz des radikal Bösen in der Welt, das nicht in Gott, sondern nur außerhalb Gottes gefunden werden kann, wo sich Gott selbst absolut fremd gegenübersteht. Der göttliche Grund muß vielmehr hin zur Gottlosigkeit als dem ,Anderen seiner selbst‘ durchbrochen werden, das nicht in sich selbst, sondern nur außerhalb seiner selbst gefunden werden kann, wodurch Gott allererst wahrer Gott wird. So wie das Schöne in Sodom ist, so ist auch Sodom in der Schönheit. Nicht nur Gott ringt mit Sodom (Gen 18, 20–21), sondern auch umgekehrt der Teufel auf eine unendliche Weise mit Gott:213 „Aber die Leute zu Sodom waren böse und sündigten sehr wider den Herrn“ (Gen 13, 13). Das Böse und die Sünde wider den Herrn findet allerdings bei Nishida keine Beachtung, da Nishida Sodom nur als eine Selbstbestimmung bzw. als eine Selbstnegation des Schönen bzw. Gottes in sich selber sieht, womit das Böse in seiner Radikalität eine Relativierung und Depotenzierung erfährt. Das Böse behält nur dann seine Radikalität, wenn Gott selbst eine Fremdbestimmung bzw. Fremdnegation von außen erfährt. Diese kann Gott nur dann erfahren, wenn er den Widerstreit nicht in sich selbst, sondern vom ,Anderen seiner selbst‘ als eine Auflehnung wider sich erfährt (Gen 3, 1–24). Erst da212 213
Vgl. NISHIDA K., Logik des Ortes, S. 232. „Ist denn in Sodom Schönheit? Glaub mir, für die weit überwiegende Zahl der Menschen wohnt sie gerade in Sodom – kanntest du dieses Geheimnis oder nicht? Das Schreckliche ist, daß Schönheit nicht nur etwas Furchtbares, sondern auch etwas Geheimnisvolles ist. Hier ringt der Teufel mit Gott, und das Kampffeld sind die Herzen der Menschen.“ Vgl. F. M. DOSTOJEWSKIJ, Die Brüder Karamasow, Buch III, Abschnitt 3, S. 151 und NISHIDA K., Logik des Ortes, S. 233
77
durch wird die ,Absolute Dialektik‘ dialektisch und Gott zum wahren Absoluten, wo der Widerstreit seine Brisanz behält. In der Verabsolutierung der ,immanenten Transzendenz‘214 muß Nishidas tragisches Scheitern gesucht werden. Kommen wir aber nochmal kurz auf den obigen letzten Satz im Zitat zurück, der nun vor dem Hintergrund dieser Überlegungen folgendermaßen ergänzt werden muß: Das Absolute muß in sich selbst absolute Selbstnegation enthalten und muß von außen die absolute Fremdnegation erfahren. Erst dann ist das Absolute das wahre Absolute. Nishidas Ortlogik verlangt somit aufgrund der inneren Dynamik bzw. der Absoluten Dialektik des ,systemlosen Systems‘ nach dem Anderen ihrer selbst. Da Nishidas Philosophie letztlich eine ,subjektive‘ Logik ist, die den rationalen und wissenschaftlichen Argumentationen215 erlegen ist, führt sie sich selbst zu Grunde und strebt über sich hinaus. Die Logik will zu einer Welt-Logik bzw. einer Welt-Wissenschaft werden, die auch um das Andere ihrer Selbst nämlich um die Welt und das Leben weiß. Natürlich geht es zunächst um das wissenschaftliche und rationale Verstehen der Begriffe, aber dann um den Nachvollzug des eigenen Lebens in der Welt, welches auch Nishida nicht zu erklären vermag. Aus diesem Grunde möchte ich mit Nishida über Nishida hinaus denken und diese Philosophie noch von ihrer letzten Verhaftung befreien. Erst, wenn wir diese letzte ,Subjektivität‘ durchbrechen und uns von ihr befreien, werden wir das ,wahre Medium‘ zwischen Identität und Widerspruch erreichen. Fragen wir darum vielmehr, was sich hinter Nishidas Philosophie verbergend entbirgt: Was ist das liebende Band zwischen den Gegensätzen, wonach Nishida in seinem ganzen Leben suchte, dieses aber leider nicht zu erreichen vermochte? Was ist das ,wahre Medium‘ zwischen der Identität und dem Widerspruch? Die Antwort hat uns Nishida bereits implizit selbst gegeben: Es ist die Unendlichkeit. Wie Schelling in der Erläuterung vom § 14 von der „Absoluten Identität als dem Unendlichen“216 spricht, so spricht auch Nishida von
214
215
216
78
Vgl. NISHIDA K., Logik des Ortes, S. 282 und F. M. DOSTOJEWSKIJ, Die Brüder Karamasow. Buch V, Abschnitt 5, S. 332–357, wo die immanente Transzendenz zugleich die transzendente Immanenz ist. „Philosophie ist die wissenschaftliche Behandlung der Weltanschauung, die besagt, was für ein Ding die Welt sei, sowie der Lebensanschauung, die besagt, was für ein Ding das menschliche Leben sei und wie der Mensch handeln und leben solle. Die Probleme der Welt- und Lebensanschauung werden auch in der Kunst und Religion aufgegriffen, jedoch besteht die Philosophie darin, sie wissenschaftlich zum Problem zu machen.“ Diese Definition findet man in Nishidas Vorlesungen aus den späten zwanziger Jahren. Das Zitat habe ich in der deutschen Übersetzung folgender Studie entnommen: Vgl. Ch. STEINECK, 1993, S. 18–19 (eigene Hervorhebung). Vgl. SCHELLING, Darstellung, SW, I, 4, 120.
der „unendlichen Selbstbestimmung des Ortes“217. Hinter beiden Philosophien entbirgt sich verbergend bzw. verbirgt sich entbergend die ,Absolute Infinitheit‘ als das liebende Band zwischen den gegensätzlich Liebenden. Wir sahen ein Theaterstück, wo die ,Absolute Infinitheit‘ in wechselnden Rollen auftrat. Bei Schelling war sie die ,Absolute Identität‘, bei Nishida die ,widersprüchliche Selbstidentität‘. Die Unendlichkeit ist es also, die sich entbergend hinter dem ,Ort‘ bzw. der ,widersprüchlichen Selbstidentität‘ verbirgt. An vielen Stellen spricht Nishida, meist nur nebenbei, von der Unendlichkeit stellvertretend für die ,widersprüchliche Selbstidentität‘. Mit der Unendlichkeit ist allerdings nicht die relative Unendlichkeit gemeint, die der Endlichkeit noch gegenüber steht, sondern vielmehr die wahre oder Absolute Unendlichkeit. Die Absolute Unendlichkeit des Absoluten Nichts tritt hier bei Nishida in Form eines systemlosen Systems im jenseitigen Diesseits von System und Systemlosigkeit hervor, wo die Identität und der Widerspruch absolut dialektisch miteinander ver-mitte-lt sind, d.h. wo die Identität (dôitsu 同一 ) zugleich der Widerspruch (mujun 矛盾 ) und der Widerspruch zugleich die Identität ist. Der Unterschied besteht zu Schelling darin, daß Nishida den Widerspruch nicht aus seinem Denken exkludiert, sondern inkludiert, wonach es allererst qualitative Differenzen und Einzelne überhaupt geben kann. Damit hat Nishida Schellings Absolute Identitätsphilosophie zu Grunde gebracht und dieses zum ,Anderen der Absoluten Identität‘ hin transzendiert. Wie die obigen Ausführungen zeigten, erliegt Nishida einer letzten Verabsolutierung. Da das Begründete in etwas gründen muß, was nicht Begründetes, sondern Grund von allem ist, so muß auch Nishidas Ortlogik in etwas gründen, das nicht logisch, sondern weltlich ist. Wir müssen also mit Nishida über Nishida hinaus denken. Das systemlose System der Ortlogik transzendiert sich bzw. bricht sich aufgrund seiner inneren Dynamik (Absoluten Dialektik) hin zu dem ,Anderen seiner selbst‘ auf, um sich in seinem Sein selbst erhalten zu können. Mit anderen Worten: Die Ortlogik öffnet sich zum ,Anderen ihrer selbst‘. Da der ,Ort‘ bzw. die ,widersprüchliche Selbstidentität‘ nichts anderes als die Absolute Unendlichkeit ist, kann auch von einer Absoluten Infinitialisierung der Ortlogik Nishidas gesprochen werden, wo die Ortlogik zu ihrer eigenen Begründung auf das ,Andere ihrer selbst‘ bzw. auf die Welt hinausgreift, um sich selbst zu begründen. Aufgrund der Absoluten Infinitialisierung wird Nishidas Ortlogik zu einer Welt(en)-Logik und die Absolute Dialektik hin zur Infinitolektik hin durchbrochen, womit die Absolute Dialektik der Ortlogik zu Grunde gerichtet und transzendiert wird. Das heißt, die Absolute Dialektik des A – soku – non-A und des non-A – soku – A wird zum ,Anderen ihrer selbst‘ bzw. der Welt durchbrochen und so absolut infinitiali217
Vgl. NISHIDA K., Logik des Ortes, S. 214.
79
siert. Die Infinitolektik besteht darin, daß sich die Identität (A = A) und die Differenz (A = non-A) ad infinitum implizieren, ohne eine Seite zu verabsolutieren. Die Rede von der Identität macht nur Sinn, wenn es auch weltliche und nicht nur logische Widersprüche gibt und umgekehrt. Aus diesem Grunde führt sich die Ortlogik Nishidas selbst ad absurdum, die die Logik bzw. die ,Subjektivität‘ verabsolutiert und sich so vor der eigentlichen Welt verschließt. Die Ortlogik Nishidas kann sich erst dann absolut selbst begründen und sich so vor ihrer eigenen Selbstnichtung retten, wenn sie sich zum ,Anderen ihrer selbst‘ öffnet bzw. absolut infinitialisiert und ihren Grund nicht in sich selbst, sondern außerhalb ihrer selbst sucht. Erst dann wenn sich der Ort bzw. das Absolute Nichts als die Absolute Unendlichkeit hin zum Anderen absolut infinitialisiert und die Welt bzw. das Böse inkludiert, ohne sie durch die Logik aufzuheben und aufzulösen (logifizieren), kann von einem Absoluten systemlosen System gesprochen werden. Erst dieses als Infinitial (die Signatur) der Absoluten Infinitheit stellt die wahre Mitte zwischen Identität und Widerspruch, Denken und Wille bzw. neuzeitlicher Systematik und postmoderner Systemlosigkeit dar. Bereits hier kündigt sich das neue Zeitalter in der Philosophiegeschichte an. Wir stehen nun am Ende der zweiten Station auf dem unwegsamen Weg zur Absoluten Infinitheit. Nishidas Ortlogik hat gezeigt, daß sie sich unter der Hand aufgrund ihrer inneren absoluten dialektischen Dynamik zum ,Anderen ihrer selbst‘ absolut infinitialisiert, um sich so vor ihrer eigenen Selbstnichtung zu bewahren und zu retten. Das systemlose System wurde so zum Absoluten systemlosen System als wahre Mitte zwischen dem Zugleich von Identität und Widerspruch (A – soku – non-A) und dem Zugleich von Widerspruch und Identität (non-A – soku – A), womit die Absolute Dialektik hin zur Infinitolektik subtranszendiert wurde. Beide – Identität und Widerspruch – implizieren sich in einem infiniten Prozeß wechselseitig. Die Identität ist genau dann Identität, wenn sie Widerspruch ist. Der Widerspruch ist genau dann Widerspruch, wenn er Identität ist. Dies ad infinitum. Kurz: Identität – inf. – Widerspruch, Widerspruch – inf. – Identität. Genau darin besteht die Infinitolektik, wo sich die Absolute Infinitheit verbergend entbirgt. Hinter Nishidas Ort bzw. widersprüchlicher Selbstidentität verbirgt sich also in Wahrheit (alétheia = Entbergung) die Absolute Infinitheit. Die Absolute Infinitheit ist also die Logik, die auch um das ,Andere ihrer selbst‘ weiß. Nishidas Ortlogik kann somit vor diesem Hintergrund als ein Infinitial (Signatur) der Absoluten Infinitheit verstanden werden, wo sich die Absolute Infinitheit einschreibt und zum Ausdruck bringt. Die Absolute Infinitheit tritt in Nishidas Ortlogik im Gewand des Ortes und hinter der Maske des Absoluten Nichts auf, die sich unter der Hand zum ,Anderen ihrer selbst‘ absolut infinitialisiert. Obwohl es Nishida an einer Vermittlungsphilosophie gelegen war, einer Vermittlung von 80
Identität und Widerspruch, System und Systemlosigkeit bzw. von Ost und West, konnte er einer letzten Verabsolutierung nicht entgehen, die zu einer Selbstnichtung der Ortlogik führen mußte. Darin muß das tragische Scheitern Nishidas gesucht werden. Aus diesem Grunde müssen wir nach einer Philosophie Ausschau halten, die uns der Absoluten Infinitheit näher bringt als dies Nishida vermochte. Folgen wir nun weiter dem unwegsamen Weg zur Absoluten Infinitheit als einem Weg in ein ,neues Zeitalter‘ der Philosophiegeschichte, in dem wir uns eigentlich schon immer befunden haben. Betrachten wir nun die Rezeptionsgeschichte und die Kritik an Nishidas ,Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘ etwas genauer.
81
4. REZEPTION – IDENTITÄT ODER WIDERSPRUCH?
Nishida Kitarô hat nicht nur in der Aufstellung einer kulturlosen Kulturphilosophie eine Brücke zwischen den Kulturen geschlagen, sondern auch eine Philosophie entwickelt, die den Streit zwischen den neuzeitlichen Absoluten Systemdenkern und den postmodernen Absoluten Differenzphilosophen zu schlichten vermag. Er entwickelte dazu die ‚Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘, die folgendermaßen formuliert werden kann: Identität – soku – Widerspruch, Widerspruch – soku – Identität. Nishida bediente sich dazu der ‚Logik des soku-hi‘, die ihm als ein heuristisches Mittel dient, um seine neue ‚Absolute Dialektik‘ zu formulieren.218 Es stellt sich nun die Frage, wie diese Logik verstanden werden muß. Hat Nishida nicht doch eine der beiden Seiten verabsolutiert? Wie wir in den vorigen Ausführungen sahen, erliegt Nishida mit seiner Ortlogik letztlich einer Vereinseitigung der ‚Subjektivität‘. Fragen wir daher nun, ob Nishida auch mit seiner ‚Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘ einer Vereinseitigung bzw. Verabsolutierung der Identität oder dem Widerspruch erliegt. Betrachten wir dazu die Rezeptionsgeschichte etwas genauer, wo diese Frage bis heute sehr kontrovers diskutiert wird.219 In der Rezeptionsgeschichte werden insgesamt drei Grundpositionen vertreten, die man Platons Parmenides gemäß charakterisieren kann.220 Bevor wir uns diesen Grundpositionen zuwenden, fragen wir uns zunächst, wie Platons Parmenides aufgebaut ist und welches Problem im Zentrum des Dialoges steht. Im Zentrum von Platons Dialog Parmenides steht die Frage nach dem Verhältnis von Vielheit und Einheit bzw. Transzendenz und Immanenz. Wie, so fragt Platon, muß das Verhältnis von Einheit und Vielheit aufgefaßt werden? – Wenn wir das Eine aus dem Vielen begreiflich zu machen versuchen, dann haben wir das Eine in ein Verhältnis zum Vielen gesetzt und somit das Eine verloren, da es sich im Vielen aufgelöst hat und pluralisiert wurde (vgl. 2. Hypoth.).221 Wenn wir hingegen das Eine in ein fernes Jenseits rücken, dann haben wir zwar das Eine in seiner absoluten Transzendenz und Nichtigkeit gerettet, aber wie können wir dann aus ihm das Sein (creatio ex nihilo) begreiflich machen (vgl. 1. Hypoth.)?222 Um die-
218 219 220 221 222
82
Vgl. G. KOPF, 2004, S. 83. Vgl. G. KOPF, 2004 und NISHITANI K., 1991, S. 192–229. Vgl. M.S. HANTKE, 2005 (Publikation in Vorbereitung). Vgl. PLATON, Parm, 142b–155e. Vgl. PLATON, Parm, 137c–142a.
ses Problem lösen zu können, wendet Platon die ‚dialektische Methode‘ an. Die Dialektik besteht darin, daß zwei Hypothesen aufgestellt werden, die Schritt für Schritt in ihrer falschen Verabsolutierung ad absurdum geführt werden. Obwohl der Dialog aporetisch endet, gibt es eine positive Lösung des Problems. Diese ist jedoch nicht am Ende, sondern vielmehr in der symmetrischen Mitte des Dialogs als Mitte zwischen den falschen Extrema zu finden (vgl. Übergänge des seienden Eins).223 Demnach können wir die Grundpositionen wie folgt charakterisieren: Auf der einen Seite (2. Hypoth. Wenn Eins ist) behauptet Tanabe Hajime (1885–1962) als der mächtigste Kritiker Nishidas, der neben Nishida als Begründer der Kyôto-Schule gilt,224 daß Nishidas ‚Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘ im Grunde monistisch ist und der Identität den Vorrang gegenüber dem Widerspruch einräumt, womit Nishida der Emanationslehre Plotins sehr nahe steht: „Absolute Kritik ist nichts anderes als Logik der Spezies. Weil eine Dialektik des Nichts, welche die Logik der Spezies nicht zur Vermittlung macht, die Selbstverneinung und die absolute Verneinung unterschiedslos identifiziert, kann sie nur richtungslose Emanationslehre sein, welche die Geschichte nicht als Vermittlung nimmt. Darum kann sie nicht absolute Dialektik als absolute Vermittlung sein.“225 Der ‚Absoluten Dialektik‘ Nishidas stellt Tanabe seine ‚Absolute Dialektik als Dialektik der Absoluten Vermittlung‘ entgegen, wo er die Differenz zwischen der Selbstverneinung und der Absoluten Verneinung einklagt und die Geschichte (rekishi 歴 史) mit in die ,Absolute Dialektik‘ einbezieht, womit die ,Absolute Dialektik‘ eine Immanentisierung zur Positiven Theologie erfährt. Auf der anderen Seite (1. Hypoth. Wenn Eins ist) steht Nishitani Keiji (1900–1990), ein berühmter Schüler Nishidas, der vehement Tanabe kritisiert: „For one thing, Tanabe‘s criticisms contain evident misunderstandings.“226 Nishida habe es nicht an einem Monismus gelegen, sondern an der ,wahren Selbstidentität im absoluten Diesseits von Identität und Differenz‘: „Unity and contradiction constitute two aspects of the same identity; because of unity there is contradiction, because of contradiction unity. Now, the difference between self and other as well as the opposition between subject and object constitute the most fundamental difference and opposition respectively from which all other distinctions and oppositions arise. However, the infinite unifying power transcends even these.“227 Der ,Absoluten Dialektik als Dialektik der Absoluten 223 224 225 226 227
Vgl. PLATON, Parm, 155e–157b. Vgl. OHASHI R., 1990, S. 7. Vgl. OHASHI R., 1990, S. 167–168. Vgl. NISHITANI K., 1990, S. 161–229. Dieses Zitat habe ich folgender Studie entnommen: Vgl. G. KOPF, 2004, S. 86 (eigene Hervorhebung).
83
Vermittlung‘ Tanabes stellt Nishitani seine ,wahre Selbstidentität‘ entgegen, womit Nishitani die Identität als die unendliche Einheitskraft verabsolutiert, die sowohl die Differenz von Selbst und Anderem, als auch die Differenz von Subjekt und Objekt transzendiert. Damit hat Nishitani den europäischen Nihilismus hin zum ,Feld der Leere‘ (skrt. sûnyatâ; jap. kû 空) durchbrochen, wo das Nichts allererst einen absoluten Status erhält, das bei Tanabe und Nishida wie auch im europäischen Nihilismus noch ein relatives Nichts ist. Dadurch hat Nishitani die Identität in uns unerreichbare unendliche Fernen entrückt, womit die ,Absolute Dialektik‘ eine Transzendentalisierung zur Negativen Theologie erfahren hat. Ferner wird in einer dritten Position (Übergänge des seienden Eins) behauptet, daß sich Nishidas Philosophie in der Mitte zwischen der Szylla und Charybdis von Identität und Widerspruch bzw. Monismus und Dualismus befindet, wo keine der beiden Seiten auf die andere reduziert wird. Diese mediale Position wird beispielsweise von Gereon Kopf vertreten, wo die beiden vorhergehenden Positionen in ihrer falschen Verabsolutierung ad absurdum geführt werden.228 Im Rahmen dieser Studie möchte ich zunächst Tanabes ,Absolute Dialektik als Dialektik der Absoluten Vermittlung‘, Nishitanis Konzeption der ,wahren Selbstidentität‘ und abschließend Kopfs ,Prinzip der Absoluten Mediation‘ betrachten, wo der Streit zwischen Tanabe und Nishitani geschlichtet wird und beide miteinander absolut unendlich versöhnt werden. Damit haben wir nun die dritte Station auf dem ,unwegsamen Weg der Absoluten Infinitheit‘ bzw. des ,Absoluten systemlosen Systems‘ erreicht und sind so der ,Absoluten Infinitheit‘ sehr viel näher gekommen. Betrachten wir nun die Rezeptionsgeschichte im Anschluß an Nishidas ,Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘ und fragen: Identität oder Widerspruch?
4.1 DER WIDERSPRUCH ODER DIE POSITIVE THEOLOGIE Unterwegs sein und doch nicht das Haus verlassen, das Haus verlassen und doch nicht unterwegs sein. Tanabe Hajime, Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären (1932–37)
Tanabe Hajime (田辺元), der von 1885 bis 1962 in Japan lebte, gilt zusammen mit Nishida Kitarô als Begründer der Kyôto-Schule und der modernen Philosophie in Japan. Er war Nachfolger auf dem Lehrstuhl, aber kein Nachfolger in der Philosophie Nishidas. Seine große Nishida-Kritik vollzieht sich in zwei 228
84
Vgl. G. KOPF, 2004, S. 73–103.
Phasen:229 In der ersten Phase versteht Tanabe Nishidas ,Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘ als eine mystische Emanationslehre, die Plotin sehr nahe steht, wo die Schau des Einen die Vielheit der Welt emaniert. Nach Tanabe hatte Nishida die Identität so sehr mystisch verabsolutiert, so daß sie die Geschichte nicht zu erklären vermag. In der zweiten Phase ab dem Jahr 1934 setzte sich Tanabe mit Hegel und seiner Dialektik auseinander. Tanabe sieht das Prinzip der Dialektik in der Negation bzw. in der negativen Vermittlung und nennt seine ,Absolute Dialektik‘ daher eine ,Dialektik der Absoluten Vermittlung‘. In dieser Zeit begann Tanabe seine ,Logik der Spezies‘ (shu no ronri 種の論理) zu entwickeln, die nach Tanabes philosophischem Zusammenbruch später in der ,Philosophy as Metanoetic‘ (Zangedô toshite no tetsugaku 懺 悔道 と し ての哲 学) aus dem Jahre 1946 vertieft und überwunden wird.230 In seiner Spätphilosophie entwickelte Tanabe eine ,Philosophie des Todes‘231, mit der er an die ,Philosophy as Metanoetics‘ anschloß. Mit seiner ,philosophielosen Philosophie‘ (mutetsugaku no tetsugaku 無哲学の哲学) ging Tanabe einen ,neuen Weg‘ zwischen Christentum und Buddhismus und entwarf mit der ,Liebe des Absoluten Nichts‘ eine Vision für die gesamte Menschheit. Fragen wir nun: Worin besteht Tanabes Kritik an der Philosophie Nishidas? Tanabe behauptet, daß Nishida im Grunde ein mystischer Monist ist, der der Emanationslehre bzw. der Negativen Theologie Plotins sehr nahe steht. Nishida verabsolutiere die Identität gegenüber dem Widerspruch so sehr, daß er dem Widerspruch bzw. der Vermittlung nicht gerecht wird, woraufhin Tanabe seine eigene Logik der Spezies entwickelt. Nishida hat die Differenz zwischen der Selbstverneinung und der Absoluten Verneinung nicht gesehen und vermag aufgrund der Transzendentalisierung der ,widersprüchlichen Selbstidentität‘ die Geschichte und die Welt nicht zu erklären. Erst wenn die ,Absolute Dialektik‘ eine Immanentisierung zur Positiven Theologie erfährt und zur ,Absoluten Dialektik als Dialektik der Absoluten Vermittlung‘ wird, kann die Philosophie praktisch werden und in die Wirklichkeit eingreifen.232 Diese Position erscheint plausibel, wenn man Nishidas Frühphilosophie bzw. seine Philosophie des Selbst (PhS) betrachtet, die er in der ,Studie über das Gute‘ (1911) ausführte, wo er ein in sich geschlossenes Bewußtseinssystem aufgestellt hat. Nishida schreibt: „Der Grund dafür, daß die Reine Erfahrung unmittelbar und rein ist, liegt nicht darin, daß sie einheitlich, unanalysierbar und momentan ist, sondern vielmehr in der strengen Einheit des konkreten Be229 230 231 232
Vgl. OHASHI R., 1990, S. 29–30. Ferner: NISHITANI K., 1991, S. 161–191 und 216–229. Vgl. J. LAUBE, 1984, S. 19. Vgl. TANABE H., 1973, „Memento Mori“, S. 113–126 und TANABE H., 1959, „Todesdialektik“, S. 93–133. Vgl. OHASHI R., 1990, S. 31. Ferner: J. LAUBE, 1984, S. 245–288.
85
wußtseins. Das Bewußtsein setzt sich keineswegs aus einfachen psychischen Elementen zusammen, wie die Psychologen sagen, sondern ist ein ursprünglich einheitliches System.“233 In diesem Zitat wie auch an vielen anderen Stellen der Studie über das Gute wird deutlich zum Ausdruck gebracht, daß das Bewußtsein durch eine Systematik und eine strenge Einheit charakterisiert ist. Damit können wir zu Recht behaupten, daß Nishida ein Monist ist, da er die Einheit und die Identität (wie auch Schelling) verabsolutiert. Tanabe hat also vollkommen Recht, wenn er behauptet, daß der Identität der Vorrang gegenüber dem Widerspruch eingeräumt wird und Nishida dem Widerspruch nicht gerecht wird, da er unter die Identität subsumiert wird und im Licht der Identität steht: „However, the very identity of identity and difference still constitutes an identity and negates difference. In short, this phrase privileges unity over plurality.“234 Betrachten wir aber nun die Kritik Tanabes an Nishida etwas genauer, die insbesondere im 3. Kapitel seiner Schrift Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären (Shu no ronri no imi o akiraka ni su 種の論理の意味を明 ら かに す) aus den Jahren 1932–37 deutlich zum Ausdruck gebracht wird. Das Hauptanliegen dieser Schrift besteht gerade darin, die ,Absolute Dialektik‘ (zettai benshôhô 絶対弁証法) Nishidas zu kritisieren, der er seine eigene ,Absolute Dialektik als Dialektik der Absoluten Vermittlung‘ entgegensetzt. Fragen wir uns nun, worin Tanabes Kritik besteht und was er unter seiner neuen ,Absoluten Dialektik als Dialektik der Absoluten Vermittlung‘ versteht. Tanabe erklärt zu Beginn des 3. Kapitels, daß ihn zweierlei Motive zu seiner Schrift Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären bewegt haben:235 Erstens das praktische Verlangen, die Kontrolle von Staat und Gesellschaft gegenüber dem Einzelnen und die Haltung, mit der wir ihr begegnen, rational zu begründen. Zweitens die Erhellung der Methode bzw. der Logik, die über das praktische Verlangen hinausgeht. Die Logik der Spezies ist also durch ein ethisches und ein rationales Motiv getragen, die sich ganz entschieden von der Ortlogik Nishidas abgrenzt: „Ich glaube, es ist nicht nötig, noch einmal darauf hinzuweisen, daß die Nishida-Philosophie, die heute als die tiefgründigste japanische Philosophie anerkannt wird, diesen Begriff zur Grundlage besitzt, und daß auch die von ihr beeinflußten Philosophien übereinstimmend das Nichts in dieser Bedeutung lehren. Doch für mich ist es auf jeden Fall unmöglich, das absolute Nichts so zu verstehen. […] Aber ich vermag nichts dagegen zu tun, daß ich von Anfang bis heute nach wie vor im Bezug auf die Grundlage des Systems dieses verehrungswürdigen Lehrers 233 234 235
86
Vgl. NISHIDA K., Studie über das Gute, S. 33. Vgl. G. KOPF, 2004, S. 78. Vgl. OHASHI R., 1990, S. 145.
einen Zweifel hege.“236 Hatte Nishida mit dem ,Absoluten Nichts‘ den Ort jenseits und zugleich diesseits von Sein (u 有 ) und Nichts (mu 無 ) als eine vermittlungslose Vermittlung gesucht, so sieht Tanabe in der Philosophie Nishidas die Gefahr einer ,Verontologisierung des Absoluten Nichts‘: „Es handelt sich um die Frage, ob nicht das absolute Nichts, insofern es unmittelbar als Grundlage des Systems, als sogenannter Ort des Nichts (mu no basho 無の場所 ) gesetzt wird, schon Sein ist und nicht mehr Nichts. Das absolute Nichts muß etwas sein, was durch und durch Nichts ist, und dem es nicht erlaubt ist, Sein zu sein.“237 Tanabe sieht die Gefahr der ,Verontologisierung des Absoluten Nichts‘ darin, daß Nishida das ,Absolute Nichts‘ zum Urgrund der dialektischen Welt macht, wo die Seienden sich bejahen und selbst verneinen, so daß sie in Wahrheit die Bedeutung verlieren, daß sie zugleich Nichtseiende sind. „So werden zwar alle anderen Seienden in der Dialektik als Einheit von Verneinung und Bejahung durch Negation vermittelt und stellen Im-Nichts-sich-befindende-Seiende (mu ni oite aru mono 無に於いて 有 る も の ) dar. Aber der Ort des Nichts selbst als die Vermittlung, die sie ImNichts-sich-befindende-Seiende sein läßt, wird dagegen undialektisch unmittelbar bejaht, und das absolute Nichts verliert die Bedeutung, daß es Sein ist und doch nichts, und wird unvermeidlich unmittelbares Sein.“238 Mit anderen Worten: Nishida identifiziert die Selbstverneinung mit der Absoluten Verneinung, was dazu führt, daß das ,Absolute Nichts‘ verontologisiert wird und die Absolute Dialektik selbst nicht dialektisch ist. Die Absolute Dialektik hört auf, Dialektik zu sein, da sie selbst keinen Widerspruch, sondern nur die Identität kennt. Auch das ,Absolute Nichts‘ muß durch Negation vermittelt werden: Selbstverneinung – soku – Absolute Verneinung, Absolute Verneinung – soku – Selbstverneinung (jikohitei – soku – zettai hitei, zettai hitei – soku – jikohitei 自己否定即絶対否定, 絶対否定 即自己否定).239 Es muß den Widerspruch bzw. die Vermittlung in sich selbst finden, wobei dadurch erst die ,Absolute Dialektik‘ zur ,Absoluten Dialektik als Dialektik der Absoluten Vermittlung‘ erhoben wird. Aber, was bedeutet dies, daß das ,Absolute Nichts‘ durch Negation vermittelt wird? Da das Nichts ,Absolut Nichts‘ ist, muß ihm das Sein als Negation gegenüberstehen. „Das absolute Nichts ist absolutes Nichts nur in der Wirksamkeit, durch die es umgekehrt das Sein zur eigenen Vermittlung macht und es verneint. Nur darin, daß es das Sein als seine Negation verneint und sein eigenes Nichts bejaht, kann es als durch Negation vermittelte Negation absolute Nega-
236 237 238 239
Vgl. OHASHI R., 1990, S. 147–148. Vgl. OHASHI R., 1990, S. 148. Vgl. OHASHI R., 1990, S. 148. Vgl. OHASHI R., 1990, S. 161.
87
tion (zettai hitei 絶対否定) sein.“240 Erst wenn das ,Absolute Nichts‘ seine Absolute Selbstverneinung in dem durch Negation vermittelten Sein findet, wird die ,Absolute Dialektik‘ hin zur ,Absoluten Dialektik als Dialektik der Absoluten Vermittlung‘ durchbrochen: „Ein absolutes Nichts, das vor der Wirksamkeit der Negation als Grundlage dieser Wirksamkeit gesetzt und zur Voraussetzung gemacht wird, vermag zwar im Bezug auf alle Seienden außer sich selbst die Herrschaft der Dialektik begründen. Aber es selbst wird etwas undialektisch unmittelbar Bejahtes oder Behauptetes. Insofern ein System auf so etwas als seiner Grundlage besteht, kann es zwar die für seine Errichtung nötige Einheitlichkeit besitzen. Gleichzeitig muß es aber als Einheit ohne den Aspekt der Selbstverneinung in undialektischer Ideenidentität enden. Auch das absolute Nichts als seine Grundlage ist undialektisch. Das System ist eben – wie oben gesehen – ein Negationsmoment der Dialektik. Folglich muß das absolute Nichts als seine Grundlage selbstverständlich in Wirklichkeit undialektisches, identisches Sein darstellen.“241 Diese Kritik an Nishidas Philosophie des Absoluten Nichts könnte man in veränderter Gestalt in gleicher Weise an Schellings Identitätsphilosophie (und natürlich auch an Hegels Geistphilosophie) erheben, wo die Identität und das Sein verabsolutiert werden und die Dialektik nicht auf ihren höchsten Grund zurückgeführt worden ist. Tanabe versucht hier vielmehr die Dialektik selbst dialektisch zu denken, die nicht in einem undialektischen, identischen Sein kulminiert. Er hat vielmehr ein ,systemloses System‘ vor Augen, wo das System nur ein Negationsmoment der Dialektik darstellt: „Weil bei der konsequenten Durchführung der Dialektik auch die Existenz des Systems gleichzeitig in eins gehen muß mit seiner Nichtexistenz, ist die Rede von einem ,System, das die Dialektik zur Basis hat‘ im gewöhnlichen Sinn ein Widerspruch und läuft auf Sinnlosigkeit hinaus.“242 Damit kritisiert Tanabe nicht nur Nishidas Systemdenken, nicht nur alle Systemdenker der abendländischen Denktradition wie u.a. Kant, Fichte, Hegel und Schelling, sondern auch die östlichen Systemdenker wie u.a. die Hannya-Schule243, die die Dialektik mit dem Systemgedanken zu einem Ganzen verschmelzen wollten. Bereits hier kündigt sich Tanabes ,Absolute Kritik‘ an aller bisherigen Philosophie an, die allerdings erst in seiner ,Philosophy as Metanoetics‘ klar zum Ausdruck kommt, wozu u.a. auch die Negative Theologie bzw. die Emanationslehre Plotins gehört: „Aber ein solches absolutes Sein ist – ähnlich wie das am Ende des vorigen Kapitels berührte Eine bei Plotin – eine Einheit, welche die Logik und das Denken schon überstiegen hat. Es
240 241 242 243
88
Vgl. OHASHI R., 1990, S. 149. Vgl. OHASHI R., 1990, S. 149–150 (eigene Hervorhebungen). Vgl. OHASHI R., 1990, S. 150–151. Vgl. OHASHI R., 1990, S. 156.
kann nur Inhalt einer mystischen Intuition sein.“244 Dieses mystisch-ontologische Eine jenseits von Denken und Sein befindet sich über aller Dialektik, womit die Dialektik selbst depotenziert wird. Das ,Absolute Nichts‘ wird auf diese Weise in ein fernes Jenseits gerückt, das nur mittels einer mystischen Intuition (shinpiteki chokkan 神秘的直観) bzw. in der Schau erfahren werden kann. Alles, was geschaut wird, ist immer Sein und niemals Nichts.245 Darum muß an die Stelle der ,Absoluten Dialektik‘ die ,Absolute Dialektik als Dialektik der Absoluten Vermittlung‘ treten. Damit ist nun deutlich geworden, daß Tanabe wie auch Platon im Dialog Parmenides in der ersten Hypothesis, wo dem absolut transzendent Einen, das hier mit dem ,Absoluten Nichts‘ Nishidas verglichen werden könnte, Schritt für Schritt in seiner falschen Verabsolutierung der Einheit ad absurdum geführt wird. Wenn ein solches absolut transzendent Eine, welches dem ,Absoluten Nichts‘ bzw. der ,Reinen Erfahrung‘ Nishidas entspricht, um seine Einheit zu retten, in ein uns fernes Jenseits entrückt wird, wie können wir dann aus ihm das Viele bzw. die Welt begreiflich machen? Das können wir nur, wenn wir dieses immanentisieren. Die ,Absolute Dialektik des Absoluten Nichts‘ als einer Negativen Theologie muß zu einer ,Absoluten Dialektik der Tat‘ als einer Positiven Theologie werden.246 Das Nichts ist nicht etwas, was geschaut, sondern welches getan wird: „Das absolute Nichts einer solchen Tat (kôi 行為) wird aufgrund des Wesens der Tat als solcher gewiß nicht in der ursprünglichen Bedeutung unmittelbar geschaut. Die Tat ist gerade deswegen Tat, weil sie die unmittelbare Anschauung übersteigt. Weil sie die Schau übersteigt und das unmittelbar geschaute Sein zerbricht, kommt die Tat-im-Nichts zustande.“247 Tat und Schau stehen sich also absolut kontradiktorisch gegenüber, wo die Schau die negative Vermittlung der Tat darstellt. Die Tat kann also nicht unmittelbar geschaut werden, sondern negiert und übersteigt diese Schau vielmehr. Diese ,Absolute Dialektik‘ von Tat und Schau konstituiert die Wirklichkeit248 bzw. die geschichtliche Welt. Dadurch erst wird die Philosophie praktisch und kann in die Welt eingreifen.249 Sie muß aus dem Haus gehen und doch zu Hause bleiben, sie muß zu Hause sein und doch zugleich unterwegs sein.250 Darin besteht die ,Absolute Vermittlung‘, wo Geist und Materie absolut vermittelt werden251 und das
244 245 246 247 248 249 250 251
Vgl. OHASHI R., 1990, S. 151. Vgl. OHASHI R., 1990, S. 153. Vgl. J. LAUBE, 1984, S. 28–29. Vgl. OHASHI R., 1990, S. 154. Vgl. OHASHI R., 1990, S. 156. Vgl. OHASHI R., 1990, S. 159. Vgl. OHASHI R., 1990, S. 161–162. Vgl. OHASHI R., 1990, S. 166.
89
Moment der Selbstentfremdung das ,Substrat der Spezies‘ (shuteki kitai 種的 基体)252 darstellt. Damit hat Tanabe die ,Logik der Spezies‘ entdeckt, die die ,Absolute Dialektik‘ Nishidas hin zur ,Absoluten Dialektik als Dialektik der Absoluten Vermittlung‘ durchbricht: „Absolute Dialektik ist nichts anderes als Logik der Spezies (shu no roni 種の論理 ). Weil eine Dialektik des Nichts, welche die Logik der Spezies nicht zur Vermittlung macht, die Selbstverneinung und die absolute Verneinung unterschiedslos identifiziert, kann sie nur richtungslose Emanationslehre sein, welche die Geschichte nicht als Vermittlung nimmt. Darum kann sie nicht absolute Dialektik als absolute Vermittlung sein. Es ist jetzt klar geworden, daß die zwei Beweggründe, aus denen ich die Logik der Spezies erdachte, nicht einfach zwei getrennte Motive sind, sondern eine notwendige innere Beziehung haben. Die Entwicklung meines Denkens vollzog sich beim Entfalten dieser Beziehung. Daß sich Praxis und Logik durch die Vermittlung der Wirklichkeit miteinander verbinden, muß selbstverständlich sein. Eben das ist der Verlauf der Entstehung der Logik der Spezies.“253 Damit hat Tanabe in seiner Schrift Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären im 3. Kapitel die Grundlage seiner ,Absoluten Dialektik als Dialektik der Absoluten Vermittlung‘ bzw. seine ,Logik der Spezies‘ entwickelt, womit er sich kritisch von seinem Lehrer Nishida abgrenzt. Seines Erachtens ist Nishidas ,Absolutes Nichts‘ kein wirkliches Nichts, da Nishida es verontologisiert und die Selbstverneinung mit der Absoluten Verneinung identifiziert, wo dem Widerspruch bzw. der Vermittlung kein Raum bleibt. Nishidas Philosophie ist ein ,undialektisches Identitätssystem‘, das der Negativen Theologie bzw. der ontologischen Emanationslehre Plotins sehr nahe steht. Die ,Philosophie des Absoluten Nichts‘, so wie sie Nishida entwickelt hat, muß vielmehr eine Immanentisierung hin zur Positiven Theologie erfahren. Sie muß zu einer ,Absoluten Dialektik der Tat‘ werden, da nur sie praktisch werden kann und in die geschichtliche Wirklichkeit einzugreifen vermag. Damit folgt Tanabe trotz aller Kritik an Platon eindeutig Platons Spuren. Tanabe führt wie auch Platon in seinem Dialog Parmenides in der ersten Hypothesis Nishidas ,Absolutes Nichts‘ in seiner Verabsolutierung der Identität – Wenn Eins ist – ad absurdum. In Bezug auf die Einschätzung von Nishidas Frühphilosophie bzw. seiner Philosophie des Selbst (PhS) können wir Tanabe vollkommen Recht geben. Nishida entwickelte im Hinblick auf Tanabes Kritik seine Philosophie weiter, wie auch umgekehrt Tanabe seine eigene Philosophie aufgrund seiner Kontroverse mit Nishida weiterentwickelte.254 Nishida sah die 252 253 254
90
Vgl. OHASHI R., 1990, S. 165. Vgl. OHASHI R., 1990, S. 167–168. Vgl. OHASHI R., 1990, S. 14–15.
Insuffizienz seiner Frühphilosophie selbst ein, die nach eigenem Bekunden Nishidas eine ,Entpsychologisierung‘ erfahren sollte. Ab diesem Zeitpunkt wandte sich Nishida verstärkt der Welt zu und entwickelte eine ,Philosophie der Welt‘ (PhW), wo er selbst in den Grund des Systems bzw. der Dialektik hineinfragte und sich von der Systemphilosophie abwandte, womit er Schellings Identitätsphilosophie zu Grunde gebracht und überwunden hatte. Diese Wende vollzog Nishida mit seinem Aufsatz ,Ort‘ im Jahre 1926. Es stellt sich nun die Frage, ob Tanabes Kritik wie er sie in der Schrift Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären (1932–37), die auf Nishidas Frühphilosophie vollkommen zutrifft, auch in Ansehung von Nishidas Lebenswerk im Ganzen gerechtfertigt ist?
4.2 DIE IDENTITÄT ODER DIE NEGATIVE THEOLOGIE Auch ich dachte seit langer Zeit – vom Wind, der mit Wolken weht, verlockt – unablässig an Wanderung … besessen war ich von verführerischen Göttern, die mein Herz in Unruhe versetzten. Bashô, Oku no hosomichi (1690–94)
Nishitani Keiji (西谷 啓治), der von 1900 bis 1990 in Japan lebte, war ein berühmter Schüler und Nachfolger Nishidas, der Tanabes ,Absolute Vermittlung‘ vehement kritisierte. In einem kleinen Essay Mein philosophischer Ausgangspunkt aus dem Jahre 1964 schreibt Nishitani: „Mein Ausgangspunkt ist kein anderer als der des Nihilismus.“255 War Aristoteles vom ,Staunen‘, das Christentum von der ,Verteidigung des Glaubens‘, Descartes vom ,Zweifel‘ und Nishida von der ,tiefen Trauer‘ (hiai 悲哀) ausgegangen, so geht Nishitani vom ,Nihilismus‘ aus: „Natürlich, streng genommen meint Nihilismus eine bestimmte philosophische Position, doch was ich hier Nihilismus nenne, hat nicht diesen strengen Sinn. Auch ist es nicht eine bloße Stimmung der Nichtigkeit, sondern es ist ein Nihilismus, der vor-philosophisch ist, aber doch zugleich das Übergehen in die philosophische Dimension wesentlich enthält.“256 Nishitanis Leben und Denken steht also unter dem Stern des Nihilismus. Mit ,Nihilismus‘ meint Nishitani jedoch nicht eine bloße Stimmung der Nichtigkeit, die Verzweiflung, auch nicht die negativ verstandene Gottlosigkeit (Nietzsches ,Gott ist tot‘), sondern vielmehr den Nihilismus, der gerade in der Überwindung des europäischen Nihilismus aufgeht. Der europäische Nihilismus muß vielmehr zum ,Feld der Leere‘ durchbrochen werden. Dieser ,Absolute Nihilismus‘, der das ,nihilum‘ 255 256
Vgl. NISHITANI K., 1992, S. 546. Vgl. NISHITANI K., 1992, S. 547.
91
zur ,Leere‘ subtranszendiert, ist dasjenige, was Nishitani im Blick hat. In seiner Schrift Was ist Religion? (Shûkyô to wa nanika 宗教と は 何か ) aus den Jahren 1954–55, die als seine Hauptleistung gilt,257 worin mehrere Aufsätze versammelt sind, wird der europäische Nihilismus zu Grunde gebracht und zum ,Feld der Leere‘ überwunden. Der Gedanke der ,Leere‘ stellt den ,Hauptgedanken‘ Nishitanis dar, der auch als die ,wahre Selbstidentität‘ bezeichnet wird, womit Nishitanis Kritik an Tanabe und Nishidas ,Philosophie der Welt‘ (PhW) bereits deutlich zum Ausdruck gebracht wird. Fragen wir nun: Worin besteht Nishitanis Kritik an der Philosophie Nishidas? Nishitani vertritt im Gegensatz zu Tanabe die These, daß Nishida den Widerspruch bzw. die Differenz verabsolutiert und den Vorrang einräumt, so daß er der Identität nicht gerecht wird. Das Feld des Widerspruchs muß vielmehr hin zum Feld der Leere durchbrochen werden, womit der Nihilismus Nishidas und Tanabes seine eigentliche Begründung in der ,wahren SelbstIdentität‘ erfährt. Tanabes und Nishidas Philosophie muß darum eine Transzendentalisierung hin zur Negativen Theologie erfahren, da erst dort das Nichts einen absoluten Status erhält, das bei Tanabe und Nishida, wie auch im europäischen Nihilismus, noch ein relatives Nichts ist. Betrachtet man Nishidas Philosophie der Welt, die er ab seinem Aufsatz ,Ort‘ (1926) bis zu seinem letzten Aufsatz ,Ortlogik und religiöse Weltanschauung‘ (1945) ausführt, so erscheint die Position von Nishitani plausibel. Nishida schreibt in seinem Aufsatz ,Ich und Du‘, der die Ortlogik in der Welt sozial verankert: „In der Dialektik der absoluten Negation, im absoluten Sinne von Leben ist zugleich Tod, kann jedoch zwischen dem Einen (ichi 一) und dem Anderen (ta 他 ) kein vermittelndes Etwas vorliegen, vielmehr muß das Ich (jiko 自己) in sich selbst (jiko no naka 自己の中) den absolut Anderen (zettai no ta 絶対の他) bzw. die absolute Negation enthalten; es gibt auch nicht etwas, das mich irgendwie mit dem Anderen vermitteln würde, so daß ich selbst zum Anderen und der Andere zu mir selbst würde, vielmehr werde ich selbst durch den Grund meiner selbst hindurch zum Anderen. Denn im Grunde meiner eigenen Existenz existiert der Andere, und im Grunde der Existenz des Anderen existiere ich. Ich und Du sind füreinander absolut andere. Es gibt kein Allgemeines, das Mich und Dich in sich subsumiert. Allein indem ich dich anerkenne, bin Ich Ich, und indem Du Mich anerkennst, bist Du Du; in meinem Grund existierst Du, in deinem Grunde existiere Ich; Ich vereinige mich durch den Grund meiner selbst hindurch mit Dir, Du vereinigst dich durch den Grund deiner selbst hindurch mit Mir; gerade weil wir füreinander absolut andere sind, vereinigen wir uns in innerlicher Weise.“258 In diesem 257 258
92
Vgl. OHASHI R., 1990, S. 253. Vgl. NISHIDA K., Logik des Ortes, S. 170.
Zitat wird die Dialektik der Absoluten Negation bzw. die orthafte Dialektik an dem Beispiel von Ich und Du demonstriert, die Nishida später auf das Verhältnis von Allgemeinem und den einzelnen Individuen transformiert (Dialektische Allgemeine). Ich und Du sind füreinander absolut Andere. Es gibt kein Vermittelndes und kein Allgemeines zwischen dem Ich und Du. Gerade aufgrund dieser Absoluten Differenz vereinigen sich beide in innerlicher Weise. Damit können wir zu Recht behaupten, daß Nishida den Widerspruch bzw. die Differenz verabsolutiert: „In fact, the principle of difference designates the driving source behind this seemingly infinite dialectic.“259 Betrachten wir aber nun die Kritik Nishitanis an Tanabe und Nishida etwas genauer, die insbesondere im 3. Kapitel in den Abschnitten VII bis X seiner Schrift Was ist Religion? aus den Jahren 1954–55 deutlich zum Ausdruck gebracht wird, welches mit dem Thema Nihilismus und Sûnyatâ überschrieben ist, wo er einerseits Tanabes ,Absolute Dialektik als Dialektik der Absoluten Vermittlung‘ und Nishidas ,Dialektik der Absoluten Negation‘ bzw. die ,orthafte Dialektik‘ sowie auch den europäischen Nihilismus zu Grunde bringt und überwindet. Ausgehend von dem Muchû Mondô (,Fragen und Antworten in einem Traum’), wo Musô Kokushi folgende Sätze sagt: „Berge und Flüsse, die Erde, Pflanzen und Bäume, Ziegeln und Steine, all dies ist das Ureigene des Selbst.“260 und: „Es ist nicht, daß das Feld des Ureigenen innerhalb von Leib und Seele liegt oder daß es außerhalb von Leib und Seele liegt oder daß Leib und Seele genau der Ort des Ureigenen sind oder daß das Ureigene empfindend oder nichtempfindend ist oder daß es die Weisheit von Buddhas und Heiligen ist. Dem Ureigenen sind alle Dinge entsprungen, von der Weisheit von Buddhas und Heiligen bis hin zu Leib und Seele jedes fühlenden Wesens, und alle Länder und Welten.“261, fragt Nishitani am Ende des VII Abschnittes, was denn das ,Ureigene‘ überhaupt ist, woraus alle Dinge entspringen? Diese Frage erhält im VIII. Abschnitt eine Präzisierung, wo Nishitani fragt, was denn das wahre An-sich-Sein aller Dinge sei, welches sich im absoluten Diesseits von Idealismus und Materialismus, Subjekt und Objekt bzw. Subjekt und Substanz befindet? Wo ist die Pflanze Pflanze, der Stein Stein und zugleich das Selbst radikal es selbst? In der Antike (vgl. Aristoteles) wurde ein konkretes Ding dadurch definiert, daß es mit der Substanz-Akzidenz-Kategorie262 beschrieben wurde. Ein Ding, egal ob es eine Pflanze, ein Tier, ein Mensch oder Gott selbst ist, wurde, wenn es als ein Seiendes gedacht wurde, gewöhnlich als Substanz aufgefaßt.
259 260 261 262
Vgl. G. KOPF, 2004, S. 80. Ferner: NISHITANI K., 1991, S. 183. Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 187. Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 187. Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 190.
93
Mit der ,Substanz‘ ist dasjenige gemeint, was dem Ding unwandelbar und ewig zu Grunde liegt und wodurch das Ding seine Selbstidentität trotz unaufhörlicher Wandlungen bewahrt. Auch wenn sich die Akzidenzien beständig wandeln, so bleibt die Substanz doch dieselbe. Mit dem Substanzbegriff ist der Subjektbegriff eng verknüpft. Das Subjekt ist dasjenige, welches sich nicht verobjektivieren läßt. „In diesem Prozeß des Erwachens des Subjektbewußtseins war die Kantische Philosophie ein epochemachendes Ereignis.“263 Allerdings können wir das wahre An-sich-Sein eines Dinges mit den Kategorien der ,Substanz‘ und des ,Subjekts‘ nicht begreifen. Auf dem Standpunkt der Leere werden beide vielmehr in Frage gestellt: „Können wir aber überhaupt einen Seinsmodus denken, der weder subjektiv noch substantiell ist?“264 Wenn nun die Wendung vom nihilum zum Feld der Leere vollzogen wird, wird die Subjekt-Objekt-Dualität durchbrochen und wir werden des wahren An-sich-Seins der Dinge gewahr: „Sofern die Dinge wahrhaft in ihrer ,Heimat‘ sind, in ihrem letzten An-sich-Sein bzw. ihrem Selbstsein jenseits aller Seinsmodi, in denen die Dinge auf die Subjekt-Objekt-Relation projiziert werden, kann ihre Seinsweise nicht mehr subjektiv und noch weniger substantiell sein.“265 Es stellt sich nun die Frage, was denn das wahre Selbst-Sein bzw. das ureigene An-sich-Sein im absoluten Diesseits von Subjekt und Substanz ist? Diese Frage wird von Nishitani in den Abschnitten IX und X anhand eines praktischen Beispiels beantwortet: „Ein Kind macht im Garten ein Feuer. Da ist ein Feuer.“266 Mit der Kategorie der ,Substanz‘ erfassen wir die Ist-heit bzw. die Selbstidentität des Feuers. Das Feuer wird dadurch als dasjenige begriffen, wodurch es allererst zum Feuer wird. Die spezifische Eigenheit, die Kraft und die Wirksamkeit des Brennens bezeichnen die Substanz des Feuers. Die Substanz ist somit nichts anderes als die ,Form‘ (eidos) des Feuers, wo wir das Feuer von anderem unterscheiden und die spezifische Eigenheit des Brennens wahrnehmen. Wir können das Feuer auch wissenschaftlich betrachten und es mit den Mitteln der formalen Logik (genus proximum und differentia spezifica) bestimmen, wodurch das Feuer vom Standpunkt des Logos einsehbar und intellektuell zur Kenntnis genommen wird. Da das Feuer auf dem ,Feld des Logos‘ analysiert und differenziert betrachtet wird, haben wir die ursprüngliche Einheit und das wahre An-sich-Sein des Feuers verloren. Wir haben das Feuer unter der Substanz-Akzidens-Kategorie betrachtet und es mit den Mitteln der formalen Logik analysiert, wodurch das Feuer unter der Hand
263 264 265 266
94
Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 191. Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 192. Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 193. Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 193.
verobjektiviert wurde.267 Damit befinden wir uns auf dem Feld der SubjektObjekt-Dualität und sind noch nicht zum An-Sich-Sein bzw. zum wahren Selbstsein des Feuers hindurchgedrungen. Es stellt sich nun die Frage, ob es denn überhaupt möglich ist, sich auf den Standpunkt des wahren Selbstseins zu stellen, wo alle Dinge zu Hause sind und wenn ja, was denn dieser Seinsmodus des Dinges und unseres Selbst ist? Wir müssen also zu dem Seinsmodus hindurchstoßen, wo das „Ding ursprünglich ist, in dem es gleichsam bei sich zu Hause ist und seine eigene Selbst-Identität als An-sich-Sein bewahrt.“268 Damit hat Nishitani seine Aufgabe formuliert, die er im X. Abschnitt lösen will. Nishitani möchte den Ort des An-sich-Seins bzw. der wahren Selbst-Identität eruieren, wo alle Dinge zu Hause sind. Damit kritisiert Nishitani einerseits Tanabes ,Absolute Dialektik als Dialektik der Absoluten Vermittlung‘, die die genaue Differenzierung zwischen der Selbstverneinung und der Absoluten Verneinung einklagt, andererseits aber auch Nishidas ,Absolute Negation‘ bzw. seine orthafte Dialektik, die beide noch nicht zur wahren Selbst-Identität hindurchgedrungen sind. Zudem wird die Wende vom nihilum hin zur Leere vollzogen, womit der europäische Nihilismus und das nihilum in den Philosophien Tanabes und Nishidas hin zur Leere unterlaufen und überwunden wird. In dem obigen Zitat ist bereits deutlich geworden, daß Nishitani im Gegensatz zu Tanabe und Nishidas ,Weltphilosophie‘ die Identität verabsolutiert und so den Mystikern wie u.a. Plotin, Meister Eckhart, Jakob Böhme mit seiner Konzeption der wahren Selbst-Identität sehr nahe steht.269 Der Identität wird der Vorrang gegenüber dem Widerspruch eingeräumt, was aber in den folgenden Ausführungen noch deutlicher werden wird. Im X. Abschnitt findet Nishitani die Lösung zu seiner gestellten Aufgabe in folgenden buddhistischen Redewendungen wie: ,Feuer verbrennt das Feuer nicht‘; ,Wasser wäscht das Wasser nicht‘; ,das Auge sieht das Auge nicht‘.270 Wie müssen diese buddhistischen Redewendungen verstanden werden? Wie können sie uns Aufschluß über das An-sich-Sein und die wahre Selbst-Identität aller Dinge geben? Worin besteht nun das An-sich-Sein bzw. die wahre ureigene Selbst-Identität aller Dinge? Nishitani schreibt folgendes: „Der Ausdruck, daß Feuer nicht Feuer verbrennt, bezieht sich selbstverständlich auf die Selbst-Identität des Feuers. Dies ist jedoch nicht Selbst-Identität von Feuer als ,Substanz‘ auf einem Standpunkt, von dem aus wir es als ein Objekt betrachten. Es ist vielmehr die SelbstIdentität von Feuer als ,Selbstsein‘ in seinem ureigenen Seinsgrund, das heißt,
267 268 269 270
Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 194. Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 197 (eigene Hervorhebung). Vgl. NISHITANI K., 1992, S. 555. Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 197.
95
es ist die Selbst-Identität des Feuers für das Feuer selbst. So verhält es sich auch bei den anderen genannten Fällen.“271 In diesem Zitat wird deutlich, daß die buddhistischen Redewendungen die wahre Selbst-Identität zum Ausdruck bringen, die den Standpunkt der Substanz verlassen haben. Wir befinden uns nun nicht mehr auf dem Standpunkt der Subjekt-Objekt-Dualität, sondern auf dem ,Feld der Leere‘. Die wahre Selbst-Identität, wie wir sie in den obigen Sätzen ausgedrückt finden, finden wir nicht auf dem Standpunkt der Substanz, sondern nur auf dem Standpunkt der Leere. Aber, worin besteht denn nun die wahre Selbst-Identität? Folgen wir Nishitanis Ausführungen weiter: „In dem Sinn, in dem etwa Feuer etwas ist, das unfähig ist, sich selbst zu verbrennen, spricht das Wort ,Feuer verbrennt das Feuer nicht‘ vom essentiellen Sein des Feuers.“272 In der buddhistischen Redewendung ,das Feuer verbrennt das Feuer nicht‘ müssen zwei Dimensionen voneinander unterschieden werden, die die wahre SelbstIdentität zum Ausdruck bringen: Auf der einen Seite besagt der Satz, daß es ein Feuer gibt und ein Feuer da ist. „Daß da tatsächlich ein loderndes Feuer brennt, meint, daß das Feuer nicht sich selbst verbrennt; daß es beharrlich in sich selbst ist und in seinem Selbstsein existiert.“273 Auf der anderen Seite besagt der Satz, daß das Feuer nur dann beharrlich in seinem Selbstsein existieren und es selbst sein kann, wenn es sich nicht selbst verbrennt. Diese beiden Dimensionen des Brennens und des Nicht-Brennens machen die wahre SelbstIdentität des Feuers aus: „Wenn wir hingegen behaupten, daß Feuer das Feuer nicht verbrennt, weisen wir auf den Akt des Nicht-Verbrennens des Feuers hin, auf den Akt als Nicht-Akt.“274 Akt und Nicht-Akt, Brennen und NichtBrennen machen in der wahren Selbst-Identität den Seinsmodus des Feuers aus, womit Nishitani der Identität gegenüber dem Widerspruch eindeutig den Vorrang einräumt, was in den folgenden Worten deutlich zum Ausdruck gebracht wird: „Wenn wir einmal die beiden Seiten auseinanderhalten und sagen, daß Feuer Brennholz verbrennt, aber nicht sich selbst, dann erweist das Brennen beim Verbrennen von Holz das Selbstsein des Feuers; und das Feuer, das unfähig ist, sich selbst zu verbrennen, zeigt sich ebenfalls in seinem Selbstsein. Beides ist hier ein und dasselbe.275 Als etwas, das Holz verbrennt, verbrennt das Feuer nicht sich selbst; als etwas, das sich nicht selbst verbrennt, verbrennt 271 272 273 274 275
96
Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 197–198. Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 198. Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 198. Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 198. Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 179: „Denn wie ein Lichtstrahl, der in einem Prisma verschiedene, ganz bstimmte Farben zeigt, ein Strahl weißen Lichts ist, so sind hier das Selbst und das Andere jeweils wahrhaft in und bei sich selbst, zugleich absolut geschieden und absolut vereint oder vielmehr: absolut selbstidentisch. Sie sind absolut zwei und zugleich absolut eins.“ (eigene Hervorhebung)
es Holz. Das ist der wahre Seinsmodus von Feuer als Feuer, die wahre SelbstIdentität des Feuers. Nur wenn es nicht sich selbst verbrennt, ist Feuer wahrhaft in seinem eigenen ,Wesen‘. Es ist nicht bloß das Selbstsein des Feuers in Bezug auf uns, es ist auch das Selbstsein von Feuer in Bezug auf es selbst.“276 Damit hat Nishitani den ureigenen Ort entdeckt, woraus alle Dinge entspringen. Der Ort des An-sich-Seins ist der Ort der wahren Selbst-Identität, wo der Akt und der Nicht-Akt ein und dasselbe sind. Das ,Wesen‘ besteht in der Identität von Akt und Nicht-Akt, d.h. das Feuer ist gerade dadurch Feuer, daß es sich selbst nicht verbrennt. Die Selbst-Identität von Brennen und Nicht-Brennen macht das wahre Wesen des Feuers aus, dies aber nicht nur in Bezug auf uns selbst, sondern auch in Bezug auf das Feuer selbst. Damit befinden wir uns auf dem ,Feld der Selbst-Identität‘, wo die Subjekt-Objekt-Dualität unterlaufen und zugleich überwunden ist. Der Standpunkt der Substanz wird auf diesem Feld in eins mit seiner totalen Negation der substantiellen Selbstidentität gedacht, wo der Akt und der Nicht-Akt eins sind: „Wenn wir in der Kraft und Tätigkeit des Brennens die Natur (physis) des Feuers oder dessen jishô (Selbstnatur), wie es in der buddhistischen Terminologie heißt, annehmen, dann muß das Selbstsein des Feuers im sogenannten mu-jishô (Nicht-Selbstnatur) liegen.“277 Selbstnatur und Nicht-Selbstnatur sind an dieser Stelle nur andere Begriffe für Akt und Nicht-Akt, die das Ansich-Sein des Feuers und seine wahre Selbst-Identität markieren. Beide – Selbstnatur und Nicht-Selbstnatur – bringen die wahre Selbst-Identität zum Ausdruck: „Freilich kann dieses Nicht-Brennen nicht gesondert vom Brennen existieren. Gerade in seinem Brennen ist Feuer Nicht-Brennen. Worauf es jedoch ankommt, ist, daß das Brennen in der Tat nicht erfaßt werden kann ohne sein Nicht-Brennen, das heißt, so lange die Perspektive, daß Feuer sich nicht selbst verbrennt, unerschlossen bleibt. Daß ein Feuer sich selbst erhält, indem es brennt, bezeugt, daß es sich nicht selbst verbrennt. Seinem Wesen nach ist Nicht-Verbrennen der Grund des Verbrennens. Verbrennung ist aufgrund von Nicht-Verbrennen Verbrennung. Mu-jishô eines Feuers ist dessen ureigener Seinsgrund.“278 Der wahre ureigene Seinsgrund des Feuers identifiziert das Verbrennen und das Nicht-Verbrennen miteinander. Beide Dimensionen – der Akt und der Nicht-Akt – kennzeichnen das ,Wesen‘ des Feuers. Es kann kein Verbrennen ohne dem Nicht-Verbrennen und kein Nicht-Verbrennen ohne dem Verbrennen geben. Beide Dimensionen implizieren sich ad infinitum und machen so das An-sich-Sein bzw. die wahre Selbst-Identität des Feuers aus: „Deshalb müssen wir sagen, daß die Selbst-Identität eines Feuers, dessen 276 277 278
Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 198–199. Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 199–200. Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 200.
97
Feuer-Sein, nicht gesondert von seinem Nicht-Brennen erfaßt werden kann. Die ,Feuernatur‘ ist als solche nur real als die Feuernatur der Nicht-Feuernatur.“279 Diese Gedanken können wir natürlich auch auf die beiden anderen buddhistischen Redewendungen übertragen. Formulieren wir daher allgemeiner: Die wahre Selbst-Identität besteht in der Einheit von Identität (Selbstnatur) und der Absoluten Negation (Nicht-Selbstnatur) bzw. in seinem Sein und seinem Nicht-Sein, womit Nishidas ,Absolute Negation‘ bzw. seine orthafte Dialektik in der wahren Selbst-Identität unterlaufen und überwunden ist.280 Genau in der wahren Selbst-Identität müssen wir die wahre Realität suchen. Das Feuer ist also genau dann Feuer, wenn es kein Feuer ist. Es ist genau dann kein Feuer, wenn es Feuer ist. Anders als in einer paradoxalen Redewendung läßt sich dies nicht ausdrücken.281 Damit haben wir nun das ,Feld der Leere‘ erreicht: „Dieses absolut transzendente Feld ist nichts anderes als das Feld der ,Leere‘, das sich, wie gesagt, letztlich auf der Diesseite auftut und das absolute Diesseits ist.“ Hier befinden wir uns an dem Ort, wo „alle Dinge herbeikommen und das Selbst praktizieren und es bestätigen oder daß Berge, Flüsse, die Erde, Pflanzen und Bäume, Ziegeln und Steine das Ureigene des Selbst sind.“282 Nishitani kritisiert in seiner Schrift Was ist Religion? nicht nur mit seiner Konzeption der ,wahren Selbstidentität‘ Tanabes Nishida-Kritik und seine ,Absolute Dialektik als Dialektik der Absoluten Vermittlung‘, sondern auch Nishidas ,Absolute Negation‘ bzw. seine orthafte Dialektik, wo es kein vermittelndes Allgemeines, sondern nur absolut Andere gibt. Zudem kritisiert Nishitani auch Nishidas Frühphilosophie, wo das subjektive Bewußtsein noch keine Entpsychologisierung bzw. Entsubjektivierung erfahren hat. Nishitani hat vielmehr ein Feld im Blick, welches die Subjekt-Objekt-Dualität unterlaufen und überwunden hat. Dies ist das ,Feld der Leere‘. Die wahre Selbst-Identität ist nach Nishitani allerdings der Ort, wo die Identität (Selbstnatur) und die Nicht-Selbstidentität als die Absolute Negation (Nicht-Selbstnatur) ein und dasselbe sind, womit Nishitani Nishidas ,Philosophie der Welt‘ zu Grunde gebracht und transzendiert hat. Damit hat Nishitani die Identität in seiner Philosophie der ,wahren Selbstidentität‘ verabsolutiert und das Feld des Widerspruchs bzw. der Substanz hin zum Feld der Leere durchbrochen, womit der ,Nihilismus‘ Nishidas und Tanabes seine eigentliche Begründung in der ,wahren Selbstidentität‘ erfährt. Dadurch hat Nishitani die Philosophie Nishidas und Tanabes vom Standpunkt der Substanz hin zum ,Feld der Leere‘
279 280 281 282
98
Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 200. Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 200 (eigene Hervorhebungen). Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 201. Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 201.
überwunden und unterlaufen. Nishitani transzendentalisiert somit Tanabes (Spezies-Substrat) und Nishidas (subjektive Bewußtseins-)Philosophie hin zur Negativen Theologie im absoluten Diesseits von Subjekt und Substanz, da erst dort das Nichts einen absoluten Status erhält, das bei Tanabe und Nishida, wie auch im europäischen Nihilismus, noch ein relatives Nichts ist. Mit der Transzendentalisierung wird das Nichts allererst zum ,Absoluten Nichts‘, welches nichts anderes als die Leere ist. Alle drei Philosophien sind vom Standpunkt Nishitanis noch nicht zum An-sich-Sein durchgedrungen, wo sich die wahre Selbst-Identität aller Dinge in ihrem ureigenen Wesen zeigt. Aus diesem Grunde müssen sich diese Philosophien vom Standpunkt des nihilum zum absolut diesseitigen ,Feld der Leere‘ erheben, wo alle Dinge beheimatet sind. Damit folgt Nishitani Platons Spuren und führt wie auch Platon in seinem Dialog Parmenides in der zweiten Hypothesis Nishidas ,Absolute Negation‘ und Tanabes ,Absolute Vermittlung‘ in ihrer Verabsolutierung des Widerspruchs und der Negation – Wenn Eins ist – ad absurdum. In Bezug auf die Einschätzung von Nishidas ,Philosophie der Absoluten Negation‘, wie er sie in der Philosophie der Welt dargestellt hat, und in Bezug auf Tanabes ,Philosophie der Absoluten Vermittlung‘ können wir Nishitani vollkommen Recht geben. Allerdings blieb Nishida auf seinem Denkweg nicht stehen, sondern entwickelte seine ,Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘ in seinem letzten Aufsatz ,Ortlogik und religiöse Weltanschauung‘ weiter, wo seine ,Philosophie der Welt‘ zu einer ,Philosophie des Absoluten bzw. Gottes‘ (PhG) wurde. Ist Nishitanis Kritik an Nishidas ,Absoluter Negation‘ bzw. seiner orthaften Dialektik auch in Ansehung seines letzten Aufsatzes gerechtfertigt? Steht er im Lichte der Identität oder der Differenz bzw. des Widerspruchs?
4.3 DAS PRINZIP DER ABSOLUTEN MEDIATION Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist. Johannes-Evangelium 3, 8
Damit hat nun der Streit der Giganten begonnen. Auf der einen Seite steht Tanabe, der mit seiner ,Absoluten Dialektik als Dialektik der Absoluten Vermittlung‘ die Differenz bzw. die Vermittlung zwischen der Selbstverneinung und der Absoluten Verneinung einklagt, auf der anderen Seite steht Nishitani, der den Nihilismus hin zum Feld der Leere als der wahren Selbst-Identität unterlaufen und überwinden will und die wahre Selbst-Identität im absoluten Diesseits von Substanz und Subjekt bzw. Subjekt und Objekt einklagt. Wird 99
Nishidas ,Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘ von Tanabe zu einer Positiven Theologie immanentisiert, so wird sie von Nishitani zur Negativen Theologie transzendentalisiert. Konnten wir Tanabe in Bezug auf Nishidas Philosophie des Selbst Recht geben, so können wir Nishitani in Bezug auf Nishidas Philosophie der Welt vollkommen zustimmen. Beide haben die jeweilige Position in der Verabsolutierung der Identität bzw. des Widerspruchs mittels der Absoluten Dialektik ad absurdum geführt, so daß sich im Grunde beide Positionen als absurd erwiesen haben. Was nun? Wer hat Recht? Wie ich in meinen obigen Ausführungen bereits darlegte, entspricht der Streit der Giganten der Argumentation in Platons Dialog Parmenides. Betrachten wir nun Platons Dialog und die Position von Gereon Kopf etwas näher und schauen, wie wir den Streit der Giganten schlichten und unendlich versöhnen können. Wurde in der ersten Hypothesis die Annahme – Wenn Eins ist – in der falschen Verabsolutierung der Identität bzw. des Einen in der Absprache aller Attribute wie Ganzheit, Teilbarkeit, Anfang, Ende, Ruhe, Bewegung, Einerleiheit, Verschiedenheit, Alter und Sein ad absurdum geführt, was der Argumentation Tanabes entspricht, so wird in der zweiten Hypothesis die Annahme – Wenn Eins ist – in der falschen Verabsolutierung der Differenz bzw. der Vielheit in der Zusprache aller Attribute ad absurdum geführt, was der Argumentation Nishitanis entspricht. Wurde in der ersten Hypothesis das Eine, welches hier dem Absoluten Nichts entspricht, in ein uns fernes Jenseits entrückt, wo es sich uns vollkommen entzieht und wir es weder erkennen noch sprachlich zum Ausdruck bringen können, so stellt sich hier das Problem, wie wir aus ihm das Viele bzw. die Welt begreiflich machen können: „Also ist auch kein Wort für es, keine Erklärung davon, noch auch irgendeine Erkenntnis, Wahrnehmung oder Vorstellung. – Offenbar nicht. – Also wird es auch nicht benannt, nicht erklärt, nicht vorgestellt, nicht erkannt, noch auch etwas, was es an sich hätte, wahrgenommen.“283 Wir sehen, daß wenn wir an der absoluten Einheit des Absoluten Nichts festhalten wollen, wir nicht über dieses sprechen können, da wir es mit unserer Rede beständig verfehlen und es ontologisieren. Wir müßten also richtiger schweigen. Aber, wäre nicht auch schon das Schweigen zuviel? – Damit hat sich die erste Hypothesis bzw. die Negative Theologie als absurd erwiesen. Die erste Hypothesis endet mit den Worten: „Ist es nun wohl möglich, daß es sich mit dem Einen so verhalte? – Nicht wohl, wie mich dünkt.“284 Wurde in der zweiten Hypothesis das Eine im Gegensatz zur ersten Hypothesis verontologisiert und inmitten der Welt gesucht, so stellt sich hier die Frage, wie wir überhaupt noch von dem Einen 283 284
Vgl. Platon: Parm, 142a. Vgl. Platon: Parm, 142a.
100
Absoluten Nichts sprechen können, da es unter der Hand seiend und somit Vieles geworden ist. Es ist für uns offenbar, erkennbar und nennbar: „Also ist auch Erkenntnis von ihm und Vorstellung und Wahrnehmung, da ja auch wir jetzt alles dieses in Beziehung auf dasselbe zustande bringen. – Ganz richtig behauptest du. – Also ist auch ein Wort für es und eine Erklärung, und es wird benannt und erklärt, und was überhaupt nur in dieser Art von allem andern ist, das ist auch vom Eins. – Auf alle Weise freilich verhält es sich so.“285 Doch, können wir hier wirklich noch von einem Absoluten Nichts im strengen Sinne des Wortes sprechen? Hat es sich hier nicht vielmehr in die Fülle des Seins aufgelöst? Ist es nun nicht vielmehr Seiendes? Kurzum: Beide Annahmen haben sich in ihrer Annahme als absurd erwiesen. Beide Hypothesen haben eine Seite verabsolutiert, was in unauflösliche Aporien führte. Wie können wir diese Aporien auflösen? Platon führt seine Lösung in dem Kapitel ,Die Übergänge des seienden Eins‘ aus, wo eine ,Vermittlungsposition‘ zwischen den beiden falschen Seiten angestrebt wird. Platon fragt nach einem Übergang beider Hypothesen ineinander: „Und wenn es [das Eine; M.S.H.] in der Bewegung stillsteht und aus der Ruhe zur Bewegung übergeht: so muß es doch selbst auch nicht in einer Zeit sein. – Wie könnte es? – Daß das zuvor Ruhende hernach bewegt werde und das zuvor Bewegte hernach ruhe, dies kann ihm einesteils ohne Übergang unmöglich begegnen. – Freilich wie? – Eine Zeit aber gibt es andernteils nicht, in der etwas zugleich weder bewegt sein noch ruhen könnte. – Dies gibt es wohl nicht. – Aber es kann doch auch nicht übergehen ohne Übergang. – Nicht glaublich.“286 Was ist nun dasjenige, was das Ruhende in Bewegung setzt und das Bewegte in Ruhe bringt? Was ist das Prinzip der Absoluten Mediation, das das Eine in das Viele und das Viele in das Eine überführt? Es kann weder im Einen bzw. in der Identität, noch in dem Vielen bzw. in der Differenz und dem Widerspruch selbst gesucht werden. Es muß vielmehr beiden grundlos zugrunde287 liegen. Was ist nun diese mysteriöse Kraft, die die Gegensätze ineinander übergehen läßt? Es ist der unfaßbare Augenblick (griech. έχαίφνης): „Ist also etwa jenes Unfaßbare, worin es dann ist, wenn es übergeht? – Welches denn? – Der Augenblick. Denn das Augenblickliche scheint dergleichen zu bezeichnen, daß von ihm aus Übergehendes sein kann in eins von beiden. Denn aus der Ruhe geht nichts noch während des Ruhens über, noch aus der Bewegung während des
285 286 287
Vgl. Platon: Parm, 155de. Vgl. Platon: Parm, 156c. Vgl. M. Heidegger: Der Satz vom Grund. In: Martin Heidegger – GA, 1. Abt. Bd. 10, Frankfurt/M. 1997, S. 184–186.
101
Bewegtseins; sondern dieses unfaßbare Wesen, der Augenblick, liegt zwischen der Bewegung und der Ruhe als in keiner Zeit seiend, und in ihn hinein und aus ihm hervor geht das Bewegte über zur Ruhe und das Ruhende zur Bewegung.“288 Damit haben wir nun die Lösung, um den Streit der Giganten lösen zu können und sind bei der dritten Position angelangt, die von Gereon Kopf vertreten wird. In seinem Aufsatz Between Identity and Difference. Three Ways of Reading Nishida’s Non-Dualism (2004) vertritt er die These, daß sich Nishidas Philosophie in der Mitte zwischen der Szylla und Charybdis von Identität und Widerspruch bzw. Monismus und Dualismus befindet, wo keine der beiden Seiten verabsolutiert und auf die andere reduziert wird.289 Wie können wir den Streit zwischen Tanabe und Nishitani bzw. zwischen Widerspruch und Identität lösen? Was ist das Prinzip der Absoluten Mediation? Betrachten wir nun zunächst als Ergänzung zum obigen Zitat aus Platons Parmenides ein Zitat Nishidas. Nishida schreibt in seinem Aufsatz Ortlogik und religiöse Weltanschauung: „Die Tatsache, daß sich unser Ich, als ein Brennpunkt der Welt, sich selbst ausdrückend bestimmt, bedeutet nicht, daß wir das Ich gegenstandslogisch als notwendig [im Sinne einer äußeren Kausalität] verstehen. Es bedeutet vielmehr, daß unser Ich zu einem Zentrum der absoluten Gegenwart wird, das ewige Vergangenheit und Zukunft in sich enthält. Daher nenne ich unser Ich die augenblickshafte Selbstbestimmung der absoluten Gegenwart. Aus diesem Grunde sind wir selbst eine selbstwidersprüchliche Existenz. [Dies bedeutet:] Die Welt in uns zu spiegeln und zugleich unser Selbst im absolut Anderen zu erhalten. [Das Ich] muß sterben, um geboren zu werden, und leben, um zu sterben. Der Augenblick der Zeit verlischt immerwährend, und zugleich wird er ewig geboren, d.h., der Augenblick ist die Ewigkeit. Die Welt der absoluten Ewigkeit, als unendliche Kugel ohne Peripherie, besitzt an jeder Stelle ihr Zentrum.“290 Der ewige Augenblick bzw. das ewige Jetzt (eien no ima 永遠の今) ist der Ort der widersprüchlichen Selbstidentität, d.h. es ist der Ort, wo die Identität in den Widerspruch und der Widerspruch in die Identität übergeht. Das Ich als eine widersprüchlich-selbstidentische Existenz kann nach Nishida demnach auch eine ,augenblickshafte Selbstbestimmung der absoluten Gegenwart‘ heißen. Das Ich spiegelt in sich die Welt und bewahrt sich dadurch in seiner eigenen Identität selbst. Dadurch, daß es stirbt, lebt es und dadurch, daß es lebt, stirbt es. Das Ich stellt demnach die unendliche Kugel ohne Peripherie dar, wo die Vergangenheit und die Zukunft in der Absoluten Gegenwart 288 289 290
Vgl. Platon: Parm, 156de (eigene Hervorhebung). Vgl. G. KOPF, 2004, S. 73–103. Vgl. NISHIDA K., Logik des Ortes, S. 211 (eigene Hervorhebung).
102
widersprüchlich-selbstidentisch miteinander absolut medialisiert sind. Die Absolute Gegenwart ist also der Ort der widersprüchlichen Selbstidentität, wo Identität und Widerspruch absolut miteinander medialisiert sind. Der ewige Augenblick bzw. das ewige Jetzt ist demnach das Prinzip der Absoluten Mediation, wo Identität und Widerspruch absolut miteinander vermittelt werden und keiner Seite der Vorrang eingeräumt wird und auf die andere Seite reduziert wird. Im Grunde hatte Nishida bereits seit seiner Frühphilosophie die ,Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘ vor Augen, die weder die Identität, noch die Differenz bzw. den Widerspruch verabsolutiert. Die Reine Erfahrung war gerade der Ort im jenseitigen Diesseits von Identität und Differenz, Einheit und Vielheit. Wie wir in den obigen Ausführungen sahen, verfiel allerdings Nishida in Verabsolutierungen, wo eine Seite auf die andere reduziert wurde. Ab den 30er Jahren und insbesondere in seinem letzten Aufsatz ,Ortlogik und religiöse Weltanschauung‘ aus dem Jahr 1945 verwendet Nishida den Ausdruck der ,widersprüchlichen Selbstidentität‘, der die Mitte zwischen Identität und Widerspruch bzw. Einheit und Vielheit zum Ausdruck bringen soll. Keiner Seite soll der Vorrang eingeräumt werden. Keine Seite soll verabsolutiert werden. Beide sind in der ,widersprüchlichen Selbstidentität‘ analytisch synthetisiert bzw. synthetisch analysiert. Nishida schreibt in seinem letzten Aufsatz Ortlogik und die religiöse Weltanschauung, wo er seine Philosophie des Absoluten bzw. Gottes formuliert: „Wir selbst sind Wirkende [in der Welt]. Was aber ist ein Wirkendes? Wirken besteht in der gegenseitigen Beziehung von Dingen. Aber um was für eine Beziehung handelt es sich dabei? Im Wirken muß zunächst ein gegenseitiges Negationsverhältnis vorliegen, in dem ein Ding ein anderes negiert und umgekehrt. Doch ein bloß gegenseitiges Negationsverhältnis kann nicht als Wirken bezeichnet werden. Die gegenseitige Negation muß zugleich gegenseitige Bejahung sein. Die Tatsache, daß beide Seiten durchaus eigenständig sind, einander [kontradiktorisch; M.S.H.] gegenüberstehen und negieren, bedeutet, daß sie sich miteinander vereinen und eine Gestalt bilden; umgekehrt muß die Tatsache, daß sie sich aufeinander beziehen, sich miteinander vereinen und somit eine Gestalt bilden, bedeuten, daß sie durchgehend einander [kontradiktorisch; M.S.H.] gegenüberstehen, sich gegenseitig negieren bzw. daß jedes Ding eigenständig wird und so zu einem einzelnen Ding wird. Anhand dieses Schemas verstehe ich die Welt, in der die Dinge aufeinander wirken bzw. die stofflich-materielle Welt. Hier liegt bereits die von mir so genannte Logik der widersprüchlichen Selbstidentität vor.“291
291
Vgl. NISHIDA K., Logik des Ortes, S. 207.
103
Hier in diesem Zitat bringt Nishida deutlich zum Ausdruck, daß die Absolute Negation zur Erklärung der Welt nicht ausreicht. Dazu muß die Absolute Bejahung treten. Damit hat Nishida nicht nur seine Philosophie der Welt hin zur Philosophie des Absoluten bzw. Gottes subtranszendiert, sondern auch die falschen Verabsolutierungen, wie sie von Tanabe und Nishitani vorgenommen wurden, in der ,Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘ antizipiert und aufgehoben. Die ,widersprüchliche Selbstidentität‘ enthält zwei Dimensionen, die voneinander unterschieden werden müssen: Einerseits die Dimension der Identität, andererseits die Dimension der Widersprüchlichkeit. Diese zwei Dimensionen markieren keinen Dualismus, sondern konstituieren vielmehr die eine Welt und ihre vielen Welten. Die Identität ist durch ihr Anderes (den Widerspruch) definiert, wo sie sich selbst negiert und dadurch zugleich bejaht. Der Widerspruch hingegen ist durch sein Anderes (die Identität) definiert, wo er sich selbst negiert und zugleich bejaht. Beide Dimensionen sind einerseits identisch, andererseits auch zugleich strikt voneinander unterschieden. Die Identität von Identität und Widerspruch und der Widerspruch von Identität und Widerspruch sind zugleich (soku) und konstituieren die eine Welt und ihre vielen Welten. Nishida verwendet die Logik des soku-hi als ein heuristisches Mittel, um die ,widersprüchliche Selbstidentität‘ bzw. die Absolute Dialektik von Identität und Widerspruch zum Ausdruck zu bringen. Damit möchte ich mich Gereon Kopf und seiner Studie anschließen, der die Position vertritt, daß Nishida an einer Philosophie gelegen war, die weder die Identität, noch den Widerspruch verabsolutiert. Beide müssen vielmehr gemäß der ,Logik des soku-hi‘ als eines heuristischen Mittels absolut dialektisch verstanden werden: Identität – soku – Widerspruch, Widerspruch – soku – Identität. Damit hat Nishida mit dem Prinzip der Absoluten Mediation als der ,widersprüchlichen Selbstidentität‘ einen Weg zwischen Identität und Widerspruch gefunden, ohne eine Seite auf die andere zu reduzieren und zu verabsolutieren. Hatte Tanabe den Widerspruch und die Andere-Kraft (tariki 他力) in seiner ,Absoluten Dialektik als Dialektik der Absoluten Vermittlung‘ und Nishitani die Identität und die Eigene-Kraft (jiriki 自力) in seiner ,Philosophie der Leere‘ verabsolutiert,292 so liegt nach Kopf die Auflösung des Gigantenstreites in einem ,mittleren Weg zwischen den Extrema‘: „The solution to this conundrum thus seems to lie in what may be called a middle way philosophy that contains a self-corrective principle understood in the sense of Tanabe‘s absolute critique. Such a philosophy will have to start simultaneously from two separate points, the paradigms of identity and of difference, which are to be read against each other. This approach is actually warranted by Nishida‘s philosophy itself […]. Such a philosophy would use the standpoint of difference 292
Vgl. G. KOPF, 2004, S. 100.
104
as a corrective to identity philosophy to prevent the latter from collapsing into a monism, while the standpoint of identity would prevent a philosophy of difference from disintegrating into a dualism. In other words, a non-dual philosophy would take as its starting point Nishida‘s ‘one in many, many in one‘ albeit not in the form of a self-identity but one mediated by the principle of absolute criticism.“293 Kopf macht in diesem Zitat deutlich, daß Nishida‘s Philosophie einen ,mittleren Weg‘ zwischen Identität und Widerspruch darstellt, wo sich beide Prinzipien gegenseitig vor einer falschen Verabsolutierung korrigieren. Das ist es auch, was Nishida mit seiner ,Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘ zum Ausdruck bringen wollte, womit er weder einen Monismus, noch einen Dualismus begründen wollte. Kopf sieht den Ausgangspunkt für diese Mittlere-Weg-Philosophie in Nishidas Diktum des ,Einen im Vielen, des Vielen im Einen‘, welches nicht in der Form einer Selbst-Identität, sondern vielmehr durch das Prinzip der ,Absoluten Kritik‘ (zettai hihan 絶対 批判) medialisiert verstanden werden muß, d.h. eine Philosophie, die beständig einer Selbstkorrektur erliegt. Zusammenfassend läßt sich sagen: Weder der Identität bzw. der Einheit, noch dem Widerspruch bzw. der Vielheit wird der Vorrang in Nishidas ,Logik der widersprüchlichen Selbstidentität‘ eingeräumt. Da im Grunde Nishida sein gesamtes Leben hindurch diese Ortlogik zwischen der Szylla und Charybdis von Identität und Widerspruch im Blick hatte, haben die oben genannten Philosophen der Kyôto-Schule in Ansehung der verschiedenen Stadien im Denken Nishidas zwar Recht, aber nicht in Ansehung der gesamten Philosophie Nishidas. Sie verfehlen mit ihrer Kritik Nishidas Philosophie, wenn sie seine Philosophie nicht im Ganzen betrachten. Nishida suchte seit seiner Studie über das Gute (1911) bis hin zu seinem letzten Aufsatz Ortlogik und religiöse Weltanschauung (1945) nach dem Ort zwischen den Extrema von Identität und Widerspruch. Damit möchte ich mich Gereon Kopf und seiner Studie anschließen, der die Position vertritt, daß Nishida an einer Philosophie gelegen war, die weder die Identität, noch den Widerspruch verabsolutiert. Beide müssen vielmehr gemäß der ,Logik des soku-hi‘ als eines heuristischen Mittels absolut dialektisch verstanden werden: Identität – soku – Widerspruch, Widerspruch – soku – Identität. Damit hat Nishida mit dem Prinzip der Absoluten Mediation als der ,widersprüchlichen Selbstidentität‘ einen Weg zwischen Identität und Widerspruch bzw. Transzendenz und Immanenz gefunden, ohne eine Seite auf die andere zu reduzieren und zu verabsolutieren. Allerdings erlag Nishida, wie wir in dem vorherigen Kapitel sahen, der Verabsolutierung der ,Logik‘, womit seine Philosophie letztlich rational, wissenschaftlich und einer letzten ,Subjektivität‘ verhaftet blieb. Die Selbstbe293
Vgl. G. KOPF, 2004, S. 101.
105
stimmung der Welt wurde nicht zur Fremdbestimmung durchbrochen, so daß Nishidas Philosophie hier einseitig blieb und die ,Absolute Dialektik‘ scheiterte. Einzelnes und Allgemeines, Subjekt und Objekt wurden hier als Selbstbestimmung der Welt verstanden, wo es keine Fremdbestimmung bzw. Fremdnegation des Absoluten durch die Welt gibt. Die Welt wurde als die absolute Selbstnegation des Absoluten in sich selbst verstanden und somit als das ,Andere der Logik‘ seinem Eigenstand beraubt. Die Welt erfuhr so eine Logifizierung und verlor dadurch ihre Welthaftigkeit. Dadurch konnte Nishida weder die Welt, noch das Böse in der Welt erklären, wo sich Gott selbst fremd geworden ist und mit dem ,Anderen seiner selbst‘ ringt. Damit verlor der Widerstreit bzw. das Böse seine Brisanz. Nicht nur Gott ringt mit Sodom (Zorn und Gericht Gottes)294, sondern auch der Teufel mit Gott, der sich gegen Gott auflehnt (Sündenfall)295, was Nishida nicht gesehen hatte. Obwohl es Nishida an einer Vermittlungsphilosophie gelegen war, konnte er dieser Verabsolutierung der ,immanenten Transzendenz‘ letztlich nicht entgehen, die zu einer Selbstnichtung der Ortlogik führen mußte, wie ich in meinen obigen Ausführungen darstellte. Darin muß m.E. das tragische Scheitern Nishidas gesucht werden. Aus diesem Grunde möchte ich nun mit Nishida über Nishida hinaus denken und diese Philosophie noch von ihrer letzten Verhaftung befreien. Erst, wenn wir diese letzte ,Subjektivität‘ durchbrechen und uns von ihr befreien, werden wir das ,wahre Medium‘ zwischen Identität und Widerspruch erreichen, welches nichts anderes als die ,Absolute Infinitheit‘ ist, die sich in allen betrachteten Philosophien verbergend entbirgt. Bei Schelling trat sie im Gewand der ,Absoluten Identität‘, bei Nishida hinter der Maske der ,widersprüchlichen Selbstidentität‘, bei Tanabe in der Verkleidung der ,Absoluten Vermittlung‘ auf, bei Nishitani spielte sie die Rolle der ,wahren Selbst-Identität‘ und bei Kopf das ,Prinzip der Absoluten Meditation‘. Alle diese genannten Philosophien sind Ausdruck der Absoluten Infinitheit, in die sie sich eingeschrieben und zum Ausdruck gebracht hat. Darum können wir sie als ein Infinitial (Signatur) der Absoluten Infinitheit lesen, wo weder der Identität bzw. der Systematik, noch dem Widerspruch bzw. der Systemlosigkeit der Vorrang eingeräumt werden darf. Betrachtet man die Philosophien etwas genauer, so haben sich alle aufgrund der falschen Vereinseitigungen selbst zum ,Anderen ihrer selbst‘ absolut infinitialisiert: Die Philosophie Schellings vollzog eine Absolute Infinitialisierung hin zur ,qualitativen Differenz‘, Nishidas Philosophie zur ,Welt-Logik des Ortes‘, Tanabes Philosophie zur ,Positiven Vermittlung‘ und Nishitanis Philosophie zum ,wahren Selbst-Widerspruch‘. 294 295
Vgl. Off 14, 7–19, 21. Vgl. Gen 3, 1–24.
106
Auch Kopf erliegt mit seinem ,Prinzip der Absoluten Mediation‘, obwohl seine Philosophie uns sehr nah an die Absolute Infinitheit heranführt, letztlich einer Vereinseitigung, da er am Ende seines Aufsatzes einräumt, daß er sich Tanabes ,Absoluter Kritik‘ anschließt und somit doch der ,Absoluten Vermittlung‘ Tanabes den Vorrang einräumt: „The solution to this conundrum thus seems to lie in what may be called a middle way philosophy that contains a selfcorrective principle understood in the sense of Tanabe‘s absolute critique.“296 Aus diesem Grunde muß auch Kopfs Versuch in der Aufstellung einer ,mittleren Philosophie‘ als gescheitert angesehen werden, da auch sie sich zum ,Anderen ihrer selbst‘ absolut infinitialisiert. Zwischen dem Eigenen und dem Anderen besteht ein infinitolektisches Verhältnis, wo die Absolute Infinitheit die Zwietracht mit dem Band der unendlichen Liebe schlichtet, wo keiner Seite der Vorrang eingeräumt wird und was folgendermaßen stillschweigend zum Ausdruck gebracht werden kann: Identität-inf.-Widerspruch, Widerspruchinf.-Identität. Das Band der unendlichen Liebe versöhnt nicht nur infinitolektisch den Streit zwischen Identität und Widerspruch bzw. System und Systemlosigkeit, sondern auch den zwischen Ich und Du bzw. Ost und West auf eine unendliche Weise. Damit sind wir nun an unserem Ziel angelangt: Wir stehen am Ende unseres ,unwegsamen Weges der Absoluten Infinitheit‘ und am Beginn in ein ,neues Zeitalter‘ in der Philosophiegeschichte, in dem wir uns eigentlich schon immer befunden haben. Ich möchte nun die Sphäre der ,Absoluten Infinitheit‘ betreten, wo sich die Identität und der Widerspruch, Ost und West unendlich lieben!
296
Vgl. G. KOPF, 2004, S. 101.
107
5. AUSBLICK AUF DAS ‚NEUE ZEITALTER DER ABSOLUTEN INFINITHEIT‘ (ZETTAI MUGEN NO SHINJIDAI 絶対 無限の新時代)
Wir stehen heute an der Schwelle zu einer Neuen Epoche in der Philosophiegeschichte, wo sich eine ,Neue Philosophie‘ ankündigt und ein ,Neues Denken‘ unter dem Namen des ,Absoluten systemlosen Systems‘ offenbart. Dies bedeutet jedoch nicht, daß das Neue radikal losgelöst vom Alten und Tradierten entsteht. Nein. Das Neue kann allererst vor dem Hintergrund des Alten entdeckt werden, wie auch das Alte nur in der Entdeckung des Neuen tradiert werden kann. Die ,Neue Philosophie‘ weiß sich in der Entdeckung des Neuen der Tradition verbunden und verpflichtet, womit sie eine Position zwischen Tradition und Traditionsbruch einnimmt. Sie bricht mit der Tradition, um die Tradition allererst tradieren, d.h. be-wahr-en, zu können. Die Neuschreibung der bisherigen gesamten Philosophiegeschichte aus der Perspektive der ,Neuen Philosophie‘ heraus ermöglicht allererst die Bewahrung und die Tradierung des wertvollen Gedankenguts, das uns die Philosophen als Erbe vermacht haben. Diese Lebensaufgabe ist unserem Leben als Gabe auferlegt. Vor diesem Hintergrund spreche ich daher auch von der traditionslosen Tradition in der die ,Neue Philosophie‘ steht. Doch, können wir hier überhaupt noch von einer ,Philosophie‘ sprechen? Da diese traditionslose-traditionelle Philosophie mit allen Philosophien bricht, da sie alle übersteigt (transzendiert) und zugleich auch allen zugrunde liegt (subzendiert), so daß sie keiner insbesondere zukommt, können wir nicht mehr von einer ,Philosophie‘ sprechen. Sie ist gerade dadurch gekennzeichnet, daß sie sich von allen Philosophien befreit und sich von ihnen abgrenzt, aber sie zugleich in ihr eigenes Denken zu integrieren und zu bewahren weiß. Exklusion und Inklusion sind die Qualia dieser ,Neuen und Wahren Philosophie‘, die ich darum auch die philosophielose Philosophie nennen möchte.297 Bevor wir in das Wesen dieser philosophielosen Philosophie in immer höheren Tiefen und in immer tieferen Höhen eindringen können, müssen wir zunächst das Ge-wesen-e in Frage stellen, von dem sie sich bewahrend distanzieren möchte: Können wir heute noch so wie Kant, Fichte, Schelling und Hegel philosophieren und alles Mannigfaltige in einem gewaltigen Absoluten System integrieren? Werden wir damit dem Widerspruch und der Differenz 297
„A philosophy that is not a philosophy“. Vgl. hierzu: TANABE, H., 1986, S. X.
108
wirklich gerecht? Müssen wir diesen gewaltigen und autoritären Absoluten Systementwürfen nicht gerade die Unfreiheit des Einzelnen und sogar die Nichtung desselben in Rechnung stellen, obwohl diese das Einzelne bzw. das Singulum immer bedacht zu haben glauben? Werden wir hingegen der identitären Absoluten Systematik wirklich gerecht, wenn wir dem Widerspruch und der Differenz den Vorrang einräumen, so wie dies Nietzsche, Derrida, Foucault, Welsch u.a. tun? Sind diese Absoluten Differenzphilosophien heute noch zeitgemäß? Haben wir sie nicht bereits heute schon längst überwunden? Trotz der weiterhin anhaltenden starken Rezeption der französischen Absoluten Differenzphilosophie à la Derrida bspw. in der Deutschen Philologie, gibt es bereits eine Gegenströmung, die den ,toten Autor‘ und das ,tote Subjekt‘ reanimieren will.298 Dies zeugt meines Erachtens davon, daß im Grunde die beiden sich einander feindlich gegenüberstehenden Grundmodelle – auf der einen Seite die Identität und das Systemdenken, auf der anderen Seite der Widerspruch und das Differenzdenken – in ihrer verabsolutierenden Einseitigkeit Relikte aus alten Zeiten darstellen. Mit anderen Worten: Beide – Identität und Widerspruch – sind heute nicht mehr zeitgemäß. Die ,Neue und Wahre Philosophie‘ bricht jedoch nicht nur bewahrend mit der Tradition und allen bestehenden Philosophien, sondern auch mit der Kultur bzw. den Kulturen. Sie ist weder morgenländisch, noch abendländisch, sondern versucht vielmehr beide zu subtranszendieren. Sie kommt keiner Kultur insbesondere zu, sondern bildet vielmehr den grundlosen Grund aller Kulturen. Diese grundlos-gründige Kultur, die alle mannigfaltigen Kulturen zu umfassen vermag, ist also vielmehr durch Kulturlosigkeit gekennzeichnet. Ich spreche daher auch von der kulturlosen Kultur. Fassen wir zusammen: Die ,Neue und Wahre Philosophie‘ ist eine philosophielose Philosophie zwischen Tradition und Traditionsbruch, Kulturlosigkeit und Kulturalität. Die paradoxale Verschränkung der Extrema soll uns in unserer Rede auf das Unaussprechliche hinweisen, das sich unserer Rede beständig entzieht und doch zugleich auch immer anwesend ist. Worin besteht nun der Unterschied zur ,Negativen Theologie‘? Im Gegensatz zur Negativen Theologie werden wir nicht zum demütigen Schweigen über das absolut Eine aufgefordert, sondern müssen gerade sprechen. Gerade in unserer Rede offenbart sich das Unaussprechliche und nicht im Schweigen bzw. in der Enthaltung der Worte. Wir müssen die Töne zum Klingen bringen, um in ihnen die Stille vernehmen zu können. Die ,Neue und Wahre Philosophie‘ ist also keine Negative Theologie, sondern eine Negative Theologie, die mit der Positiven Theologie, so wie die Position Tanabes mit der Position Nishitanis, paradoxal
298
Vgl. JANNIDIS, Fotis u.a. (Hg.), 1999 und BURKE, Seán, 1992.
109
verschränkt ist. Anders als in einer paradoxalen Formulierung oder in einem Bild, wie in dem folgenden Koân, können wir dies nicht fassen: „Ein Mönch fragte einst Meister Fuketsu: Das Sprechen verdirbt die Transzendenz, während das Schweigen die Manifestation [des Erscheinenden] verdirbt. Wie könnte man das Sprechen mit dem Schweigen vereinigen, ohne die Realität zu verderben? – Der Meister antwortete: Ich erinnere mich immer an die Frühlingslandschaft, die ich einst in Konan sah. Die Rebhühner riefen inmitten duftender Blumen in voller Blüte.“299 Damit haben wir nun den groben Umriß der ,Neuen und Wahren Philosophie‘ in den Grundzügen skizziert. Wie ein Künstler, der nach einer groben Skizze Schritt für Schritt die Feinheiten und Details bis ins Kleinste herausarbeitet, müssen wir nun der philosophielosen Philosophie Form verleihen. Begeben wir uns nun gemeinsam nach diesen einleitenden Worten auf den Weg zur philosophielosen Philosophie als dem ,Absoluten systemlosen System‘ zwischen Tradition und Traditionsbruch und vollenden das unvollendbare Kunstwerk.
5.1 DAS STERBENDE LEBEN UND DER LEBENDE TOD Ausgehend von einem Satz des japanischen Zen-Meisters Kwansan-Egen aus dem 14. Jahrhundert möchte ich mit Ihnen gemeinsam nun den Weg zur philosophielosen Philosophie als dem ,Absoluten systemlosen System‘ Schritt für Schritt beschreiten und der groben Skizze feine Linienzüge verleihen. Kwansan-Egen sagt: „In mir gibt es kein Leben und keinen Tod.“ Dieser Satz erscheint uns auf den ersten Blick etwas merkwürdig. Da jedes Lebewesen, das auf der Erde lebt, irgendwann stirbt, so muß auch Kwansan-Egen, der doch diesen Satz als ein Lebender gerade in diesem Moment seines eigenen Lebens ausspricht, leben und doch auch irgendwann, wenn für ihn die Zeit gekommen ist, sterben. Dies scheint der Satz offensichtlich zu negieren. Weder lebt Kwansan-Egen, noch ist er tot. Der Satz würde Sinn machen, wenn wir an Heilige, Erwachte (Buddha) oder an Gott selbst denken, denen weder Leben (shô 生), noch Tod (shi 死) zukommt, da sie ewig sind und alles Zeitliche transzendieren. Da das Leben und der Tod von der zeitlichen Endlichkeit des Menschen zeugt, kann es der heiligen oder göttlichen Ewigkeit in keiner Weise zukommen. Doch, ist Kwansan-Egen heilig oder sogar göttlich? Nein. Wir würden Kwansan-Egen vollkommen mißverstehen, wenn wir ihn in eine uns vollkommen unzugängliche und ferne Transzendenz rücken 299
Vgl. OSHIMA Yoshika, 1985, S. 85.
110
würden (Negative Theologie). Ebenso würden wir ihn vollkommen mißverstehen, wenn wir den Satz im Sinne einer logischen bzw. ontologischen Relativität von Leben und Tod verstehen: Er bedeutet keine ,logische Relativität‘, „als bestünde kein wesentlicher Unterschied zwischen Leben und Tod und als seien beide nur relativ, für sich aber nicht, insofern das Leben und seine Negation, der Tod, als Prädikate zu ein und demselben Subjekt gehören.“300 Auch bedeutet der Satz keine ,ontologische Relativität‘ in dem Sinne, daß das Leben und der Tod, […], als Vorder- und Rückseite des Lebens im weiteren Sinne, d.h. des Seins gelten und beide je für sich in Wahrheit wiederum nichts sind.“301 Er möchte uns mit dem Satz vielmehr die diesseitig-jenseitige bzw. jenseitig-diesseitige Struktur unseres Daseins vor Augen führen, das sowohl durch das Leben, als auch durch den Tod gekennzeichnet ist. Beide stehen sich nicht wie zwei Absoluta gegenüber, sondern sind in jedem Augenblick unseres Daseins wie zwei Liebende innig ineinander verschmolzen und bleiben doch auch zwei Selbständige. „Erst wenn das Leben sich darin gewahrt, daß seine unmittelbare Affirmation ständig seiner Negation, dem Tode, ausgesetzt werden muß, und wenn es dahin gelangt, den Tod willig in sich zu bejahen, läßt dieser das von ihm vermittelte, auferstandene Leben als Negation der Negation sich in sich beruhigen. Auf solche Weise läßt der ständige Umschlag von Leben und Tod, in dem wir sterbend leben, sich beide derart ineinander verflechten, daß der Tod zur spannenden Bewegkraft für die jeweilige handelnde Selbstgewahrnis des Lebens wird. So wird die Angst vor dem Tode zur Ruhe des Lebens gewandelt, und der Schmerz des Todes vereinigt sich in der entschlossenen Selbstgewahrnis mit der Freude des Lebens.“302 Hiermit ist nun deutlich geworden, daß wir in jedem Moment, in dem wir leben, zugleich sterben und umgekehrt. Wir sterben unser gesamtes Leben, so wie wir unseren Tod in jedem Augenblick leben. Dieser Gedanke erscheint uns Europäern zunächst sehr fremd, da wir immer strikt zwischen dem Leben, dem Tod und dem ewigen Leben nach dem Tod unterscheiden. Hier im Zen-Buddhismus wird vielmehr die innere und immerwährende Verflechtung von Leben und Tod betont, wobei gerade sie die Voraussetzung für die Selbständigkeit beider Relata darstellt. Im selben Moment, wo wir leben, sterben wir. In jedem Augenblick, wo wir sterben, leben wir. Dieses absolute unendliche Zugleich von Leben und Tod macht die Grundstruktur unseres menschlichen Daseins aus. Dieser Gedanke ist im Grunde auch dem Christen300 301 302
Vgl. TANABE H., Todesdialektik, S. 112. Ebd. S. 112. Ebd. S. 112–113.
111
tum nicht fremd, was meines Erachtens im Kapitel 16 Vers 25 des MatthäusEvangeliums deutlich zur Sprache gebracht wird:303 „Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.“ Nur der, der sein Leben aufgibt und den Tod mit allen Kräften absolut bejaht, kann es gewinnen. Nur der, der den ,Großen Tod‘ stirbt (wie es im Buddhismus heißt), kann das Leben gewinnen.304 Heißt dies etwa, daß wir zum Selbstmord (Suizid) aufgefordert werden? Nein, dieser ist nicht genug. Warum? Derjenige, der Selbstmord begeht, tut dies aus einer zutiefst inneren Ver-zweifel-ung heraus, die ihm keine andere Möglichkeit bietet, als sich für immer auszulöschen. Dieses Individuum hat eine Idealvorstellung vom Leben auf der Erde, die mit der momentanen Realität in keiner Weise koinzidiert. Diese Kluft zwischen Idealität und Realität treibt das zutiefst verzweifelte Individuum in den Freitod bzw. in die Selbstnichtung seiner selbst. Ist das Individuum dann den ,Großen Tod‘ gestorben? Nein, denn das Individuum darf nicht einfach den Tod sterben, sondern muß ihn leben. Der Tod muß gelebt werden und zugleich muß das Leben getötet werden. Der Selbstmord als Flucht vor dem Leben kommt der einfachen Negation, der ,Große Tod‘ vielmehr der Negation der Negation gleich, auf die es hier ankommt. Im Buddhismus muß das Rad des ewigen Kreislaufs von Leben und Tod im Selbsterwachen (satori 悟 り ) durchbrochen werden. Würde ein Mensch Selbstmord begehen, so würde er nach seinem Freitod in der leidvollen Welt wiedergeboren werden und der Mensch wäre weiterhin an das Rad des ewigen Kreislaufs gefesselt. Im Christentum steht Jesus Christus nach dem Tod am Kreuz auf und versöhnt sich mit dem Vater im Heiligen Geist (spekulative Karfreitag)305. Wir sehen, daß es in beiden Religionen die Negation der Negation ist, auf die es ankommt. Der Selbstmord wäre nicht genug, da dieser nur einen Akt der Ver-zweifel-ung darstellt, der nicht an sich selbst ver-zweifel-t und aus dem somit nichts gewonnen werden kann. Descartes mußte zunächst an allem verzweifel-n, um anschließend alles zurückgewinnen zu können. Husserl radikalisierte Descartes’ Zweifel, indem er noch an der Welt selbst ver-zweifelt-e. Jedoch ver-zweifel-ten beide nicht vollkommen, da sie beide das ,Ego cogito‘ bzw. das ,transzendentale Ego‘ nicht in Frage gestellt haben. Der Zweifel muß selbst noch an sich selbst verzweifeln, um in die Gewißheit seiner selbst umschlagen zu können. Ich denke, daß gerade darin im Verzweifeln des Zweifels das philosophielose Philosophieren besteht. Descartes und Husserl müssen 303 304
305
Ferner: Mt 10, 39; 23, 12; Lk 9, 24; 14, 11; 17, 33; 18, 14. In Anlehnung an das berühmt gewordene Diktum von Karl Marx läßt sich sagen: ,Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt allerdings vielmehr darauf an sie sterbend zu leben und sie lebend zu sterben.’ Vgl. HEGEL, Glauben und Wissen, 2, S. 432.
112
wie die beiden Weltreligionen – Christentum und Buddhismus – selbst noch am Zweifel verzweifeln, um alles gewinnen zu können. Auch das Selbst muß (wie die beiden obigen Zitate zeigen) ausgelöscht werden, um als das wahre Selbst, das durch seine Selbstnegation hindurchgegangen ist, neu geboren werden zu können. Das wahre Selbst ist das durch die Selbstnegation geläuterte und bekehrte Selbst, das mit dem ursprünglichen und unmittelbaren Selbst in keiner Weise verwechselt werden darf. Dieses wahre Selbst ist das selbstlose Selbst, das das Fundament für einen interreligiösen Dialog zwischen Christentum und Buddhismus darstellt. Leider kann ich an dieser Stelle nicht genauer auf die Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zwischen diesen beiden Religionen eingehen, was eine eigene Abhandlung erfordern würde. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß die Religionen der Mannigfaltigkeit zum Trotz viele Gemeinsamkeiten aufzuweisen haben, worin ewige-augenblickliche Wahrheiten der Welt-Menschheit formuliert sind und zum Ausdruck kommen.306 Kehren wir nun nach diesen Überlegungen zu unserem eigentlichen Thema zurück. Was haben diese Ausführungen über das Verhältnis von Leben und Tod mit der philosophielosen Philosophie als dem ,Absoluten systemlosen System‘ zwischen Tradition und Traditionsbruch zu tun? Geben sie uns ein verstecktes Zeichen oder einen verborgenen Hinweis?
5.2 DAS ABSOLUTE SYSTEMLOSE SYSTEM UND DIE INFINITOLEKTIK Der Satz des Zen-Meisters Kwansan-Egen aus dem 14. Jahrhundert führt uns das Verhältnis zwischen der Identität und dem Widerspruch bzw. den Absoluten Systemdenkern und den Absoluten Antisystematikern deutlich vor Augen. Wir brauchen unsere obigen Ergebnisse nur noch auf unsere Problematik zu übertragen, womit sich uns dann ein ,Neuer und Wahrer Horizont‘ in unserem Denken offenbart. So, wie Leben und Tod wie zwei Liebende innig ineinander verschlungen und verschmolzen sind und doch auch zwei Selbständige bleiben, so sind die Identität und der Widerspruch bzw. die Absoluten Systementwürfe von Kant bis Hegel und die Absoluten Differenzphilosophien von Nietzsche bis Derrida eng miteinander verflochten, ohne sich logisch oder ontologisch zu relativieren und sich in Nichts aufzulösen. Beide Seiten implizieren sich in einem absoluten infiniten Prozeß wechselseitig: Die absolut-systematische Identität ist nicht ohne den absolut-systemlosen Widerspruch denkbar, so wie der absolut-systemlose Widerspruch ohne die absolut-systematische 306
Vgl. hierzu: H. WALDENFELS, 1976, M. SHIMIZU, 1981 und J. FIGL, 1993.
113
Identität unvorstellbar ist. Die absolut-systematische Identität nimmt also in jedem Augenblick, so wie das Leben den Tod, den absolut-systemlosen Widerspruch immer schon in Gebrauch. Gleiches gilt umgekehrt. Der absolutsystemlose Widerspruch nimmt in jedem Augenblick, so wie der Tod das Leben, die absolut-systematische Identität in Gebrauch. Aus diesem Grunde muß die philosophielose Philosophie, um einen Bestand aus sich heraus haben und sich vor der relativen Selbstnichtung bewahren zu können, beiden Seiten Rechnung tragen, ohne eine Seite auf die andere zu reduzieren. Wie kann sie das? Dies kann sie nur im ,Absoluten systemlosen System‘ (zettai muhôshiki no hôshiki 絶対無方式の方式), das beide Seiten ,medialektisch‘ bzw. ,infinitolektisch‘ miteinander zu versöhnen und zu vermitteln vermag.307 Ich spreche hier nicht von einer ontologischen Dialektik im Sinne Platons, einer Dialektik im Sinne einer ,Logik des Scheins‘ wie bei Kant oder von einer Geistdialektik im Hegelschen Sinne, auch meine ich keine Schellingsche Identitätsdialektik, die Absolute Dialektik im Sinne Nishidas (Ortlogik) oder Tanabes (Logik der Spezies). Die ,Infinitolektik‘ (,Medialektik‘) ist weder eine Onto-Logik oder eine ,Logik des Scheins‘, noch die Grundstruktur des Geistes, der Absoluten Identität, des Ortes oder der Spezies. Sie ist sehr viel mehr und zugleich sehr viel weniger als das. Einerseits transzendiert sie die Begriffsphilosophien und die Logiken, andererseits subzendiert sie sie zugleich. Das heißt, sie übersteigt sie und liegt diesen auch zugleich grundlos zu Grunde. Die ,Infinitolektik‘ hat sich nicht nur von den subjektiven Vereinseitigungen des Idealismus, sondern auch von der subjektiven Vereinseitigung in der höchsten Instanz der Ortlogik und der Spezieslogik befreit, womit auch die ,Logik des soku-hi‘ zu Grunde gebracht und überwunden ist. Auch die Ort- und die Spezieslogik bleiben letztlich leider subjektiv und vermögen trotz aller Kritik sich nicht von der Subjektivität zu befreien, da sie an der Rationalität der Logik und aller Philosophie festhalten. Um sich von dieser letzten Verhaftung an der Subjektivität zu lösen, ist es notwendig, sich der Welt bzw. den Welten stärker zuzuwenden, als dies die Ort- und die Spezieslogik tut. Aus diesem Grunde spreche ich hier auch von einer Welten-Logik, die auch die letzte Subjektivität zu durchbrechen vermag, aber auch empfänglich für die Gnade ist, die uns aus Liebe als ein Geschenk gereicht wird, die wir in zutiefst höchster Dankbarkeit, Demut und Ergebenheit annehmen. Diese Momente der größten Verzückung und Liebe rühren den nichtigen Menschen zu Tränen und lassen ihn zugleich das größte
307
Zur Problematik des ,Systemgedankens’ möchte ich Sie auf meine eigene Abhandlung verweisen, wo ich bereits die Idee eines ,Absoluten systemlosen Systems’ als die wahre und einzige Form aller Philosophie erkannt und antizipiert hatte, die sowohl der Einheit, als auch der Vielheit Rechnung zu tragen versucht: Verf., 2004, S. 80–84.
114
Glück erfahren, das dem Menschen in dieser Welt überhaupt zu Teil werden kann. Wir erfahren solche Momente und ich bin mir sicher, daß jeder solche Momente schon erfahren hat, meistens nur in besonderen Situationen, wo wir für sie besonders empfänglich und nicht mit vielerlei Dingen beschäftigt und zerstreut sind, obwohl sie eigentlich die Grundstruktur unseres alltäglichen Daseins bilden. Damit stellt sich nun die Frage nach dem absolut unhintergehbaren ,grundlosen Grund‘308 der ,Welten-Logik‘ als eines Absoluten systemlosen Systems im jenseitigen Diesseits von Subjekt und Objekt, Identität und Widerspruch, Aktivität und Passivität, West und Ost. Was ist dieser ,grundlose Grund‘, der uns solche Momente des zutiefst höchsten Glücks aus Liebe erfahren läßt?
5.3 DER INFINITOLOGISCHE GOTTESERWEIS Wie bereits erwähnt, implizieren sich die beiden Relata – Identität und Widerspruch bzw. System und Systemlosigkeit – in einem absolut infiniten bzw. infinitolektischen Prozeß, der nicht beide in Nichts auflöst, sondern ganz im Gegenteil beide allererst konstituiert. Da die Infinitheit nur vor dem Hintergrund der Finitheit und die Finitheit nur vor dem Hintergrund der Infinitheit denkbar ist, da sie das jeweils Andere immer schon in Gebrauch nehmen, implizieren sich beide Relata in einem absolut infinitolektischen Prozeß. Das läßt sich auch infinitolektisch formulieren: Die Infinitheit ist also genau dann infinit, wenn sie finit ist. Die Finitheit ist genau dann finit, wenn sie infinit ist: Infinitheit – inf. – Finitheit, Finitheit – inf. – Infinitheit. Da sich beide Relata – die Infinitheit und die Finitheit – in einem wiederum infiniten bzw. infinitolektischen Prozeß implizieren und so ad infinitum, so ist die Infinitheit in ihrer absoluten Unhintergehbarkeit erwiesen. Die Infinitheit ist selbst absolut infinit, da sie finit ist. Q.e.d Damit haben wir die Infinitheit als den grundlosen Grund des Absoluten systemlosen Systems in ihrer absoluten Unhintergehbarkeit infinitolektisch erwiesen, womit die Infinitheit einen absoluten Status erhält und wir auch von
308
Ich spreche hier vom ,grundlosen Grund’, da der Grund des systemlosen Systems absolut unhintergehbar und somit selbst grundlos ist. Diesen Gedanken findet man bereits bei Martin Heidegger. Vgl. hierzu: Martin Heidegger, Der Satz vom Grund, in: Martin Heidegger – Gesamtausgabe, 1. Abt. Bd. 10, Frankfurt/M. 1997.
115
der Absoluten Infinitheit309 sprechen können. Da die Absolute Infinitheit nichts anderes als das ,liebende und wahre Wesen Gottes’ bzw. den ,gottlosen Gott’ (mukami no kami 無神の神)310 bezeichnet, kann an dieser Stelle auch vom infinitologischen Gotteserweis gesprochen werden. Ich spreche hier von einem Erweis und nicht von einem Be-weis Gottes, da mit dem Terminus Erweis die absolut infinite bzw. infinitolektische Prozessualität, die beide Relata allererst konstituiert, so stärker und deutlicher zum Ausdruck gebracht wird, als es der Begriff ,Be-weis‘ tut. Dieser impliziert vielmehr eine ewige, unveränderliche und statische Wahrheit, die im logischen und begrifflichen Denken ihren Platz hat. Wir befinden uns hier aber in einer Sphäre, die das logische und begriffliche Denken subtranszendiert hat und nicht mehr mittels Be-weisen und kohärenten Aussagesystemen erfaßt werden kann. Da die gegenwärtige Philosophie das kohärente Denken nicht in Frage stellt, jagt sie einem Schatten hinterher, den sie für wahr hält. Die gegenwärtige Philosophie muß sich vielmehr von diesem Trugbild befreien und sich in die tiefsten Höhen und in die höchsten Tiefen der Absoluten Infinitheit aufschwingen. Denn nur dort kann die Neue Wahrheit gefunden werden, die so alt wie die Weltmenschheit selbst ist. Der Leser bzw. die Leserin mag nun den Einwand erheben, daß der infinitologische Gotteserweis doch ein theoretischer ist und innerhalb der Theorie vollzogen wird, die doch vielmehr subtranszendiert werden soll. Diesen Einwand möchte ich folgendermaßen antizipierend entkräften: Der ,infinitologische Gotteserweis‘ darf nicht ausschließlich theoretisch verstanden werden, sondern vollzieht sich in jedem Augenblick und an jedem Ort in unserem Dasein. Der Ort dieser natürlichen Spiritualität bzw. der spirituellen Natur311 ist daher die Sakrale Alltäglichkeit, wo Transzendenz und Immanenz infinitolektisch miteinander vermittelt sind. Den infinitologischen Gotteserweis habe ich Ihnen zunächst rein theoretisch dargestellt, da wir uns ja in der Philosophie befinden, wo rational argumentiert und begründet wird. Da man den Menschen dort abholen muß, wo er sich befindet, sah ich mich gezwungen, den infinitologischen Gotteserweis rational und theoretisch darzulegen. Wenn man mit einem Menschen sprechen möchte, so muß man in seiner Sprache sprechen, damit er den Sprechenden verstehen kann. Aber im Grunde verfehlt diese rein theoretische Darstellung die Sache, worauf ich an
309
310 311
„On the matter of absolute infinity, I find myself dissatisfied with Hegel’s absolute spirit, as well as with the Buddhist theory of nothingness and even Nishida’s ‘self-awareness of absolute nothingness’ in pursuit of absolute infinity; as for the finite individual, not even Heidegger’s way of thinking will do.“ Takahashi Satomi in: NISHITANI K., 1991, S. 205. „Gott ist Gott, wenn Gott nicht Gott ist.“ Vgl. SUZUKI D.T., 2003, S. 13. Diese natürliche Spiritualität und die spirituelle Natur, wo die Transzendenz und die Immanenz sich wechselseitig infinitolektisch vermitteln, wird beispielsweise in der Architektur von ANDO T., 1990 eindrücklich zum Ausdruck gebracht.
116
dieser Stelle hinweisen möchte. Natürlich muß man zunächst die Begriffe verstehen, aber dann geht es um den Nachvollzug des eigenen individuellen Lebens, worauf es eigentlich ankommt. Der gottlose Gott (Absolute Infinitheit) erweist sich uns zu jeder Zeit und überall liebend und kann von jedem konkret in seinem Leben erfahren werden. Ohne diese Absolute Infinitheit gäbe es weder uns, noch die Dinge um uns herum, weder die Identität, noch den Widerspruch, weder eine Absolute Systematik, noch eine Absolute Systemlosigkeit, weder das Leben, noch den Tod. Die Absolute Infinitheit läßt als der grundlose Grund des Absoluten systemlosen Systems in ihrer Liebe Alles so sein, wie es ist. Sie allein stellt das rechte Maß bzw. das liebende Band zwischen den falschen Extrema – Logik und Welt – her, womit die Welt vor einer falschen Logifizierung und die Logik vor einer falschen Naturalisierung bewahrt wird. Sowenig wie die Welt auf die Logik reduziert werden darf, so wie dies Nishida in der Aufstellung seiner Ortlogik tat, sowenig darf die Logik auf die Welt reduziert werden. Zwischen Logik und Welt besteht vielmehr ein infinitolektisches Verhältnis, wo sich Welt und Logik auf eine absolut unendliche Weise durchdringen und doch die Welt Welt und die Logik Logik bleibt. Nur auf diese Weise können wir das Böse in der Welt verstehen, wo sich die Absolute Infinitheit als der gottlose Gott der Welt und somit sich selbst fremd gegenübersteht. Würde Gott die Welt (wie in Nishidas Ortlogik) in sich selbst finden, dann wäre das Böse seiner Radikalität und seines Selbststandes beraubt. Das Böse wäre dann nicht mehr als ein gefallener Engel, womit das Böse seines Stachels beraubt wäre. Diese Infinitolektik zwischen Logik und Welt zeigt sich ganz besonders auch in der japanischen Sprache sowie auch in der chinesischen Sprache. Beide Sprachen können daher als die Sprache der Absoluten Infinitheit bzw. der Liebe verstanden werden, wo nicht die sprachlichen Zeichen die Bedeutung substantialistisch bestimmen, sondern wo sich der Kontext als die mittelose Mitte zwischen den Zeichen als bedeutend erweist.312 Dies kann ich hier leider nicht näher ausführen, da dies eine detaillierte Darstellung der Besonderheiten der japanischen bzw. der chinesischen Sprache zur Folge haben würde. Nach den obigen Überlegungen, denke ich, wird uns nun der Satz des Zen-Meisters Kwansan-Egens aus dem 14. Jahrhundert allererst begreiflich: „In mir gibt es kein Leben und keinen Tod.“ Damit haben wir nun das Kunstwerk vollendet, das im Grunde niemals vollendet werden kann. Der Sieg und das Scheitern durchdringen sich auf eine absolut unendliche Weise. Die Kritik der Absoluten Infinitheit ist darum eine absolut infinite Kritik an aller bisherigen Philosophie, wie auch an sich selbst, die an ihrem eigenen Sieg scheitert und ihr Scheitern triumphierend feiert. Fassen wir nun in einem kleinen Ausblick unsere Ergebnisse zusam312
Vgl. R. ELBERFELD, 2004, S. 85–120 und RYOGI Okochi, 1995, S. 32–46.
117
men, die wir auf unserem Weg zum ,Absoluten systemlosen System‘ Schritt für Schritt gewonnen haben.
5.4 ABSOLUTE INFINITHEIT – INF. – LIEBE, LIEBE – INF. – ABSOLUTE INFINITHEIT Was war unsere Ausgangsfrage? Was für Ergebnisse haben wir gewonnen? Nach einer sehr allgemeinen Skizze der ‚Neuen und Wahren Philosophie‘ als einer philosophielosen Philosophie zwischen Tradition und Traditionsbruch bzw. Kultur und Kulturlosigkeit folgten detaillierte Ausführungen zum Themenkomplex ‚Leben und Tod‘. Ausgehend von einem Satz von KwansanEgen aus dem 14. Jahrhundert und in Bezugnahme auf das Neue Testament wurde das Verhältnis von Leben und Tod als ein Verhältnis der Liebe gekennzeichnet: Leben-Liebe-Tod, Tod-Liebe-Leben (shô-ai-shi, shi-ai-shô 生愛死 , 死愛 生), wobei der Eros zugleich die Agape und die Agape zugleich der Eros ist: Eros-inf.-Agape, Agape-inf.-Eros.313 Leben und Tod sind wie zwei Liebende ineinander verschmolzen und bleiben doch auch als zwei Selbständige bestehen. Gerade in der Selbstaufgabe an den geliebten Anderen wird das eigene wahre Selbst gewonnen. Dieses ist das durch die Selbstnegation hindurchgegangene, geläuterte und bekehrte Selbst, das den ,Großen Tod‘ gestorben ist. Auf die Negation der Negation kam es hier an. So wie das Verhältnis von Leben und Tod als ein Verhältnis der Liebe aufgefaßt werden kann, so kann das Verhältnis von Monismus und Pluralismus bzw. Absolutem System und Absoluter Systemlosigkeit als ein ebensolches verstanden werden. Die ,Neue und Wahre Philosophie‘ wird als ,Absolutes systemloses System‘ auftreten können, das beiden feindlichen Seiten, auf der einen Seite der Identität und dem Absoluten Systemdenken, auf der anderen Seite dem Widerspruch und der Absoluten Systemlosigkeit in infinitolektischer Weise Rechnung zu tragen vermag. Zwischen den Extrema vermittelt die Absolute Infinitheit, die sich in ihrer absoluten Unhintergehbarkeit in jedem Augenblick unseres Daseins liebend erweist. Da die Absolute Infinitheit nichts anderes als das wahre Wesen Gottes bzw. den gottlosen Gott bezeichnet, spreche ich auch vom ,infinitologischen Gotteserweis‘. Der gottlose Gott als die absolut unhintergehbare Absolute Infinitheit versöhnt die beiden feindlichen Seiten miteinander, die sich leider noch heute feindlich gegenüberstehen und von den gegenwärtigen Philosophen in ihrem Streit belassen werden. Mein Versuch war es daher, wie Platon, Kant, Hegel, u.a., es auch taten, den Weg zum ,Absoluten systemlosen System‘ aufzuzeigen, wo beide Seiten miteinander vermittelt und doch auch in ihrer Eigenständigkeit belas313
Vgl. NISHITANI K., 2001, S. 182–183 und J. B. LOTZ, 1979.
118
sen werden. Es stellte sich heraus, daß das Band der Liebe die absolut unhintergehbare Absolute Infinitheit bzw. der gottlose Gott ist, der Alles um uns herum und auch uns selbst allererst existieren läßt. Das Absolute systemlose System ist also keine bloße und reine Theorie, sondern kann von jedem überall und zu jeder Zeit konkret erfahren werden. Mit anderen Worten: Das Absolute systemlose System stellt die ungründige (grundlos-gründige) Struktur unseres alltäglichen Daseins dar, wo sich uns die Absolute Infinitheit bzw. der gottlose Gott liebend erweist. Es ist sowohl identisch, als auch widersprüchlich, sowohl absolut systematisch, als auch absolut unsystematisch, sowohl durch das Leben, als auch zugleich durch den Tod gekennzeichnet. Vor diesem Hintergrund wurden uns dann die Worte des Zen-Meisters Kwansan-Egen aus dem 14. Jahrhundert allererst begreiflich, der mit dem Satz ,In mir gibt es kein Leben und keinen Tod‘ bereits auf das Absolute systemlose System als grundlos-gründige Struktur unseres Daseins hingewiesen hatte. In gleicher Weise mußten die Worte aus dem Neuen Testament ,Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden‘ verstanden werden, womit das Absolute systemlose System zwischen Kulturalität und Kulturlosigkeit deutlich zum Ausdruck kam. Da das Absolute systemlose System zwischen Kulturalität und Kulturlosigkeit bzw. Tradition und Traditionsbruch nichts anderes als die richtige Mitte zwischen den falschen Extrema sucht, was die Philosophie seit alters her immer versucht hat, ist dieser Grundgedanke, der so simpel und doch auch so genial ist, nichts Neues. Gerade im Neuen liegt, wie ich bereits ausführte, die Tradierung des Alten, so wie umgekehrt gerade im tradierten Alten der Ursprung des Neuen verborgen liegt. Die Philosophie der Zukunft spiegelt also die Philosophie der vergangenen Epochen in sich wider und inkludiert sie. Da es gemäß dem Diktum Spaemanns in der Philosophie im Grunde nichts wirklich Neues gibt, und wenn doch, dieses gewiß falsch ist, können wir uns mit dem Absoluten systemlosen System zwischen Tradition und Traditionsbruch auf dem richtigen Weg glauben, da wir in der Neuen Philosophie auf alttradierten Pfaden wandeln. Diese philosophielose Philosophie der Liebe, wie sie bereits Tanabe Hajime in seiner Spätphilosophie klar gesehen und erkannt hatte, können wir in folgende Formel fassen: Absolute Infinitheit – inf. – Liebe, Liebe – inf. – Absolute Infinitheit. (zettai mugen-mugen-ai, ai-mugen-zettai mugen 絶対無限無限愛、 愛無限絶対無限)
119
5.5 DIE INFINITOLEKTISCHE ETHIK ALS EINE ETHIKLOSE ETHIK Nachdem nun die philosophielose Philosophie der Liebe als Kritik der Absoluten Infinitheit in ihren Grundzügen skizziert wurde, müssen wir nun fragen, wie eine aus ihr folgende Ethik aussehen könnte. Was ist eine philosophielose Philosophie wert, wenn sie zu keiner Ethik führt? Da die philosophielose Philosophie den Anspruch erhebt, alle Bereiche zu subtranszendieren, muß sie auch die Frage nach einer Ethik beantworten können. Fragen wir uns also nun: Wie sieht die infinitolektische Ethik der philosophielosen Philosophie der Liebe aus? Wir sahen, daß die Absolute Infinitheit als der gottlose Gott sich in allen Dingen, an allen Orten zu jeder Zeit liebend erweist und alles so sein läßt wie es ist: Eros-inf.-Agape, Agape-inf.-Eros. Da der Mensch und alles um ihn herum nur vor dem Hintergrund der Absoluten Infinitheit bzw. der absolut unendlichen Liebe des gottlosen Gottes besteht, so sind wir Ausdruck der Absoluten Infinitheit und als ein „Ebenbild“314 des gottlosen Gottes erschaffen. So wie sich der gottlose Gott uns liebend erweist, müssen wir uns unseren Nächsten, sei es Mensch, Tier oder Pflanze, liebend erweisen. Nur, wenn wir uns in der Nächstenliebe uns liebend an den anderen verlieren, können wir uns in der Selbstliebe allererst liebend gewinnen. Erst im aufrichtigen Respekt gegenüber dem Anderen, können wir uns selbst aufrichtig zu respektieren lernen. Da die Absolute Infinitheit-inf.-Liebe bzw. die Liebe-inf.-Absolute Infinitheit ist, muß die Nächstenliebe, die zugleich Selbstliebe ist, zum grundlosen Grund einer infinitolektischen Ethik gemacht werden. Diese ist dadurch gekennzeichnet, daß sie weder eine an der einzelnen Subjektivität orientierte Ethik ist, so wie dies die geläufigen Ethik-Modelle im Abendland sind (wie bspw. die Pflicht-, die Tugend- oder die utilitaristische Ethik), noch eine ausschließlich an der Allgemeinheit orientierte Korrespondenzethik ist, wie wir sie bspw. im morgenländischen Konfuzianismus ausgeführt finden.315 Im ersten Fall können wir auch von einer ,Ethik des Einzelnen‘ sprechen, wo gefragt wird, wie der Einzelne richtig handeln soll. Im zweiten Fall können wir hingegen auch von einer ,Ethik des Allgemeinen‘ sprechen, wo das richtige Handeln für die Allgemeinheit im Vordergrund steht. Da die infinitolektische Ethik alle diese Ethiken – die abend- und die morgenländische Ethik – zu subtranszendieren versucht, sich keiner insbesondere verbunden fühlt und doch an allen gleichermaßen partizipiert, kann auch von einer ethiklosen Ethik gesprochen werden, die die Nächstenliebe-inf.-Selbstliebe bzw. die Selbstliebeinf.-Nächstenliebe als die abwesende Präsenz der Absoluten Infinitheit bzw. 314 315
Gen 1, 27: „Und Gott [der wahre bzw. der gottlose Gott; M. S. H.] schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib.“ Vgl. R. ELBERFELD, 1999, S. 25–38.
120
des gottlosen Gottes im jenseitigen Diesseits bzw. des diesseitigen Jenseits versteht. In diesem Sinne müssen auch die Worte im Levitikus 19, 18 verstanden werden, wo sich die Nächstenliebe und die Selbstliebe auf eine unendliche Weise einander durchdringen: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst [und dich selbst wie deinen Nächsten; M.S.H.]; ich bin der HERR.“316 Der Einzelne kann sich genau dann selbst lieben, wenn er sich in der Liebe an die Allgemeinheit verloren hat, wie auch umgekehrt der Einzelne sich nur dann in der Liebe an die Allgemeinheit verlieren kann, wenn er sich selbst absolut unendlich liebt. Ich denke, daß Nishida Kitarô in seiner Spätphilosophie dies mit der Formel des ,Dialektischen Allgemeinen‘ zum Ausdruck bringen wollte, wo der Einzelne mit dem Allgemeinen paradoxal verschränkt ist. Der Einzelne handelt genau dann für sich selbst richtig, wenn er selbstlos handelt. Wie auch umgekehrt derjenige für die Allgemeinheit richtig handelt, wenn er egoistisch handelt. Beide Handlungsweisen sind miteinander paradoxal verschränkt und dürfen nicht einseitig verabsolutiert werden. Wird das selbstlose Handeln verabsolutiert, so führt dies zu einer falschen Selbstaufgabe des Einzelnen an die Allgemeinheit, was von Regierenden mißbraucht werden kann und zum Absolutismus führen kann. Wird hingegen das egoistische Handeln in falscher Weise verabsolutiert, so wird es zu einem anarchischen Staat kommen, wo jeder sich selbst der Nächste ist und wo keine andere Autorität als die eigene zugelassen wird. Die infinitolektische Ethik sucht vielmehr das rechte Maß zwischen diesen beiden falschen Extrema, einer nur an die Allgemeinheit (Absolutismus) und einer nur am Einzelnen (Anarchie) ausgerichteten Gesellschaft. Man könnte auch von einem ,anarchischen Absolutismus‘ oder von einer ,absolutistischen Anarchie‘ als derjenigen Staatsform sprechen, die der infinitolektischen Ethik entspricht. Da die Demokratie im Sinne des Einzelnen-inf.-Allgemeinen bzw. des Allgemeinen-inf.-Einzelnen verstanden werden kann, können wir hier auch von der Demokratie als der medialen bzw. infinitolektischen Verfassungsform sprechen. Diese infinitolektische Verfassungsform kann auch als ein staatsloser Staat verstanden werden, wo der Einzelne sich in der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit von den engen Grenzen des Staates befreit, den Einzelnen aber zugleich zur Wahrung der allgemeinen Ordnung und zur Gewährung des friedlichen Zusammenlebens im Staat Gesetzen und Normen unterwirft. Der infinitolektische Staat kann demnach als ein staatsloser Staat zwischen Einzelnem und Allgemeinem, Freiheit und Gesetz verstanden werden, wo sich die infinitolektische Ethik idealistisch realisiert bzw. realistisch idealisiert.
316
Vgl. 2. Kön 6,22; 2. Chr 28,9–15; Mt 5,43–48; 22,39; Lk 10,25–37; Joh 13,34; Röm 13,9; Gal 5,14; Jak 2,8.
121
Diese infinitolektische Ethik als einer ethiklosen Ethik, die wir in einer kurzen Formel der Nächstenliebe-inf.-Selbstliebe bzw. der Selbstliebe-inf.Nächstenliebe ausdrücken können, muß in einer eigenen Abhandlung eine eigene Ausführung erfahren, die nicht mehr Gegenstand der philosophielosen Philosophie der Liebe sein kann. Ich wollte hier abschließend nur den untergehenden Übergang bzw. den übergehenden Untergang von der philosophielosen Philosophie der Liebe zur infinitolektischen Ethik als einer ethiklosen Ethik aufzeigen, die hier nicht mehr als nur angedeutet werden konnte. Wir können heute nur weise glauben und verzweifelt hoffen, dass die infinitolektische Ethik zu mehr Humanität bzw. Menschlichkeit in der Welt führt, wo sich die Absolute Infinitheit als das liebende Band zwischen den Menschen und zwischen den Menschen und Gott (die infinitolektische Theologie als eine religionslose Religion) erweist. Diesen infinitologischen Liebeserweis in der Philosophie und in der Welt als dem Ort des Bösen, wo sich Gott selbst absolut fremd gegenübersteht, aufzuspüren, ist nichts anderes als den ,unwegsamen Weg der Absoluten Infinitheit‘ zu gehen und die Philosophiegeschichte und die Welt als ein Infinitial (Signatur) der Absoluten Infinitheit zu lesen und zu verstehen, wo sie sich einschreibt und zum Ausdruck bringt, was hier auf diese Studie natürlich auch selbst zutrifft. Diese ist selbst in ihrer Struktur infinitolektisch strukturiert, wo sich die Identität (Schelling) und der Widerspruch (Nishida und die Rezeptionsgeschichte) sowie die westliche und die östliche Kultur auf eine unendliche Weise lieben. Auch diese Studie ist darum selbst ein Infinitial bzw. ein infinitologischer Gotteserweis, wo sich die Absolute Infinitheit einschreibt und zum Ausdruck bringt. Sie ist darum nicht mehr als nur eine vorübergehende ewige Station auf dem ,unwegsamen Weg der Absoluten Infinitheit‘ (zettaimugendô 絶対無限道) als ein absolut infiniter Weg, der von den nachfolgenden Generationen zu Grunde gebracht und überwunden werden wird. Das ist das offenbare Geheimnis von Zettaimugendô:
122
5.6 WAS IST ZETTAIMUGENDÔ ( 絶対無限道 ) ? Im ewigen Augenblick, wo sich Identität und Widerspruch unendlich lieben, wird sich das absolute infinite Erwachen zugleich als ein Erwachen der Absoluten Infinitheit erweisen. Im jenseitigen Diesseits, wo sich Leben und Tod unendlich lieben, wird sich die Realität als traumhaft und der Traum als realistisch erweisen. Das ist das offenbare Geheimnis von Zettaimugendô. Das ist der unwegsame Weg der Absoluten Infinitheit als des gottlosen Gottes zwischen System und Systemlosigkeit. Wenn wir diesen unwegsamen Weg gehen, wo unsere Rede schweigt und unser Schweigen spricht, die absolute infinite Kritik die Kritik der Absoluten Infinitheit ist, werden wir selbst zu Zettaimugendô und Zettaimugendô ist für immer vergessen.
123
6. GLOSSAR
In diesem Verzeichnis, das für sich keine Vollständigkeit beansprucht, möchte ich nun die wichtigsten Termini aus der Philosophie der Kyôto-Schule und der ,philosophielosen Philosophie der Absoluten Infinitheit’ in alphabetischer Reihenfolge anführen: A ai 愛 Liebe B basho 場所 Ort basho no ronri 場所の論理 Logik des Ortes Bashoteki ronri to shûkyôteki sekaikan 場所的論理 と 宗教的世界観 ,Ortlogik und religiöse Weltanschauung’ von Nishida Kitarô (1945) benshôhôteki gentei 弁証法的限定 dialektische Bestimmung benshôhôteki ippansha 弁証法的 一般者 dialektische Allgemeine D Dai-shi-kôtôchûgakkô 第四高等中 学校 Höhere Mittelschule Nr. 4 Dai-shi-kôtôgakkô 第四高等学校 Oberschule dôitsu 同一 Identität dôitsu-soku-mujun, mujun-soku-dôitsu 同一即矛盾 , 矛盾即同一 Identität-sokuWiderspruch, Widerspruch-soku-Identität E eien no ima 永遠の今 ewige Jetzt G genjitsu sono mama no mono 原実その ま ま の物 das Tatsächliche von sich her bzw. die aktuelle Wirklichkeit-als-solche genjitsu sono mono 現実その 物 die Aktualität-als-solche genkeiken 原経験 Ur-Erfahrung H hataraki 働 き Wirken hataraki mono 働 き 物 Wirkendes hiai 悲哀 tiefe Trauer hirenzoku no renzoku 非連続の連続 diskontinuierliche Kontinuität 124
I ichi 一 Eine ippansha 一般者 Allgemeine Ishikawa Senmon-gakkô 石川 専門学校 Fachschule J jijitsu sono mama ni shiru 事実その ま ま に知 る das Tatsächliche als solches zu erkennen jiko 自己 Selbst jikohitei 自己否定 Selbstverneinung, Selbstnegation jikohitei – soku – zettai hitei, zettai hitei – soku – jikohitei 自己否定即絶対否定 , 絶対 否定 即 自己否定 Selbstverneinung – soku – Absolute Verneinung, Absolute Verneinung – soku – Selbstverneinung jiko no naka 自己の中 in sich selbst jiriki 自力 Eigene-Kraft jitsuzai 実在 Reale Wirklichkeit, Realität jitsuzai-ron 実在論 ,Eine Abhandlung über die Realität’ von Nishida Kitarô (1907) junsui keiken 純粋経験 Reine Erfahrung K kami 神 Gott keiken 経験 Erfahren kobutsu 個物 Einzelne Kôan Mu 公案 Kôan Nichts kôi 行為 Tat kû 空 Leere kyakkan 客観 Objekt M mono 物 Ding mu 無 Nichts muhôshiki no hôshiki 無方式の方式 systemlose System mujun 矛盾 Widerspruch mujunteki jikodôitsu 矛盾的自己同一 widersprüchliche Selbstidentität mujunteki jikodôitsu no ronri 矛盾的自己同一 の論理 Logik der widersprüchlichen Selbstidentität mukami no kami 無神の神 gottlose Gott mu ni oite aru mono 無に於いて有 る も の das Im-Nichts-sich-befindende-Seiende mu no basho 無の場所 Ort des Nichts 125
mutetsugaku no tetsugaku 無哲学の哲学 philosophielose Philosophie N Nishida Kitarô 西田幾多郎 , lebte von 1870 bis 1945 in Japan Nishitani Keiji 西谷 啓治 , lebte von 1900 bis 1990 in Japan R rekishi 歴史 Geschichte ronri 論理 Logik S satori 悟 り Selbsterwachen, Erleuchtung sekai 世界 Welt sekai no ronri 世界の論理 Welt-Logik sekaiteki sekai 世界的世界 welthafte Welt shi 死 Tod shinjidai 新時代 neue Zeitalter shinpiteki chokkan 神秘的直観 mystische Intuition shô 生 Leben shô-ai-shi, shi-ai-shô 生愛死 , 死愛生 Leben-Liebe-Tod, Tod-Liebe-Leben shukan 主観 Subjekt shukan-soku-kyakkan, kyakkan-soku-shukan 主観即客観 , 客観 即 主観 Subjektsoku-Objekt, Objekt-soku-Subjekt Shûkyô to wa nanika 宗教 と は何か ,Was ist Religion?‘ von Nishitani Keiji (1954– 55) shu no ronri 種の論理 Logik der Spezies Shu no ronri no imi o akiraka ni su 種の論理の意味を明 ら かにす ,Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären‘ von Tanabe Hajime (1932–37) shuteki kitai 種的基体 Substrat der Spezies soku 即 zugleich T ta 他 Andere Tanabe Hajime 田辺 元 , lebte von 1885 bis 1962 in Japan tariki 他力 Andere-Kraft W Watashi to nanji 私 と 汝 ,Ich und Du’ von Nishida Kitarô (1932) Z zange 懺悔 Metanoetik, Reue 126
zangedô 懺悔道 Weg der Metanoetik, Weg der Reue Zangedô toshite no tetsugaku 懺悔道 と し ての哲 学 ,Philosophy as Metanoetics‘ von Tanabe Hajime (1946) Zen no kenkyû 善の研究 ,Studie über das Gute’ von Nishida Kitarô (1911) zettai benshôhô 絶対弁証法 Absolute Dialektik zettai hihan 絶対批判 Absolute Kritik zettai hitei 絶対否定 Absolute Verneinung, Absolute Negation zettai mu 絶対無 Absolute Nichts zettai mugen 絶対無限 Absolute Infinitheit zettai mugen-mugen-ai, ai-mugen-zettai mugen 絶対無限無限 愛、 愛無限 絶対無 限 Absolute Infinitheit – inf. – Liebe, Liebe – inf. – Absolute Infinitheit zettai mugen no hihan 絶対無限の批判 Kritik der Absoluten Infinitheit zettai muhôshiki no hôshiki 絶対無方式の方式 Absolute systemlose System zettai mu no basho 絶対無限の場所 Ort des Absoluten Nichts zettaimugendô 絶対無限道 Weg der Absoluten Infinitheit zettai mugen no shinjidai 絶対無限の新時代 neue Zeitalter der Absoluten Infinitheit zettai no ta 絶対の他 absolut Andere zettai tariki 絶対他力 absolute Andere-Kraft
127
7. LITERATURVERZEICHNIS
A.
F. W. J. SCHELLINGS WERKE
SCHELLING, Friedrich Wilhelm von: Sämmtliche Werke [SW], hg. v. K. F. A. Schelling, Bd. 1–14, Stuttgart/Augsburg 1856–1861 – Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt (1794), SW, I, 1, 85–112 – System des transzendentalen Idealismus (1800), SW, III, 2, 327–634 – Darstellung meines Systems der Philosophie (1801), SW, I, 4, 105–212. – Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände (1809), SW, I, 7, 331–416. DÜSING, Klaus (Hg.), 1988: Schellings und Hegels erste Metaphysik (1801–1802). Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften von I. P. V. Troxler, Köln [Troxler-Nachschrift] SCHULZ, Walter (Hg.), 1968: Fichte-Schelling Briefwechsel, mit einer Einleitung v. W. Schulz, Frankfurt/M. (Theorie 1, hg. v. Hans Blumenberg u.a.) TRAUB, Hartmut (Hg.), 2001: Schelling-Fichte Briefwechsel, Neuried
B.
NISHIDA KITARÔS WERKE
NISHIDA Kitarô, Über das Gute (Zen no kenkyû 善の研究 ). Eine Philosophie der reinen Erfahrung (1911), übers. und eingel. v. Peter Pörtner, Frankfurt/M. 2 1993 NISHIDA Kitarô, Logik des Ortes. Der Anfang der modernen Philosophie in Japan, übers. und hg. v. Rolf Elberfeld, Darmstadt 1999 NISHIDA Kitarô, Die Intelligible Welt. Drei philosophische Abhandlungen, übertr. u. übers. v. R. Schinzinger, Berlin 1943 NISHIDA Kitarô, Die morgenländischen und abendländischen Kulturformen in alter Zeit vom metaphysischen Standpunkte aus gesehen (1934), in: Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften (1939), S. 1–19 NISHIDA Kitarô, „Selbstidentität und Kontinuität in der Welt“ (Sekai no jikodôitsu to renzoko 世界の自己同一 と 連続 ; 1935), übers. v. E. Weinmayr, in: OHASHI R., 1990, S. 54–118
128
NISHIDA Kitarô, „Das künstlerische Schaffen als Gestaltungsakt der Geschichte“ (Rekishiteki keiseisayô toshite no geijutsuteki sôsaku 歴史的 形成作 用 と し ての芸術的 創作 ; 1941), übers. v. E. Weinmayer, in: OHASHI R., 1990, S. 119–137
C.
TANABE HAJIMES WERKE
TANABE Hajime, „Memento Mori“ (1958), in: Yagi Seiichi/Ulrich Luz (Hg.), Gott in Japan. Anstöße zum Gespräch mit japanischen Philosophen, Theologen und Schriftstellern, München 1973, S. 113–126 TANABE, Hajime, „Todesdialektik“ (1959), in: Günther Neske (Hg.), Martin Heidegger zum siebzigsten Geburtstag. Festschrift, Pfullingen, S. 93–133 TANABE Hajime, Philosophy as Metanoetics (Zangedô toshite no tetsugaku 懺悔道 と し ての哲 学 ; 1946), transl. by Takeuchi Yoshinori with Valdo Viglielmo and James W. Heisig, Berkley/Los Angeles/London 1986 TANABE Hajime, „Versuch, die Bedeutung der Logik der Spezies zu klären (Shu no ronri no imi o akiraka ni su 種の論理の意味を明 ら かにす; 1932–37), in: OHASHI R., 1990, S. 145–195 TANABE Hajime, „Valérys Kunstphilosophie. Kap. 4: Die Grenze des Gedichts ,Die junge Parze‘ und ihre Überwindung“ (Varerii no geijutsutetsugaku ヴ ァ レ リ イ の芸術哲学 ; 1951), in: OHASHI R., 1990, S. 196– 224
D.
NISHITANI KEIJIS WERKE
NISHITANI, Keiji, Nishida Kitarô, transl. by Yamamoto Seisaku and James W. Heisig, Introduction by D.S. Clarke, Berkley/Los Angeles/Oxford 1991 [Nanzan Studies in Religion and Culture] NISHITANI, Keiji, „Mein philosophischer Ausgangspunkt“ (1964), in: Zeitschrift für philosophische Forschung 46, 4 (1992), übers. v. Rolf Elberfeld, S. 545–556 NISHITANI Keiji, Was ist Religion? (Shûkyô to wa nanika 宗教 と は何か ; 1954– 55), Frankfurt/ M. 2001 NISHITANI Keiji, „Vom Wesen der Begegnung“ (1964), in: OHASHI R., 1990, S. 258–274 NISHITANI Keiji, „Die ,Verrücktheit’ beim Dichter Bashô“ (Bashô ni okeru ,kyô’ 芭蕉におけ る 狂 ; 1949), in: OHASI R., 1990, S. 275–299
129
E.
GESAMTÜBERSICHTEN ZUR JAPANISCHEN PHILOSOPHIE
BRÜLL, Lydia, 1989: Die Japanische Philosophie. Eine Einführung, Darmstadt DILWORTH, David A. / VIGLIELMO, Valdo H. / ZAVALA, Augustin Jacinto (Ed. and Transl.), 1998: Sourcebook for Modern Japanese Philosophy. Selected Documents, Westport, Connecticut/ London (Resources in Asian Philosophy and Religion) OHASHI, Ryôsuke (Hg.), 1990: Die Philosophie der Kyôto-Schule. Texte und Einführung, Freiburg / München PAUL, Gregor, 1993: Philosophie in Japan. Von den Anfängen bis zur Heian-Zeit. Eine kritische Untersuchung, München PIOVESANA, Gino K., 31997: Recent Japanese Philosophical Thought 1862–1996. A Survey (Including A New Survey by Naoshi Yamawaki: The Philosophical Thought From 1963 To 1996), Tokyo PÖRTNER, Paul / HEISE, Jens, 1995: Die Philosophie Japans. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart SCHINZINGER, Robert, 1983: Japanisches Denken. Der weltanschauliche Hintergrund des heutigen Japan, Berlin SHUNPEI, Ueyama, 2000: Japanische Denker im 20. Jahrhundert, aus dem Jap. v. M. Burtscher u.a. und Nachwort v. M. Burtscher, München
F.
WEITERE LITERATUR
ANDO Tadao, 1990: Tadao Ando, London/New York (Architectural Monographs; 14) ARIFUKU, Kôgaku, 1998: „Fichte und Nishida. Intellektuelle Anschauung versus handelnde Anschauung“, in: Rolf Elberfeld u.a. (Hg.), Komparative Philosophie: Begegnungen zwischen östlichen und westlichen Denkwegen, München, S. 25–38 Id., 1999: Deutsche Philosophie und Zen-Buddhismus. Komparative Studien, mit einer Einl. v. G. Wohlfahrt, Berlin ARISTOTELES, 41990: Lehre vom Beweis oder Zweite Analytik (Organon IV), übers. u. Anm. v. Eugen Rolfes, Einl. u. Bibl. v. Otfried Höffe, Hamburg Id., 21999: Metaphysik, übers. v. Hermann Bonitz (ed. Wellmann), Hamburg BACHMANN, Manuel, 1994: „Die paradoxale Struktur des Absoluten in Schellings Identitätssystem“, in: Philosophisches Jahrbuch 101, S. 76–97
130
BEIERWALTES, Werner, 1972: Platonismus und Idealismus, Frankfurt/M. (Philosophische Abhandlungen; Bd. 40) Id., 1980: Identität und Differenz, Frankfurt/M. (Philosophische Abhandlungen; Bd. 49) BICKMANN, Claudia, 1995: „Auf dem Weg zu einer Metaphysik der Freiheit: Kants Idee der Vollendung der Kopernikanischen Wende im Experiment der Vernunft mit sich selbst“, in: Kant-Studien 3, S. 321–330 Id., 1996a: Differenz oder das Denken des Denkens. Topologie der Einheitsorte im Verhältnis von Denken und Sein im Horizont der Transzendentalphilosophie Kants, Bd. 11 der Reihe: Schriften zur Transzendentalphilosophie, Hamburg Id., 1996b: „Evidenz und Vergewisserung. Zum Verhältnis von noetischem und dianoetischem Denken bei Platon, in: Philosophisches Jahrbuch I, S. 29– 47 Id., 1997: „Zwischen Sein und Setzen: Fichtes Kritik am dreifachen Absoluten der kantischen Philosophie“, in: Fichte-Studien 9, S. 143–161 Id., 1999: „Identität und Differenz als Kernproblem der Kulturen. Vorüberlegungen zu einer Philosophie im Kulturenvergleich“, in: Dialektik 2, S. 23– 46 Id., 2001: „Kants Ontologie als Gegenstandstheorie. Ist die Rede vom ,Ding an sich‘ unvermeidlich?“, in: Kant und die Berliner Aufklärung, Akten des IX. Internationalen Kant-Kongresses, hg. v. V. Gerhard u.a., Berlin/New York, S. 521–532 Id., 2002a: „Zur systematischen Funktion der Kantischen Ideenlehre“, in: Hiltscher, Reinhard / Georgi, André (Hg.), Perspektiven der Transzendentalphilosophie im Anschluß an die Philosophie Kants, München, S. 43–79 Id., 2002b: „Die Herausforderung der Bilder. Transzendentalphilosophische Annäherung an die Grenze zwischen Wort und Bild“, in: Grenzen und Grenzüberschreitungen, XIX. Deutscher Kongress für Philosophie, hg. v. W. Hogrebe, Bonn, S. 73–81 Id., 2003: „Schellings Identitätsform im Lichte der Dialektik Platons“, in: Schellingiana, Stuttgart/Bad Cannstatt [Publikation in Vorbereitung] BURKE, Seán, 1992: The Death and Return of the Author. Criticism and Subjectivity in Barthes, Foucault and Derrida, Edinburgh CONZE, Edward, 1988: Buddhistisches Denken. Drei Phasen buddhistischer Philosophie in Indien, Frankfurt/M. Id., 91990: Der Buddhismus. Wesen und Entwicklung, Stuttgart/Berlin/Köln (Urban-Taschenbücher; Bd. 9)
131
DANZ, Christian, 1997: „Die Duplizität des Absoluten in der Wissenschaftslehre von 1804 (zweiter Vortrag) – Fichtes Auseinandersetzung mit Schellings identitätsphilosophischer Schrift ,Darstellung meines Systems‘ (1801)“, in: Fichte-Studien 12, S. 335–350 DERRIDA, Jacques, 1988: „Die différance“, in: Id., Randgänge der Philosophie (1972), dt. Wien, S. 29–52 DESCARTES, René, 1999: Meditationes de Prima Philosophia/Meditationen über die Erste Philosophie, übers. u. hg. v. G. Schmidt, Stuttgart DIE BIBEL, nach der Übersetzung Martin Luthers, mit Apokryphen, rev. Fassung, hg. v. d. Evangelischen Kirche in Deutschland, Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart 1985 DOSTOJEWSKIJ, Fjodor Michailowitsch, 192003: Die Brüder Karamasow, aus dem Russ. v. Hans Ruoff u. Richard Hoffmann, mit einem Nachwort v. Horst-Jürgen Gerigk, München DÜSING, Klaus, 1969: „Spekulation und Reflexion. Zur Zusammenarbeit Schellings und Hegels in Jena, in: Hegel-Studien 5, S. 95–128 Id., 1977: „Spekulative Logik und Positive Philosophie. Thesen zur Auseinandersetzung des späten Schelling mit Hegel, in: Hegel-Studien/Beiheft 17, S. 117–128 Id., 1980: „Idealistische Substanzmetaphysik. Probleme der Systementwicklung bei Schelling und Hegel in Jena“, in: Hegel-Studien/Beiheft 20, S. 25– 44 Id., 1987: „Vernunfteinheit und unvordenkliches Daßsein. Konzeptionen der Überwindung negativer Theologie bei Schelling und Hegel“, in: Karen Gloy/Dominik Schmidig (Hg.), Einheitskonzepte in der idealistischen und in der gegenwärtigen Philosophie. Ergebnisse eines Symposiums (Luzern 1986), Bern (u.a.), S. 109–136 Id., 1988: „Schellings Genieästhetik“, in: A. Gethmann-Siefert (Hg.), Philosophie und Poesie, O. Pöggeler zum 60. Geburtstag, Bd. 1, Stuttgart, S. 193– 213 Id., 1999: „Die Entstehung des spekulativen Idealismus. Schellings und Hegels Wandlungen zwischen 1800 und 1801“, in: Walter Jaeschke (Hg.), Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie (1799–1807), Hamburg (Philosophisch-literarische Streitsachen; Bd. 2), S. 144–163 ELBERFELD, Rolf, 1994: Kitaro Nishida und die Frage nach der Interkulturalität, Diss., Würzburg, und die Neuauflage: Id., 1999: Kitarô Nishida (1870– 1945). Das Verstehen der Kulturen. Moderne japanische Philosophie und die Frage nach der Interkulturalität, Amsterdam
132
Id., 1997: „Fazang – Der goldene Löwe. Zur Philosophie der Huayan-Schule“, in: minima sinica 2, S. 38–60 Id., 1998: „Ort. Derrida und Nishitani“, in: R. Elberfeld u.a. (Hg.), Komparative Philosophie. Begegnungen zwischen östlichen und westlichen Denkwegen, München (Schriften der Académie du Midi; Bd. 4), S. 107–118 Id., 1999a: „Übersetzung der Kultur am Beispiel der Übertragung buddhistischer Texte vom Sanskrit ins Chinesische“, in: Rolf Elberfeld u.a. (Hg.), Translation und Interpretation, München (Schriften der Académie du Midi; Bd. 5), S. 75–89 Id., 1999b: „Entstehen in Abhängigkeit bei Fazang“, in: HÔRIN 6 (Vergleichende Studien zur japanischen Kultur), Düsseldorf, S. 151–169 Id., 1999c: „Resonanz als Grundmotiv ostasiatischer Ethik“, in: minima sinica 1, S. 25–38 Id., 2004: Phänomenologie der Zeit im Buddhismus. Methoden interkulturellen Philosophierens, Stuttgart/Bad Cannstatt [Philosophie interkulturell; Bd.1] ELBERFELD, Rolf / LEIBOLD, Michael / OBERT, Mathias, 2000: Denkansätze zur buddhistischen Philosophie in China. Seng Zhao – Jizang – Fazang zwischen Übersetzung und Interpretation, Köln (Reihe für Asiatische und Komparative Philosophie; Bd. 2) FICHTE, Johann Gottlieb, 1971: Sämtliche Werke [8 Bde.], hg. v. Immanuel Hermann Fichte, Berlin 1845/46, Neudr. ebd. Id., 2004: Vom Verhältnis der Logik zur wirklichen Philosophie, als ein Grundriss der Logik, und eine Einleitung in die Philosophie (1812), in: Kritische Ausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Publikation in Vorbereitung) FIGL, Johann, 1993: Die Mitte der Religionen. Idee und Praxis universalreligiöser Bewegungen, Darmstadt FOLKERS, Horst, 1989: „,Die durch Freiheit gebaute Stadt Gottes‘. Freiheit und Notwendigkeit im identitätsphilosophischen Denken Schellings“, in: Hans-Martin Pawlowski u.a. (Hg.), Die praktische Philosophie Schellings und die gegenwärtige Rechtsphilosophie, Stuttgart/Bad Cannstatt (Spekulation und Erfahrung; Bd. 13), S. 107–137 Id., 2003: Offenbarung als Geschichte der Freiheit: Zu Schellings Spätphilosophie, Vortrag im EKÔ-Haus am 13. Mai FRANK, Manfred / KURZ, Gerhard (Hg.), 1975: Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen, Frankfurt/M. FRANK, Manfred, 1985: Eine Einführung in Schellings Philosophie, Frankfurt/ M.
133
Id., 1991: „Identität und Subjektivität“, in: Id., Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. Essays zur analytischen Philosophie der Subjektivität, Stuttgart, S. 79–157 Id., 21992: Der unendliche Mangel an Sein. Schellings Hegelkritik und die Anfänge der Marxschen Dialektik, stark erw. und überarb. Auflage, München FUJITA, Masakatsu, 1985: „Philosophie und Religion beim jungen Hegel. Unter besonderer Berücksichtigung seiner Auseinandersetzung mit Schelling“, in: Hegel-Studien/Beiheft 26 GIRNDT, Helmut, 1965: Die Differenz des Fichteschen und Hegelschen Systems in der Hegelschen ,Differenzschrift’, Bonn (Abhandlungen zur Philosophie, Psychologie und Pädagogik; Bd. 30) Id., 1987: „Fichtes Begriff der Philosophie und der philosophischen Bildung“, in: Helmut Girndt/Ludwig Siep (Hg.), Lehren und Lernen der Philosophie als philosophisches Problem, Essen (Sophia. Schriften zur Philosophie, hg. v. H. Girndt; Bd. 1), S. 55–81 Id., 1995: „Die negative Dialektik Platons und Nagarjunas“, in: Tilman Borsche u. Johann Kreuzer (Hg.), Weisheit und Wissenschaft, München (Schriften der Académie du Midi; Bd. 2), S. 49–67 Id., 1999: „Die ,Nova Methodo‘ zwischen der ,Grundlage‘ von 1794 und der Wissenschaftslehre von 1804“, in: Fichte-Studien 16, S. 57–68 Id., 2000: „Strukturprobleme der Wissenschaftslehre 1804. Das Denken des Absoluten in Asien und Europa. Eine kritische Reflexion auf Fichtes Diktum: ,Alle Philosophie vor Kant hat das Absolute in das Sein gesetzt.‘, in: Fichte-Studien 17, S. 149–161 Id., 2002: Die Heimkehr der alten Residenzbewohner. Freundschaftliche Nachgedanken zu Marek Siemeks ,Vernunft und Intersubjektivität’, Duisburg (unveröffentlichtes Manuskript) Id., 2003: Die östliche Lehre von der Leere und die westliche Metaphysik, Duisburg (unveröffentlichtes Manuskript) GÖRLAND, Ingtraud, 1973: Die Entwicklung der Frühphilosophie Schellings in der Auseinandersetzung mit Fichte, Frankfurt/M. (Philosophische Abhandlungen; Bd. 44) GROSSE KONKORDANZ ZUR LUTHER BIBEL, 1979, Calwer Verlag, Christliches Verlagshaus Stuttgart GULYGA, Arsenij, 1989: Schelling. Leben und Werk, aus dem Russischen übertragen von Elke Kirsten, Stuttgart HAKOISHI, Masayuki, 1983: „Die Phänomenologie in Japan“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 37:2, S. 299–315
134
HANTKE, Myriam-Sonja, 2003: „Die Differenz von Glauben und Wissen als Resultat der Hegelschen Identitätsphilosophie? Eine Analyse der Hegelschen ,Auflösung‘ der vierfachen paradoxen Struktur der metaphysischen Substanz“, in: Glauben und Wissen, Hegel-Jahrbuch 1, S. 80–84 Id., 2005: „Das nichtige Sein und das seiende Nichts bei Platon, Nagarjuna, Fazang und Nishida“, in: Tradition und Traditionsbruch. Interkulturelle – philosophische – Perspektiven zwischen relativierender Skepsis und dogmatischer Selbstbehauptung, Rodopi-Verlag, Amsterdam/New York (Publikation in Vorbereitung) HARTKOPF, Werner, 1975: Die Dialektik in Schellings Transzendental- und Identitätsphilosophie. Studien zur Entwicklung der modernen Dialektik II, Meisenheim/G. (Monographien zur Philosophischen Forschung; Bd. 138) HARTMANN, Herbert, 2002: Kleine Konkordanz zur Lutherbibel, unter Benutzung der Lutherbibel in der revidierten Fassung von 1984, NeukirchenVluyn HEGEL, G.W.F., 1971ff.: Werke [20 Bde.], hg. v. E. Moldenhauer und K. M. Michel, Frankfurt/M. HEIDEGGER, Martin, 1997: Der Satz vom Grund, in: Martin Heidegger – Gesamtausgabe, 1. Abt. Bd. 10, Frankfurt/M. HENNIGFELD, Jochem, 1989: „Einheit und Vielheit als grundlegendes Problem in Schellings Systementwürfen“, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 14, Heft 2, S. 1–15 Id., 1997: „Schellings Identitätssystem von 1801 und Fichtes Wissenschaftslehre“, in: Fichte-Studien 12, S. 235–246 Id., 2001: F.W.J. Schellings ,Über das Wesen der menschlichen Freiheit’, Darmstadt HENRICH, Dieter (Hg.), 1985: All-Einheit. Wege eines Gedankens in Ost und West, Stuttgart (Veröffentlichung der Internationalen Hegel-Vereinigung; Bd. 14) Id., 1993: „Andersheit und Absolutheit des Geistes. Sieben Schritte auf dem Wege von Schelling zu Hegel“, in: Dieter Henrich, Selbstverhältnisse. Gedanken und Auslegungen zu den Grundlagen der klassischen deutschen Philosophie, Stuttgart, S. 142–172 HISAMATSU, Hôseki Shinichi, 41988: Die Fülle des Nichts. Vom Wesen des Zen. Eine systematische Erläuterung (Tôyôteki Mu no Seikaku; 1946), übers. v. Takashi Hirata und Johanna Fischer, Pfullingen HÖLDERLIN, Friedrich, 1943–1985: „Urtheil und Seyn“, in: Sämtliche Werke. Große Stuttgarter Ausgabe [StA], hg. v. F. Beißner (Bd. I-V) u. Adolf Beck (Bd. VI-VII, Bd. VIII gemeinsam mit U. Oelmann), Stuttgart, Band 4, S. 216 135
HOLZ, Harald, 1977: „Die Beziehungen zwischen Schellings ,Naturphilosophie‘ und dem Identitätssystem in den Jahren 1801/02“, in: Id., Die Idee der Philosophie bei Schelling. Metaphysische Motive in seiner Frühphilosophie, Hans Wagner zum 60. Geburtstag, Freiburg/München, S. 64–126 HUSSERL, Edmund, 31995: Cartesianische Meditationen. Eine Einleitung in die Phänomenologie, hg. u. eingel. v. Elisabeth Ströker, Hamburg Id., 2003: Phänomenologische Psychologie, hg. u. eingel. v. Dieter Lohmar, Hamburg IBER, Christian, 1994: Das Andere der Vernunft als ihr Prinzip. Grundzüge der philosophischen Entwicklung Schellings mit einem Ausblick auf die nachidealistischen Philosophiekonzeptionen Heideggers und Adornos, Berlin/New York JANNIDIS, Fotis u.a. (Hg.), 1999: Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs, Tübingen (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur; Bd. 71) JASPERS, Karl, 1955: Schelling. Größe und Verhängnis, München KANT, Immanuel, 1983: Werke [6 Bde.], hg. v. W. Weischedel, Darmstadt KIRCHHOFF, Jochen, 42000: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Hamburg KOJIMA, Hiroshi, 1997: „Japan“, in: Encyclopedia of Phenomenology, ed. by Lester Embree and others, Dordrecht / Boston / London (Contributions to Phenomenology Volume 18), S. 376–371 KOPF, Gereon, 2004: “Between Identity and Difference. Three Ways of Reading Nishida‘s Non-Dualism“, in: Japanese Journal of Religious Studies 31/1, Nanzan Institute for Religion and Culture, S. 73–103 KRACHT, Klaus, 2001: „Nishida und die Politik. Erster Teil“, in: Japonica Humboldtiana 5, Berlin, S. 205–250 KRINGS, Hermann, 1977: „System und Freiheit. Beitrag zu einem ungelösten Problem“, in: Hegel-Studien/Beiheft 17, S. 35–51 LAUBE, Johannes, 1984: Dialektik der absoluten Vermittlung. Hajime Tanabes Religionsphilosophie als Beitrag zum ,Wettstreit der Liebe’ zwischen Buddhismus und Christentum, Freiburg/Basel/Wien LAUTH, Reinhard, 1975: Die Entstehung von Schellings Identitätsphilosophie in der Auseinandersetzung mit Fichtes Wissenschaftslehre (1795–1801), Freiburg/München LEIBNIZ, Gottfried Wilhelm, 21982: Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade. Monadologie, franz.-dt., Hamburg [Philosophische Bibliothek; Bd. 253] Id., 21985: Metaphysische Abhandlung, Hamburg [philosophische Bibliothek; Bd. 260] 136
LOTZ, Johannes B., 1979: Die Drei-Einheit der Liebe. Eros – Philia – Agape, Frankfurt/M. LYOTARD, Jean-François, 41999: Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, hg. v. Peter Engelmann, Wien MAFLI, Paul, 1996: Nishida Kitarôs Denkweg, Diss. 1995, München MALL, Ram Adhar, 1998: „Das Konzept einer interkulturellen Philosophie“, in: Polylog 1, S. 54–69 MARQUARD, Odo, 1977: „Hegels Einspruch gegen das Identitätssystem“, in: Hegel-Studien/Beiheft 17, S. 103–112 MATSUDO, Yukio, 1990: Die Welt als Dialektisches Allgemeines. Eine Einführung in die Spätphilosophie von Kitarô Nishida, Diss. 1988, Berlin MATSUYAMA, Juichi / SANDKÜHLER, Hans Jörg (Hg.), 2000: Natur, Kunst und Geschichte der Freiheit. Studien zur Philosophie F.W.J. Schellings in Japan, Frankfurt/M. (Philosophie und Geschichte der Wissenschaften. Studien und Quellen; Bd. 47) METZGER, Wilhelm, 1911: Die Epochen der Schellingschen Philosophie von 1795 bis 1802. Ein problemgeschichtlicher Versuch, Heidelberg MINE, Hideki, 1983: Ungrund und Mitwissenschaft. Das Problem der Freiheit in der Spätphilosophie Schellings, Frankfurt/M. (Europäische Hochschulschriften Reihe XX Philosophie; Bd. 119) MINOBE, Hitoshi, 2003: „Die Stellung des Seins bei Fichte, Schelling und Nishida“, in: Fichte-Studien 21, S. 63–72 NAGASAWA, Kunihiko, 1997: „Eine neue Möglichkeit der Philosophie nach der ,Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre‘“, in: Fichte-Studien 10, S. 115–123 NAGASHIMA, Takashi, 1994: „Das Absolute und das Realitätsproblem“, in: Volker Caysa/Klaus-Dieter Eichler (Hg.), Praxis – Vernunft – Gemeinschaft. Auf der Suche nach einer anderen Vernunft, Weinheim, S. 143–152 NIETZSCHE, Friedrich, 1973: Die fröhliche Wissenschaft, KGA V, 2, hg. v. G. Colli u. M. Montinari, Berlin/New York NITTA, Yoshihiro / TATEMATSU, Hirotaka / SHIMOMISSÊ, Eiichi, 1979: „Phenomenology and Philosophy in Japan“, in: Analecta Husserliana VIII, S. 3–17 NITTA, Yoshihiro (Hg.), 1984: Japanische Beiträge zur Phänomenologie, Freiburg / München OGAWA, Tadashi, 1979: „The Kyoto School of Philosophy and Phenomenology“, in: Analecta Husserliana VIII, S. 207–221
137
ÔHASHI, Ryôsuke, 1975: Ekstase und Gelassenheit. Zu Schelling und Heidegger, München Id., 1984: Zeitlichkeitsanalyse der Hegelschen Logik. Zur Idee einer Phänomenologie des Ortes, Freiburg i. Br. Id., 1986: „Zur Philosophie der Kyoto-Schule“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 40, S. 121–134 Id., 1995: „Der Ungrund und das System (403–416)“, in: Otfried Höffe / Annemarie Pieper (Hg.), F. W. J. Schelling. Über das Wesen der menschlichen Freiheit, Berlin Id., 1996: „Die Zeit der Weltbilder“, in: R. A. Mall / N. Schneider (Hg.), Ethik und Politik aus interkultureller Sicht, Amsterdam/Atlanta (Studien zur Interkulturellen Philosophie Bd. 5), S. 19–30 Id., 1998: „Womit muß der Vergleich in der vergleichenden Ästhetik gemacht werden?“, in: N. Schneider/R. A. Mall/D. Lohmar (Hg.), Einheit und Vielfalt. Das Verstehen der Kulturen, Amsterdam (Studien zur interkulturellen Philosophie; Bd. 9), S. 155–166 Id., 1999: Japan im interkulturellen Dialog, München Id., 1999: „Vom Selbstwissen zur Ortlogik. Nishida und die Phänomenologie“, in: Hans Rainer Sepp (Hg.), Metamorphose der Phänomenologie. Dreizehn Stadien von Husserl aus, Freiburg/München, S. 58–85 OMINE, Akira, 1989: „Theorie des Bewußtseins bei Fichte und Nishida“, in: Albert Mues (Hg.), Transzendentalphilosophie als System. Die Auseinandersetzung zwischen 1794 und 1806, Hamburg (Schriften zur Transzendentalphilosophie; Bd. 8) S. 497–506 OKADA, Katsuaki, 2000: „Nishidas Auseinandersetzung mit Fichte“, in: Fichte-Studien 18, S. 189–203 Id., 2003: „Fichte und Schelling“, in: Fichte-Studien 21, S. 45–52 OSHIMA Yoshika, 1985: Zen – anders denken? Zugleich ein Versuch über Zen und Heidegger, Heidelberg PARK, Soon-Young, 1976: Die Rezeption der deutschen Philosophie in Japan und Korea. Dargestellt als Problem der Übersetzung philosophischer Texte, Diss., Bochum PLATON, 1994: Sämtliche Werke [4 Bde.], übers. v. Friedrich Schleiermacher, Hamburg PÖGGELER, Otto, 1977: „Vorbemerkungen zum Kolloquium über Schellings und Hegels Systemkonzeption, in: Hegel-Studien/Beiheft 17, S. 74–76 PÖRTNER, Peter, 1990: Nishida Kitarô’s Zen no kenkyû („Über das Gute“), Hamburg 138
RANG, Bernhard, 2000: Identität und Indifferenz. Eine Untersuchung zu Schellings Identitätsphilosophie, Frankfurt/M. (Philosophische Abhandlungen; Bd. 78) RICHTER, Steffi, 1999: „Japans Moderne neu denken“, in: Dialektik 2 (Kulturen – Kontraste), S. 89–110 RYOGI Okochi, 1995: Wie man wird, was man ist. Gedanken zu Nietzsche aus östlicher Sicht, Darmstadt SANDKAULEN-BOCK, Birgit, 1990: Ausgang vom Unbedingten. Über den Anfang in der Philosophie Schellings, Göttingen (Neue Studien zur Philosophie; Bd. 2) SCHMIDIG, Dominik, 1987: „Einheit und Totalität in Schellings Philosophiekonzept“, in: Karen Gloy/Dominik Schmidig (Hg.), Einheitskonzepte in der idealistischen und in der gegenwärtigen Philosophie. Ergebnisse eines Symposiums (Luzern 1986), Bern (u.a.), S. 73–107 SCHMIDT, Friedrich W., 1971: Zum Begriff der Negativität bei Schelling und Hegel, Stuttgart SCHMIED-KOWARZIK, Wolfdietrich, 1997: „Das Problem der Natur. Nähe und Differenz Fichtes und Schellings“, in: Fichte-Studien 12, S. 211–233 SCHMITZ, Hermann, 1977: „Das dialektische Wahrheitsverständnis und seine Aporie“, in: Hegel-Studien/Beiheft 17, S. 241–254 SCHURR, Adolf, 1974: Philosophie als System bei Fichte, Schelling und Hegel, Stuttgart/Bad Cannstatt SHIMIZU, Masumi, 1981: Das ,Selbst’ im Mahâyanâ-Buddhismus und die ,Person’ im Christentum im Licht des Neuen Testaments, Leiden (Beihefte der Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte Bd. XXII) SPINOZA, Baruch de, 1999: Ethik nach geometrischer Ordnung dargestellt, Bd. 2, lat.-dt., neu übers., hg. u. mit einer Einl. vers. v. Wolfgang Bartuschat, Hamburg STEINECK, Christian, 1993: Der systematische Ansatz von Nishida Kitarô in seiner Schrift ,Anschauung und Reflexion im Selbstgewahren’, Bonn (unveröffentlichte Magisterarbeit) Id., 1998: „Wirklichkeit und Interkulturalität bei Nishida Kitarô: Eine Kritik“, in: Tadashi Ogawa / Michael Lazarin / Guido Rappe (Hg.), Interkulturelle Philosophie und Phänomenologie in Japan. Beiträge zum Gespräch über Grenzen hinweg, München, S. 265–288 SUZUKI, Daisetz T., 1960: „How to read Nishida“, in: Nishida Kitaro, A Sudy of Good, transl. By V. H. Viglielmo, Tokyo, S. iii–vi
139
Id., 1971: Der westliche und der östliche Weg. Essays über christliche und buddhistische Mystik, Frankfurt/M. Id., 2003: Leben aus Zen. Wege zur Wahrheit, mit einer Einführung in die ZenLehre des Wei-Lang (Hui-Neng) und einem Vorwort von Eugen Herrigel, aus dem Engl. v. Ursula von Mangoldt und Emma von Pelet, Frankfurt/ M. und Leipzig TILLIETTE, Xavier, 2004: Schelling. Biographie, aus dem Franz. v. Susanne Schaper, Stuttgart TITZE, Hans, 1979: „Identitäts“philosophie heute und bei Schelling, Meisenheim am Glan (Monographien zur Philosophischen Forschung; Bd. 167) VOLKMANN-SCHLUCK, Karl Heinz, 1959: „Der Satz vom Widerspruch als Anfang der Philosophie“, in: Günther Neske (Hg.), Martin Heidegger zum siebzigsten Geburtstag. Festschrift, Pfullingen, S. 134–150 WALDENFELS, Hans, 1976: Absolutes Nichts. Zur Grundlegung des Dialogs zwischen Buddhismus und Christentum, Freiburg/Basel/Wien Id., 1993: „Verschränkung von Heimwelt und Fremdwelt“, in: R. A. Mall / D. Lohmar (Hg.), Philosophische Grundlagen der Interkulturalität, Amsterdam/Atlanta (Studien zur interkulturellen Philosophie Bd. 1), S. 53–65 WEBER-BROSAMER, B. / BACK, D. M., 1997: Die Philosophie der Leere. Nâgârjunas Mûlamadhyamaka-Kârikâs, Wiesbaden WELSCH, Wolfgang, 1995: Vernunft. Die zeitgenössische Vernunftkritik und das Konzept der transversalen Vernunft, Frankfurt/M. Id., 51997: Unsere postmoderne Moderne, Berlin WILD, Christoph, 1977: „Zur Aporetik idealistischer Systemkritik“, in: HegelStudien/ Beiheft 17, S. 215–217 WIMMER, Franz Martin, 1998: „Thesen, Bedingungen und Aufgaben interkulturell orientierter Philosophie“, in: Polylog 1, S. 5–12 ZELTNER, Hermann, 1931: Schellings philosophische Idee und das Identitätssystem, Heidelberg (Beiträge zur Philosophie; Bd. 20) Id., 1954: Schelling (mit 2 Bildnissen), Stuttgart (Frommanns Klassiker der Philosophie; Bd. XXXIII) Id., 1975: „Das Identitätssystem“, in: Hans-Michael Baumgartner (Hg.), Schelling. Einführung in seine Philosophie, Frankfurt/München, S. 75–94 Id., 1977: „Das Identitätssystem – und was dann? Über Schellings Systembegriff, seine Aus- und Umformungen und seine Bedeutung, in: Hegel-Studien/Beiheft 17, S. 131–140 ZICHE, Paul, 1996: Mathematische und naturwissenschaftliche Modelle in der Philosophie Schellings und Hegels, Stuttgart / Bad Cannstatt (Spekulation und
140
Erfahrung. Texte und Untersuchungen zum Deutschen Idealismus, Abt. II, Bd. 39)
141