Lessings Toleranzbegriff.: Eine theologische Studie. 9783666562235, 9783525562239


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Lessings Toleranzbegriff.: Eine theologische Studie.
 9783666562235, 9783525562239

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Harald Schultze · Lessings Toleranzbegriff

HARALD SCHULTZE

Lessings Toleran2;begriíF Eine theologische Studie

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Edmund Schlink Band 20

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1969. — Printed in Germany. — Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Glaubensfreiheit ist kein selbstverständlicher, kein unverlierbarer Besitz der modernen Gesellsdiaftsordnung. Sie ist vielmehr abhängig von dem Engagement der verantwortlichen Gruppen in ihr, von der Leidenschaft und der Offenheit, die der einzelne dafür einzusetzen bereit ist. Sie gehört zu den "Werten, die stets von neuem errungen werden müssen, um Geltung und Anerkennung finden zu können. Das Gespräch über Toleranz und Glaubensfreiheit ist darum wieder von höchster Aktualität. Das zeigte sich vor kurzem am auffallendsten in dem lebhaften Widerhall, den die Auseinandersetzungen auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu der Erklärung „Über die Religionsfreiheit" in der Öffentlichkeit gefunden haben. Es ist bezeichnend, wie dies Problem — zum ersten Mal von der katholischen Kirche positiv formuliert — sich hier sogleich in seiner umfassenden Bedeutung und dialektischen Vielschichtigkeit spiegelt. Man konnte sich nicht damit begnügen, den Grundsatz der Glaubensfreiheit nur auf der Basis einer philosophisdi-natürlichen Anthropologie zu vertreten, sondern mußte zugleich seine Verwurzelung im Wesen des Glaubensaktes selbst aufzeigen. Damit ist aber das Grundthema für die Erörterung des Begriffs der Glaubensfreiheit gegeben: die Spannung zwischen dem Anspruch der einen, unauswechselbaren Wahrheit und der Forderung, einer anderen Wahrheitsüberzeugung nicht nur die Existenz, sondern sogar die öffentliche Propagierung zu gestatten. Es ist bezeidinend, daß der ökumenische Rat der Kirchen sich in seiner Studienarbeit der gleichen Problematik gegenübersieht. Deutlicher als in der „Erklärung über Religionsfreiheit" kommt das in dem Dokument „Christliches Zeugnis, Proselytismus und Glaubensfreiheit", ebenfalls in Neu-Delhi 1961 angenommen, zum Ausdrudk. Glaubensfreiheit kann nur dann legitim gefordert werden, wenn man zugleich bereit ist, das Glaubenszeugnis anderer Konfessionen und Gruppen anzuerkennen — solche Toleranz kann aber umgekehrt nicht den Verzicht auf das eigene Zeugnis und auf den Widerspruch gegen das, was als falsch erscheint, einschließen. Das Zweite Vatikanische Konzil wie der ökumenische Rat der Kirchen berufen sich dankbar auf die Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen, aber beide Gremien sind sich klar darüber, daß der völkerrechtliche Grundsatz der Gewissensfreiheit eigentlich nur die Voraussetzung für die Bewältigung des Problems, aber nicht selbst schon die Lösung bietet.

Solange also der Gedanke der Toleranz im Horizont des Wahrheitsansprudies des Glaubens gedacht wird, stellt er sidi in einer Schärfe, der nidit mit ethischen und juristischen Antworten Genüge getan werden kann. Unter diesem Aspekt ist auch der skeptische Relativismus — der sich wohl für Toleranz einsetzen kann — keine vertretbare Möglichkeit. Die Frage nach der Glaubensfreiheit erweist sich vielmehr, heute ebenso wie in der Vergangenheit, als ein eigentlich theologisches Problem. Nur in der Verbindung mit der Frage nach Wesen und Wahrheitsgewißheit des Glaubens kann eine sinnvolle Antwort gesucht und gefunden werden. Aus diesem aktuellen, systematisch-theologisdien Interesse heraus ist die vorliegende Arbeit entstanden. Die Analyse des Toleranzbegriiîs im Werke Lessings legte sich dabei nahe. Freilidi ist das Gespräch um die Glaubensfreiheit viel älter. Nach ersten, noch sdiüditernen Ansätzen im Mittelalter war es durch Reformatoren und Humanisten des 16. Jahrhunderts in die breite Öffentlichkeit getragen worden. Die Konfessionskriege des 17. Jahrhunderts provozierten vor allem in Westeuropa umfangreiche, grundlegende Stellungnahmen. Für Deutschland aber besitzt das Werk Lessings exemplarische Bedeutung. Weder früher noch später ist hier so engagiert und überlegen, so klar und tiefgründig über die Toleranz nachgedacht worden. Es liegt in der Struktur des Problems, daß sich die Arbeit ausgeweitet hat zu einer Studie über den Grundansatz der Theologie Lessings. Idi bin mir dabei voll bewußt, welches Wagnis es bedeutet, die Fülle der Äußerungen Lessings systematisdi zu interpretieren — obwohl sie verstreut sind in seinen Dichtungen, in persönlichen Stellungnahmen, in Notizen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen, entstanden in den verschiedensten Perioden seines Lebens und oft genug geprägt von journalistischer Polemik. Bei solchem Verfahren muß freilich die Lebendigkeit des Gespräches zurücktreten, die an sich den Reiz der Lektüre Lessingsdier Schriften ausmacht. Die Legitimität einer so abstrahierenden Methode zeigt sich aber in ihrem Gewinn: nur so kann der philosophische und theologische Horizont, der die einzelnen Aussagen trägt und limitiert, erschlossen werden. Dabei wird deutlich, daß die Toleranzforderung Lessings von einer präzisen theologischen Denkleistung getragen wird. Mir sdiien es nicht sinnvoll zu sein, im Rahmen dieser Analyse in die aktuelle Auseinandersetzung mit der Theologie Lessings und ihren Toleranz-Konsequenzen zu treten. Eine solcJxe Diskussion müßte die religionsphilosophischen Grundentsciieidungen Lessings kritisieren — und könnte schließlich nur die Unvereinbarkeit der Denkvoraussetzungen des 18. und des 20. Jahrhunderts konstatieren. Die vorliegende Untersuchung möchte vielmehr dazu anregen, sich in der Begegnung mit der

Theologie Lessings semen Fragen und Lösungsversuchen zu stellen und sich selbst dadurch neue Impulse geben zu lassen. In ausführlicherer Fassung hat diese Arbeit der Theologischen Fakultät der Friedridi-Schiller-Universität Jena 1964 im Promotionsverfahren vorgelegen. In Rüdksicht auf die Druckmöglichkeit mußte der erste Teil der Arbeit, über die Toleranzdebatte in der deutschen Theologie des 18. Jahrhunderts, der die Voraussetzungen für eine genauere Profilierung des Lessingschen Beitrages zur Toleranzdebatte klären sollte, weggelassen und durch das erste, einführende Kapitel ersetzt werden. Stark reduziert wurden auch die Anmerkungen; so muß ich vor allem für die Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur auf die Masdiinensdirifl der Dissertation verweisen. Ich bedaure es sehr, daß die seit 1964 zur Theologie Lessings erschienene Literatur nidit mehr verarbeitet werden konnte; das Literaturverzeichnis weist auf die wichtigsten Titel hin. — Die Bibliographie des deutschen Toleranzschrifltums im 18. Jahrhundert wurde erarbeitet, um einen Überblick über den Umfang der Debatte zu gewinnen; sie bietet nun das Belegmaterial für die These, daß die Toleranzdiskussion in Deutschland vorrangig als theologisches Gespräch geführt worden ist. Mein besonderer Dank gilt dem Lehrkörper der Theologischen Fakultät in Jena, der meine Promotionsarbeit aufs verständnisvollste gefördert hat. Den Herren Professoren H.Benckert (f) und E.Pältz sowie Fräulein Dipl.-Germ. Maria Mitscherling, Herrn Dr. M.Fontius und Herrn Dr. M.Henschel bin ich für ihren Rat, ihre Hilfe und ihre freundliche Kritik herzlich dankbar. Ebenso danke ich aufrichtig Herrn Professor E. Schlink und dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, die die Veröffentlichung ermöglicht haben. Herr Vikar E. Richter hat mich bei den Korrekturarbeiten freundlich unterstützt. Die Anregung zu dieser Arbeit ging von meinem Lehrer, Herrn Professor Gerhard Gloege, aus. Mit lebhaftem Interesse hat er, in Jena wie dann später von Bonn aus, ihren Fortgang beraten und vorangetrieben. Er stellte die fruchtbare Arbeitshypothese auf, daß Lessing wohl von dem Erbe des Spiritualismus her zu verstehen sei. Ihm möchte ich nun, in großer Verehrung und Dankbarkeit, dies Budi widmen. Naumburg, 18. März 1969 Harald Schultze

Inhalt Vorwort

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I. Gesprädi über die Toleranz im 18. Jahrhundert II. Material und Methode 1.Überblidi über das Material 2. Die Präge nadi Lessings Quellen 3. Lessings Haltung als methodisches Problem

И 24 24 29 30

I I I . Toleranz im Horizont der Institutionen 1. Toleranz für Ketzer und Atheisten 2. Toleranz für Juden 3. Politische Freiheit

39 39 43 45

IV. Toleranz im Horizont des Menschen

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1. Individualität und Autonomie 2. Die Begrenztheit menschlidier Existenz 3. Humanität

49 53 58

V. Toleranz im Horizont der Wahrheit 1. Verantwortung für die Wahrheit 2. Polemik und Kritik als Wege zur Wahrheit 3. Wahrheitsgehalt der positiven Religionen 4. Immanenz und Transzendenz der Wahrheit

63 63 67 71 77

V I . Toleranz im Horizont der Providentia Dei 1. Unmittelbarkeit des Glaubens 2. Vertrauen in die Providentia Dei 3. Theodizee 4. Das eschatologische Ziel Exkurs I :

Zur Beurteilung des Jacobi-Gesprächs

86 86 95 98 102 107

Exkurs I I : Lessings Verhältnis zum Spiritualismus

110

Literaturverzeidinis

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Abkürzungen

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Anhang: Bibliographie des deutsdien Toleranzsciirifttums 1695—1790

128

Register

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I. Register zu den erwähnten Lessing-Schriften П. Namenregister

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I. Gespräch über die Toleranz im 18. Jahrhundert In den Nachlaßpapieren Goethes findet sich die Bemerkung: „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen." ' Dies Wort ist ein prägnanter Ausdruck für die Humanitätsgesinnung jener Epoche. Für sie ist Toleranz zu einer selbstverständlichen Voraussetzung im geistigen Leben geworden — ja das Wort Toleranz wird möglichst vermieden, weil ihm noch etwas von staatlicher Lizenz, von kirchlidier Herablassung anhaftet, weil dies Wort, als die Kampfparole einer vergangenen 2eit, nodi erinnert an die Bittei'keit, mit der sich die Nonkonformisten des Glaubens und Denkens einen Freiheitsraum erstreiten mußten. Das Weltbürgertum des deutschen Idealismus ist sidi bewußt, auf einer neuen Stufe zu stehen: hier wird der Mensch als Ganzer in seinem Anderssein geachtet, und solche Achtung fällt nicht schwer, weil man erfahren hat, daß sie zur eigenen Bereicherung und zu tieferem Verstehen führt. Möglich wurde diese Haltung reiner Humanität aber erst dadurch, daß das vorangehende Zeitalter mit ungeheurer Intensität, mit einem großen Aufgebot an Gelehrsamkeit wie an schriftstellerischem Geschick sich für die Sache der Toleranz eingesetzt hat. Daß die europäisdie Aufklärung Toleranz gefordert hat, daß Toleranz für sie eines ihrer Lieblings-Sdilagworte war, ist immer gesehen worden. Aber gerade weil man das für so selbstverständlich hielt, ist offensichtlich zu wenig darauf geachtet worden, wie sehr die Aufklärer selbst ihr ganzes sittliches Pathos in die Toleranzforderung hineinlegten. Das kommt vielleicht am überzeugendsten zum Ausdruck in der Hochachtung, mit der man in Deutschland von Voltaire sprach. An sich war Voltaire nicht allgemein beliebt: seine spöttische Religionskritik, der fast nidits mehr heilig zu sein schien, hatte ihm viele Feinde gemacht. Man las wohl seine Romane, aber man wurde ein Unbehagen nicht los. Jedoch waren sich die Aufklärer einig in der uneingeschränkten Bewunderung, die sie seinem Engagement für die Toleranz zollten. Daß dieser Mann, der doch trotz allem der genialste, der meistgelesene Schriftsteller seiner Zeit war, sich mit seiner ganzen Vitalität für die Toleranz einsetzte, machte ihn zum Helden seiner Zeit. Friedrich II. hat in der Gedenkrede auf Voltaire, die er am 16. November 1778 in der Berliner Akademie verlesen ließ, dies als das höchste Verdienst Voltaires ' Maximen und Reflexionen. Aus dem Nadilaß. Goethes Werke, hrsg. v. Robert Petsdi, Leipzig (Bibl. Inst.) 1926, 14, S.361, Nr. 875.

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gerühmt — es stand ihm noch über dem, was ihm der Schriftsteller und Philosoph Voltaire bedeutete. Toleranz ist also für das 18. Jahrhundert mehr als ein Schlagwort. Es ist eine Aufgabe, die den Einsatz des ganzen Lebens lohnt. Hier ist ein Thema gegeben, das ein gründlidies, vielseitiges Gespräch herausfordert. Selbstverständlich mußte dies weithin ein Kampfgespräch werden. Beruhte doch die staatliche und kirdiliche Ordnung in Deutsdiland noch auf den juristischen Grundsätzen des 17., ja des 16. Jahrhunderts; Staatsgrenzen und Konfessionsgrenzen waren identisch — der "Westfälische Frieden hatte nur wenige Lockerungen festgelegt. In völliger Rechtsunsicherheit lebten vor allem die Angehörigen der kleineren christlichen Gruppen, der Spiritualisten aller Schattierungen. Die Juden litten audi in den aufgeklärtesten Staaten noch unter drückenden Reglements: Moses Mendelssohn durfte wohl einen Preis der Berliner Akademie annehmen, aber eine Universitätsprofessur war für ihn zeitlebens verschlossen. Neue theologisdie Erkenntnisse, die an einigen Universitäten schon gelehrt werden durften, waren meist auf den Kanzeln strengstens verboten; eine Reihe von Lehrzuchtverfahren sollte die Gemeinden vor der Aufklärung bewahren. Aber auch die politische Publizistik bekam zu spüren, wie streng die staatlichen Zensurvorsdiriften gehandhabt werden konnten. So bedeutet die Toleranzforderung immer neu den Kampf um Lebensraum für eine andere Glaubenserkenntnis, um Freiheit für neue Ideen. Toleranz meint zunächst bürgerlidie Freiheit. In diesem Sinne hat das Bemühen der Aufklärung wesentliche Erfolge hervorgebracht. Für dieses Ziel konnte man sich in Deutschland das umfangreiche Schrifttum Englands und Frankreichs zunutze machen. Das ganze Arsenal der Polemik gegen die Intoleranz der Kirchen, der dramatischen Schilderungen der Sdirecken der Inquisition, des Wahnsinns der Glaubenskriege, der verhängnisvollen Folgen theologischer Engstirnigkeit für das ganze Leben des Staates, der Wirtschaft und des Geistes stand hier zur Verfügung. Man hat sich dessen selbstverständlich reichlich bedient. Jedoch zeichnet es die Toleranzdebatte gerade in Deutschland aus, daß hier hinter der vordergründigen Polemik das echte theologisdie Problem erkannt wird. Denn auch die Vorkämpfer der Toleranzidee sind — jedenfalls in Deutschland — zum größten Teil kirchlich gebunden; sie wollen die Heilsbedeutung des diristlidien Glaubens nicht in Frage stellen. Der Toleranzgedanke kann auch für die Sache der Aufklärung zum Bumerang werden: wenn der Konfessionskirche das Recht bestritten wird, den Staat für die Durchsetzung ihrer Glaubensgrundsätze in Anspruch zu nehmen, dann muß, wenn die Forderung der Toleranz ernstgemeint war, auch eingeräumt werden, daß es nicht Sache des Staates sein dürfe, die Ideen der Aufklärung mit direktem oder indirektem Zwang einzuführen. Wenn der orthodoxe Glaube zur Privatsache erklärt wird, dann muß es auch die 12

Weltanschauung der Aufklärung sein — das ist die Konsequenz, wird der Toleranzgedanke zum obersten Prinzip gemacht. Indem dieses erkannt wird, wird aus der Kampfdiskussion ein echtes, vielschichtiges Gespräch. Ursprünglidi ist dieses Gesprädi fast ausschließlich als theologisches Gespräch geführt worden: Toleranz wird für den Glauben gefordert, für die Freiheit der wissensdiafllidien Kritik am Dogma und für die Freiheit der Predigt. Gerade Lessing hat das klar erkannt, er hat darum die Theologen herausgefordert und sich mit ihnen gestritten — die politischen Konsequenzen diskutiert er wohl mit, sie sind aber nidit sein eigentliches Anliegen. Die Theologen spielen darum als Partner in diesem Gespräch stets eine bedeutende Rolle: die Führer der Orthodoxie verteidigen die dogmatischen und die juristisdien Grundlagen der bestehenden Verhältnisse mit großer Sachkenntnis; Johan Melchior Goeze ist durch seinen Kampf gegen Lessing am bekanntesten geworden — er hat dies aber nicht allem getan. So bedeutende Theologen wie Valentin Emst Loescher, Gottlieb Wernsdorf, Emst Salomon Cyprian haben sdion in der ersten Hälfte des Jahrhunderts die Problematik des Toleranzgedankens klar gesehen. In dieser Zeit sind es vor allem die nonkonformistischen Geistlichen, wie Gottfried Arnold, Johann Conrad Dippel und Johann Christian Edelmann, die aus ihrem Glaubensverständnis heraus Toleranz fordern — in der zweiten Jahrhunderthälfte haben sich dann auch führende Theologen der Landeskirchen die Toleranzidee zu eigen gemacht, wie etwa Johann Salomo Semler, Friedrich Germanus Lüdke, Johann August Eberhard, Wilhelm Abraham Teller u. a. Das Gespräch um die Toleranz wird aber dadurch besonders lebendig, daß nicht nur die Theologen untereinander reden, sondern daß sich auch die Laien beteiligen. Dabei fällt auf, wie selbstverständlich jene Laien die theologische Problematik beherrschen und darum entscheidende Anstöße zur Weiterführung geben können. Die einflußreichsten Schriften des Auslandes wurden von Philosophen, von Pierre Bayle und John Locke, geschrieben. In Deutschland ist eine ganze Reihe von Publizisten und Pädagogen der Aufklärungszeit beteiligt: Johann Michael von Loen, Hermann Samuel Reimarus, Johann Bernhard Basedow und Friedrich Nicolai — um nur einige der bekannteren zu nennen. Die wesentlichsten Beiträge im deutschen Gespräch stammen von dem Juristen Christian Thomasius, dem Philosophen Moses Mendelssohn — und dem DichterTheologen Gotthold Ephraim Lessing. Gerade diese Breite des Gespräches zeigt, wie wesentlich den Menschen des 18. Jahrhunderts die Toleranz gewesen ist: sie ist nicht nur publizistisches Mittel im Kampf um bürgerliche Freiheit, nicht nur ein Nebengedanke im Kampf gegen die Starrheit der alten Orthodoxie, sondern ist selbst ein positiver sittlicher Wert, die Vorbedingung für ein Leben in echter Menschlichkeit. Von da aus wird es verständlich, daß Lessing sich 13

so engagiert in die Toleranzdiskussion eingeschaltet hat. Er hat sich schon in seinen ersten Universitätsjahren hierzu zu Worte gemeldet; er hat später die Reimarusfragmente veröffentlicht und in der hitzigen Debatte des Fragmentenstreites immer wieder die formale Frage nach Toleranz und Freiheit der Kritik in den Vordergrund gestellt; der „Nathan" ist seiner Gattung nach ein Ideendrama im Dienste der Toleranzforderung: denn der Toleranzgedanke ist nicht Anlaß, sondern Grundmotiv des Nathan. Lessing hat also die Arbeitskrafl: einiger Jahre dieser Sache gewidmet. Darum ist es legitim, vom Toleranzmotiv her nach Lessings Theologie zu fragen. Es stellt sich dabei heraus, daß nicht die Originalität der Argumente entscheidend ist — denn die Toleranzliteratur bedient sich seit der Renaissance eines relativ stabilen Komplexes von Gründen, Beispielen, Bibelstellen und echten theologischen Erkenntnissen, so daß hier kaum eine Erweiterung möglich ist. Lessing ist auch philosophisch offensichtlich kein ganz eigenständiger Denker — er steht bewußt in der Tradition der Leibnizschen Metaphysik. Lessing bereichert die Diskussion also nicht durch die Neuheit dessen, was er sagt. Unverwechselbar ist vor allem der Stil seines Denkens, Urteilens, Argumentierens — diese überlegene Freiheit, mit der er alle die Gegengründe gegen eine reine Toleranz beiseite schiebt. Entscheidend wichtig ist darüber hinaus, wie er das Material der bisherigen Diskussion siebt, präzisiert und einsetzt: darin zeigt sich nun allerdings doch eine neue, originale Haltung. Vor der Schultheologie zeidinet ihn die Weite seines Horizontes und die kritische Freiheit aus, mit der er der überlieferten Form des Dogmas und der Kirche gegenübersteht. Von den theologischen und philosophischen Aufklärern dagegen unterscheidet er sich durch die theologische Sauberkeit, mit der er die Dinge auf ihren Kem hin untersucht, durch die Blickrichtung auf den eschatologischen Horizont der Fragen und vor allem durch sein Offensein gegenüber der Transzendenz. Es ist nicht nur die unbestechliche Vernünftigkeit der Aufklärung, die er einzusetzen hat, sondern zugleich das spiritualistische Erbe seines Glaubens, der weiß, daß Glaube mehr ist als Vernunflerkenntnis und Moralität. So gewinnt der Toleranzgedanke bei Lessing eine Vielschichtigkeit zurück, die zuletzt Thomasius gesehen hatte — und wird zugleich überhöht in einer frommen Humanität, die dann, allerdings in profanisierter Gestalt, von den Dichtern und Denkern des deutschen Idealismus vertreten wurde. Diese ganz präzise Denkleistung auf dem schmalen Grat zwischen Aufklärung und Klassik, zwischen Philosophie und Theologie macht eine Analyse der Voraussetzungen, der Denkmittel und der Ziele desLessingsdbenToleranzbegriffs zu einer höchst reizvollen Aufgabe. Es ist sinnvoll, nach den Grundmotiven in der deutschen Toleranzdiskussion des 18. Jahrhunderts zu fragen, weil dadurch deutlich gemacht 14

werden kann, in weldi hohem Maße sich Lessing auf die Erkenntnisse seiner Vorgänger hat stützen können. Die Grundentscheidungen der Aufklärung sind der Ausgangspunkt, den Lessing nicht selbst neu zu formulieren hatte. Die Theologie des 18. Jahrhunderts sah sidi zwei neuartigen Tatsachen gegenüber, auf die sie versuchen mußte, eine Antwort zu finden, wenn sie den Anspruch aufrechterhalten wollte, Gottes Liebe der Welt zu bezeugen: einerseits ist dem gebildeten Menschen des 18. Jahrhunderts unausweichlich zum Bewußtsein gekommen, daß die christlidi-abendländisdie Kultur nicht die einzige in der Welt ist. Was das Mittelalter durch die Begegnung mit dem Islam nur erst sehr zögernd zur Kenntnis genommen hat, das wird nun zur unleugbaren Tatsadie durch die Reiseberichte aus China und Indien: gegenüber diesen kultivierten Völkern kann der Christ nicht mit dem Ansprudi auftreten, mit dem einzig wahren Glauben audi die einzig wahre Kultur und Sittlidikeit zu bringen; aus der Mission ist ein Gespräch auf gleicher Ebene geworden. Andererseits ist die Kirche nun ganz ernstlich dem Phänomen des Unglaubens konfrontiert. In früheren Jahrhunderten waren es einzelne Außenseiter, die, wurzelnd auf dem Boden der christlichen Welt, dennoch die positiven Heilslehren der Kirche leugneten. Nun gibt es zum ersten Mal eine starke Gruppe von Gegnern des christlichen Glaubens — meist sind es Deisten, aber einige von ihnen bekennen sich auch schon laut zum Atheismus. Dieser doppelten Herausforderung, durdi die Weite des Welthorizontes und durch den neuen Unglauben, schien das alte System der Orthodoxie des 17. Jahrhunderts nidit mehr gewachsen zu sein. Dieses geschlossene, sorgfältig durchkonstruierte Lehrgebäude schien der historischen und philosophischen Kritik zu leichten Siegen zu verhelfen. Kritik an einzelnen, unhaltbar gewordenen Dogmen schien das ganze Gebäude zum Einsturz zu bringen. Was konzipiert war zur Selbstbesinnung und zur Verteidigung des Glaubens, war nun plötzlich zum Vorwand des Unglaubens geworden — denn wer nidit orthodox war, schien den Glauben an Christus überhaupt zu leugnen. Die Arbeit der Toleranzdebatte besteht daher zu einem wesentlichen Teil darin, durch theologische Kritik das orthodoxe System mit seinem Absolutheitsanspruch zu bekämpfen. Es mußte darum gehen, eine Gesprädisbasis zu sdiaffen — weit genug, um auch den Angehörigen fremder Religionen eine Anknüpfungsmöglichkeit zu bieten, und zugleich tragfähig genug, um dem Ungläubigen zu, zeigen, wie wesentlich der Glaube für das Menschsein überhaupt ist. Als Hilfsmittel zur Lösung dieser Aufgabe wurde die Frage nach den Grundwahrheiten des (iiristlidien Glaubens verwandt; denn zum Heil des Menschen, zu seiner Seligkeit, kann ja nicht das ganze Register orthodoxer Wahrheiten notwendig 15

sein — es muß vielmehr einen Kanon weniger, einfacher, leidit einzusehender Glaubenssätze geben, die zureichend sind zur Erlangung der Seligkeit. Diese Grundwahrheiten sind in allen Konfessionen die gleichen — sie sdiaifen daher eine Brücke der Toleranz zwischen den Kirdiengemeinschaften. Die allerwiditigsten unter ihnen — die nicht mit der Person Jesu Christi im Zusammenhang stehen — sind auch rational evident, sie sind identisdi mit den Wahrheiten der natürlichen Religion — dadurch ermöglichen sie eine universale Toleranz. Der Begriff der Grundwahrheiten ist gerade für das Anliegen der Toleranzdebatte außerordentlich hilfreich, weil er sich einerseits polemisch gegen die Orthodoxie, andererseits als Grundlage für die eigene, konstruktive theologische Arbeit benutzen läßt. Ursprünglidi ist er nicht ein kritischer, sondern ein seelsorgerlicher Begriff. Darin eben liegt seine Stärke, daß er das Glaubensanliegen einer ganzen Generation zum Ausdrudi zu bringen vermag. Charakteristisch ist dafür seine Zwitterstellung zwischen Theologie und Philosophie: Wahrheit, deren Erkenntnis zum Heil des Mensdien notwendig sein soll, muß in Harmonie stehen mit der Einsicht der Vernunft, ja muß in ihrem wesentlichen Teil die Evidenz metaphysischer Wahrheit — wie sie die Philosophie des 18. Jahrhunderts noch meinte voraussetzen zu können — besitzen. Es darf dabei nicht simplifiziert werden. Der größere Teil der Partner des Toleranzgesprächs besteht aus kirdilich gebundenen Laien oder aus Theologen; nur eine bestimmte Gruppe unter den Aufklärern vollzieht die Identifizierung der Grundwahrheiten des Glaubens mit der natürlichen Religion. Der Begriff der Grundwahrheiten schließt diese Identität nicht ein, sondern nur die Harmonie der positiven mit der natürlichen Religion. Jedodi kann auch von diesen kirchlich gebundenen Schriftstellern die Ansicht vertreten werden, daß das Bekenntnis zu der (rational evidenten) natürlichen Religion ausreiche zur Erlangung der Seligkeit. Diese Aussage will betonen, daß auch die „tugendhaften Heiden", also vor allem die Philosophen der heidnischen Antike, in gleidiem Maße an der Seligkeit Anteil haben wie die emsthaften Christen. Es ist in dem Zusammenhang nicht verwunderlich, daß nun, auf dem Höhepunkt der Aufklärung, etwa bei Basedow, die Idee einer einheitlichen Menschheitsreligion, die dann eben die christlich durchformte natürliche Religion wäre, auftaucht. Einem Pädagogen muß diese Konsequenz sich aufdrängen. Damit wird aber der Boden des eigentlichen Toleranzgesprächs verlassen. Solche Menschheitsreligion wäre ja eine Uniformierung durch rationale Reduktion des mannigfaltigen Glaubens. Es ist ein Zeichen für die Qualität der Debatte in Deutschland, daß solch ein Vorschlag bewußt beiseite gesdioben wird. Denn das eigentliche Ziel besteht ja nicht in der Einheit des Glaubens auf der Welt, sondern in der vollen gegenseitigen 16

Achtung gleichberechtigter Menschen, die in friedlicher Gemeinschaft zusammenarbeiten für das Ziel eines glücklidien Daseins. Die Möglichkeit, in dieser Hinsicht auf einen aufklärerisdien Absolutheitsanspruch ebenso zu verzichten wie auf einen religiösen, ist verankert in der Wertung der Sittlidikeit. Die fundamentale Bedeutung, die dem sittlich guten Handeln in der Welunsdiauung der Aufklärung beigemessen wird, ist stets gesehen worden. Die gute Tat eines Menschen steht diesem Jahrhundert höher als eine richtige Erkenntnis. Das scheint in Spannung zu stehen zu dem betonten Rationalismus aufklärerischen Denkens, dem sonst alles Empirische verdächtig ist, gerade weil es sich nidit rational konstruieren läßt. Das 18. Jahrhundert kennt aber keine Situationsethik; dadurch kommt es, daß das Sittliche dem rationalen Bereich zugeordnet werden kann. Philosophisdie und theologisdie Ethik jener Epoche sind so völlig vom naturrechtlichen Denken beherrscht, daß man sich einig ist in der Überzeugung: die Grundgebote der Sittlichkeit sind evident. Das hat entscheidende Konsequenzen für den Toleranzgedanken. Was evident ist, muß auch universal gültig sein, bei allen nachdenkenden Menschen, unabhängig von den historischen Bedingtheiten ihrer Existenz und ihrer Religion. Hier ist nidit nur eine Basis gegenseitiger Anerkennung der guten Taten des anderen gefunden, sondern zugleich eine zureichende Grundlage für das Gemeinschaftsleben. Es ist dem 18. Jahrhundert außerordentlich wichtig, eine solche Grundlage zu haben. Da ja die Orthodoxie den Anspruch erhoben hatte, durch die Einheitlichkeit einer einzigen zum öffentliAen Gottesdienst zugelassenen Konfession dem Staat die sicherste Garantie für Ruhe und Ordnung zu bieten, mußte in der Toleranzdebatte gerade dieses als glaubwürdig erwiesen werden, daß das Gedeihen eines Staates von der Duldung mehrerer Bekenntnisse nicht gehindert werden, ja vielleicht sogar entscheidend befördert werden könne. Wenn die Grundsätze sittlidien Handelns evident sind, dann kann der Staat mit ihrer Befolgung rechnen, ohne erst darauf Rücksicht nehmen zu müssen, wie die verschiedenen Konfessionen sich zu einzelnen sittlichen Fragen stellen. Die Sorge der Staatstheoretiker ist verständlich: ist die Sittlichkeit unbedingt theonom, dann müßte ja mit dem je verschiedenen Gottesbild der Kirchen und Religionen auch die Gestalt der sittlichen Pflichten variieren — das ergäbe eine edite Gefahr für eine allgemein verbindliche Gesetzgebung. Ist aber die Sittlichkeit rational evident, wie die Aufklärung überzeugt ist, dann kann der Staat mehr oder weniger unbedenklidi Toleranz gewähren. Der Staatsbürger wird nidit primär nach seinem Glaubensbekenntnis, sondern nach seinem Gemeinsdiaftsverhalten gefragt. Der Glaube eines Menschen ist bestimmt durch Umwelt, Tradition, Erziehung; wer kann da einen Menschen zur Rechenschaft ziehen wegen Irrtümern, die ihm von seinen Vätern als Wahrheit überliefert waren? Aber in seinem Handeln offenbart sidi das 2 Sdiuhze, Lessing

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eigentlidie Wesen des Mensdien; für seine Taten ist er im vollen Sinne verantwortlidi — hier hat er tatsädilidi die Möglichkeit, zwischen richtig und falsch, zwischen gut und böse zu untersdieiden. Die Anthropologie, die hinter soldier Sicht der Dinge steht, versteht sich nicht von selbst. Sie ist neuartig gegenüber dem Menschenbild der Orthodoxie. Hatte dort der Mensch noch wesentlich seine Prägung empfangen durch den Glauben, den er bekannte, durch die Gemeinschaft, zu der er gehörte — so war nun an die Stelle dieses korporativen Denkens die Frage nach der Individualität jedes Menschen getreten. Der einzelne kann doch in seinem Glauben, in seiner Weltsicht nicht mit der Meinung der Gruppe identifiziert werden. Darin liegt ja gerade die Freiheit des Menschen, daß er selbst zu entscheiden vermag, welche Anschauung ihn überzeugt. Das ist seine Autonomie — sie ist für ihn Vorrecht und Verpflichtung zugleich. Sie ist Vorredit, weil er durch sie erst im vollen Sinne mündiger Mensch ist; sie ist Verpflichtung, weil er nun plötzlich weiß, daß er Wahrheit nicht auf Autorität hin übernehmen kann. Das Recht, nur dann einem Glaubenssatz zuzustimmen, wenn er mir selbst als wahr einleuchtet, schließt die Pflicht ein, jeden Satz, den ich ausspreche, zu prüfen, inwiefern er meiner eigenen Erkenntnis entspricht. Moses Mendelssohn hat diese Doppelseitigkeit der geistigen Autonomie des Menschen ganz präzise ausgesprcxhen: dies Recht auf eigene Prüfung der Wahrheit ist nicht delegierbar. Der Mensch darf sich auch nicht nachträglich, freiwillig, dieser Autonomie begeben, indem er sich etwa der Autorität einer Glaubensgemeinschaft unterwirft. Alles, was diese Glaubensgemeinschaft bekennt, kann für den einzelnen nur insofern verbindlich sein, wie er selbst es von sich aus bekennen kann. Daß gerade der Toleranzdebatte an der Erkenntnis der Autonomie des Menschen so viel liegen muß, dürfte deutlich sein. Denn es folgt daraus ganz selbstverständlich, daß diese Autonomie durch keinerlei staatlichen oder kirchlichen Zwang überfremdet werden darf. Ein erzwungenes Bekenntnis ist ein Widerspruch in sich. Wenn die Orthodoxie meint, die Autorität des Staates für die Durchsetzung des Glaubens benutzen zu können, so zeigt sie damit, daß sie die Grundentscheidung Luthers nicht richtig verstanden hat. Luther hat nicht den Autoritätsanspruch des römischen Lehramtes bekämpft, um nun ein neues, lutherisches Papsttum aufzurichten. Der Absolutheitsanspruch der orthodoxen Theologie bindet den Menschen mit seinem Seelenheil an die Übernahme dieser einen Wahrheitsauslegung — woher nimmt sie aber die Gewißheit eigener Unfehlbarkeit? Es ist vielmehr eine typische Heteronomie, der sich der Mensch hier unterwerfen soll. Die Aufklärung ist dagegen der festen Überzeugung, das Erbe Luthers besser zu verwalten, wenn sie darauf besteht, daß der Mensch gerade in seiner Glaubenserkenntnis unmittelbar vor Gott steht. Es kann hier nicht darum gehen, zu analysieren, ob hier 18

die Orthodoxie oder die Aufklärung Luther besser verstanden habe; es soll nur auf die Bedeutung dieser neuen Lutherrezeption für die Toleranzdebatte hingewiesen werden. An der Erkenntnis von der Unvertretbarkeit des Menschen im Glauben wie im Denken sdieitert jeder Absolutheitsansprudi. Wer eine andere Anschauung vertritt als die offizielle Kirche, kann nun nicht mehr in die Rolle eines Außenseiters gedrängt werden, dem vielleicht sogar noch böser Wille unterschoben wird. Toleranz bedeutet nichts anderes als die Anerkennung, daß die Grundentsciieidung des anderen auf jeden Fall ein gleiches Recht für sich in Anspruch nehmen kann, weil audi sie mit letztem Ernst vor Gott getroffen wurde. Es liegt allerdings in der Konsequenz solcher Anerkennung der Autonomie, daß nun der Glaube überhaupt — und damit auch der orthodoxe Glaube — zur Privatsache wird. An diesem Punkte spielt die Toleranzdebatte für die Ausbildung des modernen Staatsgedankens eine entscheidende, zukunflweisende Rolle. Hier besteht eine Wechselbeziehung, die sich gegenseitig stützt: Wenn der Mensch die Pflicht, selbständig zu denken und seinen Glauben zu finden, nicht an eine kirchliche Autorität abgeben kann, muß der Staat mit einer Vielzahl von Glaubenshaltungen rechnen, weil das menschliche Denkvermögen prinzipiell begrenzt ist. Der Staat wird also zur Toleranz verpflichtet. Umgekehrt hat der Staat seine eigentliche Aufgabe ja in der Sorge für das Wohl aller Untertanen — es steht ihm nicht zu, sich um das Seelenheil und damit um den Glauben der Bürger zu kümmern. Der Privatisierung des Glaubens entspricht die Profanisierung des Staates. Damit ist aber der Freiheitsraum für echte Toleranz gewonnen. Die Verfechter einer so entschiedenen Toleranz setzen sich freilich dem Vorwurf aus, damit doch jede Wahrheitserkenntnis zu relativieren. Ist nicht die Kehrseite solcher Autonomie der reine Subjektivismus, der Wahrheit und Irrtum in das Belieben des einzelnen stellt, der im Grunde wohl an der Möglichkeit objektiver Wahrheitserkenntnis überhaupt verzweifelt? Solcher Vorwurf ist berechtigt gegenüber der Religionskritik etwa Voltaires; Voltaires Toleranz basiert freilich auf einer radikalen theologischen wie metaphysischen Skepsis, die es leicht hat, verschiedene Meinungen und Bekenntnisse zu achten, weil es ihr an der Gewißheit eines eigenen Glaubens fehlt. Der Vorwurf trifft aber den größeren Teil unter den Partnern der deutschen Toleranzdebatte nicht. Sie fordern Toleranz, obwohl sie selbst einen Glauben vertreten, der ihnen die Mitte ihres eigenen Lebens bedeutet. Sie haben darum versucht, durch die Untersdieidung des falschen und des wahren Religionseifers diesem Saciiverhalt gerecht zu werden. Der falsche Religionseifer bedient sidi des Zwanges, indem er versucht, zu erreichen, daß nur die orthodoxe Kirciie das Recht zur öffentlichen Religionsausübung erhält; ja er bemüht sich, Sekten und ähnliche fremde Kirdien ganz verbieten zu lassen. Der wahre Religions2*

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eifer dagegen vertritt den Vorzug des eigenen Bekenntnisses allein durdi die Mittel der lehrhaften Überzeugung und des sittlichen Beispiels; hier verbindet sich die missionarisch-pädagogische Absicht mit der Achtung vor der Autonomie des anderen: nur eine freiwillige Anerkenntnis der besseren Wahrheit entspricht dem Geiste der Toleranz. Vielleicht darf in dieser Differenzierung der spezifische Beitrag der deutschen Partner des an sidi ja internationalen Streitgesprächs um die Toleranz gesehen werden: daß hier versucht wird, die Möglichkeit und Notwendigkeit der Toleranz gerade in dem Ernstfall zu erfassen, in dem ein missionarischer Wahrheitsanspruch sidi bewähren muß. Toleranz ist ein faszinierender, aber zugleich ein gefährlicher Begriff. Die Anerkennung der vollen Autonomie aller menschlichen Wahrheitserkenntnis schließt nämlich audi deren Umkehrung ein: die Tolerierung des Irrtums. Wenn die Erkenntnis riditig ist, daß für den Menschen keine andere menschliche Autorität in Sachen des Glaubens und Denkens entscheiden kann, als nur sein eigenes Gewissen, dann muß das Gewissen auch in seiner Unverletzlichkeit respektiert werden, wenn es irrt. Denn freilich gibt es Menschen, die sich jeder wohlwollenden Belehrung verschließen und an ihrer Meinung, die vor ihrem eigenen Gewissen als Wahrheit gilt, die aber objektiv irrig ist, unbedingt festhalten. Wer darf sich da erlauben, die Grenze zu ziehen zwischen solcher Gewissensentscheidung, der alle Rechte der öffentlichen Mitteilung zugebilligt, und der anderen, der diese Rechte entzogen werden? Auch das irrende Gewissen verpflichtet den Menschen. Wenn Toleranz an dem irrenden Gewissen ihre Schranke finden sollte, wäre sie keine echte Toleranz mehr. Das hat Pierre Bayle mit so unbestechlicher Klarheit und logischer Stringenz dargelegt, daß hier die Toleranzdebatte nur zu wiederholen brauchte, was er bereits zur Geltung gebracht hatte. Allerdings wird meist die Einschränkung ausdrücklich dazugesetzt, daß das irrende Gewissen in dem Extremfall, daß dieser Irrtum die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Staate gefährde, um der Mitmenschen willen nicht mehr respektiert werden kann. Das ist an sich eine Selbstverständlichkeit — jedoch ergibt sich daraus die Interpretationsfrage, ob etwa dem Katholizismus oder dem Atheismus solche staatsgefährdenden Folgen notwendig eigen seien. Die Frage nach der Gewissensbindung des einzelnen ist also wichtiger als die Frage nach der reinen Wahrheit. Daß dies so grundsätzlich, so ungeschützt gesagt werden kann, ist in der Tat revolutionär. Die Kommunikation mit dem Gesprächspartner, mag er noch so andere Anschauungen haben, ist zunächst vorrangig. Man verzichtet lieber darauf, das Ergebnis des Gespräches schon vorher festzulegen, weil sonst das Gespräch sicher gar nicht zustande kommen würde. Aber am Gespräch ist man wesentlich interessiert. 20

Man darf ja voraussetzen, daß der Partner es ernst meint, daß er sein Bestes gibt. Der Irrtum wird ja um so eher verzeihlidi, wenn man bedenkt, daß der andere dem gleichen Ziel verpfliditet ist. Auch er bemüht sich um reine Wahrheit; es liegt nur an der Unvollkommenheit menschlichen Erkenntnisvermögens, daß er sie noch nicht gefunden hat. Daß er Umwege geht, ist nicht ein Fehler des Herzens, sondern nur des Verstandes. Gott aber wird ganz gewiß zuerst nach dem Herzen und seiner Absidit fragen, und nicht, wie die Orthodoxie, zunädist nach der Korrektheit der einzelnen Anschauungen. Man kann dies auch legitim mit den Begriffen der Reformation ausdrücken: Glaube wird von den Verteidigern des Toleranzgedankens ausschließlich als fiducia, nicht als assensus oder notitia verstanden. Die fides quae creditur reduziert sidi auf die Grundwahrheiten; da jene aber, soweit sie nicht metaphysisch evident sind, grundsätzlich einfach und daher leicht einzusehen sind, können sie nidit gut Gegenstand konfessioneller Auseinandersetzung werden. Die fides qua creditur verbindet zur Brüderlichkeit — wenn man auf das gemeinsame Ziel schaut, erkennt man viel leichter den We^enossen. In diesem verschiedenen Grundverständnis des Glaubens kommt der ganze Gegensatz zwischen der Orthodoxie und der Aufklärung zum Ausdruck. Dabei kehren sich die üblichen geistesgeschicfatlichen Wertungen um: die Orthodoxie erscheint mit ihrem material bestimmten, rational formulierbaren Glaubensbegriff im Grunde als rationalistisch, während die Aufklärung mit ihrem intentional bestimmten Glaubensbegriff der pietistischen Tradition näher zu stehen scheint. Die oft freilich rationalistisdien Aussageformen der Aufklärungstheologie dürfen über diese Grundentscheidung nicht hinwegtäuschen: der Wert des Menschen wird nicht bestimmt durch den Wahrheitsgehalt seiner Erkenntnis, sondern von der Bemühung seines Herzens. Wo der Glaube von seinem Inhalt konstituiert wird, muß man Grenzen aufrichten — Toleranz ist dann nur in einem schmalen, ethischen Bereich möglich. Wird der Glaube dagegen von seiner Intention her definiert, so kann in aller Freiheit über die sachgemäße Ausformung seines Inhaltes diskutiert werden — solche Offenheit des Gesprächs ist echte Toleranz. Der Widerspruch gegen dieses statische Denken der Orthodoxie bedeutet für das Toleranzanliegen sehr viel: der Mensch wird nicht zuerst danach gefragt: wie sieht dein Glaubensbekenntnis aus, um dann zu beurteilen, wieweit es den Grundforderungen entspricht — sondern er wird zuerst gefragt: wie emst ist es dir um deinen Glauben? wieviel Mühe hast du aufgewandt, die Wahrheit zu erkennen? Wer so fragt, sieht den Mensch im Werden; der Irrtum ist dann nicht ein grundsätzlicher Mangel des Glaubens, sondern eine Unvollkommenheit, ein Fehler auf diesem Wege, der beim Weiterschreiten leicht korrigiert werden kann. Das Zeitalter der Aufklärung bleibt gerade hierin seiner Leidenschaft; für die 21

Sittlidikeit treu: audi in dem Vorgang der Wahrheitserkenntnis wird die sittliche Grundstruktur freigelegt, das Bemühen um die Wahrheit. Hatte sdion die These von der Evidenz der ethischen Grundsätze und von der Gemeinsamkeit des sittlichen Strebens auch bei verschiedenem Glaubensbekenntnis der Toleranzbemühung eine tragfähige Grundlage gegeben, so wird nun auch in dem eigenen Bereich der Wahrheitssuche durch den Rückgriff auf die Intention des Herzens, also auf eine ethische Kategorie, die Gesprächsmöglichkeit universal erweitert. Die Kommunikation beruht auf dem Bewußtsein, gemeinsam auf demselben oder dodi einem ähnlidien Wege zu sein. Ist diese Analyse der Grundmotive in der Toleranzdebatte im Deutsdiland des 18. Jahrhunderts richtig, so ergibt sich daraus allerdings eine wesentliche Verschiebung der Akzente gegenüber dem herkömmlichen Bild von der Aufklärung. Man meinte dodi, daß die Aufklärung sich sicher fühle im Besitz der neuen, reinen Wahrheit, die mit Leidenschafl: und Polemik gegen die alten Mächte durchgesetzt werden solle. Richtig dabei ist die Energie in der Bekämpfung des altüberlieferten Absolutheitsansprudies. Aber die Sicherheit des Wahrheitsbesitzes trifft nur für die Vulgäraufklärung zu. Die selbständigeren Denker wissen dies ganz genau: der gegenwärtige Erkenntnisstand, selbst der besten Philosophie, bleibt hinter der Wahrheit selbst weit zurück. Sie ist zu groß, zu umfassend, um — zum mindesten bisher — ganz erkannt werden zu können. Oder umgekehrt: die Erkenntnismöglichkeiten des Menschen sind viel zu besdiränkt, als daß einer von sidi sagen könnte: ich weiß die ganze Wahrheit. Die Leidenschafl der Aufklärung entsteht nicht daraus, daß gegen den alten Absolutheitsanspruch ein neuer gesetzt werden soll, sondern daß der alte, als falsch erkannt, weggeräumt wird, um einer besdieideneren, aber darum aussiditsreidieren Wahrheitssuche Platz zu machen. Der Kampf gilt den Vorurteilen, so unerbittlich wie möglich. Das Bewußtsein, von solchen Vorurteilen frei und damit auf dem richtigen Wege zu sein, gibt die Gewißheit in diesem Kampfe. Aber sie ist verbunden mit einer echten Besdieidenheit, die nidit mit der Resignation des philosophisdien Skeptikers verwechselt werden darf, der prinzipiell an der Möglichkeit metaphysischer Wahrheitserkenntnis verzweifelt. Diese Bescheidenheit ist vielmehr — bei den meisten Gesprächspartnern in Deutschland — verbunden mit einem metaphysisdien Optimismus, der vor Kant ja noch ganz ungebrochen möglich war. Das, was auf solchem Erkenntnisweg gewonnen ist, wird nicht relativiert; mit allem pädagogischen Eifer wird an der Verbreitung der Kenntnisse gearbeitet. Wenn dann trotzdem ganz ernsthafl: gesagt werden kann, daß auch die eigene Erkenntnis möglicherweise vom Irrtum durchsetzt ist, daß weiteres Forschen der Wahrheit noch näher kommen und das bisher Erreichte korri22

gieren werde — so liegt darin eine edite Bescheidenheit, die das Lieblingsprädikat der Aufklärung verdient: sie ist eine Tugend. Bis zu dieser Grenze also hat das Gespräch um die Toleranz geführt. Das alles wäre unverständlich, wenn Toleranz nur gefordert worden wäre, um für die eigenen Ideen zunächst einen Freiheitsraum und später die absolute Madit zu erringen. Es wäre unverständlich, wenn Toleranz nur eine ethische Bedeutung hätte und ihre Verteidiger dem Glauben der Kirdie ganz entfremdet wären. Es gewinnt aber seinen Sinn, wenn man erkennt, daß in der Toleranzdebatte ein Grundanliegen der Aufklärung zur Spradie gekommen ist, das als echtes Problem durchdacht werden mußte. Man darf so weit gehen, zu sagen: weil dem Zeitalter alles daran lag, Toleranz zur echten, selbstverständlidien Haltung des guten Mensdien werden zu lassen, verstand es sich dazu, seine eigenen Anschauungen in Frage stellen zu lassen. So bringt ja etwa die Kategorie der autonomen Individualität des Menschen eine Konsequenz mit sich, die an sich der Tendenz der Aufklärungsphilosophie widerstreitet: die Individualität ist etwas Irrationales. Die Anerkenntnis der Grundentscheidung eines anderen, die einen offensichtlichen Irrtum enthält, muß dem rationalpädagogischen Sinn eines Aufklärers aufs höchste schwerfallen. Die Individualität ist meist empirisch-historisch bedingt, ist somit nicht rationalisierbar — dem Aufklärer gilt aber nur das als wesentlich, was der Vernunft zugänglidi ist. Daß die Mannigfaltigkeit der Individualitäten eine Bereidierung der Welt darstellt, daß sie sogar zur Bereicherung der Wahrheitserkenntnis führen kann — das ist eine Erkenntnis, die zwar der Leibnizschen Philosophie entnommen werden könnte, aber an sidi der Aufklärung ganz fern liegt. Durch die Toleranzdebatte wird sie aber auf dieses Phänomen gestoßen. Das bedeutet: die Aufklärung ist, durch das Anliegen der Toleranz, bis zu einer echten Demut der Wahrheitserkenntnis geführt worden. Ihr Ideal ist nicht der Prophet und nicht der Systemphilosoph, sondern der Wahrheitssucher, der sich der Unabgeschlossenheit aller menschlichen Erkenntnis bewußt ist, der offen ist gegenüber der anderen, vielleicht sogar besseren Erkenntnis seiner Gesprächspartner, der darum Toleranz übt gegen alle guten Menschen, die anders denken.

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IL Material und Methode 1. Überblick über das Material Daß Lessings Denken die Ausprägung des Toleranzbegriffs, wie er für Deutschland wirksam geworden ist, entscheidend bestimmt hat, ist unbestritten. Aber auch innerhalb seines Gesamtwerkes nimmt das Bemühen, der Toleranzidee zur selbstverständlichen Anerkennung zu verhelfen, einen wesentlichen Raum ein. Sein Beitrag zur Toleranzdebatte in Deutschland ist umfangreicher, als man zunächst vermuten möchte. Eine tabellarische Übersicht vermag am besten davon einen Eindruck zu vermitteln. a) VeröjfentlidjHngen, in denen der Toleranzgedanke zumindest eines der wesentlichen Themen ist: 1751

Rez. zu C.G.Hofmann, Dritte und letzte gegründete Anzeige derer Herrenhuthisdien Grund-Irrthümer (Beri. Priv. Ztg., 23.3.) Sdiarfe Ablehnung der Intoleranz gegenüber den Herrnhutern.

1753

Briefe (Brief 1—8: Rettung des Lemnius)^. Kritik an der persönlidien Intoleranz Luthers.

1754

Rettung des Hier. Cardanus Forderung der vorurteilslosen Prüfung des Wahrheitsanspruchs aller Religionen (Rettung des Inepti Religiosi und seines ungenannten Verfassers *. Nachweis, daß diese scheinbar freigeistige Schrift aus dem Jahre 1652 vielmehr eine orthodoxe Satire auf die Freigeisterei ist.) Die Juden. Ein Lustspiel in einem Aufzuge. Verfertiget im Jahr 1749®. Polemik gegen antisemitisdie Vorurteile. (Das erste literarische Werk in Deutschland, das einen edlen Juden in den Mittelpunkt stellt.) Über das Lustspiel die Juden, im vierten Theile der Leßingschen Schriften (Theatralisdie Bibliothek 1, N r . V I ) · . Antwort an J . D. Midiaelis, der in den Gött. Anz. v. gelehrten Sadien das Lustspiel „Die Juden" wegen seines zu weitgehenden Philosemitismus angegriffen hatte. Abdrudt eines Briefes von Moses Mendelssohn an Gumpertz über die Rez. von Michaelis.

' M-i,S.298f. = R J , S . 4 7 — 4 9 . 2 M S. 41—64 = R S. 389—417. » M Í , S. 310—333 = R 7, S. 201—228. * M 5, S. 334—352. » M 1, S . 3 7 3 - 4 1 1 = R i , S.531—571. • M é , S . 1 5 9 — 1 6 6 = R 3 , S . 6 5 2 — 6 5 9 . Die Rezension von Michaelis bei Braun 1881, 1, S . 3 5 f f . und S . 4 6 f .

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1755

1759 1760

1773

1774

1778

' « » " " " " " "

Der Freygeist. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. Verfertiget im Jahre 1749'. Forderung der Toleranz zwischen radikalem Deismus (oder Atheismus) und Theologie. Briefe die Neueste Literatur betreffend. 48. und 49. Brief. 106.—llO.Briefe. Auseinandersetzung mit J.A.Cramer, Der nordische Aufseher, und mit Basedows Antwort auf die Kritik des 48. und 49.Briefes. Thema: Die These des nordisdien Aufsehers: Ein Mensch ohne Religion kann nicht rechtschaffen sein. (Außerdem: Basedows System der Katechetik, das von der natürlichen zur diristlichen Religion fortschreitet.) Leibnitz von den ewigen Strafen (Zur Geschichte und Litteratur. Aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Erster Beytrag, Nr. VII)». Auseinandersetzung mit Johann August Eberhard (Bibl. Nr. 225). Widerspruch gegen die vorschnelle Ablehnung orthodoxer Dogmen. Von Adam Neusern, einige authentische Nachrichten (Zur Geschichte und Litteratur . . . Dritter Beytrag, Nr. XVII) Ausführliche Darstellung der Verfolgung eines Nonkonformisten durch die protestantische Orthodoxie des 16. Jahrhunderts. Von Duldung der Deisten: Fragment eines Ungenannten [Hermann Samuel Reimarus]. (Zur Geschidite und Litteratur . . . Dritter Beytrag, Nr. X V I I I ) " . Toleranzforderung für die Deisten als logische Quintessenz des Aufsatzes über Adam Neuser. Im Fragmentenstreit sieht sich Lessing mehrfach genötigt, nicht nur sachlich zu der Offenbarungskritik von Reimarus und den Angriffen gegen sie Stellung zu nehmen, sondern auch das Recht der freien wissenschaftlichen Diskussion über die historischen Grundlagen des christlichen Glaubens zu verteidigen. In folgenden Streitschriften verteidigt er u. a. dieses Recht ausdrücklich: Eine Duplik". Eine Parabel. Nebst einer kleinen Bitte, und einem eventualen Absagungsschreiben an den Herrn Pastor Goeze, in Hamburg Axiomata, wenn es deren in dergleichen Dingen giebt Anti-Goeze. Erster—Elfter Anti-Goeze. Erster. Der erste Anti-Goeze ist noch in einem anderen Zusammenhang wichtig: Lg verteidigt hier ausdrücklich Carl Friedrich Bahrdts Übersetzung des Neuen Testaments, die Goeze in einer eigenen Schrift: Beweis, daß die Bahrdtische Verdeutschung des Neuen Testaments keine Übersetzung, sondern eine vorsetzliche Verfälschung und frevelhafte Schändung der M 2, S. 49—125 = Kl, S. 573—657. MS, S. 122—133 und S.239—261 = R S.241—254 und S.383—407. M 11, S. 461—487 = R 7, S. 454—488. M 12, S. 202—254 = R 7, S. 585—650. Ebd. S. 254—271 = S. 651—671. M 13, S. 19—90 = R Í, S. 24—107. Ebd. S. 91—103 = S. 151—163. Ebd. S. 105—137 = S. 164—200. Ebd. S. 139—213 = S. 202—253 und S. 377—405.

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Worte des lebendigen Gottes sey, aus dem Augensdieine geführt. Hamburg 1773, kritisiert und der Untersuchung des Reichshofrats anempfohlen hatte. Auf Grund des Verbots dieser Übersetzung dann Bahrdts Glaubensbekenntnis (vgl. Bibl. Nr. 277—289). Lessing verteidigt nicht den Wert, sondern die Berechtigung dieser Übersetzung. Ernst und Falk. Gesprädie für Freymäurer (Erstes—Drittes Gespräch Weltbürgertum. 1779

Nathan der Weise. Ein Dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen^'.

b) Private Mitteilungen, Notizen und Erörterungen, die auf den Toleranzgedanken und auf die Rede- und Zensurfreiheit Bezug nehmen: 1750

Gedanken über die Herrnhuter (Fragment) Verteidigung der Herrnhuter gegen den Vorwurf mangelnder Orthodoxie.

1755

Absicht Lessings, Balthasar Bekkers „Betoverde Wereld" (Leeuwarden 1690) zu übersetzen und in der Vorrede sämtliche Streitschriften dazu zu bearbeiten. Lessing hatte die Streitsdiriften gesammelt (Brief an den Vater, 1 1 . 4 . 1 7 5 5 ) " .

1769

Briefwedisel mit Nicolai über wissenschaftliche und politische Freiheit: Lessing erwägt die Möglichkeit, nach Wien zu gehen; Nicolai rät ab wegen der Zensurbeschränkungen dort — Lessing polemisiert daraufhin gegen die politische Sklaverei in Berlin (Nicolais Briefe an Lessing vom 8.7., 19.8. und 2 9 . 8 . 1 7 6 9 ; Lessings Briefe an Nicolai vom 10.8. und 25.8.1769)2». Deutsche Freyheit (Notiz in den Kollektaneen, d.h. zwischen 1768 und 1772). Lessing wünscht hier ein stärkeres Engagement für die Wiederherstellung alter ständischer Freiheit in Deutschland^'). Predigt über zwei Texte. Lessing nimmt im Bußgebetsstreit in Hamburg zwischen Alberti und Goeze (vgl. Bibl. Nr. 194 und 195) für Goeze Partei, um durch seine Opposition faktisch zu vermitteln

1770/1771 Anteilnahme an der Kontroverse zwischen Lavater und Mendelssohn (vgl. Bibl. Nr. 206—216). Lessing läßt sich alle Streitschriften dazu schicken, er fordert Mendelssohn zu konsequenter Stellungnahme auf (Briefe Lessings an Nicolai vom 2 . 1 . 1 7 7 0 und vom 17.5.1770, an Mendelssohn vom 9 . 1 . 1 7 7 1 ) 4 1770

Lessing als Leser der Allgemeinen deutschen Bibliothek: er bekam von Nicolai regelmäßig ein Exemplar zugeschickt. Sein ernsthaftes Interesse an ihr bezeugt der Brief vom 17.5.1770 an Nicolai, in dem er ihn um die vorhergehenden Jahrgänge bittet, damit ihm diese nicht in Wolfenbüttel fehlen".

Ebd. S. 339—368 = S. 547—569. " M 3, S. 1—177 = R 2, S. 319—481. M S. 154—163 = R 7, S. 185—196. " MÍ7,S.44 = R9,S.54. 2« Nicolais Briefe: M 19, S . 3 1 0 f . , 312 f., 315 f. Lessings Briefe: M 17, S.296, 298 = R 9 , S. 325, 326 f. 21 M S. 227—229. 22 M 15, S. 120—124 = R 9, S. 337—343. 2« Briefe an Nicolai: M 17, S. 310, 323 = R 9, S.345, 359; an Mendelssohn ebd. S. 366 = S. 408. 2< Ebd. S. 323 = S. 360.

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1773 1776 1778

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1781

Nicolais „Sebaldus Nothanker" (Bibl. Nr. 233) hat Lessing „mit viel Vergnügen" gelesen (Briefe an Nicolai vom 18.7.1773 und vom 16.6. 1776)25. Während des Streites mit Goeze beschäftigt sich Lessing mit Tertullians Schrift „De praescriptione haereticorum" — der dritte Anti-Goeze stützt sich darauf. Die einleitenden Kapitel 1—11 hat Lessing sich ins Deutsche übersetzt. Dadite er an eine Veröffentlidiung^'? Der Briefwechsel des Jahres 1778, vor allem mit Elise Reimarus, aber auch mit seinem Bruder Karl ist aufsdilußreich für Lessings Haltung im Fragmentenstreit. Sein doppeltes Interesse an der Kontroverse wird dabei deutlich: an ihrem wissenschaftlichen Ertrag ebenso wie an der Toleranzforderung für den Deismus. Sein Freundeskreis hat das letztere für das Wesentlichere angesehen. Vgl. besonders audi Lessings Brief an Konsistorialrat Knittel vom 13.1.1773, der zeigt, wie empfindlich ihn die Aufhebung der Zensurfreiheit im Juli 1778 treffen mußte". Lessings Stellungnahme zum Verbot des Romans von Amory, Memoirs of John Bunde, in Wien: obwohl er diesen Roman jetzt nicht mehr übersetzen würde, wie er 1767 (?) beabsichtigte, nimmt er doch nun völlig Nicolais Partei gegen Wieland, der das Verbot gerechtfertigt hatte (Brief an Nicolai vom 30.3.1779, vgl. den Brief an Herder vom 10.1.1779)28. Durch Elise Reimarus nahm Lessing Kenntnis von Hennings' OlavidesStreit (Brief an Elise Reimarus vom 21./22.4.1780 und deren Bericht an Hennings) C.F.Bahrdts Kirchen- und Ketzer Almanach auf das Jahr 1781 als Lektüre, jedoch mit sehr kritischem Vorbehalt (Brief an Elise Reimarus vom 21.1.1781)'». Das Vorgehen der jülich-bergisdien Synode gegen die säumigen Kirchenbesucher verfolgte Lessing mit zornigem Interesse. Noch am 25.2., am Tage seines Todes, ließ er sich von Daveson den Bericht in Schlözers Briefwedisel darüber vorlesen (vgl. Lessings Brief vom 4.12.1780 an Jacobi und den Brief von Elise Reimarus an Hennings vom 27.5.1781)".

Sdion aus dieser Übersicht lassen sidi einige Beobaciitungen von inhaltlicher Bedeutung gewinnen. Der größere Teil von Lessings theologischen Arbeiten gilt mittelbar oder unmittelbar dem Toleranzgedanken. Eine Ausnahme im strengen Sinne stellt nur die VeröfFentlidiung der M 18, S. 87,169 = R 9, S. 582, 672. 2« M S . 410—421. " Der Brief an Knittel M 18, S.75 = R 9, S.568f. VgL u.a. die beiden Briefe von Joh. Albert Heinr. Reimarus vom 19.3. und vom Juni 1778, M 21, S. 196 fi. und S. 208 fi., sowie den Brief von Karl Lessing an seinen Bruder vom 7.6.1778, ebd. S. 203 ff. 28 M S. 312 = R 9, S. 828; der Brief an Herder ebd. S. 303 f. = S. 818 f. 2» Ebd. S.338f. = S.858. 3» Ebd. S.364 = S.886. " Der Brief an Jacobi ebd. S.358 = S.879f.; der Brief von Elise Reimarus: Gespr. S.285 = Wattenbach 1861, S.225. — August Ludwig Sdilözer's Briefwechsel meist historischen und politisdien Inhalts 8, 1781, Göttingen, S. 19—42; vgl. dazu Schmidt 1909, 2, S. 619 fi.

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Reimarus-Fragmente dar, deren Absicht die Kritik der Offenbarung ist. Aber wie Lessing diese Veröffentlidiungsreihe gerade mit einem Abschnitt über die Toleranz 1774 eröffnet, so wird er notwendig in der Diskussion darüber immer wieder auf das Problem der Freiheit der Kritik, d.h. aber auf das der Toleranz für Irrtum, Zweifel und beharrlichen Widersprudi, geführt. "Wie intensiv aber auch der wissenschaftliche Ertrag, den Lessing aus der Diskussion zu gewinnen sucht — die Unterscheidung von Buchstabe und Geist — der Toleranzidee verpflichtet ist, wird die genauere Analyse nodi zeigen®^. — Wie sehr Lessings Auseinandersetzung mit dem Toleranzgedanken in seinen theologischen Studien verwurzelt ist und bis zum Nathan hin diese Verbindung nidit leugnet, wird andererseits deutlich aus dem völligen Sdiweigen zu diesem Fragenkreis während der 60er Jahre, d. h. während seines Aufenthaltes in Breslau und Hamburg. Von den philosophischen und patristischen Studien der Breslauer Zeit hat Lessing selbst nidits veröffentlicht. — Ncxii ein weiteres Moment muß beachtet werden: Für seine grundsätzlichen Aussagen bedient sich Lessing zweimal der dichterischen Form: in den beiden Jugendlustspielen von 1749 und dann, am Ende seines letzten öffentlidien Streites, im Nathan. Die sonst so beliebte Form des philosophischen Gesprädies benutzt Lessing nur einmal, in seinen Freimaurergesprächen. Die vielfältigen anderen Äußerungen sind aber gebunden an historische Fragestellungen®* oder an die Kritik. Die publizistischen Formen, die er zur Darlegung seiner kunsttheoretischen Anschauungen verwandt hat, tauchen nur selten auf — so auf dem Höhepunkt der Polemik in der „Wochensdiriftform" ** des Anti-Goeze. Man darf aus dieser Tatsache — etwa aus der Haltung der Rettungen und aus der Publikationsfolge in den Beiträgen zur Geschichte und Literatur — sdiließen, daß Lessing das Gesprädi mit der wissenschaftlichen Theologie gerade über das Toleranzproblem gesucht hat. Während er sich mit seinen Toleranzdramen ganz in die pädagogisdie Bewegung der Aufklärung stellt, will er andererseits die Aufmerksamkeit darauf lenken, daß eine Klärung des Toleranzgedankens erst durch eine Antwort erreicht werden kann, die aus echter Auseinandersetzung mit der Tradition erwachsen ist. Vgl. unten S. 86ff. — Die zentrale Bedeutung des Toleranzgedankens darf behauptet werden, obwohl das Problem der Begründung des Glaubens in der Spannung zwisdien Vernunft und Gesdiidite das eigentlidie Thema der späteren theologischen Sdiriften Lessings ist. Das bedeutet aber keinen Gegensatz, weil der Toleranzgedanke für den Glaubensbegrifi selbst von größter Wichtigkeit ist. — Dagegen ist das Interesse Lessings an Fragen des Gottesbegriffs und der Kosmologie wirklidi sekundär. " Aus diesem Grunde ist nur ein Teil der Veröffentlichungen, die in der vorangehenden Übersidjt genannt werden, in die Bibliographie aufgenommen worden. " Vgl. Lessings Brief an J. A. H. Reimarus vom 6.4.1778, M 18, S. 268 = R 9, S. 775.

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2, Die Frage nach Lessings Quellen Die Frage, wieweit Lessing dasToIeranzsdirifttum des 18. Jahrhunderts gekannt habe, ist sehr schwierig zu beantworten. Eine Reihe von Belegen haben wir erst aus dem letzten Jahrzehnt seines Lebens: er las Eberhards „Sokrates" und Bahrdts „Ketzeralmanach", orientierte sich über die Intoleranz in Jülich-Berg ebenso, wie er über den Streit Goezes mit Bahrdt und dessen Folgen unterrichtet war. Daß er die entsprechenden Schriften seiner Freunde Mendelssohn und Nicolai las, könnte man voraussetzen, wenn es nicht sein Briefwechsel schon bestätigte. Das alles sagt aber noch nicht viel. Dagegen fällt es auf, daß Lüdkes Name überhaupt nicht genannt wird, obwohl Lessing doch zumindest von seiner Mitarbeitertätigkeit an der AdB wissen mußte; die Debatte um die Geltung der Bekenntnisschriften erwähnt er nirgends. Aber auch sonst ist das überlieferte Material so lückenhaft, daß sich nicht einmal nachweisen läßt, ob Lessing den Toleranztraktat Voltaires gelesen hat. Man wird das jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen dürfen, wie auch für die Toleranzschriften von Spinoza, Bayle und Locke, von denen sich ebenfalls in seinen Werken, Briefen und Fragmenten keine Notiz findet. Während aber bekannt ist, wie intensiv Lessing sich sonst mit diesen Denkern beschäftigt hat, fehlen von den älteren Schriftstellern, die sich für den Toleranzgedanken einsetzten, sogar die Namen fast völlig — von einigen Notizen in anderem Zusammenhange abgesehen: wir wissen also nicht, wieweit Lessing Nicolaus von Kues®®, Castellio*®, Jean Bodin oder Roger Williams®^ überhaupt selbst gelesen hat.Von Dippel fehlt in seinen Werken jede Notiz, nur im Zusammenhang seiner Spinozastudien wird in dem Bericht Kloses'* erwähnt, daß Lessing Dippel gelesen habe. Edelmanns Name taucht gelegentlich auf — aber stets nur so allgemein, daß sich daraus nicht entnehmen läßt, ob und wieweit Lessing seine Schriften kannte®®. Fast noch erstaunlicher ist es. " Lessing nennt nur an zwei Stellen den Namen des Nie. v. Kues; im Zusammenhang seiner Studien über die gesdmittenen Steine interessiert ihn die Sdirift „De Beryllo" — offensiditlidi hat er sie aber nicht nachschlagen können (Materialien zu den Ant.Br. und Kollektaneen, M 15, S. 102 und 156).— Aus dem Brief von K.A.Schmidt an Lessing vom 8.12.1779 (M 21, S. 279) geht hervor, daß Lessing damals (also ca. zehn Jahre später) Schmidt bat, eine Schrift des Kusaners zu übersetzen — es ist aber unbekannt, um welche es sich handelte. — Vgl. Bibl. Nr. 415 a. " Der N a m e Castellios taucht überhaupt nur einmal, wegen seiner Übersetzung der Fabeln des Ochino, in den Materialien zur Geschichte der Fabel (M 16, S. 168) auf; dem Jöchersdien Artikel über ihn fügte er, in seinem Handexemplar des Gelehrtenlexikons, eine bibliographische Ergänzung an (M 22, S. 248 f.) — mehr findet sich nicht! " Beide Namen fehlen völlig. «8 Gespr. S . 9 8 f . " Vgl. dazu den Exkurs: Lessings Verhältnis zum Spiritualismus.

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daß er in seinen Berliner Rezensionen auf den ganzen Streit um Johann Michael von Loens „Einzige wahre Religion" nirgends eingeht — nur in seiner Rezension der Gedidite Loens wird ganz beiläufig darauf hingewiesen^". — Gegenüber diesem negativen Befund spielt es kaum eine Rolle, daß Gottfried Arnolds Kirchen- und Ketzerhistorie einige Male zitiert wird*'; daß in den Exzerpten zur Biographie von Leibniz dessen Brief „Sur la Tolerance" an Pelisson genannt wird·*^; und daß er in seinen Kollektaneen einen Sammelband des Thomasius als Quelle angibt, in dem sich auch die umfangreiche Besprechung der „Heptaplomeres" des Bodin befindet*». Jede Aussage darüber, wieweit Lessing in seinem Toleranzdenken von seinen Vorgängern abhängig ist, kann also über die Gewißheit einer Hypothese nidit hinauskommen. Das ist eine prinzipielle Schwierigkeit der Lessinginterpretation überhaupt. Es hat an solchen Hypothesen selbstverständlich nicht gefehlt** — sie müssen notwendig auf einer Gesamtinterpretation der Haltung Lessings beruhen. Da man weiß, daß Lessing außerordentlich viel gelesen und mehr noch in Büchern gestöbert hat, hat jede dieser Hypothesen auch einen gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit, der aber jeweils neu geprüft werden muß. Jedoch wird man damit rechnen dürfen, daß Lessing wesentlich mehr Toleranzschriften gekannt hat, als er nennt. Er zitiert stets die wissenschaftlichen "Werke, die er benutzt — von seiner sonstigen Lektüre haben wir nur zufällige Notizen.

3. Lessings Haltung

als methodisches

Problem

Eine Untersuchung des theologischen Werkes Lessings steht jedoch noch vor einer anderen, viel einschneidenderen Schwierigkeit: es existiert keine umfassende, lehrende oder bekenntnishafte Schrift Lessings, der man seine eigentlidie theologische Meinung entnehmen könnte. Alle Äußerungen sind von dem Anlaß und dem Gegenüber so stark geprägt, daß sie jeweils nur einen Teilaspekt zu bieten vermögen — ja es ist deutlich, daß er seine innere, persönlichste Haltung bewußt nie preisgegeben hat. DarB e r i . P r i v . Ztg., 1 9 . 6 . 1 7 5 1 , M 4, S. 330; vgl. zur Sache das Zitat aus einer R e z . Lessings, unten S. 61. " Berengar (M 11, S . 6 5 = R 7, S . 3 1 8 ) ; A . N e u s e r (M 12, S . 2 2 8 = R 7, S . 6 1 6 ) ; V o n den Traditoren (M 16, S . 4 7 8 = К 8, S. 4 9 0 f.). « M l i , S. 512. " A l s Quelle für Theod. L u d e w i g Lau nennt Lessing (M D , S. 292) die Zeitschrift des Thomasius Bibl. N r . 96. " So setzt z . B . E . S d i m i d t (1909, 2, S . 2 7 6 — 2 7 8 ) voraus, daß Lessing Pascals Lettres Provinciales gekannt u n d für seinen A n t i - G o e z e benutzt habe; oder Fittbogen denkt ernsthaft an eine Abhängigkeit Lessings v o n C a l i x t (1923, S . 2 2 5 , A n m . ) . Vgl. außerdem den Exkurs: Lessings Verhältnis z u m Spiritualismus.

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über hinaus aber bieten diese versdiiedenen Teilaspekte untereinander Widersprüche, die von vornherein jeden Interpretationsversuch in Frage stellen. Es ergibt sich daraus die Aufgabe, einen methodischen Ansatz zu finden, der dieses Problem nicht vorschnell bagatellisiert. Vor allem in der Zeit des Fragmentenstreits taudien u.a. folgende Widersprüche zwischen den Aussagen Lessings auf: (1) In seinen Streitschriften gegen Goeze beruft sich Lessing mehrfach auf Luther im Sinne der Aufklärung: er nimmt für sich das Recht der Kritik gegenüber jeglidier Autorität in Anspruch (protestantisches Prinzip) — Auf Goezes Frage nach seinem eigenen Verständnis des diristlidien Glaubens aber antwortet er mit der Berufung auf die altkirchlichen Symbole (Tradition im katholischen Sinn) (2) In seinen „Gegensätzen" zu den Reimarus-Fragmenten verteidigt er prinzipiell, daß dem Begriff der Offenbarung der einer Gefangennehmung der Vernunft notwendig entsprechen müsse*'. — Aus seiner Ablehnung des Wunder- und Weissagungsbeweises wird aber schon deutlich*®, was Lessing später Jacobi gegenüber ganz präzise formuliert: auch und gerade da, wo es um die Gewißheit des Glaubens geht, kann er nur der Erkenntnis der natürlichen Vernunfl: folgen*®. (3) Die beiden vorangehenden Widersprüche sind eigentlich nur Teilaspekte des folgenden: Aus brieflichen Äußerungen geht völlig eindeutig hervor, daß Lessing sich als Gegner der Orthodoxie — wie auch aller anderen positiven Religionen — betrachtet hat; der Nathan ist der konsequente Ausdruck dieser Haltung®". — Dagegen hat Lessing Goeze gegenüber, wie auch gegenüber dem Konsistorium in Wolfenbüttel, den Anspruch erhoben, alsein orthodoxer Lutheraner zu gelten®'. Diese Widersprüchlichkeit von Lessings Aussagen®^ ist nun nicht erst eine crux interpretum für die moderne Lessingforschung, sondern sie hat « Absagungssdireiben (M 13, S.102 = R Í, S.161); Anti-Goeze I (ebd. S.142f., 3, S.204f.). Nöthige Antwort auf eine sehr unnöthige Frage (M 13, S. 332 = R S, S.418f.). " Gegensätze (M 12, S.433f. = R 7, S.818f.). Beweis d. G. u. d. Kr. (M 13, S. 5 f. = R S, S. 11 f.). „Lessing blieb dabei: daß er sidi alles ,natürlidi ausgebeten haben wollte'." JacobiGespr., R 8, S.629 = Sdiolz 1916, S.92. 5» Briefe an Karl Lessing vom 2.2.1774; 20.3.1777; 18.4.1779 (M 18, S.lOlf. = R 9 , S.597f.; ebd. S.226f. = S.729; ebd. S.314 = S.830). " Duplik (M 13, S.27 = R 8, S.31); Anti-Goeze VII (ebd. S.182f. = S.248f.); Brief an den Herzog v. Braunsdiweig vom 11.7.1778 (M 18, S.271 = R 9, S.779f.). Außer den oben genannten Widersprüdien entstehen nodi weitere, die aus Lessings theologisdier Entwicklung erklärt werden müssen: Lessings Stellung zur positiver» Offenbarung in den Fragmenten der Breslauer Zeit (Über die Entstehung der geoffenbarten Religion, M 14, S.312f. = R 7,S.280f.; Von der Art und Weise der Fortpflanzung und Ausbreitung der diristlidien Religion, ebd. S.314—332 = S.282— 304) untersdieidet sidi wesentlich von seiner Haltung in der Wolfenbütteler Zeit. Daß 3Î

schon seinen Freunden — seit dem Erscheinen seines „Berengar" 1770 — viel Kopfzerbrechen gemacht. So schreibt Elise Reimarus an Hennings, den Schwager ihres Bruders: „Was sagen Sie zu Lessing's vierten Beytrag? Wie mich deudit, schlägt er einen höchst wunderlichen Weg ein, den weder Orthodoxe noch Heterodoxe mit ihm gehen können. Hier, habe ich gemerkt, hat es auf versdiiedene eine ganz zweckwiedrige Wirkung gethan. Und seine Erziehung des Menschengesdilechts verwirrt vollends Denker und Undenker."'^

Und Nicolai schreibt in gleichem Sinne: „Sonst ist es in Berlin beym Alten. Die Theologen glauben, daß Sie ein Freygeist sind, und die Freygeister, daß Sie ein Theolog geworden sind."

Darauf antwortet ihm Lessing: „Was Sie mir sonst von der guten Meynung schreiben, in welcher ich bey den dortigen Theologen und Freygeistern stehe, erinnert mich, daß idi gleicher Gestalt im vorigen Kriege zu Leipzig für einen Erzpreußen, und in Berlin für einen Erzsachsen bin gehalten worden, weil ich keines von beyden war, und keines von beyden seyn mußte — wenigstens um die Minna zu machen."

Lessing ist sich also seiner widersprüchlichen Haltung nicht nur voll bewußt, vielmehr verteidigt er sie; nur diese Distanz gegenüber den bestehenden Parteien erlaube es ihm, seine Arbeit so zu tun, wie es ihm notwendig erscheint. Mag es auch ein einsamer, „höchst wunderlicher "Weg" sein. Nun scheint aber diese Antwort Lessings noch keine strenge, sadientsprechende Lösung der vorliegenden Widersprüche zu ermöglichen; sie kann seine Distanz gegenüber den Gruppierungen seiner Zeit erklären, aber nicht die Frage beantworten, ob er im eigentlichen Sinne Christ war? ob man seine Haltung gegenüber der Religion nodi „Glaube" nennen kann? Denn hier kann es doch nicht ein Sowohl-Als-auch, sondern nur ein Ja oder Nein geben! Will man sich also nicht mit der Auskunft eines völligen Indifîerentismus oder eines skeptisch-nihilistischen Wahrheitsrelativismus begnügen, so muß die eine Gruppe von Aussagen Lessings zumindest nicht ebenso ernst gemeint sein wie die andere. Da offensichtlich die Aussagenreihe über die Feindschaft gegenüber aller Offenbarung seine echten Anschauungen wiedergibt, müssen alle widersprechenden Behauptungen als Manöver seiner polemischen Taktik angesehen werden. hier eine echte Entwicklung, eine Änderung seiner Anschauungen angenommen werden muß, bezeugt der Brief an Mendelssohn vom 9.1.1771, (M 17, S. 364 ff. = R 9, S. 406 ff.). Vgl. dazu zuletzt Flajolé 1959. — Ein echtes Interpretationsproblem können also nur die gleichzeitigen Widersprüche darstellen. S3 Brief vom 2 8 . 3 . 1 7 7 7 (Wattenbach 1861, S. 207). " Brief vom 24.4.1777 (M 21, S. 161). и Brief vom 25.5.1777 (M 18, S. 244 = R 9, S. 748).

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Diese Interpretation wird durdi eine Reihe brieflicher Äußerungen nahegelegt, in denen Lessing selbst versudit, seinem Bruder und seinen Freunden sein Vorgehen verständlich zu machen®'. Aus ihnen ergibt sidi folgendes Bild: der Angriff ist in erster Linie gegen die Neologie geriditet; die Orthodoxie kommt als Gegner nicht mehr in Frage, da ihr System zu offensichtlich mit dem gesunden Menschenverstand streitet. Ja, die letztere kann darum sogar zum scheinbaren Bundesgenossen erhoben werden, um den viel gefährlicheren, weil vernünftig erscheinenden Feind zu besiegen®'. Das erklärt die scheinbar orthodoxe Haltung Lessings in den „Gegensätzen"; es erklärt auch, daß er sich nun umgekehrt der Orthodoxie — vor allem Goeze — gegenüber darauf berufl, daß er doch hier die Sadie der lutherischen Kirche vertreten habe®®. Die Hitze der Polemik nötigt ihn dann dazu, sich noch orthodoxer zu stellen, als er ist, um seine moralische und wirtsdiaflliche Existenz nicht vorzeitig aufs Spiel zu setzen®*. Daß Lessing sidi einer solchen taktischen Haltung bedient, wird durch eine Bemerkung in seinem Leibniz-Aufsatz „Von den ewigen Strafen" noch bestätigt: „Idi gebe es zu, daß Leibnitz die Lehre von der ewigen Verdammung sehr exoterisdi behandelt hat; und daß er sidi esoterisch ganz anders darüber ausgedrudct haben würde." " Häufig werden zwei Briefstellen in diesem Zusammenhang zitiert, die jedoch nur durdi eine Fehlinterpretation als Zeugnisse für Lessings bewußte taktische Haltung gewertet werden können: in den Briefen vom 9.1.1771 an Mendelssohn und vom 2.2. 1774 an Karl Lessing gebraucht Lessing jeweils für das überholte System der Orthodoxie das Bild eines einstürzenden Hauses (M 17, S.366 = R 9, S.408; M 18, S. 102 = R 9, S. 597). Daß in dem Brief von 1771 mit den „ehrlichen Leuten", die an dem Sturz dieses Systems arbeiten, unter dem Vorwand, es zu unterbauen — nicht Lessing selbst gemeint ist, sondern clie Berliner Neologen, hat Flajolé 1958, S. 208 ff. m. E. überzeugend, nachgewiesen. Vgl. dazu besonders den Brief Lüdkes an Lavater vom 23.1.1770 (MM, Jub.A. 7, S. 312 ff.). In dem Brief von 1774 drücit Lessing sogar seine ehrliche Absicht aus, dem Nachbar zu helfen, falls der Einsturz seines Gebäudes den Sturz von Lessings eigenem Haus nach sich ziehen könnte. Diese Äußerung ist gerade nicht taktisch gemeint. Vgl Flajolé 1958, S. 212. " Brief an Kari Lessing, 20.3.1777 (M 18, S.226f. = R 9, S.729). Hirsch 4, 1952, S. 138—144, interpretiert in diesem Sinne: alle positiven Aussagen über die Orthodoxie seien taktisch zu verstehen. Brief an Karl L., 25.2.1778 (ebd. S.265 = S.772): „Nächster Tage sollst Du auch eine Schrift wider Götzen erhalten, gegen den ich mich schlechterdings in die Positur gesetzt habe, daß er mir als einem Unchristen nidit ankommen kann." Brief an Karl L., 16.3.1778 (ebd. S. 266 = S. 773): „ . . . wenn Du bedenkst, daß ich meine Waffen nach meinem Gegner richten muß, und daß ich nicht alles, was ich γυμναστικός schreibe, auch δογματικός schreiben würde." An Elise Reimarus, 9.8.1778 (ebd. S. 284 = S. 795 f.) : „Es freuet mich, daß Sie die Taktik meines letzten Bogens so gut verstehen. Ich will ihm ((Goeze)) Evolutiones vormachen, deren er sich gewiß nicht versieht . . . " · · U l i , S.473 = R 7 , S.470. 3

Schultze, Lessing

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Diesen Gegensatz zwischen exoterisdier und esoterischer Aussage hat man in der Analyse von Lessings theologischen Anschauungen zum hermeneutischen Prinzip gemacht. Aufgabe der Interpretation ist es, dann aus der exoterischen Einkleidung den verborgenen esoterischen Sinn herauszuschälen. Ist dieser Grundsatz anerkannt, so bieten sich zwei Möglichkeiten, zu dem esoterischen Kern vorzudringen: (1) Es muß sich unter den Schriften Lessings eine Gruppe finden, die bekenntnishaft-esoterisch ist und damit eine sichere Grundlage des Verstehens bietet. So gewinnen bei Fittbogen der „Nathan" bei Leisegang das Fragment „Das Christentum der Vemunfl" und bei Thielicke „Die Erziehung des Menschengeschlechts" normative Bedeutung*®. Alle anderen Aussagen werden von hier aus interpretiert oder relativiert. (2) Aus einer Reihe wichtiger Äußerungen wird ein Materialprinzip erschlossen, das nun als der esoterische Sinn aucJi bei scheinbar ganz widersprechenden Textpartien erwiesen werden kann. Dies Materialprinzip ist etwa bei Mehring der Klasseninstinkt L e s s i n g s b e i Loofs, Haug u.a. der Entwicklungsgedanke als Sinngebung der Religionsgeschichte'®, oder aber, wie z. B. bei Korff, die Humanität, d. h. die ethische Sinngebung der Religion'". Alle diese Deutungsversuche unterliegen dem hermeneutischen Zirkel: Die Entscheidung darüber, welche Schrift bzw. welches Materialprinzip Ausgangpunkt der Interpretation sein könne, nimmt deren Ergebnis schon inhaltlicii vorweg. Obwohl dieser Zirkel als schlechthin unvermeidbar gelten muß, können die vorliegenden Deutungen — gerade wegen ihrer Konzentration auf das „Esoterische" bei Lessing — doch nicht befriedigen. Sie müssen die exoterischen Aussagen in einem Maße abwerten, das mit Lessings eigener Forderung unbedingter Wahrhaftigkeit" in einen unaufhebbaren Gegensatz gerät. Dieser Widerspruch ist denn auch oft genug als peinlich empfunden worden: Lessing habe von seinen Gegnern einen Grad von Wahrhaftigkeit gefordert, den er selbst nicht durchzuhalten vermochte, sondern vielmehr durcii ein System von Winkelzügen, Täuschungen und Halbwahrheiten ersetzte. Die rein polemischen «1 Fittbogen 1923, S.147, 148 f. Leisegang 1931, S . 5 6 f f . bes. S . 5 8 f . ·» Thielicke 1957, S . 5 6 . Vgl. jedoA S. 112ff.: hier zeigt Thielicke, daß er dodi das Hypothetische in Lessings Denken nidit ganz übersehen hat, sondern als Frage stehen läßt. " Mehring 1893, S . 3 7 4 f . , 385 f. « Loofs 1913, S. 61 f. Haug 1928 passim, bes. S. 82 ff. Hirsch 4, S. 133 ff. · · Korff 1954, 2, S . 1 5 4 . Müller 1955, S . 3 1 . " Vor allem in: Berengar (M 11, S . 6 9 f . = R 7, S . 3 2 3 f . ) . Vgl. Cardanus (M 5, S . 3 2 3 = R 7, S . 2 1 6 ) . VgL unten S . 6 3 f f .

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Sdiriften Lessings können darum nicht mehr Material einer strengen Analyse sein. Am schärfsten hat diesen Vorwurf Wernle formuliert®®: „Dem Kampf Lessings mit Goeze fehlt gerade das, was die weltgesdiiditlidie Größe von Luthers Kampf ausmacht: das Gewissen, unter dessen Zwang Luther steht und für das er als Bekenner auftritt. Was Lessing seinen Zeitgenossen und uns bietet, ist der Kampf des intellektuell überlegenen Humanisten gegen einen beschränkten, aber ehrlidien Polterer, wobei auf der Seite des Humanisten alle Klugheit und Gewandtheit, aber auch alle Kunst des diplomatischen Versteckens, Verschweigens und Täuschens steht."«»

Diese Interpretation wird fast unbegreiflich, wenn man damit vergleicht, wie ernsthaft Lessing immer wieder seine Unerschrockenheit gegenüber allen Machensdiaften seiner Gegner betont hat^". Er hat nicht nur nach dem Entzug der Zensurfreiheit 1778 noch drucken lassen, ohne das Konsistorium in Kenntnis zu setzen'', vielmehr schreibt er noch im Januar 1779, es liege nidit an ihm, daß keine weiteren Stücke des ReimarusManuskripts gedrudit würden; er deutet an, daß die Besitzer — offensichtlich die Geschwister Reimarus — ihm den Drudi nicht gestatten, obwohl er versprochen habe, das ganze Risiko allein tragen zu wollen Es muß also versucht werden, einen hermeneutischen Ansatz zu finden, der Lessing in allen seinen Äußerungen die Wahrhaftigkeit zugesteht, die er selbst stets gefordert hat. An der Stelle des Aufsatzes „Von den ewigen Strafen", die die begriffliche Rechtfertigung der Unterscheidung zwischen exoterisciien und esoterischen Aussagen zu geben scheint, fährt Lessing folgendermaßen fort: „Allein ich wollte nur nicht, daß man dabey etwas mehr als Verschiedenheit der Lehrart zu sehen glaubte. Ich wollte nur nicht, daß man ihn geradezu beschuldigte, er sey in Ansehung der Lehre selbst mit sich nicht einig gewesen; indem er sie öffentlidi mit den Worten bekannt, heimlich und im Grunde aber geleugnet habe. Denn das wäre ein wenig zu arg, und ließe sich schlechterdings mit keiner didaktischen Politik, mit keiner Begierde, allen alles zu werden, entschuldigen."

Die Prinzipien für eine Interpretation von Leibniz, die Lessing hier aufstellt, müssen auch zur Grundlage der Deutung seines eigenen Werkes gemacht werden. Die Spannung zwischen esoterischen und esoterischen Aussagen wird begrenzt durch die Forderung, daß sich das Exoterisciie wohl methodisdi unterscheiden, nicht aber in einen sachlichen Gegensatz zum Esoterischen treten dürfe. Inhaltlich bedeutet das etwa für den dritten der oben angegebenen Widersprüche, daß Lessing sich selbst als luthe«« Der gleiche Vorwurf bei Loofs 1913, S.53f.; Fittbogen 1923, S. 128 f., 146f. ·» Wemle 1912, S.45f. '« Anti-Goeze VII (M 13, S.184 = R S, S. 250 f.). Die „Nöthige Antwort". Brief an Karl Lessing, 20.10.1778 (M 18, S.289 = R 9, S.801f.). VgL Schmidt 1909, 2, S.303. « Brief an Herder vom 10.1.1779 (M 18, S. 302 = R 9, S. 816). " Siehe oben Anm. 60. Vgl. den Gebrauch des Begriffspaares exoterisch — esoterisch in Emst und Falk, S.Gespr. (M 13, S.410 = R Í, S.589).

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rischen Christen betrachtete, obwohl er an der Allgemeingültigkeit der positiven Offenbarung zweifelte. Während hier also ein objektiver Widerspruch bestehen zu bleiben scheint — und diesen Eindruck hatten die Zeitgenossen Lessings ebenso wie die nachfolgenden Interpreten —, muß zumindest der Versuch unternommen werden, die übergreifende theologische Kategorie zu finden, die diesen Widerspruch zugleich ermöglicht und löst. Daß Lessings widersprüchliche Aussagen von einem umgreifenden Sinnzusammenhang getragen werden, legt sich noch durch eine andere Beobaditung nahe. Nicolai beriditet davon, daß Lessing während des Hamburger Bußgebetstreites 1769^^ im Freundeskreis die Partei Goezes, gegen Alberti, ergriffen habe (Predigt über zwei Texte) Diese Episode ist — so wenig sie sadilich etwas Neues zu Lessings anderen Äußerungen hinzufügt — methodisch ungemein aufschlußreidi. Der klare Widerspruch ist durch den Streit der Parteien vorgegeben: Alberti weigert sich, Ps. 79,6 im Bußgebet von der Kanzel zu verlesen, da es mit dem höheren Gebot der Nächstenliebe streite, daß eine Gemeinde Gottes Zorn über ihre Widersadler herabbittet. Goeze hat diesen Widerspruch geleugnet, weil er zugleich das Prinzip der Verbalinspiration aufgeben müßte, wenn er in dieser Weise Kanonskritik üben ließe. Lessings Parteinahme für Goeze ist nun um so erstaunlicher, da für ihn ja mit der Verbindlichkeit der Theopneustie eigentlich auch der Grund dafür fehlen mußte, das Gebet um Gottes Zorn zu verteidigen. Trotzdem reizt es ihn, beide Gegensätze dialektisch in einem Gesidhitspunkt höherer Einheit aufzuheben. Leider besitzen wir den Text dieser Predigt nidit mehr; aus Nicolais Nadierzählung des Leitbildes in der Vorrede^" läßt sich aber wahrscheinlich madien, daß Lessing die Harmonisierung erreichen wollte durch eine Korrektur des Begriffs der Nächstenliebe; Albertis Widersprudi beruhte darauf, daß die Christenheit alle Feinde, alle Völker lieben müsse — während Lessing wohl hat sagen wollen, daß Nächstenliebe nicht ein Prinzip sei, das man so generalisierend verkünden könne, sondern sich vielmehr konkret, im Gegenüber zu dem Feind, der als Mensch begegnet, verwirklichen müsse. Von hier aus ersdieint eine bedingte Rechtfertigung des Bußtagsgebetes möglich. Die „Predigt über zwei Texte" bestätigt also zunädist die Berichte der Zeitgenossen, Lessing habe sidi in Gesprächen stets der schwächeren Partei angenommen, um durdi seinen Widersprudb das Bemühen um ein Problem zu intensivieren^'. Moses Mendelssohn hat in dem SpinozaStreit mit Jacobi wiederholt darauf hingewiesen: Vgl. Bibl. Nr. 194 und 195, die Streitschriften von Goeze und Alberti. " M ί ί , S. 120—124 (gekürzter Abdruck!) = R 9, S. 337—343 (ungekürzt!). " Ebd. S.123f. = S.342f. " Vgl. einen anderen Bericht Nicolais, Gespr. S.48; ebd. auch S.46f.

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Man darf von Lessing behaupten, „daß es vielmehr geradezu in seinem Charakter war, sich einer jeden verfolgten Lehre anzunehmen, er medite ihr zugethan, oder nicht zugethan sein, und allen seinen Scharfsinn aufzubieten, um noch etwas zu ihrer Reditfertigung vorzubringen. Der irrigste Satz, die ungereimteste Meinung durfte nur mit seichten Gründen bestritten werden, und Sie können versichert sein, Lessing würde sie in Schutz genommen haben. Geist der Untersudiung war bei ihm alles. Mit seichten Gründen behauptete Wahrheit, pflegte er zu sagen, ist Vorurtheil; nicht minder sdiädlidi, als offenbarer Irrthum, und zuweilen nodi schädlicher . . "

Oder dann in direkter Auseinandersetzung mit dem Jacobi-Gesprädi: „Er war gewohnt, in seiner Laune die allerfremdesten Ideen zusammenzupaaren, um zu sehen, was für Geburten sie erzeugen würden. Durch dieses ohne Plan Hin- und Herwürfeln der Ideen entstanden zuweilen ganz sonderbare Betraditungen, von denen er nachher guten Gebraudi zu machen wußte. Die mehresten aber waren denn freilich bloß sonderbare Grillen, die bei einer Tasse Kaffee nodi immer unterhaltend genug waren."

Opposition ist f ü r Lessing also ebenso Ausdruck seiner Neigung, wie er sie darüber hinaus methodisdi fruditbar zu madien weiß: sie ist f ü r ihn Mittel auf dem "Wege zur "Wahrheit. Jede Lessinginterpretation muß sich also auf das „Antithetische, das Hypothetische und das Humoristische — drei f ü r Lessing unendlich wichtige Faktoren — " i n seinen Äußerungen einstellen*". Es wäre also methodisch ein Kurzschluß, dies alles als exoterisch zu relativieren. Das "Widersprechende hat zunächst den besonderen "Wert, eine zu rasch, zu einfach gedachte Position zu entlarven und überwinden zu helfen. Von der dadurch gewonnenen, neuen Stellung aus kann aber dann auch der positive "Wahrheitsgehalt dieser "Widerspruchshaltung erkannt und bestätigt werden. Aus dieser Überlegung wird deutlich, daß Lessing freilich exoterisch redet, wenn er Ps.79,6 als legitimes Bußtagsgebet verteidigt; es wird deutlidi, daß er hier etwas γνμναστικώς behauptet, was er δογματικώς so nicht sagen könnte®'. Das heißt aber doch nicht, daß er etwas völlig Sinnloses behauptet habe, sondern nur, daß sich von einer neuen, überlegenen Fragestellung aus ein Wahrheitsgehalt auch hier entdecken lasse. Das ,,γυμναστικώς"· bedeutet also nur, die Aussage lasse sich nicht aus dem Gesprächszusammenhang lösen, ohne mißverständlich zu werden — es bedeutet nidit. Lessing habe etwas behauptet, was er nicht als seine Überzeugung zu verteidigen fähig sei. Es ist hier noch nicht der Ort, zu klären, weldie konstitutive Bedeutung für den Toleranzgedanken schon in dieser methodischen Haltung Lessings Morgenstunden X V , Werke 2, S. 368. " An die Freunde Lessings, Werke 3, S. 22. "· So formuliert Scholz 1916, S . L X I X , in bezug auf Lessings Haltung gegenüber Jacobi. In der Tat ist gerade das Jacobi-Gespräch ebenso charakteristisch für Lessings Diskussionshaltung. Vgl. den Exkurs dazu. Brief an Karl Lessing, vgl. oben Anm. 59.

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liegt: die Erkenntnis, daß audi der Irrtum nodi auf seinen Wahrheitsgehalt hin befragt zu werden verdient, ist methodisdie Voraussetzung und Verwirklidiung der Toleranz zugleidi®'. Diese Voruntersudiung erlaubt aber nun, den hermeneutisdien Ansatz zu fixieren, der die Begriffsanalyse leiten soll: (1) Ein Materialprinzip (Religion als Moral; Entwiddung als Sinngebung und Relativierung der Religionen; bürgerlidier Klasseninstinkt) kann ebensowenig wie eine einzige Sdirift (Nathan oder Erz. d. M.) Grundlage der Analyse sein. Lessing hat sidi an kein System ansdiließen wollen, ein soldies darf also nidit vorausgesetzt werden; sonst wird der Diskussionsdiarakter von Lessings mündlidien und sdirifllidien Äußerungen verkannt. (2) Diese Diskussionshaltung Lessings erfordert eine genaue Analyse jeder einzelnen Sdirifl; in ihrem Gesprädisdiarakter. (Das ist zwar vielfadi bisher audi gesdiehen, jedodi wurde durdi die vorzeitige Festsetzung eines esoterisdien Gehaltes die Spannung der Aussage nivelliert.) (3) Widersprüdilidie Aussagen müssen in ihrer Paradoxalität stehengelassen und auf eine übergreifende Fragestellung hin untersudit werden. (Eine Abwertung einzelner Aussagen als taktisdi begründete Halbwahrheiten streitet mit Lessings unbedingter Forderung der "Wahrhaftigkeit; ein einfadies Stehenlassen der "Widersprüdie müßte als Wahrheitsrelativismus gelten, den Lessing ebenso streng abgelehnt hat®®.) Es geht also um den Versudi, Lessing in seinem gesamten Werk und in allen seinen Äußerungen ernst zu nehmen®^; der hermeneutisdie Ansatz bemüht sidi um weitgehende Formalität, um nidit durdi zu weitgehendes inhaltlidies Vorgreifen die Offenheit der Interpretation zu gefährden 82 Vgl. dazu unten S.Slfif. Haug 1928, S. 32 f., hat 4 hermeneutisdie Regeln aufgestellt, die sidi mit den obengenannten berühren. Haugs Regel 2 + 3 entspredien hier Nr. (2). Haugs Regel Nr. 4 entspridit zwar hier Nr. (3), jedodi wird dabei zugleidi der Untersdiied des Ansatzes deutlidi: Haug setzt Lessings Standort auf dem „Hügel" des Pädagogen voraus, der seine Mitwelt dazu erziehen will, während man m. E. nur von dem Bemühen um eine übergreifende Fragestellung als hermeneutisdiem Prinzip der Interpretation spredien darf — denn gerade Lessings Stellung als Deuter der Wahrheit muß erst erfragt werden. Vgl. dazu Thielidse 1957, S.44f. Trotzdem muß sidi selbstverständlldi die Untersudiung eines theologisdien Begriffs — wie es der der Toleranz ist — vor allem auf die Sdiriften aus Lessings Wolfenbütteler Zeit konzentrieren, weil nur hier eine gesdilossene Reihe von Äußerungen vorliegt, die eine wirklidie Interpretation ermöglidit. Frühere Äußerungen werden mit herangezogen; jedodi liegt die Aufgabe der vorliegenden Untersudiung nidit in einer vollständigen Analyse des Materials. Vgl. dazu oben Anm. 52. Der hermeneutisdie Ansatz von Mann 1949 ist zwar außerordentlidi fruditbar: Lessing als der vor Gott existierende Denker, Lessing in der religiösen Bekümmertheit um das Sein, jedodi wird audi hier die Offenheit der Interpretation vorzeitig eingesdiränkt, da Lessing nun nur im Gegensatz zur Aufklärung interpretiert werden kann. Bes. S.40ff., 50 f. 38

III. Toleranz im Horizont der Institutionen 1. Toleranz für Ketzer und Atheisten Die Toleranzforderung hatte sich entzündet an der Exklusivität staatlidier und kirdilidier Institutionen. Um den Minderheitskirdien und den religiösen Splittergruppen die Möglichkeit zu verschaffen, neben den privilegierten Kirdien ihren andersartigen Glauben öffentlich bekennen oder überhaupt nur bürgerlich existieren zu dürfen, mußte zunädist dem Grundsatz Geltung erkämpft werden, daß der Staat gegenüber religiösem Wahrheitsansprudi sich prinzipiell neutral zu verhalten habe. Aus diesem Grunde ist die Toleranzdebatte bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein zum überwiegenden Teile an der Frage orientiert, wie weit die Institutionen Toleranz üben dürfen und müssen. Mit dieser Frage hat John Locke sich auseinandergesetzt, ihr dient die ganze dialektische Analyse Pierre Bayles, und noch Voltaire betrachtet sich als Sieger im Streite, weil er die Toleranz in diesem Sinne erfolgreich propagiert hat. Lessing setzt dies als den geistigen Ertrag der Toleranzdebatte voraus. Die Problemstellungen seiner Vorgänger tauchen gelegentlich auf — als eine sichere Position, die zwar im Bedarfsfall verteidigt wird, aber nidit mehr erkämpft werden muß. Das wird ganz deutlich in seiner Haltung gegenüber kirdilicher Intoleranz und dem Begriff der Häresie. Wo ihm der staatskirdiliche Absolutheitsanspruch der Orthodoxie begegnet, antwortet er mit bitterster polemischer Satire, die sich nicht scheut, das ganze Rüstzeug aufklärerischer Publizistik zu verwenden In der unmittelbaren Auseinandersetzung des Kampfes geht es nicht darum, den Gegner zu verstehen, sondern ihn zu vernichten. Weil diese bedrohliche Gefahr staatlidi gestützter Intoleranz noch nidit der Vergangenheit angehört, darf auf diese kampfbereite Wachsamkeit nicht verziditet werden. — So klingt im Werk Lessings auch die Sympathie für den Häretiker nadi, der Ketzername darf noch als Empfehlung gelten. An der historischen Bereditigung, an der Integrität von Moral und intentionalem Glauben kann kein Zweifel mehr bestehen. Um die Besorgnis der Ortho1 Beliebtes Stilmittel ist es, dem Gegner das Kostüm des mittelalterlichen Ketzerriditers überzustülpen: vgl. Anti-Goeze X (M 13, S.200f. = R S, S.392f.) oder die Nadilaßnotiz über J.M.Goeze (M 16, S.409 = R S, S.201). Ganz entsprechend Abbt, Bibl.179, vgl. Sdiultze 1962, S.197f.

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doxie vor der Gefährlichkeit der Häresie als heimliche Glaubensarmut zu erweisen, kann Lessing schon 1751 auf den Rat Gamaliels verweisen Seine Rettungen gelten nidit häretischen Gruppen, sondern einzelnen Außenseitern: dem Simon Lemnius, der es wagte, als Wittenberger Student Luther zu widerspredien; dem humanistischen Philosophen Hieronymus Cardanusk, der einen objektiven Religionsvergleich versudite; dem Apostaten Adam Neuser, der konsequenter Unitarier war und sdiließlich äußerlich Mohammedaner wurde; und zuletzt Reimarus®, Es sind radikale Individualisten, Nonkonformisten, die in keiner der religiösen Gruppen ihrer Zeit eine Heimat finden konnten. Ihren Lebenswegen, den Gründen ihrer Entsdieidungen nadizuspüren, madit sich Lessing zur Aufgabe. In ihnen rechtfertigt sich seine Definition des Häretikers: „Das Ding, was man Ketzer nennt, hat eine sehr gute Seite. Es ist ein Mensdi, der reit seinen eigenen Augen wenigstens sehen wollen. Die Frage ist nur, ob es gute Augen gewesen, mit welchen er selbst sehen wollen." *

Daß Lessing in diese Definition zugleidi die kritische Frage nach dem möglichen Irrtum des Häretikers aufgenommen hat, deutet eine veränderte Haltung zum Problem der Häresie überhaupt an. An Gottfried Arnold übt er Kritik, daß dieser den Begriff so weit gefaßt habe, daß er dadurch fast aufgehoben werde®. Arnold hat den Ketzer zum Idealtypus gemadit — so hat ihn die Aufklärungsliteratur übernommen, um den Toleranzgedanken wirksamer vertreten zu können. Für Lessing ist die moralische Integrität des heterodoxen Glaubens dagegen schon Voraussetzung geworden, so daß er versuchen kann, den Ketzer ganz realistisch zu sehen. Gerade darum interessiert ihn der Außenseiter mehr als die Gruppe: hier begegnet eine eigenständige Denkanstrengung, ein Ringen mit der Intoleranz der Kirchen und Sekten. Das moralische Versagen kann ganz scharf ins Auge gefaßt werden, wie ebenso die Fehler des Denkens* — der Häretiker ist nicht mehr ein Typus, sondern ein einzel^ Vgl. besonders die Rez. über Hofmanns „Dritte und letzte . . . Anzeige derer Herrenhuthisdien Grund-Irrthümer", Beri. Priv. Ztg., 23.3.1751 (M 4, S . 2 9 8 f . = R J, S.47—49) — dort auch der Verweis auf Act. 5, 34 ff. — Vgl. außerdem Neue H y p o these über die Evangelisten (M 16, S . 3 8 4 f . = R S, S . 1 2 4 f . , Anmerkungen). Ebenso Anti-Goeze III (M 13, S.158 = R S, S.221 f.). » Vgl. die Übersicht oben S . 2 4 f . * Berengar (M 11, S . 6 2 f . = R 7, S.315). 5 Von den Traditoren (M 16, S.478 = R S, S . 4 9 0 f . ) . » Vgl. etwa die Bemerkung über Neusers Konversion (M 12, S.230 = R 7, S.618), oder über Berengars Widerruf (M 11, S. 147, 151 = R 7, S.427, 433 f.). Denkfehler hat Lessing Reimarus in den Gegensätzen nachgewiesen — seine Stellung zu ihm enthält Anerkennung und Kritik zugleich. — Das sittliche Versagen des Heterodoxen kann jedoch entschuldigt werden, weil es menschlich ist; vielleicht um so mehr noch, weil es nur eine Folge orthodoxer Verfolgung ist. Wo dieses Versagen jedoch in eine Kausalbeziehung zu der Heterodoxie gesetzt wird, verteidigt Lessing den Ketzer und audi den

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пег, um Glauben und Wahrheit ringender Mensch, der Gereditigkeit und Toleranz verdient — und auf beides hat verzichten müssen. In diesem Prozeß fordert Lessing als Anwalt Revision^. Toleranz ist hier nicht Mitleid, sondern Aditung vor der Anstrengung und dem Ergebnis dieses Denkens. Lessing ist also auch nicht mehr in der Lage, wie Arnold und seine spiritualistisdien Nadifolger in polemischer Antithese nun der Orthodoxie den Vorwurf der Ketzerei zu machen, da Häresie ein moralischer Begriff sei®. Sittlichem Versagen sind vielmehr Orthodoxe wie Heterodoxe gleidiermaßen unterworfen: Intoleranz üben Häretiker gegeneinander ebenso und sdilimmer, als die Orthodoxie je ihren Gegnern mitgespielt hat*. Intolerant sind im Grunde sogar die Deisten, die den Ruf nadi Toleranz als Kampfparole haben. Auch sie würden — mit der entsprechenden Macht versehen — ihre Wahrheitserkenntnis mit den gleidien Mitteln durchzusetzen versuchen wie ihre Vorgänger". Die unmittelbare Gefahr der Heterodoxie liegt aber in ihren soziologischen Konsequenzen: die Wahrheitserkenntnis wird zum Privileg einer kleinen Gruppe, die sich absondert in dem exklusiven Stolz ihres Wahrheitsbesitzes. Was zunächst also echtes Streben nach eigener, autonomer Wahrheitserkenntnis war, wird paralysiert zum Glaubenssatz einer Sekte, die nunmehr in ihrer Sterilität unter die Entwicklungsstufe der Orthodoxie herabsinkt. Heterodoxie kann leidit in Schwärmerei übergehen, auch wenn sie als philosophische Erkenntnis über den Glauben hat hinausgelangen wollen „Idi hasse alle die Leute, weldie Sekten stiften wollen, von Grund meines Herzens. Denn nicht der Irrthum, sondern der sektirisdie Irrthum, ja sogar die sektirisdie Wahrheit, machen das Unglück der Menschen; oder würden es machen, wenn die Wahrheit eine Sekte stiften wollte."

Dieser klare Blicát für die Ambivalenz der Häresie ist es, der Lessing vor seinen Zeitgenossen auszeichnet. Darin drückt sich die Sublimierung Apostaten gegen die vorurteilsbefangene Historiographie. Auch Apostasie hat nicht notwendig Unsittlichkeit zur Folge! So vor allem A.Neuser (M 12, S . 2 5 2 f . = R 7, S.648 f.). ' A. Neuser (ebd., S . 2 3 6 f . = S . 6 2 7 f . ) . ' Vgl. Lessings kritische Äußerungen zu Bahrdts Ketzeralmanach (Bibl. Nr. 292) im Brief an Elise Reimarus vom 21.1.1781 (M 18, S.364 = R 9, S. 886). » A. Neuser (M 12, S.234 = R 7, S. 624). " Duldung der Deisten (M 12, S . 2 6 9 f . = R S, S . 6 6 9 f . ) ; Br. an Karl Lessing, 2 0 . 3 . 1 7 7 7 (M 18, S . 2 2 6 f . = R 9, S.729). " Zeitige Aufgabe (M 16, S . 2 9 7 f . = R 7, S.556). Vgl. dazu Ernst und Falk, 4..Gespr. (M 13, S . 3 9 8 f . = R S, S . 5 7 8 f . ) . 12 Das Urteil bezieht sich auf Basedow, Vermächtnis für die Gewissen. Brief an Karl Lessing, 30.4.1774 (M 18, S.109 = R 9, S.606). Vgl. Karls Brief an Lessing, 22.4.1774 ( M 27, S. 24).

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des ToleranzbegriíFs aus gegenüber allen Versudien, ihn zum Kampfmittel einer einzelnen Partei zu machen. In der Toleranzforderung für den deistisdien Individualisten stimmt Lessing mit der Theologie der Aufklärung überein. Indem er aber die gleiche Toleranz für den Atheisten fordert, gerät er in Gegensatz sogar zu seinen Berliner Freunden. Die Staatstheorie der Aufklärung fordert ein deistisches Minimalbekenntnis von allen Bürgern, da ihr eine Garantie gesellschaftlicher Moralität nur durch den Glauben an die ewige Belohnung der Tugend gegeben zu sein scheint. Selbst Voltaire meint, daß Atheismus für den Staat nicht tragbar sei". Lessing knüpft dagegen an Bayles Analyse an, der die Ethik von ihrer Verbindung mit dem Glauben gelöst hat. Dabei verfolgt Lessing ein doppeltes Ziel: Zunädist polemisiert er gegen die verhängnisvolle Unschärfe des Sprachgebraudis „Ein Mensch ohne Religion" indem nämlich hierunter nidit nur NiclitChristen und Deisten, sondern auch Atheisten und Religionsspötter begriffen werden, wird ein Urteil über alle gefällt, das nur auf einen dieser Typen zutrifft: nur dem Religionsspötter fehlt im strengen Sinne die Moralität. Sie fehlt ihm allerdings aus einem anderen als dem gewöhnlidi angegebenen Grunde: nicht die spöttische Leugnung der Wahrheiten der Religion rechtfertigt den Vorwurf — für den Atheisten kann hier keine Verbindlichkeit bestehen —, sondern sein Versagen gegenüber der notwendigen Rücksicht auf die Überzeugungen der Mitmenschen. Mangelnde Moralität ist also im eigentlichen Sinne Mangel an Toleranz Wird umgekehrt diese Grenze nicht übersdiritten, so kann der Atheist im gesellsdiaftlichen Sinne den gleichen Anspruch auf ethisdie Gesinnung geltend machen". Für die Gesellschaft ist allein der Effekt einer Haltung relevant; er ist aber ermöglicht, audi wo die Ethik nicht religiös verwurzelt ist. Die von religiöser Überzeugung unabhängigen Motive sind völlig zureichend für die Moralität, denn letztlich bestimmend ist nur die Anstrengung, die ein Mensdi auf ihre Bewährung verwandt hat. Religiöse Motivierung kann die Einsicht in die Bedeutung des Sittlichen steigern — sie kann aber keine andere Sittlichkeit aufbauen. Moralisches Versagen ist unabhängig von der Qualität oder gar der Zahl der Motive des sittlichen Handelns — d.h. aber, für den Staat kann es keinen Unterschied zwischen der Rechtsfähigkeit des Atheisten und des Christen geben Lessing überbietet hier also alle pragmatischen Überlegungen der " Hohmann 1952, S.52. " Lit.Br. 1759/1760, vgl. oben S.25. » 106.Lit.Br. (M 8, S.244f. = R 4, S.388f.). " Das zeigt Lessing schon 1749 in seinem Lustspiel „Der Freigeist": Adrast, der als Atheist gelten darf, ist in seiner moralisdien Haltung untadelig (I, 5: M 2, S. 63 f. = R i , S. 589). " 49. Lit. Br. (M 8, S. 129 ff. = R S. 249 ff.).

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Aufklärungsphilosophie durdi die Verteidigung der Autonomie des Sittlichen. Atheismus ist also nicht etwas, was auf der Ebene der Institutionen geregelt zu werden vermag. Es ist vielmehr ein zutiefst menschliches Problem: dem Atheisten fehlt eine Stufe der Einsicht, die nur die Glaubenserkenntnis verleiht. Problematisdi ist also nicht seine Moralität, sondern die Begrenztheit seines Horizonts. Lessing selbst ist nie Atheist gewesen

2 . Toleranz

für

Juden

Lessings Toleranzforderung wird soziologisch konkret in seiner Stellungnahme für die Juden. Es ist ein Zeichen für das heimlidie Versagen aufklärerischer Philanthropie, daß es Lessings Lustspiel „Die Juden" ist, das zum ersten Mal in der deutschen Literatur einen hochgesinnten Juden in den Mittelpunkt eines Werkes stellt Obwohl die Juden in Deutschland staatsrechtlidi geduldet waren, fehlten ihnen dodi wesentliche bürgerliche Rechte. Die gesellsdiaflliche Gleichberechtigung muß darum den Juden erst noch erkämpft werden. Lessing sieht nun seine Aufgabe darin, die antisemitischen Vorurteile, die in beschämender Einmütigkeit von den Vertretern aller Stände geteilt werden, zu bestreiten. Einer reciitliciien Verbesserung der Lage der Juden müßte die Befreiung der Christen von diesen Vorurteilen vorausgehen — denn die Vorurteile sind wesentlich daran schuld, daß sicii bisher noch niemand veranlaßt sah, hier eine Änderung zu versuchen. Die Geringaciitung der Juden erweist sich bei näherer Beleuchtung als völlig grundlos. Selbst denkende Menschen können für ihre antisemitische Haltung nur Gründe zufälliger individueller Erfahrung oder gar des Gefühls angeben^. Der einzige scheinbare Grund verwandelt sich sogar in einen Vorwurf gegen die Christen selbst: daß man Juden gewöhnlich als betrügerisdi und verschlagen kennt, ist eine entschuldbare Folge der Unterdrückung und der Abdrängung in den kaufmännischen Beruf Der vorurteilslose Mensch sieht in dem Juden nur den Mitmenschen, der in gleicher Weise die Anlage zu Fehlern und zu Tugenden in sich trägt, D a ß Lessing den Atheismus stets abgelehnt habe, ist nidit zu bezweifeln. Es ist keine Äußerung bekannt, die eine andere These nahelegen könnte. Vgl. dazu Exkurs I. " Die Juden. Ein Lustspiel in einem Aufzuge (1749. M 1, S. 373—411 = К 1, S.531—571). Vgl. dazu Sdimidt 1909, 1, S. 147ff.; Carrington 1897, S . l l f f . Levinstein 1955. 2» So äußert sich der Baron in Die Juden, 6. Auftr. (a.a.O., S. 385 f. = S. 544 f.). Ebd., 3. Auftr., Monolog des Reisenden (in der schärferen Form des ersten Druckes 1754; in der Neuausgabe 1767 gemildert, so abgedruckt bei R 1; 1754 nur M 1): »Vielleicht ist dieser Kerl . . . ein größrer Betrieger, als nie einer unter den Juden gewesen ist. Wenn diese hintergehen, so überlegt man nicht, daß sie die Christen darzu gezwungen haben. Ich zweifle ob sich einer von ihnen rühmen kann, mit einem Juden aufrichtig verfahren zu seyn" (M 1, S. 380 = R S. 538).

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wie andere Mensdien audi^^. Daß so der Mensch dem Mensdien frei gegenüberzutreten vermag, ist das Ziel dieses Tendenzlustspiels®®. Dabei ist es charakteristisch für die anthropozentrisch begründete Toleranz, daß Lessing auf ein traditionelles Argument in diesem Zusammenhang verzichtet: die freie Zuwendung zu dem Juden wird nicht durch den Zweck motiviert, das Christentum in der ethischen Bewährung glaubwürdig zu machen, da sonst der Auftrag der Judenbekehrung unausführbar bleiben müsse^. Nicht der potentielle Christ wird in dem Juden gesehen, sondern der Jude, der dem Christen auf der gleichen Höhe der Moralität begegnet, oder der dodi die Anlage in sich trägt, sich zu dieser Höhe fortzubilden. Um dieses in aller Klarheit zu verteidigen, muß Lessing — so entschieden, wie das bei der gebotenen Höflichkeit nur immer möglich ist — der an sich wohlwollenden Rezension von Michaelis widersprechen Dieser leugnete nicht die ethische Berechtigung der Lessingschen Forderung, aber er bezweifelte ihre empirische Möglichkeit. Faktisch wird damit auf einen Kampf gegen das Vorurteil verzichtet. Lessing dagegen will gerade das erreichen: daß dem Juden die Möglichkeit eingeräumt wird, sich aus der Beschränktheit seiner bisherigen Existenz zu lösen, um in der Weite des Strebens nach Wahrheit und Sittlichkeit gleichgestellter Partner seiner christlichen Brüder zu sein^'. Toleranz bedeutet hier, dem anderen zu helfen, sich auszubilden zu der freien Menschlichkeit, die keimhafl in ihm angelegt ist und der es nur am Raum zur Entfaltung gefehlt hat. Nicht die jetzt vielleicht wirklich vorhandenen Schwächen, Untugenden und Verkrampfungen erlauben ein Urteil über den Wert des Menschen, sondern das, was aus ihm werden kann, wenn ihm mit helfender Liebe begegnet wird. Darin liegt die ganze Gefährlichkeit einer Haltung, die den Menschen nach der Nation beurteilt, der er angehört: eine zufällige geschichtliche Tatsache — und etwas anderes kann die Nationalität bzw. die väterliche Religion für den sittlichen Menschen nicht sein — wird zum Vorwand, den anderen in seiner Existenz als Mensch nicht ernst zu nehmen. ^^ Die Juden, 22.Auftr. (a.a.O., S.410 = S.569): In der allgemeinen Bestürzung, die auf das Bekenntnis des Reisenden, er sei Jude, folgt, und die verdeutlidit, daß nun an eine Heirat nidit mehr zu denken sei, kann allein das Fräulein, das unverbildete Kind der Natur, fragen: „Ein Jude? '— Ey, was thut das?"! Ebd., 6.Auftr., der Reisende (S. 386—545): „Ich bin kein Freund allgemeiner Urtheile über ganze Völker . . . l A sollte glauben, daß es unter allen Nationen gute und böse Seelen geben könne." So Spener 40/4, S.87fi.; Breithaupt 66, S.202, 219f.; Franke 113, S.377. Vgl. oben S.24, Anm.6. Lessing verweist in seinem Brief an Michaelis vom 16.10.1754 (M 17, S. 40 = R 9, S. 48 f.) auf Mendelssohn, der sich aus eigener Krafl zu dieser Höhe gebildet habe.

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3. PoUtisòe Freiheit "Wie groß die Diskrepanz zwischen der Erkenntnis der aufgeklärten Nation und der politischen Wirklichkeit Deutsdilands war, hat der Ausgang des Fragmentenstreites überdeutlidi gezeigt. Während Lessing es — im Einverständnis sogar mit den modern denkenden Theologen — als sein gutes Recht betrachten durfte, die Fragmente zu veröffentlidien, konnte sich Goeze als Hüter der herrschenden Ordnung verstehen, als er nach der staatlichen Zensur rief und auf den Fall Bahrdt verwies Die Freiheit zu kritisdier theologisdier Arbeit wurde zwar in versdiiedenen Ländern des Reiches gewährt, sie war aber nirgends juristisdi garantiert. Weil so die Toleranzforderung audi noch am Ende des 18. Jahrhunderts ihre beklemmende Aktualität behalten hatte, mußte Lessings Stellungnahme in dieser Auseinandersetzung bei allen, die sidi der Aufklärung verpflichtet fühlten, das lebhafteste Interesse wachhalten Lessing hat seine Meinung gerade in diesem Punkt besonders klar gesagt: der Staat darf sidi in keiner Form und in keinem Fall ein Aufsichtsrecht über den wissenschaftlichen Meinungsstreit anmaßen. Gerade eine protestantische Obrigkeit ist verpflichtet, das Recht des einzelnen, seine Erkenntnis vorzutragen, zu wahren — man kann nicht ein usurpiertes Hoheitsrecht, das man dem Papst erfolgreich bestritten hat, nun dem absoluten Staat geben wollen®®. Audi darf die Unbedingtheit dieser Forderung nidit heimlich durch bestimmte Klauseln aufgelöst werden. Wenn Goeze eine relative Freiheit der Religionskritik einräumen will gleichsam als ein domestiziertes Stimulans für die orthodoxe Theologie, so hat Lessing dafür nur bittersten S p o t t J e g l i c h e staatliche Einflußnahme würde eine heteronome Autorität aufrichten, die das Wesen der Kritik in Frage stellte. Lessing denkt hier so ausschließlich vom Wesen der Sache her, daß ihn letzte Sidierungen der Staatsautorität nicht interessieren können Daß für ihn die Forderung eines (inhaltlich minimalen) Glaubensbekenntnisses als Grundlage der Staatsverfassung nidit legitim sein könne, liegt in der Konsequenz seiner Toleranzforderung für den Athei s t e n I n den Sdiriften aus dem Anfang der fünfziger Jahre taucht ge" Goeze, hrsg. v. E. Schmidt 1893, S.24, 71 f. — Für die Haltung der aufgeklärten Theologen vgl. die Rezension Lüdkes zum Fragmentenstreit in der AdB 391\, 1779, S.36—78 = Braun 1881, 2, S.224—245, bes. z.B. S.240f. ^ Vgl. dazu die oben S.27, Anm.27 und 28 genannten Briefe; vgl. außerdem den Briefwedisel zwischen Elise Reimarus und Hennings, Wattenbadi 1861, passim. 2» Anti-Goeze I (M 13, S.142f. = R S, S.203 ff.). So nach Jacobis Bericht 1782, Gespr. S.242. " Goeze, a.a.O., S. 71. Anti-Goeze IV (M 13, S. 161 ff. = R S, S. 225 ff.). ä» Anti-Goeze VI (ebd. S. 175 ff. = S. 240 ff.). Das ist schon klar erkannt in der Behandlung von Adrasts Freigeisterei: Der Lustspielausgang des „Freigeist" ist möglidi, obwohl Adrast nicht zum Widerruf seines Atheismus geführt wird; Toleranz für den Atheismus ist kein Problem. 45

legentlidi die Bemerkung auf, daß es eine sittliche Grenze der Toleranz gebe: lasterhafte Schriften sollen der strengen Zensur unterliegen^'. "Weil der Kanon der Tugenden so unmißverständlich von dem Gebiet der "Wahrheitsbemühung getrennt ist, kann eine moralisdie Begrenzung der Pressefreiheit eingeräumt werden. Ist für Lessing mit dieser kompromißlosen Haltung gegenüber jedem Staat, der nicht die volle religiöse Neutralität wahrt, notwendig ein politisches Programm verbunden? Ein Bekenntnis zu einer der möglichen Staatsformen ist nicht vorhanden. Die juristische Gestalt des Staates hat ihn offensichtlich kaum beschäftigt". Um so leidenschaftlicher aber ist Lessing daran interessiert, welche Möglichkeiten für die Freiheit des Mensdien in den vorhandenen Staaten bestehen. In diesem Zusammenhang ist die berühmte Kritik an dem friderizianischen Preußen widitig, in dem Brief an Nicolai vom 25.8.1769: „Sonst sagen Sie mir von Ihrer Berlinischen Freyheit zu denken und zu schreiben ja nichts. Sie reducirt sich einzig und allein auf die Freyheit, gegen die Religion so viel Sottisen zu Markte zu bringen, als man will. Und dieser Freyheit muß sidi der reditlidie Mann nun bald zu bedienen schämen. Lassen Sie . . . aber doch einmal einen in Berlin . . . auftreten, der für die Redite der Unterthanen, der gegen Aussaugung und Despotismus seine Stimme erheben wollte, wie es itzt sogar inFrankreidi und Dänemark geschieht: und Sie werden bald die Erfahrung haben, weldies Land bis auf den heutigen Tag das sklavischste Land von Europa ist." "

Solche Tyrannei hat vor der kiirchlidien keinen "Vorzug®®. "Wenn es der Sinn der Toleranzidee ist, dem Menschen in der Gesellschafl die Autonomie seiner geistigen Existenz zu sichern, so wird die Toleranz zur Lüge, wenn sie auf das religiöse Denken streng beschränkt wird. Diese Isolierung der Toleranz setzt eine Privatisierung des Glaubens voraus, die den Menschen in seiner unteilbaren Personhaftigkeit nicht ernst nimmt. Toleranz als geistige Errungensdiafl wird unglaubwürdig, wenn sie die politische Unfreiheit neben sidi ertragen kann®®. So bedeutungsvoll das antityrannisdie Motiv als Korrelat der Toleranzforderung nun auch ist, so darf es doch nicht zu dem Mißverständnis " Rez. zu Diderot, Lettre sur les Sourds et Muets, à l'usage de ceux, qui entendent et qui parlent, in: Das Neueste aus dem Reiche des Witzes, Jun. 1751 (Μ-ί, S. 423 = R J, S. 380). — Vorrede zu Mylius (M 6, S.401 = R J, S . 6 8 9 f . ) . " Man hat vor allem das Fragment des Samuel Henzi (Briefe, 1753, 22. und 23. Brief) als Bekenntnis zum Republikanismus auffassen wollen. Dagegen, m.E. überzeugend, Bergethon 1946, S. 61 fî. " M 17, S. 298 = R 9, S. 326 f. Vgl. oben S.26 und Anm.20. Das ist die Aussage des aphoristisch-pointierten „Gesprädies über die Soldaten und Mönche", das Karl Lessing aus dem Nadilaß mitgeteilt hat (M 16, S. 520 f. = R S, S. 545 f.). Gegenüber dem ofl recht ungebrochenen Staatspositivismus der Aufklärung ist diese Haltung Lessings besonders wichtig. " Vgl. das Wort des Spartacus in Lessings Nachlaß-Notizen für eine SpartacusTragödie (M 3, S.471 = R 2, S.572): „Sollte sich der Mensch nicht einer Freyheit schämen, die es verlangt, daß er Mensdien zu Sklaven habe?"

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führen, als sei umgekehrt die Toleranzidee in ihrem eigentlidhsten Sinne eine Waffe im revolutionären Kampf gegen den Absolutismus. Zumindest bei Lessing ist sie das gerade nicht". Das zu betonen, ist ihm offensiditlidi wichtig. Darum läßt er es den Freimaurer Falk ausdrücklich aussprechen: „Der Freymäurer erwartet ruhig den Aufgang der Sonne, und läßt die Liditer brennen, so lange sie wollen und können — Die Liditer auslösdien und, wenn sie ausgelösdit sind, erst wahrnehmen, daß man die Stümpfe dodi wieder anzünden, oder wohl gar andre Liditer wiederaufstecken muß; das ist des Freymäurers Sadie nidit."

Und darauf folgt dann das Wort Franklins: „Was Blut kostet, ist gewiß kein Blut werth."

Toleranz, als der Ausdruck vollkommenster Sittlichkeit, bedeutet also den Verzidit auf jeden revolutionären Gedanken; sie ist ihrem Wesen nach konservativ*^. Verwirklichung der Toleranz wie auch der Kampf um politische Freiheit sind an den Rahmen der bestehenden staatlichen Ordnung gebunden*®. Das Gebot unbedingter Sittlidikeit verbindet sidi hier mit der skeptischen Beurteilung der Möglidikeiten des Menschen: die herrschende Unfreiheit und Intoleranz sind nicht Fehler des Systems, sondern entspringen dem Mißbrauch der staatlichen Mittel durch den Menschen. Abhilfe kann also nicht durdi Abschaffung des bestehenden Staates geschaffen werden, sondern nur durch Erziehung der Menschen zu jener Höhe der Sittlichkeit, die dieser Einzelforderung nicht mehr bedarf**. Der Staat mag also — als ein Bestandteil der endlichen Welt — in seiner vorgegebenen Gestalt bestehen bleiben. Er erfüllt seinen Zweck, wenn er allein darum bemüht ist, die Glückseligkeit seiner Bürger zu garantieren. Dieser höchste Sinn duldet keine zweite Bestimmung des Staatszwecks neben sich; jede andere würde die erste gefährden, würde erlauben, daß ein Mensdi leiden müßte um dieses fremden Zweckes willen*®. Der Staat ist Mittel zur Verwirklichung der Humanität*'. Deren Universalität aber fordert die Kommunikation aller, die sich dieser Aufgabe bewußt geworden sind, über die Schranken der Nationalität hinHenzi I, 2 — die Auseinandersetzung zwisdien Henzi und Dücret über die Moralität der revolutionären Mittel (M 5, S. 106 ff. = R 2, S. 538 ff.). Dazu Bergethon 1946, S . 6 7 f f . Vgl. außerdem Henzis Rede über das Ethos der Freiheit, II, 2 (a.a.O., S . 1 1 7 f . = S.548). " Ernst und Falk, S.Gespr. (M 13, S . 4 0 0 f . = R S, S.580). Dies kann um so sidierer behauptet werden, da im Henzi und in Ernst und Falk — 1753 und 1778 — Lessings Äußerungen inhaltlidi völlig übereinstimmen. Vgl. oben A n m . 3 6 : Lessing erinnert an Gesetze, die formal nodi in Krafl sind. " Ernst und Falk, S.Gespr. (M 13, S . 3 6 3 f . = R S, S . 5 6 5 f . ) : Lessing fragt nidit nadi den Fehlern eines politisdien Systems, die durdi ein besseres zu beheben wären, sondern nadi den Fehlern, die prinzipiell jedem Staat anhaften. « Ernst und Falk, 2.Gespr. (ebd., S.352 = S.556). " Ebd., S . 3 5 3 f . = S.556 f. Vgl. Axiomata (M 13, S . 1 3 2 f . = R S, S . 1 9 4 f . ) : innere Gereditigkeit als die N o r m aller Gesetze.

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weg. Der Staat selbst hat an dieser Kommunikation kein Interesse; er ist sich selbst genug, und ist darin gereditfertigt durch seine Struktur, die an die Grenzen der Partikularität gebunden bleibt Aber es ist zu wünschen, „Recht sehr zu wünsdien, daß es in jedem Staate Männer geben mödite, die über die Vorurtheile der Völkersdiaft hinweg wären, und genau wüßten, wo Patriotismus, Tugend zu seyn aufhöret".

Das innere Reidi der Humanität, das an keine Nationalität gebunden und durdi keine Grenze mehr getrennt ist, kann nur durch die Einzelnen Wirklichkeit werden. Jene Vollkommenheit ist aber nur zu erreichen, indem der einzelne Menscii sidx um diese Vollkommenheit müht. Die unsichtbare Gemeinsdiaft der Weltbürger läßt zeidienhaft sdion etwas wirklidi werden von dem kommenden Reich, in dem die staatliche Zwangsgewalt nicht mehr existiert, weil sie überflüssig geworden ist, denn jeder weiß sich selbst zu regieren. F. H. Jacobi erzählt in einem Brief an Elise Reimarus von einem Gespräch mit Lessing: „In einer Unterredung, die ich mit ihm hatte, kam er einmal so sehr in Eifer, er behauptete, die bürgerliche Gesellschaft müsse noch ganz aufgehoben werden; so toll dieses klingt, so nah ist es dennoch der Wahrheit. Die Mensdien werden dann gut regiert werden, wenn sie keiner Regierung mehr bedürfen. Drechseln sich das nidit."

daß und erst läßt

" Ernst und Falk, a.a.O., S.360f. — S.562f. Dort auch das folgende Zitat. Im gleichen Sinne: Brief an Gleim, 16.12.1758 (M Í7, S. 156 = R 9, S. 182). Fr. Heinr. Jacobi, Auserlesener Briefwechsel, 1, Leipzig 1825, S. 319f., Brief v. 15.3.1781. — Zitiert bei Kamnitzer 1954, S.127.

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IV. Toleranz im Horizont des Menschen 1. Individualität

und Autonomie

Staat und Kirche als Institution haben, nach Lessings Überzeugung, nur einen höchst eingeschränkten Wert für die Verwirklichung vernunftbestimmter Existenz. Die Begegnung des Menschen mit der Erkenntnis der Vernunft und des Glaubens fordert stets den einzelnen; der Nachteil der Institutionen liegt darin, daß sie zu verallgemeinernden Urteilen verleiten, deren Kehrseite dann die Aufrichtung mißverstandener, notwendig intoleranter Gesetzlichkeit ist'. Lessing fragt also nach dem einzelnen und seiner Existenzmöglichkeit in den Institutionen; ihm allein gilt sein Interesse und seine Toleranz. — Es steht nun aber eine andere Beobachtung zu dieser Tatsache in Spannung: die Idee des Humanitätsreiches überbietet nicht nur die Partikularität der Einzelstaaten, sondern sie soll doch auch die Überwindung aller institutionell bedingten Trennung zwischen den Menschen bringen^. Haben diese fortgeschrittenen Geister, die zu Bürgern jenes inneren Reiches geworden sind, nicht mit den Schranken der gesellschaftlichen Bindungen auch die Hemmnisse der Individualität faktisch hinter sich gelassen? Die Interpretation dieser Spannung ist für das Problem von großer Bedeutung, ob der Toleranzgedanke bei Lessing die bleibende metaphysische Qualität der Individualität oder gerade deren Überwindung voraussetzt. Die Anschauung der Aufklärung, die die Verschiedenheit der Menschen, ihrer Überzeugungen und Gesellschaftsformen mit dem Einfluß des Klimas und der geographischen Umwelt erklärt, schließt ein negatives Werturteil ein: obwohl dies die unabänderlichen Bedingungen menschlidier Existenz sind, sind sie doch unvernünftig. Wie stark Lessing im gleichen Sinne denkt, zeigt gerade sein Wunsch, an der Überwindung solcher Hindernisse der menschlichen Kommunikation zu arbeiten. Nicht die Bejahung der Individualität, sondern ihre Überhöhung durch die Er1 Freigeist I, 1 (M 2, S.53f. = К 1, S. 578); Vorrede Mylius (M 6, S.402f. = R S.691); Predigt über zwei Texte (M 1}, S.124 = R9, S.343). ^ In der Rez. zu (F. I. E. de Laborde), L'Esprit des Nations, Beri. Priv. Ztg., 2.1. 1753 (M Í, S.143 = R Л S.79) zitiert Lessing Popes Satz: „The noblest study of mankind is man" — lehnt jedoch ausdrütklidi eine Anwendung auf die einzelnen ab — nur der Menschheit könne dieses höchste Interesse gelten. Hier wird also die Individualität als das Historisdi-Zufällige abgewertet. 4

Sdiultze, Lessing

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leuchtung der Vernunft ist das Ziel menschlichen Daseins®. Während sich Lessing mit dieser streng rationalen Anthropologie in Übereinstimmung mit der Aufklärung befindet, unterscheidet er sidi doch von ihr, indem er aus der zukünftigen Überwindung der Individualität nicht ihre gegenwärtige Wertlosigkeit folgert. Sie hat metaphysisch nur einen bedingten Wert — aber darin hat sie Teil an der Struktur der Endlichkeit überhaupt. Die Verbindlichkeit des Wertes der Individualität besteht in dreifacher Hinsicht: (1) In der Tatsädilidikeit der Individualität begegnet Gottes Schöpferwille. Wer den Glaubenssatz selbst der natürlichen Religion ernst nimmt, daß die ganze Welt Gottes Werk ist, sieht auch im scheinbar Zufälligen Seine Hand^. (2) Da die Individualität Grundbedingung aller endlichen Existenz ist, ist auch die Seinsweise der Vernunft in der Welt an sie gebunden®. Jedes Individuum ist also auf seine Bedeutung im Vernunftzusammenhang der Welt hin zu befragen — keines darf als eine quantité négligeable behandelt werden. (3) In der Individualität kann die Zukünftigkeit des Reiches der Vernunft schon zeichenhaft verwirklicht werden. Die Individuen, die an der Vernunfterkenntnis in besonderem Maße teilhaben, können in ihrer Kommunikation sdion die Sdiranken der Individualität überwinden, ohne jedodi ihre bleibende Bindung verleugnen zu müssen*. Lessing hat immer wieder den unendlichen Wert jedes einzelnen Menschen betont; keine Seligkeit des Menschen und keine moralische Ordnung kann bestehen, die hier auch nur ein einziges Wesen auszunehmen wagt^. Durch diese positive Wertung der Individualität überschreitet ' Vgl. außer der oben A n m . 2 genannten Rez.: Ernst und Falk, 2.Gespr. (M 13, S.358ff. = R S , S.561 f.). * Vgl. a.a.O. das Gleichnis vom Feuer, dem unvermeidlichen Rauch und dem Versuch, diesen Rauch abzufangen: damit wird das Feuer selbst nicht bekämpft! — Vgl. vor allem das Fragment: Über die Wirklichkeit der Dinge außer Gott (M 14, S . 2 9 2 f . = R 7, S. 305 f.). Hier versucht Lessing zu demonstrieren, daß selbst das Zufällige — das ist aber das Individuelle — seine Existenz in Gott habe. ® In dem Fragment Chr. d. Vnft. (M 14, S.178 = R 7, S.200) kann Lessing das sittliche Grundgebot der vernünftigen moralischen Wesen so formulieren: „Dieses Gesetz ist aus ihrer eignen Natur genommen, und kann kein anders seyn, als: handle deinen individualischen Vollkommenheiten gemäß." ® Vgl. vor allem die Definition der Freimaurerei in Ernst und Falk, S.Gespr. (M 13, S.401 f. = R S, S.SSOf.): sie beruhe „auf dem gemeinschaftlichen Gefühl sympathisierender Geister". Auf die symbolische Bedeutung des Nathan-Schlusses braucht nur hingewiesen zu werden. ^ Vor allem: Gegensätze (M 12, S.437 = R 7, S.823): „Denn Weh dem menschlichen Geschlechte, wenn in dieser Oekonomie des Heils auch nur eine einzige Seele verloren geht. An dem Verluste dieser einzigen müssen alle den bittersten Antheil nehmen, weil jede von allen diese einzige hätte seyn können. U n d welche Seligkeit ist so überschwänglich, die ein solcher Antheil nicht vergällen könnte?" Entsprechend

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Lessing zwar nicht die Grenzen aufklärerischer Weltanschauung — aber er vertieft sie, indem er auf die Leibnizsche Metaphysik zurückgreift. In der „Monadologie" ist schon die Spannung zwischen der metaphysischen Qualität der Individualität und deren Aufhebung durch das Reich der Gnade enthalten. "Was bei Leibniz kosmologisch konzipiert ist, wird von Lessing auf das Dasein des Menschen hin interpretiert und so für den Toleranzgedanken gerade in seiner Spannung fruchtbar gemacht. Auch die absonderlichste Erscheinungsform des menschlichen Geistes braucht so nicht Gegenstand des aufgeklärten Mitleids zu werden, sondern ihr gilt das Interesse der Toleranz, das auch hier noch nach dem Sinn fragt, den Gott in diese Individualität hineingelegt hat®. Zugleich aber kann nach den vollkommeneren Geistern gefragt werden, in denen die Vernunfterkenntnis schon die Stufe erreicht hat, die eine echte, wechselseitige Gemeinschaft ermöglicht®. Aus dieser Stellung Lessings zur Individualität wird seine leidenschaftliche Verteidigung der Autonomie von Erkenntnis und Glaube verstehbar. Jeder Versuch, die Glaubensaussage des einzelnen durch einen autoritativen Kanon zu reglementieren, ist ein Angriff auf die metaphysische Integrität des Individuums. Darum gipfelt das „Absagungsschreiben" an Goeze in der einfachen Aussage: „Nur eines werde idi nicht aushalten können: Ihren Stolz nicht; der einem Jeden Vernunft und Gelehrsamkeit abspricht, welcher Vernunft und Gelehrsamkeit anders braudit, als Sie." "

Um dies zu begründen, erörtert Lessing nicht mehr in aller Gründlichkeit die Rechte des irrenden Gewissens — das hat Bayle getan, und Lessing erinnert nur kurz daran, wenn einer seiner Gegner das noch nicht wahr haben will". Aber die Unbedingtheit der Autonomie behauptet Lessing, wo immer es nötig ist, in gleicher Radikalität wie Bayle: auch die Erkenntnis des wahren christlichen Glaubens ist ein freier Akt des einErnst und Falk, 2. Gespr. (M 13, S. 352 = R », S. 556). — Daß hier ein Grundmotiv für Lessings Seelenwanderungshypothese liegt, hat Kofink 1912, S. 192, 200, gezeigt. 8 Ernst und Falk, 4. Gespr. (M 13, S. 392 ff. = R S, S.573f.), über Goldmacher, Schottische Freimaurer, Tempelherren — in ihnen allen kann noch ein positiver Sinn gesehen werden. ' Der unendliche Wert, den bei Lessing jede einzelne Individualität in ihrer Eigenart besitzt, scheint die These zu ermöglichen, daß Lessing der Vorkämpfer der reinen Subjektivität sei. (So vor allem Brüggemann 1926 passim, im gleichen Sinne Wiese 1931, S.4, 152; Schmitz 1941, S.61ff.) Der Begriff der Individualität bei Lessing ist aber mit dem modernen Begriff der Subjektivität nicht identisch: die Monade gehört unlöslich in die kosmische Ordnung der Welt, ihr Ziel ist nicht die bindungslose Freiheit von diesem ordo rerum. " Absagungsschreiben (M 13, S. 103 = R S, S. 162). Das meint der Zusammenhang zu dem berühmten Wort über die Suche nach der Wahrheit, in der Einleitung der Duplik (M 13, S.23f. = R S, S.26f.). 4·^

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zelnen, der in seiner Unvertretbarkeit gerade verkannt wird, wenn er etwa von der objektiven Allgemeingültigkeit der inspirierten Sdirift abhängig gemacht wird In dieser Freiheit zur eigenen Erkenntnis, zu der das uneingesdiränkte Recht des öifentlidien Bekennens gehört, sieht Lessing das unaufgebbare Erbe der Reformation. Die berühmten Stellen seiner Polemik gegen Goeze, in denen er sich auf Luther beruft, meinen nur dieses Freiheitsrecht Lessing ist sich dabei völlig bewußt, daß die Reformatoren selbst nicht die Toleranz als die eigentliche Absicht ihres Werkes gemeint haben. So fügt er in den siebziger Jahren in seine Lemnius-Briefe eine Anmerkung für ihre Neuausgabe ein: „Es war den ersten Reformatoren sehr sdiwer, dem Geiste des Pabstthums gänzlich zu entsagen. Die Lehre von der Toleranz, weldie doch eine wesentliche Lehre der diristlidien Religion ist, war ihnen weder recht bekannt, noch recht behaglich. Und gleichwohl ist jede Religion und Sekte, die von keiner Toleranz wissen will, ein Pabstthum." "

Aber Lessing weiß zwischen den zukunftsweisenden und den konservativen Tendenzen in Luthers Werk zu sdieiden und von daher nimmt er — in völliger Übereinstimmung mit der deutschen Aufklärung — für sich das Recht in Anspruch, sich gegen Goeze als den echteren Lutheraner zu bezeichnen. Gerade die geschichtliche Bedeutung der Reformation sollte alle Bedenklichkeiten verscheuchen und dem Grundsatz Raum geben, daß heute — ohne Ausnahme — jeder das gleiche Recht für sich in Ansprudi nehmen dürfe, das damals Luther behauptet hat^*. Lessing sieht keine Veranlassung, diese ganz ungeschützte, kompromißlose Aussage einzuschränken; der Schaden, der für andere Individuen aus diesem Grundsatz entstehen mag, kann nur bei ganz flüchtiger Betrachtung bedenklich erscheinen; eine wirkliche Gefahr kann nicht entstehen. Viel wahrscheinVon besonderer Bedeutung ist hier die Auseinandersetzung mit Goeze über Lessings These, daß die unmittelbare Evidenz des Gefühls völlig zureichend sei für die Gewißheit des Glaubens. Goezes Erwiderung, daß diese Gefühls-Evidenz ein stroherner Sdiild sei, beantwortet Lessing mit der These: daß er doch zureidie — freilidi nur für den einzelnen! Eine Glaubensgewißheit, die der Gemeinde von außen verliehen werden könne, ist undenkbar. Axiomata (M 13, S.135 = R S, S.197). " Absagungsschreiben (M 13, S.lOlf. = R S, S.160f.); Anti-Goeze I (ebd., S.142f. = S.204f.). " Anm. zum 2. Brief, gedruckt 1784 (M Í, S.45 = R 3, S.394). " Man beachte die Formulierung in beiden Anm. 13 genannten Stellen: „ . . . ein Christenthum, wie du es itzt lehren würdest" (Hervorhebung von Lessing!); „Der wahre Lutheraner will nidit bey Luthers Schriften, er will bey Luthers Geiste geschützt seyn". '' Vor allem Anti-Goeze I, a.a.O.: Lessing verteidigt hier Bahrdt gegen Goeze! Im gleichen Sinne: Über die von der Kirche angenommene Meynung . . . (M 16, S.426 f., 439 = R S, S.424f., 439 f.). Vgl. außerdem Anti-Goeze IV (a.a.O., S.165f. = S.230f.). 52

lidier ist es, daß eine solche Auseinandersetzung zur Klärung und Selbsterkenntnis f ü h r t " . Denn das ist nun umgekehrt die Verpflidktung, die sidi für den einzelnen aus seiner unbedingten Autonomie ergibt: nur dadurch kann er sie wirklich ergreifen, daß er zur Selbsterkenntnis zu gelangen sucht'®. Nur wenn er diese sokratische Stufe erreidit hat, ist der Glaube ein Glaube im eigentlichen Sinne; und nur dann ist die Aufgabe der Philosophie erkannt, wenn sie als der Weg zur Selbsterkenntnis begriffen ist — ihre logischen und spekulativen Elemente sind nur Mittel zu diesem Zweck daß der Mensch sein Selbst und seine Bestimmung erkenne.

2. Die Begrenztheit

menschlicher

Existenz

Kritische Reflexion über die Moralität des Idi ist ein Wagnis. Sie führt den Denker zu dem Abgrund der eigenen Sünde, sie entlarvt seine scheinbare Tugend als Deckmantel des Lasters. Lessing hat in seinem Fragment „Die Religion" ein Zeugnis solcher unerbittlichen Selbstreflexion veröffentlicht^®; in der zunächst sehr pointierten Aussage über die Totalität der Sündenherrsdiaft, die er in seinem Inneren vorfindet, zeigt sidi die fragmentarische Form — die anderen, positiven Aussagen über den Menschen, die dieser Anklage korrespondieren sollten, sind nicht zur Ausführung gekommen. Obwohl dieses Gedicht im Gesamtwerk Lessings einzigartig dasteht, darf es jedodi nicht als ein Jugendwerk in seiner Bedeutung relativiert werden. Das bohrende Aufdecken des Unvermögens, sich aus der überstarken Allgegenwart der Sünde freizukämpfen, zeigt eine menschliche Haltung, die nicht aus der Attitüde des intellektuellen Experiments erklärt zu werden vermag. „Umsonst erhebt ihr mir des Willens freye Kraft! Idi will, idi will — Und dodi bin idi nidit tugendhaft. Umsonst erhebt ihr mir des Urtheils streng Entsdieiden. Die Laster kenn idi all, dodi kann idi alle meiden? Hier hilft kein starker Geist, von Wissensdiaft genährt, Und Sdilüsse haben nie das Bös in uns zerstört." " Anti-Goeze III (ebd., S. 157 ff. = S. 220ff.). Der andere kann nur etwas verlieren, das nodi nidit eigentlidi sein editer Besitz war — sein Glaube ist nodi kein vollkommener Glaube, sofern er dem Sturmwind der Kritik nidit standhält. Der edite naive Glaube ist in seiner Gefühlsevidenz dagegen unersdiütterlidi. Lessings Optimismus für die wesentlidie Gefahrlosigkeit der freien Kritik ist hödistwahrsdieinlidi im Vertrauen auf die prästabilierte Harmonie der Monaden begründet. " D i e Religion, Vorerinnerung (M S.255 = R Í, S.201). " Herrnhuter (M 14, S. 156 = R 7, S.187). Zu der Sentenz von Pope vgl. außer oben, Anm. 2 nodi Lessings N o t i z Kollektaneen (M Í Í , S. 181 f.). 2» Zuerst 1751, dann 1753 und 1784 gedrudtt (M 1, S.255—267 = R 1, S.201—212). " A.a.O., S. 261 = S.207.

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Gegenüber der deistisdien und der neologisdien Kritik des Erbsündendogmas hat Lessing wiederholt die bleibende Gewalt der Sünde über den Menschen betont; wenn er auch das Erbsündendogma in seiner orthodoxen Konsequenz damit nicht retten will, so erkennt er dodi darin ein Wahrheitsmoment, dem man sidi nicht entziehen kann, ohne das Wesen des Menschen zu verkennen Was Lessing zur Interpretation der jahvistischen Sündenfall-Erzählung (Gen.3) sagt, erscheint wie ein Kommentar zu dem Fragment „Die Religion" : In der „Macht unsrer sinnlidien Begierden, unsrer dunkeln Vorstellungen über alle nodi so deutlidie Erkenntniß" „liegt die Quelle aller unserer Vergebungen, die dem Adam, des göttlichen Ebenbildes unbeschadet, eben sowohl anersdiaffen, war, als sie uns angebohren wird. Wir haben in Adam alle gesündiget, weil wir alle sündigen müssen . . . "

Die deutliche Erkenntnis von Wahrheit und Sittlidikeit ist also nicht fähig, die Macht der „dunklen Vorstellungen" im Mensdien zu bredien; die Vernunft darf sich nicht bei der deutlichen Erkenntnis beruhigen, sondern sie muß ihre Aufgabe darin sehen, in unaufhörlicher Wachsamkeit den Einfluß der Sünde aufzudedten. Diese beharrliche kritische Reflexion begegnet in Lessings Diditungen an wichtigen Stellen Besonders diarakteristisdi ist dafür vielleidit die Selbstkritik Al Hafis^®: während Saladin nadi außen als das Muster eines weisen, milden Herrschers ersdieinen muß, sieht Al Hafi die ganze Problematik einer solchen individuellen Mildtätigkeit, die auf der Unterdrüdiung ganzer Völker basiert; aber Ew.Strafen (M 11, S.481 ff. = R 7, S.480ff.); Erz.d.M., § 74 (M 13, S.431 = R S , S.609f.). Gegensätze (M 12, S.433 = R 7, S.818); auf die unmittelbar ansdiließenden Bemerkungen wird unten Bezug genommen. ^ Vgl. oben S . 4 6 f . , Anm.40: Die Auseinandersetzung im Henzi-Fragment ist gerade darum für Lessing so diarakteristisch, weil in Henzi die Problematik der Tugend (in ihrem faktischen Verfehlen des Zieles), in Dücret die moralische Seite des Verbrediens gezeigt wird. — Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, daß Lessing ein Faust-Drama in zwei versdiiedenen Konzeptionen geplant und ofiensichtlidi in wesentlichen Teilen schon ausgearbeitet hat (vgl. dazu vor allem Petsch 1911 mit den Texten, sowie einer sehr gründlichen Einleitung; Guthke 1960; der Text: M 3, S. 380—390 = R 2, S. 553—565; dazu die Berichte von Gebler, Gespr. S.169, und Maler Müller, Gespr. S. 196): die Voraussetzung dieser Arbeit ist es, daß Lessing in dem „unauslöschlichen Durst nach Wissenschaften und Kenntniß" (Blankenburgs Bericht, M 3, S. 385 f. = R 2, S.561) eine sittliche Ambivalenz sieht, die es dem Teufel ermöglicht, sich Fausts zu bemächtigen. Im Rahmen der hier zur Debatte stehenden Problematik ist die Ungewißheit unwichtig, aus welchem Grunde Lessing das Drama nicht vollendet hat. Es ist dagegen auffallend, daß Lessing, der Aufklärer, den Wissensdrang nicht als eine absolute Tugend angesehen hat. Darin ist ein besonders wichtiges Zeugnis seiner moralischen Dauerreflexion zu sehen. — In der 1759 im 17.Lit.Br. veröffentlichten Szene (a.a.O., S.384 = S. 559) fällt außerdem die Definition der höchsten Geschwindigkeit auf. " Nathan I, 3 (M 3, S . 2 2 f f . = R 2, S. 342 ff.).

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seine Selbstreflexion geht noch weiter: er schließt sein eigenes Tun in diese Fragwürdigkeit ein, indem er es als „Geckerey" bezeichnet, „ . . . an soldien Gedcereyen Die gute Seite dennoch auszuspüren, U m Antheil, dieser guten Seite wegen, An dieser Geckerey zu nehmen?"

Für die Aufklärung kann es kaum eine schönere Form der Tugend geben als da, wo der Herrsdier um den Arm des Bettlers bittet, um Bettlern wahrhaft königlich geben zu können. Wenn nun der Derwisch gerade hier seine ausweglose Verstrickung in den Schuldzusammenhang der Welt erkennt, so wird jenes Tugendpathos überhaupt in Frage gestellt. Al Hafi sieht keine Möglichkeit, diesen Konflikt zu bestehen — er flieht in die Wüste". In dieser ruhelosen moralisdien Reflexion stößt Lessing stets von neuem auf die Begrenztheit der mensdilidben Existenz. Es ist nidit zufällig, daß die Häretiker nicht die Vollkommenheit menschlichen Wahrheitsstrebens zu repräsentieren vermögen: eine solche idealtypische Vollkommenheit ist innerhalb der Schranken der Endlichkeit nicht zu finden. In der Ausweglosigkeit des Sdiuldzusammenhangs der empirischen Welt liegt die Möglichkeit der Tragödie Selbst der tugendhafte Mensch ist so sehr in die Kausalität dieser Weltstruktur hineingebunden, daß er aus eigener Anstrengung sich nicht daraus zu befreien vermag, sondern, durch eigene Schuld teilnehmend an der Sünde, scheitern muß. Hier ist eine letzte Möglidikeit Lessingschen Denkens ausgesagt, die zu seinen Äußerungen über die Möglichkeit des Menschen, das Gute zu tun, in scharfer Spannung steht Allerdings darf sie nidit dadurcii noch verschärft werden, daß man die pelagianischen Züge in Lessings AnthropoloEbd., S.24 = S.344. " Ebd., II, 9, S . 7 1 f f . = S. 386 ff. Anti-Goeze IV (M 13, S. 165 = R S, S.229): „Jede Bewegung im Physisdien entwickelt und zerstöret, bringt Leben und Tod; bringt diesem Geschöpfe Tod, indem sie jenem Leben bringt: soll lieber kein Tod seyn, und keine Bewegung? oder lieber, Tod und Bewegung?" Mann 1949, S.55, spricht daher von Lessings „tragischer Wirklidikeitsauffassung". Das scheint mir — in dieser Allgemeinheit der Formulierung — eine Überinterpretation zu sein. Obwohl Lessing den tragisdien Schuldzusammenhang der Endlidikeit erkennt und ausspridit, ist doch seine Grundhaltung von einem eschatologisdi bestimmten Optimismus getragen, der allein die vertrauende Existenz in der Welt ermöglicht. Siehe unten S. 102 ff. Vgl. etwa den Brief an Gerstenberg vom 25.2.1768 (M 17, S. 246 ff. = R 9, S. 270ff.). ^ So vor allem Nathan und Ernst und Falk, aber ebenso audi Tellheim. Vgl. etwa: Nathan zum Tempelherrn, II, 5 (M 3, S.61 = R 2, S.377): „Ich weiß, wie gute Menschen denken; weiß, D a ß alle Länder gute Menschen tragen."

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gie übersieht". Der Mensch hat die Fähigkeit und die Pflidit, die Sünde in sich zu bekämpfen, und allein dieser Kampf mit sidi selbst macht seinen eigentlichen Wert aus. Daß die Verderbnis des Menschen absolut sei und er darum zu seinen moralischen Handlungen allein auf die Gnade Gottes angewiesen sei, hat Lessing vielmehr ausdrücklidi bestritten Im Besitz der Vernunft ist die Ebenbildlidikeit des Menschen bewahrt — seine Sünde besteht also darin, daß die Vernunft sich aus der Umklammerung der dunklen Vorstellungen und Triebe nicht wirksam befreien kann. Mit der Leugnung der lutherischen Lehre von der völligen Korruption der Vernunft hat Lessing also die Realität der Sünde nicht bestreiten wollen In seiner Auseinandersetzung mit Eberhard'® hat Lessing den Versuch unternommen, die Beziehung zwischen der unentrinnbaren Wirklichkeit der Sünde und der Kraft der sittlichen Anstrengungen im Menschen zu klären. Dazu dient ihm das Problem der ewigen Strafen und Belohnungen: „Wenn es wahr ist, daß der beste Mensdi nodi viel Böses hat, und der schlimmste nidit ohne alles Gute ist: so müssen die Folgen des Guten diesen auch bis in die Hölle begleiten; ein jeder muß seine Hölle noch im Himmel, und seinen Himmel nodi in der Hölle finden. Die Folgen des Bösen müssen von den mehrern Folgen des Guten, und die Folgen des Guten von den mehrem Folgen des Bösen nidit blos abgezogen werden: sondern jede derselben müssen sich, in ihrer ganzen positiven Natur, für sidi selbst äußern."»«

Himmel und Hölle werden hier aus ihrer kosmologisdien Objektivität herausgenommen; sie dienen der existentialen Interpretation des menschlichen Daseins. Eine quantitierende Erklärung der verbleibenden Sündhaftigkeit des Menschen, die einem Sektor der Sündhaftigkeit den (überwiegenden) Sektor der sittlichen Vollkommenheit gegenüberstellt, lehnt Lessing ebenso ab wie die Bagatellisierung der Sünde, die nur die schon verwirklichte Vollkommenheit sehen will. Für ihn sind das Gute und das Böse im Menschen gleich wesentlich: Sünde und Sittlichkeit sind Totalaspekte, die beide zugleich den Menschen bestimmen. Ihre qualitative Gleichzeitigkeit dauert fort bis in die Ewigkeit. Das Verhältnis kann sich In dieser Gefahr scheint mir der Ansatz Manns 1949, S.47ff., zu stehen. »» Wie oben, Anm.23; in Ew.Strafen (z.B. M 11, S.479 = R 7, S.478) wird die Möglichkeit der Besserung des Mensdien aus eigener Anstrengung als selbstverständlidi vorausgesetzt. Vgl. außerdem die Einschränkung in der Formulierung E r z . d . M . § 74 (siehe oben Anm. 22) : die Erbsünde wird nur für die niedrigste Stufe der Menschheit als unausweichlich gedacht. Gegensätze ( M 12, S. 438 = R 7, S. 825). S' Ew. Strafen (M 11, S. 469—487 = R 7, S. 465—488). Ebd., S. 483 = S. 482 f. Der erste, vorausgesetzte Satz in wörtlicher Anlehnung an Tertullian, de anima с. 41; vgl. dazu Bergmann 1883, S. 89ff.

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quantitativ wohl ändern — es liegt Lessing völlig fern, die sittliche Besserung des Mensdien in Abrede zu stellen. Aber die dialektische Spannung zwischen dem Guten und dem Bösen im Menschen ist unaufhebbar'®. Wo Lessing einem Menschen anderen Glaubens oder anderer Weltansdiauung begegnet, klassifiziert er ihn niditnadi seiner Gruppenzugehörigkeit. Er fragt nach dem, was ihm allein eignet, um ihn zu verstehen und sc seine Entscheidung kritisch prüfen zu können. Für diese Begegnung ist Lessings eigener Standort in höchstem Maße widitig: wäre er der überlegene Denker, der Mensdi, der sidi seiner sittlichen Leistung gewiß ist, so wäre sein Verhältnis zu dem fehlenden und irrenden Menschen herablassend; er könnte versuchen, den anderen auf den richtigen Weg zu bringen; er könnte höchstens die Anstrengung und die relative Leistung des anderen würdigen. Latent ist aber in dieser Haltung Intoleranz verborgen: der eigene Standort ist das Ziel, auf das alle anderen Versuche hingeordnet sein müssen, um Anerkennung zu verdienen. Wo die Wirklichkeit der Sünde niciit mehr in der qualitativen Totalität, die auch noch die eigene Existenz bestimmt, gesehen wird, entsteht die Gefahr — und dies ist die naheliegende Gefahr der Aufklärung, die Lessing sieht —, daß die Toleranz sich in Intoleranz verkehrt, weil das Vertrauen auf die eigene Leistung zur stolzen securitas geworden ist®". Weil aber Lessing diese letzte sittlidie Selbstgewißheit fehlt, kann er sicJi in die echte Solidarität mit seinem Mitmenschen stellen. Die ständige kritische Reflexion befähigt ihn, die Sünde noch in der scheinbar vollkommenen Tat, aber Nur an einer Stelle, die bisher kaum beaditet worden zu sein sdieint, fand ich eine Interpretation, die Lessings Differenzierung gerecht wird: Balthasar 1937, S.49ff. (dort unter dem Leitgedanken der esdiatologischen Haltung). Ein Problem, das in diesem Zusammenhang nicht erörtert werden kann, taudit allerdings darin auf, daß in Lessings Dramen Gestalten da sind, die nichts Gutes mehr erkennen lassen, die audi nicht eigentlich entschuldigt werden: Marwood (Miss Sara Sampson) und Marinelli. Lessing plante für seinen bürgerlidien Faust, den Teufel als den Verführer im Zeitkostüm darzustellen (Geblers Beridit, Gespr. S. 169). Sind Marinelli (vgl. IV, 5, Orsina zu Marinelli, M 2, S. 431 = R 2, S. 296 und vor allem die letzte Szene! M 2, S.450 = R 2, S.318; dazu Fischer 1881, 1, S.163f.) und Marwood Inkarnationen des Satanischen? Anders R.Schneider 1948, S.8. " Darauf weisen die Vorwürfe gegen die latente Intoleranz der aufgeklärten Theologie hin (vgl. oben S.41 mit Anm. 10 und 11). In dem Brief an Karl Lessing vom 20.3.1777 (ebd., Anm. 10) stellt Lessing die im Grunde intolerante neuere Theologie der im Grunde toleranten orthodoxen Theologie gegenüber. Aus dem Zusammenhang ist zwar deutlich, daß der Grund jener latenten Intoleranz in der Absolutsetzung des eigenen Glaubens- und Vemunflbegrifis liegt. Inwiefern Lessing aber der Orthodoxie Toleranz zusdireibt, ist unsicher (m.W. bisher audi ungeklärt). Ich halte die Annahme für sinnvoll, daß Lessing von der Toleranz der Orthodoxie sprechen kann, weil dort der Standort des Theologen richtig bestimmt wird: in die allgemeine Sündhaftigkeit des Menschen ist auch der Theologe einbezogen, während die Neologie in ihrer Ablehnung des Sündenbegriffs diese sittlidie Solidarität aufgibt.

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ebenso die Sittlidikeit in der an sich sündigen Haltung zu sehen". Weil er selbst die Kausalnotwendigkeit des Daseins kennt, weiß er den anderen zu verstehen und zu entschuldigen — ohne dabei die Verantwortlidikeit der Sünde zu leugnen. Der Mensdi steht in der Begrenztheit des Endlichen, aber das heißt zugleich: er steht in der Ordnung Gottes. In seinem Anderssein, in seinem Scheitern wie in seinem Sichbewähren, verdient er darum Achtung, weil er gerade so ein Stück von Gottes Welt sichtbar macht. Toleranz ist also hier Ausdruck der Solidarität, sie ist Mitleiden im eigentlichen Sinn®®. 3. Humanität Jene sittlidie Solidarität ist von dynamischer Aktivität geprägt. Die Einsicht in die Begrenztheit aller menschlichen Existenz ist nidit das Ergebnis, sondern die Voraussetzung universaler Kommunikation. Verbindend im eigentlichen Sinne ist die Gemeinsamkeit des Ethischen: Lessing teilt mit der Aufklärung die unbedingte Überzeugung, daß in der Erfüllung seiner sittlichen Aufgabe die Bestimmung des Menschen zu suchen sei. Schon in dem Fragment „Gedanken über die Herrnhuter" (1750) macht sich Lessing diese Erkenntnis zu eigen: „Der Mensdi ward zum Thun und nidit zum Vernünfteln erschaffen." ' '

Der hier aphoristisch-prägnant ausgesprochene Gedanke läßt sich vertiefen, aber nidit überbieten: die sittlidie Bestimmung des Menschen ist Inhalt und Ziel der Aussage audi noch in den letzten Schriften Lessings^". " In dieser Aussage gibt Lessing die theologisdie Rechtfertigung seiner ästhetischpsydiologisdien Erkenntnis von den gemischten Charakteren (Hamb. Dram. St. 82, M10, S. 131 ff. = R 6, S. 414 ff.). Vgl. den Brief an Eschenburg vom 2 5 . 4 . 1 7 7 2 (M 18, S.37 = R 9, S . 5 2 3 f . ) , die Bemerkung zur Übersetzung des φιλάνϋ·ρωπον : „Das Pflichtmäßige wäre, meiner Meinung nach, gerade wider das φιλάν&ρωπον. Denn es wäre ohnstreitig unsere Pfliciit, uns über das Unglück eines Bösewichts zu freuen: wenn Pflicht das heißt, was dem positiven Gesetze gemäß ist. Aber dieser Pflicht ungeaciitet, können wir ihn nicht ganz ohne Mitleid laßen, weil dieser Bösewicht doch ein Mensch ist." Brief an Nicolai, 13.11.1756 (M 17, S.66 = R 9, S.78): „Der mitleidigste MenscJi ist der beste Mensdi." " M 14, S. 153 = R 7, S. 186. Hierin stimmen Nathan, Ernst und Falk, sowie Erz. d. M. völlig überein. In Ernst und Falk, 3.Gespr. (M 13, S.364 = R S, S.566) und in Erz.d.M., § 80 (ebd., S . 4 3 2 f . = S.611) wird ausdrücklich als höchstes Ziel der Mensciiheitsentwicklung genannt, daß dann die Tugend Selbstzweck geworden sei, als selbstverständliche Haltung des Menschen. — Daraus ist es verständlidi, daß mehrfadi (Wiese 1931, S.6, 124, 147; Wernle 1912, S.63; Gent 1931, S.211, 214) die „Weltansdiauung der Humanität" als der eigentliche Kern des Lessingschen Denkens angesprochen wird. Humanität ist aber A u f gabe, und nicht Zentrum.

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In den Konzeptpapieren für den Nathan findet sich unter der Übersdirift „Sdiluß" folgendes Wort Saladins: „Du sollst nicht mehr Nathan der Weise, D u sollst nicht mehr Nathan der Kluge — D u sollst Nathan der Gute heißen." ^^

Das also ist das Höchste, was von einem Menschen gesagt werden kann, daß er der vollkommene sittliche Mensch sei. Grund für diese Aussage ist die Einsicht der Vernunft: das Gute gilt Lessing ebenso wie seinen Zeitgenossen als unmittelbar evident — weder die Begründung der Philosophie noch die der Offenbarung ist zu seiner Erkenntnis notwendig. Da Lessing schon früh die Unabhängigkeit der sittlichen Vernunft von jeder Art des Glaubens — selbst in seiner deistisdien Gestalt! — vertreten hat, ist für ihn die Basis universalen Gesprädis gegeben Theophan kann Adrast um seine Freundschaft bitten, weil Freundschaft nur die sittliche Aditung voreinander voraussetzt, nicht aber der Gemeinsamkeit des Glaubens und der Temperamente bedarf. Indem vielmehr diese Verschiedenheit bewußt getragen und zugleidi in der gegenseitigen Neigung überhöht wird, gewinnt der Begriff der Freundschaft einen tieferen, besseren Sinn^®. In dem anderen begegnet nicht zuerst der Angehörige einer Gruppe, einer Weltanschauung, eines Glaubens — sondern zuerst und wiederum zuletzt der Mensch. Das Gegensätzliche kann zum Thema des Gesprächs und zum Anreiz, die Wahrheit zu suchen, werden — es kann die Begegnung zum geistigen Abenteuer machen; es kann und darf aber nicht den Blick dafür verstellen, daß der andere Μεη$ώ, d.h. sittliche Person ist. Weil dies das Höchste ist, was ausgesagt werden kann, ist es zugleich ausreichend im vollen Sinne; jede zusätzlidie Bestimmung des Menschen kann nur nocJi etwas Zufälliges anfügen. Darum kann Nathan dem Tempelherrn antworten: „Kommt, Wir müssen, müssen Freunde seyn! — Veraditet Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beyde Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind Wir unser Volk? Was heißt denn Volk? Sind Christ und Jude eher Christ und Jude, Als Mensch? Ah! wenn idi einen mehr in Eudi Gefunden hätte, dem es gnügt, ein Mensdi zu heißen!"«

Den Mensciien dahin zu führen, daß er seinen Namen zu Recht tragen darf, ist darum die eigentliche Aufgabe, die sich die Aufklärung gestellt hat^®. Gleich zu Beginn des Dramas zeigt Lessing seinen Nathan als " M 3, S. 490. Vgl. dazu oben S.42. " Freigeist I, 1 (M 2, S . S l f f . , bes. S . 5 4 f . = К 1, S. 575 ff., bes. S . 5 7 9 f . ) .

" II, 5 (M3, S.63 = R2, S.378f.). Es ist kein Zufall, daß Lessing das Bild der Erziehung zur Erläuterung der Entwidtlung des Mensdiengeschledits unter der Lenkung Gottes benutzt.

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Pädagogen; seine Katechese über den Wunderbegriii gipfelt in dem Appell an die moralische Verantwortung des Menschen: sie ist das Widitigere, weil unser Nächster auf unser gutes Handeln angewiesen ist; die Gefahr jedes Glaubens liegt in der Vernachlässigung des Weltbezuges Diese Reduktion des Wahrheitskriteriums des Glaubens auf den Taterweis ist von Lessing ebensowenig wie von der Aufklärung als Angriff auf die Religion überhaupt verstanden worden. So wie Jesus selbst das Doppelgebot der Liebe als den Inhalt des Gesetzes bezeidmet hat, meint audi Lessing in dem Gebot der Liebe das eigentliche Anliegen gerade des christlichen Glaubens sehen zu dürfen. Zu Beginn des Fragmentenstreits, zusammen mit dem „Beweis des Geistes und der Krafl", veröffentlichte Lessing das kleine Gesprädi über „Das Testament Johannis". Das „Kinderdien, liebt eudi" des greisen Johannes von Ephesus soll als der Kontrapunkt im Fragmentenstreit mit gehört werden, als die wesentliche Wahrheit^'. In seiner scheinbaren Banalität sagt es vielmehr das Einzige, was zu sagen wirklich notwendig ist. Das Gebot der Liebe ist die tiefste Weisheit des christlichen Glaubens, und gerade darum ist es geeignet, das Trennende zu verbinden''®. Es wäre ein MißVerständnis des inneren Zweckes der Religion, wollte man meinen, sie könne mit dem, was ihr am wichtigsten sei, eine Sdiranke zwischen den Menschen aufrichten wollen. Die Haltung der Liebe verweist den Menschen konkret an seinen Nädisten, um die soziale Wirklichkeit zu gestalten, und deutet damit zugleich über sidi hinaus in den universalen Horizont der Humanität. In der Konzentration auf die Bedeutung der sittlichen Bewährung des Glaubens steht Lessing in der humanistischen Tradition. In der diristlidien Religion ist Gottes Zuwendung zum Menschen zur Anschauung gekommen, seine universale Liebe, der nun die Liebe des Menschen zu antworten hat. Freilich kann Lessing darüber spotten, wenn Christen behaupten, Tugend sei nur als christliche Tugend begründbar und möglich" — aber das hindert ihn doch nicht daran festzuhalten, daß für den Glauben nur um so viel mehr die unbedingte Verpflichtung zur Liebe besteht®". Nicht irgendein möglicher Gegensatz zwisdien humanistischer

« I, 2 (a.a.O, S . l l f í . = S.332ff.): die Sentenz am Ende: „Begreifst du aber, / Wie viel andächtig schwärmen leichter, als / Gut handeln ist?" (S. 18 = S.338). " M 13, S. 9—17 = R S, S. 17—23. (Lessing stützt sich hier auf Hieronymus, in Epist. ad Galat., c. 6, er druckt die Stelle ab.) Wichtig ist die Verknüpfung mit Bew. d. Geistes (ebd., S.8 = S.16). Den Einwurf, diese Einfachheit werde zur Trivialität, macht sich Lessing selbst (S. 1 3 f . = S. 19f.). Er antwortet mit der These, das Test. Jh. solle in allen Kirdien, am siditbarsten Orte, mit goldenen Buchstaben angeschrieben werden! (S. 15 = S.20). " Sittah zu Saladin, Nathan Π, 1 (M 3, S.43 = R 2, S.361). »» Lit.Br. Nr. 49 (M 8, S. 129 = R S.249).

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und christlidier Ethik, sondern allein die Synthese des christlichen Humanismus ist sein Ziel®4 Die reine, freie Sittlidikeit der Humanität ist etwas, was nicht Inhalt positiver Gesetzgebung sein kann. Sie ist nicht irgendein Minimum materialer oder formaler Art, das abstrahierend aus den Gesetzbüchern der Religionen als das entnommen werden kann, worauf man sich — im Interesse der bürgerlichen Wohlfahrt — einigen kann. Die Liebe ist das Aufgegebene, das sidi gerade dadurch als das Sciiwierige, das noch zu Verwirklichende erweist, daß jeder meint, seinen besseren Glauben oder sein besseres Menschentum gegen die anderen vertreten zu müssen. Solange dies noch übersehen wird, ist jeder andere Versuch, die Uneinigkeit zu beseitigen, eine Illusion. „ E s ist ein Glück, d a ß nodi hier und d a ein Gottesgelehrter a u f d a s practisdie des Christenthums gedenkt, z u einer Zeit, d a sich die allermeisten . . . über unmögliche V e r einigungen . . . zanken, ehe sie den G r u n d d a z u d u r d i die R e i n i g u n g der H e r z e n v o n Bitterkeit, Zanksucht, V e r l ä u m d u n g , Unterdrückung, u n d durch die Ausbreitung derjenigen Liebe, welche allein d a s wesentliche Kennzeichen eines Christen ausmacht, gelegt haben. E i n e einzige Religion z u s a m m e n flicken, ehe m a n bedacht ist, die Menschen zur einmüthigen A u s ü b u n g ihrer Pflichten z u bringen, ist ein leerer E i n f a l l . Macht m a n z w e y böse H u n d e gut, wenn m a n sie in eine H ü t t e sperret? N i d i t die Übereinstimm u n g in den Meinungen, sondern die Ü b e r e i n s t i m m u n g in t u g e n d h a f t e n H a n d l u n g e n ist es, welche die Welt ruhig u n d glücklich macht."

Die sacillidie Nähe der Aussage dieser Rezension aus dem Jahre 1751 zu der spiritualistischen Liebes-Ethik Dippels ist deutlich'®. Der Gegensatz zu der ungebrochenen humanistisch argumentierenden Moralität der westeuropäischen Aufklärung liegt darin, daß die mögliche Kommunikation der Menschen an die sittliche Läuterung des einzelnen gebunden wird. Es verdient Beachtung, daß der Richter in der Ringparabel Nathans seinen Rat im gleichen Sinne formuliert. Statt ein empirisches Urteil über

Diese synthetische, alle P o l e m i k ü b e r w i n d e n d e Absicht des Lessingschen T o l e r a n z gedankens k o m m t z. B . in d e m Wort S a l a d i n s z u m Tempelherrn z u m Ausdruck ( I V , 4, M Λ S. 128 = R 2 , S. 4 3 7 ) : „ S e y keinem J u d e n , keinem M u s e l m a n n e Z u m T r o t z ein C h r i s t ! " D e n christlichen C h a r a k t e r dieser H u m a n i t ä t betont besonders Reinkens 1883, S. 156 ff. R e z . zu einem A u f s a t z v o n Wilhelm Saldenus, i n : F r i e d r . E b e r h . R a m b a c h ( H r s g . ) , S a m m l u n g auserlesener A b h a n d l u n g e n ausländischer Gottesgelehrten zur U n t e r w e i s u n g des V e r s t a n d e s u n d Besserung des H e r z e n s , 1750. Beri. P r i v . Ztg., 3 0 . 3 . 1 7 5 1 ( M 4, S. 303 f. = R J , S. 54 f.). — L e i d e r w a r es mir nicht möglich, nachzuprüfen, wieweit die zitierten S ä t z e G e d a n k e n Lessings zu S a l d e n u s wiedergeben, oder nur den Inhalt der A b h a n d l u n g referieren. Doch auch i m letzteren F a l l e ist ein solches R e f e r a t bedeutsam, v o r allem, weil Lessing keine der zahlreichen Unionsschriften rezensiert h a t (vgl. oben S.29f.). "

D i p p e l 31, S . 2 4 8 f . , 2 6 0 ff. D i p p e l 37, S . 9 7 8 .

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die Echtheit eines der drei Ringe zu fällen, antwortet er mit einem moralischen Appell®*: „Es eifre jeder seiner unbestodinen Von Vorurtheilen freyen Liebe nadi! Es strebe von euch jeder um die Wette, Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmuth, Mit herzlicher Verträglidikeit, mit Wohlthun, Mit innigster Ergebenheit in Gott, ZuHülf'!""

Die Frage nadi der Berechtigung des einen religiösen Wahrheitsanspruches ist unglaubwürdig, solange der Fragende sidi in seiner ganzen Lieblosigkeit, d. h. aber in seiner sündhaften Existenz zeigt. Die objektive Wahrheitsfrage wird nicht bagatellisiert, sondern in ihrem Existenzbezug sichtbar gemacht. Die Reinheit des Herzens, die allein zur Liebe fähig ist, ist nidit etwas, was der Mensch hat. Selbstverständlich ist nur, daß er — auch als natürlicher Mensch — das Gebot der Liebe kennt; daß er es verwirklicht, ist das Besondere, das Aufmerksamkeit verdient. Schon bei der Analyse des Toleranzschrifltums der Aufklärung war es aufgefallen, daß dort das Gebot der Liebe als die schwere, immer nur ansatzweise verwirklichte Aufgabe verstanden wurde — bei Lessing ist ihre Erfüllung ganz in die Zukunft gerückt. In der dichterischen Form des Märchens darf er seinen Zeitgenossen die Vollendung der Humanität schon zeigen, die der Maßstab der sittlichen Anstrengung sein soll®'. Der Rat des Richters ist von Lessing in der sittlichen Solidarität gegeben, die selbst noch mitten im Kampf um jene innigste Ergebenheit in Gott steht. Toleranz ist noch nicht sichere Errungenschaft, die sich selbst überflüssig macht, sondern ist noch eine notwendige, echte Tugend in der endlichen Struktur alles mensdilichen Tuns und Denkens. Sie wird aber möglich in dem Gemeinschaftsbewußtsein des sittlichen Strebens. Die notvolle Ungewißheit der Wahrheit in der Vielzahl der Meinungen wird nicht relativiert, aber in der reinen Finalität des Liebesgebotes, das der menschlichen Vernunft unmittelbar evident ist, ist die Kategorie gegeben, die jene universale Toleranz erlaubt, in der auch der Atheist einbegriffen ist. Toleranz ist die Vorstufe der Humanität. " Im Anschluß an Rohrmoser 1958, S. 115. « III, 7 (M 5, S.94f. = R 2, S.407f.). " Die Bedeutung der dichterischen Form für die Zeitlichkeit der Aussage ist bisher meist nidit genügend beachtet worden. Daher kann dann etwas als empirisdie Möglichkeit aufgefaßt werden, was Abbild der Zukunft ist (mit Mann 1949, S. 381 f.).

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V. Toleranz im Horizont der Wahrheit 1. Verantwortung für die Wahrheit Die Ersdiütterung der unmittelbaren Glaubensgewißheit durch die radikale Religionskritik bereicherte den Katalog der Tugenden um eine neue: die Verpflichtung gegenüber der Wahrheit. Es kann nicht mehr der Glaube an eine bestimmte, durch Autorität und Tradition legitimierte Wahrheit vorausgesetzt werden, sondern nur das rein intentional bestimmte Ethos gegenüber der für die eigene Person als verbindlich erkannten Wahrheit, Daß ein materialer Wertmaßstab für dieses Ethos nicht mehr besteht, ist ein Ergebnis der Toleranzdebatte; Lessing ist gerade darin ihr Erbe, daß er die Haltung der intellektuellen Redlichkeit zum Prüfstein für den Wert des Mensdien macht. Indem hier Sittlichkeit und Vernunft miteinander verbunden werden, gibt er der Aufklärung in ihrem innersten Anliegen Ausdruck: ihre Sittlichkeit ist rational und ihre Rationalität ist sittlich; Verpflichtung gegenüber der Wahrheit ist darum die eigentliche Tugend des 18. Jahrhunderts M „Den wahren Weg einschlagen ist oft bloßes Glück: um den rechten Weg bekümmert zu seyn giebt allein Verdienst." ^

Nicht daß der Denker Wahres oder Falsches sagt, ist entscheidend, sondern allein sein Existenzbezug zur Wahrheit: der volle Einsatz seiner Person für das, was er erkannt hat, das Bemühen, der Wahrheit Gehör zu verschaffen und die Konsequenz dieser Haltung bis in die Todesstunde hinein machen ihn glaubwürdig®. Weil es hier um das letzte Ziel der Erkenntnis und um den Menschen in seinem Innersten geht, ist ein unverletzlicher Ernst geboten. Nicht nur das bewußte Verschweigen einer ' Vgl. Thomasius 19, S . 1 3 7 f . ; Hermes 231, S . 2 8 f î . ; Semler 224, S . 2 4 f . Besonders prägnant Nicolai 233, S . 2 3 9 f . Charakteristisdi ist auch das Titelbild zu Loen 139/1, mit dem erklärenden Gedidit: die Wahrheit in der Bedrängnis durch einen Schwärm von Lastern. — Mit der Verantwortung für die Wahrheit ist nicht die Wahrhaftigkeit als Gegensatz zur Lüge gemeint — sie gehört niciit in den Rahmen der Toleranzdebatte. 2 Neue Hypothese über die Evangelisten, Vorrede (M 16, S. 371 = R S, S. 108 f.). ' Berengar III (M 11, S . 7 9 f . = R 7, S.335f.). In diesen Zusammenhang gehört das leidenschaftliche Interesse, das man im 18. Jahrhundert daran hatte, ob ein großer Mann „als Philosoph" gestorben sei, denn darin erst gewinnt seine Heterodoxie volle mensdilidie Glaubwürdigkeit, daß er mit ihr auch zu sterben weiß. Vgl. dazu jetzt die gründliche Studie von Martin Fontius, Der Tod eines „philosophe". Unbekannte Nachrufe auf La Mettrie. Teil 1. Beiträge z. Romanischen Philologie VI, 1967, S.5—28.

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Tatsache, die den eigenen Beweisgang hindern könnte, ist schlechthin unmoralisch, sondern auch der Spott als Waffe Die allergrößte Gefahr für das Suchen nach der Wahrheit ist aber jene unsaubere Anpassung an die Situation und an die Neigung des Publikums, die eine halbe für die ganze Wahrheit ausgibt. Diese halbe Wahrheit sdieint ein weiteres Forschen entbehrlich zu machen und wird dadurch zum größeren Hindernis der reinen Erkenntnis als der volle Irrtum. „Aber das, weiß idi, ist Pflicht, wenn man Wahrheit lehren will, sie ganz, oder gar nidit, zu lehren; sie klar und rund, ohne Räthsel, ohne Zurückhaltung, ohne Mißtrauen in ihre Kraft und Nützlidikeit zu lehren: und die Gaben, weldie dazu erfordert werden, stehen in unserer Gewalt." '

Das Ziel der immer weiterschreitenden Erkenntnis der Wahrheit fordert die rückhaltlose Offenheit der Aussage als Akt der intellektuellen Redlichkeit. Goeze hat Lessing vorgeworfen, daß eine solche Rücksichtslosigkeit des Meinungsstreites verantwortungslos sei, weil sie nicht an den schwachen Glauben der einfachen Gemeindeglieder denke". Dieser Vorwurf rührt an den Kern der ganzen Auseinandersetzung: Toleranz ist gefordert worden um des Menschen willen, der das Freiheitsrecht seines Glaubens in einer andersdenkenden Gesellschaft geachtet wissen will. Wird sie nun nicht umgekehrt menschenfeindlich, indem sie in ihrem Ruf nach unbedingter Freiheit dem anderen durch die Kritik unendlich schadet? Fordert echte Toleranz nicht ebenso wie die Duldung für die Heterodoxen die Verantwortung gegenüber den Glaubenden? Lessing räumt ein, daß es ein verschiedenes Verhältnis zur Wahrheit gebe. Die seelsorgerliche Verantwortung für eine Gemeinde kann die Verpflichtung in sich schließen, nur das der Gemeinde bekannt zu machen, was ihr auch dienlich ist. Allerdings will er eine solche Fürsorge auf den Pastor beschränkt wissen — für sich selbst vermag Lessing eine solche einengende Verpflichtung nicht anzuerkennen'. * Cardanus (M 5, S.323 = R 7, S.216); Duplik (M 13, S.76 = R 8, S.89). — Als ihm sein Bruder die Absicht, im Nathan den Kampf gegen die Orthodoxie fortzusetzen, mitgeteilt hatte, schreibt ihm Karl Lessing am 25.8.1778, er solle seine Gegner durch Spott vernichten, denn Ernst helfe noch den Theologen (M 21, S.226f.). Lessing lehnt das in seiner Antwort grundsätzlich ab (Brief vom 20.10.1778, M 18, S. 298 f. = R 9, S.802). Vgl. dazu Duplik (a.a.O., S.74 = S.87) und oben, S.42, über den Religionsspötter. 5 Berengar I (M 11, S . 6 9 f . = R 7, S.323 f.). In der Tatsache, daß die Neologie in ihrem Offenbarungsbegriff eine solche Halbwahrheit festhält, haben auch Lessings harte Äußerungen gegen die Theologie der Aufklärung ihren Grund (Briefe an den Bruder vom 8.4.1773, 2 . 2 . 1 7 7 4 und 20.3.1777, M 18, S. 82 f., 101 f., 226 f. = R 9, S.577, 596 ff., 729). » Goeze, Etwas Vorläufiges (1881, S.23, 4 4 f . , 7 0 f . ) ; vgl. audh Reichs-Postreuter 1778, St. 19 (ebd., S . 2 0 0 f . ) . ' Lessing kleidet diese Aussage in den Vergleich zwischen dem Schäfer und dem Kräuterkenner (Die Bitte, M 13, S. 96 f. = R S, S. 155 f.).

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Wenn nämlidi die eigentlidie, reine Wahrheit nur einem kleinen Kreis von Menschen zugänglich sein darf, während grundsätzlidi alle anderen sich mit Teilwahrheiten oder gar alten Vorurteilen begnügen sollen, wird diese scheinbare Verantwortung zum Betrug. Zwisdien dem fragwürdigen Führungsanspruch des Theologen, der auswählt, was er für seine Gemeinde zu wissen für gut befindet, und dem Hodimut des Freigeistes, der eine Offenbarungsreligion im Interesse des Staates für den Pöbel gerade richtig findet, ist da kein echter Unterschied®. Es ist eine zynische Doppelgleisigkeit, die für den Freidenker höchstens dadurdi entschuldbar wird, daß das Martyrium für die Wahrheit nidit schledithin gefordert werden kann®. Wo aber eine solche verzeihliche Heuchelei zum Grundsatz einer stolzen Gemeinde gemacht wird, ist sie ein Verrat an der Wahrheit. Weil es keine doppelte Wahrheit gibt, bedeutet ein aristokratisches Verschweigen der einen, vollen Wahrheit die Preisgabe der übrigen Menschheit an alle Formen der Unwahrheit Freilich weiß auch Lessing, daß nicht jede Wahrheitserkenntnis dazu geeignet ist, nackt und unmittelbar in der Öffentlichkeit gesagt zu werden. Er vergleicht die Vorsehung Gottes mit der Weisheit eines Pädagogen, der seine Aufgabe darin sieht, die Wahrheitsmitteilung der Entwicklung des Zöglings anzupassen. Der weise Pädagoge baut nicht erst eine Märchenwelt auf, die nachher durch die Erkenntnis der reinen Wahrheit zerstört werden muß; er teilt vielmehr die Wahrheit so mit, daß sie dem Fassungsvermögen des Schülers entspricht und zugleich, es übersteigend, Anreiz und Raum bietet, um in ihrer Erkenntnis zu wadisen In dieser exoterischen Akkomodation wird nicht eine halbe Wahrheit als das Ganze gelehrt, sondern die ganze Wahrheit so verständlich gesagt, daß sie auch von dem ungelehrten Menschen ahnend begriffen werden kann. Es hat „zu allen Zeiten u n d in allen Ländern privilegirte Seelen gegeben, die aus eigenen K r ä f t e n über die Sphäre ihrer Zeitverwandten hinausdachten, dem größern

8 So v o r allem A n t i - G o e z e V I I ( M 13, S . 1 8 5 f . = R 8, S . 2 5 2 f . ) . • So Berengar, a.a.O. Es ist dabei zu beachten, daß Lessing hier nur nicht den Menschen m i t einem Imperativ überfordern, daß er Berengars Widerruf entschuldigen mödite. Für seine eigene H a l t u n g vgl. das Zitat hier S. 66 f. So kann für Lessing auch die Heuchelei des Reimarus in der intoleranten Gesellschafl nur entschuldigt, nicht aber gutgeheißen werden. V g l . Reimarus, V o n D u l d u n g der Deisten (M 12, S . 2 5 7 f . = R 7, 5 . 6 5 5 ) . Diese scheinbar aristokratische H a l t u n g wird schon an Adrast kritisiert: Freigeist IV, 3 (M 2, S. 98 f. = R 1, S. 628 f.). Vgl. e t w a noch den Brief v o n J. A . H . Reimarus an Lessing v o m Juni 1778 (M 21, S . 2 1 2 ) . — Z w e i m a l verweist Lessing auf die Trennung bei Clemens A l e x , zwischen der Wahrheit für das V o l k u n d für die Gelehrten — das lehnt Lessing ab ( A x i o m a t a , M 13, S. 133 = R S, S. 195; außerdem: Briefe an Walch, M16, S. 503 = R S, S. 516). O b w o h l der Toleranzgedanke grundsätzlich konservativ ist, so ist er doch zugleich bei Lessing b e w u ß t demokratisch. » E r z . d . M . passim, besonders § 2 6 (M 13, S . 4 2 1 = R S, S . 5 9 7 ) . 5

Schultze, Lessing

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Lidit entgegen eilten, und andern ihre Empfindungen davon, zwar nidit mittheilen, aber dodi erzählen konnten." ' '

Die Haltung des Pädagogen untersdieidet sich von der des aristokratisch-verschwiegenen Wahrheitsbesitzers dadurch, daß der Pädagoge die volle Wahrheit weitergeben will. Es ist das, was Kierkegaard das Existieren in der Doppelreflexion genannt hat: die Verantwortung des Denkers erweist sich darin, daß sie dem Existenzbezug des Hörers zu der Wahrheit Rechnung trägt". Freilidi kann diese Überlegung doch zu der Konsequenz führen, daß es Erkenntnisse gibt, die schlechterdings nidit gesagt werden dürfen. Der Arzt ist u. U. sogar dazu verpflichtet, die Pest nicht beim Namen zu nennen, um desto wirksamer gegen sie vorgehen zu k ö n n e n W e i l es die Möglichkeit gibt, daß eine Wahrheit falsch verstanden wird, weil ein notwendiger Grad von Reife noch fehlt, kann ein Schweigegebot notwendig werden Aber eine soldie Grenzmöglichkeit darf nicht zur Legitimation orthodoxer Trägheit und Intoleranz mißbraudit werden. Nur eine mißverstandene Rücksicht kann dem schwachen Glauben eine Prüfung ersparen wollen, die ihm zur Läuterung hilft oder ihn in seiner Nichtigkeit offenbar macht'®; im Interesse des Glaubens selbst muß volle Toleranz für die Kritik, das heißt für das unbefangene Suchen nach der Wahrheit, gefordert werden. Erst die volle Publizität einer umstrittenen Erkenntnis ermöglicht eine echte Untersuchung, weil sie ein Gespräch erlaubt. Das aber ist Voraussetzung dafür, daß für die Wahrheit ein wirklicher Gewinn entsteht". Nicht der Irrtum oder die radikale Kritik sind das eigentlich Gefährliche, sondern die Heimlichkeit, in der sie sich unkontrollierbar auszubreiten gezwungen sind, sobald die Toleranz versagt wird'®. In der Freiheit des Gesprächs kann dagegen eine Halbwahrheit, die den Blick verstellt, zur Seite geräumt, kann ein Vorurteil widerlegt werden — nur so kann der Glauben um seine Vergewisserung ringen. „Der Ungenannte war ein so behutsamer Mann, daß er keinen Menschen mit Wahrheiten ärgern wollte: und idi, idi glaube ganz und gar an kein soldies Ärgerniß; . . . " Gegensätze (M 12, S.445 = R 7, S.833). " Sören Kierkegaard, Absdiließende unwissensdiaftlidie Nadisdirift zu den philosophisdien Brocken II, Etwas über Lessing, Jenaer Ausg. 6, 1910, S. 160fí. — Vgl. oben, S . 3 5 f f . Vom Arianismus zufolge einer Abhandlung des Herrn D. Töllners nämlidien Inhalts (Nadilaßfragment, M 16, S. 251 f. = R 7, S. 538 f.). " Ernst und Falk, Gespr.2 (M 13, S . 3 5 2 f . = R S, S.556): „Der Weise kann nidit sagen, was er besser versdiweigt." >· Vor allem Anti-Goeze IV (M 13, S. 161 ff. = R S, S. 225 ff.) die Erörterung über den Vorschlag, Religionskritik nur lateinisch zu veröffentlichen; vgl. Anti-Goeze VII (ebd., S.184 = S . 2 5 0 f . ) . " Anti-Goeze I (ebd., S.142 = S.203); VI (ebd., S.175 = S.240). " Anti-Goeze IV (ebd., S . 1 6 3 f . = S . 2 2 7 f . ) ; Vom Zwedce Jesu, Vorrede (M 13, S.219 = R « , S.257).

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Der Ungenannte war ein so kluger Mann, daß er durdi allzufrühzeitige Äußerungen, weder sidi noch andere unglüdtlidi machen wollte: und ich, ich schlage als ein Rasender meine eigene Sicherheit zuerst in die Schanze, weil ich der Meynung bin, daß Äußerungen, wenn sie nur Grund haben, dem menschlichen Geschlechte nicht früh genung kommen können. Mein Ungenannter . . . glaubte, daß sich die Zeiten erst mehr aufklären müßten, ehe sich, was er für Wahrheit hielt, öffentlich predigen lasse: und ich, icái glaube, daß die Zeiten nicht aufgeklärter werden können, um vorläufig zu untersuchen, ob das, was er für Wahrheit gehalten, es auch wirklich ist."

Verantwortung für die "Wahrheit setzt also universale Toleranz voraus; wo diese nodi verweigert wird, wird es zur unmittelbaren Pflicht, der Wahrheit diesen Freiheitsraum zu erkämpfen. Lessing will als Bibliothekar der Welt bekannt machen, was nur immer der Wahrheit nützlich zu werden vermag — sie zu fördern sieht er als einen Dienst in Gottes eigener Sache an^°. Hier scheint allerdings ein neues Absolutes aufgerichtet zu sein, das eine geheime Intoleranz in sich birgt. Darf sidi der Kräuterkenner so völlig von der seelsorgerliehen Verantwortung des Pastors dispensieren? Widerspricht Lessing nidit seinem eigenen Grundsatz der pädagogischen Akkomodation, der doch die Möglichkeit des Schweigens einsdiließt? Ist es nicht ein falsdier Optimismus, daß die volle Publizität für Irrtum, Zweifel und Kritik schledithin kein Ärgernis bringen könne? In diesem Selbstwiderspruch liegt ein echter Konflikt, der bestehen bleibt, auch wenn man Lessings These beipflichtet, daß das Ärgernis eine Ausnahme sei — denn hier verbietet sich jedes quantitative Abwägen. Lessing selbst hat vielmehr darauf verwiesen, daß in diesem Konflikt die Begrenztheit des Endlichen tragisdi siditbar werde Eine menschliche Sicherung muß dabei notwendig versagen, weil sie stets zur Maske der Eigennützigkeit werden müßte. Die einzige legitime menschliche Möglidikeit ist dagegen das Vertrauen in Gottes Weltplan; weil es um Seine Wahrheit geht, wird er ihretwegen nidit einen Menschen verlorengehen lassen. 2. Polemik und Kritik als Wege zur Wahrheit Der Konflikt zwischen der toleranten Achtung vor jeder menschlichen Individualität und dem Verantwortungsbewußtsein für die Förderung der Wahrheitserkenntnis wird durch Lessings persönliche Haltung noch intensiviert: er hat seine besondere Aufgabe in der Kritik der bestehenden Fragestellungen und Lösungsversudie gesehen; an bestimmten Punk" Anti-Goeze VII (a.a.O., S.186 = 252 f.). 2» Sein Ethos als Bibliothekar vor allem Anti-Goeze VI (ebd., S. 177 ff. = S. 242 ff.). Sein Wort „Ich bin sehr glücklich, das ich dieses Herrn Bibliothekar bin, und keines andern." ist offensichtlich doppelsinnig, darf also wie oben interpretiert werden (S. 177 = S.242). Anti-Goeze IV, zitiert oben S. 55, Anm. 28.

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ten der Diskussion hat er sich verpfliditet gefühlt, eine äußerst scharfe Polemik methodisch einzusetzen — bis hin zur literarischen Vernichtung seines Gegners Solche polemische Aggressivität setzt sich selbst in schärfsten Gegensatz zum Gebot der Toleranz; sie ist ihm nidit nur von seinen Gegnern verdacht worden^® — Lessing äußert selbst, daß es eine Stufe des Streitgespräches gebe, in der Höflichkeit zur Farce werde und Toleranz aufgehört habe, eine Tugend zu sein: „Hieronymus sagt, daß die Beschuldigung der Ketzerey (wie viel mehr der Irréligion?) der Art sey, in qua tolerantem esse, impietas sit, non virtus. Und dodi, doch hätte idi mich lieber dieser Gottlosigkeit schuldig madien, als eine Tugend nicht aus den Augen setzen sollen, die keine ist? Anständigkeit, guter Ton, Lebensart: elende Tugenden unsers weibischen Zeitalters! Firniß seyd ihr; und nidits weiter . . . Was frage idi darnadi, ob meine Darstellungen diesen Firniß haben, oder nicht?"

Höflichkeit kann die Ausdrucksform einer echten Toleranz sein: indem sie jeden schroffen Gegensatz vermeidet, schafft sie die Möglichkeit für ein Gespräch, das eine Grundform der Mitmenschlichkeit audi für den Gegner noch offen hält. Lessings Ablehnung der Höflidikeit als verbindlicher Form innerhalb der Debatte hat dagegen ihren Grund darin, daß er bestimmte Gefahren mit ihr verbunden sieht, die die notwendige Sachlichkeit hindern könnten. Der höfliche Gesprädispartner sieht seine Aufgabe darin, zwischen den Gegensätzen zu vermitteln; er kann auf Widerspruch gegen Irrtum verziditen, um niemand zu verletzen; eine Kompromißformel darf von ihm dann schon als Zeichen der Übereinstimmung gewertet werden Das alles aber ist für Lessing nicht Förderung, sondern Gefährdung echter Toleranz. Toleranz bedeutet für ihn nicht Aufhebung der Gegensätze durch Reduktion des Problems auf ein materiales Minimum, zu dem sich alle Partner verstehen können, sondern Emstnehmen des Widerspruchs in der scharfen Sadilichkeit des Streitgesprächs. Toleranz ist nidit Verharmlosen der Differenzen — das wäre letztlich skeptischer Relativismus —, sondern Offenhalten eines Freiheitsraumes, in dem die Diskussion durdi keine heteronome Rücksidit beeinflußt wird^®. Indem die Toleranz Aditung vor jeder Individualität, die VerÜber Lessings polemisdie Haltung unterrichten die Untersudiungen über seinen Stil: am besten Gaede 1955 passim, vgl. besonders S.34ff., 75. " Vgl. z.B. Lüdkes große Rez. zum Fragmentenstreit in der AdB 39/1, S.36—78 (abgedrudt bei Braun 2, 1881, S. 224—245, bes. S. 227 ff., 236 ff.). Anti-Goeze X I (M 13, S.210 = R S, S . 4 0 2 f . ) . 2' Vgl. besonders Lit.Br. Nr. 106, gegen Basedow (M 8, S . 2 4 0 f . = R S. 384 f.). Vgl. auch Lessings Unterscheidung zwischen der ungesitteten und der unmoralisdien Polemik (Anti-Goeze II, M 13, S. 152 f. = R S, S. 215 f.). 2' Charakteristisch für diese Haltung Lessings, die gerade die Schärfe der Antithese durdi nidits vereinfadit haben will, ist sein stereotyper Anruf gegen Reß in der Duplik: „Wadien Sie auf, Nadibar . . . ! " (M 13, S . 5 6 f f . = R 5, S.66ff.). — Seine Ablehnung jeder falsdien Rüdcsicht z.B. schon in den frühen Rettungen oder in einem Brief an Mendelssohn vom Oktober 1756 (M 17, S . 6 2 = R 9, S.73). Vgl. dazu oben S . 5 2 f . und 66 f.

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bundenheit in der gemeinsamen Aufgabe der Mitmenschlichkeit und in der Verantwortung für die Wahrheit fordert, schafft sie die Voraussetzung eines fairen Kampfes, in dem die Gegner zu gleichen Bedingungen fediten. Für Lessing ist somit Toleranz ein Funktionsbegrifî des Bemühens um Wahrheit, sie gilt dem anderen Denker, nicht seinem Irrtum; sie gilt seinem Gedanken, sofern dieser eine echte Erkenntnis enthält oder zu ihr veranlaßt — niemals aber kann sie den Verzicht auf Auseinandersetzung und Widerspruch bedeuten. Obwohl also Toleranz für Lessing unablösbar mit der Aufgabe kämpferischer Aktivität verbunden ist, darf sie doch nicht mit Parteilidikeit verwechselt werden. Freilich ist der Toleranzbegriiî in der Geschichte häufig Ausdruck eines konkreten Parteiinteresses gewesen — nodi bei Reimarus ist dies deutlidi^'. Dann steht er aber im Widerspruch mit sich selbst, weil nur die Freiheit für die eigene Wahrheit erstritten wird. Lessing dagegen hält den Toleranzbegriiî in seiner strengen Formalität durdi: Toleranz bewährt sich in der Offenheit für die Wahrheit, die in ihrer Unverfügbarkeit gerade auch in der fremden oder scheinbar irrtümlichen Erkenntnis vermutet und gefunden wird. Nicht der eigene Standort wird relativiert, sondern nur der des Gesprächspartners ganz ernst genommen. So stehen Polemik und Kritik nicht im Gegensatz zur Toleranz, da sie Hilfsmitel sind, um die Wahrheit zu fördern. Allerdings kann die Polemik in direkte Intoleranz übergehen, sobald die Sachlichkeit der Auseinandersetzung gefährdet erscheint. Hohle, geltungssüchtige Autorität, Intrigenspiel und Angriffe gegen die Person des Partners hindern jedes fruchtbare Gespräch — in dieser Situation hört die Toleranz auf, Tugend zu sein^'. Charakteristisch ist jedocJi, daß diese Intoleranz — die einzige, die bei Lessing begegnet — völlig formal bleibt: sie gilt dem einzelnen Gegner, nicht seinem System^'. In den „Antiquarischen Briefen" hat Lessing die Haltung des Kritikers darum folgendermaßen beschrieben: »Wenn idi Kunstriditer wäre, wenn idi mir getraute, das Kunstriditersdiild aushengen zu können: so würde meine Tonleiter diese seyn. Gelinde und sdimeidielnd gegen den Anfänger; mit Bewunderung zweifelnd, mit Zweifel bewundernd gegen den Meister; absdiredcend und positiv gegen den Stümper; höhnisdi gegen den Prahler; und so bitter als möglidi, gegen den Cabalenmadier." ^

Polemik ist also nur eine Endstufe der Kritik, um klare Fronten für die echte Wahrheitsbemühung zu schaffen. Ihrer Aufgabe wird sie am " Von Duldung der Deisten (M 12, S. 255 ff. = R 7, S. 652 ff.)· Das ist der Grund für seine scharfe Abredinung mit Lange in „Ein Vade mecum für den Hrn. Sam. Gotth. Lange", ebenso für seine zornige Polemik gegen Klotz. In diesem Sinne ist Lessings Untersdieidung zwisdien Goeze und der eigentlidien lutherisdien Orthodoxie durdiaus ernst zu nehmen. Vgl. den Brief an Herzog Karl vom 11.7.1778 (M 18, S . 2 7 2 f . = R 5», S.781). 57. Brief (M 10, S.437 = R Í, S.625).

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besten gerecht, indem sie sidi die Widerlegung so schwer wie möglidi madit'4 Nur dadurch, daß sie ganz intensiv nach dem möglichen "Wahrheitsgehalt der gegnerisdien Aussage fragt, kann die eigene Erkenntnis wirklich gewiß werden®^. Voraussetzung einer solchen konsequent kritischen Haltung ist die Überzeugung von dem produktiven "Wert methodischer Skepsis. Die eigenen wie die fremden Gründe einer Behauptung werden der strengsten Prüfung unterzogen, die bis zu den Kategorien des Denkens zurückfragt". Denn die größte Gefahr des Denkens ist es, vorschnell in der Kritik müde zu werden®*, zu rasdi ein System zu bauen®'. Die unaufhörliche Reflexion gilt ebenso wie den moralischen Entscheidungen den Ergebnissen des Denkens. In ihrer unbedingten Offenheit wird die Kritik zum Ausdruck der Toleranz; Lessing hat sie einmal als „Zärtlidikeit des Geistes" bezeichnet: „Es ist eben dieselbe Zärtlidikeit des Geistes, weldie die Schönheit einer Sadie fühlet, und welche die Mängel derselben empfindet. Tadeln und Loben, was zu tadeln und zu loben ist, muß also gleich rühmlich seyn." "

In dieser Grundüberzeugung, daß die kritische Auseinandersetzung stets für die Erkenntnis der Wahrheit einen Gewinn bedeutet, hat Lessing die Reimarus-Fragmente veröffentlichen können®'. Die faktische Situation der Theologie zeigte, daß die offizielle Apologetik in ihrer Sterilität gegenüber dem modernen Glaubenszweifel hilflos war®®. In bequemem Ausnutzen der staatskirdilidien Tradition und blinder Selbstsicherheit versuchte sie ihn mundtot zu machen und gleidizeitig zu bagatellisieren®·. Lessings Anliegen ist es demgegenüber, zu zeigen, daß nur eine echte kritische Auseinandersetzung für den Glauben "Verheißung hat: nur wo der Zweifel in seiner Notwendigkeit begriffen ist, kann er aufgehoben werden. Der Zweifel ist — zumindest in der modernen Welt — " Darum lehnt Lessing eine Polemik ab, die sich ihren Gegner zum Ungeheuer madit, um ihn desto leichter angreifen zu können (Gegensätze, M 12, S. 429 f. = R 7, S.814). Vgl. audi Duplik (M 13, S . 3 4 f . = R S, S.40). ^^ Cardanus (M Í, S.323, 325 = R 7, S . 2 1 6 f . , 218 f.). Charakteristisdi ist Minnas Frage an Teilheim (II, 9, M 2, S. 205 = R 2, S. 170): „Eine Vernunfl, eine Nothwendigkeit, die Ihnen midi zu vergessen befiehlt? — Ich bin eine große Liebhaberinn von Vernunft, idi habe sehr viel Ehrerbietung für die N o t h wendigkeit. — Aber lassen Sie dodi hören, wie vernünftig diese Vernunft, wie nothwendig diese Nothwendigkeit ist." " Vgl. den Brief an Mendelssohn vom 9 . 1 . 1 7 7 1 (M 17, S.365 = R 9, S.406). äs Berengar III (M 11, S.94 = R 7, S . 3 5 3 f . ) . " Briefe (1753), Nr. 15 (M Í, S.77 = R 3, S.434). " Anti-Goeze I (M 13, S.142 = R S, S . 2 0 2 f . ) . »e Axiomata (M 13, S.lOSf. = R S, S. 165ff.); Bibliolatrie, Erster Absdmitt (M 16, S . 4 7 5 f . = R S, S . 4 8 8 f . ) ; Gegensätze (M 12, S . 4 2 9 f . = R 7, S.814 f.). " So ist Lessings Vergleich zwisdien der „theologischen Mämme" und dem „Theologisdien Renomist" gemeint. Anti-Goeze V (M 13, S. 169 = R S, S. 234).

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das notwendige Korrelat des Glaubens^". Er ist nicht ein domestizierbares Stimulans der Sdiultheologie, sondern radikale Infragestellung des Denkens und Glaubens überhaupt Nur wer durdi diesen Zweifel hindurdigegangen ist, kann ein guter Apologet des Glaubens sein^^. Die echte Toleranz bewährt sidi hier darin, daß sie dem Zweifel in der Öffentlichkeit Raum gibt, damit der Glaube zu einer echten Gewißheit zu gelangen vermag. Der Zweifel darf mäditig werden, damit sich die "Wahrheit nur um so herrlicher erweise*'. Toleranz für die Religionskritik bedeutet für Lessing nicht Parteinahme für den Deismus oder gar für den Atheismus, nicht Vermittlung zwischen den Extremen, sondern Kampf um den freien Raum, in dem eine sachliche Auseinandersetzung möglich wird. Anders als in der freien, kritisch-ofFenen Begegnung mit dem Zweifel kann die Wahrheit und Gewißheit des Glaubens nicht erfahren werden.

3. Wahrheitsgehalt

der positiven

Religionen

Das Wahrheitskriterium in der kritischen Auseinandersetzung mit der überlieferten Gestalt der positiven Religionen ist für Lessing, ebenso wie für die Aufklärung überhaupt, allein die natürliche Vernunft Wo der Freiheitsraum für die Religionskritik theoretisch erfoditen ist, darf ihr schlechthin kein Objekt verboten werden*'. Sie darf nicht nur das schlechthin Widervernünftige verwerfen, sondern audi für die Religionsbeweise fordern, daß sie den Gesetzen der Vernunft entsprechen. So ist es nur der erste Schritt einer solchen kritisdien Vergewisserung des Wahrheitswertes der Religion, daß die Beweise, die auf Autorität und Tradition beruhen, einer empirischen Prüfung unterzogen werden*®. Vgl. Über den Arianismus . . . Zufolge Herrn D. Tellers Antithesen (M 16, S. 252 f. = R 7, S . 5 3 6 f . ) — die Funktion von Thomas dem Zweifler. Vgl. dazu J.Sdineider 1953, S.219. — Vgl. die bekannte Stelle in Lessings Brief an seinen Vater vom 30.5. 1749 (M 17, S.18 = R 9, S.22). " Anti-Goeze IV (M 13, S . 1 6 5 f . = R S, S . 2 3 0 f . ) . — Gerade weil Lessing selbst von diesem radikalen Zweifel betroffen ist, hat er die Fragmente veröffentlidit; gerade darum gibt er sidi mit den ersten rasdien Antworten nicht zufrieden: Anti-Goeze X I (ebd., S . 2 0 8 f . = S . 4 0 0 f . ) . Rez. zu Georg Lyttleton, Anmerkungen über die Bekehrung und das Apostelamt Pauli, 1751. Beri. Priv. Ztg., 27.11.1751 (M 4, S . 3 7 2 f . ) . " Auf diesen Aspekt legt Lessing besonderen Wert. Anti-Goeze III (a.a.O., S. 156 = S.219). " Jacobi-Gesprädi (R 8, S . 6 2 8 f . = Sdiolz 1916, S . 9 1 f . ) . Vgl. dazu die Bedeutung, die dem Verstand in Duplik (M 13, S.31, 46 = R S, S.36, 54) und im Brief an Karl Lessing vom 2 0 . 3 . 1 7 7 7 (M 18, S . 2 2 6 f . = R 9, S.729) zukommt. " Anti-Goeze V (M 13, S. 167ff. = R S, S. 232 ff.). Charakteristisch die methodische Vorüberlegung zu Ausbreitung (M 14, S . 3 1 4 f . = R 7, S . 2 8 2 f . ) ; ebenso der Titel der Studie: Neue Hypothese über die Evangelisten als blos menschlidie Geschiditsdireiber betrachtet (M 16, S. 370 ff. = R S, S. 108 ff.).

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In der historisdien Untersudiung der sogenannten Geschichtsbeweise des Christentums — des Beweises durch die erfüllten alttestamentlichen Weissagungen, durch die Wunder Jesu und der Apostel und durch das Wunder der Ausbreitung — konnte Lessing die Ergebnisse des Deismus übernehmen^'; in die Diskussion über Entstehung und Geltungsansprudi des biblischen Kanons hat er selbständig eingegriffen, um den Widerspruch gegen das lutherische Dogma der Theopneustie durch exakte historische Tatsadien zu erhärten^'. Lessings Interesse gilt aber nicht der schrittweisen Bekämpfung des orthodoxen Systems, sondern der Auseinandersetzung über die Möglichkeit, sich des Glaubens unter den Denkvoraussetzungen der Neuzeit rational zu vergewissern. Zur Debatte steht damit die Tragfähigkeit christlicher Apologetik überhaupt. Gerade bei der Veröffentlichung der Reimarusfragmente hat Lessing diese Grundsatzfrage im Auge: er will nicht den bisherigen Bestreitungen des Glaubens neue Gründe hinzufügen, sondern die prinzipielle Aporie orthodoxer wie neologischer Apologetik daran aufzeigen. In den Kollektaneenheften (d.h. aus der Zeit zwischen ca. 1768—74) findet sidi folgende Notiz Lessings: „Wider die vielen Werke, welche neurer Zeit für die Wahrheit derselben [der diristlidien Religion] herausgekommen; daß sie nicht allein sehr schlecht beweisen, was sie beweisen sollen, sondern audi dem Geiste des Xstenthums ganz entgegen sind, als deßen Wahrheit mehr empfunden seyn will, als erkannt, mehr gefühlt, als eingesehen. Dieses zu erhärten müßte man zeigen, daß die für die Religion geschriebenen Werke der Kirchenväter, nicht sowohl Behauptungen derselben, als bloß Vertheidigungen gegen die Heiden gewesen: sie suchten die Gründe gegen sie zu entkräften, aber nicht unmittelbare Gründe für sie fest zu setzen. Meines Bedünkens war es Grotius, der mit seinem Traktate de V. (eritate) R. (eligionis) Ch.(ristianae), welcher 1639. zu erst herauskam, den Weg eröfnete."'·

Werden also die Grenzen der legitimen Aufgabe der Apologetik überschritten, so muß ein grundsätzlich falscher Eindruck entstehen: der Glaube scheint dann für sich in Anspruch nehmen zu dürfen, in seinem Recht und in seinem Inhalt als bewiesen zu gelten. Freilich darf die Theologie sich gegen die Kritik mit aller historischen Gelehrsamkeit, mit aller philosophischen Gründlichkeit verteidigen — damit können aber stets nur rationale Zweifel widerlegt, nie der Glaube in seiner Bindung an kontingente Offenbarung positiv erwiesen werden. Lessings Widerspruch " Vgl. das Fragment Ausbreitung, passim (a.a.O.), ebenso die Bruchstücke Über die Elpistiker (M 14, S. 297—311). Dort und audi Cardanus (M S.321 = R 7, S.214) Polemik gegen die Glorifizierung der Märtyrer — ihr Tod hat nie edite Beweiskraft gehabt! — Zur Kritik des Wunderbegriffs vor allem Nathan I, 2 (M 5, S . 1 2 f . = R 2, S. 333 ff.). « Vor allem mit den Sdiriften Axiomata (M 13, S. 105—137 = R S, S. 164—200) und Über die Evangelisten (Fragment, das aber Voß schon zur Veröffentlichung angekündigt wurde: M 16, S. 370—391 = R S, S. 108—132). " M 15, S. 358.

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gilt so nidit nur der Spätorthodoxie, die sidi dies rationale Beweisverfahren zu eigen gemacht hat®", sondern zugleich und fast nodi mehr der vermittelnden Theologie des 18. Jahrhunderts, die meinte, den diristlichen Glauben als vernünftig sichern zu können Dort tritt der alte Absolutheitsansprudi der Orthodoxie nur in material reduzierter, formal aber desto intensiverer Gestalt auf: „Wie kitzlich hingegen ist es, mit diesen anzubinden, weldie die Vernunft erheben und einsdiläfern, indem sie die Widersadier der Offenbarung als Widersacher des gesunden Menschenverstandes versdireyen! Sie bestechen alles, was Vernunft haben will, und nidit hat." "

Um diesen Fehlansatz zu widerlegen, der eine positive Religion zu rational erweisbarer Absolutheit erhebt, ergreift Lessing die radikal deistische Partei®'. Vor dem Forum der Vernunft sind grundsätzlich alle positiven Religionen gleidi wahr und gleich falsch®^. Mit der These, daß keine der positiven Religionen einen Absolutheitsanspruch vernünftig begründen könne, macht sich Lessing das negative Toleranzmotiv der Aufklärung zu eigen. (1) Die Frage nach der einzigen wahren Religion ist mit den bisher dabei verwendeten Kategorien nicht zu beantworten. Auf Saladins Einwurf, daß die Religionen dodi alle leicht zu untersdieiden seien, erwidert Nathan: „Und nur von Seiten ihrer Gründe nidit. — Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte? Geschrieben oder überliefert! — Und Geschichte muß doch wohl allein auf Treu und Glauben angenommen werden? — Nicht? — Nun wessen Treu und Glauben zieht man denn Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen? . . " Dies meint der Vorwurf (Gegensätze, M 12, S. 443 = R 7, S. 830): „Nicht also die Orthodoxie, sondern eine gewisse sdiielende, hinkende, sidi selber ungleidie Orthodoxie ist so ekel! So ekel, so widerstehend, so aufstoßend!" " Vgl. dazu die vielzitierten Äußerungen in den Briefen an seinen Bruder Karl vom 8.4.1773, 2.2.1774 und 20.3.1777 (M 18, S.82f., 101 f., 226 f. = R 9, S.577, 596 ff., 729). Dahin gehört auch das Gespräch über „Herkules und Omphale" (M 16, S.254 = R 7 , S.540)! Gegensätze (M 12, S.432 = R 7, S.817). Vgl. dazu auch das Nachwort zu Reimarus, Von Duldung der Deisten (ebd., S.270f. = S.670f.). Das darf, wegen der Herausgabe der Reimarus-Fragmente, behauptet werden. Trotz seines immer wieder hervorgehobenen sachlichen Gegensatzes zu dem Glaubensbegriff des Reimarus (vgl. dazu besonders Anti-Goeze VII, M 13, S. 183 f. = R 8, S. 249 f.) ist hier das Bekenntnis zu den kritischen Ergebnissen wesentlich (Duplik, ebd., S. 24 f. = S. 28 f.). — Nur so ist es audi verständlich, daß Mendelssohn und die Reimarus-Geschwister Lessing als Bekenner der natürlichen Religion betrachten konnten. Vgl. Mendelssohn, Morgenstunden XV (Werke 2, S. 362). " So in Über die Entstehung der geoffenbarten Religion (M 14, 8.313 = R 7, S.281). Nathan III, 7 (M 3, 8.92 f. = R 2, S.405).

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Das, was eine positive Religion zu der einmaligen madit, als die sie von allen anderen wie von der natürlichen unterschieden ist, gehört der Kategorie des Geschichtlichen an. Es gehört aber wesentlidi zur Kontingenz geschichtlichen Geschehens, daß es in seiner Einmaligkeit unwiederholbar und nicht deduzierbar ist. Ein „Geschichtsbeweis" ist also, wenn das Wort im strengen Sinn verstanden werden soll, eine contradictio in adiecto; in dem anderen Sinne aber, in dem er seine Berechtigung hat — als ein glaubhaftes historisches Geschehen, das für den Verstand als ein Hinweis bedeutsam zu werden vermag —, mangelt ihm gerade die logische Beweiskraft. Alles Gesdiichtlidie kann kausal erklärt, aber nie als notwendig demonstriert werden; ihm fehlt die metaphysische Evidenz, die allein den reinen Vernunftwahrheiten zukommt®". Zwischen den zufälligen Geschichtswahrheiten und den notwendigen Vernunftwahrheiten ist also der garstige breite Graben, der einen Schluß von geschichtlichem Geschehen auf vernünftig einsichtige Allgemeingültigkeit unmöglich macht In dieses strenge metaphysisch-logische Gerüst der Leibnizschen vérités éternelles und vérités de fait zeichnet Lessing — in voller Obereinstimmung mit der deutschen Schulphilosophie — das Problem des Wahrheitsanspruchs der positiven Religionen ein®®. Während Bayle und der Deismus empirisch-skeptisch aus der Tatsache des exklusiven Geltungsanspruchs mehrerer Religionen dessen Widersinnigkeit folgerten", kann Lessing a priori seine philosophische Möglichkeit bestreiten. Dabei wird die Frage der historischen Glaubwürdigkeit der Ereignisse, Berichte und Personen, auf die sich eine positive Religion beruft, gleichgültig — sie wird zu einer theologischen Einzelfrage. Indem aber die Evidenz des Absolutheitsanspruchs einer positiven Religion unmöglich geworden ist, ist zugleich das innere Recht religiöser Intoleranz aufgehoben. Geschichtswahrheiten können keinerlei Zwangsmaßnahmen gegen Andersdenkende rechtfertigen®". =· Duplik (M 13, S.31f. = R S, S.36f.).· „Die wunderbare Religion muß die Wunder wahrsdieinlidi madien, die bey ihrer ersten Gründung sollen geschehen seyn." „Wann wird man aufhören, an den Faden einer Spinne nichts weniger als die ganze Ewigkeit hängen zu wollen! — Nein; so tiefe Wunden hat die scholastische Dogmatik der Religion nie geschlagen, als die historisdie Exegetik ihr itzt täglich schlägt." Vgl. dazu außerdem Axiomata (ebd., S.119, 128 = S.179, 189); Anti-Goeze VIII (ebd., S.192 = S.384). Beweis des Geistes (M 13, S. 1—8, passim = R S, S. 9—16, besonders S. 5, 7 = S. 12, 14). Vgl. dazu die vorzüglichen Interpretationen durdi Traub 1920 und Scholz 1921. " Darauf weist vor allem Cassirer 1929, S. 24 f., hin. Vgl. zu Leibniz Monadologie 5 33, dazu Pape 1949, S.29ff., die den ontologischen Sinn dieser logisdien Unterscheidung herausarbeitet. »» Bayle 219/1, chap. 10; Edelmann 119, S. 10. In der „Parabel", die Lessing gegen Goeze geschrieben hat, wird dieser Sachverhalt durch den Streit um die alten Grundrisse, die den Blick für den Palastbau selbst

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(2) Der Absolutheitsansprudi einer positiven Religion ist zugleich ethisch illegitim. Weder theoretisch noch praktisdi iäßt sich die Überlegenheit irgendeiner Religion über die anderen zeigen. Die ethisdieWirklidikeit muß aber als ein konstitutives Moment bei dieser Frage berüdisichtigt werden. Entscheidend für den Glaubenden ist allein sein eigenes sittliches Versagen — dadurch ist er in die Solidarität mit allen anderen gewiesen, die ebenso unter dem Anspruch des Gebotes stehen Obwohl Lessing auch und gerade hier nur der Überzeugung seines Zeitalters Ausdruck gibt, führt er dodi dieses ethische Motiv für eine universale Toleranz zu seiner tieferen Konsequenz: die ethische Begründung der Niditigkeit eines Absolutheitsansprudies der Offenbarung führt nicht zur Bestreitung der jeweiligen geschichtlidien Gestalt der Religion — vielmehr wird die sittliche Aufgabe von dem Glaubenden gerade unter den konkreten Bedingungen seiner Religion erfüllt: indem er sich selbst vervollkommnet, wird er dem Sinn je seiner Religion gerecht. Die Frage nadi der einzigen wahren Religion ist also prinzipiell auf rationalem Wege nicht lösbar, da sie in doppelter Weise sinnwidrig gestellt ist. Der Streit kann auf dieser Ebene nicht vernünftig, sondern nur existentiell entsdiieden werden®^. Auf der Ebene der Vernunft aber existiert eine solche Frage nicht mehr". Dort kann nur entweder die Verwirklidiung der Humanität oder aber die Frage nach dem Vernunftgehalt in den positiven Religionen zum Problem werden. Die Möglichkeit des Streites, ein Anlaß zur Intoleranz ist hier nicht mehr denkbar. Die Frage nach der Vernunftwahrheit in der Offenbarung verbindet die Glaubenden in allen Religionen, weil die Vernunftwahrheit per definitonem sich niemals widersprechen kann — jede Erkenntnis, die hier gewonnen wird, ist also schlechthin unverlierbarer, gemeinsamer Besitz«*. Dem negativen Toleranzmotiv, das auf der Nichtigkeit der Absolutheitsfrage im gesdiichtlichen Bereich beruht, tritt nun — auf der metaphysisch höheren Ebene der Vernunft — ein positives Toleranzmotiv an die Seite: die Übereinstimmung aller Religionen in den einfadien Ver-

verstellt haben, symbolisiert: die empirische Unsidierheit und die innere Sinnlosigkeit des Glaubens an Geschichtswahrheiten führt dazu, daß die so Irregeleiteten in der akuten Gefahr versagen (M 13, S . 9 3 f i . = R S, S. 152ff.). " Vgl. dazu oben S.62. Vgl. unten S . 9 0 f . " Das ist nicht nur die Grundtendenz des Nathan, sondern audi der anderen Gleichnisbilder, die Lessing im Fragmentenstreit benutzt: in der „Parabel" ist das Verhältnis dargestellt als die Inadäquatheit des Streites um den richtigen Grundriß gegenüber dem Palast, der in seiner Vollkommenheit ja zugänglich ist (siehe Anm. 60). Vgl. außerdem den Hinweis auf den müßigen Streit über die Holzart, aus der die Kohlen für die Fundamente des Dianatempels zu Ephesus gewonnen wurden (Duplik, M 13, S.30f. = R S , S.35f.). " Vgl. dazu E r z . d . M . §§ 40 und 70—72 (M 13, S.424, 430 = R S, S. 602, 608).

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nunftwahrheiten, in der natürlichen Religion". Die natürliche Religion ist freilich eine Abstraktion, die unter den Bedingungen des menschlichen Daseins nicht als sinnvoller Ersatz der positiven Religion gedacht werden kann®' — sie ist aber die philosophisdie Grundbestimmung des Wesens der Religion. Während noch der Deismus in ihr das Neue gefunden zu haben meinte, das er sidi berechtigt fühlte, der positiven Religion entgegen zu setzen als ihre Überbietung und Aufhebung zugleich, sieht Lessing in ihr das Gemeinsame, die Grundstruktur und innere Absicht aller positiven Religionen. Für ihn ist die Allgemeingültigkeit der natürlichen Religion nicht gegen die Individualität der positiven Religionen erst durchzusetzen, sondern er vermag in der geschichtlich seienden und in dieser Seinsweise belassenen Individualität das gemeinsame Vernünftige sichtbar zu madien". Im Toleranzschrifttum des 18. Jahrhunderts war eine Inkonsequenz in der Beweisführung aufgebrochen: obwohl die Individualität in ihrer Partikularität sich eigentlich im Widerspruch zur reinen Vernunft als dem Ziel der Aufklärung befindet, fordert dodi die Konsequenz des Toleranzgedankens ihre volle Anerkennung. Diesen inneren Widerspruch vermag Lessing — als Sdiüler von Leibniz — zu lösen, indem er die Toleranzidee zu ihrer reinen Konsequenz führt. Die Individualität ist nicht das Widervernünftige, das wegen seiner Faktizität toleriert werden muß, sondern ist vielmehr das Vernünftige selbst in der Existenzform der Wirklichkeit. Toleranz fordert also nicht als Voraussetzung die Reduktion der positiven Religion auf eine Vernunftgestalt, sondern sieht in der Mannigfaltigkeit der Offenbarungsformen die Strukturgleichheit von Gehalt und Absicht, die dem glaubenden Mensdien zur Aneignung und Erfüllung aufgetragen sind®®. Die Analyse der Frage nach der einzigen wahren Religion führt so zu der Erkenntnis, daß der glaubende Mensch in allen positiven Religionen sich prinzipiell in der gleidien Situation befindet; er steht überall gleichermaßen vor der Frage des Vernunftgehalts und der Vernunftgewißheit seiner Religion und vor der Aufgabe der sittlichen Bewährung — die theoretische Frage nach dem " Vgl. das Fragment Über die Entstehung der geoffenbarten Religion (M 14, S.312f. = R 7, S.280f.). " Lessings eigener Standort ist nicht die natürlidie Religion. Daß Redia die Vertreterin der natürlidien Religion ist — als Nathans Zögling — ist dahin mißverstanden worden. Eine soldie einfache Identifizierung ist aber nicht möglich, da hier zunächst die Forderungen des Stoffes und der Tendenz bestimmend sind. Vielmehr vertritt Recha die Religion der Zukunft in ihrer reinen Formalität, über die noch nicht mehr ausgesagt werden kann. Für die konstitutive Bedeutung des Individualitätsbegriffs ist es bezeichnend, daß in dem Fragment „Über die Entstehung der geoffenbarten Religion" (Breslauer Zeit?) sogar für die natürlidie Religion die Individualisierung als notwendig vorausgesetzt wird (M 14, S.312 = R 7, S.280f.). Fittbogen 1923, S.75, betont, daß dieser Zug antideistisch sei. «8 Vgl. unten S. 102, bes. Anm.69.

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Vorzug seiner Religion vor anderen ist gar nicht ein Problem seiner eigenen Existenz; sie ist höchstens auf der Ebene der Gesdiiditsphilosophie diskutierbar®'. Die Haltung der Toleranz ist also dort ganz selbstverständliche Folge, wo die theoretische Haltung des Rangstreites in ihrer Niditigkeit erkannt ist und der Frage nach der vernünftigen Existenz in der eigenen Religion Platz gemacht hat. 4. Immanenz

und Transzendenz

der

Wahrheit

Bei der zentralen Bedeutung, die dem Begriff der Vernunft in der Anthropologie und dem Weltbild Lessings zukommt, wird die Frage nach dem metaphysischen Ort der "Wahrheit besonders wichtig. Von ihrer Verhaftung in Transzendenz oder Immanenz sind die Struktur der Vernunft und die Stellung des Menschen überhaupt abhängig; aus dem Horizont der Wahrheit ist auch die Frage nach der Verantwortung und der Möglichkeit der Toleranz zu beantworten. Es ist darum um so sdiwerwiegender, daß die Lessingliteratur zu keiner übereinstimmenden Lösung dieses Problems gelangt ist; die Schwierigkeit ist durch die verstreuten, z. T. divergierenden Aussagen Lessings vorgegeben. Der Behauptung, daß Lessing die unbedingte Immanenz der Wahrheit vertrete^", steht die These entgegen, daß der Transzendenz der Primat zukomme ^^ Eine differenziertere Analyse unterscheidet einen doppelten Wahrheitsbegriff : der Wahrheit als einem zeitlosen, rein rationalen Inhalt der Vernunfterkenntnis steht die unverfügbare Wahrheit gegenüber, die, auch im höchsten Fall nur näherungsweise erkannt, die ganze, unaufhörliche Anspannung des Denkers fordert. Aber auch hier ist noch eine sehr verschiedene Akzentuierung möglich β» Diese verschiedene Fragestellung bewirkt die scheinbare Gegensätzlidikeit der Aussage über den Wert der positiven Religionen im Nathan und in der Erz. d. M. •"> So u.a. Haug 1928, S.88 u.ö.; Cassirer 1929, S . 3 6 f . ; Eichholz 1933, S . l S f . " So Mann 1949; S.343. Eine solche Interpretation kann freilich nidit begreifen, daß Lessing in seinen Kategorien ganz in der Tradition der Aufklärung bleibt. Vgl. ebd., S.325, 334, 47 f. " Wiese 1931, S. 150f. (analog S. 17f.) spricht von einer „tiefen Doppelheit des Wahrheitsbegriffes". Er interpretiert sie als die dialektisdie Spannung zwisdien objektiver und subjektiver Vernunft, die sidi gegenseitig bedingen. Voraussetzung ist für ihn die Vernunftimmanenz, bei besonderer Betonung der Subjektivität. — Anders interpretiert Thielidie 1957, besonders S.70ff., 129 ff., 152 f. in bezug zu S.161: er stellt dem metaphysischen Postulat der reinen Vernunftwahrheit die Faktizität der begrenzten, geschichtlidien Vernunft gegenüber, die in ihrer prinzipiellen Inadäquatheit zur reinen Gotteserkenntnis von der aktuellen Transzendenz der Offenbarung unlösbar abhängig bleibt. In der ergänzenden Studie, die zuerst in der 3.Aufl. 1957 gedrudct wurde (S. 141—171), wird die Möglichkeit der reinen Vernunftwahrheit strenger durdigeführt — aber zugleidi als „Berg aufklärerischen Wustes", über den hinausgefragt werden muß nach dem anderen, zukunftsweisenden Wahrheitsbegriff, abgewertet (S. 170). So liegt der große Vorzug der Studie Thielicies in der Analyse des Existenzbezuges des Wahrheitsbegriffs — darauf beruht aber zugleidi ihre Einseitigkeit.

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Obwohl die Annahme eines doppelten Wahrheitsbegriiis unbefriedigend bleiben muß, weil sie eine Inkonsequenz des Denkers Lessing vorauszusetzen gezwungen ist, ist sie doch methodisch um so hilfreicher, da sie die Spannung der vorliegenden Aussagen nicht vorzeitig harmonisiert. Ausgangspunkt der Interpretation muß die Sichtbarkeit der Vernunilwahrheit sein. In ihrer metaphysischen Evidenz und in ihrer Unabhängigkeit von Zeit und Autorität ist sie allein der mathematisdien Wahrheit vergleichbar'®. In ihrem ganzen Umfang und in ihrer Bedeutung ist sie freilich noch nicht von allen Menschen erkannt, jedoch ist sie prinzipiell der mensdilichen Vernunft einsichtig und für alle Menschen im gleichen Maße zwingend gewiß. Bestimmte einfache Wahrheiten sind schon jetzt unverlierbares Gemeingut der Menschheit'^. Die Vernunftwahrheit ist also ebenso Voraussetzung wie Ziel aller menschlidien Erkenntnis und allen religiösen Glaubens — das Ziel scheint von dem gegenwärtigen Standort der Menschheit nur quantitativ entfernt zu sein als das prinzipiell Sichtbare, nur zur Zeit noch nicht Erschlossene'®. Die Selbstverständliciikeit, mit der Lessing diese Struktur der Vernunftwahrheit voraussetzt, macáit deutlich, daß er hier nicbts anderes hat sagen wollen als die Sciiulphilosophie seiner Zeit. In offenen Widerspruch zu dem Begriff der Vernunftwahrheit scheint Lessing durch seine Polemik zu geraten, mit der er anderen den Anspruch, die Wahrheit ganz zu besitzen, radikal bestreitet. Zunäciist freilicii greift er damit nur eine ethische Haltung an: im vermeintlichen Vollbesitz der Wahrheitserkenntnis wird der Mensch stolz und träge, er wird nicht nur gegenüber seinem Mitmenschen intolerant, sondern auch seiner eigenen Vernunft gegenüber unkritisch. Es ist nicht zufällig, daß Lessing diesen Vorwurf gerade gegen Gottsched und Goeze erhebt — ihre Selbstsidierheit werde zur Hybris, die ein Hindernis sei für jedes Fortschreiten der Erkenntnis. Soldie falsche Wahrheitsgewißheit wird zum moralischen Delikt, weil sie zum Vorwand wird für den Geltungsanspruch der eigenen Person'®. Diesem ethisch akzentuierten Angriff liegt aber ein metaphysisches Axiom zugrunde: alles Endlidie — und so auch unsere Erkenntnis — befindet sich in unaufhörlichem Fortschreiten zum Höheren. Schon 1756 schreibt Lessing an Moses Mendelssohn in Auseinandersetzung mit Rousseaus Begriff der Perfectibilité: " Darauf weisen die beiden Vergleiche mit geometrischen Wahrheiten hin: Gegensätze (M 12, S.435 = R 7, S.820f.) und Axiomata (M 13, S.129f. = R 8, S.190f.). Bew.d. Geistes (M 13, S.SÉf. = R 5, S.llff.) setzt voraus, daß die Lehren Christi Vernunftwahrheiten enthielten, die nur noch nicht gleich als solche erkennbar waren. — Vgl. Erz.d.M. §§ 4, 40 (M 13, S.416, 424 = R S, S.591, 602). " Gegensätze (M 12, S.434f. = R 7, S.819f.); Erz.d.M. § 76 (a.a.O., S.431 - S.610). '· Anti-Goeze II (M 13, S. 152 = R S, S.215).

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„ . . . ich verstehe bloß die Beschaffenheit eines Dinges darunter, vermöge weldier es vollkommner werden kann; eine Beschaffenheit, welche alle Dinge in der Welt haben, und die zu ihrer Fortdauer unumgänglich nöthig war. Ich glaube der Schöpfer mußte alles, was er ersdiuf fähig machen, vollkommner zu werden, wenn es in der Vollkommenheit, in welcher er es ersdiuf, bleiben sollte. Der Wilde, zum Exempel, würde, ohne die Perfectibilität, nicht lange ein Wilder bleiben, sondern gar bald nichts beßer als irgend ein unvernünftiges Thier werden; er erhielt also die Perfectibilität nicht deswegen, um etwas beßres als ein Wilder zu werden, sondern deswegen, um nidits geringers zu werden." "

Stehenbleiben auf einer Entwicklungsstufe bedeutet also Absinken gegenüber allem anderen, das weiter vorwärts sdireitet. Für den einzelnen ist das ein Verlust, den er kaum wieder einholen kann; wird aber dies Beharren anderen zur Vorsdirift gemacht, so wird daraus der frevelhafte Versuch, in Gottes Weltordnung einzugreifen. Darin liegt die eigentliche Gefahr der Intoleranz, daß sie ihr eigenes Steckenbleiben in einer überholten Phase der Entwicklung mit dem Nimbus absoluter Wahrheit umgibt'«. „Das Christenthum geht seinen ewigen allmäligen Schritt: und Verfinsterungen bringen die Planeten aus ihrer Bahn nicht. Aber die Sekten des Christenthums sind die Phases desselben, die sich nicht anders erhalten können, als durdi Stockung der ganzen Natur, wenn Sonn und Planet und Betraditer auf dem nehmlidien Punkte verharren. Gott bewahre uns vor dieser schrecklichen Stockung!" "

Diesem Gesetz der Progressivität vermag sich nichts zu entziehen. Es gibt keinen denkbaren Standort, der schon die Vollkommenheit erreicht hätte, die ein weiteres Mühen um die Wahrheit und ein kritisches In-FrageStellen des bisher Erreiditen nicht mehr nötig hätte®". Der Versuchung, in dem neu errungenen Wahrheitsbesitz schon die verwirklichte Vollendung zu sehen, ist die Aufklärung weithin erlegen — damit gerät sie aber in eine Strukturverwandtschaft zur Orthodoxie, die sie dieser fast unterlegen bleiben läßt, weil sie deren Weite und Präzision nodi nicht erreidit hat. Diese Haltung macht es verständlich, daß im Deismus eine geheime Möglidikeit der Intoleranz wirksam ist, die ihn den Sekten und Konfessionen ähnlich madit. Obwohl Lessing mit der deutschen Aufklärung den metaphysisdien Wahrheitsbegrifi teilt, gerät er dodi in einen wesentlichen Gegensatz zu "

Brief vom 21.1.1756 (M 7 7 , 3 . 5 3 = R 9, S.63). Sehr aufschlußreich für diesen Gedanken sind die „Anmerkungen zu einem Gutachten über die itzigen Religionsbewegungen" (M 16, S. 529 f. = R S, S. 541 f.) : die Entwidmung zum Höheren wird als Fermentation bezeidmet, die gerade für die Konfessionen unerläßlich sei. " Bitte (M 13, S.98 = R 8, S . 1 5 6 f . ) . Vgl. die Bemerkung zu den Reimarus-Fragmenten im Brief an Mendelssohn vom 9 . 1 . 1 7 7 1 (M 17, S.365 = R 9, S.406): „Es ist unendlidi schwer, zu wissen, wenn und wo man bleiben soll, und Tausenden für einen ist das Ziel ihres Nachcienkens die Stelle, wo sie des Nachdenkens müde geworden."

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ihr, indem er sogar den Begriff der Wahrheit der Kategorie der Perfektibilität unterordnet. Nicht die Grundsätze, sondern die Ergebnisse der Aufklärung stellt Lessing in ihrer Endgültigkeit in Frage Nicht die Vernunflwahrheiten werden von ihm skeptisch in ihrer universalen Geltung bestritten, sondern das Ziel ihrer vollkommenen Erkenntnis wird von ihm nicht mehr in quantitativer Ferne gesehen, sondern in die qualitative Unsichtbarkeit der Unendlichkeit versdioben. Das wenige, was jetzt schon als reine Vernunftwahrheit erkannt ist, ist freilich für Glauben und Mensdisein völlig ausreichend®^; aber von dem, was in der Zukunft noch wird erkannt werden können, ist es nur ein Bruchstück, und nicht alles, was jetzt als Vernunftwahrheit gilt, hält einer strengen Prüfung stand. Der Begriff der Wahrheit bekommt so eine dynamische Intensität, der auf der Seite des Mesdien die unendlidie Reflexion entspricht®'. Der Wert eines philosophischen Gespräches wird nun nicht mehr danadi bestimmt, wieweit eine objektiv faßbare, neue Erkenntnis erreicht worden ist, die zur Aufklärung der Menschen mitteilbar ist — wesentlicher ist das Ringen um die Wahrheit. Das Gesprädi wird zwar nidit zum Selbstzweck — das Ziel, die Wahrheit, bleibt stets die Aufgabe; aber die Unerreichbarkeit einer vollkommenen Lösung gibt dem Akt des Suchens seinen besonderen Reiz Im Bekenntnis zu der qualitativen Unerkennbarkeit der vollkommenen Wahrheit trennt sidi Lessing von der Sdiulphilosophie: die Frage nach einer letzten Wirklichkeit Gottes, die nicht nur unsere Begriffe übersteigt, sondern völlig außerhalb unserer Begriffe liegt®®, kann Mendelssohn nur mit dem lakonischen Satz beantworten: „Mein Credo ist: Was idi als wahr nidit denken kann, madit mich, als Zweifel, nicht unruhig. Eine Frage, die idi nidit begreife, kann ich audi nicht beantworten, ist für mich so gut, als keine Frage." "

Lessings Frage ist also erkenntnistheoretisch nidit mehr exakt, doch wird sie gerade darum für seine innere Haltung um so bedeutsamer: innerhalb Darum mußte es Lessings aufgeklärten Zeitgenossen hödist verwunderlich sein, daß er in seinen Gegensätzen zu Reimarus von einer gewissen Gefangennehmung der Vernunft hat spredien können, daß er im Wissowatius-Aufsatz ausdrüdtlidi die Denkmöglichkeit übervernünftiger Wahrheit verteidigt. Wissowatius (M 12, S . 9 7 f . = R 7, S . 5 3 3 f . ) ; Gegensätze (ebd., 5.432ίΤ. = S . S l / f f . ) ; Erz.d.M., § 69 (M 13, S.430 = R S , S.608). Lessing hat sich ausdrüdclich zu der Lehre von der Suffizienz der natürlidien Religion zur Seligkeit bekannt (Gegensätze, a.a.O., S . 4 3 7 f . = S. 824f.). Vgl. außerdem Axiomata (M 13, S.120 = R S, S.180). ® Vgl. dazu oben S. 70. Besonders klar in der Vorrede zu „Philosophisdie Aufsätze von Karl Wilhelm Jerusalem" (M 12, S.294 = R 7, S.562). Ganz entsprediend Nicolais Beridit, Gespr. S.48f. 8= Jacobi-Gesprädi (R 8, S . 6 2 2 f . = Sdiolz 1916, S . 8 2 f . ) . 8« Mendelssohn, An die Freunde Lessings (Werke 3, S.20).

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der Rationalität fragt er nach ihrer Aufhebung, die zugleich ihre letzte Erfüllung ist — damit ist die Wahrheit aus dem Bereich der Immanenz in die echte Transzendenz gerückt. Diese Transzendenz der Wahrheit ermöglicht nun aber eine metaphysische Begründung der Toleranz®'. Es erscheint selbstverständlidi, daß es verschiedene Erkenntnisweisen dieser einen, transzendenten Wahrheit gibt — eine einheitliche Erkenntnis würde gerade die Echtheit dieser Transzendenz zweifelhaft machen®®. Wenn die Wahrheit unendlich ist, kann nur menschliche Hybris vermeinen, den einzigen Weg zu ihrer Erkenntnis zu wissen: „O über den Gottesgelehrten, der außer diesem einzigen Wege, den er sieht, alle andere Wege, weil er sie nicht sieht, platterdings leugnet! — Laß m i i , gütiger Gott, nie so rechtgläubig werden, damit idi nie so vermessen werde!"®·

Dem anderen Weg der Wahrheitserkenntnis braucht nun nicht nur die intentionale Gewissenhaftigkeit zugestanden zu werden, sondern der Gedanke der Perspektivität der Erkenntnis gegenüber der unendlichen Wahrheit kann in ihm einen echten theoretischen Wert anerkennen, ohne die eigene Sicht als Irrtum bezeichnen zu müssen'".Die umgreifende Transzendenz der Wahrheit selbst schenkt ein Vertrauen zu dem Wahrheitsgehalt im fremden Glauben oder Denken, der nach dem Maße der eigenen Einsicht eigentlich geleugnet werden müßte. Aber auch die Toleranz gegenüber dem echten Irrtum des anderen erscheint nun nicht mehr problematisch. Die Toleranzbegründung aus der Intentionalität des fremden Gewissens hat Lessing ganz selbstverständlich übernommen. In dem berühmten Wort über die Suche nach der Wahrheit repetiert er diese Grunderkenntnis der Toleranzdebatte für die, die sie noch nicht haben begreifen können: „Nidit die Wahrheit, in deren Besitz irgend ein Mensdi ist, oder zu seyn vermeynet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Werth des Mensdien. Denn nidit durch den Besitz, sondern durdi

" Diese Möglichkeit tritt in der Toleranzliteratur des 18. Jahrhunderts nur verstreut auf unter dem Motiv der versdiiedenen Wege, die doch alle zu Gott führen — sie hat aber nicht die gleiche Schlüsselfunktion wie bei Lessing. " Es ist charakteristisch, daß Lessing in der Übernahme der Ringerzählung des Boccaccio das Symbol des Ringes durch das des Steines überhöht, der „hundert schöne Farben spielte" (Nathan III, 7, M J, S.90 = R 2, S.403). Vgl. Politzer 1958 a, S.165. β» Axiomata (M 13, S. 120 = R Í, S. 180). »» Vgl. die Parabel (M 13, S.94 = R 8, S . 1 5 2 f . ) ; „Man begriff nicht, wozu so viele und vielerley Eingänge nötig wären, da ein großes Portal auf jeder Seite ja wohl schicklicher wäre, und eben die Dienste thun würde. Denn daß durch die mehrern kleinen Eingänge ein jeder, der in den Pallast gerufen würde, auf dem kürzesten und unfehlbarsten Wege, gerade dahin gelangen solle, w o man seiner bedürfe, wollte den wenigsten zu Sinne." 6

Schultze, Lessing

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die Nadiforsdiung der Wahrheit erweitem sidi seine Kräfte, worinn allein seine immer wachsende Vollkommenheit bestehet. Der Besitz madit ruhig, träge, stolz — Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit, und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nadi Wahrheit, obsdion mit dem Zusätze, mich immer und ewig zu irren, versdilossen hielte, und spräche zu mir: wähle! Ich fiele ihm mit Demuth in seine Linke, und sagte: Vater gieb! die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!«"

Die Alternative zwischen der reinen Wahrheit und dem unaufhörlidien Trieb nach Wahrheit, der auch den Irrtum freiwillig auf sidi nimmt, ist polemisch pointiert — man darf nicht außer acht lassen, daß Lessing hier die Wahrheitsgewißheit der Orthodoxie angreifen will. Trotzdem ist es auffallend, daß er es wagt, sidi für ein Suchen zu entscheiden, dem scheinbar die Verheißung des Findens fehlt, denn damit gerät er nicht nur in Gegensatz zur Orthodoxie, sondern auch zur Popularaufklärung. Diese lebt in der Überzeugung, daß jedes Bemühen um Erkenntnis der Wahrheit sichtbar näherkommt Auf einen so vordergründigen Optimismus vermag Lessing zu verzichten. Wahrheit ist überall gegenwärtig: audi noch in dem primitiven Glauben, auch noch im offensiditlichen Irrtum ist etwas enthalten, das mittelbar oder unmittelbar der Erkenntnis nützlich sein kann'®. Selbst wo der Irrtum am Ende eines Forschungsweges stehen sollte, wird doch die Wahrheit dabei gewinnen®^. Nicht die Wahrheit wird relativiert, auch wird der Sinn nicht in das Sudien selbst gelegt (das Werturteil gilt allein der Moralität des Menschen) — in Frage gestellt werden nur die vorliegenden Lösungsversuche. Sie werden zu dem Irrtum in dialektische Parallele gesetzt, weil sie ihm nicht so unendlich überlegen sind, wie Theologen und Aufklärer glauben machen wollen. Darum tut der Philosoph der Wahrheit einen wesentlidi größeren Dienst, der die " Duplik (M 13, S.23f. = R S, S.27). — Friedrich d . G r . zitiert in einem Brief an Voltaire vom 7.8.1766 und an d'Alembert vom 8.1.1770 ein Wort von Fontenelle, das formal zu dem Lessings eine gewisse Ähnlichkeit hat: „Hätte ich die H a n d voller Wahrheiten, ich überlegte es mir mehr als einmal, bevor idi sie öffnete" (Briefe, hrsg. von Max Hein, 2, Berlin 1914, S. 154). Der sachlidi tiefgreifende Untersdiied wird durch die beiden Subjekte bezeichnet: was Lessing von Gott selbst sagt, sagt Fontenelle von seiner eigenen Verantwortung gegenüber dem Volk. Es handelt sich also um den Gegensatz zwischen echter Transzendenz und aristokratischem Wahrheitsbesitz. Heß, Bibl. N r . 291, S.19—21, Anm., setzt sidi mit Lessings Wort aus der Duplik kritisch auseinander. Dabei wird deutlich, wie unbegreiflicii für die Vulgäraufklärung ein Streben nacii Wahrheit ist, das mit dem Irrtum redinen muß. " Erz.d.M., passim; besonders darin die Vorrede und § 91 (M 13, S.415, 434 = R S, S.591, 614). Vgl. u.a. auch positive Beurteilung der Goldmacher und Tempelherren, Ernst und Falk, 4.Gespr. (ebd., S.393f. = S.573f.). Lessing sdireibt am 9.6.1766 an Klotz (M 17, S.223 = R 9, S.248): „Idi meine, midi um die Wahrheit eben so verdient gemacht zu haben, wenn ich sie verfehle, mein Fehler aber die Ursache ist, daß sie ein anderer entdecket, als wenn ich sie selber entdedte." 82

Schwierigkeiten, ihr näherzukommen, in ihrer ganzen Schärfe aufzeigt. Schon 1751 hat Lessing in diesem Sinne Diderot gelobt: „Ein kurzsiditiger Dogmaticus, weldier siA für nichts mehr hütet, als an den auswendig gelernten Sätzen, weldie sein System ausmadien, zu zweifeln, wird eine Menge Irrthümer aus dem angeführten Schreiben des Herrn Diderot heraus zu klauben wissen. Unser Verfasser ist einer von den Weltweisen, welche sich mehr Mühe geben, Wolken zu machen als sie zu zerstreuen. Ueberall, wo sie ihre Augen hinfallen lassen, erzittern die Stützen der bekanntesten Wahrheiten, und was man ganz nahe vor sich zu sehen glaubte, verliert sidi in eine ungewisse Ferne. Sie führen uns In Gängen voll Nacht zum glänzenden Throne der Wahrheit; V. Kleist. wenn Sdiullehrer, in Gängen voll eingebildeten Lichts zum düstern Throne der Lügen leiten." 9»

So ist das Fragen nicht nur eine letzte Distanz, die der Denker gegenüber seinen Ergebnissen wahrt, sondern es gehört konstitutiv zur Haltung des Philosophen. Bindet er sich an ein System, so gerät er in die Gefahr, sich der Perfektibilität zu entziehen Dagegen ist es kein Vorwurf, ihm Eklektizismus nachzuweisen, denn dessen Voraussetzung ist eine große Offenheit gegenüber allem, was vor ihm gedacht worden ist. Diese synthetische Offenheit, die überall etwas Positives findet, das Berücksichtigung verdient, die in der Weite und kritischen Präzision der Fragestellung sich nirgends beruhigt, hat Lessing an Leibniz bewundert und gerühmt In ihrer reinen Transzendenz ist die Wahrheit Wirklichkeit Gottes'®. Sie ist allem menschlichen Denken vorgegeben und bleibt ihm stets un" Rez. zu Diderot, Lettre sur les Sourds et Muets, à l'usage de ceux, qui entendent et qui parlent, 1751, in Das Neueste aus dem Reiche des Witzes, Juni 1751 (M 4, S.422f. = R 5 , S.379f.). " Mendelssohn hat darum der Behauptung Jacobis, Lessing habe sich ihm als Spinozist bekannt, mit diesem Argument widersprochen: Lessing kann sich nur hypothetisch zu einem System bekannt haben — oder er war krank. Vgl. Mendelssohns Brief an Elise Reimarus vom 16.8.1783, Werke 5, S. 693 ff. — Vgl. auch das Jacobi-Gespräch selbst, R 8, S.621 = Scholz 1916, S.80: Lessings Credo steht in keinem Buche. " Besonders aufschlußreich sind die Äußerungen Lessings über Leibniz' Methode — sie sind darum häufig zitiert worden. Vgl. Ew. Strafen (M 11, S. 469 f. = R 7, S. 466 f.); das Zitat aus den „Avantages du Systeme de Leibnitz" der Comtesse Connaway, in den Leibniz-Materialien (M Ii, S.519f., übers, bei Leisegang 1931, S.25); Jacobi-Gespräch (R 8, S.623 = Scholz 1916, S.84). " Ganz erstaunlich ist die Nähe dieses Wahrheitsbegriffes in seiner Struktur zu den johanneisch-christozentrischen Aussagen Dippels. Vgl. etwa Dippel 55, S.698: „Sonsten ist es gewiß, daß die heilige Schrifft die Wahrheit in keinen Meynungen suchet. In Christo allein ist Wahrheit. Wahrheit befreyet von der Sünden. Wahrheit wird so gar dem Gesetz und Buchstaben entgegen gesetzt. Wahrheit wird gethan. Christus nennet sich selbst die Wahrheit. Und so ist, nach Redart der Schrifft, aus der Wahrheit seyn, und in der Wahrheit wandeln, nichts anders, als, aus dem Reidi der Sünden und Lügen, zur neuen Creatur in Christo gekommen, oder aus Gott neu gebohren seyn.** 83

erreichbar. Der unendlichen Ferne, in der sidi der Mensch Gott gegenüber befindet, entspricht die Unverfügbarkeit der Wahrheit, der er sich nur in Streben und Irren nähern kann. Gott selbst ist die Wahrheit: diese Identität ist untrennbar, die eine Wirklichkeit ist ohne die andere nicht denkbar. Es ist nicht der bessere Gottesbegriff, der Gott eine formale Priorität seines Willens vor seiner Wesensbestimmung sichern will: „Audi das, was Gott lehret, ist nicht wahr, weil es Gott lehren w i l l : sondern Gott lehrt es, weil es wahr ist." "

Von hier aus wird die strenge Transzendenz des Lessingschen Wahrheitsbegriffs verständlich. Wahrheit bedeutet nicht primär die Richtigkeit eines Satzes, sondern ist eine ontologische Aussage. Mensdiliche Wahrheitserkenntnis ist darum stets unvollkommen, weil sie nie den AnsprucJi erheben darf, Gottes Wirklichkeit angemessen erfaßt zu haben. In diesem Gottesbezug der Wahrheit liegt nun aber nicht die Aufhebung der einsichtigen Vernunflwahrheiten, sondern ihre letzte metaphysische Qualifizierung. Der Mensch ist Ebenbild Gottes gerade durch die Gabe der Vernunfb — in ihr hat er Zugang zu Gottes eigener Wahrheit. Was sich als Wahrheit der einen Vernunft erwiesen hat, darf den Anspruch erheben, an dieser Identität zwisdien Gott und der Wahrheit zu partizipieren"". Den Bedingungen der Endlichkeit entspricht es, daß bisher nur ganz wenige, einfache Vernunflwahrheiten bekannt sind, die noch keine Aussage erlauben über die volle Wahrheit. Aber in dieser unbezweifelbar gewissen Erkenntnis der einfadien Vernunftwahrheiten ist der Optimismus des Mühens um die Wahrheit gerechtfertigt. Per analogiam entis darf der Mensch versichert sein, durch die reine Vernunft Gott selbst zu erkennen. Der scheinbare Gegensatz zwischen der einsehbaren Vernunftwahrheit und der qualitativen Transzendenz der Wahrheit, die eine echte Erkenntnis in der Endlichkeit unmöglich zu machen scheint, weist so zurück auf seine tiefere Einheit. Weil die absolute Wahrheit Gottes Wirklichkeit ist, ist sie dem Menschen nicht schlechthin verborgen — sie ist ihm nur da entzogen, wo er sich ihrer zu bemächtigen sucht. Sein Suchen nach der β» Axiomata (M 13, S.127 = R S, S.188). — Thielicke 1957, S . 1 4 7 f . , weist auf den thomistisdien Charakter dieses Wahrheitsbegriffes hin. Siehe die Ablehnung der Lehre von der völligen Verderbnis der Vernunft zu göttlichen Dingen (Gegensätze, M 12, S.438 = R 7, 5.825; Erz.d.M. § 74, a.a.O., S.431 = S. 609f.). — Gerade in diesem Zusammenhang ist das mögliche Vorbild der Alternative in der Wahrheitssuche (Zit. oben S. 81 f.) ein Wort bei Clemens Alexandrinus, Strom. IV, 22 (vgl. den Hinweis Harnadcs bei Schmidt 1909, 2, 8.641), aufschlußreich: Clemens entscheidet sich für die Gnosis statt der Seligkeit — obwohl eigentlidi beides identisdi ist. Erkenntnis Gottes ist audi das eigentlidie Ziel Lessings, obwohl er auf eine Erfüllung verzichtet.

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Wahrheit kommt also in der Endlichkeit nie zum Ziel, aber es ist darum nicht tragisch. Der Wahrheit als einer Kategorie der Zukunft entspricht so Toleranz, die in Demut ihren Ursprung hat'®'. Obwohl der erkennende Mensch gewiß sein darf, Gott nahe zu sein, steht es ihm doch nie zu, seiner universalen Wahrheit Schranken zu setzen; er bleibt sich seiner Geschöpflidikeit bewußt und ist der Wahrheit Gottes unter allen Formen der Wirklidikeit, aucii in der Gestalt der Wahrheit und des Irrtums der anderen, gewärtig. D a s ist das Ergebnis der ausgezeichneten Analyse Cassirers 1929, S . 3 3 f . Allerdings interpretiert Cassirer die Zukünftigkeit der Wahrheit ganz immanent.

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VI. Toleranz im Horizont der Providentia Dei 1. Unmittelbarkeit des Glaubens In der Analyse des Wahrheitsverständnisses ist die sehr differenzierte Struktur des Lessingsdien Toleranzbegriffs sichtbar geworden. Verschiedenartige Motive, die in der vorangehenden Diskussion je verschiedenen Systemzusammenhängen vorbehalten blieben, sind so nebeneinandergestellt, daß die Frage nadi der inneren Einheit auf eine Antwort verzichten zu müssen scheint: im Horizont der Institutionen steht der konservativen Haltung zu den geschichtlidi gewordenen Gemeinschaften die Forderung der unbedingten Autonomie des einzelnen gegenüber; im Horizont des Menseben überschneidet sidi das Toleranzmotiv der mitmenschlichen Solidarität angesidits des Scheiterns aller endlichen Existenz mit dem des humanistischen ethischen Optimismus; im Horizont der Wahrheit bricht zumindest die scharfe Spannung zwischen der rationalistischen Nivellierung aller positiven Religionen und der demütigen Haltung vor der Unverfügbarkeit der Wahrheit auf. Vor dieser Sdiwierigkeit muß sich die Tragfähigkeit der methodischen Vorentsdieidung bewähren: will man nicht eine der beiden Aussagereihen als exoterisch beiseite schieben, so muß der Versuch gemacht werden, ihren gemeinsamen Grund zu erfragen. Es ist die Frage nach der Glaubenshaltung, die einen solch komplexen Toleranzbegriff ermöglicht. Indem der Wahrheitsbegriff auf seinen Transzendenzgehalt hin interpretiert wurde, ist dieser Aufgabe schon vorgegriffen worden. Noch einmal muß nun geprüft werden, ob bei Lessing von echter Transzendenz gesprochen werden darf, oder ob nicht vielmehr eine zwar transsubjektive, zukünftige Wirklichkeit gemeint ist, die aber dcxh immanent gedacht werden muß und daher nicht im christlich-theologischen Sinne als Gott bezeichnet werden d a r f N i c h t nur die teleologische Reduktion des Glaubens auf die reine Vernunfteinsicht, sondern auch das späte Bekenntnis Lessings zu pantheistisdier Begrifflidikeit legen es nahe, für seine Gottesvorstellung keine Transzendenz als Außerweltlichkeit vorauszusetzen^. ' So ist die Erz. d. M. interpretiert worden. Vgl. z. B. Stange 1923, der den Gottesgedanken überhaupt hier für sachlidi überflüssig erklärt (S. 155, 157); ähnlich Wernle 1912, S . 5 5 f . 2 Weil das Jacobi-Gespräch für die Interpretation des Glaubens- und Gottesbegriffs Lessings eine Sdilüsselstellung einnimmt, wird dazu ausführlidier unten, Exkurs I, Stellung genommen.

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Diese Auffassung kann sich außerdem auf fragmentarische Äußerungen Lessings stützen, die die strikte Trennung zwisdien Gott und Welt zu überwinden suchen, indem sie den Begriff der gesdiöpflidien Wirklidikeit in Gott selbst zurückverlegen®. In der Nachfolge Jacobis hat man darum gemeint, Lessings Gottesbegriff als Pantheismus oder spinozistisdien Panentheismus deuten zu dürfen. Gott wäre dann der "Welt immanent, gleichgültig, ob er mit ihr identisch oder von ihr geschieden gedacht werden müsse Einer solchen Anschauung entspräche dann eine Religiosität, die ihren Inhalt nidit in der Verantwortlichkeit vor einem echten Gegenüber, sondern vor dem eigenen Idi hätte: Glaube ist dann Selbstverwirklichung. Diese Haltung würde nicht nur die sdiroffen brieflichen Äußerungen über die Orthodoxie, sondern auch die Ablehnung des neologischen und des deistischen Glaubens Verständnisses erklären; sie würde auch die schrankenlose religiöse Toleranz verständlich machen, denn der Pantheist hat keinen Glaubensinhalt mehr, den er verteidigen müßte. Dieser Interpretationsversuch scheitert aber an all den Aussagen Lessings, in denen er für sich selbst den Namen eines Christen ausdrücklich in Anspruch nimmt sowie an den anderen, die ein echtes Gegenüber zu Gottes persönlicher Führung voraussetzen®. Seine Skepsis gegenüber der Glaubensphilosophie Jacobis und sein Rückgriff auf bestimmte Elemente des Gottesbegriffs Spinozas rechtfertigen es nidht. Lessing, der so intensiv in seinem philosophischen Denken von Leibniz bestimmt ist, als Sdiüler Spinozas zu verstehen Die Gewißheit der Existenz Gottes ist ihm nicht ein intellektuelles Postulat, das erst aus den Vernunftbeweisen erschlossen werden kann, sondern sie ist Voraussetzung, die eine menschliche Existenz ' Dies meint das Fragment aus der Breslauer Zeit vermutlidi stammend, Über die Wirklichkeit der Dinge außer Gott (M 14, S . 2 9 2 f . = R 7, S.305f.). Entsprechend läßt Mendelssohn in seinen Morgenstunden X I V (Werke 2, S. 351 ff.) Lessing spredien. * Von Lessings Panentheismus spredien sdion Hebler 1862, S. 127, und Dilthey 1924, S. 163 f., 172. — Leisegangs Lessing-Interpretation kulminiert in der These, daß seine Gottesansdiauung ein monistisdier Personalismus sei, in dem Spinoza gegen Leibniz und die deutsche Aufklärung verteidigt werde, zugleich aber auch der Dualismus der Orthodoxie überwunden sei (1931, S.64, 77 ff., 169, 189 f.). Lessing erscheint so als der Vorläufer Hegels (S. 72f., 129, 198). Das ist die Konsequenz eines methodischen Fehlansatzes: Leisegang fragt nach Lessings Weltanschauung, die er als ein religionsphilosophisches System versteht, das sich ideengeschichtlich als eine Zwischenstufe der Philosophiegeschichte einordnen läßt. 5 Vor allem Anti-Goeze II und VII (M 13, S. 151, 182 f. = R S , S. 214, 248 f.); Axiomata (ebd., S.126 = S.198); Brief an Herzog Karl vom 11.7.1778 (M 18, S.271 = R 9 , S.779f.). ' Vgl. die Bemerkung im Brief an Elise Reimarus vom 28.11.1780 (M 18, S.356 = R 9, S. 877 f.) : „Weiß ich denn etwa nicht, wessen großen Herrn lieber Bastart ich bin?" Vgl. dazu, in etwas anderer Akzentuierung, Fittbogen 1923, S. 310. ' Von einer deutlichen Übernahme wesentlicher Leibnizsiher Kategorien sprechen Zimmermann 1855, S.366ff., 387f.; Zeller 1870, S. 353 fi.; Fittbogen 1923, S . 2 5 3 f . , 259ff.; Bing 1921; Höltermann 1928, S. 496 ff., 506; Eidiholz 1933, S . 6 f .

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im eigentlichen Sinn erst ermöglidit®. Die Gottergebenheit der Lessingsdien Dramengestalten ist nicht eine Weltfrömmigkeit, die ein namenloses Geschick zu tragen sucht, sondern ist lebendige Antwort auf das Handeln Gottes*. Wäre Lessing Pantheist, so wäre die Herausgabe der Reimarus-Fragmente unverständlich — der ungeheure Aufwand an Arbeitskraft und der persönliche polemische Einsatz stünden in einem zu großen MißVerhältnis zu dem möglichen Gewinn. Lessing hat aber selbst versichert, daß der Zweifel für ihn zum Existenzproblem geworden sei'®: die Intensität dieses Zweifels ist ein Hinweis auf die Bedeutsamkeit, die der Gottesbezug für ihn hat. Im siebenten Anti-Goeze sagt er seinem Gegner, daß für ihn kein Anlaß zur Veröffentlichung bestanden hätte, „wenn es nidit das Verlangen wäre, sie so bald als möglidi, sie noch bey meinen Lebzeiten widerlegt zu sehen. Bey Gott! die Versicherung dieses Verlangens, weil idi bis itzt noch wenig Parade damit machen wollen, ist darum keine leere Ausflucht. Aber freylich eigennützig ist dieses Verlangen; höchst eigennützig. Ich möchte nehmlich gar zu gern, selbst nodi etwas von der Widerlegung mit aus der Welt nehmen. Idi bedarf ihrer . . . Idi sehe hier und da, auf tausend Meilen, keine Antwort; und der Herr Hauptpastor wird sidi freylich nicht vorstellen können, wie sehr eine solche Verlegenheit um Antwort ein Wahrheit liebendes Gemüth beunruhiget."

In diesem Bemühtsein um die Möglichkeit einer Begründung der Glaubensgewißheit, die der modernen Geschichtskritik standzuhalten vermag, muß das eigentliche Motiv der theologischen Arbeit Lessings gesehen werden. Die religionsphilosophische Diskussion des Problems ist nur das Gewand einer Glaubensfrage. Der Verzicht auf eine zuhandene Antwort verbindet Lessing mit dem GlaubensbegrifF, der die Toleranzforderung bei seinen Zeitgenossen und Vorläufern trägt: wo die reine Intentionalität als das Wesen des Glaubens erkannt ist, ist kein Raum für eine materiale Definition als Maßstab. Es wäre ein Mißverständnis, wollte man diese reine Intentionalität in ihrer ausschließlich formalen Struktur als Ablehnung des positiven Glaubens überhaupt interpretieren; nur die Heilsnotv/endigkeit des orthodoxen Glaubens wird radikal bestritten ' In dem Entwurf zu Der Freygeist, IV, 3, notiert Lessing: „Juliane antwortet ihm hierauf, daß die Religion selbst überhaupt eine wesentlidie Schönheit des Mensdien sey" (M 3, S.269). — Gotteserkenntnis wird für den Mensdien, der sie einmal erfahren hat, unverlierbar wesensbestimmend (Gegensätze, M 12, S. 444 = R 7, S. 832). ® Das ist bei Minna, Emilia, Odoardo und Appiani sdion deutlich, bei Nathan wird es ausführlidi gezeigt. Vgl. die Erörterung dazu in dem Brief Karl Lessings an seinen Bruder vom 3.2.1772 (M 20, S. 128) und dessen Antwort vom 10.2.1772 (M 18, S.18f. = R 9 , S.498f.). "> Anti-Goeze XI (M 13, S.208 = R S, S.400). " Anti-Goeze VII (ebd., S.184 = S.250f.). " Gegensätze (M 12, S.438f. = R 7, S.824f.); vor allem aber liegt in der Behauptung der Heilsgewißheit des rein intentional verstandenen Glaubens, bei sekundärer Bedeutung eines materialen Minimums, die Absidit der Parabel vom hessisdien Feldprediger (Axiomata, M 13, S. 124 f. = R S, S. 184 f.).

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Wird dieser grundsätzlidie Vorbehalt berücksichtigt, so ist sogar ein Bekenntnis zu einer bestimmten Konfession möglich. Wenn sich Lessing als Lutheraner bezeidmet, lügt er also nicht aus der traurigen Notwendigkeit, seine bürgerliche Existenz sidiern zu müssen, sondern er gibt die Station seines Glaubensweges an, von der aus er nach der Wahrheit sucht Wo der Glaube von seiner teleologischen Erfüllung her verstanden wird, darf der gegenwärtige Standort relativiert werden. Die Intentionalität des Glaubensverständnisses hilft dazu, die Finalität des Gottesbezuges neu zu verstehen. Trotz der Übereinstimmung mit der Theologie der Aufklärung in diesem einen, entsdieidend wichtigen Punkt hat Lessing versucht, eine eigene Stellung über den Parteien einzunehmen. Gegenüber der selbstverständlidien Harmonie zwisdien Offenbarung und Vernunft, wie sie von dem material reduzierten Glaubensbegriff der Neologie behauptet wird, radikalisiert Lessing die Geschichtskritik des Deismus, um gegen eine einfache Vernunftimmanenz die Kontingenz des Glaubens zu verteidigen'^. Indem er aber die Suffizienz der empirischen Vernunft in Frage stellt, setzt er sich zugleich in Gegensatz zum Deismus, der in der natürlichen Religion schon das Ziel menschlichen Glaubens erreicht zu haben wähnte'®. Lessing darf dabei behaupten, gegen die moderne Theologie die bessere Sadie der Orthodoxie zu vertreten, weil er die wesentliche Spiritualität des Glaubens verteidigt Das hindert ihn aber nicht, an der Orthodoxie heftige Kritik zu üben. In der Starrheit ihres Lehrsystems konserviert sie die Glaubenshaltung einer vergangenen Zeit, ohne zu begreifen, daß sie dadurch gerade das bedroht, was sie bewahren will — sie ist zu einer Gefahr für den Glauben " Vgl. außer den Belegen oben, Anm. 5, besonders die charakteristische Wendung im Jacobi-Gesprädi: Lessings Bekenntnis zum determinierten Willen, in der lutherischen Tradition (R 8, S.627 = Scholz 1916, S.89)! Dies Bekenntnis zum Luthertum darf ernstgenommen werden, obwohl Lessing nie den Ansprudi erhoben hat, im gewöhnlidien Sinne als orthodox zu gelten — vgl. z.B. den Brief an Eva König v o m 25.10.1770 über den Beifall der Orthodoxie zu seinem Berengar (M 17, S.343 = R 9, S.382f.). " Vgl. dazu oben S. 73 mit Anm. 51 und 52. Wesentlich für den hier vorliegenden Zusammenhang sind die beiden Angriffe gegen die Neologie, die den übervernünftigen Geheimnischarakter des Glaubens verteidigen: Wissowatius (M 12, S . 9 6 f i . = R 7, S.532fr.) und Gegensätze (ebd., S.431 ff. = S.816ff.). « Erz.d.M., SS 68f., 8 5 f . (M 13, S . 4 2 9 f . , 433 = R S, S.608, 612) mit der darin enthaltenen Kritik an der deistischen Bindung der Tugend an den Unsterblicbkeitsglauben. " Lessing hat mehrfach seine Haltung zur Orthodoxie durch das Bild des Bauhelfers bezeichnet, der seines Nachbars (!) Haus vor dem Einsturz bewahren hilflr Brief an Karl Lessing vom 2 . 2 . 1 7 7 4 (M 18, S . l O l f . = R 9, S.597); Absagungsschreiben (M 13, S. 101 = R S, S. 160).

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selbst geworden Der eigentliche Angriff gilt dabei jener Spätform der Orthodoxie, die in ihrer verkrampften Apologetik sidi auf scheinbar rationale Beweise stützt, obwohl sie die Korruption der Vernunft durch die Erbsünde lehrt. Lessing ist dagegen davon überzeugt, daß der Glaube sich nur in einer Neubesinnung auf seine wesentliche Rationalität dauerhaft und zureichend begründen läßt. Obwohl er in der positiven Fassung des Vemunflbegriffs gegenüber der Aufklärung seinen eigenen Standort einnimmt, kann Lessing dodi in der Polemik gegen Orthodoxie mit ihr konform gehen In dem völligen Verzicht auf die konstitutive Bedeutung des Geschichtsbezuges des Glaubens steht Lessing in einem nicht mehr überbrückbaren Gegensatz zu aller Orthodoxie. Er ist sich bewußt, hier an einer tiefgreifenden Wandlung teilzuhaben. Aber er vermag sie zu bejahen, nicht nur wegen ihrer historisdien Notwendigkeit, sondern auch, weil damit nichts unabdingbar Wesentliches aufgegeben wird. In der neu gewonnenen Unabhängigkeit von geschichtlicher Kontingenz wird der Glaube vielmehr in seiner Reinheit erst sichtbar In der strengen Rationalität seines Glaubensbegriffs ist Lessing der humanistischen Tradition weniger verpflichtet, als dies zunächst den Anschein hat. Mit dieser verbindet ihn die Schlüsselstellung des Sittlichen und die Disqualifizierung des Geschichtlichen — er unterscheidet sich von ihr dadurch, daß er eine Glaubensgewißheit kennt, die der rationalen Begründung nicht bedarf^®. In ihrer Unmittelbarkeit ist sie wohl einer rationalen Vertiefung fähig, aber diese kann keinen anderen, keinen besseren Glauben bringen. „Idi w i l l E i n w ü r f e g e g e n d e n m i n d e r w i c h t i g e n T h e i l der B i b e l auf ihren w a h r e n B e l a n g herabsetzen. D a s ist m e i n e Absicht. U n d nur in dieser Absicht sage ich, d a ß derjenige, dessen H e r z m e h r C h r i s t ist, als der K o p f , sich g a n z u n d gar an diese E i n w ü r f e nicht k e h r e ; w e i l er f ü h l e , w a s a n d e r e sich z u d e n k e n b e g n ü g e n ; w e i l er a l l e n f a l l s d i e g a n z e B i b e l e n t b e h r e n k ö n n t e . Er ist der zuversichtliche Sieger, der die F e s t u n g e n l i e g e n l ä ß t , u n d das L a n d e i n n i m m t . " " V g l . d a z u d e n Brief a n M a l e r M ü l l e r , F r ü h j a h r 1 7 8 0 ( M 18, S. 3 3 8 ) , s o w i e die B r i e f e an M e n d e l s s o h n v o m 9 . 1 . 1 7 7 1 ( M 17, S.366 = R 9, S . 4 0 8 ) u n d an den B r u d e r v o m 2 . 2 . 1 7 7 4 u n d 2 0 . 3 . 1 7 7 7 ( M IS, S . l O l f . , 2 2 6 f . = R S . 5 9 7 , 7 2 9 ) . D i e scheinb a r e Widersprüchlichkeit dieser Ä u ß e r u n g e n z u d e n in der v o r h e r g e h e n d e n A n m e r k u n g g e n a n n t e n S t e l l e n erklärt sich daraus, d a ß diese sich auf d e n S i n n g e h a l t der Lehre, jene sich auf das S y s t e m in s e i n e m G e l t u n g s a n s p r u c h b e z i e h e n . S o versichert Lessing in d e m Brief v o m 2 0 . 3 . 1 7 7 7 s e i n e m Bruder K a r l — v e r mutlich darin e i n e n Begriff aus dessen Brief a u f n e h m e n d — , d a ß es auch i h m e i g e n t lich u m den „ g e s u n d e n M e n s c h e n v e r s t a n d " g e h e ( M 18, S. 2 2 6 f . = R 9 , S . 7 2 9 ) . — Vgl. oben S.75. " D a s b e z e u g e n d i e b e i d e n F r a g m e n t e : Ü b e r e i n e P r o p h e z e y u n g des C a r d a n u s , die christliche R e l i g i o n b e t r e f f e n d ( M 16, S . 3 9 7 f . = R 7, S . 5 7 1 f F . ) u n d : A n m e r k u n g e n z u e i n e m G u t a c h t e n über die i t z i g e n R e l i g i o n s b e w e g u n g e n ( M 16, S. 5 2 8 ff. = R S, S . 5 4 0 ff.). 2« H ä u f i g w i r d d i e Stelle aus d e n G e g e n s ä t z e n zitiert ( M 12, S . 4 2 8 = R 7, S . 8 1 2 f . ) ; v g l . u. a. die o b e n S. 7 2 z i t i e r t e N o t i z aus d e n K o l l e k t a n e e n h e f t e n . " A x i o m a t a ( M 13, S. 1 2 3 = R S, S. 184).

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Freilich darf eine solche Gefühlsgewißheit des Glaubens nidit mit der gefühlsseligen Schwärmerei etwa Lavaters oder mit der Vernunflfeindlichkeit der späteren Romantik verwechselt werden. Lessing verbindet mit diesem Begriff die Unabhängigkeit des Glaubens von aller historischen Begründung und von aller theologischen Reflexion Wo nämlich das Wesen des Glaubens in seinem Vernunflgehalt gesehen wird, entsteht die Gefahr, daß nur die geschulte Vernunfl: des Gelehrten oder des Theologen zu einer vollen Gottesgewißheit zu gelangen vermag. Lessings Anliegen aber ist es, die Einheit des Glaubens für Gelehrte und Laien zu sichern, und es gelingt ihm, das Dilemma durch einen VernunflbegrifF zu vermeiden, der nicht an die empirische Immanenz der historisch gewordenen Vernunfl; gebunden ist. Für Lessing ist die Vernunfl: eine anthropologisditheologis(be Kategorie, die die faktische Einsicht des Verstandes nur als einen Teilaspekt umfaßt. So kann die innere Wahrheit der Religion, die mit dem Vernunftgehalt identisch ist, als Gegenstand der Gefühlsgewißheit bezeichnet werden Um herauszuarbeiten, welche Bedeutung und weldie Struktur die innere Wahrheit des Christentums hat, benutzt Lessing die spiritualistische Unterscheidung zwischen Buchstabe und Geist®·*. Sie soll dazu dienen, einerseits der historisdien Kritik jenen Freiheitsraum zu sichern, in dem sie von keiner Heteronomie mehr eingeschränkt wird, andererseits aber den Glauben in seiner Unangreifbarkeit gegen die deistische Kritik zu verteidigen^®. Darin liegt die Bedeutung der berühmten „Axiomata", mit denen Lessing das Nadiwort zu den Reimarus-Fragmenten eröffnet: „Der Buchstabe ist nidit der Geist; und die Bibel ist nidit die Religion. Folglidi sind Einwürfe gegen den Buchstaben, und gegen die Bibel, nicht eben auch Einwürfe gegen den Geist und gegen die Religion. Denn die Bibel enthält offenbar Mehr als zur Religion gehöriges: und es ist bloße Hypothes, daß sie in diesem Mehrern gleich unfehlbar seyn müsse. Auch war die Religion ehe eine Bibel war. Das Christentum war, ehe Evangelisten und Apostel gesdirieben hatten . . . Es mag also von diesen Schriften nodi so viel abhängen: so kann doch unmöglidi die ganze Wahrheit der Religion auf ihnen beruhen . . . Aus ihrer innern Wahrheit müssen die sdirifllichen Überlieferungen erklärt werden, und alle schriftlidien Überlieferungen können ihr keine innere Wahrheit geben, wenn sie keine hat." г» ^^ Lessing vertritt bewußt den Glauben des Laien gegen die Theologie: vgl. u. Axiomata (ebd., S. 132 = S. 194). Gegensätze (M 12, S . 4 3 4 f . = R 7, S.819ff.); Axiomata (M 13, S . 1 1 9 f . = R », S.179). Auf den spiritualistischen Charakter dieses Motivs bei Lessing madit G.Gloege aufmerksam in seiner Studie „Mythologie und Luthertum. Das Problem der Entmythologisierung im Lichte Lutherischer Theologie" (Luthertum 5), Berlin 1953, S. 141 f. (3.Aufl., Göttingen 1963, S . 1 4 5 f . ) . Axiomata (M 13, S.114ff., 131 f. = R 8, S. 172ff., 193f.). Die gleiche spiritualistisdi-rationale Haltung findet sidi bei Edelmann 132, S . 4 6 f f . ; Nicolai 233, S . 3 4 6 f . ; Mendelssohn 365, S. 325 ff., 340 f. Gegensätze (M 12, S . 4 2 8 f . = R 7, S.813).

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Wichtiger als der Angriff auf das lutherisdie Sdirifbprinzip ist der Versuch einer mystisch-rationalen Neubegründung des Glaubens Lessing stellt sich hier — offensichtlich bewußt — in die spiritualistisdie Tradition, die er sich gerade wegen ihrer Nähe zu rationaler Deutung des Glaubens zu assimilieren vermag^®. Daß es sich nicht um polemisch-exoterische Übernahme einzelner Motive handelt, sondern um die angemessene Begrifilidikeit für die eigene Glaubensaussage, erhellt aus der Tatsache, daß erst von hier aus die innere Einheit der scheinbar differierenden und widersprüchlidien Äußerungen sichtbar wird. Die innere Wahrheit des Glaubens hat freilich in ihrer Vemünftigkeit und in ihrer strengen Evidenz eine gewisse Nähe zur natürlichen Religion^', Sie gilt apriorisdi und kann in ihrer axiomatischen Einsichtigkeit mit geometrischen Wahrheiten verglidien werden: „Die innere Wahrheit ist keine wächserne Nase, die sidi jeder Sdielm nadi seinem Gesichte bossiren kann, wie er will."

Obwohl in dem Begriff der Evidenz die Universalität der Geltung eingeschlossen ist, gewinnt jedoch die innere Wahrheit erst im Existenzbezug Wirklidikeit. Gefühlsgewißheit ist nicht so objektivierbar, wie es — in einer merkwürdigen Parallelität — der Deismus und eine fehlgeleitete Orthodoxie für möglich hielten. Daß die reine Rationalität des Glaubens unübertragbar bleibt, daß sie in ihrer Vergewisserung an die Individualität gebunden ist, madit die Eigenart des Lessingschen Glaubensbegriffs aus. Der Unterschied zur Orthodoxie ist dabei nicht nur in der Ungebrochenheit der Vernunft gegeben, sondern auch in der Ablehnung jeder institutionellen Bindung des Glaubens. Dadurch aber wird die spiritualistische Struktur dieses Glaubensbegriffs b e z e i c h n e t I n seinen Freimaurergesprächen hat Lessing direkt darauf hingewiesen: „Weil Loge sidi zur Freimäurerey verhält, wie Kirdie zum Glauben. Aus dem äußern Wohlstande der Kirche ist für den Glauben der Glieder nichts, gar nichts, zu sdiließen . . . Auch haben sidi beyde noch nie vertragen, sondern eins hat das andere, wie die Geschidite lehrt, immer zu Grunde gerichtet."

Verkirchlichung des Glaubens kann also höchstens als ein notwendiges Übel, bedingt durch die Endlichkeit alles Seins, ertragen werden — " Es spricht für Goezes sicheren Blidc, daß er seinen ersten Angriff nicht gegen Reimarus, sondern gegen diese Thesenreihe Lessings richtet: „Der Buchstabe ist der Geist, und die Bibel ist die Religion" kann er dagegen behaupten (Etwas Vorläufiges..., in: Goezes Streitschriften, 1893, S . U f . ) . ' ' Genauere Erörterung des Belegmaterials siehe unten Exkurs II. 2» Axiomata (M 13, S . 1 2 9 f . = R S, S. 190ff.); außerdem siehe Anm.23. »» Axiomata (ebd., S. 128 = S. 190). Lessings metaphysisches Prinzip der Perfektibilität, von dem aus er Orthodoxie und Sekten gleicherweise den Vorwurf des Steckenbleibens macht, bestreitet jeder verfaßten Kirche ihr Daseinsrecht. Siehe oben S. 78 f. Ernst und Falk, 4.Gespr. (M 13, S.398 = R S, S.578).

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grundsätzlich bedeutet sie ein Hindernis für die Unmittelbarkeit des Gottesbezuges. Obwohl Lessing vielfach die Sache der Onhodoxie gegen die Aufklärungstheologie verteidigt hat, steht er in seinem eigenen Glaubensbegriii doch dieser näher als jener. Nicht nur in der Bindung der Heilsverheißung an die reine Intentionalität bekennt er sich zur Aufklärung, sondern gerade auch in der Übernahme mystischer Rationalität'®. Nur hatte die Aufklärung aus der Vemunflebenbildlichkeit des Menschen einen Vernunfloptimismus werden lassen, der sich seiner ursprünglichen Transzendenzverhaftung nicht gründlich genug bewußt blieb. Für Lessing bleibt Gottes Transzendenz in der aktuellen Glaubenserfahrung gewiß ja sie wird gerade in dem Bewußtsein der unausweichlichen Immanenz menschlicher Existenz immer neu lebendig. Darum wendet er die ganze Anstrengung des Begriffs auf, um diese Transzendenz gegen jeden Versuch, ihrer intellektuell habhafl zu werden, zu sichern. Einerseits ist er bemüht, noch den metaphysisch-kosmologischen Gottesbegriff des Deismus zu transzendieren, andererseits versucht er, gerade gegen die problemlose Transzendenz eines anthropomorphen Gottesbegriifs in der Orthodoxie Gottes wesenhafte Welt-Immanenz zu behaupten'®. Gegen den Spinozismus macht er geltend, daß diese Welt-Immanenz Gottes aber genauer als eine Gott-Immanenz der Welt zu denken ist — ein Hinweis darauf, wie sehr Lessings Interesse theologisch und nicht kosmologisch orientiert ist". Sein Gottesbegriff ist so nicht schlechthin transzendent oder immanent zu nennen — jede dieser Kategorien kann nur eine Teilwirklichkeit erfassen". Aber in ihrer wesenhaften Durchdringung weisen sie auf mystischenEinfluß zurück'®. Denn es ist gerade nicht dieParadoxie der Offenbarungsqualität bestimmten geschichtlichen Geschehens gemeint, sondern eine wesenhafl verstandene Gottähnlichkeit des Ich, das sich zugleich als Abbild der qualitativen Distanz zu dem Urbild bewußt bleibt. ' ' D a ß Lessing hier nidit allein steht innerhalb der deutsdien Aufklärung, zeigt der unten, Exkurs II, zitierte H i n w e i s Eberhards. Indem so die Aufklärung, auf der H ö h e ihrer Entwicklung, mit Gedanken aus ihrem eigenen Ursprung neu konfrontiert wird, g e w i n n t sie erst ihre ganze Tiefe. D i e s e Erkenntnis ist der bedeutsame Ertrag der Arbeit Thielidces — o b w o h l die Begründung im einzelnen nodi präzisiert werden müßte (1957, S. 8 2 f i . ) . D a r a u f f u ß t M a n n 1949, S. 326, 333 f. " So mehrfach im Jacobi-Gesprädi (R 8, S . 6 1 8 , 623 f., 629 f. = Scholz 1916, S . 7 7 , 84, 92 ff.). 8« Ü b e r die Wirklichkeit der D i n g e außer G o t t (M 14, S . 2 9 2 f . = R 7, S . 3 0 5 f . ) . " N u r Fittbogen 1923, S . 2 3 5 f . , 264 f., und H a z a r d 1949, S. 582 weisen darauf hin, d a ß in Lessings Gottesbegriff I m m a n e n z u n d Transzendenz wesenhafl: zusammengehören. " Ein Studi mystischen Erbes ist es z . B . , w e n n Philotas ( S . A u f t r . ) bekennt, d a ß G o t t nur durch negative Aussagen besdirieben werden könne ( M 2, S. 367 = R 2, 8.121).

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In der mystischen Rationalität des Glaubensbegriíís ist nun auch die Grundlage gewonnen, die eine Deutung der spannungsvollen Struktur des Lessingsdien Toleranzgedankens ermöglicht. Von hier aus erklärt sich die prinzipielle Abwertung der Institutionen, die aber in ihrer Gesmnung konservativ bleibt, weil allein die Entsdieidung des einzelnen Gegenstand des Interesses ist, von hier aus wird das wache Bewußtsein gegenüber der Sünde ebenso verständlich wie das dringlich-optimistische Postulat der sittlichen Humanität; aus dem Ineinander von Transzendenz und Immanenz im Gottesbegriff wird deutlich, wie von dem Vernunftgehalt des Glaubens aus die positiven Religionen relativiert werden können, obwohl zugleich die unverfügbare Transzendenz dieses Vernunftgehalts behauptet wird. Dem rationalistisdien Toleranzgedanken steht Lessing vor allem dadurch nahe, daß die Vernunft für den Glauben konstitutiv ist; er steht — wie die ganze deutsche Aufklärung — in der Leibniz-Wolfischen Schultradition. Trotzdem weist sein Toleranzbegriif deutlidier auf das Erbe des Spiritualismus hin. Nur auf dem Boden des spiritualistischen Staatsrelativismus ist eine so radikale Toleranzforderung denkbar, nur hier ein so ausschließliches Interesse am einzelnen statt an der Kirdie; und nur von dem mystischen Gottesbezug her ist eine so echte Offenheit gegenüber fremder Glaubenserfahrung verstehbar: Gott erschließt sich jedem Menschen, jedem gemäß seiner eigenen Individualität, jedem ganz und zugleich jedem anders. Darum darf der Glaubende in jedem anderen Glauben auch Wahrheitsgehalt voraussetzen, darum kann er darauf verzichten, die eigene Erkenntnis zum Maßstab zu erheben — denn obwohl sie wahr ist und nicht auswechselbar, ist sie doch offen für die Bereicherung aus dem anderen Glauben. So braucht der Glaubende auch nidit seine väterliche Religion zu verlassen, denn in ihr findet er die Möglichkeit zur Gotteserfahrung. Die universale Toleranz bewährt sich gerade darin, daß sie Gottes Wahrheit audi in der Orthodoxie erkennt, obwohl sie doch in deren Absolutheitsanspruch ihren natürlichen Gegner findet. Glaube vermag Toleranz zu üben, weil er sich nicht selbst behaupten muß. Die reine Erkenntnis ist nidit Besitz der Gegenwart, der durch die Angriffe des Unglaubens ernsthaft bedroht sein könnte, sondern sie ist ein Geschenk, das von der Zukunft erhofft wird. Ziel und Wesen des Glaubens ist die Erleuchtung der Vernunft — hier darf sich die christliche Aufklärung auf die alexandrinischen Kirchenväter berufen: „Nun ist . . . die letzte Absidit des Christenthums nidit unsere Seligkeit, sie mag herkommen woher sie will: sondern unsre Seligkeit, vermittelst unsrer Erleuchtung; weldie Erleuditung nicht blos als Bedingung, sondern als Ingredienz zur Seligkeit nothwendig ist; in welcher am Ende unsre ganze Seligkeit besteht."" Anti-Goeze IV (M 13, S.164 = R S, S.228). Eine sehr verwandte Aussage im 49.Lit.Br. (M Í, S.130 = R 4, S.250): Ziel der Religion ist nicht die Moral, sondern die Verleihung höherer Einsiditen; Moralität ist Voraussetzung.

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Offenheit des Glaubens für die Erleuditung madit die Offenheit gegenüber dem Mitmensdien zur Pflidit, denn in seiner Entscheidung kann Lidbt aus der Zukunft schon aufleuchten. 2. Vertrauen

in die Providentia

Dei

Edite Bereitschaft für die Zukunft setzt eine Geborgenheit des Vertrauens voraus, die nicht mehr selbst besorgen muß, was morgen kommt. Diese demütig-tapfere Lebenshaltung, die das Heute trägt, weil die Zukunft im Dunkel der Vorsehung liegt, sdieint mehr stoisch als christlich beeinflußt zu sein Doch gewinnt sie bei Lessing in dem Horizont seines Gottesbegriffs ihre eigentümliche Vertiefung: indem so die Zukunft als Gottes Handeln mit dem Mensdien qualifiziert ist, wird das eigene wie das fremde Dasein durdi die gleiche Unverfügbarkeit bestimmt^'. Intoleranz entsteht dort, wo diese Grenze nicht eingehalten wird — sie greift Gottes Plan vor und spricht ein Gerichtsurteil aus über den anderen Die vermeintliche Theonomie der Orthodoxie erweist sicii darin als mensciilidie securitas, die zu einem echten Vertrauen in Gottes Lenkung des Weltgeschehens nidit mehr fähig isf'^ Lessings Glaube dagegen — und gerade hier drückt er nur aus, was Glaubensbekenntnis der Aufklärung überhaupt ist — lebt aus der Gewißheit, daß in allem, was ist und was begegnet, Gottes Weltplan sidi erf ü l l t " . In scheinbar willkürlichem und zufälligem Geschehen verbirgt sich seine geheime Absicht: irgendwo kann dem Mensciien dann plötzlich bewußt werden, was hinter den Ereignissen steht. Das ist es, was die Gräfin Orsina wach werden läßt, wie Marinelli ihr etwas von Zufall erzählt: „Ein Zufall? — Glauben Sie mir, Marinelli: das Wort Zufall ist Gotteslästerung. Nidits unter der Sonne ist Zufall; . . . Allmächtige, allgütige Vorsicht, vergieb mir, daß

^^ In der Vorrede Mylius lobt Lessing uneingeschränkt, daß Mylius mit Boethius täglidi umgegangen sei (M 6, S.400 = R S.688). — Deutlich dürfte der stoische Zug in der Todes-Tapferkeit des Philotas sein. Am eindrucksvollsten geht das aus der Erörterung des Selbstmordproblems im Brief an Gerstenberg vom 25.2.1768 (M 17, S. 246 ff. = R 9, S . 2 7 2 f . ) hervor. ^^ Dieser Vorwurf ist implizit in dem Referat orthodoxer Urteile über die Juden enthalten (Die Juden, 2., M 1, S. 379 = R ί , S. 537). " Anti-Goeze III (M 13, S. 157ff. = R S, S. 220ff.), im Anschluß an Tertullian, De praescriptionibus. " In Lessings Briefen sind Hinweise dieses Inhaltes auf die Vorsicht häufig. Vgl. u.a. Brief an J.D.Michaelis vom 16.10.1754 (M 17, S.41 = R 9, S . 4 9 f . ) ; an den Vater vom 13.6.1764 (ebd., S.208 = S.232); an Eva König vom 15.11. und 20.11. 1771 (ebd., S.408, 409 = S.456, 458); an Elise Reimarus vom 9.8.1778 (M 18, S.284 = R 9, S. 795).

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ich mit diesem albernen Sünder einen Zufall genennet habe, was so offenbar dein Werk, wohl gar dein unmittelbares Werk ist! — Kommen Sie mir, und verleiten Sie midi noch einmal zu so einem Frevel!""

Wo Gott so allgegenwärtig ist, kann alles Kreatürlidie zum unmittelbaren "Werkzeug seines Willens werden — kann umgekehrt in jedem Ding, in jedem Gedanken, der ausgesprochen wird, in jedem Menschen, der begegnet, Gott selbst erfahren werden. Einzelne Wunder Gottes erhalten dadurdi, wenn sie nicht schon in ihrer Faktizität zweifelhaft sind, einen gewissen Luxuscharakter; wo in der Naturgesetzlidikeit, in der Kausalität der Geschichte selbst das Wunder des Tuns Gottes erkennbar ist, kann ein einzelnes Wunder keine Steigerung bedeuten — nur ein pädagogischer Zweck kann es überhaupt verständlich madien^®. Der Glaube an die „Vorsicht" Gottes (so ist Lessings Sprachgebrauch) ermöglicht sogar einen metaphysischen Determinismus^^. Dessen Wurzel ist nidit ein kosmologisches oder geschiditsphilosophisches Interesse, sondern die vertrauensvolle Hingabe des Ich an Gottes Plan. Aus der Erkenntnis des steten Versagens vor dem moralischen Gebot wird es für Lessing nicht schwer, auf eine zweifelhafte menschliche Freiheit zu verzichten^®. Vor allem aber ist dieser Determinismus nicht nur kausal, sondern viel mehr teleologisdi orientiert: Gott selbst verwirklicht seine Absicht mit der Welt, trotz aller menschlichen Verfehlung. Der Optimismus der Aufklärung wird denkmöglich nur durch diesen lebendigen, radikalen Glauben an die Providentia Dei In dem Gedanken der Vorsehung findet der Begriff der Transzendenz und Immanenz Gottes seine nähere inhaltliche Bestimmung. Die Erfahrung der natürlich erklärbaren Welt und Geschichte entfernt den Menschen so sehr von Gott, daß er sich seines Daseins nur versichern zu können meint, indem er auf alle Anthropomorphismen, auf die mythologische Ausprägung des Gottesbegriffs verzichtet®®. Die Fruchtbarkeit des Providenzbegriffs zeigt sich nun darin, daß er dieses Distanzbewußtsein zu Gottes Transzendenz verbinden kann mit dem Glauben an Gottes Für« Emilia Galotti IV, 3 (M 2, S . 4 2 8 f . = R 2, S.294). " Vgl. Nathans Analyse des Engelglaubens (I, 2, M 3, S. 15 ff. = R 2, S. 336 ff.). " Vgl. dazu vor allem Lessings Zusätze zu dem dritten der von ihm herausgegebenen Philosophischen Aufsätze Karl Wilhelm Jerusalems (M 12, S . 2 9 8 f . — R 7, S.566f.). " Vgl. außerdem Jacobi-Gespräch (R 8, S . 6 2 2 f . , 627 = Scholz 1916, S . 8 2 f . , 89). " In diesem Optimismus kann es Lessing wagen, die Reimarusfragmente herauszugeben. Vgl. das wichtige Selbstbekenntnis in der Duplik (M 13, S. 88 f. = R 8, S. 104 f.), und den Brief an Herder vom 2 5 . 1 , 1 7 8 0 (M 18, S. 333 = R 9, S. 852 f.). Charakteristisch ist die spöttische Glosse zu Klopstocks „Ode an Gott": „Was für eine Verwegenheit, so ernstlidi um eine Frau zu bitten!" (Rez. dazu, Beri. Priv. Ztg., 7.12.1751, M 4, S. 376 = R i , S. 69).

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sorge für jede einzelne E x i s t e n z D i e s e Spannweite madit ihn geeignet, die spekulative Vernunft ebenso wie das Anliegen des Herzens zu befriedigen — darum kann er zum Zentralbegriff des Glaubens der Aufklärung werden®^. Wie sehr dies Urteil auch auf Lessing zutrifft, zeigt die Funktion, die der Begriff der „Vorsidit" in seiner Theorie des Dramas innehat. Dem Drama wird hier die Aufgabe gestellt, ein Abbild der Vorsehung zu geben. Ja, die Verwirklichung dieses Ziels wird geradezu zum Maßstab für die innere Wahrheit eines Stückes. Obwohl das Geschehen in einem Drama nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit darbietet, soll es doch zum Spiegelbild für den Sinn des Ganzen werden®'. Die Antwort des Menschen, die Ergebenheit in Gott, ist dann die Tugend des dramatischen Helden: Nathans Menschlichkeit ist darum zum Vorbild geworden, weil sie die stärkste Anfechtung in dem Bejahen des göttlidien Tuns hat überwinden können'^. Hier ist die innere Einheit von Ästhetik, Ethik und Glauben gewonnen — das ist ein Hinweis darauf, daß hier das entscheidende Motiv von Lessings Denken gefunden ist®'. Moses Mendelssohn gibt so Lessings eigener Theorie Ausdruck, wenn er den Nathan ein „herrliches Lobgedicht auf die Vorsehung" nennt®®. Dort ist das menschliche Geschehen in die ideale Sphäre des Märchens gerückt, um die Absicht der Providentia Dei um so reiner darstellen zu können. Für die Idee der Toleranz liegt darin nun ein höchst bedeutsamer Hinweis: es darf als die wesentlidie Absicht der Vorsehung angesehen werden, die Menschen in der Trennung der Endliciikeit zur Toleranz zu erziehen. Das märchenhafte Gegenbild für den Plan der Vorsehung ist Das wird deutlidi, wie Nathan die Verkettung der Gesdiehnisse zum Bewußtsein bringt, die zu Redias Rettung führten; in diesem Zusammentreffen scheinbar zufälliger Ereignisse zum Wohle, das konkret dem einen Mensdien in der N o t widerfährt, sieht er das eigentliche, nicht überbietbare Wunder (I, 2, M 3, S. 12fî. = R 2, S. 333 ff.). — Vgl. außerdem das Zitat oben Anm.6. In der dialektischen Spannung zwischen Gottes Erhabenheit und Herablassung sieht Mendelssohn den Kern des Vorsehungsglaubens. Nach seinem Zeugnis hat kein anderer Schriftsteller „diese großen Wahrheiten in derselben Lauterkeit, mit derselben Überzeugungskraft, und mit demselben Interesse dem Leser ans Herz gelegt" wie Lessing (Morgenstunden X V . Werke 2, S. 362ff.). " Programmatisch ist das formuliert in Hamb. Dram. 79 (M 10, S. 120 f. = R 6, S.402). Vgl. dazu Fittbogen 1923, S. 166f.; Clivio 1928, S.152ff. Nathan IV, 7 (M 3, S. 138 ff. = R 2, S. 446 ff.). ' ' Das ist in seiner theologischen Bedeutung bisher noch kaum genügend gewürdigt worden. Eine thematische Untersuchung des Vorsehungsglaubens bei Lessing fehlt m. W. — Wie wichtig er für Lessing ist, erhellt m. E. auch daraus, daß Lessing den radikalen Glaubenszweifel als Anfechtung einen Zweifel an der Vorsicht nennt: Tellheim bekennt das von sich, Minna von Barnhelm I, 6 (M 2, S. 180 = R 2, S. 143); vgl. IV, 6 (S.240 = S.210). 5» Mendelssohn, Morgenstunden X V (Werke 2, S. 366). 7

Schultze, Lessing

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die Harmonie der Familie, die allen Streit überwunden hat. Das Vertrauen in Gottes Güte führt zu der Erkenntnis, daß gerade die Religionen in ihrer Versdiiedenheit ein Werk seiner Gnade sind. Jeder Mensch darf auf seinem eigenen, ihm entsprechenden Wege zu Gott gelangen — die Unterschiedlichkeit der Wege ist Ausdruds des Reichtums der Wahrheit®'. Es ist ein einfacher Akt des Vertrauens, audi bei fremden Religionen Wahrheit vorauszusetzen — denn es wäre unvorstellbar zu denken, daß Gott den größeren Teil der Menschheit vom Heil a priori ausschließen könne, indem er ihm die eine Wahrheit vorenthalte. Toleranz ist so nur die notwendige Konsequenz des Glaubens an Gottes universale Güte'®. Lessings Gottes- und Glaubensbegriff stehen in einer unmittelbaren Korrespondenz, die die Idee der Toleranz notwendig hält. Das macht es verständlidi, daß in allen wesentlichen Bezügen seines Denkens das Motiv der Toleranz als ein Strukturelement enthalten ist: es haftet letztlidb weder im Bereich des Sittlichen nodi in dem der rationalen Skepsis, sondern ist positiver Inhalt des Glaubens selbst. Dieser Glaube an die Providentia Dei kennt freilich nicht die prophetische Haltung, die eine exklusive Wahrheit als das Heil der Welt verkündet; er kennt auch nicht den Begriff des Kampfes Gottes mit sich selbst — er lebt vielmehr aus dem Vertrauen in die Güte Gottes, die sich in seinem Weltregiment manifestiert. Toleranz ist so der Versudi, in der demütigen Bejahung des Geschöpflichen in seinem Sosein in die Nachfolge der universalen Liebe Gottes zu treten. 3. Theodizee In ihrer streng rationalen Struktur hat die Idee der Toleranz allerdings die besondere Anfechtung des rationalen Providenz-Glaubens überhaupt mit zu bestehen: die Frage der Theodizee. Das Vertrauen in die Herkunfl: alles Geschehens aus Gottes Absicht stößt in dem Versuch, sich dieses Glaubens rational zu vergewissern, auf jenes Problem. Eine Sinngebung, die im Existenzbezug unmittelbar möglich ist in der Haltung demütiger " Vgl. das Gesprädi zwischen Saladin u n d dem Tempelherrn (IV, 4, M 3, S. 123 = R 2 , S.432f.): Saladin:

„Als Christ, als Muselmann: gleich v i e l ! Im w e i ß e n Mantel, oder Jamerlonk; I m Tulban, oder deinem Filze: w i e D u willst! Gleidi v i e l ! Idi habe nie verlangt, D a ß allen Bäumen Eine R i n d e wadise. Tempelherr: Sonst wärst du w o h l auch schwerlich, der du bist: D e r H e l d , der lieber Gottes Gärtner wäre." " Philosophisch darf dieses Weltvertrauen zu der Mannigfaltigkeit der Schöpfung z w e i f e l l o s durch die Leibnizsdie Kategorie der prästabilierten H a r m o n i e interpretiert werden.

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Offenheit, muß in der theoretisdien Verallgemeinerung erst neu gewonnen werden. Für den Menschen der Aufklärung muß dabei die Frage nach der Funktion des Irrtums im Weltplan Gottes besondere Bedeutung gewinnen. Wenn es als gewiß gelten darf, daß die Erfüllung des Glaubens wie der Gesdiidbte in der Erleuchtung der Vernunft geschieht — wie hat dann Gott den Irrtum überhaupt zulassen können? Trägt er nicht sogar unmittelbar die Verantwortung dafür? Der persönliche Glaube besitzt die Freiheit, in allem fremden Glauben und Meinen nach dem Gehalt an Wahrheit zu fragen. Seine Selbstbescheidung lebt aus der Gewißheit der reinen Transzendenz der Wahrheit, deren er wegen ihrer Unverfügbarkeit überall gewärtig sein muß. Wird aber dieses selbstkritische, freie Suchen nadi der Wahrheit objektiviert zu der allgemeinen Frage nach dem Verhältnis von Irrtum und Wahrheit in der Welt, so ist damit das Problem überhaupt verändert. Wurde bisher nach dem möglichen Anteil an Wahrheit in der Aussage des anderen gefragt, so muß nun der Irrtum selbst, im eigenen wie im fremden Denken, zum Thema des Nachdenkens werden. Das bedeutet für den Toleranzgedanken eine doppelte Gefahr: einerseits kann die Anfechtung der Theodizee in die Krise des Vertrauens zu Gott und seiner überall gegenwärtigen Wahrheit führen — andererseits kann die Gleichstellung des Irrtums mit dem Widerspruch gegen Gott, mit der Sünde, zur Reditfertigung der Intoleranz verleiten. Lessing ist der Sdiwierigkeit dieser Problematik nicht ausgewichen. Die Fragestellung der Aufklärung wird von ihm in ihrer eigentlichen Konsequenz durdigedacht, indem er den Bereich von Wahrheit und Irrtum in den Kreis der Theodizee hineinnimmt®'. Durch die Verflechtung von Transzendenz und Immanenz in seinem Gottesbegriff wird das Problem noch radikalisiert. Denn es kann kein Zweifel aufkommen, daß auch im Irrtum noch Gott selbst handelt — Lessings Glaubenshaltung verbietet es, diese Frage im immanenten Horizont allein zu verhandeln. Gottes Weltplan, der dem Irrtum einen so großen Raum gewährt, wird um so rätselvoller, weil die mensdiliche Vernunft als das unverdorbene Aufnahmeorgan der göttliciien Wahrheit geglaubt werden darf — könnte nicht vielmehr eine wohl wadisende, aber doch für alle irrtumslose Wahr" Mendelssohn (Morgenstunden XV, Werke 2, S.366) interpretiert den Nathan als einen „Anti-Candide" : „Idi weiß midi zu erinnern, daß mein verewigter Freund, bald nadi der Erscheinung des Candide, den flüchtigen Einfall hatte, einen Pendant zu demselben zu schreiben, oder vielmehr eine Fortsetzung desselben, in welcher er durdi eine Folge von Begebenheiten zu zeigen Willens war, daß alle die Übel . . . am Ende dennoch zum Besten gelenkt, und zu den allerweisesten Absichten einstimmig gefunden werden sollten." Im Nathan aber ist die Theodizee des moralisdien und physischen Übels nidit mehr die Hauptfrage, sondern statt dessen der Wahrheitsansprudi der Offenbarungsreligionen. Daß dies aber für Lessing eine Frage der Theodizee ist, sollte nicht zweifelhaft sein. 7»

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heitserkenntnis als möglich gedacht werden? Will also dieser Glaube nidit auf eine theoretische Durchdringung und Vergewisserung verzichten, so muß er versuchen, hier eine Antwort zu finden. Damit steht noch einmal die Geschiditsbindung des Glaubens zur Diskussion. Denn hier, im Horizont der geschichtlichen Wirklichkeit, taucht die Frage der Theodizee erst auf. An dem Anspruch der historischen Offenbarung auf die volle Vermittlung der Wahrheit entzündet sich der Zweifel, ob Gott den größeren Teil der Menschheit absichtlidi von der Mitteilung seiner Wahrheit ausgesdilossen habe'®. Gibt es eine Theodizee der revelatio specialis? Das heißt zugleidi: gibt es eine Theodizee der Gesdiichte? Denn die Gesdiichte müßte schlechthin als Verwirklichung des Irrtums verstanden werden, wenn sie unmittelbar an ihrem Ziel — der reinen Vernunfterkenntnis — gemessen werden sollte. Theodizee erweist sidh damit aber grundsätzlidi als aposteriorische Spekulation: sie muß auf apriorische Evidenz verzichten, da sie an die aposteriorische Struktur ihrer Fragestellung und ihres Materials gebunden bleibt®*. Daß Lessing aber trotz dieser metaphysischen Beschränkung höchst intensiv um eine Antwort bemüht gewesen ist, zeigen die ganz verschiedenartigen Denkansätze, mit denen er an das Problem herangegangen ist®^. Selbstverständlich benutzt er das Grundschema aller Theodizee: aus der Unvollkommenheit des Einzelnen kann ein Vorwurf gegen das Ganze nicht gerechtfertigt werden. So ist offensiditlich eine vollkommene Wahrheitserkenntnis nicht als ein Geschenk an die ganze Mensdiheit zu gleicher Zeit möglich — dazu ist die menschliche Vernunft am Anfang nicht fähig. Wenn darum die Mitteilung soldier Erkenntnis an die geschichtliche Kontingenz gebunden sein muß, so darf aus deren Partikularität nicht ein Vorwurf erhoben werden®'. Es steht dem Menschen nicht zu, im vermeintlichen Besitz echter Wahrheitsgewißheit hier korrigierend einzugreifen: echte Erkenntnis ist ein Geschenk, das nur in der Autonomie der Freiheit gewonnen werden kann — um dessentwillen hat Gott dem Irrtum Raum gegeben. Verminderung des Irrtums wäre also zugleich Verminderung menschlich-verantwortlidier Existenz Diesen Z w e i f e l hat H . S . R e i m a r u s in dem 2. der 1777 veröffentliditen Fragmente, „Unmöglichkeit einer Offenbarung, die alle Menschen auf eine gegründete Art glauben könnten", in aller Gründlichkeit durdigeführt (M 12, S. 316 ff. = R 7, S. 686 ff.). Sein Ergebnis ist: w e i l der exklusive Anspruch der Offenbarungsreligion zur Folge hat, d a ß nur ein Sechzehntel der Menschheit gerettet werden könnte ( S . 3 3 2 = S . 7 0 4 ) , kann die Offenbarung nicht Gottes eigenes Werk sein, sondern ist Erfindung v o n M e n schen ( S . 3 5 8 = S . 7 3 4 ) . " So in Pope, ein Metaphysiker! (M 6, S. 4 2 7 ff. = R 7, S. 249 ff.). Klärend u n d äußerst gründlidi geht Kofink auf diesen Fragenkreis ein (1912, bes. S. 192 ff.). Sehr klar sieht Eiciiholz 1933, S . 4 , 15. Gegensätze ( M 12, S. 436 ff. = R 7, S. 821 ff.). A n t i - G o e z e I ( M 13, S . 1 4 3 = R S, S . 2 0 4 f . ) und I V ( S . 1 6 5 f . = S. 229 ff.).

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Irrtum kann in Gottes Geschichte mit der Welt auch eine positive Funktion haben: er dient zur Prüfung und Läuterung des Glaubens. Gerade weil die Versudiung sehr groß ist, die Religion der Väter auf Treu und Glauben, d. h. auf Autorität hin, zu übernehmen, muß die Editheit dieser Entscheidung auf die Probe gestellt werden. Es ist darum kein Verlust, wenn in der Anfeditung durch Kritik, Zweifel und Irrtum Menschen in ihrem Bekenntnis zur Wahrheit des Glaubens plötzlich versagen; denn ein Glaube, der in echter, verantwortlicher Prüfung seiner Gründe und seiner Bedeutsamkeit ergriffen wurde, wird in solcher Auseinandersetzung an Tiefe gewinnen. Intolerantes Staatskirdientum will also den Christen eine Probe ersparen, die Gott selbst für nötig hält®®. Eine Theodizee der Religionsgeschichte, die mit ihrem Menschlidi-Allzumensdilichen für die deistische Kritik ein Objekt des Spottes geworden war, versucht Lessing durch die Anwendung der Kategorie der Perfektibilität®". Ursprünglidi nur dazu dienend, den eigenen Standort zu klären und polemisch gegen eine starre Orthodoxie zu sidiern, kann sie unter dem Aspekt der veränderten Fragestellung nun auch zu einer Sinngebung der Religionsgesiiiichte helfen: nicht alles, was auf der gegenwärtigen Stufe des Glaubens als überwundener Aberglaube erscheinen muß, ist darum auch gesdiichtlich sinnwidrig'". Gott gibt sich den Menschen auf verschiedene Weise zu erkennen, indem er ihnen gerade so nahe kommt, wie sie es auffassen können. Wer die Erkenntnisse solcher vergangenen Glaubensstufen noch als heilsnotwendig auszugeben sucht, vertritt durch diesen Anachronismus allerdings einen verhängnisvollen Irrtum; Theodizee der Irrtümer der Religionen bedeutet darum andererseits, daß die gegenwärtige Einsicht nicht zum Kanon erhoben werden darf, um über Irrtum und Wahrheit zu urteilen — auch sie unterliegt der Relativierung durch die fortschreitende Entwicklung'®. Ihre eigentliche Bedeutung aber gewinnt diese Einsicht erst dadurch, daß nicht nur vom 2iel her das Gegenwärtige in seiner Vorläufigkeit begriffen, sondern nun audi rüdcschauend das Überwundene als eine Station auf dem Wege zur Wahrheit verstanden werden kann. Gottes Wahrheit ist reicher, als es die selbstA n t i - G o e z e III (ebd., S. 1 5 7 f f . = S . 2 2 0 f f . ) ; vgl. d a z u Lessings Übersetzung aus Tertullian, de praescriptionibus (M 16, S. 411 ff.). «« Vgl. oben S. 78 f. " Vgl. Z.B. Lessings Auseinandersetzung mit Warburtons The divine legation of Moses in E r z . d . M . , §§ 2 4 — 3 1 (M 13, S . 4 2 0 f f . = R S, S . 5 9 6 f f . ) : das ist der Versuch einer T h e o d i z e e w e g e n des Fehlens des Unsterblichkeitsglaubens im A l t e n Testament. D i e R e z . zu der deutschen Übersetzung dieses Werkes v o n Warburton, Beri. Priv. Ztg., 3 0 . 1 1 . 1 7 5 1 (M 4, S. 373 f.), ist vermutlich auch v o n Lessing. «8 E r z . d . M . , §§ 6 9 — 7 2 (a.a.O., S . 4 3 0 = S . 6 0 8 ) . Aus diesem Grunde versucht Lessing in Antithese zur Aufklärungstheologie, die die Lehren v o n Trinität, Erbsünde und Satisfaktion aufgegeben hatte, gerade deren Sinngehalt v o n einer höheren Stufe aus zu erfragen: §§ 7 3 — 7 5 (ebd., S . 4 3 0 f. = S . 6 9 0 f . ) .

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sichere Vernunft für möglich hält — durch die Erziehung zur Toleranz lernt sie, jene auch in den scheinbaren Irrtümern zu finden. Hier dringt die Theodizee noch tiefer als die einfadbe Wahrheitssuche: es wird nicht aus der komplexen, irrtumbehafteten Meinung des anderen ein Wahrheitskern herausgeschält, sondern vielmehr gerade in dem, was jetzt als Irrtum bezeichnet werden muß, wird Gottes lenkende Hand erkannt®». Dieser demütige Optimismus verleiht der „Erziehung des Menschengeschlechts" ihre besondere Bedeutung: „Warum wollen wir in allen positiven Religionen nidit lieber weiter nidits, als den Gang erblicken, nadi weldiem sidi der menschliche Verstand jedes Orts einzig und allein entwickeln können, und noch ferner entwickeln soll; als über eine derselben entweder lächeln, oder zürnen? Diesen unsern Hohn, diesen unsern Unwillen, verdiente in der besten Welt nichts: und nur die Religionen sollten ihn verdienen? Gott hätte seine Hand bey allem im Spiele: nur bey unsern Irrthümern nicht?"

Die unbedingte Gewißheit des Vertrauens in Gottes Vorsehung gibt der gläubigen Existenz die Offenheit der Toleranz gegenüber allem fremden Denken — dies Vertrauen läßt sie in der Anfechtung der Theodizee noch einen Weg zur Antwort finden: in Gottes gütigem Plan mit der Welt erhalten auch die Irrtümer einen Sinn 4. Das esóatologisóe

Ziel

Toleranz gegenüber Vergangenem und Gegenwärtigem wird möglich durch die Ausrichtung des Blickes in die Zukunft. Erst im Horizont des Eschatologischen läßt sich die Freiheit gewinnen, die anderes Denken und Glauben anzuerkennen vermag, ohne das eigene Mühen um die Wahrheit relativieren zu müssen. Es ist ein Mißverständnis zu meinen, daß diese Kategorie nur bei Lessing zu finden ist. Gerade weil mit dem Toleranzgedanken ein echtes Glaubensanliegen verfochten wird, wird schon von seinen Zeitgenossen und Vorgängern darauf hingewiesen, daß Intoleranz auf einer illegitimen Vorwegnahme eschatologischer Entschei·» Darin liegt die gewichtige Tendenz der Erz.d.M. Vgl. vor allem § 91 (ebd., S.434 = S.613f.): „Geh deinen unmerkliclien Schritt, ewige Vorsehung! Nur laß midi dieser Unmerklichkeit wegen an dir nicht verzweifeln. — Laß mich an dir nicht verzweifeln, wenn selbst deine Schritte mir scheinen sollten, zurück zu gehen! — Es ist nicht wahr, daß die kürzeste Linie immer die gerade ist." — In dieser neuen Sinngebung der Geschichte ist übereinstimmend Lessings entscheidende geistesgeschichtliche Leistung erblickt worden — darin wurde dann zugleich sein bedeutendstes Toleranzmotiv gesehen. Für die Analyse dieses Toleranzbegriffs ist diese Einseitigkeit allerdings irreführend. — Vgl. zur Erz.d.M. bes. Kretzschmar 1904; Fittbogen 1923, S. 183ff.; Haug 1928; Eichholz 1933. ™ Erz.d.M., Vorbericht (ebd., S.415 = S.590f.). " In Pope, ein Metaphysiker!, unterscheidet Lessing zwischen dem nicht vertretbaren Satz: Alles ist gut, und dem angemessenen: Alles ist recht (M 6, S.425 f. = R 7, S.247).

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dung basiert'®. Die Offenheit gegenüber der Zukunft Gottes macht die Toleranz zu einer Tugend der Demut Daß Lessing diese Denkansätze übernommen hat, ist bedeutsam — handelt es sidi dabei doch nidit um eine philosophische Vervollständigung seines Systems, sondern um ein strukturbestimmendes Motiv. Zunächst freilich erscheint die Zukunft als die unendlich verlängerte Zeitlidikeit — doch dient schon dieser Aspekt der Erziehung zu Toleranz. Alle Bescliränkung der Diskussion wird zum Hemmnis der geschichtlichen Entwicklung, führt zur Entleerung des Reiditums des Glaubens"^ — der Blick auf die kommenden Jahrhunderte verbietet es, die eigene Gegenwart als den Endpunkt zu fixieren: „Dazu bin ich der festen Meynung, daß Welt und Christenthum so lange stehen werden, daß in Betracht der Religion die Schriftsteller der ersten zwey Tausend Jahre nach Christi Geburth, der Welt eben so wichtig seyn werden, als uns die Sdiriftsteller der ersten zwey Hundert Jahre sind." "

Indem aber die Zukunft als das Ziel der Entwicklung näher bestimmt wird, wird sie aus einem zeitlichen zu einem Qualitätsbegriff: das Zeitalter des Geistes bedeutet nidit nur die Erfüllung der bisherigen Entwicklung, sondern zugleich die völlige Aufhebung des Gegenwärtigen Wegen des wesensmäßigen Unterschiedes zu allem, was in dieser Welt vorfindlich ist, können die Aussagen über das Ziel der Geschichte nur formal sein. Jede dinghafte Phantasie, die darüber hinaus Gewißheit zu haben vorgibt, macht sich selbst unglaubwürdig^'. Aber diese Formalität der Aussage erlaubt eine lebendige Gewißheit der Zukunftsverheißung, die sich der orthodoxen Ewigkeitsaussicht durdiaus ebenbürtig fühlt; „Die mögen sich vielmehr schämen, welche die Verheißung ihres göttlichen Lehrers haben, daß seine Kirche auch von den Pforten der Hölle nicht überwältiget werden soll, und einfältig genug glauben, daß dieses nicht anders geschehen könne, als wenn sie die Pforten der Hölle überwältigen! — Und wie denken sie einen solchen Sieg zu erlangen? Dadurch, daß sie gar in keinen Streit sich einlassen? Dadurch, daß sie das " So Locke 69, S.32; Thomasius 19, S.16; Döderlein 240, S.38. '» Leade 32, S.lSff.; Betrachtungen zu Loen 156, S.16; Mendelssohn 207, S.47f.; Jerusalem 227, S.44f.; Bedher 293, S.27. Vgl. u.a. den Hinweis auf das Verbot freier Diskussion durch die Kirche des Mittelalters, Anti-Goeze IV (M 13, S.166 = R S, S.231). Eine Bitte (M 13, S. 97 f. = R 8, S. 156). " Erz.d.M., §§ 85—90 (M 13, S.433f. = R S, S.612f.): Lessing greift hier bewußt die neutestamentlichen Verheißungen über die Geburt des neuen Menschen auf, deren Erfüllung erst von der Zukunft erwartet wird — nicht schon vom Zeitalter der Aufklärung! " Von daher polemisiert Lessing gegen den orthodoxen Ewigkeitsglauben in dem Fragment „Womit sich die geoffenbarte Religion am meisten weiß, macht mir sie gerade am verdächtigsten« (M 16, S.399f. = R 7, S.574f.).

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Ding so zu karten suchen, daß die Pforten der Hölle audi nicht einmal einen Anfall wagen dürfen? — Von diesem negocirten Siege aus ihrer politischen Studierstube, kenne ich keine Verheißung." 'β

Die neutestamentliche Verheißung des esdiatologischen Sieges gibt der Aufklärung die Zuversicht, daß Irrtum und Dummheit von der Wahrheit sdiließlidi überwunden werden. Die Unersdiütterlichkeit dieses Optimismus gründet darin, daß hier eine echte Glaubensaussage vorliegt. Gerade Lessings Glaubensbegriff wurzelt in der wesenhaften Identität Gottes mit der Wahrheit selbst — darum ist der Sieg der Wahrheit Gottes eigene Sadie in der Welt. So darf als das Ziel des individuellen Glaubens die Erleuchtung genannt werden: in der eschatologisdien Freiheit gewinnt die Vernunft Teil an Gottes Wahrheit. Nicht was die Vemunfl; dann erkennt, kann gesagt werden, sondern nur, daß sie dann irrtumslos erkennen wird. Zu ebensolcher Freiheit wird die sittliche Vernunft gelangen — die Tugend wird dann nicht mehr das Werk konkreter Anstrengung, sondern wesenhafter Haltung sein''. Diese reine Sittlichkeit kann zum Modell der Aussagen über das eschatologische Ziel gemacht werden, weil an ihr besonders deutlich Kontinuität und Gegensatz zwischen Gegenwart und Zukunft gezeigt werden kann: das sittliche Gebot bleibt — als Gottes Wille — erhalten, aber jede Motivierung des Tuns, die der endlichen Struktur angepaßt ist, wird aufgehoben sein®". Indem die Menschen so in die Wirklichkeit Gottes hineingewachsen sein werden, werden sie zu Bürgern des Reiches der Vernunft: in der eschatologischen Harmonie ist ein Gegensatz zwischen den Individualitäten nicht mehr denkbar. Auf dies eine Ziel sind alle Individualitäten sdiöpfungsmäßig hingeordnet — Lessings Eschatologie hat keinen Raum für die Kategorie des Gerichtes". Jene Gestalt des Zieles verleiht der Toleranz ihre finale Begründung. Das unbedingte Vertrauen in die Vorsehung Gottes verleiht die Freiheit, auf Gewaltanwendung bei der Durchsetzung der Wahrheit zu verzicbLessings Vorrede zu dem Reimarus-Fragment: Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger (M 13, S.220 = R S, S.257). ™ Ernst und Falk, l.Gespr. (M 13, S.349 = R S, S.554): „Die wahren Thaten der Freymäurer zielen dahin, um größten Theils alles, was man gemeiniglich gute Thaten zu nennen pflegt, entbehrlich zu machen." Vgl. 3.Gespr. (S. 363 ff. = 8.565 f.). 8« Siehe oben S . 6 1 f . ; außerdem Erz.d.M., §§ 79—85 (M 13, S.432ff. = R S, S.611f.). Diesen Sachverhalt trifft Mann 1949, S.382: „Am Ende steht nicht die Vermenschlichung des Göttlichen, sondern die Vergöttlichung des Menschlichen." Zur Apokatastasis panton bekennt sich Lessing mit der Aufklärung — gerade hier ist die sachliche Gemeinsamkeit von humanistischer und spiritualistischer Tradition deutlich (vgl. Ew. Strafen, M 11, S. 479 = R 7, S. 478, und Gegensätze, M 12, S. 437 = R 7, S. 833 f.). — Nicht zu übersehen ist die Beziehung zwischen Lessings Gedanken und dem Schluß der Leibnizschen Monadologie (§§ 84—88): der Gottesstaat der vernünftigen Monaden, das Reidi der Gnade.

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ten. Widitiger ist aber, daß dadurch die Verwirklichung echter Gemeinschaft zu einem vorausgreifenden Abbild der eschatologischen Harmonie wird®^. So ist die Toleranz nicht eine letzte Infragestellung des eigenen Glaubens, sondern dessen integrierender Bestandteil: sie ist ein Bekenntnis zu der Fülle der "Wahrheit Gottes, deren Verwirklichung in der unbegreiflichen, fremden Glaubensentscheidung jetzt schon vorausgesetzt werden darf, weil der Glaube in der Hoffnung des zukünftigen Offenbarwerdens der Wahrheit lebt®'. In dem spannungsvollen Zueinander-ordnen von persönlichem Glauben und eschatologischem Ziel kommt besonders deutlich der mystischrationale Charakter des Lessingsdien Glaubensbegriffs zum Ausdrudk. Denn es ist mystische Grundhaltung, die, von einer keimhaften Identität mit Gott ausgehend, des Menschen stufenweise Annäherung an das unendliche Ziel verkündet®^. Vollendung des Glaubens darf darum als ein "Wachstum, nidit als ein Kampf vorgestellt werden: die sittlidie und erkennende Vernunft befreit sidi fortschreitend von den Fesseln der Endlichkeit, sich jederzeit ihrer totalen Bindung an die Welt und zugleich ihrer unlösbaren Gemeinschaft mit Gott bewußt bleibend In der Vernunft hat das eschatologische Ziel sdion gegenwärtige Realität gewonnen. Diese unaufhebbare Spannung darf aber nicht zu einer Aufhebung der Transzendenz verkürzt werden. Der Glaube wartet auf seine Erfüllung — auch theoretisch kann er sie noch nicht vorwegnehmen. Seine Aussagen über das Ziel sind negativ: er weiß, welche Hemmnisse gegenstandslos sein werden — aber er weiß nidit, was dann sein wird. Er kennt die Richtung des Blicks, aber er wartet nodi auf das Schauen Die symbolisdie Bedeutung des Nathan-Schlusses ist stets gesehen worden. Am klarsten bei Rohrmoser 1958, S. 125. Der eschatologisdie Ausblick in der Ringparabel ist konstitutiv für ihren Sinn. Vgl. dazu Politzer 1958b, S.455; Barth 1961, S.230. Diesem Grundgedanken dient bei Lessing vor allem der Glaube an die Palingenesie des Menschen. Vgl. dazu vor allem die „Anmerkungen über Joachim Heinrich Campes Philosophische Gesprädie" (M 16, S . 4 4 2 f . = R 7, S . 5 6 9 f . ) und Erz.d.M., §§ 91—100 (M 13, S. 434 ff. = R Í, S. 613 ff.). Zum ganzen Problem vor allem die hervorragende Arbeit von Kofink 1912. ®® Das Endliche und das Zukünftige sind beides Totalaspekte, Wirklichkeiten, die beide zugleich das Dasein bestimmen: Ew. Strafen (M 11, S. 480ff. = R 7, S.480ff.). Vgl. dazu vor allem Balthasar 1937, S.49ff., und oben S . 5 6 f . Obwohl also prinzipiell ein spannungsvolles Zugleich der Aussagen über die Teilhabe an der Zukunft und über das Warten auf die Vollendung vorliegt (realisierte und zukünftige Eschatologie), liegt doch der Akzent des Bekenntnisses darauf, daß die Erfüllung noch aussteht (im echten, qualitativen Sinne). Nur so werden die Bemerkungen Lessings über die N o t des Glaubenszweifels verständlich (siehe oben S. 88). Ebenso ist deutlich, daß die Kritik an den Spiritualisten in Erz.d.M., §§ 89 und 90, nicht historisch, sondern grundsätzlich gemeint ist: Lessing lehnt die Vorwegnahme des Eschatologischen ab.

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Weil jedoch der Glaube gewiß sein darf, sein Ziel ahnend zu erkennen, ist er vor die Aufgabe gestellt, zu seiner Realisierung zu helfen. Lessings Vertrauen in den Gang der Vorsehung ist nidht quietistisdi: er vergleicht sich mit dem Türhüter am Tempel, der die Stufen fegt und darin seinen ehrenvollen Dienst sieht®'. Das leidenschaftliche Mühen um die "Wahrheit ist von dem Kampf gegen Fehler und Irrtümer nicht ablösbar — aber das Durchsetzen der Wahrheit selbst ist nidit mehr das Werk des Handlangers®®. In solcher Demut des Dienstes verwirklicht sich Toleranz: die Suche nadi der Wahrheit lebt davon, daß sie selbst zu der Gemeinschaft der freien Geister verbindet, die eine Antizipation des Reiches Gottes ist®'. Für die Bürger des Gottesreiches aber bedeuten die Schranken der Endlichkeit in ihrem Widersprudi nichts Trennendes mehr, sie leben schon jetzt in der Harmonie, die ein Geschenk der Zukunft ist. " Bibliolatrie (M 16, S. 470 f. = R S, S. 482). 88 Duplik (M 13, S. 88 f. = R S, S. 482). 8« Ernst und Falk, 2.Gespr. (M 13, S. 359 ff. = R S, S. 562 f.).

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EXKURS I

Zur Beurteilung des Jacobi-Gesprächs In der Auseinandersetzung um Lessings Glaubenshaltung kommt dem Jacobi-Gesprädi entscheidende Bedeutung zu. Da in ihm ein Bekenntnis Lessings zum Gottesbegriff Spinozas enthalten zu sein sdieint, muß sidhi jede Interpretation der Theologie Lessings der Frage stellen, wie dieses Bekenntnis zu werten sei. Da das Jacobi-Gesprädi für eine Reihe von Forschern zur Grundlage ihrer These, daß Lessings Glaube pantheistisch sei, geworden ist, steht der hier vorliegende Interpretationsversuch vor der Aufgabe, sidi durch eine Analyse dieses Dokumentes zu rechtfertigen. 1. Problematik der Interpretation: Voraussetzung der Untersuchung ist die Überzeugung, daß Jacobi das Gespräch in seinem wesentlichen Inhalt richtig wiedergegeben hat. Darum darf eine genaue Analyse versucht werden. Jacobi fragt nadi der Widerlegbarkeit der Philosophie Spinozas. Dabei wird deutlich, daß der Spinozismus selbst die Unbekannte ist, die erst erfragt werden muß und die eigentlich bis zum Ende des Gespräches unklar bleibt. Lessing fragt Jacobi ausdrücklich nach seinem Spinoza-Verständnis (R 8, S.619 = Scholz 1916, S.78); an der Unsicherheit, in der Jacobi sich Lessings Urteil über Hemsterhuis verständlich zu machen sucht, wird das nodi einmal offenbar (ebd. S.631 f. = S.98; vgl. nodi Lessings Brief an Jacobi vom 4.12.1780, M 18, S. 358 = R S. 879). Wenn also Jacobi Lessing einen Spinozisten nennt, so ist dieses Etikett mit größter Vorsicht nur wieder zu verwenden. Ein modernes philosophie-historisdies Urteil über das Wesen des Spinozismus darf damit nicht identifiziert werden, sondern es muß nach dem Sadigehalt der These Jacobis gefragt werden. Eine besondere Schwierigkeit bieten dabei die methodischen Probleme des Lessing-Verständnisses überhaupt, die oben in Kap. В 1/3 erörtert worden sind. Obwohl Jacobi durch eine Grundsatzfrage das Gesprädi zu bestimmen sudit, ist Lessing doch der eigentlich führende, überlegene Partner. Jacobi äußert sich ausführlich, in längeren thematischen Erörterungen, während Lessing immer neue Querfragen stellt, Impulse gibt. So wandelt er die Ausgangsfrage Jacobis um zu der Frage nach dessen eigener Philosophie (vgl dazu R 8, S.619 = Sdiolz 1916, S.77f.; S.621, 623 f., 626 = S.81, 83 ff., 88). Diese formale Erkenntnis muß für die 107

Interpretation grundlegend sein: es kann nicht ein philosophisches Bekenntnis Lessings erhoben werden, wo er selbst mit seinen Fragen nur ein Bekenntnis Jacobis provozieren wollte. (Dies ist von Moses Mendelssohn klar gesehen worden, indem er darauf hinwies, daß Lessings Äußerungen hier nicht dogmatisch streng verstanden werden dürfen. Vgl. Mendelssohn Werke 3, S.7f.; 10ff.: das Gesprädi ist für Lessing zugleich Spiel, das seinen Sinn in sich hat.) Die eigenen Aussagen Lessings sind für ihn zunächst Denkmöglidikeiten, sind Stationen auf dem Wege zur Wahrheit. Nur in diesem Sinne können sie selbst zum Gegenstand der Untersuchung werden. 2. Der Ertrag des Gespräches für die Erkenntnis der Glaubenshaltung Lessings: Lessings Bekenntnis zu dem „εν και πάν" ist zu thetisch, als daß es selbst zum Sdilüssel der Interpretation werden könnte. Deutlicher sind dagegen die negativen Aussagen: Über den orthodox-theologischen Gottesbegriíí äußert sich Lessing ganz ablehnend (R 8, S. 618f., 634 = Scholz 1916, S.77f., 102), dagegen verteidigt er intramundane Vorstellungen (ebd. S.623 = S. 83f.). In diese Ablehnung bezieht Lessing auch die Persönlichkeit Gottes ein (Fittbogen 1923, S.233f., meint deshalb, für ihn sei der Begriff eines absoluten Individuums undenkbar). Daß damit aber nicht notwendig die personale Struktur des Gottesverhältnisses abgelehnt ist, läßt sich an der unsicheren Verwendung des Personbegriffes in Jacobis Bericht zeigen (a.a.O., S.630 = S.95 und S.629 = S.92); Lessings Ablehnung richtet sich offensichtlich in erster Linie gegen den anthropomorphen Gehalt, den dieser Begriff durdi eine naive, unreflektierte Verwendung besaß. Ebenso mißverständlich ist die Ablehnung des „Salto mortale" (ebd. S.628 = S.91) und die Bemerkung, daß er sich alles „natürlich ausgebeten haben wollte" (ebd. S.629 = S.92). Jacobi meinte, hieraus Lessings Ablehnung des transzendenten Gottesglaubens überhaupt entnehmen zu dürfen — es würde sich damit also um ein metaphysisches Bekenntnis handeln. Aus dem Charakter der Gesprächshaltung Lessings wird dagegen erkennbar, daß vielmehr ein erkenntnistheoretisches Urteil vorliegt: eine Religionsphilosophie kann nur insofern den Anspruch auf philosophisdie Exaktheit erheben, als sie streng auf dem Boden der natürlichen Vernunft bleibt. Thema der Unterhaltung ist eben nicht der persönlidie Glaube, sondern die Möglichkeit einer Glaubensphilosophie. Lessings Anliegen in dem Gesprädx sdieint es somit zu sein, alle anthropomorphen Kategorien im philosophischen Reden von Gott auszusdialten. Darum bestreitet er auch jene einfache Finalität, die als analogia entis wiederum Gott unter mensdilidie Begriffe subsumiert (ebd. S.623 = S. 83). Gegen Jacobis problemlos transzendenten Gottesbegriff vertritt Lessing mit dem hen kai pan die Immanenz, weil ohne diesen wesen108

haften Welt-Bezug sowohl Gottes- wie Weltbegrifi gleichermaßen entleert würden. Aber zugleich verwahrt er sich gegen jede systemgebundene Gottesvorstellung überhaupt (ebd. S. 621 = S. 80, Anm.). Spinozas Denkansatz hat also nur den Wert einer Hilfskonstruktion; bedeutsam ist in diesem Gespräch vor allem, wie Lessing versucht, über die Begrifîlidikeit Spinozas noch hinauszufragen (ebd. S. 622 f. = S. 82 f.). Die eigentliche Absidit der Lessingschen Fragestellung ist also nicht die Behauptung der Immanenz, sondern der absoluten Transzendenz Gottes. Es ist diarakteristisch, daß Lessing sidb gerade in dieser Lage der Methode negativer Aussagen bedient, wie sie aus der mystischen Tradition bekannt sind. 3. Das Mißverständnis im Streit um das Jacobi-Gepräch: Weil das Jacobi-Gespräch so oft zu einer Fehlinterpretation der Glaubenshaltung Lessings geführt hat, muß nun noch kurz auf die Quelle dieses Mißverständnisses hingewiesen werden. Jacobi geht von der Voraussetzung aus, daß eine konsequente rationale Weltanschauung zum Determinismus, d.h. aber zum Fatalismus, führen müsse. Da dieser Fatalismus von Spinoza am folgerichtigsten durchgedacht worden ist, weil von ihm die Endursachen radikal abgelehnt werden, ersdieint Jacobi der Spinozismus als die einzige edite, konsequente Philosophie. Jede andere, also auch die Leibniz-Wolffsche Philosophie, hat die gleiche geheime Konsequenz, ohne sich zu ihr zu bekennen. Weil aber dieser Determinismus notwendig mit einem intramundanen Gottesbegrifi verkoppelt ist, muß faktisch der Spinozismus mit Atheismus gleichgesetzt werden (Scholz 1916, S. 173). Gegensatz dazu kann nicht eine bessere Philosophie, sondern nur der reine Glaube sein (ebd. S. 177f., 186 ff.). Aus dieser Voraussetzung Jacobis erwächst nun sein Vorurteil, daß Determinismus und Glaube an den transzendenten Gott nicht zusammengehören können. Lessings Bekenntnis zum Determinismus muß für ihn also das Bekenntnis zum Atheismus einschließen. Dies Mißverständnis, das Lessing zum Atheisten madit, ist Jacobi darum auch kaum nadigesprochen worden. Dagegen aber hat man Jacobis Voraussetzung, daß Lessing einen streng intramundanen Gottesbegrifi vertrete, vielfach übernommen. Man darf dabei jedoch die Tendenz Jacobis nicht übersehen: sein eigentlidier Angriff gilt nicht dem „Atheismus" Lessings, sondern dem Rationalismus, wie er von Mendelssohn mit der ganzen deutschen Aufklärung vertreten wird. In dem Kampf gegen jene Synthese von Vernunftprimat und Glauben hat freilidi Jacobi Lessing besser verstanden als selbst Mendelssohn (vgl. Jacobis Schrift Wider Mendelssohn, Scholz 1916, S.343f.). Moses Mendelssohn 1п1ефгег1егг ebenfalls Spinozas Philosophie als atheistisch; er sieht den entscheidenden Fehler Spinozas in der Aufhebung des Gegenübers von Gott und Welt. Solcher Akosmismus, in dem dem 109

Endlichen keine selbständige Bedeutung zukommt, ist für ihn philosophisch unhaltbar. Der edite Gegensatz zum Spinozismus ist für Mendelssohn daher das Leibnizsdie System, während Jacobi allein eine Glaubensphilosophie als positiven Gegensatz dazu verstehen kann. Der Begriff des Spinozismus wird also von Jacobi idealtypisch (als die konsequenteste Gestalt rationaler Philosophie), von Mendelssohn philosophie-historisch gebraucht. Auf dieser verschiedenen Sidit beruht nun das grundlegende Mißverständnis im Spinozastreit: weil Mendelssohn weiß, daß Lessing nie Atheist war, kann er ihn auch nicht als Spinozisten denken; weil Jacobi Lessings Gegensatz zum aufklärerischen Rationalismus sieht, kann er ihn nur als Spinozisten verstehen — denn ihm ist Atheismus die bessere Möglichkeit, wo die Stufe der Glaubensphilosophie noch nidit erreicht ist. Mendelssohn steht dabei dem Grundansatz Lessings näher als Jacobi — aber beide haben nicht verstanden, daß Lessing nach der dritten Möglidikeit, jenseits beider Fragestellungen, gesucht hat. Es ist also nicht sinnvoll, von Lessings Spinozismus zu sprechen, audi darf man nicht vorsdinell einen Pantheismus oder eine Synthese von Spinoza und Leibniz aus dem Jacobi-Gespräch erheben wollen (vgl. hierzu die Interpretation von Fittbogen 1923, S. 226 ff., die wohl der Sache am besten gerecht wird). Lessing begegnet hier als Fragender (vgl. Thielicke 1957, S. I I I f.). Das hat Leisegang verkannt, indem er meint. Lessing versudie, Jacobi seine eigene (monistisch-mystische) Weltanschauung zu zeigen, scheitere aber an Jacobis unausrottbarem Vorurteil (Leisegang 1931, S. 176, 178 f.) — Lessing wird so zum mißverstandenen Propheten! Nidit, was Lessing bekennt, sondern wie er zweifelt und die Frage nach Gott neu stellt, ist der wesentliche Ertrag des Jacobi-Gesprächs.

EXKURS Π

Lessings Verhältnis zum Spiritualismus 1. Das Problem: Der Versudi, Lessings theologisdie und philosophische Aussagen einem bestimmten Strukturtypus zuzuweisen, hat zu hödist verschiedenartigen Ergebnissen geführt. Es ist verschiedentlich versudit worden, über die Streitfrage nach dem größeren Einfluß von Spinoza oder Leibniz auf Lessing hinauszufragen nach älteren, vielleicht bedeutsameren Traditionsströmen. Bergmann (1883, S. 131 ff.) hat auf die heterodoxen Gnostiker der ersten nachdiristlichen Jahrhunderte hingewiesen; Koch (1928, S. 139ff.) vertritt die Hypothese, daß Lessings Pantheismus sich am besten vom Neuplatonismus her interpretieren lasse. Auf Grund scharfsinniger Interpretationen meint Leisegang (1931, bes. 110

s. 53 f., 70ñ., 82 f., 147 f. u.ö.) behaupten zu dürfen, Lessings Weltanschauung sei ein monistischer Personalismus, der allein aus dem Typus mystischen Denkens verständlidi werde. Obwohl sich Lessing selbst dieses Zusammenhanges nicht bewußt geworden sei (S.73, 148), sei die Verwandtschaft doch so auffallend, daß demgegenüber jeder andere Interpretationsversuch scheitern müsse. Leisegang ist auf breitester Front widersprochen worden (in diesem Widersprucii stimmen sogar Mann 1949, S.294, 324, und J.Sdineider 1953, S.42, 227 íF., überein), so daß der hier vorgelegte Interpretationsversuch, der Lessing wesentlich von spiritualistischem Denken beeinflußt sieht, der ausführlicheren Rechtfertigung bedarf. Zunächst muß festgestellt werden, daß von Leisegang wohl das Problem in wesentlichen Bezügen klar gesehen wurde, daß es aber zugleich verstellt wurde, indem er Lessing in den monistischen Widerspruch gegen die christliche Theologie hineingestellt hat. Indem nun Leisegangs Gegner den gleichen Begriff von Mystik benutzen, müssen sie freilich zu dem Ergebnis kommen, daß Lessing in diesem Sinne nicht Mystiker gewesen ist. Damit ist das Problem aber nicht gelöst. Oben ist begründet worden, weshalb die immanent-monistische Deutung Lessings Haltung verfehlt — der Begriff des Spiritiualismus ist also anders, umfassender gemeint als der Begriff der Mystik bei Leisegang. Gemeint ist hier der Traditionsstrom, der seit dem 16. Jahrhundert selbständig neben dem protestantischen Kirchentum herläuft, und mehr durch einzelne Denker, als durch die Organisation sektiererischer Gruppen geprägt ist: Seb.Franci, Paracelsus, Val. Weigel, Jac. Böhme gehören dazu — im 18. Jahrhundert vor allem Dippel und Edelmann. Kennzeichnend ist ein Glaubensbegriff, der ganz ernst in der christlichen Tradition steht, aber auf jede kirchliche Bindung verzichtet; charakteristisch ist die wesenhafte Gottesnähe des Ich, die eines Mittlers nicht eigentlich bedarf, um wiedergeboren oder erlöst zu sein. Die Verwandtschaft zwischen Spiritualismus und Rationalismus hat scJion Val. Ernst Loesdier gesehen (Bibl. Nr. 68, Disp.. Nr. VIII contra Deistas Fanaticos, S, 81—104). 2. Die Frage ηαώ der Beeinflussung durò einzelne Denker: Jeder Versuch, den hervorstechenden Einfluß eines bestimmten Denkers bei Lessing nachzuweisen, muß sidi ausschließlich auf eine Sachinteφretation stützen, da das Material — außer für die Beziehungen zu Leibniz und Spinoza, sowie zur Patristik — lückenhaft und zufällig ist (vgl. dazu oben S. 29 f.). Die spätmittelalterlichen Mystiker werden überhaupt nicht genannt (nur Tauler einmal, in germanistischen Materialien, M 16^ S. 354); in der Erziehung des Menschengeschlechts erwähnt Lessing in den §§ 87—89 die Franziskanerspiritualen des 13. Jahrhunderts — es bleibt freilich zweifelhaft, ob Lessing sie je selbst gelesen hat (vgl. dazu die ausgezeichnete III

Untersuchung von Liepmann 1931, S. 131 ίί., der trotz des spärlichen Befundes den Einfluß des Joachim von Fiore — auch durch sekundäre Vermittlung — für wichtig hält). Seb. Franck wird von Lessing nur wegen seiner Sprichwörtersammlung zitiert, Paracelsus nur in Excerpten zur Geldmacherei und zum Magnetismus genannt, sowie aus bibliographischem Interesse; der Name Val. Weigels fehlt. Jac. Böhme wird zwar einige Male genannt, aber stets kritisch, wenn nicht nur sein Name auftaucht (s. u.). — E.Schmidt (1909, 2, S.517f.) und Nieten (1896, S.34fi.) denken an einen besonderen Einfluß von G. Bruno auf Lessing — an direkten Belegen stehen ihnen aber nur eine positive Äußerung in einer Rezension (Beri. Priv. Ztg., 21.9.1754, M 5, S. 429) sowie die Notiz Karl Lessings, daß sein Bruder 1754 sidi Excerpte aus Bruno machen wollte, zur Verfügung (M 14, S. 167). Diese Hypothese ist also auf eine Herausarbeitung sachlicher Analogien angewiesen. — Kofink (1912, S.173£f.) denkt an einen direkten Einfluß F. M. van Helmonts auf Lessing wegen seiner Seelenwanderungslehre — aber auch hier fehlt jeder nähere Anhaltspunkt (nur die Rez. Beri. Priv. Ztg. vom 22.1.1754 verrät eine gewisse biographische Kenntnis von ihm). — Die Namen der romanischen Mystiker {Theresa von Avila, Johannes vom Kreuz, A. Bourignon, P. Poiret) fehlen ganz (Fenelon wird nur kurz, wegen anderer Schriften, erwähnt). — Ebensowenig nennt Lessing selbst irgendwo Dippel — nur aus Kloses Beridit (Gespr.S.98f.) wissen wir, daß er zumindest sein„Fatum fatuum" gelesen haben muß (über diesen speziellen Zusammenhang hinaus rechnet nur Nieten 1896, S.72ff. mit näherer geistiger Berührung). — Der Name Edelmanns taudit mehrfach auf (Die alte Jungfer III, 4, M 3, S. 224 = R ί , S.466f.; Brief an den Vater vom 2.11.1750, M 17, S.23 = R 9, S.28; Vorrede Mylius M 6, S.400f. = R 3, S.689; Rez. in Kritisdie Nachrichten, 12.11.1751, M 4, S.277 = R J, S.35; der Beridit Mendelssohns in seinem Brief an Lessing vom 19.11.1755, M 19, S.23, besagt für Lessing nidits) — er wird aber nie wirklich sadilich genannt, sondern nur als Thema der theologischen Polemik, nur als der verrufene Gottesleugner erwähnt. Daraus läßt sidi aber weder positiv nodi negativ etwas für Lessings innere Haltung zu ihm entnehmen. Daß Lessing seine Schriften gelesen hat, darf als wahrscheinlich gelten (Hirsch 1951, 2, S.414 hält das für selbstverständlich) — aber ein näherer Bezug läßt sich nicht feststellen (Kofink 1912, S. 178f. weist sehr vorsichtig auf eine Verwandtschaft in der Seelenwanderungslehre hin, die Olshausen — Lessings Werke 24, Berlin 1919, Einleitung S.80 — auch noch sprachlich meint stützen zu können). Freilich gibt es gerade zwisdien Edelmann und Lessing interessante Analogien, die eine nähere Untersuchung lohnen würden: im Vernunflbegriff, in der Hermeneutik, in der ethischen Reduktion und dem Hinweis auf das Testament Johannis — es wird aber kaum Sicherheit 112

darüber zu erreichen sein, wie weit man an eine direkte Übernahme denken darf, oder ob man nicht besser aus der gemeinsamen Tradition heraus erklärt. Angesichts dieses höchst spärlichen Befundes muß allerdings in Rechnung gestellt werden, daß wir überhaupt über Lessings theologische Lektüre nur sehr unzureichend unterrichtet sind: Standardwerke nennt er beiläufig einmal in seinen Kollektaneen (M 15, S.358 Grotius und Buddeus) so, daß ihre Kenntnis als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann — aber diese Notizen sind ganz zufällig. Der Name V. E. Loeschers fehlt z.B. ganz, Zinzendorf wird nur einmal erwähnt (Gedanken über die Herrnhuter, M 14, S. 162 f. = R 7, S. 196), Spener nur als Korrespondent von Leibniz genannt (Lit.Br. Nr. 71, M 8, S. 194 = R -ί, S. 327)! Nur Mosheim und Jerusalem werden häufiger angeführt, aber selbst Baumgarten nur einmal in theologischem Zusammenhang (Ew.Strafen, M ÍÍ, S. 478 = R 7, S. 477). — Daß Lessing von der spiritualistischen Literatur weit mehr gekannt haben muß, als seinen Werken entnommen werden kann, erhellt schlagartig aus der Tatsache, daß er im S.Literatur-Brief (M Í, S.17f. = R 4, S.106f.) in seine Wieland-Kritik Zitate aus einer Gedichtsammlung des Chiliasten Johann 'Wilhelm Petersen einfügt. Dabei nutzt er die Ablehnung des Spiritualismus durch die Vulgäraufklärung als polemischen Effekt aus — das kann aber nicht verdecken, daß Lessing eine solche Stimme überhaupt kennt. Aus all dem wird deutlich, wie vorsichtig man sowohl mit positiven wie mit negativen Urteilen über den Einfluß einzelner spiritualistischer Denker auf Lessing sein muß. Allerdings wird man sagen müssen, daß Lessing sich kaum jemals intensiv mit den Spiritualisten beschäftigt hat, obwohl er einzelne Schriften sicher gekannt haben wird. 3. Kritisòe Äußerungen Lessings: Untersucht man die kritischen Äußerungen Lessings über die Spiritualisten, so entsteht freilich zunächst der Eindruck, als teile er die aufklärerische Antipathie gegen die „Sdiwärmer" (vgl. das Urteil über Lavater im Brief an Nicolai vom 2.1.1770, M 17, S. 310 = R 9, S. 345). Von daher scheint die Überzeugung der meisten Interpreten über Lessings antimystische Haltung gerechtfertigt zu sein (vgl. u.a. Schmidt 1909, 2, S.525f.). Eine genauere Analyse ergibt jedoch, daß sidb die Kritik stets auf die Denkform, nicht auf den Denkinhalt bezieht: als Schüler der rationalistischen Philosophie des 18. Jahrhunderts tadelt Lessing die unklare, bilderreiche Aussage, die mangelnde begriffliche Klarheit, die fehlende Logik — auch für Aussagen des Glaubens fordert er die rationale Form, die allein Mitteilung und echte Verständigung ermöglicht. In diesem Sinne sind besonders seine Bemerkungen über Jacob Böhme zu verstehen (Rettung des Inepti Religiosi, M S. 348 f., sehr pauschal aburteilend; Pope ein Metaphysiker!, 8

Sdiultze, Lessing

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M 6, S.414f, = R 7, S. 233, bezieht sich nur auf die nidit sdiulgeredite Form der Philosophie Böhmes; im 49. Lit. Br., M S. 133 = R S. 252 f., wird zwar polemisch auf Böhme verwiesen — aber nur in bezug auf seine Unklarheit). 4. Lessings Bekenntnis zur spiritualistischen Tradition: Gerade der enge Geltungsbereich der kritischen Äußerungen Lessings über die philosophischen Schriften der Schwärmer erlaubt es nidit, verallgemeinernd von einer ablehnenden Haltung Lessings zu sprechen. Vielmehr treten auf diesem Hintergrund die wenigen, verstreuten positiven Aussagen um so profilierter hervor. Gegenüber der einseitigen aufklärerischen Ablehnung des Schwärmertums hat es sdion früher Stimmen gegeben, die auf die große Bedeutung der spiritualistischen Tradition aufmerksam machten. Im vorliegenden Zusammenhang ist dabei besonders bedeutsam, daß jene besonneneren Aufklärer gerade um den spiritualistischen Kampf für eine echte Toleranz wissen. Am eindrucksvollsten hat das Johann August Eberhard formuliert (1778, Bibl.Nr. 225, 2, S.78 und 77): Die Geschichte der Kirche „lehrt uns dann, daß der Despotismus der Kirche, ihr Schulgezänk, ihre spekulativen Theorien an den Freunden der Mystidc. allemahl die standhaftesten Widersacher gefunden haben . . . Gnostiker, Manichäer, Waldenser, Henrichianer, Hesychiasten, Bogomilen, Theosophen, Quietisten, Labbadisten, alle einerley Glaubens unter verschiedenen Namen, und alle dringen auf die Vereinigung mit Gott durch innere Vollkommenheit des Herzens, und auf die Zulänglichkeit des natürlichen Glaubens, oder der Wahrheitskrafl, die in den Lehren, nicht in den Worten der Schrift ist; alle erkennen, daß diese Wahrheitskraft in allen Gewissen gegenwärtig und wirksam sey, wenn sie nicht gehindert wird." „Die Idee von einem allgemeinen Lichte, das aus Gott ist, und in jeder menschlichen Brust lodert, jedes innere Auge erleuchtet, und durch Entwöhnung vom Laster den inneren Menschen zur Vereinigung mit dem Urlicht bringt, — sie ist eine Quelle vieler Duldsamkeit, vieler Seelenruhe, vieles Eifers in praktischer Gottseeligkeit gewesen!"

Diesem klaren Bekenntnis zu den spiritualistisdien Vätern des Toleranzgedankens folgen bei Eberhard dann noch spezielle Hinweise auf einzelne Schriften, u. a. von Dippel, Petersen und Poiret. Daß hier einer der Berliner Theologen, der zum Mitarbeiterstab der Allgemeinen deutschen Bibliothek gehört, für die Mystiker plädiert — auf der Höhe der Aufklärung —, darf als ein besonders wichtiger Hinweis gelten. Es ist nicht sicher, ob Lessing die spiritualistische Literatur ebenso gut kannte wie Eberhard — man darf es nur für wahrscheinlich halten, daß er ihm hierin kaum nachstand. Aber Lessing hat selbst auf eine Quelle seiner Kenntnisse hingewiesen: Leibniz. In der nicht veröffentlichten, aber doch vollständig ausgearbeiteten Erwiderung auf eine Aufgabenstellung Wielands im Deutschen Merkur, durch die "Wieland den Vorzug der skeptisdien Aufklärungsphilosophie vor allem spekulativen und enthusiastischen 114

Denken erweisen lassen wollte, bekennt sich Lessing zur Haltung von Leibniz: „Wer war mehr kaltblütiger Philosoph, als Leibnitz? Und wer würde sidi die Enthusiasten ungerner haben nehmen lassen, als Leibnitz? Denn wer hat je so viel Enthusiasten besser genutzt, als eben er? — Er wußte sogar, daß wenn man aus einem deutschen Enthusiasten auch sonst nichts lernen könne, man ihn dodi der Sprache wegen lesen müsse. So billig war Leibnitz!" (Über eine zeitige Aufgabe, M 16, S. 300 = R 7, S. 559)

Mahnke (1939, S. 4 ff.) hat darauf hingewiesen, wie intensiv Leibniz die mystische Literatur gelesen und wie weitgehend er mystisches Gedankengut in seiner eigenen Philosophie verarbeitet hat. Da Lessing an Leibniz gerade die Offenheit seines Philosophierens für die verschiedenartigsten Anregungen geschätzt hat (Jacobi-Gespräch, R 8, S.623 = Scholz 1916, S. 84), mußte ihm die Bedeutsamkeit solcher Motive für Leibniz auffallen. Die sekundäre Rezeption spiritualistisdien Gedankengutes durch seine intensive Leibnizkenntnis darf gerade bei Lessing nidit unterschätzt werden. (Es dürfte außerdem lohnend sein zu untersuchen, wie weit Lessing auf ähnliche Ideenzusammenhänge bei seinen patristisdien Studien gestoßen ist). Man darf aus diesen Gründen bewußte Bekenntnisse zu der spiritualistisdien Tradition in folgenden Aussagen Lessings sehen: a) In Ernst und Falk, 4.Gespr. (M 13, S.393 = R 8, S.573) weist er darauf hin, daß sogar in den Versudien der Goldmacher ein ernsthafter Sinn zu finden sei. Hier wird auch positiver an Jac. Böhme gedaciit. b) Ein Unicum, ohne irgendeine Analogie in der Aufklärungsliteratur, dürfte m.E. das Bekenntnis zu den Franziskanerspiritualen des 13. Jahrhunderts in den §§ 87—89 der Erziehung des Menschengeschlechts (M 13, S.433f. = R 5, S.612f.) sein. Lessing spriciit damit aus, daß sein Hinweis auf das zukünftige Reich der Vernunft eine moderne Inteφretation der spiritualistischen Reich-Gottes-Hoffnung sein will. c) In der Duplik bekennt sich Lessing zweimal (M 13, S.72, 80f. = R 8, S. 84 f., 95 f.) zur mystisch-allegorischen Hermeneutik. Sie ist ihm von seiner Kirchenväter-Lektüre her geläufig, und sie scheint ihm sinnvoller und ehrfürcJitiger als die kritisdi-rationalistische Deutung der biblischen Schriften. Freilich weiß Lessing, daß er damit das Prinzip der reformatorischen Hermeneutik verläßt. Aber die patristisch-mystische Art der Interpretation gibt ihm die Rechtfertigung, daß seine Versuche spekulativ-rationaler Neuinterpretation christlicher Lehren den Rahmen christlichen Glaubens nicht sprengen. Auf die Nähe seiner Trinitätsspekulation zur neuplatonisch beeinflußten Mystik hat vor allem Koch (1928, S. 140 f.) aufmerksam gemacht. Schon Mendelssohn weist in seinem Brief vom 1.2. 1774 an Lessing (M 27, S.6) auf kabbalistische Parallelen hin. Auffällig 8*

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ist gerade hier eine gewisse Ähnlichkeit (keine volle Analogie!) zu den Trinitätsgedanken von Edelmann (Bibl. Nr. 132, S,34ff,)· d) Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Schrift „Eine zeitige Aufgabe" (bes. M 16, S. 298 ff. = R 7, S. 557 ff.): gegenüber der selbstsicheren Vernünftigkeit Wielands und der Vulgäraufklärung verteidigt Lessing die Notwendigkeit, sich mit dem spiritualistischen Gedankengut ernsthaft philosophisch auseinanderzusetzen. Indem er dabei zugleidi auf den Kampf einzelner Enthusiasten für die Menschenrechte hinweist, legt er Zeugnis ab für den Einfluß der spiritualistischen Toleranzforderung auf die eigene Haltung: das Bekenntnis zur Gemeinsamkeit der Aufgabe ist zugleich ein Hinweis auf die Tradition, der sich Lessing verpfliditet weiß. „Denn was die Philosophen sogar einwenig nadisehend und partheiisdi gegen Enthusiasten und Sdiwärmer macht, ist, daß sie, die Philosophen, am allermeisten dabei verlieren würden, wenn es gar keine Enthusiasten und Sdiwärmer mehr gäbe . . . weil audi der Enthusiasmus der Spekulation für sie eine so reidie Fundgrube neuer Ideen, eine so lustige Spitze für weitere Aussiditen ist, und sie diese Grube so gern befahren, diese Spitze so gern besteigen; ob sie gleidi unter zehnmalen das Wetter nidit einmal da oben treffen, was zu Aussiditen nöthig ist. Und unter den Sdiwärmern sieht der Philosoph so mandien tapfern Mann, der für die Redite der Mensdiheit sdiwärmt, und mit dem er, wenn Zeit und Umstände ihn aufforderten, eben so gern sdiwärmen, als zwisdien seinen vier Mauern Ideen analysiren würde." (S. 299 f. = S. 558 f.)

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Abkürzungen Die Schriften des 18. Jahrhunderts werden mit dem Verfassernamen und der Nummer der Bibliographie (Anhang) zitiert, also z . B . : Lüdke 239, S. . . . verweist auf die Bibliographie Nr. 239. Anonyma werden mit einem Stichwort, dem Erscheinungsjahr und der Nummer der Bibliographie angegeben: Die Toleranz (1776) 255, S. . . . verweist auf Nr. 255 der Bibliographie. In Zweifelsfällen wird immer noch „Bibl." vor die Nr. gesetzt: Lüdke Bibl. Nr.239, S

126

Die Schriften von Dippel werden (außer N r . 61) nadi der Gesamtausgabe 1709 zitiert; Locke 69 nach der Ausgabe: J.Locke, Ein Brief über Toleranz. Englisch-deutsch. Hrsg. V. Julius Ebbinghaus (Sdiriftenreihe La Philosophie et la Communauté Mondiale 1), Hamburg, Meiner, 1957. Mendelssohn Eibl. N r . 206 u. 207 werden zitiert nach Mendelssohn, Jub.-A.; ders., Nr. 365 nach Mendelssohn, Werke (s. Literaturverzeichnis). Die Sekundärliteratur (s. Literaturverzeichnis) wird mit dem Namen des Verfassers und dem Erscheinungsjahr zitiert. Lessings Werke werden stets nadi der einzigen orthographisch getreuen, vollständigen Ausgabe von Karl Lachmann, 3.Aufl. bearbeitet von Franz Muncker (23 Bde., Berlin 1886fi.), zitiert. Die Parallelstellen in der leichter zugänglichen Ausgabe von Paul Rilla (10 Bde., Berlin 1954 ff., 2. Aufl. 1968) werden mit angegeben; fehlt diese zweite Angabe, so ist die betreffende Schrift bei Rilla nicht mit abgedruckt. M = Munkkersdie Ausgabe, R = Rillasche Ausgabe. Die Schriften Lessings werden meist mit abgekürzten Stichworten angegeben: Ausbreitung Beri. Priv. Ztg. Bew. d. Geistes Briefe an Waldi

Cardanus Chr.d.Vnfl. Erz. d.M. Ew. Strafen Gegensätze

Von der Art und Weise der Fortpflanzung und Ausbreitung der christlichen Religion Berlinische Privilegierte Zeitung Über den Beweis des Geistes und der Kraft G. E. Lessings Briefe an verschiedene Gottesgelehrten, die an seinen theologischen Streitigkeiten auf eine oder die andere Weise Theil zu nehmen beliebt haben. I. Sogenannte Briefe an den Herrn Doktor Waldi Rettung des Hier. Cardanus Das Christenthum der Vernunft Die Erziehung des Menschengeschlechts Leibniz von den ewigen Strafen

Wissowatius Zeitige Aufgabe

Gegensätze des Herausgebers zu den Fragmenten des Ungenannten (Zur Geschichte und Litteratur. Aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Vierter Beytrag, 1777) Flodoard Frhr. v. Biedermann: G. E. Lessings Gespräche. Berlin 1924 Hamburgische Dramaturgie Gedanken über die Herrnhuter Briefe, die neueste Literatur betreffend Nöthige Antwort auf eine sehr unnöthige Frage des Herrn Hauptpastor Goeze, in Hamburg Das Testament Johannis Theatralische Bibliothek Vermischte Schriften des Hrn. Christlob Mylius. Vorrede von Lessing Des Andreas Wissowatius Einwürfe wider die Dreieinigkeit Über eine zeitige Aufgabe

AdB Rez.

Allgemeine deutsdie Bibliothek. Berlin 1765 ff. Rezension

Gespr. Hamb. Dram. Herrnhuter Lit.Br. Nöthige Antwort Test. Jh. Theatr.Bibl. Vorrede Mylius

127

ANHANG

Bibliographie des deutschen Toleranzschrifttums 1695—1790 Vorbemerkungen Die vorliegende Bibliographie stellt den Versuch dar, das deutsche Toleranzsdirifttum des 18. Jahrhunderts zu erfassen. Da das Problem der Toleranz in sich so vielschichtig ist, konnte sich die Auswahl nicht nur auf die theologische Literatur beschränken; philosophische und vor allem juristische Schriften wurden, soweit zugänglich, ebenfalls aufgenommen. Dagegen wurde die schöngeistige Literatur nicht berücksiditigt, nur in einigen Fällen wurden wichtige Tendenzdichtungen mit angeführt. Ebenso wurden prinzipiell historisdbe Arbeiten des 18. Jahrhunderts, die sich mit der Geschichte der Intoleranz oder der Häresien beschäftigen, nicht aufgenommen. Diese historischen Arbeiten stellen eine außerordentlich umfangreidie Literatur dar. Die vorliegende Bibliographie beschränkt sich auf grundsätzliche Äußerungen zum Problem der Toleranz; es konnten darum auch Lehrbücher etc. nur in Ausnahmefällen genannt werden, sowie Werke, in denen das Problem der Toleranz nur erwähnt ist. Dagegen enthält die Bibliographie in großem Umfange Flugschriftenliteratur — es ist selbstverständlidi, daß hier ein wesentlicher Akzent liegen mußte. Innerhalb des so abgesteckten Rahmens bietet die Bibliographie alle die Titel, die mir bekanntgeworden sind. Sie ist damit in keiner Weise vollständig. Das ist technisch und zeitlich bedingt. Immerhin hoffe idi, daß der Überblick repräsentativ ist und daß mir nichts Wesentliches entgangen ist. — Eine große Lücke mußte allerdings offen bleiben: bis auf wenige Ausnahmen ist die Zeitschriftenliteratur des 18. Jahrhunderts nicht erfaßt. Jedoch ist damals das Wichtigste der aktuellen Diskussion in Form von Flugschriften gedruckt worden. Auch die z.T. außerordentlidi umfangreiche Literatur zu verwandten Problemgruppen mußte unberücksichtigt bleiben. Sachlich sind hier z.T. Überschneidungen mit der Toleranzdebatte; im ganzen sind sie aber so geprägt von einem anderen Interesse, daß diese Entscheidung möglidi wurde. Dazu gehört vor allem die ganze irenische Literatur, vor allem zu den Unionsversuciien zwischen beiden protestantischen Kirchen. Es gehört dazu die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Atheismus sowie 128

mit allen Formen des Deismus. Eine Literatur für sidi stellt audi die Erörterung der Apokatastasis pantön und des doppelten Ausgangs des Gerichtes (der Ewigkeit der Höllenstrafen) dar. Ebenso ist nur ein kleiner Teil der Schriften über die Seligkeit der Heiden aufgenommen worden. Denn diese Diskussion wird im wesentlidien im Zusammenhang des Problems von Vernunfb und Offenbarung, von der Hinlänglichkeit der natürlidien Religion für die Seligkeit geführt. — Schließlich mußte ebenfalls die Debatte der Spätaufklärung über Proselytenmacherei und Jesuitismus weggelassen werden — diese Problematik liegt sdion jenseits der eigentlidien Frage der Toleranz.' Dagegen konnten die Grenzen zu vier anderen Problemkreisen hin nicht streng gezogen werden: a) In den siebziger und achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts werden die Forderungen nach Aufklärung und nach Toleranz promiscue erhoben; Freiheit für den Fortschritt des Denkens, der Wahrheitserkenntnis: das ist das Anliegen, das als Aufklärung und als Toleranz sich verwirklichen soll. Beide Begriffe liegen untrennbar ineinander. b) Die ganze kirchenreditlidie Diskussion um die Geltung der symbolischen Büdier und die Berechtigung des Religionseids mußte mit aufgenommen werden, da die Lehrfreiheit im Raum der Kirdie das wesentliche, treibende Anliegen in der späteren Toleranzdebatte ist. c) Obwohl sonst zeitgeschichtlidie Auseinandersetzungen um einzelne Gravamina nidit aufgenommen werden konnten, ist eine Ausnahme generell gemacht worden: Die Schriften, die sich mit der Lage der Juden beschäftigen (mir sind nicht viele bekanntgeworden), wurden alle aufgenommen, da hier ein akutes Problem die spätere Debatte bestimmte. d) Ein Problem am Rande ist die Zensur- und Druckfreiheit; die Stellungnahmen dazu konnten nicht gut weggelassen werden. Der größere Teil der Toleranzliteratur hatte ja anonym erscheinen müssen!

Neuere

bibliographisòe

Hilfsmittel

Selbstverständlidi sind die üblichen bibliographisdien Hilfsmittel unentbehrlidi: die Büdierlexika von Georgi, Heinsius und Kayser; das Gelehrtenlexikon von Jodier; Meusels beide Werke: Das gelehrte Teutsdiland, ebenso wie das Lexikon der vom Jahre 1750 bis zum Jahre 1800 verstorbenen teutsdien Schriftsteller; das Anonymenund Pseudonymenlexikon von Holzmann-Bohatta. Außerdem die Kataloge der Bibliothek des Britischen Museums, der Nationalbibliothek in Paris und der Kongreßbibliothek in Washington. Darüber hinaus gibt es aber keine umfassende moderne Spezialbibliographie über die Toleranzliteratur des 18. Jahrhunderts. Die Literaturangaben in den Darstellungen des Toleranzgedankens beschränken sich mehr oder weniger auf die neuere Literatur.

9 Schultze, Lessing

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Im Rahmen ihrer speziellen Thematik sind jedodi die Bibliographien in folgenden Werken widitig: Aner, Karl: Die Theologie der Lessingzeit. Halle 1929. Hornig, Gottfried: Die Anfänge der historisdi-kritisdien Theologie. Johann Salomo Semlers Sdiriflverständnis und seine Stellung zu Luther. (Forschungen zur Systematischen Theologie und Religionsphilosophie 8). Göttingen 1961. Vollständige Bibliographie der Sdiriften Semlers. Lieberwirth, Rolf: Christian Thomasius. Sein wissenschaftlidies Lebenswerk. Eine Bibliographie. (Thomasiana 2) Weimar 1955. Verzeichnet auch die Gegenschriften gegen Thomasius und seine Schüler. Außerdem die Sekundärliteratur seit Thomasius' Tod. Meyer, Hermann M. Z.: Moses-Mendelssohn-Bibliographie. Mit einigen Ergänzungen zur Geistesgesdiichte des ausgehenden 18. Jahrhunderts. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Fr.-Meinidie-Institut d. Freien Universität Berlin 26) Berlin 1967. Moses-Mendelssohn-Ausstellung der Preußischen Staatsbibliothek und der Jüdisdien Gemeinde Berlin. 1929. (Katalog.) Wohl vollständigste Bibliographie für Mendelssohn, mit Verzeidmis der Gegenschriften etc. zu seinen Werken. Nielsen, Sigurd: Der Toleranzgedanke bei Zinzendorf. Ursprung, Entwicklung und Eigenart seiner Toleranz. Diss. Theol. Hamburg 1951, s. 1. Bibliographie für Zinzendorf und Jane Leade. Sώröder, H. (Hrsg.): Lexikon der hamburgischen Sdiriflsteller. Bes. für J.M.Goeze: 3, Hamburg 1854, S. 515—537. Bibliographisòe

Werke des 18. Jahrhunderts

1. Allgemeine deutsòe Bibliothek. Berlin 1765 ff. 2.{Friedridx Samuel Bodt:) Lehrbuch für die neueste Polemik, oder Grundriß einer literarischen und theologischen Einleitung in die Kenntniß und Beurtheilung der . . . entstandenen Irrungen; Halle 1782. 3. Fabricius, Johann Albert: Delectus argumentorum et syllabus scriptorum, qui veritatem religionis Christianae adversus Atheos, Epicuraeos, Deistas, sive Naturalistas, Idolatras, Judaeos et Muhammedanos, lucubrationibus suis asserverunt. Hamburg 1725. 4. Harleß, Gottlieb Christoph: Fortgesetzte kritische Nachriditen von kleinern theologischen, philosophischen, historischen und philologischen Schriften, 2 Bde. Halle 1785/86. 5. Henke, Heinriò Philipp Conrad: Beurtheilung aller Schriften welche durch das Königlich Preußisdie Religionsedikt und durdi andre damit zusammenhängende Religionsverfügungen veranlaßt sind. (Sonderabdruck aus AdB 11412 und 11511) Kiel 1793. 595 S. Umfassendste vorhandene Bibliographie zum Wöllnerschen Religionsedikt, aber auch nicht vollständig. (¡.Keil, Carl August Gottlieb: Systematisches Verzeichniß derjenigen theologisdien Schriften und Bücher, deren Kenntniß allgemein nöthig und nützlich ist. 2. Aufl. Stendal 1792. 7.(Masd}, Anton Gotti.:) Allgemeines und in seine gehörigen Classen vertheiltes Bücherverzeichniß und Hauptregister über die ersten zehen Bände der theologi130

sehen Bibliothek, welche von dem 1746 bis 1756sten Jahre . . . von Herrn D. Friedrich Wilhelm Kraft herausgegeben wurde. Leipzig 1758. 8. Moser, Johann Jacob: Neues Teutsches Staatsrecht. Bd. 7: Von der Teutschen Religionsverfassung, nach denen Reichs-Gesezen und dem Reichs-Herkommen, wie aucii aus denen Teutschen Staats-Recits-Lehrern, und eigener Erfahrung. Franckfurt u. Leipzig 1774. S.24fi. Bd. 15: Von der Landeshoheit im Geistlichen . . . (wie 7) Francifurt und Leipzig 1773. Bes. S . l — 4 u. 409 ff. 9. Nösselt, Johann August: Anweisung zur Kenntniß der besten allgemeinen Bücher in allen Teilen der Theologie. (1. Aufl. 1779) 3. Aufl. Leipzig 1790. 10. Prathje, J.H.: Historische Nachrichten von Joh. Christian Edelmanns . . . Leben. 2. Aufl. Hamburg 1755. Mit ausführl. Bibliographie der Sciiriften Edelmanns und der Streitschriften. 11. Repertor'mm der Literatur für die Jahre 1785—1790, Allgemeines. matisches Verzeichnis. Jena, Allgemeine Literatur-Zeitung, 1793. Bibliographisch ganz vorzüglich.

3 Bde. 1 Syste-

\2. {Rotermund:) Allgemeines Sachregister über die wichtigsten deutschen Zeit- und Wochenschriften. Voran als Einleitung ein räsonnirendes litterarisciies Verzeichniß aller in diesem Jahrhundert bis jetzt erschienenen periodischen Blätter . . . und mit einem Namenverzeichniß aller dabei befindlichen Mitarbeiter. Leipzig 1790. 13. Thieß, Johann Otto: Handbuch der neuern besonders deutschen und protestantischen Literatur der Theologie. 2 Bde. Liegnitz und Leipzig 1795/1797. 14. Thorsòmid, Urban Gottlob: Versuch einer vollständigen Engelländischen Freydenker-Bibliothek. 1.—4.Theil. Halle und Kassel 1765—1767. Wichtig vor allem Bd. 1, der sich ausschließlich mit der Literatur zu Anthony Collins, A discourse of free-thinking, occasioned by the rise and growth of a sect call'd Free-thinkers. London 1713, beschäftigt. 15. Trinius, Johann Anton: Freydenkerlexicon, oder Einleitung in die Geschichte der Freygeister; nebst einem Nachtrage zu Joh. Alb. Fabricius Syllabo Scriptorum pro veritate religionis Christianae. Bernburg 1759—1765. 16. ΨαΙώ, Johann Georg: Historische und Theologische Einleitung in die ReligionsStreitigkeiten, welche sonderlich außer der Evangelisch-Lutherischen Kirche entstanden. Jena 1733 ff. Besonders Í, S. 262—363: Von den Religionsstreitigkeiten mit den Indifierentisten.

Deutsòes

Sòrifltum

zum Toleranzgedanken

1695—1790

1695 17. Carpzov, Johann Benedikt, praes., Statins Grünwald resp.: Diss, de iure decidendi controversias theologicas. Lipsiae 1695. Dagegen: 18. (Thomasius, Christian:) Disputatio theologi Lipsiensis de jure decidendi controversias theologicas, cum scholiis jurisconsult! Hallensis. Halae 1695 (?). Neue Aufl. 1701. 104 S. 1696 19. Thomasius, Christian und Enno Rudolph Brenneysen: Das Recht Evangelischer Fürsten in Theologischen Streitigkeiten, gründlich ausgeführet, und wider die Papistischen Lehr-Sätze eines Theologi ZU Leipzig [J. B. Carpzov, s. N r . 17] ver9·^

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theidiget. Benebenst einer Summarisdien Anzeige und kurtzen Apologie . . . 1. Aufl. Halle 1696. 4. Aufl. Halle 1699. 288 S. 5.Aufl. 1713. Dann: 1714. Dagegen: 20. Stoltze, Johann Gottlob: Anmerkungen über einige Lehrsätze Christiani Thomasii, vom Recht evangelischer Fürsten in theologisdien Streitigkeiten. Leipzig 1697. 21. —: Evangelisdier Fürsten Redit in Vertheidigung der wahren evangelisdien Lehre. Altenburg 1697. 22. Brenneysen, Enno Rudolph: Ausführliche Antwort auff Herrn Lic. Johann Gottlob Stoltzens . . . Anmerdkungen, über einige in dem Tract, von Redit Evangelisdier Fürsten in Theologisdien Streitigkeiten enthaltene Lehr-Sätze, in 2 Theile eingetheilet. Frandifurth am Mayn 1698. 103 + 64 S. 1697 li.Thomasius, Christian: Epistola ad Dn. J.C.Rube, super problemate juridico: An haeresis sit crimen. Cur disputatio a me per modum dialogi fuerit elaborata, varia testimonia Lutheri de tolerantia dissentientium etc. 1697. In: Programmata Thomasiana, Halle 1724, N r . X V I I I , S. 392ff. 24. Thomasius, Christian, praes., Johannes Christoph Rube resp. : An haeresis sit crimen? Halae 1697. Deutsch in: Chr.Thomasius, Außerlesene und in Deutsdi noch nie gedruckte Sdhrifften, 1: Ob Ketzerey ein strafbares Laster sey? Lat. Einzeldrudc: Halae 1727. Dagegen: 25. Moerlius, G.P.: Repetitio doctrinae orthodoxae ad amicos quosdam scripta de fundamento fidei occasione cuiusdam disputationis Halensis de quaestione: an haeresis sit crimen? Lipsiae s. a. 26. Thomasius, Christian: Programma ad audiendam disputationem inauguralem de jure principis circa haereticos ex hypothesi juris clericalis. 1697. In: Programmata Thomasiana, Halle 1724, Nr. XX, S.426ff. 27. Thomasius, Christian, praes., Johann Christoph Rube resp.: De iure principis circa haereticos. 1697. — Neue Auflagen: 1712, 1722. Deutsdi in: s. Nr.24, ebd. 1: Abhandlung vom Redit Evangelisdier Fürsten gegen die Ketzer. Dagegen: 2%. Moerlius, G.P.: Defensio repetitionis doctrinae orthodoxae de fundamento fidei, adversus ea, quae clarissimus D. Thomasius in nupero programmate disputation! inaugurali D.L. Rubii annexo attulit. s. 1. 1697. Vgl. N r . 25. N u n gegen N r . 26 oder 27? 29. Coccejus, Heinrió, praes., Carl d'Orville resp.: De iure circa haereticos. Frandcfurt/Oder 1699. 27 S. 1698 30.(Dippel, Johann Conrad —) Christianus Democritus: Papismus Protestantium vapulans, oder: Das gestäupte Pabstthum, an den blinden Verfeditern der dürfftigen Menschen-Satzungen in Protestirender Kirch, worbey zugleidi die jüngst in etwas entdeckte Orcodoxia Orthodoxorum wider etlicher Zunfil-brüder des Demetrii Act. 19, 24. redit orthodoxisdie Charteque, sub titulo: Der immer lachende,

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Jetzo aber kläglidi zu verladiende neue Pietastrisdie Democritus etc. weiter illustrirt und gerettet wird. 1698. Wieder gedruckt in den Gesamtausgaben: Eröffneter Weg zum Frieden, s. 1709, S. 55—189, und 1747. 1, S. 99—236. il.(Dippel, Johann Conrad:) Wein und Oel in die Wunden des gestäupten Pabstthums der Protestirenden. Oder Christiani Democriti offenhertzige, Christliche fernere Erklärung, Beweiß, und Entschuldigung gegen alle Richter des Buchs, Papismus Protestantium vapulans genannt . . . [Besonders gegen Schwartzenau und Lönitzer]. 1699. Wieder gedruit in den Gesamtausgaben: Eröffneter Weg zum Frieden . . . , 1709, S. 190—339, und 1747, 1, S. 253—396. 32.(Leade,Jane:) Ursachen und Gründe, welche hauptsädilidi Anlaß gegeben, die Philadelphisdie Societät aufzurichten und zu befördern; sowol auch auß denenselben außgezogene, und in Heil. Sdiriffl gegründete Propositiones. Und denn endlich der Zustand und Besdiaffenheit dieser Societät: oder Die Gründe, worauff sie stehet, pro und contra genauer betrachtet, und zu Abwendung aller Mißverständnüssen, öffentlich an Tag gegeben. Aus dem Engl. Amsterdam 1698. 95 S. 1699 33. Arnold, Gottfrid: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie von Anfang des Neuen Testaments bis auff das Jahr Christi 1688. Franckfurt am Mayn 1699 und 1700, 2 Bände. Weitere Ausgaben Frankfurt 1729 und Sdiaffhausen 1740 ff. Vgl. dazu Seeberg 1923, S.62ff. Darin vor allem: Allgemeine Anmerdcungen von denen Ketzer-Geschichten. Letztere abgedruckt in: Gottfried Arnold. In Auswahl hrsg. v. Erich Seeberg. (Mystiker des Abendlandes 3) München 1934. 34. (Dippel, Johann Conrad:) Anfang, Mittel und Ende der Ortho- und Heterodoxie. Oder Kurtzer Theosophischer Entwurff, aus was Ursachen das verworrene Religions-Gezänck in der Christenheit entsprungen, durch was Mittel es fortgeführet, und auf was Art es endlich zernichtet möge werden. In Christlicher Freyheit und auffrichtiger Lieb, aus dem Liecht von oben verfasset. 1699. Weiter Drudce: wie Nr. 30; a.a.O. S. 340—378, und 1747, 1, S. 405—444. 1700 35. Arnold, Gottfried: Erklärung, vom gemeinen Secten-Wesen, Kirchen- und Abendmahl-gehen; wie auch vom redit-Evangel. Lehr-Amt, und recht-Christl. Freyheit: Auff Veranlassung derer von Ernest. Salom. Cypriani . . . vorgebrachten beschuldigungen wider seine Person, unpartheiisch vorgetragen . . . Leipzig 1700. Neu gedruàt bei: Gottfried Arnold, wie Nr. 33, S. 133—239. 36. (Brüsken, Conrad:) Philadelphi Heracliti Christ-Brüderliches Send-Schreiben, an seinen lieben Bruder den so genandten Christianum Democritum. s. 1. 1700. 48 S. Dagegen (nach Austausch mehrerer Streitschriften, letztes Votum): 37. (Dippel, Johann Conrad:) Christiani Democriti Christlidi-gesinntes Send-Sdireiben an Herrn Conrad Brüsken . . . , worin in gehöriger Bescheidenheit, nach der Warheit des Evangelii sein letzt-publicirtes Scriptum, genannt: Die alte und neue, auch böse und gute Religion, mit nützlichen und nöthigen Anmerckungen, den Warheits-Begierigen Seelen zum besten, weiter erkläret und illustriret wird. [Wann?] Weitere Drucke: wie Nr. 30, a.a.O. S. 962—990, u. 1747, 1, S.602—629. 38. Hein, Georg, praes., Johann Gottfried Hess resp.: Dissertatio politica de haereticis coercendis, non occidendis. Regiomonti [Königsberg] 1700. 1 Bg. 133

39. Kradeewitz, Albert Joaòim: Rostodiiae 1700.

De non speranda extra ecclesiam Lutheranam salute.

40. Spener, Philipp Jacob: Theologisdie Bedencken, und andere briefflidie Antworten auf geistlidie, sonderlich zur erbauung geriditete materien, zu untersdiiedenen Zeiten aufgesetzet, endlich auf langwieriges Anhalten Christlicher Freunde in einige Ordnung gebracht. 4 Bände. Halle 1700—1702. 3. Aufl. 1712—1715. Darin besonders: Í/II, S. 105—109: Von dem verbot verdächtige büdier zu lesen. 1964 (Bes. auf Jacob Böhme bezogen). 3/S.729—734: Was gegen irrige lehren, sonderlidi der Quacker zu thun . . . 1687. 4/S.67—74: Von der gemeinschafft mit irrigen religionsverwandten: ob solche auch selig werden können. 1681. (Besonders auf die Reformierten bezogen) 4/S. 87—99: Christlidies bedencken wegen der anstalten zur bekehrung einiger Juden an denen orten, da dieselbe wohnen. 41. Wohlgegründete Remonstration an alle Hohe und Niedere Obrigkeiten, wie auch an alle andere bescheidene und vemünfftige Leser, in puncto des Gewissens-Zwanges in dem Kirdien-Wesen. s. 1. 1700. 32 S. 42. Die Seele und das Gewissen des Menschen in ihren eigenen Wesen und Würckungen einfältig vorgestellt, s. 1. 1700. 16 S. unpaginiert; Bogenbezeichnung: S und T. Titelblatt der ganzen Schrifl, deren Anhang dies sein müßte, nicht auffindbar. 1701 (Ludovici, Jacob Friedriò:) Erici Fridlibii Untersuchung des indifferentismi religionum da man dafür hält, es könne ein jeder selig werden, er habe einen Glauben oder Religion, weldie er wolle. GlückStadt s.a. [1701] 60 S. Dagegen: 44. Christian Wahrlieb: Aufrichtige Erinnerungen über Erici Fridlibii Untersuchung des indifferentismi religionum, da er dafür hält, es könne ein jeder seelig werden, er habe einen Glauben oder Religion welche er wolle. Zur beruhigung geärgerter Hertzen. s.l. 1703. 128 S. 45. Wernsdorf, Gottlieb: Quattuor disputationes, quibus indifierentismum religionum, a Non-nemine sub Erici Fridlibi persona impie defensum ad purum Dei verbum examinatum rejiciunt. Respondenten: Disp. I Samuel Bornung. — Disp. II Johann Jacob Wechsler. — Disp. III Ludwig Bredow. — Disp. IV Johann Martin Oppelt. Vittembergae 1701/1702. 44 S. Mehrfache Neudrucke in dem Sammelwerk Nr. 81. 1702 46. Poiret, Pierre: Irenicum universale, oder Gründliche Gewissens-Ruhe aller frommen Hertzen, so sidi in denen unterschiedlichen Abtheilungen des Christenthums befinden. Begriffen in einer kurtzen Unterriditung, der Christlichen Lehre, und insonderheit des Articuls vom H. Abendmahl . . . Neben anderen hierzu gehörigen Stücken zusammenfasset durch . . . Aus dem Franz. Amsterdam 1702. 448 S. Sammelband. Darin u. a. : ' I. Poiret: Treuhertzige Vermahnungen. Die Gewissen derjenigen, welche den Gottesdienst der Römisch-Cath. Kirchen anzunehmen gezwungen werden, zu trösten . . . [1686]. 134

II. Poiret: Antwort auf etlidie Schwierigkeiten. (Verteidigung der Abhandlung I gegen die Angriffe von Seiten der Réfugiés). VI. Antoinette Bourignon: Vertheidigung in einigen Briefen an Herrn J., darüber, daß man ihr vorwarf, sie dulde Socinianer etc. 47. Ermeling, Oswald Heinriò:

Bedenden von der religione eclectica. 1702.

48. Kettner, Johann Friedriò Ernst: Sdirifftmäßiges Bedendcen de religione eclectica, oder von derjenigen Religion, da ein Gelehrter aus allen Religionen das Beste erwählet, und sidi entweder gar nidit, oder nidit völlig zu der wahren Parthey wendet. Jena 1702. АЭ. Reòenberg, Adam, praes., Peter Rieper resp.: De officio theologi circa fidei controversias tractandas. Diss, theol. Lipsiae 1702. 38 S. Bes. §§ 29—32: officium circa tolerantiam ecclesiasticam. 1703 50. Piae modestae ac orthodoxae de syncrétisme evitando summi alicuius purioris doctrinae theologi, olim privatim natae, iam vero in spiritum syncretisticum fugientium commodum publici usus ac iuris factae meditationes. Lipsiae 1703. 134 S. 1704 51. Adam, Johann Samuel: Tractat, ob der Heyden, Jüden und Türdien Kinder seelig werden? Mit der riditigen Antwort: Daß der Heyden, Jüden und Türcken Kinder nimmermehr seelig werden. Dresden 1704. 64 S. 52. Verniinfftige und S0riffl-mäßige Untersuώung, wie nöthig und heylsam einer die allgemeine Ruhe liebenden Obrigkeit die Bürgerliche Tolerantz in Religions-Sachen, hingegen wie gefährlidi und sdiädlidi dem gemeinen Wesen das Straffen, Zwingen und Verfolgen wegen der Religion seye. Erst in Englisdier, und hernadi in Frantzösisdier Sprache gedrqckt, und aus dieser . . . ins Hochteutsche übersetzet, s. 1. 1704. 40 S. Späterer Drutk: s. N r . 112. 1705 53. Förtsώ, Miòael: 32 S.

Oratio de judicio aequitatis in dissensu circa sacra. Jenae 1705.

54. Merdier, Johannes: Christliche Unterweisung von der Freyheit zu lehren, und von dem sdirifftmäßigen Verstand des Bind- und Lösesdilüssels. [Wann?] Dagegen: 55.(Dippel, Johann Conrad:) Weg-Weiser zum verlohrnen Liecht und Recht, oder Entdecktes Geheimnüß, beydes der Gottseligkeit und der Boßheit. In einer Sdirifftmäßigen Abbildung der Gemeine des neuen Bundes, nach ihrer innern und äußern Beschaffenheit, und des ihr entgegen gesetzten Abfalls in dem Reich des Anti(hristens. Samt einer Vorrede [gegen Joh.Mercker, s.Nr.54] . . . In ungefärbter Liebe, zur freyen Evangelischen Warheit, unter dem Segen Gottes ausgefertigt. [I.Teil: Gottes-Gelehrtheit], 1705. Weitere Drucke: wie N r . 30; a.a.O. S. 606—738, u. 1747, 1, S. 779—1036. 5().Sòriffl- und gewissensmäßiges Bedendien, über die Frage: Ob ein Lutherisdier Prediger sich könne bey Übernehmung der Vocation oder Ordination . . . ohne Verletzung des Gewissens . . . verpfliditen, die Reformirten nidit zu verketzern? Leipzig 1705. 135

1706 57. Grundsätze über die Frage: Was der Obrigkeit und der Prediger Pflidit seye, Ketzerey und Irrthum in Religions-Sachen im Lande zu verhüten, und wie sie mit Irrenden sollen umgehen? Wohlmeynend mitgetheilet von einem der Wahrheit und Gerechtigkeit liebet, s. 1. 1706. 32 S. 58. Constantinus Sinceras: Gedanckenvon der Vereinigung der beyden Protestantisdien Religionen und derselben Tolerantz. Freyburg 1706. 46 S. 59. {Mayer, Johann Friedriώ:) Eines Schwedischen Theologi kurtzer Bericht von Pietisten. Samt denen Königlidien Sdiwedischen Edicten wider dieselben. Leipzig 1706. 79 S. Dagegen u. a.: 60. (Dippel, Johann Conrad:) Unpartheyisdie Gedandsen, über eines so genannten Schwedischen Theologi kurtzen Bericht von Pietisten etc. nebst einer kurtzen Digression, von der Brutalität und Illegalität des Religions-Zwangs, und einen kleinen Anhang wider die Theologische Facultät zu Halle, s. 1. 1706. 68 S. Weitere Drudie: wie N r . 30; a.a.O. 5.1049—1114, u. 1747, 1, S. 1199 ff. Ы. (Dippel, Johann Conrad:) Unpartheyisches Gespräch zweyer Christen, unter dem Nahmen Eleutherius und Nicodemus, über eine seltsahme, und doch zu unsern Tagen höchst-nöthige und nützlicheFrage,nemlich: Wie weit der lebendige Gott bey den Götzen könne gesucht und empfunden werden? s. 1. 1706. 6 S. Weiterer Drudt: Fehlt in der Gesamtausgabe 1709, nur 1747, 1, S. 397—404. 62. (Dippel, Johann Conrad:) Ein Hirt und eine Heerde: oder Unfehlbare Methode, alle Secten und Religionen zur einigen wahren Kirch und Religion zu bringen, und ohne einigen Syncretismo beständig zu vereinigen. Amsterdam 1706. 2. Aufl. s. 1. 1706. Weitere Drudce: wie N r . 3 0 ; a.a.O.S.847-918, u. 1747, 1, S.1062—1101. Dagegen: 63. Krakevitz, Albert Joachim von: Unpartheyische und Christliche Erwegung der so genandten ohnfehlbaren Methode, alle Secten und Religionen zur einigen wahren Kirch und Religion zubringen, und ohne einigem Syncretismo beständig zu vereinigen, unter dem Titul Ein H i r t und Eine Heerde durch Christianum Democritum p u b l i c i r e t . . . Hamburg 1706. 181 S. 64. (Dippel, Johann Conrad:) Schild der Warheit, gegen die nichtige Auflagen Hn. Alberti Joachimi von Krackevitz . . . , da er in einer so genannten: Unpartheyischen und Christlichen Erwegung, sich unterstanden, den Tractat: Ein Hirt und eine Heerde, etc. verkehrt durchzuziehen . . . Laodicea (!!) 1706. 66 S. Weitere Drudce: wie N r . 3 0 ; a.a.O.S.991—1048, u. 1747, 1, S. 1135—1198. 65. Krakevitz, Albert Joachim von: Gründlicher und deutlicher Vortrag der vornehmsten christ-lutherischen Glaubenslehren, wider die indifferentistischen und fanatisdien Irrthümer des Christiani Democriti so genannten Schild der Wahrheit vertheidiget. Rostode und Leipzig 1715 [?? 2. Aufl. ??]. 1707 66. Breithaupt, Joaòim Justus: (Bedencken) Von obrigkeitlicher Duldung des Gottesdienstes der Juden, und verstatteter Erweiterung ihrer Synagoge. 1707. In: S.J.Baumgarten, Samlung einiger Bedenken der theologischen Facultät zu Halle, 1, Halle 1747, S. 193—248. 67. Wernsdorf, Gottlieb, praes., Johannes Reymund Harpff resp.: De indifferentismo religionum in genere. Wittembergae 1707. 47 S. Später in: N r . 81. 136

1708 68. Losòer, Valentin Ernst: Praenotiones theologicae contra naturalistarum et fanaticorum omne genus atheos, deístas, indifferentistas, antiscriptuarios etc. crassos aeque ac subtiles custodiendae. Vittembergae 1708. 259 S. Weitere Auflagen: Wittenberg 1719 und 1752. Sammlung von 18 Disputationen, gehalten 1707/1708 an der Universität Wittenberg. Für das Toleranzproblem vor allem: VIII. Resp. Georg Rudolph H a b b : Contra deistas fanaticos. IX. Resp. G. Pendler: Contra indifferentistas qui sunt ex naturalistarum numero. X. Resp. Karl Wilhelm Weiß; Contra indifferentistas qui sunt ex fanaticorum numero. XIV. Resp. Christian Friedr. Kranewitter: Contra antidogmaticos quosvis. 1709 (Dippel, Johann Conrad:) Eröffneter Weg zum Frieden mit Gott und allen Creaturen, durch die publication aller bis hierher edirter Sdirifflen Christiani Democriti, nebst einer kurtzen allgemeinen Vorrede des Auctoris. Amsterdam 1709. 1231 S. 1710 69. Locke, John: Sendsdireiben von der Toleranz, oder von der Religions- und Gewissens-Preyheit. Aus dem Lateinischen Exemplar übersetzt, und mit einigen nützlichen Anmerdcungen erläutert, s. 1. 1710. 124 S. Neue Aufl. 1724. Abgedruckt in Nr. 112 (dort aus dem Engl, übersetzt — Nachdruck einer weiteren Ausgabe??) (John Locke:) Epistola de tolerantia. Gouda/Holland 1689. Engl.: A letter concerning toleration. l.Aufl. 1689. In der vorliegenden Obersetzung nur der I.Brief gedruckt. Rez.: Unschuldige Nachriditen von alten und neuen theologisdien Sachen, Leipzig 1710, S. 399—405. 70. Reòtliò — Vor den Riditer alles Fleisches kürtzl. gejährte Defensión in Sadien: J. P. T. D. sonst J. U. C. jitzo aber von Jesu Christo beruffener und erwehlter Streiter . . . contra Joh. Olearium, D. Vier Fragen . . . mit Nein beantwortet. In Babylon (!) 1710. 56 S. 2. Frage: Ob es redit, daß man denen Buchdruckern ohne vorheriger Censur einer fallibeln Secte nichts zu drucken herrsdiend auffleget, und solche zu Ausbreitung Gottes Nahmen jedermann frey, ohne Hinderung geschenckte Kunst tyrannisdi hemmet? 3. Frage: Ob es redit, daß man denen Budiführern nicht alles: Es sey nun Wahrheit oder Unwahrheit Orthodoxie oder Heterodoxie öffentlich zu führen und zu verlegen zulasset . . . 1711 71. Seligmann, Gottlob Friedrià: Exercitationes academicae, edidit Pipping 1711. Darin: Diss, de sentiendi et credendi libertinismo (S. 859). — Diss, de theologico male dubitante (S. 963). 72. Meditationes duae I. de una vera et catholica salvifica, пес non de vera haeresi. П. de fide falsa, deque infallibilitate Ecclesiae Romanae. s. 1. 1711 [? zurüdcdatiert?] Dagegen: 7Ì. Janus, Johann Wilhelm, praes., Gottfried Bordan resp.: Theosebia Christiana et evangelica, h. е. ecclesiae Evangelico-Lutheranae de fidei et sanctitatis Christianae 137

natura, discrimine et nexu indissolubili doctrina contra indifferentismum religionum . . . Vitembergae 1722. 68 S. 1712 74. Stoltze, Johann Gottloh: Etliche allgemeine und vornehmste praejudicia oder Vorurtheile, die eines Theils der reinen Lehre und Evangelischen Wahrheit, ander Theils aber, dem Christlichen Leben und Beförderung der wahren Gottseligkeit, höchst nachtheilig und hinderlich sind. Leipzig 1712. 48 S. Darin: IL Praejudicium: „In Auslegung und bey dem Verstand der heiligen Sthrifft mus man es eben auf die Auctorität der Theologorum oder Geistlidien nicht ankommen lassen, sondern selbige gäntzlich bey Seite setzen." S. 12—24. 1714 75. Schütz, Friedrià Wilhelm: Disputatio de haeresium in ecclesia necessitate [nach l . K o r . l l ] . Leipzig 1714. 52S. 76. Sonntag, Christoph, praes., Christoph Bezzel resp. : Quod neutralitas religionum ab angusto in coelum tramite deviet. Altdorf 1714. 40 S. 77. Stoltze, Johann Gottlob: Schrifftmäßiges und wohlgemeintes Bedendcen über die ohnlängst publicirte Declaration einer hohen Standes-Person, die Neutralität in der Religion betreffende . . . Lübben 1714. 64 S. Dagegen: 78. (Odelem, Johann Philipp = ) Christiani Anonymi kurtzes und vorläuffiges Bedendcen über die von H n . D. Christoph Sontag, und H n . D. Joh. Gotti. Stoltzen verworfîeneTheologische und Politische Religions-Neutralität. 1715.6S. I n : N r . 7 9 . Vgl. Nr. 76. 79. Stoltze, Johann Gottlob: Die mit Recht verworffene TheologisAe und Politische Religions-Neutralität, so wider den also genannten Christianum Anonymum und dessen allhier beygefügtes Bedencken nochmals behaupten wollen. Leipzig und Lübben 1716. 40 S. 80. Buddeus, Johann 1715.

1715 Franz: Commentatio theologica de libertate cogitandi. Jenae

1716 81. Wernsdorf, Gottlieb: Brevis et nervosa de indifferentismo religionum commentatio in qua de illius natura, varietate, auctoribus, causis denique, et argumentis, ex puro Dei verbo data opera disputatur. Accessit De auctoritate librorum symbolicorum dissertatio. Vittembergae 1716. 523 S. Enthält: Die Dissertationen s. N r . 67 und Nr. 45. Als Disp. N r . VI, resp. Johann Andreas Knoblach: Indifferentismo Carolino opposita. Außerdem die im Titel genannte Disp. Neue Aufl. Vittembergae 1754. Außerdem vollständig gedruckt in: ders., Disputationes academicae, ed. Christoph Heinrich Zeibich 2, Vitembergae 1737. S. 1105—1432. 1717 il.Boehmer, Justus Henning: Dissertatio de iure sacro et profano circa infideles. Halae 1717. (2. Aufl. 1726?) bb.Pfaltzgrav, Reinhard dendo. Halae 1718. 138

Ludwig:

1718 Dissertatio de indifferentismo religionum explo-

84. Seitz, Johann Christian: Christi Kirdie kein Welt-Reidi, oder Die Freyheit der Christlichen Religion von Obrigkeitlicher Gesetzes-Madit, dargethan 1. durch Historie, 2. durdi Widerlegung des Tractätgens Moses dius Aaronis. 1718. 1719

85. (Buddeus, Carl Franz:} Untersuchung des wahren Grundes, aus welchem die höchste Gewalt eines Fürsten über die Kirche herzuleiten ist. Halle 1719. 454 S. Neue Aufl.: Stockholm und Upsala [Erfurt, Weimar oder Jena] 1737. 86. Griindliòer Erweiß, daß aller Gewissens-Zwang unbefugt, unzulänglich und höchst-naditheilig seye. Aus dem Frantzösischen ins Teutsche übersetzt. Frandcfurth und Leipzig 1719. 28 S. 1720

87. Demonstration, que ni la contrainte, ni le mensonge et la tromperie en fait de religion ne peuvent jamais être approuvées de Dieu et que l'Eglise, qui se sert de ces moyens pour avancer ses interests, n'est pas la veritable. Beweiß, daß weder Zwang, noch Lügen und Betrug in Religions-Sachen von Gott jemahls gebilliget werden können; und daß die Kirche, die sich dieser Mittel, ihr Interesse zu befördern, gebrauchet, nicht die wahre Kirdie sey. s. 1. 1720. 6 S. Zweisprachig. 1721

88. Baxter, Riéard: Die wahre Kirche in allen Secten. Oder Die wahre Catholische Kirdie, nach ihrer eigentlichen Natur und Besdiaffenheit beschrieben von Richard Baxtern, einem Mitgliede der allgemeinen Kirdie Christi, zu welcher alle rechtschaffene Christen gehören, an was Orten und Enden der Welt sie leben oder wohnen; worbey die hochtrabende Vermessenheit derer Papisten, und aller andern, welche vorgeben, ihre Secte sey allein die wahre Kirche, vor jedermans Augen deutlidi entdecket, und öffentlidi beschämet wird. Franckfurth 1721. 25 + 260 S. Engl.: ders., The true Catholick and catholidc Church, described, and the vanity of the papists and all others sdiismatidss that confine the catholick church to their sect discovered. London 1660. 2 Bde. 331 S. 89. Berg, Andreas, praes., Johann Peter Kohl resp.: Exercitium academicum de hodierna sentiendi circa sacra libertare in Germania. Rostochiae 1721. 90. Erdoedy, Gabriel Antonius Com.: Opusculum theologicum, in quo quaeritur, an, et qualiter possit Princeps, Magistratus, Dominus Catholicus, in ditione sua retiñere haereticos; vel contra, poenis eos, aut exilio, ad fidem Catholicam amplectandam, cogere? Tyrnaviae [Turnau i. Böhmen] 1721. 93 S. 91. Feώt, Johannes: Historia et examen novae theologiae indifferentisticae, sive religionis universalis, edente filio M. Gustavio Friderico Fechtio. Rostochiae et Lipsiae 1721. 2. (?) Aufl. 1727. 92. Von Auffhebung der Trennung in der Christlichen Kirche. In: Die wahre Lehre der Reformirten von dem Heiligen Abendmahl . . . Samt noch zweyen Tractätlein: I. Von der Gnade. II. (s.o.) — Im Jahre 1721. s. 1. 80 S. (unpag.) Franz. Ausgabe: Le véritable sentiment des Réformés sur le sujét de la sainte céne . . . avec . . . II. Comment l'on pourroit abolir la division qui régne dans l'Eglise Chrétienne. Traduit de l'Allemand. Francfort s. 1. M. 1722. 110 S. — Dass, abgedruckt in: Wohlgemeinte Gedandcen, von Vereinigung der Drey-Christlichen Haupt-Religionen, s. 1. 1722. 1722

93. Fabricius, Johann: Dissertatio de sana theologia eclectica, non admittente quaslibet interpretationes, vel opiniones, sed omnia probante et quod bonum est retínente... Neue Aufl. Lipsiae 1722. 139

93a. Raymundus Lullus: Liber de gentili et tribus sapientibus. In: ders., Opera omnia. Tom. II, Moguntiae 1722, S. 1—94. 94. D « über die sehr gekräntkte Religions-Freyheit sdimertzlidist betrübte und zu Gott thränende Hamburg. 1722. 6 S. 95. Reflexions über eine ohne Benennung des Authoris herausgekommene Sdirifft, betitelt „Schreiben an einen Raths-Herrn der Keyserl. Reidis-Stadt . . . nebst einer Unterredung über die Duldung im Religions-Wesen." 1722. 1723 96. Thomasius, Christian: Umständlidie Nadiridit von Joh. Bodini Manuscript, das er Heptaplomeres nennet, und daß dasselbige bey vernünfftigen Christen keinen ächten Knedit Ruprecht zu agiren capable sey. In: Vernünfftige und Christliche aber nicht Scheinheilige Thomasische Gedancken und Erinnerungen über allerhand Gemischte Philosophische und Juristische Händel. 1, Halle 1723, S. 1—110. 97. Wernsdorf, Gottlieb, praes., Arnold Greve resp.: Disputatio de moderatione theologica teporis in religione praetextu. Vitembergae 1723. Außerdem in: ders., Disputationes academicae, ed. Christoph Heinrich Zeibich. Vitembergae 1736. S. 1023—1081. 1724 98. Klemm, Johann Christian: Oratio über größere Toleranz in Theologischen Sachen. In: ders., Opuscula, in quibus consensus Protestantium in fundamento fidei tam dogmatice quam historice ostenditur atque de intolerantia, praecipuo res Protestantium ecclesiasticas impediente malo agitur. Frankfurt u. Leipzig 1724 (? oder 1727? oder mehrere Auflagen?). 99. Noodt, Gerhardt: Rede von der Freyheit des Gewissens, auf den Zustand des Römischen Reichs applicirt. Frankfurt u. Leipzig 1724. (Ders., Oratio de religione ab imperio, jure gentium libera. Lugduni Bat. 1706.) Späterer Druck: s. N r . 112. 100. Weidener, Johann Joaòim: Excommunicationis Divinum institutum nec exterminatum, nec exterminandum, sub auspiciis Divinis et consensu . . . Facultatis anno 1724 adversus illustrem Dn. Thomasium . . . Rostochiae. 108 S. 1725 101. (Loen, Johann ΜίώαεΙ von = ) Christian Gottlob von Friedensheim: Evangelisdier Friedens-Tempel, nach art der ersten Kirciien. s. 1. 1725. 328 S. Rez.: Fortges. Sammlung v. alten und neuen theol. Saclien 1728, S.47—49. 1726 102. Boehmer, Justus Henning, praes., Carl Heinrich Fuhrmann resp.: Dissertatio inauguralis iuridica de tolerantiae religiosae effectibus civilibus. Halae 1726. 102 S. Vgl. N r . 112/2. i02a. (Mandeville, Bernhard de:} Freymüthig-unpartheyische Gedancken von der Religion, Kirche und Glückseeligkeit der Engeländischen Nation unter der gegenwärtigen Regierung, zu anderer christlichen Völcker nützlichen Gebrauch, Warnung und Vorsicht, aus der Engeländischen in die Französische Sprache, nun aber teutsdi übersetzt. Leipzig 1726. Engl. Erstausgabe: Free Thoughts on Religion, the Church, and national Happiness, by B.M. London 1720. 2. Aufl. 1733.

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3 franz. Auflagen. Darin: 9.) de la tolérance et de la persécution. Anzeige in: (Siegmund Jacob Baumgarten) Nadirichten von einer Hallisdien Bibliothek. 8. Halle 1751, S.50—52. 103. Marperger, Bernhard Walther: Der blinde Religions-Eifer als der größte Irrthum in der Religion . . . Dresden 1726. Marperger, Bernhard Walther: Die eintzige Gewalt, weldie die Christen gebrauchen dörffen (Predigt, Rogate 1726). Dresden 1726. 40 S. Dagegen: 105. Cahisius, Seth-Heinriò: Christliche und moderate Anmerdcungen über . . . Hrn. D. Bernhard Walther Marpergers . . . Predigt Von dem Gebet, als der eintzigen Gewalt der Christen. Frankfurt 1727. 31 S. 106. Sendsòreihen an Hrn. M. Seth-Heinr. Calvisium . . . , dessen sogenannte Christliche und moderate Anmerckungen über die . . . Predigt Von dem Gebeth, als der eintzigen Gewalt der Christen, betreffend. Dresden 1727. 15 S. 107. Marperger, Bernhard Walther: Die eintzige Gewalt, weldie die Christen gebrauchen dörfen, mit vielen Anmerdcungen bestättiget. Dreßden 1728. 245 S. 108. Helten, Christian: Wächterstimme, wegen Hr. D. Bernhard Walther Marpergers mit neuen verderblichen Irrthümern bestätigten Gewalt, an alle aufrichtig-Evangelische Christen und Prediger aller Orthen. Rostock 1728. 141 S. 1727 109. Beyer, Johann Gotthard: Ursprüngliche Quellen des Indifferentismi, oder Ursachen der närrischen Meinung: Man kann in allen Religionen selig werden. Leipzig 1727. 588 S. Rez.: Fortgesetzte Sammlung von alten und neuen theologischen Sadien . . . Leipzig 1728, S. 296—301. MO. Rechenberg, Carl Otto, praes., Christoph August Doering resp.: Crimen haeretificii. Lipsiae 1727. \\\. Wernsdorf, Gottlieb: Programma von Theologisdien Controversien. Wittenberg 1727. 20 (?) S. Rez.: Fortgesetzte Sammlung von alten und neuen theologischen Sachen, Leipzig 1728, S. 811—820. 1728 U2.(Seitz, Johann Christian:) Die Rechtmäßigkeit, Nothwendigkeit und Nutzbarkeit der Toleranz und Gewissens-Freyheit kläriich und kräfftig aus unterschiedenen über diese Materie verfertigten Schrifften erwiesen, und zum gemeinsamen Besten auffs Neue zusammen gedruckt, nebst einer Vorrede von dem Eyfer in und über die Religion, und Anmerckungen über des gelehrten Hallensischen JCti und Professoris, Herrn Böhmers, anno 1726. gehaltene Dissertation von der Toleranz. Hamburg und Leipzig 1728. 70 + 496 S. Darin: 1. (Seitz, Johann Christian:) Vorrede von dem Eyfer in und über die Religion. 2. ders.. Einige Anmerckungen über des gelehrten Hallensischen JCti und Professoris, Herrn Böhmers, anno 1726. gehaltene Dissertation, von der Toleranz, worinnen die Unzulänglichkeit seiner Lehr-Sätze in diesem wichtigen Stüde bescheidentlidi gezeiget wird. Anno 1727. [S. Nr. 102]. b.(Spener, Philipp Jacob:) Abdruck eines Christlichen Bedenckens, so über die Fragen: L Was eine Obrigkeit zu Rettung ihres Gewissens bey ihren Unterthanen, so anderer Religion sind, zu thun habe? — IL Ob in Religions-Sachen 141

einige Gewalt gebraucht, und die Freyheit der Gewissen gekräncket werden dörffte? — III. Ob die in soldien Sachen auffgeriditete Verträge, Zusagungen und Eydsdiwüre verbündlich seyn? — Auß dem heiligen Wort Gottes, der Catholischen Kirdien ältisten Vätern Zeugnüß und gesunden Vernunfft-Gründen an eine hohe Standes-Person . . . [I.Druck anonym Frankfurt 1683]. 4. Noodt, Gerhard: Rede von der Freiheit des Gewissens, wie selbige in dem Natur- und Völcker-Redit, gegründet ist. Nach dem Lateinischen Original in das Teutsche übersetzet. [S. Nr. 99] 5. Lo(ke, John: Sendschreiben von der Toleranz, oder von Religions- und Gewissens-Freyheit. Aus dem Englischen ins Teutsche übersetzt. [Nur der I.Brief; vgl. Nr. 69] 6. Seiz (sie!), Johann Christian: Kurtze und deutliche in natürlich- und göttl. Rechten gegründete Vorstellung von dem Recht und Macht Weltlich- und Christlicher Obrigkeit in Religions- und Kirchen-Dingen, worinnen mit vielen unwidersprechlichen Beweißthümern dargethan wird, welch eine absurde, unvernünfftige ungerechte. Antichristische, allen Fluch Gottes nach sich ziehende Sadie das Zwingen, Straffen und Verfolgen in- und über Religions-Kirchen und GewissensDingen sey? Allen Verfolgern und Verfolgten zur dienlichen Nachricht ans Licht gegeben. 7. Vernünfftige und S0rijflmäßige Untersuchung, wie nöthig und heylsam . . . die Bürgerliche Tolerantz . . . seye. [Genauer Titel s. Nr. 52] Rez.: Fortgesetzte Sammlung von alten und neuen theologischen Sachen, Leipzig 1728, S. 605—608. 1730 113. Franke, Gotthilf August: (Bedenken) Von Duldung des jüdischen Gottesdienstes. 1730. In: Siegm. Jac. Baumgarten, Samlung einiger Bedenken der Theologischen Facultät zu Halle. 1, Halle 1747, S. 3 5 7 - 3 9 4 . 114. Pfajf, Christoph Matthäus: Vom Laster der Ketzermacherey. 1730. Zuerst wohl lateinisch: De crimine haeretificii. Wann? 1731 \\Ъ. Boehmer, Justus Henning: lus ecclesiasticum Protestantium usum hodiernum iuris canonici . . . et ipsis rerum argumentis illustrans. Tom IV. Edilio prima 1731. Editio tertia Halae 1740. Ed. quinta {1—5)·. 1756—1789. Darin: De haereticis. S. 813—1073. — De haeresi et orthodoxia in sensu civili et tolerantia religiosa. S. 1001—1056. 1732 116. P f a f f , Christoph Matthäus, praes., Wolfgang Ludwig Liesching resp.: Commentariolus theologicus ad verba Christi Compelle ad intrandum, sive de tolerandis vel non tolerandis in religione dissentientibus. Tubingae 1732. \\7. Proiéausen, Heinr. Peter, praes.. Franz. S.R.J. von Wieschnik resp.: Tolerantia explicata . . . Vetero-Pragae 1732. 1733 118. Henekel, Johann Salomo: De impietate et atrocitate persecutionum religionis causa. Merseburgi 1733. ΨαΙώ, Johann Georg: Historische und Theologische Einleitung in die ReligionsStreitigkeiten, welche sonderlich ausser der Evangelisch-Lutherischen Kirche entstanden. Jena 1733fr. S . N r . 16.

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1735 119. {Edelmann, Johann Christian:) Unsdiuldige Wahrheiten, Gesprädisweise abgehandelt zwisAen Doxophilo und Philaletha, worinnen von allerhand, theils verfallenen, teils gegenwärtig unterdrückten, theils nodi unbekanten Wahrheiten, nadi Anleitung der Bibel, auf eine freymüthige und aufrichtige Art geredet wird. s. 1. 1735 ff. Darin besonders: I. Unterredung: Von der Gleidigültigkeit der Religionen . . . II. Unterredung: . . . V o n der Gleichgültigkeit der Religionen . . . und von der Toleranz der Meinungen . . . III. Unterredung: . . . Von der Toleranz, von der wahren Christlichen Kirche . . . 1736 Wernsdorf, Gottlieb: Disputationes academicae, dogmatici, exegetici et historici argumenti. 2 Bde. Ed. Christoph Heinrich Zeibidi. Vitembergae 1736/1737. 1737 120. P f a f f , Christoph Matthäus: Dissertatio de Zizaniis non evellendis, sive de tolerantia diversarum religionum. Tubingae 1737. 1738 121. (Sykes, Arthur Ashley:) Die Unschuld des Irrthums, bewiesen und vertheidiget in einem Briefe an Möns. NN. und jetzo nach der dritten . . . Auflage aus der Englischen Sprache in die Deutsdie übersetzet von einem die Wahrheit liebenden Polen. Fraustadt 1738. (ca. 50 S.) Engl.: (A.A.Sykes) The innocency of error, asserted and vindicated; in a letter to —. By Eugenius Philalethes. 2. edition. London 1715. (31 S.) — 3. edition. 1729 (39 S.). Dagegen: 122. Teuber, Christian Andreas: Theologische und vernünftige Anmerkungen über eine dem Christlichen Glauben nachtheilige Schrift, welche kürzlich unter dem Titel die Unschuld des Irrthums an das Licht getreten ist. Wolfenbüttel 1739. 12 + 21 S. 1739 123. Banniza, Johann Peter, praes., Johann Remaclus Löe resp.: Dissertatio . . . de diversarum religionum in eodem territorio tolerantia ac receptione generica et speciali. Wirceburgi 1739. 97 S. Dagegen: IIA. Baiser, Johann Christoph: De libertate religionis brevis disquisitio, qua J. P.Bannizae doctrina de tolerantia diversarum religionum in eodem territorio etc. refellitur. Gießen 1739. 125. Banniza, Johann Peter: Vera religionis libertas, in tritico per Zizania non suffocando, vindicara adversus binos dissertationes, theologicam: de Zizaniis non evellendis, et juridicam: de libertate religionis, Tubingiae et Giessae editas. Wirceburgi 1746. Vgl. Nr. 120. 1740 126. Gundling, Nicolai Hieronymus: Philosophische Discourse oder Academische Vorlesungen über seine viam ad veritatem moralem. Franckfurth und Leipzig 1740. II. Teil S. 407—424 in Cap. 13: De conscientia. Dort ausführliches Referat von John Toland, Discours sur la liberté de penser librement. 143

1741 127. Bayle, Pierre: Verschiedene Gedanken bey Gelegenheit des Cometen, der im Christmonate 1680 erschienen, an einen Doctor der Sorbonne gerichtet. Übers, [von Johann Christoph Faber] u. hrsg. von Johann Christoph Gottsòed. Hamburg 1741. 922 S. Franz.: (Pierre Bayle) Pensées diverses écrites à un docteur de Sorbonne à l'occasion de la comète qui parut au mois de décembre 1680. Rotterdam 1683. 1742 128. Cyprian, Ernst Salomon: Vernünfítige Warnung für dem Irrthum von Gleichgültigkeit derer Gottesdienste, oder Religionen, zur Stärckung der Glaubigen, und Erhaltung gemeiner Ruhe. 1. Aufl. Danzig 1742. — 2. Aufl. Gotha 1744. 157 S. 1744 129. Baumgarten, Siegmund Jacob: Von den so genanten Herrenhutern oder märisdien Brüdergemeinen. In: Oers., Theologisdie Bedencken. Erste Sammlung 2.Stü