Zwischen Todesangst und Lebensmut: Eine systematisch-theologische Studie zur protestantischen Thanatologie im Anschluss an Martin Heidegger 9783161619519, 9783161619526, 316161951X

Konstantin Sacher beschäftigt sich in dieser Studie mit theologischer Thanatologie. Dabei geht es um die Bedeutung des T

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Der Tod lässt niemanden los – Annäherung an das Thema
1.2 Der Tod bricht sich Bahn – Der Verlauf dieses Werkes
2 Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert
2.1 Anna-Maria Herta Klassen: Die theologische Deutung des Todes bei Hirsch
2.2 Die dritte Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie im 20. Jahrhundert (1962 – 2019)
2.2.1 Sibylle Rolf
2.2.2 Henning, Huxel und Hermanni
2.2.2.1 Rudolf-Christian Henning
2.2.2.2 Kirsten Huxel
2.2.2.3 Friedrich Hermanni
2.2.3 Ulrich H. J. Körtner
2.2.4 Wilfried Härle
2.2.5 Werner Thiede
2.2.6 Gisbert Greshake
2.2.7 Erich Schmalenberg
2.2.8 Oscar Cullmann
2.2.9 Ansgar Ahlbrecht
2.3 Die zweite Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie im 20. Jahrhundert (1945 – 1971)
2.3.1 Helmut Thielicke: Tod und Leben. Studien zur christlichen Anthropologie
2.3.1.1 Helmut Thielicke als Thanatologe
2.3.1.2 Thielickes Thanatologie in ihrer Zeitbezogenheit
2.3.1.3 Thielickes Thanatologie und ihr Bezug zu Heidegger
2.3.1.4 Die materiale Durchführung der Thanatologie Thielickes
2.3.1.5 Würdigung der Thanatologie Thielickes
2.3.2 Karl Barth: Der Mensch in seiner Zeit
2.3.2.1 Karl Barth als Thanatologe
2.3.2.2 Karl Barths Thanatologie in ihrer Zeitbezogenheit
2.3.2.3 Karl Barths Thanatologie und ihr Bezug zu Heidegger
2.3.2.4 Die materiale Durchführung der Thanatologie Karl Barths
2.3.2.5 Würdigung der Thanatologie Karl Barths
2.3.3 Wolfhart Pannenberg: Was ist der Mensch?
2.3.3.1 Wolfhart Pannenberg als Thanatologe
2.3.3.2 Wolfhart Pannenbergs Thanatologie in ihrer Zeitbezogenheit
2.3.3.3 Wolfhart Pannenbergs Thanatologie und ihr Bezug zu Heidegger
2.3.3.4 Die materiale Durchführung der Thanatologie Wolfhart Pannenbergs
2.3.3.5 Würdigung der Thanatologie Wolfhart Pannenbergs
2.3.4 Eberhard Jüngel: Tod
2.3.4.1 Eberhard Jüngel als Thanatologe
2.3.4.2 Eberhard Jüngels Thanatologie in ihrer Zeitbezogenheit
2.3.4.3 Eberhard Jüngels Thanatologie und ihr Bezug zu Heidegger
2.3.4.4 Die materiale Durchführung der Thanatologie Eberhard Jüngels
2.3.4.5 Würdigung der Thanatologie Eberhard Jüngels
2.4 Die erste Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie im 20. Jahrhundert (1911 – 1940)
2.4.1 Adolf Schlatters Thanatologie
2.4.1.1 Zur Einordung Adolf Schlatters
2.4.1.2 Adolf Schlatters Biographie und seine Thanatologie
2.4.1.3 Adolf Schlatters Selbstzeugnisse über den Umgang mit dem Tod
2.4.1.4 Adolf Schlatters Thanatologie anhand von ›Das christliche Dogma‹
2.4.1.5 Die bei Adolf Schlatter grundgelegten thanatologischen Wegmarken
2.4.2 Carl Stanges Thanatologie
2.4.2.1 Zur Einordnung des unbekannten Carl Stange
2.4.2.2 Wille und Irrationalität: Zu Carl Stanges Verständnis von Religion
2.4.2.3 Ewigkeit als Qualität des Lebens: Die Kerngedanken der Thanatologie Carl Stanges
2.4.2.4 Carl Stanges Thanatologie: Offenbarungspositivismus und Bewusstseinstheologie
2.4.3 Paul Althausens Thanatologie
2.4.3.1 Paul Althaus als Thanatologe
2.4.3.2 Thanatologie als maßgeblicher Teil einer axiologischen Eschatologie des Glaubens
2.4.3.3 Paul Althausens Konzept einer Theologie des Glaubens
2.4.3.4 Axiologische und teleologische Eschatologie
2.4.3.5 Thanatologie als Frage nach dem Sinn des Todes
2.4.3.6 Thanatologie als befindlich-verstehend vorgeprägte Sinnfrage
2.4.4 Werner Elerts Thanatologie
2.4.4.1 Werner Elert als Thanatologe
2.4.4.2 Werner Elerts Deutung von Spenglers ›Untergang des Abendlandes‹
2.4.4.3 Werner Elert in der Tradition der Erlanger Erfahrungstheologie
2.4.4.4 Der Tod in Werner Elerts ›Morphologie des Luthertums‹
2.4.4.5 Der Tod in Werner Elerts ›Der christliche Glaube‹
2.4.4.6 Zusammenfassung Werner Elert
2.5 Die thanatologische Diskussion in der protestantischen Theologie
3 Martin Heideggers Thanatologie und ihr Beitrag für eine gegenwärtige theologische Auslegung des Todes
3.1 Die Thanatologie des Thanatologen – Martin Heidegger und der Tod
3.1.1 Der Tod des 20-Jährigen – Allerseelenstimmung
3.1.2 Heideggers Herzschmerzen und die dunklen Gedichte
3.1.3 Der Tod ist etwas anderes als das Reden über den Tod
3.1.4 Der Tod als Thema der Zeit
3.1.4.1 Die Sonne geht auf, ob lebst oder nicht – Hemingway und der Tod
3.1.4.2 Tödlicher Tanz – der Stierkampf als praktische Thanatologie
3.2 Martin Heidegger und die Theologie
3.2.1 Heidegger und die protestantische Theologie
3.2.2 Heideggers »theologische Jugendschrift« – der Natorp-Bericht
3.2.2.1 Das Vortheoretische als Ausgangspunkt der Philosophie
3.2.2.2 Die Frage nach der Religion
3.2.3 ›Das Problem der Sünde bei Luther‹ – Heideggers Referat in Bultmanns Seminar
3.2.4 Der ›Begriff der Zeit‹ – Vortrag vor der Marburger Theologenschaft
3.2.5 Heideggers Dilthey-Vorträge aus dem Jahr 1925
3.3 ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie
3.3.1 Einleitung – Die Grundideen von Heideggers Hauptwerk
3.3.1.1 Zu den §§ 1 – 13
3.3.1.2 Zu den §§ 14 – 24
3.3.1.3 Zu den §§ 25 – 27
3.3.1.4 Zu den §§ 28 – 38
3.3.1.5 Zu den §§ 39 – 44
3.3.1.6 Zu dem § 45
3.3.1.7 Zu den §§ 46 – 53
3.3.1.8 Zu den §§ 54 – 60
3.3.1.9 Zu den §§ 61 – 66
3.3.1.10 Zu den §§ 67 – 71
3.3.1.11 Zu den §§ 72 – 77
3.3.1.12 Zu den §§ 78 – 83
3.3.1.13 Zu Thomas Rentschs theologischer Lesart von Sein und Zeit
3.3.2 Der Mensch als »Sein zum Ende« – die Hermeneutik von ›Sein und Zeit‹
3.3.2.1 Deutung als Auslegung des befindlichen-Verstehens
3.3.2.2 Befindlichkeit und Tod
3.3.2.3 Verstehen und Tod
3.3.2.4 Daseinshermeneutik als Beitrag zur Thanatologie
3.3.2.5 Daseinshermeneutik und Literatur
3.3.3 Und mitten im Leben der Tod – die Todesanalyse aus ›Sein und Zeit‹
3.3.3.1 Der Tod und seine Bestimmungen
3.3.3.2 Der Tod und die Angst
3.3.3.3 Der Tod und der Mut
3.3.3.4 Der Tod und das Gewissen
3.3.3.5 Der Tod und die Geschichtlichkeit
3.3.4 Sinn, Befindlichkeit, Geschichte und Tod
3.4 Von der Entschlossenheit zum Mut zum Sein
3.4.1 Einführung zu ›Der Mut zum Sein‹
3.4.2 Die Form von ›Der Mut zum Sein‹
3.4.3 ›Der Mut zum Sein‹ als Buch über den Tod
3.4.4 Thanatologische Problemkreise zwischen ›Mut zum Sein‹ und ›Sein und Zeit‹
3.4.4.1 Mut und Angst als Alltagsphänomen und Grundstimmung
3.4.4.2 Die religiöse Seite des Muts
3.5 Die Lösungsversuche der Todesfrage in ›Der Mut zum Sein‹ und ›Sein und Zeit‹
4 Schlussgedanken: Das Trotzdem des Lebens
4.1 Thanatologie und Selbstverhältnis
4.2 Der innere Aufbau des Selbstverhältnisses
4.3 Thanatologische Gegenstandswelten im Lichte des religiösen Selbstverhältnisses
4.3.1 Die Regulierungsfähigkeit der Stimmungswelten
4.3.2 Alte Symbole
4.3.3 Neue Geschichten
4.4 Tod und Sinn
Literaturverzeichnis
Namensregister
Sachregister
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Zwischen Todesangst und Lebensmut: Eine systematisch-theologische Studie zur protestantischen Thanatologie im Anschluss an Martin Heidegger
 9783161619519, 9783161619526, 316161951X

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Dogmatik in der Moderne herausgegeben von

Christian Danz, Jörg Dierken, Hans-Peter Großhans und Friederike Nüssel

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Konstantin Sacher

Zwischen Todesangst und Lebensmut Eine systematisch-theologische Studie zur protestantischen Thanatologie im Anschluss an Martin Hei­deg­ger

Mohr Siebeck

Konstantin Sacher, geboren 1984; wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an den Universitäten Gießen und Leipzig; Post-Doc an der Universität zu Köln; 2021 Promotion; theologischer Redakteur des evangelischen Magazins chrismon.

Gedruckt mit Unterstützung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, der Evangelischen Kirchen in Hessen und Nassau, der Evangelischen Kirche im Rheinland und dem Ökumenischen Institut der Universität Bonn. Von der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig angenommene Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doctor Theologiae. ISBN 978‑3‑16‑161951‑9 / eISBN 978‑3‑16‑161952‑6 DOI  10.1628 / 978‑3‑16‑161952‑6 ISSN 1869‑3962 / eISSN 2569‑3913 (Dogmatik in der Moderne) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über https://dnb.de abrufbar. © 2023  Mohr Siebeck Tübingen.  www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Gomaringen aus der Minion gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Das vorliegende Buch ist die geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2021 unter dem Titel Angst und Mut. Eine systematischtheologische Studie zur protestantischen Thanatologie im Anschluss an Martin Hei­ deg­ger von der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig angenommen wurde. Ganz besonders möchte ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Roderich Barth danken. Seine Förderung übersteigt den Rahmen dieser Arbeit bei weitem. Der Begriff Doktorvater ist ja etwas veraltet und kann durchaus komisch anmuten. Es gibt jedoch auch Konstellationen, die eindrücklich zeigen, warum Promotions-Betreuer oder ähnliche Formulierungen kein guter Ersatz wären. Herr Barth hat mir die Möglichkeit gegeben, als sein Assistent über Jahre hinweg in gesicherter Stellung an einem von mir selbst gewählten Thema frei und selbstbestimmt zu arbeiten. Die Arbeitsbedingungen waren dabei so gut, dass es mir mitunter peinlich war, den Kollegen und Kolleginnen davon zu berichten. Also vertrauensvoll gewährter kreativer Freiraum auf der einen Seite, aber auch intensive Förderung und Betreuung durch die regelmäßig standfindenden Doktorandenkolloquien auf der anderen Seite. Es ist für mich bis heute eines der Highlights des immer voller werdenden beruflichen Kalenders, an diesen Runden teilzunehmen und dabei zu diskutieren, sich auszuprobieren, aber auch einfach immer noch von ihm zu lernen. Er hat mich nicht nur, aber besonders immer wieder durch seine bewundernswerte Gabe beeindruckt, philosophisch wie theologisch hochkomplexe Fragestellungen jeder Art nach kurzer Denkpause völlig aus dem Gedächtnis in einen historischen wie systematischen Rahmen zu stellen, die entsprechenden Referenztexte zu referieren und dabei deutlich zu machen, wo und auf welche Weise hier weitergearbeitet werden könnte. Und damit immer noch nicht genug: Auch über diesen beruflichen Rahmen hinaus ist mir Herr Barth persönlich ans Herz gewachsen und es ist mir eine Ehre und Freude ihm an dieser Stelle ganz offiziell und öffentlich für all das aus der Tiefe desselben Herzens zu danken. Ich danke außerdem dem Kreis des schon angesprochenen Doktorandenkolloquiums, namentlich besonders Johannes Müller, Simon Sinning, Johannes Schneider, Margitta Dümmler, Alisia Groicher und Matthis Glatzel. Für ihre Hilfe bei den Korrekturen und ihren klugen Rat danke ich PD Dr. Georg Neugebauer und PD Dr. Martin Fritz. Ich danke außerdem meinen Leipziger Kollegen und Freunden Dr. Ferenc Herzig und Anne Herzig für die vielfältig gewährte Unterstützung in meiner Zeit an der dortigen Fakultät. Prof. Dr. Folkart Wittekind danke ich ganz besonders. Ich habe zwar erst nach der Fertigstellung meiner Dissertation begonnen als sein Assistent an der Universität zu Köln zu arbeiten, aber diese Zeit der Zusammen-

VI

Vorwort

arbeit hat mich theologisch intensiv geprägt. Sein Vertrauen in mich, seine Bereitschaft zur Förderung und seine freundliche und offene Art haben mich beeindruckt und dankbar gemacht. Ich danke Prof. Dr. Rochus Leonhardt für die Erstellung des Zweitgutachtens. Prof. Dr. Christian Danz, Prof. Dr. Jörg Dierken, Prof. Dr. Hans-Peter Großhans und Prof. Dr. Friederike Nüssel danke ich für die Aufnahme in die Reihe Dogmatik in der Moderne. Dem Verlag Mohr Siebeck danke ich für die verlegerische Betreuung. Der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, der Evangelischen Kirchen in Hessen und Nassau, der Evangelischen Kirche im Rheinland und dem Ökumenischen Institut der Universität Bonn danke ich herzlich für die Druckkostenzuschüsse. Schließlich danke ich noch meiner Familie. Alle, wirklich alle (meine Frau und meine Kinder, Eltern und Schwiegereltern, Bruder und Schwager) haben mich unterstützt und freundlicherweise niemals in Frage gestellt, dass ich so viele Stunden, Tage, Monate, ja tatsächlich Jahre meines Lebens mit der Erarbeitung eines nicht besonders leserfreundlichen Buches über den Tod verbracht habe. Danke! Kronberg im Taunus, November 2022

Konstantin Sacher

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

1.1 Der Tod lässt niemanden los – Annäherung an das Thema . . . . . . . . . . 1.2 Der Tod bricht sich Bahn – Der Verlauf dieses Werkes . . . . . . . . . . . . . .

1 4

2 Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert . . . . . .

15

2.1 Anna-Maria Herta Klassen: Die theologische Deutung des Todes bei Hirsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.2 Die dritte Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie im 20. Jahrhundert (1962 – 2019) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Sibylle Rolf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Henning, Huxel und Hermanni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.1 Rudolf-Christian Henning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.2 Kirsten Huxel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.3 Friedrich Hermanni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Ulrich H. J. Körtner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Wilfried Härle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Werner Thiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6 Gisbert Greshake . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.7 Erich Schmalenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.8 Oscar Cullmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.9 Ansgar Ahlbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22 23 25 26 28 31 34 38 41 43 46 48 50

2.3 Die zweite Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie im 20. Jahrhundert (1945 – 1971) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Helmut Thielicke: Tod und Leben. Studien zur christlichen Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.1 Helmut Thielicke als Thanatologe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.2 Thielickes Thanatologie in ihrer Zeitbezogenheit . . . . . . . 2.3.1.3 Thielickes Thanatologie und ihr Bezug zu Hei­deg­ger . . . 2.3.1.4 Die materiale Durchführung der Thanatologie Thielickes 2.3.1.5 Würdigung der Thanatologie Thielickes . . . . . . . . . . . . . . .

52 53 53 56 57 59 62

VIII

Inhaltsverzeichnis

2.3.2 Karl Barth: Der Mensch in seiner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.1 Karl Barth als Thanatologe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.2 Karl Barths Thanatologie in ihrer Zeitbezogenheit . . . . . . 2.3.2.3 Karl Barths Thanatologie und ihr Bezug zu Hei­deg­ger . . 2.3.2.4 Die materiale Durchführung der Thanatologie Karl Barths 2.3.2.5 Würdigung der Thanatologie Karl Barths . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Wolfhart Pannenberg: Was ist der Mensch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.1 Wolfhart Pannenberg als Thanatologe . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.2 Wolfhart Pannenbergs Thanatologie in ihrer Zeitbezogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.3 Wolfhart Pannenbergs Thanatologie und ihr Bezug zu Hei­deg­ger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.4 Die materiale Durchführung der Thanatologie Wolfhart Pannenbergs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.5 Würdigung der Thanatologie Wolfhart Pannenbergs . . . . 2.3.4 Eberhard Jüngel: Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4.1 Eberhard Jüngel als Thanatologe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4.2 Eberhard Jüngels Thanatologie in ihrer Zeitbezogenheit . 2.3.4.3 Eberhard Jüngels Thanatologie und ihr Bezug zu Heidegger 2.3.4.4 Die materiale Durchführung der Thanatologie Eberhard Jüngels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4.5 Würdigung der Thanatologie Eberhard Jüngels . . . . . . . . 2.4 Die erste Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie im 20. Jahrhundert (1911 – 1940) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Adolf Schlatters Thanatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1.1 Zur Einordung Adolf Schlatters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1.2 Adolf Schlatters Biographie und seine Thanatologie . . . . 2.4.1.3 Adolf Schlatters Selbstzeugnisse über den Umgang mit dem Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1.4 Adolf Schlatters Thanatologie anhand von ›Das christliche Dogma‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1.5 Die bei Adolf Schlatter grundgelegten thanatologischen Wegmarken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Carl Stanges Thanatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2.1 Zur Einordnung des unbekannten Carl Stange . . . . . . . . . 2.4.2.2 Wille und Irrationalität: Zu Carl Stanges Verständnis von Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2.3 Ewigkeit als Qualität des Lebens: Die Kerngedanken der Thanatologie Carl Stanges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2.4 Carl Stanges Thanatologie: Offenbarungspositivismus und Bewusstseinstheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63 64 67 68 70 72 73 75 77 78 80 86 87 88 90 91 94 99 100 101 102 105 106 107 114 116 117 120 125 128

Inhaltsverzeichnis

IX

2.4.3 Paul Althausens Thanatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3.1 Paul Althaus als Thanatologe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3.2 Thanatologie als maßgeblicher Teil einer axiologischen Eschatologie des Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3.3 Paul Althausens Konzept einer Theologie des Glaubens . . 2.4.3.4 Axiologische und teleologische Eschatologie . . . . . . . . . . 2.4.3.5 Thanatologie als Frage nach dem Sinn des Todes . . . . . . . 2.4.3.6 Thanatologie als befindlich-verstehend vorgeprägte Sinnfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Werner Elerts Thanatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4.1 Werner Elert als Thanatologe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4.2 Werner Elerts Deutung von Spenglers ›Untergang des Abendlandes‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4.3 Werner Elert in der Tradition der Erlanger Erfahrungstheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4.4 Der Tod in Werner Elerts ›Morphologie des Luthertums‹ 2.4.4.5 Der Tod in Werner Elerts ›Der christliche Glaube‹ . . . . . 2.4.4.6 Zusammenfassung Werner Elert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

130 131 133 134 137 140 143 144 146 150 152 154 156 161

2.5 Die thanatologische Diskussion in der protestantischen Theologie . . . . 163

3 Martin Hei­deg­gers Thanatologie und ihr Beitrag für eine gegenwärtige theologische Auslegung des Todes . . . . . . . . . . 169 3.1 Die Thanatologie des Thanatologen – Martin Hei­deg­ger und der Tod . 3.1.1 Der Tod des 20‑Jährigen – Allerseelenstimmung . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Hei­deg­gers Herzschmerzen und die dunklen Gedichte . . . . . . . . 3.1.3 Der Tod ist etwas anderes als das Reden über den Tod . . . . . . . . . 3.1.4 Der Tod als Thema der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4.1 Die Sonne geht auf, ob lebst oder nicht – Hemingway und der Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4.2 Tödlicher Tanz – der Stierkampf als praktische Thanatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Martin Hei­deg­ger und die Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Hei­deg­ger und die protestantische Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Hei­deg­gers »theologische Jugendschrift« – der Natorp-Bericht . . 3.2.2.1 Das Vortheoretische als Ausgangspunkt der Philosophie . 3.2.2.2 Die Frage nach der Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 ›Das Problem der Sünde bei Luther‹ – Hei­deg­gers Referat in Bultmanns Seminar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Der ›Begriff der Zeit‹ – Vortrag vor der Marburger Theologenschaft 3.2.5 Hei­deg­gers Dilthey-Vorträge aus dem Jahr 1925 . . . . . . . . . . . . . .

172 175 178 184 186 187 191 194 196 200 201 206 210 213 217

X

Inhaltsverzeichnis

3.3 ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Einleitung – Die Grundideen von Hei­deg­gers Hauptwerk . . . . . . 3.3.1.1 Zu den §§  1 – 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.2 Zu den §§  14 – 24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.3 Zu den §§  25 – 27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.4 Zu den §§  28 – 38 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.5 Zu den §§  39 – 44 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.6 Zu dem § 45 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.7 Zu den §§  46 – 53 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.8 Zu den §§  54 – 60 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.9 Zu den §§  61 – 66 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.10  Zu den §§  67 – 71 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.11  Zu den §§  72 – 77 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.12  Zu den §§  78 – 83 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.13  Zu Thomas Rentschs theologischer Lesart   von Sein und Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Der Mensch als »Sein zum Ende« – die Hermeneutik von ›Sein und Zeit‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.1 Deutung als Auslegung des befindlichen-Verstehens . . . . 3.3.2.2 Befindlichkeit und Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.3 Verstehen und Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.4 Daseinshermeneutik als Beitrag zur Thanatologie . . . . . . 3.3.2.5 Daseinshermeneutik und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Und mitten im Leben der Tod – die Todesanalyse aus ›Sein und Zeit‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.1 Der Tod und seine Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.2 Der Tod und die Angst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.3 Der Tod und der Mut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.4 Der Tod und das Gewissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.5 Der Tod und die Geschichtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Sinn, Befindlichkeit, Geschichte und Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Von der Entschlossenheit zum Mut zum Sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Einführung zu ›Der Mut zum Sein‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Die Form von ›Der Mut zum Sein‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 ›Der Mut zum Sein‹ als Buch über den Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 Thanatologische Problemkreise zwischen ›Mut zum Sein‹ und ›Sein und Zeit‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4.1 Mut und Angst als Alltagsphänomen und Grundstimmung 3.4.4.2 Die religiöse Seite des Muts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

224 226 227 227 228 229 231 233 235 236 238 239 240 241 242 247 247 250 253 255 257 259 260 269 271 273 275 278 280 283 285 291 301 301 306

3.5 Die Lösungsversuche der Todesfrage in ›Der Mut zum Sein‹ und ›Sein und Zeit‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

Inhaltsverzeichnis

XI

4 Schlussgedanken: Das Trotzdem des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 4.1 Thanatologie und Selbstverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 4.2 Der innere Aufbau des Selbstverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 4.3 Thanatologische Gegenstandswelten im Lichte des religiösen Selbstverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Die Regulierungsfähigkeit der Stimmungswelten . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Alte Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Neue Geschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

324 324 328 332

4.4 Tod und Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

1 Einleitung 1.1  Der Tod lässt niemanden los – Annäherung an das Thema »Ich muss gar nichts«, sagte das Kind zum Vater. Er dachte, doch, mein Kind, das musst du, aber er sagte es nicht. Stattdessen sagte er: »Ja, du hast Recht. Es gibt aber vernünftige Gründe, trotzdem zu tun, um was ich dich bitte.« Es ist nicht schwer, die allumfassende Bedeutung des Themas dieser Untersu­ chung deutlich zu machen. Und sollten wir diese Bedeutung doch einmal für eine gewisse Zeit vergessen, werden wir allenthalben wieder daran erinnert: durch die Nachrichten über das Weltgeschehen genauso so, wie durch Nachrichten aus unserer näheren Umgebung, durch den hohen Geburtstag der eigenen Eltern, wie durch die ersten eigenen grauen Haare, durch das kräftige Streben nach dem Älterwerden bei den Kindern und nicht zuletzt durch eine weltweite Pandemie, die unser aller Leben umkrempelt. Von der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig ließ sich bis zu ihrem Umzug im Oktober 2020 auf das Neue Rathaus der Stadt blicken. Dort befindet sich eine große, blaue Uhr mit goldenen römischen Ziffern. Flankiert wird diese Uhr von vier Worten: »Mors certa, hora incerta«. Auch hier werden wir wieder erinnert. Als bedürfte es einer solchen Erinnerung. Dabei wissen wir doch alle: Nichts ist so gewiss wie der kommende Tod. Eine Aussage, die alle anderen möglichen Aussagen wohl an Wahrheitskraft übertrifft. Doch trotzdem wir es wissen, wissen wir wenig damit anzufangen. Was bedeutet diese Aussage? Abstrakt gesprochen: das Ende unseres Lebens. Doch was bedeutet nun das wiederum? Dass wir einmal nicht mehr sein werden? Ja, nur wie lässt sich das vorstellen? Gar nicht, lautet die enttäuschende Antwort. Es gibt aber vernünftige Gründe, trotzdem darüber nachzudenken. Systematische Theologie als Reflexionswissenschaft der christlichen Religion ist dabei ein durchaus berechtigter Ort für ein solches Nachdenken. Nicht nur, weil Religion und damit eben auch Theologie schon immer Bezug auf den Tod genom­ men hat; nein, auch, weil der Tod aus der Beobachterperspektive der Lebenden immer etwas im Bereich des Unbedingten, also des Bereichs unserer Erfahrung ist, von dem wir eigentlich gar nicht sagen, dass wir ihn wirklich erfahren. Das verweist uns direkt ins Religiöse. Und schließlich verbindet sich mit dem Nachdenken über den Tod immer mehr als nur die Frage nach dem Tod an sich. Vielmehr, wenn es um den Tod geht, sei es im individuellen, persönlichen Nachdenken oder eben in Form eines diskursiven, wissenschaftlichen Nachdenkens, geht es um alles oder nichts. Kann alles einen Sinn haben, wenn es im Nichts des Todes versinken wird? Oder hat

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1 Einleitung

nichts einen Sinn, weil der Tod alles verschluckt? Ist das Nichts der Sinn von allem? Oder ist alles der Sinn von Nichts? Diese Grundfragen des menschlichen Nachden­ kens werde ich in dieser Arbeit selbstredend nicht beantworten. Sie stehen jedoch im Hintergrund der Frage nach dem Tod. Und diese allumfassenden Sinnfragen1 verweisen eben wiederum in den Bereich der Theologie.2 Es taucht hier bereits ein Zusammenhang auf, der uns im Laufe der Arbeit immer wieder beschäftigen wird: der Zusammenhang von Tod und Sinn (vgl. bes. 4.4). Religion, mit Ulrich Barth, verstanden als Sinndeutung im Horizont der Unbe­ dingtheitsdimension des Lebens,3 ist der genuine Ort von Todesdeutungen. Es lässt sich also auf der Ebene der Theorie festhalten, dass jede Todesdeutung etwas Reli­ giö­ses hat.4 Das sollte jedoch nicht zu einer Vereinnahmung von sich dezidiert nicht religiös verstehenden Positionen führen. Wir können so jedoch sich religiös verste­ hendes und nicht religiöses Nachdenken über den Tod in einen Bezug zu einander setzen. Die Todesdeutung richtet sich in beiden Fällen auf etwas jenseits unserer Erfahrung. Der Tod, so heißt es in der theologischen Thanatologie oftmals, ist und bleibt ein Geheimnis. Doch kann es sich die Systematische Theologie erlauben, das Weiterdenken einzustellen, weil sie auf ein Geheimnis gestoßen ist? Wohl eher nicht. Vielmehr weckt etwas Geheimnisvolles den Forschungsdrang. Gleichzeitig stellt sich die Frage: Wie soll man sich dem Geheimnis des Todes nähern? 1   Christian Thies hat diesen Begriff geprägt. Vgl. Ders. / B. Gotthold, Denn jeder sucht sein All. Vom Sinn des Lebens, 2003; und besonders: Ders., Der Sinn der Sinnfrage. Metaphysische Reflexionen auf kantianischer Grundlage, 2008. 2   Das gilt aber natürlich auch für die Philosophie. Es gibt eine durchaus lebendige Debatte zur Philosophie des Todes. Vgl. dazu besonders die Publikationen von Héctor Wittwer und die sich darin befindenden Literaturhinweise. H. Wittwer, Philosophie des Todes, 2009 und Ders. (Hg.), Der Tod. Philosophische Texte von der Antike bis zur Gegenwart, 2014. Etwas älter, aber als Über­ blick auch gut geeignet ist: H. Ebeling (Hg.), Der Tod in der Moderne, 31992. Wiederum neuer, aber dafür mit kulturkritischer Schlagseite ist P. Gehring, Theorien des Todes, 2010. Am aktuells­ ten, aber um die existenzielle Tiefe des Themas herumredend ist D. Birnbacher, Tod, 2017. Für den Zusammenhang von Sinn und Tod interessant ist besonders das wiederum schon etwas in die Jahre gekommene Buch G. Scherer, Sinnerfahrung und Unsterblichkeit, 1985. 3   Die Religionstheorie von Ulrich Barth steht hier von Anfang an im Hintergrund. Zunächst scheint diese Übernahme noch unbegründet, ich hoffe jedoch im Laufe der Arbeit zeigen zu kön­ nen, dass das nicht der Fall ist. Vgl. die entscheidenden Aufsätze Ders., Was ist Religion? Sinn­ deutung zwischen Erfahrung und Letztbegründung, in: Ders., Religion in der Moderne, 2003, 3 – 27 sowie Ders., Theoriedimensionen des Religionsbegriffs. Die Binnenrelevanz der sogenannten Außenperspektiven, in: Ders., Religion in der Moderne, 2003, 29 – 87. 4   Dieser Zusammenhang lässt sich bspw. zeigen anhand des immer wieder vorkommenden Phä­ nomens eines sog. religiösen Atheismus, wie ihn u. a. Christian Thies vertritt. Aber auch Volker Ger­ hardts Philosophie der letzten Jahre ist zunehmend religiös und bleibt dennoch Philosophie. Und dass evangelische Theologie der letzten 200 Jahre nicht unbedingt immer theistisch (im Gegensatz zum Atheismus) ist, ist auch keine Neuigkeit. Vgl. u. a. C. Thies, Das gebrochene Glück des huma­ nistischen Skeptikers, in: S. Herzberg / H. Watzka (Hg.), Tranzendenzlos glücklich? Zur Entkoppe­ lung von Ethik und Religion in der postchristlichen Gesellschaft, 2016, 127 – 52 und V. Gerhardt, Der Sinn des Sinns: Versuch über das Göttliche, 32015. Dazu nun R. Barth / R. Leonhardt (Hg.), Die Vernunft des Glaubens. Theologische Beiträge zu Volker Gerhardts Philosophie des Göttlichen, 2020.

1.1  Der Tod lässt niemanden los – Annäherung an das Thema

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Es gebietet zum einen der große Respekt vor den Denkerinnen und Denkern, die vor einem selbst an diesem großen Thema gearbeitet haben, und zum anderen das Bewusstsein um die Historizität des eigenen Denkens, dass zunächst nach deren Erkenntnissen gefragt wird. So wird man zunächst auf die dogmatischen Loci, die im Zusammenhang mit dem Tod stehen, gestoßen. Auf »vom Tod« folgt »vom Ende der Welt«, »von der Auferstehung«, »vom Gericht«, »von der Hölle« und schließlich »vom ewigen Leben«. Auch wenn innerhalb eines solchen dogmatischen Locus viel Richtiges und Interessantes gesagt werden kann, regt sich auch ein unmittelbarer, unbedingter Widerstand dagegen, den Tod hier einfach einzureihen. Denn auch wenn das Kind gesagt hat, dass es gar nichts müsse, wissen wir doch, dass es neben der einen Sache, die wir alle schon mussten, nämlich auf die Welt kommen, nur noch eine einzige weitere Sache gibt, die wir alle müssen werden: diese Welt wieder verlassen. Der Tod, der den Zeitpunkt dieses Verlassens markiert, ist für das menschliche Leben dermaßen bedeutend, dass er sich einem solchen klassisch-dogmatischen Zugang versperrt. Das gilt besonders, weil in einem dogmatischen System zu viele andere Variablen im Spiel sind, die einen freien Blick auf den Tod versperren bzw. es nicht möglich machen, diesem Thema seine ihm gebührende Aufmerksamkeit zu widmen. Vielmehr, und das klang bereits an, scheint es lohnenswert, nach genau dem zu fragen, was einen solchen klassischen Zugang zum Tod spröde macht: die Art und Weise wie er das menschliche Leben bestimmt. Denn zu behaupten, dass er das in außerordentlichem Sinne tut, ist recht leicht und es ist nicht zu erwarten, dass man sich so viel Widerspruch einhandelt. Jedoch zu untersuchen, in welcher Weise der Tod auf das menschliche Leben einwirkt, ist etwas anderes und eine höchst kom­ plexe Frage – schon alleine deswegen, weil sie uns direkt ins Herz der Anthropologie führt. Wie, auf welcher Ebene, sowohl begrifflich als auch phänomenal, lässt sich denn überhaupt darüber sprechen, dass etwas das Menschsein bestimmt, auf die Art und Weise des Lebens einwirkt? Eine solche Frage ist schon dann schwer zu bear­ beiten, wenn es sich bei dem fraglichen Phänomen um einen Erfahrungsgegenstand unserer Lebenswirklichkeit handelt. Doch genau das ist der Tod ja nicht. Wir kön­ nen ihn, zumindest als den eigenen Tod, nicht erfahren wie wir bspw. die Liebe eines anderen Menschen erfahren können. Mit den genannten Punkten sind die Problemhorizonte dieser Arbeit aufgezeigt. Es soll der Tod als Phänomen des religiösen Lebens in den Blick genommen werden. Dabei kann nicht einfach auf den Setzkasten der Dogmatik zurückgegriffen werden. Dagegen soll nach der anthropologisch-strukturellen Verankerung des Todes im religiösen Selbst gefragt werden. Dennoch will ich nicht einfach auf die vielschich­ tigen und oftmals sehr klugen Überlegungen aus den Dogmatiken verzichten, viel­ mehr werde ich den hier gewählten Zugang zu diesen ins Verhältnis setzen. So teilt sich diese Arbeit in zwei große Teile. Zunächst wird in einem theologie­ geschichtlichen Teil der Versuch unternommen, die thanatologische Debatte inner­ halb der protestantischen Theologie im 20. Jahrhundert zu sortieren und in Form

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1 Einleitung

eines Schemas aus drei thanatologischen Wellen darzustellen (2.). Anschließend wende ich mich dem Denken Martin Hei­deg­gers zu und versuche anhand seiner hochkomplexen und, wie sich zeigen wird, sehr religionsaffinen Anthropologie die strukturelle Bedeutung des Todes für das religiöse Leben aufzudecken (3.1 – 3.3). Schließlich werde ich das mit Hei­deg­gers Denken Erarbeitete in Beziehung zu den thanatologischen Gedanken Paul Tillichs aus ›Der Mut zum Sein‹ setzen (3.4 – 3.5) und so bereits zu den Schlussgedanken überleiten, die den Versuch darstellen, den Ertrag dieser Studie nicht nur zusammenzufassen, sondern ihn auch in Bezug auf den lebensweltlichen Ort protestantischer Thanatologie hin zuzuspitzen (4.). Doch zunächst werde ich den Verlauf dieser Arbeit noch ein wenig detaillierter darstellen.

1.2  Der Tod bricht sich Bahn – der Verlauf dieses Werkes Es lässt sich eine Wellenbewegung in der theologischen Beschäftigung mit dem Tod beobachten.5 Während der Tod zu Beginn des 20. Jahrhunderts meistens als ein Unterabschnitt innerhalb der Eschatologie verhandelt wurde und durch die ver­ mehrte Beschäftigung mit dieser spätestens nach dem Ersten Weltkrieg (vgl. als Bei­ spiel für den Bedeutungszuwachs der Eschatologie Karls Barths berühmtes Diktum aus seinem ›Römerbrief‹: »Christentum, das nicht ganz und gar und restlos Escha­ tologie ist, hat mit Christus ganz und gar und restlos nichts zu tun.«6) und natürlich durch die zeitgeschichtlichen Ereignisse so ebenfalls vermehrt in den Blick kam,7 gab es nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1960er Jahre eine Phase, in der es vereinzelt zu monographischen Einzelstudien zum Tod kam und der Tod außerdem im Hintergrund wichtiger Beiträge stand, die sich vordergründig gar nicht mit dem Tod befassten. Gleichzeitig erschienen zu dieser Zeit auch die ersten Metaveröffent­ lichungen zum Thema. Unter Metaveröffentlichung verstehe ich Publikationen, die zunächst aus der Beobachterperspektive auf das Thema blicken. Sie entwickeln dann aber keinen eigenen Standpunkt, sondern versuchen einen bestimmten Strang, der von ihnen in der Debatte ausgemacht wurde, stark zu machen. Diese Tendenz zu Metaveröffentlichungen setzte sich dann spätestens seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts durch. Seitdem war der Tod meist Thema von theologiegeschicht­ lich arbeitenden systematisch-theologischen Aufsätzen und Essays und weniger von 5

  Dass es sich bei der hier vorgestellten Theologiegeschichte um eine Auswahl handelt, ist selbst­ verständlich. Ich hoffe im Laufe der Arbeit jedoch deutlich machen zu können, dass es eine begrün­ dete Auswahl ist. Vgl. für eine Debattenbeschreibung, die deutlich kürzer ist, manches ähnlich sieht und anderes verschieden: A.‑M. H. Klassen, Die theologische Deutung des Todes bei Emanuel Hirsch, 2018, 1 – 25. 6   K. Barth, Der Römerbrief, 21922, 256. 7   Vgl. für die Beschreibung dieses Neubeginns: H.‑J. Birkner, Eschatologie und Erfahrung, in: H. Gerdes (Hg.), Wahrheit und Glaube. Festschrift für Emanuel Hirsch zu seinem 75. Geburtstag, 1963, 31 – 41.

1.2  Der Tod bricht sich Bahn – der Verlauf dieses Werkes

5

ganzen Studien (eine Ausnahme bilden lediglich ethische Studien zu Fragen der Sterbehilfe und anderen dieser Frage nahestehenden Debatten). Abgesehen davon hatte der Tod natürlich auch weiterhin seinen festen Platz in allen neu erscheinen­ den dogmatischen Entwürfen. Von diesen ging allerdings, vielleicht mit Ausnahme der Dogmatik von Härle (vgl. 2.2.4), kein messbarer Einfluss auf die thanatologische Spezialdebatte aus: Auf sie wird so gut wie nie verwiesen und sie werden schon gar nicht ausführlich diskutiert. Zusätzlich zu dieser eher formalen Beschreibung der theologischen Beschäfti­ gung mit dem Tod lässt sich systematisch Folgendes sagen: Dadurch, dass der Tod zu Beginn des 20. Jahrhunderts meist innerhalb von systematisch-theologischen bzw. eschatologischen Gesamtentwürfen verhandelt wurde, stand seine theologische Beschreibung stets unter dem Einfluss des jeweiligen Gesamtkonzeptes. Was sich trivial anhört, ist nicht ganz so trivial, wenn man sich die Meta-Diskussion ab den sechziger Jahren ansieht. Hier wird der Tod nämlich fast ausschließlich unter den zwei Schlagworten Unsterblichkeit der Seele oder Ganztod (Alternativ: Unsterblich­ keit der Seele oder Auferstehung der Toten) verhandelt und alle vorhandenen Posi­ tionen hier eingeordnet. Das führt dazu, dass die theologische Tiefe der einzelnen Untersuchungen gar nicht mehr wahrgenommen wird. Anders ausgedrückt: Schaut man sich die theologiegeschichtlichen Arbeiten zur Thanatologie des 20. Jahrhun­ derts an, kann man den Eindruck gewinnen, all die hochkomplexen eschatologi­ schen bzw. systematischen Gesamtentwürfe, in denen der Tod natürlicherweise Thema war, hätten ausschließlich eine Debatte um diese zwei Schlagworte geführt. Tatsächlich ist es jedoch so, dass es zu dem, was später unter diese beiden Schlag­ worte subsumiert wurde, erst gekommen ist, weil die theologische Gesamtkonzep­ tion der jeweiligen Autoren systematisch dazu führen musste. Dabei ist es jedoch mitnichten die Pointe der Beschäftigung mit dem Tod etwa bei Adolf Schlatter, um nur ein Beispiel von ganz zu Beginn der hier zunächst in den Blick genommenen Zeit zu nennen, dass der Mensch im Tod ganz tot ist. Dennoch fehlt sein Name in den wenigsten Listen, die Vertreter der sogenannten Ganztodtheorie aufzählen. Was dazu führt, dass auch nichts weiter über seine thanatologischen Überlegungen bekannt ist als nur das, dass er eben einen Ganztod vertreten würde. Was genau die Pointe seiner thanatologischen Überlegungen ist, darauf werde ich noch eingehen. Adolf Schlatter sollte mir an dieser Stelle nur als Beispiel für die verkürzenden Kon­ sequenzen einer nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden Debattendurchklärung mithilfe der Schlagworte Ganztod (bzw. Auferstehung der Toten) und Unsterblich­ keit der Seele dienen. Woher der Begriff Ganztod kommt und wer ihn eingeführt hat, ist mir nicht gelungen herauszufinden.8 Zwar findet sich schon vor dem Zweiten Weltkrieg etwa 8   Kerstin Huxel verweist für die Wortschöpfung auf Karl Rahner. An den von ihr angegebenen Stellen finden sich allerdings keine Belege des Gebrauchs des Begriffs Ganztod. Rahner redet dort lediglich, wie aber eben auch die lutherischen Theologen der ersten thanatologischen Welle des

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1 Einleitung

bei Schlatter und Stange die Rede davon, dass der Mensch ganz tot sei, aber die Bil­ dung des Kompositums Ganztodthese oder Ganztodtheorie scheint erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgekommen zu sein. Der frühste mir bekannte Beleg ist die tendenziöse, katholisch-kontroverstheologische Darstellung der Debatte innerhalb der evangelischen Theologie bei Ansgar Ahlbrecht aus dem Jahr 1964. Hieran wird auch deutlich, dass es sich bei der Rede von der Ganztodthese oder Ganztodtheo­ rie um eine negativ-wertende Beschreibung handelt, die, in diesem Fall von Seiten eines katholischen Theologen, als Fremdbezeichnung für einen nebenbei eintreten­ den und weder in der Darstellung noch in der Konsequenz sehr wichtigen Aspekt innerhalb der protestantischen Thanatologie gebraucht wird. Etwas anders sieht es mit dem Schlagwort Unsterblichkeit der Seele aus. Es ist tatsächlich so, dass etwa bei den die Debatte nach dem Ersten Weltkrieg bestimmenden Autoren Carl Stange und Paul Althaus, aber bspw. auch bei den später schreibenden Werner Elert oder Helmut Thielicke dieses Thema immer wieder vorkommt und die Idee der Unsterb­ lichkeit fast ausschließlich abgelehnt wird – jedoch nicht in Konkurrenz zu einer etwaigen Ganztodthese, sondern aus vielerlei anderen und sich oftmals unterschei­ denden Gründen. Die Tatsache, dass die Gründe für ein gegen eine Unsterblichkeit der Seele gerichtetes Votum so unterschiedlich sind, spricht noch einmal entschie­ den dagegen, sie alle unter einen so künstlichen wie falsche Implikationen vermit­ telnden Sammelbegriff wie ›Vertreter der Ganztodtheorie‹ zusammen zu fassen. Der zweite wichtige Punkt, der dagegenspricht, ist, dass der Begriff Ganztodthese oder Ganztodtheorie etwas anderes impliziert, als damit gemeint ist. Das gilt zumindest, wenn er, wie im späteren 20. Jahrhundert zu beobachten, von der Fremd- zur Selbst­ bezeichnung wird. So liegt die Pointe des Begriffs auf ganz tot sein, während die Pointe der Autoren, die mit diesem Label belegt werden, immer eine andere ist und, das ist der Punkt, in keinem Fall eine ist, die den Menschen ganz tot bleiben lässt. Im Gegenteil: Alle Autoren votieren mit Nachdruck nicht nur für eine Aufrechterhal­ tung, sondern für eine stärkere Betonung der christlichen Auferstehungshoffnung. Wenn man also überhaupt ein Lagerdenken in den thanatologischen Debatten des 20. Jahrhunderts beobachten wollte, dann würde das Gegensatzpaar Unsterblichkeit der Seele auf der einen Seite und Auferstehung der Toten auf der anderen Seite die Lage besser beschreiben. All das dürfte im Laufe der Darstellung deutlich werden. Doch zurück zu den systematischen Kriterien, mit denen sich die Debatte im 20. Jahrhundert ordnen lässt. Der erste Punkt war, dass sich die theologische Beschäftigung mit dem Tod bis etwa zum Ende des Ersten Weltkriegs hauptsächlich innerhalb von dogmatischen oder eschatologischen Gesamtkonzeptionen abspielt. Die hier einflussreich gewordenen Autoren sind: Adolf Schlatter, Carl Stange, Paul 20. Jahrhunderts (vgl. u. 2.4) von »ganz tot sein«. Insofern bleibt es ein Forschungsdesiderat, zum Ursprung des Begriffskompositums Ganztod bzw. Ganztodtheorie vorzudringen. Vgl. K. Huxel, Unsterblichkeit der Seele versus Ganztodtheorie. Ein Grundproblem christlicher Eschatologie in ökumenischer Perspektive, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 48, 2006, 341 – 366, 342 Anm. 9.

1.2  Der Tod bricht sich Bahn – der Verlauf dieses Werkes

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Althaus und Werner Elert.9 Es fällt auf, dass diese Autoren, bis auf Schlatter, der schwer einer bestimmten Richtung zugewiesen werden kann (vgl. für eine Einord­ nung seiner Theologie 2.3.1), einer stark lutherisch geprägten, aus heutiger Sicht als konservativ erscheinenden Theologie zuzuordnen und im Umfeld einer zeithisto­ risch als kulturkritisch zu verstehenden Theologie einzugliedern sind. Es wird daher besonders darauf ankommen, diesen zeithistorischen Rahmen mit zu berücksichti­ gen. Dazu kommt die Erfahrung des Ersten Weltkrieges, der Weimarer Krisenzeit und, für Elerts Dogmatik, auch noch die des Zweiten Weltkrieges. Der Tod war allen Theologen der ersten Welle in besonderem Maße kein Unbekannter. Es lässt sich als erster maßgeblicher Debattenstrang eine lutherisch geprägte thanatologische Diskus­ sion anhand von eschatologischen und dogmatischen Gesamtentwürfen in der Zeit zwischen 1911 (Schlatters Dogmatik) und 1940 (Elerts Dogmatik), also von kurz vor dem Ersten Weltkrieg bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, benennen (vgl. 2.4). Die Situation änderte sich im Jahr des Kriegsendes 1945 damit, dass Helmut Thielicke ein noch während des Kriegs entstandenes Buch mit Hilfe des ökumeni­ schen Rates der Kirchen verbreitete und es sogar in die Gefangenenlager an deutsche Inhaftierte versendet wurde.10 Seine Monographie ist eine von nur zwei viel disku­ tierten Einzelstudien zum Tod innerhalb der evangelischen Theologie im 20. Jahr­ hundert. Die zweite ist Eberhard Jüngels zuerst 1971 erschienenes Buch ›Tod‹. Bei­ den Büchern ist anzumerken, dass spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg auch in der evangelischen Theologie das Nachdenken über den Tod maßgeblich von einer außertheologischen Denkrichtung bestimmt wird, nämlich durch Martin Hei­deg­ gers 1927 erschienenes Werk ›Sein und Zeit‹. Aber es ist nicht nur Hei­deg­ger, son­ dern die Existenzphilosophie bzw. der Existenzialismus insgesamt, der von nun an auch in den evangelisch-theologischen Wortmeldungen zum Thema wirkmächtig auftritt, wenn auch oft versteckt. Außer Thielicke und Jüngel, die dem Tod mono­ graphische Einzeldarstellungen widmen, sind in dieser Zeit, natürlich, auch die Wortmeldungen von Karl Barth und ein wenig später von Wolfhart Pannenberg einflussreich. Ebenfalls in diese Zeit fällt die Veröffentlichung eines Werkes über den Tod, das bisher nicht als solches wahrgenommen worden ist, das aber sicher in die hier beschriebene Reihe hineingehört. Es handelt sich um Paul Tillichs 1952 zuerst erschienenes Buch ›Der Mut zum Sein‹, das aber in gewissem Sinne aus dem Rahmen fällt und daher in dieser Arbeit gesondert dargestellt wird (vgl. 3.4 – 3.5).  9

  A. Schlatter, Das christliche Dogma, 21923; C. Stange, Die Unsterblichkeit der Seele, 1925; ders., Das Ende aller Dinge, 1930; ders., Luthers Gedanken über die Todesfurcht, 1932; ders., Zur Auslegung der Aussagen Luthers üb. d. Unsterblichkeit der Seele, 1926; P. Althaus, Die Unsterb­ lichkeit der Seele bei Luther, 1926; ders., Unsterblichkeit und ewiges Sterben bei Luther, 1930; ders., Die letzten Dinge. Lehrbuch der Eschatologie, 51949; ders., Der christliche Glaube, 61962; W. Elert, Der christliche Glaube. Grundlinien der lutherischen Dogmatik, 31956. 10  Vgl. H. P. Schmidt, Todeserfahrung und Lebenserwartung, in: B. Lohse (Hg.), Leben ange­ sichts des Todes. Beiträge zum theologischen Problem des Todes. Helmut Thielicke zum 60. Geburts­ tag, 1968, 191 – 222, hier 191.

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1 Einleitung

Versucht man nun diese zweite Welle der theologischen Beschäftigung mit dem Tod im 20. Jahrhundert auf einen Nenner zu bringen, fällt zunächst auf, dass es sich um durchaus unterschiedliche theologische Herangehensweisen handelt. Thielicke studierte und promovierte bei Althaus, verstand sich dezidiert als Lutheraner, war aber durch die Arbeit in der Bekennenden Kirche auch mit Barth eng vertraut. Karl Barths anfänglich dialektisch-theologisches Denken war in dieser Zeit, seit dem Beginn der Abfassung der ›Kirchlichen Dogmatik‹ in den 1930er Jahren, bereits zu einer Offenbarungstheologie eigener Prägung geworden. Jüngel verstand sich selbst als in der Tradition Barths stehend, verband das allerdings mit starken Ein­ flüssen Hei­deg­gers. Pannenberg wiederum nahm zwar auch wie Jüngel Bezug auf Hei­deg­ger, zumindest wenn man Hei­deg­ger gegen ihn selbst in den Großbereich der philosophischen Anthropologie einordnet (vgl. dazu 3.), verband das aber mit seinem ganz eigenen Ansatz einer »Offenbarung als Geschichte«. Diese Disparatheit der thanatologischen Debatte nach dem Zweiten Weltkrieg führt auch dazu, dass es kaum Auseinandersetzungen bzw. Aufnahmen zwischen den einzelnen Darstel­ lungen gibt, was ganz anders als in der ersten Welle ist, in welcher die Protagonis­ ten in regem Austausch standen. So findet sich beispielsweise in Jüngels an Anmer­ kungen aber sowieso armen Buch kein einziger Hinweis auf einen der anderen hier genannten Autoren (außer Hei­deg­ger!), wenn auch klar ist, dass er sie zur Kenntnis genommen hat und sein Buch von den Genannten das am spätesten veröffentlichte ist. Dieser Punkt liegt jedoch auch an der Form der hier wichtigen Veröffentlichun­ gen. So ist Jüngels Buch eher ein an ein breites Publikum gerichteter Essay, Tillichs Buch die Veröffentlichung einer ebenfalls vor breitem Publikum gehaltenen Vorle­ sung und das für Pannenbergs Position maßgebliche Buch ›Was ist der Mensch?‹ genauso. Thielicke schrieb im Krieg und hatte deswegen wenig Literatur zur Verfü­ gung. Zusätzlich dazu zeigt die Tatsache, dass er das Buch direkt nach dem Krieg in Kriegsgefangenenlager verschickte, dass auch er nicht nur für ein wissenschaftliches Publikum schrieb. So wird man sagen müssen, dass der maßgebliche Bezugspunkt für die später einflussreich gewordenen thanatologischen Überlegungen der evan­ gelischen Theologie nach dem Zweiten Weltkrieg zum einen die Auseinanderset­ zung mit Hei­deg­ger ist. Das manifestiert sich nicht zuletzt in einer anthropologi­ schen Herangehensweise an das Thema. Als weiteres Kriterium kommt hinzu, dass die einzelnen Autoren ihre Studien eher in Büchern, die an ein breiteres Publikum gerichtet waren, die man also demnach popular-wissenschaftlich nennen könnte (zum Begriff vgl. 3.4.3), veröffentlichten. Schließlich kommt der zeitgeschichtli­ che Rahmen hinzu, wenn das natürlich auch für alle Theologie und auch für die erste Welle gilt, gilt es doch in der zweiten Welle besonders. Alle Autoren sind deut­ lich von der Erfahrung der zwei Weltkriege und der atomaren Bedrohung geprägt (vgl. 2.3). Die dritte Welle beginnt schon gleichzeitig mit der eben beschriebenen zweiten Welle. Spätestens mit Ansgar Ahlbrechts ›Tod und Unsterblichkeit in der evangeli­ schen Theologie der Gegenwart‹, einer katholisch-theologischen Dissertation, die

1.2  Der Tod bricht sich Bahn – der Verlauf dieses Werkes

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1964 erschienen ist, aber laut Vorwort bereits im Jahr 1961 abgeschlossen war,11 setzt eine theologische Thanatologie auf der Metaebene ein. Zur Bewertung dieser thanatologischen Überlegungen ist es wichtig, zu beachten, dass es sich hierbei mit­ nichten um eine wertfreie theologiegeschichtliche Darstellung handelt. Vielmehr wird die Debatte um den Tod meist mit einem bestimmten Beweisziel dargestellt. Im Falle von Ahlbrecht geht es ganz einfach darum, die Überlegenheit der katholi­ schen Lehre von der Unsterblichkeit der Seele gegenüber neueren, unter dem Label Ganztod­theo­rie zusammengefassten, evangelischen Positionen darzustellen. Diese Welle, in welcher die Frage nach dem Tod hauptsächlich als Streitfrage zwischen Vertretern einer Ganztodtheorie (diese Bezeichnung wird im Verlauf der Debatte von der Fremdbezeichnung tatsächlich zur Selbstbezeichnung) und Vertretern einer Unsterblichkeit der Seele verhandelt wird, reicht bis in die Gegenwart hinein.12 Anhand dieser Beschreibung zeigt sich in doppelter Weise das Problem, vor dem die theologische Beschäftigung mit dem Tod zurzeit steht und welches u. a. den Rahmen für diese Untersuchung setzt: 1. Die Debatte ist weitestgehend enthoben. Anstatt die heute wie zu allen Zeiten existentielle Frage nach dem Tod tiefergehend zu erörtern, werden theologische Spe­ zialdiskurse geführt. Diese richten sich alleine auf die Gegenstandsebene religiöser Rede vom Tod und scheinen so zuweilen geradezu vorkritisch zu argumentieren. Es wird völlig ernst gemeint darüber diskutiert, ob der Mensch nach dem Tod nun in Form seines unsterblichen Seelenteils direkt zu Gott kommt, noch ein wenig im Zwischenzustand verharrt oder tatsächlich bis zur allgemeinen Auferstehung der Toten ganz tot sein muss. Dabei wird diese Frage so behandelt, als könne sie geklärt werden, ja als müsse sie geklärt werden, damit das gläubige Bewusstsein beruhigt ist und nicht entweder durch außerchristliche Einflüsse (Vertreter der sog. Ganztod­ theo­rie) oder hoffnungsloses Theologengerede (Vertreter der Unsterblichkeitstheo­ rie) verstört würde. 2. Die Debatte ist verfahren. Anstatt die Frage nach dem Tod innerhalb von anspruchsvollen und ihrer Zeit gemäßen Gesamtkonzeptionen zu bedenken, wie es, bei aller Abständigkeit, die dieses Denken heute haben mag, sowohl die lutherischen Theologen vor dem Zweiten Weltkrieg getan haben als auch die unterschiedlichen Denker in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wird isoliert auf eine eher unbedeu­ tende Tatsache beharrt. Dabei, so scheint es mir, wird die existentielle Dimension der Frage nach dem Tod zu Gunsten einer merkwürdig real gemeinten dogmati­ schen Spezialfrage geopfert. 11  Vgl. A. Ahlbrecht, Tod und Unsterblichkeit in der evangelischen Theologie der Gegenwart, 1964, 8. 12   Vgl. u. a. F. Hermanni, Vom Winde verweht. Die christliche Hoffnung auf die Auferstehung der Toten, in: Ders. / P. Koslowski (Hg.), Endangst und Erlösung 1. Untergang, ewiges Leben und Vollendung der Geschichte in Philosophie und Theologie, 2009, 139 – 159.

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1 Einleitung

Diese Sachlage bedenkend, lässt sich die dritte Welle evangelisch thanatologischer Überlegungen im 20. Jahrhundert folgendermaßen fassen: Es handelt sich um eine Meta-Diskussion um dogmatische Begrifflichkeiten, die auf merkwürdig vorkriti­ schem Boden geführt wird, somit aus der Zeit gefallen scheint und die existenzielle Tiefe der ersten und zweiten Welle bei weitem nicht erreicht (vgl. 2.2). Auf Basis dieser Ausgangslage ergibt sich für diesen ersten Teil der vorliegen­ den Untersuchung folgender Aufbau: Ich werde mich zunächst den aktuellsten Veröffentlichungen in unserem Themenspektrum zuwenden und dann in der Zeit rückwärtsschreitend die schon genannten Wellen anhand der ihnen zugeordneten Autoren und ihrer Theorien vorstellen (2.2, 2.3, 2.4). Das bedeutet, ich beginne mit der dritten Welle, widme mich dann der zweiten Welle und schließe das theolo­ giegeschichtliche Kapitel mit der ersten thanatologischen Welle. Diese rückwärts schreitende Darstellung lässt den Übergang von der Theologie zu Hei­deg­ger besser gestalten. In der Darstellung wird es zum einen darum gehen, die soeben aufgestellte These der drei Wellen von thanatologischen Überlegungen im 20. Jahrhundert zu belegen, zum anderen aber darum, eine Ausgangsbasis für die im zweiten Teil der Arbeit folgenden systematischen Überlegungen zur Todesfrage zu legen. Diese Debattenbe­ schreibung kann bei einem so vielbeachteten Thema wie dem Tod keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben, das versteht sich von selbst. Sie hat jedoch den Anspruch maßgebliche, das heißt einflussreich gewordene Positionen vorzustellen – wobei aber vor allem die ganz aktuellen Positionen des Teils 2.2 diesem Kriterium des ein­ flussreich-geworden-Seins nicht unbedingt unterliegen. Hier geht es eher um einen allgemeinen Debattenstand der Jetztzeit. Was ich in dieser Arbeit nicht mehr leisten kann, was aber als Desiderat der For­ schung benannt werden muss, ist ein Blick auf die 1.900 Jahre thanatologische Theo­ logiegeschichte vor dem 20. Jahrhundert. Ich habe im Zuge dieser Arbeit immer wieder Leitlinien in die vorgehenden Jahrhunderte entdeckt, die alle auf etwas hin­ weisen, was in der Forschung derzeit nicht diskutiert wird: Der vermeintliche thana­ tologische Neuanfang zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist gar nicht so sehr ein radi­ kaler Neuanfang. Es erscheint im Gegenteil nämlich so, dass all die Interpretationen des Todes im 20. Jahrhundert, natürlich, ihre Vorläufer in der Theologiegeschichte haben, die bis in die einzelnen Konsequenzen bestimmter Weichenstellungen hin­ ein zu ganz ähnlichen oder gar gleichen Ergebnissen gekommen sind.13 So ist, um an dieser Stelle zumindest anzudeuten, um was es dabei geht, die schon mehrfach angeklungene Diskussion um die Frage nach der Alternative zwischen der Idee der Unsterblichkeit der Seele und der stärkeren Betonung der Idee der Auferstehung der Toten bereits zu altkirchlicher Zeit geführt worden und bis ins 19. Jahrhundert 13   Vgl. dazu meinen nach Fertigstellung der Dissertation entstandenen Aufsatz: Hinführung oder: Eine Geschichte über die Todesdeutung im Christentum, in: K. Sacher (Hg.), Leben mit dem Tod, 2022, 13 – 33.

1.2  Der Tod bricht sich Bahn – der Verlauf dieses Werkes

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nicht gänzlich abgeklungen, sodass die auch von den Autoren selbst als Neube­ ginn gewerteten Positionen der Theologie nach dem Ersten Weltkrieg, die bis in die Gegenwart hinein diskutiert werden, nicht als solcher Neubeginn, sondern lediglich als Wiederaufnahme bestimmter immer schon vorhandener Vorstellungen zu wer­ ten sind. Dieses bis ins Detail darzustellen, ist jedoch eine Mammutaufgabe, wenn auch vielfältige Sekundärliteratur vorliegt, die diese These belegt. Die Literatur ist jedoch bisher nicht im Zusammenhang gesichtet worden. Der hier nur angedeutete Befund verweist auf etwas, was in dem dieser Studie vorangestellten Leitwort von Hans v. Campenhausen angedeutet wird: Nicht nur, aber besonders in Bezug auf die theologische Beschäftigung mit dem Tod gab es schon immer – und zwar mit »gutem Sinn« – unterschiedliche Vorstellungen, die sich oftmals widersprachen und nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten. Solche Vorstellungen sind jedoch auf der Gegenstandsebene des religiösen Bewusstseins angesiedelt. Diese Erkenntnis lenkt das Interesse somit erneut auf die den Gegenstandsvorstellungen zugrunde lie­ genden anthropologischen Strukturen. Jenen ist der zweite große Teil meiner Studie gewidmet. Der theologiegeschichtliche Blick auf die thanatologische Debatte in der evan­ gelischen Theologie des 20. Jahrhunderts (2.) hat für den systematischen Teil dieser Arbeit (3.) wegweisende Funktion. Zum einen zeigt sich an der problematischen theologischen Binnendebatte ab der dritten Welle deutlich, was von Seiten der Theo­ logie stärker in den Blick genommen werden sollte. Wird hier der Tod als ein abs­ trakter Gegenstand behandelt, den es im Zuge eines dogmatischen Setzkastenprin­ zips nur an die richtige Stelle zu setzen gilt, um eine innersystematische Kohärenz zu erlangen, gerät dabei die in den vorhergehenden Debattenwellen prominente Frage nach der Bedeutung des Todes für den einzelnen Menschen, im Sinne von die Bedeutung des Todes für mich, aus dem Blickfeld. Dabei hatte sich schon in der ers­ ten Welle gezeigt, dass genau diese existentielle Bedeutungsdimension für die Tha­ natologie entscheidend ist. Der enge Zusammenhang zwischen zeitgeschichtlichen Ereignissen und thanatologischer Theoriebildung, namentlich die große Bedeutung des Ersten Weltkriegs, der Weimarer Krisenzeit und des Zweiten Weltkriegs für die Frage nach dem Tod, verweist genau in diese Richtung. Der Tod ist ein Phänomen, das den Menschen, mit Ausnahme der Geburt, wie kein zweites existenziell betrifft. Diese Erkenntnis muss auch Einfluss auf eine theologische Thanatologie haben. Für eine solche existenzielle Todesdeutung steht die Philosophie Martin Hei­deg­ gers wie keine andere. Hei­deg­ger hat in den bewegten Jahren während und nach dem Ersten Weltkrieg einen Weg von einem katholischen Jungen aus kleinbürger­ lichen Verhältnissen hin zu einem gefeierten Philosophen mit exzentrischem Auf­ treten und einem sich mit revolutionärem Nimbus gebenden Denken zurückgelegt. Als eindeutiger Höhepunkt dieses Weges kann sein Jahrhundertwerk ›Sein und Zeit‹ gelten. Dabei zeigt ein genauerer Blick, dass die berühmte Grundfrage dieses Wer­ kes, die »Frage nach dem Sinn von Sein«, nicht nur eine thanatologische Pointe hat, sondern, dass diese thanatologische Pointe darüber hinaus noch eine theologische

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1 Einleitung

Pointe hat. Diese beiden Pointen lassen sich derweil in Hei­deg­gers Lebensweg bio­ graphisch zurückverfolgen (vgl. 3.1). Hei­deg­ger, von Hause aus streng katholisch und das durchaus nicht nur nach außen hin, entwickelt sich immer weiter weg von diesem engen, katholischen Denken: zunächst innerhalb der katholischen Theolo­ gie, dann innerhalb des christlichen Denkens in Form einer Annäherung an die protestantische Theologie und dann, schon kurz vor ›Sein und Zeit‹ und besonders danach, auch weg von diesem Denken hin zu einem sich selbst als geradezu a‑theo­ logisch verstehenden Denken, das aber gleichwohl bis zum Schluss viele Anleihen bei und Gemeinsamkeiten zur Theologie hatte. In der Zeit zwischen 1914 und 1927 (dem Erscheinungsjahr von ›Sein und Zeit‹) ist Hei­deg­gers Denkbewegung gera­ dezu als religiöse zu bezeichnen – zumindest, wenn man einen neuprotestantischen Religionsbegriff im Sinne des schon genannten Religionsbegriffs von Ulrich Barth zugrunde legt. Die dort genannte Unbedingtheitsdimension des Lebens spielt in Hei­deg­gers Denken eine fast nicht zu überschätzende Rolle. Eines der zentralen Themen von ›Sein und Zeit‹ ist genau die Frage, wie diese Unbedingtheitsdimen­ sion des Lebens sich auf die Ausbildung des menschlichen Selbstverständnisses aus­ wirkt. Sicher mag den einen oder die andere dieser Zugriff auf Hei­deg­gers Denken verwundern, lese ich ihn hier doch als Beitrag zur Anthropologie. Doch dafür gibt es, wie wir sehen werden (vgl. 3.1 u. bes. 3.3), gute Gründe. Und diese anthropolo­ gische Ausrichtung mit religiösem Zuschnitt kommt auch nicht von ungefähr. Wie der anhand seiner Veröffentlichungen und auch anhand der damals unveröffentlich­ ten, aber heute zugänglichen, Schriften nachzuvollziehende Denkweg Hei­deg­gers zeigt, kommen die grundlegenden daseinshermeneutischen Bestimmungen alle­ samt, trotz ihrer behaupteten Novität, aus theologisch fundierten Denksystemen. Diese Erkenntnis hat nun nicht nur einen theologie- bzw. philosophiegeschichtli­ chen Wert, sondern verweist eben auch systematisch auf die große Bedeutung seines durchaus als epochemachend zu bezeichnenden thanatologischen Denkens für die theologische Todesdeutung. Um diese Bedeutung des Hei­deg­ger’schen Denkens für die theologische Thanato­ logie deutlich zu machen, werde ich mich im ersten Schritt des zweiten Kapitels dem Denkweg Hei­deg­gers bis zu ›Sein und Zeit‹ widmen. ›Sein und Zeit‹ stellt dadurch, dass es den Höhepunkt seiner thanatologischen Überlegungen darstellt, für diese Studie den zeitlichen Endpunkt der Beschäftigung mit Hei­deg­ger dar. Schon in der Darstellung der ersten Welle der theologischen Thanatologie wird deutlich wer­ den, dass ein thanatologischer Denkweg und ein persönlicher Lebensweg in engem Zusammenhang stehen. Diese Erkenntnis zeigt sich auch in Bezug auf Hei­deg­ger. Der erste Schritt ist es also, diesen Zusammenhang anhand von auf die Todesfrage hin zugespitzten biographischen Überlegungen zur Darstellung zu bringen (3.1). Anschließend widme ich mich dieser frühen Schaffensphase Hei­deg­gers durch Auf­ nahme der für die Thanatologie entscheidenden frühen Schriften, die allesamt in enger Beziehung zur Theologie stehen (3.2). Es wird sich so zeigen, dass Hei­deg­ger schon auf dem Weg zu ›Sein und Zeit‹ die eben auch für die damalige wie heutige

1.2  Der Tod bricht sich Bahn – der Verlauf dieses Werkes

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Theologie entscheidende Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens als Aus­ gangspunkt seiner als Seinsphilosophie gelabelten Überlegungen, die später auch das Hauptwerk prägen, zugrunde legt. Diese Frage nach dem Sinn wird nun, zumindest in Hei­deg­gers Denken, durch nichts so sehr bestimmt wie durch die Endlichkeits­ dimension des Lebens, die bei Hei­deg­ger im Tod ihren höchsten Ausdruck findet. Insofern lässt sich die Frage nach dem Sinn von Sein auch als Frage nach der Bedeu­ tung der eigenen Endlichkeit für das menschliche Leben verstehen. Diesen inter­ pretatorischen Fokus beibehaltend, widme ich mich im nächsten Teil Hei­deg­gers Hauptwerk selbst (3.3). Zunächst bringe ich den Gesamtgedankengang von ›Sein und Zeit‹ zur Darstellung (3.3.1). Hierbei geht es erstens darum, die grundlegende Bedeutung des Todesthemas für das gesamte Werk klarzumachen. Zweitens werden so die systematischen Grundlagen für die Thanatologie im engeren Sinne bereitge­ stellt. Es wird sich hier zeigen, dass die Frage nach der Bedeutung des Todes für das menschliche Leben, wie schon mehrmals angedeutet, in den Bereich des Aufbaus des menschlichen Selbstverständnisses hineinreicht. Insofern konzentriere ich mich im nächsten Schritt auf die »Daseinshermeneutik« von ›Sein und Zeit‹ (3.3.2). Der entscheidende Gedanke dort ist, dass sich das menschliche Selbstverhältnis auf der Grundlage eines »befindlichen-Verstehens« ausbildet. Und genau auf dieser Ebene nun wirkt sich die Endlichkeitsdimension, nach Hei­deg­ger, bereits maßgeblich aus. Wie diese Auswirkung bedacht werden kann, zeigt sich bei Hei­deg­ger anhand sei­ ner konkreten Todesdeutung, der ich mich anschließend zuwende (3.3.3). Es wird sich dabei zeigen, dass zur Bearbeitung der Frage nach der Bedeutung des Todes für das menschliche Leben die Ebene von »Befindlichkeit« bzw. »Stimmung«, beides wird von Hei­deg­ger verwendet und zwar zunächst abgegrenzt, aber schließlich in der Durchführung nicht streng geschieden (vgl. 3.3.3.2), entscheidend ist. Hei­deg­ gers Deutung läuft auf die »Grundstimmung der Angst« hinaus, die er als Ausdruck der grundlegenden Todesbezogenheit des Daseins beschreibt. Diese Beschreibung ist allerdings einseitig. Das ist bei Hei­deg­ger bereits angelegt, aber in der Rezep­ tion seiner Thanatologie weitgehend übersehen worden. Denn die Beschreibung der Grundstimmung als Angst wird bei Hei­deg­ger überführt in die Seinsweise der »Ent­ schlossenheit«. Angst ist also beileibe nicht etwas rein negatives, sondern hat einen die Lebensdynamik positiv bestimmenden Effekt. Wenn jedoch die Grundstim­ mung, wie bei Hei­deg­ger zunächst angelegt, sich ausschließlich aus der Endlichkeit des Lebens speist, wie kann sie dann diesen positiven Effekt haben? Näherliegend wäre es hier ja von einem entmutigenden Effekt auszugehen. Hei­deg­ger selbst hatte jedoch im weniger beachteten hinteren Teil von ›Sein und Zeit‹ das von ihm einge­ führte »Sein zum Ende« durch ein »Sein zum Anfang« ergänzt (vgl. bes. 3.4). Es gibt, diese Erkenntnis nehme ich von Hei­deg­ger auf, neben der Endlichkeit des Lebens­ endes auch eine Endlichkeit des Anfangs, die ebenso prominent auf die angenom­ mene Grundstimmung einwirkt. Paul Tillich beschreibt so eine Grundstimmung in seinem berühmten Buch ›Der Mut zum Sein‹ und nennt sie Mut. Diese positiv verstandene Grundstimmung Tillichs nehme ich auf und bringe sie in eine Verbin­

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1 Einleitung

dung zu den mit Hei­deg­ger erarbeiteten Strukturen des Aufbaus des menschlichen Selbstverständnisses (3.4 – 3.5). Die Frage nach der theologischen Bedeutung des Todes wird im Laufe der Arbeit somit zurückgebunden an die Frage nach dem Aufbau des menschlichen Selbstver­ ständnisses. Durch Hei­deg­gers Existenzial der Befindlichkeit bzw. Stimmung wird die Rolle des Emotionalen für dieses Selbstverhältnis hervorgehoben. Angst genauso wie Mut sind einerseits Emotionen, oder differenzierter ausgedrückt Stimmungen, die jeder Mensch von sich kennt (vgl. für diese emotionstheoretischen Differenzie­ rungen bes. 3.4.4 u. 4.1 – 4.2). Doch nimmt man an, dass es sich darüber hinaus bei Angst und Mut eben auch noch um Grundstimmungen handelt, stellt sich die Frage nach der Beziehung von Stimmung als allgemein menschlicher Emotion und Grundstimmung als anthropologischer Konstante. Gibt es hier eine Durchlässig­ keit? Wenn ja, wie kann eine solche beschrieben werden? Diese Fragen sind für eine theologische Thanatologie zentral. Das ist ein Ergebnis dieser Studie. Denn, wenn ein christlich-religiöser Umgang mit dem Tod dem Tod auf der Ebene des Glaubens zu begegnen sucht, dann muss sich eben auch bestimmen lassen, was das genau bedeutet. Es war schon Tillich, der es in ›Der Mut zum Sein‹ unternommen hatte, den Glaubensbegriff durch den Mut zu explizieren. Wenn die Thanatologie jedoch bei der reinen Offenlegung der Strukturmerkmale des Todes im Aufbau des menschlichen Selbstverständnisses stehen bliebe, wäre das Ergebnis aus theologischer Sicht in gewissem Sinne unbefriedigend. Als Frage hin­ ter den Fragen der Systematischen Theologie steht die Frage nach der Beziehung der Ergebnisse des wissenschaftlichen Nachdenkens zur religiösen Praxis. Insofern möchte ich in den Schlussgedanken dieser Arbeit nach einem möglichen Ertrag meiner Studien für die Anwendungsgebiete religiöser Todesdeutung fragen. In der seelsorgerlichen Begleitung Sterbender, in der Trauerarbeit mit Hinterbliebenen und in der Rede am Grab muss sich eine solche bewähren. Kann von unseren anthropo­ logischen Studien aus etwas über diesen thanatologischen Anwendungsfall gesagt werden? Im Kontext des Protestantismus spielen die thanatologischen Hauptsym­ bole des Christentums eine tragende Rolle. Auferstehung der Toten, Unsterblich­ keit der Seele und das ewige Leben bilden den symbolischen Rahmen. Doch wie verhalten sich die Symbole zum religiösen Selbstverhältnis? Gibt es die Möglichkeit, unsere mit Hei­deg­ger und Tillich erarbeiteten anthropologischen Erkenntnisse mit den traditionellen Symbolbeständen der christlichen Religion zu verbinden? Diese Fragen habe ich im Schlussteil dieser Arbeit aufgenommen (4.).

2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert Ich werde im Folgenden die Debatte über den Tod in der protestantischen Theologie des 20. Jahrhunderts darstellen. Dabei arbeite ich mit dem Bild von Debattenwellen. Ich mache insgesamt drei solcher Wellen in der hier untersuchten Zeit aus. Diese reicht von 1910 bis in die Gegenwart. Diese Debattenrekonstruktion ersetzt dadurch die zu Beginn einer Dissertation übliche Erhebung des Forschungsstandes. Bevor ich mit der Darstellung der Wellen beginne, gehe ich jedoch auf einem Einzeltitel ein (2.1). Anna-Maria Herta Klassens Studie zur Todesdeutung Emanuel Hirschs aus dem Jahr 2018 läutet eine neue Phase evangelisch theologischer Thana­ tologie ein.1 Das gelingt ihr, obwohl ihr Buch eigentlich eine theologiegeschichtliche Arbeit zu Emanuel Hirsch ist, indem sie im Schlussteil der Arbeit einen ausführli­ chen, gegenwartsbezogenen Ertrag formuliert. Die dort präsentierten thantologi­ schen Überlegungen stechen aus den sonstigen Beiträgen heraus. Ich beginne meine Debattendarstellung mit der dritten Welle und lasse sie mit der ersten Welle enden. Die dritte Welle thantologischer Überlegungen im 20. Jahrhun­ dert hat sich im Zeitraum von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart entfaltet bzw. entfaltet sich noch immer (2.2). Die zweite Welle (2.3) hatte ihre Zeit vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis in das Jahr 1971, in welchem Eberhard Jüngels bekanntes Buch ›Tod‹ erschienen ist. Schließlich folgt die erste Welle, welche mit Adolf Schlat­ ters thanatologischen Überlegungen im Jahr 1910 begonnen hat und zum Ende des Zweiten Weltkriegs anbrandete (2.4). Die zweite und die erste Welle werde ich, anders als die dritte Welle, in einer inneren Chronologie darstellen. Dieses Vorgehen hat zum einen den Grund, dass die Darstellung der dritten Welle als Forschungsüberblick fungiert und ich diesen bei den aktuellsten Positionen beginnen lassen möchte. Zum anderen entspricht es eben auch der Dynamik dieser Debatte. Denn die dritte Welle ist eher eine, die zurückschaut, während die zweite und erste Welle eher vorwärtsblickend denken. Die Wellen zwei und drei überschneiden sich zeitlich oder anders gesagt, es gibt einen fließenden Übergang zwischen ihnen. Nicht nur, dass dies dem Bild der Wel-

1   Es gibt noch zwei neuere Studien, die beide auf jüngst verteidigten Dissertationen beruhen, von mir für diese Arbeit aber leider noch nicht eingesehen werden konnten, da beide bei Abgabe noch nicht veröffentlicht waren: D. Ugi, Den Tod vor Augen: Systematisch-theologische Blicke auf thanatologische Entwürfe, 2021 und A. Scholz, Name und Erinnerung. Anthropologische und theologische Perspektiven auf Personalität und Tod, 2021. Vgl. zu diesen beiden Entwürfen und zu einer aktualisierten protestantischen Thanatologie Sacher, Leben.

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

len entsprechend ist, ich denke, dass es auch dem realen Verlauf von Debatten eher entspricht als eine klare Grenze zu formulieren. Die erste Welle, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, lasse ich mit Adolf Schlatters Denken noch vor dem Ersten Weltkrieg beginnen, wenn gleich dieser entscheidend für die Positionen der beteiligten Autoren ist. Der Beginn mit Schlatter vor dem Ersten Weltkrieg zeigt die Kontinuität an, in der die später kommenden Positionen stehen, und verweist so darauf, dass diese, anders als es dann später oftmals behaup­ tet wurde, keineswegs einen radikalen Neuanfang in der Thanatologie gewagt haben, sondern bestimmte Positionen nur pointierter und aufgrund von zeithistorischen Rahmenbedingungen eben auch mit mehr Aufmerksamkeit verfolgt, formuliert haben (vgl. 2.5).

2.1  Anna-Maria Herta Klassen: Die theologische Deutung des Todes bei Hirsch2 Klassens Untersuchung fällt in dieser Aufstellung insofern aus der Reihe, dass es sich offensichtlich nicht um eine Arbeit über den Tod als allgemeines theologisches Thema oder um eine vergleichende Untersuchung unterschiedlicher Todesdeutun­ gen handelt, sondern um eine Einzelstudie zur Todesdeutung bei Emanuel Hirsch.3 Ihr Text ist aber mindestens aus vier Gründen für diese Aufstellung relevant: 1. Es handelt sich bei ihrer Untersuchung um die zeitlich jüngste theologische Untersu­ chung zum Tode, die bereits veröffentlicht wurde. 2. Ihre Untersuchung beginnt mit einer sehr instruktiven Einleitung, die es durchaus unternimmt, einen Überblick über die theologische Debatte um den Tod zu bieten und daher für diese Darstel­ lung derselben interessant ist. Ihr Ziel ist es dabei explizit, »die wesentlichen Linien der theologischen Thanatologie« zu skizzieren.4 3. Der Autorin gelingt es in ihrem Schlussteil, einen erhellenden Blick auf die theologische Todesdeutung zu wer­ fen. Sie lässt damit die von mir für die dritte Welle als charakteristisch bezeichnete Fixierung auf die Unterscheidung zwischen Unsterblichkeit der Seele und Ganztod bzw. Auferstehung der Toten hinter sich und schafft es, einen eigenen, wenn auch, in ihrem Fall natürlich, von Hirsch geprägten Zugriff auf das Thema zu entwickeln. 4. Emanuel Hirsch hat eine der reflektiertesten Todesdeutungen innerhalb der pro­ testantischen Theologie des 20. Jahrhunderts vorgelegt. Dennoch kommt seine Tha­ natologie in meiner Arbeit nicht einzeln zur Sprache. Klassens Studie gibt Anlass dazu, dieses Vorgehen zu diskutieren. 2

  Klassen, Deutung.   AaO., 7. Klassen schreibt, dass Hirschs Todesdeutung in der systematischen Theologie »nicht rezipiert« wurde. Das entlastet mich selbst davon ihn in meine Darstellung der maßgeblichen Posi­ tionen des 20. Jahrhunderts aufzunehmen. 4  AaO., 8. 3

2.1  Anna-Maria Herta Klassen: Die theologische Deutung des Todes bei Hirsch

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Zunächst zu ihrer Einleitung: Klassen spannt die Debatte im 20. Jahrhundert zwi­ schen zwei Bezugspunkten auf. Zum einen die »existenzphilosophische Thanatologie Martin Hei­deg­gers und der existenzialistische Ansatz Jean-Paul Sartres« und zum anderen die »Unterscheidung zwischen Schöpfungs‑, Sünden- und Erlösungsaspekt des Todes.«5 Daraufhin kommt sie direkt zur »sog. Ganztodthese«. Klassen betont dabei richtig und anders als viele andere, dass die Betonung der Vernichtungsmacht des Todes stets einhergeht mit einer Betonung von »Gottes Auferweckung des Men­ schen«. Zusätzlich verweist sie zurecht darauf, wenn sie auch nur Jüngel konkret auf­ nimmt, dass es zu dieser Betonung von Tod und Auferweckung aus einem harma­ tiologischen Impetus kommt. Ich betone das deswegen, weil Klassen damit auf zwei Punkte hinweist, die, wie wir noch sehen werden, in der Aufnahme der Theorien, die stets der sog. Ganztodtheorie zugeordnet werden, meist übergangen werden6. Die prägenden thanatologischen Entwürfe in der evangelischen Theologie des 20. Jahr­ hunderts sieht Klassen bei Jüngel, Thielicke, Althaus und Pannenberg. Sie schreibt, dass diese in die »in den 1960 / 1970er Jahren gesellschaftlich und akademisch gleich­ sam ›explodierenden‹ Debatten über den Tod«7 einzuordnen seien. Dass es eine solche Explosion gegeben hat, kann sie gut belegen. Die These der Einordnung der genannten Theorien in diese Zeit, trifft jedoch nur auf Jüngel zu. Thielickes Mono­ graphie erschien 1946, Althaus’ Eschatologie zum ersten Mal 1922 und dann immer wieder, aber zuletzt überarbeitet 1949. Von den relevanten Veröffentlichungen Pan­ nenbergs, die sie nennt, fallen auch nur die wenigsten in den genannten Zeitraum. Es scheint also durchaus plausibler, dass zumindest Althaus und Thielicke von den Erfahrungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs maßgeblich in ihrer Todesdeutung geprägt worden sind. Dieser Zeitraum zwischen den Kriegen ist, das wird ein Ergeb­ nis meiner Studie sein, die einflussreichste Episode der theologischen Thanatologie des 20. Jahrhunderts. So können auch die genannten Beiträge aus den 60er und 70er Jahren als durch die Zwischenkriegs-Thanatologie beeinflusst verstanden werden (vgl. 2.4). Letztlich ist die bis heute andauernde Diskussion um die sog. Ganztodtheorie immer noch ein Abarbeiten an den Entwürfen dieser theologisch so span­ nenden Zeit. Auf diese Diskurse weist Klassen selbst auch hin, wenn sie schreibt, dass im »theologischen Diskurs der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart« die Bezugnahme auf die Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts eine große Rolle spielt und das besonders an der »Diskussion um die Alternative zwischen der sog. Ganztodthese bzw. der Auferstehungsvorstellung und dem Gedanken der Unsterb­ lichkeit der Seele« sichtbar ist.8 Es verwundert dann allerdings, dass sie selbst nur Positionen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nennt.

5

  AaO., 8 f.   AaO., 10. 7  AaO., 6. 8   AaO., 11 f. 6

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

Des Weiteren weist Klassen in ihrer Einleitung auf die Bedeutung Hei­deg­gers und Sartres für das theologische Todesdenken hin. Beide waren einflussreich. Das ist nicht zu bestreiten. Allerdings muss Sartres Einfluss als deutlich geringer einge­ schätzt werden. Aber gerade die Beeinflussung Hei­deg­gers, das werden wir in der zweiten Welle ausführlich behandeln (vgl. 2.3), ist fast nicht zu überschätzen. Diese Beobachtung ist, wenn man die Rezeptionsgeschichte der Hei­deg­ger’schen Thanato­ logie bedenkt, nicht verwunderlich. Trotzdem ist es ein Verdienst der Autorin diesen Punkt so explizit zu benennen. Besonders stark wird die Arbeit von Klassen im Schlussteil, in welchem die Auto­ rin nun vor dem Hintergrund dessen, was sie mit Hirsch erarbeitet hat, eine eigene Position ausarbeitet. Ihre Überlegungen stehen dabei, wie sie selbst schreibt, vor dem Hintergrund einer »Ausrichtung der systematisch-theologischen Arbeit auf die Predigt«.9 Wenngleich dies auch eine Engführung ist, bekommt die Darstellung dadurch einen klaren Bezugsrahmen zugewiesen. Sie beschreibt in einem ersten Gedankengang drei »Herausforderungen«, vor denen die theologische Rede vom Tod, nun zugespitzt auf die Predigt, steht. Diese seien zum einen ein veränderter Umgang mit dem Tod in unserer Kultur, zum anderen eine »Spannung zwischen Todesverdrängung und Sichtbarkeit des Todes«10, in welcher die Menschen heute lebten, und zum dritten ein im engeren Sinne homiletisches Problem, nämlich eine auch schon in der praktischen Theologie diagnostizierte Sperrigkeit zwischen Pre­ digtsprache und Lebenswirklichkeit. Diese auch allgemein geltende Diagnose werde in Bezug auf Bestattungspredigten besonders deutlich. Klassen deutet die Predigt als »kontrafaktischen ›Einspruch‹ gegen die letztgültige Deutung des Todes als Abbruch und absolutes Ende«, weist dabei aber darauf hin, dass aufgrund der »Geheimnishaf­ tigkeit des menschlichen Lebens und Sterbens« eben auch »Glaubende auf absolute Sinnzuschreibungen und Definitionen« zu verzichten hätten.11 Vor diesem Hinter­ grund entwickelt die Autorin dann drei Skizzen der Möglichkeit des Redens von Sterben und Tod. Diese stellt sie unter die Überschriften »Sterben lernen«, »Erinnerung und Vergegenwärtigung der Toten« und »Todesangst und Weltende«.12 Im Zuge dieses Durchgangs bringt sie existenzielle Phänomene wie beispielsweise Scham, Schuld und Scheitern in einen Bezugsrahmen zu religiösen Bildern wie Gericht und Denkfiguren wie Gnade. Diese Vorgehensweise leuchtet unmittelbar ein, wird hier doch letztlich das bekannte und in gewissem Sinne auch bewährte Prinzip angewen­ det, dass lebensweltliche, existenzielle Phänomene mit dem Traditionsbestand des Christentums so ins Gespräch gebracht werden, dass die vermeintliche Abständig­ keit der christlichen Symbolwelten durch Vergegenwärtigungen dieser überwunden werden kann. Da die Autorin hier auch deutlich und wiederholt die »Bildhaftigkeit  9

  AaO., 319.   AaO., 348. 11   AaO., 352. 12   AaO., 355, 385, 405. 10

2.1  Anna-Maria Herta Klassen: Die theologische Deutung des Todes bei Hirsch

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theologischer Sprache«13 betont und neben biblischen Bezugspunkten auch solche aus anderen kulturellen Sphären wie Literatur und Musik wählt, liegt sie mit die­ sem Vorgehen sehr nahe an dem, was ich in meinen Schlussbetrachtungen (vgl. 4.) versuchen werde auszusagen. Ich möchte diese Arbeit daher auch weniger kritisch bewerten als positiv hervorheben. Klassens Ansatz ist ein echter Fortschritt gegenüber den übrigen im Zuge der dritten Welle benannten Positionen. Religiöse Bilder werden, im Anschluss an Hirsch, verstanden als »Deutungskategorien« von »Erfahrung«. Hierbei scheint mir jedoch an manchen Stellen eine Problematik zu Tage zu treten. Ich möchte dies am Beispiel des Gerichts verdeutlichen. Die Autorin schreibt: Das Gericht ist für ihn [Hirsch, KS] eine Deutungskategorie der subjektiven Erfahrung des Lebenswiderspruchs zwischen Faktizität und Bestimmung des Menschen, die durch die Unbe­ greiflichkeit des Todes potenziert wird. Das existenzielle Gericht vollzieht sich nicht nach einem äußeren Maßstab bzw. es tritt nicht als äußeres zur Erfahrung hinzu, sondern es ist selbst Erfahrung.14

Für Hirsch und damit im Anschluss auch für Klassen qualifiziert sich der Tod auf diese Weise als Gericht. So kann sie schreiben, dass es u. a. Aufgabe der Predigt sein könne, bestimmte Situationen im Leben eines Menschen und »die damit verbunde­ nen Ängste und Bewältigungsstrategien zu verstehen und mithilfe der theologischen Kategorie des Gerichts zu deuten.«15 Das Gericht könne hier eben deswegen eine sinnvolle Deutungskategorie sein, weil reale oder gefürchtete todesähnliche Erfahrungen eben Gerichtscharakter hätten. Hier, und auch in anderen Konkretionen der Autorin, scheint mir dann doch wieder zu sehr vom Symbol zu den Menschen gedacht zu werden. Dass ein Mensch, der lebensbedrohliche Situationen erlebt, und spätestens seit der Coronakrise gehört dies wieder zu einer Art kollektiven Erfah­ rungsgut, tatsächlich einen Zusammenhang zum Gericht eines persönlichen Gottes herstellt, wenn ihm dieser nicht eindringlich von Seiten seiner religiösen Prägung oder religiösen Lebensbegleitung vorgeschlagen worden ist, erscheint doch sehr fraglich. So werden hier die Gegenstandswelten des christlichen Glaubens gegen­ über den tieferliegenden, emotiven, im Selbstverhältnis verordneten Bezugspunkten überbetont. Die Arbeit bekommt so eine eigentlich nicht notwendige traditionalisti­ sche Schlagseite. Dennoch ist sie, das habe ich ja bereits betont, ein wirklicher Fort­ schritt in der thanatologischen Debatte innerhalb der protestantischen Theologie und gehört damit auch nicht in die dritte Welle, sondern vielmehr an die erste Stelle eines Neubeginns des Nachdenkens über den Tod. Noch einige Bemerkungen zum Untersuchungsgegenstand Klassens: Emanuel Hirschs Todesdeutung, auf deren Grundlage sie ihre eigenen thanatologischen Überlegungen aufbaut, gehört sicher zu den durchdachtesten innerhalb der protes­ 13

  AaO., 349.   AaO., 357. 15  Ebd. 14

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

tantischen Thanatologie des 20. Jahrhunderts. Dennoch kommt sie im Debatten­ überblick dieser Arbeit nicht vor. Den Grund dafür liefert Klassens Studie selbst in zweifacher Weise: Zum einen erübrigt sich eine Darstellung von Hirschs Todes­ deutung, da Klassen selbst diese in der fraglichen Studie vorzüglich darstellt. Jeder Versuch einer solchen Darstellung im Zuge meines theologiegeschichtlichen Kapi­ tels würde notwendigerweise hinter Klassens Arbeit zurückbleiben. Zum anderen ist meine Debattendarstellung so angelegt, dass sie die innerhalb der Debatte zur Sprache gekommenen, also die debattierten Positionen in Bezug zu einander zu set­ zen versucht. Klassen selbst schreibt über Hirschs Todesdeutung, dass sich diese durch eine »fehlende Rezeption« auszeichnet. Zur Begründung dafür schlägt sie Hirschs »durch nichts zu rechtfertigende Befürwortung des Nationalsozialismus« vor.16 Durch diesen Sachverhalt geht Hirschs Todesdeutung, um in meinem Bild der thanatologischen Wellen zu bleiben, in gewisser Weise in einer anderen Bucht an Land. Auch wenn ein Blick in diese andere Bucht reizvoll wäre, muss er hier auf­ grund meiner Fragestellung ausbleiben. Klassen betont, dass sie »besonders das bis jetzt wenig beachtete erbauliche Buch Zwiesprache auf dem Wege zu Gott – zur Interpretation der Hirsch’schen Todesdeu­ tung ausführlich heranzieht.«17 Hirsch schreibt im Vorwort dieses Buches: »Die berufsmäßigen Beurteiler von Büchern werden das Ganze wohl einfach unter den Begriff eines Erbauungsbuchs stellen.«18 Der Autor ist dieser Zuschreibung auch überhaupt nicht abgeneigt. Er möchte sie jedoch so verstanden wissen, dass damit eine Art des »Besinnens, in welchem der Gedanke gleichsam ständig sich hintastet zu dem Unerforschlichen, das über ihm ist« und »beständig sich zurückruft, weil er weiß [. . .] daß alle unsere Gedanken von göttlichen Dingen immer in der freien Schwebe sind zwischen dem Ewigen und dem Herzen, das zu ihm hin sucht.«19 Hirschs Thanatologie hat demnach, zumindest von der einen Seite betrachtet, einen Erbaulichen Zug. Sein Erbauungsbuch ist im Jahr 1960 erschienen. Es würde also, das wird weiter unter dann deutlich werden, durchaus in die zweite Welle der theo­ logischen Thanatologie im 20. Jahrhundert passen (vgl. 2.3), die sich gerade dadurch auszeichnet, dass die relevanten Schriften erbaulichen bzw. popular-wissenschaftli­ chen Charakter haben (zu den Begriffen vgl. bes. 3.4.2). Im dritten Teil des Buches von Emanuel Hirsch, der dem Themengebiet »Tod und Ewigkeit« zugeordnet ist, widmet er sich zu Beginn dem »Ewigkeitsglauben«. Er schreibt: »Daß aber jenseits der Erde im eisigen Weltenraum nichts ist als unend­ liche Leere [. . .] und daß es durch den ganzen weiten Kosmos hin den Himmel, da die Seligen wohnen, einfach nicht gibt, nicht geben kann [. . .], wer ist so dumm, dies nicht zu wissen?«20 Er setzt also mit einem ganz und gar realistischen Blick ein. 16

  AaO., 15.   AaO., 20. 18   E. Hirsch, Zwiesprache auf dem Wege zu Gott, 1960, 9. 19   AaO., 11. 20   AaO., 68. 17

2.1  Anna-Maria Herta Klassen: Die theologische Deutung des Todes bei Hirsch

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Anders könne es auch nicht sein. Der Autor sieht den Ewigkeitsglauben aus der Welt entschwinden. Damit möchte er sich, obwohl er die naturwissenschaftliche Grund­ lage für dieses Entschwinden anerkennt, jedoch nicht abfinden und fragt, woran man sich noch halten könne. »Jeder Gedanke, welcher irgendwie und irgendwo Einheit und Zusammenhalt und Notwendigkeit in die Dinge bringt, ist in sich sel­ ber ein Zeugnis dafür, daß im Menschengeist ein Geheimnis von jenseits der Dinge waltet.« An diesen idealistischen Gedanken kann sich Hirsch zwar halten, denn sie versprechen ihm selbst auch Anteil am Ewigen, doch die Frage des Todes bleibt. Er formuliert es so: »Ich bin des Ewigen inne, und ich muß doch scheiden aus dieser Wirklichkeit, der einzigen, die ich kenne, die ich mir vorstellen und die ich begreifen kann.«21 Diese Spannung bestimme das Menschenleben. Wer jedoch in der Gegen­ wart Gottes lebe, »dem bildet sich diese Gewißheit [des Ewigen Lebens, KS] von selbst.«22 Er ist damit nicht außerhalb der Spannung, aber er kann sie aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Was genau dieser Glauben nun bedeutet, auf wel­ che Bilder er sich bezieht, das will Hirsch nicht sagen, wenn er »auch ab und an tas­ tend nach Bildern« sucht, aber diese seien nur geprägt von der Lage hier auf Erden. »Zuletzt muß man den Bildern [. . .] Urlaub geben und mit einem nackten Glauben und Trauen sich dem Geheimnis lassen.«23 Dieses Ziel zu erreichen sei zwar immer schwieriger geworden, doch es gebe keinen anderen Weg. Schließlich malt Hirsch hier das Bild eines frommen Dichters, der sich seines nahen Todes gewiss, dennoch auf Gott traut. Über ihn schreibt er: »Er hat nichts als ein Trauen des Herzens auf das ihm verborgene ewige Licht.«24 Diese Vorgehensweise Hirschs fügt sich durchaus in die dargestellten Debatten ein. Der Ansatz bei einem realistischen Blick auf Leben und Tod, der dazu führt, dass das individuelle Leben als im Tod zu Ende gehend verstanden wird, erinnert mich an und verweist uns vor auf die Autoren der ersten Welle (vgl. 2.4), zu deren Generation Hirsch auch gehört. Die Betonung, dass der Ewigkeitsglaube, wie ihn Hirsch nennt, sich in einem »Trauen des Herzens auf das ihm verborgene Licht« auswirkt, erin­ nert ebenso an die Autoren der ersten Welle, die den Glauben ganz ähnlich als eine lebensbejahende Einstellung gegenüber der eigenen Endlichkeit verstehen. Sie erin­ nert ebenso an die später noch prominent diskutierte Position von Hirschs Studien­ freund Paul Tillich, der genau so eine lebensbejahende Einstellung unter der griffigen Formulierung des Muts zum Sein propagiert. Was genau man sich unter einer sol­ chen Lebenseinstellung vorstellen muss, werde ich noch untersuchen (vgl. 3.4 u. 4). Es ist außerdem das in unserem kurzen Blick auf Hirschs ›Zwiesprache‹ deutlich werdende Beharren auf eine nicht gegenständliche Rede vom Ewigen, das Hirsch besonders auszeichnet. Klassen schreibt dazu: »Durch die Abwehr gegenständlichen 21

  AaO., 70.   AaO., 71. 23  Ebd. 24  Ebd. 22

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

Sprechens vom Ewigen wird dem Glauben der Geheimnischarakter christlicher Offenbarung vor Augen geführt.«25 Trotz dieses programmatischen Verzichts arbei­ tet Hirsch mit starken Metaphern. Sein Titel für die Eschatologie unter den Vorzei­ chen der Moderne ist beispielsweise »Nacht der Bildlosigkeit«. Damit soll ausge­ sagt werden, dass der menschliche Verstand keine bildlichen Aussagen über alles im Bereich der Eschatologie liegende machen kann. Ob diese Metapher so gut gewählt ist, sei einmal dahingestellt. Eine Nacht ist doch niemals gänzlich dunkel und der Mensch hat immer die Möglichkeit sich ein Licht zu suchen. Darüber hinaus impli­ ziert eine Nacht immer einen folgenden Tag. Das alles eröffnet also eine Bandbreite von gegenständlichen Bildern, obwohl die Metapher eigentlich für die gegenstand­ lose Rede stehen soll. Dennoch ist Hirschs insistieren auf eine Eschatologie, die ohne Gegenstandswelten auskommt, beachtlich und hebt ihn aus der Reihe der hier im Folgenden diskutierten sicher heraus. Es bleibt also festzuhalten, dass es lohnenswert wäre, Hirschs Todesdeutung in Beziehung zu der von mir erarbeiteten Debattenlage zu setzen. Dieses Unterfangen muss jedoch aus genannten Gründen unterbleiben. Ich verweise stattdessen noch einmal auf das Buch von Klassen.

2.2  Die dritte Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie im 20. Jahrhundert (1962 – 2019) Diese Darstellung geht, wie gesagt, von heute aus betrachtet rückwärtsschreitend vor. Dabei sind die hier vorgestellten Positionen, wie ebenfalls bereits gesagt, weniger selbstständige Thanatologien als vielmehr Beiträge zu einer thanatologischen Meta­ diskussion. Es werden dabei folgende Beiträge in den Blick genommen: Zunächst Sibylle Rolfs systematisch-theologische Einführung zum Tod aus dem Band Themen der Theologie 12 aus dem Jahr 2018. Danach wende ich mich vier Aufsätzen von Friedrich Hermanni (2009)26, Christian Henning (2001, 2009) und Kerstin Huxel (2006) aus dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zu, die alle auf einer sehr ähn­ lichen Grundlage argumentieren und Bezug aufeinander nehmen. Aus den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts sind zwei selbstständige Veröffentlichungen von Ulrich H. J. Körtner (1997, 1996), sowie die Darstellung des Todes aus der ersten Auflage der Dogmatik Wilfried Härles (1994) und eine Dissertation über den Tod von Wer­ ner Thiede (1991) zu nennen. Aus den davor liegenden dreißig Jahren, die teilweise sehr viele Veröffentlichungen zu unserem Thema hervorgebracht haben, werde ich mich auf einige symptomatische Wortmeldungen beschränken. Zunächst werde ich, 25

  Klassen, Deutung, 40.   Ich werde mich hier gleichzeitig auf Aussagen in Hermannis zwei Jahre später erschienenen Buchs ›Metaphysik‹ beziehen, die sehr nahe an dem sind, was er in besagtem Aufsatz schreibt. Vgl. F. Hermanni, Metaphysik. Versuch über letzte Fragen, 2011. 26

2.2  Die dritte Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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um auch einen Seitenblick auf die damals sehr lebhaft geführte Debatte innerhalb der katholischen Theologie zu werfen, Gisbert Greshakes Position anhand seines zusammen mit Jakob Kremer herausgegebenen Buches »Resurrectio Mortuorum« (1986) vorstellen. Greshake war einer der wichtigsten und aktivsten katholischen Theologen in dieser Debatte. So kann seine Position hier stellvertretend zu stehen kommen. Aus den 70er Jahren werde ich anhand von zwei Arbeiten Erich Schma­ lenbergs (1972, 1977) die Linie der evangelischen Debatte weiter zurück verfolgen und schließlich aus den 1960er Jahren anhand des schon erwähnten Debattenüber­ blicks von Ansgar Ahlbrecht (1964) und einem kleinen Buch des sich rege an der thanatologischen Metadiskussion beteiligt habenden Neutestamentlers Oscar Cull­ mann (1962) den Beginn der dritten Welle darstellen. 2.2.1  Sibylle Rolf 27 Es ist zunächst zu sagen, dass es sich bei Sibylle Rolfs Beitrag um den Versuch han­ delt, den Tod auf instruktive Weise als theologisches Thema zu fassen zu kriegen und seine theologische Bedeutung für Studierende aufzubereiten. Dabei ist ihr Theolo­ gieverständnis ganz offenbar stark von Wilfried Härle beeinflusst. Für theologische Aussagen über den Tod bedeutet das, dass sie hier als Abduktionen vorgestellt wer­ den, d. h. als eine Hypothese, die aufgrund bestimmter Beobachtungen formuliert wurde und deren Richtigkeit noch bewiesen werden muss. Theologische Aussagen über den Tod entstehen für Rolf in diesem Sinne, indem »aus der biblischen Über­ lieferung und der theologischen Dogmengeschichte«28 solche Abduktionen gebildet werden. Sie sieht die Aufgabe der Systematischen Theologie in Bezug auf den Tod demzufolge maßgeblich in der Formulierung von Glaubenssätzen, denen ein gewis­ ses Moment des Zweifels innewohnt. Sie führt den Tod zunächst allgemein als ethisches und gesellschaftspolitisches Thema ein und verweist darauf, dass die systematische Theologie den Tod über diese Fragen hinaus dahingehend reflektieren müsse »wie der Tod theologisch zu verste­ hen ist angesichts des göttlichen Schöpfungsurteils ›siehe, es war sehr gut‹ und wel­ che Hoffnung angesichts des Todes und über den Tod hinaus besteht.«29 Sie bietet dann eine Art Überblick über den Umgang mit dem Tod in der Theologie, in dessen Hintergrund die alte Frage danach steht, ob der Tod nun erst durch die Sünde in die Welt gekommen ist und ob er etwas Gutes oder Schlechtes für den Menschen bedeu­ tet. Hier diskutiert sie vor allem die bekannten bzw. im Folgenden noch vorkom­ menden Positionen von Härle und Jüngel. Überhaupt ist ihre Darstellung sehr von der Theologie dieser beiden geprägt. Rolf kommt dann jedoch recht bald unter der 27

  S. Rolf, Der menschliche Tod als Aufgabe und Anfrage an die Theologie, in: U. Volp (Hg.), Tod, 2018, 163 – 200. 28   AaO., 185. 29   AaO., 164.

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

Leitfrage nach einem »anthropologischen Verständnis des Todes«30 zu den schon genannten, im 20. Jahrhundert geradezu klassisch gewordenen Unterscheidungs­ mustern, indem sie drei Fragen textlich in den Raum stellt: »Ereignet sich eine Tren­ nung von Seele und Leib? Gibt es eine den Tod des Menschen über­dauernde Ins­ tanz? Oder stirbt alles am Menschen, mithin der ganze Mensch?«31 Es ist unschwer zu erkennen, dass hier die argumentativen Schubladen Unsterblichkeit der Seele und sog. Ganztod geöffnet werden. Rolf stellt Fragen, die sowohl in der Theologie als auch in einer philosophischen Metaphysik seit jeher verhandelt wurden. Diese anzufüh­ ren und so auf die mit solchen Fragen zusammenhängenden Probleme hinzuweisen ist in einer Einführung für Studentinnen und Studenten sicherlich hilfreich. Diese Frage jedoch so zu verstehen, als sei es nun auch heute noch Aufgabe theologischer Thanatologie sie in einem gegenständlich gemeinten Sinne zu beantworten, macht deutlich, dass Rolf hier die Ebenen von wissenschaftlicher Theologie und religiöser Symbolik vermischt. Des Weiteren werden dann die Positionen aus der Debatte um das Leib-Seele-Problem diskutiert, wobei wiederum die Position Härles weitestge­ hend übernommen wird. Die nächsten beiden Abschnitte ihres Textes widmet Rolf dann der Frage des Zusammenhangs von Tod und Sünde bzw. zwischen dem Tod Jesu Christi und dem Tod des Menschen (war Jesus Christus kein Mensch? – möchte man da fragen). Wiederum diskutiert sie hauptsächlich die Positionen Härles und Jüngels und reichert diese durch Bezugnahme auf Luther an. Während sie inhaltlich dabei nicht über die klassische Definition, dass der Tod erst durch die Sünde seine ganze Schrecklichkeit erhält, hinauskommt, fällt auf einer formalen Ebene auf, dass hier in einer dogmatischen Symbolsprache verharrt wird, die solche Art von Todes­ deutung abständig macht. Besonders deutlich kommt die Gefahr, in welche eine sol­ che Rede vom Tod gerät, zum Vorschein als Rolf über die Bedeutung der Taufe für ein mögliches Leben nach dem Tod redet. Sie schreibt hier: »Mit Gewissheit kann diese Frage nicht beantwortet werden [d. h. die Frage, was mit ungetauften Kindern nach dem Tod geschieht, KS], sondern weist – im Modus der Hoffnung – in die Eschatologie, indem sie das Vertrauen stärkt, dass Gott auch Ungetaufte ins Leben führen wird.«32 Es fallen hier vor allem zwei Dinge auf, die symptomatisch für den ganzen Text von Sibylle Rolf sind: 1. Rolf schafft es nicht, die alten Fragen der Theo­ logie theologisch in einem modernen Sinne zu durchdringen und aufzuzeigen, was für anthropologische Strukturen und Tiefenschichten hier benannt werden bzw. zur Geltung kommen. Alternativ und der oben gegebenen Deutung ihres Gesamtansat­ zes folgend kann man auch sagen: Sie versucht es nicht. 2. Sie diskutiert die Frage nach dem Tod vor dem Hintergrund einer gegenständlichen Metaphysik. Wie sonst könnte der Anspruch, dass eine Frage wie der Verbleib ungetauft verstorbener Kin­ der mit Sicherheit beantwortet werden sollte, gemeint sein? Diese beiden Punkte 30

  AaO., 169.  Ebd. 32   AaO., 176. 31

2.2  Die dritte Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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fallen auch in den weiteren Ausführungen ihres Textes auf. So schreibt sie in Bezug auf die Bedeutung Jesu für den Tod: Dass sich das ewige Leben auch für die ganze Schöpfung, die jetzt noch der Vergänglichkeit unterworfen ist (Röm 8,20), verwirklicht und am Ende der Zeit ein ›neuer Himmel und eine neue Erde‹ sein werden (Apk 21,1), ist ebenfalls, wie alle anderen Aussagen der Eschatologie, im Modus der vom Evangelium begründeten Hoffnung, nicht aber der zweifelsfreien Gewiss­ heit, als abduktiv erhobene theologische Hypothese auszusagen.33

Rolf diskutiert in ihrem Beitrag also vor allem die Positionen Jüngels und Härles, angereichert durch Aufnahme einiger Lutherverweise und mit dem selbst erklärten Ziel abduktive theologische Hypothesen zu formulieren. Dabei übernimmt sie die präfigurierten Deutungsmuster Ganztod und Unsterblichkeit der Seele sowohl impli­ zit als auch explizit. 2.2.2  Henning, Huxel und Hermanni Der nun darzustellende Debattenstrang verbindet vier durchaus unterschiedliche Aufsätze. Ich denke jedoch, dass es mindestens drei Gründe gibt, diese zusammen darzustellen. Erstens: Alle vier Aufsätze operieren ganz bewusst und teilweise pro­ grammatisch mit den Schlagworten Unsterblichkeit der Seele und Ganztodtheorie und setzen beide auf vergleichende Weise in Beziehung. Der zweite Punkt ergibt sich dann eigentlich logischerweise aus dem ersten: Dadurch kommt es bei allen vier Aufsätzen zu einer Art argumentativen Wettstreit, welche der Theorien die bessere ist. Alle Aufsätze enden dann auch mit einer Art Plädoyer für eine der beiden Theo­ rien bzw. für einen mehr oder weniger eigenständigen Syntheseversuch. Drittens, und auch dieser Punkt ergibt sich aus den beiden vorangegangenen, wird dadurch, auch wenn dies teilweise explizit abgestritten wird, vorkritische Theologie betrieben und zwar in dem Sinne, dass es als wünschenswert und möglich erachtet wird, eine in sich geschlossene und aporiefreie Lehre vom Jenseits auf der Ebene religiöser Gegenstandswelten aufzustellen. Beim dritten Punkt ist dabei zu beachten, dass die einzelnen Autoren diesen Versuch aus unterschiedlichen programmatischen Ansät­ zen unternehmen, die durchaus mitbedacht werden müssen, will man ihre Position verstehen. So gehört es bei Hermanni bekanntlich explizit zum Programm, eine neue Metaphysik unter Rückgriff auf die angloamerikanische Philosophie der Gegenwart zu betreiben.34 Huxel wiederum stellt sich in ihrem Aufsatz ausdrücklich in die Tra­ dition Schleiermachers, aber auch der Hermeneutischen Theologie der Prägung von Ernst Fuchs.35 Henning hingegen argumentiert konservativ-lutherisch. 33

  AaO., 190.  Vgl. Hermanni, Metaphysik. Hier geht er ebenfalls, aber nicht maßgeblich unterschieden auf die Frage des Todes ein. Vgl. für eine Kritik an diesem Vorgehen u. a. M. D. Krüger, Friedrich Hermanni. Metaphysik. Versuche über letzte Fragen, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 60, 2013, 235 – 239. 35   Huxel, Unsterblichkeit, 357, dort Anm. 79. 34

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

2.2.2.1  Rudolf-Christian Henning36 Hennings Aufsatz, das wird sehr deutlich, ist von der Überzeugung geleitet, dass die von ihm als Vertreter der Ganztodthese genannten Theologien die Glaubensgewiss­ heit des Einzelnen unterminierten. So schreibt er schon zu Beginn, dass, wer die Entwicklung der Eschatologie im 20. Jahrhundert kenne, Luther »um seine Glau­ bensgewissheit beneiden« könne.37 Damit macht Henning gleich deutlich, dass seine Untersuchung programmgeleitet ist. Er versteht sich, so lässt sich das deuten, als Apologet einer bestimmten Glaubensweise und führt seine Untersuchung von vorn­ eherein in Hinblick auf dieses apologetische Vorhaben hin durch. Er diskutiert dann im Folgenden einige Ideen ausgewählter Vertreter der Ganztodtheorie und kommt zum Schluss, dass diese alle daran krankten, dass sie die Identität des verstorbe­ nen Menschen mit dem in der Auferstehung Auferstehenden nicht gewährleisten könnten. Diese viel diskutierte Diagnose wird uns in dieser Untersuchung noch oft begegnen. Für Henning ist das Problem, dass es keine Kontinuität zwischen dem Leben vor und nach dem Tode gebe. Diese Kontinuität, die in klassischen Theorien durch die Seele gewährleistet worden sei, könne in den von ihm kritisierten Theo­ rien nicht mehr gegeben sein, weil sie die Seele aus der Theorie ganz gestrichen hätten. Er unterstreicht seinen Punkt dann noch einmal mit einem Zitat Theodor Mahlmanns, das auch in seinem zweiten hier besprochenen Aufsatz gebracht wird. Es lautet: »Identität ohne Kontinuität, jene gesichert nur durch Gottes Neuschöp­ fung und vor allem, diese nur gesichert durch Gottes Gedächtnis: das ist ein im wörtlichen Sinne uneigentliches Individuum – eine leere Metapher.«38 Anhand die­ ses für Henning zentralen Gedankens wird letztlich ein Problem seines Beitrages deutlich. Henning möchte hochtheoretisch und durchaus komplex und vor allem logisch kohärent konstruieren, was sich nach dem Tod abspielt, und verbleibt dabei eben auf der Ebene religiöser Gegenstandswelten. Diese aber müssen weder in einem kohärenten Verhältnis zu einander stehen noch standen sie es jemals. Das wird nicht zuletzt am Grundsymbol des Christentums deutlich. Der leidende am Kreuz sterbende Gottessohn ist sozusagen der Inbegriff des in sich gebrochenen reli­ giösen Symbols. Henning greift, was natürlich ist, auf die Bildsprache der Theologie zurück, indem er etwa selbst auch von Gedächtnis Gottes oder dem Gericht Gottes spricht. Diese Bilder werden dann wiederum so behandelt als seien sie ontologische (im klassischen Sinne) Realitäten. Das wird augenscheinlich in folgendem Zitat: Der Gedanke der Auferstehung der Toten müsse auf eine Weise ausgelegt werden, dass 36   R.‑C. Henning, Wirklich ganz tot? Neue Gedanken zur Unsterblichkeit der Seele vor dem Hintergrund der Ganztodtheorie, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 43, 2001, 236 –  252; R.‑C. Henning, »Ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein  . . .« (Phil 1,23). Ein evangelischer Beitrag zur Lehre von der Auferstehung im Tode, in: F. Hermanni /  P. Koslowski (Hg.), Endangst, 2009, 161 – 180. 37   Henning, Gedanken, 236. 38   AaO., 244 f.

2.2  Die dritte Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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ein Gericht möglich ist, in dem der Einzelne weiß, »dass er in der Parusie ist.«39 Der Mensch vor und nach dem Tod hat bei Henning offensichtlich eine vergleichbare Art zu denken und um sich selbst zu wissen. Das Wissen, dass man sich in der ­Parusie befindet, wird bei ihm einem Wissen im diesseitigen Sinne gleichgesetzt. Henning kritisiert die Eschatologie des 20. Jahrhunderts dafür, dass sie es nicht geschafft hätte, eine aporiefreie Theorie der jenseitigen Ereignisse zu bilden und schafft selbst eine Theorie, die, eben, weil es auch nicht anders geht, wiederum nicht aporiefrei ist und außerdem von unzähligen unbegründeten Voraussetzungen lebt, die von ihm u. a. mit dem vielsagenden Satz »Geht man davon aus« eingeführt werden.40 Die automatische Gegenfrage lautet hier natürlich immer: Ja, aber warum sollte man davon ausgehen? Es ist für unsere Untersuchung nicht weiter wichtig, seine einzel­ nen Lösungsversuche darzustellen und es soll reichen, darauf hinzuweisen, dass er letztlich für eine modifizierte Variante der katholischen Theorie der Auferstehung im Tod plädiert, die noch ihre Erwähnung findet und daher hier nicht näher ausgeführt werden muss. Es lässt sich sagen, dass Henning zwei von Aporien belastete Theorien durch eine dritte ebenfalls von Aporien belastete ersetzen möchte, was im Prinzip nicht so relevant wäre, ginge es ihm nicht gerade darum, die Aporien zu beseitigen. Auf welcher Ebene er sich dabei bewegt, wird nicht mitreflektiert. Er wechselt zwi­ schen gegenständlich-religiöser und wissenschaftlich-theologischer Spracheebene hin und her. Interessant für meinen Punkt ist jedoch noch sein Umgang mit den Schlagworten Ganztodtheorie und Unsterblichkeit der Seele. Unter der Überschrift »Ganztodtheorie – Herkunft und Bedeutung«41 nennt er einen Streit »um die Frage: Auferstehung der Toten oder Unsterblichkeit der Seele«42 als Ursprung der Theorie. Sie sei entstanden, um genuin protestantisches Terrain wiederzugewinnen und, um sich von der katholischen Lehre abzugrenzen, sowie kritischen Anfragen des moder­ nen Denkens an den Unsterblichkeitsglauben zu begegnen. Als Urheber der von ihm kritisierten Theorie nennt er dann Schlatter, Stange und Althaus. Ich werde weiter noch zeigen, dass, folgt man den Publikationen der hier Genannten, diese Begrün­ dung für die Entstehung der Ganztodtheorie zwar teilweise Richtiges anspricht, aber um einige entscheidende Punkte erweitert werden muss (vgl. 2.4). An dieser Stelle nehme ich Gedanken auf, die Henning acht Jahre nach dem eben besprochenen Aufsatz in seinem zweiten hier zu behandelnden Text darbie­ tet. Hier behandelt er die »Ganztodtheorie und ihre Aporie« unter der Prämisse, es gäbe eine solche in sich homogene Theorie. Er geht davon aus, dass die immer wieder genannten Schlatter, Stange und Althaus sich auf eine Todestheorie geeinigt hätten und dass es deswegen möglich sei, diese zu behandeln.43 Das ist aber, wie wir 39

  AaO., 247.   AaO., bes. 247 – 252. 41   AaO., 237. 42   AaO., 238. 43   Henning, Lust, 172. 40

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

noch sehen werden, mitnichten der Fall (vgl. 2.4). Besonders die immer als Väter der Ganztodtheorie bezeichneten Stange und Althaus haben über Jahre eine Kontroverse über genau diese Frage geführt. Das ist beispielsweise anhand der vielen Aufsätze zum Thema, die beide in den 20er Jahren in der Zeitschrift für Systematische Theo­ logie geführt haben, und in denen sie die jeweilige Position des anderen kritisch diskutieren, nachzuvollziehen.44 Henning beschreibt die Ganztodtheorie weiterhin als die Theorie, die am besten zu den Ergebnissen der modernen Wissenschaften passen würde und führt ihren Erfolg genau auf diese Tatsache zurück. Diese Diag­ nose mag ihr Wahrheitsmoment haben. Aber das liegt wiederum an einer unvoll­ ständigen Wahrnehmung derselben. Jeder, der hier als Vertreter dieser Theorierich­ tung immer wieder genannten Autoren, verweist mit besonderer Betonung auf die Bedeutung der Auferstehung der Toten und pocht auf ein Festhalten daran. Und dass die Vorstellung der Auferstehung der Toten besonders gut zu den »Ergebnis­ sen passt, die von den modernen Wissenschaften hervorgebracht wurden«45, lässt sich sicher nicht sagen. Schließlich unterscheidet sich die Argumentation im zweiten Text nicht maßgeblich vom ersten. Es geht Henning darum, die Vorstellung von der Auferstehung im Tod »universaleschatologisch« weiterzudenken. D. h. dann, dass nicht nur der Mensch sofort nach dem Tod bei Gott ist, sondern, dass er unmittel­ bar in einer neuen Welt ist, die in einer anderen Dimension liegt, als die unsere: in Gottes Dimension, wenn man so will. Der Tod fungiert hier, um es einmal etwas flapsig zu sagen, als Wurmloch. Auf was es mir ankommt: Auch hier wird mit einer harten Ernsthaftigkeit über Fragen der vorneuzeitlichen Metaphysik spekuliert und der Versuch unternommen, aporiefrei und gegenständlich über das Jenseits zu spre­ chen. Dabei fordert Henning ein, die sich in Bezug auf den Tod stellenden Fragen müssten auch »aus der Sicht Gottes« betrachtet werden.46 2.2.2.2  Kirsten Huxel 47 Zunächst ist zu sagen, dass sich Huxels Aufsatz von den anderen in diesem Unter­ kapitel genannten in dem Sinne unterscheidet, dass sie explizit auf das Problem der Unterscheidung zwischen »dogmatischen Glaubenssätzen« und »praktisch-doxolo­ gischer« Redeweise hinweist und somit die hier eingeforderte Unterscheidung zwi­ schen den theologisch zu bearbeitenden Ebenen mit bedenkt. Für sie ergibt sich dann genau aus dieser Spannung die Notwendigkeit einer Beschäftigung mit der von ihr betonten Gegenüberstellung von Ganztodtheorie und der Idee einer Unsterblichkeit der Seele. Sie diagnostiziert: 44   P. Althaus, Die Unsterblichkeit der Seele bei Luther, 1926, 725 – 734, Ders., Unsterblich­ keit und ewiges Sterben bei Luther. Zur Auseinandersetzung mit Carl Stange, 1930; C. Stange, Die Unsterblichkeit der Seele, in: Zeitschrift für Systematische Theologie 3, 1925, 431 – 463, Ders., Zur Auslegung der Aussagen Luthers üb. d. Unsterblichkeit der Seele, 1926, 735 – 784. 45   Henning, Lust, 173. 46   AaO., 167. 47   Huxel, Unsterblichkeit.

2.2  Die dritte Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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Für eine dogmatische Bestreitung der Unsterblichkeitsvorstellung, die praktisch-doxologisch jedoch nicht anwendbar ist, bedeutet dies konkret, dass der Prozess der kritisch-konstruktiven Sprachbildung, welche die Dogmatik als Theorie für die Praxis zu leisten hat, offenbar noch nicht zum Abschluss gekommen ist.48

Für sie lässt die Ganztodtheorie die »Imagination der Glaubenden untröstlich«.49 Deswegen müsse eben weiter an der dogmatischen Frage nach dem Tod gearbei­ tet werden. Auch Huxel hat, ähnlich wie Henning, also eine Art Programm, dem sie sich verpflichtet weiß. An dieser Diagnose ist nun außerdem und wiederum zu beachten, dass Huxel, obwohl sie die grundlegenden Texte offensichtlich gut kennt, den Hoffnungsaspekt dieser Texte nicht gelten lassen will, verweisen sie doch alle, wie bereits mehrfach gesagt, explizit auf die Auferstehung der Toten als Hoffnungs­ bild. Für Huxel ist das jedoch nicht genug. Sie schreibt: Dann aber scheint sich der Glaube zumindest für diese Zwischenzeit [zwischen Tod und Auf­ erstehung, KS] mit einer ähnlich deprimierenden Aussicht arrangieren zu müssen, wie sie eine Daseinsdeutung ohne Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod auszuhalten hat. Ja, der nieder­ schmetternde Eindruck der Vorstellung von der Ganzvernichtung im Tod tendiert schlimms­ tenfalls sogar dazu, einen noch nicht fest gegründeten Glauben an die Auferstehung der Toten abzudrängen. Nicht das auferweckte Leben, sondern der ›ganze‹ Tod beschäftigt die vorran­ gige Aufmerksamkeit der Imagination.50

Außerdem führt auch sie das Kontinuitätsproblem als eine Frage an, die die Glau­ benden belasten würde. Ob dieser Diagnose zuzustimmen ist, die sich bei Huxel offensichtlich lediglich auf Vermutungen stützt, ist zumindest zu bezweifeln, ist es ja für nicht theologisch durchreflektierte Glaubensvorstellungen nicht in gleichem Maße problematisch, wenn ein Glaubensbild denklogische Probleme aufwirft. Und dass die »Imagination« sich hauptsächlich auf den »ganzen Tod« richten würden, das läge, wenn es zuträfe, eben nur an einer unvollständigen Rezeption der kriti­ sierten Theorien in der Theologie selbst bzw. der Perpetuierung der Rede von einem vermeintlichen Ganztod, an der sie selbst mit ihrem Aufsatz dann auch wieder mit­ arbeitet. Dabei wäre, wenn es ihr tatsächlich um dieses Problem geht und, wenn man sich überhaupt auf eine solche Diskussion einlassen möchte, der sinnvolle Weg wohl eher ein energisches Entgegentreten gegen die verkürzende Rede vom Ganztod und ein Verweisen auf die Hoffnungsbilder dieser Theorien. Huxels Aufsatz schlägt in seiner Argumentation einen großen Bogen. Sie beginnt damit unter Rückgriff auf Hume und Kant das »Problematischwerden der Vorstel­ lung von der Unsterblichkeit der Seele in der Moderne« nachzuzeichnen51 und zeichnet dann vor allem mit Rekurs auf Schleiermacher die »Krise der klassischen

48

  AaO., 357.   AaO., 358. 50   AaO., 359. 51   AaO., 344 – 347. 49

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

Metaphysik und ihre Bedeutung für die dogmatische Entfaltung der Eschatologie«52 nach. Schleiermacher folgend geht sie davon aus, dass, weil es ein »prophetischprospektive[s] Moment« im Glauben gebe und weil dieses wesentlich zum christ­ lichen Leben hinzugehöre, die Eschatologie ein notwendiges Teilstück der christ­ lichen Glaubenslehre sei und trotz aller Schwierigkeiten seiner Entfaltung nicht entfallen dürfe.53 Nun erwähnt Huxel richtigerweise Schleiermachers Beschreibung, in welcher Art eschatologische Glaubenssätze zu stehen kommen sollen. Sie haben den Zustand der Kirche in ihrer Vollendung und den Zustand der Seelen im künf­ tigen Leben so darzustellen, dass diese in einem sinnlich aufzufassenden Bildgan­ zen zusammengefügt werden. In dieser Beschreibung bei Schleiermacher steckt, das zeigt sich auch, wenn man die entsprechenden Passagen in der Glaubenslehre liest54 nicht der Anspruch, die eschatologischen Aussagen in Form einer gegenständlichen, aporiefreien Gesamttheorie darzustellen. Im Gegenteil schreibt Schleiermacher explizit davon, dass es sich bei den eschatologischen Glaubenssätzen um sinnlich aufzufassende Bilder handele55 und eben gerade nicht um logisch wasserdicht auszu­ malende Gegenstandswelten. So ist seine eigene Eschatologie, wenn man sie inhalt­ lich betrachtet, durchaus phantasievoll bis hin zur Rede von einer Art kosmischen Sprung.56 Huxel legt diese von ihr selbst angelegten Einsichten dann jedoch wieder beiseite und argumentiert gegen Ende ihres Aufsatzes geradezu gegenläufig. In einer tabellarischen Auflistung werden Modifikationen der beiden von ihr in Gegenüber­ stellung behandelten Theoriengruppen vorgeschlagen. So lässt der Aufsatz den Leser dann ratlos zurück, weil der selbst getätigten Diagnose der Bedeutung einer Diffe­ renzierung zwischen den Ebenen theologischer Theoriebildung dann doch wieder eine Vermischung dieser Ebenen folgt. Was korrekt als theologische Bildsprache (praktisch-doxologisch) diagnostiziert wurde, wird hinterher wieder in die Sprache der Systematik überführt ohne dabei darüber zu reflektieren, dass es sich eben um religiöse Bilder und nicht um wissenschaftliche Sätze handelt. So werden zum einen systematisch-theologische Aporien wie die Unklärbarkeit der Identitätsfrage mit Hilfe der Ganztodtheorie angeführt und zum anderen dann die dezidiert als bild­ liche Sprache zu bezeichnende Rede von Gott und dem Jenseits (Aufbewahren im Gedächtnis Gottes etc.) so diskutiert, als seien sie eben nicht bildlich gemeint, son­ dern müssten dem Anspruch einer logischen Theorie entsprechen.

52

  AaO., 348 – 351.   AaO., 350. 54  Vgl. F. Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweite Auflage (1830 / 1831), hg. von R. Schäfer, 2008, 456 – 493. 55   Vgl. u. a. aaO., 470. 56   Vgl. aaO., 473. 53

2.2  Die dritte Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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2.2.2.3  Friedrich Hermanni 57 Wie bereits erwähnt, gehört es explizit zu Hermannis Programm eine Theologie zu betreiben, die in ihrer Methode an die vorkritische Metaphysik anknüpft.58 Daher überrascht es auch nicht, dass seine Behandlung des Todes hier ebenfalls unter die­ sen Vorzeichen kritisiert werden muss. Außer diesem Punkt, der hier aufgrund sei­ ner inhaltlichen Nähe zu den Ideen von Henning und Huxel recht kurz wiederge­ geben werden kann, ist an seinem Aufsatz wiederrum der Umgang mit dem Begriff Ganztodtheorie und seine Thesen über deren Ursprung in der Christentumsge­ schichte interessant. Hermanni unterscheidet nicht zwischen der Idee einer Unsterblichkeit der Seele und der Ganztodtheorie, sondern explizit zwischen der »klassische[n] christliche[n] Auferstehungslehre« und der von ihm als »Gegenentwurf in der neueren evange­ lischen Theologie« bezeichneten »Ganztodtheorie«, zu der er sagt, dass er sich ihr »anschließen werde«.59 Das, was er jedoch als »Standardmodell der Auferstehungs­ theologie« bezeichnet, ist dann das gleiche, was etwa Huxel oder Henning und viele mehr unter dem Begriff Unsterblichkeit der Seele verhandeln. Es beinhaltet für ihn, dass die Seele nach dem Tod in einem unkörperlichen Zwischenzustand weiterlebe, bis Gott den Leib am jüngsten Tag auferwecken, verherrlichen und mit der Seele wiedervereinen werde.60 Hermannis Terminologie ist folglich, weil die von ihm als »Väter der sogenannten Ganztodtheorie« vorgestellten Schlatter, Stange und Althaus, wie bereits mehrfach gesagt worden ist und später detailliert gezeigt werden wird (vgl. 2.4), ja eben gerade den Fokus auf die Auferstehung legen wollten, in gewis­ sem Sinne sinnwidrig und noch mehr gegen die Intention jener Väter als die bloße Rede von einer Ganztodtheorie. Nun schreibt Hermanni, dass dieses Standardmodell »den unzähligen theologischen Kontroversen [. . .] über mehr als eineinhalb Jahrtau­ sende« entzogen gewesen wäre, was, wie mehrfach betont, inkorrekt ist.61 Dass das 57

  F. Hermanni, Winde.   Vgl. dazu und überhaupt für die Gedanken Friedrich Hermannis sein Werk: Hermanni, Metaphysik. Er schreibt in der Einleitung dieses 214 Seiten umfassenden Werkes: »Im kritischen Gespräch mit der Geschichte der Metaphysik und ihren gegenwärtigen Gestalten unternimmt das vorliegende Buch den Versuch, die folgenden Fragen im Zusammenhang zu beantworten: Was ist der Grund für das Dasein und Sosein der Welt, und in welchem Verhältnis steht dieser Grund zum Gedanken Gottes? Worin besteht das Wesen der menschlichen Freiheit, und was hat es mit den Übeln auf sich, die der Mensch tut und ihm widerfahren? In welcher Beziehung stehen die seelischen Zustände des Menschen zu seinen körperlichen, und was darf der Mensch über seinen Tod hinaus hoffen, wenn er etwas hoffen darf? Wie ist das Verhältnis zwischen den Antworten ein­ zuschätzen, welche die Weltreligionen auf diese Fragen gegeben haben?« (1) Das ist ein durchaus kühnes und damit eben auch bewundernswertes Unterfangen. Ob es jedoch überhaupt aufgehen kann, sei einmal dahingestellt. 59   Hermanni, Winde, 139. 60   AaO., 140. 61   Diese Lehre war von der Alten Kirche bis in die Gegenwart stets umstritten. Eine ausführli­ che Darstellung dieser Diskussion würde den Umfang meiner Studie bei weitem sprengen (vgl. nun jedoch für einige Bemerkungen Sacher, Hinführung). Daher sei hier auf einschlägige Einzelstudien 58

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so ist, zeigt Hermanni selbst, indem er u. a. Calvin zitiert,62 der sich sowohl in der Institutio als auch in seiner ersten veröffentlichten theologischen Schrift Psychopannychia63 explizit mit dem auseinandersetzt, was später als Ganztodtheorie bezeich­ net werden sollte. Hermanni weist sogar selbst auf die sogenannten Thnetopsychiten (jedoch ohne diese Bezeichnung zu verwenden) in der alten Kirche hin, indem er schreibt, dass Justin und Tatian »in kritischer Auseinandersetzung mit Platon aus dem Geschaffensein der Seele geschlossen [haben], sie sei an sich sterblich und bestehe nur durch den Willen Gottes fort«.64 Es stellt sich so die Frage, warum hier einerseits auf Kontroversen hingewiesen wird, diese dann jedoch andererseits keine weitere Bedeutung bekommen. Aus der Diskussion der von ihm als »Standardmodell der Auferstehungstheo­ logie« bezeichneten ldee einer »Unsterblichkeit der Seele«, ergibt sich für Her­ manni, dass dieses abzulehnen sei. Dieses Ergebnis speist sich zum einen aus der Ansicht, dass der Mensch »mit Leib und Seele stirbt«, zum anderen untermauert er es aber auch durch den biblischen Befund, dass hier wohl eher nicht im Sinne des Standardmodells gesprochen werde. Auf die Problematik dieser Überlegungen habe ich oben gerade hingewiesen (vgl. 2.2.3.1). Folglich könne die Seele nicht in einem Zwischenzustand sein und ebenso wenig als Garant für die Identität zwischen diesseitigem und jenseitigem Menschen herangezogen werden. Da es einen solche Garanten jedoch brauche, plädiert Hermanni für eine Ganztodtheorie, die durch die Vorstellung erweitert wird, dass die Toten im »Gedächtnis Gottes« präsent bleiben und somit eine Kontinuität gewährleistet werden könne. Auf welcher theologischen Ebene es einen solchen Garanten brauche, wird hier nicht mitbehandelt. Gegen­ standsebene und theologisch-wissenschaftliche Reflexionsebene scheinen in eins zu verwiesen, die, nimmt man sie zusammen, auf diese immerwährende Diskussion hinweisen. Für die Alte Kirche vgl. beispielhaft: J. A. Fischer, Studien zum Todesgedanken in der alten Kirche, 1954, u. a. 18, 19, 23 f., 52 ff. oder G. Greshake / J. Kremer, Resurrectio mortuorum. Zum theologischen Verständnis der leiblichen Auferstehung, 1986, 178 ff. Für die Frühscholastik vgl. R. Heinzmann, Die Unsterblichkeit der Seele und die Auferstehung des Leibes, 1965, u. a. 82. Vgl. auch die Bemer­ kungen bei dem als Kompendium sowieso sehr gut geeigneten M. Remenyi, Auferstehung denken. Anwege, Grenzen und Modelle personaleschatologischer Theoriebildung, 2016, 73. Für die Zeit des Thomas von Aquin vgl. R. Heinzmann, Anima unica forma corporis. Thomas von Aquin als Überwinder des platonisch-neuplatonischen Dualismus, 1986, 236 – 259. Für die Reformationszeit vgl. A. Zorzin, Karlstadt als Flugschriftenautor, 1990, u. a. 235 f.; und bes. auch C. M. Koslofsky, The Reformation of the Dead, 2000; hier u. a. 31 ff. Für die reformierte Reformation vgl. F. Beißer, Hoffnung und Vollendung, 1993, 102 – 108 und B. W. Ball, The Soul Sleepers. Christian Mortalism from Wycliffe to Priesterley, 2008, 38 ff. Auch in der bei uns eher nicht im Blickfeld sich befinden­ den osteuropäischen Reformation war diese Diskussion präsent. Vgl. dazu S. Fleischmann, Szy­ mon Budny. Ein theologisches Portrait des polnisch-weißrussischen Humanisten und Unitariers (ca. 1530 – 1593), 2006 und C. A. Snyder, The Life and Thought of Michael Sattler, 1984, 130 f. Auch nach der Reformation, besonders in Form des sog. ›mortalism‹ war stets eine Diskussion im Gange, die der im 20. Jahrhundert vergleichbar ist. Vgl. hierzu insbesondere die schöne Studie: Ball, Soul. 62   Hermanni, Winde, 147. 63  Vgl. Beißer, Hoffnung, 102 – 108. 64   Hermanni, Winde, 141 f.

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fallen. Um sein Ergebnis zu untermauern diskutiert er z. B. den sogenannten Ver­ dopplungseinwand und bezieht sich also auf die US‑amerikanische analytische Reli­ gionsphilosophie der Gegenwart. Diesen Ansatz ausführlich zu kritisieren, würde zu Wiederholungen des schon Geschriebenen führen, sodass ich an dieser Stelle auf das schon zu Henning und Huxel Geschriebene verweise. Interessant ist nun Herman­ nis Lösungsvorschlag. Zunächst hält er fest: »Die bisherigen Überlegungen haben zu folgendem Ergebnis geführt: Weil der Mensch nach Leib und Seele stirbt, ist die personelle Identität der Auferweckten mit den jetzt Lebenden beziehungsweise den Verstorbenen nicht durch die kontinuierliche Existenz einer Seele sichergestellt, die sich beim Tod vom Körper trennen würde. Ebenso wenig kann diese Identität durch die materielle Kontinuität zwischen dem irdischen und dem verherrlichten Leib oder durch die Selbigkeit ihrer materiellen Bestandteile gewährleistet werden. Weder der Seele noch dem Leib des Menschen kommt eine den Tod übergreifende Kontinuität zu, die seine personale Identität am Jüngsten Tag verbürgen könnte.«65 Aber genau für diese brauche es eben einen Garanten. Für Hermanni kann die hier bestehende Lücke durch das Konzept des Gedächtnisses Gottes gefüllt werden. Es solle »jene Kontinuität, von der die den Tod übergreifende personale Identität des Menschen abhängt« schaffen können.66 Hermanni diskutiert diese Idee dann vor dem Hintergrund des sog. Verdopplungseinwandes, den er folgendermaßen einführt: Angenommen, eine bestimmte Person, nennen wir sie Oskar, bleibt nach ihrem Tod in Gottes Geist gegenwärtig, und Gott erweckt sie am Jüngsten Tag aus seinem Geist zu einem neuen leiblichen Leben. Nun scheint ein allmächtiger Gott den in seinem Gedächtnis präsenten Oskar aber auch ein zweites Mal auferwecken zu können. Wenn er das täte, in welcher Bezie­ hung würden dann die beiden auferweckten Oskars, Oskar 1 und Oskar 2, zum verstorbenen Oskar stehen?67

Es wird offensichtlich, dass es hier zum Programm gehört, die in der Theologie als kritischen Wissenschaft sorgfältig getrennten Ebenen von religiösen Gegenstands­ welten und theologischen Sätzen zu vermischen.68 Nicht, dass ich falsch verstanden werde: Ich will diesem Vorgehen nicht seine Berechtigung absprechen. Ich denke allerdings und versuche dies in dieser Arbeit zu zeigen, dass ein solches Vorgehen an der theologischen Frage nach dem Tod vorbeigeht.

65

  Hermanni, Metaphysik, 184.  Ebd. 67   AaO., 188. 68   Vgl. aaO., 190. Insofern ist es dann auch konsequent, dass Hermanni seinen Gedankengang zur Todesfrage mit einem längeren Bibelzitat beschließt. 66

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2.2.3  Ulrich H. J. Körtner 69 Körtners Überlegungen zum Tod, die er in zwei eigenständigen Veröffentlichungen in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre vorgelegt hat und die ich hier durch einen neueren Text von ihm ergänze, sind von den anderen hier behandelten Darstellun­ gen verschieden. Sie widmen sich dem Tod eher auf essayistische denn auf klassisch dogmatische Weise. An dieser Stelle sei von mir nur darauf verwiesen, dass sich eine solche Herangehensweise im Laufe dieser Studie auf der Ebene eines popular-wis­ senschaftlichen Vorgehens als geeignet erweisen wird. Zum anderen befasst er sich in beiden Essays zum Großteil mit ethischen Fragestellungen, die hier, obwohl sie sehr wichtig und interessant sind, wegfallen müssen. Ich möchte seine Texte hier vor allem aus zwei Gründen aufnehmen. Erstens: Gegen Ende seiner essayistischen Beschäftigungen mit dem Tod bietet Körtner jeweils einen Teil mit dem Titel Theologie des Todes. Hier geht er dann ganz unterschiedlich vor. In einem Text, der der Form nach für ein interdisziplinäres Publikum gedacht ist, argumentiert er gegenwartsphänomenologisch in einem allgemeinsprachlichen Sinne. Im anderen Text, der sich als Beitrag in der Beck’schen Reihe ebenso an ein allgemeines Publikum wendet, werden jedoch, neben vielen anderen Gedanken, die nun schon häufig erwähnten Grundsatzentscheidungen der Thanatologie des 20. Jahrhunderts diskutiert und mit einem eigenen Votum versehen, wenn dieses auch in anderer Weise als die Bisheri­ gen begründet wird. In seinem dritten Text geht er explizit auf etwas ein, was, das zeigt sein Beispiel, in Fragen der Thanatologie unumgänglich ist, möchte man sie wissenschaftlich-theologisch und nicht im Duktus der Verkündigungssprache behan­ deln und möchte man dabei nicht vorkritische Metaphysik betreiben: Er erläutert seine Denkvoraussetzungen, indem er den besonderen Status eschatologischer Sätze beschreibt. Es zeigt sich hier, das möchte ich kurz vorwegnehmen, wie solche text­ praktischen Grundsatzentscheidungen (Für wen schreibe ich? Wie versuche ich mei­ nen Punkt zum Ausdruck zu bringen?) erheblichen Einfluss auf die dann entstehende Thanatologie haben. Zweitens: Klassen schreibt, dass Körtners Ansatz aus der Reihe der theologischen Texte zum Tod dadurch herausfalle, dass er »in die Richtung eines eigenen Ansatzes weisen«.70 Dem möchte ich gerne widersprechen, indem ich zeige, dass er in dogmatischen Fragen die Ansätze Jüngels und Barths aufnimmt und, wenn überhaupt, nur leicht modifiziert. Nur in den zumindest nicht im klassischen Sinne dogmatischen Überlegungen denkt er freier und kommt so zu ganz anderen Schlüs­ sen. Es gilt bei dem nun Folgenden zu bedenken, dass es aufgrund des essayistischen Charakters der Texte schwer ist, sie auf dem hier nur begrenzten Platz ganz einzufan­ gen. Dafür werden zu viele unterschiedliche gedankliche Türen aufgestoßen. 69   U. H. J. Körtner, Der unbewältigte Tod. Theologische und ethische Überlegungen zum Lebensende in der heutigen Gesellschaft, 1997; U. H. J. Körtner, Bedenken, daß wir sterben müs­ sen. Sterben und Tod in Theologie und medizinischer Ethik, 1996; U. H. J. Körtner, Von der Hoff­ nung, die uns erfüllt. Tod, Auferstehung und ewiges Leben, 2007. 70   Klassen, Todesdeutung, 13.

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Zum Ersten: Körtner widmet sich dem Tod zunächst aus dem Leben heraus und versucht das Phänomen Tod zu fassen zu bekommen. Er beschreibt ihn dann theo­ logisch als eingespannt zwischen »Ende und Vollendung des Lebens«.71 Damit will er betonen, dass jedes Lebensende, selbst, wenn es auf ein erfülltes Leben folgt, die Fragmentarizität des Lebens erweist. Zum anderen verweist er auf die »Grundpas­ sivität« des menschlichen Lebens. Diese erweise sich unter anderem daran, dass Geburt und Tod dem Menschen immer schon vorgeben seien. Beides sind »anthro­ pologische Gegebenheiten«, die »nach theologischer Auffassung [. . .] zu betrachten sind.« Damit zeigt sich in Körtners Text ein komplett anderer Ansatz als in den bis­ her behandelten. Er nimmt anthropologische Muster auf, die er aus einer letztlich im weiten Sinne gegenwarts-phänomenologischen Betrachtung des Lebens gewinnt, und bringt diese mit Denkweisen aus der Tradition der Theologie ins Gespräch. Für ihn ergibt sich daraus: »Fragmentarizität wie Grundpassivität des Menschen ver­ weisen nach theologischer Auffassung auf die Gottesrelation des Menschen.«72 Die Gottesrelation kommt ins Spiel, da für das fragmentarische Leben ein Gegenüber benötigt werde, um dieses Leben zu denken. Er schreibt: »In aller Autonomie weiß sich der gläubige Mensch in einer Weise sich selbst gegeben, die er nicht als Resultat seines Handelns oder Denkens rekonstruieren kann.«73 Im Folgenden nimmt Kört­ ner dann Jüngels Thanatologie auf. Er verweist recht unvermittelt auf die Bedeutung der Sünde für die Gottesrelation und nimmt Jüngels Rede von der Sünde als Drang in die Verhältnislosigkeit auf. Es ergibt sich für Körtner nicht nur, dass »im Tod klar werde, daß wir unser Leben nicht so gelebt haben, wie wir es hätten leben können und leben sollen.« So käme die biblische Redeweise vom Tod als Strafe und Gericht ins Spiel. Während die beiden von ihm behaupteten anthropologischen Grundmus­ ter wie gesagt durch gegenwarts-phänomenologische Betrachtungen eingebunden werden, geschieht das hier nicht mehr. Das Gespräch droht zwischen theologischer Tradition und Gegenwart zu einem Monolog zu werden. Er versucht, diese theolo­ gische Position durch Bezug auf die existenzialistische Denkweise Sartres zu unter­ mauern. Das allerdings scheint nicht recht zu passen, ist einerseits doch gerade Sar­ tres Anthropologie durch die Freiheit des Menschen bestimmt und andererseits hat der Tod bei Sartre nicht den Charakter von Gericht und Strafe, sondern ist vielmehr eine Ad-absurdum-Führung des ganzen Lebens, also auch der Teile des Lebens, mit denen der Mensch vielleicht im Reinen war.74 Im Weiteren nun nimmt Körtner das Gespräch jedoch wieder auf und kommt darauf zu sprechen, dass die Erfahrungen, die der Christ mit dem Tod macht, »im Bekenntnis zur Auferweckung Jesu von den Toten« verdichtet werden könne. Methodisch bedeutet das: Die Erfahrung Tod wird in Anbetracht der Tradition christlich gedeutet. Das hört sich banal an, ist aber mit 71

  Körtner, Tod, 23.   AaO., 25. 73   AaO., 26. 74  Vgl. J.‑P. Sartre, Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, 9 2003, bes. 914 – 950. 72

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Blick auf andere hier verhandelte Texte über den Tod keine Selbstverständlichkeit. Frage man nun nach dem »existentialen Sinn« dieses Bekenntnisses, führe das wie­ der zur Fragmentarizität des Lebens. Gerade der Tod Jesu führe diese Fragmentarizi­ tät ja vor Augen und verweise andererseits auf »die Hoffnung auf eine höhere Voll­ endung« dieses Lebens. Diese Vollendung, so deute ich Körtner, werde jedoch nicht in diesem Leben selbst vollzogen und so wird der Mensch letztlich darauf verwiesen, zu glauben, ohne dass er dafür einen Grund hat. Was dieser Glaube beinhaltet, fasst Körtner folgendermaßen zusammen: »Vollendung erlangt das menschliche Leben jedoch weder durch das Tun des Menschen, noch durch den Versuch, den eigenen Tod als heroische Tat auf sich zu nehmen, sondern einzig dadurch, daß die Bezie­ hung Gottes zum Menschen mit dessen Tod nicht endet, vielmehr von allen Zwei­ deutigkeiten befreit wird und an jener Lebensfülle Anteil bekommt, welche Gott selber ist.«75 Diese in ihrer Konsequenz anders als oben doch an Sartre erinnernde Schlussfolgerung (Körtner selbst verweist hier aber nicht auf Sartre), führt Körtner dann auch zu einer in gewissem Sinne wahrhaft existenzialistischen Pointe seiner Todesdeutung. Er schreibt: »Die Hoffnung des Glaubens auf Vollendung des Lebens ist gerade eine dem Tod Widerstand leistende Hoffnung, welche [. . .] um der Güte und Liebe willen dem Tod die Reverenz verweigert und ihm keine Herrschaft über die eigenen Gedanken einzuräumen bereit ist.«76 Auch in Körtners zweitem Text gibt es einen Abschnitt zur Theologie des Todes. Hier verfolgt er aber einen gänzlich anderen Impetus. So geht es ihm geradezu pro­ grammatisch darum, eine »Entplatonisierung des Christentums« zu betreiben.77 Das wird damit begründet, dass ein solches platonisiertes Christentum dem biblischen Todesverständnis widersprechen würde. Hier nun liegt er ganz auf einer Linie mit vielen Autoren evangelischer Thanatologie des 20. Jahrhunderts und besonders auch auf Linie mit Barth und Jüngel (den er mit dieser Formulierung indirekt zitiert), die er dann im Folgenden auch explizit und teilweise wortgenau aufnimmt. Da er bis auf eine kleine Modifikation im Weiteren hauptsächlich die Position Jüngels wie­ dergibt, kann ich hier auf den Abschnitt verweisen, in dem Jüngel selbst zu Wort kommt (vgl. 2.3.4). So ist dieser zweite Text für uns hauptsächlich deswegen inte­ ressant, weil hier deutlich wird, wie leicht der Theologe bzw. die Theologin dann doch wieder bei der Diskussion von Theorien über ein Jenseits auf gegenständlicher Ebene landet, selbst wenn er, wie Körtner, seinen Ausgang beim Menschen und des­ sen Situation genommen hat. Das geschieht hier, das zeigt das Beispiel von der Entplatonisierung, durch Aufnahme bestimmter Programmbegriffe, die regelrecht von außen auf die Beschreibung des Todes einwirken. So landet Körtner dann auch bei einer Diskussion des »sogenannten Ganztodes«78 und plädiert für einen solchen und 75

  Körtner, Tod, 28.   AaO., 31. 77   Körtner, Sterben, 91. 78   AaO., 94. 76

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gegen die Vorstellung »des ewigen Lebens einer unsterblichen Seele« (wobei diese Formulierung in sich schon misslungen ist, geht es doch wohl nie um das ewige Leben einer unsterblichen Seele, sondern vielmehr um das Ewige Leben, in das der Mensch sozusagen mithilfe seiner unsterblichen Seele nach der Auferstehung gelan­ gen kann).79 Außerdem lehnt er explizit die Rede vom Zwischenzustand ab und for­ dert, von einer »creatio nova ex nihilo« zu reden.80 Zieht man dann noch einen dritten Text Körtners zu Rate, zeigt sich, dass es gerade in der theologischen Behandlung der Frage des Todes eminent wichtig ist, seine Denkvoraussetzungen mit zu führen, um nicht missverständlich zu werden. In einem Vortrag aus dem Jahr 2007 geht Körtner dann auf diese Denkvorausset­ zungen ausführlich ein. Diese sollen hier noch genannt werden, ohne mutmaßen zu wollen, ob es sich hier um eine theologische Entwicklung des Autors handelt oder nur um eine andere Herangehensweise, die dann auch andere Ergebnisse einfordert. In seinem Vortrag, der sich inhaltlich nicht sehr von den anderen beiden besproche­ nen Texten unterscheidet, schreibt Körtner in Bezug auf den formalen Status aller »Sätze christlicher Hoffnung«, dass diese einerseits »absolute Metapher« seien, also Ausdruck von einer Erfahrung, die sich anders nicht ausdrücken lässt, die man zwar begrifflich interpretieren könne, aber eben nicht wissenschaftssprachlich erfassen. Dazu käme aber noch, dass diese noch den Charakter des Gebets hätten. »Wenn man die Hoffnungssätze christlicher Eschatologie als Postulate in der Sprache der Metapher kennzeichnen will, so ist hinzuzufügen, daß diese Postulate nicht so sehr den Charakter einer Denknotwendigkeit und auch nicht einer Forderung, sondern denjenigen einer Bitte haben, welche die göttliche Verheißung nicht wörtlich, wohl aber beim Wort nimmt.«81 Der Theologe und die Theologin könne diese Metaphern dann »nach ihrem anthropologischen bzw. existentiellen Sinn [. . .] befragen« und habe so die Aufgabe, nicht »zu fragen, was nach dem Tode kommt«, sondern »nach der christlichen Hoffnung im Hier und Jetzt, d. h. im Angesicht unseres eigenen bevorstehenden Todes sowie angesichts des Todes der anderen zu fragen«. Es zeigt sich hier deutlich, warum Körtners Ansatz, nimmt man diese Anmerkungen hinzu, deutlich besser zu der hier vorgelegten Untersuchung über den Tod passt. Er spricht an dieser Stelle unverschleiert davon, dass die Sätze der christlichen Hoffnung nicht mit einem harten Wahrheitsanspruch auf der Ebene von realistisch verstandener Gegenständlichkeit ausgestattet sind, sondern eben der Versuch metaphorisch zu umschreiben, was Hoffnung trotz des Todes gibt. Aufgabe der wissenschaftlichen Theologie kann es dann in diesem Fall nur sein, den existenziellen Sinn dieser Meta­ phern zu beschreiben.

79

  AaO., 91.   AaO., 94. 81   Körtner, Sterben, 11. 80

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2.2.4  Wilfried Härle 82 Bevor Härles Thanatologie dargestellt werden kann, muss ich in der gebotenen Kürze auf Härles Grundgedanken eingehen. Härle kommt hier vor allem deswegen vor, weil seine in Abgrenzung von Jüngel entwickelte Todesdeutung immer wieder aufgenommen wird (vgl. 2.2.2) und weil sich auch bei ihm zeigt, wie selbst auferlegte Zurückhaltung in eschatologischen Fragen einhergehen kann mit detaillierter Dis­ kussion nachtodlicher Existenzweisen (anders ausgedrückt: wie nicht konsequent zwischen bildlicher und wissenschaftlicher Rede differenziert wird) und schließlich auch, weil seine Dogmatik die wohl publizistisch erfolgreichste der jüngeren Theolo­ giegeschichte ist und ihr allein damit herausragende Bedeutung zukommt. Härle versteht seine Arbeitsweise als »kritisch-abduktiver Ansatz«. Damit ist gemeint, dass er nicht »spekulativ-deduktiv« über die Tatsache der geschichtlichen Kontingenz aller Theologie hinweggehen möchte und nicht »empirisch-induktiv« eine mögliche Korrektur des Gegebenen durch die Theologie verhindern möchte. Diese Herangehensweise kennen wir schon von Sibylle Rolf (vgl. 2.2.1), die sich auf Härle stützt. Konkret bedeutet das, dass theologische Sätze in der Form von Hypothesen gebildet werden, deren Richtigkeit sich in der Zukunft erst noch erwei­ sen muss, deren logisch-denkerische Kohärenz jedoch ausgewiesen werden muss. Unter dieser Prämisse ist Theologie für Härle eine »positive Wissenschaft, die die faktisch vorliegenden, d. h. im geschichtlich-gesellschaftlichen Lebenszusammen­ hang auftauchenden Probleme des christlichen Glaubens bearbeitet.«83 Wissenschaft bedeutet für ihn vor allem, dass die Vorgehensweise der Theologie transparent und nachvollziehbar sowie, und das ist das Ausschlaggebende für unseren Zusammen­ hang, wahrheitsfähig ist. Dieser Punkt meint, dass theologische Sätze den Anspruch haben, das zu beschreiben, was der christliche Glaube als wahr erachtet. Es gehe darum »einen aussagbaren, wahren (also jedenfalls auch wahrheitsfähigen) Inhalt« zu beschreiben. Wenn das nicht gelinge, würden die Aussagen des Glaubens, deren wissenschaftliche Durchdringung Aufgabe der Theologie ist, ihre Wahrheitsfähig­ keit verlieren und damit würde auch ihr Status als Glaubensinhalt fragwürdig. Für Härle ist es gerade um der »psychischen und sozialen Funktionen« des Glaubens willen notwendig, diese Wahrheitsfähigkeit auszuweisen.84 Dahinter steckt ein von Anselms berühmten Diktum fides querens intellectum beeinflusstes Dogmatikver­ ständnis. Härle schreibt, dass es »dem Glauben angemessen [ist], daß seine Inhalte in Form von Aussagen und Aussagezusammenhängen als Lehre dargestellt werden.« Das wiederum gelte deswegen, weil der Inhalt des Glaubens als wahr bezeugt werde. Das bedeutet, dass für Härle diese Wahrheit des christlichen Glaubens stets durch eine in sich kohärente Lehre ausgewiesen werden müsse, auf die sich der Glaubende 82

  W. Härle, Dogmatik, 1994.   AaO., 29. 84   AaO., 21. 83

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in Momenten von »Anfragen und Zweifeln« beziehen könne, um diese, wenn auch nicht gänzlich auszuräumen, dann doch zu entkräften.85 Für unseren konkreten Fall, also die Rede vom Tod, bedeutet das, dass die Glaubensinhalte, die sich auf den Tod beziehen, in der Form von Lehraussagen, die in sich kohärent sind, formuliert wer­ den müssten, wenn auch, sozusagen selbstrelativierend, mitgedacht werden muss, dass es sich bei diesen Aussagen um Abduktionen handelt. Härles Dogmatik gliedert sich so, dass er zunächst das für ihn maßgebliche Wesen des christlichen Glaubens erörtert (Hauptteil I), um dann das sich aus dem Wesen ergebende Gottes- (Hauptteil II A.) und Weltverständnis (Hauptteil II B.) beschreibt. Die Eschatologie kommt also klassisch ganz zum Schluss als letzter Teil des Welt­ verständnisses unter der Überschrift »Die vollendete Welt« vor. Härle äußert sich zu Beginn seiner eschatologischen Ausführungen über den Status eschatologischer Sätze. Hier sei »die größte Behutsamkeit« überhaupt geboten, dafür sprächen erkenntnis­ theoretische, inhaltlich-dogmatische und seelsorgerliche Gründe. In Bezug auf die erkenntnistheoretischen Gründe sagt er, dass alles, was eschatologisch beschrieben wird, »die irdisch-geschichtlichen Erfahrungsmöglichkeiten transzendiert«, weil hier etwas Verborgenes beschrieben werde, und somit eine erkenntnistheoretische Unsi­ cherheit herrsche. Deswegen habe die Dogmatik hier möglichst genaue Rechenschaft abzulegen, von woher sie ihre eschatologischen Aussagen gewinne und welchen Sta­ tus sie hätten.86 Diese Einschränkung erfährt die Eschatologie oft, wir haben schon gesehen, dass sich hier regelmäßig auf Schleiermacher bezogen wird (und so macht es auch Härle). Es erscheint auf den ersten Blick ja auch sinnvoll, dass die letzten Dinge besonders schwer dogmatisch zu fassen sind. Auf den zweiten Blick erscheint diese Einschränkung jedoch weniger sinnvoll. Erstens, weil ihr fast immer Ausführungen folgen, die diese vermeintliche Vorsicht vergessen und munter weit über die Erfah­ rungsebene des Menschen hinaus spekulieren. Zweitens, weil es ja auch nicht stimmt, dass diese erkenntnistheoretische Einschränkung nur hier zur Geltung kommt. Viel­ mehr gilt das für viele Teile der Dogmatik wie etwa die Gotteslehre oder die Chris­ tologie, um nur zwei Beispiele zu nennen. Auch hier gehen die dogmatischen Sätze jeweils weit über das in der Erfahrung verfügbare hinaus, wenn sie spekulative Lehr­ aussagen bilden und zwar auch, wenn diese die Form von Abduktionen haben. Dass diese »größte Behutsamkeit« in der Durchführung dann oft scheinbar keine Rolle mehr spielt, zeigt sich auch am Beispiel Härles. So beginnt er seine Ausführungen über den Tod sogleich mit der Diskussion zwischen dem Tod als »Trennung von Leib und Seele« und dem Tod als »Definitives Ende des Menschen«. Es ist leicht zu erkennen, dass hinter diesen Begriffen die nun schon bekannten Alternativvorstel­ lungen »Unsterblichkeit der Seele« und »Ganztodtheorie« stecken. Härle kann bei­ den Theorien etwas abgewinnen, votiert aber letztlich für ein Verständnis des Todes, das sich an Jüngel anschließt, wenn er dessen Gedanken auch modifiziert, und somit 85 86

  AaO., 12.   AaO., 600.

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wohl eher der Vorstellung des Todes als »Definitives Ende des Menschen« zuzuord­ nen ist. Zwei Dinge sind zu nennen, bevor ich Härles Modifikation des Jüngelschen Todesverständnis beschreibe. Zunächst: Härle unterschlägt nicht, dass der Ganztod meistens damit verbunden wird, dass »der Auferstehungsgedanke (als Gegenbild zur Unsterblichkeit der Seele) starkgemacht wird.« Sodann: Wie schwierig es ist, in der Praxis die gebotene Zurückhaltung gegenüber spekulativer Rede in der Eschatologie durchzuhalten oder auch wie leicht die Ebenen verrutschen zeigt, dass Härle, als er den Umgang mit der Kontinuitätsfrage auf der Seite derjenigen, die einen Ganztod vertreten, bespricht, schreibt: »Hier scheint nur so etwas weiterzuhelfen wie die Vor­ stellung, daß Gottes Gedanken die ›Identität‹ der Verstorbenen aufbewahrt und zum ›Kern‹ ihrer eschatologischen Neuschöpfung werden läßt. Übersetzt man den bild­ haften Ausdruck ›Gedanken Gottes‹ in eine theologische Aussage, dann ließe sich das damit Gemeinte so ausdrücken: Was den Tod des Menschen überdauert und seine eschatische Identität ausmacht, ist das, und nur das, was im irdisch-geschichtlichen Dasein des Menschen an Liebe empfangen und gelebt wurde.«87 Hier wird es also als notwendig erachtet, den Bereich bildhafter Sprache zu verlassen, um zu erhellen, was mit den theologischen Sätzen gemeint ist. Härles »Lösung« des »eschatologi­ schen Dilemma« beschreibt er dann, ohne jetzt zu sehr ins Detail zu gehen, so, dass der »Geist Gottes« als Lebensprinzip im Menschen, den Tod durchhält und »den sterblichen Menschen dauerhaft (also über die Schwelle des Todes hinweg) mit Gott verbindet und so den Keim der Auferstehung bildet.«88 Geist Gottes, mit Gott verbindet und Keim der Auferstehung sind jedoch ebenso bildhafte Rede, sonst ist nicht zu verstehen, was gemeint ist. Sie kommen entweder genauso und genauso wenig in unserer lebensweltlichen Erfahrung vor wie die Gedanken Gottes, werden von Härle jedoch nicht wieder übersetzt. Ich will damit nicht sagen, dass es nicht möglich wäre, diese Begriffe nun wiederum mithilfe von Härles System zu abstrahieren und durch vermeintlich weniger bildhafte Rede zu ersetzen. Doch das würde das Problem nicht lösen, dass auch noch so technische Begriffe, sobald sie von Gott, dem Leben nach dem Tod oder einem anderen Thema im Bereich der Inhalte von Religion reden, zu bildhaften Begriffen oder, anders ausgedrückt, zu symbolischer Rede werden. Nun zum eigentlichen Todesverständnis Härles: Er referiert zunächst Jüngel, der den Tod als »Verhältnislosigkeit« definiert. Diese Definition sei jedoch zu undiffe­ renziert, denn sie vergesse die Beziehungen, die von anderen Menschen zu der toten Person ausgehen. Diese Beziehungen seien mit dem Tod natürlich nicht zu Ende. Hier denkt Härle etwa an Menschen, die die Gräber ihrer Lieben pflegen.89 Für Härle ist der Tod dann »das definitive Ende aller aktiven Möglichkeiten« und damit »der Eintritt in die zeitlich unbegrenzte Dauer des Zustandes reiner Passivität.«90 Die 87

  AaO., 631.   AaO., 636. 89   AaO., 632. 90  Ebd. 88

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Unterscheidung zu Jüngel liegt vor allem darin, dass Härle den Toten eben nicht aus seiner Gottesbeziehung herausnehmen möchte. Diese Beziehung bleibe für den Menschen intakt, ja sie werde sogar intensiviert, indem der Mensch selbst nun nicht mehr destruktiv auf sie einwirken könne. Für unsere Belange ist diese Beschreibung ausreichend, wenn auch Härle sicher noch einige Details dazu denkt. Aber es sollte klar geworden sein, dass auch Härle nicht darum herumkommt, ja, dass es gera­ dezu zu seinem oben beschriebenen Programm gehört, dass er Theorien über den Zustand nach dem Tod aufstellt, die mit einem, durch die Rede von der Abduktion relativierten, aber dennoch so formulierten Wahrheitsanspruch ausgestattet sind. Auch er diskutiert alternative Szenarien und votiert schließlich für eines dieser Sze­ narien, weil es am besten zu der von ihm aufgestellten Lehre passt. Dabei müssen die Grenzen zwischen bildhafter und nicht-bildhafter, zwischen symbolischer und eigentlicher Rede verrutschen und eine eher nicht intendierte, aber zumindest in Kauf genommene Verwirrung über den Gehalt seiner Sätze entstehen. 2.2.5  Werner Thiede 91 Das hier zu besprechende Werk ist eine Dissertation aus dem Jahr 1990, die eigent­ lich eine Religionspädagogische Arbeit ist. Sie beeindruckt durch einen 200 Seiten umfassenden sehr gelehrten systematischen Teil.92 Werner Thiede unternimmt es in seinem Buch, für ein Mehr an Attraktivität der Lehre von der Auferstehung der Toten zu streiten. Durch das Offenlegen dieses Vorhabens zu Beginn der Studie macht der Autor deutlich, dass auch er eine sozusagen ideologische Herangehens­ weise an das Thema wählt. Das Ziel steht bereits vor Beginn der Studie fest. Das nimmt der Behandlung des Gegenstandes etwas von seiner existentiellen Dringlich­ keit. Sein Buch behandelt dann tatsächlich den Tod als Phänomen nur an Rande, ist aber in dieser Darstellung aufgenommen, weil es sich, wenn auch mit anderen Vor­ zeichen, in die Diskussion um Unsterblichkeit der Seele und Auferstehung der Toten einreiht, die ich hier als maßgeblich für den zu beschreibenden Debattenstrang benannt habe. Thiede streitet für die Auferstehungshoffnung gegen einerseits die Vertreter der Unsterblichkeitslehre und andererseits gegen die im 20. Jahrhundert sehr prominenten Vertreter einer rein präsentischen Eschatologie, die ich hier in meiner Darstellung aber weglasse, weil sie für das Thema Tod weniger relevant sind. Das Ziel von Thiedes Buches ist dann wieder ein genuin religionspädagogisches: Er möchte, dass die Auferstehungshoffnung wieder mit größerer religionsdidakti­ scher Sorgfalt ins Auge gefasst wird.93 Dafür möchte er aber zunächst in seinem systematischen Teil »Kriterien für die Frage liefern, was der Glaube an die ›Aufer­ stehung der Toten‹ seinem ursprünglichen Sinn nach bedeutet und ob er auf dem 91

  W. Thiede, Auferstehung der Toten. Hoffnung ohne Attraktivität?, 1991.   AaO., 11 – 200. 93   AaO., 10. 92

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Feld neuzeitlicher Denkstrukturen zwischen Mythos und Logos überhaupt noch einen Anspruch auf Wahrheit erheben kann.«94 Insofern passt der Ansatz Thiedes durchaus zu dem hier vertretenen: Die Frage nach dem, was hinter dem Glauben an die Auferstehung steht (wenn auch Kriterien für die Frage ein merkwürdig um die Ecke formuliertes Ziel ist und das, was ursprünglich dahinter steht, wohl unaufdeck­ bar ist und sicher weniger interessant ist als das, was wir heute diesem Denken für einen Sinn geben können) ist ein lohnenswertes Unterfangen. Auch die Idee, die, im weitesten Sinne, Frage nach dem Tod aus religionspädagogischer Sicht zu betrach­ ten, also mit dem Blick auf Schülerinnen und Schüler, mit denen man über Tod und Auferstehung ins Gespräch kommen soll, leuchtet unmittelbar ein. Für Thiede ist ein Schlüsselbegriff die Attraktivität der Lehre. Diesen Begriff halte ich aller­ dings für problematisch, weil er andere Zusammenhänge impliziert (ähnlich wie wenn gelegentlich von einer sexy Lehre oder Theorie gesprochen wird), die mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun haben. Dennoch denke ich, dass der Impuls hier richtig ist, dass es um eine Lehre vom Tod geht, die anschlussfähig ist. Leider sieht seine Systematik in der Durchführung jedoch anders aus, als es in der Einleitung so verheißungsvoll klingt. Bzw. er widerspricht sich selbst, wenn er bspw. als herme­ neutischen Schlüssel für die biblische Darstellung Luthers Schriftprinzip anwendet. Damit kann er höchstens zu dem vorstoßen, was Luther als Sinn hinter der Lehre von der Auferstehung sah, aber nicht zum ursprünglichen Sinn.95 Thiede nimmt das Thema systematisch unter vier Gesichtspunkten, wie gesagt beeindruckend gelehrt, unter die Lupe: Mythos und Auferstehung (1), Bibel und Auferstehung (2), Wirkungsgeschichte der Auferstehungshoffnung (3) und Aufer­ stehungshoffnung in der neueren Systematischen Theologie (Stand 1990) (4). Dabei, das wird besonders in dem Teil sichtbar, in dem Thiede formuliert, warum die Auf­ erstehungshoffnung für ihn in der Systematischen Theologie wichtig ist, arbeitet er sich letztlich doch auch an einem kohärenten Lehrsystem auf der Ebene von gegen­ ständlichen Glaubensaussagen ab. Das ist es, was er anstrebt, und das ist es, was es für ihn nur unter Hinzunahme der Lehre von der Auferstehung geben kann. So ist die Begründung für mehr Attraktivität letztlich eine rein binnentheologische. Die Notwendigkeit, an ihr festzuhalten, wird nicht, wie es so schön klang, aus seelsorger­ lichen oder lebensweltlichen Gründen angenommen, sondern ist eine reine SystemNotwendigkeit.96 Insofern erliegt auch er der Versuchung, Ansätze dafür zu kriti­ sieren, dass sie es nicht schaffen eine aporiefreie gegenständliche Jenseitstheologie zu entwickeln. Er selbst aber plädiert für eine stärkere Aufnahme des »Bild[es] vom Seelenschlaf« und verkennt dabei, dass es sich hier, weil es eben ein Bild ist, nicht um einen Kniff handeln kann, mit dem man denklogische Aporien verhindert. Über­ haupt verschwimmen bei ihm die Grenzen zwischen den Ebenen und letztlich bleibt 94

 AaO., 7.   Vgl. aaO., 77. 96   Vgl. aaO., 150. 95

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sein argumentatives Ziel undeutlich. So lobt er einerseits Luther, mit dem »auch die Auferstehungstheologie einen geradezu unvergleichbaren dogmengeschichtli­ chen Höhepunkt«97 erreicht habe, weil er so »anschaulich – konkret und symbolisch zugleich« von der »Leiblichkeit der Vollendeten«98 redet, unterstreicht dann aber in seiner eigenen Systematik die Bedeutung einer Lehre einer »real-zukünftigen Toten­ auferstehung«.99 Diese braucht es für ihn, damit sich die Theologie überhaupt ent­ falten kann, denn die Eschatologie, so sagt er mehrmals in Aufnahme eines Althaus Zitats, ist für ihn essentiell für die Theologie überhaupt.100 Die Fragen, die er dann als Grund für diese Bedeutung anführt, verwundern, wenn man bedenkt, dass es sich hier um universitäre Theologie des späten 20. Jahrhunderts handelt. So fragt er bspw.: »Warum etwa hat der ewige Gott – gegenüber jüdischem Monotheismus stellt sich die Frage trinitätstheologisch verschärft – überhaupt Welt geschaffen und sich nicht mit sich selbst ›begnügt‹?«.101 Wer solche Fragen beantworten möchte, der brauche die Lehre von der Auferstehung der Toten. Ich breche die Darstellung der Studie Werner Thiedes hier ab, weil sie für unsere Fragestellung nun nichts Neues mehr liefert. Es ging bei der Vorstellung seines Ansatzes lediglich darum, noch einmal zu zeigen, dass sich die Diskussion um den Tod am Ende des 20. Jahrhunderts auf eine Metadiskussion um die Frage Auferstehung der Toten oder Unsterblichkeit der Seele verlegt hat (Thiede diskutiert eine Unzahl von Positionen) und dass es bei dieser Diskussion dann doch wieder um die handfest vorkritische Frage nach einer realen Beschreibung des Jenseits und der Auferstehung geht. 2.2.6  Gisbert Greshake 102 Gisbert Greshakes Ansatz fällt in gewisser Weise aus der Reihe dieser Darstellung, weil es sich nicht um einen protestantischen Ansatz handelt und weil er, gerade des­ wegen, natürlich auch nicht einfach die protestantische Diskussion reflektiert bzw. weiterführt. Dennoch gibt es gute Gründe, ihn hier mit zu behandeln. Kann man sagen, dass sich die protestantische Diskussion um den Tod und das katholische Denken mindestens bis zu der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg relativ unabhängig voneinander bewegt haben oder genauer gesagt, dass es auf Seiten der katholischen Theologie keine maßgebliche Diskussion gegeben hat,103 führte ab den 1950er Jahren  97

  AaO., 98 f.   AaO., 97.  99   AaO., 143. 100   Vgl. aaO., 6 u. 144. 101   AaO., 145. 102   Greshake / Kremer, Resurrectio. 103   S. aaO., 251: »Die katholische Theologie, deren Eschatologie-Traktat um die Jahrhundert­ wende und in den ersten Dezennien dieses Jahrhunderts zunächst ohne ausdrücklichen Kontakt mit der evangelischen Eschatologie entfaltet wurde, hat im Allgemeinen die schroffe Kontrastierung von Unsterblichkeit und Auferstehung sowie die Ablehnung der ersteren nicht geteilt, sondern sich  98

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die »protestantische Alternative ›Auferstehung contra Unsterblichkeit‹«104 dazu, dass auch die katholische Diskussion in Bewegung kam und »bei nicht wenigen neue­ ren katholischen Theologen zur These von einer ›Auferstehung im Tod‹«105 führte. Insofern kann man sagen, dass sich die katholische Diskussion um die Auferstehung im Tod durchaus auch als Metadiskussion der maßgeblichen protestantischen Theo­ logien des Todes des 20. Jahrhunderts verstehen lässt. Greshake selbst beschreibt die Entwicklungslinie dieses Denkens von Romano Guardini ausgehend106 und konsta­ tiert, dass es in den sechziger Jahren zur These der Auferstehung im Tod gekommen sei. Neben Gerhard Lohfink kann Greshake selbst als der maßgebliche Verfechter dieser Lehre angesehen werden und gilt mir daher prototypisch zur Darstellung der­ selben, die ich hier als, natürlich mit den genannten Einschränkungen versehen, Weiterführung oder zumindest Aufnahme der protestantischen Gedanken verstehe und die, wie das Beispiel Henning oben gezeigt hat, ja wiederum auch ihrerseits wie­ der in die protestantische Diskussion eingegriffen hat. Versucht man den Kerngedanken einer Auferstehung im Tod zusammen zu fas­ sen, wäre das: »Durch Leben, Sterben und Auferstehen des einzelnen kommt je und je ein Glied jenes ›Leibes‹ zur Vollendung, der erst in der Vollendung aller sein Ple­ roma erreicht haben wird.«107 Die Auferstehung jedes einzelnen (Individualeschato­ logie) und die Auferstehung aller am jüngsten Tag (Universaleschatologie) sollen so, wie Greshake es fasst, in einem dynamischen Prozess miteinander verknüpft werden. Es geht also einerseits darum, die biblische Anthropologie, die auch in der Exegese der katholischen Theologie auf ein ganzheitliches Menschenbild hinausläuft,108 ernst zu nehmen (keine anima separata) und andererseits die Tradition im Sinne der neu­ zeitlichen Philosophie richtig zu verstehen. So schreibt Greshake, dass es sich hier im Grunde um die radikale Konsequenz der »anima-unica-forma-corporis-Lehre« handele.109 Gleichsam soll die traditionell mit Hilfe des Zwischenzustandes gefüllte zeitliche Lücke zwischen dem Tod des Einzelnen, der gleichzeitig auch die Auferste­ hung des Einzelnen ist, und der Auferstehung am jüngsten Tag, also dem Ende der Welt, dadurch ausgefüllt werden, dass die Inkommensurabilität der Zeit Gottes und der Zeit der Erde behauptet wird. Es zeigen sich hier also die gleichen Prämissen wie in der evangelischen Dis­ kussion, die ebenfalls zu den gleichen Problemen führen, die hier allerdings auf­ seit den fünfziger Jahren kritisch mit der protestantischen Position auseinandergesetzt.«; vgl. auch Remenyi, Auferstehung, 503 ff. 104   Greshake / Kremer, Resurrectio, 253. 105  Ebd. 106   R. Guardini, Die letzten Dinge. Die christliche Lehre vom Tode, der Läuterung nach dem Tode, Auferstehung, Gericht und Ewigkeit, 51952, bes. 59. Zitiert nach Greshake / Kremer, Resur­ rectio, 253. 107   Greshake / Kremer, Resurrectio, 266. 108   Vgl. aaO., 7 – 155. Hier wird von Jacob Kremer die »bibeltheologische« Grundlage ausgear­ beitet. 109   AaO., 272.

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grund der katholischen Grundlage noch einmal verschärft werden. Es wird versucht, sowohl die unterschiedlichen Lehrstränge der Theologie in Einklang zu bringen (Anthropologie, Soteriologie, Eschatologie) als auch die Debatte der neueren Phi­ losophie (Phänomenologie des Leibes) aufzunehmen als auch, und das verschärft die ganze Situation noch, die katholische Lehrbildung mit einzubeziehen. So muss Greshake zum Beispiel zu zeigen versuchen, dass seine Ideen nicht im Widerspruch mit dem katholischen Glauben an die leibliche Aufnahme Marias in den Himmel stehen.110 Das führt dazu, dass der Tod nicht ohne eine Vielzahl von äußerlichen Grundvoraussetzungen in den Blick kommen kann, sondern eben nur so, dass er möglichst widerspruchfrei (dass es nicht gänzlich widerspruchsfrei geht, wird schon anerkannt) in die schon vorhandenen Denksysteme mit einbezogen werden kann. Zusätzlich dazu wird ein weiterer Widerspruch selbst mitgeführt. Jacob Kremer hat in seiner »bibeltheologischen« Einleitung des Buches, in dem Greshakes Text steht, und das von ihm und Kremer in gemeinsamer Arbeit geschrieben wurde, selbst gezeigt, dass die Polysemie der Rede von der Auferstehung beachtlich ist. So schreibt er: Auferstehung bzw. Auferweckung der Toten bedeutet vom Wort her das Aufstehen oder Auf­ wachen bzw. das Aufrichten oder Aufwecken der Toten, die wie Schlafende im Bereich des Todes (Grab) weilen. Im einzelnen kann dieser Begriff im Neuen Testament sehr unterschied­ liche Inhalte bezeichnen bzw. umfassen. 1. Das Zurückrufen oder Zurückkehren eines Toten in das Leben dieser Welt; 2. Die einzigartige und endgültige Errettung Jesu aus dem Tod; 3. Die endzeitliche, durch Christus vermittelte Auferstehung der verstorbenen Christen (Auf­ erstehung zum Leben); 4. Die endzeitliche Auferstehung aller Toten, und 5. Die Errettung aus dem Tod der Sünde in die Bekehrung (Taufe).111

Greshake schließt sich dem ausdrücklich an und verweist zusätzlich dazu auf ein Zitat des großen protestantischen Kirchenhistorikers Hans von Campenhausen, der geschrieben hat: »Im übrigen ist es auch so, daß der Mensch nirgends so ver­ schiedenartige und einander widerstreitende Vorstellungen nebeneinander ertragen kann, wie gerade im Bereich der Jenseitshoffnungen und der Ewigkeit. Das hat viel­ leicht seinen guten Sinn, und jedenfalls haben auch die Christen von diesem allge­ meinen Gesetz – soweit wir sehen – nie eine Ausnahme gebildet.«112 Beide Befunde, die Polysemie der Bibel und die verschiedenen Vorstellungen der Tradition, die immer nebeneinander bestanden haben, sprechen gegen den unternommenen Ver­ such der klaren Festlegung und Vereinheitlichung, werden aber bewusst und trotz Affirmation letztendlich, m. E. nur aus Gründen der Konvention, missachtet.

110

  Vgl. aaO., 268.   AaO., 14. 112   Zitiert nach aaO., 275 f. 111

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2.2.7  Erich Schmalenberg 113 Erich Schmalenberg hat sich vor allem in den 1970er Jahren intensiv mit dem Tod in der Theologie und darüber hinaus auseinandergesetzt. Neben seiner Dissertation zum Todesverständnis bei Simone de Beauvoir114 und seiner Habilitation mit dem Titel ›Tod und Tötung. Eine dogmatische Studie zur theologia mortis‹115 hat er noch ein kleines Heft in der Reihe ›Calwer Hefte‹ verfasst,116 das eher an ein breites Pub­ likum gerichtet ist. Außerdem hat er noch diverse Aufsätze veröffentlicht, die aber inhaltlich nicht soweit abweichen, dass sie extra erwähnt werden müssten. Ich kon­ zentriere mich auf die Habilitation und die ›Calwer Hefte‹, da sie repräsentativ für Schmalenbergs Herangehen an die Frage des Todes sind. Ich beginne mit der Habilitation. Zunächst ist sofort ersichtlich, dass diese in den Bereich dessen fällt, was ich als Metadiskussion bezeichnet habe. Er nimmt explizit die Konzeptionen von Althaus, Barth und Thielicke auf und diskutiert sie unter den Überschriften Tod als Gericht (Thielicke), Tod als Befreiung zum natürlichen Ster­ ben (Barth) und Tod als Gericht, Befreiung und Natur (Althaus) und nimmt sie im Laufe der Studie immer wieder als Bezugspunkte.117 Im Folgenden wendet Schma­ lenberg dann alle möglichen dogmatischen Konzepte, vor allem die der unterschied­ lichen Gebrauchsweisen des Gesetzes, auf den Tod an und möchte ihn in Bezug auf diese »reflektieren«.118 Dabei wird das Buch zu einem Sammelsurium, in dem es keinen roten Faden gibt und wäre auch nicht weiter erwähnenswert, wenn in seinem Ansatz nicht etwas auftauchen würde, was paradigmatisch für die Theologie, nicht nur des 20. Jahrhunderts, in Bezug auf den Tod ist. Schmalenberg lässt das Phäno­ men des Todes nämlich nicht wirklich zu Wort kommen und das, obwohl er sich in der Dissertation ausführlich mit der letztlich phänomenologisch arbeitenden Philo­ sophin Simone de Beauvoir beschäftigt hat. Stattdessen überfrachtet er die Theologie des Todes mit einer Fülle an unterschiedlichen und im Einzelfall auch begründeten theologischen Voraussetzungen, die einen Blick auf den Tod letztlich verstellen. Für Schmalenberg ist die theologische Leitkategorie, die ihn auch im Blick auf den Tod leitet, die des Menschen als ganz und gar Sünder. Insofern unterscheide sich der Tod für den »Gerechtfertigten« nicht vom Tod für den »Gottlosen«. Das gelte aber nur oberflächlich. Betrachte man hingegen die »Wesensbestimmtheit« des Todes, dann ergebe sich ein anderes Bild. Denn was der Tod für den Einzelnen bedeute, ergebe sich primär aus »unserer Gottesbeziehung«.119 Und entscheidend ist für Schmalen­ 113

  E. Schmalenberg, Tod und Tötung, 1976 und Ders., Tod, Gericht, Unsterblichkeit, 1972.   E. Schmalenberg, Das Todesverständnis bei Simone de Beauvoir, 1972. 115   Schmalenberg, Tod. 116   Schmalenberg, Gericht. 117  Vgl. Schmalenberg, Tod, 13 – 21; vgl. auch E. Schmalenberg, Der Sinn des Todes, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 14, 1972, 233 – 249. Hier macht er es genauso, reichert die unterschiedlichen Bereiche aber noch mit mehr Autoren an. 118   Schmalenberg, Tod, 28. 119   Vgl. für diesen Abschnitt aaO., 159. 114

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berg nun, »daß es Gott gefallen hat, propter Christum den Sünder zu rechtfertigen und das über ihn verhängte Verdammungsurteil in Freispruch zu verwandeln.«120 Allerdings müsse sich der Glaubende dieses Sachverhalts immer wieder gegen die Erfahrung im Glauben versichern, denn letztlich bleibe es bei einer »Nichtunter­ scheidbarkeit dieser experientia von derjenigen der Gottlosen.«121 Noch deutlicher wird dieser Widerspruch der, in meinen Worten, lebensfernen Theologie des Todes und einer möglichen anderen Herangehensweise, wie sie etwa auch bei de Beauvoir vorkommt, in dem kleinen Calwer Heft. Dieses teilt sich näm­ lich auf in zwei Bereiche, die unter den Überschriften »Der natürliche Tod«122 und »Der Tod vor Gott«123 laufen und eine klare Trennung vollziehen zwischen zunächst einem Blick auf den Tod aus allgemeinmenschlicher Perspektive, die jedoch auch für den Christen zu gelten habe, und sodann einem dezidiert christlichen Blick, der wiederum vor allem den Menschen als Sünder in den Blick nimmt und den Tod aus dieser Warte heraus bedenkt. Diese Teilung des theologisch-thanatologischen Den­ kens in zwei Bereiche werden wir auch bei Jüngel und Thielicke so deutlich vorfin­ den (vgl. 2.3.1 u. 2.3.4). Dabei sind drei Dinge besonders bemerkenswert: 1.  Die klare und sofort nachvollziehbare Sprache des ersten Teils, der den Tod in einer phänomenologischen Beschreibung in seinen unterschiedlichen Aspekten zu fassen versucht und in dem klaren Schlussabsatz mündet: Zusammenfassend kann gesagt werden, daß alle Versuche, Leben und Tod einen Sinn, und das heißt: etwas Bleibendes, abzugewinnen, letztlich scheitern müssen. Der Sinn unseres Todes als Opfer für andere, als Beitrag zur biologischen Fortentwicklung der Gattung erweist sich aufs ganze gesehen als wenig tragfähig. Da es auch keinen anderen mehr geben wird, in dessen Gedächtnis der Ertrag unserer Existenz aufgehoben wäre, wird der Sinn aller Bemühungen um Selbstverwirklichung hinfällig. Schließlich kann es uns sogar einerlei sein, wie uns die anderen beurteilen. Denn denen, die gemäß dem Urteil anderer für lebenswert erachtet werden, ergeht es nicht besser als denen, die der Verwerfung anheimfallen. Dauern dürfen, unsterblich sein, ist nur eine Frage der Zeit, die einmal enden muß. Alle wären wir dazu bestimmt, nie dagewesen zu sein. Ob ein jeder sich selbst entleibt oder die Menschheit im ganzen sich selbst vernichtet, ist eine reine Geduldsfrage geworden. Früher oder später wird der Tod doch triumphieren.124

Hier scheint ganz klar seine Prägung durch den Existenzialismus durch. 2. Die quasi aus dem Nichts kommende Überschüttung mit einer Denkfigur aus der theologischen Tradition. Dabei kann angenommen werden, dass sich Schma­ lenberg selbst hier in Anlehnung an Tillichs Methode der Korrelation handelnd ver­ steht, die dabei maßgebliche Gleichursprünglichkeit von Antwort und Frage aber missachtet.125 Für ihn ist die Antwort nämlich klar und wie sie in der Frage vor­ 120

 Ebd.  Ebd. 122   Schmalenberg, Tod, 7 – 23. 123   AaO., 24 – 45. 124   AaO., 22 f. 125  Vgl. Schmalenberg, Todesverständnis, 19 f. 121

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kommt, wird nicht deutlich. Schmalenberg beschreibt den Menschen als hoffnungs­ losen Sünder, für den es eigentlich kein Recht gibt, auf dieser Welt zu leben und der von Gott das irdische Leben als »Gnadenfrist«126 erhalten hat, um sich dennoch zu bewähren. Das, was er aber nicht schaffen kann und daher nur durch Jesu Christi Kreuzestod hoffen kann, ist, trotzdem vor Gott Wohlgefallen zu finden. 3. Dass die Perspektive des Glaubenden auf den Tod so letztlich noch trostloser wird als die ohnehin schon trostlose des Existentialismus, die er im ersten Teil refe­ riert hat. So endet das Heft mit der Feststellung: »Der Ganztod ist Gottes Strafhan­ deln an uns zum Zwecke der ewigen Verhaftung. Er legt den Sünder für immer auf sein Schuldigsein fest. [. . .] Wohl dem, der dann, wenn er zur Rechenschaft gezogen wird, Jesus Christus auf seiner Seite hat und sich auf sein Kreuz berufen kann.«127 2.2.8  Oscar Cullmann128 Cullmanns kleines Buch ist die Neuausgabe eines im Kreuz Verlag erschienen Wer­ kes, das er zuerst als einen Beitrag zu einer Festschrift für Karl Barths 70. Geburts­ tag verfasst hat (1956) und das jeweils geringfügig verändert wurde, 1962 dann in Deutschland in Buchform vorlag und mehrere Auflagen erreichte. Die Veränderun­ gen sind allerdings zu vernachlässigen. Grundsätzlich geht es Cullmann darum, in ernster »Sorge um die Wahrheit«, wie er sagt, »den Gegensatz zwischen dem abge­ klärten philosophischen Unsterblichkeitsglauben und der mutigen und freudigen Auferstehungshoffnung des Urchristentums« deutlich zu machen.129 In dieser Selbst­ aussage werden auch schon die drei Stoßrichtungen seines Denkens klar. Erstens versteht auch er seine thanatologischen Überlegungen programmatisch und ordnet sie von vorneherein einem Ziel unter. Zweitens versteht er sich als Neutestamentler, der das biblische gegen das »griechische« Zeugnis stellen möchte und durchaus den Anspruch erhebt, zu wissen, was nun wirklich von den Urchristen geglaubt wurde. Sodann ist für ihn dieses Ursprüngliche auch das Wahre. Drittens gilt für ihn, dass »die beiden diametral entgegengesetzten Lehren« absolut nicht »vereinbar« sind.130 Das Pathos, das hier schon durchklingt, durchzieht das ganze Buch und macht es so unterhaltsam, aber auch unauthentisch, ja überzogen. So schreibt Cullmann bei­ spielsweise: »man hat das 15. Kapitel des 1. Korintherbriefs dem ›Phaidon‹ geop­ fert.«131 Formal geht es bei Cullmann dann um eine Gegenüberstellung des Todes Jesu und des Todes des Sokrates, oder anders gesagt, der Ansicht von Paulus und der von Platon. Inhaltlich macht er zum einen die Bedeutung des Todes stark: »Wer den Tod besiegen will, muß sterben, aber noch einmal: wirklich aufhören zu leben, nicht 126

  Schmalenberg, Tod, 28.   AaO., 45. 128   O. Cullmann, Unsterblichkeit der Seele oder Auferstehung der Toten?, 1986. 129  AaO., 8. 130   AaO., 10. 131  Ebd. 127

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einfach weiterleben als unsterbliche Seele, sondern das kostbarste Gut, das Gott uns geschenkt hat, das Leben selbst verlieren.«132 Weil der Tod eben als ein wahrer Tod zu verstehen sei, müsse es auch einen echten, neuen »Schöpfungsakt« Gottes geben, der alles zurückruft, was »der Tod vernichtet hat«.133 Zum anderen plädiert er gegen einen, von ihm durch griechisches Denken eingewandert verstandenen Dualismus und möchte zeigen »wie verschieden die Anthropologie des Neuen Testaments von der platonischen ist.«134 Und weil nach der biblischen Anthropologie die Erlösung eben in einer Erlösung von Seele und Leib bestehe, deshalb könne diese Erlösung, die eine Erlösung von der Todesmacht des Fleisches sei, eben erst dann eintreten, wenn die »ganze Schöpfung durch den Heiligen Geist neugeschaffen wird.«135 Cullmann plädiert also sowohl für eine starke Deutung des individuellen Todes als hartes Ende des Menschen als auch für eine Auferstehung, die universaleschatologisch gedacht ist und die gesamte Schöpfung als Neuschöpfung am jüngsten Tag wieder vereint. Cull­ mann möchte gleichzeitig, weil die Verfasser des Neuen Testaments, besonders Pau­ lus, so gedacht hätten, den Verlauf der Welt hin zu ihrem Ende als temporale Abfolge verstehen und kommt so in die Pflicht zu erklären, was mit den Toten ist, bis sie am jüngsten Tag wieder auferstehen werden. Für ihn sprechen die biblischen Belege dafür, dass im Neuen Testament davon ausgegangen wird, dass die Toten noch in der Zeit sind, daher erklärt er, weil er weitere Spekulationen vermeiden möchte, diesen Zwischenzustand als Schlaf. Auch für diese Deutung gibt er biblische Belege an.136 Cullmann gehört in den hier beschriebenen Debattenstrang. Er greift mit der Diskussion Unsterblichkeit oder Auferstehung die schon vor ihm, in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg, begonnene Diskussion auf und bedenkt das theologische Pro­ blem des Todes auf einer Metaebene. Andererseits, auch wenn er dies selbst anders als viele nicht sagt, vertritt er eine Todesvorstellung, die in späteren Beschreibungen als Ganztod bezeichnet worden wäre und wurde. Dass der Begriff selbst bei ihm nicht vorkommt, liegt wahrscheinlich daran, dass die erste Fassung seines Textes aus dem Jahr 1956 stammt und somit noch vor der Einbürgerung des Begriffs in die Debatte geschrieben wurde. Damit gehört er in gewisser Weise auch zum zwei­ ten gleich zu beschreibenden Debattenstrang derer, auf die in der Metadiskussion Bezug genommen wird. Ich möchte daher kurz darauf eingehen inwiefern man ihm gerecht wird, wenn man seine Gedanken als Ganztodtheorie bezeichnet. Es dürfte klar geworden sein, dass Cullmann deswegen für eine harte Todesgrenze (Ganztod) plädiert, weil er meint, dies in den biblischen Quellen so vorzufinden. Allerdings sind, mit Ausnahme der Beschreibung des sterbenden Jesu, vor allem Überlegungen zur biblischen Anthropologie dafür leitend. Das paulinische Menschenbild sei das 132

  AaO., 29.  Ebd. 134   AaO., 40. 135   AaO., 41. 136   AaO., 55 – 60. 133

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eines aus Leib und Seele bestehenden und als Leib und Seele Erlösung erwartenden Menschen, der von der »Todesmacht des Fleisches« erlöst werden muss.137 Somit ist die thanatologische Pointe bei ihm eine harmatiologisch-anthropologische Pointe und der Ganztod letztlich nur eine Konsequenz dieser erst einmal unabhängig vom Tod stehenden Vorannahmen. 2.2.9  Ansgar Ahlbrecht138 Ahlbrechts Buch stellt den Anfang des dritten und hier zuerst dargestellten Debat­ tenstranges dar und nimmt damit eine prominente Position ein.139 Diese promi­ nente Stellung lässt sich allerdings durchaus begründen. So ist Ahlbrecht der erste, der einen Überblick über die Debatte in der evangelischen Theologie erarbeitet und damit den Strang der Metadiskussion einläutet. Das ist auch der Grund, warum sich so viele Autoren immer wieder auf ihn berufen und viele seiner Einordnungen über­ nehmen. So ist es Ahlbrecht, der den Ganztod als maßgebliche Deutekategorie für die thanatologischen Überlegungen der evangelischen Theologie im 20. Jahrhundert zwar nicht erfand (das war laut Kerstin Huxel sein Lehrer Karl Rahner – wofür ich allerdings keine Belege gefunden habe; vgl. 2.2.3.2), aber nochmals festschrieb und damit unterstrich. Ebenso ist es Ahlbrecht, der der protestantischen Theologie sei­ ner Gegenwart unterstellt, sie habe sich von einem »bisher noch weithin gemeinsa­ men eschatologischen Hoffnungsgut« getrennt und »leugne« nun »die Unsterblich­ keit der Seele«.140 Er zeichnet dann zwar einige Linien aus, die seiner Einschätzung nach dazu beigetragen haben, dass sich die evangelische Theologie in diese Richtung entwickelt hat, markiert die Theologie nach dem ersten Weltkrieg jedoch in Bezug auf die Thanatologie als Wegscheide. Diese Weichenstellungen liegen für ihn vor allem im »Unsterblichkeitsbegriff der Aufklärung«, den er auch unter dem Begriff des »Rationalismus« zusammenfasst, und in der Denkweise des Deutschen Idealis­ mus. Für beides verwendet er den Überbegriff »Immanentismus«.141 Diese Denk­ richtungen sind für ihn dadurch geprägt, dass für »gnadenhaft empfangene Teilhabe, die die Möglichkeit selbst eines unendlichen menschlichen Strebens unausdenkbar überbietet« kein Raum besteht.142 Ahlbrechts Vorwürfe laufen darauf hinaus, dass 137

  AaO., 41.   A. Ahlbrecht, Tod und Unsterblichkeit in der evangelischen Theologie der Gegenwart,

138

1964.

139

  Sein Buch wird in der Diskussion an vielen Stellen sowohl affirmativ als auch zurückweisend aufgegriffen und immer wieder zitiert. Vgl. z. B. Henning, Lust, 142, 174 und H.  Wohl­gschaft, Hoffnung angesichts des Todes. Das Todesproblem bei Karl Barth und in der zeitgenössischen Theologie des deutschen Sprachraums, 1977, 42, 53, 69, 85 f., 115 f., 136, 289, 317, 328. Sowie auch Henning, Gedanken, 237 und Greshake / Kremer, Ressurectio, 248, 251 Schmalenberg, Todes­ verständnis, 10, 18, und Ders., Tod, 81, 92. Das sind nur einige Stellen und es gibt noch mehr. 140   Ahlbrecht, Tod, 7. 141   AaO., 14 f. 142   AaO., 15.

2.2  Die dritte Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

51

er der evangelischen Theologie, die sich zu sehr an Aufklärung (Rationalismus) und Idealismus angenähert hätte, unterstellt, sie habe damit das »menschliche Unsterb­ lichkeitsverlangen« übersteigert und damit zum »Verlust wirklicher persönlicher Erfüllung« geführt.143 Diese Entwicklung habe die gegenläufige Entwicklung in der Theologie nach dem ersten Weltkrieg heraufbeschworen. Dazu komme noch, dass auch die Abkehr von einer substanziellen Seele, wie sie in der Psychologie betrieben worden sei, übernommen worden sei und auch von dieser Seite die Entwicklung in der evangelischen Theologie befeuert worden sei, die er als »Auftreten der neuen These« begreift.144 Die Beschreibung der bestimmenden Faktoren ist sicherlich nicht falsch, spielt aber in seinen zusammenfassenden Passagen fatalerweise dann keine Rolle mehr, sondern wird eher wieder vergessen. Es ist durchaus als schicksalhaft zu bezeichnen, dass ein katholischer Theologe in einer zumindest aus heutiger Sicht nicht sehr ausgewogenen Weise den ersten und damit prägenden Zugriff auf die Ent­ wicklungen der evangelischen Theologie in Bezug auf den Tod unternommen hat. Es scheint so, als habe er damit maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die Debatte, wie im bisherigen gezeigt, im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und bis in unsere Gegenwart hinein nicht von den Labeln Unsterblichkeit der Seele und Ganztod bzw. Auferstehung der Toten lösen konnte. Um es noch einmal pointierter auszudrücken: Ahlbrechts Darstellung ist höchst einseitig und versucht die negati­ ven Seiten der evangelischen theologischen Thanatologie seiner Gegenwart heraus­ zuarbeiten, um die katholische Position im Gegenüber zu stärken. In gewisser Weise bestimmt die Darstellung bei Ahlbrecht auch den Verlauf mei­ ner Studie. So ist es auch er, der zuerst Schlatter, Stange und Althaus als die maßgeb­ lichen Positionen der Entwicklung nach dem ersten Weltkrieg festlegt. Diese Zuord­ nung hat natürlich ihr Recht, haben diese doch maßgeblich zur Frage publiziert, ist aber natürlich auch eine nachträglich gemachte Zuordnung, die ihre Berechtigung im Nachgang zu Ahlbrecht durch jede weitere Studie, die diese Zuordnung über­ nahm bzw. wie meine übernimmt, selbst untermauert. Inhaltlich ist Ahlbrechts Buch dann nach dem bisher Geschriebenen wenig über­ raschend. Er referiert zunächst Stange und Althaus, als maßgebliche Systematiker der Entwicklung zu Beginn des Jahrhunderts und zeigt deren Beeinflussung durch Luther auf, die sich mit den Strömungen der Zeit verbänden (Skepsis gegenüber Philosophie, christologische Konzentration, Tendenz zur »Enträumlichung« und »Entzeitlichung« der Eschatologie, Betonung eines »heilsexistentiellen Denkens«145). Daraufhin erhebt er einen Befund über die evangelische Exegese seiner Zeit, die die Ablehnung des Unsterblichkeitsdenkens durch das Herausarbeiten einer spezi­ fisch biblischen Anthropologie unterstützt habe.146 Drittens fragt er nach den sys­ 143

  AaO., 17.   AaO., 14. 145   AaO., 26 f. 146   AaO., 44 – 78. 144

52

2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

tematischen Gesichtspunkten, die die einzelnen Systematiker und auch Exegeten neben den »sachgerechten Deutungen« beeinflusst haben.147 In diesem Abschnitt beschreibt Ahlbrecht, wenn auch immer nur in sehr knappen, meist nicht mehr als wenige Seiten umfassenden Passagen, welche innertheologischen, aber dezi­ diert nicht thanatologischen, Vorentscheidungen zu bestimmten Entwicklungen geführt haben. Dabei ist für uns besonders der Abschnitt von Interesse, in welchem er beschreibt, inwiefern die »Rechtfertigungslehre und die Frage des Fortlebens der Seele«148 zusammenhängen. Hier kommt er zu der von mir weiter noch auszufüh­ renden Beobachtung, dass gerade die im lutherischen Denken prominente Überzeu­ gung von der »völligen Nichtigkeit des Menschen gegenüber Gott«149 eben durch »Systemzwang« – ja er nennt es so! – zu einer Ganztodtheorie führen würden. Diese wichtigen und richtigen Gedanken kommen bei Ahlbrecht leider nur am Rande vor und merkwürdigerweise in einem Abschnitt, den er mit folgenden Worten einleitet: »Wie wir oben gesehen haben, waren es vor allem zwei Gründe, die der These vom Ganztod den Weg ebneten: Einmal die immanentistischen Unsterblichkeitsauffas­ sungen, die den Gegenschlag der Theologie herauforderten; sodann die aktualisti­ sche Psychologie.«150 Er widerspricht sich hier selbst, wenn er einerseits zeigt, dass die Pointe in der theologischen Bearbeitung des Todes gar nicht auf dem Ganztod liegt und andererseits diesen ständig als das Label auf die evangelische Theologie des Todes des 20. Jahrhunderts klebt. Dieser Selbstwiderspruch hatte, wie die weitere Beurteilung der Debatte gezeigt hat, schwerwiegende Folgen. Letztlich hofft Ahlbrecht darauf, und sieht sich in dieser Hoffnung durch einen Vortrag von Paul Althaus bestätigt,151 dass die evangelische Theologie sich wieder dem Unsterblichkeitsgedanken annähert und damit, um es etwas polemisch zu sagen, heimkehrt in den Schoß der wahren Lehre.152

2.3  Die zweite Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie im 20. Jahrhundert (1945 – 1971) Nun kommen die Positionen des von mir als zweite Welle thanatologischer Überlegungen identifizierten Debattenstranges zur Darstellung. Es handelt sich hier zunächst um eine thanatologische Einzelstudie Helmut Thielickes, die direkt nach dem Zweiten Weltkrieg publiziert und verteilt wurde (2.3.1). Diese bildet für mich den Anfang dieser Debattenphase. Anschließend blicken wir auf Karl Barths thana­ 147

  AaO., 78.   AaO., 112 ff. 149   AaO., 114. 150   AaO., 85. 151   P. Althaus, Retraktationen zur Eschatologie, in: Theologische Literaturzeitung 75, 1950, Sp.  253 – 260. 152  Vgl. Ahlbrecht, Tod, 127 f. 148

2.3  Die zweite Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

53

tologische Überlegungen innerhalb seiner ›Kirchlichen Dogmatik‹. Die hier zutage tretenden Punkte sind durchaus überraschend in Bezug auf Karl Barths übrige Anthropologie (2.3.2). Daraufhin wenden wir uns Wolfhart Pannenberg zu. Seine Position wird anhand seiner kleinen Anthropologie, deren Veröffentlichung genau in die hier beschriebene Zeitspanne fällt, erfasst (2.3.3). Schließlich blicken wir auf das wohl einflussreichste thanatologische Werk der jüngeren protestantischen Theolo­ giegeschichte, auf Eberhard Jüngels essayistische Studie ›Tod‹ (2.3.4). Die einzelnen Darstellungen sind nun deutlich detaillierter als bisher. Das hat seinen Grund zum einen darin, dass auch die vorgestellten Positionen dichter und komplexer sind. Zum anderen entspricht es wiederum der Dynamik der thanatologischen Wellenbewe­ gung. Wir befinden uns nun nicht mehr im Bereich einer Metadiskussion, sondern blicken auf eigenständige Denk-Entwicklungen, die ausführlich zur Sprache kom­ men sollen. 2.3.1  Helmut Thielicke: Tod und Leben. Studien zur christlichen Anthropologie 153 Ich werde mich der Thanatologie Helmut Thielickes und im Anschluss auch den anderen Werken dieser zweiten Welle unter fünf Gesichtspunkten annehmen. Zunächst werde ich etwas zu Thielickes Theologie im Allgemeinen sagen, um einen Rahmen der Einordnung für seine Thanatologie zu schaffen (2.3.1.1), dann werde ich aufzeigen, inwiefern Thielickes Thanatologie besonders auf ihre zeithistorischen Bedingungen bezogen ist (2.3.1.2), dann inwiefern diese Bezogenheit für die Philo­ sophie Hei­deg­gers gilt (2.3.1.3), dann werde ich seine Thanatologie inhaltlich erläu­ tern (2.3.1.4) und schließlich würdigen (2.3.1.5). 2.3.1.1  Helmut Thielicke als Thanatologe Helmut Thielicke gehört der Einschätzung Lutz Mohaupts zufolge zu den »einfluss­ reichsten theologischen Lehrern des 20. Jahrhunderts«, hat jedoch keine »Schule« gebildet und war nach seinem Tode »in der wissenschaftlich-theologischen Diskus­ sion bald mehr oder weniger vergessen«.154 Mohaupts Einschätzung aus dem Jahr 2002 kann auch heute noch zugestimmt werden. So ist Thielickes Theologie zwar Gegenstand einiger Dissertationen geworden155 und seine Ethik bzw. Anthropo­

153

  H. Thielicke, Tod und Leben, 1946.  Vgl. L. Mohaupt, Art. Thielicke, Helmut (1908 – 1986), in: Theologische Realenzyklopädie 33, 2002, 421 – 425. 155  Vgl. S. W. Hong, Existenz, Geschichte und Geist. Zur Entwicklung von Helmut Thielickes Denken in geschichtstheologischer Hinsicht, 1999 und F. Langsam, Helmut Thielicke. Konkretion in Predigt und Theologie, 1996 und K.‑J. An, Der christliche Glaube und dessen Verantwortung bei Helmut Thielicke. Eine Studie zur Geschichtstheologie, Ethik und Dogmatik Thielickes in ihren Grundlagen sowie zu deren Bedeutung für die gegenwärtige koreanische Gesellschaft, die koreani­ sche reformierte Kirche Koreas und ihre Theologie, 2009. 154

54

2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

logie, die beide eng zusammenhängen, wurden mehrfach gewürdigt.156 Es findet jedoch keine breite Auseinandersetzung mit seinem Denken statt. Außer den schon genannten Werken seiner Anthropologie und seiner Ethik, kann noch seine Dogma­ tik als maßgeblich für das Denken Thielickes gelten.157 Alle drei Werke sind deutlich später erschienen als das für unsere Belange maßgebliche Buch über den Tod. Blickt man auf Thielickes akademischen Werdegang, stellt sich heraus, dass das Buch über den Tod an einer wichtigen Scharnierstelle steht. Es markiert einerseits den Anfang seiner Karriere und steht dennoch in gewisser Weise in der Mitte. Thielicke promovierte sich 1931 sowohl zum Doktor phil. als auch zum Doktor theol.158 bei Paul Althaus. Althaus war für die gesamte theologische Thanatolo­ gie des 20. Jahrhunderts einflussreich. Insofern ist es bemerkenswert, dass Thieli­ cke sein Schüler war. 1936 habilitierte er sich, musste dann aber, weil er von den Nationalsozialisten mit einem »Schreib‑, Rede- und Reiseverbot« belegt wurde,159 seine akademische Karriere unterbrechen und wechselte als Pfarrer in die würt­ tembergische Landeskirche. Dort war er von 1940 bis 1942 Pfarrer in Ravensburg und anschließend Leiter des »Theologischen Amtes der Württembergischen Lan­ deskirche«, das extra für ihn geschaffen wurde.160 Da er recht offensichtlich kein Nationalsozialist gewesen war, wurde er nach Ende des Krieges schnell auf einen Lehrstuhl an der Universität Tübingen berufen. Er hatte zu diesem Zeitpunkt, wie immer wieder bemerkt wird, bereits erfahren wie wirkmächtig er in seiner Predigt sein konnte.161 Auf diese Bedeutung der Predigt für seine Theologie und für die Tha­ natologie insbesondere werden wir bei der Würdigung seines Ansatzes noch zurück­ kommen. Seine eigentliche akademische Karriere begann also erst ziemlich genau in der Mitte seines Lebens. Das erste Buch, das er in dieser neuen Funktion veröffent­ lichte, war ›Tod und Leben‹. Dass es auch in der Wahrnehmung seiner Zeitgenossen eine wichtige Rolle gespielt hat, zeigt die Festschrift zu Thielickes 60. Geburtstag, die u. a. von Bernhard Lohse herausgegeben wurde und sich mit dem Titel ›Leben Angesichts des Todes. Beiträge zum theologischen Problem des Todes‹ laut dem Vorwort der Herausgeber »ein bestimmtes Thema, das systematische Relevanz hat und von Anfang an im Mittelpunkt Ihrer [also Thielickes, KS] Studien zur christli­ 156  Vgl. P. Dabrock, Helmut Thielicke, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik 63, 2019, 154 – 158. Vgl. auch M. Moxter, Menschsein zwischen Natur und Interpretation. Eine Erinnerung an die Anthropologie Helmut Thielickes (1908 – 1986), in: 500 Jahre Theologie in Hamburg, 2005 sowie J. Rohls, Protestantische Theologie in der Neuzeit, 2018, 613 – 615, 816 – 817. 157  Vgl. Mohaupt, Thielicke. 158   Vgl. ebd. und Moxter, Menschsein, 317 sowie An, Glaube, 20. Moxter schreibt, dass die Promotion zu Lessing erfolgte. Das ist nicht korrekt. Die Habilitation erfolgte zu Lessing. Der Titel der philosophischen Dissertation lautet: ›Das Verhältnis zwischen dem Ethischen und dem Ästhetischen‹; der der theologischen: ›Geschichte und Existenz. Grundlegung einer evangelischen Geschichtstheologie.‹ 159  Vgl. Mohaupt, Thielicke. 160   Vgl. ebd. sowie An, Glaube, 24. 161  Vgl. Mohaupt, Thielicke und An, Glaube, 26 f. sowie Moxter, Menschsein, 318.

2.3  Die zweite Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

55

chen Anthropologie stand«, ausgesucht hat.162 Es ist also nicht sinnvoll, Thielickes Monographie vor dem Hintergrund der vielfältigen später veröffentlichten Schrif­ ten zu interpretieren, zu denen auch die oben genannten Hauptwerke zählen. Es dürfte ergiebiger sein, die weit weniger zahlreichen Schriften und Prägungen vor der Veröffentlichung von ›Tod und Leben‹ ins Auge zu fassen. Hier spielt vor allem ›Kritik der natürlichen Theologie‹ von 1937 eine Rolle.163 Kye-Jung An schreibt in seiner Dissertation zu Thielickes Prägung vor und während der Nazizeit, dass sie maßgeblich durch Paul Althaus, bei dem er promoviert wurde und der auch seine Habilitation betreute, durch Karl Barth, bei dem er in Bonn studiert hat und den er von gemeinsamen Veranstaltungen im Rahmen der bekennenden Kirche kannte, und durch sein reformiertes Elternhaus ausging.164 Thielicke wird häufiger auch als Lutheraner (Prägung der Erlanger Zeit) beschrieben.165 Nicht zuletzt durch seine kritische Haltung zum Nationalsozialismus und die weniger kritische Haltung der Erlangener Lutheraner Althaus und Elert, mit denen sich Thielicke laut seiner Auto­ biographie regelrecht auseinandersetzte,166 entwickelte er sich jedoch entschieden weiter. So verstand er im Rückblick seine Dissertation als eine Art Schrift gegen die Theologie seines Lehrers bzw. Werner Elerts: »Meine Dissertation – als ein Versuch, so etwas wie eine reformatorische Geschichtstheologie zu konzipieren – ist wesent­ lich aus Protest gegen diese fragwürdige Form natürlicher Theologie [eine Theologie der Schöpfungsordnungen, KS] hervorgegangen.«167 Jedoch bleibt der Gegensatz von Gesetz und Evangelium, also ein dezidiert lutherisches Grundmuster, in seiner Theologie zentral.168 Thielicke kombinierte diese lutherische Prägung allerdings mit einer »dezidierte[n] Offenbarungstheologie«169 und seiner reformierten Prägung.170 Insofern dürften das Lutherische Erlanger Prägung, der Offenbarungspositivismus Barth’scher Prägung und die reformierte Tradition seiner Barmen’schen Heimat die drei Dimensionen sein, die das Buch über den Tod geprägt haben.

162   H. P. Schmidt, Todeserfahrung und Lebenserwartung, in: B. Lohse (Hg.), Leben angesichts des Todes. Beiträge zum theologischen Problem des Todes. Helmut Thielicke zum 60. Geburtstag, 1968, VI. 163   Dass die Verwendung des Begriffs ›Natürliche Theologie‹ problematisch ist, hat Hans-Joa­ chim Birkner in seinem bekannten Aufsatz eindrücklich gezeigt. Vgl. H.‑J. Birkner, Natürliche Theologie und Offenbarungstheologie. Ein theologiegeschichtlicher Überblick, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 3, 1961, 279 – 295. 164   An, Glauben, 33 ff. 165   Vgl. u. a. J. T. Pless, Helmut Thielicke (1908 – 1986), in: Lutheran Quarterly 23, 2009, 439 –  464. 166   H. Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern, 41985, 102 ff. 167   AaO., 102. Vgl. An, Glaube, 29. 168  Vgl. Rohls, Theologie, 816. 169   An schreibt: »Die Theologie Thielickes ist eine dezidierte Offenbarungstheologie«. An, Glaube, 35. 170   AaO., 37 ff.

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

2.3.1.2  Thielickes Thanatologie in ihrer Zeitbezogenheit Thielicke schreibt im Vorwort, dass er das Buch bereits 1939 begonnen habe, dann aber immer wieder die Arbeit daran unterbrochen habe, und es schließlich 1945 im Verlag des Oekumenischen Rates in Genf herausbrachte, bevor es 1946 bei Mohr (heute Mohr Siebeck) in Tübingen erscheinen konnte. In der Festschrift zu Thieli­ ckes 60. Geburtstag schrieb Hans P. Schmidt, damals apl. Professor für systematische Theologie in Hamburg: Es war im Februar 1946: Hinter uns lagen Monate des Hungerns, Abschied von vielen, die neben uns starben [. . .]. In jenen Tagen erhielt ich ein Päckchen. Welche Überraschung bei allem im Zelt. Und welche Enttäuschung bei vielen, als keine Tabakwaren zum Vorschein kamen. Die Post kam aus Genf von der Kommission für Pastoration der Kriegsgefangenen und enthielt ein Buch: Helmut Thielicke, Tod und Leben.171

Diese Episode zeigt anschaulich wie eng Thielickes Buch allein editorisch mit den Zeitumständen verbunden ist. Diese Verbundenheit lässt sich jedoch auch inhalt­ lich ausweisen. So gehört es zu Thielickes Programm seine Thanatologie als »Kritik der natürlichen Theologie«172 zu entwerfen. Die kritische Folie, von der er sich hier absetzen möchte, ist beim Namen genannt zum einen alles, was er im Laufe des Buches dann als Existenzphilosophie und als »säkulare Religion« bezeichnet. Also auch dezidiert nicht theologische Herangehensweisen an den Tod, die er der bibli­ schen Herangehensweise entgegensetzt und damit zumindest implizit auf der glei­ chen Ebene, die ich eine religiöse Ebene nennen möchte, ansiedelt. Es geht ihm bei der »Kritik der natürlichen Theologie« aber auch um die Theologie seines Erlanger Lehrers Paul Althaus und dessen Kollegen Werner Elert, sowie überhaupt um eine Theologie, die es vermochte das Denken des Nationalsozialismus mit dem des Chris­ tentums zu vereinen.173 Thielicke setzt sich mit Althaus und Elert zwar nirgends in seinem Buch direkt auseinander. Sie kommen in keiner Anmerkung vor und das, obwohl beide Prägendes zur Thanatologie verfasst haben und Thielicke Althaus’ ›Die letzten Dinge‹ sogar in den Literaturangaben erwähnt. Zieht man jedoch in Betracht, dass Thielicke in seiner Erlanger Zeit auf Grundlage seiner Zugehörigkeit zur Beken­ nenden Kirche u. a. wegen des ›Ansbacher Ratschlags‹ mit Elert und Althaus in Kon­ flikt geriet und deren von ihm als natürliche Theologie eingestufte Theologie der Schöpfungsordnungen heftig kritisierte,174 wird deutlich, dass sie hier als Negativ­ folie im Hintergrund stehen. So ist seine Thanatologie durchaus im Gefolge des Den­ kens der Barmer Theologischen Erklärung als ein biblisches Entgegentreten gegen 171

  Schmidt, Todeserfahrung, 191.   Thielicke, Tod, 11. 173  Vgl. H. Thielicke, Kritik der natürlichen Theologie, 1937. 174   An schreibt: »Daraus ist zuerst zu folgern, dass das scharfe »Nein« Gottes im ›Römerbrief‹ Barths das Bewusstsein des jungen Thielicke so tiefgreifend erschüttert hat, dass er sich ohne Kom­ promiss der Erlanger Theologie der Schöpfungsordnungen sowie Althaus’ Begriff der Uroffenba­ rung verweigern musste.« An, Glauben, 33. 172

2.3  Die zweite Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

57

weltliches Gedankengut zu deuten.175 Über diese eher implizite, jedoch grundsätzli­ che Anlage des Buches hinaus, gibt es jedoch auch explizite Aufnahmen dessen, was ich hier den zeitgeschichtlichen Rahmen nenne. Thielicke bezieht sich im ersten Teil seines Buches, in dem es um eine »säkulare« Todesdeutung geht, mehrmals auf einen Aufsatz der SS‑Zeitschrift »Das schwarze Corps«176 und behandelt die Todesdeu­ tung dessen, was er als »germanische Religion« bezeichnet. An beiden Stellen geht es explizit um die Ideologie des Nationalsozialismus, die das einzelne menschliche Leben nicht wertschätze und die Todesproblematik dadurch zu umgehen suche, dass dem einzelnen Leben sein Wert zukomme, indem es sich für die Ideologie einsetze oder sogar opfere. Dass es ihm gerade auch um die Menschen geht, die infolge die­ ser Ideologie der Kirche fremd geworden sind, schreibt Thielicke explizit in seinem Vorwort.177 Er beschreibt seine Intention dort als angeregt durch ein sachliches Pro­ blem, das aber gerade besonders drängend sei, denn es gelte »je größer die Ernte des Todes inmitten unserer blutigen Zeitläufe [. . .], je betroffener ein Jeder das Feld sei­ ner Ernte überqueren muß und je vernehmlicher der Hufschlag der Apokalyptischen Reiter über die Erde dröhnt«, so »unverwandter und intensiver« schaue man auf den Tod.178 Nicht zuletzt ist das Buch durch die Widmung an einen im Krieg gefallenen Freund und einen dem Buch beigegebenen Brief, den Thielicke an einen seiner Stu­ denten in den Krieg geschrieben hatte, kurz bevor auch dieser fiel, so gerahmt, dass der zeitgeschichtliche Rahmen noch einmal verdeutlicht wird. 2.3.1.3  Thielickes Thanatologie und ihr Bezug zu Hei­deg­ger Hei­deg­gers Philosophie, genauer gesagt seine thanatologischen Überlegungen in ›Sein und Zeit‹ hatten zum Zeitpunkt des Erscheinens von Thielickes Todesbuch schon stark gewirkt. Insofern sind nicht nur explizite Hei­deg­gerbezüge, sondern letztlich der ganze Bezug auf die Existenzphilosophie und viele implizite Bezüge hier als maßgebliche Belege zu werten. Wie sehr Hei­deg­gers Denken über den Tod 1945 bereits Bezugspunkt anderer Thanatologien geworden war, zeigt, dass Thieli­ cke schon auf der ersten Seite seines Buches von einem »Leben als ein ›Sein zum Tode‹«179 schreibt, ohne Hei­deg­ger als hinter diesem Verweis stehend zu nennen. Die Aufnahme von Hei­deg­ger’schen Begriffen, ohne dass diese als solche ausge­ wiesen werden, lässt sich immer wieder finden.180 Der Teil A von Thielickes erstem Hauptteil ist dem anthropologischen Charakter der Frage nach dem Tod gewidmet 175

 Vgl. Thielicke, Tod, 3. »Der Kundige wird merken, wie stark die Barmer Theologische Erklärung hierbei im Blickpunkt der Gedanken steht.« 176   Vgl. aaO., 24 f., 26 f. 177   Vgl. aaO., 9 ff. 178   AaO., 10. 179  AaO., 9. 180   Vgl. aaO., 19. Der Tod wird hier als das »Allergewisseste« und das Leben als »Zugehen auf ihn« bestimmt. Vgl. auch aaO., 27. Hier ist die Rede von »Vorhandenem« im Hei­deg­ger’schen Sinne. In beiden Fällen wird nicht auf Hei­deg­ger verwiesen.

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

(zur genaueren Gliederung s. u. 2.3.1.4) und beschreibt die »Sinnfrage« immer als eine Frage nach dem Tod. Hier wird indirekt, aber deutlich auf die Existenzphilo­ sophie verwiesen, die Thielicke selbst zu Beginn des Buches auch als eine mögliche Deutung für seinen ersten Hauptteil erwähnt.181 Der Bezugspunkt für eine existenz­ philosophische Thanatologie ist stets Hei­deg­gers Todesdeutung. So verwundert es auch nicht, dass Hei­deg­ger in den Anmerkungen zu diesem Teil mehrfach explizit genannt wird.182 Auch der Unterabschnitt »IV. Der Triumph der Angst« ist stark von Hei­deg­gers Angstanalyse geprägt. Wenn es auch zu bedenken gibt, dass hier bei Hei­deg­ger ein Kierkegaard-Bezug vorliegt und auch Thielicke selbst ein ausgespro­ chener Kierkegaard-Kenner war. Im weiteren Verlauf des Buches nimmt Thielicke immer wieder Bezug auf Hei­deg­ger183 und widmet ihm letztlich ein eigenes Unter­ kapitel, das mit neun Seiten für Thielickes Buch ungewöhnlich lang ist.184 Dort gibt Thielicke seine Rekonstruktion der Hei­deg­ger’schen Thanatologie wieder und affir­ miert sie eindeutig. So schreibt er am Ende seines Hei­deg­gerreferats und noch vor der produktiven Aufnahme seiner Ergebnisse: »Von hier aus wird die große Nähe sichtbar, in der die Hei­deg­ger’schen Bestimmungen des Sterbens zu dem stehen, was wir [. . .] die Einmaligkeit, Unvertretbarkeit und Personhaftigkeit des menschlichen Sterbens nannten.«185 Hier scheint auf, dass Thielickes erster Teil, also seine philo­ sophische Anthropologie in enger Nähe zur Hei­deg­ger’schen Philosophie steht. Er kann Hei­deg­ger sogar mit der Bibel vergleichen, wenn er schreibt, dass in Hei­deg­ gers Daseinsanalyse »ein Realismus des Sterbens vertreten [ist], den so nur die bibli­ sche Botschaft vom Tode kennt.«186 So kann er den Ergebnissen Hei­deg­gers vollum­ fänglich zustimmen, einzig »es fehlt die jene Situation erst aufschließende Kategorie der Gefallenheit, der ›Sünde‹«.187 Das, was Hei­deg­ger also nicht liefert, ist nicht etwa die Perspektive der Hoffnung oder ein ähnliches lebensbejahendes Prinzip, es ist das Prinzip der Sünde. Das muss man sich vergegenwärtigen, um Thielickes Ansatz zu verstehen. Die Sünde müsse quasi der philosophischen Anthropologie von ›Sein und Zeit‹ hinzugefügt werden, damit etwas in Gang kommt, was Thielicke folgenderma­ ßen fasst: »Dieses Sich-besser-verstehen oder schärfer [. . .] ergibt sich aus der Berüh­ rung mit dem biblischen Daseinsrealismus.«188 Insofern gilt Hei­deg­ger für Thielicke als Korrektiv zu den anderen im ersten Teil dargestellten säkularen Todesdeutungen und, das wird auch an seiner Stellung innerhalb der Gliederung ganz am Ende des ersten Hauptteils deutlich, als Vorbereitung der biblischen Anthropologie. 181

  AaO., 12. »[. . .] daß auch der erste Teil keine Existenzphilosophie, sondern eben Theologie sein möchte.« 182   AaO., 19, 25, 28. 183   Vgl. z. B. aaO., 70, 71, 73. 184   AaO., 82 – 91. 185   AaO., 84. 186   AaO., 86. 187   AaO., 87. 188   AaO., 89.

2.3  Die zweite Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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2.3.1.4  Die materiale Durchführung der Thanatologie Thielickes Thielickes Buch hat zwei klar getrennte Hauptteile. Zunächst wendet er sich unter der Überschrift »Der Tod als Gericht und seine Verklärung«, der »Todesüberwin­ dung [. . .], welche die Weltanschauungen unternehmen« zu. Es geht ihm dabei um eine »Kritik der natürlichen Theologie, und zwar sub specie einer ganz bestimmten und konkreten Frage: eben des Todesproblems.«189 Die dort vorgeführten Denkwei­ sen sollen ihm dazu dienen, das, »was immer gleich bleibt«, in ihnen aufzuzeigen. Dieses Gleichbleibende ist für Thielicke das Umgehen des Todes durch eine IchTeilung. Im zweiten Hauptteil »Die biblische Eröffnung der Wirklichkeit des Todes« geht es ihm darum, dass »Oberlicht in Erscheinung« treten zu lassen, von dem aus die Denkweisen des ersten Teils beurteilt wurden. Diese strikte Zweiteilung haben wir schon bei Erich Schmalenberg gefunden (vgl. 2.2.8), der sich in seiner Habilita­ tion auch ausführlich mit Thielicke auseinandergesetzt hat. Es kann also durchaus eine gewisse Prägung des einen durch den anderen angenommen werden. Und auch Jüngel hat diese Zweiteilung, indem er über weite Teile seines Buches hinweg philo­ sophisch-anthropologisch über den Tod nachdenkt und im zweiten Teil des Buches dezidiert theologisch wird (s. 2.3.4.4). Systematisch betrachtet handelt es sich bei Thielickes Buch letztlich um eine Anthropologie. Das zeigen schon die Überschriften der insgesamt fünf großen Unterabschnitte. Die zwei Unterabschnitte des ersten Teils lauten 1. »Der anthro­ pologische Charakter der Frage nach dem Tod« und 2. »Der Zusammenhang zwi­ schen Menschenbild und Todesvorstellung in den Weltanschauungen«. Die drei des zweiten Teils lauten 1. »Vorverständigung: Ausblick auf den personhaften Charakter des menschlichen Sterbens«, 2. »Der Tod als Katastrophe der menschlichen Person (biblischen Anthropologie)« und 3. »Der Gegensatz des Todes zum ›ewigen Leben‹«. Im ersten Hauptteil bietet er also eine philosophische Anthropologie oder auch eine »säkularisierte« wie er es nennt. Im zweiten Teil stellt er dieser dann die biblische Anthropologie entgegen. Dem »säkularisierten« Blick unterstellt er, dass er einem »Missverstehen der Existenz« unterliegt. Die biblische Besinnung soll dann zeigen wie es »in Wahrheit mit dieser Existenz« steht.190 Hinter diesem Aufbau steckt nun eigentlich wieder, wie bei Cullmann, eine harmatiologische Pointe der Thanatolo­ gie. Thielickes Gedankengang lässt sich in etwa so zusammenfassen: Der säkulare Mensch teilt sich selbst immer (Ich-Teilung) und kann so dem Tod entgehen, indem er nur den einen Teil im Tode untergehen lassen kann. Diese Ich-Teilung macht Thielicke etwa bereits im platonischen Idealismus aus und zeichnet sie dann anhand von Nietzsche, Hegel und Goethe nach. Außerdem setzt er sich ausführlich mit dem auseinander, was er »säkulare Religion des 20. Jahrhunderts« nennt und hinter dem ganz explizit die Ideologie der Nationalsozialisten steckt. Thielicke zitiert und analy­ 189

  AaO., 11. Zur sog. natürlichen Theologie vgl. Birkner, Theologie.   AaO., 98.

190

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siert dazu eigens Artikel aus der SS‑Zeitschrift ›Das schwarze Corps‹.191 Anders als dieses »säkulare Denken« würde die biblische Anthropologie eben keine Ich-Teilung gestatten. Der Mensch bliebe ganz Person und müsse so eben auch ganz sterben.192 Thielickes Person-Begriff ist zentral für das Verständnis seines Ansatzes. Er defi­ niert Person zunächst im philosophischen Teil als die »Wurzel für die Einmaligkeit« des Menschen. Anders ausgedrückt kann man sagen: Eine Person ist der Mensch, weil und insofern er einmalig ist. Außerdem bedeute Personsein, dass dem Men­ schen »verantwortlich das Ergreifen seiner Bestimmung aufgegeben ist«.193 Diese Bestimmung könne der Mensch jedoch gewinnen oder verlieren. Personsein ist also nicht einfach etwas für immer Gegebenes, sondern etwas, was aufrechterhal­ ten werden müsse und bedeute zum einen Einmaligkeit und zum anderen Verant­ wortlichkeit, beides sei nicht voneinander zu trennen. Diese zunächst noch säkulare Definition, wird von Thielicke dann biblisch erweitert. Die Bibel verstehe den Menschen in einer Ich-Du Gemeinschaft mit Gott stehend. Er werde also dadurch einmalig, zur Person, dass er diese Ich-Du Gemeinschaft lebt, also »Geschichte mit Gott«194 ist. Auch diese Geschichte mit Gott könne der Mensch jedoch haben oder nicht haben, je nachdem wie er auf den »Anruf« Gottes regiert.195 Wiederum in anderen Worten: Das Personsein des Menschen wird aufrechterhalten durch das sich-Verstehen des Menschen als einmaliges Individuum, das seine Geschichte als Geschichte mit Gott lebt und auch hier insofern wieder sich vor Gott für seine Geschichte verantworten muss. Dieser Personbegriff problematisiere nun allerdings die Tatsache, dass der Mensch sterben müsse. Wenn der Mensch einmaliges Indivi­ duum in seiner Geschichte mit Gott sei, dann stehe der Tod, also die Tatsache, dass dieses Individuum aufhört zu sein, dem gegenüber. Der Tod ist insofern für Thieli­ cke gegen die Natur des Menschen, die eben durch sein Personsein bestimmt wird. Der Tod sei also »Unnatur« oder, anders, biblisch ausgedrückt, »der Sünde Sold«. Allerdings will Thielicke nicht, dass der »biologische Tod« als durch die Sünde in die Welt gekommen verstanden wird. Sondern im Gegenteil: Das würde zu »einer völlig irrigen Analogie zur biologischen Naturgesetzlichkeit« führen.196 Nicht der natürliche Tod sei durch die Sünde in die Welt gekommen, sondern der personhafte Tod. Dieser Tod vollziehe sich insofern auch in einer »anderen Dimension«, näm­ lich in der »Dimension der Geschichte mit Gott und damit in der Dimension des Personhaften«.197 Die Art und Weise wie der Tod zu verstehen ist, hängt hier also untrennbar mit der Art und Weise zusammen wie der Mensch sich versteht. Wird der Mensch im biblischen Sinne verstanden, dann ergibt sich ein anderer Blick auf 191

  Vgl. aaO., 66 f.   AaO., 99 u. ö. 193   AaO., 28. 194   AaO., 115. 195   AaO., 118. 196   AaO., 183, vgl. 145 f. 197   AaO., 183. 192

2.3  Die zweite Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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den Tod als infolge einer anderen Anthropologie. Dabei will Thielicke nicht sagen, dass eine philosophische Anthropologie nicht zu einem ähnlichen Ergebnis kom­ men könne. Im Gegenteil hat er ja im ersten Teil seines Buches auf die unterschied­ lichen Denkweisen des Säkularen verwiesen, die den Tod ebenso als dem Menschen zuwider verstanden haben, die allerdings anders als die biblische Verstehensweise dem Tod letztlich immer durch eine Ich-Teilung zu entgehen versuchten. Das nun mache die biblische Anthropologie nicht mit. Für sie ist der Mensch im Ganzen vor Gott »gerufen« und in der Geschichte mit Gott so auch ganz verantwortlich. Dieses menschliche in Verantwortung-stehen geht nun für Thielicke einher mit einem radi­ kalen Sündenbewusstsein. Der Mensch als Person erlebe seine Geschichte mit Gott in dem Bewusstsein eines unendlichen, qualitativen und explizit nicht quantitativen Unterschieds zu Gott. Somit werde der Tod für ihn zum Gericht.198 Mit Person und Gericht haben wir nun die beiden Begriffe, die zentral für die Pointe der Thanatologie Thielickes sind. Der Mensch versteht sich biblisch als Per­ son. Es ist hier explizit nicht gemeint, dass der Mensch biblisch als etwas verstanden wird, sondern die Offenbarung der Bibel führt zu einem bestimmten Selbstverständ­ nis des Menschen. Insofern lässt sich sagen: Der Mensch versteht sich. Thielickes Ausführungen liegen nicht auf derselben Gegenstandsebene wie viele der Positio­ nen der dritten Welle. Der Mensch sei eben einmalig und gerade deswegen auch verantwortlich vor Gott. Gott sei jedoch der ganz Andere, den der Mensch nicht erreichen kann. So führt diese Verantwortlichkeit zu einem Sündenbewusstsein. Der Tod, der zunächst als Unnatur erschien, weil die Ich-Du Beziehung, in der der Mensch mit Gott steht, eigentlich kein Ende impliziert, wird so dann doch konse­ quent, weil er von Thielicke als Resultat der menschlichen Hybris, d. h. seiner Sünde, verstanden wird. Und der Tod wird gleichzeitig zum Gericht, weil er ein für alle Mal festschreibe, ob das menschliche Leben gelungen oder misslungen ist oder anders gesagt, den Menschen allein an die Gnade Gottes verweist. Der Mensch müsse mit­ samt seiner Sündhaftigkeit im Tod ganz untergehen, weil er ganz Sünder ist. Das sei die logische Konsequenz aus dem biblischen Menschenverständnis. Diese Sichtweise auf Tod und Leben wird von Thielicke nicht anders als biblisch begründet. Sie muss allerdings vor dem Hintergrund der schon beschriebenen Vor­ aussetzungen verstanden werden: 1.  Thielicke hatte es unternommen zu zeigen, dass eine philosophische Anthropologie nicht in der Lage ist, die Problematik des Todes zu lösen, sondern stets nur zur Entkräftung des Todes durch Ich-Teilung führe (er nennt Platon, Kant, Schopenhauer, Nietzsche, germanische Religion der Nazis, Hegel und Goethe)199 oder dem Tod nur eine heroische Gewissheit ohne positiven Impetus entgegen setzen könne (hier nennt er Hei­deg­ger, Jünger)200. Damit wird die biblische Sichtweise implizit als eine Art bessere Alternative vorgestellt und die 198

  Vgl. aaO., 127 – 149.   Vgl. aaO., 19 – 81. 200   Vgl. aaO., 82 – 91. 199

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

Begründung für sie von einer reinen Begründung durch die Bedeutung als Offen­ barung enthoben. 2. Thielickes Zentrale Denkfigur des Menschen als Sünder, der im Tod sein Gericht erfährt, muss im Jahr 1945 eine besondere Anschlussfähigkeit gehabt haben und es dürfte seiner Leserschaft vor dem Hintergrund der zeitge­ schichtlichen Ereignisse nicht schwergefallen sein, diese anzuerkennen. Vor dem Hintergrund dieser beiden Punkte kann seine allein auf die Bibel gestützte Argu­ mentationsweise als zeitgemäße Argumentationsweise gewürdigt werden, die letzt­ lich dem Grundprogramm der ›Barmer Theologischen Erklärung‹, die für Thielicke als Mitglied der Bekennenden Kirche zentral war, analog zu verstehen ist, ohne eine Auseinandersetzung mit anderen Positionen zu scheuen. 2.3.1.5  Würdigung der Thanatologie Thielickes Versuchen wir nun den Blick auf den Gesamtansatz Thielickes zu lenken und den­ ken dabei auch an die im vorhergehenden Teil vorgestellten thanatologischen Über­ legungen der dritten Welle, so wird ein qualitativer Unterschied seiner Thanatolo­ gie zu den vorherigen deutlich. Er diskutiert nicht auf einer Metaebene vorhandene Ansätze und vertieft sich dann in die theologischen Spezialfragen auf der Ebene von gegenständlich verstandenen Glaubenssätzen. Thielicke versucht die Stimmung seiner Zeit aufzufangen und sie vor dem Hintergrund der zeitgenössischen philoso­ phischen Denkrichtungen (Hei­deg­ger und die Existenzphilosophie) mit einer bib­ lisch gesättigten Denkweise ins Gespräch zu bringen. Dabei betreibt er keine banale Apologetik, sondern begründet existentiell tiefgehend inwiefern die christliche Reli­ gion, oder wie er es eher fassen würde, das durch die Bibel bestimmte sich Verste­ hen, einen besonderen Blick auf den Tod des Menschen hat, und unternimmt es, zu erläutern inwiefern dieser Blick eventuell der zutreffendere sein könnte. Seine Argumentation ist dabei insofern theologisch als sie ihre Argumente mit Hilfe der Bibel belegt und als alltags-phänomenologisch oder lebensweltlich anschlussfähig ausweist. Sein Ansatz unterscheidet sich jedoch von den der dritten Welle zugeord­ neten nicht nur durch das Ausbleiben einer Metadiskussion, sondern auch durch eine andere Art des Argumentierens. Es geht ihm nicht um das Aufrechterhalten einer auf der Gegenstandsebene logisch-kohärenten Lehre vom Tod, sondern um die Rückbindung von theologischen Aussagen über den Tod an im religiösen Selbst­ verhältnis verortete Strukturen. Seine Darlegung ließe sich von dieser Seite aus also durchaus anfechten. Es bleibt bei Thielicke auch völlig außen vor, was es mit dem »Drüben«201, wie er es nennt, also mit der Jenseitswelt auf sich hat. Er führt seine theologische Thanatologie strikt als Anthropologie durch. Dass dabei für heutige Leser durchaus in Frage stellbare Topoi wie die absolute Sündigkeit des Menschen und die Vorstellung des Todes als Gericht als Pointen fungieren, erscheint für die Zeit, in der Thielicke schreibt, geradezu zwingend. 201

 AaO., 9.

2.3  Die zweite Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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Versucht man nun die genannten Stärken zusammen zu fassen und auf einen Nenner zu bringen, ließe sich sagen, dass sein Buch über den Tod weniger wissen­ schaftlich-theologische Abhandlung ist, als vielmehr existenziell-biblische Überle­ gungen enthält und somit als Populär-Wissenschaft oder auch als Erbauungslite­ ratur qualifiziert werden könnte und dadurch durchaus eine Nähe zu dem hat, was auch als Verkündigung in einem erweiterten Sinne angesehen werden könnte. Das ist jedoch in Bezug auf eine theologische Thanatologie nicht als Schwäche, sondern als Stärke zu würdigen. Bedenkt man nun noch, dass Thielicke in den Abhandlungen der dritten Welle stets zu den Vertretern der sogenannten Ganztodtheorie gerechnet wurde, erscheint es nach dem bisher Gesagten noch einmal deutlich, dass dieser Begriff keine adäquate Beschreibung der Debatte ermöglicht. Zwar spricht Thielicke davon, dass der Mensch im Tod ganz stirbt. Das könnte für eine Ganztodtheorie sprechen. Er geht auf diesen Gedanken aber nicht weiter ein und baut ihn schon gar nicht zu einer Theorie aus. Das liegt schlicht daran, dass er sich in seiner Thana­ tologie auf das »Hüben« konzentriert und das »Drüben«, also den Gegenstand des Interesses derjenigen, die von Ganztod reden, überhaupt nicht behandelt. Ihn zu den Vertretern einer sogenannten Ganztodtheorie zu zählen, wird seiner Thanatologie also keinesfalls gerecht. 2.3.2  Karl Barth: Der Mensch in seiner Zeit Die Thanatologie Karl Barths, die ich hier vornehmlich anhand der Ausführungen innerhalb der Anthropologie seiner Kirchlichen Dogmatik darstellen werde, gehört als maßgeblicher Beitrag in die hier zu verhandelnde zweite Welle der evangelischen Thanatologie des 20. Jahrhunderts. Es handelt sich zwar nicht um eine monographi­ sche Darstellung des Problemfeldes und Barths Ausführungen sind auch nicht dezi­ diert an ein breiteres Publikum gerichtet und so nicht popular-wissenschaftlich oder erbaulich, sondern als Teil innerhalb einer Dogmatik eben gerade wissenschaftlichtheologisch ausgerichtet. Wobei diese Aussage in Bezug auf Karl Barths besonde­ res Theologie- bzw. Dogmatikverständnis einzuschränken ist.202 Es sind jedoch vor allem vier Punkte, anhand derer die Zuordnung zur zweiten Welle deutlich wird. Zunächst fällt die Erstveröffentlichung des maßgeblichen Bandes der Kirchlichen Dogmatik (KD III / 2) 1948 in die Zeit direkt nach dem zweiten Weltkrieg. Damit folgt sie der Thanatologie Thielickes zeitlich betrachtet direkt nach und ist schon 202  Vgl. M. Weinrich, Karl Barth. Leben – Werk – Wirkung, 2019, 120 f. »In Barths Zurück­ haltung gegenüber dem Begriff ›Systematische Theologie‹ kommt seine grundsätzliche Abneigung gegenüber theologischen Systembildungen und methodologischen Fixierungen zum Ausdruck. Auch die Architektur der KD folgt keiner systematischen Konzeption, sondern schlicht aus den Gegenständen, die durch die Frage nach einer angemessenen theologischen Erkenntnis unweiger­ lich in den Blick kommen, denn die Erkenntnis fragt nach dem Subjekt, dem Objekt und dem Prädikat des Wortes Gottes, folgt also konsequent der Anerkenntnis des Umstands, dass Gott in bestimmter Weise geredet hat und als solcher auch heute redet.«

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

allein aufgrund dieses Veröffentlichungsdatums, jedoch nicht nur, und das ist schon der zweite Punkt, stark von ihren zeithistorischen Begebenheiten geprägt. Drittens setzt sich auch Barth mit Hei­deg­gers Thanatologie auseinander, wenn auch in gerin­ gerem Maße als Thielicke und später Jüngel. Und schließlich, viertens, ist Barths Thanatologie durch ihre Fortschreibung bei Eberhard Jüngel indirekt Teil der wohl einflussreichsten Thanatologie der evangelischen Theologie nicht nur der zweiten Welle, sondern bis heute überhaupt des 20. Jahrhunderts geworden. Es mag ange­ fragt werde, warum Barths Position hier anhand eines so knappen Ausschnittes aus der KD zur Darstellung kommt. Darauf sei geantwortet, dass es eben genau jener Teil ist, der in der thanatologischen Debatte gewirkt hat und dieser somit hier im Debattenüberblick seinen Ort hat. 2.3.2.1  Karl Barth als Thanatologe Das Todesverständnis Karl Barths zu behandeln ist in gewissem Sinne überra­ schend.203 So zeichnet sich seine Theologie sicher auch durch ein fehlendes Inter­ esse an eschatologischen Fragen aus.204 Dass er den letzten Teil seiner KD, der die Eschatologie beinhalten sollte, nicht mehr geschrieben hat, ist bekannt. Über die Begründungen dafür gehen die Meinungen auseinander. Zumindest eine Richtung der Barth-Interpretation geht jedoch davon aus, dass es »wohl doch nicht nur Alters­ gründe [waren], dass der fünfte Band der KD nicht mehr geschrieben wurde«,205 sondern, dass dies auch sachlich begründet in der Anlage der Barthschen Theologie liegt. Seine Eschatologie, die anhand von anderen Werken als der KD rekonstruier­ bar ist, wird in der Barth-Forschung unterschiedlich beurteilt. So gibt es einerseits die Ansicht, dass Barth schlicht keine Eschatologie im Sinne einer hoffnungsvol­ len futurischen Eschatologie entwickelt habe, und andererseits wird angenommen, dass Barths sonstige Ausführungen, besonders die innerhalb der Christologie, für

203   Aufgrund der Bedeutung Karl Barths ist es dennoch schon Gegenstand ausführlicher Unter­ suchungen geworden. Die zentralen Monographien sind dabei zum einen Hermann Wohlgschafts ›Hoffnung angesichts des Todes‹ von 1977, eine ökumenisch ausgelegte Arbeit eines katholischen Theologen, der Barths Todesverständnis ins Zentrum eines Vergleichs mit katholischen Positio­ nen rückt, und Yo Fukushimas ›Aus dem Tode das Leben‹ von 2009, der sich vor allem die Früh­ zeit Barths unter dem Aspekt seiner Todesdeutung vorgenommen hat. Vgl. Wohlgschaft, Hoff­ nung und Y. Fukushima, Aus dem Tode das Leben. Eine Untersuchung zu Karl Barths Todes- und Lebensverständnis, 2009. Für einen genaueren Überblick zur Debatte innerhalb der Barth-For­ schung vgl. dort 19 – 28; auch Heike Springharts Habilitation ist hier in gewissem Sinne zu zurech­ nen, diskutiert sie doch unter anderem auch Barths Todesverständnis. Vgl. H. Springhart, Der verwundbare Mensch, 2016. 204   Gerhard Sauter schreibt beispielsweise: »Barth blieb relativ schweigsam gegenüber allen Fra­ gen danach, was ›nach dem Tode‹ mit uns geschehen und mit uns sein werde. Helmut Gollwitzer erzählte einmal, daß Barth kaum jemals mit ihm über das Jenseits des Sterbens gesprochen habe, eigentlich auch nur wenig von Sterben und Tod.« Vgl. Fukushima, Tode, 173 Anm. 431. 205   W. Thiede, Karl Barths individuelle Eschatologie und die Krise der Ganztod-Theologie. in: Ders. (Hg.), Karl Barths Theologie der Krise heute. Transfer-Versuche zum 50. Todestag, 2018, 267.

2.3  Die zweite Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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sich genommen schon eine solche Eschatologie bilden würden.206 Ob es nun also inhaltliche, oder allein kontingente Gründe hat, dass die maßgebliche Stelle zur Todesdeutung sich in der KD innerhalb der Anthropologie und nicht innerhalb einer Eschatologie findet, lässt sich nicht abschließend beurteilen, wie wir jedoch innerhalb dieser Untersuchung schon gesehen haben, ist die Anthropologie nicht nur bei Karl Barth der Ort, an dem der Tod in den Blick kommt. Neben diesem ers­ ten überraschenden Punkt, dass also Barth die Thanatologie im Zusammenhang mit der Anthropologie behandelt, überrascht auch die Durchführung der Thanatologie innerhalb der Anthropologie, die Barth bekannterweise von der Christologie her entwirft. Allerdings ist diese Einsicht so neu nicht, hatte doch schon Emil Brunner seinen »Bemerkungen zu Karl Barths Lehre vom Menschen«207 den Titel ›Der neue Barth‹ gegeben. Dabei ist es nämlich überraschend, dass das Todesverständnis, das sich, wie gesagt, anhand der Aussagen in der Anthropologie entwickeln lässt, bei­ nahe unbeeindruckt ist, von dem eigentlichen Hauptmerkmal dieser Anthropolo­ gie: dass er sie als Christologie bzw. von der Christologie her entwickelt. Diese Wei­ chenstellung, die seine Anthropologie gegenüber anderen besonders abhebt, scheint sogar für die Behandlung des Todes-Themas fast keine Rolle zu spielen. Es ließe sich vielleicht sogar sagen, dass hier anhand des Todesverständnis deutlich wird, dass Barths Programm einer christologischen Anthropologie nicht aufgeht. Allerdings ist auch das keine neue Erkenntnis. So hat etwa Konrad Stock in seiner großen Studie zu Barths Anthropologie bemerkt: »Die christologische Anthropologie transportiert nicht nur die Grundstruktur der Sätze theologischer Anthropologie, sondern impli­ ziert sie zugleich als ihre Vorraussetzung. Eine genauere Untersuchung deckt ihren faktisch sekundären Charakter auf und kann so an Barths Argumentation selbst die Aporie einer christologischen Anthropologie zeigen.« Und noch etwas pointierter formulierte es bereits recht früh niederländische Theologie Gerrit Berkouwer: »Es lässt sich m. E. mit großer Deutlichkeit feststellen, dass hier kaum die Christolo­ gie primär ist, sondern vielmehr die Anthropologie.«208 Da es nicht zum Ziel dieser Studie gehört, die Güte dieser christologischen Anthropologie Barths zu beurteilen, verweise ich hier für weitere Einsichten auf die zahlreich vorhandene Literatur.209 206  Vgl. Fukushima, Tode, 25. Er beschreibt diese beiden Richtungen anhand eines Zitates von Günter Thomas und nennt anschließend Vertreter der jeweiligen Richtungen der Barth-Interpre­ tation. 207   E. Brunner, Der neue Barth. Bemerkungen zu Karl Barths Lehre vom Menschen, in: Zeit­ schrift für Theologie und Kirche 48, 1951, 89 – 100, 89. 208   G. C. Berkouwer, Der Triumph der Gnade in der Theologie Karl Barths, 1957, 317 209   Für eine ausführlichere Diskussion zu Barths Anthropologie vgl. C. Link, Anthropologie, in: M. Beintker (Hg.), Barth Handbuch, 2016, 335 – 342. Link erwähnt allerdings die hier angemerkte Problematik nicht. Bei Stock wird hingegen, wie schon angedeutet, klar die Schwierigkeit des Barth’schen Vorgehens benannt. Vgl. K. Stock, Anthropologie der Verheißung. Karl Barths Lehre vom Menschen als dogmatisches Problem, 1980. Vgl. auch E. Jüngel, Die Möglichkeit theologi­ scher Anthropologie auf dem Grunde der Analogie. Eine Untersuchung zum Analogieverständnis Karl Barths, in: Ders., Barth-Studien, 1982, 210 – 232. Friedrich Beißer widmet sich Barths Todes-

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

Gerade die Thanatologien der zweiten Welle zeichnen sich durch eine in der Anthro­ pologie angesiedelte Thanatologie aus. Dass dies so ist, ist einerseits sachlich durch die Tatsache begründet, dass die Bestimmung des Menschen nicht ohne die Rede über die Endlichkeit seines Lebens auszukommen scheint. Diesen Zusammenhang hat die Philosophie Hei­deg­gers zwar nicht aufgedeckt, aber wirkmächtig unterstri­ chen und es ist anzunehmen, dass die große Wirkung seiner Philosophie eben auch in der Thanatologie der zweiten Welle insofern gewirkt hat, dass hier die Anthro­ pologie als Bezugsrahmen der Thanatologie fungiert. So ist die Entscheidung für eine Abhandlung des Todes innerhalb der Anthropologie bei Karl Barth in gewissem Sinne auch als Reminiszenz an die Philosophie Hei­deg­gers zu verstehen. Es ist aber andererseits, besonders auch innerhalb der Theologie Karl Barths einleuchtend, dass die Thanatologie Teil der Anthropologie ist, weil durch die Betonung der Differenz von Mensch und Gott, die Ungenügsamkeit des Menschen unterstrichen wird und so unweigerlich das in der theologischen Tradition eng verbundene Paar Sünde und Tod in den Blick kommt. Zuletzt ist es auch aus zeithistorischen Gründen angemes­ sen, den Tod innerhalb der Anthropologie zu verhandeln, muss doch das Ereignis des Zweiten Weltkriegs unweigerlich den Tod als eine Folge des Menschseins des Menschen in den Blick gerückt haben und auch, wie wir bereits anhand der Thanato­ logie Thielickes gesehen haben, die traditionelle Verbindung zwischen der Sündhaf­ tigkeit des Menschen und dem Tod noch einmal eindrücklich plausibilisiert haben. Dass Barths Thanatologie hier zugespitzt im Hinblick auf KD III / 2 in den Blick kommt, ist in Anbetracht des gerade Gesagten dann auch folgerichtig. Zwar hat er in der Phase vor der Abfassung der KD ebenso über den Tod gearbeitet, doch gerade deutung in seinem Eschatologie-Lehrbuch ebenfalls ohne auf diese Problematik hinzuweisen. Er beschreibt den Argumentationsgang allerdings wo wir ich hier. Christus und die Christologie kom­ men erst zum Schluss zum Zuge. Vgl. Beißer, Hoffnung, 139 – 145. Auch in den beiden monogra­ phischen Auseinandersetzungen mit dem Todesverständnis Barths spielt dieser Aspekt keine Rolle. Es bleibt also die Frage, warum Barths christologische Anthropologie beim Todesverständnis nicht durchschlägt. Vgl. Wohlgschaft, Hoffnung, 1977 und Fukushima, Tode, 2009. Schon erwähnt hatte ich die beiden frühen Auseinandersetzungen mit Barths Anthropologie bei Brunner und Ber­ kouwer. Brunner, der schreibt »Leser, der vorher meinte einigermaßen zu wissen, was Karl Barth lehre und was er bekämpfe« würden »aus dem Staunen nicht mehr herauskommen« (90), betont auch, dass Barths Anthropologie so schwer zu verstehen sei, weil »so vieles Widersprechende gesagt zu sein scheint« (91). Schön ist auch seine in ein zwiespältiges Lob verpackte Formulierung: »Wie­ der und wieder ist mir vorgekommen, man verstehe Barth am besten, wenn man ihn nicht so sehr als Systematiker, denn als theologischen Dichter auffasst« (91). E. Brunner, Barth, 89 – 100. Die­ derik Noordveelds Dissertation weist ebenso, wenn auch eher implizit, auf die anthropologische Führung in Barths christologischer Anthropologie hin, wenn er beispielsweise den Paragraphen zur Endlichkeit damit einleitet, dass er als Thema die Wahrnehmung der begrenzten Zeit durch den Menschen benennt. Vgl. D. Noordveld, Der Mensch in seiner Zeit, 2014, 147. Sehr klar in seiner Kritik ist auch Christof Jochem, der festhält, an Barths Todesdeutung innerhalb einer vermeint­ lich christologischen Anthropologie sei zu kritisieren, »dass er seine Denkvoraussetzung für den Leser falsch benennt«. Vgl. C. Jochem, Todesdeutung als Lebensdeutung? Beobachtungen zu einer Theologie des Todes bei Karl Barth und seiner Gefolgschaft, in: Deutsches Pfarrerblatt 97, 1997, 498 – 501, hier 500.

2.3  Die zweite Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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die hier zu behandelnde Passage ist wirkmächtig geworden und fügt sich aus oben genannten Gründen in die zweite Welle ein.210 Die Relevanz von KD III / 2 zeigt sich auch daran, dass sie immer wieder in den Blick der Barth-Interpreten, die sich mit seiner Todesdeutung beschäftigt haben, gekommen ist.211 Eberhard Jüngel, durch dessen Todesbuch Barths Thanatologie besonders verbreitet wurde, weist ebenfalls zu Beginn seines Buches darauf hin, dass er besonders durch die Ausführungen in KD III / 2 beeinflusst worden ist.212 Nicht zuletzt die hier immer mitverhandelte Frage nach der Angemessenheit der Rede von einer sog. Ganztodtheorie in Bezug auf die evangelische Thanatologie des 20. Jahrhunderts, verweist noch einmal auf KD III / 2, wird Barth doch gerade aufgrund der hier getätigten Aussagen immer wie­ der in die Gruppe der Vertreter einer vermeintlichen Ganztodtheorie eingereiht.213 2.3.2.2  Karl Barths Thanatologie in ihrer Zeitbezogenheit Außer dem schon erwähnten Zusammenhang zwischen dem Ereignis des Zweiten Weltkriegs und einer besonderen Plausibilität einer harmatiologisch pointierten tha­ natologischen Zuspitzung der Anthropologie, die wir in anders akzentuierter Form auch bei Barth finden, gibt es bei ihm keine handgreiflichen Zeitbezüge wie etwa bei Thielicke, der sich dezidiert mit der NS‑Ideologie auseinandersetzte oder durch die Rahmung seines Buches anhand der Widmung an einen gefallenen Freund und des angehängten Briefes an einen ebenfalls später gefallenen Studenten das Buch deut­ lich als Kontrapunkt zum Weltkrieg auszeichnete. Es gibt jedoch indirekte Hinweise, die für eine deutliche Einbindung der Ausführungen Barths in ihren direkten zeit­ historischen Rahmen sprechen. Der erste Hinweis liegt in der Methode begründet, die Barth bei der Verfassung seiner KD anwendete. So erarbeitete er sie konsequent im Gespräch mit seinen Studierenden und entwickelte sie so innerhalb der langen Zeit, in der die einzelnen Teilbände veröffentlicht wurden, weiter.214 So kam es dazu, dass die einzelnen Abschnitte in unterschiedlichen zeithistorischen Kontexten ent­ standen sind und durch diese geprägt wurden. Das ist in einer so umwälzenden Zeit, wie der der Zeitspanne von den 1930er bis zu den 1960er Jahren, in der die KD entstand, von besonderem Gewicht. Zusätzlich zu dieser engen Verknüpfung 210

  Vgl. für die Zeit vor der KD bes. Fukushima, Tode.  Vgl. H.‑M. Gutmann, Den anderen Weg gehen. Mit den Toten leben – eine evangelische Perspektive, in: Zeitschrift für Dialektische Theologie, 2002, 39 – 54, hier 51. Vgl. auch J. Moltmann, Schöpfung, Bund und Herrlichkeit. Zur Diskussion über Karl Barths Schöpfungslehre, in: Zeit­ schrift für Dialektische Theologie, 1988, 191 – 214, hier 24. Vgl. ebenso Schmalenberg, Tod, 15 f. und Wohlgschaft, Hoffnung, 65 ff. Fukushima listet ausführlich auf, wie sich die unterschiedli­ chen Barth-Interpretationen zu den einzelnen Werken von Barth verhalten. Vgl. Fukushima, Tode, 26 f. 212  Vgl. E. Jüngel, Tod, 51993, 8. 213   Dass diese ›Metadiskussion‹ immer noch geführt wird, zeigt ein neuerlicher Aufsatz von Werner Thiede, der Barths Thanatologie gerade mit Zuspitzung auf die Frage nach einem sog. »Ganztod« behandelt. Vgl. Thiede, Eschatologie. 214  Vgl. Weinrich, Barth, 117. 211

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zwischen Dogmatik und Lehrbetrieb, sah Barth die Dogmatik auch eng mit dem verknüpft, was in der Zeitung stand. Weinrich beschreibt diesen Ansatz unter dem von Barth entlehnten Paar »Bibel und Zeitung«. Darunter ist zu verstehen, dass für Barth die »Bekenntnisse der Kirche und ihre Tradition fungieren als ernst zu neh­ mende Verstehenshilfen, in der je konkreten Situation auf die Fragen, welche die Kirche sowohl aus der Bibel wie auch der Zeitung vernimmt, nun ihre heute zu spre­ chende Antwort zu formulieren und ihre heute wahrzunehmende Verantwortung zu erkennen.«215 Barth selbst schrieb in einem Brief an Eduard Thurneysen, dass er jeweils »abwechselnd über der Zeitung und dem N. T.« brütete.216 Dass diese Zeit­ bezogenheit oft nur untergründig deutlich wird, kann auch mit Barths Unterschei­ dung zwischen »regulärer« und »irregulärer Dogmatik« begründet werden, die er schon in KD I / 1 einführt. Diese Unterscheidung begründet Barth folgendermaßen: »Unter regulärer Dogmatik ist ein solches Fragen nach dem Dogma zu verstehen, bei dem es auf diejenige Vollständigkeit abgesehen ist, die der besonderen Aufgabe der Schule, des theologischen Unterrichts, angemessen ist.« Und irreguläre Dogma­ tik »ist demgegenüber ein solches Fragen nach dem Dogma zu verstehen, bei dem die Aufgabe der Schule zunächst nicht ins Auge gefasst und bei dem es darum auf die bewusste Vollständigkeit zunächst nicht abgesehen ist. [. . .] Sie wird vielleicht aus bestimmtem geschichtlichem Anlaß nur ein bestimmtes Thema herausgreifen und in den Mittelpunkt rücken.«217 Gerade deswegen stehen also die geschichtlichen Anlässe nicht explizit im Text, sind aber natürlich dennoch fundamental wichtig für Barth. Noch einmal Weinrich: Diese Entscheidung wäre aber zutiefst missverstanden, wenn sie als eine Absage an kontex­ tuelle Bezugnahmen verstanden würde. Auch die reguläre Dogmatik wird immer an einem konkreten Ort und in einer konkreten Zeit vollzogen, auch wenn diese nicht die vorrangig treibenden Kräfte für ihre Systematik darstellen.218

Inwiefern Barths Theologie aber eben doch auch immer Zeitdiagnose war, zeigt nicht zuletzt seine Zentralstellung im theologischen Aufbruch der dialektischen Theologie nach dem Ersten Weltkrieg, der ohne die zeithistorischen Rahmenbedin­ gungen schlicht nicht zu denken wäre. 2.3.2.3  Karl Barths Thanatologie und ihr Bezug zu Hei­deg­ger Der Bezug Barths zu Hei­deg­ger und seiner Thanatologie ist oben schon angedeu­ tet worden. Er liegt zum einen implizit darin, dass Barth die Thanatologie in der Anthropologie verortet. Das ist zwar nicht alleine Hei­deg­ger zuzuschreiben, aber in dieser Zeit unweigerlich mit dessen Thanatologie zu verbinden. Dass Barth Hei­ 215

  AaO., 113.   Zitiert nach ebd. 217   KD I / 1 292 – 294. Zitiert nach aaO., 114. 218  Ebd. 216

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deg­gers Philosophie gut kannte, zeigt sich darin, dass er innerhalb der gesamten KD an 84 Stellen auf Hei­deg­ger verweist. Dabei erscheint der erste Verweis auf Martin Hei­deg­ger bereits 1932 in KD I / 1 in § 2 und der letzte 1959 in KD IV / 3 in § 69.219 In § 50 der KD widmet er sich in einem ausführlichen Exkurs den beiden Philoso­ phien Hei­deg­gers und auch Sartres und vergleicht diese in Bezug auf deren Denken über das Nichts mit einander.220 Es kann also von einer jahrelangen Auseinander­ setzung Barths mit der Philosophie Hei­deg­gers ausgegangen werden. Ein weiterer impliziter Hinweis auf Barths Hei­deg­ger-Rezeption findet sich im letzten Teil seines Abschnittes über ›Die endende Zeit‹, der hier im Zentrum steht. Karl Barth kommt hier, was vielfach kritisiert wurde221 und gleich noch genauer dargestellt wird, zu dem Ergebnis, dass der Tod eine positive Funktion habe und dass diese Funktion geradezu zentral dafür ist, dass der Mensch überhaupt auf seine radikale Angewie­ senheit auf Gott verwiesen werden kann. Man könnte sogar formulieren, dass Barth dem Tod eine sinngebende Funktion zuschreibt, auch wenn eine solche Deutung in Bezug auf gängige Barthinterpretationen sicherlich quer im Raum steht. Hier klingt jedenfalls deutlich Hei­deg­gers Thanatologie an, deren Pointe ja gerade darin besteht, dass sie den Tod als maßgeblich für ein eigentliches Dasein erachtet.222 Es gibt zwei explizite Verweise auf Hei­deg­ger in dem hier zugrundeliegenden Abschnitt der KD. Karl Barth schreibt gleich zu Beginn des Abschnittes: »Weil unsere Zeit endlich ist, darum ist unser Leben in der Zeit, unabhängig davon, ob und in welcher Weise uns das bewußt ist, faktisch ein besorgliches und besorgtes Leben.«223 Dass Barth hier Hei­deg­ger aufnimmt, der »das Sein des Daseins als Sorge« bestimmt, liegt auf der Hand und wird durch die Hervorhebung der Begriffe besorgliches und besorgtes im Original noch einmal unterstrichen.224 Durch diese Bestimmung übernimmt Barth eines der Grundprinzipien der philosophischen Anthropologie Hei­deg­gers (für diese Zuordnung vgl.  3.) für seine theologische Anthropologie und zumindest für den Teil über den Menschen und seinen Tod, den wir hier behandeln, lässt sich diese Übernahme auch inhaltlich ausweisen. So beschreibt Barth den Tod hier hauptsächlich aus der Perspektive des Menschen, der sich um sein Leben sorgt, also durchaus, wenn man es abstrakter fassen möchte, unter der Fragestellung, was die Tatsache des kommenden Todes über den Sinn des Lebens aussagt. Er bringt diese Frage dann immer mit der Bibel ins Gespräch und vernachlässigt den für ihn so zentralen Offenbarungsbezug nicht, aber es scheint doch so, dass der Frageschwerpunkt in unserem Teil klar auf Seiten des Menschen, 219

  Vgl. aaO., 36 und K. Barth, KD IV / 3, 1959, 15.  Vgl. Barth, KD  I / 1, 383 – 403. 221   Vgl. die Belege bei Fukushima, Tode, 19 – 28. 222  Vgl. M.  Hei­deg­ger, Sein und Zeit, 192006, 235 – 267. Vgl. auch meine Darstellung der Tha­ natologie Hei­deg­gers im Kapitel 3. 223   K. Barth, KD III / 2, 715. Barth erwähnt Hei­deg­gers »Sorge« explizit noch einmal. Vgl. dazu KD I / 2, 1938, 51. 224   Vgl. zur Sorge bes. Hei­deg­ger, Sein, 191 – 196. 220

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der nach Antworten auf sein vom Tode bedrohtes Leben sucht, liegt. Wie genau die­ ser Zusammenhang bei Barth beschrieben werden kann, werde ich im nächsten Teil gleich noch zeigen, hier ging es erst einmal darum, die Nähe zur Philosophie Hei­ deg­gers auszuweisen. Schließlich wird Hei­deg­ger einmal auch namentlich erwähnt, was für die KD besonders ist, werden hier doch insgesamt wenige Gegenwartsphi­ losophen explizit erwähnt. In unserem Teil ist es außer Hei­deg­ger nur Sartre, der mit ihm in einem Satz genannt wird. Karl Barth nennt beide »Gesetzesprediger«, die zwar richtig sehen würden, dass der Tod ein den Menschen in seiner Verantwortung ansprechendes Faktum sei, dieses aber nicht dahingehend weiterdenken würden, dass es gerade Gott ist, der hier im Hintergrund steht.225 Diese Ausführung lassen an Thielickes, natürlich viel ausführlichere, Hei­deg­gerinterpretation denken. 2.3.2.4  Die materiale Durchführung der Thanatologie Karl Barths Zentral für unseren Zusammenhang sind in Hinblick auf die materiale Durchfüh­ rung der Thanatologie bei Karl Barth drei Punkte: 1. Es handelt sich hierbei um eine von der Anthropologie ausgehend denkende Thanatologie, die somit gut in die zweite Welle der evangelischen Thanatologie des 20. Jahrhunderts passt. 2. Auch bei Barth bestimmt eine harmatiologische Pointe seine Thanatologie. 3. Barths Todes­ denken ist in keiner Weise sinnvoll erfasst, wenn man es unter dem Stichwort der sog. Ganztodtheorie verhandelt. Das hängt eng mit dem zweiten Punkt zusammen. Zum ersten Punkt: Unser Paragraph beginnt bei Barth mit einem zwar nicht unbedingt phänomenologisch zu nennenden, aber durchaus als poetisch-meditati­ ves Nachsinnen zu bezeichnenden Abschnitt, in dem Barth sich dem Tod als Thema annähert.226 Allein dieses formale Moment zeigt, dass der Mensch in seiner Situa­ tion hier zunächst im Zentrum der Fragerichtung steht. Dieser Abschnitt endet mit der schon erwähnten an Hei­deg­ger erinnernden Fassung des menschlichen Lebens als durch seine Endlichkeit bestimmtes. Barth schreibt, wenn »wir sterben werden, wird Alles, werden wir selbst vorüber sein.« Und gerade diese Tatsache verweise auf die Frage, ob »unser Nichtsein in der Zeit nicht unser Nichts oder in welchem Sinn es etwas Anderes bedeuten möchte.«227 Die Fragestellung ist hier ganz deut­ lich: Was bedeutet mein Leben, wenn ich doch sterben muss. Erst, nachdem diese Fragestellung formuliert wurde, wendet sich Barth der Bibel zu. Und diese anth­ ropologische Fragerichtung bleibt auch insofern im Folgenden erhalten, dass alle biblischen Bestimmungen des Menschen, die Barth im Gespräch mit Altem und Neuem Testament in extenso entwickelt, letztlich als Antwortmöglichkeiten zu der zu Beginn gestellten Frage erscheinen. Dieses Frage-Antwort Schema, das sicher an Tillich erinnert, mag für Barths Theologie außergewöhnlich erscheinen, ist hier jedoch deutlich auszumachen. 225

  Barth, KD III / 2, 736.   Vgl. aaO., 714 f. 227   AaO., 715. 226

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Zweitens: Nach etwa zehn Seiten, auf denen Barth vor allem mit dem Aufzählen von Bibelstellen beschäftigt war, die ihn zu der Erkenntnis gebracht haben, dass das Alte Testament den Tod als einen natürlichen Teil des menschlichen Lebens bestimmt habe, kommt er zu der Frage, inwiefern der Tod dann als Übel zu verstehen ist und wie, wenn er denn ein Übel ist, die Existenz dieses Übels mit der guten Schöpfung Gottes zusammenpasse.228 Die Antwort auf diese Frage ist der zentrale Gedanke zum Verständnis der theologischen Deutung des Todes bei Barth. Zunächst ist die Ant­ wort dann, dass es keine eindeutige Antwort gebe, sondern immer nur eine doppelte. Denn der Tod könne zwar nur dann als Übel verstanden werden, wenn er uns in das absolute Nichts verweise229, das tue er aber nicht, denn er verweise letztlich nur zu Gott, der selbst »das Jenseits« sei. Aber gerade das könne den Tod dann doch wieder als Übel erscheinen lassen, denn Gott erwarte den Menschen im Tod zunächst als Richter und da der Mensch in seinem Leben »über die Maßen und ohne alle Mög­ lichkeit, [sich] zu rechtfertigen, schuldig«230 wurde, mache gerade dieses wartende göttliche Gericht den Tod zu einem Übel. Der so bestimmte Tod sei der Tod, der den Menschen faktisch erwarte, auf den der Mensch in seinem Leben zugehe. Barth nennt ihn »Fluch«.231 Das ist die harmatiologische Pointe der Barthschen Todes­ deutung. Der Tod ist Übel, weil der Mensch schlecht ist, die Bedeutung des Todes ergibt sich aus der Bewertung des menschlichen Lebens als sündhaft. Jedoch bleibt Barth hier nicht stehen, seine harmatiologische Pointe wird durch eine soteriolo­ gische erweitert. Gleichzeitig zu dieser Beschreibung als Fluch, kann Barth diesen faktischen Tod nämlich auch als notwendig für die Erlösung begreifen. Das habe ich oben im Zuge von Barths Hei­deg­ger-Bezug schon erwähnt. Er schreibt: »Gerade indem wir endlich und sterblich sind, befinden wir uns auf einem Boden mit ihm [d. h. Jesus Christus, KS], sind wir dazu fähig, ihn in der Gestalt, in der er der Erret­ ter der Welt geworden und gewesen ist, auch unseren Erretter sein zu lassen.«232 Erst durch seine Sterblichkeit kann der Mensch für Barth also die Funktion Jesu Christi begreifen, oder anders, philosophischer ausgedrückt, erst mit Blick auf seine Sterb­ lichkeit (vgl. Hei­deg­gers vorlaufen; dazu 3.3.3), kann der Mensch den Sinn seines Lebens, nämlich die Erlösung durch das Kreuz Jesu Christi, erkennen. Der Tod ist für Barth also einerseits Fluchtod, wie Jüngel es später nennen wird, und anderer­ seits soteriologische Notwendigkeit. So kann er dann schreiben, »daß wir es in jenem schlichten Faktum der Identität unseres Endes mit unserem Todesgericht nicht mit einer absoluten, sondern doch nur mit einer relativen Wirklichkeit zu tun haben«.233 228

  Vgl. aaO., 715 – 724, bes. 723 f.   »Ein Negatives, ein Übel könnte das offenbar nur dann bedeuten, wenn unser Ende darin bestehen würde, daß wir in unser Nichtsein nicht nur, sondern in unser Nichts gehen.« AaO., 724. Vgl. zur Bedeutung des Nichts in der Barthschen Thanatologie Wohlgschaft, Hoffnung, 66 – 73. 230   Barth, KD III / 2, 725. 231   AaO., 736. 232   AaO., 768. 233   AaO., 769. 229

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Drittens: Aus dem gerade Gesagten, sollte schon hervorgegangen sein, dass Barth kein Interesse daran hat, den Tod als so etwas wie den sog. Ganztod zu bestimmen. Dass dieser Eindruck entsteht, liegt wiederum an anderen Weichenstellungen in sei­ nem Denken. Zum einen muss er das Jenseits des Lebens durch die für seine Theolo­ gie maßgebliche Betonung der Unterscheidung von Gott und Mensch bzw. Welt als etwas radikal anderes als diese Welt verstehen. Er schreibt: »Der Mensch als solcher hat kein Jenseits, und er bedarf auch keines solchen; denn Gott ist sein Jenseits.«234 Dass Barth diese Fassung des Jenseits aber keineswegs als hoffnungslos ansah, wird deutlich, wenn man noch hinzunimmt, wie er diese Bestimmung des Jenseits weiter­ denkt. »Daß er [der Mensch, KS] auch als dieser Gewesene nicht Nichts, sondern des ewigen Lebens Gottes teilhaftig sein werde, das ist die ihm in diesem Gegenüber mit Gott gegebene Verheißung, das ist seine Hoffnung und Zuversicht.«235 Die Argu­ mentationsmuster derjenigen, die von einem Ganztod reden sind Barths Theologie äußerlich und werden von außen an ihn herangetragen. Für ihn ist der Tod nicht Ganztod, sondern einerseits Fluchtod und andererseits notwendige Bedingung für die Erlösung und damit sowohl etwas Gutes als auch etwas Schlechtes und damit kommt er mit seiner biblisch fundierten Todesdeutung einer rein lebensweltlichen Betrachtung des Phänomens des Todes sehr nahe. An den Jenseitsspekulationen derjenigen, die Barth zu den Vertretern der sog. Ganztodtheorie zuschreiben, hat auch Barth schlicht kein Interesse. 2.3.2.5  Würdigung der Thanatologie Karl Barths Es dürfte deutlich geworden sein, dass die hier vorgestellte Thanatologie Karl Barths nicht den gängigen Barthinterpretationen entspricht. Sie ist weder sonderlich dog­ matisch, noch offenbarungspositivistisch und auch die christologische Anthropo­ logie spielt hier eine marginale Rolle bzw. ist sogar inkohärent durchgeführt. Barth würdigt den Menschen in seiner Situation, nämlich als einen, dessen Zeit enden wird, und bringt diese menschliche Situation dann mit der biblischen Denkweise über den Tod ins Gespräch. Die biblischen Stellen fungieren dabei stets nur als Untermalung der vorher eher assoziativ, nachsinnend entwickelten menschlichen Bestimmungen. Von daher muss das eingangs Gesagte, dass die Thanatologie einer Dogmatik nicht so recht in die zweite Welle der evangelischen Thanatologie des 20. Jahrhunderts passe, weil sie formal anders argumentiert als die übrigen Schrif­ ten dieser Welle, dahingehend korrigiert werden, dass Barths Dogmatik zumindest in der hier zugrunde liegenden Passage der Anthropologie durchaus etwas erbauliches oder popular-wissenschaftliches hat. Man kann auch sagen, dass sie insgesamt, wie es Barths Theologie sowieso entweder vorgeworfen oder zugutegehalten wird, einer Predigt ähnlich ist. So wird eigentlich gänzlich darauf verzichtet, die assozia­ 234

  AaO., 770.   AaO., 771.

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tiv-nachsinnend entwickelten Bestimmungen durch philosophische oder sonstige Belege zu begründen. Und auch die in Dogmatiken oft virulenten Systemzwänge wirken bei Barth nicht. Weinrich schreibt dazu: »In Barths Zurückhaltung gegen­ über dem Begriff ›Systematische Theologie‹ kommt seine grundsätzliche Abnei­ gung gegenüber theologischen Systembildungen und methodologischen Fixierun­ gen zum Ausdruck.«236 Was man auch als Schwäche interpretieren könnte, kommt hier als Stärke zum Ausdruck, kann er die Frage des Todes dadurch viel freier und lebensnaher behandeln. Dass diese Methode an seine Grenzen stößt, merkt man erst, wenn man die einzelnen Abschnitte der KD gegeneinander liest oder gar andere Schriften Barths hinzuzieht.237 Auch auf die mögliche Inkohärenz in Bezug zu sei­ ner christologischen Anthropologie ist schon hingewiesen worden. So kommt etwa Wohlgschaft, der nicht nur die KD, sondern auch die übrigen Schriften Barths mit in seine Darstellung aufgenommen hat, immer wieder zu dem Schluss, dass einzelne Bestimmungen in Barths Thanatologie »ziemlich inkonsequent« sind.238 Doch noch einmal: Gerade mit Blick auf die Thanatologie scheint es, das zeigt dieser Durch­ gang durch Barths Todesdeutung, eine Stärke und keine Schwäche zu sein, wenn die Theologie popularer oder erbaulicher oder gar predigthafter argumentiert und sich nicht zu sehr strengen Systemzwängen unterwirft. Die Begründung dafür müs­ sen wir an dieser Stelle noch aufsparen, sie wird uns erst nach unserem Durchgang durch die Thanatologie Martin Hei­deg­gers deutlich werden. Ich verweise hier aber bereits auf die Schlussbetrachtungen dieser Arbeit, wo ich noch einmal, ausführlich und vor dem Hintergrund von Hei­deg­gers Denken, auf diesen Zusammenhang ein­ gehen werde (vgl. 4.). 2.3.3  Wolfhart Pannenberg: Was ist der Mensch? Mit Wolfhart Pannenbergs kleinem Buch ›Was ist der Mensch?‹ rückt hier eine Quelle in den Fokus, die vielfach erwähnt und gewürdigt wird, die eine hohe Auf­ lage erreicht hat und immer wieder neuaufgelegt wurde (1. Auflage 1962; 8. Auf­ lage 1995), die jedoch in der Sekundärliteratur kaum eine Rolle spielt.239 Das gilt 236

  Weinrich, Barth, 120. Vgl. auch 164 – 168.   Vgl. das oben gegebene Zitat Brunners in Brunner, Barth. 238   Wohlgschaft, Hoffnung, 76. 239  Vgl. C. Schwöbel, Wolfhart Pannenberg, in: D. Ford (Hg.), The Modern Theologians, 2001, 180 – 208. ›Was ist der Mensch?‹ wird hier lediglich in Anm. 19 (S. 246) erwähnt. Bei Rohls, Theologie, 673 findet sich ein Absatz zu ›Was ist der Mensch?‹. H. Fischer geht nicht auf Pannen­ bergs Anthropologie ein. Vgl. H. Fischer, Protestantische Theologie im 20. Jahrhundert, 2002. Bei A. Peters, Der Tod in der neueren theologischen Anthropologie, in: Neue Zeitschrift für syste­ matische Theologie, 14, 1972, 29 – 67 wird ›Was ist der Mensch?‹ lediglich in Anm. 126 (S. 52) und Anm. 141 (S. 55) erwähnt. Er geht nicht näher darauf ein. Es gibt jedoch einige Einzelstudien zur Anthropologie Pannenbergs, die jeweils detaillierte Rekonstruktionen bieten, für unseren Zusam­ menhang jedoch nicht relevant sind. Vgl. F.‑J. Overbeck, Der gottbezogene Mensch. Eine syste­ matische Untersuchung zur Bestimmung des Menschen und zur Selbstverwirklichung Gottes in der 237

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besonders mit Blick auf den Tod, jedoch ebenso in Hinblick auf die PannenbergForschung.240 Nichtsdestotrotz gehört Pannenbergs Buch in die zweite Welle evan­ gelisch theologischer Thanatologie des 20. Jahrhunderts. Pannenbergs Abhandlung ist zunächst kein Buch über den Tod. Der Tod kommt hier lediglich, wenn auch pro­ minent, als eines der Themen der Anthropologie zur Sprache. Das ist im Vergleich zu den anderen Quellen der zweiten Welle herausstechend, zeigt jedoch auch gleich warum Pannenbergs Konzept sich trotzdem gut in die Reihe der Thanatologien der zweiten Welle einfügt: Der Tod rückt als Thema einer theologischen Anthropologie in den Fokus. So, wie eben beschrieben, auch bei Thielicke und Barth und, wie wir noch sehen, eben auch in Jüngels Thanatologie. Pannenbergs Buch erschien 1962 in erster Auflage und fällt damit genau in die Zeit der zweiten Welle. Und auch die Ausrichtung der Anthropologie Pannenbergs spricht dafür, seine hier verhandelte Thanatologie mit aufzunehmen. So verortet er sich zu Beginn seiner Abhandlung in die Diskussion der philosophischen Anthropologie, ganz im Gegensatz zu Barth, der aber wie gesehen in manchen Punkten dann eben doch argumentativ nicht so weit entfernt ist. Zu deren Hauptvertretern gehören Max Scheler, Helmut Pless­ ner und Arnold Gehlen, auf die Pannenberg auch gleich zu Beginn in der ersten Anmerkung des Buches in Form einer Sammelanmerkung verweist.241 Außer auf die Genannten verweist Pannenberg in seinem grundlegenden ersten Kapitel aber ebenso, in der zweiten Anmerkung des Buches, auf Martin Hei­deg­ger und ›Sein und Zeit‹. Hei­deg­ger hat Sein und Zeit zwar dezidiert von der Anthropologie abge­ grenzt.242 Diese Abgrenzung ist bei Lichte betrachtet jedoch lediglich von formaler Natur (vgl. 3.). Das Buch lässt sich nicht nur als Anthropologie lesen, sondern bietet diese Lesart geradezu an. Besonders, aber ganz gewiss nicht nur, in Hinblick auf Anthropologie und Trinitätstheologie Wolfhart Pannenbergs, 2000. Sowie V. Cristescu, Die Anthro­pologie und ihre christologische Begründung bei Wolfhart Pannenberg und Dumitru Staniloae, 2003. Außerdem E. Kaufner-Marx, Freiheit zwischen Autonomie und Ohnmacht. Eine Untersu­ chung der theologischen Anthropologien Wolfhart Pannenbergs und Thomas Pröppers, 2007. Vgl. ebenso T. Waap, Gottebenbildlichkeit und Identität. Zum Verhältnis von theologischer Anthropo­ logie und Humanwissenschaft bei Karl Barth und Wolfhart Pannenberg, 2008 sowie D. Munteanu, Was ist der Mensch? Grundzüge und gesellschaftliche Relevanz einer ökumenischen Anthropologie anhand der Theologien von K. Rahner, W. Pannenberg und J. Zizioulas, 2010. 240   So zeigt beispielsweise ein Blick in die bisher fünf veröffentlichten Bände der PannenbergStudien der Pannenberg-Forschungsstelle, dass die ›kleine Anthropologie‹ dort bisher nicht gewür­ digt wurde. Das liegt sicher auch an der Auswahl der Themen. Vgl. G. Wenz (Hg.), »Eine neue Menschheit darstellen« – Religionsphilosophie als Weltverantwortung und Weltgestaltung: Eröff­ nung der Wolfhart Pannenberg-Forschungsstelle an der Münchener Hochschule für Philosophie, 2015, sowie Ders. (Hg.), Vom wahrhaft Unendlichen: Metaphysik und Theologie bei Wolfhart Pan­ nenberg, 2016, sowie Ders. (Hg.), Offenbarung als Geschichte: Implikationen und Konsequenzen eines theologischen Programms, 2018 sowie Ders. (Hg.), Kirche und Reich Gottes: zur Ekklesiolo­ gie Wolfhart Pannenbergs, 2017 sowie Ders. (Hg.), Theologie der Natur: zur Konzeption Wolfhart Pannenbergs, 2019. 241   W. Pannenberg, Was ist der Mensch? Die Anthropologie der Gegenwart im Lichte der Theologie, 51976, Anm. 1 S. 104. 242  Vgl. Hei­deg­ger, Sein, 45 – 50.

2.3  Die zweite Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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die thanatologischen Aussagen in ›Sein und Zeit‹ ist eine solche anthropologische Lesart weiterführend. Ich werde das später ausführlich begründen. Insofern ist in Pannenbergs ›Was ist der Mensch?‹ auch der für die zweite Welle maßgebliche Hei­ deg­gerbezug gegeben. Und auch die Form des Buches passt zu den für die zweite Welle als maßgeblich angenommenen Faktoren. Pannenbergs Darlegung basiert auf Vorlesungen, die er an den Universitäten Wuppertal und Mainz gehalten hat und die für eine Radioreihe zu Vorträgen umgearbeitet wurden. Insofern ist Pannenbergs Herangehensweise der Form nach nicht strikt wissenschaftlich-theologisch, sondern eher allgemeinverständlich-popular-wissenschaftlich, zumindest was seine Anlage betrifft. Und gerade durch die Situation des Radiovortrages bekommen die Beiträge des Buches noch einmal eine besondere Note: Sie richten sich an ein Publikum, das nicht nur aus dem Protestantismus affirmativ gegenüberstehenden Zuhörern besteht und bekommen damit automatisch eine missionarisch-erbauliche Note. 2.3.3.1  Wolfhart Pannenberg als Thanatologe Die für uns relevanten Äußerungen Pannenbergs über den Tod wurden zuerst in universitären Vorlesungen in den Jahren 1959 bis 1961 getätigt. Sie fallen damit in die Frühphase des Werkes Wolfhart Pannenbergs. Pannenberg wurde 1928 gebo­ ren und war also zu dieser Zeit gerade erst 30 Jahre alt geworden. 1958 war er mit 29 Jahren zum Professor berufen worden und ein Jahr vor der Veröffentlichung des hier behandelten Buches mit der von ihm im Zusammenhang mit einer Reihe jun­ ger Theologen herausgegebenen Publikation ›Offenbarung als Geschichte‹ der theo­ logischen Öffentlichkeit bekannt geworden.243 ›Offenbarung als Geschichte‹ wurde damals von der theologischen Öffentlichkeit als konzeptionelle Neuvorstellung mit auf das Ganze der Theologie zielendem Impetus verstanden.244 Und diese Einschät­ zung damals lässt sich aus der Rückschau nur bestätigen. Zwar hat sich Pannen­ bergs Konzeption im Laufe seines langen theologischen Schaffens durch weitere und anders gelagerte Stränge angereichert, dennoch blieben die hier grundgeleg­ ten Gedanken wichtig.245 Besonders die grundlegende These seines in ›Offenbarung als Geschichte‹ publizierten Vortrages, dass die »Selbstoffenbarung Gottes [. . .] sich nach den biblischen Zeugnissen nicht direkt, etwa in der Weise einer Theophanie, sondern indirekt, durch Gottes Geschichtstaten, vollzogen«246 habe, kennzeichnet Pannenbergs Werk insgesamt. Für unseren Zusammenhang ist ›Offenbarung als Geschichte‹ aus zwei Gründen relevant. Zum einen ist es zeitlich gemeinsam mit 243  Vgl. H. Fischer, Theologie, 164. Fischer weist darauf hin, dass die grundlegenden Gedanken natürlich schon vorher in Pannenbergs Aufsatz ›Heilsgeschehen und Geschichte‹ von 1959 zum ersten Mal präsentiert worden sind. 244  Vgl. Schwöbel, Pannenberg, 240 f. 245  Vgl. Schwöbel, Pannenberg, 242. 246   W. Pannenberg, IV. Dogmatische Thesen zur Lehre von der Offenbarung, in: Ders., Offen­ barung als Geschichte, 31965, 91.

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unserem Buch entstanden. Darüber hinaus muss es durch seinen die engen Schran­ ken eines Vortrages bei weitem überschreitenden Anspruch, nämlich den eine eigene Konzeption von Theologie grundzulegen, in Wechselwirkung zu ›Was ist der Mensch?‹ gelesen werden. Zweitens steht auch in ›Offenbarung und Geschichte‹ das Thema Tod an zentraler Stelle. Pannenbergs Konzept der Selbstoffenbarung Gottes in der Geschichte wird nämlich dahingehend präzisiert, dass diese Selbstoffenba­ rung sich nicht in einzelnen Ereignissen der Geschichte vollzogen habe, sondern auf das Ende der Geschichte bezogen ist. Nun ist es nach Pannenberg jedoch so, dass dieses Ende zwar für alle Menschen noch aussteht, dass es sich aber andererseits in dem »Geschick Jesu« schon »als Vorwegnahme ereignet« hat.247 Das soll kon­ kret heißen, dass Tod und Auferstehung Jesu proleptisch erwiesen haben, dass und inwiefern sich Gott eschatologisch selbst offenbaren wird.248 Pannenberg formu­ liert: »An ihm ist mit der Auferweckung von den Toten bereits geschehen, was allen anderen Menschen noch bevorsteht.«249 Allerdings gilt, dass trotzdem es jedem, der Augen hat zu sehen, wie Pannenberg schreibt, möglich ist zu erkennen, dass sich in der Auferweckung Jesu dieser eschatologische Selbsterweis erbracht hat, es dennoch niemandem möglich ist zu »überschauen und aus[zu]schöpfen, was im einzelnen in diesem Selbsterweis Gottes enthalten ist.«250 Was es allerdings nicht sein könne, das sei die philosophische Unsterblichkeitsvorstellung, die nämlich mit der Ender­ wartung in Konflikt stehe. Nun kommt Pannenberg in ›Offenbarung als Geschichte‹ auf die moderne Anthropologie zu sprechen, die die Untrennbarkeit des Menschen dargelegt habe und damit gezeigt habe, dass keine Fortexistenz des Menschen über den Tod hinaus möglich sei. Dennoch sei aber gerade durch das Denken einer sol­ chen Fortexistenz ein wichtiger Faktor bedient worden, den es neu auszufüllen gelte. Die Näherbestimmung dieses Faktors wird dann von Pannenberg mit einer Formu­ lierung eingeführt, die auch für unser Buch zentral ist und auf die wir gleich noch einzugehen haben. Pannenberg schreibt: »Der Gedanke der Unsterblichkeit der Seele war faktisch ein Ausdruck der unendlichen Offenheit des Menschen über jede Situa­tion hinaus, die auch den Tod nicht als Grenze hinnehmen kann, Ausdruck der konstitutionellen Weltoffenheit des Menschen, wie wir heute sagen.«251 Diese Welt­ offenheit des Menschen ist zentral für Pannenbergs frühe Thanatologie, die es dann noch genauer dazustellen gilt. Grundsätzlich gilt also auch für Pannenbergs anthropologische Thanatologie, was schon in dieser Bestimmung selbst steckt, dass sie nämlich anthropologisch auf den Tod blickt und ihn daher weniger mit Blick auf eine klare Lehre vom nachtodlichen Sein des Menschen, sondern vielmehr als eine im Bewusstsein des Menschen zu verortende Fragestellung bearbeitet. 247

  AaO., 98. Vgl. für den ganzen Gedankengang bes. aaO., 98, 104 – 105.  Vgl. Schwöbel, Pannenberg, 243. 249   Pannenberg, Thesen, 104. 250   AaO., 105. 251   AaO., 109. 248

2.3  Die zweite Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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2.3.3.2  Wolfhart Pannenbergs Thanatologie in ihrer Zeitbezogenheit Die beiden ersten Vertreter der zweiten Welle evangelisch theologischer Thanato­ logie im 20. Jahrhundert bezogen sich unmittelbar auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Schrecken des Krieges und des Terrors der Nationalsozialisten waren noch sehr präsent und so war die Nachkriegszeit die zeithistorische Folie, vor der die beiden Thanatologien Thielickes und Barths entstanden. Nun, mit Pannenbergs früher Thanatologie, ändert sich dieser zeithistorische Hintergrund. Pannenbergs Buch basiert, wie schon gesagt, auf Vorlesungen aus den Jahren 1959 bis 1961 und erschien im Jahr 1962. Das Buch entstand damit in einer Zeit, in der der Ost-WestKonflikt mehrere Höhepunkte erreichte. Für unseren Zusammenhang müssen zwei Beispiele reichen: 1. Am 13. August 1961 begann der Bau der Berliner Mauer. 2. Im Oktober 1962 stand die Welt während der sogenannten Cuba-Krise wohl so knapp vor dem dritten Weltkrieg wie nie zuvor und vielleicht auch nicht mehr danach. Schon alleine diese beiden zeithistorischen Schlaglichter machen deutlich wie sehr die Entstehungszeit der frühen Thanatologie Pannenbergs von den Bedrohungen des Ost-West-Konfliktes bzw. vom sogenannten Kalten Krieg beeinflusst war. Diese Beeinflussung lässt sich in ›Was ist der Mensch?‹ auch konkret nachweisen. So dis­ kutiert Pannenberg im 10. Teil seines Buches, der mit ›Tradition und Revolution‹ überschrieben ist, die Aufgespanntheit seiner Gegenwart zwischen Überlieferung und Fortschritt.252 In diesem Zusammenhang kommt er auf die Verheißungen zu sprechen, die nicht nur von den Religionen, sondern eben auch von den modernen Weltanschauungen ausgehen. Konkret nennt er die »marxistische Hoffnung«,253 die von profanen Verheißungen lebe, die sich bereits vielerorts als unerfüllbar erwiesen hätten. An diesem Punkt zeige sich auch die Überlegenheit der christlichen Verhei­ ßung, die nämlich »verweist auf die Zukunft, sie läßt uns ihr entgegenwarten, und doch tastet sie das Geheimnis der Zukunft nicht an. Einige Verheißungen bringen diesen Zug des Geheimnisvollen schon ihrem Inhalt nach zum Ausdruck. So die großen Verheißungen der Auferstehung der Toten und des Reiches Gottes auf einer neuen Erde, unter einem neuen Himmel [. . .] wir [wissen, KS] doch bis zu unserer eigenen Auferweckung noch nicht, was da eigentlich geschehen ist.«254 An diesem Zitat wird nicht nur deutlich, wie Pannenberg seine Thanatologie durchaus auch in Bezug auf die zeithistorischen Rahmenbedingungen entwirft. Seine Theologie lässt das Geheimnis des Lebens Geheimnis bleiben und verhilft zu leben. Damit überbie­ tet sie die kommunistische Weltanschauung, die versucht das Geheimnis des Lebens diesseitig aufzulösen und daran scheitern muss. An diesem Zitat wird jedoch auch gleich eine (in 2.3.3.5) noch aufzunehmende Stärke der Thanatologie Pannenbergs deutlich. Sie arbeitet zwar ganz konkret mit dem Bild der Auferstehung der Toten und grenzt es auch gegen andere Bilder ab, versucht jedoch nicht dieses Bild mit 252

 Vgl. Pannenberg, Thesen, 86 – 95.   AaO., 93. 254  Ebd. 253

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neuen Bildern aufzulösen, sondern lässt es in seiner Eindringlichkeit und Geheim­ nishaftigkeit stehen. 2.3.3.3  Wolfhart Pannenbergs Thanatologie und ihr Bezug zu Hei­deg­ger Außer dem oben bereits genannten direkten Hei­deg­gerbezug in der zweiten Anmer­ kung seines Buches,255 findet sich eine breite Bezugnahme auf die in ›Sein und Zeit‹ entwickelte Bestimmung des Menschseins (Fundamentalanalyse des Daseins) eher zwischen den Zeilen von Pannenbergs Anthropologie. Diese Beziehung der beiden Denksysteme untereinander ist zwar durch die maßgeblichen Quellen Pannenbergs, also durch Plessner und Gehlen, als vermittelt zu denken. Insofern würde man den Hei­deg­gerbezug der Thanatologie Pannenbergs erst vollständig offenlegen, wenn man die Positionen Plessners und Gehlens und deren Beziehung zu Hei­deg­ger mit­ verhandeln würde. Das jedoch würde nicht nur den Umfang dieser Untersuchung sprengen, sondern ist für unsere Fragestellung auch gar nicht maßgeblich, denn: Die zweite thanatologische Welle wurde ja lediglich durch eine starke Beeinflussung durch die Philosophie Hei­deg­gers beschrieben. Ob diese Beeinflussung dann vorher durch den Filter einer anderen philosophischen Konzeption gegangen ist, ist hierfür nicht relevant. Ich möchte hier also nur auf einige Bezugspunkte Pannenbergs zu Hei­deg­ger hinweisen. Dass Pannenberg Hei­deg­gers Philosophie gekannt hat und sie auf ihn gewirkt hat, soll aber zuvor noch an einem Punkt allgemein gezeigt werden: Natürlich kannte jeder, der in den 1950er und 60er Jahren Systematische Theologie betrieb, Hei­deg­ger und dessen Hauptwerk, aber dass Pannenberg über dieses Allgemeinmaß hinaus in Auseinandersetzung mit Hei­deg­gers Philosophie stand, hat zuletzt Gun­ ther Wenz gezeigt, indem er aus Briefen Pannenbergs und Dokumenten aus dem Nachlass einen Besuch zusammen mit seinen Freunden, dem späteren sogenannten Pannenberg-Kreis, Ulrich Wilkens, Rolf Rendtorff, Klaus Koch und Dietrich Röß­ ler bei Hei­deg­ger in Todtnauberg rekonstruierte und die Nachbearbeitung dieses Besuchs, die schließlich in einem nicht veröffentlichten ausführlichen Brief Pannen­ bergs an Hei­deg­ger mündete, genau darstellte.256 Nun zu den genannten impliziten Hei­deg­gerbezügen in Pannenbergs frü­ her Thanatologie: Pannenberg bestimmt den Menschen in Anlehnung an Gehlen (s. u. 2.3.3.4) als weltoffen. Diese maßgebliche Beschreibungskategorie des Mensch­ seins weist eindeutige Parallelen zu Hei­deg­gers Beschreibung des Daseins auf. Wird die Weltoffenheit des Menschen bei Pannenberg zum einen durch die unendliche 255   Außer an dieser Stelle finden sich noch auf den Seiten 8, 104 (Anm. 2), 110 (Anm. 8) und 23 direkte Bezugnahmen auf Hei­deg­ger. 256  Vgl. G. Wenz, Ausfahrt Todtnauberg. Begegnungen Wolfhart Pannenbergs mit Martin Hei­ deg­ger, in: Ders., Vom wahrhaft Unendlichen, 2016, 75. Wenz kommt allerdings zu dem Schluss, dass eine ausführliche Beziehungsbeschreibung Pannenberg-Hei­deg­ger noch aussteht bzw. mit den im Nachlass befindlichen Dokumenten eventuell gar nicht möglich ist.

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Offenheit der Lebensmöglichkeiten des Menschen und zum anderen durch das Stre­ ben des Menschen auf ein unbekanntes Ziel hin bestimmt, so lässt sich das sehr gut mit Hei­deg­gers Analyse der Faktizität und Existenzialität des Daseins in Bezug set­ zen.257 Das Dasein ist schlicht da als In‑der-Welt-sein und damit durch diese Befind­ lichkeit (Faktizität) vor die unendliche Möglichkeit des Verstehens (Existenzialität) und der Selbstauslegung gestellt. Dieser Herausforderung entspricht die Grund­ struktur des Daseins (das Sein des Daseins), das Hei­deg­ger als Sorge bestimmt. Das Sorgen des Daseins bei Hei­deg­ger und das Streben des Menschen bei Pannenberg sind vergleichbar, wobei der entscheidende Unterschied ist, dass Hei­deg­gers Sorge das Dasein immer wieder auf sich selbst zurückwirft, während Pannenberg das Stre­ ben auf einen Gott hin verstanden haben will. Diese Differenz kann aber sogleich wieder eingeklammert werden, wenn wir uns klar machen, dass Pannenberg den Gottesbegriff hier als Bestimmung des letztlich unbestimmbar bleibenden Ziels des Strebens des Menschen einsetzt, sowie Hei­deg­ger das Dasein als Abschlussbe­ griff verwendet, ihn also ebenso dort einsetzt, wo die Bestimmungen aufgrund der Unbestimmbarkeit des Gemeinten auszusetzen haben. Es lässt sich also durchaus sagen, dass Pannenbergs Gottesbegriff und Hei­deg­gers Daseinsbegriff Ähnlichkeiten in ihrer Funktion in den jeweiligen anthropologischen Konzeptionen besitzen. Die Parallelität des Daseins als Sorge und des weltoffenen Menschen, lässt sich an vielen Stellen beschreiben. Als Beleg soll hier noch folgender Satz Pannenbergs dienen: »Das Leben wird den Menschen täglich neu zur Aufgabe.«258 Pannenberg eröffnet mit diesem Satz den dritten Abschnitt seines Buches und setzt damit noch einmal grundlegend fest, dass er den Menschen als mit der Aufgabe sein Leben zu gestal­ ten ausgestattet, versteht. Man könnte auch schreiben, dass Pannenberg den Men­ schen als grundlegend mit der Aufgabe des Sorgens für sein Leben beauftragt ansieht und wäre damit fast wörtlich bei der Bestimmung der Grundstruktur des Daseins bei Hei­deg­ger (vgl. für die Denkweise bei Hei­deg­ger 3.). Hei­deg­ger beschreibt die Grundstruktur des Daseins als Sorge in ›Sein und Zeit‹ in immer neuen Anläufen, um bestimmte andere Akzente zu setzen. Und auch Pannenberg verfährt mit sei­ ner Grundstruktur der Weltoffenheit genauso. Insofern ließe sich die Parallelisierung noch an vielen Punkten aufzeigen. Ein weiterer Punkt soll allerdings für unseren Zusammenhang genügen: Für Pannenberg ist der Mensch auf ein zunächst einmal gegenstandsloses Vertrauen in die Welt angewiesen. Zunächst deswegen, weil der Christ dieses Vertrauen durch die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus einem Gegenstand zuordnen kann. Aber generell gilt: Dieses Vertrauen ist erst einmal grundlos und vor allem auch in Frage gestellt durch die unendliche Weltoffenheit des Menschen, denn diese bedeutet ja, negativ formuliert, dass der Mensch in die­ ser Welt keinen Halt finden kann. Diese Beschreibung ist wiederum parallelisierbar mit der Grundbefindlichkeit des Daseins als Angst bei Hei­deg­ger (vgl. bes. 3.3.2.2 u. 257

  Vgl. u. a. Hei­deg­ger, Sein, 134 – 166 und 180 – 230.   Pannenberg, Mensch, 22.

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3.3.3.2). Denn auch diese wird getragen durch die Bodenlosigkeit des Daseins. Das Dasein hat nichts, was ihm halt geben könnte. Beide Autoren gehen nun unterschiedlich vor, um dem Dasein (bzw. dem Men­ schen) doch noch die Möglichkeit zu geben, eine positive Haltung in seinem daSein (Leben) zu finden. Bei Hei­deg­ger ist es das Dasein als Sein zum Tode und noch genauer bestimmt das Dasein, das sich selbst als Sein zum Tode in Form des Vorlaufens in den Tod versteht. Bei Pannenberg ist es der religiöse Glaube, der erkennt, dass sich die Geschichte in Tod und Auferstehung Jesu schon proleptisch vollendet hat. Ich gehe gleich (vgl. 2.3.3.4) noch genauer auf diese Argumentation bei Pannenberg ein. Hier nur so viel: Nicht nur, dass beide Denker den Tod in diese entscheidende Stelle setzen, beide kommen auch noch zu vergleichbaren Beschreibungen der Hal­ tung, die es dem Dasein (bzw. Menschen) ermöglicht trotz seiner Geworfenheit (bzw. radikalen Weltoffenheit) sein da-Sein (Leben) positiv zu gestalten! Hei­deg­ger formu­ liert, dass der »Mut zur Angst vor dem Tode«259 zentral ist, damit sich das Dasein als Sein zum Tode verstehen könne und somit erkenne, was es eigentlich ist. Pannenberg spricht erst vom »Mut zum Leben« und dann davon, dass der Mensch den »Mut zu einer noch nicht sichtbaren Zukunft«260 braucht, um sein Leben positiv zu gestalten. 2.3.3.4  Die materiale Durchführung der Thanatologie Wolfhart Pannenbergs Pannenbergs Darlegung ist von ihrem Genus her als Anthropologie gedacht. So muss zunächst die anthropologische Grundlegung rekonstruiert werden, um sodann die Thanatologie zu erläutern. Für Pannenberg ist der Mensch maßgeblich durch seine Freiheit in einem umfassenden Sinne gekennzeichnet. Das menschliche Leben erstreckt sich stets in alle nur erdenklichen Richtungen und überschreitet in diesem Streben seine direkte Umwelt. Das menschliche Leben ist radikal »offen« für »neue Dinge, frische Erfahrungen«261 für die ganze Welt, sodass Pannenberg in Anlehnung an Gehlen von der »Weltoffenheit des Menschen« spricht. Das ist für ihn die grund­ legende Beschreibungsformel für das Menschsein. Nun wendet Pannenberg diese Beschreibung des Menschen jedoch sofort in eine theologische Richtung, wenn er fragt, was denn nun eigentlich diese Welt meint, gegenüber welcher der Mensch so radikal offen ist. Die Frage könne nicht beantwortet werden, denn das, was hinter dem Begriff Welt stehe, sei die unendliche Anzahl der Möglichkeiten, die es zu ver­ wirklichen gelte und damit gleichzeitig die niemals endende Situation der Offenheit, denn so wie die Möglichkeiten niemals aufhören würden, würde auch das mensch­ liche Streben nach Bearbeitung dieser Möglichkeiten niemals aufhören.262 Der Mensch folge dabei einer »unbestimmten Verpflichtung«263 wie Pannenberg es wie­ 259

  Hei­deg­ger, Sein, 254.  Beide Pannenberg, Mensch, 32. 261  AaO., 9. 262   Vgl. aaO., 9 – 11. 263   AaO., 10. 260

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derum in Aufnahme von Gehlen nennt. Anders formuliert ließe sich vielleicht sagen: Der Mensch verhält sich stets so als strebe er einem Ziel entgegen, das er jedoch nicht nur nicht kennt, das noch nicht einmal bestimmbar ist. Durch diese Bestimmung kommt Pannenberg zum Schluss, dass der Mensch ein Gegenüber braucht, das er »in seiner unendlichen Angewiesenheit« gleichsam als Ziel setzt, auf das er zustrebt oder dem gegenüber er verpflichtet ist. Dieses Gegenüber ist für Pan­ nenberg Gott. Da diese Veranlagung von Pannenberg als allgemein menschlich angesehen wird, kann er formulieren, »daß der Mensch rein durch den Vollzug sei­ nes Lebens ein Gegenüber voraussetzt, auf das er unendlich angewiesen ist, ob er es weiß oder nicht.«264 Jeder Mensch hat nach Pannenberg also einen Gottesbezug. Im Weiteren fungiert Gott dann nicht nur als Ziel des Strebens und als Gegenüber der Verpflichtung, sondern ebenso als Quelle der Kraft, die den Menschen die ihm offenstehende Welt zu formen erlaubt. Pannenberg spricht hier von der »Phantasie« als maßgeblicher Anlage des Menschen.265 Durch die Phantasie schaffe der Mensch die Sprache und damit die Möglichkeit zur Weltgestaltung. Der Ursprung der Phan­ tasie liege jedoch ebenso im Dunkeln wie ihre Verfügbarkeit. Die Momente und der Ursprung wahrer Kreativität seien unverfügbar. Pannenberg formuliert: »Echte Ein­ fälle kann man nicht hervorrufen.«266 So dass auch hier wieder Gott die Leerstelle dessen füllt, was nicht anders bestimmt werden kann. Pannenberg: »So erscheint Gott nicht nur als Ziel des weltoffenen Strebens, sondern als der Ursprung der schöpferischen Meisterung der Welt durch den Menschen.«267 Es kann hier einge­ wendet werden, dass Pannenberg den Gottesbegriff als Lückenbüßer verwendet, setzt er ihn doch stets an die Leerstellen seines Systems. Andersherum kann man ihm zu Gute halten, dass er es so unternimmt, den Gottesbegriff als eine menschliche Not­ wendigkeit darzustellen. Der nächste Zentralbegriff in Pannenbergs Argumentation ist der des »Vertrauens«. Weil der Mensch sich nun in dieser Situation befindet, in der er unendliche Möglichkeiten hat und auf ein unbestimmtes Gegenüber hin strebt, auf das er auch angewiesen ist und von dem er seine Kraft zur Gestaltung der Welt erhält, deswegen ist für das menschliche Dasein das »Vertrauen« die notwen­ dige Haltung im Leben.268 Gerade durch die Weltoffenheit, das ausgerichtet sein in Fragen und Streben über das Ganze seiner Wirklichkeit hinaus, ist das nötig, sodass Pannenberg schreiben kann: »Und da wir im Vollzug unserer Existenz auf das Ganze der Wirklichkeit angewiesen sind, ja über dieses Ganze noch hinausfragen in seinen Grund, so kann auch dieses Verhältnis nur die Gestalt einer Vertrauensbeziehung haben.«269 Da jeder Mensch im Leben vertrauen muss, kommt Pannenberg auch hier wieder zum Schluss, dass »jeder Mensch im Vollzug seines Lebens seinen Gott 264

  AaO., 11.   AaO., 13 – 22. 266   AaO., 21. 267   AaO., 22. 268   AaO., 22 – 31. 269   AaO., 26. 265

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hat, gleichgültig, ob er ihn so nennt oder nicht.«270 Doch ist auch hier der Gottesbe­ griff letztlich unfassbar. Gott bleibt Begriff für das Unendliche, das, was der Mensch nicht »in die Hand bekommen«271 kann. Dies ist jedoch nach Pannenberg auch die einzige Art und Weise, in der der Gottesbegriff positiv wirken kann. Denn erst, wenn das Endliche frei vom göttlichen Wirken sei, könne wahres Vertrauen entste­ hen. Wenn das Göttliche verendlicht würde, entstünde der vergebliche Versuch »das Vertrauen durch Sicherung zu ersetzen.«272 Und auch die Verfügung über das End­ liche, also das Gestalten der Welt, wäre im erfolgsversprechenden Sinne nur mög­ lich, wenn das Göttliche unendlich und damit als jenseits der Welt gedacht würde. »Erst der Glaube an den unendlichen Gott der Bibel jenseits alles Endlichen hat die Welt der endlichen Dinge restlos in die Verfügung des Menschen gegeben«273 kons­ tatiert Pannenberg. Nun sei es aber für den Menschen nicht möglich dem Unendli­ chen wahrhaft zu vertrauen, weswegen auch in den Religionen das Unendliche immer verendlicht worden sei. Erst in der »Geschichte Jesu von Nazareth aber ist im Zusammenhang der Religionsgeschichte selbst alle religiöse Endlichkeit und auch die Endlichkeit dieses Menschen aufgehoben.«274 Das ist in der etwas ausführlichen Herleitung zu unserem Thema nun der entscheidende Schritt! Die Geschichte Jesu ist für Pannenberg geprägt von Transzendierungen der Endlichkeit, die Pannenberg mit eigentümlichen Vokabeln umschreibt, die deswegen besonders auffallen, weil seine Sprache sonst recht konventionell ist. So schreibt er, dass Jesu Verkündigung die Verheißungen an Israel »überschreitet«, dass seine Auslegungen und seine Bot­ schaft von der Gottesherrschaft den Hörer »bedingungslos über sich hinaus« weise und das israelitische Gesetz »sprengt« und dass seine Kreuzigung seine eigene »End­ lichkeit durchkreuzt.«275 Dieses hier etwas unvermittelt einsetzende Pathos lässt sich eigentlich nur vor dem oben in Bezug auf Pannenbergs Programm der ›Offenbarung als Geschichte‹ Gesagten verstehen. In Jesu Leben und besonders dann in seiner Auferstehung werde der normale Zeitfluss aufgehoben, die Gegenwart überschrit­ ten, das Ereignis weise über sich hinaus und sprenge das, was vorher galt, sodass die Endlichkeit des Menschen nun durchkreuzt sei, die eschatologische Wahrheit habe sich proleptisch erwiesen. Somit stehen auch in ›Was ist der Mensch?‹ Tod und Auf­ erstehung Jesu an zentraler Stelle. Denn erst mithilfe des Todes und der Auferste­ hung Jesu ist es Pannenberg nun möglich zu bestimmen, wie der Mensch trotz der bisher geschilderten Situation, in der er entweder das Unendliche verendlicht oder überwältigt vor der Aufgabe des Vertrauens in das Unendliche steht, in der Lage ist, 270  Vgl. V. Gerhardt, Der Sinn des Sinns. Versuch über das Göttliche, 32015, 148 – 208. Diese Darlegungen erinnern sehr an Volker Gerhardts Ausführungen über den Glauben. Pannenberg, Mensch, 26. 271   Pannenberg, Mensch, 27. 272  Ebd. 273   AaO., 29. 274   AaO., 30. 275  Ebd.

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sein Leben positiv zu gestalten. Nun fällt sofort auf, dass Jesus hier in Pannenbergs Anthropologie wie der Deus ex machina, oder auch wieder als Lückenbüßer, erscheint, wie gerufen, um die ihm zugedachte Funktion zu erfüllen. Dieses Desiderat wird zumindest abgemildert, wenn man die schon erwähnten Gedanken aus ›Offen­ barung als Geschichte‹ hinzuzieht und mitbedenkt, dass Pannenberg die Theologie stets in Form von Hypothesen verstanden haben wollte, deren Wahrheit sich zwar bereits proleptisch erwiesen habe, aber für alle, die dem nicht folgen könnten, escha­ tologisch erweisen werde. Zusätzlich schränkt er auch in ›Was ist der Mensch?‹ die Bedeutung der konkreten Auferstehung dahingehend ein, dass sie »eine alles Vor­ stellen übersteigende, neue und uns in ihrem eigentlichen Wesen noch nicht zugäng­ liche Wirklichkeit« sei. Was also mit der Auferstehung in die Geschichte eingebro­ chen ist, ist nicht wirklich klar. Dennoch ist es kritisch zu bemerken, dass Pannenberg die Beschreibungen des Menschen als weltoffen und durch die Phantasie zur Weltgestaltung befähigt philosophisch entwickelt und phänomenologisch ausweist, beides aber für seine dezidiert theologischen Gedanken unterlässt. Was oben bereits bei der Einführung des Gottesbegriffs auffiel, verstärkt sich nun noch einmal. Und auch im nun folgenden vierten Teil von ›Was ist der Mensch?‹, in dem Pannenberg auf die Bedeutung des Todes des Menschen selbst für sein eigenes Leben eingeht, verstärken sich diese Probleme noch einmal. Pannenberg greift nun zunächst wieder auf seine Bestimmung des Menschen als weltoffen zurück und leitet ab, dass in der Weltoffenheit eine spezifische Ausgerich­ tetheit auf die Zukunft liege. Die unbestimmte Verpflichtung und das unendliche Streben des Menschen verwiesen hier beide in die Zukunft, weil »die menschlichen Antriebe in der Gegenwart nie zu endgültiger Erfüllung kommen.«276 Nur sei diese Zukunft immer unplanbar, sodass der Mensch in den Modus der Hoffnung verwie­ sen sei. Dass das Leben mit »Mut zu einer nicht sichtbaren Zukunft« gelebt wer­ den könne, sei erst durch die »Allmacht und Treue des biblischen Gottes« möglich geworden. An dieser Stelle müssen drei Dinge bemerkt werden: Einerseits tritt auch hier wieder das Problem auf, dass Pannenberg nicht begründet, warum es ausgerech­ net der biblische Gott ist, der diesen Lebensmut möglich macht. Man kann sich dies zwar so erschließen, dass in Jesu Geschichte dieser Gott sich selbst offenbart hat und hier das Ende der Geschichte vorverwirklicht wurde, nur bleibt völlig unklar warum jemand an diese Setzung glauben sollte. Pannenbergs Argumentation funktioniert nur, wenn man schon von der Gültigkeit der Offenbarung ausgeht. Andererseits wird nicht klar, warum nun »erst die biblischen Verheißungen das Neue der Zukunft einerseits bedeutsam und andererseits verläßlich gemacht«277 haben sollen. Sprechen doch alle empirischen Beweise gegen diese These! Es gibt eine Vielzahl von lebens­ mutigen Menschen, die ganz ohne diesen biblischen Gott auskommen. Drittens, und dieser Punkt ist für unsere Untersuchung von großer Tragweite, fällt es auf, dass Pan­ 276

  AaO., 32.  Ebd.

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nenberg hier für die positive Haltung des Gläubigen den Begriff der Hoffnung wählt. So heißt das vierte Kapitel, in dem es um den Tod geht »Hoffnung über den Tod hin­ aus« und auch im Text wird dann von der Hoffnung als »sinnvoller Haltung« (zum Begriff der Haltung s. u. 3.4.4.1.4) gesprochen und von »Hoffnungsbildern«. Trotz­ dem Pannenberg die Hoffnung hier also in den Mittelpunkt stellt, spricht er an zwei Stellen von Mut. Einmal an der oben schon zitierten Stelle und dann noch einmal, wenn er schreibt in »der Hoffnung erhebt sich ein Vertrauen, ein Mut zum Leben«.278 Während sich Hoffnung eher auf eine Zukunft richtet und damit in der beschriebe­ nen Konzeption Pannenbergs sicher auch der passende Begriff ist, ist Mut etwas, was eher im Jetzt wirkt und auch ohne eine hoffnungsvolle Zukunft zum Tragen kommen kann. Ich werde, wenn ich Paul Tillichs Schrift ›Der Mut zum Sein‹ behan­ deln werde, noch näher auf den Mut eingehen (s. 3.4.4). An dieser Stelle sei nur dar­ auf hingewiesen, dass auch Pannenberg die Funktion des Glaubens nicht auf einen Hoffnungsspender reduzieren möchte, sondern ebenso von Lebensmut spricht. Ob er damit nicht vielleicht einen, seinem Ansatz bei der philosophischen Anthropolo­ gie und ebenso seiner Zeit, angemesseneren Ansatzpunkt zwar beleuchtet, dann aber nicht weiter ausführt, sei hier nur angefragt. Mut, so wollen wir im Hinterkopf behal­ ten, könnte die adäquatere Haltung dem endlichen Leben gegenüber sein als Hoff­ nung. Wenn wir nun zum Argumentationsgang Pannenbergs zurückkehren, folgt als nächster Schritt, dass die eben schon erwähnte Haltung der Hoffnung durch den bevorstehenden Tod des Menschen in Frage gestellt ist. Er schreibt: »Ob Hoffnung eine sinnvolle Haltung zum Dasein ist oder eine äußerste Torheit, das entscheidet sich zuletzt an der Frage, ob es etwas zu hoffen gibt über den Tod hinaus. Alle vorläu­ figen Hoffnungsbilder sind in ihrem Sinn bedroht durch die Unausweichlichkeit des Todesgeschicks.«279 Nun ist dies ein bekanntes Argument in der thanatologischen Debatte: die Endlichkeit des Lebens stelle den Sinn des ganzen Lebens in Frage. Ob dem wirklich zuzustimmen ist und ob der Sinn eines Moments und damit auch der Sinn jedes Moments des Lebens nicht vielmehr gerade in seiner Endlichkeit liegt oder zumindest sinnvolle Momente durch das Enden desselben nicht wieder rückgängig gemacht werden können, darauf werde ich im Abschnitt zu Hei­deg­ger noch einge­ hen (vgl. auch die Bemerkungen Jüngels zu dieser Sache 2.3.4.4). An dieser Stelle sei nur bemerkt, dass es sich hier in gewissem Sinne um eine Tautologie handelt. Denn ob Hoffnung berechtigt ist, das ergibt sich natürlich erst im Rückblick, wenn sich herausgestellt hat, dass es etwas zu hoffen gab, das liegt schlicht in der Struktur von Hoffnung begründet. Ob aber Hoffnung nicht auch eine sinnvolle Haltung sein kann, wenn es gar nichts zu hoffen gibt, das steht und fällt mit dem, was man unter sinnvoll versteht. Nimmt man Pannenberg beim Wort und erachtet einen »Mut zu einer noch nicht sichtbaren Zukunft« für eine aus der Hoffnung erwachsende Haltung, dann kann man einwenden, dass diese Haltung sinnvoll ist, ob es nun ein Leben nach dem 278

 Ebd.   AaO., 33.

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Tod gibt oder nicht. So ist auch der scharf formulierte Satz »denn wie dumm ist es, eine ungewisse Zukunft zu ersehnen, die auch im besten Falle doch nur dem Grabe näherbringt«280 einerseits in seiner Drastik und andererseits auch in seiner Sinnhaf­ tigkeit sowohl in Bezug auf Pannenbergs eigene Konzeption als auch darüber hinaus anzufragen. Ebenso gilt es den Begriff der Haltung kritisch zu befragen. Es scheint so als habe Pannenberg ihn hier eher unbedarft eingesetzt (vgl. 3.4.4.1.d). Nun geht Pannenberg darauf ein, was denn eigentlich gehofft wird, wenn im Glauben über den Tod hinaus gehofft wird. Diese Frage lasse sich zwar nicht beant­ worten, denn das Leben nach dem Tod sei dermaßen unvorstellbar, dass es nicht ausformuliert werden könne. Dennoch gebe es einen Maßstab, an dem »die ver­ schiedenen Vorstellungen eines Lebens nach dem Tode einer Prüfung unterzogen werden.«281 Dieser Maßstab ist für Pannenberg »inwieweit sie der anthropologischen Wurzel entsprechen, die derartige Vorstellungen überhaupt erst sinnvoll macht.«282 Daraufhin kommt es bei Pannenberg zu der uns schon aus der dritten thanatologischen Welle des 20. Jahrhunderts bekannten Diskussion zwischen der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele und der Hoffnung einer Auferstehung der Toten. Dass Pannenbergs Thanatologie trotz dieser eigentlich in der dritten Welle verorteten Dis­ kussion nicht zu dieser gehört, liegt darin begründet, dass er diese Frage nicht in Form einer Metadiskussion bearbeitet, sondern von seinem eigenen Ansatz einer theologischen Anthropologie zu dieser Frage geführt wird. So ist ja auch seine Fra­ gerichtung eine andere als die derjenigen Positionen, die ich in die dritte Welle ver­ ortet habe. Er fragt nicht, welche der beiden Lehren aporiefrei durchgeführt werden kann, sondern welche der anthropologischen Struktur entspricht, die er selbst ent­ wickelt hat. Diese Frage beantwortet er mit einer Absage an die Unsterblichkeitsvor­ stellungen, da diese nicht der Zukunftsgerichtetheit des weltoffenen Menschen ent­ sprächen. Die Unsterblichkeit sei immer das Aufheben von etwas Vergangenem und nicht das Werden von etwas Neuem. Die Hoffnung des weltoffenen Menschen, der in die unendliche Zukunft getrieben ist und sich dem unendlichen Gott verpflichtet weiß, könne dadurch nicht befriedigt werden, sie richtet sich vielmehr auf eine freie, offene Zukunft. So kann Pannenberg festhalten: »Die Hoffnung auf die Auferwe­ ckung von den Toten ergreift bewußt die Bestimmung, die als Offenheit über den Tod hinaus das Menschsein eines jeden kennzeichnet.«283 So ist dann auch sein Plä­ doyer für eine der beiden »Alternativen«, also »Unsterblichkeit oder Auferstehung« 280

  AaO., 33. In diesem Zusammenhang geht Pannenberg auf die Gewissheit des Todes ein und deduziert diese aus der »Erfahrung des Sterbens der anderen«. Mit dieser lapidaren Feststel­ lung bleibt er weit hinter der Diskussion zurück, die schon in den 1920er Jahren darum geführt wurde, woher die Gewissheit des eigenen Todes kommt. Vgl. Max Scheler, Tod und Fortleben, in: M. Scheler (Hg.), Schriften aus dem Nachlass, 21957. Vgl. ebenso P. L. Landsberg, Die Erfahrung des Todes, 2009; Hei­deg­ger, Sein, 235 – 267. 281   Pannenberg, Mensch, 34. 282  Ebd. 283   AaO., 40.

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hier anders als in den Positionen der dritten Welle sinnvoll eingeführt. Es ließe sich jedoch mit Pannenberg selbst gegen ihn einwenden, dass die Auferstehung, die er selbst ja als etwas, das »alles Vorstellen übersteigt«284 eingeführt hat, gerade weil sie eben unvorstellbar ist, nicht rational als bessere Alternative ausgewiesen wer­ den kann. So kommen wir auch hier zu dem Punkt, dass es nicht sinnvoll ist, die Auferstehungs- gegen die Unsterblichkeitsidee auszuspielen, denn beides fällt in den Bereich dessen, was »alles Verstehen übersteigt« und kann somit nicht gegenein­ ander abgewogen werden. Pannenberg wird von den Vertretern der dritten Welle immer wieder in die Liste der Ganztodtheoretiker aufgenommen. Doch es dürfte im Durchgang durch seine thanatologischen Gedanken klar geworden sein, dass diese Einordnung zumindest auf seine hier behandelte frühe Theologie bezogen so wenig sinnvoll ist wie der Begriff einer Ganztodtheorie überhaupt. An keiner Stelle zeigt sich in Pannenbergs Thanatologie das Interesse, über den Zustand des Men­ schen nach dem Tod Auskunft zu geben. Im Gegenteil bestimmt er den Tod, sei­ nem Ansatz einer theologischen Anthropologie konsequent folgend, ganz aus dem Leben heraus. Seine Frage ist, was die Endlichkeit des Lebens für die Bestimmung des Menschseins bedeutet und nicht wie der Zustand des Totseins vorzustellen ist. Hier redet er, wie gerade noch einmal unterstrichen, davon, dass das Vorstellen überstiegen wird. Dass er den menschlichen Tod aufgrund seiner Affirmation der Einheitlichkeit aus Leib und Seele ernst nimmt und den Menschen als Ganzen als endlich ansieht, bleibt davon unbenommen. Doch liegt hier kein argumentativer Schwerpunkt und noch weniger eine Pointe auf dieser Bestimmung. Im Zentrum seiner Thanatologie steht vielmehr eine christologisch pointierter Todesbegriff. Was das menschliche Sterben bedeutet, könne an der Bedeutung des Sterbens und eben der Auferstehung Jesu abgelesen werde. 2.3.3.5  Würdigung der Thanatologie Wolfhart Pannenbergs Die Zuordnung der Thanatologie Pannenbergs in die zweite Welle sollte klar gewor­ den sein. Pannenberg arbeitet vor dem Hintergrund der Philosophie seiner Zeit und damit maßgeblich von Hei­deg­ger beeinflusst, nimmt die zeithistorische Entste­ hungssituation seiner Abhandlung deutlich wahr und entwickelt seine thanatologi­ schen Gedanken anhand seiner theologischen Anthropologie. Gerade durch diese Besonderheit bei Pannenberg, dass er eine eigene theologische Anthropologie aus­ arbeitet, die jedoch sehr nahe an den Überlegungen der philosophischen Anthro­ pologie liegt, gelingt es ihm, sich dem Phänomen des Todes in einer lebensnahen Beschreibung zu widmen. Das auch seiner Anthropologie und damit seiner Thana­ tologie zugrundeliegende theologische Programm der ›Offenbarung als Geschichte‹ verbindet diese zunächst einmal unterschiedlich ausgerichteten Denkwege. Für unseren Zusammenhang ist es dabei von herausragender Bedeutung, dass auf bei­ 284

  AaO., 30.

2.3  Die zweite Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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den Seiten, also sowohl auf der anthropologischen als auch auf der theologischen Denkschiene, der Tod eine zentrale Rolle einnimmt. Seine thanatologischen Spit­ zenaussagen sind dabei durch die Aufnahme der Auferstehungsidee biblisch-theo­ logisch gesättigt, erliegen aber nicht der Versuchung, den Gehalt der Auferstehungs­ idee, über das biblisch Bezeugte in sich differente Bild hinaus ausmalen zu wollen. Im Gegenteil wird konkret eingestanden, dass der Gehalt dieser Idee im Dunkeln liegt, sodass die Füllung dieses Gehalts in die Denkwege des individuellen religiösen Bewusstseins zurückverwiesen. Damit bleibt Pannenbergs Thanatologie an dieser entscheidenden Stelle offen und lässt trotzdem sie in der Darlegung der anthropo­ logischen Strukturen systematisch arbeitet, Raum für unfestgelegte Nebenwege. Das ist einer der wichtigsten Punkte, um eine über die eigene Immanenz hinaus gehende Anschlussfähigkeit einer Thanatologie zu bestimmen. Damit reiht sich Pannen­ berg neben Thielicke und Barth ein und es zeigt sich auch hier der große qualitative Unterschied zwischen den Thanatologien der dritten und zweiten Welle. 2.3.4  Eberhard Jüngel: Tod Mit Eberhard Jüngels Monographie ›Tod‹ aus dem Jahr 1971 erreicht diese Darstel­ lung in zweifacher Hinsicht einen Höhepunkt. Zum einen kann das Buch ohne Frage als das am meisten rezipierte Buch über den Tod in der evangelischen Theologie des 20. Jahrhunderts, ja vielleicht sogar überhaupt, gelten.285 Zum anderen kommt mit Jüngels ›Tod‹ die zweite Welle thanatologischer Theoriebildung der evangelischen Theologie des 20. Jahrhunderts zu einem Abschluss. Und auch das gilt in zweifacher Weise: inhaltlich und zeitlich. Inhaltlich nimmt auch Jüngels Abhandlung, wie vor ihm bereits Thielicke, Barth und Pannenberg, die Philosophie Hei­deg­gers auf. Durch die große Wirkung des Buches wird somit auch die Wirkung der Hei­deg­ger’schen Thanatologie innerhalb der evangelischen Theologie noch einmal verstärkt. Zeitlich kommt etwas zu einem Abschluss, weil nach Jüngels Buch bis heute keine weiteren maßgeblichen Todesdeutungen mehr vorgelegt wurden und sich die protestantische Thanatologie weitestgehend auf die Diskussion der bis dahin erschienenen Theorien zurückgezogen hat (vgl. 2.2). Dass Jüngels Buch in die zweite Welle gehört, sollte somit offensichtlich sein: er nimmt immer wieder Bezug auf die schwierige Lage sei­ ner Zeit, entwickelt seine anthropologische Thanatologie, die bei ihm getrennt von der im Buch ebenfalls enthaltenen theologischen Thanatologie steht, in enger Anleh­ nung an Hei­deg­ger und entwickelt eine eigenständige Theorie, die bis heute nach­ wirkt. Und auch der Form nach fügt sich Jüngel in die zweite Welle ein. Sein Buch ist, 285   Vgl. für diese Einschätzung etwa M. Mühling, Grundinformation Eschatologie. Systema­ tische Theologie aus der Perspektive der Hoffnung, 2007, 171. Vgl. auch Remenyi, Auferstehung, 156. Er spricht mit Verweis auf das Buch von Jüngels berühmter Definition des Todes. Ich verweise auch auf die E‑Mail des Gütersloher Verlagshauses an mich, in der alleine die Anzahl der verkauften Exemplare der drei dort erschienen Auflagen auf 17.000 Stück angegeben wurde.

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das zeigt sich allein schon an der hohen Auflage, der weiten Verbreitung und dem Erscheinen ab der dritten Auflage in dem eher populär ausgerichteten Gütersloher Verlagshaus, nicht für ein rein akademisches Publikum geschrieben. 2.3.4.1  Eberhard Jüngel als Thanatologe Eberhard Jüngels Thanatologie erschließt sich besser, wenn man sie vor dem Hinter­ grund der zwei für ihn einschlägigen Einflüsse, nämlich der Theologie Karls Barths und der Philosophie Martin Hei­deg­gers286 liest und auch die Einsichten der in den früheren Schriften vor 1971 entwickelten Überlegungen zu Analogie und Meta­ pher287 mit einbezieht, die sich in der Linie Hei­deg­ger-Bultmann als Weiterführung der hermeneutischen Theologie Gerhard Ebelings und Ernst Fuchs verstehen las­ sen. Jüngel war im Erscheinungsjahr des Buches, 1971, seit zwei Jahren Professor in Tübingen. Es dauerte noch sechs Jahre bis er sein Hauptwerk ›Gott als Geheimnis der Welt‹288 veröffentlichte und dort seine Theologie, in monographischer Form ver­ dichtet, darlegte. Es lässt sich jedoch sagen, dass die Grundlinien dieser Theologie, die sich als hermeneutisch, in der Linie Hei­deg­ger-Bultmann und Ebeling-Fuchs, und als offenbarungstheologisch, im Gefolge Barths, verstehen lassen,289 schon vor­ her gezeigt haben und auch im Todesbuch zu finden sind. Die hermeneutische Seite seiner Theologie ist für unseren Zusammenhang und das Verständnis seiner Tha­ natologie besonders wichtig und lässt sich anhand seiner Dissertation290 schon bis 286  Vgl. R. D. Zimany, Eberhard Juengel’s Synthesis of Barth and Hei­deg­ger, 1980 und Ders., Vehicle for God. The Metaphorical Theology of Eberhard Jüngel, 1994. Vgl. auch J. Webster, Eberhard Jüngel. An Introduction to his Theology, 1986 sowie J. Webster, Eberhard Jüngel, in: D. Ford (Hg.), Theologen der Gegenwart, 1993. Webster betont den Einfluss Bultmanns mehr als den Hei­deg­gers. Vgl. auch die Darstellung bei J. Rohls, Theologie, 806 f. und H. Fischer, Theologie, 223. Beide betonen ebenfalls den Einfluss von Barth und Hei­deg­ger (und Bultmann), wenn auch Zimany diesen besonders stark macht. Seine beiden Bücher sind jedoch mit Websters Buch schon allein deswegen von besonderem Gewicht, weil sie sich an eine Gesamtdarstellung Jüngels heran­ wagen. Vgl. auch die Würdigung zu Jüngels 80. Geburtstag in der FAZ, in der ebenfalls der Einfluss Hei­deg­gers stark gemacht wird: C. Geyer, Ein Analytiker des Glaubens. Eberhard Jüngel wird 80, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.12.2014. 287   Vgl. bes. seine programmatischen Schriften wie die Habilitation: E. Jüngel, Zum Ursprung der Analogie bei Parmenides und Heraklit, 1964 und die Züricher Antrittsvorlesung: Ders., Gott – als Wort unserer Sprache. Helmut Gollwitzer zum 60. Geburtstag, in: Evangelische Theologie 29, 1969, 1 – 24. 288   E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 61992. Für unseren Zusammenhang auch bedeutend ist seine ausführliche Studie zur Metapherntheorie: Ders., Metaphorische Wahrheit. Erwägungen zur theologischen Relevanz der Metapher als Beitrag zur Hermeneutik einer narrativen Theologie, in: Evangelische Theologie – Sonderheft, 1974, 71 – 122. Dieser Aufsatz ist übrigens mit einer Wid­ mung für Hei­deg­ger versehen, die lautet: »Martin Hei­deg­ger zum 85. Geburtstag in Ehrerbietung und Dankbarkeit«. 289  Vgl. M. D. Krüger, Eberhard Jüngel: Gott als Geheimnis der Welt, in: R. Klein (Hg.), Haupt­ werke der systematischen Theologie, 2009, 305. Krüger nennt als dritte Hauptprägung eine auf Luther zurückgehende Kreuzestheologie. 290   E. Jüngel, Paulus und Jesus. Eine Untersuchung zur Präzisierung der Frage nach dem Ursprung der Christologie, 21964.

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in die Anfänge seiner Theologie zurückverfolgen, wird jedoch auch in der Habilita­ tion291 und der Zürcher Antrittsvorlesung ›Gott – als Wort unserer Sprache‹292 deut­ lich. Jüngel geht von der allem zugrunde liegenden Funktion der Sprache aus.293 Der Wirklichkeitsbezug des Menschen verläuft für ihn immer durch die Sprache. Da aber diese Wirklichkeit stets auch aus Möglichkeiten bestehe, die sie selbst übersteigen, braucht es für ihn eine Sprachform, die sich dieser Seite der Wirklichkeit annimmt. Das geschehe in der religiösen Sprache, die der Wirklichkeit immer »mehr an Sein« zuspreche und ihr damit »gerecht« zu werden versuche.294 Sie kommt damit in einen Widerspruch zum Wahrheitsverständnis der nicht religiösen Sprache, denn die Aus­ sagen der religiösen Sprache transportierten einen absoluten Wahrheitsanspruch, scheinen der Wirklichkeit jedoch zu widersprechen. Sie unternähmen es »daß die Wirklichkeit durch Veränderung in Übereinstimmung mit dem Urteil des Glaubens über die Wirklichkeit gebracht wird.«295 Diesen Widerspruch löst Jüngel auf, indem er darlegt, dass die Sprachform der religiösen Sprache die der Metapher sei und ihre Wahrheit damit eine metaphori­ sche Wahrheit. Er schreibt: »Wer von einem Wirklichen etwas aussagt, was dieses wirklich nicht ist, lügt gleichwohl nicht, wenn er metaphorisch redet. Achill ist ein Löwe und Jesus ist Gottes Sohn – beide Sätze haben bei aller Unvergleichbarkeit doch eine hermeneutische Gemeinsamkeit.« Beide Sätze widersprächen der Wirk­ lichkeit und seien dennoch »jeder auf seine Weise wahr.«296 In metaphorischer Spra­ che entstünde die Bedeutung der Worte und damit auch ihre Wahrheit aus dem Zusammenhang, in dem sie vorkommen. Diese zunächst banal anmutende Aussage wird dann zur zentralen These, denn für Jüngel ist »in Christo [. . .] gegenüber allen Zusammenhängen, in denen Wörter sonst gebraucht werden, ein eschatologisch neuer Zusammenhang gegeben, der allen in diesem Zusammenhang gebrauchten Wörtern notwendig eine neue Bedeutung gibt.«297 Hier kommt deutlich die oben als zweites bezeichnete offenbarungstheologische Prägung Jüngels zum Vorschein, denn dass alle Zusammenhänge sich im Christusereignis grundsätzlich geändert haben, das wiederum wird nicht weiter ausgewiesen bzw. ergibt sich aus dem Glau­ ben daran, dass dies so ist.298 Dass dies eine zirkuläre Struktur ist, ist, bedenkt man 291

  Jüngel, Ursprung.   Jüngel, Gott. 293   AaO., 14: »Dabei teilen wir die Prämisse: die Grenzen unserer Sprache bedeuten die Grenzen unserer Welt.« 294   Jüngel, Wahrheit, 103. 295   AaO., 104. 296   AaO., 105. 297   AaO., 110. 298   Vgl. hierfür die paradigmatischen Aussagen Jüngels im Vorwort zur dritten Auflage von ›Gott als Geheimnis der Welt‹ Jüngel, Geheimnis, X. Hier schreibt er u. a.: »theologisches Den­ ken [lebt] in materialer wie formaler Hinsicht von den neutestamentlichen Vergangenheitsaussagen [. . .], die die Zukunft in sich haben und eben deshalb einer Begründung weder fähig noch bedürftig sind.« 292

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Hei­deg­gers Darlegung über die Zirkularität aller hermeneutischen Struktur, die bei Jüngel auch im Hintergrund stehen wird, kein Problem.299 Es gibt jedoch eine Pro­ blematik, die dann entsteht, wenn der Zirkel nicht als solcher ausgewiesen wird, das wiederum hatte auch schon Hei­deg­ger klar gemacht – aber dazu gleich. Diese hermeneutische Grundvoraussetzung der Theologie Eberhard Jüngels jedenfalls muss mitbedacht werden, wenn die Aussagen aus dem Buch ›Tod‹ richtig einge­ ordnet werden wollen. Die schon angesprochene Problematik dieses Programms ist folgende: Durch die oftmals nur implizit mitgeführte Voraussetzung dieser meta­ phorologischen Grundlegung seiner Theologie, kann es leicht dazu kommen, dass einzelne theologische Aussagen uneingebunden oder was ihre Wahrheitsfähigkeit betrifft fragwürdig vorkommen. Erst wer mitdenkt, dass der Wahrheitsanspruch die­ ser Aussagen einer ist, der sich nur im Glauben an das Heilsereignis des Lebens und Sterbens Jesu Christi (Christusereignis) erschließt und darüber hinaus eben nicht ausweisbar ist, kann richtig mit diesen theologischen Sätzen Jüngels umgehen. Diese Problematik verstärkt sich, wenn man bedenkt, dass Jüngel neben solchen dezidiert theologischen Sätzen eben auch einem allgemeinen, sozusagen un-christlichen, Wahrheitsanspruch unterliegende, beispielsweise anthropologische, Aussagen setzen kann und dann in der Auswertung der verschiedenen Gedankengänge nicht auf die unterschiedlichen Sprachformen eingeht, sondern beide oftmals vermischt. So ist Jüngels Thanatologie im Ganzen eine solche Mischform aus einerseits anthropolo­ gisch fundierter Todesanalyse, die in der bekannt gewordenen Definition des Todes als totaler Verhältnislosigkeit mündet,300 für die Jüngel keinen einzigen theologi­ schen Satz bräuchte, und andererseits einer offenbarungstheologisch verwurzelten von metaphorischer Sprache durchzogenen Übermalung dieser anthropologischen Todesdeutung, die darin mündet, dass der Christ den Tod schon überwunden hat und ihn daher »verspotten« könne301 (s. u. 2.3.4.4). 2.3.4.2  Eberhard Jüngels Thanatologie in ihrer Zeitbezogenheit Eberhard Jüngels Thanatologie ist, wenn auch einige Jahre später erschienen als die anderen Thanatologien der zweiten Welle deutlich von den Erfahrungen der zwei Weltkriege geprägt. Das kommt vor allem im ersten Teil seines Buches zum Tragen, wenn er sich vehement gegen eine Bagatellisierung des Todes ausspricht und klar macht, dass in der mit der Bagatellisierung des Todes grundsätzlich einhergehen­ den Abwertung des Lebens immer eine gefährliche Versuchung liegt. Diese Gefahr liege dabei nicht so sehr darin, dass der Einzelne sein Leben als unwichtig ein­ stuft, als vielmehr darin, dass eine solche Denkweise ausgenutzt werden könne und wurde. Er schreibt: »Der Tod kann faszinieren [. . .]. Man kann dem erliegen. Vor allem aber: man kann das gewissenlos ausnutzen. ›Das Leben ist der Güter höchstes 299

 Vgl. Hei­deg­ger, Sein, 152 f.  Vgl. Jüngel, Tod, 145. 301   Vgl. aaO., 155. 300

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nicht‹ kommt dann verführerisch leicht über die Lippen.«302 Hier wird Jüngel an die unzähligen ideologisch unterfütterten Kriege der jüngsten Vergangenheit gedacht haben, in denen junge Menschen für eine Sache starben, die vermeintlich größer war als sie selbst. Die enge Angebundenheit an die Entstehungszeit kommt jedoch auch noch in anderer Hinsicht in diesem ersten anthropologischen Teil des Buchs vor, nämlich in der nachdrücklichen Bezugnahme auf die zeithistorischen Umgangsweisen mit dem Tod. Diese zeigt sich zunächst in der Aufnahme einiger Phänomene seiner Zeit, wie, dass sich Menschen einfrieren lassen, um später wieder lebendig gemacht werden zu können, aber auch in der Bezugnahme auf den zur Entstehungszeit des Buches aktuellen Krieg in Biafra, das Massaker von My Lai, das 1970 ans Licht kam, und der Nennung der »Vernichtungslager heute und gestern«,303 um zu verdeutlichen, dass die Frage nach dem Tod aktuell wie immer und gleichzeitig vielschichtig ist. Seine anthropologische Deutung des Todes wird dann angereichert durch die affir­ mative Aufnahme der soziologischen Studien über das Todesverhältnis seiner Zeit. Auch hier wird Jüngels Interesse deutlich, in seine Zeit hinein zu sprechen. Jüngel nimmt vor allem die Ergebnisse von Alois Hahns bekannt gewordener Studie zu den Einstellungen der Menschen zum Tod auf.304 Ausgehend von Hahns Untersuchung deutet er das Verhältnis des Menschen seiner Gegenwart zum Tod als doppeldeu­ tig.305 Einerseits könne nicht gesagt werden, dass der Tod verdrängt würde, denn dort, wo der Tod akut werde, werde er auch massiv zum Thema, anderseits sei es aber so, dass dort, wo er nicht erlebt wird und das sei in den meisten Fällen so, weil etwa die Großeltern im Altenheim sterben und nicht mehr zuhause, der Tod dann auch kein Thema werde, weil er schlicht nicht erlebt werde. Daraus schließt Jüngel, dass die Einstellung der Menschen zum Tod gar nicht anders werden müsse, son­ dern zunächst einmal überhaupt hergestellt werden müsse, damit die theologische Pointe von der Auferstehung Jesu Christi überhaupt wirken könne. Jüngel schreibt: »Wer statt Glauben zu fordern Glauben ermöglichen will, hat sich den Aporien der Zeit zu stellen, die den Glauben zu verunmöglichen drohen.«306 2.3.4.3  Eberhard Jüngels Thanatologie und ihr Bezug zu Hei­deg­ger Eberhard Jüngels Theologie im Ganzen wurde als eine Synthese aus Karl Barths und Martin Hei­deg­gers Denken beschrieben.307 Roland Daniel Zimany, einer der zwei, interessanterweise englischsprachigen, Theologen, die sich an eine monographische, 302

  AaO., 42.   AaO., 10 f. 304  Vgl. A. Hahn, Einstellungen zum Tod und ihre soziale Bedingtheit. Eine soziologische Untersuchung, 1968. 305  Vgl. Jüngel, Tod, 50 f. 306   AaO., 53. 307  Vgl. Zimany, Juengel’s sowie Ders., Veheicle. 303

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zusammenfassende Darstellung von Jüngels Denken gewagt haben, beschreibt diese Synthese folgendermaßen: It (Jüngels Denken, KS) does so (gemeint ist: beide Denkweisen vereinen, KS) by uniting Hei­ deg­ger’s approach to language and thought with the content of Barth’s theology; and it is able to do so because Jüngel has found that many of Hei­deg­ger’s assumptions are implicit in Barth’s own thinking. As a result, Jüngel has advanced beyond the New Hermeneutic of Gerhard Ebe­ ling and Ernst Fuchs. In the process he has practically brought to a close the half-century-old debate between the dialectical (Barthian) and existentialist (Bultmannian / early Hei­deg­gerian) poles of kerygmatic theology, by incorporating both of them into his own perspective.308

Ob diese Einordnung in ihrer Zuspitzung stimmt, mag bestreitbar sein,309 dass Jüngel sehr viel von Hei­deg­gers Denken in seine Theologie eingearbeitet hat, ist es nicht,310 und besonders in unserem Zusammenhang wird dies deutlich. Das Buch ›Tod‹ bezieht sich in vielfältiger Weise auf Martin Hei­deg­gers Den­ ken und im Besonderen auf ›Sein und Zeit‹. Bevor ich die inhaltlichen Parallelen aufzeige, sei zunächst auf eine eher formale Gemeinsamkeit verwiesen, in der die Nähe zu Hei­deg­gers Todesanalyse deutlich wird. Eberhard Jüngel verweist im ers­ ten anthropologisch argumentierenden Teil bezeichnenderweise an zentraler Stelle seiner Darstellung auf Leo Tolstois Erzählung ›Der Tod des Iwan Iljitsch‹, die spät­ mittelalterliche Erzählung des ›Ackermann aus Böhmen‹, die Überlegungen Kier­ kegaards, Schelers und Augustins, um unter anderem die lebensverändernde Dyna­ mik, die das Gewahrwerden des eigenen Todes hat, deutlich zu machen.311 Jüngel nimmt damit exakt die gleichen Quellen auf, die auch schon Martin Hei­deg­ger in ›Sein und Zeit‹ aufgenommen hat (vgl. hierzu bes. 3.3.2.5).312 Beide Werke sind an Verweisen an sich sparsam, so dass hier sicher kein Zufall angenommen wer­ den kann. Diese Verweise erfolgen bei Jüngel an einer Stelle seiner Argumentation, 308

  Zimany, Juengel’s, vii.   Etwas anders, aber im Grunde genommen nur in den Nuancen verschieden, beurteilen Jün­ gels Beziehung zu Hei­deg­ger: Webster, Jüngel und Krüger, Jüngel und Rohls, Theologie und H. Fischer, Theologie. 310   Zimany kann sich so im Vorwort zu seinem Buch bei Jüngel für »many opportunities he provided for consultation with him at that time and for subsequent correspondence« bedanken, sodass davon ausgegangen werden kann, dass Jüngel selbst seinem Urteil nicht völlig ablehnend gegenübergestanden haben kann. Zimany, Juengel’s, ix. Auffällig ist auch, dass die erste Anmerkung in Jüngels Hauptwerk ›Gott als Geheimnis der Welt‹ Martin Hei­deg­ger und die zweite Karl Barth gewidmet ist. S. Jüngel, Geheimnis, XIII. Auch im Vorwort seiner Habilitation verweist Jüngel sogleich auf Hei­deg­ger, indem er schreibt: »Dieser Beitrag knüpft an bedeutende Arbeiten aus der philosophischen und philologischen Disziplin an, wie sich im Einzelnen zeigen wird. Vor allem ist hier das Werk M. Hei­deg­gers zu nennen«. E. Jüngel, Zum Ursprung der Analogie bei Parmenides und Heraklit, in: Ders., Entsprechungen. Gott – Wahrheit – Mensch, 1980, 52 – 102, hier 54. 311   Jüngel, Tod, 8 – 25, 146 f. 312  Vgl. Hei­deg­ger, Sein, 235 – 267. Zu Recht verweist jedoch Bernhard Lang darauf, dass all­ gemein gelte: »Wenn Philosophen Überlegungen über das Sterben anstellen, verweisen sie gerne auf Tolstois Erzählung.« S. B. Lang, Religion und Literatur in drei Jahrtausenden. Hundert Bücher, 2019, 428 f. 309

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die dann auch schon in die inhaltliche Aufnahme Hei­deg­gers führt. So beschreibt Jüngel in seiner anthropologischen Todesdeutung den Tod als das Ureigenste des Menschen und nimmt damit Hei­deg­gers Bestimmung des Todes als die »eigenste, unbezügliche, unüberholbare Möglichkeit« des Daseins auf (vgl. 3.3.3.1).313 Aber Jüngels Hei­deg­gerbezug geht über die Aufnahme von Zitaten und Begrifflichkeiten hinaus, die hier noch vielfältig dargelegt werden könnten. Es lässt sich sagen, dass die affirmativ aufgenommenen Impulse des ersten philosophisch-anthropologisch argumentierenden Teils so beschreiben werden, als seien sie eine Paraphrase der Hei­deg­gerschen Todesanalyse. So fasst er diese zusammen: »Memento mori heißt gnothi seauton«314 – was sich wie eine sehr verdichtete Fassung der Hei­deg­gerschen Analyse liest. Auch das Vorlaufen in den Tod Hei­deg­gers findet bei Jüngel seine Par­ allele, wenn er im gleichen Zusammenhang schreibt: »Der in der Selbsterkenntnis tätige menschliche Geist scheint im Akt der Erkenntnis dieses Leben zumindest in Gedanken – aber was heißt da: zumindest – in den Tod zu führen.«315 Und auch das Motiv des Ganzwerdens durch den Tod, das bei Hei­deg­ger an zentraler Stelle steht, wird von Jüngel in seiner anthropologischen Todesanalyse aufgenommen, wenn er schreibt, dass der Grund warum der Mensch seinen Tod im Leben bedenken soll, darin liege, »daß der Lebende im Tod allererst ganz zu sich selbst kommt.«316 Aber nicht nur im philosophisch-anthropologischen Teil, sondern auch in Jüngels Deu­ tung des alttestamentlichen Todesverständnisses gibt es eine enge inhaltliche Nähe zu Hei­deg­gers Todesdeutung. So deutet er das alttestamentliche Denken als eine Hochschätzung des Lebens als höchstem Gut, das aber den Tod keineswegs aus­ klammere, sondern in der Bejahung der eigenen Endlichkeit gerade erst zu dieser Hochschätzung des Lebens gelange.317 Versucht man diese vielfältigen Bezugnahmen auf einen systematischen Nenner zu bringen, dann lässt sich sagen, dass Jüngel in seinem ersten anthropologischen Teil an allen Quellen, die er untersucht, immer die Aspekte unterstreicht und positiv stark macht, die der Hei­deg­gerschen Todesdeutung entsprechen. Das Alte Testament passt hier deswegen hinein, weil es Jüngel eher als Quelle für sein anthropologisches als für sein theologisches Verständnis des Todes dient (s. u. 2.3.4.4). Dieses Vorge­ hen passt analog zum oben beschriebenen Grundgedanken Jüngels, dass eben erst mit dem Christusereignis die Zusammenhänge neu entstehen würden. Denkt man so, kann das Todesdenken der zeitlich vor dem Christusereignis liegenden Schrif­ ten des Alten Testaments keine Quelle für die theologische Bewertung des Todes im Sinne Jüngels sein. Hier zeigt sich bereits, was gleich im nächsten Abschnitt ausführlich beschrieben werden muss. Jüngel unterscheidet zwischen verschiede­ 313

  Jüngel, Tod, 12 und Hei­deg­ger, Sein, 250.   Jüngel, Tod, 64. 315   AaO., 66. 316   AaO., 68. 317   Vgl. aaO., 78 – 103, bes. 98. 314

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nen Toden. Wobei eine Bedeutung des Todes, nämlich die die Endlichkeit unseres Lebens beschreibende Bedeutung, ganz auf der Linie Hei­deg­gers gedeutet wird. Die andere, theologisch gedeutete Bedeutung des Todes jedoch wird ganz im Sinne der oben erläuterten metaphorologischen Grundlegung seines Denkens mit den Meta­ phern des Neuen Testaments, meist mit denen von Paulus, beschrieben. Dadurch, dass auch diese Denkwege Jüngels wiederum von Hei­deg­ger beeinflusst sind, steht er auch hier im Hintergrund. 2.3.4.4  Die materiale Durchführung der Thanatologie Eberhard Jüngels Jüngels Thanatologie kann am besten anhand von drei jeweils zweigeteilten Sche­ mata durchklärt werden. Zunächst unterscheidet Jüngel in seinem Buch ›Tod‹ deutlich in eine philosophisch-anthropologische Betrachtung des Todes und eine theologische Betrachtung des Todes. Diese Doppelstruktur wird schon anhand der Einteilung des Buches in zwei Hauptteile deutlich. Der erste, philosophisch-anthro­ pologisch argumentierende, Teil ist mit »A. Das Rätsel des Todes« überschrieben. Rätsel deutet hier darauf hin, dass der Tod und sein Sinn uns zwar nicht verständ­ lich sind, dass beides aber sinnvollerweise Gegenstand des philosophisch-anthro­ pologischen Nachdenkens ist. So wie der Versuch ein Rätsel zu lösen, das die eige­ nen intellektuellen Fähigkeiten übersteigt, dennoch sinnvoll sein kann. Der zweite, theologisch argumentierende, Hauptteil ist mit »B. Das Geheimnis des Todes« über­ schrieben. Geheimnis deutet hier darauf hin, dass sich die wahre Bedeutung des Todes eben nur dem in das Geheimnis Eingeweihten, nämlich dem Glaubenden, enthüllt und der Tod damit, anders als es der Begriff Geheimnis zunächst vermuten lässt, keine undurchdringliche Erscheinung mehr bleibt, ja selbst seine Rätselhaftig­ keit verliert.318 Hier kommt Jüngels kontraintuitiver Geheimnisbegriff, wie er später in ›Gott als Geheimnis der Welt‹ zentral entwickelt wird, bereits sechs Jahre zuvor zum Tragen. Der erste Teil betrachtet den Tod phänomenologisch. Jüngel stellt zu Beginn klar, dass der Tod für ihn nur aus der Perspektive des Lebens als Untersuchungsgegen­ stand in Betracht kommt.319 Schon die oben teilweise bereits erwähnten philosophie­ geschichtlichen Bezugspunkte dieses Teils (Augustin, Tolstoi, Hei­deg­ger, Scheler, P. L. Landsberg) machen deutlich, dass sich Jüngel hier einer phänomenologischen Untersuchung des Todes zuwendet. So schreitet er dann auch die beiden Möglich­ keiten ab, in welchen der Tod in unserem Leben eine Rolle spielen kann und die 318   Vgl. aaO., 74. Hier schreibt Jüngel »Geheimnisse bleiben auch dann, wenn man sie kennt, geheimnisvoll.« Vgl. für Jüngels Geheimnisbegriff den einschlägigen § 16 aus ›Gott als Geheimnis der Welt‹ in Jüngel, Geheimnis, 334 – 357. Jüngel schreibt hier: »Wird das Fragen durch eine vor­ gängige ›Antwort‹ so in Gang gesetzt, daß es dem ins Fragen bringenden Ereignis sich umso inten­ siver zuwendet, je mehr es von ihm erfährt und versteht, dann verdient das ins Fragen bringende Ereignis Geheimnis (Mysterium) genannt zu werden.« Vgl. für diese Interpretation des Geheimnis­ begriffs bei Jüngel: Krüger, Jüngel, 315 f. 319  Vgl. Jüngel, Tod, 25.

2.3  Die zweite Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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auch bei den genannten Autoren immer betrachtet werden. Zum einen den eigenen, antizipierten, Tod (A.I) und zum anderen den Tod des Anderen (A.II). Schließlich widmet er sich noch der Frage, ob der Mensch als aus Leib und Seele zusammenge­ setzt verstanden werden könne (A.III). Das Ergebnis dieses Teils seines Buches ist, wie oben (2.3.4.3) bereits ausgeführt, eine sehr nahe an Hei­deg­gers Todesdeutung zu stehen kommende Analyse des Todes als kommendes Ereignis des Lebens, das, wenn man sich mit ihm auseinandersetzt, dazu verhilft, zu verstehen, wer man wirk­ lich ist. Ich erinnere an die dichte Zusammenfassung dieses Programms in seiner Formel: »Memento mori heißt gnothi sauton.«320 Diese direkte Auseinandersetzung mit dem Tod sieht Jüngel, in Anlehnung an Alois Hahn, in der gegenwärtigen Welt jedoch nicht mehr gegeben, sodass auch das theologische Geheimnis der Auferste­ hung, das in diese Situation des Menschen hineinspricht, nicht mehr durchdringen kann. Dieser Teil des Buches ist in seiner Beschreibung überzeugend, aber, weil er eben wiederholt, was die Genannten über den Tod auch schon gesagt haben, kein Alleinstellungsmerkmal der Thanatologie Jüngels. Im zweiten Hauptteil unternimmt es Jüngel dann »in das Geheimnis des Todes einzuführen«,321 ihn also theologisch zu betrachten. Dazu wendet er sich zuerst der Bibel zu. Hier kommt die zweite der oben genannten Doppelstrukturen zum Tragen, indem Jüngel das Todesdenken des Alten Testaments mit dem des Neuen Testa­ ments kontrastiert. In dieser Kontrastierung spiegelt sich in gewissem Sinne die erste Doppeltstruktur von philosophisch-anthropologischer und theologischer Todesdeu­ tung. Das Alte Testament kommt für Jüngel hier als Negativfolie zu Wort (philoso­ phische Todesdeutung, der Tod als Rätsel), vor deren Hintergrund dann, Jüngels Terminologie folgend, die im Lichte des Christusereignisses stehende Todesdeu­ tung des Neuen Testaments geradezu explosionsartig hervorbricht (theologische Todesdeutung, der Tod als Geheimnis). Anhand des Alten Testaments entwickelt Jüngel dann die dritte Doppelstruktur, nämlich die des Fluchtodes und des natürli­ chen Todes, die wiederum als eine Spiegelung der ersten beiden Doppelstrukturen gedacht werden kann, sodass sich zwei sich gegenüberstehende Reihen an Todes­ deutungen bilden: philosophisch-anthropologische Todesdeutung, Altes Testament, Fluchtod auf der einen Seite und theologische Todesdeutung, Neues Testament und natürlicher Tod auf der anderen Seite. Konkret deutet Jüngel den Tod im Alten Tes­ tament wiederum binär. Einerseits könne der Mensch sterben, andererseits könne er es aber nicht,322 was heißen soll, dass es für den Menschen theoretisch die Möglich­ keit eines guten Todes, für den beispielhaft die biblischen Patriarchen stehen, gibt, in den er sich fügen könnte, dass es aber andererseits praktisch diese Möglichkeit nicht gibt, sondern der Tod für den Menschen im Alten Testament immer Fluchtod ist. Fluchtod ist der Tod für die Menschen des Alten Testaments nach Jüngel deshalb, 320

  AaO., 64.   AaO., 74. 322   Vgl. aaO., 96. 321

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weil er sie ihres Gottesverhältnisses entzieht. Er schreibt: »Der Tod ist demgemäß das Ende des Gottesverhältnisses eines Menschen.«323 Mit dieser Bestimmung ist nun einer der zentralen Begriffe von Jüngels Tha­ natologie zum ersten Mal gefallen: Die Verhältnislosigkeit gegenüber Gott. Der Verhältnisbegriff dient Jüngel nun auch zur Einführung einer harmatiologischen Zuspitzung seiner Todesdeutung. Leben bedeutet alttestamentlich nach Jüngel: Ver­ hältnisse haben. Der Mensch stehe in vielfältigen durch das Gesetz geregelten Ver­ hältnissen, nämlich zu sich selbst, zum nächsten, zum Volk und natürlich zu Gott. Da der Mensch diese Verhältnisse im Laufe seines Lebens jedoch ständig trübe und auflöse, dränge er in die Verhältnislosigkeit, also in den Tod.324 »Tritt der Tod dann faktisch ein, dann wird ein Leben vollends verhältnislos. Der tote Mensch ist seinem Gott für immer entfremdet. Und ohne Gott wird alles verhältnislos.«325 Der Drang in die Verhältnislosigkeit kann von Jüngel auch als »Entfremdung« bezeichnet werden und fungiert als Übertragung des traditionellen Sündenbegriffs.326 Diese zentrale Bestimmung des Todes bei Jüngel noch einmal in einem längeren Zitat: »Der Tod könnte die Vollendung des Lebensverhältnisses sein. Das wäre der natürliche Tod, den der Mensch nicht nur sterben muß, sondern sterben kann. Die Bibel (gemeint ist hier das AT, KS) redet indessen vordringlich von dem Tod nicht, wie er sein könnte, sondern wie er ist. Er zerstört die Verhältnisse, bricht die Beziehungen ab, in denen allein sich Leben vollziehen kann.«327 Es ist sehr bezeichnend für Jüngels Ansatz, dass in diesem ersten Teil seines Buches und auch noch in der Besprechung des Todesverständnisses des Alten Testaments so gut wie gar nicht auf Metaphern zurückgegriffen wird. Das heißt im Umkehrschluss, dass dieser Teil so gut wie nicht auf religiöse Sprache zurückgreift, denn Jüngel hatte, wie ich oben gezeigt habe, die Metapher als grundlegende Ausdrucksform des Religiösen bezeichnet. Das wäre für eine wissenschaftlich-theologische Abhandlung über den Tod vielleicht nicht weiter erwähnenswert, würde es sich im nun darzustellenden zweiten Teil des Buches nicht grundlegend ändern. Diese Veränderung in der Sprache Jüngels wird von ihm expli­ zit auf die veränderte Redeweise über den Tod im Neuen Testament zurückgeführt. Er schreibt in Bezug auf die Auferstehung, die nun als zentrale Metapher in das Zentrum der Abhandlung rückt: »Sprachlich kann man das alles kaum ausdrücken, ohne sich einer verwirrenden Mehrdeutigkeit der Worte schuldig zu machen. Die Sprache der ersten christlichen Gemeinden und ihrer ›Theologen‹, die Sprache des Glaubens explodiert sozusagen.«328 323

  AaO., 98.   Vgl. bes. aaO., 98 – 101. 325   AaO., 100. 326   AaO., 98. Hier wird mit dem Begriff der Entfremdung wiederum existenzphilosophisches bzw. ‑theologisches Vokabular aufgegriffen, im Hintergrund dieser Terminologie dürfte die heideg­ gersche Unterscheidung von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit stehen (vgl. für den Zusammen­ hang von Eigentlichkeit und Tod bes. §§ 52 und 53 in ›Sein und Zeit‹ [SuZ]). 327   AaO., 101. 328   AaO., 108 f. 324

2.3  Die zweite Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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So ist dann der zweite Teil von Jüngels Abhandlung eben auch von so einer Sprache des Glaubens geprägt. Um die entscheidenden Punkte seiner theologischen Tha­ natologie darzustellen, möchte ich noch einmal auf die oben genannten Doppel­ strukturen zurückkommen. Der philosophisch-anthropologischen Deutung des Todes als Endlichkeitsmarker, dessen Erkenntnis den Menschen zur Selbsterkennt­ nis führen könne, setzt er nun die theologische Deutung eines Todes entgegen, den der Christ immer schon gestorben sei. Nicht in der Erkenntnis des noch kommen­ den, die Endlichkeit des eigenen Lebens ausweisenden Todes, erkennt der glaubende Mensch sich selbst, sondern in der gläubigen Erkenntnis des schon gestorbenen Todes Christi, der im Glauben eben auch der Tod aller Christen sei, und der im Zusammenhang mit der Auferstehung Christi alle Zusammenhänge neu geordnet habe und damit den anderen, noch kommenden Tod, seiner Bedeutung beraubt habe, könne der Mensch sich wahrhaft selbst erkennen.329 Der Tod Christi könne somit als Heilsereignis verstanden werden, in dem offenbar geworden sei, dass Gott sich mit dem am Kreuz gestorbenen Menschen Jesus identifiziert habe und dadurch am Tod dieses einen wie aller Menschen partizipiert habe. Dass Gott nun auch im Tode an der Seite des Menschen stehe, nehme dem Tod seine Kraft als Fluchtod und lasse den Menschen den Tod »verspotten«, indem er sich ohne Widerwillen in ihn fügen kann.330 Jüngel kann die beiden Seiten der sich entgegenstehenden Todesdeu­ tungen auch mit den Begriffen der »Feststellung«, das ist die anthropologisch-phi­ losophische, alttestamentliche Deutung des Todes als Fluchtod, auf der einen Seite und des »Angebotes«, das ist die theologische, neutestamentliche Deutung des Todes als besiegter Tod, beschreiben.331 Auf die mit herkömmlicher Sprache arbeitende und unter einem herkömmlichen Wahrheitsanspruch stehende Feststellung, dass das Leben enden wird und dass diese Tatsache anzuerkennen notwendig ist, um her­ auszufinden, wer man selbst ist, folgt das in religiöser Sprache, also mit Metaphern arbeitende, und unter dem neuen Wahrheitsanspruch des Glaubens stehende, also sich auf das alle Zusammenhänge verändert habende Christusereignis berufende Angebot, sich dem eigenen Lebensende genügsam zu fügen, weil es das eigene Got­ tesverhältnis nicht verändern werde. Nun stellt sich abschließend für Jüngel noch die Frage, »was der ›Tod des Todes‹ für das Leben des Christen« bedeutet.332 Um das zu beschreiben, ändert Jüngel nun wieder die Sprachform und verlässt die religiöse Metaphernsprache, um »die chris­ tologische Erörterung der Todesproblematik für die allgemeine Frage nach dem Tod« auszuwerten.333 Dieser Teil seines Buches kann als Auslegung des Glaubens an die Auferstehung der Toten gedeutet werden.334 Die Auferstehung ist für Jüngel 329

  Vgl. aaO., 103 – 120.   Vgl. aaO., 145 – 147. 331   AaO., 145, 146. 332   AaO., 147. 333  Ebd. 334   AaO., 148 – 154. 330

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ein universales Geschehen und könne sicher nicht bedeuten, dass das einzelne indi­ viduelle Leben fortgesetzt werde, denn sie ist für ihn »überhaupt nicht egoistisch konzipiert.«335 Vielmehr gehe es darum, dass das gelebte Leben eines Menschen in Gott verewigt werde. Hier zeigt sich deutlich wie unterschiedlich Jüngel über den Tod reden kann. Er schreibt: »Jeder Mensch nimmt teil an dieser Geschichte, um derentwillen die Welt geschaffen wurde. Und als Moment dieser Geschichte habe jede menschliche Lebenszeit ihre einmalige Wichtigkeit. Sie kann durch nichts ersetzt werden. Jeder Mensch mag in bestimmten von ihm übernommenen Rol­ len ersetzbar sein. Sein Dagewesensein jedoch bleibt unauswechselbar, selbst dann, wenn er seine Tage dahingebracht hat wie ein Geschwätz. Er war er selbst.«336 Diese klare Beschreibung wie ein positiver Blick auf das Leben trotz des Todes gewon­ nen werden könne, kommt völlig ohne die religiösen Metaphern aus und es fragt sich, ob es für die Bejahung einer solchen Feststellung die christologische Deutung des Todes, die Jüngel selbst ja als Voraussetzung dafür anführt, überhaupt braucht. Sicher geht Jüngel noch einen Schritt weiter und bestimmt das nachtodliche Sein des Menschen dann noch folgendermaßen: »Das endliche Leben wird als endliches verewigt. Aber eben nicht durch unendliche Verlängerung. [. . .] Sondern durch Teil­ habe an Gottes eigenem Leben.«337 Doch es scheint so, als ob diese religiös ausge­ drückte Beschreibung nun doch ebenso eigentlich recht unreligiös, zumindest nicht spezifisch-christlich religiös ist. Denn, dass das menschliche Leben mit dem Tod zu seinem Ursprung zurückkehrt und damit für immer unveränderlicher Teil der Geschichte der Welt wird, wie man Jüngels Worte ohne religiöse Metaphern para­ phrasieren könnte, ist vielleicht so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner vieler unterschiedlicher philosophischer und theologischer Todesdeutungen. Für unseren Zusammenhang ist dieser Punkt noch aus einem anderen Grund von Bedeutung. Hier kommt nun nämlich die im Hintergrund stehende Frage, ob die Rede von der sogenannten Ganztodtheorie eine sinnvolle Einordnung für eine Beschreibung der thanatologischen Debatte des 20. Jahrhunderts ist, ins Spiel. Gerade Eberhard Jüngels Thanatologie steht hier oft prototypisch für diese angebli­ che Entwicklung. So kann etwa Markus Mühling Jüngels Todesdenken als »bekann­ teste Darstellung« der »Ganztodtheorie« bezeichnen.338 Nun wird sich nach dem Dargelegten sagen lassen, dass auch für Jüngels Thanatologie der Begriff Ganztodtheorie unpassend ist. Jüngel selbst, dessen Buch 1971 in einer Zeit erschienen ist, in der die Rede von der Ganztodtheorie schon populär war (vgl. 2.1) schreibt sich so auch selbst an keiner Stelle hier ein. Er redet auch nirgends, wie wir es bei anderen gesehen hatten, davon, dass der Mensch ganz stirbt. Was er jedoch unternimmt und was sicher zu dieser Zuordnung beigetragen hat, ist, dass er das irdische Leben des 335

  AaO., 151.   AaO., 149. 337   AaO., 152. 338   Mühling, Grundinformation, 171. 336

2.3  Die zweite Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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Menschen mit dem Tod enden lässt. Insofern kann man schon sagen, dass der Tod für Jüngel nicht einfach der Übergang in einen anderen Zustand des Individuums ist und diese Todesdeutung den kontroverstheologischen Erfindern der Ganztodtheorie durchaus nicht gepasst haben mag. Das erklärt diese Zuordnung, ist aber kein Argu­ ment für deren Richtigkeit. Wie gerade gesagt, geht der Mensch für Jüngel mit dem Tod ein in die Ewigkeit Gottes und sein Leben wird in Gottes Leben verewigt. Wenn man jedoch diese Denkweise mit der Überschrift Ganztodtheorie versieht und unter einer solchen darstellt, dann verschiebt sich die theologische Pointe von Jüngels Todesdenken.339 Denn nicht, dass das Leben des Menschen endet, ist ihm wichtig, sondern, dass das Leben eines jeden Menschen bedeutsam ist und diese Bedeutung mit dem Tod des Menschen auch nicht wieder verschwinde, sondern eben in Gott aufbewahrt werde. 2.3.4.5  Würdigung der Thanatologie Eberhard Jüngels Eberhard Jüngels Thanatologie ist, wie oben bereits gesagt, in mehrfacher Hinsicht ein Höhepunkt der evangelisch theologischen Todestheorie des 20. Jahrhunderts. Die Tatsache, dass nach seinem Buch ›Tod‹, das vor mittlerweile beinahe 50 Jahren erschienen ist, keine veritablen Entwürfe über den Tod in der evangelischen Theolo­ gie mehr gefolgt sind, könnte seinen sachlichen Grund darin haben, dass zumindest im ersten philosophisch-anthropologisch argumentierenden Teil, der Tod als Thema der Theologie in einer Weise erfasst ist, der wenig hinzugefügt werden kann bzw. muss. Die für eine solche philosophisch-anthropologisch fundierte Aufarbeitung des Todes maßgeblichen Überlegungen Hei­deg­gers werden hier für die Theologie fruchtbar gemacht und auf ihre Kerngedanken hin zugespitzt dargelegt. Viel mehr kann philosophisch-anthropologisch auch in unserer Zeit über den Tod nicht gesagt werden. Lediglich eine emotionstheoretische Aufarbeitung dieser Gedanken könnte dieses Vorgehen noch sinnvoll erweitern (vgl. 4.). Einzig der theologische Teil der Jüngel’schen Thanatologie lässt sich sicher nicht als fraglos noch immer zeitgemäß beschreiben. Und so können viele der kleineren im Zuge der dritten Welle vorgestell­ ten Arbeiten zur evangelischen Thanatologie sicher auch als Versuch, hier regulie­ rend einzugreifen, interpretiert werden. Vor allem die klare Diesseitsorientierung, die Jüngel, gemeinsam mit allen anderen Vertretern der zweiten Welle, auszeichnet, erregt, wie gesehen, Widerstand. Dennoch scheint gerade hier die Stärke seiner dezi­ diert theologischen Thanatologie zu liegen. Es kann, so könnte man dieses Denken vielleicht zusammenfassen, nicht darum gehen der philosophisch-anthropologi­ schen Feststellung des Todes entgegen zu treten oder gar sie zu relativieren. Aber ein theologisches Angebot kann hier sein, eine Lebensdeutung auf die Todesdeutung 339

  Das zeigt sich auch anhand der Darstellung bei Markus Mühling. Er verhandelt Jüngel dann nämlich lediglich in Bezug auf die Frage, ob er eine Unsterblichkeit der Seele lehre und damit eine Leib-Seele-Trennung. Das kommt bei Jüngel zwar am Rande vor, interessiert ihn aber letztlich über­ haupt nicht und stellt schon gar nicht das Zentrum seiner Thanatologie dar. Vgl. aaO., 171 f.

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

folgen zu lassen, die trotz der nicht angezweifelten Gültigkeit der Feststellung für ein Leben in Hoffnung, oder in anderer Terminologie, die sich so bei Jüngel zwar nicht explizit findet, aber durchaus so interpretiert werden kann, in Mut argumentiert. Was das im Konkreten dann bedeuten kann, darum wird es noch gehen (vgl. 3.4 u. 4.). So könnte als die vielleicht zentrale Erkenntnis des Buches ein kombiniertes Zitat gelten: »Kommt dann der Tod, dann hat der Mensch gelebt, dann ist er gewe­ sen. Und das ist auch ein vom Tod nicht wieder rückgängig zu machendes Plus. Gelebt zu haben, gewesen zu sein ist nicht nichts.«340 Die Lebenszeit eines Menschen muss verstanden werden »als Moment der Geschichte Gottes mit allen Menschen. Jeder Mensch nimmt teil an dieser Geschichte, um derentwillen die Welt geschaffen wurde [. . .] [und] hat einmalige Wichtigkeit [. . .]. Sein Dagewesensein [. . .] bleibt unauswechselbar.«341 Und das könnte doch tatsächlich Grund genug sein für Hoff­ nung oder Mut.

2.4  Die erste Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie im 20. Jahrhundert (1911 – 1940) Die nun folgenden Positionen der ersten Welle thanatologischer Überlegungen der protestantischen Theologie im 20. Jahrhundert werden nun noch ein wenig ausführ­ licher dargestellt, als es bereits in der zweiten Welle der Fall war. Das hat seinen sach­ lichen Grund darin, dass wir es nun mit komplexen Gesamtentwürfen zu tun haben, die sich anders nicht sinnvoll erschließen lassen. Mit Adolf Schlatter (2.4.1), Paul Althaus (2.4.3) und Werner Elert (2.4.4) kommen sicher auch drei der profiliertesten Theologen ihrer jeweiligen Generation zu Wort. Adolf Schlatter, der gemeinhin eher einer pietistischen, positiven Theologie zuzuordnen ist, wird gerade in diesen Krei­ sen bis heute besonders hochgehalten (für eine genauere Einordnung seines Den­ kens vgl. 2.4.1.1). Althaus (2.4.3) und Elert (2.4.4) sind bis heute beachtete Denker und werden immer wieder herangezogen, wenn es theologisch um eines der Felder geht, in welchen sie besonders profiliert waren. Das gilt besonders für ein sich selbst als strikt lutherisch verstehendes Denken und, für unsere Fragestellung bedeutend, für Fragen der Eschatologie. Carl Stange (2.4.2) hingegen ist sicherlich eher in Ver­ gessenheit geraten, war aber zu seiner Zeit einer der einflussreichsten Theologen Deutschlands (vgl. 2.4.2.1) und hat sich gerade an der thanatologischen Diskussion intensiv beteiligt. Alle hier zur Darstellung kommenden Denker waren Vielschreiber und haben ein vielschichtiges Werk hinterlassen. Ich konzentriere mich im Folgen­ den auf die für unsere Fragestellung unmittelbar relevanten Texte.

340

  Jüngel, Tod, 91 f.   AaO., 149.

341

2.4  Die erste Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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2.4.1  Adolf Schlatters Thanatologie Mit Adolf Schlatter kommen wir nun zum Beginn der thanatologischen Entwick­ lung des 20. Jahrhunderts. Seine Stellung innerhalb der protestantischen Theologie­ geschichte des 20. Jahrhunderts ist umstritten. Wird er von einer Seite als genialer Denker, als theologisches Original bezeichnet, zu dessen Schriften sich zurückzu­ besinnen auch für heute noch großen Ertrag versprechen würde, wird er von einer anderen Seite her schlicht ignoriert oder schnell als fromm abgetan.342 Diese Ambi­ valenz in der Wertung von Schlatters theologischer Arbeit zeigte sich schon zu sei­ nen Lebzeiten und lässt sich exemplarisch an den Rezensionen zu seiner ›Theologie des Neuen Testaments‹ ablesen, die er in zwei Bänden in den Jahren 1908 und 1909 veröffentlichte. So schreibt etwa Heinrich Julius Holtzmann, ein der Historisch-Kri­ tischen Methode verpflichteter, damals schon emeritierter Neutestamentler, in der Theologischen Literaturzeitung: »Ein von dem Gesamtbetrieb der neutestamentli­ chen Wissenschaft so abseits stehendes Werk, wird wohl nur innerhalb der Schule, die in dem Verf. ihr gegenwärtiges Haupt verehrt, ganz ernsthaft genommen und gewürdigt werden.«343 Diesem vernichtenden Urteil stehen weniger harte Stimmen wie die Bultmanns zur Seite, der Schlatter durchaus auch würdigen konnte, ihm aber schließlich »Verständnislosigkeit für ernste historische Arbeit« vorhielt.344 Gleich­ zeitigt lobten andere, besonders Vertreter der theologischen Praxis, wie etwa der Tübinger Dekan Christian Friedrich Römer, das Werk als »den reinsten Gewinn [. . .] fürs Herz und Gewissen, für Predigt und Seelsorge.« Wilfried Joest schrieb 1977 im Vorwort zur Neuausgabe des gleich im Mittelpunkt stehenden dogmatischen Haupt­ werk Schlatters ›Das christlich Dogma‹, es sei ein »Werk, das weder im Rahmen der Schulrichtungen seiner eigenen Zeit noch im Rahmen zeitübergreifender theolo­ gischer Rubrizierungen ohne weiteres eingeordnet und mit einer Etikette versehen werden kann.«345 Und auch Peter Stuhlmacher sieht Schlatter zwischen allen Stühlen sitzen und urteilt, es sei sein Bestreben gewesen »eine freie, theologisch ganzheitli­

342   Vgl. bspw. die Zusammenstellung von positiven Reminiszenzen an Schlatter bei H. Hempel­ mann / J. von Lüpke / W. Neuer, Realistische Theologie. Eine Hinführung zu Adolf Schlatter, 2006, 39 – 41. Zu den Theologen, die Schlatters besondere Bedeutung betonen, gehören bzw. gehörten u. a. Johannes von Lüpke, Peter Stuhlmacher, Martin Hengel, aber auch Wilfried Härle. Diejenigen, die ihn mehr oder weniger ignorieren, sind fast alle anderen. Es fällt jedoch besonders in der Theolo­ giegeschichte von Jan Rohls auf. Er widmet Schlatter lediglich fünf relativ kurze Erwähnungen. Vgl. Rohls, Theologie, 98 – 102, 198, 282 f., 468, 854. Auch H. Fischer nimmt nicht großartig Kenntnis von Schlatter und erwähnt ihn nur kurz an drei Stellen in seiner Zusammenstellung der Theologie des 20. Jahrhunderts. Vgl. H. Fischer, Theologie, 56 f., 59, 336. 343   H. J. Holtzmann, Schlatter, Adolf, Die Theologie des Neuen Testaments. 2 Teile: Rezension, in: Theologische Literaturzeitung 35, 1910, Sp. 301. 344   Zitiert nach W. Neuer, Adolf Schlatter. Ein Leben für Theologie und Kirche, 1996, 470, Anm. 98. 345   Zitiert nach H. Beintker, Schlatter, Adolf, Das christliche Dogma: Rezension, in: Theologi­ sche Literaturzeitung 104, 1979, 73 f.

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

che Alternative sowohl zum Fundamentalismus als auch zum theologischen Libe­ ralismus zu entwickeln.«346 2.4.1.1  Zur Einordnung Adolf Schlatters Diese Einschätzungen zeigen, dass Schlatters Denken nicht einfach einzuordnen oder leichtfertig abzutun ist. Gerade dadurch wird es jedoch in der Rekonstruktion auch schwer fassbar. Bei all diesen Unklarheiten in Bezug auf Schlatters Denken lässt sich jedoch eines mit Sicherheit feststellen: Schlatter wurde zu seiner Zeit als Antipode zu jeder Form liberaler Theologie angesehen. Das zeigt schon seine aka­ demische Laufbahn, die ihn zunächst nach Bern führte, wo er als Gegenpol zum vermeintlich liberalen Geist der Fakultät eingesetzt wurde.347 Und auch die nächsten Stationen seiner akademischen Vita sind von demselben Geist geprägt. So wurde er 1888 auf Bestreben Hermann Cremers, eines lutherischen biblischen Theologen, nach Greifswald berufen.348 Von dort wurde er im Nachgang des sogenannten Apostolicumsstreits aus dem Jahr 1892 als kirchlicher Gegenpol zu Adolf von Harnack 1893 zum Professor für Systematische Theologie in Berlin berufen.349 Und auch die letzte Station, Tübingen, wo Schlatter von 1898 bis zu seinem Lebensende 1938 wirkte, kam dadurch zustande, dass »als Gegengewicht gegen eine von der Autorität der Hl. Schrift sich lossagende Richtung in der Tübinger Fakultät« jemand gesucht wurde, »der für die biblische Wahrheit und das kirchliche Bekenntnis eintrete.«350 Trotz der regelmäßigen Betonung des Bibelbezugs Schlatters im Zuge seiner Beru­ fungen fällt es beim Lesen seiner Schriften relativ schnell auf, dass er mitnichten als bloßer Biblizist bezeichnet werden kann. So kommt der gesamte erste Teil seiner gleich näher zu untersuchenden Dogmatik ohne direkte Rückbezüge auf die Bibel aus. Im Gegenteil steht der Mensch stets im Mittelpunkt. Ein Ansatz, der wiede­ rum – zumindest auf den ersten Blick – gar nicht zu den nun gegebenen Einord­ nungsversuchen des Theologen Adolf Schlatter passt. Wie aber lässt sich Schlatters Ansatz einfangen? Auch wenn Selbsteinschätzungen mit Vorsicht zu behandeln sind, wird man Schlatters Ansatz wohl am ehesten gerecht, wenn man seiner Selbstbe­ schreibung folgt, die er in dem kurzen Büchlein ›Briefe das christliche Dogma betref­ fend‹, das er als Reaktion auf die Kritiker seiner Dogmatik verfasst hat, gegeben hat: Ich meinerseits bezeichne die Formel ›Wahrnehmung‹ als für meine Methode und mein Ziel zutreffend; sie charakterisiert das, was mir vorschwebt, und macht den Gegensatz in allen Richtungen, sowohl gegen die Scholastik als gegen die syllogistische Methode, die die dedu­ zierten Systeme schafft, als gegen die Bewusstseinstheologie mit ihrer auf die Selbstbeobach­ 346   P. Stuhlmacher, Adolf Schlatter (1852 – 1938), in: M. Greschat (Hg.), Theologen des Protes­ tantismus im 19. und 20. Jahrhundert II, 1978, 219 – 240, hier 219. 347  Vgl. Neuer, Schlatter, 134 ff. 348   Vgl. aaO., 218 ff. 349   Vgl. aaO., 292 ff. 350   AaO., 359.

2.4  Die erste Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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tung gerichteten Tendenz erkennbar. Leider ist nicht zu hoffen, dass ein deutsches Wort, etwa ›Beobachtende Theologie‹, zum Namen auswachse, sondern es müsste wohl ›empirisch‹ her­ halten. Ich würde aber meinerseits auch den Namen ›empirische Theologie‹ nicht ablehnen, wofern nur deutlich bleibt, daß hier ›Empirie‹ in keinem Gegensatz zur Geschichte steht und nicht von einer in sich geschlossenen Monade die Rede ist, die nur das als Erlebnis wertet, was sie aus sich selbst erzeugt. Erlebnis und Erfahrung bereitet uns auch das, was uns durch unseren Anteil an der Gemeinschaft vermittelt wird.351

Dieser hier von Schlatter selbst beschriebene Ansatz, bei der Wahrnehmung anzu­ setzen, lässt sich, wie noch zu zeigen ist, besonders in Bezug auf die theologische Frage nach dem Tod durchaus verifizieren und führt in der Konsequenz zu einer deutlichen Reduktion des Inhalts des theologischen Themas Tod. Was genau unter Wahrnehmung zu verstehen ist, bleibt im gegebenen Zitat Schlatters unklar. Diese Frage wird uns gleich noch beschäftigen (vgl. 2.4.1.4). Schlatter führt hier etwas durch, was, aus ganz anderen Gründen, später auch in der Philosophie Hei­deg­gers durchgeführt wurde und sich, wie wir schon gesehen haben, in der thanatologischen Debatte des 20. Jahrhunderts weitgehend durchgesetzt hat, nämlich die Herange­ hensweise an das Thema Tod aus der Perspektive der Frage was denn der Tod für das Leben bedeutet, denn etwas anderes lässt sich ja gar nicht wahrnehmen aus dem Leben heraus. Ob Schlatters Gedanken für diese Entwicklung maßgeblich waren, lässt sich naturgemäß nicht klärend feststellen, dass sie es waren, kann aber vermutet werden. Schlatter war nämlich über zwei Wege durchaus einflussreich für die theolo­ gische Lutherrenaissance, in deren Gefilden sich die maßgeblichen thanatologischen Entwürfe des frühen 20. Jahrhunderts entwickelten (vgl. auch 2.4.1.4).352 Zum einen war er seit seiner Tübinger Zeit mit dem Spiritus Rector der Luther­ renaissance, Karl Holl, freundschaftlich verbunden und nahm erheblichen Einfluss auf dessen theologische Entwicklung. Holl war von 1900 bis 1906 außerordentlicher Professor in Tübingen und kam dort, wie Johannes Wallmann schreibt, »unter den dankbar angenommenen theologischen Einfluß von Adolf Schlatter.«353 Holl und Schlatter kannten sich bereits aus Berlin, wo Holl als Privatdozent gelehrt hatte und den Weggang Schlatters offensichtlich bedauert hatte. Umso mehr freute er sich, das Gespräch zu ihm wieder aufzunehmen, nachdem er selbst anfing in Tübingen zu lehren. Er war Schlatter freundschaftlich verbunden. Sie gingen täglich um 11 Uhr gemeinsam spazieren und Holl gehörte sogar zu den Hörern von Schlatters als berühmt bezeichneter Vorlesung über ›Die philosophische Arbeit seit Cartesius‹ und nahm regelmäßig an Schlatters Vorlesung über Dogmatik teil, obwohl er selbst, wie schon erwähnt, zu diesem Zeitpunkt bereits habilitiert war.354 Wie groß der Einfluss 351

  A. Schlatter, Briefe über das Christliche Dogma, 21978, 76.   Vgl. für den Begriff Lutherrenaissance das hier maßgebliche Buch H. Assel, Der andere Auf­ bruch. Die Lutherrenaissance. Ursprünge, Aporien und Wege: Karl Holl, Emanuel Hirsch, Rudolf Hermann (1910 – 1935), 1994. 353   J. Wallmann, Art. Holl, Karl (1866 – 1926), in: Theologische Realenzyklopädie Online. 354  Vgl. Neuer, Schlatter, 380 – 383. 352

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Schlatters auf Holl war, zeigt ein Brief, den Holl Schlatter zu dessen 70. Geburtstag schrieb. Dort schreibt Holl: »Ich bin Ihnen zu größerem Dank verpflichtet als Sie vielleicht selbst wissen. [. . .] sie haben [. . .] mitunter durch ganz zufällige Bemerkun­ gen, so tief auf meinen ganzen theologischen Standpunkt eingewirkt, wie vielleicht niemand früher.«355 Holl nahm auch die für uns maßgebliche Dogmatik Schlatters zur Kenntnis und schriebt daraufhin begeistert an ihn: »Ihr Buch entspricht aufs Haar dem, was ich von einer Dogmatik haben will.«356 Zum anderen war Schlatter eng mit Paul Althaus dem Jüngeren verbunden. Alt­ haus’ Vater, Paul Althaus der Ältere, hatte bei Schlatters Kollegen-Freund Hermann Cremer promoviert und so auch Schlatter selbst kennen gelernt. Auch Althaus der Ältere gehörte zur Gruppe der kirchlich-positiven Theologen, die, als Gegengewicht zur liberalen Theologie der Zeit, von den Kirchenleitungen gefördert und an den Fakultäten installiert wurden.357 Als Althaus der Jüngere 1906 dann selbst sein Stu­ dium begann, fiel die Wahl des Studienortes auf Tübingen und das nicht zuletzt, weil Adolf Schlatter dort lehrte. In seiner Studentenzeit in Tübingen, die drei Semester dauerte, wurde der Kontakt zwischen Althaus und Schlatter dann intensiver und der Student befreundete sich nicht nur mit Schlatters Sohn Theodor, sondern besuchte auch immer wieder das Haus der Schlatters.358 Die Verbindung blieb über die Jahre erhalten und persönlich eng, wie etwa ein Brief zeigt, den Althaus an Schlatter 1930 schrieb, nachdem Althaus einen Ruf nach Tübingen, wo Schlatter nach wie vor lebte, ablehnte. Althaus schrieb damals: »Der Gedanke an Sie, an mein Verhältnis zu Ihnen, an die köstliche Möglichkeit, Sie öfter besuchen zu dürfen – das alles hat mir die Absage bitter schwer gemacht.«359 Althaus verstand sich auch theologisch als von Schlatter geprägt. Das zeigt sich auch immer wieder in brieflichen Äußerungen, für die beispielhaft eine Erwähnung aus dem gerade schon erwähnten Brief stehen kann. Althaus schreibt, nachdem er Schlatter von seinem Entschluss in Erlangen zu bleiben, berichtet hat: »Ich werde in Erlangen nun erst recht Tübinger sein und nie verleugnen, was ich bei Ihnen gelernt habe.«360 Für unseren Zusammenhang besonders interessant und noch einmal die enge, eben auch das theologische Denken beeinflusst habende Beziehung untermauernd ist, dass Paul Althaus sein 1922 in erster Auflage erschie­ nenes, noch zu besprechendes Buch ›Die letzten Dinge‹ mit der Widmung: »D. Adolf Schlatter zum Siebzigsten Geburtstag in großer Dankbarkeit« versah. Dass dieses Wir­ ken von Schlatters Denken auf Althaus’ thanatologisches Programm nicht nur formal in Form der Widmung sichtbar ist, sondern auch inhaltlich fassbar gemacht werden kann, werde ich, wenn ich Althaus’ Thanatologie behandele (vgl. 2.4.3), zeigen. 355

  Zitiert nach aaO., 382.   AaO., 494. 357  Vgl. G. Jasper, Paul Althaus (1888 – 1966). Professor, Prediger und Patriot in seiner Zeit, 2013, 18 ff. 358   Vgl. aaO., 43. 359   AaO., 150. 360  Ebd. 356

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2.4.1.2  Adolf Schlatters Biographie und seine Thanatologie Werner Neuer, der wohl beste Schlatter-Kenner, der auch die große wissenschaft­ liche Biographie über Schlatter verfasst hat, bezeichnet die Periode von 1907 bis 1914, in der Schlatter seine Hauptwerke schrieb, als »Zusammenfassung der bishe­ rigen Arbeit«. In dieser Zeit schrieb Schlatter zunächst seine schon erwähnte Theo­ logie des Neuen Testaments, die in zwei Bänden 1908 und 1909 erschien, darauf­ hin seine Dogmatik, auf die ich gleich näher eingehen werde, die in erster Auflage 1911 erschien. 1914 erschien dann noch seine christliche Ethik, deren Erscheinen, und das zeigt erneut die enge Verbindung dieser zwei Theologen, nur durch das wiederholte Insistieren Holls zustande kam, der Schlatter schließlich sogar freund­ schaftlich der »Unterlassungssünde« bezichtigte, weil er sich Holls Wunsch nach einer Ethik aus Schlatters Feder verweigerte.361 Im Jahr 1915 verfasste er neben den schon erwähnten neutestamentlichen, dogmatischen und ethischen auch noch ein philosophisches Hauptwerk, seine ›Metaphysik‹, die er jedoch nicht zur Erscheinung brachte und die erst 1987 aus dem Nachlass veröffentlicht wurde. Ich erwähne das alles deswegen so genau, weil es bei Schlatter im Zusammenhang zu den Veröffent­ lichungen seiner Hauptwerke biographische Ereignisse gab, die auf das Engste mit unserer Fragestellung zusammenhängen und seine theologische Thanatologie maß­ geblich beeinflusst zu haben scheinen. Gemeint sind der Tod von Schlatters Frau Susette 1907 und der Tod von Schlatters jüngerem Sohn Paul, der im Oktober 1914 als Soldat den Tod fand. Zu diesen Verlusten im engsten Familienkreis kamen auch noch weitere Todesfälle im näheren Umfeld Schlatters hinzu. So starben 1899 Schlat­ ters alter Freund Edmund Fröhlich, Schlatters Schwester Lydia und auch noch mit erst 35 Jahren die Frau von Schlatters Bruder Theodor, sowie 1903 dann Hermann Cremer, für dessen Beerdigungsansprache Schlatter eigens nach Greifswald reiste. Er war gebeten worden, sie zu halten. Am einschneidendsten und, so zumindest die einleuchtend belegte These von Werner Neuer, auch maßgeblich für die dann folgende produktive Phase in Schlatters theologischem Schaffen verantwortlich war jedoch der schon erwähnte Tod von Schlatters Ehefrau Susette 1907.362 Liest man die Darlegungen Schlatters zum Tod vor dem Hintergrund seiner brieflichen Zeug­ nisse, die von Werner Neuer in seiner Biographie gesammelt sind, dann erhalten die thanatologischen Darlegungen Schlatters nicht nur eine besondere Authentizität, sondern auch eine zusätzliche Tiefe. Was Schlatter in seiner Dogmatik über den Tod schreibt, hat er an sich selbst angewendet und offenbar erfolgreich, wenn man so ein Wort in diesem Zusammenhang überhaupt sinnvoll nutzen kann.

361

 Vgl. Neuer, Schlatter, 500.   Vgl. aaO., 440 – 445.

362

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2.4.1.3  Adolf Schlatters Selbstzeugnisse über den Umgang mit dem Tod 363 Werner Neuer zitiert aus einem Brief, den Schlatter am Tag nach Susettes Tod an seine Geschwister schrieb. Schlatter schreibt darin über seinen Gemütszustand, dass der Tod, trotzdem Susettes Krankheit bekannt war, letztlich doch unerwartet kam: »Wir hätten das Sterben uns früher näher rücken sollen. Aber ich war töricht und hoffte. Jetzt hoffe ich nicht mehr, sondern jetzt glaube ich.«364 Was das meinen kann, zeigt ein weiterer Brief nur einen Tag später: Wäre die Schlacht, die wir um’s Leben kämpften, verloren, so wären wir nur traurig. Aber ich ergreife es mit festem Griff, daß sie gewonnen ist. Noch liegt alles im Unsichtbaren, aber sie ist gewonnen. Ich habe keinen andern Grund als des Herrn gewisses, festes Wort; ich will es aber auch als ein gewisses und festes halten.365

Und auch eine von Schlatters Sohn Theodor berichtete Szene am Grab von Susette Schlatter gibt einen Eindruck von Schlatters Umgang mit dem Tod. Schlatter sprach ein Gebet und beendete dieses Gebet mit den Worten: »Gott sei gepriesen für alles!«366 Zehn Tage nach dem Tod seiner Frau schon fasste Schlatter den Plan, durch eine »große Arbeit« den Weg zurück ins Leben anzutreten. Diese Arbeit wollte er angehen, um sich von dem Tod und der Einsamkeit abzulenken, aber auch, um sein Lebenswerk zu vollenden, denn nicht zuletzt stellte der Tod der eigenen Frau Schlatter seine eigene Endlichkeit vor Augen. So schrieb er an seinen Freund, den Theologen Wilhelm Lütgert: »Es klang mir in der Seele: Mache auch du dich bereit.«367 Sieben Jahre später, also auch nach Abfassung seiner Hauptwerke, bis auf die nicht veröffentlichte Metaphysik, starb dann sein Sohn Paul als Soldat in den ersten Monaten des Ersten Weltkriegs. Dieser Todesfall und Schlatters Umgang mit ihm kann damit sein Denken bei der Abfassung von ›Das christliche Dogma‹ noch nicht beeinflusst haben, zeigt aber die Tendenz, die sich schon bei Susette Schlatters Tod gezeigt hat und die auch in seiner Theologie gleich zu sehen kommen wird, in einer nochmal verstärkten Form und soll deswegen an dieser Stelle noch nachge­ zeichnet werden. Kurz bevor der Sohn in einem Lazarett in Germersheim, etwa 130 Kilometer von seiner Tübinger Heimat entfernt, verstarb, hatte Schlatter ihn dort besucht und ihm kurz darauf geschrieben: »Gott befohlen, lieber Paul, in dessen Gegenwart und Gemeinschaft Du auch in Deinem Germersheimer Zimmer bist.«368 Und nachdem Paul dann wenige Tage nach diesem Brief verstorben war, fuhr Schlatter nach Ger­ 363   Diese Vermischung von wissenschaftlicher Dogmatik und persönlichem Erleben entspricht ganz Schlatters dogmatischem Ansatz. Vgl. dazu 2.4.1.4 und bei Schlatter selbst: A. Schlatter, Das christliche Dogma, 21923, 12. 364   Neuer, Schlatter, 444. 365  Ebd. 366   AaO., 445. 367   AaO., 446. 368   AaO., 526.

2.4  Die erste Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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mersheim, um den Leichnam seines Sohnes abzuholen. Die nächtliche Rückfahrt neben dem Sarg seines Sohnes, so beschreibt es Neuer, war für Schlatter die wohl eindrücklichste Erfahrung seines Lebens und dennoch, so beschreibt Schlatter selbst es später in einem Lebensrückblick: »Da faßte mich das Grauen des Todes und es quälte mich lange, bis mir das Wort Jesu in die Seele drang: ›Lazarus, unser Freund schläft.‹«369 Schlatter schrieb an seine Schwester vier Tage nach dem Tod: Paul habe sich »entschlossen, ohne Widerstand und Krisen [. . .] vom Evangelium erfassen [. . .] und in einen selbstständigen, männlichen Glaubensstand hineintragen« las­ sen.370 Und zwei Monate später wiederum an Lütgert: »Der Gedanke, daß mir damit Unrecht geschehen sei, kam nie zu mir.«371 Schlatters Umgang mit den Verlusten in seiner Familie ist, so finde ich, doch bemerkenswert! Es findet sich in den zitierten Briefen kein Wort der Klage, kein Wort der Wut oder der Verzweiflung. Alle Bemer­ kungen sind von einer tiefen Frömmigkeit geprägt, die es offenbar nicht zulässt über erlittenes Unrecht, oder, wenn man es so nicht nennen möchte, über erlittenes Leid zu klagen.372 Schlatters Biograph deutet dieses Verhalten Schlatters folgenderma­ ßen: »Er stand unter dem Eindruck, daß das Sterben seines Sohnes und das Sterben der vielen jungen Soldaten unter einer tiefen göttlichen Sinngebung stand, unter die sich die Hinterbliebenen ohne Murren zu beugen hätten.«373 Zu dieser Deutung seines Glaubens an eine Sinngebung Gottes auch im Leid, die, das werden wir gleich sehen, ganz dem Programm seiner Thanatologie entspricht, kommt wohl noch das Bewusstsein, dass Gott dem Einzelnen eine Aufgabe zugeteilt hat, die es, egal was komme, zu erledigen gelte. So kann Schlatter, und das soll gleichzeitig das letzte Zitat aus einem seiner Briefe sein und schon zur Behandlung seiner Dogmatik über­ leiten, dann auch kurz nach dem Tod des Sohnes, genau genommen nur vier Tage danach, schreiben: »Nun ist mein persönlicher Anteil am Krieg erledigt. Ich hoffe, ich bekomme wieder mehr Raum im Kopf und Herzen für die mir aufgegebenen Dinge.«374 2.4.1.4  Adolf Schlatters Thanatologie anhand von ›Das christliche Dogma‹ (1911) Maßgeblich für die theologische Thanatologie Schlatters sind vor allem zwei Teile seiner Dogmatik: Die Harmatiologie und die Eschatologie. Zuerst, also als Teil der Harmatiologie, wird der Tod konkretes Thema im ersten der vier Haupteile, der dem 369

  Zitiert nach ebd.  Ebd. 371   AaO., 527. 372   Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass dieser Eindruck nur durch die Auswahl der Brief­ stellen bei Neuer entsteht. Da es sich hierbei jedoch um eine wissenschaftliche Biographie handelt, muss ihr Redlichkeit bei der Auswahl der Stellen unterstellt werden, wenn auch sicherlich eine gewissen Tendenz in dem Werk vorherrscht. Schlatter soll aus einer bestimmten christlichen Prä­ gung heraus als »Vorbild im Glauben« dargestellt werden. Vgl. aaO., XI – XVI. 373   AaO., 527. 374  Ebd. 370

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Menschen als Werk Gottes gewidmet und auch als »Anthropologie« überschrieben ist. Gottes Offenbarung beginnt für Schlatter mit der Erschaffung des Menschen als Empfänger dieser Offenbarung. Daher, so der Denkweg Schlatters, kann das Ziel der Dogmatik, nämlich die Erkenntnis Gottes, die ausschließlich durch die Offen­ barung erreicht werden könne, nur durch die Darstellung des Menschen angegan­ gen werden. Gott mache sich dem Menschen dadurch erkenntlich, dass er an ihm selbst wirke. Für Schlatter steht also die Gottesfrage im Mittelpunkt seiner Dogma­ tik, jedoch nicht in einer abstrakten Form, sondern konkret weitergeführt als die Frage: »wo und wie wir Vorgänge erleben, die uns zur Offenbarung Gottes wer­ den.«375 Durch das Aufzeigen von Ereignissen, die im Menschen das Gottesbewusst­ sein entstehen lassen, lasse sich, so Schlatter, »der dogmatische Beweis, der Gottes­ beweis« erbringen.376 Gott könne also nicht so Thema der Dogmatik werden, dass etwa seine Eigenschaften aufgezählt würden, sondern nur, indem die Begriffe, die es unternehmen Gott fassbar zu machen, sich aus Tatsachen speisen, die »vor unse­ rer Wahrnehmung entstehen.«377 Für Schlatter geht es in der Dogmatik darum, den »Grund unserer Gewissheit Gottes« so zu verdeutlichen, dass anderen vor Augen steht, woher diese Gewissheit kommt. Damit wird die Dogmatik, das sei nur am Rande erwähnt, zu einer höchstpersönlichen Angelegenheit. Daher müsse der Dog­ matiker »die Beobachtung, die ihm an der Wirklichkeit die Vorgänge zeigt, die uns in die Beziehung zu Gott bringen und uns das göttliche Handeln vermitteln, durch das sich Gott uns enthüllt« zu allererst behandeln.378 Für Schlatter ist Gott der Urhe­ ber aller Dinge in der Welt, was besonders in Bezug auf den Tod natürlich zu dem Problem führt, dass so auch der Tod Gott als Urheber hat und Gott damit direkt für das Leid verantwortlich ist, das der Tod bringt. Wie Schlatter für sich selbst mit dieser Problematik um gegangen ist, haben wir oben in den brieflichen Zeugnissen gesehen. Dieser Umgang zeigt sich gleich auch in seiner dogmatischen Thanatologie. Mit dem Abweisen einer metaphysischen Gotteslehre grenzt sich Schlatter offen­ bar gegen eine vorkritische Dogmatik ab. Jedoch möchte er sich auch gegen die libe­ rale Tradition abgrenzen, die die Religion und nicht Gott zum Zentrum der Dogma­ tik macht. Hier stünde das religiöse Erleben und nicht die Gottesfrage im Zentrum, was vom Ziel der Dogmatik, der Erkenntnis Gottes, ablenken würde.379 Das reli­ giöse Erleben sei durchaus zentral, doch eben nur so, dass es den Dogmatiker zur Gottesfrage führe. Das müsse betont werden, damit klar sei, »daß sich im religiö­ sen Vorgang der Mensch nicht nur mit sich selbst beschäftigt, sondern mit seinem Erkennen und Wollen von sich weg zu Gott gewandt ist.«380 Nun steht Schlatter aber 375

  Schlatter, Dogma, 11.  Ebd. 377   AaO., 12. Vgl. für den Begriff der Wahrnehmung bei Schlatter J. von Lüpkes Erläuterungen in Hempelmann / Lüpke / Neuer, Schlatter, 57 – 63. 378   Schlatter, Dogma, 12. 379   AaO., 13. 380  Ebd. 376

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zumindest so sehr in dieser Tradition, dass er sagt, dass sich die Erkenntnis Gottes nur im »Gottesgedanken«, also am Orte des Bewusstseins des Menschen ereignen kann. Er schreibt, dass die »Erkenntnis Gottes nur dadurch entstehen kann, daß das göttliche Handeln uns in unserem Bewußtsein erreicht und in diese die Gewißheit Gottes legt.«381 Und gerade deswegen, weil der Weg zu Gott nur durch das mensch­ liche Bewusstsein gegangen werden kann und letztlich Gott durch das beschrieben werden muss, was der Mensch wahrnimmt, müsse eben zuerst der Mensch im Fokus der Dogmatik stehen, als das, was Gott geschaffen hat, um offenbar werden zu kön­ nen. Wie oben schon erwähnt, führt diese Fokussierung dazu, dass die Thanatolo­ gie in gewissem Sinne reduziert wird, weil eben nur das besprochen werden könne, was in der Wahrnehmung des Menschen offenbar ist. Und hier ist offenbar tatsäch­ lich das dem Schlatters Denken angemessene Wort, weil Gott sich für ihn in allem offenbart, auch im Tod des Menschen. Es gibt jedoch noch einen weiteren Grund, der zur Reduktion des Stoffes der Thanatologie führt. So ist für Schlatter nur das Dogma und damit Teil der Dogmatik, was nicht im Geheimnis vergeht, sondern was darstellt, um was sich die religiöse Gemeinschaft versammeln kann. Die Dogmatik habe daher eine Tendenz zur Einfachheit und dürfe nicht »aus dem intellektuellen Erwerb Einzelner« bestehen.382 Innerhalb der so begründeten Anthropologie, die nicht nur der erste, sondern auch der deutlich längste Teil der vier Hauptteile ist, kommt der Tod als Thema im »Die Sünde und das Gericht Gottes« überschriebenen Unterkapitel vor. Damit wird der Tod einerseits sehr traditionell verortet, ist doch der Tod als der Sünde Sold die klassische Begründung für den Tod. Anderseits aber steht für Schlatter, das verbirgt sich hinter »und das Gericht Gottes«, in der Harma­ tiologie der Gewissensbegriff im Zentrum, was seine Todesdeutung von klassischen Positionen abrückt.383 Bevor ich jedoch die Thanatologie darstelle, muss um Schlatters dogmatische Gedanken noch eine Klammer geschlossen werden, die sich bei der Lektüre nicht sofort erschließt, aber dafür umso bedeutender scheint. Schlatter spricht stets davon, dass sich alles, was er beschreibt, im Medium der »Gedanken« abspielt. Für ihn ist beispielsweise die »Erkenntnis Gottes«, die ja das Ziel der Dogmatik darstellt, eine in Gedanken. So kann er Erkenntnis Gottes stets mit Gottesgedanken gleichstellen.384 Doch was steckt dahinter? Es ist vor allem die Anthropologie Schlatters. Schlatter bietet in seiner Anthropologie eine Beschreibung des Menschen, die in Bezug auf den Zeitraum der Entstehung (1910) durchaus als innovativ angesehen werden kann 381

  AaO., 14.   AaO., 13. 383   Inwiefern Schlatter mit seiner starken Betonung des Gewissens nicht nur in der Sündenlehre Einfluss auf Holl, der wie oben beschrieben in gewisser Weise ein Schlatter-Schüler war, genommen hat, kann hier nicht untersucht werden, wäre aber sicher einer Untersuchung wert. Zu Holl und seinem Gewissensbegriff vgl. u. a. Assel, Aufbruch. 384   Vgl. die zahlreichen Beispiele gleich auf den ersten Seiten seiner Dogmatik. Schlatter, Dogma, 12 – 14. 382

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und dem, was einige Jahre später etwa in der philosophischen Anthropologie und Hermeneutik geboten wird, nicht unähnlich ist.385 Allerdings scheinen viele der von Schlatter angedachten, letztlich hermeneutischen Figuren eben nicht zu Ende gedacht. Die systematisch im Bereich der Prolegomena zu verhandelnden Fragen nach der Beziehung theologischer Sätze zu dem, was wechselnd unter den Begriffen Erfahrung, Gedanke, Wahrnehmung und später bei Hei­deg­ger unter dem Begriff des Vortheoretischen verhandelt wird, sind für Schlatter virulent, was positiv zu würdi­ gen ist. Sein Klärungsversuch jedoch lässt wiederum viele Fragen offen. Das Menschsein beginnt für Schlatter dadurch, dass »uns etwas eingepflanzt ist«, die ersten »Vorstellungen und Gedanken« fallen dem Menschen zu. Als der »erste Vorgang, der als ein Gegegebenes in uns hervortritt«, wird dieser jedoch sofort ange­ reichert durch »ein Urteil«, das sich auf die zunächst passiven Wahrnehmungen und Vorstellungen bezieht. Dieses Urteil bestimme das Verhältnis des Menschen zu sei­ nen eigenen Gedanken. »Unser Denken« schreibt Schlatter »besteht beständig darin, daß wir ja oder nein sagen, affirmieren oder negieren.« Das Urteil ist jedoch auch nicht als selbstständiger Akt des Menschen zu begreifen, denn es wird ja bestimmt durch die schon vorhandenen Gedanken. Nun schreibt Schlatter, und das kann im Zusammenhang mit der erst im Entstehen begriffenen, ganzheitlich verstandenen Hermeneutik gesehen werden: »Dasjenige Gebilde, das sich mit unserem vorhande­ nen Besitz vereinen läßt, nehmen wir auf; dasjenige, was von der in uns vorhande­ nen Erkenntnis durchkreuzt und bestritten wird, scheiden wir aus. Wir sind durch die uns vorgehaltenen Wahrnehmungen zu einer Arbeit aufgerufen, durch die wir sie ›verstehen‹, und wir verstehen das, wofür wir einen zweiten Gedanken haben, mit dem sich der erste vereinen lässt.«386 Der Mensch, so lässt sich diese Denkweise Schlatters paraphrasieren, findet sich immer schon so vor, dass er in einem Prozess der Selbstauslegung steckt, die als Selbstverstehen gedacht wird. Gleichzeitig mit diesem letztlich grundlegenden Verstehen geschieht eine Arti­ kulation dieses Verstehens in dem, was Schlatter das Urteil nennt. Diese Beschrei­ bung des menschlichen Inderweltseins ist auch bei Schlatter als so grundlegend zu denken, dass nicht vor diesen Prozess der Selbstauslegung zurückgegangen werden kann. Er bietet damit den eigentlichen Gegenstand einer Untersuchung über Gott in dem Sinne, dass das, was über Gott gedacht wird, ja eben schon immer das Ergebnis des beschriebenen Prozesses ist. Das, was Schlatter hier beschreibt, lässt sich wohl mit einem 1910 noch nicht zum Durchbruch gekommenen Begriff beschreiben, der später zentral für die Anthropologie wie für die Religionstheorie werden sollte: Sinndeutung.387 Nun fällt jedoch auf, dass Schlatter den hier als Sinndeuten inter­ pretierten grundlegenden Vorgang im menschlichen Bewusstsein zunächst ganz 385

2009.

  Vgl. 3.3.2 und für einen Überblick zur Hermeneutik dieser Zeit J. Grondin, Hermeneutik,

386

  Alle Zitate in diesem Abschnitt bisher Schlatter, Dogma, 89.   Zur Geschichte des Sinnbegriffs vgl. Thies, Sinn, bes. 69 – 83.

387

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im Bereich des Intelligiblen verortet. Sinneswahrnehmungen treten bei ihm erst in einem zweiten Schritt auf, obwohl er sein dogmatisches Programm ja ganz unter dem Begriff der Wahrnehmung verstanden wissen will. Das lässt sich so verstehen, dass Wahrnehmungen für ihn immer schon Gedanken sind, dennoch geht er davon aus, dass gleichzeitig mit, oder »neben«, wie er schreibt, den »Gebilden des Den­ kens [. . .] andere Vorgänge vorhanden sind, durch die wir unseren eigenen Zustand spüren.«388 Dass diese »Gefühle« nicht explizit Thema werden bei ihm, obwohl sie als genauso grundlegend wie die Gedanken angesehen werden, liegt daran, dass wir »was wir fühlen, nicht in Worte fassen« können, ja, dass uns dafür »nur undeutli­ che Ausdrucksmittel« zustehen.389 Diese Bemerkungen lassen dann die oben bereits angesprochene Frage unbeantwortet auslaufen. Denn wie verhalten sich die unbe­ schreiblichen Gefühle zu den beschreibbaren Gedanken? Das wird von Schlatter an dieser Stelle nicht ausgeführt. Diese in ihrer Bedeutung sicher nicht zu unterschät­ zenden Gedanken Schlatters spielen sodann in der Rezeption der Theologie Schlat­ ters auch keinerlei Rolle. Dabei werfen sie, wenn man sie weiterdenkt eben ein Licht auf Schlatters Denken, dass dieses in einer eher unerwarteten Farbe koloriert. Wie dem auch sei: Diese Klammer, die sich um Schlatters Dogmatik schließt, muss bei allen offenen Fragen, die sie mit sich bringt, immer mitgedacht werden, um das, was er in Bezug auf die Thanatologie sagt, richtig einordnen zu können. Diese Klammer relativiert in gewissem Sinne einen im Raum stehenden biblizistisch-vorkritischen Vorbehalt gegen Schlatter. Jetzt zur Thanatologie im Detail: Die zentralen Begriffe zum Verständnis der in der Harmatiologie liegenden Thanatologie Schlatters sind Sünde, Schuld, Wille und Gewissen. Für Schlatter ist Sünde die Beurteilung einer Tat im Gewissen in Bezug auf den Willen bei dieser Tat.390 Damit unterscheidet er sie von der Schuld. Schuld beziehe sich lediglich auf den eigenen Anteil an der Sündentat. Da die wahren Trieb­ federn einer Tat aber im Verborgenen lägen, auch für den Menschen, der die Tat ausführt, selbst, könne Schuld nicht wirklich ermessen werden.391 Da die Sünde die Beurteilung des Willens sei, stelle sich die Frage, wie sich dieser zu dem schon beschriebenen menschlichen Grundakten des Denkens und Fühlens verhält. Für Schlatter ist der Wille »derjenige Vorgang [. . .], der zusammen mit Denken und Füh­ len« das Leben des Menschen ausmacht.392 Dabei gilt wie beim Denken und Fühlen, dass der Mensch zunächst einmal passiv ist, »gemacht wird«: »Das Begehren entsteht, wir wissen nicht wie.«393 Gegenüber dem Denken und Fühlen ist der Wille für Schlat­ 388

  Schlatter, Dogma, 124.  Ebd. 390   Vgl. aaO., 222 – 228. 391   Vgl. aaO., 234 – 236. Trotz dieser Unterscheidung liegen Schuld und Sünde bei Schlatter sehr nahe beieinander, denn der Wille ist auch für den Sündenbegriff Schlatters zentral. Für seinen Wil­ lensbegriff vgl. 148 – 198, bes. 148 – 157. 392   AaO., 148. 393  Ebd. 389

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ter sekundär. Er reagiert auf das Gedachte oder Gefühlte. Allerdings lasse sich der Wille in zwei Teile untergliedern: das Begehren und die Wahl. Das Begehren ist das schon beschriebene im Unverfügbaren entstehende Reagieren auf die aufkommen­ den Gedanken und Gefühle, die Wahl wiederum ist dann das sich selbst zu seinem Willen Verhalten des Menschen, also der Akt des Bejahens oder Verneinens meines Willens. Die Sünde beurteilt für Schlatter also den in mir aufkommenden Willen in Bezug auf mein unverfügbares Denken und Fühlen. Es dürfte klar sein, dass der Mensch für Schlatter nichts gegen die Sünde tun kann, er ist immer in Sünde. Die Schuld hingegen bezieht sich auf den zweiten Akt des Willens, also ob ich ihn ausge­ führt habe oder nicht. Dadurch, dass beide Willensakte nicht sauber getrennt wer­ den könnten, sei die Schuld zwar, wie schon gesagt, nicht wirklich zu ermessen, sie sei dem einzelnen Menschen aber eher anzurechnen als die Sünde. Und auch das Urteil des Gewissens, das nun noch hinzukommt, hat bei Schlatter die Eigenschaft, »unbedingt« zu sein, der Mensch erleidet es. D. h. es entsteht »nicht durch unsere Entschließung« und kann auch nicht »weggeschafft werden.« Es »widerfährt« als ein »Erlebnis«, entwertet den »verworfenen Willen völlig« und verlange den »gebilligten Willen« ohne Vorbehalt.394 So ein Gewissensurteil entstünde im Menschen grund­ sätzlich in Bezug auf den allem Handeln zugrundeliegenden eigenen Willen. Um den Tod nun in dieses Gefüge aus Sünde, Schuld, Willen und Gewissen einfügen zu können, muss noch einmal auf Schlatters Programm einer Wahrnehmungs-Theologie zurückgegriffen werden. Der eigene Tod als Ereignis lässt sich zunächst nicht wahrnehmen, da mit ihm alle Wahrnehmung endet. Was sich allerdings wahrneh­ men lässt, ist die Tatsache, dass man sterben wird, also die eigene Endlichkeit. Man könnte nun annehmen, dass diese im Widerspruch zum, für Schlatter ebenso immer wahrnehmbaren Gottesbewusstsein steht. Das ist allerdings nicht so: Denn durch das stets eingreifende Gewissen, das dem Menschen sagt, dass er nicht so ist, wie er sein könnte, wie Gott es wollte, sondern dass er in Sünde ist, entwickelt der Glau­ bende nach Schlatter ein Bewusstsein dafür, dass der Tod die gerechte Strafe für sein Menschsein in Sünde ist.395 Der eigene, kommende Tod wird von Schlatter immer vom Gewissensurteil her gedacht. Das passe wiederrum zu dem, was der Mensch wahrnehmen kann: Ich als Mensch bin klein und unbedeutend, dazu passt, dass ich vergehen werde.396 An dieser Stelle kommt bei Schlatter ins Spiel, was grundlegend für alle Thanatologien ist, die später als Ganztod-Theorie bezeichnet wurden: Der ganze Mensch muss sterben, nicht nur ein Teil von ihm, etwa der Leib. Diese Denk­ weise sieht auch Schlatter (wie später Stange und Althaus und noch später promi­ nent Jüngel) durch griechisches Denken, genauer platonisches Denken, eingewan­ dert. Schlatter schreibt dazu, und dies ist wohl der erste Beleg im 20. Jahrhundert für ein solches Denken, das die Thanatologie bis heute maßgeblich bestimmt, folgendes: 394

  AaO., 168.   Zur Bedeutung der Strafe für Schlatter vgl. aaO., 238 – 242. 396   Vgl. aaO., 246. 395

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Denn der Tod trifft den Menschen, nicht nur seinen Leib, und bereitet uns das Ende, nicht nur einem Teil von uns. Dieses Urteil, dass das Sterben eigentlich bloß das treffe, was nicht wir sind, kam aus dem Platonismus in die Kirche und ergibt einen Gegensatz gegen diejenige Betrach­ tung des Tods, die ihn als die uns bereitete Strafe versteht. Denn wenn im Tod nicht über uns selbst das Ende käme, wenn er nicht uns selbst ein Leiden brächte, das alles, was wir sind, erfaßt und zerstört, so wäre er nicht als die göttliche Antwort auf unser Sündigen zu verstehen.397

Schlatter geht dann soweit, dass er, wie später auch Althaus, den Tod nicht nur als gerecht und richtig bezeichnen kann, sondern schreiben kann, es gelte, den Tod zu »ehren«, ihn als »zweckmäßig« und »gerecht« anzusehen.398 Und in dem Anneh­ men dieses Urteils Gottes über ihn ehrt der Mensch dann eben Gott. In der Beja­ hung, dass der Tod das gerechte Schicksal ist, komme der Glaubende dann zu einem »glücklichen Sterben«.399 Dieses glückliche Sterben werde noch einmal tiefer, »wenn wir ein erst angefangenes, noch unvollendetes Lebenswerk Gott zum Opfer brin­ gen.«400 Wie sehr Schlatter mit sich selbst gerungen hat, nachdem nur einige Jahre später dieses unvollendete Lebenswerk das Leben seins Sohnes Paul war, haben wir oben in den Briefen Schlatters auszugsweise gesehen. Wie sehr Schlatter hier schon, die Erfahrung des Todes seiner Frau im Hintergrund, weiß, dass dem Tod mit einer Einstellung begegnet werden muss, die ein gutes Leben ermöglicht, obwohl es ihn gibt, sieht man daran, dass er schreibt: »Indem es vom Gottesgedanken mit umfaßt und als Glied der gerechten und heiligen Regierung Gottes verstanden ist, haben wir diejenige Erhebung über die Sterblichkeit, die wir zum Leben nötig haben.«401 Ein weiteres Mal kommt der Tod in Schlatters Dogmatik innerhalb der Escha­ tologie zum Tragen, hier allerdings deutlich weniger detailliert. Die Eschatologie richtet sich für Schlatter immer auf Zukünftiges und ist so nicht einfach in sein Sys­ tem der Wahrnehmungs-Theologie einzubauen. Damit dies doch geht, braucht er den Gedanken der Vollendung. Ihren Anhalt in der Wahrnehmung habe die Vollen­ dung im Gottesgedanken. Durch die Wahrnehmung des Werkes Gottes an uns, also durch unsere eigene Menschlichkeit, die durch das schon beschriebene Empfangen bestimmt sei, seien wir stets auf die Zukunft verwiesen: Wir sind immer im Werden, das auf etwas zustrebt, was uns noch unbekannt ist, was wir noch empfangen wer­ den, so Schlatter. Dieses auf die Zukunft gerichtet-Sein, verweise auf die Vollendung. Außerdem entstünde die Idee der Vollendung aus einem in jedem Menschen wahr­ nehmbaren Hoffen. Da Schlatter in seiner Theologie allem Wahrnehmbaren eine Relation zu Gott zuspricht, verweist auch dieses Hoffen, das stets einen Zusammen­ hang mit der »uns jetzt gewährten Gemeinschaft mit Gott« habe, auf eine zukünftige Vollendung dieser Gemeinschaft.402 Die in diesem Verhältnis zwischen Vollendung 397

 Ebd.   AaO., 249. 399   AaO., 250. 400  Ebd. 401   AaO., 251. 402   AaO., 526. 398

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und Gemeinschaft mit Gott zu denkende Frage des Verbleibs des Individuums nach dem Tod, wird mit dem Begriff des »ewigen Lebens« ins Auge gefasst. Was »ewiges Leben« bedeutet, wird hier, was auch bei Stange und Althaus wiederkehrt, aus dem Leben heraus beantwortet. Ewig wird verstanden als eine Qualitätsbeschreibung des Lebens, die das Leben durch seinen Gottesbezug erhält. »Leben, das Gott gibt, ist ewiges Leben.«403 Dass es ein Weiter dieses Lebens nach dem Tod geben kann, wird von Schlatter als »Urteil des Glaubens« bestimmt.404 Das bedeutet für ihn, dass die­ ses Urteil wiederum nur im Gottesbewusstsein begründet liegt und nicht aus der Wahrnehmung ableitbar ist. Den Versuch, ein solches Weitergehen des Lebens aus der Wahrnehmung abzuleiten oder gar zu beweisen, weist Schlatter dann auch als gegen die Anerkennung des göttlichen Todesurteils gerichtet ab.405 2.4.1.5  Die bei Adolf Schlatter grundgelegten thanatologischen Wegmarken Die Thanatologie Adolf Schlatters steht nicht nur zeitlich am Anfang der thanato­ logischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts, sondern hat, wie wir nun gesehen haben, auch inhaltliche Bestimmungen getroffen, die in der Folgezeit immer wie­ der aufgenommen wurden. Diese Wegmarken der Thanatologie, wie ich sie nennen möchte, sind die folgenden: 1. Die Behandlung des Todes aus der Perspektive des Lebens heraus und nur sehr abgeschwächt auch aus der Perspektive, was denn mit den Toten nach dem Tod geschieht. 2.  Die Betonung des engen Zusammenhangs zwischen Sünde und Tod bei gleich­ zeitiger Betonung, dass dieser Zusammenhang nicht kausal im Sinne einer natur­ wissenschaftlichen Erklärung gemeint ist, sondern dezidiert theologisch verstanden werden muss. Was das bedeutet, dass es theologisch verstanden werden muss, ist dann natürlich noch einmal erklärungsbedürftig und soll gleich noch einmal Thema sein. 3. Die Beschreibung des Todes als Tod des ganzen Menschen, mit allem, was zu ihm gehört, und die Begründung dafür, dass dies so sein müsse, wenn der Tod denn die Antwort auf die Sünde des Menschen ist. 4.  Die Abgrenzung von sog. griechischem Denken und das damit einhergehende Abwerten der Vorstellung einer Unsterblichkeit der Seele. 5. Das Unterlassen einer Ausmalung der durchaus angeführten Vorstellung der Auferstehung der Toten – die Frage danach, was diese Vorstellung konkret meint, wird als theologisch unredlich abgewiesen. Dazu gibt es noch drei Punkte, die zumindest für diese erste Welle der thanato­ logischen Theoriebildung eine tragende Rolle spielen, die aber schon ab der zweiten Welle beinahe ganz verschwinden: 403

  AaO., 528.  Ebd. 405   AaO., 609 Anm. 336. 404

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1. Die Zentralstellung des Begriffs des ewigen Lebens in der eschatologischen Thanatologie. 2. Die dann doch wieder ins Präsentische gezogene Deutung des Begriffs des Ewigen im Sinne von: Ewiges Leben ist Leben, das mit Gott in Gemeinschaft steht. Diese Vorstellung taucht auch später noch vereinzelt auf, z. B. bei Karl Barth und Eberhard Jüngel und kann, mit Stange und Althaus, als Auslegung des Lutherwortes »Mit wem Gott redet, der ist wahrhaft unsterblich« gedeutet werden. 3. Das Predigen einer Lebenseinstellung gegenüber dem Tod, die keine Klage zulässt. Der Tod ist als Folge der Sünde verdient und damit nicht zu beklagen, son­ dern gläubig, ja freudig anzunehmen und damit Gott die Ehre zu geben. Dazu kommt noch ein weiterer Punkt, der schon bei Schlatter auftaucht, sich bei den Theologen der ersten Welle durchhält, seine Parallelen in der philosophischen Thanatologie Martin Hei­deg­gers (vgl. 3.) hat und schließlich bei Tillich (vgl. 4.) seine dezidierte Ausformulierung finden wird und mit den oben als erste, dritte und fünfte Wegmarke genannten Punkten eng zusammenhängt: Der Tod wird hauptsächlich in der Art Thema der Theologie, dass das menschliche Verhältnis zu ihm beschrieben und gedeutet wird. Die Ausmalung konkreter nachtodlicher Vorstellungen fällt weg, im Gegenteil wird die ganzheitliche Bedeutung des Todes für den Menschen betont. Durch diese Gemengelage muss die Theologie, will sie den Menschen nicht in Ver­ zweiflung lassen, die Möglichkeit eines heilsamen Umgangs mit einem derart radikal verstandenen Tod aufzeigen. Dieser besteht seit Schlatter stets aus einer dem Glau­ ben zugerechneten Einstellung (wir haben oben bei Pannenberg den Begriff Haltung gesehen (vgl. 2.3.3.4), es lässt sich auch von Stimmung reden (vgl. 3.4), beides muss noch begrifflich unterschieden werden) in Bezug auf den Tod, die ihn zwar in seiner Radikalität anerkennt, aber in Form eines Trotzdem nicht den Lebensmut abhanden­ kommen lassen will. Die Begründung oder Ausformulierung dieses trotzdem vorhan­ denen Lebensmutes fällt in den jeweiligen Entwürfen dann unterschiedlich aus. Dass es stets darum geht, zu zeigen, dass aus dem Glauben ein solcher trotz des Todes bestehender Lebensmut erwächst, haben alle gemeinsam. In Schlatters konkretem Fall stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Dadurch, dass im Gläubigen die Gewissheit Gottes vorhanden ist, stellt sich bei ihm trotz der Anerkenntnis, dass der Tod das abso­ lute Ende des eigenen Lebens bedeutet, eine Einstellung zum tödlichen Leben ein, die das Leben unverzagt zu leben weiß und es als Teil des sinnvollen Plans Gottes versteht. Inwiefern diese Gewissheit Gottes etwas Intelligibles ist oder eben eher in einem emotio­ nalen Bereich zu verorten ist, lässt sich mit Schlatter nicht klären. Die oben in Bezug auf Schlatters dogmatisches Programm gemachten Bemerkungen über die im Unver­ fügbaren liegenden, gegebenen Grundvoraussetzungen dieser Gottesgewissheit, die er sowohl im Bereich der Gedanken als auch im Bereich des Gefühls verortet, sind jedoch ein Hinweis darauf, dass auch Schlatter das Trotzdem, das er gegen den Tod spricht, letztlich in einer unbegründet auftretenden, gefühlvoll-gedanklichen Einstellung dem Tod gegenüber grundgelegt sieht. Wir werden hier in den Bereich dessen verwiesen, was sich als Sinn verstehen lässt. Darauf wird noch einzugehen sein (vgl. 3.4 u. 4.).

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Anders als es die oberflächliche und unzusammenhängende Betrachtung seiner Thanatologie vermuten lässt, liegt die Pointe seines Todesdenkens jedoch nicht in einem Ganztod. Vielmehr liegt, in der Gesamtanlage seiner Theologie begründet, die Erkenntnis zugrunde, dass die Frage nach dem Tod in der Theologie nur als Frage danach, was der Tod für mein Leben bedeutet, beantwortet werden kann. Für das Leben aber bedeutet der Tod Abbruch bzw. Ende. Alles, was wir als Leben kennen, endet mit dem Tod, alles andere widerspreche den Erfahrungen, die auch für den Gläubigen, so Schlatter, grundlegend sein müssen, ja als gottgegebene und gottge­ wollte Erfahrungen verstanden werden müssten. Nun endet damit das Nachdenken über den Tod jedoch keineswegs. Der Mensch stirbt zwar ganz, und hier hat das Reden über eine Ganztodvorstellung bei Schlatter seinen wahren Kern, aber er deu­ tet dieses Sterben eben im Lichte seines Gottesbewusstseins. Durch diese Deutung, die, für Schlatter, in dem unverfügbar zugrunde liegenden Gottesgedanken begrün­ det ist, wird das Ende, der Abbruch des Todes nichts allein Schreckliches mehr, er wird zum Teil des Lebens, das Gott für uns vorgesehen hat. Ob Schlatter das, was er meint, mit dem Begriff Gottesgedanken glücklich ausdrückt, kann an dieser Stelle angefragt werden. Es scheint doch so, als ginge es ihm weniger um einen Gedanken im strengen Sinne als um eine Grundanlage im Menschen, die selbst nicht gemacht ist, die vielmehr immer schon zugrunde liegt und die als eine bestimmte Idee von Gott ausformuliert werden kann (evtl. etwas wie eine Sinnressource; vgl. für den Begriff 4.). Diese vielleicht als sich selbst in gewisser Weise verstehende Befindlichkeit reformulierbare Grundanlage beschreibt Schlatter im Sinne eines positiven Welt­ bezugs. Weil die Gewissheit Gottes allem zugrunde liegt, was der gläubige Mensch wahrnehme, kann auch der Tod als absolutes Ende des Lebens nicht Grund sein, das restliche Leben, in dem sich der Mensch aufgrund des göttlichen Willens befindet, ohne Zutrauen in das gute Wirken Gottes zu verstehen. Ja, die Gewissheit Gottes kann, das zeigen die oben gegebenen Beispiele aus den Briefen, durchaus als eine Art Mutmacher angesichts des Todes verstanden werden. 2.4.2  Carl Stanges Thanatologie Carl Stange ist ein großer Unbekannter der Theologiegeschichte des 20. Jahrhun­ derts. Groß bezieht sich dabei zum einen auf das große Maß seiner Unbekannt­ heit, aber auch und besonders darauf, dass er zu seiner Zeit innerhalb der Zunft der Systematischen Theologie einflussreich war und große Ämter, wie das des Rektors der Universität Greifswald, des Gründers und Leiters des Apologetischen Seminars Wernigerode (heute Luther Akademie Sondershausen-Ratzeburg) und des Grün­ ders und Herausgebers der ›Zeitschrift für Systematische Theologie‹, innehatte. Er ist aber dennoch eher unbekannt und bisher nicht Gegenstand von theologiegeschicht­ licher oder systematisch-theologischer Forschung geworden. Trotzdem taucht er in der Reihe der Väter der sogenannten Ganztodtheorie immer wieder auf und der Zusammenhang der thanatologischen Theoriebildung innerhalb des Protestantis­

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mus’ unterstützt die angenommene Bedeutung seiner Thanatologie. Darauf werde ich gleich eingehen (vgl. 2.4.2.1). Stange entwickelte seine zentralen thanatologischen Gedanken bereits in den 1920er Jahren, meist in Aufsätzen, die er in der schon erwähnten ›Zeitschrift für Systematische Theologie‹ veröffentlichte.406 Allerdings verdichtete und sammelte er diese und veröffentlichte 1930 seine Eschatologie ›Das Ende aller Dinge‹, die direkt an die vorher publizierten Aufsätzen anknüpft und sie sozusagen geballt präsentiert. Stange selbst schreibt im Vorwort zur Eschatologie: Schon bei meiner Schrift über ›Die Unsterblichkeit der Seele‹, 1925, und bei meinen Unter­ suchungen über Luthers Stellung zur Lehre von der Unsterblichkeit [. . .] 1925 und 1928 [. . .] drängte sich mir der Wunsch auf, die eschatologischen Fragen im Zusammenhange zu behan­ deln und dabei jene früheren Veröffentlichungen zu ergänzen.407

Anlass, diesen Wunsch in die Tat umzusetzen, gab eine von ihm im Wintersemes­ ter 1929 / 30 gehaltene Vorlesung, die er anschließend in Buchform veröffentlichte. Aufgrund dieser speziellen Publikationswege der thanatologischen Aussagen Stan­ ges kann ›Das Ende aller Dinge‹ als maßgebliche Quelle gelten, die anderen Texte werden jeweils nur zur Ergänzung herangezogen, wo es nötig erscheint. Gleichzeitig muss allerdings, um Stanges Thanatologie richtig einordnen zu können, auch sein dogmatisches und religionsphilosophisches Denkgerüst mitbedacht werden. Erst durch Hinzunahme maßgeblicher Gedanken aus den beiden von ihm als Einzelstu­ dien veröffentlichten Büchern zur Religionsphilosophie und zur Einleitung in die Dogmatik wird ersichtlich, vor welchem systematischen Hintergrund Stanges Tha­ natologie steht und eben auch wie sie zu interpretieren ist.408 2.4.2.1  Zur Einordnung des unbekannten Carl Stange Carl Stange war zunächst außerplanmäßiger Professor in Königsberg (1903 – 1904), dann Lehrstuhlinhaber in Greifswald (1904 – 1912), wo er zwischenzeitlich auch Universitätsrektor war, und wurde 1912 als Nachfolger von Paul Althaus dem Älte­ ren zum Professor für Systematische Theologie in Göttingen berufen.409 In seinem 406   Maßgeblich sind hier die oben schon genannten Aufsätze, die meist auch als Buch erschie­ nen sind: Stange, Auslegung, Ders., Unsterblichkeit, Ders., Religion, Ders., Luthers Gedanken. 407   C. Stange, Das Ende aller Dinge, 1930 f, III. 408   Stange, Religion und Ders., Dogmatik. Erster Band: Einleitung in die Dogmatik, 1927. 409   Es gibt derzeit noch keine ausführliche Biographie Stanges. Das wird sich evtl. bald ändern, da Heiner Fandrich seine Dissertation zum Thema ›Der Wissenschaftsstratege Carl Stange und die nordeuropäische Lutherrenaissance. Eine sozialgeschichtliche Annäherung‹ abgeschlossen hat und sie eigentlich im Jahr 2020 erscheinen sollte. Bisweilen kann man nur auf folgende Quel­ len verweisen, aus denen sich die hier gebotene Darstellung speist: R. Hupfeld, Carl Stange zum 80. Geburtstag, in: Theologische Literaturzeitung 75, 1950, 171 – 174, R. Hermann, Carl Stange zum 85. Geburtstag, in: Theologische Literaturzeitung 80, 1955, 243 sowie Ders., In memoriam Carl Stange, in: Theologische Literaturzeitung 85, 1960, 231 – 234. Und natürlich ist grundlegend für die ganze Thematik ›Lutherrenaissance‹: Assel Aufbruch.

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langen Leben (1870 – 1959) hat er sich innerhalb der Theologie und auch darüber hinaus mit einer sehr großen Spanne an Themen und Fragestellungen beschäftigt.410 Es stechen aber sicherlich zwei heraus, die auch für unseren Zusammenhang hier von Bedeutung sind: 1. Stange war Lutherforscher und, auch dank seiner Fähig­ keit als Wissenschaftsorganisator, führend an der Entstehung und dem Bestehen der Lutherrenaissance beteiligt. 2. Stange äußerte sich immer wieder, über viele Jahre hinweg, zu Themen der Eschatologie. Stanges Lutherdeutung gilt als eigensinnig und vor allem davon geprägt, den »paradoxen Charakter der Theologie des Reformators zur Geltung zu bringen.«411 Zentral für seine Lutherdeutung war dabei vor allem die Schrift ›de servo arbitrio‹. Seine Organisationsfähigkeit bewies er unter anderem mit der Gründung der ›Zeit­ schrift für Systematische Theologie‹ und des Apologetischen Seminars Wernigerode, das später in die Luther Akademie Sondershausen (jetzt Luther Akademie Sonders­ hausen-Ratzeburg) umbenannt wurde und bis heute besteht. Hier versammelte er viele der tragenden Akteure der Lutherrenaissance, unter anderem auch immer wie­ der Paul Althaus den Jüngeren. Das ist deswegen von Interesse, weil Althaus seine Eschatologie dort zum ersten Mal vorstellte und dann in den überarbeiteten Auf­ lagen immer wieder im (oftmals schriftlichen) Dialog mit Stange entwickelt hat.412 So schreibt Althaus in der Einleitung zur ersten Auflage von ›Die letzten Dinge‹: »Ferner danke ich der Aussprache bei der Tagung des Apologetischen Seminars in Wernigerode, im Oktober 1921 wesentliche Förderung.«413 Stange, als Leiter des Seminars und als Herausgeber der Reihe ›Studien des apologetischen Seminars in Wernigerode‹, hat das Entstehen dieser Arbeit seines jüngeren Kollegen also von Anfang an verfolgt. Für die Entwicklung der protestantischen Thanatologie in dieser Frühzeit des 20. Jahrhunderts und auch für das gegenseitige Verständnis der unter­ schiedlichen Entwürfe ist es noch von Interesse, dass Stange mit Althaus, dem Jün­ geren, in vielerlei und teilweise enger Verbindung stand. Nicht nur, dass beide in der schon erwähnten, über Jahre andauernden Kontroverse standen, Stange war der Nachfolger von Paul Althaus dem Älteren auf dessen Göttinger Lehrstuhl und der Doktorvater von Althaus dem Jüngeren. Sie lehrten in Althaus’ Zeit als Privatdozent in Göttingen (1913 – 1919) gemeinsam und hatten engen Kontakt.414 In Bezug auf Stanges Eschatologie schrieb der Praktische Theologe Renatus Hup­ feld 1950 in seiner Würdigung Stanges zu dessen 80. Geburtstag, Stange habe alles daran gesetzt, »gegenüber spiritualisierenden Unsterblichkeitsgedanken, die Eigen­

410   Vgl. die ausführliche Bibliographie: Greifswalder Studenten, Verzeichnis der wichtigsten Schriften von Prof. D. Dr. C. Stange, in: Theologische Literaturzeitung 75, 1950, 175 – 180. 411   Hupfeld, Stange, Sp. 173. 412   Vgl. hierzu die Zusammenfassung der Auseinandersetzung bei Althaus, Unsterblichkeit und ewiges Sterben. 413   P. Althaus, Die letzten Dinge. Entwurf einer christlichen Eschatologie, 1922, 9. 414  Vgl. Jasper, Althaus, 50 f., 57, 141 ff., 152, 170.

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tümlichkeit des christlichen Auferstehungsglaubens kraftvoll zu entfalten.«415 Und auch Rudolf Herrmann vermerkt in seinem Nachruf aus dem Jahr 1960, dass es gerade die »Themen Leben, Leiden, Tod«416 waren, die Stange aus der großen Fülle dogmatischer Loci beschäftigten. Hier wird, das sei nur nebenbei bemerkt, nicht auf das Thema Ganztod angespielt, obwohl wir in den 1950er Jahren schon in einer Phase sind, in der dieser Begriff in Gebrauch zu sein scheint. Die beiden zitierten Aussagen über Stanges Eschatologie leiten in der Tat schon über zur Darstellung der thanatologischen Gedanken Stanges. Seine Thanatologie ist zum einen, und wohl auch zuerst, von einem negativen Impetus geprägt, nämlich dem Abwehren oder auch Zurückdrängen der Unsterblichkeitslehre, die er, wie schon Schlatter, als ein Erbe des griechischen Denkens und damit als unchristlich abtut. Gerade das wird maßgeblich zu seiner Rolle als einer der Väter der Ganztodtheorie beigetragen haben. Schon die Namen seiner Veröffentlichungen zur Eschatologie zeigen dieses Bestre­ ben einer Dekonstruktion des Unsterblichkeitsdenkens.417 Woher dieser Impuls, das griechische Denken abzulehnen, kommt, wird indes in den rein eschatologi­ schen Schriften nicht so sehr deutlich. Hierzu muss vor allem die Dogmatik Stanges herangezogen werden. Da es sich hierbei jedoch um einen abwehrenden Gedanken handelt, werde ich seinen Details im Folgenden keine größere Bedeutung zumessen. Für das Verständnis von Stanges eigener, entwickelter Thanatologie ist seine detail­ reiche und meist anhand von ausufernden Lutherexegesen entwickelte Ablehnung der Unsterblichkeit der Seele nicht weiter wichtig. Es reicht zu wissen, dass er diese ablehnt, weil sie für ihn unchristlich ist – was das für ihn bedeutet, dazu gleich. Das zweite erwähnte Moment seiner Thanatologie ist ein konstruktives Bestreben und richtet sich auf die Herausarbeitung der Bedeutung nicht so sehr der Auferstehungs­ vorstellung, wie Hupfeld es formuliert hat, sondern vielmehr der Idee des Ewigen Lebens, was wiederum bei denjenigen, die ihn zu einem der Väter der Ganztodtheorie gemacht haben, völlig außen vor bleibt. Wobei, das wird sich gleich zeigen, Stanges Methode und Ergebnis in beiden Zielen höchst unterschiedliche sind, ja man könnte vielleicht formulieren, sich sogar diametral gegenüberstehen. Während er zur Dekonstruktion der Unsterblichkeitsvorstellung philosophisch argumentiert und auch naturwissenschaftliche Argumente in Bezug auf die leib-see­ lische Einheit des Menschen zur Geltung bringt, um die Idee der Unsterblichkeit als sowohl naturwissenschaftlich als auch philosophisch als auch theologisch falsch zu überführen, argumentiert er bei der Konstruktion der Idee des Ewigen Lebens ledig­ lich theologisch und zwar in einer Weise, die sich als verkündigend oder behaup­ tend und viel weniger argumentierend beschreiben lässt. Um den Hintergrund 415

  Hupfeld, Stange, Sp. 173.   Hermann, Stange, Sp. 243. 417   Vgl. z. B. C. Stange, »Die geradezu lächerliche Torheit der päpstlichen Theologie.« Zu Luthers Urteil über die Seelenlehre des 5. Laterankonzils, in: Zeitschrift für Systematische Theolo­ gie 10, 1933, 301 – 369. 416

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dieser unterschiedlichen Ansätze aufzuklären, müssen die Gedanken aus Stanges Religionsphilosophie herangezogen werden. Neben diesen beiden Momenten ist ein Verständnis von besonders zwei grundlegenden Begriffen nötig, die jeweils zen­ trale Stellungen in Stanges Thanatologie einnehmen, sich aber wiederrum aus den Schriften zum Tod allein nicht klar ergeben. Diese beiden sind: Wille und Irrationalität. Mit Hilfe seines Willens- und Irrationalitätsbegriffs wiederum ergibt sich sein Religionsverständnis, das grundlegend für alles Weitere mitgedacht werden muss. Allerdings weisen diese beiden hochkomplexen Begriffe auch schon auf ein Problem hin. Sowohl Stanges Wille als auch seine Irrationalität bleiben vielfach undeutlich ausgemalt bzw. deren theoretische Durchdringung hinterlässt Leerstellen, die das Interpretieren des Todesverständnisses schwer machen. Nichtsdestotrotz werde ich im Folgenden versuchen, Stanges Thanatologie so stimmig wie möglich darzustellen. Und noch eines: Stanges Insistieren auf das Moment des Irrationalen verweist uns wie Schlatters Konzepte des Gedankens und des Willens (vgl. 2.4.1.4) wieder in den Bereich, der auch bei Hei­deg­ger zentral sein wird: Wie lässt sich der vermeintlich dunkle Ursprung von Denken, Glauben, Fühlen, Wollen etc. mit in die Beschreibung einbeziehen, obwohl hier, wie Schlatter es geschrieben hatte, die Bereiche Thema werden, die sich nicht in Worte fassen lassen. Es ist der Bereich, den Hei­deg­ger das Vorthematische nennt und prominent in seine Hermeneutik mit einbeziehen wird. Wie dieser Bereich Thema werden kann, wird jedoch, soviel sei hier bereits gesagt, bei Stange nicht deutlich. Wir müssen erst unseren Durchgang durch Hei­deg­gers ›Sein und Zeit‹ ergänzen, um sinnvoll über diesen Bereich und seine Bedeutung für die Thanatologie sprechen zu können (vgl. 3.4 u. 4.). 2.4.2.2  Wille und Irrationalität: Zu Carl Stanges Verständnis von Religion Für Stange gilt zunächst einmal, dass die Religion von allen übrigen Vorgängen des menschlichen Geisteslebens sich wesentlich unterscheidet. Sie ist für ihn eine in jeder Beziehung eigenartige und besondere Erscheinung.418 Greifbar wird die Religion in Form der »religiösen Erfahrung«, die daher der Gegenstand ist, den die Religionsphilosophie zu untersuchen habe. Nun sei religiöse Erfahrung jedoch etwas, was nicht gleichzusetzen sei mit anderer Erfahrung und daher auch nicht wie andere Erfahrung, die er speziell als »sinnliche« Erfahrung kennzeichnet, logisch erfasst oder erklärt werden könne. Vielmehr gilt für ihn: »Wenn also die Religion als Erfahrung begriffen werden soll, so wird man dabei den Begriff der Erfahrung in seinem weiteren Sinn in Anspruch nehmen müssen, so daß er nun nicht mehr eine bestimmte Bedingung des Erkennens, sondern einen jenseits des Erkennens liegen­ den Tatbestand bezeichnet.«419 Stange postuliert, dass Religion mit den Begriffen der Kant’schen Erkenntnistheorie nicht eingefangen werden könne. Das liege daran, dass 418

 Vgl. Stange, Religion, 13 ff.   AaO., 49.

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diese sich eben maßgeblich auf das theoretische Erfassen der Wirklichkeit (für ihn: Erkennen) beziehe, während Religion in den Bereich der »praktischen Erfahrung« gehöre, die sich theoretisch niemals ganz fassen lasse.420 Inwiefern seine Aufnahme Kants hier sinnvoll ist, muss wohl in Frage gestellt werden, ist es doch gerade eine der Pointen bei Kant, dass Religion im Bereich der Praktischen Vernunft ihren Ort hat. Da es mir hier jedoch um Stanges Konzept geht, muss diese Frage außer Acht bleiben. Stange nimmt an, erst wenn die Religion als praktische Erfahrung verstan­ den werde, könne sie erfasst werden. Stange schreibt: »Religiöse Vorstellung entsteht aus dem unmittelbaren Eindruck der Wirklichkeit [. . .]. Reflexion und Abstraktion sind der Tod der Religion.«421 Das heißt, nicht theoretische Überlegungen führten zu dem Inhalt dieser Vorstellung, sondern die praktische Erfahrung. Praktische Erfah­ rung jedoch sei von Irrationalität geprägt und genau hier setze die Religion ein: »Das Irrationale ist ebenso gut ein Moment der Wirklichkeit wie das Rationale. Indem wir die rationale Deutung der Welt erstreben, kommen wir zur Wissenschaft. Indem wir das Irrationale auf uns wirken lassen, öffnet sich uns der Weg zur Religion.«422 Religion beginnt für Stange, diesen Überlegungen folgend mit der »Andacht«, die für ihn »Entschluß des Willens« ist, sich »dem Einfluß zu entziehen, den die bunte Mannigfaltigkeit der Erscheinungswelt auf uns ausübt, und das in allem einzelnen Geschehen verborgene Geheimnis der Wirklichkeit zu erleben.«423 Es ist interessant, dass Stange hier die Andacht als Entschluss fasst und ihr damit vermeintlich einen aktiven Teil des Menschen zuspricht, dabei könnte Andacht, wie es Stimmungs­ theoretiker wie Bollnow im Anschluss an Hei­deg­gers Idee des Gestimmtseins des Daseins tun, ebenso als eine bestimmte Stimmung verstanden werden, in die zu kommen dem Menschen zunächst einmal unverfügbar ist.424 Stanges Bezugnahme auf den Entschluss passt zusammen mit seiner Behand­ lung der Frage, warum denn nun ein Mensch religiös wird und ein anderer nicht. Hierzu schreibt Stange: »Ob sie [die Religion, KS] aber lebendig wird und in wel­ chem Maße das geschieht, das hängt davon ab, ob und in welchem Maß der Mensch selbst lebendig und nicht bloß Echo fremder Gedanken und Empfindungen ist.«425 Diese Zuspitzung des Willens auf eine aktive Rolle des Menschen wäre jedoch ein Missverständnis, das wird sich gleich zeigen, indem Stanges hier zentral im Hin­ tergrund stehender Begriff des Willens näher gefasst wird. Es soll aber zunächst an dieser Stelle noch einmal auf die Problematik des Irrationalitätsbegriffs hingewie­ sen werden. In Stanges Konzept scheint es eine Entsprechung zwischen den beiden Bereichen praktisch-theoretisch und irrational-rational zu geben, was auch seine merkwürdig anmutenden Kant-Aufnahme erklären könnte. Für ihn ist praktische 420

  Vgl. aaO., 51 f.   AaO., 52. 422   AaO., 53. 423  Ebd. 424  Vgl. O. F. Bollnow, Das Wesen der Stimmungen, 81995, 50 ff. 425   Stange, Religion, 52. 421

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Erfahrung immer geprägt von Irrationalität. Es bleibt jedoch letztlich offen, was er damit meint. Denn er kann diese Erfahrung ja durchaus beschreiben und erfassen, was wohl in den Bereich des Rationalen zu fallen hätte. Und es gibt in seinem System ja auch eine rationale Welterkenntnis, die der Wissenschaft zugeordnet wird. Für Stange richtet sich diese aber immer nur auf Teilbereiche des Lebens. Seine Pointe liegt wohl also darin, dass der Bereich von Lebenserfahrung im Ganzen nicht aufgeht. Das bedeutet für ihn: Versucht ein Mensch die unterschiedlichsten Erfahrungen, die er macht, in einen kohärenten Zusammenhang zu bekommen, wird er scheitern. Leben und Schicksal ist immer mehr als sich beschreiben lässt. Hier kommt Religion ins Spiel. Das ist es wohl, was Stange unter dem Begriffspaar praktisch-irrational zu verstehen scheint. In der oben schon erwähnten Beschreibung von ›de servo arbitrio‹ als Stanges favorisierte Lutherschrift liegt schon ein Hinweis auf die Näherfassung dessen, was Stange als Wille versteht.426 Doch zuvor soll noch einmal die durchaus besondere Gewichtung des Irrationalen in Stanges Religionsbegriff betont werden.427 In der Religion komme es nämlich nicht nur dazu, die irrationale Seite der Wirklichkeit zu erkennen, sondern dieser werde auch eine höhere Bedeutung zugemessen als der rationalen. Wer den Verstand für den ausschlaggebenden Faktor im Bewusstsein halte, der werde sich dem Rationalen zuwenden, wer aber den Willen als den aus­ schlaggebenden Faktor anerkenne, der werde dem Irrationalen den Vorzug geben. Im ersten Fall werde, wie oben schon angedeutet, die Weltsicht von der Wissenschaft geprägt, im zweiten von der Religion. Welche Seite sich durchsetze, schreibt Stange, hänge davon ab, »ob der Anteil unseres Willens am Erleben groß genug ist, um sich bei der Bildung unseres Urteils über die Welt zur Geltung zu bringen.«428 Wenn nun das Irrationale über das Rationale gestellt werde, werde die Andacht zur Ehrfurcht, die anerkennt, dass der »letzte Sinn der Wirklichkeit« im »Irrationalen und nicht im Rationalen« liege und daher von dort »die abschließende Deutung des Daseins« zu erwarten sei.429 Hier kann nun schon ein Vorblick auf die engere Thanatologie gewagt werden: Wenn die Thanatologie Teil eines religiösen Weltanschauens ist, dann ist sie für Stange damit Teil einer Sicht auf die Welt, die anerkennt, dass das Irrationale der ent­ scheidende Faktor beim Verstehen des Todes, oder, in diesem Fall vielleicht besser, beim Reden über den Tod ist. Rationale Argumente, wie sie etwa die philosophische 426

  Vgl. aus der sehr reichen Literatur zu dieser Lutherschrift: H. J. MacSorley, Luthers Lehre vom unfreien Willen. Nach seiner Hauptschrift De Servo Arbitrio im Lichte der biblischen und kirchlichen Tradition, 1967, bes. 274 – 333 oder neuer: T. Reinhuber, Kämpfender Glaube. Studien zu Luthers Bekenntnis am Ende von De servo arbitrio, 2013. 427   Hier wäre sicherlich interessant zu untersuchen, inwiefern Stange von Ottos zwei Jahre zuvor erschienen Jahrhundertbuch beeinflusst war. Vgl. R. Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, 1917. 428   Stange, Religion, 56. 429  Ebd.

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Tradition bei der Behandlung der Frage nach der Unsterblichkeit der Seele immer wieder in Anschlag gebracht hat und die spätestens in der apologetischen Theologie der alten Kirche in die christliche Theologie Einzug erhalten hätten, könnten dann nicht als ausschlaggebend anerkannt werden. Darauf ist gleich noch einzugehen. Zunächst aber gilt es nun, näherzufassen, was Stange unter Wille versteht. Der Wille ist für Stange »der Vorgang«, in dem der Mensch die sinnlichen Wahrnehmungen (»die Dinge als Gegenstand der äußeren Anschauung«) mit den »inneren Anschau­ ungen« in eins setzt. Er schreibt: »Die von uns unmittelbar erlebte Wirklichkeit ist immer beides zugleich, innere und äußere Anschauung.« Vor diesen Zustand, in dem beides schon vereint wahrgenommen wird, könne auch die theoretische Erfas­ sung nicht zurück. Nun sei der Wille »der Vorgang [. . .], in dem diese Doppelart unseres Wesens« erlebt werde.430 Und noch einmal in einem längeren Zitat: Der Wille ist die Brücke von der Welt der inneren Anschauung zur Welt der äußeren Anschau­ ung und umgekehrt. Er ist ebenso wenig ohne das Bewußtsein des Ich wie ohne äußere Wir­ kung denkbar. Jeder einzelne Akt des Willens ist die Übertragung eines psychischen Vorgangs ins körperliche. Der Wille ist dementsprechend der Zustand unseres Bewußtseins, indem beide Gebiete, das der inneren und das der äußeren Anschauung, zu einer Einheit verbunden sind.431

Wichtiger als die Durchklärung jeder einzelnen Schicht seiner Bewusstseinstheo­ rie, deren Stichhaltigkeit an einigen Stellen wohl, die wenigen Anmerkungen oben haben schon darauf hingewiesen, in Frage zu stellen wäre, ist es nun, zu verstehen, dass der Wille für Stange als derjenige Teil des menschlichen Bewusstseins gilt, der eben noch vor dem logischen im Sinne von reflexivem Denken liegt. Er ist so etwas wie der unmittelbare Weltumgang des Menschen. Wir befinden uns also wieder im Bereich des, um es in Hei­deg­gersprache zu übersetzen, Vortheoretischen. Aber, und damit nehme ich das oben zur Freiheit des Willens Gesagte wieder auf, der Wille ist für ihn damit gerade nichts, was in der Hand des Menschen liegt. Im Gegenteil ver­ steht er den Willen gerade als die präreflexive Schicht des Bewusstseins, die »prakti­ sche Größe«, die das Erleben der Wirklichkeit bedingt und noch vor dem »Erkennen der Wirklichkeit«, das für Stange erst mit dem logischen Denken einsetzt, liegt.432 Natürlich beginnt die spannende Arbeit an so einer Stelle eigentlich erst. Es müsste ja nun gefragt werden, wie dieser Wille denn nun beschrieben werden kann bzw. zustande kommt. Das bleibt uns Stange allerdings schuldig. All das rückgebunden an die Ausgangsfrage nach der religiösen Erfahrung bedeutet: Die Religion ist für Stange das sich-Einlassen auf die unmittelbare, in Stan­ ges Terminologie, irrationale Wirklichkeit, die sich dem Menschen erschließt, bevor mit dem logischen, reflexiven Denken alles in letztlich künstliche, rationale For­ men gebracht wird. Religion steht für ihn »über« der rationalen Weltsicht. Die aktive 430

  AaO., 50 f.  Ebd. 432   AaO., 51. 431

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Rolle des Menschen bleibt dabei in gewisser Hinsicht unklar. Sie könnte darin beste­ hen, sich vom logischen Welterkennen abzuwenden oder zumindest nicht ganz in Beschlag nehmen zu lassen oder aber im aktiven Festhalten an der vorlogischen Welterfahrung, oder sie wäre ganz ausgeschaltet und es bliebe im Unverfügbaren, ob ein Mensch nun dem logischen Welterkennen die höhere Bedeutung gibt oder der irrationalen Schicht der religiösen Welterfahrung. Das unbenommen sollte klar geworden sein, dass diese religionsphilosophische Grundlegung seines Denkens zen­ tral für das Verständnis der Thanatologie Stanges ist. Nimmt man nun noch Aussa­ gen aus Stanges ›Dogmatik‹ hinzu, kann man ergänzen, dass diese Veränderung im Menschen, also ob er religiös ist oder nicht, für Stange durch die Offenbarung ausge­ löst wird. So schreibt er hier: »Die Offenbarung bricht in den Zusammenhang unse­ res Erkennens herein [. . .]. Die Offenbarung schafft in der Umwandlung des Willens einen ganz neuen Maßstab aller Werte, dessen durch und durch positive Bestimmt­ heit man nur so lange bestreiten kann, als man jene Umwandlung des Willens nicht kennt.«433 Die Offenbarung wirke also den Glauben und zwar den Glauben, dass das dem Menschen gegebene Leben, das als unvollkommen wahrgenommen wird, voll­ kommen werden kann, neugeschöpft werden müsse. Glaube wiederum ist für Stange eine besondere Form der Gewissheit, die mit keiner anderen Gewissheit verglichen werden dürfe. Offenbarung und Glaube hängen für ihn untrennbar zusammen. Er schreibt: »Das den Glaubenden begründende Moment ist die Gewißheit der Offen­ barung, und umgekehrt: der Sinn, die Bedeutung und das Wesen der Offenbarung wird allein an den einzelnen Aussagen des Glaubens greifbar und verständlich.«434 Alle diese Bereiche also könnten wissenschaftlich beschrieben werden, aber niemals deren Geltung wissenschaftlich herbeigeführt. Das liege im eigentümlichen Cha­ rakter von Religion bzw. Offenbarung bzw. Glaube. Daher könne die Dogmatik als Wissenschaft nur eine Aufgabe haben: Sie müsse die Eigenart des Glaubenslebens feststellen, d. h. die bestimmte, nämlich von offenbarungsgemäßen Glaubensaussa­ gen bestimmte Art des geschichtlichen Lebens von anderen Arten des geschichtli­ chen Lebens abgrenzen. Für die Thanatologie hat das die Konsequenz, dass Stange stets darauf insistiert, dass ein christliches Verständnis des Todes nicht in eins fal­ len dürfe mit einem anderen nicht-christlichen Verständnis des Todes, und dass die Glaubensaussagen über den Tod, die Stange in seiner dogmatischen Thanatologie darstellt, ihre Wahrheitsfähigkeit nicht im Forum der Wissenschaften auszuweisen haben, sondern nur in Bezug auf ihre Offenbarungsgemäßheit.435

433

  Stange, Religion, 123.   AaO., 124. 435   Vgl. aaO., 126 f. 434

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2.4.2.3  Ewigkeit als Qualität des Lebens: die Kerngedanken der Thanatologie Carl Stanges Für Stange steht der Begriff des Ewigen im Zentrum jeder Eschatologie und damit auch im Zentrum seiner eschatologischen Todesdeutung. Dabei ist es ihm beson­ ders wichtig, dass das Ewige eben spezifisch christlich gedeutet werden muss. Wo die Wurzeln dieses Beharrens auf das spezifisch Christliche herrühren, das haben wir gerade gesehen. Um herzuleiten, wie man ein spezifisch christliches Verständnis des Ewigen erlangen könne, geht Stange ausführlich auf die Ausführungen von Karl Heim ein, der für ihn einerseits Richtiges gefunden hat und andererseits dennoch nicht weit genug gegangen sei. Der richtige Ansatz bei Heim bestehe darin, dass er den Inhalt der Glaubensaussagen über die Ewigkeit, die bei Heim Aussagen über das Jenseits sind, ausschließlich aus der Bibel gewinnen wolle. Das liege daran, dass es keinen Zugang zum Ewigen, Jenseitigen mit den wissenschaftlichen Methoden etwa der Geschichts- oder Naturwissenschaft geben könne. Auch hier wissen wir nun schon, dass Stange die Religion für den Bereich des Irrationalen zuständig erachtet (für eine Problematisierung dessen vgl. 2.4.2.2). Das Ewige ist für ihn ganz eindeutig diesem Bereich der Wirklichkeit zuzuordnen. Rational sei es nicht fassbar.436 Glau­ bensaussagen über das Ewige können also für Stange nur anhand der biblischen Offenbarung gebildet werden. Lasse man nun die Bibel sprechen, dann komme man zum Schluss, dass das Jenseits »mit Gott, mit dem Gefühl der Verantwortung gegen Gott« verbunden werde, so paraphrasiert Stange Heim, man könne »im Christentum den Gedanken an die Ewigkeit nicht loslösen von der Verantwortung gegen Gott.«437 Diese »Brücke zum Jenseitsglauben« über das Gewissen bei Heim erachtet Stange als »unbedingt wertvoll und zutreffend«, allerdings fehle immer noch das spezifisch Christliche, denn das Gewissen sei nichts spezifisch Christliches, sondern finde sich auch bei anderen Religionen und außerhalb der Religion. Stange resümiert also: »Mit einer Begründung des Jenseitsglaubens auf das Christentum haben wir es nur dann zu tun, wenn der Jenseitsglaube nicht auf irgend etwas allgemein Menschli­ ches, sondern auf das eigentümlich Christliche, auf die Person Christi, gegründet wird.«438 Diese Deutung der Ewigkeit findet Stange bei Luther. Luther aber meine mit Ewigkeit nicht die Zeit nach dem Tode, sondern er verstehe darunter eine bestimmte Qualität des Lebens. Ewig sei also ein Lebenszustand und nicht die Angabe einer Zeitdauer.439 Dass Stange damit Heims Gleichsetzung von Ewigkeitsdenken und Jen­ seitsdenken widerspricht, sagt er nicht explizit. Es wird jedoch auch so deutlich. Für Stange hat die Ewigkeit nicht primär etwas mit dem Leben nach dem Tod zu tun. 436  Vgl. C. Stange, Das Ende aller Dinge. Die christliche Hoffnung, ihr Grund und ihr Ziel, 1930, 63 – 67. 437   AaO., 68. 438   AaO., 73. 439   Vgl. ebd.

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Luther, dem Stange sich hier verbunden fühlt, habe seine Ewigkeitsdefinition anhand des Kreuzestodes Jesu entwickelt und sei dabei im Sprachgebrauch des Neuen Testa­ ments verblieben, das zeige sich etwa an Petrus, der in Joh. 6,68 sage: »Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.« Petrus habe hier gemeint, dass Jesu Worte deswegen ewige Worte sind, weil sie »in jedem einzelnen Augenblick in ihrem Inhalt als Träger des ewigen Lebens erkannt werden können.«440 Schriftgemäß und Luthergemäß sei es, das christliche Verständnis des Ewigen so wieder zu geben, dass »damit die Anschauung« wiedergegeben wird, »die wir von der Eigentümlich­ keit der Person und des Lebens Jesu haben.«441 Was Ewigkeit bedeutet, kann für Stange nur anhand des Lebens Jesu offenbar werden. Das führt ihn dazu, das Ewige in radikalem Gegensatz zum Zeitlichen zu verstehen, weil Jesu Leben das radikal andere zu allem zeitlichen Leben sonst gewesen sei. Das Zeitliche sei etwas von die­ ser Welt, aber das Ewige eben müsse im radikalen Gegensatz zu dieser Welt stehen. Ewigkeit habe also nichts mit Zeit zu tun. Stange möchte das Ewige also nicht als eine Qualität verstanden wissen, die in Zusammenhang zu den Qualitäten dieser Welt steht. Er versteht das Ewige als radikal anders, als den absoluten Gegensatz zu dieser Welt. Aber, das ist seine christologische Pointe, für ihn ist dieses ganz-Andere, das radikal dieser Welt Gegenüberstehende schon in die Welt gekommen und zwar in der Person Jesu, zu der wir durch die biblischen Zeugnisse einen Zugang haben. Stange verfährt hier äquivalent zu seinem oben beschriebenen Konzept von Dog­ matik. Der Inhalt der dogmatischen Glaubenssätze lasse sich nur anhand der Offen­ barung ausführen und müsse sich auch nur an dieser messen lassen. Damit ist aller vermeintlichen Kritik, dass so eine Beschreibung des Ewigen keiner wissenschaftli­ chen Überprüfung standhalte, bereits der Wind aus den Segeln genommen. Somit muss nach Stange das Ewige immer im Verhältnis zu Jesus verstanden werden, bzw. durch Jesus hindurch zu verstehen gesucht werden. Sein Leben und besonders das Geschehen am Kreuz seien der Weg zum spezifisch christlichen Verständnis von Ewigkeit und damit auch von Tod. In einer Gegenüberstellung des Lebens Jesu zu allem übrigen Leben lasse sich so das Ewige umschreiben. Während alles Leben sonst vergänglich sei, sei Jesu Leben durch die Auferstehung gekennzeichnet, wäh­ rend alles Leben sonst in Sünde sei, sei Jesu Leben ganz vom Gehorsam gegenüber Gott geprägt gewesen, während alles Leben sonst unter der Gottverlassenheit gelit­ ten habe, sei Jesu Leben ganz von der Liebe zu Gott geprägt gewesen.442 Um zu zeigen, was das alles für den Tod des Menschen bedeutet, nimmt Stange nun Luthers Auslegung des 90. Psalms hinzu. An Luthers Psalmauslegung und eben auch am Leben Jesu lasse sich sehen, dass es gerade die Hochschätzung des eigenen Lebens und die Verharmlosung des Todes sei, die letztlich den Tod wirke. Jesu habe 440

  AaO., 76.  Ebd. 442   Vgl. aaO., 80. Inwiefern Jesu Schrei am Kreuz (Mein Gott, warum hast du mich verlassen?) in dieses Bild passt, lässt Stange offen, wenn er auch betont, dass vor dem Kreuzestod das »irdischmenschliche« noch einen deutlichen Anteil an Jesu Leben gehabt habe. 441

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den Tod nicht verharmlost, er habe ihn gefürchtet und dennoch angenommen. Der Christ müsse nun auch den Tod als schreckliches, aber eben verdientes Ende seines Lebens anerkennen. Nur so könne er in die Ewigkeit gelangen. »Wenn man in dem Leben der Welt den Tod sieht, dann ist man im Leben. Wenn man diese Welt des Todes für das Leben hält, so ist man im Tode.«443 Und noch mal, hier an Schlatter erinnernd: »Erst wenn wir dies wissen, daß auch der Tod von Gott ist, sind wir in der Lage, den rechten Helfer aus dem Tode zu suchen und zu finden, nämlich Gott. Gott tötet und macht lebendig.« Und trotz dieser radikalen Anerkenntnis der Verdient­ heit und des Kommens des eigenen Todes könne man auf ein Leben nach dem Tode hoffen, denn die Psalmworte: »Der du die Menschen lässest sterben und sprichst, kommt wieder Menschenkinder« wiesen darauf hin, dass nach dem Sterben eben wieder Leben komme.444 Allerdings sei dieses Ewige Leben eines, das keinen Zusam­ menhang mit der Zeit habe. Und das, was ganz der Zeit verschieden ist und dennoch in der Zeit, in der Form Jesu wirke, das sei eben Gott selbst. Insofern ist das ewige Leben, auf das die Schrift dem Menschen zu hoffen eröffne, nichts anderes als Gott selbst. Diese Aussagen in Stanges eigenen Worten hier noch einmal in einem länge­ ren Zitat, das in erheblichem Maße an das erinnert, was wir schon von Karl Barth und Eberhard Jüngel gelesen haben, was durchaus überraschend sein sollte: Es gibt also ein jenseits des Todes, nämlich Gott. Das ewige Leben ist Gott. Wenn Jesus alles, auch den Tod, als Gottes Werk hinnimmt, so bedeutet das, daß für ihn sein Glaube, seine innere Überzeugung, sein inneres Leben stärker ist als der Eindruck, den die Sinne aufneh­ men, stärker ist als das äußere Leben. In dem Verhalten Jesu gegenüber dem Tode kommt zum Ausdruck die Überordnung des inneren Lebens über das äußere Leben. Die Überordnung des inneren Lebens über das äußere Leben, darin besteht alles was an Jesu Leben neu und ver­ schieden von unserem Leben ist.445

Die Bedeutung dieses Zitats lässt sich nur anhand des oben zu Stanges Denkvoraus­ setzungen Gesagten ermessen. Das innere Leben, so hatten wir analysiert, ist für ihn der Gegenbegriff zu den sinnlichen Erfahrungen, beides wird für Stange im Willen vereint. Das innere Leben sei für den Menschen, der nicht Jesus ist, nicht über das äußere zu stellen, denn es gibt schlicht keinen Zugriff auf das, was vor der im Willen geschehenden Synthese aus sinnlicher und innerer Anschauung im Menschen sei, aber genau das will Gott vom Menschen. Und genau in dieser Anerkenntnis, dass dies nicht möglich ist für den Menschen, dass dies nur möglich ist für Gott, so die Dialektik Stanges, genau darin nun erscheint die Möglichkeit, das Innere vor das Äußere zu stellen und damit das ewige Leben zu haben: »das Leben ist ewig, wenn das Innere das Äußere schafft.«446 Jesus, der das Innere vor das Äußere gestellt habe, habe so mit Glauben in den schrecklichen Tod gehen können. Das innere vor das 443

  AaO., 86.   AaO., 86. Stange befindet sich hier die ganze Zeit im Lutherreferat. Allerdings affirmiert er Luthers Denken völlig. 445   AaO., 88. 446   AaO., 89. 444

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äußere Leben stellen hieße, zum Tod ohne wenn und aber ja zu sagen. Und: »Wer zum Tode ja sagt, ist von ihm frei.«447 Frei allerdings nicht im Sinne, dass er dann nicht mehr sterben werde, aber frei im Sinne davon, dass so das Ewige Leben auf­ scheine. Nochmal Stange: »Das ewige Leben besteht in der Erkenntnis Gottes, [. . .] das ewige Leben [ist] Gottes Leben«, und der Zugang zur Ewigkeit erfolge eben nur durch die Person Christi.448 Das Ewige Leben ist für Stange also reiner Glaube, reine Gottesbeziehung, so wie sie Jesus hatte.449 Damit ist das Ewige Leben für den Men­ schen zwar in seinem irdischen Leben nicht gänzlich erreichbar, aber immerhin für Augenblicke, denn in solchen könne auch der Mensch die Ewigkeit erfahren. So ist für Stange in dem Begriff des Ewigen Lebens »nicht bloß die Vorstellung von Dauer, sondern auch die Vorstellung von Tiefe des Lebens« enthalten, das Ewige Leben sei die »höchste Steigerung des inneren Gehaltes des Lebens.«450 Ganz könne der Mensch das ewige Leben allerdings erst nach seinem Tod haben und zwar durch eine Verwandlung, die Auferstehung. So kann er auch formulieren, der Tod sei »Über­ gang des Einzelnen aus der Geschichte in die Ewigkeit«,451 und diese Ewigkeit errei­ che der Mensch durch ein »Machtwort Gottes«. Somit kann der Tod, und das ist die am ehesten an eine sog. Ganztodtheorie heranreichende Formulierung bei Stange, die aber, wie gleich zu sehen, auch schon aufgefangen wird, verstanden werden im Sinne von: »Im Tode stirbt der ganze Mensch, also nicht bloß der Leib, und in der Auferstehung wird der ganze Mensch lebendig, und nicht bloß der Leib.«452 Die Auferstehung allerdings steht für Stange nicht im Fokus, ja sie wird nicht weiter aus­ geführt. Vielmehr betont er zum Schluss seiner Abhandlung über das Ewige und den Tod noch einmal: »Und zwar haben wir die Vorstellung, daß sich das ewige Leben von allem, was wir sonst Leben nennen, durch seine Innerlichkeit und Tiefe unter­ scheidet. Es ist in höchsten Sinne des Wortes das wahre Leben, demgegenüber alles übrige Leben zum Schein wird.«453 2.4.2.4  Carl Stanges Thanatologie: Offenbarungspositivismus und Bewusstseinstheologie Es dürfte klar geworden sein, dass Carl Stanges Thanatologie weit komplexer ist als es die üblichen Einordnungen in eine Reihe mit anderen Vertretern der sog. Ganztodtheorie vermuten lassen. Dennoch ist seine Thanatologie wohl von allen bisher 447

 Ebd.  Ebd. 449   AaO., 89. Hier ist bei Stange, der in allen Werken eine große Schleiermacher-Verehrung durchscheinen lässt, sicher ein Bezug zu Schleiermachers Glaubenslehre zu sehen. Vgl. für Stanges Schleiermacher-Verehrung bspw. Stange, Religion, 153 ff. 450   Stange, Ende, 90. 451   Er definiert Geschichte hier: »Geschichte ist zeitliches Geschehen als sinnvoller Zusammen­ hang.« AaO., 104. 452   AaO., 122. 453   AaO., 96. 448

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dargestellten am ehesten zu einer solchen Rubrizierung passend, wenn das auch nur mit den genannten Einschränkungen gilt. Erst ein tieferer Blick in seine theologi­ schen Denkvoraussetzungen ermöglichte ein Verständnis seiner thanatologischen Aussagen. Ich möchte nun noch drei sich als maßgeblich herausgestellt habende Punkte betonen. Zunächst: Durch die grundlegenden Aussagen in Stanges Religionsphilosophie lässt sich einer naiven Einordnung seiner offenbarungspositivistischen Aussagen entgegentreten. Zwar entwickelt er seine Bestimmung des Ewigen und damit der Bedeutung des Todes ausschließlich anhand von biblischen Aussagen, jedoch hat er in seiner Religionsphilosophie, die oben angezeigten Probleme beiseitelassend, gezeigt, dass die Gewissheit des Glaubens, um deren Ausmalung es ihm dann ja geht, für ihn eben eine ist, die sich unverfügbar einfach einstellt. Und auch in wel­ cher Weise sie sich einstellt, liegt nicht im Bereich des menschlich bestimmbaren. So kann Stange so verstanden werden, dass für ihn die absolut geltende Hochschätzung des Christentums und damit des christlichen Verständnisses von Tod sich nur für den behaupten lässt und auch nur dem erschließbar ist, der selbst in der Gewissheit des christlichen Glaubens lebt. Die Offenbarung bekommt, so die Bestimmung der hier grundlegenden zirkulären hermeneutischen Figur, nur für den absolute Lebens­ deutekraft, den sie erreicht hat. In der Konsequenz bedeutet das, dass das Leben eines Menschen, der glaubt, ein anderes ist als das eines Menschen, der nicht glaubt. Daher ist eben auch der Tod des einen nicht mit dem Tod des anderen zu verglei­ chen. Für den Christen gilt der Tod etwas anderes als für den Nicht-Christen. Dass Stange hier 1919 bereits in gewisser Weise den Weg ebnet, in den die hermeneuti­ sche Theologie nach 1945 gehen wird, sei nur am Rande bemerkt. Und gleichzeitig tauchen hier natürlich auch schon die vielfältigen Probleme, die mit einem solchen Vorgehen einhergehen, auf. Die Offenbarung wird zur maßgeblichen hermeneuti­ schen Instanz der Wirklichkeit des Gläubigen, aber eben auch nur des Gläubigen. Dieser Vorverweis auf die Theologie nach 1945 bringt mich dann auch zum ­Zweiten: In Stanges Thanatologie lassen sich vielfältige Hinweise ausmachen, die in den späteren, hier schon besprochenen theologischen Beschäftigungen mit dem Tod wieder vorkommen. So findet sich bei ihm die Aburteilung der unchristlichen Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, wie sie in den Ganztod-Debatten der dritten Welle immer wieder durchgeführt wird, die aber auch bei den Vertretern der zweiten Welle eine maßgebliche Rolle gespielt hat. Außerdem betont er, wie Schlatter, die Schreck­ lichkeit des Todes und will unbedingt vermeiden den Tod zu verharmlosen. Auch dieses Moment findet sich in den Wellen zwei und drei immer wieder. Dann redet er davon, dass der Mensch »ganz stirbt«, was sicher maßgeblich zur Begriffsbildung der sog. Ganztodtheorie beigetragen hat. Gleichzeitig betont er in diesem Zusam­ menhang immer wieder, dass die Auferstehung dem ganzen Tod folgt und zwar in Form einer Neuschöpfung. Dass die Argumente der späteren Kritiker einer solchen Lehre, die dahin gehen, dass Ganztod und Auferstehung nicht kohärent zu denken seien, ihn kaltlassen würden, dürfte nicht noch einmal der Begründung bedürfen.

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Außerdem, und das schien gerade schon auf, präfiguriert er mit seiner Rede davon, dass Gott das Jenseits sei, ein maßgebliche thanatologische Aussage von Karl Barth und Eberhard Jüngel. Zuletzt: Auch die bei Jüngel vorkommende Rede von den zwei Toden findet sich bei Stange vorgebildet, wenn er davon redet, dass der Tod des Gläubigen eben ein ganz anderer ist als der des Ungläubigen. 2.4.3  Paul Althausens Thanatologie Paul Althaus Thanatologie ist sicher eine der bedeutendsten, vielleicht die bedeu­ tendste innerhalb der protestantischen Theologie des 20. Jahrhunderts.454 Sie ist dies zuerst deswegen, weil seine 1922 erschienene Eschatologie, die, das werden wir gleich sehen (vgl. 2.4.3.1), maßgeblich um das Thema Tod herum aufgebaut ist, ein großer publizistischer Erfolg war. Bereits 1924 erschien die zweite unveränderte Auf­ lage. Es folgten eine dritte, völlig überarbeitete 1926, eine vierte, wiederrum überar­ beitete 1933, und eine fünfte, leicht überarbeitete Auflage 1948. Diese fünfte Auflage erschien dann wiederum unverändert, bis 1970 die zehnte und bisher letzte Auflage erschien.455 Diese Publikationsgeschichte zeigt, dass Althaus’ Buch über 50 Jahre hinweg maßgeblich auf die Theologie eingewirkt hat. Jedoch lässt sich sein Einfluss auch jenseits dieser formalen Bemerkungen nachweisen. So wird seine Ansicht in den Metadiskussionen der dritten Welle immer wieder diskutiert und sein Name als einer der Hauptvertreter der sog. Ganztodtheorie genannt.456 Darüber hinaus ist seine eschatologische Grundunterscheidung in eine axiologische und eine teleologische Eschatologie in den Grundbestand eschatologischen Denkens eingegangen und meines Erachtens bis heute nicht überholt.457 Diese Unterscheidung ist auch unmittelbar bedeutend, um die Thanatologie Paul Althaus’ zu interpretieren und wird daher auf den Tod bezogen noch einmal Thema (vgl. 2.4.3.4).

454   Vgl. auch Mühling, Grundinformation, 27. Er schreibt, dass Althaus’ Buch, das »wohl wichtigste Lehrbuch der Eschatologie im 20. Jh. darstellen dürfte.« Vgl. auch H. Schwarz, Paul Althaus, in: Lutheran Quarterly 25, 2011, 28 – 51, hier 45. Schwarz schreibt: »The eschatology of Paul Althaus with its full treatment of the so-called last things and its extensive discussion with contemporary philosophical and theological scene had no equal in the German language.« Vgl. zu Althaus’ Gesamtwerk und einer sehr gelehrten Einordnung desselben mit Fokus auf die Weimarer Zeit: A. Fischer, Zwischen Zeugnis und Zeitgeist. Die politische Theologie von Paul Althaus in der Weimarer Republik, 2012. Vgl. für die Biographie und eine Einordnung der großen Rolle, die Althaus innerhalb der Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts gespielt hat: Jasper, Althaus. Vgl. auch die Darstellung bei: Beißer, Hoffnung, 175 – 208. Er betont ebenfalls die zentrale Bedeutung der Eschatologie von Paul Althaus. 455   Vgl. für vollständige Bibliographie von Paul Althaus bei A. Fischer, Zeugnis, 712 – 768. 456   Vgl. u. a. Ahlbrecht, Tod, Schmalenberg, Tod, Huxel, Unsterblichkeit. 457  Vgl. Rohls, Theologie, 294 f. Vgl. auch J. Baur, Vermittlung in unversöhnten Zeiten. Zum Gedenken an Paul Althaus 1888 – 1966, in: Kerygma und Dogma 34, 1988, 168 – 192, hier bes. 176 ff. Er betont auch das Unabgegoltene dieser Eschatologie gegen die immer wieder geäußerte Kritik.

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2.4.3.1  Paul Althaus als Thanatologe Wie für Stange ist auch für Althaus die Eschatologie eines der Hauptthemen seines theologischen Lebens gewesen.458 Es lässt sich dies zunächst wieder formal fassen. So war eine seiner ersten größeren, und vor allem die erste erfolgreiche Veröffentli­ chung überhaupt ein Buch über die »Sterbe- und Ewigkeitslieder der evangelischen Kirche«, das unter dem Titel ›Der Friedhof unserer Väter‹ zunächst 1913 als Auf­ satz und ab 1915 als eigenständige Publikation erschien. Der Althauskenner André Fischer nennt es »eine Art angewandte Eschatologie.«459 Wenige Jahre nach dem Beginn seiner akademischen Karriere verfasste Althaus dann die erste Auflage der ›Letzten Dinge‹, deren Publikationsgeschichte schon angedeutet wurde. Allein das viermalige »neuschreiben«,460 wie Althaus selbst es nannte, der Eschatologie über die Jahre hinweg geben dieser Richtung seiner Theologie einen bedeutenden Rang. Über kein anderes Thema hat er so oft ein Buch neu geschrieben. Nun kommt bei Althaus noch hinzu, dass er sich gegen Ende seines Schaffens mit einer wiederum bedeutend gewordenen Einlassung zum Thema Eschatologie zu Wort meldete. Seine ›Retraktationen zur Eschatologie‹, die er als Vortrag auf dem ›Deutschen Evangeli­ schen Theologentag zu Marburg‹ im März 1950 vortrug und die später in der ›Theo­ logischen Literaturzeitung‹ gedruckt wurden, lesen sich wie eine Abrechnung mit dem eigenen eschatologischen Denken und dem eschatologischen Denken der Zeit zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Ende des Zweiten Weltkrieges.461 Ans­ gar Ahlbrecht hatte diesen Vortrag, wie oben bereits erwähnt, als Anlass zur Hoff­ nung genommen, dass sich die evangelischen Theologen wieder der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele annähern würden (vgl. 2.2.10). Diese Lesart des AlthausVortrages, das sei nur am Rande erwähnt, verdeutlicht einmal mehr das fehlende Verständnis Ahlbrechts für die hinter den Sätzen liegenden theologischen Grundge­ danken seiner Gewährsmänner. Althaus gehörte nach seinem Geburtsjahrgang 1888 zur selben Generation wie die im gleichen Jahrzehnt geborenen Barth, Tillich und auch Gogarten, Brunner und Bultmann, die alle Teil des theologischen Aufbruchs nach dem Ersten Weltkrieg waren.462 Dieser Aufbruch wurde von seinen Protagonisten maßgeblich als eschato­ logischer Aufbruch verstanden. Es sei nur noch einmal an Karl Barths aus dem Jahr 1922 und damit aus demselben Jahr wie die erste Auflage der ›Letzten Dinge‹ stam­ mendes Diktum »Christentum, das nicht ganz und gar und restlos Eschatologie ist, hat mit Christus ganz und gar und restlos nichts zu tun«463 erinnert, das sich maß­ 458  Vgl. Baur, Vermittlung, 171 – 178. Baur betont in seinem Durchgang durch die theologi­ schen Grundlinien des Werkes von Paul Althaus zuerst und ausführlich die Eschatologie. 459   Fischer, Zeugnis, 211 Anm. 32. 460   Althaus, Dinge, XIII. 461  Vgl. Althaus, Retraktationen. 462  Vgl. Fischer, Theologie, 9 f. 463   K. Barth, Der Römerbrief, 21922, 300.

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geblich gegen eine Theologie richtete, die sich selbst als in der Geschichte stehend verstand und ihren Gegenstand folgerichtig historisierte.464 Mit Barth, gegen den er Zeit seines theologischen Schaffens anschrieb, verbindet Althaus dieser Impetus eines »neuen Zeitalter[s] der ›letzten Dinge‹«,465 das er in der Einleitung zur ersten Auflage von ›Die letzten Dinge‹ folgendermaßen beschrieben hat: »Daß die letzten Dinge gerade jetzt einer neuen theologischen Bearbeitung bedürfen, ist offenkun­ dig. Wie seit langem nicht, bewegt die Frage nach dem Letzten unser Geschlecht. Das Massensterben im Kriege hat aufs Neue zu dem uralten Problem des Jenseits der Seele gedrängt. [. . .] Neben der Frage nach dem einzelnen hat sich, mit fast noch mächtigerer Gewalt, das Problem des Endes überhaupt neu gemeldet. Unser Geschlecht liebt die Geschichtsphilosophie, und die geschichtsphilosophische Frage nach dem Sinne der Geschichte hat immer eschatologische Tiefe, denn der Sinn ist das letzte.«466 Althaus, der hier im ersten Satz seines ersten eschatologischen Buches den Tod (das Massensterben im Kriege) und die Frage nach dem Jenseits als Anlass für seine Eschatologie nennt, macht gleich hier, ganz zu Beginn seines Arbeitens am Thema, deutlich, dass Eschatologie für ihn maßgeblich auch Thanatologie ist. Gerade anhand der Frage und der Erfahrung der eigenen Endlichkeit und der End­ lichkeit der Nahestehenden werden die eschatologischen Fragen drängend. Dieses Verständnis der maßgeblich thanatologisch geprägten Eschatologie wird auch in sei­ ner späten Wortmeldung, den ›Retraktationen‹ von 1950, deutlich. Hier lautet der erste Satz: »Es handelt sich um die theologische Lehre vom Tode und vom Leben aus dem Tode.« Hier, beim Verständnis des Todes, wollte Althaus in Bezug auf die Eschatologie noch einmal nachjustieren. So dreht sich dieser späte EschatologieVortrag dann auch beinahe ausschließlich um die Frage des Todes. Ich werde zum Abschluss dieses Teils zu Althaus’ Thanatologie noch einmal auf den Vortrag einge­ hen. Ein Hinweis auf die thanatologische Prägung seiner Eschatologie soll noch gege­ ben werden:467 Die ersten Sätze im ersten Kapitel der fünften Auflage der ›Letzten Dinge‹ von 1933 (bzw. 1949) lauten unter der Überschrift »Der Ursprung der Escha­ tologie«: »Eschatologische Gedanken entstehen überall in der Menschheit. Es ist die Wirklichkeit des Menschen und der Welt selber, die sie hervorbringt. Ständig findet menschliches Leben sein Ende im Tode.«468 Auch hier wird sofort klar: Eschatologie und die damit zusammenhängenden Fragen entstehen für Althaus nicht im luft­ leeren Raum einer Dogmatik oder bilden sich einfach als Ableitungen dessen, was offenbart ist, im Gegenteil stellen sich die Fragen ganz konkret anhand des Lebens und Sterbens der Menschen und müssen als solche auch behandelt werden. Was 464  Vgl. G. Sauter, Art. Eschatologie. IV. Dogmengeschichtlich, in: Religion in Geschichte und Gegenwart4 2, 1999, Sp. 1561 – 1567, hier 1565. 465   Althaus, Dinge, 10. 466  AaO., 9. 467   Vgl. aber auch Althaus, Dinge, 4 u. 26. 468  AaO., 6.

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in Bezug auf den Einzelnen gilt, gilt jedoch auch in Bezug auf das größere Pano­ rama: Welche Fragen innerhalb der Theologie obenauf liegen, das zeigte schon seine Bemerkung in der Einleitung zur ersten Auflage der ›Letzten Dinge‹, wird maßgeb­ lich davon geprägt, welche Fragen die Zeit, in der die Theologie formuliert wird, stellt. Oder, um es mit Althaus' eigenen Worten zu sagen: »Die Theologie wählt sich ihre jeweiligen Probleme nicht selbstherrlich und willkürlich. Sie sind ihr durch die Zeit gestellt.«469 2.4.3.2  Thanatologie als maßgeblicher Teil einer axiologischen Eschatologie des Glaubens Um sich der Thanatologie von Paul Althaus zu nähern, gilt es vor allem zwei Grund­ merkmale seines Denkens zu durchdringen. Zum einen sein Konzept einer »Theo­ logie des Glaubens«, das er 1924 vortrug und das bis zu seinem Lebensende maß­ geblich blieb, ja auch sein monumentales Alterswerk ›Die christliche Wahrheit‹ prägte.470 Theologie hat persönlich zu sein und zu beschreiben, was es bedeutet zu glauben (vgl. 2.4.3.3). Dass diese Grundanlage der Theologie eben auch für die Frage nach dem Tod zentral ist, wird klar, wenn man das zweite Grundmerkmal berücksichtigt, nämlich die Unterscheidung zwischen teleologischer und axiologischer Eschatologie (vgl. 2.4.3.4). Während es bei der teleologischen Eschatologie um den »irgendwie endgeschichtlichen«471 Ertrag der Geschichte geht, geht es in der axiologischen Eschatologie um die Gegenwart und wie diese auf die Ewigkeit hin bezogen ist. Gerade der Tod kommt bei Althaus, dessen Eschatologie als »Kritik jeder endgeschichtlichen Eschatologie«472 bezeichnet wurde, eben als Teil der axio­ logischen Eschatologie in den Blick und damit, das sei an dieser Stelle schon vorweg­ genommen, im Hinblick auf die Frage, was es für das Leben jetzt bedeutet, dass der Mensch einmal sterben muss (vgl. 2.4.3.5). Da der Tod, wie eben beschrieben, ein zentrales Thema der Eschatologie Althaus’ ist, und diese erstens maßgeblich als axiologische Eschatologie entworfen wird und zweitens, im Sinne von Althaus’ Programm einer Theologie des Glaubens, als Eschatologie des Glaubens, also als Beschreibung dessen, was der Glaubende über die letzten Dinge erkennt, entworfen ist, kann die Thanatologie Althaus’ als Zentralstück seiner axiologischen Eschatologie des Glaubens beschrieben werden.

469   P. Althaus, Die Theologie, in: C. Schweitzer (Hg.), Das religiöse Deutschland der Gegen­ wart. Der christliche Kreis, 1929, 114 – 128, hier 121. Fischer resümiert im Schlussteil seiner monumentalen Studie, gerade dieser Punkt sei bestimmend für Althaus’ Theologie gewesen. Vgl. Fischer, Zeugnis, 703 – 708. 470  Vgl. C. H. Ratschow, Paul Althaus, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 8, 1966, 121. 471   Althaus, Dinge, 27. 472   Rohls, Theologie, 294. Vgl. dazu auch Beißer, Hoffnung, 178 ff.

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2.4.3.3  Paul Althausens Konzept einer Theologie des Glaubens Um die Thanatologie Paul Althausens richtig einordnen zu können, ist es notwen­ dig, bestimmte Weichenstellungen innerhalb seines theologischen Denkens nach­ zuvollziehen, die nicht in der Eschatologie getätigt werden und deswegen bei einer reinen Behandlung der engen thanatologischen Fragestellung nicht durchsichtig werden. Erarbeitet man sich Althausens Theologiebegriff und damit die systema­ tische Grundlage seiner Thanatologie, wird gleich deutlich, wie widersprüchlich es ist, dass die Theologie von Paul Althaus und speziell deren Thanatologie in den Bei­ trägen der dritten Welle immer wieder der Frage der inneren Kohärenz oder dem Vorwurf des logischen Widerspruchs unterzogen wurde. Diesen Theologiebegriff hat Althaus, wie Karl Heinz Ratschow festhält, in seinem »ersten groß angelegte[n] Entwurf« ausgearbeitet, der sich in Althaus’ Aufsatz ›Theologie des Glaubens‹ von 1924 findet.473 Karl Heinz Ratschow urteilte, dass es dieser Ansatz ist, dem Althaus »bis in die letzten Auflagen seines größten dogmatischen Werkes, der ›Christlichen Wahrheit‹, treu geblieben« ist.474 Anhand einer Auslegung des reformatorischen sola fide entwickelt Althaus hier ein Verständnis von Theologie, das er selbst als »Theologie des lebendigen Wortes, des persönlichen Verhältnisses, Theologie der Gemeinschaft mit Gott« versteht.475 Wichtig an dieser Formulierung sind die drei Näherbestimmungen lebendig, persönlich und Gemeinschaft. Lebendig habe Theologie zu sein, weil sie niemals statisch sein dürfe, immer die changierenden Bewegungen des Glaubenslebens nachzuvoll­ ziehen habe. Persönlich soll sie sein, weil es in der Theologie stets um die »per­ sönliche Wahrheit« des Glaubens gehe, die eben nie anders als persönlich erkannt werden könne. Gemeinschaft mit Gott stehe deswegen im Zentrum, weil genau das der Grund sei, den der Glaube sich selbst gebe. Wie kommt Althaus zu diesem Ver­ ständnis? Althaus unternimmt es, in Aufnahme von Gedanken Wilhelm Herrmanns und vor allem Sören Kierkegaards, den Systemcharakter der Dogmatik zu sprengen und herauszustellen, dass dogmatische Wahrheit nur Glaubenswahrheit sein kann, die wiederum eben niemals »ruhende Wahrheit« sei, sondern dynamische Wahrheit, persönliche Wahrheit, nie gleich und immer in Bewegung und vor allem, das ist einer der zentralen Punkte, paradoxe Wahrheit, deren Geltung sich eben gerade nicht anhand von Kohärenzkriterien messen lasse. Glaube ist für Althaus dabei, das wird sich gleich zeigen, etwas, was sich in der Rekonstruktion am ehesten mit dem Hei­deg­gerbegriff der verstehenden Befindlichkeit (vgl. für den Begriff bes. 3.3.3.2) ausdrücken lässt. Der Glaubende selbst hat keinen Zugriff darauf, ob er glaubt oder nicht, und gleichzeitig ist das Glauben so bestimmend in seinem Dasein, das alles 473

  Ratschow, Althaus, 121.  Ebd. 475   P. Althaus, Theologie des Glaubens, in: Zeitschrift für Systematische Theologie 2, 1924, 281 – 322, hier 322. 474

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andere davon mit betroffen ist – deswegen kann es eine Befindlichkeit genannt wer­ den. Auch gilt, dass der Vorstellungsgehalt des Glaubens volatile ist, eben persönlich und damit wechselnd und nicht systematisch einfangbar.476 Gleichzeitig versteht sich der Glaubende eben auch als Glaubender, wodurch sein Selbstverständnis manifest wird und wodurch sich seine Wahrheit als Wahrheit des Glaubens auftut. Daher ist er in einem Prozess des Verstehens.477 Diese von Hei­deg­ger entlehnte Terminologie mag dem Althaus’schen Denken zunächst äußerlich erscheinen, sie bekommt aber dadurch sofort eine gewisse Valenz, dass Althaus mit Kierkegaard gerade das »exis­ tentielle Denken«478 gegenüber rationalen, dialektischen oder orthodoxen Systemen stark machen möchte. Darstellen, was Glauben bedeutet, und das ist nach Althaus letztlich die Aufgabe der Dogmatik, bedeutet die Existenz Glaubender zu sein darzu­ stellen. In dieser Beschreibung des Glaubens sieht sich Althaus ganz mit Luther auf einer Linie und möchte seinen Theologiebegriff dezidiert »antiintellektualistisch« und »antitheoretisch« verstanden wissen, sich damit eben gerade gegen die schon erwähnten »›ruhenden‹ Wahrheiten« und »›objektiven‹ Tatsachen« abgrenzen.479 In dieser Gegnerschaft wird sicher noch einmal das existentielle Denken deutlich, waren es doch ganz ähnliche Gegner, gegen die Hei­deg­ger drei Jahre Später in ›Sein und Zeit‹ anschrieb (vgl. bes. 3.3).480 Um sein Theologieverständnis zu erörtern, beginnt Althaus beim Begriff des Glaubens, den er dem reformatorischen sola fide entnimmt, und bestimmt, dass der Glaube tatsächlich allein zähle in dem Sinne, dass ohne ihn nichts in der Theolo­ gie Geltung habe, ja nicht einmal eine echte Theologie zustande kommen könne. Glaube, schreibt Althaus, »bezeichnet sodann das Besondere theologischen Erken­ nens gegenüber irgendeiner wissenschaftlichen Metaphysik.«481 Diese Aussage ist so etwas wie der Kehrvers des Aufsatzes: Immer wieder betont Althaus, dass Glaube das sei, was grundlegend erst die Erkenntnisse des Glaubens und damit eben auch Got­ tes oder der Gegenwart Gottes in Christus möglich mache. Sola fide ist für ihn daher »Prinzip der Erkenntnis« im eben benannten Sinne und »Darstellungsmethode« in einem, weil nur der Glaube als Richtschnur für die Dogmatik in Frage komme. Nur die Glaubenserkenntnisse finden Eingang in die Dogmatik.482 Weil aber Glaube eine Spannung sei, deswegen dürfe eben auch »Theologie [. . .] kein ruhendes System bie­ ten, sondern muss die Bewegung des Glaubens in der Polarität sich gegeneinander 476   Vgl. die wunderbare Formulierung von Althaus, Retraktationen, 256: Der »vorstellungs­ mäßige Gehalt der Eschatologie [und äquivalent der ganzen Theologie, KS] [wird] jeweils überholt. Sie darf nicht mit der christlichen Hoffnung selbst gleichgesetzt und verwechselt werden.« 477   Es könnte eingewendet werden, dass Verstehen sich eher auf ›Sinn‹ als auf ›Wahrheit‹ richten würde. Legt man allerdings einen Hei­deg­ger-geprägten Wahrheitsbegriff zu Grunde, erübrigt sich dieser Einwand. Vgl. dazu Hei­deg­ger, Sein, 213 – 230. 478   Althaus, Theologie, 300. 479   AaO., 305 f. 480  Vgl. Hei­deg­ger, Sein. 481   Althaus, Theologie, 284. Vgl. auch 281 u. 282. 482   AaO., 282.

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spannender Gedanken darstellen.«483 Was Althaus also damit meint, wenn er davon spricht, dass Glauben theologisches Erkennen ist, wird immer wieder selbst, seinem vorgestellten Ansatz entsprechend, in Wellenbewegungen vorgetragen. Glaube sei zwar, wie oben geschrieben, ein Erkennen, aber er gehe dem Erkennen eben auch voraus. So schreibt Althaus: »Der Glaube ist nicht nur Anstoß zu ewiger Bewegung, sondern er ist Bewegung in sich. Man glaubt, indem man immer wieder Glauben faßt. Man hält Gottes Hand, indem man sie immer wieder ergreift.«484 Was dieses Verständnis des Glaubens als Prinzip der Erkenntnis und Darstellungsmethode kon­ kret bedeutet, macht Althaus u. a. an der Christologie klar. Was ich glaube an Jesus Christus bedeute, könne nicht in theologische Formeln gepresst werden. Vielmehr könne die »dogmatische Theologie nicht viel mehr tun als das [. . .] Paradoxon aus­ zusprechen: der Mensch Jesus gewinnt uns die religiöse Unterwerfung und das reli­ giöse Vertrauen, daß er aus Gottes Macht mit uns handle ab.«485 »Ruhende Formeln« könnten daher niemals ausdrücken, was der Glaube meint, das »Chalcedonense« sei »nur grotesk erstarrter Ausdruck der lebendigen Bewegung des Glaubens.«486 All die Rede von »Menschwerdungsmetaphysik« und »Präexistenz‑, Inkarnations- oder Kenosisgedanken, oder für eine Entwicklungslehre, die den Gottmenschen in der Geschichte Jesu erst werden läßt« seien kontraproduktiv in der Dogmatik, sie linder­ ten »die Spannungshöhe des christologischen Bekenntnisses«, es sei denn, sie seien nur »Bilder für das vom Glauben erfasste Wunder der Gottesgegenwart in Jesus.«487 Althaus will also ganz weg von einer theoretischen Dogmatik und hin zu einer exis­ tentiellen. Der genannte Aufsatz birgt noch eine Unmenge an tiefen Formulierungen. Für unseren Zusammenhang muss die gegebene Darstellung jedoch reichen. Die hier grundgelegten Punkte sind gerade deswegen wichtig, weil sie alles, was Althaus über den Tod sagt, in ein besonderes Licht stellen: Dogmatische Thanatologie ist für ihn die Beschreibung der von der Position des (befindlich-verstehenden) Glaubens aus erfahrenen Einstellung gegenüber dem Tod. Dabei kann sich, weil der Glauben, wie eben beschrieben, ein dynamisches Hin und Her ist, ein Halten der Hand Gottes und Suchen der Hand Gottes, kein klares Bild des Todes einstellen. Vielmehr hat auch die Thanatologie die Beschreibung einer changierenden existentiellen Bewe­ gung zwischen Polen zu sein. Wie diese Bewegung aussehen könnte, das deutet Alt­ haus im Aufsatz, der an keiner Stelle explizit vom Tod handelt, in Form einer For­ mulierung an, die gerade für unseren Zusammenhang herausstechend ist und daher später wieder aufzunehmen sein wird: In der Synthese des Glaubens gehe es »um die Sünde und um das Gericht – das Schuldbewußtsein und die Gerichtsgewissheit wehren jeder Synthese, die etwas anderes wäre als ein unter Furcht und Zittern sich 483

 Ebd.   AaO., 301. 485   AaO., 313 f. 486   AaO., 314. 487  Ebd. 484

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emporringendes Wagen auf Gottes Verheißung wider Hoffnung auf Hoffnung.«488 Im Glauben hat der Mensch den Mut, das Leben als Verheißung zu verstehen, auch wenn es eigentlich keinen Grund dazu gibt, so lässt sich das deuten. 2.4.3.4  Axiologische und teleologische Eschatologie Die Unterscheidung zwischen axiologischer und teleologischer Eschatologie ist grund­ legend für das Verständnis der Thanatologie von Paul Althaus. Zunächst gilt es jedoch anzumerken, dass Althaus nach vielfach geäußerter Kritik die begriffliche Unterscheidung in axiologische und teleologische Eschatologie mit der vierten Auflage seiner ›Letzten Dinge‹ aufgegeben hat und sie durch die Begriffe »Sätze des Bleibens« (axiologische Eschatologie) und »Sätze des Kommens« (teleologische Eschatologie) ersetzt hat.489 Diese begriffliche Veränderung reagierte auf, ich möchte sagen, beck­ messerische Kritik, die es nicht sehen wollte, dass ein aus dem Bereich der Wert­ philosophie, namentlich von Windelband, übernommener Begriff in die Theologie einwanderte. Althaus gesteht seinen Kritikern zu, dass der Begriff der axiologischen Eschatologie suggeriere, dass der Ewigkeitseinbruch in das Leben unter der Gewiss­ heit Gottes, den der Glaubende erfährt, dasselbe sei wie die »Erfahrung letzter Werte« im Sinne einer Wertphilosophie. So möchte er jedoch nicht verstanden werden, denn »die im Glauben erfahrene Wirklichkeit Gottes läßt sich keinesfalls dem Begriffe der Wert- oder Normenerfahrung einordnen.«490 Da Althaus den Begriff der axiologischen Eschatologie in dieser Wortkombination jedoch selbst einführte, maßgeblich prägte und eingängig erläuterte, kann die nur aus einem merkwürdig apologetischen Impetus heraus zu verstehende Kritik an seiner Wortwahl wohl beiseite gelassen wer­ den und die schon eingeprägte Unterscheidung der axiologischen und teleologischen Eschatologie bestehen bleiben. Das gilt noch mehr, als Althaus selbst sagt: »Die Sache selbst bleibt von der Preisgabe der alten Terminologie unberührt.«491 Was steckt systematisch hinter der Unterscheidung? Und inwiefern ist sie für die Thanatologie relevant? Die axiologische Seite der Eschatologie wird folgendermaßen beschrieben: »Die Gewissheit um letzte Dinge oder um das Ewige entsteht, wenn wir inmitten des Lebens der Norm begegnen.«492 Das Ewige wird hierbei zunächst im Sinne Windelbands als »das Unbedingte« verstanden, als »Übergeschichtliches mit­ ten in der Geschichte«, das den Menschen mitten im Leben mit einem Soll erfasst.493 Komme hier zunächst nur das ganz menschliche metaphysische Bedürfnis zum Tra­ gen, eine über die Sinnenwelt hinausgehende Bedeutung zu wahren, werde dies in »aller höheren Religion« gesammelt und überboten durch das »Erfaßtsein von dem 488

  AaO., 310.   Vgl. seine eigene Begründung für diesen Wechsel in der Begrifflichkeit: Althaus, Dinge (5. Auflage), 18 f. 490   AaO., 18. 491  Ebd. 492   Althaus, Dinge (1. Auflage), 16. 493   AaO., 17. 489

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transzendenten Heiligen«.494 Dieses »Erfaßtsein« sei gleichzeitig der Beginn des Glaubens und hier bekomme jeder Augenblick eine Ewigkeitsrelevanz. So werde aus der todesverfallenen, nichtigen Existenz plötzlich »ewiges Leben«. Doch gehe es hier nicht um persönliches Fortleben, nein, denn das »Erfasstsein« könne eigentlich nicht anders, als die Fortdauerfrage geradezu als ein Vergehen gegen die gegenwärtig erlebte Gottinnigkeit zu verstehen. Der Begriff der axiologischen Eschatologie grenzt also letztlich das Letzte in diesem Leben vom Letzten im Sinne eines zeitlich Letzten am Ende der Geschichte (teleologische Eschatologie) ab. Wird also der Tod Thema der axiologischen Eschatologie, dann kann es nicht darum gehen, ob und, wenn ja, in welcher Form das menschliche Leben weitergehe nach dem Tod. Es kann nur um die Bedeutung des Todes im Jetzt gehen. Dass Althaus hier ganz auf einer Linie mit Schlatter, aber auch Stange ist, der jedoch einer der Hauptkritiker des Begriffs axiologische Eschatologie war,495 dürfte nach dem zu deren Thanatologie Gesagten klar sein. In der vierten Auflage kehrt die Unterscheidung axiologisch zu teleologisch in einem Anhang zum ersten Kapitel wieder. Davor setzt Althaus zu Beginn jedoch jenen schon erwähnten Teil, in dem vom »Bleiben« und vom »Kommen« die Rede ist. Während die erste und die dritte Auflage496 also gleich zu Beginn mit einer Ent­ wicklung des Begriffs der Eschatologie aus allgemein menschlichen Erfahrungen klar machen, dass die christliche Eschatologie eine spezielle Ausformung von etwas allgemein Auftretendem ist, dreht die vierte Auflage diese Reihenfolge zumindest formal um. Dass sein Denken sich mit dieser formalen Änderung nicht geändert hat und er letztlich auch hier seinem oben beschrieben Programm einer Theologie des Glaubens treu bleibt, indem er die christlich-eschatologischen Sätze eben nur als unter dem Vorzeichen des Glaubens getätigte Ausführungen über ein allgemein menschliches Erfahrungsgut verstanden haben will, wird durch den schon erwähn­ ten Anhang zum ersten Kapitel deutlich, indem letztlich das vorher Rausgestrichene wiederkehrt. Dass Althaus die christliche Sicht auf die Eschatologie zwar als die Wahrheit ansieht, ändert nichts daran, dass er eine grundsätzliche Offenheit gegen andere Deutungsangebote stets mitführt.497 Das wird ganz deutlich in seiner Paral­ 494

  AaO., 19.  Vgl. Stange, Ende, 4 ff. 496   Nochmal zu den Auflagen: Die erste Auflage (1922) und die zweite (1924) unterscheiden sich nicht. Die dritte Auflage (1926) ist völlig neu geschrieben und die vierte Auflage (1933) wie­ derum neu geschrieben. Die fünfte und damit alle anderen bis zur zehnten bieten einen »nahezu unveränderten Abdruck« der vierten. Lediglich einige Literaturanmerkungen wurden verändert. Vgl. Althaus, Dinge (5. Auflage), XIII. 497   Vgl. etwa Beißer, Hoffnung, 178. Er schreibt: »In dieser frühen Phase seines Werkes redet Althaus sehr oft in einer anthropologisch-subjektiven Perspektive, die natürlich bei der heutigen Erfahrung ansetzen muss [. . .]. Die gegebene Grundlage scheint demnach der jetzt zu erfahrende Glaube. Eine noch ausstehende Zukunft kann daher nur etwas Zweites, Abgeleitetes sein. In diesem Sinn nennt er seine Argumente für die Vollendung in Zukunft nur eine ›Reflexion‹. Eine Ender­ wartung kann überhaupt nur dann zustande kommen, wenn Letzte Dinge ›sich gegenwärtig auf­ drängen‹.« 495

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lelisierung des christlichen bzw. theologischen mit dem philosophischen Denken. Diese Parallelisierung fundiert in der Erkenntnis, dass die Eschatologie Ausdruck bestimmter Lebenserfahrung des Menschen ist, die sich eben auch nicht-christlich ausdrücken kann und muss.498 Spezifisch christlich werde es immer, wenn aus der Gewissheit des christlichen Gottes heraus geredet werde, theologisch werde es dann, wenn die allgemeinen Erfahrungen unter dem Vorzeichen dieser Gewissheit als Glaubensaussagen ausgedeutet würden. Christlich umformuliert klingt die Unter­ scheidung dann so: Das Axiologische ist hier das Bleiben der schon bestehenden Gottesgewissheit. Die Gottesgewissheit, die sich bei Althaus stets in einem Leben in Gemeinschaft mit Gott ausdrückt, wird von solcher Kraft erfasst, dass ein Ende der­ gleichen nicht gedacht werden kann. D. h. Althaus zieht hier die Frage des persön­ lichen Fortlebens bereits mit in die Eschatologiebegründung. Der Mensch trete in Beziehung zum Ewigen (zum christlichen Gott) und diese Beziehung sei von einer Qualität, die kein Abbrechen der Beziehung, auch nicht in Zukunft, erlaube. In Bezug auf unsere Fragestellung ist vor allem noch ein Punkt wichtig: Althaus beschreibt die Eschatologie stets als Spannung. Als Spannung zwischen axiologischem und teleologischem Denken oder, anders ausgedrückt, eben als Spannung zwischen dem Bleiben und dem Kommen. Konkret bezogen auf den Tod bedeutet das: Der Mensch spüre in der Gottesgewissheit, dass diese Gottesbeziehung ewig sei, bleiben werde, auch wenn er gegangen sein wird, und gleichzeitig müsse sich diese Glaubensaussage noch durch eine Hoffnungsaussage stützen, die nämlich besage, dass die Zeit kommen werde, in der sich diese Gewissheit im Glauben in Gewiss­ heit, die nicht nur geglaubt, sondern erlebt werde, verwandelt. Für Althaus gilt also grundsätzlich: »Glaube ist Gewißheit um die Heilsgegenwart, Hoffnung Zuversicht zu der Heilszukunft.«499 Das bedeutet, dass es in Bezug auf den Tod sowohl ein Glau­ ben als auch ein Hoffen geben müsse. Das Glauben (axiologische Seite oder Seite des Bleibens) würde den Tod zwar fürchten, ihn aber nicht für absolut erklären, stattdes­ sen an einer Sinnhaftigkeit des Lebens festhalten, auch wenn der Tod und damit das Ende des eigenen Lebens sicher kommen wird. Das Hoffen dagegen (teleologische Seite oder Seite des Kommens) würde im Angesicht des Todes auf die kommende Auferstehung und Vollendung der Geschichte hoffen. Dieser Teil der Thanatologie müsse aber zwangsläufig im Vagen bleiben. Das Hoffen ist letztlich ein Hoffen auf ein Geheimnis, dem die Bilder Auferstehung und Vollendung zugeordnet werden.500

498  Vgl. Althaus, Dinge (5. Auflage), 19 – 27. Vgl. P. Althaus, Die christliche Wahrheit. Lehr­ buch der Dogmatik, 61962, 37 – 94. Die hier vorgestellte Lehre von der Ur-Offenbarung steht bei Althaus seit 1926 stets im Hintergrund. Sie kann nicht auch noch dargestellt werden und muss es auch nicht, weil das wesentliche Gehalt schon in der ›Theologie des Glaubens‹ steckt. 499   Althaus, Dinge (5. Auflage), 48. 500  Vgl. Althaus, Retraktationen, 256. Vgl. auch Ders., Dinge (5. Auflage), 139. Hier wird die Auferstehung als Wunder bezeichnet, bleibt aber damit unverstehbar, also letztlich Geheimnis.

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2.4.3.5  Thanatologie als Frage nach dem Sinn des Todes Während Althaus in den ersten beiden Versionen seiner Eschatologie (1. – 3. Auflage) das Thema Tod unter den Kapitelüberschriften »Das Gericht« und »Das ewige Leben und die neue Welt« abhandelt,501 fügt er ab der vierten Auflage ein eigenes Kapitel mit der Überschrift »Tod und Auferstehung« ein. Bereits die ersten Sätze des ersten Unterabschnitts unter der Überschrift »Theologie des Todes« zeigen, inwiefern nur die Frage nach dem Tod für Althaus Gegenstand der Theologie werden kann: »Alles menschliche Leben geht dem Tod entgegen. Was heißt es für den Menschen zu ster­ ben?«502 Nicht das Jenseits des Todes, sondern die Gegenwart des Todes ist Thema seiner Thanatologie. Für unsere Frage zentral und, vor dem Hintergrund des bisher zu Althausens Theologie Gesagten nun gar nicht einmal so verwunderlich, ist, dass er unter der Formulierung Theologie des Todes, seinen ersten Sätzen entsprechend, dann eben auch die Frage nach dem »Sinn des Todes« versteht.503 Althaus fasst hier ganz klar und unmissverständlich, wie er seine Thanatologie verstanden haben will. In all den Sätzen, in denen er beispielsweise die Bedeutung der Sünde für den Tod erläutert, geht es »nicht um metaphysische Erklärung, Ablei­ tung der Gestalt unserer Welt, sondern um ihr Verständnis, um ihre Beziehung auf das Wesen der Menschheitsgeschichte, nämlich Gottes Handeln mit der Mensch­ heit.«504 Und weiter: »Das christliche Verständnis des Todes ist damit keineswegs erschöpft. Der Sinn des Todes ist nicht ausgeredet mit dem Worte, daß der Tod der Sünde Sold ist.«505 Das christliche Verständnis des Todes frage nach dem Sinn des Todes. Die Frage nach dem Sinn des Todes könne jedoch nicht eindimensional beant­ wortet werden, vielmehr müsse das Sterben-müssen, also in anderen Worten die Endlichkeitsdimension des menschlichen Lebens, in seiner Vielgestaltigkeit wahr­ genommen werden. Es gebe immer ein »Nebeneinander« von »Gedanken zum Ver­ ständnis des Todes« und gerade dadurch werde noch einmal deutlich, »wie wenig die christliche Theologie des Todes den Sinn einer eindeutigen metaphysischen Ableitung und Erklärung des Todesschicksals hat.«506 Entsprechend zu dem oben Gesagten kann diese Herangehensweise erst richtig gedeutet werden: Für Althaus basiert die Theologie und basieren ihre Sätze auf der Ausformulierung einer Erfah­ rung, die er als Glaubenserfahrung bezeichnet und als die Erfahrung der Gewissheit Gottes näherbestimmt. In Bezug auf den Tod stelle sich für den Menschen, der die Gewissheit Gottes erfahren hat, die Frage nach dem Tod in Form der Frage nach dem Sinn des Todes im Horizont dieser Gewissheit. 501

 Vgl. Althaus, Dinge (1. Auflage), 101 – 147. Vgl. aaO., 187 – 270.   Althaus, Dinge (5. Auflage), 83. 503   Es ist bezeichnend, dass die Metadiskussion, die die Rede vom Tod bei Althaus letztlich posi­ tivistisch fasst, diesen Teil einfach übergeht. Vgl. dazu u. a. Ahlbrecht, Tod und Schmalenberg, Tod und auch Beißer, Hoffnung. 504   Althaus, Dinge (5. Auflage), 85. 505   AaO., 86. 506   AaO., 87 f. 502

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So deutet Althaus den Tod in »drei Beziehungen«, die »wohl voneinander unter­ schieden« werden dürften, aber »niemals geschieden.«507 Althaus nennt diese drei Beziehungen »Schöpfungs‑, Zornes- und Gnadenverhältnis« des Todes.508 Auch hier wird gleich wieder deutlich: Der Tod wird Thema als Teil des Menschseins des Glaubenden, der sich immer als Mensch im Gegenüber Gottes versteht. Die­ ses Beziehungsgefälle im Sinne von der sterbliche Mensch und der unsterbliche Gott, das Geschöpf und der Schöpfer, schreibt Althaus, werde gerade auch im Tod noch einmal überdeutlich, ja letztlich brauche es den Tod, um ganz deutlich zu werden. Der Tod sei die Grenze, die den Schöpfer vom Geschöpf trenne und die der Schöp­ fer dem Geschöpf gesetzt habe. Insofern erkenne der Mensch im Angesicht seines Todes die Schöpferherrlichkeit Gottes. Das nennt Althaus: Schöpfungsverhältnis des Todes. Nun liege in dieser unendlichen Differenz zwischen Gott und Mensch jedoch auch noch eine handlungsbezogene Differenz: Der Mensch könne den gött­ lichen Willen niemals umsetzen. Er ist für Althaus immer in Sünde. Daher sei dem Glaubenden im Gewissen ganz deutlich: Der Tod muss sein, damit das sündhafte Leben vergeht. Der Tod zeige den berechtigten Zorn Gottes. Diese Seite der mensch­ lichen Endlichkeit nennt Althaus das »Zornesverhältnis« des Todes. Nun bleibe es für den Glaubenden aber natürlich nicht beim reinen Zorn. Vielmehr gebe es auch ein »Gnadenverhältnis« des Todes, das, so wie Althaus es beschreibt, aus mensch­ licher Sicht, diese Bemerkung sei erlaubt, allerdings recht gnadenlos ist. Unter dem im Tode offenbar werdenden Gotteszorne sei ein zartes Ja zu vernehmen. Dieses Ja der Gnade lasse Gottes Willen erkennen, dass der Mensch eben nicht nur sterben müsse, sondern auch erlöst werden müsse. Und diese Erlösung wiederum brauche den Tod, denn, so schreibt Althaus: Der Tod »erfüllt unser vom Glauben erwecktes Verlangen, daß unser sündiges Wesen zerstört werde und Gott zu seinem Rechte an uns komme.«509 Und, hier werden wir sehr an Schlatter und Stange erinnert, im Anerkennen all dieser Verhältnisse des Todes, also darin, dass der Mensch Got­ tes unendliche Schöpfergröße, Gottes berechtigen Zorn und seine eigene gnaden­ bedingte Todesbedürftigkeit anerkenne, könne der Mensch Gott erst wahrhaft als Gott anerkennen, so dass die verschiedenen Sinndimensionen des Todes letztlich im ­Gottesdienst als dem Sinn des Todes kulminierten. Es sollte deutlich geworden sein, dass Althaus den Tod, wenn er ihn auch als Teil seiner Eschatologie bearbeitet, von der Anthropologie her versteht.510 Was der Sinn des Todes ist, liegt darin begründet, was es heißt Mensch zu sein. Andererseits, und 507

  AaO., 88.  Ebd. 509   AaO., 86. 510   Vgl. auch die schöne, prägnante Beschreibung des Althaus’schen Vorgehens bei Baur, (s.  Anm. 457), 175: »So stellt die Eschatologie von 1922  – darin exemplarisch für das gesamte Werk – die in allen Religionen aufbrechenden ›Grundfragen‹, die über ein unbestimmtes Berührt­ werden der Seele von dem Geheimnis Gottes hinausdrängen auf ›wirkliches Leben mit Gott‹, vor den Blick.« 508

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hier kommt Althaus oben beschriebenes Modell der Theologie des Glaubens zum Tragen, könne eben auch nicht darüber geredet werden, was es bedeutet Mensch zu sein, wenn nicht zuvor darüber geredet würde, was es heißt zu sterben. So stehen die Themen der Theologie des Glaubens alle nebeneinander und ineinander verschränkt und basieren alle auf der oben als befindliches-Verstehen bezeichneten Gewissheit Gottes des Glaubenden, die die Richtung, in welche die einzelnen Themen zu verste­ hen sind, vorgibt. Jede Auseinanderdifferenzierung einzelner Loci ist daher letztlich künstlich und damit auch ungenügend. Dass es Althaus also nicht darauf ankommen kann, wie in der Metadiskussion der dritten Welle immer wieder suggeriert, eindeutige Argumente für oder gegen eine Unsterblichkeit (oder gar für eine sog. Ganztodtheorie) vorzubringen, ist nun logisch. Wenn er in den ›Letzten Dingen‹ dann trotzdem einen Unterabschnitt unter der Überschrift ›Unsterblichkeit der Seele?‹ darlegt,511 dann behandelt er diese Frage wiederum ganz unter dem bereits dargelegten Sinn des Todes. D. h. er fragt, inwie­ fern denn die Vorstellung der Unsterblichkeit hier zu integrieren sei. Seine Antwort ergibt sich aus dem folgenden Gedankengang: Der Mensch sei naturgemäß auf das ewige Leben ausgerichtet. Das meint, dass diese Vorstellung dem Menschen immer mitgegeben ist, dass sein Leben nicht einfach endet. Diese anthropologische Vor­ stellungskonstante sei im christlichen Denken in Form der ewigen Gottesbeziehung des Menschen ausformuliert. Nun gebe es aber eben auch die oben beschriebenen drei Dimensionen des Todes, die eine ungebrochene Unsterblichkeit nicht integ­ rieren könnten. Insofern könnte die Unsterblichkeitsvorstellung als Problem aufge­ fasst werden und werde es auch. Diese Denkweise folge aber eben einem falschen Verständnis von Aussagen über den Tod bzw. den Zustand nach dem Tod. Denn diese Problematik bleibe nur in Geltung, wenn man die Unsterblichkeit in einem letztlich vorkritisch-metaphysischen Sinne ausbuchstabiere. Verstehe man hingegen unter Unsterblichkeitsvorstellung einfach das Moment des Glaubens, das um die Ewigkeit der Gottesbeziehung wisse,512 dann löse sich dieses Problem als Problem derjenigen auf, die nicht verstanden hätten, dass man den Zustand des Menschen nach dem Tod nicht beschreiben könne. Insofern kann Althaus ein Nebeneinan­ der von Unsterblichkeitsidee und Auferstehungsidee mühelos hinnehmen. Althaus schreibt: »Über das ›Sein‹ und ›Bleiben‹ der Toten ist keine andere Aussage möglich als diese: daß die Toten auch in und mit ihrem Totsein in Gottes, ihres Schöpfers, Hand sind, die sie in den Tod und aus dem Tode führt.«513 Was das konkret bedeute, bleibe Geheimnis und, wie er spätestens in den »Retraktationen der Eschatologie«, 511

 Vgl. Althaus, Dinge (5. Auflage), 96 – 115.   Vgl. aaO., Vermittlung, 110. Hier wird, wie auch bei Stange und Elert, ein letztlich auch bei Barth und Jüngel wiederkehrendes Lutherzitat als Beleg dafür genannt, was Unsterblichkeit meinen kann: »Wo er oder mit wem Gott redet, es sei im Zorn oder in der Gnade, derselbe ist gewißlich unsterblich. Die Person Gottes, der da redet, und das Wort zeigen an, daß wir solche Kreaturen sind, mit denen Gott bis in Ewigkeit und unsterblicher Weise reden wolle.« (WA 43, 481, 32 ff.). 513   AaO., 113. 512

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auf die ich gleich noch kurz eingehen werde, sagt: müsse es auch bleiben. Wer das anerkenne, der könne in den unterschiedlichen bildhaften Ausformulierungen der Glaubensmomente unterschiedliche Betonungen dessen sehen, was ein auf der Basis der Gewissheit Gottes stehender Glaubender als Momente des Todes auffasst.514 2.4.3.6  Thanatologie als befindlich-verstehend vorgeprägte Sinnfrage Damit sind die wichtigsten Punkte der Althaus’schen Thanatologie genannt. Er sagt nicht, wie der Tod abschließend zu verstehen ist, das würde seinem Theologiever­ ständnis widersprechen. Er gibt Dimensionen zur Auswahl, in deren Horizont der Glaubende sich den Tod deuten wird. Jede Deutung wird in Konkretion anders kon­ notiert ausfallen. Doch, das ist sozusagen die Minimalanforderung, die das befindliche-Verstehen des Glaubenden hervorruft, der Tod kann das Leben im Jetzt nicht so sehr entwerten, dass es sich nicht lohnen würde, dieses Leben zu wagen. Im Gegen­ teil bedeute Glauben ein Wagen und das bedeute, dass es gilt, dieses Leben auch im Angesicht der drei Dimensionen des Todes »wagend« zu gestalten. Es ist genau diese Kombination aus »Todesgewissheit« und »Wagen«, die bei Althaus mehrmals vor­ kommt und m. E. die Essenz seiner Thanatologie bildet. So schreibt er beispielsweise im Aufsatz zur Theologie des Glaubens zur Frage, wie denn bei all den sich wider­ sprechenden Spannungen eine »Synthesis des Glaubens« gefunden werden könne (das Zitat habe ich oben schon angeführt): Jede »Synthesis, die etwas anderes wäre als ein unter Furcht und Zittern sich emporringendes Wagen auf Gottes Verhei­ ßung, wider Hoffnung auf Hoffnung«515 werde nicht tragfähig sein. Oder, beson­ ders bezeichnend, in der dritten Auflage der ›Letzten Dinge‹ im Abschnitt über das Gericht, der maßgeblich vom Tod handelt, schreibt er, nachdem er alle möglichen Dimensionen und Deutefiguren des christlichen Gerichtsverständnisses dargelegt hat, ganz am Ende des Abschnitts wie als eine Art Fazit: »was könnten wir, an den Ernst der geforderten Entscheidung denkend, von uns und aller Menschheit anderes bekennen als daß wir im Tode sind, aus dem es einen menschenmöglichen Ausgang nicht gibt? Und was könnten wir, der Liebesmacht Gottes gewiß, für uns und alle Menschheit anderes zu glauben wagen, als daß jener Tod nicht das Ende, sondern Werkzeug und Durchgang der eifernden Liebe ist?«516 Althaus will in seiner Thanatologie nicht erläutern, was nach dem Tod kommt, aber er will, bei all den dunklen Seiten, die sein Denken auch hat, klar machen, dass der Tod für jeden Menschen ein Grund mehr sein könnte, auf Gott zu vertrauen und 514   Dass erst einige Schichten Zwiebelhaut gepellt werden müssen, um Althaus zu verstehen, wird auch daran deutlich, dass er eben immer wieder dinglich, metaphysisch und ähnlich auslegt wurde. Vgl. bspw. das Missverständnis bei Beißer, Hoffnung, 190. Er argumentiert mit dem auf gegenständliche Kohärenz zielenden ›das-ist-unlogisch-Argument‹, das eben bei Althausens Ansatz gar nicht greift. 515   Althaus, Theologie, 310. Vgl. im selben Aufsatz auch die Formulierung vom »wagenden Glauben«, der eben Zeichen dafür sei, dass »Gott in der Seele gegenwärtig« sei (210). 516   Althaus, Dinge (3. Auflage), 212.

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dass er für jeden in der Gewissheit Gottes lebenden Christenmenschen eben unter den drei genannten Aspekten ein Gottesdienst ist, den Tod als Tod anzuerkennen und dennoch ohne Wenn und Aber auf Gott zu trauen. Dieses trauen auf ist dabei nicht konkret intentional zu verstehen. Es ist eher diffus, auf was es sich richtet. Emotionstheoretisch könnte man es am ehesten als Stimmung bezeichnen, in die der Glaube den Menschen versetzt (vgl. zu dieser Fragestellung 3.4. u. 4.). Wenn man dem Trauen dennoch einen Intentionalitätsbezug zuweisen wollte, dann wäre es für ihn, das macht Althaus spätestens 1950 in seinen ›Retraktationen zur Eschatologie‹ deutlich, das »Geheimnis der Ewigkeit.«517 2.4.4  Werner Elerts Thanatologie Auch Werner Elert gehört zu eben jener Generation der in den 1880er Jahren gebo­ renen Theologen, die, laut Hermann Fischer, weder von der um 1900 geborenen Theologengeneration noch von den späteren in Bezug auf den »hervorgebrachten Reichtum an Fragestellungen, Ansätzen und durchgeführten Konzeptionen« erreicht wurden.518 Elterts Werk wird üblicherweise in fünf Phasen eingeteilt, die jeweils seinen großen Hauptwerken entsprechen.519 Diese Hauptwerke sind erstens ›Der Kampf um das Christentum‹ (1921),520 dem eine apologetische Phase Elerts zuge­ schrieben wird, zweitens ›Morphologie des Luthertums‹ (Bd. 1 1931, Bd. 2 1932),521 das Ausdruck der konfessionskundlichen Phase Elerts sei, drittens ›Der christliche Glaube‹ (1940),522 dem eine dogmatisch orientierte systematische Phase zugeteilt wird, viertens ›Das christliche Ethos‹ (1949),523 dem dann eine ethisch orientierte systematische Phase zugewiesen wird und schließlich, bis zu seinem Tod 1954, eine dogmengeschichtliche Phase, dem sein aus dem Nachlass veröffentlichtes Werk ›Der Ausgang der altkirchlichen Christologie‹ (1957)524 beigeordnet werden kann. Auch wenn diese Einteilung sicherlich zu grobmaschig gestrickt ist, um Elerts Denken vollumfänglich gerecht zu werden,525 hat sie ihren überzeugenden Grundzug darin, 517

  Althaus, Retraktationen, 258.   Fischer, Theologie, 9. Allerdings bezieht sich »gegenwärtig« hier auf das Jahr 2002. 519  Vgl. J. Bayer, Werner Elerts apologetisches Frühwerk, 2007, 14. Bayers Buch ist die zuletzt erschienene große Studie über Werner Elert. Diese Einteilung in fünf Phasen hat zuerst vorgenom­ men: P. Althaus, Werner Elerts theologisches Werk. Rede bei der Gedächtnisfeier der Theologischen Fakultät in der Aula der Universität Erlangen am 19. Februar 1955, in: F. Hübner (Hg.), Gedenk­ schrift für D. Werner Elert. Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, 1955, 400 – 410. 520   W. Elert, Der Kampf um das Christentum, 1921. 521   W. Elert, Morphologie des Luthertums. Theologie und Weltanschauung des Luthertums, hauptsächlich im 16. und 17. Jahrhundert, 1931 und Ders., Morphologie des Luthertums. Sozial­ lehren und Sozialwirkungen des Luthertums, 1932. 522   W. Elert, Der christliche Glaube. Grundlinien der lutherischen Dogmatik, 31956. 523   W. Elert, Das christliche Ethos. Grundlinien der lutherischen Ethik, 1949. 524   W. Elert, Der Ausgang der altkirchlichen Christologie. Eine Untersuchung über Theodor von Pharan und seine Zeit als Einführung in die alte Dogmengeschichte, 1957. 525   Vgl. die Kritik an dieser Einteilung bei Bayer, Elerts, 14 ff. 518

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dass jeder der fünf Phasen auch ein Lebensabschnitt Elerts zugeordnet werden kann, in dem er sich dann in eines seiner Themen vertiefte und diese Vertiefung schließ­ lich in der Veröffentlichung eines der fünf großen Werke gipfeln ließ. Althaus zitiert zum Beleg dieser These einen Ausspruch Elerts, der gesagt haben soll »er haben zeigen wollen, daß er auf allen Gebieten, für die sein akademischer Lehrauftrag ihn verpflichtete, rechtschaffen gearbeitet habe.«526 Dieser Lehrauftrag begann jedoch erst 1923, als er Professor für Kirchenge­ schichte in Erlangen wurde. Zunächst war er Hauslehrer, dann Pfarrer, während des Ersten Weltkrieges erlebte er das Kriegsgeschehen sehr nahe als Feldgeistlicher und nach Kriegsende wurde er Predigerseminarleiter. In diese Phase vor der Professur fällt eben seine apologetische Auseinandersetzung, die, das werden wir noch näher zu betrachten haben, stark von Oswald Spenglers ›Der Untergang des Abendlan­ des‹ geprägt war.527 Die Prägung Spenglers ist jedoch auch noch in seinem zweiten Hauptwerk, der ›Morphologie‹, deutlich zu vernehmen, das wiederum Ausdruck seines neuen konfessionskundlich ausgelegten Lebensabschnitts als Professor der Kirchengeschichte in Erlangen ist, und taucht, mindestens vermittelt durch den Schicksalsbegriff Elerts, den er von Spengler entlehnt, auch noch in seiner Dogma­ tik auf. Für unser thanatologisches Interesse ist die ›Morphologie‹ bedeutend. Zum einen findet sich hier die berühmte Schilderung des religiösen »Urerlebnisses«, das den Tod ins Zentrum der Religionsbegründung setzt (s. 2.4.4.4). Zum anderen ent­ stammt das Werk ganz deutlich dem gleichen Zeitgeist, in welchem auch die ande­ ren Beiträge der ersten Welle standen, und den es noch einzufangen gilt (vgl. 2.4.5). Ab 1932 vertrat er in Erlangen dann die Systematische Theologie. So erschien 1940 folgerichtig sein ›Christlicher Glaube‹. Paul Althaus schrieb dazu: »Elerts Buch ist das erste große Gegenwort (auf die ersten Bände der KD von Karl Barth, KS) von lutherischer Seite gewesen. Nicht als ob er zu Karl Barth nur ein Nein gehabt und nichts von ihm gelernt, nichts als mit ihm gemeinsam empfunden hätte: Elert wußte sich selber mitgetragen von der theologischen Welle, die uns alle seit dem ersten Weltkriege erfaßte, ob wir mit Barth gingen oder nicht. Aber an einem entschei­ denden Punkte war er von Anfang an ein unerbitterlicher Gegner Barths und sei­ nes Gefolges, nämlich da, wo er das Herz lutherischer Theologie gefährdet sah, das rechte Verständnis von Gesetz und Evangelium.«528 Dieses Zitat von Althaus weist uns auf zwei wichtige Punkte hin: Zum einen gehört auch zu Elerts ›Christlicher 526

  Althaus, Elerts, 403.   O. Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Gestalt und Wirklichkeit, 1918 und Ders., Der Untergang des Abendlandes. Welthistorische Perspektiven, 1922. Vgl. u. a. die Einschätzung zu dieser Einflussnahme bei N. Slenczka, Selbstkonstitution und Gotteserfahrung. W. Elerts Deutung der neuzeitlichen Subjektivität im Kontext der Erlanger Theologie, 1999, 44 – 49 und bei Bayer, Elerts, 184 ff. und bei R. Hauber, Werner Elert. Einführung in Leben und Werk eines »Luthe­ ranissimus«, in: Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie 29, 1987, 113 – 146, hier 119 ff. 528   Althaus, Elerts, 406. 527

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Glaube‹ ganz besonders die Entstehungszeit als Kontext. Nicht nur die Opposition zu Barth, vielmehr die Situation während des Zweiten Weltkrieges, in der, nicht von ungefähr, sonst keine bedeutenden neuen Dogmatiken geschrieben wurde, stellt die späte Thanatologie Elerts in seiner Dogmatik unter einen bestimmten Blickwinkel, wie seine frühere Thanatologie in der ›Morphologie‹ noch unter dem langen Schat­ ten des Ersten Weltkrieges und eben der Krisenzeit der Weimarer Republik stand (vgl. 2.4.4.4). Zum anderen verweist Althaus auf das »rechte Verständnis von Gesetz und Evangelium«. Dieses von Elert in schroffem Gegeneinander gedeutete Paar ist ganz sicher für Elerts Denken prägend. Zusätzlich dazu steht er, erst als Student, dann als Professor in Erlangen in der Tradition der Erlanger Theologie, also einer Form von Erfahrungstheologie (zur Begründung dafür s. 2.4.4.3). 2.4.4.1  Werner Elert als Thanatologe Es ist unzweifelhaft von großer Bedeutung für die Thanatologie eines Theologen oder einer Theologin, in welcher persönlichen und geschichtlichen Situation er oder sie die entsprechenden Gedanken verfasst. Diese im Bisherigen immer wieder betonte Selbstverständlichkeit gilt auch, und wieder einmal besonders, für Werner Elert. Elert war bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges 28 Jahre alt und verpflichtete sich sogleich freiwillig als Feldgeistlicher für die Angehörigen der Freikirche der Altlutheraner, zu der auch Elert selbst gehörte. Elert schrieb über die Hintergründe dieses Dienstes: »Es ist Sitte der Geistlichen aller Konfessionen, ihren Gemeinde­ gliedern möglichst dann beizustehen, wenn sie in der Nähe des Todes sind. Und es ist nicht nur Sitte, sondern wohl auch Pflicht.«529 Der Tod und zwar nicht in sei­ ner abgemilderten Variante als Alterstod, sondern in seiner Extremform als Tod im Krieg, begegnete ihm in seinen vier Dienstjahren als Feldprediger in extenso, wie er es selbst in seinem Text ›Steigerung der Religiosität im Kriege‹ im Jahr 1918 beschrieben hat: »In Friedenszeiten ist der Mensch [. . .] nur wenige Male im ganzen Leben, vielleicht niemals Zeuge beim Sterben eines andern [. . .]. Dagegen steht er [der Tod] mit seiner ganzen schneidenden Sinnlosigkeit vor denen, die das plötz­ liche Aufhören der körperlichen und scheinbar auch seelischen Lebensäußerungen fallender Kameraden hundertfach mitansehen müssen.«530 Diese Erfahrung eint ihn mit Paul Althaus (s. o. 2.4.3.1). Doch während Althaus und andere dieser Theolo­ gengeneration, wie etwa auch die Gruppe um Barth, ihre Erfahrungen in gemein­ samen Strömungen kanalisierten und es so zur Dialektischen Theologie und ihrem Organ Zwischen den Zeiten und zur Lutherrenaissance und deren Organ Zeitschrift für Systematische Theologie kam, blieb Elert weitestgehend alleine. Er suchte »weder 529

  Zitiert nach Bayer, Elerts, 9.   Zitiert nach Slenczka, Selbstkonstitution, 28 Anm. 17. Slenczka sieht diese Beschreibung freilich im Kontrast zu dem im Urerlebnis beschriebenen deus absconditus. Das lässt sich jedoch auch anders verstehen, weist doch gerade die Formulierung »der Tod mit seiner ganzen schneiden­ den Sinnlosigkeit« genau in die Richtung, die auch das Urerlebnis beschreitet. 530

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zu Beginn der 20er Jahre noch im Laufe der späteren Entwicklung der eigenen Theo­ logie [. . .] Bundesgenossen«, schreibt Notger Slenczka zu Beginn seiner großen Stu­ die zu Elert.531 Elert befindet sich, auch geographisch, zunächst als Feldprediger und nach dem Krieg als Leiter des Predigerseminars seiner Freikirche in Breslau, abseits der großen Strömungen. Ja, er erscheint, wenn man die Protagonisten dieser ersten Welle als eigentümliche Charaktere einer Erzählung ausmalen würde, als der manisch arbeitende Eigenbrötler, der allen Gegenkräften zum Trotz seine Gedanken in die Welt der Wissenschaft einspeist. Und zwar mit einer Kraft, die existentiell auf ihn eingewirkt zu haben und aus ihm ausgeströmt zu sein scheint. Ob es nun die schon genannte Erfahrung im Ersten Weltkrieg war,532 oder eine andere weniger offensichtliche Erfahrung, gerade für Elert, dem nach Paul Althaus viel am »existentiellen Denken«533 lag und der an Oswald Spengler gerade die Kühn­ heit seiner Methode, »des Analogieschlusses von der Struktur der eigenen Seele auf diejenige der Seelen anderer Menschen«534 zu schließen, bewunderte, wie Elert selbst in seiner großen Spengler-Rezension schrieb, liegt es mehr als nur nahe anzu­ nehmen, dass die tiefe Dunkelheit (nicht nur) seiner Thanatologie in der Struktur der eigenen Seele begründet war. Gerade die These aus Elerts erstem großen Werk ›Der Kampf um das Christen­ tum‹ von 1921, dass das Christentum jeder Synthese zur Kultur widerstehen müsse, um eben nicht mit dieser Kultur, die im Untergang sei, mit unterzugehen, sondern in der Diastase gleichsam neben der untergehenden Kultur bestehen bleiben könne,535 lässt sich vor dem Hintergrund der radikal persönlichen Theologie Elerts, dessen Grundprogramm durch die oben bereits erwähnte Hochschätzung der Analogie­ methode Spenglers bestimmt ist,536 eben auch so verstehen, dass das einzelne Indi­ viduum, also Elert selbst, sich im Kampf um das eigene Überleben im Strudel der im Untergehen sich befindenden Kultur zu verstehen hat.537 Das Tau, das ihn in die­ 531   AaO., 16. Für Slenczka liegt das freilich daran, dass er sich in Form der Erlanger Theologie bereits einer Gruppe zugehörig weiß. Vgl. dazu 2.4.4.3. 532   Vgl. dazu das treffende Zitat bei K. Beyschlag, Werner Elert in memoriam, in: Homile­ tisch Liturgisches Korrespondenzblatt – Neue Folge, 9, 1991, 5 – 35, hier 10: »Freilich gerade uns als Kriegsheimkehrern war dieser theologische Wetterschlag [des Urerlebnisses, KS] alles andere als fremdartig; wir hatten es wahrhaftig«erfahren» – das ist sie die Erfahrung – was es heißt, wenn einem alle idealistische Euphorie in Fetzen gerissen wird und der Tod – ja, der Tod! – Gottes Gericht über uns, vom Himmel auf die Erde stürzt.« 533   Althaus, Elerts, 405. 534   W. Elert, Der Untergang des Abendlandes, in: Allgemeine Evangelisch Lutherische Kirchen­ zeitung 56, 1923, 5 – 8. 21 f. 37 – 41.55.58, hier 7 (der Text erstreckt sich über mehrere Ausgaben des 56. Jahrgangs der Zeitung). 535  Vgl. Elert, Kampf, 1 – 8. 536   Vgl. auch Rohls, Theologie, 291. Hier wird das Programm Spenglers so umschrieben, dass es genau zu der Einschätzung und Hochschätzung Elerts aus dessen Rezension passt: »Mit dieser Abwertung des intellektuellen Erkennens gegenüber dem intuitiven, einfühlenden Erleben«. 537   Vgl. für die Bedeutung der Sinnfrage, auch in persönlicher Hinsicht, bei Elert: Bayer, Elerts, 196 ff.

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sem Strudel über Wasser hält, ist für ihn das Evangelium. Oder, anders ausgedrückt, der Kampf zwischen Untergang und Überleben, der sich in auch als Kampf zwi­ schen Sinn und Unsinn im Leben des Menschen fassen lässt, ist nun, was die Kultur betrifft, für Elert schon entschieden: Es gebe kein Ende des Kampfes, was einem Sieg des Unsinnes gleichkomme. So sei er auch für das eigene Leben schon entschieden: es werde mit dem Tod untergehen. Doch beides entbinde eben nicht von der Auf­ gabe, bis es soweit ist, diesen Kampf zu kämpfen und die beste Zurüstung, um ein­ mal im von Elert so geschätzten militärischen Vokabular zu verbleiben, sei dabei das Evangelium. Diese Einstellung, die zumindest in den zwanziger Jahren deutlich in Elerts Schriften durchscheint und auch im berühmten Urerlebnis der ›Morphologie‹ noch deutlich wird, findet sich verdichtet in einem Zitat aus seiner großen Speng­ ler-Rezension: »Aber das resignierende Eingeständnis, das in dem Kampf zwischen Sinn und Unsinn ein immanenter Sinn höherer Ordnung nicht erkennbar ist – das ist es ja gerade was uns als Christen zu dem Bekenntnis veranlaßt, diesen uns uner­ kennbaren Sinn ins Transzendente in Gott zu verlegen.«538 Das erlebte Leben lässt keine beständigen Sinn aufscheinen. Wer nicht daran verzweifeln will, muss ihn also jenseits dieses Lebens suchen.539 Joachim Bayer hat gezeigt, dass die Deutung des Transzendenzerlebnisses in seiner für Elert so charakteristischen negativen Form erst nach dem Ersten Weltkrieg einsetzt, also eng mit dem dort erlebten Schrecken verbunden ist.540 Dass die Todesdeutung der ›Morphologie‹ am Ende der Weimarer Zeit erschie­ nen ist, gibt ihr noch einmal eine besondere Note. Ist es doch gerade diese Zeit, die in Deutschland besonders unter jenen Kräften stand, die Fritz Stern unter dem Sig­ num des »Kulturpessimismus« gefasst hat.541 Für Elert manifestiert sich diese Ein­ schätzung darin, dass sein Denken in dieser Zeit geradezu eingespannt scheint zwi­ schen seiner Spengler-Lektüre und dem Abfassen seiner ›Morphologie‹. Spengler, der geradezu als Prototyp des Kulturpessimisten zu gelten hat, veröffentlichte den ersten Band seines Werkes 1918, die ›Morphologie‹ erschien 1931. Der Eindruck des Werks Spenglers auf Elert kann wohl fast nicht zu hoch eingeschätzt werden.542 538

  Elert, Untergang, 22.   Vgl. die Herausarbeitung des Zusammenhangs von Kriegserlebnis, das nicht rational gedeu­ tet werden könne, und dem Bedeutsamwerden der Irrationalität in Elerts Theologie Bayer, Elerts, 200 ff. 540   Vgl. aaO., 196 ff. 541  Vgl. F. Stern, Kulturpessimismus als politische Gefahr, 1963, bes. 1 – 22. Für den Hinter­ grund vgl. auch F. W. Graf, Konservatives Kulturluthertum, in: Zeitschrift für Theologie und Kir­ che, 85, 1988, 31 – 76 und K. Scholder, Neuere deutsche Geschichte und protestantische Theologie, in: K. O. von Aretin / G. Besier (Hg.), Die Kirchen zwischen Republik und Gewaltherrschaft. Klaus Scholder. Gesammelte Aufsätze, 1988, 75 – 97. 542   Vgl. für diese Einschätzung u. a. Althaus, Elerts, 402 f.; Hauber, Elert, 119 f. und Slencz­ka, Selbstkonstitution, 30 – 53, bes. 44 – 53. Bayer, Elerts, 192 – 211 u. viele andere Seiten. Vgl. auch T. Kaufmann, Werner Elert als Kirchenhistoriker, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, 93, 1996, 193 – 242, hier 218 f. 539

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Dank der großen Rezension Elerts haben wir direkten Zugriff auf seine SpenglerLesart (s. 2.4.4.2), die maßgeblich hinter seiner Idee zur ›Morphologie‹ gestanden hat, das zeigt schon allein der Titel, hatte doch Spengler sein Buch ›Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte‹ untertitelt. Die Idee, eine Morphologie des Luthertums darzustellen, ist ganz äquivalent zur Idee Spenglers zu sehen, der ja gerade das Abendland als eine Kulturseele verstand, die analog zu biologischen Organismen ein Leben durchlebt, wie es auch Elert anhand des Luthertums durchführt.543 Speng­ ler verstand seine und damit auch Elerts Gegenwart als in einem Stadium dieser Morphologie stehend, in welchem es »nicht mehr auf innere Entfaltung der Kultur ankomme«, denn diese sei bereits abgeschlossen, »sondern auf die äußere Macht­ entfaltung«.544 Zwar stand Spenglers Ansicht nach nicht der unmittelbare Untergang bevor, aber er verstand die Seele als sich in einem letzten Stadium befindend. In die­ sem letzten Stadium kommt es für ihn nicht mehr auf die Kultur an, diese hat ausge­ dient. Nimmt man diesen Gedanken bei dem Versuch Elert zu deuten hinzu, dann erscheint es eben als folgerichtig, wie Elert im berüchtigten Ansbacher Ratschlag in der dritten These die »Gesamtwirklichkeit unseres Lebens« mit dem »Gesetz« gleichsetzt und daraus ableitet, dass die lutherischen Christen dieses Gesetz auch im nationalsozialistischen Deutschland anzuerkennen hätten, was ja, und hier liegt die folgenschwere Bestimmung, das geltende Evangelium, das sowieso nur als trans­ zendent zu dieser Welt stehend, ja den Christen sogar unvermittelt gegen das Gesetz gerichtet begegnet, nicht entwerten könne.545 Das scheint als folgerichtig, weil die Kultur und ihr Werdegang eben durch Schicksalsmächte bestimmt sind,546 gegen die sich aufzulehnen als geradezu sinnlos erscheinen muss und deren Kraft sich im irra­ tionalen Lebensvollzug erkennen lässt. Gegen diese Schicksalsmächte kann nur das Evangelium als Rettung bringen. Dass die Dogmatik dann mitten in der Zeit des Nationalsozialismus’ erschienen ist, ist vor dem Hintergrund des eben Gesagten, natürlich für deren Thanatologie von einschneidender Bedeutsamkeit. Gerade die Düsterkeit, die Elert immer wieder evoziert, passte sicher auch hier wieder ins Bild der Zeit. Dass Elert nicht nur viele Studenten, sondern darüber hinaus auch seine beiden Söhne im Krieg verlor, gibt seinen Ausführungen über den Tod noch einmal eine besondere Note. Karlmann Beyschlag berichtet hier folgendermaßen: »Und da steht er vor Elerts eigener Haus­ 543   Vgl. für die Analogie der Spenglerschen Kulturseelenvorstellung und Elerts Behandlung des Luthertums in der Morphologie schon das Zitat aus Elert, Kampf, 327: »Gibt es eine christliche Seele – die Spengler als solche freilich nicht kennt –, so muß sie auch ihre Welt, ihr Dogma, ihre transzendenten Erkenntnisse mit der Notwendigkeit eines Schicksals so gestalten, wie sie es tat und tut.« Hier redet Elert zwar von einer christlichen Seele und nicht von einer lutherischen, aber die Richtung ist vorgezeichnet. 544   Rohls, Theologie, 223. 545   Vgl. für diese Deutung Fischer, Theologie, 67 – 71. 546   Vgl. für Elerts Deutung des Spenglerschen Schicksalsbegriffs Elert, Untergang, 21 f. Vgl. Slenczka Selbstkonstitution, 128 – 139. Slenczka diagnostiziert bei Elert allerdings erhebliche Miss­ verständnisse des Programms Spenglers.

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tür, Erlangen, Hindenburgstraße 44, der Mann in der braunen Uniform – Gottes Anwesenheit in der Larve des Schicksals: ›Wieder ein Sohn . . .‹ – gefallen nämlich – ›zufällig der letzte‹ wie Elert hinzusetzt.«547 2.4.4.2  Werner Elerts Deutung von Spenglers ›Untergang des Abendlandes‹ Werner Elerts Deutung von Spenglers ›Untergang des Abendlandes‹ ist für unsere Fragestellung von zwei Gesichtspunkten aus relevant:548 1.  In Elerts Spengler­ deutung findet sich eine programmatische Betonung eines persönlichen, ja man könnte sagen existenziellen Ansatzes, der auch für die Deutung der Thanatologie in Anschlag gebracht erhellend wirkt. 2. Ebenfalls in seiner Spenglerdeutung geht Elert auf die für ihn gerade in dieser Zeit bedeutende Kategorie der Sinndeutung ein, was ebenfalls als Rekonstruktionshinweis für seine Thanatologie zu dienen hat.549 Zu 1: Elert geht in seiner Rezension darauf ein, dass viele Kritiker Spengler vor­ geworfen hätten, sein Buch sei lediglich »das Werk eines Künstlers, von bloß ästhe­ tischem Wert, sehr gut gesehen, mit charakteristischer Note, aber eben doch ohne genügende Klärung des Erkenntnisweges und, was für viele das Allerschlimmste, sogar ohne Quellenangabe.«550 Diesen Vorwurf zieht Elert ins Lächerliche und deu­ tet genau dieses Charakteristikum von Spenglers Arbeit dann positiv aus, indem er festhält: »Höchstens kann man es in demselben Sinne wie Kants Kritiken ein Kunstwerk nennen [. . .]. In Wirklichkeit bedeutet das intuitive Erfassen, das angeb­ lich visionäre Erschauen, eine sehr bestimmte Methode, die bewegenden Kräfte im Leben der Kulturen zu erkennen. Es ist nämlich die Methode des Analogieschlusses von der Struktur der eigenen Seele auf diejenige der Seelen anderer Menschen.«551 Das, im Übrigen, so Elert weiter, würden sowieso alle Wissenschaftler tun, nur eben weniger offensichtlich oder gar verschleiert. Es sei also gar nichts Besonderes. Besonders an Spenglers Methode sei jedoch, dass er festhalte, dass »das eigentlich produktive Agens der Geschichte die Seele«552 sei. Was Elert hier unter Seele ver­ steht, wird dann klar, wenn wir uns ansehen, gegen was er sie abgrenzt und wo er eine Behandlung dessen, was er unter Seele versteht, erwartet. So schreibt er, dass 547

  Beyschlag, Elert, 17.  Vgl. Elert, Untergang. Elerts Spengler-Rezension fällt in das Jahr 1923. Sein erstes großes Werk »Der Kampf um das Christentum« erschien 1921 und enthält bereits eine deutliche Spengler­ prägung, Elerts ›Morphologie« erschien 1931 und 1932 und ist ebenfalls von Spengler beeinflusst (vgl. 2.4.4.2). Damit ist Elert über mindestens 10 Jahre hinweg bis hin zur Namensgebung seines wohl bedeutendsten Werkes hin von Spengler geprägt. Allein diese zeitliche Ausprägung deutet darauf hin, wie grundlegend diese Prägung ist. Der Einfluss Spenglers auf Elert wird in so gut wie jeder Darstellung Elerts hervorgehoben und muss daher hier nicht noch einmal ausführlich darge­ stellt werden. 549   Bayer betont, dass gerade die Auseinandersetzung mit der »Sinnfrage« ein Kontinuitäts­ faktor des Denkens des frühen Elerts ist. Vgl. Bayer, Elerts, 196 ff. 550   Elert, Untergang, 7. 551  Ebd. 552  Ebd. 548

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eben Seele als Agens der Geschichte etwas ganz anderes sei als »Wille« oder »das wirt­ schaftliche Bedürfnis« und dass die »Psychologie und Erkenntnistheorie«553 es nicht ausreichend unternommen hätten, die Macht der Seele auf den Lauf der Geschichte zu bestimmen. Es wird deutlich, dass Elert die Seele als den Ort des Gefühls im Menschen bestimmt und das Gefühl oder auch die Gestimmtheit damit an eine ­zentrale Stelle rückt.554 Für unsere Fragestellung ist das deswegen wichtig, weil es zwischen dieser von Elert an Spenglers ›Morphologie‹ geschätzten Methode und der eigenen Methode in seiner ›Morphologie‹, besonders in Hinblick auf das Urerlebnis, das der Gotteser­ kenntnis zugrunde liege und damit den Anfangspunkt von »vielleicht jede[r] Reli­ gion« sei, und das zentral für das Verständnis seiner Thanatologie ist, starke Ähn­ lichkeiten gibt. Diese Methode zusammen mit den »schöpferischen Kräfte[n] [. . .], dies alles hervorzubringen«555 könne als beispielhaft für eine »Weltansicht [. . .], die in vollendetem Sinne historisch heißen kann«556 gelten. Elert, der, das wird an die­ ser Stelle deutlich, das eigene Gefühl als zentrales Moment in der Theorieentwick­ lung anerkennt, wird hier in die Nähe des großen ideengeschichtlichen Rahmens der Lebensphilosophie und der sich entwickelnden Existenzphilosophie gerückt, oder anders: Elert rückt sich selbst in die Nähe dieser Strömungen und damit erscheint auch seine Todesdeutung in einem besonderen Licht.557 Zu 2: Elert schreibt weiterhin in seiner großen Spengler-Rezension, dass eben durch diesen Analogieschluss von der eigenen Seele auf die Seele einer ganzen Kul­ tur die Idee der Geschichtsbetrachtung unter einem ganz besonderen Blickwinkel ins Auge gefasst würde. Es gehe nämlich letztlich um »einen Sinn in der Geschichte«.558 Jedoch wolle Spengler von einem allgemeinen Sinn in der Geschichte nichts wis­ sen, vielmehr lasse er die Kategorie eines Sinnes nur dort gelten, wo »wirklich etwas Lebendiges, d. h. ein organisches Individuum vorhanden ist.«559 So einen Sinn könne man also nicht in der Geschichte der Menschheit, sondern nur bei der Betrachtung einer Kultur, also einer fassbaren Einheit,560 finden. Aber, so Elert weiter, Speng­ ler habe gleichzeitig erkennen müssen, dass selbst in einzelnen Kulturen und deren Lebensweg nicht immer von einem sinnvollen Weg der Geschichte gesprochen wer­ 553

  Beide aaO., 8.   Wenn auch Spengler unter »Kulturseele« natürlich etwas anderes verstand als den Ort des Gefühls eines Menschen. Vgl. bspw. die Ausführungen bei Rohls, Theologie, 222 f. 555   Elert, Untergang, 8. 556   Elert, Kampf, 326. 557  Vgl. Bayer, Elerts, 166: »Elerts an die Lebensphilosophie anknüpfende Erlebnistheologie entspricht dem Zeitgeist«. Slenczka unternimmt es zu zeigen, dass hier auf Seiten Elerts ein Miss­ verstehen der Spenglerschen Methode vorliege. Das ist jedoch für unsere Fragestellung, die ja ledig­ lich anhand von Elerts Spenglerdeutung auf seine eigene thanatologische Methode hin deduzieren möchte, nicht weiter wichtig. Vgl. dennoch Slenczka, Selbstkonstitution, 135 Anm. 21. 558   Elert, Untergang, 21. 559  Ebd. 560   Vgl. aaO., 21. Ob nun eine Kultur wirklich eine fassbare Einheit ist, lässt sich allerdings getrost bezweifeln. 554

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den könne. Es müsse vielmehr anerkannt werden, dass der Kampf »zwischen Sinn und Unsinn« eben »bei immanenter Betrachtungsweise der Geschichte« immer durch den Unsinn gewonnen werde.561 Hier nun folgt das schon gebotene Zitat, das in Bezug auf Elerts Religionsverständnis sehr eindrücklich ist und daher noch einmal genannt werden soll: »Aber das resignierende Eingeständnis, dass in dem Kampf zwischen Sinn und Unsinn ein immanenter Sinn höherer Ordnung nicht erkennbar ist – das ist es ja gerade was uns als Christen zu dem Bekenntnis ver­ anlaßt, diesen uns unerkennbaren Sinn ins Transzendente in Gott zu verlegen.«562 Sinndeutung, sowohl in Bezug auf die große Einheit der Geschichte einzelner Kulturseelen als auch in Bezug auf die kleine Einheit der Individualseele, so kann man Elert hier deuten, sei bleibende Aufgabe im Leben. Da die »immanente Betrach­ tungsweise«, das meint das Verstehen der Welt ohne Hinzunahme einer übernatür­ lichen Offenbarung, eben nicht zu einem Ziel in Bezug auf die Sinndeutung führe, werde der Christ dazu veranlasst, den Sinn »ins Transzendente« zu verlegen. Dass ein derartiger Blick auf die Welt dem Tod eine Zentralstellung, nämlich als unbe­ dingter Irrationalitätsmarker, als das unhintergehbare Merkmal dafür, dass immer der Unsinn gewinnt, zuspricht, dürfte einleuchten. Durch die Aufnahme der Seele als Agens der Geschichte und durch die Bestimmung des eigenen Seelenlebens als Ausgangspunkt für die geschichtsphilosophische Sinnfrage, das bedeutet bei Elert auch für die individuelle lebensphilosophische Sinnfrage, wird deutlich, dass das Gefühl bzw. die Gestimmtheit in Bezug auf den Tod bei Elert zentral ist. 2.4.4.3  Werner Elert in der Tradition der Erlanger Erfahrungstheologie In dem bisher Gesagten ist schon angelegt, dass Elerts Theologie durch Erfahrung bestimmt wird. Um näher zu fassen, was wir unter Erfahrung in Bezug auf Elerts Theologie zu verstehen haben und inwiefern dies für sein Todesdenken einschlägig ist, greife ich auf Notger Slenczkas Studie zurück, der Werner Elert ganz dezidiert als in einer Erlanger Schultradition stehend versteht und eindrücklich zeigt, dass Erfahrung bei Elert im Sinne der Erfahrung der Erlanger Theologie zu verstehen ist.563 Erfahrung in dieser Tradition meint ganz herkömmlich zunächst die Beschreibung des »Dass« und »Wie« dessen, was dem Menschen in seinem Leben begegnet und so von ihm erfahren wird.564 Erfahrung ist damit also sehr allgemein bestimmt. Es können 561   AaO., 22. Slenczka freilich diagnostiziert auch an dieser Stelle in der für seine Elertdeutung charakteristischen Ablehnung und zuweilen auch ad-absurdum-Führung des Elertschen Denkens, dass Elert hier Spengler und dessen an dieser Stelle zugrundeliegenden Schicksalsbegriff gründlich missverstehe. Vgl. Slenczka, Selbstkonstitution, 129 – 139, bes. die ausführlichen Anmerkungen in diesem Teil, die immer wieder Elerts Spenglerdeutung kritisieren. 562   Elert, Untergang, 22. 563  Vgl. Slenczka, Selbstkonstitution, bes. 15 – 20; 343 – 346. Diese Einordnung ist allerdings nicht von Slenczka ›erfunden‹ worden, sondern findet sich in anderen Elert-Einordnungen auch. Vgl. etwa Beyschlag, Elert, 5 – 11. 564  Vgl. J. Track, Art. Erfahrung III / 2, in: Theologische Realenzyklopädie 10, 1982, 116 – 128, hier 122 – 123.

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Gefühle, Gedanken und auch Ereignisse sein, die dem Menschen begegnen. Erfahrung kann sich aber auch verdichten zu ganz konkreten Ereignissen wie beispielsweise Erweckungserlebnissen. Wichtig ist dabei, dass Theologie verstanden wird als Explika­ tion dieser Erfahrung. Die Lehre oder das Dogma sind damit eben von dieser Erfah­ rung abhängig. Das lässt sich weiterführen zu dem Gedanken, dass eine Veränderung der Erfahrung eben auch zu einer Veränderung der Theologie zu führen hat. Diese Bewegung lässt sich bei Elert deutlich in Bezug auf die Kriegserfahrung finden. War für ihn das Transzendenzerlebnis vorher meist positiv besetzt, wird es nach dem Krieg und im Laufe der Weimarer Zeit immer mehr negativ ausgedeutet.565 Dass für Elert vor allem auch die Theologie Rudolf Ottos bedeutend war, weil er in dessen Religions­ theorie eine Sprache für seine Erfahrung gefunden hat, wurde immer wieder betont.566 Wichtig für die Thanatologie Elerts ist hierbei die Erfahrung des Schicksals. Schicksal, das Elert anhand von Spenglers Schicksalsbegriff (den er nach Slenczka falsch versteht) deutet, ist für ihn die Chiffre für eine Fremdbestimmung des Men­ schen besonders auch in Bezug auf sein Weltverstehen. Ob ich die Welt als Christ sehe, sei weitgehend fremdbestimmt. Wenn ich sie als Christ oder Lutheraner sehe, dann trage die Erfahrung jedoch über alles hinweg. Slenczka dazu: »Hinter der Ratio­ nalität einer nach dem Kausalgesetz geordneten Welt und hinter dem Anspruch auf Autonomie zeigt sich eine schicksalhafte Gebundenheit des Subjektes gerade in dem Entwurf eines solchen Weltbildes.«567 Diese letztlich als Kulturkritik zu verstehende Auffassung verbindet sich nach der Erfahrung des Ersten Weltkrieges mit einer »Neubewertung der Irrationalität« und führt dazu, dass Elert seinen Gottesbegriff im Horizont des Denkens Rudolf Ottos und der Vorstellung des deus absconditus bei Luther radikal negativ formulieren kann.568 Allerdings steht dann hier auch schon der ab der ›Morphologie‹ wichtige Begriff des Gesetzes im Hintergrund, das Elert als »Durchbrechung des menschlichen Autonomieanspruches in der Erfahrung der Heteronomie und Abhängigkeit von der Irrationalität« sieht.569 Die Verortung Elerts in der Tradition der Erfahrungstheologie ist deswegen für die Thanatologie wich­ tig, weil sie Elerts Todesverständnis in zweifacher Weise historisiert. Zum einen als kulturkritisch intendiertes Hauptstück in einem vor dem Hintergrund der Kriegs­ erfahrung entwickelten Versuch des Durchsichtigmachens des christlichen Weltver­ stehens. Zum anderen als eine radikal subjektiv grundgelegte Beschreibung seines eigenen Weltverstehens zur Zeit der Weimarer Republik. Es fällt auf, dass hier, wie oben besonders auch bei Stange, wiederum die Begriffe Erfahrung und Irrationalität an bedeutender Stelle vorkommen. Erfahrung wird hier zunächst in einem eher allgemeinsprachlichen Sinne verstanden, ohne den komple­ 565

  Vgl. die Herausarbeitung dieser Entwicklung bei Bayer, Elerts, 197 f.   Vgl. u. a. Beyschlag, Elert, 13 und Slenczka, Selbstkonstitution, 50 f. sowie Bayer, Elert, 51 f., 197 – 199. 567   Slenczka, Selbstkonstitution, 349. 568   Vgl. ebd. 569  Ebd. 566

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xen Aufbau einer solchen Erfahrung selbst wiederum detailliert zu problematisieren, wenn auch Elert immer wieder auf die Bedeutung des Gefühls hinweist. Irrationali­ tät hingegen geht hier Hand in Hand mit dem Unsinn aus der Spengler-Rezension. Was der Mensch in seinem Leben nicht sinnvoll integrieren kann, ist Hinweis auf die generelle Irrationalität oder eben auf den alles bestimmenden Unsinn.570 2.4.4.4  Der Tod in Werner Elerts ›Morphologie des Luthertums‹ Wie schon bei Paul Althaus’ wichtigen Werken finden wir auch in Werner Elerts ›Morphologie des Luthertums‹, das »noch vor der Dogmatik zweifellos das Haupt­ werk«571 Elerts darstellt, gleich zu Beginn die Rede vom Tod. Der Tod, das zeigt sich schon auf den ersten Seiten des Buches, ist zentral für das Verständnis des Gan­ zen. Elert unternimmt es, vereinfacht gesagt, in seinem Buch das Luthertum auf ein bestimmtes »Urerlebnis« zurückzuführen, das sich zwar in sich verändernder Form, aber dennoch als Urerlebnis durch alle Ausprägungen des Luthertums durch­ zieht. Und in diesem Urerlebnis, das er auf der vierten Seite des ersten Kapitels sei­ nes Buches einführt, steht eben der Tod ganz zentral. Für unsere Frage ist es nicht bedeutend, die ganze ›Morphologie‹ darzustellen. Es kommt nur darauf an, zu zei­ gen, wie der Tod hier bei Elert eine so wichtige Funktion erhält, dass gleichsam klar wird, dass es sich bei dem von ihm Gemeinten gar nicht wirklich um den konkreten Tod handelt als vielmehr um etwas, was man die Endlichkeitsdimension des Lebens nennen könnte. Um das Urerlebnis zu verstehen, muss nur ganz kurz der Gesamtgedankengang der ›Morphologie‹ angerissen werden. Elerts These lässt sich in etwa so fassen, dass er davon ausgeht, dass die von ihm im Urerlebnis gefasste Gotteserfahrung die »Dynamis« des gesamten Luthertums darstellt. Unter Dynamis versteht Elert dabei ein Prinzip, das allen Ausprägungen einer Kulturseele im Spenglerschen Sinne (vgl. 2.4.4.2) zugrunde liegt und mal mehr, mal weniger deutlich zu Tage tritt, aber erhal­ ten bleiben muss, damit eben noch vom gleichen geredet werden könne.572 Dieses Urerlebnis liege begründet in »demjenigen Punkt« der Theologie Martin Luthers, »der den ganzen Bau des nachfolgenden geschichtlichen Luthertums zu tragen ver­ mag.«573 Das Urerlebnis wird von Elert durch eine Betonung der absoluten Sünden­ 570   Zur Bedeutung des ›Unsinns‹ für theologisches Denken überhaupt vgl. die zwar liturgiewis­ senschaftlich ausgerichtete, aber letztlich auf das Ganze der Theologie zielende Studie: F. Herzig, Unsinn zur Unzeit. Ein Dialog mit Gilles Deleuze über »Ereignis« im homiletischen und liturgi­ schen Horizont, 2020. 571   Slenczka Selbstkonstitution, 128. 572   Vgl. für die Beschreibung von Dynamis bei Elert Kaufmann, Elert, 216 – 218 und natürlich auch Slenczka, Selbstkonstitution, 129 ff. 573   Elert (s. Anm. 521), 8. Zwar hat das Urerlebnis gewisse Bezüge zu Luthers Turmerlebnis und es könnte daher zu vermuten sein, dass Elert hier in der Nähe der Lutherforscher um Karl Holl herum steht, die den jungen Luther besonders in den Blick nahmen. Die Aufnahme von späteren Lutherschriften und eine Abgrenzung Elerts sprechen jedoch dagegen. Kaufmann, Elert, 220 und Slenczka, Selbstkonstitution, 141 f.

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verfallenheit des Menschen eingeführt. Für Luther sei klar gewesen, »alles, was der Mensch in sich vorfindet und alles, was er setzt, ist Sünde und also von Gott gerich­ tet.«574 Elert rekurriert hier auf Luthers Auslegung des 90. Psalms, das »schwarz in schwarz gemalte Bild« sei wohl »persönliches Zeugnis Luthers« gewesen.575 Mose, der Dichter des Psalms, sei von Luther als »severus minister mortis et ira Die et peccati« verstanden worden, denn der Psalm habe »mors temporalis, mors aeterna, mors und immer wieder mors« als Thema.576 Eine solche pessimistische Auffassung sei für Luther allgemeingültig gewesen, ja er habe das Leben eben nur als Ganzes betrachten können und als »Ganzes aber ist es unzweifelhaft begrenzt vom Tode.«577 Das Leben als Ganzes betrachtet, ließe einen begreifen, warum es beständig von der Todesdrohung begleitet wird.578 Denn, wenn man diese Bedrohung eben auch auf die Gottesbeziehung des Menschen anrechne, wie es sich für Luther ergeben habe, dann scheine auch die Gottesbeziehung, die für Luther eigentlich selbstverständlich gewesen sei, nicht mehr selbstverständlich. Vielmehr, und nun kommt die berühmte Formulierung des Urerlebnisses, gehe dem Menschen auf: Aber über all diese Vernünftigkeit der Welt und Verständlichkeit des Sollens fährt der Mensch plötzlich zusammen. Ihn packt das Grauen. Wovor? Mit einem Grauen fängt vielleicht jede Religion an. Aber hier ist es nicht ein bloßes Gefühl weltlichen Unbehagens, das Gefühl für die Unheimlichkeit, Rätselhaftigkeit, Rationalität der Umwelt. Auch nicht die bloße Furcht vor der eigenen Unzulänglichkeit, vor Altern und Sterbenmüssen. Und auch nicht nur das Gefühl vom Unendlichen erdrückt zu werden. Es ist vielmehr das Grauen, das einer empfindet, wenn ihn in der Nacht plötzlichen zwei dämonische Augen anstarren, die ihn zu Unbeweglichkeit lähmen und mit Gewißheit erfüllen: es sind die Augen dessen, der dich in dieser Stunde töten wird.579

Gott sei so »aus einem Gegenstand des Nachdenkens, aus einem Paragraphen der Dogmatik zu einer Person geworden, die mich persönlich anruft. Und sie ruft mich an, um mir zu sagen, daß meine Zeit abgelaufen ist.«580 Das Urerlebnis des Luther­ tums, das, das deutet Elert an, für ihn Parallelen zum religiösen Urerlebnis schlecht­ hin hat, ist zentral auf den Tod bezogen. Denn das Grauen, das er beschreibt, ist nicht irgendein Grauen, es ist das Grauen vor dem eigenen Tod oder vielmehr, wenn man das vorher aus Luthers Auslegung des 90. Psalms Gesagte hinzunimmt, es ist das 574

  Elert, Morphologie, 16.  Ebd. 576  Ebd. 577   AaO., 17. 578   Hier redet Elert in Anlehnung an Luthers Sprachgebrauch vom Leben als »punctum mathe­ maticum«. Diese Rede ist allerdings eher verwirrend als erhellend, so dass ich hier in der Darstel­ lung ohne diesen Begriff verfahre. Er steht letztlich nur dafür, das Leben eben als unendlich gering sowohl in Bezug auf seine Dauer im Vergleich zur Dauer der Welt als auch in Bezug auf seine Bedeutung in im Vergleich zur Bedeutung der Welt, zu beschreiben. AaO., 17 f. und vgl. für eine Kritik dieser Rede Slenczka, Selbstkonstitution, 179 – 186. 579   Elert, Morphologie, 18. 580  Ebd. 575

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Grauen der eigenen Endlichkeitserkenntnis. Das eigene Leben ist endlich. Sowohl in Bezug auf den Faktor Beziehung, wozu die Phänomene Sünde und Schuld gehören, als auch auf den Faktor Zeit, was den eigenen Tod und den Tod anderer mit einbe­ zieht. Diese Tatsachen lassen sich nicht nur nicht wegrationalisieren, sie stellen auch alle anderen Rationalisierungen unter das Diktum der Vergänglichkeit. Selbst wenn irgendwo und irgendwann mal ein Sinn für das Leben gefunden würde, es wäre kein langfristig tragfähiger, das ist für einen Menschen, der das Grauen der Endlichkeit empfunden hat, klar. Ein Mensch, der das erkannt hat, ist, für Elert, in zweifacher Weise in der Gewalt Gottes. Zum einen, weil er den Menschen zur Rechenschaft für seine Forderung an ihn zieht und zum anderen, weil der Mensch diese Forderung niemals wird erfüllen können. Der Mensch wolle nun wissen, warum das so sei, er bekomme aber keine Antwort. Denn Gott erscheine dem Menschen hier nur als der »Deus absconditus«, als der »Gott, der Pharaos Herz verstockt, der Esau haßt [. . .] und doch in grausamer Selbstherrlichkeit andonnert: Tua cupla!«581 Die genaue Beschreibung des Gedankenganges von Elerts ›Morphologie‹ kann hier abbrechen, da das Wichtige deutlich geworden ist: Der Tod wird hier in der ›Morphologie‹ nicht als Bestandteil christlicher Lehraussagen Thema. Vielmehr ist er als Erfahrungsmo­ ment des eigenen Lebens, also wieder unter der Fragestellung, was denn der eigene Tod für mein Leben aussagt, Thema. Das bedeutet, und hier steht Elert ganz neben den anderen Vertretern der ersten Welle und besonders neben Schlatter (vgl. 2.4.1), dass der Tod hauptsächlich in seiner Funktion als Abbruch, Ende und Schrecken beschrieben wird. Hier überbietet Elert die anderen Vertreter der ersten Welle aller­ dings, was die Ausmalung des Schreckens betrifft. Und schließlich wird der Tod auch noch auf eine höhere Ebene gehoben und als Chiffre für die Endlichkeit in vie­ lerlei Gestalt genommen. Er ist auch hier für Elert Endlichkeitsmarker schlechthin. 2.4.4.5  Der Tod in Werner Elerts ›Der christliche Glaube‹ Es gilt nun zuletzt noch die späte Thanatologie Werner Elerts anhand der Ausfüh­ rungen in seiner Dogmatik ›Der christliche Glaube‹ darzustellen. Hierbei muss zunächst die Grundstruktur dieser Dogmatik kurz erläutert werden, um die kon­ krete Thanatologie ins richtige Licht zu setzen. Die Dogmatik ist dabei von zwei Dingen maßgeblich geprägt: Zunächst von einem Denken, das das Menschsein erst ohne die Brille des Glaubens in den Blick zu nehmen versucht, also eine allgemein menschliche Erfahrung des Menschseins zu schildern unternimmt. Diese Schilde­ rung ist für Elert das Menschsein unter dem Zeichen des Gesetzes. In Bezug auf dieses steht dann gegensätzlich die Selbsterfahrung des Menschen unter dem Evan­ gelium, die in einer antithetischen Darstellung dem ersten entgegengesetzt wird. Notger Slenczka beschreibt dieses Moment folgendermaßen: »Die damit gesetzte Ambivalenz aller Wirklichkeit unter der Alternative der Verborgenheit und der 581

  AaO., 19.

2.4  Die erste Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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Offenbarung Gottes, des Zornes und der Gnade, der natürlichen Existenz und der Existenz im Glauben«582 prägt die gesamte Dogmatik. Dem folgend ist auch im letz­ ten Teil der materialen Dogmatik, der mit »Die letzten Dinge« überschriebenen Eschatologie, diese antithetische Darstellung der Themen gegeben. Hier kommt der Tod zum einen als Thema vor. Es gibt jedoch neben dieser hier vorkommenden eschatologischen Thanatologie Elerts noch eine grundlegende Thanatologie in Elerts Dogmatik, die ihren Ort nicht in einem bestimmten dogmatischen Locus hat, son­ dern seiner Gesamtdarstellung zugrunde liegt. Diese grundlegende Thanatologie liegt ganz auf der Linie des bisher zum Todes­ denken Elerts Gesagten, indem sie den Tod als herausragenden Endlichkeitsmar­ ker nimmt, der der gesamten Darstellung des menschlichen Selbstverständnisses zugrunde liegt. Der Tod ist damit auch in diesem Werk Elerts eines der Hauptthe­ men, das alle anderen Darstellungen mitbestimmt. Das lässt sich auch hier zunächst wieder durch einen formalen Hinweis schnell unter Beweis stellen. Elerts erster der eigentlichen Dogmatik zugeteilter Paragraph, der Paragraph 6, der das erste Kapitel eröffnet, in dem es um »Das Selbstverständnis des Menschen unter der Verborgen­ heit Gottes« geht, beginnt sogleich mit dem Thema Tod. Der Mensch wird als der »Verfließende« dargestellt, dessen Leben abläuft, wobei nicht nur das Ende »unent­ rinnbar«583 sei, sondern die Endlichkeit an sich als unentrinnbar dargestellt wird. Dieser Beginn mit dem Tod ist jedoch nicht nur formal, sondern auch inhaltlich begründet. Es geht Elert hier darum, darzustellen, dass im menschlichen Leben nur eines konstant sei, nämlich »die Tatsache, daß mir, seitdem und solange ich lebe, ein anderes entgegensteht, das nicht ich bin.«584 Dieses Gegenüber, das Elert, immer noch Spengler-geprägt, als »Schicksal« bezeichnet und das später als der »verborgene Gott« identifiziert wird, zeigt seine Macht vor allem in den verschiede­ nen Formen der Endlichkeit, die Elert selbst zwar nicht so nennt, die aber in seiner Beschreibung klar werden. Der Tod fungiert hier als das herausragende Merkmal dieser Endlichkeitsstruktur des menschlichen Lebens. Der § 6 endet dann auch mit einer Unterstreichung dieser Endlichkeitsstruktur, die im Tod kulminiert. Ich gebe dieses Ende, weil es eindrücklich ist, hier in einem längeren Zitat wieder:

582   Slenczka, Selbstkonstitution, 265. Allerdings insistiert Slenczka darauf, dass bei Elert auch die Beschreibung der »natürlichen Erfahrung« schon so erfolgt, dass ihr wahrer Sinn nur »von der Offenbarung her« (258 u. 265) erfolge. Dies mag einerseits stimmen, kann Elert seinen eigenen Blick auf die Dinge, der tatsächlich vom Evangelium weiß, ja nicht hintergehen. Es ist aber nicht im Prinzip seiner Dogmatik angelegt. Vielmehr zeigt vor allem die sprachliche Darstellung dieses »natürlichen Selbstverständnisses« des Menschen, dass Elert es möglichst neutral und nicht schon unter dem Blickwinkel der Offenbarung darstellen will. Dazu passt auch seine prinzipielle Würdi­ gung des Atheismus als alternativer Lebensweise zum Gottglauben. Vgl. dazu Elert, Glaube, 108. Dieses Insistieren Slenczkas beruht wohl vor allem auf seinem Unternehmen, Elert in die Tradition der Erlanger Theologie zu stellen. 583  Beide Elert, Glaube, 59. 584   AaO., 62.

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Es [das Schicksal, KS] ist der Inbegriff aller Rätsel, die uns aufgegeben sind. Gewiß erscheint es uns zuweilen und in gewisser Hinsicht auch immer als ein Gesetz, das alles regiert. Der Schnee schmilzt immer, wenn es warm wird, und der Mensch ist, wenn er fiebert, immer nicht gesund. Aber trotz aller dieser Gesetzmäßigkeiten gibt uns die Schicksalsmacht gerade an dem Punkte, wo wir selbst am unmittelbarsten mit ihr zusammenstoßen, fast wie zum Hohn Rätsel auf. Wird es auch mich treffen? Und wann? Wo wird diese Macht für mich zur Übermacht werden? Wo wird sie meiner Freiheit, meinem Verfügen über die Dinge die endgültige Grenze setzen?585

Elert lässt den ersten Abschnitt seiner Dogmatik, der das menschliche Selbstver­ ständnis im natürlichen, d. h. für ihn also noch nicht im gläubigen Sinne darstellt, in seinem Paragraph 16 mit einem »Ergebnis« enden. Hier werden noch einmal präg­ nant die wichtigsten Punkte seiner Beschreibung der »Wirklichkeitserfahrung des Menschen als [. . .] Ausgangspunkt«586 zusammengefasst.587 Es geht Elert darum, zu zeigen, warum und inwiefern eine wahre Gotteserkenntnis in dieser Form, also ohne die Offenbarung, nicht möglich ist. Zunächst hält er fest, dass man zwar, im Sinne einer philosophischen Theologie, nach Gott fragen könne, damit aber niemals den Gott finden würde, der einen selbst betrifft, sondern nur ein »Es«.588 Sodann sagt Elert, dass jeder Mensch, der sich dem Leben wirklich aussetzt, seine »Verantwor­ tung« spüre.589 Diese Verantwortung könne man als vor Gott denken oder ohne diesen Zusatz. Wer es mit Gott versuche, der müsse diesem »seine ganze Existenz« ausliefern und dabei einen »Sprung ins Dunkle« unternehmen.590 Sicherheit gebe es hier nicht. Daraufhin hält er fest, dass egal in welcher Situation sich der Mensch dann befinde, diese davon geprägt sei, dass »wir wesentlichen Lebensgehalt emp­ fangen.«591 Dabei sei es nicht möglich, sich in einer einsichtigen Weise zu diesem Empfangen ins Verhältnis zu setzen, weil das Schicksal, also die Macht, die uns emp­ fangen lässt, sich selbst widerspreche und aus menschlicher Warte nicht in Ordnung gebracht werden könne. Schließlich resümiert er, sozusagen als Schlussworte seiner Anthropologie: »Infolge der Nichtumkehrbarkeit der Zeit ist unser Leben niemals 585

  AaO., 63. Hier steht sichtbar die Kriegssituation der Abfassung im Hintergrund.   Fischer, Theologie, 97. 587   Slenczka kritisiert mehrmals und u. a. anhand dieses »Ergebnisses« Unzulänglichkeiten von Elerts Dogmatik. Vgl. Slenczka, Selbstkonstitution, 254 – 266 bes. die Anm. Die Kritik ist in Bezug auf systematische Probleme sicher berechtigt, dass Slenczka allerdings auch die sprachliche Form kritisiert (»denkbar nur in der Situation des Vortrages« S. 254 Anm. 3) missversteht meines Erach­ tens nach die Intention Elerts, der durch seine unleugbare Sprachgewalt Emotionen evozieren will und so seine Dogmatik auf einer Ebene, die über die rein sprachliche Verstehensebene hinausreicht, verstehbar macht. Ein wunderbares Beispiel dafür findet sich genau in jenem kurzen § 16. In Bezug auf unterschiedliche Möglichkeiten sein Leben zu verstehen, sagt Elert: »Natürlich kann man sein Leben auch im Sinne des Denkspruches der Berliner ›Freidenker‹ verklären: Macht hier das Leben gut und schön usw. Auch ist es niemand verwehrt, wenn er Philosoph ist, sich damit zu trösten, daß sein Leben ein Sein ist, oder wenn er Brot bäckt, sich als Bäckermeister zu verstehen.« (108) 588   Elert, Glaube, 108. 589  Ebd. 590  Ebd. 591  Ebd. 586

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auf den Ursprung, sondern immer auf den Tod gerichtet. Aus dem gleichen Grunde ist auch keine Entscheidung nachträglich korrigierbar. Wer demnach glaubt, es im Schicksal mit Gott zu tun zu haben, muß sich darüber klar sein, daß er dann dem ausgeliefert ist, der seine Kreaturen tötet.«592 Was der Mensch, der sich so erkannt habe, tun könne, würde nur ein Wort Goethes richtig beschreiben: »Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten.«593 Der Trotz, dieser Vorverweis sei erlaubt, erhält auch bei Tillich eine zentrale Stellung (vgl. 3.4). Es sollte deutlich geworden sein, dass eine Thanatologie Elerts sich nicht alleine auf die Aussagen seiner eschatologischen Tha­ natologie beschränken darf. Wie diese grundlegende Thanatologie mit der eschatolo­ gischen zusammenpasst, werde ich gleich noch behandeln (s. 2.4.4.6). Nun zur eschatologischen Thanatologie, die sich, wie gesagt, im Abschnitt zu den »letzten Dingen« befindet und im Sinne der für Elerts Dogmatik entscheiden­ den antithetisch verfahrenden Darstellungsform präsentiert wird. Elert beginnt seine Eschatologie, nachdem er einige Vorbemerkungen gemacht hat (§ 87), mit »Der Tod« (§ 88). Im Sinne der natürlichen Selbsterkenntnis gleiche das mensch­ liche Leben »der Flucht der Antilope über die freie Steppe, die doch vom Verfolger mit Sicherheit so gelenkt wird, daß sie im Netz des Jägers endigt.«594 Der Tod stehe immer als Möglichkeit im Raum und das müsse zunächst noch gar nicht immer schlimm sein. Denn es könnten ihm durchaus positive Dinge abgerungen werden. Beispielsweise mahne er zur Eile bei der Erledigung wichtiger Dinge, er könne sogar die Lebensfreude vermehren, weil er alle Dinge als endliche Dinge wertschätzen lasse, und führe, »wenn auch oft mir herbstlicher Resignation« zum Glücksgefühl, dass es noch nicht ganz vorbei ist.595 Und auch das immer wieder vorgebrachte Argument, dass der Tod das vorher Gewesene entwerte, müsse nicht gelten. Denn es nehme doch der Sache nichts an Wert, dass sie einmal vergehe (das steht diametral gegen Jüngel, der das gleich Argument nur umgedreht verwendet. Vgl. 2.3.4). Dieser eigentlich recht positive Blick Elerts auf den Tod wird dann aber, wenn der Mensch sich als Gottgläubiger versteht, in den Kontext von Gesetz und Evangelium eingezo­ gen. Und unter dem Gesetz sei der Tod das Gericht Gottes. Er ist die gerechtfertigte Sündenfolge und der »Tod« habe so »für das gesamte irdische Leben teleologische Bedeutung.«596 Denn, was auch im Leben komme, alles laufe auf den Tod hinaus. »Unter dem Gesetz ist das irdische Leben der Todesweg und nichts anderes.«597 Dem stehe dann aber der Blick des Glaubens auf den Tod entgegen. Und da Glauben eben von »Gottes Freiheit« ausgehe, ja an den »Gott des Lebens«598 glaube, verliere für den Glaubenden, der das Evangelium kenne, der Tod seinen Schrecken. Es gelte, »für den 592

  AaO., 109.  Ebd. 594   AaO., 503. 595  Ebd. 596   AaO., 504. 597  Ebd. 598  Ebd. 593

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Glauben hat der leibliche Tod seine Schrecken verloren. Er empfängt ihn genauso aus der Hand des barmherzigen Gottes wie das leibliche Leben. ›Der Tod ist mein Schlaf geworden‹.«599 Das gelte zwar, aber, hält Elert fest, auch hier »ist der Glaube [. . .] kein Habitus«, sondern befinde sich immer im Widerspiel mit dem Tod unter dem Gesetz. Dennoch könne der Glaubende, der sowohl um die »Vergebung«, die »Providenz« wie um die »Auferstehung« wisse, den Stachel des Todes entwerten.600 Das ist jedoch nur die Sichtweise auf den Tod in Bezug auf das menschliche Selbst­ verständnis, hat also nichts mit dem biologischen Tod zu tun, der vielmehr für »alle Menschen, ja auch für alle außermenschlichen Kreaturen Gottes, der gleiche ist.«601 Der Tod müsse sonach als ein »wirkliches Ende« verstanden werden.602 So steht der Tod wie alles im menschlichen Leben in »dem dialektischen Gegensatz von Gesetz und Evangelium.«603 Er ist so einerseits Erlösung, weil er den Sünder von seinem Sündersein erlöst, und er ist so Gesetz, weil er dies tut, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Für Elert ist der Tod also auf jeden Fall das absolute Ende des menschlichen Lebens im Sinne des Lebens, wie der Mensch es kennt. Dieses Leben müsse auch deswegen schon zu Ende gehen, weil es sonst die Sünde, die es unweigerlich aus­ macht, mit ins Ewige Leben nehmen würde. Damit kommen wir zum zweiten wich­ tigen Begriff der eschatologischen Thanatologie Elerts: dem ewigen Leben. Hier beginnt für Elert ein Bereich, der für ihn ganz »jenseits der Anschauungen« liegt, das heißt für ihn, dass sich aus den Verheißungen »nichts deduzieren« lasse, denn das »Jenseits ist keine Dublette des Irdischen.«604 Unter den Verheißungen ist für ihn die des ewigen Lebens die zentrale, die aber nichts mit den »Unsterblichkeits­ theorien« zu tun habe, denn diese missverstünden den Tod immer als unvollstän­ dig. Das kann er aber für Elert auch aus christlicher Sicht auf Grund des Gesetzes nicht sein. Der Tod müsse den Sünder vertilgen. Alles nach dem Tod könne nur als »vollständige Neuschöpfung« gedacht werden. »Die Vollständigkeit des Unterganges des alten ist dabei unvermeidliche Voraussetzung.«605 Nun, was heißt dann ewiges Leben? Um das zu verstehen, müsse Ewigkeit gefüllt und nicht leer gedacht wer­ den. Doch könnten die Menschen das nicht. Alles, was sie nutzen könnten, um den Begriff der Ewigkeit zu füllen, ergäbe sich aus dem Material, das mit der menschli­ chen Erfahrung zusammenhängt, die jedoch immer zeitlich sei und daher eben das Gegenteil von ewig. Es bleibe als Möglichkeit nur, den Begriff der Ewigkeit »von Gott her zu verstehen.«606 Dann werde Ewigkeit zur »Zeit Gottes«.607 Damit sei dann aber 599

  AaO., 505.  Ebd. 601   AaO., 506. 602  Ebd. 603  Ebd. 604   AaO., 507. 605   AaO., 509. 606   AaO., 510. 607  Ebd. 600

2.4  Die erste Welle thanatologischer Überlegungen der evangelischen Theologie

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auch nichts anderes gesagt, als dass Ewigkeit eben etwas völlig anderes ist, als das, was das menschliche Leben ausmacht. Nun könne dieses Ewige Leben aber doch, wendet Elert gegen sich selbst ein, laut dem biblischen Zeugnis auch schon im Jetzt Anwendung finden. Wie könne das zusammengehen mit der völligen Andersartig­ keit? Das geschehe durch den Existenzwandel, der sich durch das »Vernehmen des Evangeliums« vollziehe. Hier werde Christus der Herrscher über den Menschen und der Mensch habe Anteil an der Ewigkeit. Nun fällt auf, dass Elert diese Erklärung für das Ewige im Jetzt sehr halbherzig abgibt. Sie erscheint nicht nur sachlich, sondern auch innerhalb seiner Darstellung als sehr wenig nachdrücklich. Freilich geht es hier um ein Grundmoment seiner Dogmatik: Der Mensch ist eingespannt zwischen Gesetz und Evangelium und ihm widerfährt ein Existenzwandel durch das Evange­ lium, der ihn alles anders sehen lässt. Allerdings, das muss nachdrücklich bemerkt werden, bezieht sich diese Veränderung tatsächlich nur auf die Art und Weise, wie sich der Mensch sieht, auf sein Selbstverständnis. Elert betont dann auch hier noch einmal, dass dieses neue Selbstverständnis kein Habitus sei, sondern eben immer im Widerspiel mit dem alten stehe. Als eine Art Hoffnungsbild formuliert Elert schließ­ lich noch Sätze, die uns schon von anderen Autoren bekannt sind (vgl. Stange, Barth, Jüngel). Das Ewige Leben sei Aufgenommensein in das ewige Leben Gottes. Dieses ewige Leben Gottes wird so qualifiziert: »Was sich hier vollzieht, hat ewige Bedeu­ tung, weil es von Gott nicht vergessen wird.«608 Das ist allerdings natürlich wiede­ rum ein Satz, der ganz im Bereich des menschlichen Selbstverständnisses unter dem Evangelium steht. Schließlich bietet Elert auch noch einen Ausblick auf die »Aufer­ stehung der Toten« (§ 92), dessen Inhalt natürlich auf die Thanatologie ausstrahlt, aber auch recht leicht zusammengefasst werden kann: Auferstehung müsse aufgrund der Vollständigkeit des Todes eine Neuschöpfung sein, die zur Auflösung der Identi­ tät zu führen habe und eben, wie schon gerade zum ewigen Leben gesagt, dazu führe, dass der Mensch »aufgehoben aber im ewigen Andenken Gottes«609 sei. 2.4.4.6  Zusammenfassung Werner Elert Der Tod ist, das wurde gezeigt, ein einschlägiges Momentum in Elerts gesamter Theologie. Dabei ist der Tod stets auch Sinnbild für jegliche Endlichkeitsmarker des Lebens. Besonders die enge Verzahnung von Erfahrung im Sinne der Erlanger Tradi­ tion, die zentral in der Methode des Theologen Elert steht, und der eigenen Krisenund doppelten Kriegserfahrung hat das unterstrichen. Diese Erfahrungen teilt Elert zwar mit seiner Generation. Sie scheinen bei ihm aber in besonderem Maße in seine Theologie Einzug gehalten zu haben. Eine solche historisierende Betrachtungsweise seiner Thanatologie verweist seine Theologie in den Bereich der Sinndeutung. Sie kann verstanden werden als Elerts eigener Versuch, seinem Leben, das so vielfältig 608

  AaO., 513.   AaO., 527.

609

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

von Endlichkeit im existenziellen Sinne geprägt war, einen Sinn abzuringen. Dazu kommt, dass der Rückbezug auf die Erfahrung als Quelle der Theologie sein Denken zum zweiten Mal in den Bereich der Sinndeutung verweist. Elerts Erfahrungstheo­ logie ist hier als eine beschrieben worden, die stets den Versuch unternimmt, im Horizont des als sinnlos erfahrenen Lebens dennoch einen tragfähigen Lebensweg zu finden. Diesen findet er nicht mit Hilfe von »immanenter Betrachtung«, wie er es nennt, sondern eben nur unter Hinzunahme einer transzendenten Sinnquelle, der übernatürlichen Offenbarung im Sinne des Evangeliums. Insofern ist es ein­ leuchtend, dass der Tod sowohl eng verstanden als das Ende des eigenen Lebens als auch weit verstanden als Chiffre für alle Formen der Endlichkeit als grundle­ gende Thanatologie seine großen Hauptwerke ›Morphologie des Luthertums‹ und ›Der christliche Glaube‹ untermalt. Diese Sinnkategorie taucht auch in der konkre­ ten Behandlung des Todes in seiner Dogmatik wieder auf, indem Elert unterscheidet zwischen dem biologischen Tod und dem Tod in Bezug auf das Selbstverständnis des Menschen. Konsequenterweise wird dann von ihm auch das ewige Leben als eine Kategorie des Selbstverständnisses ausgeführt. Ewiges Leben haben bedeutet, sich selbst so zu verstehen, dass die eigene Person mit allem, was zu ihr gehört, aufgeho­ ben sein wird im ewigen Andenken Gottes. Mehr an Hoffnungsbild bietet auch die Behandlung der Auferstehung bei Elert nicht. Er lehnt hier ganz klar jede phanta­ sieuntermalte Ausdeutung ab, verweist aber auf die grundlegende Bedeutung dieser Verheißung für das Selbstverständnis unter dem Evangelium. Zwei Dinge sind noch herauszuheben, die bisher nicht angesprochen wurden: 1. Elerts Thanatologie gilt stets als Ganztodtheorie par excellence. Diese Beschrei­ bung hat sicher ein Wahrheitsmoment darin, dass Elert den Tod als Ende des menschlichen Lebens, wie es die Menschen kennen, bestimmt. Doch auch hier ist wieder zu bemerken, dass Elerts Interesse sich nicht darauf richtet die Endgültigkeit des Todes zu unterstreichen. Vielmehr geht es ihm darum, die existenzielle Bedeu­ tung der Endlichkeit des menschlichen Lebens zu betonen. Dass er nichts Konkre­ tes über das nach dem Tod sagt, liegt nicht daran, dass er in seinem Glauben davon ausgeht, dass es dieses nach dem Tod nicht gibt, sondern, dass er betonen möchte, dass viel wichtiger für die Betrachtung des Todes ist, wie er das menschliche Leben im Leben selbst bestimmt. Er sagt einmal, dass der Tod ja nur für die Angehörigen schrecklich ist, für die Toten ist er das nicht. So ist auch seine Theologie ganz auf die Erfahrung der Lebenden ausgerichtet und nicht auf die Phantasie über den Ort der Toten. 2. Als zeitlich erster und insgesamt nur einer von zwei, neben Jüngel, der in diesem Durchgang durch die Theologiegeschichte der Thanatologie des 20. Jahrhunderts behandelten Theologen sagt Elert an einer Stelle, dass der Tod das gelebte Leben nicht entwerten würde (vgl. 2.4.4.5). Diese Bemerkung ist außergewöhnlich und soll weiter später in ihrer ganzen Tragweite für die thanatologische Diskussion wieder aufgenommen werden.

2.5  Die thanatologische Diskussion in der protestantischen Theologie

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2.5  Die thanatologische Diskussion in der protestantischen Theologie Betrachten wir nun die skizzierte Entwicklung noch einmal als Ganzes und nehmen von dort Ausgang zu einer weiterführenden Beschäftigung mit der thanatologischen Frage, dann ist zu allererst festzuhalten, dass sich gezeigt hat, dass diese Darstellung zwar zeitlich betrachtet immer weiter nach hinten geschritten ist, dass dies jedoch was die Qualität der jeweiligen Thanatologien betrifft, ein Emporsteigen war. Dabei messe ich die Qualität der einzelnen Thanatologien vor allem an deren existenzieller Tiefe. Inwiefern ist die Theologie in der Lage, das gleichermaßen vielfältige wie vor­ belastete wie in seiner Bedeutung einzigartige Phänomen Tod aufzunehmen? Inwie­ fern wird die Theologie der Situation gerecht, dass der Tod als Phänomen etwas ist, was das Leben aller Menschen mal mehr, mal weniger bestimmt. Jeder Mensch hat eine Einstellung zum Tod und jeder religiöse Mensch bringt diese Einstellung mit seiner Religion in Verbindung. Es lässt sich nun feststellen: Die Diskussion der jüngeren Vergangenheit (dritte Welle) diskutierte über die existentielle Tiefe hinweg, produzierte Debattenbeiträge, die vielfach nur für einen sehr kleinen inneren Theologenzirkel gedacht sein können und sich in Bezug auf vermeintlich theologisch relevante Spitzfindigkeiten streiten, deren Deutefolie (Unsterblichkeit der Seele oder Ganztodtheorie / Auferstehung der Toten?) der evangelischen Diskussion auch noch durch einen kontroverstheologisch intendierten Beitrag von römisch-katholischer Seite aufgedrängt wurde. Die Dis­ kussionslage der zweiten Welle hatte da zunächst einmal schon den Vorteil, dass sie die Debatte nicht unter der schon angesprochenen Deutefolie diskutieren musste. Gleichzeitig war die existenzielle Dimension des Themas durch die Schrecken des Krieges noch deutlich näher, als es bei den Beitragenden der dritten Welle der Fall war. Der jüngste Theologe der zweiten Welle, Eberhard Jüngel, ist im Jahr 1934 geboren und hat damit den zweiten Weltkrieg und die unmittelbare Nachkriegszeit bewusst erlebt. Hier zeigt sich bereits, was immer wieder aufgezeigt wurde und was gleich noch einmal aufgenommen werden soll: Die Thanatologie ist unmittelbar und eng bezogen auf die jeweiligen Erfahrungen mit dem Tod des- oder derjenigen, der oder die eine solche verfasst. Hinzu kommt, was sich in der Publikationsweise der hier verhandelten Bücher widerspiegelt, dass die Diskussionslage für theologische Themen in Deutschland in den 1940er, 50er, 60er und frühen 70er Jahren natürlich noch eine andere war, als zur Zeit der dritten Welle. So konnten die hier verhandelten populär orientierten Bücher erst entstehen und zu großen Publikumserfolgen wer­ den und, da die Form natürlich auch den Inhalt bestimmt, ist diese Publikationsweise nicht unerheblich für die Debatten der zweiten Welle. Dennoch ist das, was wir in der ersten Welle vorgefunden haben, an existenzieller Tiefe und theologischer Reflektiert­ heit auch in der zweiten Welle nicht erreicht. Es lässt sich nun recht einfach und in Bezug auf das hier Gebotene konsequenterweise schlussfolgern, dass die existentielle Situation derjenigen Theologen der ersten Welle eben noch einmal eine andere war als die derjenigen der zweiten. Sie hatten nicht nur den zweiten, sondern den ersten

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

Weltkrieg erfahren und die, an Dramatik und Krisenhaftigkeit die Nachkriegszeit der 1940er und 50er Jahren wohl übertreffende Weimarer Zeit. Nicht umsonst wird nicht nur in der Theologiegeschichtsschreibung der Erste Weltkrieg als größerer Einbruch empfunden als der Zweite Weltkrieg. Ob sich diese These jedoch halten lässt, muss dahingestellt bleiben. Es ließe sich zumindest anmerken, dass die Jahre 1933 – 1945 mindestens so krisenhaft waren wie die Weimarer Zeit und auch der Zweite Welt­ krieg mehr als genug persönliche Erfahrungen mit dem Phänomen Tod geboten hat, ganz zu schweigen vom Holocaust. Es muss also an etwas anderem liegen. Ich mache den entscheidenden Punkt bei der zunächst noch im weiteren Sinne verstandenen Erfahrungsbezogenheit der Theologien der ersten Welle aus. Bei Schlat­ ter und Elert stand die Erfahrung ganz dezidiert im Mittelpunkt ihrer Theologie. Bei Althaus ist sie durch seine Theologie des Glaubens ebenfalls, wenn auch abge­ schwächt, mit einbezogen. Carl Stange fällt hier wie auch sonst innerhalb der ersten Welle sicherlich aus dem Rahmen, wenn er auch durch die Kategorien praktisch bzw. theoretisch in einem ähnlichen Bereich arbeitet. Der Ansatz bei der Erfahrung bringt viele Schwierigkeiten mit sich, hat aber, besonders in Bezug auf den Tod, den entscheidenden Vorteil, dass er die Theologie zwingt, nahe am menschlichen Erleben zu arbeiten. Auf die in den Tiefenschichten der Begriffe Erfahrung wie auch Erleben liegende Problematik gehe ich (vgl. 3. u. 4.) noch ein. Durch das nah am Menschen sein wird die existenzielle Dimension des Themas Tod stets im Blick behalten. Die Erfahrung des Todes spielt sich, weil sich der eigene Tod nun einmal nicht erfahren lässt, dabei meist auf der Ebene von Einstellungen zum Tod ab, die unter anderem auf der Ebene von Stimmungen beschreibbar sind. In Bezug auf den Tod nahestehen­ der Menschen haben diese Einstellungen eine Richtung. Der Mensch ist traurig, weil der verstorbene Mensch nicht mehr da ist, oder er ist einsam, weil die Gesellschaft fehlt usw. Die einzelnen Einstellungen haben einen konkreten Anlass und können so auch verstanden und bearbeitet werden. In Bezug auf den eigenen Tod ist das aller­ dings anders. Hier sind die Einstellungen zunächst nicht intentional. Das, worauf sie sich richten, ist völlig unbekannt. Zwar kann jeder Mensch daraus, dass andere verstorbene Personen weg sind, schließen, dass auch er oder sie selbst weg sein wird. Viel mehr lässt sich jedoch mit Sicherheit nicht sagen. So werden diese Einstellungen gegenüber dem eigenen Tod zu unbestimmten Gestimmtheiten. Sie sind diffus, es lässt sich weder genau sagen, auf was sie sich richten, noch was sie beinhalten. Sie scheinen sich vielmehr grundlegend auf alles zu beziehen und alles zum Gegenstand zu haben. Sie werden zu einer Art Grundstimmung. Und dass die Thanatologien der ersten Welle genau um diese Situation des Menschen in Bezug auf den Tod wussten, vermutlich von sich selbst verallgemeinernd auf diese Situation schlossen, macht ihre Ansätze so tiefgründig. Ich möchte nun noch einmal die Merkmale der einzelnen Wellen zusammenfas­ sen und dabei dieses Mal von der ersten zur dritten Welle vorwärtsschreiten, um die Verfallsgeschichte der theologischen Thanatologie im 20. Jahrhundert noch einmal deutlich zu machen.

2.5  Die thanatologische Diskussion in der protestantischen Theologie

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Die erste Welle ist geprägt durch eine in besonderem Maße biographisch arbei­ tende Thanatologie. Für Schlatter, Althaus und Elert konnte das gezeigt werden. Für Carl Stange gibt es bisher zu wenig biographische Forschung, sodass dieser Aspekt in Bezug auf ihn nicht gewertet werden kann. Dieser biographische Ansatz geht Hand in Hand mit der, wie Emil Brunner es 1929 nannte, »anderen Aufgabe der Theologie«, also einem Ausgangspunkt theologischen Arbeitens bei der »Wirklich­ keitserfahrung des Menschen«.610 Dabei geht es stets darum, derjenigen »Wirklich­ keit Rechnung zu tragen, auf die sich das Evangelium bezieht.«611 Darüber hinaus sind die Theologien dieser Welle immer besonders von ihrer Zeit geprägt. Althaus, Stange und Elert sind Teil eines »konservativen Kulturluthertums«612 und arbeiten somit daran, etwas, was sie als verloren gegangen betrachten, wieder hervorzuholen. Dazu greifen sie auf die Theologie Martin Luthers zurück, der dafür bekannt ist, sehr existenziell gesprochen zu haben. Durch diesen existentiellen Ansatz wird eben der Tod auch niemals nur Thema an einem bestimmten locus innerhalb der Dogmatik oder genauer innerhalb der Eschatologie. Vielmehr geht damit einher, dass der Tod jeweils das gesamte Denken maßgeblich grundiert. Zumindest für Althaus und Elert lässt sich das mit Sicherheit sagen. Wenn der Tod dann doch an seinem vorgesehe­ nen Ort innerhalb der materialen Dogmatik bzw. Eschatologie zur Sprache kommt, dann wird immer wieder auf die existenzielle Dimension verwiesen. Alles, was über die Erfahrung hinaus über den Tod zu sagen ist, wird bei den Vertretern der ersten Welle nur biblisch begründet. Sie beschränken sich in bewusster Zurücknahme eigenen Denkens auf eine Wiedergabe biblischer Bilder in Bezug auf das Jenseits des Todes. Das geht einher mit der immer wiederkehrenden Betonung, dass es anders eben auch nicht zu machen sei. Jemand, der wie Elert es einmal berichtet hat, im Krieg einem schwer verwundeten, verblutenden Soldaten begegnet ist, der den Feld­ prediger »gotteslästerlich anschreit, nicht um Trost, um Wasser! Und der Beauftragte Gottes hat kein Wasser! Wozu hat Gott diesen Mann geschickt?«,613 jemand, dem so etwas begegnet ist, der kann den Tod nicht klein reden oder gar verharmlosen, der muss Worte finden, die den Tod in seiner ganzen Radikalität und die Endlichkeit in ihrer Endgültigkeit anerkennen, ohne dabei den Glauben zu verlieren. Diese Theo­ rien daher auf einen Aspekt wie den einer Ganztodthese festlegen zu wollen, greift willkürlich bzw. kontroverstheologisch intendiert einen bestimmten Punkt aus dem vielfältigen Denken heraus und wird damit niemandem gerecht als demjenigen, der eben von einer abzulehnenden Ganztodtheorie sprechen möchte, um seine eigene Position an einem Gegner schärfen zu können. Alle in der ersten Welle verhandel­ ten Theologen sind Groß-Theologen, die ein schier unüberblickbares Konvolut von Schriften hinterlassen haben. Alleine daran lässt sich die existenzielle Betroffenheit 610

  Fischer, Theologie, 97. Brunner auch von hier zitiert.   AaO., 97. 612   Vgl. für diesen Begriff: Graf, Kulturluthertum. 613   Zitiert nach: Beyschlag, Elert, 17. 611

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

ihrer theologischen Arbeit ablesen. Es erscheint geradezu absurd, wenn Paul Althaus über Werner Elert in der akademischen Gedächtnisfeier zu dessen Andenken gesagt hat: Elert »sammelte seine Kraft mit bewußter Zucht auf wenige Werke [. . .]. Wohl hat er auch Broschüren und kleinere Schriften erscheinen lassen, auch manchen Auf­ satz geschrieben, aber im Verhältnis zu anderen doch nicht viele.«614 Werner Elerts Bibliographie umfasst 140 größere Aufsätze und über 200 zum Teil sehr ausführliche Rezensionen, dazu kommen dann noch die fünf monographischen Hauptwerke.615 Diese Bilanzierung von Althaus kann vielleicht nur verstanden werden, wenn wir bedenken, dass seine eigene vollständige Bibliographie 56 eng beschriebene Sei­ ten in der Dissertation von André Fischer füllt.616 Und auch Stange, der sicherlich immer ein wenig heraussticht neben Althaus und Elert, hat eine schier überwälti­ gende Anzahl an Publikationen vorgelegt, davon allein 51 Monographien.617 Dass bei allen dreien die Eschatologie bzw. der Tod dennoch ein herausragendes Thema ist, macht ein weiteres Mal deutlich, wie sehr dieses Thema die jeweiligen Theolo­ gen beherrscht hat. Schließlich ist es noch hervorzuheben, dass die erste Welle sich unter den zur Auswahl stehenden Hoffnungsbildern stets für das des Ewigen Lebens entscheidet. Es ist stets das Ewige Leben, das ausgedeutet wird, wenn es darum geht, über das Jenseits des Todes zu sprechen. Aber auch hier werden spekulative Ausfor­ mulierungen des Jenseits stets vermieden und stattdessen die Bedeutung des Ewigen Lebens im zeitlichen Leben hervorgehoben. Auch das Ewige Leben wird damit zu einer Art Existenzial. Unsterblichkeit der Seele und Auferstehung der Toten spielen dabei eine weit untergeordnete Rolle in den Theologien der ersten Welle. Die zweite Welle besteht aus zwei Einzelstudien zum Thema Tod (Thielicke, Jün­ gel), einem Teil einer Dogmatik (Barth) und einer anthropologischen Vorlesungs­ reihe, die als Einzelstudie veröffentlicht wurde (Pannenberg). Alle vier Arbeiten hatten dabei gemeinsam, dass sie in ihrer Herangehensweise eher popular-wis­ senschaftlich vorgehen bzw., im Falle Barths, einen besonderen dogmatischen Stil haben, der nicht eigentlich systematisch im klassischen Sinne vorgeht. So kommt es, dass alle vier dem Thema Tod relativ frei begegnet sind. Im Falle von Thielicke und Jüngel führte das zu einer Zweiteilung der Darstellung. Der Tod wurde einmal Thema einer philosophisch-phänomenologischen Betrachtung, die in beiden Fällen besonders die Philosophie Hei­deg­gers aufgenommen hat. Darauf folgte dann eine sich selbst erst als dezidiert theologisch verstehende Betrachtung des Todes, in wel­ cher der Tod dann als Teil des systematisch-theologischen Denkgerüstes des jewei­ ligen Autors präsentiert wurde. Beide Teile beziehen sich zwar in beiden Fällen auf einander, kämen aber letztlich auch ohne einander aus. Und auch Barths hier in 614

  Althaus, Elerts, 401.  Vgl. H. Wagner, Bibliographie sämtlicher theologischer Veröffentlichungen von Prof. D. Dr. Elert, in: Hübner (Hg.), Gedenkschrift, 411 – 424. 616  Vgl. Fischer, Zeugnis, 712 – 768. 617  Vgl. Greifswalder Studenten, Verzeichnis. 615

2.5  Die thanatologische Diskussion in der protestantischen Theologie

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den Blick genommene thanatologischen Aussagen passen in dieses Schema. Es war besonders aufgefallen, dass der behandelte Teil nicht in das von Barth durchgeführte Modell einer christologischen Anthropologie zu passen schien. Pannenberg hinge­ gen versucht durchaus beide Teile, die es bei ihm auch gibt, zu verbinden. Durch die dezidiert anthropologische Ausrichtung seiner Schrift jedoch liegt der Schwerpunkt bei ihm auch auf der philosophisch-phänomenologisch bzw. anthropologischen Betrachtungsweise des Problems. Das führt dann aber dazu, was sich in gewisser Weise mit der Zweiteilung bei Thielicke und Jüngel vergleichen lässt, dass seine sich selbst als theologisch verstehenden Einschübe, in denen er beispielsweise Gott bzw. Jesus Christus in die Argumentation einfließen lässt, eher unpassend wirken, ja dass es so scheint, als würden sie hier die Funktion des Lückenschließens ausüben. Alle vier Studien, explizit auch die von Barth, verweisen auf den Zusammenhang von Lebenssinn und Todesdeutung. Das wird uns ganz zum Schluss dieser Arbeit noch einmal beschäftigen (vgl. 4.). Und noch ein weiteres Moment, das auch schon die erste Welle bestimmte, muss hier mit Verweis auf das Ende dieser Arbeit genannt werden: In allen vier Studien haben wir Hinweise darauf gefunden, dass sich das Todesverständnis auf einer das ganze Leben bestimmenden Stimmungsebene aus­ wirkt. Die dritte Welle wurde beschrieben als Metadiskussion der vorhergehenden bei­ den Wellen. Die hier vorgestellten Ansätze sind dabei in sich durchaus unterschied­ lich, haben aber gemeinsam, dass sie sich auf die Diskussion der, wie die Beschäfti­ gung mit den anderen beiden Wellen gezeigt hat, Nebenfrage nach Auferstehung der Toten bzw. Ganztod oder Unsterblichkeit der Seele konzentrieren und diese als Inter­ pretationsansatz ihrer theologiegeschichtlichen Quellen verwenden. Dabei wird hier vor allem wieder die Frage nach dem kohärenten System auf der Ebene von Gegen­ ständen des Glaubens, in welches die jeweilige Todesdeutung einzufließen habe, bedeutend. Der thanatologische Diskurs scheint hier seine existenzielle Tiefe zu ver­ lieren. Er wird zu einer Spezialistendiskussion, die sich weit mehr für systematische Kohärenz als für lebensweltliche, existenzielle Anschlussfähigkeit interessiert. Sicher darf beides nicht gegeneinander ausgespielt werden. Aber gerade bei einer Frage, die, wie die Frage nach dem Tod, eine so grundlegende Sinnrelevanz aufweist, ist ein solches Vorgehen nicht zielführend; zumindest, wenn das Ziel eine Theologie ist, die eine Bedeutung abseits des akademischen Diskurses anstrebt. Bedenkt man näm­ lich, was immer wieder in den einzelnen Todesuntersuchungen durchkam, dass Sinn nicht einfach logischer, semantischer Sinn ist, sondern eng mit dem, was wir bisher noch behelfsweise Stimmung nennen (vgl. 3.4 und 4.), zusammenhängt, wird noch einmal deutlich, dass die Thanatologie auf beides einzuwirken habe: auf Gefühl wie Verstand. Diese Erkenntnis steht letztlich hinter den, besonders in der ersten und zweiten Welle, aber hintergründig auch in der dritten Welle, immer wieder aufkom­ menden Begriffspaaren: Irrationalität-Rationalität, Sinn-Unsinn, Gefühl-Verstand, Erfahrung und der Erfahrung vorausgehend, Denken-Fühlen usw. Genau dieser Zusammenhang wird uns dann zum Abschluss der Studie noch einmal beschäftigen.

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2  Die Frage nach dem Tod in der Theologie im 20. Jahrhundert

Zuvor verweist uns dieser Zusammenhang jedoch unmittelbar weiter an das Denken Martin Hei­deg­gers, der sowohl den Tod als auch die Frage nach dem Sinn, und zwar nach einem ganzheitlich verstandenen Sinn ins Zentrum seiner Philosophie in ›Sein und Zeit‹ gestellt hat und damit, wie wir bereits gesehen haben, die evangelischtheologisch-thanatologische Debatte maßgeblich mitbestimmt hat.

3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie und ihr Beitrag für eine gegenwärtige theologische Auslegung des Todes Im Folgenden, zweiten Kapitel dieser Arbeit widme ich mich nun den Gedanken Martin Hei­deg­gers. Seine grundlegenden Überlegungen zum Tod und zur Bedeu­ tung des Todes für das Leben des Menschen, die ihren Ort in den berühmten §§ 46 – 53 in ›Sein und Zeit‹ haben, spielten schon bisher immer wieder durch Seiten­ blicke eine Rolle. Nun stehen sie im Mittelpunkt. Hei­deg­gers Denken, das eine ganz eigene Sogwirkung hat, soll dazu verhelfen, um es mit einem Wort Peter Sloterdjiks zu sagen, »dank seiner (des Meisters) Stärke« bei einer eigenen Position anzukom­ men.1 Es soll also keine neue Auslegung der Hei­deg­ger’schen Thanatologie geboten werden. Es soll auch keine Hei­deg­ger-Studie entstehen, die sich in die unendliche Reihe der Hei­deg­gerforschung einreiht. Vielmehr dient Hei­deg­ger als Wegbereiter. Die besondere Stärke Hei­deg­gers ist, dass er gezeigt hat, dass (nicht nur) die Frage nach dem Tod eine Frage ist, die auf der Ebene von Stimmungen zu verhandeln ist; was darunter zu verstehen ist, sollte im Laufe dieses Kapitels deutlich werden. Wir haben das bei vielen der schon genannten Theologen bereits angedeutet gesehen. Es hat dazu geführt, dass der Tod als Thema auch dort ins Leben hineingeholt wurde. Es wurde nach dem Tod im Sinne der Frage nach der Bedeutung des Todes für das Leben gefragt. Dabei wurde der Tod dann vielfach als Beispiel für die letztlich irra­ tional durchdrungene Lebenserfahrung gedeutet. Und hier wiederum witterte die Theologie ihre Chance. Gott füllt die Lücke: Seht! Das Leben ergibt keinen Sinn. Spätestens die Endlichkeit zeigt das. Daher brauchen wir einen anderen Sinn: Einen, den wir bei Gott finden. Gerade die Beiträge der ersten Welle, gleichzeitig zu welcher auch Hei­deg­gers ›Sein und Zeit‹ entstanden ist, haben den Boden besonders für eine solche Deutung bereitet. Das habe ich in den gegebenen Einführungen am Verhältnis von Thanato­ logie und Thanatologe im Kapitel 2 immer wieder versucht aufzuzeigen. Und auch das Leben und Werk Hei­deg­gers sind, entgegen seiner eigenen Stilisierung und ent­ gegen mancher Versuche, diese Stilisierung aufrecht zu erhalten,2 auf das Engste miteinander verknüpft. Ja, es lässt sich sagen: Diese Verknüpfung, das zeigen die frü­ hen Vorlesungen Hei­deg­gers in Freiburg, ist sogar grundlegendes Programm seiner 1

  Zitiert nach P. Trawny, Hei­deg­ger Fragmente, 2018, 147.   Vgl. die frühe Hei­deg­ger-Biographie seines Schülers Walter Biemel, die 1973 noch zu Lebzei­ ten Hei­deg­gers erschienen ist und »dem Meister« sehr gefallen haben soll. W. Biemel, Hei­deg­ger, 14 1998; ganz anders Trawny, Hei­deg­ger, bes. 16 – 18. 2

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

frühen Philosophie als deren Höhepunkt sicher ›Sein und Zeit‹ zu gelten hat.3 Ich werde gleich (3.1) zu Beginn auf diese enge Verbindung zwischen Hei­deg­gers Bio­ graphie und seiner Thanatologie eingehen. Dabei spielen allerdings nicht nur Fak­ toren des eigenen Lebens eine Rolle, sondern auch die gesamtgesellschaftliche Stimmung.4 Trotz dieser Gemeinsamkeit zwischen Hei­deg­ger und den Theologen der ersten Welle, die als Lehre schon an dieser Stelle für die gesamte Arbeit zu gelten hat, nämlich, dass jede Thanatologie eine biographisch und gesellschaftlich bestimmte Thanatologie ist, trotz dieser Gemeinsamkeit, die vielleicht banal erscheinen mag, es aber besonders in Bezug auf Theologie, wo es dem Selbstverständnis nach bei vielen bis heute um ewige Wahrheit geht, und ebenso besonders in Bezug auf Hei­ deg­gers Denken, der sich ja, wie schon angedeutet, später selbst als quasi überzeitlich philosophierend stilisiert hat, nicht ist, trotz also jener Gemeinsamkeit, gibt es einen besonders eklatanten Unterschied zwischen den Thanatologien der ersten Welle und der Hei­deg­gers. Zwar geht es auch bei Hei­deg­ger ständig um den Bereich des Irrationalen, aber Hei­deg­ger belässt es nicht dabei, diesen Bereich als unaufklärbar stehen zu lassen. Vielmehr macht er es geradezu zum Programm seiner Philosophie, genau diese Sphäre aufzuklären. Er spricht auch nicht vom Irrationalen, da diese Bezeichnung für ihn bereits eine Rationalisierung ist, sondern vom Vortheoretischen oder Vorthematischen.5 Und genau diesen Bereich des Vorthematischen unternimmt es Hei­deg­ ger dann aufzuklären, was für unseren Zusammenhang in der berühmten Daseins­ analyse aus ›Sein und Zeit‹ gipfelt. Nach dem ersten Teil des Kapitels, der sich also mit dem Zusammenhang von Thanatologie und Thanatologe beschäftigt (3.1), werde ich den Blick auf Hei­deg­ger und die Theologie werfen und dabei auf besonders rele­ vante Schriften Hei­deg­gers auf dem Weg zu ›Sein und Zeit‹ eingehen, das getrost als Höhepunkt dieser ersten, theologisch geprägten Phase in Hei­deg­gers Denken gelten kann (3.2). Dies dient zum einen der Vorbereitung meiner eigenen, theologischen Lesart von ›Sein und Zeit‹.6 Zum anderen aber auch der Erhellung der schwierigen, 3   Vgl. die jüngsten Veröffentlichungen zu diesen Vorlesungen M. Fischer, Religiöse Erfahrung in der Phänomenologie des frühen Hei­deg­ger, 2013 und J. Wolfe, Hei­deg­ger’s Eschatology. Theolo­ gical Horizons in Martin Hei­deg­ger’s Early Work, 2013 sowie S. Fazzi, Religiöses Leben und philo­ sophische Selbstbestimmung. Der Luther’sche Beitrag zur Entwicklung der Philosophie des jungen Hei­deg­ger, 2018. 4   Vgl. hierzu die beiden Studien H. U. Gumbrecht, Stichwort. Tod im Kontext. Hei­deg­gers Umgang mit einer Faszination der 1920er Jahre, in: D. Thomä (Hg.), Hei­deg­ger-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, 2003, 98 – 103 sowie H. U. Gumbrecht, 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit, 22013, bes. 492 – 546. 5  Vgl. Fischer, Erfahrung, 323. 6   Auch dieser Ansatz ist natürlich nicht neu. Vgl. etwa die Arbeiten von Thomas Rentsch, die in meiner Herangehensweise eine große Rolle spielen. T. Rentsch, Martin Hei­deg­ger. Das Sein und der Tod, 1989, Ders., »Sein und Zeit«. Fundamentalontologie als Hermeneutik der Endlichkeit, in: D. Thomä (Hg.), Hei­deg­ger-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, 2003, 51 – 80, Ders., Endlich­ keit und Sinn, in: M. Höfner (Hg.), Endliches Leben. Interdisziplinäre Zugänge zum Phänomen der Krankheit, 2010, 25 – 38, Ders., Endlichkeit, wirklicher Sinn, Gott. Zur Konstitution der Trans-

3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

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für unsere thanatologische Fragestellung bedeutenden Gedankengänge des Haupt­ werkes, denen ich mich in den darauffolgenden Schritten immer weiter nähern möchte. In Bezug darauf ist vor allem auf einen meiner Einsicht nach bisher über­ sehenen Punkt hinzuweisen, der unabhängig von seiner generellen Bedeutung auch für unser Thema wichtig ist. Gerade die immer wieder beschriebenen theologischen Quellen der Analysen Hei­deg­gers (bes. Augustin, Luther, Kierkegaard) zusammen mit seinem Ansatz als »gottloser Theologe«7 rücken das ganze Vorhaben Hei­deg­gers nicht nur in die Nähe der Theologie, was vielfach gesehen wurde, sondern stellen es geradezu auf eine vergleichbare Grundlage mit einer sich selbst als neuprotestantisch verstehenden gegenwärtigen Theologie. Zwar wird oft gesehen und darauf hinge­ wiesen, dass Hei­deg­gers Vorgehensweise der Theologie ähnlich ist, aber gerade sein methodischer Atheismus wird stets als das trennende Glied zwischen ihm und den Theologen angenommen und beschrieben. Doch ist ein solcher methodischer Atheis­ mus ja gerade auch vielen protestantischen Theologen und Theologinnen in ihrer wissenschaftlichen Arbeit eigen, sodass die Analysen aus ›Sein und Zeit‹ geradezu als theologische Analysen in diesem Sinne gelten können (vgl. dazu u. bes. 3.3.1.13). Im dritten Schritt des Kapitels werde ich mich ›Sein und Zeit‹ selbst zuwenden und zunächst, vorbereitend für das Verständnis der weiteren Punkte, den Gesamtgedan­ kengang des Buches, allerdings schon auf unsere Fragestellung hingewendet, dar­ stellen (3.3). Dieser zwar pointierte, aber dennoch auf das ganze ›Sein und Zeit‹ ausgerichtete Versuch, unternimmt es wiederum, die thanatologischen Spitzenaus­ sagen Hei­deg­gers verständlich zu machen. Diesen nähere ich mich im Laufe des Unterkapitels in drei Bewegungen. Zunächst wird, der Gesamtgedankengang darge­ stellt (3.3.1). Daraufhin wird Hei­deg­gers Hermeneutik als Beitrag zur Thanatologie gelesen (3.3.2) und schließlich, das Hauptthema Tod immer näher einkreisend, die eigentliche Todesanalyse des Werkes rekonstruiert. Diese Gedankenlinien werden dann abschließend noch mit drei der Hauptkonzepte von ›Sein und Zeit‹ (Angst, Gewissen, Geschichtlichkeit) und einem besonders für unsere Fragestellung wich­ tigen, in ›Sein und Zeit‹ jedoch nur am Rande vorkommenden Konzept (Mut) ver­ bunden (3.3.3). Der Abschnitt 3.3.3.5, der sich dem Tod in Bezug auf das Hei­deg­ ger’sche Konzept der Geschichtlichkeit widmet, hat dabei nicht nur formal, sondern auch systematisch eine überleitende Funktion und wird uns inhaltlich bereits auf den letzten Teilen des Kapitels verweisen. Hier wird anhand eines Rückblicks auf zendenz im Blick auf Stekeler-Weithofers Sinnanalyse, in: S. Rödl / H. Tegtmeyer (Hg.), Sinnkriti­ sches Philosophieren, 2012, 39 – 49, Ders., Endlichkeit und Lebenssinn, in: A. Bihrer / A. FrankeSchwenk / T. Stein (Hg.), Endlichkeit. Zur Vergänglichkeit und Begrenztheit von Mensch, Natur und Gesellschaft, 2016, 35 – 51. Einschlägig sind natürlich auch schon die Bemerkungen bei Löwith, etwa in K. Löwith, M. Hei­deg­ger und F. Rosenzweig, ein Nachtrag zu »Sein und Zeit«, in: Ders., Gesam­ melte Abhandlungen, 1960, 68 – 92 und auch die schon genannten jüngsten Studien zu den ersten Vorlesungen Hei­deg­gers gehen in diese Richtung. Vgl. Fischer, Erfahrung; Wolfe, Eschatology; Fazzi, Leben. 7   Löwith, Hei­deg­ger, 82

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

die Analyse der Begriffe Sinn, Befindlichkeit und Geschichte der Fahrplan für die weiteren Überlegungen erarbeitet (3.3.4). Schließlich werde ich Hei­deg­gers Denken in einen Zusammenhang mit Paul Tillich setzen (3.4). Tillichs populäres Werk ›Der Mut zum Sein‹ wird von mir als Beitrag zur thanatologischen Diskussion gelesen und besonders seine Analyse des Mutes wird sich als gewinnbringend für unsere Fragestellung erweisen. Hier werden die bis dahin als entscheidend für die Thana­ tologie herausgearbeiteten Konzepte von Befindlichkeit bzw. Stimmung, Geschichte bzw. Geschichten und Grundstimmung noch einmal tiefergehend betrachtet, sodass im Anschluss der Boden für die Schlussbetrachtungen ausgelegt sein wird.

3.1  Die Thanatologie des Thanatologen – Martin Hei­deg­ger und der Tod »Ich mache lediglich, was ich muß und was ich für nötig halte, und mache es so, wie ich es kann – ich frisiere meine philosophische Arbeit nicht auf Kulturaufgaben für ein allgemeines Heute . . . Ich arbeite aus meinem ›ich bin‹ und meiner geistigen, überhaupt faktischen Herkunft. Mit dieser Faktizität wütet das Existieren.«8 Diese Worte schrieb Martin Hei­deg­ger 1921 in einem Brief an Karl Löwith. Zunächst geht es darin um eine philosophische Erkenntnis Hei­deg­gers, die er im Laufe des Jah­ res für sich neu entdeckt hat, nämlich den dynamischen Charakter des Existierens. Doch noch etwas anderes kommt in diesem kurzen Briefabschnitt deutlich zu Tage: Hei­deg­ger philosophiert aus seinem Leben heraus! Für ihn ist das persönliche Leben die Quelle seiner philosophischen Kreativität. Sicherlich wird diese Tatsache sprach­ lich, besonders in ›Sein und Zeit‹ abstrahiert und damit in gewissem Sinne auch verschleiert. Aber es ist für die gesamte hier für uns relevante Periode seines Den­ kens ganz eindeutig und in ›Sein und Zeit‹ dann, trotz aller Verschleierungsversu­ che, eine solche Lesart abzuwehren, in aller Deutlichkeit offenliegend: Das Dasein, das Hei­deg­ger aufruft, um die berühmte Ausgangsfrage nach dem Sinn von Sein zu bearbeiten, ist in erster Linie das Dasein Martin Hei­deg­gers im Jahre 1926, in dem er fast das gesamte Buch geschrieben hat.9 Es ist offenkundig, dass Martin Hei­ deg­gers Dasein verallgemeinerungsfähige Züge trägt. Das gilt wohl besonders für seine Zeit, aber auch bis heute. Anders ist die »ungebrochene Faszination«, die von seinem Hauptwerk ausgeht, und der unvergleichliche Erfolg nicht zu erklären.10 Darüber hinaus nimmt diese Erkenntnis den Überlegungen Hei­deg­gers natürlich nicht ihr Gewicht. Zum einen gilt dies in abgeschwächter Weise, bei noch so gro­ ßer und bemühter Abstraktion schlicht für jede Philosophie, wie auch Theologie. Zum anderen ist es ja gerade im ersten Abschnitt des ersten Teils (§§ 9 – 44), also  8

  Zitiert nach R. Safranski, Ein Meister aus Deutschland. Hei­deg­ger und seine Zeit, 1997, 146.   Vgl. für den Entstehungszusammenhang von ›Sein und Zeit‹ Gumbrecht, 1926, bes. 492 –  546 und T. J. Kisiel, The Genesis of Hei­deg­ger’s »Being and time«, 1995. 10  Vgl. N. Bolz, Ungebrochene Faszination, in: H. Seubert (Hg.), Neunzig Jahre »Sein und Zeit«. Die fundamental-ontologische Frage nach dem Sinn von Sein, 2019, 26 – 42.  9

3.1  Die Thanatologie des Thanatologen – Martin Hei­deg­ger und der Tod

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jener berühmt gewordenen »vorbereitenden Fundamentalanalyse des Daseins«, das schon angesprochene Vorthematische, was im Mittelpunkt steht. Und hier geht es ja um den Teil des Daseins, der noch nicht durch die subjektiven Erlebnisse eines spezifischen Lebens angereichert ist, sondern sozusagen fundamentalanthropologisch für alle Menschen gleich zu gelten hat. Es muss jedoch gefragt werden, ob das für alle hier vorgelegten Bestimmungen gleichermaßen gelten kann. Hei­deg­gers Unter­ scheidung in Selbstsein und Man (§§ 25 – 27), kann noch recht wertfrei verallgemei­ nert werden. Dass es so ein Erleben von eigentlichem und uneigentlichem Leben gibt, scheint allgemein anschlussfähig zu sein, solange man es nicht unternimmt, zu bestimmen, worin die Eigentlichkeit und deren Gegenteil besteht.11 Aber spätestens, wenn er die Grundbefindlichkeit der Angst (§ 40) einführt, beginnt Hei­deg­gers Ich die noch nicht ausgemalte Schablone des Daseins zu füllen. Das wird dann noch deutlicher für die berühmtesten Teile des zweiten Abschnitts (§§ 46 – 83), also für das Sein zum Tode (§§  46 – 53) und die Entschlossenheit (§§ 54 – 60). Und gerade in Bezug auf unser Hauptthema, also die Thanatologie, muss das, was vielleicht von manchem als Schwäche angesehen werden würde, als Stärke gelten, das sollte schon in Kapi­ tel 2 klar geworden sein. Es gibt keine generelle Deutung des Todes, sondern nur eine, die persönliche und zeitbedingte Stimmungen in Bezug auf den Tod aufnimmt und verarbeitet. Hei­deg­gers Thanatologie ist einerseits genau das. Das gilt es nun zu zeigen – zum andererseits komme ich noch (vgl. 3.3). Martin Hei­deg­ger war der katholischen Kirche von klein auf eng verbunden. Er wurde als Sohn eines katholischen Mesners im badischen Ort Meßkirch gebo­ ren.12 Die Kirche förderte ihn von klein auf, zunächst in der Form des Lateinun­ terrichts durch den Dorfpfarrer, ab 1903 durch Aufnahme in das erzbischöfliche Gymnasialkonvikt Konradihaus in Konstanz, die ihm ermöglichte, das Gymnasium zu besuchen, dann ab 1906 als Mitglied des Erzbischöflichen Gymnasialkonvikts St. Georg in Freiburg, wohin er wegen finanzieller Schwierigkeiten der Eltern wech­ seln musste. Es gab ein altes Stipendium, das jedoch ausschließlich für Meßkircher, die in Freiburg das Gymnasium und anschließend die Universität besuchen wollten, 11   Wobei natürlich auch hier eine sehr zeittypische Denkweise aufgenommen ist. Vgl. wieder­ rum Gumbrecht 1926, bes. 391 – 397. 12   Es gibt zwar zu Hei­deg­gers Biographie einige ältere und schon zu seinen Lebzeiten erschie­ nene Werke, wie P. Hühnerfeld, In Sachen Hei­deg­ger. Versuch über ein deutsches Genie, 1959 und Biemel, Hei­deg­ger. Die erste wirkliche Biographie hat jedoch Hugo Ott vorgelegt: H. Ott, Martin Hei­deg­ger: Auf dem Weg zu seiner Biographie, 1992. Seine Studie wurde bisher an Detailanga­ ben und Recherchedichte auch nicht übertroffen. Rüdiger Safranskis schönes Buch (Safranski, Meister) etwa baut in sehr weiten Teilen auch auf Ott auf und übernimmt ihn teilweise wörtlich. Es unterscheidet sich vor allem deswegen von Ott, weil es neben den biographischen Daten auch noch eine Werkgeschichte bietet. Auch geben die gängigen Einführungen zu Hei­deg­ger immer bio­ graphische Notizen, die jedoch nicht über das bei Ott Gebotene hinausreichen. Eine Ausnahme stellt sicher Gumbrecht dar, der zumindest um das Jahr 1926 herum Neues recherchiert hat (vgl. Gumbrecht, 1926 und Ders., Stichwort). Die schon genannten jüngsten Studien zu Hei­deg­gers Frühphase zitieren auch alle hauptsächlich aus Ott. Vgl. Fischer, Erfahrung, Wolfe, Eschatology und Fazzi, Leben.

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

um Priester zu werden, gedacht war. Mit Hilfe dieses Christoph-Eliner-Stipendiums verbrachte Hei­deg­ger eine materiell sorglose erste Phase in Freiburg, die zunächst 1909 mit dem Abitur zu enden schien. Denn Hei­deg­ger war, wie sein damaliger Rek­ tor Leonhard Schanzenbach schrieb, in »der Wahl des theologischen Berufs sicher und zum Ordensleben geneigt« und wollte sich »um Aufnahme in die Gesellschaft Jesu melden«.13 So bewarb sich Hei­deg­ger im selben Jahr, 1909, um das Noviziat der Gesellschaft Jesu in Tisis bei Feldkirch (Vorarlberg) und verließ somit Freiburg. Dieses Noviziat begann am 30. September und endete bereits am 13. Oktober wieder, also genau nach der vorgesehenen 14‑tägigen Probezeit. Hei­deg­gers Biograph Hugo Ott schreibt, dass dies wohl wegen Herzschmerzen geschah, die Hei­deg­ger hatte und die verhinderten, dass Hei­deg­ger in den Orden eintrat, da hierfür »einwandfreie gesundheitliche Verfassung und entsprechende Belastbarkeit« als Grundvorausset­ zung galt.14 Diese Herzschmerzen werden Hei­deg­ger immer wieder an zentralen Stationen seines Lebenswegs begleiten und es ist sicher nicht zu viel der Spekulation, wenn Safranksi in Bezug auf ein späteres Auftreten dieser Herzschmerzen schreibt: »Vielleicht hat er sich überarbeitet, wie er in seinem Lebenslauf von 1915 schreibt, vielleicht aber auch wehrt sich der Körper gegen eine falsche Arbeit.«15 Für unseren Zusammenhang sind an dieser Geschichte aus dem Leben des jungen Hei­deg­ger besonders zwei Dinge von Interesse: Zum einen das schon erwähnte Auftreten sei­ ner Herzschmerzen, auf das wir noch mehrmals zurückkommen werden müssen. Zum anderen die direkte Nähe dieses Ereignisses, das fraglos ein einschneidendes Erlebnis für den jungen Hei­deg­ger war, zur allerersten Publikation Hei­deg­gers, die uns direkt zum Thema Tod führt. Es handelt sich um einen Prosatext Hei­deg­gers, der am 5. November 1909 im Heuberger Volksblatt, einer katholischen Zeitung in der Region Meßkirch, erschien. Hei­deg­ger, damals gerade 20 Jahre alt geworden, von Kindesbeinen an auf die Priesterlaufbahn eingestimmt worden, finanziell abhängig von einem Stipendium der katholischen Kirche, und bereit sein Leben als Mitglied der Societas Jesu zu verbringen, wird nach gerade einmal zwei Wochen wieder nach­ hause geschickt, muss seine Pläne ändern und landet schließlich wieder in Freiburg, wo er im Theologischen Konvikt Collegium Borromaeum aufgenommen wird und zum Wintersemester 1909 / 1910 mit dem Studium der katholischen Theologie an der Universität Freiburg beginnt. In genau dieser Zeit schreibt Hei­deg­ger also seinen Text ›Allerseelenstimmungen‹.16

13

  Zitiert nach Ott, Hei­deg­ger, 59.  Ebd. 15  Ebd. 16   M.  Hei­deg­ger, Allerseelenstimmung, in: A. Denker / H. Zaborowski (Hg.), Hei­deg­ger und die Anfänge seines Denkens, 2004, 18 – 21. 14

3.1  Die Thanatologie des Thanatologen – Martin Hei­deg­ger und der Tod

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3.1.1  Der Tod des 20‑jährigen – Allerseelenstimmung ›Allerseelenstimmung‹ ist die erste bekannte Veröffentlichung Martin Hei­deg­gers überhaupt.17 Und für unseren Zusammenhang ist der Text schon allein deswegen inte­ ressant, weil bereits das titelgebende Motiv die beiden schon genannten und von Hei­ deg­ger in ›Sein und Zeit‹ zusammengedachten Themen Tod, hier in Form des katholi­ schen Totengedenktages Allerseelen, und Stimmung in einen Zusammenhang bringt. Und natürlich: Es scheint zunächst ungebührlich, dieser ersten Veröffentlichung ein zu großes Gewicht zuzumessen und dieser erste Impuls wird durch den teilweise unbeholfenen Stil des jungen Hei­deg­ger verstärkt. Hei­deg­ger hatte noch nicht einmal begonnen zu studieren. Er war gerade nicht mehr Schüler. Jedoch zeigt ein genauer Blick in den Text, dass hier nicht nur viele der später wichtigen Motive seiner Daseins­ analyse schon vorkommen, sondern dass hier bereits seine Nähe zu den theologischen Positionen der ersten Welle aufblitzt. Und nicht nur das, es ist sogar möglich, hier, acht Jahre vor Rudolf Ottos ›Das Heilige‹, diesen ersten Text Hei­deg­gers, der letztlich eine Mischform aus Prosaerzählung und religionsphänomenologischer Betrachtung ist, mit bestimmten Motiven des Heiligen in Verbindung zu bringen, die religionsphä­ nomenologisch Karriere machen werden und hier vom 20‑jährigen Hei­deg­ger, zwar stilistisch unschön, aber phänomenologisch treffend, beschrieben werden. Der Text setzt ein mit den Worten: »Allerseelentag . . . im Todesmonat.« Der erste von Hei­deg­ger jemals veröffentlichte (Halb‑)Satz führt also bereits auf jenes für ›Sein und Zeit‹ so zentrale Motiv des Todes. Hei­deg­ger beschreibt dann die Stimmung des Allerseelentags (2. November) in einer namenlosen Großstadt. Es ist »kalt«, »verreg­ net«, »dunkel«, die Menschen sind »fröstelnd«, »bleich« und überhören die »Aller­ seelenglocken«.18 Es wird eine düstere Stimmung heraufbeschworen, in die hinein die Glocken schlagen, doch nicht, um die Menschen zu erbauen, nein, um sie an ihren Tod zu erinnern. Die »Allerseelenglocken« sind im Duktus des Textes nämlich ein »Mahnen«, das die Menschen der Großstadt aber nicht hören.19 Sie hören es genauso wenig, wie sie das »Sterben« des Waldes, und den »Tode« des Laubes vernehmen, denn sie sind nicht mehr eins mit der Natur. Sie sind zu sehr eingenommen von der »Lust« zu wollen, sie sind frei von »Selbstzucht« und erkennen so nicht, dass ihr »Dasein« (sic!) nicht wie sie sagen in »Freiheit« ist, sondern eigentlich zusammen­ zubrechen droht.20 Doch hörten sie nur die Glocke, die eben eine Todesglocke ist, 17   Vgl. die Auslegung bei Fischer, Erfahrung, 51 – 54, der hier jedoch eher eine Inhaltsangabe des Textes gibt und so wichtige Punkte übersieht. Vgl. auch Fazzi, Leben, 96 – 97. Er interpretiert den Text und weist auf die interessanten religionsphänomenologischen Passagen hin, jedoch bringt er ihn dann mit Schleiermachers Reden in Zusammenhang, die Hei­deg­ger wohl aber erst kurze Zeit später während seines Studiums durch seinen Lehrer Carl Braig kennengelernt hat. Diese Ein­ schätzung kann daran liegen, dass Fazzi die ›Allerseelenstimmungen‹ irrtümlicherweise in das Jahr 1910 (vgl. S. 96) verlegt. 18  Alle Hei­deg­ger, Allerseelenstimmung, 18. 19   AaO., 19. 20   AaO., 18.

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so kämen sie ins »Land der Wahrheit«, wie es einer »junge[n] Gestalt« dann doch gelingt. Diese Gestalt ist eigentlich auch uneigentlich, verfallen. Sie wird von Hei­deg­ ger beschrieben als mit »blasse[m] Gesicht« und »fahlem Blick«. Ja, und hier ruft Hei­deg­ger Augustin auf, sie »ist sich selbst ein Rätsel«.21 Doch dann findet der junge Mann aus dem Man in die Kirche. Die Musik setzt in dem noch dunklen heiligen Raum ein. Er hört »Violinen klagen [. . .] und weinen«, die »Flöte stöhnt, Pauken dröhnen wie ferner Donner« und die Choresstimmen schallen »wie Sturmesheulen überm Weltmeer«. Das Ganze wird von Hei­deg­ger wieder zurückgebunden an den Tod, indem er sagt, die Stimmen klangen wie »Stimmen aus versunkenen Gräbern«. Und was singen sie? Welche Musik wird geboten? Es ist keineswegs etwas Erbauliches, immer noch nicht, an so einem trüben Tag für die trüben Menschen, stattdessen gibt es »Dies irae«, die Hymne des Tages des Zornes aus der Requiems- und Allerheiligen­ liturgie der Zeit vor dem II. Vatikanischen Konzil.22 Und so beginnt der junge Mann auch über sein eigenes Leben und seinen eigenen Tod nachzudenken, oder vielmehr »Todesgedanken« lasten plötzlich aufkommend auf ihm. Er »windet und quält« sich, er »will hinaus«, doch eine »eiserne Faust hält ihn«. Die Gefühle des jungen Mannes werden hier beschrieben als »angstvoll«, ihn überläuft ein »kalter Schauer«, er zit­ tert gar.23 Die Stimmung überwältigt ihn, er bereut, dass er aus dem »schimmernden Becher der Lust« getrunken hat. Verse Nietzsches kommen in ihm auf und er erkennt schließlich, dass es der »Geist der Lüge war [. . .], der sich selbst verneint« (Goethe), der ihn »Sklavendienste« tun ließ. Jetzt erkennt er es und es geschieht: Es wird ihm schwarz vor den Augen. Auf dem endlosen, grünen, wogenden Meer wähnt er sich, sieht die schäumende Woge, wie sie brüllend über ihn hereinbricht. Er will rufen. Die Stimme stockt. Er sinkt und sinkt, kalt, eisigkalt umfaßt’s ihn. Da greift er um sich. Die bleiche, zitternde Hand gleitet an der rauhen Säule hinun­ ter. Weißes Licht dämmert auf. Er steht unter den schwarzen, trauernden Betern an der Säule. ›Huic ergo parce Deus‹ kommt es sanft und flehend wie Kinderbitten. Offenbarungsschauer. ›Barmherzigkeit‹ haucht die entfärbte Lippe des Jünglings. Es zwingt ihn auf die Kniee . . . Allerseelentag . . . im Todesmonat.24 Diese letzte Passage des Textes wollte ich im Ganzen zitieren, weil sie noch einmal einen guten Eindruck in den Duktus des Textes gibt und eben alle schon angespiel­ ten Motive noch einmal vereint. Für den Hei­deg­ger des Jahres 1909 ist es offen­ bar schon deutlich, dass der Tod ein zentrales Thema für das eigentliche Verstehen des Menschseins ist, das Hei­deg­ger hier eben auch schon mit dem Wort »Dasein« umschreibt. Auch, wenn er nicht vom Verstehen spricht, geht es ja darum wie die 21   AaO., 19. Zwar kommentiert das Hei­deg­ger-Jahrbuch den Text. Dass hier offensichtlich auf Augustins berühmtes »factus eram ipse mihi magna quaestio« angespielt wird, wurde jedoch über­ sehen. Auch der Verweis auf »das Land der Wahrheit« verweist auf Augustin. 22   Ebd. vgl. dort Anm. 4. 23   AaO., 20. 24   AaO., 21.

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Menschen ihr eigenes Leben zu leben unternehmen. Da sind die Stadtmenschen, die den Todesruf der Glocke gar nicht wahrnehmen können, weil sie so sehr in ihrem lustbestimmten, aber letztlich kaputtmachenden, von der Natur entfremdeten Leben verfangen sind. Hei­deg­ger beschreibt ihr Lebensverständnis hier bereits nicht als unbedingt selbst gewählt, vielmehr hören sie den Ruf der Glocke einfach nicht, sie sind ganz in den mit Entfremdungsvokabeln wie trüb, blasiert, entfärbt, abgelebt umschriebenen Zustand entrückt. Und auch der Jüngling ist eigentlich bereits aufge­ gangen im Man, doch »Neugier, die Sehnsucht, die nie erlöschende, nach neuen Rei­ zen«25 hat ihn in die Kirche geführt. Man könnte sagen, er war plötzlich entschlossen, in diese Kirche zu gehen, er hat den Ruf seines Gewissens gehört. Und so kommt er in das schon zitierte Land der Wahrheit. Natürlich ist es hier in Hei­deg­gers Welt von 1909 noch die Wahrheit der katholischen Kirche, die den Menschen aus dem Man herausreißt und in das richtige Leben führt. Aber die Bewegungen und Motive sind schon vorhanden. Es gibt eine eigentliche und eine uneigentliche Sphäre des Lebens, es gibt das urtümliche Leben, im Einklang mit der Zeit der Natur und das entfremdete der Großstadt, es gibt die, die dem eigenen Tod in der Kirche ins Auge schauen und dadurch in Angst versetzt werden, aber so eben auch auf den Weg der Wahrheit kommen und die, die das nicht können.26 Und alles das ist begründet in den Stimmungen, die das Leben bestimmen. Wie diese Stimmungen das Menschsein grundlegend bestimmen, das hat Hei­deg­ger hier natürlich noch nicht beschrieben und es wird auch noch sein ganzes Studium, die Dissertation, die Habilitation und die ersten dann deutlich an das hier Gegebene anknüpfenden religionsphänome­ nologischen Vorlesungen und wohl auch die enge Zusammenarbeit mit Bultmann in Marburg brauchen, bis er das alles in ›Sein und Zeit‹ ausformulieren kann, aber die Grundlage ist hier bereits deutlich gelegt. Besonders die zentrale Stellung des Todesgedankens ist für unseren Zusammenhang bezeichnend. Und genau dieser ist es, der, als den Jüngling der heilige Schauer überkommt, dazu führt, dass er erkennt, was er wirklich tun muss. Dass hier eine Nähe zur Religionsbeschreibung von Otto und in seinem Gefolge auch von Elert (vgl. 2.4.4) gegeben ist, sei nur noch einmal erwähnt. Auch Hei­deg­gers Mysterium ist ein tremendum. Er spricht von Schauer, Zittern und davon, dass der Jüngling in angstvolle Stimmung gerät. Die Beschrei­ bung erinnert ein wenig an Ottos Erlebnis in einer Marokkanischen Synagoge im Jahr 1911, das wohl ausschlaggebend für seine Fassung des Heiligen war; wenn auch Otto, anders als Hei­deg­ger, dieses Erlebnis nicht mit einem so simplen Land der Wahrheit in Verbindung bringt. Aber er war eben damals auch schon ausgebildeter Religionsphilosoph und nicht gerade erst Abiturient. 25

  AaO., 19.   Hier ist Hei­deg­ger natürlich ein ›Kind seiner Zeit‹. Das alles sind Motive, die auch sonst vor­ kommen. Doch Hei­deg­ger ist mit diesem Text aus dem Jahr 1909 früh. Für die Eingebundenheit dieser Motive in die allgemeine Zeit vgl. die Kapitel »Authentizität versus Künstlichkeit«, »Imma­ nenz versus Transzendenz«, »Authentizität = Künstlichkeit (Leben)« und »Immanenz = Transzen­ denz (Tod)« bei Gumbrecht, 1926, 281 – 292, 310 – 324, 391 – 398, 413 – 425. 26

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3.1.2  Hei­deg­gers Herzschmerzen und die dunklen Gedichte Hei­deg­gers erster Versuch, seinen Lebensweg vollends in die sehr geordneten Bah­ nen der katholischen Kirche einbiegen zu lassen, scheiterte 1909 durch die schon angeführten Schmerzen im Herzen, die die Jesuiten dazu veranlassten, ihn nach der Probezeit des Noviziats wieder nach Hause zu schicken.27 Seit dem Wintersemester 1909 / 10 war er nun Student der katholischen Theologie und Mitglied des theologi­ schen Konvikts in Freiburg. Er bereitete sich, seinem Stipendium entsprechend, auf die Priesterlaufbahn vor. Doch schon ein Jahr nach dem Erlebnis bei den Jesuiten in Vorarlberg, musste er erneut einen Rückschlag hinnehmen. Im erzbischöflichen Ordinariatsarchiv Freiburg findet sich ein Bericht vom 2. April 1911: »Martin Hei­deg­ ger (II. Kurs) mußte Mitte Februar seine Arbeiten abbrechen, da seine nervösen Herz­ beschwerden sich wieder einstellten. Mit unserer Erlaubnis begab er sich in seine Hei­ mat. Es wurde ihm nahegelegt, ganz auszusetzen, bis er vollständig hergestellt ist.«28 Diese schlichten Sätze bedeuteten allerdings mehr, als es im ersten Moment erscheint. Sie bedeuten das Ende seines Weges in den Priesterstand und damit große finanzielle Probleme. Hei­deg­ger wurde also durch diese erneuten Schmer­ zen des Herzens in eine doppelte existenzielle Krise gestürzt. Nicht anders lässt es sich ausdrücken. Denn, wenn er sich nicht weiter auf die Priesterlaufbahn vorberei­ ten konnte, was ihm von ärztlicher Seite versagt worden war, dann bekam er auch kein Geld mehr aus seinem Stipendium. Da die Familie nicht einmal annähernd für den Unterhalt des Freiburger Studenten aufkommen konnte, bedeutete das im schlimmsten Fall den Abbruch seiner Studien überhaupt. Außerdem bedeutete es den Abbruch des Theologiestudiums, denn dieses war damals fast unweigerlich mit dem Priesterberuf verbunden. Nun ist es natürlich Spekulation, die Herzbeschwer­ den als psychosomatische zu interpretieren, aber es ist zumindest auffällig, dass sie sich in Hei­deg­gers Leben immer an entscheidenden Wendepunkten einstellten.29 Zwei dieser Wendepunkte, der Beginn des Noviziats und der Abbruch des Theo­ logiestudiums, haben wir schon kennengelernt, die anderen kommen gleich noch. Und letztlich führten die Herzschmerzen im Zusammenspiel mit den durch sie aus­ gelösten Ereignissen dazu, dass Hei­deg­ger zu dem bedeutenden Philosophen wer­ den konnte, der er in seinem späteren Leben war. Die sich selbst gegebene Begrün­ dung für die Schmerzen im Herzen sind recht dürftig. Hei­deg­ger schrieb in einem anlässlich seiner Habilitation verfassten Lebenslauf 1915: »Mein früher durch zuviel 27

 Vgl. Ott, Hei­deg­ger, 59 f. und für das Thema Hei­deg­gers gesundheitliche Probleme zu Beginn seines Lebens vgl. Fazzi, Leben, 27 – 57. 28   Zitiert nach Ott, Hei­deg­ger, 67. 29   Vgl. auch die Einschätzung bei A. Denker, Hei­deg­gers Lebens- und Denkweg 1909 – 1919, in: A. Denker / H. Zaborowski (Hg.), Hei­deg­ger und die Anfänge seines Denkens, 2004, 97 – 122, hier 101: »Wenn meine These von der philosophischen Berufung Hei­deg­gers stimmt, konnte er sich nicht guten Gewissens zum Eintritt [in die Gesellschaft Jesu, KS] entscheiden. Diese Entscheidung war mit großen Spannungen und Angst gepaart und war wahrscheinlich die Ursache seiner nervö­ sen Herzbeschwerden.«

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Sport entstandenes Herzleiden brach so stark aus, daß mir eine spätere Verwen­ dung im kirchlichen Dienst als äußerst fraglich hingestellt wurde.«30 Später aller­ dings, als er geworden war, was er werden wollte, als er also sein Ziel erreicht hatte, Weltphilosoph zu werden, wird immer wieder berichtet, dass er sportlich war. So fiel er beispielsweise in Marburg dadurch auf, dass man ihn an »Wintertagen [. . .] mit geschulterten Skiern zur Stadt hinausgehen« sehen konnte.31 Und während der Davoser Hochschulwochen im Frühling 1929, wo Hei­deg­ger das berühmt gewor­ dene Streitgespräch mit Ernst Cassirer führte, unternahm er mehrere Skitouren durch die wunderschöne Alpenlandschaft.32 Und schließlich ist Hei­deg­ger ohne nennenswerte Herzprobleme 86 Jahre alt geworden. Unabhängig von ihrer Ursache führten die Beschwerden jedenfalls dazu, dass Hei­ deg­ger den Sommer 1911 zuhause in Meßkirch verbrachte und, das ist durch eine gut überlieferte Korrespondenz belegt, zusammen mit seinem Freund Ernst Laslowski über seine Zukunft nachdachte. Die Wahl fiel schließlich auf das Studium der Mathe­ matik mit dem Abschlussziel Staatsexamen, das er ab dem Wintersemester 1911 / 12 aufnahm.33 Er erhielt zunächst ein Stipendium der Universität Freiburg, das aber durch eine Hauslehrerstelle aufgebessert werden musste und schließlich durch Ver­ mittlung seines Freundes Ernst Laslowski auch noch durch ein Privatdarlehen eines Alten Herren aus Laslowskis Studentenverbindung ergänzt werden musste.34 So kam er über die Runden. Aus diesen Jahren, die für Hei­deg­ger aufgrund der körperlichen und finanziellen sowie beruflich-perspektivischen Schwierigkeiten laut der einhelli­ gen Meinung aller Biographen eine schwere Krise bedeuteten, sind einige Gedichte Hei­deg­gers überliefert, die nicht nur diese existentielle Krise deutlich machen, sondern auch für unsere Frage nach dem Tod interessant sind.35 Seitdem Hugo Ott das Gedicht ›Oelbergstunden‹ aus dem Frühjahr 1911 in seiner Biographie veröffentlichte, ist die­ ses Gedicht immer wieder Gegenstand von biographischen Überlegungen geworden. Oelbergstunden »Oelbergstunden meines Lebens: / im düsteren Schein / mutlosen Zagens / habt ihr mich oft geschaut // Weinend rief ich nie vergebens. / Mein junges Sein / hat müd des Klagens / dem Engel ›Gnade‹ nur vertraut.«36

Hei­deg­ger spielt mit dem titelgebenden Begriff der ›Oelbergstunden‹ auf die bibli­ sche Überlieferung an, der zufolge Jesus am Fuße des Ölbergs im Garten Gethse­ 30

  Zitiert nach Ott, Hei­deg­ger, 68.   Safranski, Meister, 153. 32   Vgl. aaO., 212. 33  Vgl. Ott, Hei­deg­ger, 69  ff.; Safranski, Meister, 56 – 60; Fazzi, Leben, 39 – 41. 34  Vgl. Ott, Hei­deg­gers, 75. 35   Vgl. für eine Auslegung der Gedichte u. a. H. Zaborowski, »Herkunft aber bleibt stets Zukunft«. Anmerkungen zur religiösen und theologischen Dimension des Denkweges Martin Hei­ deg­gers bis 1919, in: A. Denker / H. Zaborowski (Hg.), Hei­deg­ger und die Anfänge seines Denkens, 2004, 123 – 158, 134 ff. Fazzi, Leben, 99 – 103. 36   U. a. abgedruckt bei Ott, Hei­deg­ger, 71. 31

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mane betete und in absoluter Einsamkeit blieb, weil seine Jünger immer wieder einschliefen, anstatt ihm beizustehen, bevor er verhaftet und schließlich gekreu­ zigt wurde. Diese Interpretation legt sich nahe, da der Titel des Gedichtes wohl auf die sogenannten ›Ölberggruppen‹ anspielt, die kunstgeschichtlich eine Darstel­ lung dieser Szene beschreiben. Hei­deg­ger sah sich selbst in diesem Jahr also wohl in Einsamkeit und Verzweiflung, das impliziert der Vers »Oelbergstunden meines Lebens«. Das Leben erschien ihm »düster« und er selbst empfand sich offenbar als »mutlos«. Doch in dieser schwierigen Situation, so legt es das Gedicht nahe, beruft sich Hei­deg­ger auf sein Gottvertrauen, er »vertraut dem Engel Gnade«. Es ist doch recht erstaunlich, dass Hei­deg­ger ein so persönliches Gedicht zur Veröffentlichung brachte und dass es, trotz seiner doch nicht allzu großen poetischen Güte, auch tat­ sächlich veröffentlicht wurde. Für unsere Fragestellung ist es vor allem deswegen von Interesse, weil sich auch hier das Thema Tod zumindest implizit wiederfindet. Denn Jesus ist im Garten Gethsemane am Fuße des Ölbergs ja aus einem besonde­ ren Grunde betrübt und zwar, zu Tode betrübt. Er weiß, dass er sterben wird und bittet den Vater noch, dass »dieser Kelch an ihm vorübergehen möge«.37 Die titel­ gebenden »Oelbergstunden« lassen sich also durchaus als Stunden, in denen der eigene Tod gewiss wird, interpretieren. Das Thema Tod ist für den jungen Hei­deg­ger auch im Jahr 1911 noch so präsent, dass er es in Gedichtform bearbeitet. Und auch die anderen Gedichte aus dieser Zeit haben immer wieder das Sterben und den Tod zum Thema.38 Es fällt auf, dass sogar in Gedichten, die nicht eigentlich von dunk­ len Themen handeln, das Thema Tod trotzdem präsent ist. So etwa in den beiden Gedichten ›Auf stillen Pfaden‹ und ›Julinacht‹ aus dem Sommer des gleichen Jahres. Auf stillen Pfaden »Wenn sommernächtige Lichter fluten / Um weisse Birken in der Heide, / Wenn düster-fahle Mondesgluten / D’rüberhängen wie Geschmeide – / Weitet die Seele sich, / Sterben die Kla­ gen, / Finden Gedanken mich / Fernher aus Tagen / Seliger Wonnen – / Doch – feuriger Rosen würziger Duft / Hat längst mir umsponnen / der Liebe Gruft . . .«39 Julinacht »Julinacht / Ewigkeitslieder / Singst du mir wieder. / Entführst mir die Seele / In waldstille Weite / Tauchst mich in gottnahe / Unendlichkeiten. / Julinacht / Zauberin / Heimwehlö­ sende / Künstlerin. / Daß früh im Feld / Heute die Sonne starb / Daß in Dämmerung sank / Was ich tags erwarb. / Daß sangesmüd / Der Fink verstummt / Und mürrisch kalt / Der Nachtwind brummt, / Daß die Linden lauschen / Dem Sterbelied / Daß die Blätter rauschen, / Als ob ich von dir schied – / Wird mir zur herben / Schauernden Frage: Glück deine Braut / Rufst du sie: ›Klage‹?«40 37

  Mt  26,36 – 46 parr.  Vgl. Fazzi, Leben, 100: »Die ersten Gedichte bringen hingegen mit gedämpften Kontrasten die Sehnsucht in der Beziehung zum Geheimnis des Göttlichen zum Ausdruck; einige symbolische Bilder treten wiederholt auf: die Semantik der Ferne, der Veränderung und des Todes.« 39   Auch u. a. abgedruckt bei Ott, Hei­deg­ger, 71. 40   Auch u. a. abgedruckt bei aaO., 72. Zu Lebzeiten Hei­deg­gers jedoch im Gegensatz zu den anderen hier angeführten Gedichten nicht veröffentlicht. 38

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Im ersten Gedicht ›Auf stillen Pfaden‹ geht es um die Suche nach Zerstreuung von den »Klagen«, die den Dichter offensichtlich belasten. Und es scheint zunächst so, als würde diese Zerstreuung auch gefunden werden, denn »ferne Gedanken seli­ ger Wonnen« kommen auf. Dann wird es doch wieder dunkel, die Zerstreuung hält nicht an, stattdessen endet das Gedicht in »der Liebe Gruft«, also am Ort der Toten. Und auch das zweite Gedicht hat eigentlich ein helles Thema, geht es doch um eine »Julinacht«. Doch auch hier wird klar, dass die Nacht den Verfasser auf die großen Themen lenkt. Wir wissen, dass Hei­deg­ger 1911 bereits durch seinen theologischen Lehrer Carl Braig mit Schleiermachers Reden vertraut gemacht wurde und so kann es durchaus sein, dass hier Gedanken Schleiermachers im Hintergrund stehen, wenn der Dichter unter dem Sternenhimmel an die »Unendlichkeit« und die »Ewigkeit« erinnert wird.41 Doch führt auch die »Unendlichkeit« der Julinacht den Dichter bald wieder auf todesgeschwängerte Gedanken, geht die Sonne nicht einfach unter, sie »stirbt« und auch das »Verstummen« des »Fink«, der »brummende Nachtwind« und das »Rauschen der Blätter« wird dem Dichter zu einem »Sterbelied«. Sicher darf man all diese Konnotationen nicht überbewerten, aber sie zeigen doch, dass das Thema Tod für den jungen Hei­deg­ger ständig präsent war. Ein weiteres, etwas spä­ ter, nämlich im Jahr 1915, entstandenes Gedicht möchte ich noch anführen, um auf einen weiteren für unsere Fragestellung bedeutenden Aspekt hinzuweisen. Trost »Die Sonne scheint / ein Stündlein nur. / Muß früh schon sterben. // Die Liebe weint – / Des Lebens Flur / Ein Feld von Scherben. // Wie Gott es meint! – / Auf ew’ger Spur / Geh’n Engel werben.«42

Auch hier findet sich wieder der Tod, muss die Sonne doch wieder »früh sterben«, was sicher auch eine metaphorische Beschreibung für das Leben ist, denn Sonne bedeutet Tag und Leben und ihr Sterben also Nacht und Tod. Doch ist hier, wie auch im ersten genannten Gedicht ›Oelbergstunden‹ noch ein anderes Motiv wichtig: der Engel. Ist der Engel im ersten Gedicht die personifizierte Gnade, auf die der Dich­ ter vertrauen kann, steht er im Gedicht ›Trost‹ für ein göttliches Werben, um, so lässt es sich zumindest deuten, dasselbe Vertrauen in die Gnade, dass schon in den ›Oelbergstunden‹ bedichtet wurde. Diese Gnade ist die des Vertrauenkönnens in einen guten Lauf der Dinge und das trotz aller Hindernisse, die das Leben bereithält. Das lässt sich, liest man die Gedichte vor dem angedeuteten biographischen Hinter­ grund, sicher ohne zu viel Mutmaßungen interpretieren. So schreibt Holger Zabo­ rowski in Bezug auf die frühen Gedichte: »Die göttliche Gnade ist für Hei­deg­ger bis 1919 – und auch weit darüber hinaus – von zentraler Bedeutung. [. . .] Die göttliche Gnade und die radikale, mit Vernunft letztlich nicht zu begründende Entscheidung des Menschen, auf die Gnade zu vertrauen, spielen eine derart wichtige Rolle, dass 41   Fischer geht ausführlich auf Hei­deg­gers Beziehung zu Schleiermacher ein. Vgl. Fischer, Erfahrung, bes. 48 – 51. Vgl. aber auch Ott, Hei­deg­ger, 112 und Fazzi, Leben, bes. 41 u. 69. 42   U. a. abgedruckt bei Zaborowski, Herkunft, 135 und Ott, Hei­deg­ger, 89.

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sich sagen lässt, dass für den frühen Hei­deg­ger die paulinisch-augustinische Tradi­ tion christlichen Denkens von zentraler Bedeutung war.«43 Auf die Gnade zu vertrauen, und zwar besonders trotz des Todes auf die Gnade zu vertrauen, so lässt sich das in Bezug auf unsere Fragestellung sagen, ist ein Ver­ trauen wider alle Wahrscheinlichkeit, im Sinne einer Glaubenseinstellung, für die es eigentlich keine Begründung gibt. Wo der Grund für diese Einstellung liegt, bleibt hier offen, aber es lässt sich gegen Zaborowski wohl sagen, dass es nicht nur eine Entscheidung des Menschen ist, als vielmehr, um es mit den später von Hei­deg­ger eingeführten Begriffen zu sagen, ein befindliches-Verstehen, in das der Mensch ohne eigenes Zutun, vorthematisch, faktisch geworfen ist und das ihn erst frei macht, sich zu entschließen. Doch soweit, dass Hei­deg­ger sicher in solchen Begriffen denkt und sie auch zu Papier bringt, ist er 1911 noch nicht. Zunächst studiert er noch Mathematik, belegt aber auch Vorlesungen in Philosophie. Betrachtet man die von ihm besuchten Lehr­ veranstaltungen, dann wird deutlich, dass er nur drei Semester ernsthaft Mathe­ matik studiert hat.44 Und so kam es, dass er ab dem Jahr 1913 auch an einer phi­ losophischen Dissertation bei Arthur Schneider, damals Professor für christliche Philosophie, arbeitete. Hei­deg­ger wurde am 26. Juli 1913 mit der Arbeit ›Die Lehre vom Urteil im Psychologismus. Ein kritisch-positiver Beitrag zur Logik‹ promo­ viert.45 Er verstand sich damals wohl, das geht aus der Korrespondenz mit Laslowski hervor, auf dem Weg in eine wissenschaftliche Laufbahn. Innerlich war er jedoch noch sehr dem katholischen Milieu seiner Herkunft verbunden.46 Sein Doktorvater Schneider wechselte nach Straßburg, sodass Hei­deg­ger sich neue Förderer suchen musste. Diese fand er zum einen in Heinrich Finke, Professor für Geschichte an der Philosophischen Fakultät, dessen Lehrstuhl auf katholischer Grundlage ruhte, und zum anderen in Engelbert Krebs, damals Privatdozent und katholischer Priester, der zu einem engen Freund wurde.47 Finke förderte ihn nun auf dem Weg zur Habi­ litation. Diese wurde durch das ›Schaetzler’sche Stipendium‹, das von der Erzdiö­ zese Freiburg verwaltet wurde, gefördert. Allerdings war das Stipendium, wie Hugo Ott herausgefunden hat, »an die strikt zu beachtende Norm der Lehre des heiligen Thomas von Aquin in Philosophie und Theologie gebunden.«48 Und der Freiburger Weihbischof Justus Knecht wies im Bewilligungsschreiben an Hei­deg­ger auch noch einmal deutlich darauf hin, wenn er schrieb: »Im Vertrauen, daß Sie dem Geiste 43

  Zaborowski, Herkunft, 135 ff.   Vgl. die Aufstellung der von Hei­deg­ger als Student besuchten Vorlesungen und Seminare in A. Denker / H.‑H. Gander / H. Zaborowski (Hg.), Hei­deg­ger und die Anfänge seines Denkens, 2004, 13 – 17. 45  Vgl. Ott, Hei­deg­ger, 76  f. Fischer, Erfahrung, 57. Seubert schreibt fälschlicherweise, er habe die Dissertation bei Braig eingereicht. Vgl. H. Seubert, Hei­deg­ger – Ende der Philosophie oder Anfang des Denkens, 2019, 44. Vgl. auch Denker, Lebensweg, 109 f. 46   Vgl. aaO., 12 – 114. 47   Vgl. u. a. Ott, Hei­deg­ger, 77  f. 48   AaO., 79. 44

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der thomistischen Philosophie getreu bleiben werden, bewilligen wir [. . .] ein Sti­ pendium von 1.000 Mark.«49 Nicht allein diese Verpflichtung, die Hei­deg­ger durch das Stipendium auferlegt war, sondern ebenso die sich verschärfende antimodernis­ tische Stimmung innerhalb der katholischen Kirche, die durch ein Lehrschreiben von Pius X. aus dem Jahr 1914, indem er für das Gebiet Italiens die ›Summa Theo­ logica‹ des Thomas von Aquin als Leitlinie des theologischen Denkens verbindlich festschrieb, noch einmal angeheizt wurde, versetzte Hei­deg­ger, der sich selbst ja als katholischen Philosophen verstand, in Unruhe.50 Ott schreibt: Wir können unschwer erahnen und nachvollziehen, in welchem inneren Zwiespalt sich der junge Hei­deg­ger befunden haben muß: angewiesen auf die materielle Förderung erneut, wie schon als Gymnasiast und Student, seitens der katholischen Kirche, als kleiner Leute Kind, sich wohl bewußt, daß von ihm ein Wohlverhalten erwartet wurde.51

Hei­deg­ger arbeitet unterdessen an seiner Habilitationsschrift ›Die Kategorien und Bedeutungslehre des Duns Scotus‹. Doch nun brach der Erste Weltkrieg aus. Hei­ deg­ger meldete sich am 2. August 1914 freiwillig, wurde jedoch schon 15. Oktober aufgrund von Herzbeschwerden entlassen.52 Das sind sie wieder, die heilbringenden Herzschmerzen! Die Schmerzen des Her­ zens sorgten also dafür, dass Hei­deg­ger nicht an die Front musste, sondern in Frei­ burg seine Habilitation fertigstellen konnte. Das Verfahren wurde am 27. Juni 1915 abgeschlossen. Hei­deg­ger war nun Privatdozent an der Philosophischen Fakultät. Am 15. August 1915 wurde Hei­deg­ger wiederum einberufen und im Ersatzbatail­ lon 142 ausgebildet. Allerdings nur um nach einem einmonatigen Aufenthalt auf der Krankenstation wiederum wegen Herzbeschwerden am 1. November 1915 an die sogenannte Heimatfront nach Freiburg versetzt zu werden.53 Das Herz hatte nun wieder dafür gesorgt, dass er soldatisch erst einmal verschont blieb. Er war nun in der Postzensur eingesetzt und konnte so weiter als Privatdozent lehren und philoso­ phisch tätig sein. Die Jahre bis 1918 verliefen für ihn äußerlich in relativer Ruhe. Er blieb Privatdozent, jetzt gefördert durch ein Stipendium der ›Görres-Gesellschaft‹, und war damit beschäftigt einen Ruf zu erhalten. Heinrich Finke machte ihm große Hoffnung, der Nachfolger seines eigenen Doktorvaters Arthur Schneider zu wer­ den, zumal der Lehrstuhl Schneiders, offenbar auf Betreiben Heinrich Rickerts, des zweiten philosophischen Ordinarius der Fakultät, zunächst nicht wiederbesetzt wurde. Dies geschah erst 1916, als Hei­deg­ger bereits habilitiert war und eigentlich bereitstand. Rickert war unterdessen nach Heidelberg gewechselt und Nachfolger Windelbands geworden. Sein Lehrstuhl wurde im Eilverfahren durch den Göt­ tinger Edmund Husserl besetzt, damals schon bekannt, aber noch nicht berühmt. 49

  Zitiert nach aaO., 80.   Vgl. aaO., 83 f. und Denker, Lebensweg, 111 f. 51   Ott, Hei­deg­ger, 85. 52   Vgl. aaO., 84 f. und Safranski, Meister, 72 f. und Denker, Lebensweg, 112 f. 53   Vgl. aaO., 116. 50

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Und es war wohl auch Husserl, zusammen mit Heinrich Finke, der seine Meinung zu Hei­deg­ger aus nicht aufgeklärten Gründen gewechselt hatte, der dafür sorgte, dass nun nicht Hei­deg­ger, der bereits seit zwei Jahren in den Startlöchern stand, für den anderen Lehrstuhl ausgewählt wurde.54 Hei­deg­ger war enttäuscht, ja es geht aus seiner Korrespondenz mit Laslowski hervor, dass auch dieses Verfahren ihn in seinem katholischen Selbstverständnis beschädigte. Wurde er zwar einerseits von diesen Kreisen gefördert, seitdem er ein Kind war, blieb diese Förderung aber offen­ sichtlich abhängig von Hei­deg­gers Benehmen. Es waren mit Finke und der ›Gör­ res-Gesellschaft‹ dieselben Kräfte, die ihn förderten, die ihm nun signalisierten, er müsse erst einmal noch »Schaffen, schaffen!«, wie Finke in einem Brief an Hei­deg­ger vom 23. Juni 1916, also nach der Neubesetzung des Lehrstuhl, schrieb.55 Hei­deg­ger wird sich in dieser Zeit immer mehr bewusst, dass er zwar katholisch ist, und er wird es auch bis zu seinem Lebensende bleiben, aber doch nicht mehr in demselben Sinne wie die ihn umgebenden Katholiken. Der Krieg, die Glaubenskrise, die berufliche Unsicherheit, die finanzielle Abhängigkeit von Kreisen, von denen er sich innerlich immer mehr entfernte, die aber Linientreue verlangten, und ab seiner Heirat vom 21. März 1917, die zunächst katholisch von seinem Freund Engelbert Krebs durchgeführt wurde, auch die Verantwortung für eine Familie, die dann 1919 durch die Geburt des Sohnes Jörg noch größer wurde, all das sind Entwicklungen, die eine Rolle bei dieser Abkehr gespielt haben. Es sind auch jene Jahre, in denen sich Hei­deg­ger offenbar mehr und mehr dem Protestantismus annähert. Seine Ehe wurde zusätzlich auch noch evangelisch geschlossen. Elfriede, Hei­deg­gers Frau, war Protestantin und auch, wenn sie sich anfänglich überlegte, Hei­deg­ger zuliebe katho­ lisch zu werden, war es langfristig eher umgekehrt. 3.1.3  Der Tod ist etwas anderes als das Reden über den Tod Der Erste Weltkrieg und die damit verbundenen Kriegserlebnisse bedeuteten für die Generation Hei­deg­gers fast immer auch deswegen einen Einbruch in der Biogra­ phie, weil der Krieg das Leiden und den Tod in so unfassbarer Weise und so nah vor Augen führte, dass der Blick auf die Welt und somit eben auch das Denken vor und nach dem Krieg nicht das Gleiche sein konnte. Vor diesem Hintergrund ist es schon bemerkenswert, dass der Denker, der die Debatten um den Tod im 20. Jahrhundert wohl am meisten bestimmt hat, obwohl er im richtigen Alter war und obwohl er, was sein späteres Leben bewiesen hat, sicher kein körperlicher Schwächling war, diese Erfahrungen nicht gemacht hat. Es steht dabei zwar außer Frage, dass jeder, der die Jahre zwischen 1914 und 1918 miterlebt hat, das Leid des Krieges erfahren hat, aber es besteht eben doch ein Unterschied zwischen den Erfahrungen an der Front, sei 54   Vgl. für diesen gesamten Komplex Ott, Hei­deg­ger, 87 – 101 und Safranski, Meister, 72 – 88 und Denker, Lebensweg, 112 – 116. 55   Zitiert nach Ott, Hei­deg­ger, 94.

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es als Soldat oder als Feldgeistlicher, und den Erfahrungen, die Hei­deg­ger gemacht hat. Nachdem er ab dem November 1915 als Landssturmmann in der Postüberwa­ chungsstelle in Freiburg eingesetzt war und nebenbei genug Zeit für die Lehre hatte, wurde er erst am 17. Januar 1918 wieder einberufen, um beim letzten Aufbäumen des deutschen Heeres unterstützend mitzuwirken. Zunächst wurde er in Heuberg kaserniert, dann wieder aufgrund seiner Herzbeschwerden nicht ins Feld geschickt, was von seinen Freunden mit Erleichterung aufgenommen wurde. Ochsner, eben­ falls Husserlschüler und Freund Hei­deg­gers, schrieb am 24. Januar 1918: »Es wäre für mich ein gar nicht einzuschätzender Verlust, wenn er ins Feld käme.«56 Doch so weit kam es nicht. Zunächst wurde Hei­deg­ger auf dem Truppenübungsplatz im schon genannten Heuberg, ganz in der Nähe von Meßkirch ausgebildet, war dann ab April noch einmal in Freiburg, bevor er am 8. Juli 1918 die Einberufung zur Front­ wetterwarte 414 nach Berlin-Charlottenburg zu einer Schulung bekam. In Berlin hatte er offenbar genug Zeit, Ernst Troeltsch zu treffen, mit dem er schon vorher im Jahr 1918 in brieflichem Austausch gestanden hatte.57 Er schildert in einem Brief an Husserl Eindrücke der Berliner Universität.58 Seine Kriegserfahrungen sind also durchaus anders als die der Frontkämpfer. Von Berlin aus kam dann schließlich auch Hei­deg­ger in die Nähe des Kampfgeschehens, nämlich nach Nouillonpont, etwa 40 Kilometer von Verdun entfernt.59 Er traf dort am 28. August ein, am 11. Novem­ ber wurde er bereits wieder nach Freiburg entlassen. Aber selbst in diesen nicht ganz drei Monaten hatte er offenbar Zeit, sich philosophisch zu betätigen.60 Ab dem Kriegsnotsemester 1919 lehrte er wieder in Freiburg. Für unseren Zusammenhang ist das deswegen wichtig, weil durch diese Beschreibung der Kriegserfahrung Hei­ deg­gers klar wird, dass die zentrale Stelle, die er dem Tod in seinem frühen Denken einräumt, nicht durch das wahrhaftige Erleben des Todes anderer, gar geliebter Men­ schen ausgelöst wurde. Das unterscheidet ihn von den theologischen Denkern der ersten Welle wie Schlatter, Althaus und Elert (vgl. 2.4.1, 2.4.3 und 2.4.4). Nimmt man zu dieser Erkenntnis noch die Todesreflexionen aus den oben zitierten, ganz frühen Veröffentlichungen dazu, ergibt sich ein Bild des Thanatologen Hei­deg­ger, das eher in weichen, sensiblen Farben gemalt ist. Nicht die raue, blutige, dröhnende Todes­ erfahrung des Krieges hat ihn auf das Thema Tod angesetzt, sondern das nachsin­ nende, sensible Reflektieren des eigenen Lebens im Horizont der Endlichkeit.

56

  Zitiert nach aaO., 103.  Vgl. M.  Hei­deg­ger, Phänomenologie des Religiösen Lebens, 22011, 25 f. Zur Einordnung von Hei­deg­gers Troeltsch-Bezug Fischer, Erfahrung, 332 ff. Die Briefe von Troeltsch an Hei­deg­ger sind abgedruckt in A. Denker / H.‑H. Gander / H. Zaborowski (Hg.), Hei­deg­ger, 75 f. Vgl. zu Hei­deg­ ger und Troeltsch auch C. Danz, Religion der konkreten Existenz. Hei­deg­gers Religionsphilosophie im Kontext von Ernst Troeltsch und Paul Tillich, in: Kerygma und Dogma 55, 2009, 325 – 341. 58  Vgl. Ott, Hei­deg­ger, 104. 59  Vgl. Denker, Lebensweg, 121. 60  Vgl. Fischer, Erfahrung, 74 f. 57

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

Hei­deg­ger wird von einer direkten, ihn selbst stark treffenden Konfrontation mit dem Tod auch in den folgenden, schweren Nachkriegsjahren verschont bleiben. Erst 1924 stirb Hei­deg­gers Vater im Alter von 73 Jahren und dann, nach der Abfassung der Todesanalyse von ›Sein und Zeit‹ wurde Hei­deg­ger mit dem Tod eines zwei­ ten ihm sehr nahestehenden Menschen konfrontiert.61 Im Jahr des Erscheinens von ›Sein und Zeit‹, verstarb die Mutter. Hei­deg­ger legte ihr wohl sein Handexemplar des gerade frisch erschienen ›Sein und Zeit‹ auf das Totenbett.62 Als der Tod der Mutter schon absehbar war, schrieb Hei­deg­ger an seinen Philosophenfreund Karl Jaspers folgende Sätze: Daß ich für sie eine schwere Sorge bin und das Sterben schwer mache, werden Sie ungefähr ermessen. Die letzte Stunde, die ich bei meiner Mutter verbrachte [. . .] war ein Stück ›prakti­ scher Philosophie‹, das mir bleiben wird. Ich glaube, den meisten ›Philosophen‹ ist die Frage Theologie und Philosophie oder besser Glaube und Philosophie – eine reine Schreibtischar­ beit.63

Zwar war auch ihm bis dahin die Frage nach dem Tod reine Kopfarbeit gewesen, nicht ›praktische‹, erfahrbare Philosophie, dennoch stand sie ganz im Kontext der Zeit. 3.1.4  Der Tod als Thema der Zeit Bellac und Lobredner hatten abwechselnd die Führung vor Rheinland und Her­ mes, Tod und Leben letzter. Vor den Tribünen galoppierte Tod und Leben an vierter Stelle. [. . .] Im Einlaufsbogen stieß Tod und Leben vor, [. . .] und siegte sicher mit einer Länge gegen den ganz zum Schluß kommenden Perikles, der Rheinland auf den dritten Platz verwies.64 Dieser Bericht von der Pferderennbahn Grunewald erschien in der Berliner Volks-Zeitung vom 14. Mai 1926. Das Thema Tod, hier gepaart mit seinem einzig würdigen Gegenpart Leben, war damals ein so selbstverständliches, dass man sogar Rennpferde so nannte. Diese Allgegenwart des Todes veranlasste Hans Ulrich Gum­ brecht, von dem auch der Hinweis auf den Rennbericht stammt, in seiner mentali­ tätsgeschichtlichen Studie ›1926‹, dem Thema Tod nicht nur ein eigenes Kapitel zu geben, sondern es als »Code« der Zeit immer wieder vorkommen zu lassen. Gumb­ rechts Studie ist für unsere Fragestellung deswegen so interessant, weil er sie vor dem Hintergrund von ›Sein und Zeit‹ entwickelt.65 Eine so ausführliche Beschäftigung mit dem damaligen Zeitgeist, wie er sie bietet, ist hier jedoch nicht nötig, soll es doch 61   Vgl. Hei­deg­gers Brief an seine Frau Elfride vom 3. Mai 1924 bei G.  Hei­deg­ger (Hg.), »Mein liebes Seelchen!« Briefe Martin Hei­deg­gers an seine Frau Elfriede 1915 – 1970, 2007, 135 f. 62  Vgl. Safranski, Meister, 168. 63   Zitiert nach ebd. 64   Zitiert nach Gumbrecht, 1926, 413 f. 65   Vgl. aaO., 492 – 546.

3.1  Die Thanatologie des Thanatologen – Martin Hei­deg­ger und der Tod

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nur darum gehen, aufzuzeigen, dass die »Todeszentriertheit« von ›Sein und Zeit‹ keineswegs einmalig war, sondern als in den geschichtlichen Kontext eingebunden verstanden werden muss. Für die Theologie haben wir diesen Zusammenhang im ersten Kapitel sowieso schon gesehen. Gumbrecht schreibt dazu: Trotz des (allgemein anerkannten) Einflusses der Kierkegaardschen Philosophie auf diese Stel­ len [die Todesanalyse in ›Sein und Zeit‹, KS] liegt es auf der Hand, daß Hei­deg­gers Fasziniert­ heit von Angst und Tod zahlreiche Variationen über das gleiche Thema widerspiegelt, die in der Literatur des Jahres 1926 [. . .] ebenso zu finden sind wie in neuen Freizeitbeschäftigun­ gen und neuen Interessen am Exotischen [. . .] sowie einer Unzahl neuer – und gefährlicher – Sportarten und spektakulärer Unterhaltungsformen.66

Diese einleuchtende These gilt aber natürlich nicht nur für das Jahr 1926, das haben unsere Blicke auf die theologischen Thanatologien der ersten Welle schon gezeigt. Sie gilt mindestens für die ganze Zeit zwischen den Weltkriegen und hat eine besondere Ausprägung sicher auch in der Todesfaszination des Faschismus, man denke nur an den Schlachtruf der spanischen Faschisten »¡Viva la muerte!«. Ich möchte diesen Komplex anhand von zwei Seitenblicken auf jenseits der Philosophie und Theologie stehende Bereiche in den Blick nehmen. Zuerst (2.1.4.1) soll einer der bekanntesten Romane des Jahres 1926, in welchem auch der Großteil von ›Sein und Zeit‹ ent­ standen ist, nämlich Ernest Hemingways ›The Sun Also Rises‹ auf seine »Todeszen­ triertheit« hin gelesen werden, die, das sei nur am Rande bemerkt, im Übrigen für das gesamte Werk Hemingways bedeutend ist.67 Daraufhin will ich anhand einer Passage aus Paul Ludwig Landsbergs Essay ›Die Erfahrung des Todes‹ den Stier­ kampf als eine jener gerade in den 1920er Jahren so überaus populären Unterhal­ tungsformen, wie Gumbrecht es nennt, aufnehmen und zeigen, inwiefern es sich hier um eine Art praktische Thanatologie handelt (2.1.4.2). Beide Seitenblicke haben dabei die Funktion, die Thanatologie Hei­deg­gers eben noch einmal als in ihrer Zeit stehend auszuweisen. 3.1.4.1  Die Sonne geht auf, ob du lebst oder nicht – Hemingway und der Tod Als Hei­deg­ger direkt nach dem Ende des Wintersemesters 1925 / 1926 Marburg verließ und nach Todtnauberg auf die Hütte fuhr, um fieberhaft, auf eine ordent­ liche Professur in Marburg hoffend, nun endlich das vielfach erwartete und auch angekündigte Buch zu schreiben, das als ›Sein und Zeit‹ Weltruhm erlangen würde, befindet sich Ernest Hemingway bereits in den Bergen im Schnee, gar nicht allzu 66

  AaO., 525.   Vgl. für eine gute Einführung in Leben und Werk S. E. Dean, Art. Ernest Hemingway, in: Kri­ tisches Lexikon der fremdsprachigen Gegenwartsliteratur (Online), 2020. Vgl. für detaillierte Dar­ stellungen seiner Biographie aus der schier unzähligen Menge an Arbeiten zu Hemingway: A. Bur­ gess, Ernest Hemingway. Leben und Werk des großen amerikanischen Erzählers, 21987 sowie K. S. Lynn, Hemingway. Eine Biographie, 21991 und K. Müller, Ernest Hemingway. Der Mensch. Der Schriftsteller. Das Werk, 1999 und H.‑P. Rodenberg, Ernest Hemingway, 1999. 67

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weit entfernt, etwa 250 Kilometer südöstlich, genau wie Todtnauberg auf 700 Meter Meereshöhe gelegen, in Schruns in Vorarlberg. Auch er arbeitet am Weltruhm und auch er ist nicht mehr weit davon entfernt. Hemingway verbrachte mit seiner Frau Hadley und seinem Sohn Jack den zweiten Winter in Folge in den österreichi­ schen Alpen. Doch er hatte das Buch, das ihn berühmt machen sollte, schon fertig geschrieben. ›The Sun Also Rises‹ (dt. ›Fiesta‹) erschien am 22. Oktober desselben Jahres bei Charles Scribner’s in New York. Bei Hei­deg­ger geht es laut seines Pro­ logs darum, »die Frage nach dem Sinn von Sein erneut zu stellen«.68 Er weist dem Tod dabei eine zentrale Stellung zu. Nicht trotz des kommenden Todes eines jeden Menschen, erhält die Frage nach dem Sinn eine positive Antwort, sondern nur im Horizont des Todes ist es überhaupt möglich die Sinnfrage richtig zu stellen, so seine These. Und auch bei Hemingway steht der Tod im Mittelpunkt des Buches: Die »lost generation«69 der Kriegsteilnehmer aus dem Ersten Weltkrieg ist verloren, weil die selbst erlebte unendliche Grausamkeit des Krieges ihnen jeglichen Glauben genom­ men hat. Diese Erfahrung zeigt sich bereits vor Beginn des Romans in den beiden Mottoversen, die Hemingway vorangestellt hat. Nach dem schon angedeuteten Wor­ ten Gertrud Steins »Ihr gehört alle einer hoffnungslosen Generation [lost genera­ tion, KS] an«, finden sich hier teilweise die biblischen Verse Kohelet 1,3 – 7: ›Es ist alles ganz eitel‹, sprach der Prediger. ›Es ist alles ganz eitel . . . Ein Geschlecht vergehet, das andere kommt. Die Erde bleibet aber ewiglich und läuft an ihren Ort, daß sie wieder daselbst aufgehe . . . Der Wind gehet gen Mittag und kommt herum zur Mitternacht und wie­ der herum an den Ort, wo er anfing . . . Alle Wasser laufen ins Meer, doch wird das Meer nicht voller; an den Ort, wo sie herfließen, fließen sie wieder hin‹ Ecclesiastes70

heißt es dort. »Ein Geschlecht vergehet, das andere kommt.« Gerade diese Endlich­ keitsperspektive, die der Roman auf mehreren Ebenen beständig aufweist, macht ihn für eine thanatologische Untersuchung so interessant. Die Geschichte ist zum einen die Liebesgeschichte zwischen Jake Barnes, dem Ich-Erzähler, und Lady Brett Ashley. Beide kennen sich aus der Zeit, als Jake ver­ wundet in einem italienischen Lazarett lag und Brett Krankenschwester dort war. Jakes Verletzung hat dazu geführt, dass er impotent geworden ist – auch wenn das so explizit nirgends im Roman gesagt wird, deutet vieles darauf hin. Wegen seiner Verletzung kann sich Brett nie ganz für ihn entscheiden, liebt ihn aber doch. Zum anderen geht es um das Leben englischsprachiger sogenannter Expattriots, jener lost generation in Paris Mitte der 1920er Jahre.71 Jake, Journalist für eine amerikanische Zeitung, bricht mit seinen Freunden Bill und Cohn zu einer Reise ins Baskenland 68

  M.  Hei­deg­ger, Sein und Zeit (SuZ), 192006, 1.   Vgl. das berühmte Wort von Gertrud Stein bei E. Hemingway, Fiesta, 1997, 7. 70  Ebd. 71   Vgl. zum Hintergrund u. a. D. Tomkins, The »Lost Generation« and the Generation of Loss: Ernest Hemingway’s Materiality of Absence and The Sun Also Rises, in: Modern Fiction Studies 54, 2008, 744 – 765. 69

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auf. Sie wollen in Pamplona die berühmte Fiesta San Fermín besuchen und vorher in den Bergen angeln. Brett und ihr Verlobter Mike entschließen sich mitzukom­ men. Kurz vor der Reise hatte Brett eine Affäre mit Cohn. Jake, Mike und Cohn sind in Brett verliebt. In Pamplona nun trinken und feiern alle exzessiv und beginnen sich bald zu zerstreiten. Brett beginnt jedoch eine Affäre mit dem erst 19 Jahre alten Torero Pedro Romero. Schließlich bricht die Gruppe auseinander. Das Buch endet damit, dass Jake und Brett zu zweit in Madrid sind. Während die Handlung oberflächlich diese beinahe nach Seifenoper klingende Geschichte erzählt, spielt unter der Oberfläche, getreu Hemingways berühmter Eis­ berg-Theorie,72 die Frage nach dem Sinn im Angesicht des Todes die Hauptrolle des Buches.73 Beispielhaft für diese Tiefenschicht des Romans steht der erste richtige Dialog zwischen Jake Barnes und Robert Cohn, in dem Cohn von seinen Plänen, nach Südamerika zu gehen, berichtet: »›Na, nur Mut‹, sagte ich. ›Weißt du, alle Länder sehen genauso aus wie im Kino.‹ Aber er tat mir leid. Es hatte ihn schlimm gepackt. ›Es macht mich verrückt, wenn ich daran denke, wie schnell das Leben vorbei ist und daß ich eigentlich gar nicht richtig lebe.‹ ›Außer Stierkämpfern lebt kein Mensch immer in Ekstase.‹«74

Und etwas weiter im Gesprächsverlauf kommt Cohn noch einmal auf den Tod zu sprechen: »›Hör mal, Jake.‹ Er lehnte sich über die Bar. ›Hast du denn nie das Gefühl, daß dein ganzes Leben so vorübergeht und daß du nicht genügend davon hast? Weißt du, daß du dein halbes Leben beinahe schon hinter dir hast?‹ ›Ja, hin und wieder.‹ ›Weißt du, daß wir in ungefähr 35 Jahren tot sind?‹ ›Und wenn schon, verdammt noch mal, Robert, und wenn schon.‹«75

Hier, gleich zu Beginn des Romans, tauchen schon zwei mögliche Umgangswei­ sen mit der Frage nach dem Sinn des Lebens im Angesicht des Todes auf. Cohn, den Hemingway mit üblen antisemitischen Vorurteilen beschreibt,76 rebelliert gegen die Endlichkeit seines Lebens und möchte mehr erleben, um dem Leben wenigstens so einen Sinn zu geben. Barnes hingegen, der anders als Cohn im Krieg war, die 72   Vgl. dazu E. Hemingway, Tod am Nachmittag, 32003, 241: »Wenn ein Prosaschriftsteller genug über das weiß, worüber er schreibt, kann er Dinge auslassen, die er weiß, und der Leser wird, wenn der Schriftsteller aufrichtig genug schreibt, ein so starkes Gefühl dieser Dinge haben, als ob der Schriftsteller sie erwähnt hätte.« 73   Zur religiösen Tiefenschicht des Romans als Bekenntnisroman vgl. D. A. Helbig, Confes­ sion, Charity, and Community in ›The Sun Also Rises‹, in: South Atlantic Review 58, 1993, 85 – 110. 74   Hemingway, Fiesta, 14. 75   AaO., 15. 76   Einen möglichen Umgang mit diesem Antisemitismus in ›The Sun Also Rises‹ beschreibt G. Wilentz, (Re)Teaching Hemingway: Anti-Semitism as a Thematic Device in the Sun Also Rises, in: College English 52, 1990, 186 – 193.

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Schrecken miterlebt hat und schwer verwundet wurde, ist über diese Phase bereits hinweg. Aber nicht in einem Sinne, dass die Endlichkeit des eigenen Lebens für ihn keine Rolle spielen würde. Im Gegenteil, sie bestimmt seine ganze Lebensweise, aber eben im Sinne des hier von ihm geäußerten »und wenn schon«. Das Bewusstsein des Todes ist durch die Kriegserlebnisse bereits so tief in sein Lebensgefühl einge­ gangen, dass er dieses nicht mehr ständig thematisieren muss. Vielmehr ist er dauer­ haft in einer Stimmung, die diesem Endlichkeitsbewusstsein entspricht. Passend zu diesem ersten Dialog des Buches, endet das Buch auch mit einem Dialog, der das Thema ebenso aufnimmt. Ganz zum Schluss sitzen Brett und Jake in einer Hotelbar in Madrid. Brett war dem Torero Pedro Romero hierhin gefolgt und hatte ihn dann verlassen, weil sie das Gefühl bekam, ihn zu verderben. Jake kommt nachgereist, um sie, die kein Geld hat, und so in Madrid festsitzt, aus dieser Situation zu befreien. In der Bar reden beide und einmal sagt Brett: »›Weißt du, man fühlt sich irgendwie wohl, wenn man beschlossen hat, keine solche Hure zu sein.‹ ›Ja.‹ ›Das ist vielleicht das, was wir so an Stelle von Gott haben.‹ ›Manche Leute haben Gott‹, sagte ich, ›eine ganze Menge.‹ ›Bei mir hat er nie gut funktioniert.‹ ›Wollen wir noch einen Martini trinken?‹«77

Auch Brett ist auf der Suche nach Sinn in ihrem Leben,78 findet diesen Sinn jedoch nicht bei den Männern, mit denen sie sich einlässt. Nur Jake, der aufgrund sei­ ner Verletzung nicht mit ihr schlafen kann, gibt ihr ein Gefühl, das sie trägt. Doch das reicht ihr nur manchmal. Als sie nun mit ihm in Madrid an der Bar sitzt, lässt Hemingway durchscheinen, um was es ihm hier geht: Das ins-Leben-stürzen seiner Figur Brett steht sinnbildlich für die Suche nach Gott, oder weniger theistisch aus­ gedrückt für die Frage nach dem Sinn. Passend zu diesem ersten und letzten Dialog des Buches, lassen sich die Figuren des Romans in zwei Richtungen interpretieren: Entweder sind sie verlorene Seele, die nur noch dazu in der Lage sind, ihren Hedonismus auszuleben und dabei unwei­ gerlich dem Untergang entgegen steuert.79 Für diese Richtung steht im Roman die Figur des Mike. Oder sie sind auf der Suche nach einem Ausweg aus dieser Verlo­ renheit in Liebe, Gemeinsamkeit und dem puren Erleben des Lebens. Für diesen Lebensweg ist Cohn beispielhaft.80 Dazu kommt dann noch eine dritte Möglich­ keit, für die Barnes, und in gewissem Sinne auch Bill, als prototypischer Hemingway 77

  Hemingway, Fiesta, 200.   Außer der Figur Pilars in ›Wem die Stunde schlägt‹ beschreibt Hemingway die Frauen in seinen Büchern wenig positiv. Vgl. E. Hemingway, Wem die Stunde schlägt, 1967. Dean geht auch darauf ein: Dean, Hemingway. 79   Auch das passt, wie Hei­deg­gers Eigentlichkeit / Uneigentlichkeits-Schema zu den Codes der Zeit. Vgl. Gumbrecht, 1926, 281 – 292. 80  Vgl. Dean, Hemingway. 78

3.1  Die Thanatologie des Thanatologen – Martin Hei­deg­ger und der Tod

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Anti-Held steht: Jake Barnes und Bill haben erkannt, dass der Tod als einzig denk­ bares Ende stets auf sie wartet, sie verzweifeln jedoch nicht an dieser Erkenntnis, wie es die erste mögliche Interpretationslinie andeuten würde, und sie suchen auch keinen Ausweg aus dieser Situation, so wie es die zweite mögliche Interpretations­ linie vorschlagen würde. Diese Möglichkeiten stehen ihnen auch nicht mehr offen. Der Krieg und die Erfahrungen des Todes und Leids, die sie dort selbst gemacht haben, lassen diese Möglichkeit nicht mehr zu. Es ist klar, dass gerade die Kriegs­ erlebnisse hier zentral sind. Jakes und Bills Verhalten entspricht einer bestimmten Einstellung dem Leben gegenüber, die sich beschreiben lässt als Versuch, das Leben anzunehmen wie es ist, nämlich in vielerlei Hinsicht endlich, wobei alle unterschied­ lichen Endlichkeiten im Tod als stärksten Ausdruck der Endlichkeit kulminieren, und dennoch einen positiven Umgang mit einem solchen Leben zu finden. Diese Sicht auf das Leben findet sich in vielen von Hemingways Romanen und lässt sich als »Hemingway-Ethos« beschreiben: Es geht im Leben darum, sich dem Leben mit all seinen Unwägbarkeiten, den Gefahren, der Kontingenz zu stellen und ihm sei­ nen eigenen Sinn abzuringen.81 Das Thema Tod bestimmt auf der Tiefenebene das gesamte Geschehen des Buches. Es wird jedoch auch konkret, und zwar in den Sze­ nen, die den Stierkampf im baskischen Pamplona beschreiben. Das führt uns dann bereits zum zweiten Seitenblick. 3.1.4.2  Tödlicher Tanz – der Stierkampf als praktische Thanatologie Ein zentrales Motiv des Romans ›The Sun Also Rises‹ ist der Stierkampf. Er ist der Höhepunkt der Fiesta San Fermín, welche im Hintergrund des längsten der drei Teile des Buches steht. So ist es Pedro Romero, der junge Matador, in den Brett sich verliebt, der im Buch zunächst eine glänzende Figur ist. Er beherrscht den Umgang mit dem Leben ganz im Sinne des genannten »Hemingway-Ethos«, bevor er im Zuge seiner Affäre mit Brett abstürzt. In seiner Arbeit am Stier lässt Hemingway gleichnishaft genau jenen feinen, kunstvollen Umgang mit dem Leben im Angesicht des Todes aufscheinen. Er weicht der tödlichen Gefahr, die von den Hörnern des Stiers ausgeht, nicht aus.82 Er arbeitet sehr nahe am Stier, d. h. am Tod, und schafft es gerade deswegen, eleganter und faszinierender als alle anderen zu kämpfen. In der intensivsten Schilderung eines Kampfes schreibt Hemingway:

81

  Vgl. ebd. und vgl. auch die Helden in Hemingways zweitem großen Romanerfolg E. Heming­ way, In einem andern Land, 101963 und im posthum veröffentlichten Roman E. Hemingway, Inseln im Strom, 1971. Vgl. auch die Figur des Nick Adams in seinen frühen Kurzgeschichten E. Heming­ way, In unserer Zeit: 15 Stories, 101968. Anders ist die Einstellung von Robert Jordan, Hemingways Hauptfigur in seinem dritten großen Roman, der sich ebenfalls von Anfang bis Ende um das Thema Tod dreht Hemingway, Stunde. 82   Der Stierkampf hat nicht nur Hemingway fasziniert, sondern gerade auch zu seiner Zeit viele Intellektuelle. Vgl. dazu und auch sonst zum Stierkampf die schöne Studie R. Neuhaus, Der Stier­ kampf. Eine Kulturgeschichte, 2007.

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Der Stier griff an, und Romero wartete mit tiefgehaltener muleta auf den Angriff, visierte mit der Klinge, die Füße fest zusammen. Dann, ohne einen Schritt vorwärts zu tun, war er plötz­ lich eins mit dem Stier; der Degen ging hoch zwischen den Schultern hinein, der Stier war der tiefgeschwungenen muelta gefolgt, die, als Romero nach links auswich, verschwand, und es war vorbei.83

Doch nicht nur Hemingway war zu Beginn des letzten Jahrhunderts, also in der Zeit, in der Hei­deg­ger an ›Sein und Zeit‹ arbeitete, fasziniert vom Stierkampf.84 So finden sich etwa in den Tagebüchern einer der schillerndsten Persönlichkeiten der Weima­ rer Zeit, Harry Graf Kessler, Beschreibungen des Stierkampfs, die zwischen Ableh­ nung und Faszination hin- und herpendeln. Und auch Siegfried Krakauer, Journa­ list und Kulturkritiker, widmete sich dem Stierkampf ausführlich in seiner Studie ›Knabe und Stier‹.85 Diese durchaus unterschiedlichen Autoren waren vom Stier­ kampf sicher deswegen fasziniert, weil er eine Art kunstvolles Spiel mit dem Tod ist. Um die Bedeutung des Stierkampfes für die Thanatologie zu untermalen, möchte ich jedoch auf eine Schilderung eingehen, die acht Jahre nach ›Sein und Zeit‹ erschie­ nen ist, in ihrer Beschreibung des Stierkampfes als Tragödie, die das »Leben des Menschen ohne Gott« darstellt, jedoch beispielhaft dafür genommen werden kann, warum der Stierkampf im frühen 20. Jahrhundert so viele Intellektuelle aus unter­ schiedlichen kulturellen Kontexten in seinen Bann zog. Es war der 1944 von den Nazis ermordete Philosoph jüdischer Herkunft Paul Ludwig Landsberg,86 der in seinem zuerst 1936 erschienen Essay ›Die Erfahrung des Todes‹ eine Interpretation des Stierkampfes gibt, die besonders deutlich macht, warum dieses urtümliche Spektakel so viele Menschen anzog. Diese Anziehungs­ kraft hängt mit der immensen Bedeutung zusammen, die das Thema Tod damals für viele Intellektuelle hatte. Denn im Stierkampf geht es weniger um das Töten eines Stieres als vielmehr um eine Art symbolisches Schauspiel über die Tödlichkeit des menschlichen Lebens. Landsbergs Beschreibung des Stierkampfes liest sich fesselnd und lebendig, so dass hier nur der zwangsläufig ungenügende Versuch erfolgen kann, diese Lebendigkeit in der Paraphrase weiterzugeben:87 Der Stier, der symbo­ lisch für den Menschen steht, kommt aus dem Gefängnis der Katakomben der Arena heraus in das helle und blendende Licht des »plaza de toros«. Er erkundet alles und ist freudig und voller Kraft, die er in sich spürt. Das ist eine Parallele zum Kind, das geboren wird. Es kommt aus der Mutter, beginnt in der lichtvollen Welt zu spielen, 83

  Hemingway (s. Anm. 67), 177.   Hemingway hat 1932 eine Art Sachbuch zum Stierkampf geschrieben, dessen Thematisierung des Todes ein eigenes Buch wert wäre. Vgl. Hemingway, Tod. Gumbrecht rechnet den Stierkampf auch ein unter die Codes des Jahres 1926. Vgl. Gumbrecht, 1926, 236 – 245. 85  Vgl. Gumbrecht, 1926, 236 ff. Vgl. zu Kessler allgemein P. Grupp, Harry Graf Kessler: 1868 – 1937. Eine Biographie, 1995 und B. Stenzel, Harry Graf Kessler. Ein Leben zwischen Kultur und Politik, 1995. Zu Krakauer vgl. J. Später, Siegfried Kracauer. Eine Biographie, 2016. 86   Zur Biographie Landsbergs vgl. E. Zwierlein, Geist im Exil. Zur Biographie Paul Ludwig Landsbergs, in: P. L. Landsberg, Die Erfahrung des Todes, 2009, 117 – 159. 87  Vgl. P. L. Landsberg, Die Erfahrung des Todes, 2009, 74 – 79. 84

3.1  Die Thanatologie des Thanatologen – Martin Hei­deg­ger und der Tod

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es weiß weder etwas von seinem Schicksal, noch von den Gefahren, die das Leben birgt. Nun wird der Stier zum Spiel gereizt, es macht ihm Freude, es ist ihm natür­ lich, er fühlt sich nur noch stärker, erst langsam wird offenbar, dass es ein gefälschtes Spiel ist. Das Spiel kippt in eine Qual, denn es wird allmählich sichtbar, dass der Gegner, der Mensch, der hier die Endlichkeit in all ihren Dimensionen symboli­ siert, stärker ist. Auch Menschen machen in der Jugend erste Erfahrungen von Ent­ täuschung, sie merken, dass ihre Kraft nicht alles aushalten kann. Aber es ist noch nicht so schlimm. Dann kommen die »picadores«, Männer auf Pferden mit Lanzen bewaffnet. Sie reizen den Stier durch ihre Waffen und schaffen so eine Wut in ihm, die untergründig bereits »vitale Verzweiflung«88 ist. Dem »picador« kann der Stier nur schwer etwas anhaben, höchstens dem Pferd, auf dem er reitet. Das Pferd ist aber unschuldig und somit das Verletzen des Pferdes nur Katalysator der Wut, aber kein bleibender Erfolg. Der »picador« zieht sich zurück, bevor es für ihn gefähr­ lich werden könnte. Auch für die Menschen geht nach der Jugend der Ernst des Lebens als Lebenskampf los. Die Endlichkeiten, moralische Endlichkeit, qualitative Endlichkeit, quantitative Endlichkeit, machen sie rasend, sie können sie aber nicht zu fassen bekommen, nichts an ihnen ändern. Höchstens einen anderen Menschen könnten sie ergreifen, der aber eben wie das Pferd nur ein Unschuldiger ist, an dem sich sinnlos die eigene Wut auslassen lassen würde. Nachdem die »picadores« sich zurückgezogen haben, ist der Stier schon schwer verletzt. Er blutet heftig. Die Hand­ lung wird in die Länge gezogen. Er wird mit den »banderillas«, scharfen, kurzen, bunt verzierten Lanzen, geschmückt und verletzt zugleich. Er wird verhöhnt. Auch für die Menschen, die nun schon viele Verletzungen im Leben eingesteckt haben, folgt eine Art von Krönung als Hohn. Manche erlangen im reifen Alter Erfolg im Leben. Doch dieser Erfolg ist nur eine noch größere Verletzung. Denn dieser Erfolg suggeriert, dass der Mensch etwas erreichen könnte in dieser Welt, wirklich Erfolg haben könnte, doch ist es und bleibt es so, dass niemals ein Mensch Sieger in dieser Welt sein wird. Schließlich kommt der »matador«, der Töter selbst, also die Perso­ nifikation des Todes in die Arena. Der Degen, der töten wird, ist noch hinter dem roten Tuch verborgen. Wann und wo der Tod die Menschen trifft, das wissen sie vorher nicht. Von den Zuschauern ist der Degen zu sehen, aber nicht vom Stier. Der Stier spürt etwas, gerät in Angst. Aber er muss sie überwinden und tut es auch. Das ist sein »Eintritt in den Ernst des zweiten Grades [. . .], den definitiven Ernst«, wie Landsberg es schreibt.89 Er kämpft bis zum Ende. Es geht dabei nun weniger um den Sieg als um den Kampf an sich. Der Kampf ist: Angriff, Flucht, Wiederkom­ men, Erfolge und Verluste auf beiden Seiten. Und selbst wenn der Stier es schafft, den »matador« zur Strecke zu bringen, kommt sofort der Nächste und bringt das Geschäft des Gestorbenen zu Ende. Letztlich führt der »matador« das Tier, er kon­ trolliert es psychologisch und nicht nur körperlich, er bringt den Stier dazu sich 88 89

  AaO., 76.   AaO., 77.

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

in die einzige Position zu begeben, in der er den Degen tödlich setzen kann. Dann passiert es. Der Degen sitzt. Der Stier ist tot. Der Tod, der so lange gegenwärtig war, ist nun da. Der Leichnam wird fortgeschleift und im selben Augenblick, in dem das tote Tier aus der »plaza de toros« herausgebracht wird, ist schon ein neuer lebender Stier da und die Tragödie beginnt von vorne. Landsberg, der in seinem Essay eine Art christlich imprägnierte Thanatologie der Hoffnung zu schreiben versucht, deutet das Schicksal des Stiers als Schicksal aller ungläubigen, heidnischen Menschen. Der Ausgang des Kampfes ist von vorneherein festgelegt, er geht verloren, der Mensch stirbt. Also, so Landsberg, und hier scheint er nahe am »Hemingway-Ethos« zu sein, kann »der Glanz eines solchen Kampfes nie in seinem Ausgang liegen, sondern nur in der Würde der Handlung selbst.«90 Es sollte klar geworden sein, dass dieses Spiel mit dem Tod auf unterschiedlichen Ebenen sicher deswegen fasziniert hat, weil es wie eine Art praktische Thanatologie dem Menschen klar macht, was die Endlichkeit, letztlich in ihrem Superlativ als Tod in Erscheinung tretend, für sein Leben bedeutet und wie er das Leben im Angesicht dieser Endlichkeit zu leben hat. Hier sind unübersehbare Parallelen zur Todesana­ lyse Hei­deg­gers vorhanden. Hei­deg­ger, und das sollten diese beiden Seitenblicke ­zeigen, steht mit seiner Faszination für die Endlichkeit jedoch nicht allein. Er ist eingebunden in bestimmte kulturgeschichtlich zu verortende Präferenzen.

3.2  Martin Hei­deg­ger und die Theologie In diesem Abschnitt geht es darum, den Weg hin zur Auslegung der Todesanalyse in ›Sein und Zeit‹ noch weiter zu ebnen und dabei zu zeigen, dass dieser Weg auf theologischen Grund gebaut ist, der im Laufe der Strecke zwar mit anderen Schich­ ten bedeckt wird, aber grundlegend bleibt.91 Die Forschung seit den 1990er Jahren, als Hei­deg­gers frühe Vorlesungen in der Gesamtausgabe veröffentlicht wurden, hat mehr und mehr gezeigt, dass Hei­deg­gers Nähe zur Theologie deutlich größer war, als vorher angenommen und von ihm selbst im Alter impliziert.92 Hei­deg­gers Den­ ken begann als theologisches Denken und zwar als katholisches Denken in einem 90

  AaO., 78.   Da sich mein Zugang zu Hei­deg­ger auf die Zeit bis zu ›Sein und Zeit‹ beschränkt, spielen spätere Wortmeldungen Hei­deg­gers zu seiner Positionierung zur Theologie keine Rolle. So auch nicht seine berühmte Verhältnisbestimmung im am 9. März 1927 gehaltenen Vortrag M.  Hei­deg­ ger, Phänomenologie und Theologie, 1970. Zu diesem Vortrag vgl. u. a. G. Pöltner, Philosophie als Konkretion der Theologie, in: N. Fischer / F. W. v. Herrmann (Hg.), Die Gottesfrage im Denken von Martin Hei­deg­ger, 2011, 69 – 88. 92  Vgl. P. Capelle, »Katholizismus«, »Protestantismus«, »Christentum« und »Religion« im Denken Martin Hei­deg­gers, in: Denker / Zaborowski (Hg.), Hei­deg­ger, 346 – 370. Dass diese Sicht­ weise bei vielen älteren Hei­deg­ger-Forschern verpönt war, beschreibt etwa O. Pöggeler, Hei­deg­ gers Luther-Lektüre im Freiburger Theologenkonvikt, in: Denker / Zaborowski (Hg.), Hei­deg­ger, 185 – 196, 189 f. 91

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ganz klassischen Sinne. Spätestens im Laufe der Zeit seiner Qualifikations­arbeiten jedoch entfernte er sich von diesen Ursprüngen. Im Kriegsnotsemester 1919 lässt sich ein doppelter »Durchbruch« beobachten.93 Zum einen formulierte er seine Los­ lösung vom katholischen Denken in einem Brief an seinen Freund und Kollegen Engelbrecht Krebs aus und zum anderen begann er in der Vorlesung dieses Semes­ ters an seiner »Hermeneutik der Faktizität«94 zu arbeiten, die den Anfang der in ›Sein und Zeit‹ ausgearbeiteten Hermeneutik bildet. Dieser Schritt ist für unsere Frage nach dem Tod entscheidend. Und auch in den folgenden Semestern, in denen Hei­deg­ger Vorlesungen zur Religionsphänomenologie gehalten hat, wird diese Daseinshermeneutik immer weiter verfeinert und zwar anhand der »faktischen Lebenserfahrung« der Religion. An Krebs schrieb er: »Erkennnistheoretische Ein­ sichten, übergreifend auf die Theorie geschichtlichen Erkennens haben mir das System des Katholizismus problematisch u. unannehmbar gemacht – nicht aber das Christentum und die Metaphysik, diese allerdings in einem neuen Sinne.«95 Hei­ deg­ger schreibt, diese Veränderung seines Denkens habe sich in den »vergangenen zwei Jahre[n]«96 ereignet. Was wiederum im Umkehrschluss bedeutet, dass er sich selbst hier so deutet, dass er bis ins Jahr 1917 auch innerlich ganz der katholischen Linie treu war. Inwiefern diese Selbstinterpretation zutrifft, muss auf sich gestellt bleiben. Die Problematik der Herzbeschwerden, die ich oben schon erwähnt habe, steht jedoch sicher in einem Zusammenhang mit dieser Frage. Unabhängig von der Frage allerdings, wann Hei­deg­ger sich von diesem schulmäßigen katholischen Denken gelöst hat, bleibt es dabei, dass sein Denken katholisch begann und sich nach 1919 hin zu einem Denken entwickelte, dass Hei­deg­ger selbst noch 1928 als »innerlich protestantisch« beschrieb.97 Diese religiöse Grundierung seiner Philoso­ phie wirkt also nicht nur in bestimmten Facetten auch noch in ›Sein und Zeit‹, sie war in seinem Denken selbst damals gleichfalls präsent, wenn auch nicht mehr in katholischem Sinne, sondern in einem, wie die Forschung gezeigt hat, vielfältig von Luther, Kierkegaard und Dilthey, was recht bekannt ist, aber auch von Schleierma­

93  Vgl. T. J. Kisiel, Kriegsnotsemester 1919. Hei­deg­gers Durchbruch zur hermeneutischen Phänomenologie, in: Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 99, 1992, 105 – 122 und R. Thurnher, Vorboten der Hermeneutik der Faktizität, in: Denker / Zaborowski (Hg.), Hei­deg­ ger, 322 – 345. 94   Vgl. die berühmte Anmerkung am Schluss des § 15 von ›Sein und Zeit‹. Hei­deg­ger, SuZ, 72. 95   Zitiert nach Ott, Hei­deg­ger, 106. 96   AaO., 108. 97   Vgl. Hei­deg­gers Brief an seine Frau Elfriede vom 23. Januar 1928. Er konnte sich damals bereits berechtigte Aussichten machen, Husserls Nachfolger in Freiburg zu werden, aber auch in Bonn wurde daran gearbeitet, ihn zu berufen. Im Brief schreibt er in diesem Zusammenhang: »Mit gleicher Post kam ein kurzer Brief aus Bonn. Schirmer will eine Bestätigung, daß er behauptet habe ich sei zwar ›behördlich‹ katholisch, innerlich aber protestantisch. Ich habe ihm das umgehend bestätigt und auch kurz erwähnt, daß die hiesigen Theologen [d. h. Marburger Theologen, KS] mich zwar als offiziell kathol. ausgeben, aber um so kräftiger meine Arbeit in Vorlesung u. sonst in Anspruch nähmen.« G.  Hei­deg­ger (Hg.), Seelchen, 155.

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cher und Rudolf Otto, was weniger bekannt ist, beeinflussten Sinne.98 Um aus die­ sen verschlungenen Wegen einen einigermaßen nachvollziehbaren Pfad zu machen, der unserer Fragestellung dient, möchte ich im Folgenden zunächst auf Hei­deg­gers Zugriff auf die protestantische Theologie eingehen (3.2.1) und mich dann anhand von vier maßgeblichen Veröffentlichungen auf dem Weg zu ›Sein und Zeit‹ noch näher dem Zusammenhang von protestantischer Theologie und Martin Hei­deg­ger annähern. Dazu werde ich zunächst den berühmten Natorp-Bericht ins Auge fassen (3.2.2), den bereits Gadamer als Hei­deg­gers »theologische Jugendschrift« bezeichnet hat.99 Mit diesem Bericht bewarb sich Hei­deg­ger in Marburg, wo er schließlich seine erste Professur erhielt und seinen Weggefährten Rudolf Bultmann kennenlernte.100 In einem Seminar Bultmanns hielt Hei­deg­ger ein Referat zur Sünde bei Luther, das Hei­deg­gers Beziehung zum Protestantismus deutlich werden lässt und uns bei der Einordnung von Hei­deg­gers Denken in Bezug auf die Lutheraner der ersten thanato­ logischen Welle hilfreich ist (3.2.3). Ebenfalls in Marburg wurde Hei­deg­gers Vortrag ›Der Begriff der Zeit‹ gehalten, der ebenfalls in Bezug zu Bultmann steht, der Hei­ deg­ger für diesen »Vortrag vor der Marburger Theologenschaft« wie es im Untertitel heißt, eingeladen hatte. Auch hier finden sich wichtige Hinweise auf die Beziehung zum theologischen Denken und Wegweiser für ein Verständnis von ›Sein und Zeit‹ (3.2.4). Schließlich sollen noch einige Gedanken aus den sogenannten ›Dilthey-Vor­ trägen‹ Hei­deg­gers zu Wort kommen, die ebenfalls seine Beziehung zur protestanti­ schen Theologie und das Verständnis von ›Sein und Zeit‹ schärfen (3.2.5). 3.2.1  Hei­deg­ger und die protestantische Theologie Im Dezember 1923 schrieb Rudolf Bultmann in einem Brief an Hans von Soden über sein aktuelles Seminar zur Ethik des Paulus, dass es dieses Mal besonders sei, »weil unser neuer Philosoph Hei­deg­ger, ein Schüler Husserls, daran teilnimmt. Er kommt aus dem Katholizismus, ist aber ganz Protestant.«101 Hei­deg­ger nahm an diesem Seminar Bultmanns jedoch nicht einfach teil, er hielt in den Sitzungen vom 14. und 21. Februar 1924 auch ein Referat über ›Das Problem der Sünde bei Luther‹.102 Dass  98

  Vgl. die Forschung von Sean McGrath. U. a. S. J. McGrath, Das verborgene theologi­ sche Anliegen von ›Sein und Zeit‹. Die Luther-Lektüre des jungen Hei­deg­ger, in: H. Zaborowski /  M. Enders (Hg.), Phänomenologie der Religion. Zugänge und Grundfragen, 2004, 271 – 278.  99  Vgl. H.‑G. Gadamer, Hei­deg­gers »Theologische« Jugendschrift, in: M.  Hei­deg­ger, Phä­ nomenologische Interpretation zu Aristoteles (Anzeige der hermeneutischen Situation), hg. von G.  Neumann, 2013, 67 – 75. 100  Besonders Otto Pöggeler hat immer wieder auf das enge Verhältnis Bultmanns zu Hei­ deg­ger hingewiesen. Vgl. dazu O. Pöggeler, Neue Wege mit Martin Hei­deg­ger, 1992 u. Ders., Hei­deg­ger in seiner Zeit, 1999. Inwiefern Hei­deg­ger nachhaltigen Einfluss auf die Theologie hatte, bearbeitet Pöggeler am Ende seines letzten Buches zu diesem Thema mit Weitblick: Ders., Philoso­ phie und hermeneutische Theologie. Hei­deg­ger, Bultmann und die Folgen, 2009, 294 – 297. 101   Zitiert nach Ott, Hei­deg­ger, 11. 102   Vgl. die Bemerkungen und den Text des Referats in B. Jaspert (Hg.), Sachgemässe Exegese. Die Protokolle aus Rudolf Bultmanns neutestamentlichen Seminaren 1921 – 1951, 1996, 12. 25 – 32.

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der Philosoph Hei­deg­ger, der, wie oben gezeigt, seine Bildungslaufbahn ganz der katholischen Kirche verdankte, und der sich einige Semester früher noch berechtigte Hoffnung auf einen Lehrstuhl für katholische Philosophie an der Freiburger Fakul­ tät machte, dann aber mit dem ›System des Katholizismus‹ gebrochen hatte, nun in Marburg in einem protestantischen Seminar saß und über Luther referierte, ist weit­ aus außergewöhnlicher als es aus unserer Perspektive des frühen 21. Jahrhunderts vielleicht erscheinen mag. Hei­deg­ger war jedoch, das zeigen vielfältige Dokumente aus seiner Studenten- und dann auch Privatdozentenzeit, 1923 schon seit langem mit protestantischem Denken vertraut.103 So hatte er bereits im August 1917 auf einer privaten Geburtstagsfeier ein Referat über Schleiermachers Reden, besonders über die zweite Rede, gehalten, wie man aus einem Brief seines damaligen Freundes Heinrich Ochsner erfahren kann. Kurz zuvor hatten sich Elfriede und Martin Hei­ deg­ger in Wiesbaden nach der katholischen Eheschließung auch noch protestan­ tisch trauen lassen.104 Ein Jahr später, 1918, empfahl er Elisabeth Blochmann, einer gemeinsamen Freundin von ihm und seiner Frau, die eine Dissertation über Schlei­ ermacher zu schreiben beabsichtigte, neben den ›Reden‹, auch die ›Monologen‹ und die ›Weihnachtsfeier‹, sowie die Briefe Schleiermachers, zur Vorbereitung und sich selbst als Rat gebenden Experten für Fragen zu den Schriften.105 Er schrieb ihr: Sie haben ganz das richtige Gefühl für Schleiermacher – ich bin der Überzeugung, daß seine Persönlichkeit nur von einer Frau ganz und unmittelbar erfaßt wird. [. . .] Schleiermacher muß von der Seele erfaßt werden und wie ihn im Leben die Frauen am tiefsten und unmittelbars­ ten verstanden und werteten, so wird auch heute die Frau Entscheidendes zur Erhellung sei­ nes Wesens beitragen können. [. . .] Was Sie suchen, finden Sie in sich selbst, vom religiösen Urerlebnis führt ein Weg zur Theologie, er muß aber nicht von der Theologie zum religiösen Bewußtsein und seiner Lebendigkeit leiten.106

Es ist offensichtlich, dass Hei­deg­ger hier bereits nicht mehr in den katholischen Bah­ nen seiner Jugend dachte, sondern sich das beim religiösen Bewusstsein einsetzende Religionsverständnis Schleiermachers zu eigen gemacht hatte. Noch früher als mit Schleiermacher, und sicher auch noch wesentlich intensiver, setzte Hei­deg­ger sich jedoch mit Martin Luther auseinander. Otto Pöggler berichtet davon, dass Hei­deg­ger ihm persönlich bei einem Spaziergang durch Freiburg zu Beginn der 1960er Jahre erzählt habe, er habe schon 1909 in seiner Zeit im Theologischen Konvikt Luther gelesen.107 So ist es sicher richtig, was bereits von Hugo Ott beschrieben wurde, dass Hei­deg­ger schon viele Jahre an einer »Wendung des Religionsverständnisses 103

 Vgl. Capelle, »Katholizismus«.   Vgl. Hei­deg­gers Brief bei G.  Hei­deg­ger (Hg.), Seelchen, 56. Zu den Details vgl. auch Fischer, Erfahrung, 62 ff. 105  Vgl. Fischer, Erfahrung, 73. 106   Hei­deg­ger an Elisabeth Blochmann, vom 6. November 1918, zitiert nach aaO., 75 f. Dass die­ ses schablonenartige Mann-Frau-Denken unserer heutigen Zeit fremd ist, weil es mit Stereotypen arbeitet, die sich als unzutreffend erwiesen haben, sei nur der Form halber erwähnt. 107  Vgl. Pöggeler, Hei­deg­gers, 185. 104

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ins Existenzielle«108 innerlich arbeitete, bevor er sie dann auch in seine philosophi­ sche Arbeit einfließen ließ. Nun ist es nicht verwunderlich, sondern passt ganz in seine Zeit, dass Hei­deg­ger Anregungen für dieses existenzielle Religionsverständnis bei Martin Luther empfing und Hei­deg­ger sich dabei besonders auf die Arbeiten des frühen Luther berief. Dennoch ist es bemerkenswert, da Hei­deg­ger, zumindest soweit man es weiß, bis zu seiner Marburger Zeit noch wenig Kontakt in protes­ tantische Kreise hatte (eine Ausnahme bildete der Kontakt zu Troeltsch, vgl. 3.1.2) und somit nicht etwa durch die parallel verlaufende »Lutherrenaissance« beeinflusst gelten kann. Spätestens in seinen Vorarbeiten zu einer dann nicht gehaltenen Vor­ lesung aus den Jahren 1918 / 1919 geht hervor, dass er sich ausführlich mit Luther beschäftigt hat. Allerdings findet sich hier auch wieder ein Teil zu Schleiermachers zweiter Rede, seiner Glaubenslehre und ein Abschnitt zu Rudolf Ottos ›Das Hei­ lige‹, das 1917 erschienen war – wobei Ottos Buch wiederum selbst voller Einflüsse Luthers ist.109 Ähnlich wie es auch in den beiden theologischen Aufbrüchen der Zeit, der »Dialektischen Theologie« und der »Lutherrenaissance« zum Programm gehörte, eine philosophische Theologie abzulehnen und das teilweise eben gerade mit Rückgriff auf das irrationale Moment der religiösen Erfahrung Gott als »das ganz Andere« und damit eben auch Theologie als etwas ganz Anderes hervorzuhe­ ben, geht auch Hei­deg­ger in seinen frühen Vorlesungen zur Religionsphänomenolo­ gie vor. Er beschrieb 1923 seine Quellen folgendermaßen: »Begleiter im Suchen war der junge Luther und Vorbild Aristoteles, den jener haßte. Stöße gab Kierkegaard, und die Augen hat mir Husserl eingesetzt.«110 Nun gibt es unterschiedliche Deu­ tungen dieser an Luther geschulten Herangehensweise Hei­deg­gers an die Religion. Von philosophischer Seite wird meist thematisiert, dass Hei­deg­gers Anliegen dezi­ diert »atheologisch« sei, weil Hei­deg­ger die Religion aus einer atheistischen Per­ spektive zu erschließen sucht.111 Es gibt jedoch auch gegensätzliche Ansichten, die mehr auf die Gemeinsamkeiten zu den zeitgleichen Strömungen in der Theologie hinweisen.112 Eine genauere Untersuchung dieser frühen Vorlesungen ist für unse­ ren Zusammenhang nicht nötig, da es nur darum gehen soll, die parallelen Aus­ gangswege der Thanatologie Hei­deg­gers und derjenigen der damaligen Theologie aufzuzeigen. Auch Hei­deg­ger setzt bei der religiösen Erfahrung an. Auch für Hei­ deg­ger ist es fatal, Religion mit dem philosophisch bereitgestellten Begriffsapparat erklären zu wollen. Auch für Hei­deg­ger ist die religiöse Erfahrung eher eine dunkle, 108

  Ott, Hei­deg­ger, 113.  Vgl. M.  Hei­deg­ger, Die philosophischen Grundlagen der mittelalterlichen Mystik, in: Phä­ nomenologie des religiösen Lebens (GA 60), hg. von C. Strube, 22011. Vgl. auch die Einordnungs­ versuche dieser Beschäftigung bei Kisiel, Genesis, 89 – 93 (Schleiermacher) u. 96 – 97 (Otto). 110   M.  Hei­deg­ger, Hermeneutik der Faktizität, in: Ontologie (Hermeneutik der Faktizität) (GA 63), hg. von K. Bröcker-Oltmanns, 1988, 5. 111   Vgl. etwa M. Jung, Phänomenologie der Religion. Das frühe Christentum als Schlüssel zum faktischen Leben, in: Thomä, Hei­deg­ger-Handbuch, 2003, 9. 112   Vgl. etwa McGrath, Anliegen und auch Fischer, Erfahrung. 109

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oder eine der »Gottverlassenheit«, wie wir gleich anhand des sogenannten NatorpBerichtes noch genau sehen werden (vgl. 3.2.2). Ähnlich wie Rudolf Otto zeitgleich in ›Das Heilige‹ durch seine Neologismen versucht deutlich zu machen, dass der Ursprung dieser religiösen Erfahrungen eben nicht zusammenfällt mit den überlie­ ferten Begriffen der religionsphilosophischen Tradition, so unternimmt es auch Hei­ deg­ger mit in dieser Zeit noch wechselnder Begriffsbildung, die religiöse Erfahrung zu untersuchen. Um sich klar zu machen, an welchem Bereich sich Hei­deg­ger hier abarbeitet, ist eine wohl 1918 entstandene Notiz zu Ottos ›Das Heilige‹ aufschlussreich, die Hei­ deg­ger als »Vorarbeiten zur Rezension von Rudolf Otto, Das Heilige, 1917« über­ schrieben hat.113 Hei­deg­ger kritisiert hier an Otto, dass das »Irrationale [. . .] immer noch als Gegenentwurf bzw. Grenze, aber nie in seiner Originarität und Eigenkon­ stitution betrachtet« werde. Hei­deg­ger, das wird deutlich, stimmt Otto bei seinem Rückgriff auf den Bereich des Irrationalen in der Beschreibung der Religion zu. Jedoch ist für Hei­deg­ger Ottos Ansatz noch eine »Aufpfropfung des Irrationalen auf das Rationale«.114 Wer von Irrationalität redet, versucht eben, so lässt sich Hei­ deg­ger hier deuten, den damit umschriebenen Bereich des Erlebens wiederum mit rationalen Mitteln zu fassen zu bekommen. Hei­deg­ger schreibt: »Das Heilige darf nicht als theoretisches Noema – auch nicht als irrational theoretisches – zum Pro­ blem gemacht werden.«115 Die Notiz ist sehr kurz und an sich natürlich in keiner Weise weiter in seiner »Lösung« des umschriebenen Problemzusammenhangs als Otto. In seiner Problembeschreibung ist Hei­deg­ger allerdings treffsicher, wenn auch Otto das Problem natürlich gesehen hat und auf seine Weise versuchte zu lösen. Gerade das Erfinden der Neologismen weist ja darauf hin, dass Otto hier nicht ein­ fach das Irrationale mit rationalen Begriffen zu beschreiben versucht.116 Hei­deg­ger setzte sich gerade in dieser Zeit wohl besonders mit der protestantischen Theologie auseinander und zwar nicht nur aus wissenschaftlicher, sondern ebenso aus existen­ zieller Perspektive. Beides gehört für ihn, das ist eine der Pointen dieser Annäherung an ›Sein und Zeit‹, untrennbar zusammen, wie es eben auch für die protestantischen Thanatologen der ersten Welle untrennbar zusammen gehörte. Beide Ebenen vermi­ schen sich in einem Brief vom 19. September 1919 an seine Frau. Die Zeiten der Ver-lassenheit (sic!) u. scheinbaren Gottferne sind echtgelebte nur, wenn sie solche sind der vertrauenden Gelassenheit – das ist der starken Gott-sicheren Meisterung des Lebens. Seit ich Luthers Römerbriefkommentar gelesen, ist mir vieles vordem Quälende 113   Hei­deg­ger, Grundlagen, 332 – 334. Vgl. zu Hei­deg­gers Otto-Lesart auch den Brief an seine Frau vom 27.10.1918 bei G.  Hei­deg­ger, Seelchen, 86 – 89. 114   Kisiel deutet Hei­deg­ger Abgrenzung von Otto folgendermaßen: »Instead, what is primary and essential in the holy is the constitution of originary objectness subject to its own formal and functional categories. The purely holy must be distinguished from these already constituted worlds and their objects.« Kisiel, Genesis, 97. 115   Alle drei Zitate Hei­deg­ger, Grundlagen, 333. 116  Vgl. R. Barth, Was sind religiöse Gefühle?, 2018.

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und Dunkle hell u. befreiend geworden – ich verstehe das Mittelalter u. die Entwicklung der christl. Religiosität ganz neu; u. es haben sich mir ganz neue Perspektiven der religionsphi­ los. Problematik ergeben – mir scheint, Otto z. B. – was ich im Felde noch ganz verworren spürte – auf falscher Fährte zu sein [. . .].117

Es wird hier deutlich, dass die Fragen, die er an Otto hat, Fragen sind, die er nicht nur an seine eigene Religionsphilosophie, sondern auch an seine eigene Religio­ sität hat.118 Sicher kann aus späterer Perspektive gedeutet werden, dass Hei­deg­ger sich hier lediglich mittels der Religion an die ihn viel mehr interessierende Seins­ frage heranarbeitet, oder, etwas spezieller, dass er es unternimmt, die dann in sei­ ner Daseinsanalyse in ›Sein und Zeit‹ ausgeführte Frage nach der Bedeutung des Irrationalen, bzw. in Hei­deg­gers damaliger Theoriesprache des »Vortheoretischen«, für die Philosophie an sich zu untersuchen. Gerade die in seinen Briefen getätig­ ten Aussagen über seine eigene Religiosität lassen solche Deutungen jedoch fraglich werden. Es scheint doch eher so, dass der junge Hei­deg­ger damals erkannte, dass nicht nur der Bereich des »Vortheoretischen« bedeutsam für die Philosophie ist, sondern dass gerade dadurch auch die Bedeutung der Religion hervorgehoben wird. Um diesen Zusammenhang noch deutlicher zu machen, soll nun der sogenannte Natorp-Bericht Hei­deg­gers in den Fokus rücken. 3.2.2  Hei­deg­gers »theologische Jugendschrift« – der Natorp-Bericht Der sogenannte ›Natorp-Bericht‹ ist eine von Hei­deg­ger, wie er selbst gesagt hat, als »Exzerpt seiner selbst« verfasste, kurze Schrift, die er 1922 im Zuge seiner Bemühun­ gen um eine Professur anfertigte.119 Er hatte seit seiner Habilitation nichts mehr pub­ liziert. Sein Ruf war ihm jedoch vorausgeeilt,120 und so war er sowohl in Marburg als auch in Göttingen für die Besetzung eines Extraordinariats im Gespräch. Paul Natorp, der in Marburg mit der Besetzung der Stelle betraut war, hatte über Husserl brief­ lich angefragt, ob Hei­deg­ger nicht über den Stand seiner Aristoteles-Interpretation berichten könne, die unter dem Titel »Phänomenologische Interpretation zu Aristo­ teles« als zweibändiges Werk in Husserls ›Jahrbuch für Philosophie und phänomeno­ logische Forschung‹ angekündigt war.121 Hei­deg­ger setzte sich sodann daran, einen solchen Bericht zu schreiben und verfasste ihn wohl im September und Oktober 1922. Ein Exemplar ging an Paul Natorp in Marburg, ein weiteres an Georg Misch in 117

  Hei­deg­gers Brief in G.  Hei­deg­ger (Hg.), Seelchen, 99 f.   Vgl. auch Fischer, Erfahrung, 108 – 111. 119  Für Kisiel ist der Natorp-Bericht der entscheidende Schritt zu ›Sein und Zeit‹. »In its sheer innovative thrust, the typoscript of October 1922, like no other of this period, deserves to be called Hei­deg­gers’s breakthrough to his magnum opus.« Kisiel, Genesis, 252. 120   Berühmt ist Hannah Arendts Ausspruch, dass Hei­deg­gers Namen »durch ganz Deutschland [reiste] wie das Gerücht vom heimlichen König«. Zitiert nach G. Neumann, Nachwort des Heraus­ gebers, in: Hei­deg­ger, Interpretation, 78. 121   Vgl. aaO., 79. 118

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Göttingen, der ebenfalls einen Bericht erbeten hatte.122 Auch wenn die Existenz dieses Textes immer bekannt war, wurde er erst Ende der 1980er Jahre wiedergefunden und dann zuerst 1989 im Dilthey-Jahrbuch veröffentlicht. Der Text ist deswegen von gro­ ßer Bedeutung, weil hier, anders als in den später aus Manuskripten und Mitschriften veröffentlichten Vorlesungen dieser Zeit, eine von Hei­deg­ger selbst verfasste Zusammenfassung seines damaligen philosophischen Denkens gegeben wird. Hans-Georg Gadamer, der selbst über seinen Doktorvater Natorp lange in Besitz dieses Textes war und ihn erst in den Wirren des Zweiten Weltkriegs verloren hat, schrieb, er sei ihm zur »wahren Inspiration« geworden. Gadamer geht sogar soweit zu sagen, dieser Text stelle »den Leitfaden meines eigenen philosophischen Werdegangs« dar, der schließ­ lich zur »Ausarbeitung der philosophischen Hermeneutik« geführt hat.123 Wichtiger für unseren Zusammenhang ist jedoch, dass Gadamer Hei­deg­gers Text als »Theolo­ gische Jugendschrift« bezeichnet hat. Wie kommt er dazu? Er spielt damit einerseits auf die Veröffentlichung einiger früher Schriften Hegels 1907 an, die Dilthey wieder­ gefunden hatte. Anderseits jedoch hat diese Bemerkung natürlich auch inhaltliche Gründe, denn Hei­deg­ger befand sich nach Gadamer 1922 »auf der Suche« und zwar habe er »eine angemessene Interpretation und ein anthropologisches Verständnis des christlichen Bewußtseins« gesucht.124 Diese Beschreibung Gadamers sollte uns sofort daran erinnern, dass Hei­deg­ger zur selben Zeit und in den Jahren davor intensiv mit Schleiermacher und Otto beschäftigt war (s. o.). Doch deutet auch Gadamer Hei­ deg­gers Unternehmung so, dass er hier »im Rückgang auf Aristoteles seine eigenen Lebensfragen zur Klarheit zu bringen« unternimmt.125 Der enge Zusammenhang von Philosophie, und in unserem Spezialfall der Thanatologie, und eigener Lebenssitua­ tion wird also auch von Gadamer für diese Schrift bemerkt. Für uns sind an dieser Schrift nun vor allem zwei Punkte interessant, die jedoch auch deren Kern ausma­ chen. Zum einen das Herausarbeiten des »Vortheoretischen« oder in anderer Termi­ nologie des Irrationalen als Ausgangspunkt des philosophischen Denkens überhaupt. Zum anderen die Vermischung dieser Prämisse mit der Frage nach der Religion. 3.2.2.1  Das »Vortheoretische« als Ausgangspunkt der Philosophie Zunächst zum Ersten: Gleich zu Beginn der relativ kurzen Abhandlung macht Hei­ deg­ger klar, um was es sich bei diesem Text seiner Ansicht nach handelt und welche Grundstruktur er hat.126 Sein Text sei »Auslegung« und eine solche habe immer 122

  Vgl. aaO., 80.   Gadamer, Jugendschrift, 69. 124   AaO., 67. 125   AaO., 70. 126   Kisiel betont die Bedeutung des Natorp-Berichts: »it breaks new ground in an number of directions, first of all in its overall structure. [. . .] a concentrated methodological statement of the phenomenological hermeneutics of the research situation outlining for the very first time the ­double-pronged programm [. . .] of 1) a fundamental ontology and 2) a destruction of the history of ontology.« Kisiel, Genesis, 249. 123

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eine dreigliedrige Struktur, die sich mit den Begriffen »Blickhabe«, »Blickbahn« und »Blickstand« beschreiben lasse.127 Diese Struktur findet sich ähnlich, allerdings in anderer Terminologie, dann auch ganz zu Beginn in ›Sein und Zeit‹.128 Es ist nun nach Hei­deg­ger schlechterdings unumgänglich, die »hermeneutische Situation«, die sich von diesen drei Strukturbegriffen der Auslegung her beschreiben lässt, auszu­ zeichnen. Nur so könne eine Auslegung »sachlich« werden.129 Es wird schon hier klar, dass es Hei­deg­ger darum geht, jenen seiner Meinung nach, stets vernachläs­ sigten Ursprung, von welchem aus alle Auslegung erst ihren Anfang nehmen kann, nicht nur in Erinnerung zu rufen, sondern eben auch aufzuklären.130 Auslegung, egal welcher Art, und daher eben auch Wissenschaft, egal welcher Art, geschehe niemals in einem luftleeren Raum, daher sei es zentral, um es metaphorisch zu sagen, beschreiben zu können, mit was dieser Raum gefüllt ist. Nur dann könne eine Auslegung sachlich sein. Um nun die hermeneutische Situation erheben zu kön­ nen, müsse zunächst der »Blickstand« erhoben werden. Ein »Blickstand« bezeichnet für Hei­deg­ger die im Leben des Auslegers liegende Ausgangsituation, von der aus jede Auslegung, d. h. auch jede philosophische Untersuchung, und für unseren Fall kann man hinzufügen, auch jede theologische Untersuchung, ihren Anfang nimmt. Der Blickstand, schreibt Hei­deg­ger, »umgreift das, ›von wo aus‹ die Auslegung sich vollzieht, d. h. die jeweilige Daseinsweise der Lebenssituation, in der sich die Ausle­ gung motiviert«. Dazu kommt nun als zweites Strukturmerkmal die »Blickhabe«, die Hei­deg­ger hier nicht ausführlich erklärt. Er schreibt zunächst nur: »Die Blickhabe betrifft die sachhaltige Vorbestimmtheit dessen, was thematisch für die Auslegung ergriffen ist: das ›Als Was‹, in dem im vorhinein der Gegenstand steht.«131 Es geht aus Hei­deg­gers knappen Ausführungen alleine nicht klar hervor, was damit gemeint ist. Es lässt sich vielleicht aber so umschreiben, dass die »Blickhabe« sich anders als der »Blickstand« nicht primär auf die Auslegerin oder den Ausleger bezieht, sondern auf das, was diese oder dieser auszulegen gedenkt. In unserem Fall wäre das ganz grundsätzlich der Tod. Der »Blickstand« umschriebe dann das »Als Was« unserer Auslegung des Todes, also unsere Vorannahme in Bezug auf den Untersuchungsge­ genstand Tod, die uns teilweise ohne unser Dazutun vorgegeben ist. Konkret: Das Aufhören des Lebens als Phänomen im Kontext von evangelisch-christlicher Religiosität in der Gedankenwelt des frühen 21. Jahrhundert mit besonderer Bezugnahme auf die Ideen Martin Hei­deg­gers. Es fällt natürlich sofort auf, dass sich ein so beschriebener 127

  Hei­deg­ger, Interpretation, 11. Diese Begriffe werden zunächst in dem mit ›Zu Einleitung‹ überschriebenen ersten, einleitenden Teil eingeführt, der wohl nicht Teil des ursprünglichen Manu­ skripts war, sondern eine von Hei­deg­ger später (wann genau ist unklar) hinzugefügte Einleitung darstellt. 128  Vgl. Hei­deg­ger, SuZ, 5 – 8. 129   Hei­deg­ger, Interpretation, 11. 130   Vgl. die Ausführungen zur Bedeutung des Vortheoretischen in Hei­deg­gers früher Philoso­ phie bei F. Töpfer, Hei­deg­gers früher Philosophiebegriff, 2004, 83 – 149. 131   Hei­deg­ger, Interpretation, 11.

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»Blickstand« nicht gänzlich von der »Blickhabe« trennen lässt. Das jedoch ist sicher­ lich eine von Hei­deg­gers grundsätzlichen Erkenntnissen, dass sich die Strukturmo­ mente der hermeneutischen Situation nicht trennscharf benennen lassen, sondern letztlich nur als Ganzes sinnvoll zu fassen vermögen, was die hermeneutische Situa­ tion ausmacht.132 Zu dieser gehört dann als drittes Merkmal noch die »Blickbahn«. Diese beschreibt Hei­deg­ger folgendermaßen: »der gegenständliche Zusammenhang, auf den hin der thematische Gegenstand ausgelegt wird, das, woraufhin er, in der entscheidend ansetzenden Interpretationsfrage, abgehört wird – was demnach die Bahn des interpretierenden Bestimmens vorzeichnet.«133 In unserem Zusammen­ hang ließe sich diese »Blickbahn« konkret wohl so umschreiben: die Frage, ob eine Rede vom Tod, die auch in der pastoralen Situation am Grab trägt, ohne zu mogeln möglich ist. Diese von Hei­deg­ger beschriebene hermeneutische Situation ließe sich natürlich zunächst einfach als Struktur der Auslegung von Texten verstehen. Und so führt Hei­deg­ger sie hier selbst ja zunächst auch ein, geht es doch um eine Aus­ legung der Schriften des Aristoteles, wenn auch, was sehr bezeichnend ist, diese in dem etwa zwei Drittel des Manuskripts ausmachenden grundlegenden Teil, der mit »Anzeige der hermeneutischen Situation« überschrieben ist, eigentlich keine Rolle spielen. Doch dass Hei­deg­ger diese grundlegende Hermeneutik hier zunächst noch als Texthermeneutik einführt, ist wohl dem zuzuschreiben, dass er sich noch, wie Gadamer es beschreibt, »auf der Suche befand«.134 Die Öffnung hin zu einer ganzheitlich verstandenen Hermeneutik deutet sich dann weiter im Verlauf des Textes auch mehr als nur an. So schreibt Hei­deg­ger, dessen Text im Übrigen über 29 Seiten in der Gesamtausgabe keinerlei von ihm selbst eingefügte Gliederung aufweist,135 einige Seiten nach der Einführung der beschriebenen hermeneutischen Situation in Bezug auf die Frage, was ein Text aus der Vergangenheit der Gegenwart überhaupt zu sagen habe, was also der Sinn einer historisch arbeitenden Philosophie sei, es könne hier immer nur um die »konkret ausgebildete Frageursprünglichkeit« gehen, die eben in den historischen Texten zum Vorschein komme. Damit ist gemeint, dass diese Texte darauf zu untersuchen seien, inwiefern sie, wie es dann zwei Zeilen weiter heißt »das menschliche Dasein« auf 132   Es scheint so als würde Hei­deg­ger dieselbe Situation zwei Seiten später noch einmal mit leicht anderen Begriffen umschreiben. Hier heißt das, was vorher ›Blickhabe‹ heißt, dann ›Blick­ richtung‹. AaO., 13. 133   AaO., 11. 134   Gadamer, Jugendschrift, 67. 135   Nicht nur wegen dieses formalen Steins, den Hei­deg­ger seinen damaligen Lesern in den Weg legte, sondern auch wegen des aufgrund von manchen handschriftlichen Einfügungen wohl eher als unordentlich zu bezeichnenden Charakters des Manuskripts (auch wenn die meisten in den Anm. genannten Randnotizen des Textes der GA aus einem in Hei­deg­gers Besitz verbliebenen Typoskript stammen und wohl von ihm selbst später eingefügt worden sind), ist wohl Gadamer zuzustimmen, wenn er schreibt: »Im Rückblick habe ich mir oft gesagt, [. . .] wie man Paul Natorp bewundern mußte, daß er das Genie des jungen Kollegen erkannt hatte, trotz der eigenartigen, traditionswidri­ gen Art, in der dieser kühne Denker sich in Rede und Schrift ausdrückte.« AaO., 68 f.

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»seinen Seinscharakter« hin befragen. Philosophisches Fragen sei also viel mehr als eine äußerliche Aufgabe, die man sich gibt. Es, das Fragen, ist, so Hei­deg­ger, also »dem befragten Gegenstand, dem faktischen Leben, nicht von außen angesetzt und aufgeschraubt«, sondern es ist das Ergreifen einer »Grundbewegtheit«, des mensch­ lichen Daseins, das eben nicht nur als Gegenstand, sondern auch als ausführendes Organ der Philosophie zu verstehen ist. Diese Grundbewegtheit fasst Hei­deg­ger hier so, dass er sagt: »daß es in der konkreten Zeitigung seines Seins um sein Sein besorgt ist«.136 Der Hei­deg­ger Terminus »Zeitigung des Seins« umschreibt letztlich leidglich das »Geschehen oder das Verlaufen des Lebens«. Hei­deg­ger spricht hier sowohl vom »menschlichen Dasein« als auch vom »faktischen Leben« und setzt beides so ins Verhältnis, dass das »faktische Leben« das ist, was nach dem »menschlichen Dasein« befragt wird. Also: Philosophisches Fragen will wissen, was hat es mit dem mensch­ lichen Dasein auf sich und kann dafür nur das »faktische Leben« selbst befragen, das ist wiederum das »menschliche Dasein«, verstanden unter den es bestimmenden grundlegenden anthropologischen Strukturen, zu denen ganz zu allererst gehört, dass es den Charakter der »Sorge« hat. Für unsere Frage nach den »vortheoretischen« Grundlagen der Frage nach dem Tod kommen wir hier dahingehend weiter, dass es eben nach Hei­deg­ger jene anthro­ pologischen Strukturen sind, die die hermeneutische Situation der Frage-nach-demTod schon grundlegend bestimmen, bevor die Theorie mit rationalen Begriffen ansetzt sie zu beschreiben. Hei­deg­ger nun möchte es jedoch nicht dabei belassen, die Existenz solcher Strukturmuster zu benennen. Vielmehr sagt er, dass es notwen­ dig sei, diese Strukturen, die er mit den Begriffen »Blickhabe«, »Blickstand« und »Blickbahn« versucht zu beschreiben, offen zu legen, damit eine Auslegung sach­ lich sein könne. Wir sind hier also an einem ähnlichen Punkt wie oben bei Stange, Althaus und Elert, nur, dass dort das Irrationale, was dem hier von Hei­deg­ger als »vortheoretisch« Bezeichneten entspricht, unaufgelöst stehen bleibt. Nun, wieder zurück bei Hei­deg­ger, müssten, damit die hermeneutische Situation gefasst werden könne, diese Strukturen des »faktischen Lebens« genau beschrieben werden. Das wird Hei­deg­ger jedoch erst in ›Sein und Zeit‹ ausarbeiten. Hier im Natorp-Bericht beschränkt er sich, wohl weil er selbst noch nicht weit genug war, es anders zu unter­ nehmen, darauf, wie er schreibt, »durch die Aufzählung der wichtigsten konstituti­ ven Elemente der Faktizität [. . .] das mit diesem Terminus Gemeinte« aufzuklären.137 Das »menschliche Dasein« als »faktisches Leben« beginnt damit, dass es beginnt zu leben und es ist, so Hei­deg­ger, sofort sorgend, das bedeute, es ist gerichtet, es ist aus auf etwas, und zwar aus auf »Welt«. Für das »faktische Leben« gelte also, dass es die »Welt« immer schon »in Sorgen genommen« habe.138 Und dieses führe dazu, dass letztlich »das faktische Leben [. . .] sich jederzeit in einer bestimmten überkomme­ 136

  Hei­deg­ger, Interpretation, 15.   AaO., 17. 138   AaO., 18. 137

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nen, umgearbeiteten oder neuerarbeiteten Ausgelegtheit« bewege.139 Diese immer schon ausgelegte Welt sei dabei jedoch durch »meist unausdrücklich verfügbare[. . .] Hinsichten, in die das faktische Leben auf dem Wege der Gewohnheit mehr hinein­ gerät als daß sie ausdrücklich sich zueignet« bestimmt. Diese »unausdrücklichen Hinsichten« nun seien so wichtig, dass sie dem »faktischen Leben« vorgeben, in wel­ cher Weise es sich um sich selbst sorgt. In jenen Momenten aber ist »ein bestimmter Sinn von Lebensdasein« immer schon »mitgesetzt«, so Hei­deg­ger.140 Hei­deg­ger geht hier also davon aus, dass alle Philosophie, und wir können hin­ zufügen auch alle Theologie, ein »Auslegen des menschlichen Daseins« ist, dass stets beim »faktischen Leben« einzusetzen hat, das so zu verstehen ist, dass es in jedem Moment immer schon auf die »Welt« gerichtet ist, also auf das, was ihm im faktischen Leben begegnet, und dabei gleichzeitig von bestimmten »Hinsichten« bestimmt wird, die wiederum darin begründet sind, dass es als »faktisches Leben« immer irgendwie schon auf die es umgebende »Welt« bezogen ist. Dies ist eine Zir­ kelbewegung, die später in ›Sein und Zeit‹ näher bestimmt wird,141 hier jedoch nur angedeutet ist. Hei­deg­ger, der später gerade auch für sein Eigentlichkeitsdenken berühmt wird, deutet auch dieses hier schon an. Für ihn ist das Dasein in der Struk­ tur der auf die »Welt« gerichteten »Sorge« nämlich stets schon in einer gewissen Tendenz sorgend. Diese Tendenz oder »Geneigtheit« beschreibt er nun als »Hang zum Aufgehen in ihr, zu einem Sichmitnehmenlassen von ihr.« Der griffige Name für diese Tendenz wird dann schließlich »Verfallen«.142 Diese Grundtendenz des Verfallens wird beschrieben als eine Entfremdung von sich selbst und gibt für Hei­ deg­ger den »Richtungssinn und das intentionale Worauf der Sorgetendenz« an. Dabei ist das Verfallen eben nicht als bewusste Entscheidung und auch nicht als messbares Geschehen zu verstehen, das jedem Menschen geschehen würde. Viel­ mehr ist es eine vorbewusst grundgelegte Art und Weise in der das »menschliche Dasein«, nach Hei­deg­ger, immer lebt. Verfallen ist für Hei­deg­ger also eine anthro­ pologische Grundstruktur. Nebenbei sei bemerkt, dass sich Hei­deg­ger gerade durch dieses hier schon auf­ scheinende Eigentlichkeitsdenken, das immer nach dem Schema »Authentizität ver­ sus Künstlichkeit« funktioniert, wieder ganz als Kind seiner Zeit erweist.143 Zurück zum Natorp-Bericht: Das menschliche Dasein beruhige sich nämlich durch dieses »Verfallen an die Welt« und entgehe so der eigentlich zu Grunde lie­ genden Schwere des Lebens, zumindest für eine Weile. Hier liegt natürlich schon das dann in ›Sein und Zeit‹ ausbuchstabierte Schema der Angst als Grundbefindlichkeit des Daseins, die »man« stets in Furcht wandelt, zugrunde.144 Nun kommt Hei­deg­ger 139

  AaO., 20.   AaO., 21. 141  Vgl. Hei­deg­ger, SuZ, 7 f. 142   Hei­deg­ger, Interpretation, 22. 143  Vgl. Gumbrecht, 1926, 281 – 291. 144  Vgl. Hei­deg­ger, SuZ, bes. 184 – 192. 140

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auch hier schon auf den Tod zu sprechen. Zunächst aber führt Hei­deg­ger noch das »Man« ein, indem er konstatiert, dass das »faktische Leben« eben meistens aufgrund seiner Verfallensgeneigtheit im »Man« aufgehe. »Man« meint jedoch nicht nur allge­ mein, dass die Menschen mit dem Strom schwimmen, sondern Hei­deg­ger verweist hier ebenso auf »Tradition und Gewöhnung«, die eben dieses »Man« mitausmachen würden. Nun sei aber ein solches im »Verfallen« begründetes Dasein im »Man« ein vor sich selbst verbergen des Lebens. Am deutlichsten komme diese Tendenz im fak­ tischen Leben zum Ausdruck »durch die Weise, wie es zum Tod steht.«145 Hei­deg­ger bietet nun hier bereits eine zwar noch nicht so ausgefeilte und detail­ lierte Todesanalyse, gibt aber auf den knapp zwei Seiten, die er dem Thema widmet, die Grundmotive seiner Todesanalyse aus ›Sein und Zeit‹ bereits an. Das »faktische Leben« ist für Hei­deg­ger kein Objekt, sondern eben faktisches Leben als »sorgendes Gerichtetsein«. Und so könne der Tod dieses »faktischen Lebens« eben auch nicht objektivierend behandelt werden. Der Tod lässt sich, Hei­deg­ger folgend, nicht mit solch objektivierenden Aussagen wie etwa, dass der Tod der Übergang ins Leben nach dem Tod ist, oder, dass der Tod das absolute Ende des Lebens ist, beschreiben. Der Tod darf nicht bestimmungsmäßig objektiviert werden. Vielmehr sei der Tod als ein Strukturmerkmal des »faktischen Lebens« zu verstehen. Hei­deg­ger schreibt: »Das Leben ist in der Weise, daß sein Tod immer irgendwie für es da ist, für es in einer Sicht steht, und sei es nur in der Weise, daß ›der Gedanke an ihn‹ ausge­ schlagen und niedergehalten wird.«146 Der Tod wird von Hei­deg­ger also als »Wie des Lebens« verstanden. Erst durch das Mitbedenken des Todes kommt das »fakti­ sche Leben« also »sachlich« in den Blick. Fatal sei es nun, »den Gegenstands‑ und Seinscharakter des faktischen Lebens ohne den grundsätzlichen und die Problematik führenden Mitansatz des Todes und des ›den Tod Habens‹ zu bestimmen.« Der Tod kommt hier nun analog zum oben beschriebenen Zirkel in zweifacher Weise vor. Zum einen ist der Tod selbst etwas, was die Seinsweise des »faktischen Lebens« vorbewusst beeinflusst. Hier liegt schon der später noch ausführlich auszuführende Zusammenhang von Tod und Stimmung oder Befindlichkeit angedeutet (s. u. u. a. 3.3.2.2). Zum anderen ist das, was ein Mensch unter Tod versteht, eben schon durch diese Beeinflussung bestimmt. 3.2.2.2  Die Frage nach der Religion Hei­deg­ger kommt nun zusammenfassend auf die sehr grundlegende Frage nach der Philosophie überhaupt zurück. Es lohnt sich seine Definition in Gänze zu bieten, um sie dann auszulegen, weil sie auf die theologische Pointe der »Jugendschrift« hinausläuft.147 145

  Hei­deg­ger, Interpretation, 24.   AaO., 25. 147   Vgl. für die folgende Auslegung McGrath, Anliegen. 146

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Wenn erstens Philosophie nicht eine erfundene im Leben nur mitlaufende Beschäftigung mit irgendwelchen ›Allgemeinheiten‹ und beliebig zu setzenden Prinzipien ist, sondern als fragendes Erkennen, das heißt als Forschung, nur der genuine explizit Vollzug der Auslegungs­ tendenz der Grundbewegtheiten des Lebens, in denen es diesem um sich selbst und sein Sein geht – und wenn zweitens Philosophie gesonnen ist, das faktische Leben in seiner entscheiden­ den Seinsmöglichkeit in Sicht und Griff zu bringen, das heißt, wenn sie bei sich selbst radikal und klar ohne Seitenblicke auf weltanschauliche Betriebsamkeiten sich dafür entschieden hat, das faktische Leben von ihm selbst her aus seinen eigenen faktischen Möglichkeiten auf sich selbst zu stellen, das heißt, wenn die Philosophie grundsätzlich atheistisch ist und das ver­ steht – dann hat sie entscheidend gewählt und für sich zum Gegenstand erhalten das faktische Leben hinsichtlich seiner Faktizität.148

Philosophie, wie Hei­deg­ger sie hier versteht, muss also, um das »faktische Leben« auf »sachliche« Weise in den Blick zu bekommen, generell atheistisch sein. Das soll heißen, dass Philosophie das Leben eben nicht schon von bestimmten theistischen Voraussetzungen her in die »Vorhabe« nehmen kann. Denn dann würde sie miss­ achten, dass diese Voraussetzungen der »Verfallenstendenz« des Lebens geschul­ det, beruhigende Voraussetzungen sind, die nicht das Leben in seiner »Faktizität« beschreiben. Hei­deg­ger sieht diesen methodischen Atheismus allerdings nicht als generelle Absage an religiösen Glauben, das zeigt eine ausführliche Fußnote, die Hei­deg­ger in das gegebene Zitat hinter das kursive grundsätzlich atheistisch gesetzt hat. Auch diese Fußnote soll hier aufgrund ihrer Bedeutung ganz zitiert werden. ›Atheistisch‹ nicht im Sinne einer Theorie als Materialismus oder dergleichen. Jede Philoso­ phie, die in dem, was sie ist, sich selbst versteht, muß als das faktische Wie der Lebensaus­ legung gerade dann, wenn sie dabei noch eine ›Ahnung‹ von Gott hat, wissen, daß das von ihr vollzogene sich zu sich selbst Zurückreißen des Lebens, religiös gesprochen, eine Hand­ aufhebung gegen Gott ist. Damit allein aber steht sie ehrlich, d. h. gemäß der ihr als solcher verfügbaren Möglichkeit vor Gott; atheistisch besagt hier: sich freihaltend von verführerischer Religiosität lediglich beredener Besorgnis. Ob nicht schon die Idee einer Religionsphilosophie, und gar wenn sie ihre Rechnung ohne die Faktizität des Menschen macht, ein purer Wider­ sinn ist?149

In diesem Zitat steckt nun vieles, um der religiösen Seite dieser Schrift Hei­deg­gers näher zu kommen. Zunächst ist klar, dass Hei­deg­ger seinen methodischen Atheis­ mus nicht als weltanschaulichen Materialismus verstanden haben möchte. Und auch ähnliche atheistische Theorien, er könnte hier beispielsweise an den Marxismus gedacht haben, lehnt er sofort ab. Warum das so ist, dürfte uns nun klar sein, denn auch diese setzen unabgegoltene Grundvorsetzungen und beginnen nicht beim »fak­ tischen Leben«. Gleichzeitig wird deutlich, dass dieser methodische Atheismus kei­ neswegs unfromm ist.150 Der folgende Satz hat es nämlich theologisch in sich, ist 148

  Hei­deg­ger, Interpretation, 29.   AaO., 29 Anm. 54. 150   Die sehr detaillierte und hervorragende Besprechung bei Kisiel geht nicht auf diese Passage ein. Vgl. Kisiel, Genesis, 248 – 271. Es ist erstaunlich, dass bei den Interpretationen dieser Stelle meist gar nicht auf den Begriff der »Ahnung« eingegangen wird. Dabei stellt er doch zumindest die 149

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dabei aber alles andere als klar! Wenn Philosophie sich selbst richtig verstehe, also nach Hei­deg­ger ihren Ausgang beim »faktischen Leben« zu nehmen weiß, und dabei auch noch eine »Ahnung« von Gott habe, müsse sie einsehen, dass eben genau so ein Ansatz von Philosophie eine »Handaufhebung gegen Gott« ist. Während der erste Teil des Satzes verständlich ist, weil er Philosophie in der Weise, wie Hei­deg­ ger sie bis hierher dargelegt hat, beschreibt, verlangt spätestens der Begriff »Ahnung von Gott« größte Aufmerksamkeit. Hei­deg­ger hat den Begriff »Ahnung« selbst in einfache Anführungsstriche gesetzt und deutet damit an, dass dieser hier in einem gewissen vorgeprägten Sinne zu verstehen ist. Seine Bezugspunkte gibt er zwar nicht an, aber es dürfte sicher sein, dass er sich hier auf die hermeneutische Tradition in der Linie Schleiermacher-Dilthey bezieht.151 Bei beiden kommt der Begriff der »Ahnung« oder auch »Ahndung« vor. Er ist aber ebenso prominent in der Religions­ philosophie des Jakob Friedrich Fries und des von ihm inspirierten Martin Wilhelm Leberecht de Wette. Beide, Fries und de Wette, wiederum wurden von Rudolf Otto, mit dem sich Hei­deg­ger, wie schon geschrieben, in dieser Zeit auseinandersetzte und der zu diesem Zeitpunkt in Marburg wirkte, wohin sich Hei­deg­ger mit der hier behandelten Schrift schließlich bewarb, rezipiert und für seine Religionsphilosophie fruchtbar gemacht.152 Auf welche dieser Linien sich Hei­deg­ger hier bezieht, wird nicht klar. Alle diese Autoren haben jedoch gemeinsam, dass sie eine Religionshermeneutik betreiben, die das »vortheoretische« Moment stark macht. So ist »Ahnung« eben etwas, was Interpretation dieser Stelle als radikale Ablehnung einer Verbindung von Philosophie und Religion in Frage. Eine solche findet sich bspw. bei Figal, der den entscheidenden Begriff der »Ahnung« einfach übergeht. Vgl. G. Figal, Martin Hei­deg­ger zur Einführung, 31999, 45 ff. Reijen belässt es lediglich dabei, zu erwähnen, dass es sich bei Hei­deg­gers Vorgehen um einen »Atheismus im herkömmlichen Sinn« handele und geht leider nicht weiter auf das Zitat und dessen Einzelheiten ein. Vgl. W. van Reijen, Martin Hei­deg­ger, 2009, 13. Ebenfalls kein Hinweis auf den Begriff der »Ahnung« findet sich bei v. Hermann, wenn er die Stelle auch deutlich weniger radikal deutet als Figal. Vgl. F.‑W. v. Herrmann, Drei Wegabschnitte der Gottesfrage im Denken Martin Hei­deg­ gers, in: N. Fischer / F.‑W. v. Herrmann (Hg.), Die Gottesfrage im Denken Martin Hei­deg­gers, 2011, 37 – 39. Fazzi geht auch nicht darauf ein. Vgl. Fazzi, Leben, 186. Shigeru geht nur kurz darauf ein, ohne die »Ahnung« zu erwähnen. Vgl. M. Shigeru, I. Zur Phänomenologie Hei­deg­gers. Die Theologie des »verborgenen Gottes« bei Hei­deg­ger: Für Klaus Held zu seiner Emeritierung 2001, in: T. Okawa (Hg.), Interdisziplinäre Phänomenologie / Interdisciplinary Phenomenology, 2006, 2. Und auch Höfner, obwohl Theologe, erwähnt in seiner Besprechung der »Handaufhebung« die »Ahnung« nicht. Vgl. M. Höfner, Sinn, Symbol, Religion: Theorie des Zeichens und Phänomeno­ logie der Religion bei Ernst Cassirer und Martin Hei­deg­ger, 2008, 309 – 315. 151   Vgl. für die Hermeneutik Diltheys C. Plaul, Verstehen und Religion im Werk Wilhelm Diltheys: Theologische Dimensionen auf kulturphilosophischer Grundlage, 2019 und für Schleier­ macher jetzt F. Priesemuth, Grund und Grenze des Verstehens: Theologie und Hermeneutik im Anschluss an Friedrich Schleiermacher, 2020. Wie wichtig Dilthey für Hei­deg­gers Denken gerade in der hier verhandelten Zeit war, zeigt R. A. Makkreel, Dilthey, Hei­deg­ger und der Vollzugssinn der Geschichte, in: Denker / Zaborowski, Hei­deg­ger, 307 – 321. 152   Vgl. hierfür sein einschlägiges Werk: R. Otto, Kantisch-Fries’sche Religionsphilosophie und ihre Anwendung auf die Theologie: zur Einleitung in die Glaubenslehre fuer Studenten der Theo­ logie, 1909.

3.2  Martin Hei­deg­ger und die Theologie

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vor dem eigentlichen Rationalisieren einsetzt, etwas, was auf ähnlicher Linie mit den Begriffen Gefühl und Stimmung liegt. Wenn Hei­deg­ger also von einer Philo­ sophie, die eine »Ahnung von Gott« habe, schreibt, dann kann damit eben gerade keine antireligiöse Philosophie gemeint sein. Vielmehr muss gemeint sein, dass der Philosoph es zu unterlassen hat, Gott als Ansatzpunkt der Philosophie zu nehmen, eben gerade, weil er »vortheoretisch«, im Gefühl hat, dass die Philosophie es eben mit Unbedingtheiten zu tun hat, die sie nicht wird auflösen können. So ein Gott wäre sowieso nicht der Gott, der in der »Ahnung von Gott« aufgetaucht ist, son­ dern ein rationalisierter und damit letztlich entgöttlichter Gott. Der Satz Hei­deg­gers birgt jedoch noch eine weitere Schwierigkeit. Was bedeutet »eine Handaufhebung gegen Gott«? Die Deutungen dieser Formulierung gehen weit auseinander und rei­ chen von einer gegen Gott gerichteten Geste, wie das Handheben bei einer Wahl gegen Gott,153 bis hin zu einer liturgischen Geste, die dann eher eine Art Klage der Gottverlassenheit darstellt.154 Wenn man jedoch die Rede von der »Ahnung von Gott« im eben beschriebenen Sinne versteht, dann kann mit der »Handaufhebung gegen Gott« kein antireligiöses Abwenden von Gott gemeint sein. Vielmehr leuch­ tet es ein, dass eben der Philosoph Hei­deg­ger, der den streng katholischen Glau­ ben seiner Kindheit längst hinter sich gelassen hat, und nun in den Bahnen einer protestantisch geprägten Theorie des religiösen Bewusstseins denkt, den damit ein­ hergehenden Sicherheitsverlust, das Verlorengehen eines klar umreißbaren Gottes­ begriffs sowohl philosophisch wie persönlich beklagt und gleichzeitig anerkennt, dass nur im Verzicht auf eine Festlegung Gottes überhaupt der »Ahnung von Gott« gerecht zu werden ist. Wie die Lutheraner der ersten thanatologischen Welle, sagt also Hei­deg­ger, dass man Gott nur gerecht werden könne, wenn man das mensch­ liche Leben ohne ihn, also in seiner Gottverlassenheit, deutet. Das ist eine zentrale Einsicht für die Thanatologie! Diese im Hintergrund habend wird auch ein theolo­ gischer Blick auf die Todesdeutung aus ›Sein und Zeit‹ neu justiert. Und auch die folgenden Sätze unterstützen eine solche fromme Lesart Hei­deg­gers. Er schreibt ja »atheistisch besagt hier: sich freihaltend von verführerischer Religiosität lediglich beredener Besorgnis«. Atheismus im philosophischen Ansatz, so kann man Hei­deg­ ger hier deuten, ist gerade die notwendige Konsequenz einer ernsten Religiosität. Wer Gott als Ausgangspunkt der philosophischen Forschung setze, der verfalle der Verführung einer Religiosität, die verführerisch, aber gleichzeitig eben auch unei­ gentlich ist.155 Nun kann Gottverlassenheit gerade im Angesicht des Todes natürlich zur »Verzweiflung« führen. Man denke hier an die bei Hei­deg­ger mitzudenkende 153

 Vgl. Figal, Hei­deg­ger, 45  ff.  Vgl. McGrath, Anliegen, 277 f. Seubert umgeht eine Auslegung dieses zentralen Begriffs leider. Vgl. Seubert, Hei­deg­ger, 83  f. 155   Das erinnert an die Unterscheidung von verkappter und nicht verkappter Religiosität in Brys bekanntem Buch von 1925. C. C. Bry, Verkappte Religionen, 1925. Vgl. dazu meinen Aufsatz: K. Sacher, Glaube, Mut und die Unergründlichkeit des Lebens – Über grassierende Monomanien und die Schwachheit der Religion, in: Deutsches Pfarrerblatt 120, 2020, 337 – 342. 154

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Kierkegaard-Kenntnis. Wenn die methodische Gottverlassenheit jedoch einhergeht mit einer »Ahnung von Gott«, dann steht eine Todesanalyse, die in dieser Spannung entwickelt wird, unter anderen Vorzeichen. Sie müsste einerseits diese transzendente Einsamkeit des Menschen ernst nehmen und andererseits angemessen auf die »vor­ theoretisch« vorhandene Sinndimension, die mit der »Ahnung von Gott« angedeu­ tet ist, reagieren. Ihr Impetus wäre dann gerade nicht Verzweiflung angesichts des Todes, sondern Zuversicht oder Mut zum Leben, die den Tod integriert oder sogar zum Grund für diese Zuversicht macht. Das alles ist hier nicht ausformuliert, lässt sich jedoch schon als Weiterführung der hier grundgelegten theologisch-philoso­ phischen Gedanken erahnen. 3.2.3  ›Das Problem der Sünde bei Luther‹ – Hei­deg­gers Referat in Bultmanns Seminar Nachdem Hei­deg­ger 1923 in Nachgang der Ereignisse, für die er den ›Natorp-Bericht‹ verfasst hatte, auf ein Extraordinariat in Marburg berufen worden war, schloss er bald engere Bekanntschaft mit Rudolf Bultmann, der selbst seit 1921 dort Profes­ sor war.156 Wie schon erwähnt, nahm Hei­deg­ger im Wintersemester 1923 / 1924 an Bultmanns Seminar ›Die Ethik des Paulus‹ teil. Er hielt während dieser Teilnahme auch ein Referat, das 1996 im Zuge der Veröffentlichung der Protokolle aus Bult­ manns Seminaren erschienen ist.157 Der Text des Referates ist in Form einer Mit­ schrift zweier Seminarteilnehmer überliefert. Gerade für den zuletzt angesproche­ nen Zusammenhang von Hei­deg­gers Ausgangspunkt des Denkens beim »faktischen Leben« und einer damit einhergehenden »Gottverlassenheit« in der Methode, die jedoch gerade als wirklich religiös gedeutet wird, ergeben sich hier noch einmal inte­ ressante Ansatzpunkte.158 Hei­deg­ger bestimmt zunächst das Thema der Theologie als »der Mensch im Wie seines Gestelltseins vor Gott.« Der Mensch sei zwar vor Gott gestellt, sei jedoch dennoch mit der »ganze[n] Problematik der Welt« konfrontiert. Daher nun habe Luther stets von der Sünde aus nach dem Menschen gefragt. Die Frage, die Hei­deg­ ger beantworten wolle, lautete: »Was sagt Sünde, wenn die Beziehung des Menschen auf Gott als theologisches Problem erörtert wird?«159 Diese Frage wiederum stehe in einer engen Verbindung zu der Frage nach dem »Urstand (iustitia originalis)«, also der Frage nach »dem Sein des Menschen in dem Augenblick, als er aus der Hand Gottes hervorging.«160 Es zeigt sich hier im Lutherreferat sofort Hei­deg­gers eigenes 156   Vgl. für das Verhältnis Bultmann zu Hei­deg­ger Pöggeler, Wege, bes. 56 – 77. Pöggeler ist auch der Einzige, der dieses Referat ausführlich bearbeitet. Ihm liegen allerdings zwei unterschied­ liche Versionen vor, wobei eine nur ein transkribiertes Manuskript ist, das mir leider nicht zur Verfügung steht. 157   Der Text findet sich bei Jaspert (Hg.), Exegese, 28 – 33. 158   Vgl. die Auslegung bei Pöggeler, Wege, 95 – 98. 159  Alle Jaspert (Hg.), Exegese, 28. 160   AaO., 29.

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systematisches Interesse, das ja – wie wir gesehen haben – auf genau diesen Bereich bestimmt war: Die »formale Anzeige« oder die »hermeneutische Situation« versucht genau dieses »ursprüngliche« Moment in den Blick zu bekommen und auch in ›Sein und Zeit‹ steht die Frage nach der »Ursprünglichkeit« stets im Raum. Luther habe diese Frage aus einer bestimmten Perspektive heraus betrachtet. Diese fasst Hei­deg­ger so: »Die corruptio des Seins des Menschen kann gar nicht radikal genug gefaßt werden«, denn je eindringlicher »die Radikalität der Sünde« klarwerde, desto deutlicher werde die »Notwendigkeit« von »Gottes Menschwer­ dung«. Es wird schon aus diesen Anfangsbemerkungen Hei­deg­gers deutlich, dass es ihm auch hier darum geht, klar zu machen, dass eine Gott ernstnehmende Betrach­ tung des Menschen von der radikalen Gottverlassenheit (Sünde) auszugehen habe. Diese Sichtweise, die wir im ›Natorp-Bericht‹ gesehen haben, wird hier nun deutlich auf Hei­deg­gers Lutherstudien zurückgeführt oder zumindest durch diese flankiert. Hei­deg­ger behandelt in der Sitzung des Seminars vom 14. Februar 1924 drei frühe Lutherschriften, nämlich die ›Quaestio de viribus et voluntate hominis sine gratia disputata‹ von 1516, die ›Disputatio contra scholasticam theologiam‹ von 1517 und die ›Disputatio Heidelbergae habita‹ von 1518. In der Sitzung vom 21. Februar 1924 dann wendete er sich der Genesisvorlesung Luthers aus dem Jahr 1544 zu. Der Hin­ tergrund dieser Auswahl ist, dass Hei­deg­ger beweisen möchte, dass sowohl der frühe als auch der späte Luther den gerade beschriebenen Zusammenhang zwischen radi­ kaler Sündenverfallenheit des Menschen und Anerkennen der wahren Göttlichkeit Gottes gesehen habe. In der ersten Sitzung legt Hei­deg­ger nach den schon erwähnten einleitenden Bemerkungen dar, dass für Luther die radikale Sündenverfallenheit des Menschen nicht in einer großen Menge an Einzelsünden bestehe, sondern aufgrund eines »affec­ tus horrens peccatum« bestünde. Gerade die Betontung des »affectus« ist Hei­deg­ger hier wichtig. Er überträgt »affectus« während des Seminars mit »Weise des Gestellt­ seins des Menschen zu den Dingen« ins Deutsche. Auch hier ist wieder Hei­deg­gers Interesse an den grundlegenden Momenten deutlich. Es interessiert ihn offenbar, von welcher hermeneutischen Situation Luther ausgegangen war. Der Mensch ist in Hei­ deg­gers Lutherdeutung also derart in die Welt gestellt, dass er von einem Grundge­ fühl des Horrors durch die Sünde bestimmt ist. Sünde habe also ihre Bestimmung in einem »ganz bestimmten Gestelltsein zur Welt«. Es ist deutlich, dass es Hei­deg­ger hier wieder um etwas »Vortheoretisches« geht. Der Mensch ist, bevor er überhaupt beginnt über sein eigenes Sein zu reflektieren, als in jenen »affectus horrens pecca­ tum« gestellt zu denken. Dass Hei­deg­ger Luther hier affirmativ referiert, ist eindeutig. Die hier herausgearbeitete Grundseinsweise des Menschen (Grundbefindlichkeit) ist also eine negative, wie es sich ja auch für ›Sein und Zeit‹ zeigen wird. Hei­deg­ger fasst genau das nun noch in einer bemerkenswerten These zusammen: Das Sein des Menschen in der Welt, so versteht Hei­deg­ger Luther, dürfe also keineswegs als »ein gutes« dargestellt werden, vielmehr müsse der Mensch dahin gebracht werden, dass »er sein Sein auffaßt als ein Durchhalten in der Welt, die nicht Herrlichkeiten bietet,

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sondern Widerwärtigkeiten.«161 Während also die ursprüngliche Befindlichkeit des Mensch die eines Horrors ist, müsse das Ziel der Theologie sein, den Menschen dazu zu bringen, dieses radikal verlorene »Gestelltsein« in die Welt, in späterer Terminolo­ gie die Faktizität des Seins zum Tode oder auch die Geworfenheit, anzuerkennen, und dennoch durchzuhalten, also gerade in diesem so radikal sündhaften Leben einen Sinn zu finden, so deutet Hei­deg­ger hier Luther. Es stellt sich natürlich im Anschluss eine Frage, die Hei­deg­ger selbst hier noch nicht aufgreift. Was für ein »affectus« nun an die Stelle des radikalen Verlorenseins (»affectus horrens peccatum«) rücken muss? Als Antwort ließe sich zumindest denken, dass es ein »affectus« sein müsse, der die Verlorenheit anerkennt, ohne an ihr zu verzweifeln. Die lutherischen Thanatologen der ersten Welle, die von einer ganz vergleichbaren Ausgangssituation ausgehen, ant­ worten hier stets mit dem Glauben, der eine solche integrative Kraft besitze. Und auch Hei­deg­ger geht dann in der zweiten Sitzung auf den Glauben ein. Inwiefern dies überzeugend ist oder nicht, muss hier dahingestellt bleiben. Festzuhalten ist jedoch, dass Hei­deg­ger die gleiche Grundspannung für seine Ausführungen fest­ macht. Diesen Ausgang von einer dunklen Situation aus unterstützt Hei­deg­ger noch einmal, indem er mit Luther eine »theologia crucis« stark macht, die, im Gegensatz zur »theologia gloriae« einen richtigen Blick auf die Dinge habe, also »dicit id quod res est«.162 Auch hier ist es wieder überdeutlich wie Hei­deg­ger sein eigenes Interesse bei Luther bedient findet: das Sagen wie es wirklich ist. In der zweiten Sitzung, in der Hei­deg­ger in Bultmanns Seminar sprach, macht er die schon angesprochenen Punkte noch einmal deutlich. Es kommt wenig Neues hinzu, was auch Hei­deg­gers Anliegen entspricht, zu zeigen, dass der junge Luther der ersten Sitzung dem alten Luther der zweiten Sitzung nicht widerspreche. Was jedoch noch dazu kommt, ist der schon erwähnte Zusammenhang von »Sünde« und »Glauben«. Hei­deg­ger betont, Luther habe aus der »experientia« abgeleitet, dass der Mensch von Natur aus verfallen sei (»Die natura hominis ist corrupta«).163 Das menschliche Sein als solches sei also schon Sünde und der Gegensatz dazu »Glau­ ben«. Glauben wiederum heiße »vor Gott stehen (gestellt sein).« Hei­deg­ger deutet Luthers Sündenbegriff dementsprechend als »Existenzbegriff«.164 Hei­deg­ger geht es systematisch offenbar darum, die Grundspannung noch stärker herauszukehren. Das Sein des Menschen ist verfallen und der Mensch könne darauf nur so reagieren, dass er sich dieser dunklen Ausgangssituation stelle und dennoch glaube. Er beendet sein Referat dann mit einem Zitat Kierkegaards, das noch einmal zeigt an welchem systematischen Ort er sich dem Protestantismus verbunden fühlt: »›das Prinzip des Protestantismus [hat] eine besondere Voraussetzung [. . .]: ein Mensch, der in Todes­ angst dasitzt – in Furcht und Zittern und viel Anfechtung.‹«165 161

  Alle ebd.   AaO., 30. 163   AaO., 31. 164  Ebd. 165   AaO., 33. 162

3.2  Martin Hei­deg­ger und die Theologie

213

Das hier behandelte Lutherreferat Hei­deg­gers zeigt also einmal mehr, inwiefern die für uns so wichtigen Stücke der Analysen von ›Sein und Zeit‹ eng mit der Lek­ türe theologischer Texte und dem Durchdenken theologischer Frage in Zusammen­ hang steht. 3.2.4  ›Begriff der Zeit‹ – Vortrag vor der Marburger Theologenschaft Nur fünf Monate nach dem Referat über die Sünde bei Luther, im Juli 1924, hielt Hei­deg­ger einen »Vortrag vor der Marburger Theologenschaft«.166 Am 2. Mai 1924 war Hei­deg­gers Vater an den Folgen eines Schlaganfalls verstorben. Der Tod, dessen theologische oder philosophische Bestimmung, wie schon mehrfach gezeigt, immer auch von der biographischen Situation des Thanatologen abhängt, war Hei­deg­ger hier also zum ersten Mal in der Form des Todes eines nahen Familienangehörigen konkret begegnet. Hei­deg­ger war, das wissen wir aus dem Briefwechsel mit seiner Frau,167 sofort von Marburg aus nach Meßkirch gereist und bereits am 3. Mai dort angekommen. Dieses Geschehen könnte einen Hinweis darauf geben, warum der Tod, der bisher immer nur im Hintergrund eine Rolle gespielt hat, nun in diesem Vortrag in die erste Reihe vorrückt und letztlich den Vortrag thematisch bestimmt. Hei­deg­gers Vortrag war offenbar ein Ereignis, das unter großem Zuschauerandrang in einer Art universitätsoffenem Rahmen stattfand. Hei­deg­ger selbst schreibt in einem Brief an seine Frau vom 2. August 1924 über jenen Vortrag: Was mir Bultmann und v. Rohden erzählen u. was ich sonst höre, hat mein Vortrag einge­ schlagen – gerade auch bei solchen, die mir bis jetzt fern standen. Der Fehler war, daß zuviel Publikum sich hereindrängte. In der Form läßt sich manches einfacher sagen – wenn auch unschärfer –. Zu der Sache hab ich doch Vertrauen – nicht als einem Fertigen, sondern als einer konkreten Direktive wirklicher Arbeit. Die Theologiedozenten haben sich jedenfalls sehr aufgeregt u. das ist gut so.168

Dieses Briefzitat ist gleich mehrfach interessant. Zum einen gibt es Hinweis darauf, dass es Hei­deg­gers Ziel war, zu provozieren oder zumindest, dass er damit gerechnet hatte, dass seine Ausführungen heftige Reaktionen auslösen würden und dies mehr als nur billigend in Kauf genommen hat. Das ist besonders für seine Verhältnisbe­ stimmung zur Theologie, die er hier im Vortrag vornimmt, von Interesse. Sie ändert sich nämlich zu der im kleineren Seminarrahmen wenige Monate zuvor Gegebe­ nen in einer Weise, die sich durch dieses Ziel Hei­deg­gers erklären lässt. Zum ande­ ren gibt Hei­deg­ger hier selbst Auskunft über eine Frage, die seit jeher in der Hei­ deg­gerforschung diskutiert wird, nämlich inwiefern der Vortrag von 1924 zu dem 166   Der Text des Vortrags, der zu Lebzeiten nicht veröffentlicht wurde, geht auf zwei weitgehend übereinstimmende Nachschriften zurück. Vgl. H. Tietjen, Nachwort des Herausgebers, in: M. Hei­ deg­ger, Der Begriff der Zeit. Vortrag vor der Marburger Theologenschaft, 21995, 29. 167   Vgl. den Brief vom 3. Mai 1924 bei G.  Hei­deg­ger (Hg.), Seelchen, 135 f. 168   AaO., 136 f.

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

Hauptwerk von 1927 im Verhältnis steht.169 Hei­deg­ger selbst bestimmt die Bedeu­ tung des Vortragsinhaltes als »konkrete Direktive wirklicher Arbeit« für ihn. Und das dürfte ziemlich genau der Wahrheit entsprechen, sind doch hier viele der Linien, die sich dann in ›Sein und Zeit‹ vollendet finden, bereits angezeichnet. Diese Ent­ wicklung ist für uns im Allgemeinen nicht interessant, in ihrer Konkretion der Frage nach dem Tod aber von Bedeutung.170 Der Vortrag beginnt folgendermaßen: »Die folgenden Überlegungen handeln von der Zeit. Was ist die Zeit?«171 Diese Frage wird Hei­deg­ger, um die Pointe des Vortrags gleich vorweg zu nehmen, so beantworten, dass die Zeit natürlich über­ haupt kein Was ist, sondern ein Wie. Zeit ist für ihn, da schreibt er schon ganz so wie später in ›Sein und Zeit‹, »Zeitlichkeit«. Das bedeutet: die durch das einzelne indi­ viduelle Leben des Menschen (Dasein) erlebte und mit den Erlebnissen erfüllte Zeit (Erlebniszeit). Zu Beginn des Vortrags jedoch setzt Hei­deg­ger die Pointe zunächst anders. Es geht ihm darum, den Theologen klar zu machen, »was Zeit nicht ist«. Zeit ist nicht etwas, was »ihren Sinn findet in der Ewigkeit«172 – zumindest, wenn Hei­ deg­ger sie in seiner Wissenschaft auslegt, die er hier dezidiert nicht als Theologie, aber eben auch nicht als Philosophie im herkömmlichen Sinne verstanden wissen will. Wer so rede, der betreibe keine Wissenschaft, diese Aussage Hei­deg­gers ist klar. Wer Wissenschaft betreiben wolle, der müsse es unternehmen »die Zeit aus der Zeit zu verstehen«.173 Das bedeutet für Hei­deg­ger, das wissen wir nun schon aus dem bisher Gesagten, dass der Ansatz der »Auslegung«, die auch die Frage nach der Zeit ist, eben die eigene »hermeneutische Situation« im Sinne der »formalen Anzeige« zu bestimmen habe. Wenn nun also der Theologe einfach die Ewigkeit oder Gott als Ausgangspunkt setze, dann verfahre er nicht wissenschaftlich. Und Hei­deg­ger, hier wird seine erwähnte Lust an der Provokation deutlich, sieht sich selbst als »Polizei­ dienst beim Aufzug der Wissenschaften«,174 der jene, die unausgewiesene Voraus­ setzungen annehmen, dafür in Haft zu nehmen gedenkt. Er versteht sich selbst dabei jedoch gar nicht einmal als philosophischer Polizeidienst, sondern vielmehr als im Dienste einer »Vorwissenschaft« stehend. Diese »Vorwissenschaft« sei es nun, die es unternimmt, »Nachforschungen darüber anzustellen, was mit dem, was Philosophie und Wissenschaft, was auslegende Rede des Daseins von ihm selbst und der Welt sagt, am Ende gemeint sein könnte.«175 Hier wird deutlich, dass es Hei­deg­ger nicht darum geht, besonders gegen die Theologen zu argumentieren, sondern dass er generell mit einer bestimmten Art von wissenschaftlicher Herangehensweise unzu­

169

 Vgl. Tietjen, Nachwort.   Für die Details dieser Entwicklung ist nach wie vor maßgeblich Kisiel, Genesis. 171   Hei­deg­ger, Begriff, 5. 172  Ebd. 173  AaO., 6. 174  AaO., 7. 175  AaO., 6. 170

3.2  Martin Hei­deg­ger und die Theologie

215

frieden ist.176 Und gerade mit dem Unternehmen, zu sagen, »was am Ende gemeint sein könnte«, liegt er ja dann auch nicht weit von dem entfernt, was eine protestanti­ sche Theologie spätestens seit den Prolegomena der Glaubenslehre Schleiermachers immer mit zu unternehmen hat. Hei­deg­ger, das haben ich oben gezeigt, steht in dieser Zeit deutlich im Einfluss von in dieser Weise denkenden protestantischen Theologen wie eben Schleiermacher oder auch Rudolf Otto, der, gehörte er doch zur »Marburger Theologenschaft«, wohl auch anwesend, jedoch nicht sonderlich beein­ druckt von Hei­deg­gers Pointe gewesen sein dürfte. So wie Hei­deg­ger hier sagt, dass er nicht einfach vom Glauben oder von Gott ausgehen könne, sondern erst die Vor­ aussetzung einer solchen Rede aufzuklären habe, so hat es die protestantische Theo­ logie seit der Aufklärung mit ihrem Ansatz beim Religionsbegriff ja ebenso unter­ nommen. Und wie Schleiermacher dann dabei landete, zunächst eine Theorie des Bewusstseins zu geben, bevor er über die materiellen Inhalte der Dogmatik reden konnte, so unternimmt es nun eben Hei­deg­ger zunächst eine »Fundamentalanalyse des Daseins«, auch wenn diese hier im Vortrag noch nicht so heißt, durchzuführen, um materielle Fragen der Philosophie, wie die Frage nach der Zeit, zu bearbeiten. Die Frage nach der Zeit könne, so Hei­deg­ger dann weiter, ihren Ausgang nur bei demjenigen nehmen, der nach der Zeit fragt: beim Dasein. Das Dasein wird hier dann auch bestimmt als »das Seiende in seinem Sein, das wir als menschliches Leben kennen; [. . .] das Seiende, das wir selbst sind, das jeder von uns in der Grundaus­ sage trifft: Ich bin.«177 Hei­deg­ger erhebt im Folgenden die »hermeneutische Situa­ tion«, indem er das Dasein in acht Punkten genauer fasst. Das hat den Sinn, die Frage nach der Zeit, die ihren Ausgangspunkt beim Dasein zu nehmen habe, auf einen tragfähigen Boden zu stellen. Dasein lässt sich nach Hei­deg­ger hier so bestim­ men, dass es (1.) »In‑der-Welt-sein« als »Besorgen« und (2.) »Mit-einander-sein« mit Anderen ist, (3.) sich ständig im »Sprechen« in der »Selbstauslegung« befindet, (4.) »jeweilig« ist, d. h. also immer »mein Dasein«, und (5.) alltäglich in einer unei­ gentlichen Weise, im »Man«, lebt. In dieser Alltäglichkeit ist das Dasein (6.) immer mit sich selbst beschäftigt und hat es (7.) trotz allem »Man« mit sich selbst zu tun. Schließlich könne (8.) das alles nicht abstrakt ausgewiesen werden, sondern nur in der Form des »es sein« erfahren werden. Diese Bestimmungen, die Hei­deg­ger hier im Vortrag nicht bis ins Details ausführt, die aber später in ›Sein und Zeit‹ wieder­ kehren und auf die ich dort dann genauer eingehen kann, zeigen hier vor allem eins: dass die Frage nach der Zeit aus einer bestimmten »Grundbefindlichkeit«, oder auch »Grundstimmung«, heraus gestellt wird, die es mit zu bedenken gilt und die, 176   Genau auf diese Weise deutet auch Vetter den Unterschied zwischen Theologie, die Hei­ deg­ger ablehnt, und einem Umgang mit Religion, wie Hei­deg­ger ihn für richtig hält. Er schreibt: »Zahlreiche Vertreter beider christlicher Konfessionen haben Hei­deg­ger oft für ihr eigenes Anliegen in Anspruch genommen und sind nicht immer der Gefahr ausgewichen, die Unterschiede zwischen der Philosophie als Ontologie und der Theologie als einer ontischen Wissenschaft zu nivellieren.« H. Vetter, Grundriss Hei­deg­ger. Ein Handbuch zu Leben und Werk, 2014, 208. 177   Hei­deg­ger, Begriff, 11.

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

von der »eigensten« und »gewissesten Möglichkeit« des Daseins bestimmt ist, vom »Zu-Ende-sein«.178 Und auch hier liegt die Betonung wieder darauf, wie es oben schon in Bezug auf die Zeit generell gesagt wurde, dass es nicht darum geht, Was etwas ist, sondern stets darum, dass es ein Wie ist. Der Tod, der natürlich gemeint ist, wenn Hei­deg­ger vom Zu-Ende-sein spricht, ist das »Vorbei« und zwar auf eben jene Weise des Wies. Hei­deg­ger schreibt: »Das Vor­ bei ist keine Begebenheit, kein Vorfall in meinem Dasein. Es ist ja sein Vorbei, nicht ein Was an ihm, das sich ereignet, das ihm zustößt und das es ändert. Dieses Vorbei ist kein Was, sondern ein Wie, und zwar das eigentliche Wie meines Daseins.«179 Der Tod ist, und diese Pointe hat sich schon gezeigt und wird sich im Folgenden immer wieder erhärten, doppelt zu bestimmen. Zum einen ist er als »die eigenste und gewisseste Möglichkeit des Vorbei« die »Grundstimmung« des Daseins über­ haupt bestimmend. Als was das Ich sein Leben bestimmt wahrnimmt, das hängt bei jedem Menschen, so ist das zu verstehen, davon ab, dass das eigene Leben »unbe­ stimmt immer schon« auf ein Vorbei zugeht. Zum anderen ist damit auch die Frage nach dem Was des Todes, die sich jeder Mensch stellt, immer schon bestimmt durch dieses Wie des Todes. Wenn jemand also für sich sagt der Tod ist nur ein Übergang ins ewige Leben bei Gott, dann ist diese Aussage schon als bestimmt durch das Wie des Todes zu verstehen. Der Mensch, der diese Aussage tätigt, versteht sich selbst aus dem Man heraus, oder, anders gesagt, lässt die Selbstauslegung an einem Punkt beginnen, der nicht der ursprüngliche Punkt ist. Dieser ursprüngliche Punkt näm­ lich, so zumindest Hei­deg­ger, ist immer der der radikalen Faktizität, des radika­ len Unbestimmtseins, oder, um hier beim Hei­deg­ger aus dem Luther-Referat anzu­ schließen, der der radikalen Gottverlassenheit. Die hermeneutische Situation, die Hei­deg­ger im Natorp-Bericht noch lediglich so bestimmt hat, dass sie die verdeckten Motive aufzudecken und so zum eigentlichen Anfangspunkt der Auslegung vorzu­ dringen habe, wird hier nun genauer als eben immer schon durch den Tod bestimmt verstanden. Auslegung, egal welcher Art, nimmt ihren Anfang beim Dasein. Das Dasein ist immer als endliches Leben zu verstehen. Daher könne der Tod als das eine Merkmal verstanden werden, das eben schon die ansonsten radikal unbestimmte hermeneutische Situation vorbestimmt. Diese Vorbestimmung ist dabei als »vorthe­ oretisch« zu denken. Das wird sich spätestens bei der Einführung der »Angst« als der Grundbefindlichkeit des Daseins zeigen. Schließlich möchte ich noch einmal auf die eingangs schon erwähnte Verhält­ nisbestimmung zur Theologie eingehen. Am Anfang des Vortrags scheint es so, als wolle Hei­deg­ger sagen, der Unterschied zwischen einem Theologen und einem Phi­ losophen sei, dass der eine glaubt, der andere aber nicht. Doch dieser Schein trügt. Für Hei­deg­ger verläuft die Unterscheidung nicht zwischen den Disziplinen, son­ dern zwischen dem richtigen und dem falschen Wissenschaftsverständnis. Wissen­ 178

  AaO., 16.   AaO., 17.

179

3.2  Martin Hei­deg­ger und die Theologie

217

schaftliche Auslegung in den Geisteswissenschaften müsse, wie beschrieben, ihren Ausgang bei der hermeneutischen Situation nehmen, also von der Daseinsanalyse vordringen zum eigentlich im Fokus stehenden Gegenstand. Eine solche wissen­ schaftliche Vorgehensweise könne es aber, so Hei­deg­ger, in der Philosophie wie in der Theologie geben oder nicht geben. In beiden Fällen jedoch müsse es eine Heran­ gehensweise geben, die die eigentliche Frage schwieriger mache, sie in rechter Weise vorbereite und eigentlich erst richtigstelle.180 Genau dieser Punkt nun leitet uns zum folgenden thanatologischen Blick auf sein Hauptwerk ›Sein und Zeit‹ an. Hei­deg­ger hat hier nicht nur die Frage nach dem Was des Todes wie kein anderer im 20. Jahr­ hundert behandelt, sondern auch klar gemacht, wie diese Frage richtig zu stellen ist. 3.2.5  Hei­deg­gers Dilthey-Vorträge aus dem Jahr 1925 In der Zeit vom 16. bis zum 21. April 1925 hielt Hei­deg­ger in Kassel zehn Vorträge, die unter dem Titel »Wilhelm Diltheys Forschungsarbeit und der gegenwärtige Kampf um eine historische Weltanschauung« im Jahr 2016 in Band 80.1 der Gesamtausgabe erschienen sind. Die Existenz dieser Vorträge war lange nicht bekannt. Sie wurden erst gegen Ende der 1980er Jahre entdeckt und schließlich 1992 / 93 zum ersten Mal im Dilthey-Jahrbuch veröffentlicht.181 Diese Vorträge sind für uns in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Sie versammeln in ihrer relativ kompakten Form in klarer und gut verständlicher Sprache, die fast völlig frei von Hei­deg­ger-Wortschöpfungen ist, nicht nur viele der ein Jahr später in ›Sein und Zeit‹ kunstvoll komponierten Gedankengänge, sondern erlauben es uns, diese, eben aufgrund der Verwendung von herkömmlichen Begriffen, deren Bedeutung von Hei­deg­ger dann jeweils erläu­ tert wird, in Bezug auf ihre Intention näher zu bestimmen. Das ist für uns insofern wichtig, weil es für das hier unternommene Vorhaben, die Bedeutung der Thanatolo­ gie Hei­deg­gers für die Theologie dadurch hervorzuheben, dass die ihr selbst eigenen theologischen Wurzeln und Denkstrukturen aufgezeigt werden, zuträglich ist. Durch das Heranziehen der Kasseler Dilthey-Vorträge, die alle für uns wichtigen Themen­ komplexe, also Hei­deg­gers Verhältnisbestimmung seines Denkens zur Theologie, die hermeneutische Grundlegung des Denkens und damit der Thanatologie überhaupt und die konkrete Auslegung des Todes im Besonderen, behandeln, werden wir in die Lage versetzt, bestimmte Fragestellungen in der gleich folgenden Auslegung von ›Sein 180

  Vgl. aaO., 6.   M.  Hei­deg­ger, Wilhelm Diltheys Forschungsarbeit, in: Dilthey-Jahrbuch für Philosophie und Geschichte der Geisteswissenschaften 8, 1992, 143 – 180. Der Text des Vortrags basiert auf einer stenographischen Mitschrift. Zur Entstehung und Vorgeschichte der Vorträge vgl. F. Rodi, Die Bedeutung Diltheys für die Konzeption von Sein und Zeit. Zum Umfeld von Hei­deg­gers Kassler Vorträgen, in: Dilthey-Jahrbuch für Philosophie und Geschichte der Geisteswissenschaften 4, 1986, 161 – 177. Für die Beziehung Hei­deg­gers zu Dilthey vgl. auch I. M. Fehér, Religion, Theologie und Philosophie auf Hei­deg­gers Weg zu Sein und Zeit. Das Phänomenologische, das Hermeneutische, das Faktische und das Historische mit Blick auf Dilthey und das Urchristentum, in: Hei­deg­gerStudien, 2008, 103 – 146. 181

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

und Zeit‹ besser zu fassen zu bekommen. Sicher könnte man auch diese Vorträge wie­ der als ›Sein und Zeit‹ in nuce bezeichnen, wie es gerne für die maßgeblichen Texte auf dem Weg zum Hauptwerk getan wird. Diese jedoch immer erst im Rückblick von ›Sein und Zeit‹ auf die früheren Texte mögliche Einordnung ergibt wenig Sinn. Sie ist sozusagen hermeneutisch fragwürdig, weil sie das Frühere mit dem Späteren auslegen will und damit den Gedanken des Früheren gar nicht die Möglichkeit lässt, eigenständig zu sein. Interessanter und auch für unsere Fragestellung zielführender ist es, die Vorträge zunächst für sich zu lesen. So bietet sich hier für alle unsere The­ menkomplexe (Hei­deg­ger und die Theologie, Hei­deg­ger und die Hermeneutik, Hei­ deg­ger und der Tod), die sich um die Frage der Bedeutung der Thanatologie Hei­deg­ gers für die Thanatologie überhaupt gebildet haben, Weiterführendes. Die Vorträge gliedern sich in zehn Abschnitte. Aufgrund des Settings der Vor­ träge als allgemeinbildende Vorträge für ein bildungsinteressiertes Bürgertum, ist Hei­deg­ger hier, wie schon angedeutet, erfreulich klar in seinen Formulierungen und die ganzen Vorträge überhaupt recht frei von der Aura des Mysteriösen und Unver­ ständlichen, die seine Ausführungen sonst so gerne und oft durchzieht. Sicherlich klingen viele der späteren Begriffe schon an, aber sie scheinen besser eingebunden und erläutert und so sind die Vorträge eben nicht so sperrig wie ›Sein und Zeit‹. Nach einer Einführung zu Dilthey und seiner Bedeutung (Abschnitt I – II), geht Hei­ deg­ger auf dessen, aus Hei­deg­gers Sicht, Hauptgedanken ein (III) und unternimmt es dann diese mit Hilfe der »Phänomenologie wieder aufzunehmen« (IV).182 Hierfür erläutert er sein Verständnis von Phänomenologie (V) und wendet dieses daraufhin auf Diltheys »Frage nach dem Sinn der Geschichte« an (VI).183 Schließlich landet er bei der »Zeit als Grundbestimmung des Menschen« (VII – VIII) und somit bei der Geschichte als Geschichtlichkeit (IX – X). Für uns ist der genaue Fortgang des Gedankenwegs der Vorträge nicht wichtig. Viele der Gedanken finden sich tatsäch­ lich in gleicher, nur ausführlicherer und dadurch schlüssigerer Weise in ›Sein und Zeit‹. Ich werde daher, sofern sie für unsere Frage wichtig sind, dort auf sie eingehen. Für die Dilthey-Vorträge gilt hingegen, dass wir mitten in den Text einsteigen kön­ nen, um die für uns hier wichtigen Gedankengänge herauszukristallisieren. Hierfür soll es zunächst darum gehen, was die eigentliche Frage Hei­deg­gers ist, also welches Motiv hinter Hei­deg­gers Aufgreifen von Dilthey als Thema hier zugrunde liegt. Und hier bietet der Text zugleich eine Überraschung. Hei­deg­ger führt den Gegenstand seiner Vorlesung folgendermaßen ein: Das Thema [d. h. der gegenwärtige Kampf um eine historische Weltanschauung aus dem Titel der Vorlesungen, KS] erscheint vielleicht abgelegen und unbekannt, aber es liegt darin ein Fundamentalproblem der ganzen abendländischen Philosophie: das Problem des Sinnes des menschlichen Lebens.184 182

 Vgl. Hei­deg­ger, Forschungsarbeit, 109.   AaO., 135. 184   AaO., 110. 183

3.2  Martin Hei­deg­ger und die Theologie

219

Hei­deg­gers Interesse am »Sinn von Sein«, wie es in ›Sein und Zeit‹ heißt, ist bekannt. Aber der »Sinn des menschlichen Lebens« ist für ihn eine besondere Formulierung. Der »Sinn von Sein« klingt nach einer viel weitreichenderen Fragestellung als der »Sinn des menschlichen Lebens«. Für Hei­deg­ger aber fällt, zumindest hier in den Dilthey-Vorträgen, beides zusammen. Doch was meint Hei­deg­ger hier mit dem »Sinn des menschlichen Lebens«? Was Sinn sein soll, darauf geht er überhaupt nicht ein. Er setzt offenbar darauf, dass seine Zuhörerschaft einen brauchbaren Vorbegriff von »Sinn« hat. In ›Sein und Zeit‹ wird Hei­deg­ger dann eine ausführliche Erklärung dazu liefern, was er unter »Sinn« versteht, die es durchaus in sich hat (vgl. 3.3.1.4 u. 3.3.4). Für die Dilthey-Vor­ träge müssen wir allerdings eher von einer umgangssprachlichen Verwendung des Sinnbegriffs ausgehen oder Hei­deg­gers Schweigen in Bezug auf die Bedeutung von »Sinn« so interpretieren, dass er mit einem eher allgemeinen Verständnis des Begriffs »Sinn« leben konnte. Und Leben? Auch, was er darunter versteht, wird zunächst nicht klar, geht es ihm doch im Anschluss gleich um »das Sein«, und »die Geschichte« und »die Wissenschaft«. Das »Problem des Sinnes des menschlichen Lebens« rückt erst einmal wieder in den Hintergrund. Es wird im Laufe der Vorträge dann aber deut­ lich, dass Hei­deg­ger hier »Leben« versteht als ein »Phänomen«, das es im Sinne der Phänomenologie, wie er sie versteht, aufzudecken gilt. Die Methode dazu ist letztlich die der Daseins-Hermeneutik, für die Dilthey, das ist der Grund, warum er ihn hier als Ausgangspunkt wählt, die entscheidenden Ansätze gegeben habe. So bestimmt Hei­deg­ger das Ziel der Forschungen Diltheys als »die Erfassung und Sichtbarma­ chung des Phänomens des Lebens«.185 Dabei gehe Dilthey, und das ist für Hei­deg­ ger das Entscheidende, den Weg »zunächst einmal den seelischen Zusammenhang zu sehen.« Und dieser »Zusammenhang ist ihm das Primäre, das Ganze des Lebens selbst.«186 Nun stellt sich natürlich die Frage, wie man auf dieses Ganze des Lebens zurückgreifen können soll. Dazu müsse man den Ausgang nehmen bei der »Grund­ bestimmung des seelischen Lebens«, die »das Selbst, die Selbigkeit der Person, des Ichs« sei.187 Das Selbst jedoch könne nur zusammen mit seiner Außenwelt gefasst werden, denn der Zusammenhang von »Selbst und Welt ist in jedem Moment da.«188 Nun wisse das Dasein nicht immer um diesen Zusammenhang, aber dennoch erlebe es ihn immer und zwar in seinem Bewusstsein in der Struktur als »denkmäßiges, gefühlsmäßiges und willensmäßiges Verhalten in jedem Moment«. Zusammenge­ fasst nun lasse sich das bezeichnen als »etwas, was vom Leben selbst erlebt wird, Erlebnis, d. h. Selbsterfahrung des seelischen Lebens selbst, d. h. nichts anderes als Selbsterfahrung des Menschen, sofern er durch die Welt bestimmt ist.«189 Dilthey 185

  AaO., 124. Inwiefern er Dilthey damit gerecht wird, behandelt Rodi, Bedeutung.  Beide Hei­deg­ger, Forschungsarbeit, 127. 187   AaO., 128. 188  Ebd. 189   AaO., 128 f. 186

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

nun habe diese Struktur des menschlichen Lebens beschrieben und dabei klar gemacht, dass dieser »Strukturzusammenhang des Lebens erworben ist, d. h. daß es bestimmt ist durch seine Geschichte.«190 Und es ist wohl genau das, was Hei­deg­ ger dazu veranlasst, sich mit seiner Grundfrage nach dem »Sinn des menschlichen Lebens« an Dilthey zu wenden. Hei­deg­ger nimmt Diltheys Bestimmung des mensch­ lichen Daseins auf. Diese soll ihm dann zur Grundlage der phänomenologischen Frage nach dem Sinn des Seins werden. So schreibt er: »Dilthey ist zu der Realität vorgedrungen, die im eigentlichen Sinne ist im Sinne des Geschichtlichseins, zum menschlichen Dasein.«191 Dilthey habe es dabei geschafft, das menschliche Dasein so zu beschreiben, dass es als Grundlage der Untersuchung des Seinssinns greifbar wird. Doch diese Frage wiederum habe Dilthey nicht gestellt. Es wird also nach die­ sem ersten Durchgang durch die Vorträge deutlich, dass es Hei­deg­ger, wenn er später vom »Sinn des Seins« redet, um etwas geht, was er auch als »Sinn des menschlichen Lebens« fassen kann. Um diesem »Sinn« näher zu kommen, müsse eben das »Leben« in seinen Strukturen bestimmt werden. Leben jedoch ist für ihn das »Erleben« aus der Ich-Perspektive, das immer ein gleichzeitiges »Erleben« von »Selbst« und »Welt« ist. Der hermeneutische Ausgangspunkt wird von Hei­deg­ger hier als ein sich als mit der Umwelt verwachsenes Leben verstehendes Ich angesehen. Hei­deg­ger geht es bei der Suche nach Sinn also weniger um das abstrakte Sein als vielmehr um das konkrete menschliche Leben. Das wird hier deutlich. Dieses Interesse wird auch in der Überschrift zur VI. Vorlesung deutlich, die lautet: »Phänomenologische Frage nach dem Sinn der Geschichte als Frage nach dem Sinn des Menschen.«192 Hei­deg­ ger muss nun also den Menschen bestimmen. In den vier Seiten, die dann auf die Überschrift folgen, finden sich tatsächlich alle möglichen Konzepte angerissen, die ein Jahr später in ›Sein und Zeit‹ ausformuliert werden: Dasein (das ja schon vorher eingeführt war), Umwelt, Alltäglichkeit, Besorgen, Umsicht, das Man, die Sorge, ganz wichtig für uns, der Tod als Daseinsmöglichkeit, Vorlaufen, Verfallen, Rede und das Geräusch, Entschlossenheit, Gewissen, Schuld und Verantwortung.193 Besonders ist, wie Hei­deg­ger hier den Tod einspielt. Nachdem er es unternom­ men hat, die Grundstrukturen des Menschen, den er zuerst als In‑der-Welt-sein, das sich in einer Umwelt befindet, in welcher sich auch Mitdasein, also andere Men­ schen, befinden, versteht, zu benennen, fragt er: »Wer ist es nun, der dieses Dasein ist?«194 Es ist, darauf läuft Hei­deg­gers Überlegung hinaus, das Man, also der in der »Alltäglichkeit uneigentliche« Mensch. Dieses »Verfallensein« in der »Alltäglichkeit« lasse sich nun vorzüglich daran ausweisen, dass der Mensch stets in der »Rede« sei. »Rede ist immer Reden über etwas und Sich-Aussprechen über etwas, und zu und 190

  AaO., 129.   AaO., 131. 192   AaO., 135. 193   Vgl. aaO., 136 – 140. Vgl auch die Aufzählung bei Rodi, Bedeutung, 175. 194   Hei­deg­ger, Forschungsarbeit, 138. 191

3.2  Martin Hei­deg­ger und die Theologie

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mit Anderen.«195 Rede ist für ihn nicht einfach gleichzusetzen mit Reden im her­ kömmlichen Sinne, also mit dem geräuschvollen Aussprechen von Gedanken. Viel­ mehr steht Rede für eine Grundstruktur des Menschen, deren genaue Bestimmung Hei­deg­ger uns hier jedoch schuldig bleibt und erst in § 33 und § 34 von ›Sein und Zeit‹ geben wird (vgl. 3.3.1.4). Hier in den Dilthey-Vorträgen bleibt es dabei, dass er sagt, der Mensch rede über alles und vor allem auch über vieles, was »zumeist nicht aus ursprünglicher Sachkenntnis entspringt.«196 Je mehr der Mensch so im »Gerede« sei, desto mehr herrsche eine »Tendenz zur Verdeckung der Welt und damit seiner selbst.«197 Hier bricht Hei­deg­ger seine Daseinsanalyse ab. Vermutlich, weil der eng gesteckte Rahmen der Vorträge ihm keine andere Möglichkeit ließ. Er betont noch einmal, dass es ihm um »Weisen des Seins-in-der-Welt« gehe und führt sehr knapp die »Sorge« als den »eigentlichen Seinscharakter des Daseins« ein. Nun scheint es so, als ob er einen Schritt von seinem Rednerpult zurückgetreten sei und, sich quasi selbst unterbrechend, gesagt habe: An diesem Punkt ist eine kritische Frage zu stellen: Kann man überhaupt auf diesem Wege der Beschreibung zu irgendwelchen Begriffen kommen, die menschliches Dasein im Ganzen, als geschlossene Wirklichkeit, bestimmen? Ich kann es immer nur bestimmen als Lebendiges, das immer noch ein Noch-nicht-Sein vor sich hat. Wenn ich aber nicht mehr lebe, bin ich nicht mehr imstande, die Ganzheit zu erfahren. Wenn das Leben fertig, ganz ist, dann ist es gerade nicht mehr. Man darf dieser Schwierigkeit nicht ausweichen. Wie kann menschliches Dasein in seiner Ganzheit gegeben werden? Denn nur so kann etwas über den Begriff des Lebens ausgemacht werden.198

An dieser Stelle wird der Tod eingeführt. Es wird gleich klar, dass der Tod hier nicht gefasst wird als ein Ereignis, das das eigene Leben beendet. Vielmehr, Hei­deg­ger hat es ja kurz zuvor betont, geht es ihm um »Weisen des Sein-in-der-Welt«. Der Tod kommt also als Seinsweise in den Blick, die zu analysieren gefordert ist, wolle man den »letzten Sinn des Daseins« finden. Der Tod ist nun deswegen als die Seinsweise zu bestimmen, die diesen »letzten Sinn« bestimmen könne, weil sie die Seinsweise der »Ganzheit« ist. Und Ganzheit bestimme die Teile, deren Ganzheit sie sei. Wie bei einer Maschine, die nicht die Summe ihrer Teile sei, sondern erst sinnvoll verstan­ den werden könne, wenn man sie in ihrer Ganzheit betrachte, so »kommt es darauf an, das Leben in seiner Ganzheit zu sehen.«199 Leben, dessen Ganzheit gesucht wird, ist aber eben immer unabgeschlossen, solange es noch Leben ist. »Zur Ganzheit aber gehört Fertigsein. Wenn aber Leben fertig ist, im Tode [Hervorhebung im Original], dann ist es nicht mehr.«200 Hei­deg­ger sucht hier also nach einer Struktur im Men­ schen, die es ihm erlaubt, den Menschen in seiner Ganzheit zu bestimmen. Für ihn 195

  AaO., 138 f.   AaO., 139. 197  Ebd. 198   AaO., 139 f. 199   AaO., 141. 200  Ebd. 196

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

ist die Antwort bekanntlich: der Tod. Und zwar nicht irgendein abstrakter Tod und auch nicht der Tod eines mir bekannten oder gar geliebten Menschen, sondern mein Tod. Er sagt: Der Tod kommt nicht irgendwo her auf mich zu, sondern er ist etwas, was ich selbst bin; ich selbst bin die Möglichkeit meines Todes. Der Tod ist das äußerste Ende dessen, was in meinem Dasein möglich ist; er ist die äußerste Möglichkeit meines Daseins. Im Dasein liegt also eine Möglichkeit, die dem Dasein bevorsteht, in der sich das menschliche Dasein selbst bevor­ steht als in seiner äußersten Möglichkeit. Es handelt sich hier nicht um Stimmungen, sondern darum, lediglich die Bewegungen zu sehen, die das Dasein macht, aus dem Bewußtsein, daß der Tod die äußerste Möglichkeit seiner selbst ist, die ihm bevorsteht. Ich selbst bin mein Tod gerade dann, wenn ich lebe.201

Der Tod ist im Leben immer gegenwärtig, doch inwiefern ist der Tod gegenwärtig? Seine Unbestimmtheit; diese Möglichkeit des Daseins ist unbestimmt. Wann der Tod kommt, das ist für das Dasein völlig unbestimmt. Diese Möglichkeit ist aber zugleich bevorstehend in Gewißheit, in einer Gewißheit, die über jede andere hinausgeht, die wir uns denken können. [. . .] So zeigt sich der Tod als die äußerste unbestimmte aber gewisse Möglichkeit des Daseins, in der sich dies Dasein selbst bevorsteht [alle Hervorhebungen im Original].202

So berühmt diese Bestimmung des Todes, die später in ›Sein und Zeit‹ noch wei­ ter spezifiziert wird, geworden ist, so klärungsbedürftig ist sie doch. Zunächst muss gefragt werden: Was bedeutet es, dass der Mensch selbst die Möglichkeit seines Todes ist? Auf welcher bestimmungstechnischen Ebene befindet sich Hei­deg­ger hier? Ein­ leuchtender wäre ja zunächst ein Satz wie: der Mensch hat Möglichkeiten und zu diesen gehört auch die Möglichkeit des Todes, also, dass er jeden Moment sterben kann. Doch das ist nicht gemeint. Dadurch, dass Hei­deg­ger davon spricht, dass der Mensch die Möglichkeit seines Todes »ist«, macht er deutlich, dass der Tod in der Art und Weise, wie der Mensch sich in jedem Augenblick seines Lebens vorfindet, die bestimmende Rolle spielt. Doch das verschiebt die Frage natürlich nur. Denn was heißt es, dass der Mensch sich in einer Art und Weise vorfindet? Diese Frage klärt Hei­deg­ger hier in den Dilthey-Vorträgen nicht. Wir können uns ihr später mithilfe der Daseinshermeneutik aus ›Sein und Zeit‹ stellen. Einen Hinweis, in welche Rich­ tung die Antwort gehen könnte, gibt Hei­deg­ger, wenn er sagt, dass es sich nicht um »Stimmungen« handele, sondern darum, »Bewegungen zu sehen, die das Dasein macht, aus dem Bewusstsein«, dass der Tod ihm bevorsteht. Es ist jedoch nicht klar, gegen was sich Hei­deg­ger hier abgrenzt, wenn er von Stimmungen spricht und auch nicht, was Bewegungen des Daseins aus einem bestimmten Bewusstsein heraus sein sollen. Eine mögliche Deutung wäre, dass Stimmungen eben etwas Vorbewusstes sind, während Bewegungen aus dem Bewusstsein heraus darauf hinweisen, dass der Mensch hier bewusst handelt. Diese Interpretation widerspricht aber Hei­deg­ gers Grundgedanken, den Tod als eine Grundstruktur des Daseins anzusetzen, also 201

  AaO., 141 f.   AaO., 143.

202

3.2  Martin Hei­deg­ger und die Theologie

223

genau in dem das Bewusstsein bestimmenden Bereich zu verorten. Das wird auch hier deutlich, wenn Hei­deg­ger im abschließenden und im Original hervorgehobe­ nen Satz sagt, dass der Tod sich zeigt als »äußerste und unbestimmte aber gewisse Möglichkeit des Daseins«. Auch das lässt sich gegen Hei­deg­gers eigene Invektive nur so verstehen, dass der Tod eben auf der Ebene der Stimmung bereits das Dasein bestimmt. Dass er es dann noch einmal auch im Bereich des Bewussten tut, kann davon unbenommen bleiben. Das ließe sich so vorstellen, dass der Mensch zunächst schon in einer Stimmung lebt, die durch die eigene Endlichkeit beeinflusst ist, dass er aber dann auch bewusst mit dieser Stimmung umgeht, in dem er sich zu seiner eigenen Endlichkeit verhält. Und auf beiden Ebenen spielt es eine Rolle, dass der Tod sicher kommt (gewiss ist), alle anderen Seinsmöglichkeiten abschneiden wird (äußerst ist), aber sein Zeitpunkt ungewiss ist (unbestimmt ist). Wobei die Formu­ lierung Hei­deg­gers, dass das »Wann« des Todes »völlig unbestimmt« ist, so nicht­ zutreffend ist. So ist es doch klar, dass der eigene Tod nicht erst in hundertfünfzig oder zweihundert Jahren eintreten wird, sondern in einem Bereich von Jahren, die üblicherweise einem Menschen gegeben sind. Es bleibt festzuhalten, dass Hei­deg­gers Bestimmung des Todes hier in den Dilthey-Vorträgen noch unausgereift ist. Sie ist für uns aber dennoch von großem Interesse, weil im Zusammenhang des Vortrages klar geworden ist, dass die Bedeutung des Todes wie kein anderes Moment die Frage nach dem Sinn des menschlichen Daseins bestimmt. Um zu erfassen wie sie das tut, muss das menschliche Dasein selbst auf seine Strukturen hin befragt werden. Lässt sich zeigen, was Hei­deg­ger hier bereits andeutet, aber nicht zu Ende führt, dass der Tod auf einer wirklich vorbewussten, grundlegenden Ebene entscheidend ist, wäre dies für alle thanatologischen Überlegungen leitend. Beschreibungen des Todes als Übergang in eine andere Welt oder auch als Schlaf und solche mehr würden damit als stets abstrakt, weil den Kern des Phänomens Tod nicht treffend, erscheinen. Im Gegenteil würde klar, dass auch eine theologische Thanatologie sich genau dieser grundlegenden Bedeutung des Todes für das menschliche Dasein zu widmen habe. Und genau das hat auch Hei­deg­ger gesehen. So schreibt er nach der eben gegebenen Bestimmung des Todes: Diese Strukturbestimmung des Todes ist keine beliebige, sondern muß als apriorisch gefaßt werden, als solche, die jeder Ausdeutung des Todes zugrunde liegt, diejenige, zu der auch der Glaube Stellung nehmen muß. Diese Bestimmung muß auch im Christentum mitgemeint sein. Durch die christliche Theologie ist das Problem des Todes zuerst in den Zusammenhang mit der Frage nach dem Sinn des Lebens getreten.203

Auch diese Ausführungen Hei­deg­gers sind bemerkenswert. Er spricht in den gesam­ ten Vorträgen nur an dieser Stelle von »Glaube« und »Christentum« und erwähnt die Theologie sonst nur dort, wo es um Diltheys Werdegang geht. Warum aber meint er auf Glaube und Christentum eingehen zu müssen? Zwei Antwortmöglichkeiten 203

 Ebd.

224

3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

sind naheliegend. Entweder war es ihm selbst ein Bedürfnis an dieser entscheiden­ den Stelle seiner Vorträge auf den Glaube einzugehen. Immerhin, das haben wir oben gesehen, versteht er sich zu dieser Zeit keineswegs als Atheist, auch wenn er für die Philosophie eine atheistische Methode anmahnt. Vielmehr fühlt er sich damals dem evangelischen Christentum nahe. Die Art und Weise wie in Glaube und Chris­ tentum vom Tod gedacht wird, ist für Hei­deg­ger nicht nur auf einer eher abstrak­ ten, wissenschaftstheoretischen Ebene wichtig, sondern auch existentiell, persönlich bedeutsam; wobei beide Ebenen bei ihm, wie gesehen, deutliche Überschneidun­ gen haben. Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass er an seine Zuhörerschaft dachte, als er diese Bemerkung machte. Diese dürfte in dem damals mehrheitlich evangelischen Kassel zum Großteil aus evangelischen Christen bestanden haben. Es besteht so die Möglichkeit, dass er an das Todesdenken seiner Hörerschaft appellie­ ren wollte. Nun, egal ob eine der beiden Möglichkeiten zutrifft, oder es einen ganz anderen Grund hatte, dass Hei­deg­ger hier auf einmal von Glaube und Christentum spricht, für unsere Fragestellung ist es doch von Bedeutung, verweist es uns wieder direkt in die Rede vom Tod in der Religion.

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie Hei­deg­gers Hauptwerk ist nun sicher kein Buch über den Tod. Hei­deg­ger geht es in ›Sein und Zeit‹ vielmehr um alles. Das zeigt schon der kurze »Prolog im Him­ mel«, wie Rüdiger Safranski jene berühmte erste, überschriftslose Seite von ›Sein und Zeit‹ in Anlehnung an Goethes ›Faust‹ nennt.204 Während sich bei Goethe bekanntlich der Herr selbst mit Mephistopheles, dem Teufel, unterhält und die bei­ den eine Wette abschließen, ob der Doktor Faust sich wohl vom Weg des Herren wird abbringen lassen, unterhält sich in ›Sein und Zeit‹ Hei­deg­ger mit Platon. So zumindest lässt sich dieser Prolog deuten. Wer hier Gott und wer der Teufel ist, das müssen wir nicht entscheiden und vielleicht würde so eine Aussage den Vergleich Safranskis auch überstrapazieren. Die beiden Prologe treffen sich jedoch an einer Stelle. Mephistopheles klagt dem Herrn: Der kleine Gott der Welt bleibt stets vom gleichen Schlag, / Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag. / Ein wenig besser würd’ er leben, / Hättest du ihm nicht den Schein des Him­ melslichts gegeben; / Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein, / Nur tierischer als jedes Tier zu sein.205

Der Mensch, so die Botschaft, ist in seiner Situation eigentlich verloren. Die Ver­ nunft, so wie er sie nutzt, sie bringt ihm nichts. So wird dann Faust selbst auch im

204

 Vgl. Safranski, Meister, 169 ff.   J. W. von Goethe, Faust. Der Tragödie erster und zweiter Teil. Urfaust, hg. von E. Trunz, 1999, 17. 205

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

225

Anfangsmonolog die Geister beschwören, damit er: »erkenne, was die Welt / im Innersten zusammenhält«.206 Und genau das möchte auch Hei­deg­ger wissen. Er lässt also Platon auftreten, der klagt: »Denn offenbar seid ihr doch schon lange mit dem vertraut, was ihr eigentlich meint, wenn ihr den Ausdruck ›seiend‹ gebraucht, wir jedoch glaubten es einst zwar zu verstehen, jetzt aber sind wir in Verlegenheit gekommen [Hervorhebungen im Original].«207 Über den Geisterglauben aber ist Hei­deg­ger spätestens seit dem Ende seiner katholischen Zeit hinweg und so beschwört der Doktor Hei­deg­ger eben anders als der Doktor Faust dann auch nicht jene, sondern das Dasein selbst, um die Frage nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält, die er »die Frage nach dem Sinn vom Sein«208 nennt, zu bearbeiten. Aber: Trotzdem es in ›Sein und Zeit‹ nicht um den Tod, sondern um alles geht, geht es doch gerade, weil es um alles geht, besonders um den Tod. Die allgemeinste Frage nach dem Sinn von allem (Sinn von Sein) kann nicht bear­ beitet werden, ohne die konkrete Frage nach dem Tod zu stellen, so die These, die ich im Folgenden ausführen werde. In dieser These liegt dann auch schon der Grund dafür, warum die Thanatologie Hei­deg­gers eben für die theologische Thanatologie grundlegend ist. Ist einmal gezeigt, dass und inwiefern das Menschsein grundlegend auf der Ebene von »Befindlichkeit« oder »Stimmung« bereits durch den Tod maß­ geblich bestimmt wird, muss eben eine theologische Thanatologie den Tod genau auf dieser Ebene bereits behandeln und kann ihn nicht als einen Unterabschnitt im dog­ matischen locus Eschatologie abhandeln. Um die einzelnen Schritte verständlich zu machen, muss jedoch zuerst der Gesamtgedankengang von ›Sein und Zeit‹ erläutert werden (3.3.1). Der Tod wird hier nicht als Ereignis am Ende des Lebens verstanden, sondern als Strukturmerkmal des Lebens eines jeden Menschen. Um zu zeigen wie das gemeint ist, ist es notwendig die Daseins-Hermeneutik Hei­deg­gers zu verste­ hen, die also als zweites dargestellt wird (3.3.2). Damit ist die Grundlage gelegt, um sich der Todesanalyse im Detail zuzuwenden (3.3.3). Der Tod soll dabei zunächst in seiner näheren Bestimmung diskutiert werden (3.3.3.1), um dann in Bezug auf die »Grundbefindlichkeit Angst« (3.3.3.2) und die für uns bedeutende Gegenstimmung zur Angst, den »Mut« (3.3.3.3) untersucht zu werden. Daraufhin fassen wir den Tod in seiner Beziehung zum Existenzial des »Gewissens« (3.3.3.4), um anschließend im Abschnitt Tod und Geschichtlichkeit (3.3.3.5) die gelegten Fährten einsammelnd die zentralen Gedanken der Hei­deg­gerschen Thanatologie zu formulieren. Schließlich als Bündelung der Auslegung von ›Sein und Zeit‹ und Übergang zu Tillichs Thana­ tologie in ›Der Mut zum Sein‹, werden wir den Zusammenhang von Sinn, Befind­ lichkeit, Geschichte und Tod betrachten (3.3.4).

206

  AaO., 20.   Hei­deg­ger, SuZ, 1. 208  Ebd. 207

226

3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

3.3.1  Einleitung – die Grundideen von Hei­deg­gers Hauptwerk Hei­deg­gers Hauptwerk lässt sich als Bearbeitung zweier großer Fragen beschreiben: Was ist der Mensch? Und was ist der Sinn seines Lebens?209 Diese Beschreibung des Werkes ist sicher nicht unumstritten. Aber gerade der Weg, den wir gemeinsam mit Hei­deg­gers Denkentwicklung bis zu seinen Dilthey-Vorträgen im Jahr 1925 gegan­ gen sind, hat gezeigt, dass es genau diese Fragen waren, die Hei­deg­ger maßgeblich beschäftigen, als er sich 1926 dann schließlich daran machte, ›Sein und Zeit‹ zu ver­ fassen.210 Bereits die schon erwähnte, berühmte Frage nach dem »Sinn von Sein« aus dem Prolog, können wir mithilfe der Dilthey-Vorträge in Richtung der Frage nach »dem Sinn des menschlichen Lebens« (vgl. 2.2.5) näher bestimmen. Jedoch auch ohne diese Übersetzungshilfe wird im Laufe des Werkes klar, dass es Hei­deg­ger hier, also in den veröffentlichten Teilen von ›Sein und Zeit‹, nicht um das Sein selbst geht. Dieses steht sicherlich, das zeigt dann auch die weitere Entwicklung seiner Philoso­ phie, sozusagen an der Seitenlinie zur Einwechslung bereit, aber in ›Sein und Zeit‹ selbst geht es um das »Dasein«, das wir ebenfalls spätestens mit Hilfe der ›DiltheyVorträge‹ in das menschliche Leben im Sinne des Erlebens des Lebens aus der ersten Person Singular, also aus der Ich-Perspektive, beschreiben können. Aber ebenso wie bei der Frage nach dem Sein finden sich bei der Frage nach dem Dasein neben den werkgeschichtlichen Anhaltspunkten für dieses Verständnis auch auf ›Sein und Zeit‹ bezogene, werkimmanente Anhaltspunkte für das hier grundlegende Verständnis der beiden Grundfragen Hei­deg­gers als Fragen nach dem Sinn des Lebens und dem Sein des Menschen. Die Antworten, die Hei­deg­ger letztendlich auf die beiden genannten Fragen nach Mensch und Sinn gibt, sind denkbar einfach. Der Mensch ist schlicht und ein­ fach das, was er für jeden von uns zunächst ist, nämlich das menschliche Leben aus der ersten Person Singular (vgl. 3.3.2). Das ist es, was er mit dem Wort Dasein umschreibt. Weil das so ist, lässt sich sein Werk auch so wunderbar an sich selbst überprüfen. Stimmt das für mich? Trifft das auf mich zu? Das sind für die Exegese von Sein und Zeit durchaus berechtigte und angemessene Fragen. Und auch die 209

  Thomas Rentsch schreibt über ›Sein und Zeit‹ es sei »der große Hei­deg­gersche Roman über das Menschenleben«. Rentsch, Sein, 108. Seine Forschung zu Hei­deg­ger und speziell zu ›Sein und Zeit‹ sind für meinen Zugang zu Hei­deg­gers Denken grundlegend. Für meine Interpretation ist auch stets zu vgl. A. Luckner, Martin Hei­deg­ger »Sein und Zeit«. Ein einführender Kommentar, 2 2007. Ebenso die sehr gelungene, knappe Einführung bei Safranski Meister, 169 – 196. Norbert Bolz hat mir ebenfalls einige Anregungen gegeben. Vgl. Bolz, Faszination. Vgl. zu dieser Ausle­ gung auch meine beiden Aufsätze, in denen ich mit Hei­deg­gers ›Sein und Zeit‹ arbeite: K. Sacher, Widmerpools Mantel. Überlegungen zur Schrifthermeneutik im Anschluss an Martin Hei­deg­ger, in: A. Ohlemacher / C. Costanza (Hg.), Claritas Scripturae. Schrifthermeneutik aus evangelischer Perspektive, 2020, 253 – 273 und Sacher, Glaube. 210   Wann genau Hei­deg­ger ›Sein und Zeit‹ geschrieben hat, ist eine Forschungsfrage für sich. Mir scheint jedoch Gumbrechts Analyse, die darauf hinausläuft, dass er das Buch zu den aller­ größten Teilen 1926 geschrieben hat, plausibel. Vgl. Gumbrecht, 1926, 492 – 547 und auch Ders., Stichwort.

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

227

Frage nach dem Sinn beantwortet Hei­deg­ger letztlich recht simpel. Der Sinn des menschlichen Lebens aus der Perspektive der ersten Person Singular ist nichts weiter als die Zeit, die diesem Leben, also mir selbst, gegeben wird. Sinn ist für Hei­deg­ger hier eine wertfreie Kategorie; womit ich meine, dass es nicht normativ aufgeladen ist. Jedes Leben hat Sinn solange es besteht und nicht eines mehr als das andere. Das, was das Dasein in einem bestimmten Moment tut, und wie es sich selbst in diesem Moment versteht und wie es dieses zunächst noch präreflexive Selbstverständnis thematisch macht, sich also selbst auslegt, das ist der Sinn (vgl. 3.3.2 und 3.3.5). Um die Valenz dieser beiden Antworten auszuweisen, die zugegebener Weise recht sim­ pel erscheinen, benötigt Hei­deg­ger die 83 Paragraphen von ›Sein und Zeit‹, die ich hier natürlich nicht alle im Detail durchgehen kann. Aber das ist auch nicht nötig, geht es uns hier doch nicht um ›Sein und Zeit‹ an sich, sondern um die Bedeutung der Gedankengänge von ›Sein und Zeit‹ für die theologische Frage nach dem Tod. Es soll daher zunächst anhand eines Durchganges durch die einzelnen Sinnabschnitte des Werkes der konzeptuelle Aufbau des Buches beschrieben werden, um eine Idee des Gedankenweges zu vermitteln, den Hei­deg­ger mit seinen Lesern und Leserinnen hier geht. Diesen brauchen wir, um auf ihn im Weiteren während der detaillierteren Analysen seiner Gedanken zurückgreifen zu können. 3.3.1.1  Zu den §§  1 – 13 Nach eher methodischen Erwägungen (§§ 1 – 11), auf die wir teilweise noch zurück­ kommen werden, beginnt Hei­deg­ger mit der Daseinsanalyse, also dem Teil, den ich als nach was ist der Mensch fragend beschrieben habe. Wobei natürlich auch die Frage nach dem Sinn hier schon mitgestellt und bedacht wird. Das Dasein, der Mensch, ist zunächst einmal das uns schon bekannte »In‑der-Welt-sein«. In anderen Worten: Wenn es darum geht, auszuweisen, dass der Mensch das ist, was jeder aus der ersten Person Singular erlebt, dann ist das erste Phänomen, auf das jeder Mensch trifft, dass er oder sie in der Welt ist (§§ 12 – 13). Doch was kann man unter In‑derWelt-sein verstehen? Um das zu schildern, zerlegt Hei­deg­ger das In‑der-Welt-sein in seine Einzelteile: Zunächst muss geklärt sein, was »Welt« aus In‑der-Welt-sein eigentlich meint (§§ 14 – 24), dann, was dasjenige ist, was in der Welt ist (§§ 25 – 27), und dann, was es mit dem Sein des In‑der-Welt-seins auf sich hat, also auf welche Art und Weise hier etwas in der Welt ist (§§ 28 – 44). Ich werde versuchen, jeden der einzelnen Abschnitte auf die für uns bedeutenden Aussagen hin zugespitzt, darzu­ stellen. Dabei kann es nur darum gehen, die groben Linien darzustellen, sonst würde diese Abhandlung zu einem Kommentar zu ›Sein und Zeit‹ werden. 3.3.1.2  Zu den §§  14 – 24 Die Welt ist für das Dasein, also für mich aus der ersten Person Singular, zunächst einmal die Dinge, wie sie sich mir zeigen. Also ist ein Computer für mich erst ein­ mal etwas, womit ich meine Dissertation schreiben kann und nicht eine hochkom­

228

3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

plexe Maschine, deren Funktionsweise sich mir nicht einmal ansatzweise erschließt. Hei­deg­ger nennt das »Zuhandensein«.211 Der Computer ist mir zunächst einmal zuhanden und nicht, das ist für Hei­deg­ger der Gegenbegriff, »vorhanden«.212 Vor­ handen ist er für mich erst, nachdem ich einen Schritt zurücktrete und anfange Fra­ gen zu stellen: Wie geht das eigentlich, dass ich hier drücke und dort erscheinen Buchstaben? Die grundlegende These ist also, dass sich dem menschlichen Ich, also mir selbst, die Dinge (Hei­deg­gers Wort: das »Zeug«),213 wenn sie zum ersten Mal aufkommen, als das aufkommen, was sie für mich, in meinem praktischen Weltum­ gang sind und, dass sie nicht in einer bereits durchreflektierten Gestalt erscheinen. Diese Entscheidung für eine Weltbeschreibung als Welt für und durch das Dasein hat natürlich weitreichende Folgen. Sie führt zum einen dazu, dass sich mir die Dinge, auch die, die nicht unmittelbar zuhanden sind, in »Bewandtniszusammen­ hängen« erschließen.214 Was der Krieg in Syrien für das Dasein bedeutet, hängt von der »Bewandtnis« ab, die er für dieses Dasein hat. Und auch die Räumlichkeit der Welt wird dadurch entscheidend mitgeprägt. Wie weit weg dieser Krieg ist, ja ob er überhaupt einen Ort hat für das Dasein, hängt wiederum von seiner Bewandtnis ab. Mit dem Beispiel: Dabei geht es nicht darum, die theoretische Schrecklichkeit eines solchen Krieges abzustreiten, sondern vielmehr darum, die praktische Schrecklich­ keit eines solchen Krieges für das einzelne Dasein realistisch zu beurteilen. Dass oder ob ein solcher Krieg schrecklich ist, lässt sich für das Dasein nur beurteilen, wenn ein solcher Krieg eine Bewandtnis für dieses Dasein hat. 3.3.1.3  Zu den §§  25 – 27 Das Was, das in der Welt ist, ist vielmehr ein Wer. Hei­deg­ger führt hier aus, wer das Dasein ist. Es ist zwar schon klar, dass es sich dabei um das Ich aus der Perspektive der ersten Person Singular handelt. Doch ist damit noch nicht alles gesagt. Das Wer des Daseins wird von Hei­deg­ger unter drei Begriffen verhandelt: »Selbstsein«, »Mit­ sein« und »Man«. Das soll-verkürzt gesagt – schlicht darlegen, dass wir Menschen als In‑der-Welt-sein uns niemals unabhängig voneinander in dieser Welt befinden. Wer wir sind, hängt immer davon ab, mit wem wir zusammen in der Welt sind. Das fasst Hei­deg­ger so zusammen, dass er die Anderen als »Mitdasein« bezeichnet. Dasein ist immer Mitsein mit Mitdasein.215 Wer ich bin, ist aber nicht nur entschei­ dend durch die anderen Menschen, seien sie in meiner unmittelbaren Umgebung, oder ferner, bestimmt, es wird auch, und wie Hei­deg­ger sagt maßgeblich, durch das »Man« bestimmt.216 Für die Wege, die ich im Leben gehe, familiär, beruflich, gesell­ 211

  Vgl. bes. § 15 Hei­deg­ger, SuZ, 66 – 72.   Für den Begriff der Vorhandenheit vgl. auch ebd. 213   Vgl. bes. aaO., 68. 214   Vgl. bes. § 18 aaO., 83 – 89. 215   Vgl. bes. § 26 aaO., 117 – 125. 216   Vgl. bes. § 27 aaO., 126 – 130. 212

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

229

schaftlich, werde ich nicht jedes Mal mit der Machete eine neue Schneise in den Urwald schlagen. »Zunächst« und »zumeist«, wie Hei­deg­ger es nennt, werde ich auf ausgetretenen Pfaden gehen. Und zwar gar nicht unbedingt bewusst, sondern einfach, weil es sich so ergibt. Das Leben aller Menschen ist somit ganz maßgeblich durch das Man bestimmt. Ich tue, was man eben tut. Das heißt, dass das Dasein selbst eigentlich gar nicht so sehr es selbst ist, sondern vielmehr »Manselbst«. Natür­ lich gibt es auch die Möglichkeit selbst im eigentlichen Sinne zu sein. Dazu kommen wir gleich noch. Wichtig ist es hier festzuhalten, dass für Hei­deg­ger das Man und das »Selbst«, anders als beispielsweise für Kierkegaard, von dem er hier ganz maßgeblich beeinflusst ist, wertfreie Beschreibungen sind.217 Es wäre eine falsche Annahme und würde auch dem Gedankengang von ›Sein und Zeit‹ zuwiderlaufen, wenn Man als eine pejorative und Selbst als eine affirmative Beschreibung des Menschseins ver­ standen würde. Vielmehr sind beides schlicht gegebene »Seinsweisen«. Diese neu­ trale Sicht gilt zumindest für den ersten Abschnitt des Werkes. Ab Abschnitt zwei bekommt die vorher neutrale Beschreibung des Menschseins deutlich wertenden, und auf christlichen Vorstellungen beruhenden Charakter.218 3.3.1.4  Zu den §§  28 – 38 Die »Seinsweisen« des Daseins beschreiben die Art und Weise wie wir Menschen unser »In‑der-Welt-sein« erleben. Diese ist für Hei­deg­ger wiederum zunächst und zumeist eine uneigentliche Weise. Damit meint er, dass die Art und Weise wie wir unser tägliches Leben erleben nicht im Bewusstsein dessen passiert, was es wirklich, also im heideggerschen Sinne, seinen Analysen folgend, heißt, Mensch zu sein. Die­ ses wirkliche Menschsein ist nämlich geprägt durch einerseits die »Faktizität« des Daseins und andererseits die »Existenzialität« des Daseins. Hinter diesen Hei­deg­ gerbegriffen stecken wieder zwei lebensweltlich leicht anschlussfähige Phänomene oder auch Beobachtungen, die Hei­deg­ger gemacht hat und für allgemeingültig hält. Zum einen: Faktizität meint, dass unser da-sein ein Fakt ist. Wir sind alle von einem Augenblick auf den nächsten in der Welt. Niemand hat sich diesen Fakt ausgesucht. Es ist einfach so. Dieses Phänomen nennt Hei­deg­ger auch die »Geworfenheit« des Daseins.219 Zum anderen: Existenzialität meint, dass wir vom ersten Moment des da-seins an immer um uns selbst bemüht sind. Alle Menschen müssen, ob wir sie es wollen oder nicht, für sich »sorgen«. Das kann auch ein negatives Sorgen im Sinne eines sich nicht um sich selbst Kümmerns sein.220 Das ist für Hei­deg­ger hier einge­ 217   Für Kierkegaards Konzeption von Selbst und Man vgl. u. a. S. Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode, 1954, 8 – 77. Zur Interpretation dieser schweren Stellen vgl. J. Ringleben, Die Krankheit zum Tode von Sören Kierkegaard, 1995, bes. 41 – 206. Zum Verhältnis Kierkegaard-Hei­deg­ger vgl. jetzt ausführlich G. Thonhauser, Ein rätselhaftes Zeichen. Zum Verhältnis von Martin Hei­deg­ger und Søren Kierkegaard, 2016. 218  Vgl. Rentsch, Hei­deg­ger, 147  ff. 219   Vgl. bes. § 29 Hei­deg­ger, SuZ, 134 – 140. 220   Vgl. bes. § 31 aaO., 142 – 148.

230

3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

schlossen. Vom ersten Moment des in-der-Welt-Seins ist jeder Mensch unweigerlich dazu bestimmt sich mit sich selbst zu beschäftigen, könnte man auch sagen. Diesen beiden Bestimmungen, die auf jedes Leben zutreffen sollen, entsprechen für Hei­deg­ ger zwei Seinsweisen (Erlebnisweisen) des Daseins: Faktizität entspricht »Befindlich­ keit« oder wie er auch sagt »Gestimmt-sein«. Existenzialität entspricht »Verstehen« und in einem zweiten Schritt dann »Auslegung«.221 Was steckt nun hinter diesen Begriffen? Egal, wann ich als Mensch zum ersten Mal bewusst die Augen öffne und mein In‑der-Welt-sein wahrnehme, ich werde mich immer schon als in einer bestimmten Stimmung seiend wahrnehmen. Gegen diese Stimmung kann ich dann zwar angehen und versuchen sie zu ändern, aber zunächst und zumeist ist diese Stimmung mit dem In‑der-Welt-sein einfach da. Und zwar zunächst auch »unthematisch«, wie Hei­deg­ger sagt. Das soll heißen: Ich bin einfach gestimmt, ohne dass ich mir dieses Gestimmtseins bewusst bin oder es gar erst bewusst mache: Geworfenheit entspricht also Gestimmtsein. Existenzialität, also dass ich immer mit mir beschäftigt bin, wiederum weist auf die Seinsweise des Verstehens hin. Wenn ich als Dasein zum ersten Mal mein In‑der-Welt-sein wahr­ nehme, dann verstehe ich mich immer schon in einer bestimmten Art und Weise. Das gilt aber natürlich nicht nur für den ersten Moment, sondern für jeden weite­ ren. Wenn ich am Computer sitze und einen Aufsatz schreibe, verstehe ich mich als Theologe, der versucht Lebenszusammenhänge zu deuten. Und auch dieses Verste­ hen ist erst einmal unthematisch. Es läuft einfach ab, ich mache es mir nicht unbe­ dingt bewusst. Dabei wird sofort klar, dass das Verstehen eng mit der Befindlichkeit, also dem Gestimmtsein, zusammenhängt. Ich bin freudig gestimmt, weil es mir zu gelingen scheint, meine Gedanken zu sortieren, meine Gedanken, die ich mir aus meinem Selbstverständnis als Theologe heraus mache. Was hier zuerst ist, das Ver­ stehen oder das Gestimmtsein, das lässt sich nicht sagen. Hei­deg­ger sagt beides ist »gleichursprünglich«. Nun folgt für Hei­deg­ger auf das »unthematische Verstehen« das Thematisieren dieses Selbstverständnisses. Er nennt diesen Schritt: Auslegung. Jeder Mensch befindet sich immer schon, ist also sowohl auf eine Weise gestimmt als auch in einem bestimmten Selbstverständnis verhangen. Doch was machen wir daraus? Wir legen diese Art und Weise zu sein aus. Und auch das ist nicht im eigent­ lichen Sinne ein gewollter Akt. Es ist also nicht so, dass wir uns »zunächst« und »zumeist« bewusst dazu entscheiden, unsere Stimmung und unser Selbstverständ­ nis in eine Auslegung zu überführen. Es geschieht einfach. Das, was ich vorhin zu meinem Selbstverständnis als Theologe geschrieben habe, war nun recht eigentlich schon der zweite Schritt, die Auslegung. An den ersten Schritt, das eigentliche Ver­ stehen, komme ich aber auch gar nicht heran. Verstehen wird mir immer erst als »ausgelegtes Verstehen« thematisch. Jedes Beispiel, das ich zum Verstehen bilden würde, wäre also immer schon eine Auslegung. Nun gibt es neben den Seinswei­ sen der Befindlichkeit und des Verstehens für Hei­deg­ger noch die »Seinsweise der 221

  Vgl. bes. §§  33 – 34 aaO., 148 – 160.

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

231

Rede«. Damit ist letztlich nur gemeint, dass die Stimmung und das Verstehen, bzw. das ausgelegte Verstehen, immer zu einer Artikulation finden müssen. Diese Artiku­ lation nennt Hei­deg­ger Rede.222 Damit ist nicht sprachliche Rede in unserem allge­ meinen Sinne gemeint, sondern jede Form der Artikulation. Also auch ein wütendes gegen die Wand schlagen oder ein freudiges Lächeln. Beides ist eine Form der Rede. Dass die Sprache die mächtigste Form der Artikulation ist, bleibt davon unbeein­ flusst. Wenn nun vorhin gesagt wurde, dass dies eigentlich die Seinsweisen des Daseins sind, das Dasein aber meist in der »Uneigentlichkeit« ist, dann war damit gemeint, dass wir Menschen uns diese rohen Tatsachen des Lebens, dass ich ohne Grund in diese Welt geworfen bin und auch meine Stimmung und mein Selbstverstehen nicht letztendlich bestimmen kann und, darauf wird es bei Hei­deg­ger hinauslaufen, auch mein wieder aus dieser Welt herausgeworfen werden, nicht verhindern kann, dass wir Menschen uns diesen rohen Tatsachen zunächst und zumeist nicht stellen, sondern lieber uneigentlich leben. Hei­deg­ger nennt dann zu jeder der eigentlichen Seinsweisen (Befindlichkeit, Verstehen, Rede) noch uneigentliche Seinsweisen, die er »Zweideutigkeit«, »Neugier« und »Gerede« nennt.223 In diesen Weisen hält sich das Dasein meistens auf. Dieser uneigentlichen Seinsweise gibt Hei­deg­ger noch einen Überbegriff: Das Dasein ist »verfallen«. Die »Verfallenheit« ist also die Seins­ weise, in der wir nach Hei­deg­ger in den meisten Situationen unseres Lebens leben. 3.3.1.5  Zu den §§  39 – 44 Nachdem Hei­deg­ger nun die einzelnen Bestandteile des »In‑der-Welt-seins« auf­ gelöst und deren Struktur dargelegt hat, liegt die Daseinsanalyse sozusagen wie ein unzusammengesetztes Puzzle vor uns. Doch Hei­deg­ger muss nun noch zei­ gen, was diese einzelnen Teile des In‑der-Welt-seins zusammenhält. Denn, wenn das Dasein das In‑der-Welt-sein ist, dann müssen die nun gegebenen Strukturen in einem unlösbaren Zusammenhang stehen; eins sein wie wir alle eins sind. Die hier gegebenen Analysen stehen nicht nur was die Seitenzahl anbelangt in der Mitte des Buches, sondern auch inhaltlich. Sie bilden sozusagen das Scharnier zwischen Mensch und Sinn.224 Die grundlegende Struktur, die für Hei­deg­ger auf vielfältige Art und Weise die einzelnen Puzzlestücke zusammenhält ist die der »Sorge«. Zwar hatte Hei­deg­ger die Sorge bereits in § 12 durch die Weise des »Besorgens« eingeführt, in welchem er beschrieben hat in welcher Weise das Dasein mit dem »Zeug« umgeht. Dass Hei­deg­ger schon dort von besorgen spricht, verdeutlicht nur, dass die Daseins­ weise des Sorgens eben grundlegende Funktion hat. Was steht nun hinter der Rede von der Seinsweise der Sorge? In jedem Moment, in dem Dasein sich selbst »befin­ 222

  Vgl. bes. § 34 aaO., 160 – 167.   Vgl. §§  35 – 38 aaO., 167 – 180. 224  Vgl. Rentsch, Hei­deg­ger, 128  –  137. 223

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

det«, d. h. stimmungshaft faktisch existiert, »versteht« es sich selbst bereits als dieses Dasein, das in dieser bestimmten Weise befindlich ist und gleichzeitig bezieht es die­ ses Befindlich-sein auch schon sein Verstehen auslegend auf seine eigene DaseinsMöglichkeiten hin. Hei­deg­ger selbst fasst das in folgender Formel: »Das Sein des Daseins besagt: Sich-vorweg-schon-sein-in-(der-Welt‑) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden).«225 Diese Struktur hat Dasein für Hei­deg­ger immer. Sorge ist die Weise, in der Dasein eigentlich ist. Nun hat das Dasein aber auch die anderen schon genannten Strukturen wie Befindlichkeit, Verstehen usw. immer. Was ist das Besondere an Sorge? Es ist eine Art Überstruktur, die all die anderen gegebenen Momente einer Struktur in sich vereint, und beweist damit nur noch einmal, dass die Differenzierung der Strukturen letztlich etwas Künstliches ist und die einzelnen Strukturen eigentlich unzertrennlich zusammengehören. Das ist auch der systemati­ sche Sinn der von manchen als unsäglich empfundenen Bindestrich-Wörter Hei­deg­ gers.226 Ich hatte gesagt, dass die hier gegebenen Analysen als Scharnier fungieren, die die beiden Seiten des Buches zusammenhalten. Das zeigt sich nun auch daran, dass die Struktur der Sorge auf die »Zeitlichkeit« des Daseins verweist. So sind in den drei Momenten der Sorge, der Befindlichkeit, dem Verstehen und dem Auslegen schon die drei Ekstasen der Zeitlichkeit mit angelegt, die dann im Fokus des zweiten und letzten geschriebenen Abschnitts von ›Sein und Zeit‹ stehen. Nun kommt Hei­deg­ger zu dieser Grundstruktur der Seinsweise des Daseins, indem er noch eine Analyse der »Grundbefindlichkeit der Angst« vorschaltet. Hier steht ein Konzept im Hintergrund, das ich bisher vernachlässigt habe. Hei­deg­ger hatte die Strukturmomente des Daseins bisher anhand einer Analyse der »Alltäg­ lichkeit« entwickelt. Das konnte er tun, weil seinem phänomenologischen Ansatz zufolge alles Maßgebliche in den »Sachen selbst« zu finden ist. Was es über das Dasein zu wissen gibt, lässt sich also im Dasein selbst finden und zwar in der Weise wie das Dasein alltäglich ist. Doch auf diese Weise kam Hei­deg­ger nur zu den einzel­ nen Puzzleteilen des Daseins, man kann auch sagen, dazu wie das Dasein »uneigent­ lich« ist (leben im Man). Damit Hei­deg­ger die Frage nach dem Menschen jedoch beantworten kann, muss er natürlich wissen, inwiefern das »Dasein eigentlich ist«. Man kann auch sagen: Hei­deg­ger will nun zum Kern des Menschseins durchdrin­ gen. Und man kommt zum Kern nicht, das weiß jeder, der einmal einen Pfirsich gegessen hat, ohne sich dem Drumherumliegenden gewidmet zu haben. Und so wie im Fruchtfleisch des Pfirsichs schon alles angelegt ist, was ich wissen muss, um den Kern beschreiben zu können, so ist auch in den Alltäglichkeitsanalysen schon alles da, was die Eigentlichkeit nun ausmachen wird. Aber warum ist es nun die Angst, die uns zur Eigentlichkeit führt? Das liegt daran, dass in der Angst das Dasein in »ausgezeichneter Weise erschlossen« ist.227 Warum ist das aber so? Wenn das Dasein 225

  Hei­deg­ger, SuZ, 192.  Vgl. Rentsch, Hei­deg­ger, 133. 227   Hei­deg­ger, SuZ, 182. 226

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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sich selbst klarmacht, wer und wo und wie es eigentlich ist, wird es unweigerlich in Angst sein. Angst ist dabei nicht zu verstehen als Furcht vor etwas, sondern als letztlich gegenstandslose Stimmung, die alles grundiert. Das Dasein ist geworfen, ohne zu wissen warum. Das Dasein muss sich in seinem da-sein um sich selbst küm­ mern, sorgen, ob es will oder nicht. Jede Handlung, jeder Gedanke, alles ist letztlich ein Kümmern um sich selbst. Und das Dasein wird aus seiner geworfenen Existenz auch wieder herausgeworfen, ohne zu wissen wann und warum und wohin. Diese, ich möchte sie einmal rohen Tatsachen des Lebens nennen, stehen fest und nie­ mand kann sie verweigern oder abstreiten; und das führt eben zur »Daseinsangst«. Es sollte klar geworden sein, dass Hei­deg­gers Analysen hier den neutralen Boden der bisherigen Daseinsanalyse verlassen. Mit der Struktur der Angst greift Hei­deg­ ger nicht nur auf die christliche Tradition zurück und macht das auch durchsichtig, indem er in einer berühmten Anmerkung auf Augustin, Luther und Kierkegaard verweist, sondern steht eben ganz in seiner Zeit, die die Zeit der krisenhaften Wei­ marer Republik ist. Für diesen ersten Durchgang möchte ich es bei diesen Bemer­ kungen belassen. Alles, was bisher unklar geblieben ist, wird hoffentlich gleich (vgl. 3.3.2 und 3.3.3) noch klarer werden. Wir werden nämlich, das sollte auch deutlich geworden sein, noch ausführlich auf die Grundbefindlichkeit der Angst zurückkom­ men müssen, verweist sie doch schon direkt auf unser eigentliches Thema den Tod, das jetzt auch in der Systematik von Hei­deg­gers Hauptwerk folgt. 3.3.1.6  Zum § 45 Mit diesem Paragraphen nun beginnt der »Zweite Abschnitt« des Buches, also der Teil, den ich oben als der Frage nach dem Sinn des Lebens gewidmet beschrieben habe. Wie alles in ›Sein und Zeit‹ sind die Übergänge natürlich fließend und eine schematische Einteilung läuft Gefahr falsch zu sein. Auf jeden Fall aber markiert der § 45 einen deutlichen Einschnitt.228 Daher soll er in dieser Beschreibung des Gedankengangs des Werkes ein wenig mehr Platz bekommen.229 Hei­deg­ger hatte es bisher unternommen das Dasein zu analysieren und dabei die Grundstruktur des Daseins, das »In‑der-Welt-sein«, auf seine Einzelteile hin analysiert und schließ­ lich über den Umweg der »Grundbefindlichkeit der Angst« eine Grundstruktur der Grundstruktur, nämlich die »Sorge«, ausgemacht, die die einzelnen strukturanaly­ tisch herausgearbeiteten Teile zusammenhält. Doch was ist nun der »Sinn« davon, dass der Mensch Sorge ist, dass wir alle Sorge sind? Will man Sinn, das hatte Hei­ deg­ger in § 32 gezeigt (vgl. 3.3.2), muss man sich der »Auslegung«, also der Interpre­ tation zuwenden. Insofern überschreibt Hei­deg­ger den § 45 auch folgendermaßen: »Das Ergebnis der vorbereitenden Fundamentalanalyse des Daseins und die Auf­ gabe einer ursprünglichen existenzialen Interpretation dieses Seienden«.230 Inter­ 228

  AaO., 231 – 235.   Vgl. die, wie immer, sehr gute Auslegung bei Luckner, Hei­deg­ger, 99  –  102. 230   Hei­deg­ger, SuZ, 231. 229

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

pretation zielt auf Sinn. Das Dasein, das interpretiert werden soll, liegt nun in seinen Strukturen vor. Auf diese kann und wird zurückgegriffen werden, ja alle werden im Laufe des zweiten Abschnittes noch einmal auf ihren Sinn hin, die »Zeitlichkeit«, ausgelegt. Die Güte einer Interpretation misst sich nach Hei­deg­ger an ihrer »Ursprüng­ lichkeit«. Wenn ich also nicht einfach irgendeine Interpretation des Daseins bie­ ten möchte, sondern eine, die zurecht den Anspruch erheben kann, den »Sinn des menschlichen Lebens« zu beschreiben, muss diese »ursprünglich« sein. Wobei Hei­ deg­ger, das sei nur am Rande bemerkt, hier explizit Platz dafür lässt, dass seine Inter­ pretation eine mögliche auf dem Weg zum Sinn des menschlichen Lebens ist, aber sicher nicht die Einzige. So nennt er seine Interpretation eben »eine ursprüngliche« und nicht »die ursprüngliche«. Aber was bedeutet nun ursprünglich? Ursprünglich bedeutet für Hei­deg­ger, dass der Gegenstand der Auslegung in seiner »Ganzheit« erfasst werden muss. Nicht nur ein Teilaspekt des Interpretationsgegenstandes, in unserem Fall des Daseins, sondern das ganze Dasein soll Gegenstand der Interpre­ tation sein. Doch wie bekommt man das ganze Dasein zu fassen oder, wie Hei­deg­ger sagt, »in die Vorhabe«? Hier liegt das von Hei­deg­ger selbst in seinen HermeneutikParagraphen eingeführte Interpretationskonzept von Vorhabe, »Vorsicht« und »Vor­ griff« zugrunde (vgl. 3.3.2). Es ist ja immer noch das Dasein selbst, das das Dasein interpretiert, daher lautet die Frage noch genauer: Wie kann sich das Dasein selbst als Ganzes interpretieren? Dasein ist in seiner Struktur so beschrieben worden, dass es sich immer vorweg ist und gleichzeitig noch nachhängt, also niemals ganz zu fassen zu bekommen ist. Ganz ist das Dasein erst, wenn es tot ist. Doch dann ist es nicht mehr. Der Tod als Ereignis des Lebensendes kann also nicht dazu dienen, das Ganze des Daseins zu fas­ sen zu bekommen. Aber der Tod in existenzialer Hinsicht, also wiederum als Struk­ tur des Lebens, so zumindest Hei­deg­ger, kann dazu dienen das Ganze des Daseins in den Blick zu bekommen. Hei­deg­ger widmet sich also im zweiten Abschnitt von ›Sein und Zeit‹ zunächst dem Tod, um genauer zu beschreiben inwiefern und mit welchem Ergebnis der Tod zum Sinn des menschlichen Lebens führt (§§ 46 – 53) (vgl. 3.3.3, bes. 3.3.3.1). Daraufhin kommt das Phänomen des »Gewissens« in den Blick. Das Gewissen ist für Hei­deg­ger der Ausweis dafür, dass der Mensch sich sei­ nes Lebenssinnes auch bewusst sein kann, nämlich im Modus der »Entschlossen­ heit« (§§ 54 – 60) (vgl. 3.3.3.2). Tod und Gewissen also sind die Phänomene, die das »eigentliche Ganzseinkönnen« beschreiben. Nachdem Hei­deg­ger dann das, wie er es nennt, »Gewissen-haben-wollen«, oder auch die »Entschlosssenheit«, als den Modus der Eigentlichkeit des Daseins beschrieben hat, kehrt er noch einmal zurück zur Sorge. Diese, die in den §§ 39 – 44 zwar als Grundstruktur der Grundstrukturen des Daseins beschrieben worden war, war das dort jedoch auf Basis von Hei­deg­gers All­ täglichkeitsanalysen. Nun, nachdem er bis zur Eigentlichkeit, also dem Gegenteil der Alltäglichkeit, vorgedrungen ist, fragt er noch einmal nach der Sorge. Welcher Sinn liegt der Sorge als Grundstruktur des Daseins zugrunde? Dieser Sinn ist die

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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Zeitlichkeit (§§ 61 – 66). Nun, es mag aufgefallen sein, dass nun gehäuft von Sinn die Rede war. Ist der Tod der Sinn, die Entschlossenheit, die Sorge oder gar die Zeitlich­ keit? Diesen Fragen stellt sich Hei­deg­ger in den weiteren Paragraphen von ›Sein und Zeit‹. Man könnte sein Ergebnis in etwa so zusammenfassen: Der eigentliche Sinn des Daseins ist die Zeitlichkeit. Die anderen beschriebenen Phänomene sind jeweils Beschreibungen genau dieses Zeitlichkeits-Sinns des Daseins auf anderen Beschrei­ bungsebenen und bei ihm letztlich hermeneutisch abhängig von der Zeitlichkeit. Diese Abhängigkeit ist für das Konzept von ›Sein und Zeit‹ schließlich auch ein Pro­ blem, das dann im Laufe des zweiten Abschnitts mehr und mehr deutlich wird. So sind die ausbleibenden drei Kapitel des Werkes auch weniger klar und tragen, mit Ausnahme der noch zu erwähnenden »Geschichtlichkeit«, für unsere Fragestellung weniger aus.231 Diese Probleme verlieren jedoch an Gewicht, wenn wir ›Sein und Zeit‹ anders als von Hei­deg­ger angelegt eben nicht als Buch über alles oder als den die Philosophie revolutionierenden Entwurf lesen, sondern schlicht als in einem gar nicht mal zu eng genommenen Sinne phänomenologischen Zugriff auf das im Anbe­ tracht des Todes nach Sinn suchende menschliche Leben zu Beginn des 20. Jahrhun­ derts. Oder, die Ergebnisse der früheren Abschnitte dieses Teils berücksichtigend, spezieller sogar als Zugriff auf Hei­deg­gers eigenes Leben und seine eigene Sinnfrage, die ihre Strahlkraft und Valenz über den engen Rahmen des spezifischen Lebens des Verfassers der Analyse hinaus alleine durch ihre Wirksamkeit, also inwiefern die mit ihr arbeitenden anderen Menschen sich hier einschreiben bzw. von ihr aus weiterdenken können, erhält. Beispielhaft ließe sich dann also sagen: Das Dasein ist nicht ein Sein zum Tode, sondern ein Mensch kann sein eigenes, einmal mit dem Tod zu Ende gehendes Leben womöglich besser verstehen, im Sinne von in einer für ihn oder sie selbst besser funktionierenden Weise leben, wenn er sich selbst auf seinen Tod hin auslegt. 3.3.1.7  Zu den §§  46 – 53 Doch zunächst sind wir noch beim für unsere Fragestellung wichtigsten Teil des Werkes, der Todesanalyse. Nachdem Hei­deg­ger nun die Daseinsstruktur als Gan­ zes als Sorge bestimmt hatte, ist er mit seinem Fragen noch nicht am Ende. Dieses Ergebnis der Fundamentalanalyse des Daseins muss nun noch interpretiert werden, und zwar im Hinblick auf seinen ursprünglichen Sinn hin. Ursprünglichkeit setzt, das hatte ich schon gesagt, Ganzheit voraus. Doch wie kann das Dasein sich selbst als Ganzes interpretieren? Indem es sich selbst als Sein zum Tode versteht. Doch wie versteht sich das Dasein als solches? Dazu braucht es einen existenzialen Begriff des Todes. Dieser kann nicht durch eine Untersuchung des Todes eines anderen gewonnen werden, denn das würde die Jeweiligkeit des Daseins, das es zu untersu­ 231   Vgl. für die Unsicherheiten in Hei­deg­gers Argumentation im zweiten Abschnitt die Anmer­ kungen in den Anm. im Kommentar von Luckner. Luckner, Hei­deg­ger, hier 125, aber auch 138, 148, 159 u. a.

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

chen gilt, vernachlässigen, also die Tatsache, dass das Dasein je mein Dasein ist.232 Ein solcher Begriff müsse vielmehr sozusagen als die Strukturmerkmale des Daseins bestimmendes Strukturmerkmal immer schon Einfluss nehmen auf das Dasein.233 Und gerade dieses Verständnis des Todes wird uns im Weiteren noch ausführlich beschäftigen. Hei­deg­ger grenzt dieses von ihm auch als ontologisches bezeichnetes Verständnis des Todes dann auch gegen andere Möglichkeiten den Tod zu verstehen ab. Seine Pointe liegt dabei darauf, dass nur eine Interpretation des Todes, die immer schon mitbedenkt, dass sie in ihrer Interpretation auf der Ebene der Befindlichkeit als Sein zum Tode gerade auch vom Tod schon mitbestimmt ist, dem Tod als Phäno­ men gerecht werden könne.234 Dies ist ein zentraler Punkt. Hei­deg­ger bestimmt den Tod dann in seiner berühmten fünfgliedrigen Formel als »eigenste, unbezügliche, gewisse und als solche unbestimmte, unüberholbare Möglichkeit des Daseins«.235 Doch kann es Hei­deg­ger nicht bei dieser Formel belassen, denn er hat ja den Bereich der reinen Analyse in Richtung einer Interpretation hin verlassen. Wenn er durch dieses Todesverständnis also der Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens näherkommen möchte, darf er für das Dasein nicht eine rein »vorhandene« Mög­ lichkeit bleiben, sondern muss existentiell greifbar werden können, als Phänomen »zuhanden« sein können. Dass das tatsächlich so ist, das zu zeigen, unternimmt Hei­ deg­ger anhand des »Vorlaufens zum Tode«.236 Nun ist der Status dieses Vorlaufens nicht leicht zu bestimmen (vgl. 3.3.3.1.e). Für den hier gegebenen Schnelldurchlauf durch ›Sein und Zeit‹ reicht es wohl zu sagen, dass das Vorlaufen eine Möglichkeit des Daseins ist, die das Dasein zwar stets ist, aber eben nicht immer in aktualisierter Weise. Damit sich die Möglichkeit des Vorlaufens in den Tod aktualisiert, braucht es noch das Gewissen. 3.3.1.8  Zu den §§  54 – 60 Die Möglichkeit des »Vorlaufens in den Tod« wird aktualisiert durch den »Ruf des Gewissens«. In diesen Paragraphen kommt die christliche Sättigung des Werkes wohl am deutlichsten zum Tragen.237 Es vermischen sich hier nun die verschiede­ nen Ebenen des Bisherigen und die heideggerspezifische Wertung des Menschseins kommt besonders zum Tragen. Zum einen ist das Gewissen für Hei­deg­ger wie ein innerer Drang, der das Dasein, das alltäglich im »Man« verfangen lebt, hinausruft in seine »Eigentlichkeit«. Es ist also nötig, um die Beziehung Eigentlichkeit-Man zu klären.238 Zum anderen ist das »Gewissen« wiederum eine Seinsweise und zwar als 232

 Vgl. Hei­deg­ger, SuZ, 237 – 241.   Vgl. aaO., 241 – 246. 234   Vgl. aaO., 246 – 249. 235   AaO., 258 f. 236   Vgl. aaO., 262 ff. 237  Vgl. Rentsch, Hei­deg­ger, 145  ff. 238   Vgl. auch A. Luckner, Was es ist, selbst zu sein. Zum Begriff der Eigentlichkeit (§§ 54 – 60), in: T. Rentsch (Hg.), Martin Hei­deg­ger. Sein und Zeit, 22007. 233

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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eine Art untere Form der »Sorge«. Oder, um die schiefe Beschreibung von unten und oben zu vermeiden, eine Seinsweise, die aus der Seinsweise der Sorge ent­ springt. Weil das Dasein in jedem Moment seines Lebens in den Formen von »Fak­ tizität«, »Existenzialität« und »Verfallen« »erschlossen« ist, sich also immer schon um sich selbst sorgt, deswegen kann es in der Selbstauslegung, die in der Sorge stän­ dig vollzogen wird, durch die »Stimme des Gewissens« hineingerufen werden in die »Entschlossenheit«, also die Seinsweise, die durch das »Vorlaufen zum Tod« geprägt ist. Das Gewissen soll also auch die Beziehung Sorge-Vorlaufen klären. Dabei wird in der Interpretation Hei­deg­gers klar, dass das Dasein den Ruf des Gewissens hören wird. Das Gewissen ist also eine Seinsweise, die als jedem Dasein zu eigen gedacht wird.239 Ob das Dasein diesem Ruf des Gewissens nun folgt oder nicht, das wird wie­ derrum nicht ausführlich thematisiert, aber im Begriff der Entschlossenheit liegt ein Hinweis darauf, dass das Dasein hier selbst gefragt ist, aktiv zu werden. Es ist hier in gewisser Weise ein den theologischen Entwicklungen der Zeit ähnlicher Dezisionis­ mus angelegt (vgl. 2.4.1 – 2.4.4). Es stellt sich natürlich noch die Frage, was denn das Gewissen ruft? Die Antwort ist: nichts. Und an dieser Stelle wird die Interpretation Hei­deg­gers dann noch offen­ sichtlicher durch christlich-dogmatische Gedanken geprägt. Denn genau in die­ sem Nichts des Rufes wird die »Schuldigkeit« des Daseins offenbar.240 Wir werden noch genauer darauf eingehen (vgl. 3.3.3.4). Hier sei noch gesagt, dass das Gewissen und die mit ihm aufkommende Schuld im Dasein eben dafür sorgen, dass es nicht bei der Erschlossenheit stehenbleibt, sondern in die Entschlossenheit will. Oder anders gesagt: Das Gewissen lässt den Menschen nach dem »Sinn« fragen und die »Schuld« die Verantwortung für diesen Sinn bei sich selbst erkennen und verhilft ihm so in einer bestimmten, jedoch nicht weiter ausgeführten Weise, zu leben. Es wird klar, dass sich die vielfach geäußerte ethische Kritik an Hei­deg­gers Konzept hier entzündet. Durch die völlige Offenheit des Konzeptes, also durch das Nichts, das das Gewissen ruft und die inhaltsleere Schuldigkeit, ist Hei­deg­gers Denken hier anschlussfähig für wertfreie wie besonders wertorientierte Ethiken gleichermaßen. Bindet man das jedoch zurück an Hei­deg­gers Prämisse nicht werten zu wollen, son­ dern anhand seiner gegebenen »Daseinsanalyse« nun das Dasein in Hinblick auf die Möglichkeit des Eigentlichseins auslegen zu wollen, kann man ihm zugestehen, dass er die Entscheidung über die Richtung bzw. den konkreten Inhalt des Gewissens­ rufes ja, seiner Daseinshermeneutik folgend, nicht allgemein bestimmen kann. Die­ ser liegt in der »jeweiligen verstehenden-Befindlichkeit« des Daseins begründet und kann so nur von dort aus nur jeweilig, also individuell, gefüllt werden. Was jedoch verallgemeinerbar ist, und das verweist direkt auf unser Thema zurück, ist, dass der Tod, hier als Umschreibung der Endlichkeitsstruktur des Daseins verstanden, am Orte dieser jeweiligen verstehenden Befindlichkeit des Daseins maßgeblich Einfluss 239

 Vgl. Hei­deg­ger, SuZ, 267 ff.   Vgl. aaO., 280 – 289.

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auf den konkreten Lebensvollzug nimmt. Und genau das ist von Hei­deg­ger impli­ ziert, wenn er sagt, dass das Gewissen Nichts ruft, denn dieses Nichts ist natürlich eine Anspielung auf das Nichts, auf das das Dasein unweigerlich zugeht. 3.3.1.9  Zu den §§  61 – 66 Die Frage nach dem »Sinn« wird in diesen Paragraphen, wie schon gesagt, auf die nächste und von Hei­deg­ger von Anfang an anvisierte Stufe gehoben, und zwar auf die Stufe der »Zeitlichkeit«.241 Warum ist dieser Schritt in Hei­deg­gers Analyse nun notwendig? Es lässt sich sagen, dass hier der nicht geschriebene zweite Teil von ›Sein und Zeit‹ aufscheint. Hei­deg­ger scheint hier den Übergang vom Sinn zum Sein vor­ zubereiten. Nachdem er bisher den Sinn des Daseins als in der Grundstruktur der »Sorge« beschreibbar ausgewiesen hatte, will er jetzt zeigen, dass dieser Daseins­ struktur eine weitere Daseinsstruktur zugrunde liegt, die aber eben über das Dasein hinausweist. Lässt sich von der Sorge noch sagen, dass sie etwas ist, was nur auf der Beschreibungsebene von menschlichem Leben, oder vielleicht noch von tieri­ schem Leben, doch hierüber können wir letztlich keine Auskunft geben, als sinn­ volle Beschreibung etwas aufklärt, gilt das für die Zeit, auf die Hei­deg­ger hinauswill, nicht mehr. Zeit, was das im Einzelnen nun meint, liegt schlicht allem zugrunde. Auch die Bewegung der Planeten, das, was im Universum passiert, es geschieht in der Zeit. Zeit verweist also auf das Sein und nicht nur auf das Dasein. Doch gehört es ja zu Hei­deg­gers Grundgedanken, dass so ein Reden über die Zeit als sei sie etwas »Vorhandenes« dem Phänomen der Zeit, wie jedem anderen, nicht gerecht wird. Daher redet er auch nicht von Zeit, sondern von Zeitlichkeit, also der Zeit in Bezug darauf, was sie für das Dasein ist. Hei­deg­ger hat den zweiten Teil von ›Sein und Zeit‹ nicht geschrieben, was nicht daran lag, dass er es nicht wollte, sondern daran, dass die methodischen Schwierigkeiten zu groß geworden wären.242 Das zeigt sich nun auch schon in diesen äußerst schwierigen und von Problemen durchzogenen Para­ graphen. Für unseren Zugang zu ›Sein und Zeit‹, dem es um das Dasein und dessen Sinn und weniger um das Seinsdenken Hei­deg­gers geht, sind die in Richtung des zweiten Teils des Werkes gehenden Denkbewegungen weniger relevant. Zentrum dieses Abschnittes bildet der § 65, der einer der längsten und sicher auch komplexesten des Buches ist.243 Berühmt sind die hier eingeführten »Eksta­ sen der Zeitlichkeit«, die Hei­deg­ger als »Zukunft«, »Gewesenheit« und »Gegenwart« einführt. Da es ihm hier nun darum geht, zu zeigen, dass die Sorge, die ja eingeführt 241   Vgl. die Auslegung dieser Paragraphen bei M. Heinz, Das eigentliche Ganzseinkönnen des Daseins und die Zeitlichkeit als der ontologische Sinn der Sorge (§§ 61 – 66), in: Rentsch (Hg.), Hei­ deg­ger, 22007, 161 – 187. 242   Eigentlich wurde aber bereits der »dritte Abschnitt« des ersten Teils nicht geschrieben. Vgl. dazu F.‑W. v. Herrmann, Hei­deg­gers »Grundprobleme der Phänomenologie« zur »zweiten Hälfte« von ›Sein und Zeit‹, 1991. 243   Hei­deg­ger, SuZ, 323 – 331.

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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wurde als das alltägliche Dasein ganz sein zu lassende Struktur, selbst wiederum etwas braucht, das sie ganz sein lässt, muss er alle Strukturmomente der Sorge (Fak­ tizität, Existenzialität, Verfallen) nun noch einmal in Bezug auf das, was die Sorge ganz sein lässt, hin formulieren. Die gesuchte Struktur ist die der Zeitlichkeit. Der Sinn der Faktizität erweist sich dann als die Gewesenheit, der Sinn der Existenzia­ lität als die Zukunft. Für das Verfallen bliebe dann nur noch die Gegenwart. Das geht nicht ganz auf und verursacht Folgeprobleme, die sich im Weiteren des Buches wiederfinden.244 3.3.1.10  Zu den §§  67 – 71 Es ist nun sicher aufgefallen, dass die Beziehung der einzelnen Strukturen und besonders der Strukturganzheiten (Sorge, Zeitlichkeit) und diese Ganzheit ermög­ lichenden Seinsweise (Vorlaufen, Entschlossenheit) nicht mehr ganz deutlich ist. Das nimmt Hei­deg­ger nun auf.245 Er will sich noch einmal der Beziehung dieser von ihm erarbeiteten Phänomene zuwenden und dabei alles von der Zeitlichkeit her als »ontologischem Ursprung« erklären. So kompliziert wie sich dieses Vor­ haben anhört, ist es auch. So geht Hei­deg­ger tatsächlich sämtliche Strukturen aus dem ersten Abschnitt noch einmal durch und analysiert sie neu. Was das bedeu­ tet, können wir uns bespielhaft an der »Befindlichkeit« verdeutlichen. Hei­deg­ger hatte das Dasein als »In‑der-Welt-sein« im Modus von »Befindlichkeit«, »Verste­ hen« und »Rede« beschrieben. Der Mensch, ich, Sie, wir, erleben das Leben, kön­ nen wir seine Sprache übersetzend sagen, so, dass wir uns sowohl örtlich als auch stimmungsmäßig irgendwo und irgendwie befinden und gleichzeitig dazu schon ein Verständnis davon haben wer und wie wir in dieser Befindlichkeit sind und was wir aus dieser Befindlichkeit machen können. Das alles läuft zunächst ab, ohne dass wir Einfluss darauf haben und artikuliert sich in irgendeiner Weise, z. B. als Den­ ken, Sagen, Handeln. Nun sagt Hei­deg­ger (§ 68b), dass die Befindlichkeit zusätz­ lich durch die Zeitlichkeit bestimmt ist. Zum einen dadurch, dass die Befindlichkeit selbst sich in der Zeit befindet und damit auch wechselt. Zum anderen dadurch, dass die Befindlichkeit eben auch die Zeitlichkeit selbst bestimmt. Man könnte sagen, die Zeitlichkeit hat eine bestimmte Befindlichkeit. Damit meint Hei­deg­ger schlicht, dass jedem Menschen, ja jeder Situation die Zeit anders vergeht, »zeitigt«, sagt Hei­ deg­ger dazu. Das lässt sich ganz einfach am bekannten Beispiel verdeutlichen, dass ein mit Aktivität und Unterhaltung ausgefüllter Tag viel schneller vergeht als ein leerer und langweiliger.246 Dieses in-Bezug-setzen der Seinsweisen zur Zeitlichkeit geht Hei­deg­ger auch für die anderen durch und ich werde darauf gleich in unserem Hermeneutikabschnitt noch einmal zurückkommen (vgl. 3.3.2). Anschließend par­ 244

  Vgl. hierfür Luckner, Hei­deg­ger, 139 f. u. 142 – 148.  Vgl. Hei­deg­ger, SuZ, 334 f. 246  Vgl. Luckner, Hei­deg­ger, 145  f. 245

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

allelisiert Hei­deg­ger auch noch seine Weltanalyse aus dem dritten Kapitel des ersten Abschnitts (§§ 14 – 24; vgl. 3.3.1.2) und seine Analyse des Wer des In‑der-Welt-seins, also des »Selbst-seins«, »Mit-seins« und »Mans« aus dem vierten Kapitel (§§ 25 – 27, vgl. 3.3.1.3). Die Ergebnisse der beiden Kapitel werden nun auch auf die Zeitlichkeit zurückgeführt. Diese äußerst schwierigen und auch problembeladenen Abschnitte unterliegen in gewisser Weise einem Systemzwang.247 Dadurch, dass Hei­deg­ger die einzelnen Momente des In‑der-Welt-seins als in der Sorge als Grundstruktur grün­ dend ausgewiesen hat und dann wiederrum die Zeitlichkeit als die »fundierende Strukturganzheit der Sorge« bestimmt hat, muss er nun alles hin auf die Zeitlich­ keit neu bestimmen. Besonders die Fundierung der Räumlichkeit in der Zeitlichkeit erscheint schwierig. Doch die Probleme in diesen Paragraphen sind für unseren Zugriff auf ›Sein und Zeit‹ nicht weiter bedeutend.248 Für uns kommt es darauf an, was diese Paragraphen im Fortgang der Grundgedanken des Buches bedeuten. Hier fällt eine Bewertung doppelt aus: Zum einen wird deutlich, dass die starre Ableitung der verschiede­ nen Strukturen aus einander, die manchmal angelegt scheint, nicht aufgeht, auch wenn Hei­deg­ger selbst durch die Verwendung von Begriffen wie »gründen« und »Ursprünglichkeit« sie anzudeuten scheint. Das ganze Konzept von ›Sein und Zeit‹ wird jedoch in die Aporie geführt, wenn man eine solche Ableitungslogik annimmt. Viel eher muss, und das ist ebenso in diesem Paragraphen abzulesen, etwa, wenn Hei­deg­ger die Beziehung der einzelnen Strukturen eben doch wieder mit meta­ phorischen Begriffen umschreibt oder auf die »Gleichursprünglichkeit« verweist, ein Nebeneinanderliegen der Strukturen gedacht werden.249 Nimmt man das so an, dann lässt sich als für den Gesamtgedankengang von ›Sein und Zeit‹ hier hinzu­ kommendes Moment bestimmen, dass die Seinsweise wie auch die Welt und das Subjekt des In‑der-Welt-seins zwar durch die Struktur der Sorge beschrieben wer­ den können, dass diese jedoch zusätzlich das Moment der Zeitlichkeit braucht, um verstanden zu werden. 3.3.1.11  Zu den §§  72 – 77 Die nun folgenden Denkbewegungen des vorletzten Kapitels sind der »Geschicht­ lichkeit« gewidmet (vgl. 3.3.3.5). In den Bahnen unserer Rekonstruktion von ›Sein und Zeit‹ lässt sich sagen, dass diese Paragraphen es unternehmen, die »Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens« in Bezug auf seine Herkunft zu stellen. Nicht nur in Bezug auf das Lebensende muss sich das Dasein den rohen Tatsachen des Lebens stellen, sondern das Gleiche gilt auch für den Lebensanfang. Warum und woher ich in diese Welt gekommen bin, ist genauso bedeutend und gleichzeitig nicht 247

  Vgl. für eine Analyse der Probleme in diesem Abschnitt auch T. Rentsch, Zeitlichkeit und Alltäglichkeit (§§ 67 – 71), in: Ders. (Hg.), Hei­deg­ger, 199 – 228. 248   Vgl. auch die hier angegebene Literatur ebd. 249   Ich nehme hier die Überlegungen von Thomas Rentsch auf. Vgl. aaO., 224 – 227.

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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aufzuklären, wie, warum und wohin ich wieder aus dieser Welt zu gehen habe. Hei­ deg­ger führt also nun parallel zum »Sein zum Tode« ein »Sein zur Geburt« oder auch die Rede davon, dass das Dasein »gebürtig« ist, ein.250 So ist die »Erstreckung« zwischen Geburt und Tod das »Geschehen« des Daseins.251 »Geschichtlichkeit« meint jedoch mehr als nur den Hinweis, dass auch die Geburt ein dunkles, aber kon­ stitutives Seinsverhältnis bedeutet. Vielmehr ist es für Hei­deg­ger so, dass Geschicht­ lichkeit als »Zeitlichkeit des eigentlichen Daseins« der Ausweis dafür ist, dass die »Befindlichkeit« nicht leer bleibt.252 Es ist nämlich so, dass die Befindlichkeit in einem, man könnte sagen, Überlieferungszusammenhang steht. Dieser bezieht sich dabei sowohl auf das kulturelle Umfeld, in dem das Dasein sich befindet als auch auf die konkreten »Daseinsmöglichkeiten«, die von gegebenen Umständen abhängen. Hier kann man beispielsweise an persönliche Intelligenz oder körperliche Gesund­ heit denken. »Eigentliches Dasein« muss sich also für Hei­deg­ger nicht nur der End­ lichkeit in Bezug auf das Ende des Lebens und der Dunkelheit und Unaufgeklärtheit des Anfanges bewusst sein, sondern das eigene Stehen in einer Art Überlieferungs­ zusammenhang mit einbeziehen.253 Diese Überlegungen werden für uns noch wich­ tig und ich werde ausführlich auf die Geschichtlichkeit eingehen (vgl. 3.3.3.5). 3.3.1.12  Zu den §§  78 – 83 Die abschließenden Paragraphen des geschriebenen Teils von ›Sein und Zeit‹ wid­ men sich noch einmal explizit der Zeit. Hierbei liegt die folgerichtige Diagnose zugrunde, dass dem Dasein, das sich selbst »eigentlich«, also in Hinblick auf die rohen Tatsachen des Lebensanfangs und Lebensendes offen und ehrlich, unverdeckt, »versteht«, Zeit etwas anderes ist, als dem uneigentlichen Dasein. Die »Geschicht­ lichkeit« als »eigentliche Zeitlichkeit« des Daseins haben wir in den letzten Paragra­ phen dargelegt. Nun benennt Hei­deg­ger noch die »Innerzeitigkeit«, die »Weltzeit« und die »vulgäre Zeitauslegung« der Zeit als »Jetztfolge«.254 Die Innerzeitigkeit ist dabei als die Zeitvorstellung zu verstehen, die alles Geschehen nur als in der Zeit ablaufend versteht und dabei eben missachtet, dass dieses Ablaufen der Dinge wie des Lebens in einer Zeit nur möglich ist, weil das Dasein, das dieses Ablaufen als solches auslegt, eben durch die Zeitlichkeit fundiert ist. Weltzeit beschreibt die Art der Zeit, in der sich dem Dasein die Welt als sein »Mitsein« darbietet. Die Zeit als Jetztfolge hingegen ist vulgäre Zeitauslegung, weil sie eben genau jenen »existenzialontologischen Sinn« der Zeit missachtet und Zeit als Zeitstrahl versteht, an dem 250

 Vgl. Hei­deg­ger, SuZ, 373 f.  Vgl. Luckner, Hei­deg­ger, 157  –  159. 252   Vgl. aaO., 158. 253   Es steckt natürlich auch hier, wie in allen Abschnitten, noch mehr darin. Vor allem die Defi­ nition von Geschichte und die Abgrenzung dieser von der Historie, aber auch die Auseinanderset­ zung mit Dilthey und Graf Yorck sind hier noch zu nennen. Vgl. für diesen Abschnitt H.‑H. Gan­ der, Existenzialontologie und Geschichtlichkeit (§§ 72 – 83), in: Rentsch (Hg.), Hei­deg­ger, 218 – 237. 254   Vgl. für die Einführung der jeweiligen Begriffe Hei­deg­ger, SuZ, 412, 414 u. 422. 251

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

sich einzelne Jetzte wie mit Wäscheklammern in einer Reihe aufhängen lassen. Ein solches Verständnis von Zeit jedoch, das soll diesen Durchgang durch ›Sein und Zeit‹ zum Schluss wieder zu unserem Thema zurückleiten, missverstehe, nach Hei­ deg­ger, dass »Philosophie universale phänomenologische Ontologie [ist], ausgehend von der Hermeneutik des Daseins, die als Analytik der »Existenz« das Ende des Leit­ fadens alles philosophischen Fragens dort festgemacht hat, woraus es »entspringt« und wohin es »zurückschlägt«.«255 3.3.1.13  Zu Thomas Rentschs theologischer Lesart von ›Sein und Zeit‹ Der hier gegebene, notwendigerweise pointierte, Überblick zu den Gedankengän­ gen von Martin Hei­deg­gers Hauptwerk versteht sich als theologische Annäherung an ›Sein und Zeit‹. Thomas Rentsch hat in vielfältigen Beiträgen genau diese Seite, die theologische, des Werkes immer wieder hervorgehoben. In vielen Punkten, das habe ich oben bereits gesagt, ist diese theologische Lesart Hei­deg­gers sehr überzeu­ gend. Ich möchte sie daher hier keineswegs in Frage stellen, aber sie von einer Seite her befragen. Rentsch bezeichnet ›Sein und Zeit‹ wiederholt als »gottlose Theologie«256 oder auch als »Nihilismus«257 und vollzieht damit explizit eine Abgrenzung zur Theolo­ gie als Wissenschaft. Damit hat er Hei­deg­ger selbst auf seiner Seite, der bekanntlich, zumindest in späteren Jahren, der Meinung war, dass die Theologie überhaupt keine Wissenschaft sei.258 Und auch schon Hei­deg­gers Zeitgenossen sahen das so. Rentsch bezieht sich mit seiner Zuordnung auf ein Zitat des Hei­deg­gerschülers Karl Löwith. Allerdings kann schon die Formulierung gottlose Theologie selbst aufhorchen las­ sen, ist doch dadurch, dass hier eigentlich ein Paradox formuliert wird, höchst unklar, was damit gemeint ist. So liegt hier, wie ich denke, die schwierige Frage im Verständnis von Theologie bzw. Atheismus und Nihilismus selbst begründet. Ich nehme die Pointe vorweg, bevor ich auf die Details eingehe: Rentsch kenn­ zeichnet Hei­deg­gers Theorie als gottlos, weil sie in ihrer Theorie keinen Gott annimmt. Damit hat er Recht. Hei­deg­ger betreibt also sicher keine Theologie im vor­ kritischen Sinn. Doch was ist dann das Theologische, was bleibt? Hei­deg­ger versucht sich voraussetzungslos dem Menschsein zuzuwenden und dabei spielen bestimmte Strukturen, die auf letzte Fragen oder die Unbedingtheitsdimension oder auch die Bedeutung des Numinosen, je nachdem welche Terminologie man verwendet, ver­ weisen, eine entscheidende Rolle. Hier ist er einer bestimmten modernen Richtung der Theologie wiederum sehr nahe, für die exemplarisch gerade die im Vorheri­ gen immer wieder genannten Namen Schleiermacher und Otto, aber auch Paul Til­ lich stehen. Diese Nähe übersieht Rentsch meiner Ansicht nach oder unterlässt es 255

  AaO., 436.   Rentsch, Hei­deg­ger, 147, 149, 154. 257   AaO., 145, 147, 152, 154. 258   Vgl. hierzu die schönen Ausführungen bei Pöggeler. Pöggeler, Wege, 9 – 18, bes. 12. 256

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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zumindest, auf sie aufmerksam zu machen. Dass es bei Hei­deg­ger also, zumindest jenseits einer Verwendung des Gottesbegriffs und speziell bezogen auf die für uns relevante frühe Schaffensphase bis zu ›Sein und Zeit‹, gar nicht einmal so gottlos oder nihilistisch zugeht, auch das hat schon eine berühmte Zeitgenossin gesehen. So schrieb Edith Stein noch 1932: Bei Hei­deg­ger scheint es mir heute verfrüht, sein Weltbild zeichnen zu wollen. Die Zentral­ stellung des Daseins, die Betonung der Sorge, als zu ihm wesenhaft gehörig, des Todes und des Nichts, sowie manche extreme Formulierung weisen auf ein gott-loses, ja geradezu nihi­ listisches Weltbild hin. Aber es gibt auch Äußerungen, die es als möglich erscheinen lassen, daß einmal der Umschlag ins Gegenteil erfolgt und das in sich nichtige Dasein seinen Halt in einem absoluten Seinsgrund findet.259

Paul Tillich hat später in seiner Systematischen Theologie Gott als den Grund allen Seins bezeichnet.260 Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass bestimmte Theologen wie Bultmann oder Tillich an bestimmte Denkbewegungen Hei­deg­gers nahezu nahtlos anknüpfen und sie weiterspinnen konnten.261 Wenn auch Thomas Rentsch also mit seiner Beschreibung sicher etwas Richtiges anspricht, denke ich, dass er die von ihm selbst in seiner Analyse von ›Sein und Zeit‹ gegebene enge Ver­ bindung von Theologie und Hei­deg­gers Denken zu dieser Zeit hier zu einseitig kon­ trastiert. Doch nun ein wenig detaillierter:262 Thomas Rentsch analysiert fünf Schichten, die das Gerüst von ›Sein und Zeit‹ bilden würden. Er stellt natürlich klar, dass diese sich überlagern und nur künstlich getrennt werden könnten. Dennoch, und hier ist ihm voll zuzustimmen, sei es für das Verständnis des Werkes hilfreich sich diese zu vergegenwärtigen. Die erste Schicht, die »Ontologie-Schicht«, sieht er in den Anfangsparagraphen besonders deutlich und von Platon, Aristoteles und Thomas von Aquin beeinflusst und diese natürlich hinter sich lassend. Sie fragt nach dem »Sinn von Sein«.263 Als zweite Schicht macht er eine »Phänomenologie Schicht« aus, die im Phänomenologie-Paragraphen 7 deutlich sichtbar wird. Diese sei von Hus­ serl beeinflusst, aber gehe über ihn hinaus.264 Als dritte Schicht arbeitet Rentsch eine »Transzendentalphilosophie-Schicht« heraus, die ebenfalls einen Opponenten hat, gegen den die Argumentation geführt wird. Dieser ist natürlich kein Geringerer als Kant selbst. Diese Schicht liefe letztlich auf den wertfreien Dezisionismus hinaus, den ›Sein und Zeit‹ zu bieten hat und damit darauf zielt, die kantisch-kantianischneukantianischen Wertphilosophien zu überbieten.265 Schicht vier nun ist für unsere 259

  Zitiert nach aaO., 251.  Vgl. P. Tillich, Systematische Theologie III, 1987, u. a. 273 – 280. 261   Für Bultmann vgl. u. a. Pöggeler, Wege. Für Tillich vgl. jetzt M. Fritz, Menschsein als Frage. Paul Tillichs Weg zur anthropologischen Fundierung der Theologie, 2016. 262   Ich beziehe mich auf Rentsch, Hei­deg­ger, 108  –  157. 263   Vgl. aaO., 109 f. 264   Vgl. aaO., 110 – 113. 265   Vgl. aaO., 113 – 115. 260

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Fragestellung zusammen mit Schicht fünf zentral. Schicht vier nennt Rentsch die »lebensphilosophische Hermeneutik-Schicht«. Schicht fünf nennt er »die TheologieSchicht bzw. die Schicht, in der Erfahrungen der religiösen Existenz eingearbeitet sind.«266 Beide Schichten sind auch für Rentsch die wichtigsten. Er schreibt: Es ist klar, daß die ›Schichten‹ nicht nebeneinander liegen, sondern daß in ihnen eine deut­ liche Richtung, ein ›Gefälle‹ wirksam ist. Wir können fragen: Welches sind in ›Sein und Zeit‹ eigentlich die wichtigsten, die durchschlagenden System-Elemente? Hier spricht die Schicht IV ganz eindeutig die zentrale Rolle – allerdings im Verbund mit der Schicht V.267

Die besondere Bedeutung dieser Schichten sieht Rentsch darin, dass Hei­deg­ger hier eine »Kategorienlehre des Lebens« entwirft, die für ihn zum phänomenologi­ schen Gegenstück der Ontologie bzw. Metaphysik werde und sich selbst sozusagen als Transzendentalphilosophie verstehe, indem sie die »Bedingungen der Möglich­ keit des Existierens« freilege.268 Insofern kann man sagen, dass die Schichten eins bis drei erst durch die Schicht vier ihre Zielrichtung bekommen. Wie die einzelnen Schichten im Laufe des Buches dann ineinandergreifen, sollte nun anhand des oben (vgl. 3.3.1.1 – 3.3.1.12) gegebenen Überblicks nachvollziehbar sein. Wichtig ist für uns ein näherer Blick auf die Schicht V. Rentsch schreibt, diese Schicht werde vor allem durch die Entfaltung bestimmter Grundbegriffe, die jeweils auf Phänomene religiösen Lebens verweisen, sichtbar. Diese seien »Angst«, »Schuld«, »Gewissen« und »Tod«.269 Diese sind auch die für unseren Zugriff auf das Werk wichtigsten Begriffe. Nun sieht Rentsch die Analyse dieser Daseinsphänomene bei Hei­deg­ger durch »Paulus, Johannes, die Gnosis, Augustinus, Luther und Kierkegaard« beein­ flusst.270 Rentsch sieht aber auch in genau diesen Analysen den Unterschied Hei­deg­ gers zur Theologie liegen, denn in ›Sein und Zeit‹ komme hier eben der »Hei­deg­ gersche Nihilismus einer gottlosen Theologie«271 deutlich hervor. Doch wo zeigt sich diese Gottlosigkeit konkret? Für Rentsch darin, dass Hei­deg­ ger die Angst als Seinsweise so analysiert, dass hier nicht etwa Gott und das Gericht im Hintergrund stehen, sondern lediglich das Dasein selbst, oder darin, dass auch die Schuld nicht eine gegenüber Gott ist, sondern als »Grundsein einer Nichtigkeit« beschrieben wird, oder darin, dass auch der »Ruf des Gewissens« keinen Inhalt hat, sondern eine leerer, letztlich dezisionistischer Ruf bleibt, oder schließlich darin, dass auch der Tod nicht im Hinblick auf ein mögliches Weiterbestehen bei Gott oder eine Auferstehung hin gedeutet wird, sondern schlicht als Ausweis der Endlichkeit.272

266

  AaO., 117.   AaO., 115. 268   AaO., 115 f. 269   AaO., 117. 270  Ebd. 271   AaO., 147. 272   Vgl. aaO., für die Angst 130 – 134, für die Schuld 147, für das Gewissen 145 – 147 und für den Tod 140 – 145. 267

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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Wenn man nun aber von einem Theologieverständnis, für das der Gottesbegriff konstitutiv ist, abstrahiert, also nicht einfach annimmt, Theologie müsse immer mit oder bei Gott anfangen oder enden, wird diese Differenz deutlich kleiner. Wie oben bereits erwähnt waren es gerade die für Hei­deg­ger einflussreichen Friedrich Schleier­macher und Rudolf Otto, die hier fein differenziert haben. So hat etwa Schleiermacher den Gottesbegriff als »das unmittelbare innere Aussprechen des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls« bezeichnet.273 Rudolf Otto hat hingegen immer wieder betont, dass Gott »kein ›Ding‹ neben anderen ›Dingen‹, das je mit die­ sen in abzählbare Reihe treten könnte«274 sei, sondern dass das, was die Menschen Gott nennen, eben nur im »Gefühl« bestimmt werden könne. Wobei Gefühl von ihm näher bestimmt wird als etwas, was sich unterscheidet vom »reflektiert-dialekti­ schen Erkennen in der Form des Begriffs, der Definition, des logischen Analysierens und Theoretisierens«275 und eher ein »vorbegriffliches Erfassen«276 meint. Und in genau diesem Bereich bewegt sich Hei­deg­ger, wie oben ausführlich gezeigt, auch in ›Sein und Zeit‹, wenn er die Frage nach dem Sinn von Sein stellt, die wir mithilfe der Dilthey-Vorträge in die Frage nach dem »Sinn des menschlichen Lebens« übersetzt haben. Der Gottesbegriff fasst bei Otto das »Ganz andere« und so kann eben dieses Ganz Andere, das den Menschen »vorbegrifflich erfasst« nur umschrieben werden, wofür Otto dann seine »Ideogramme«277 oder auch »Symbol-Namen«278 einführt. Hei­deg­ger war bekanntlich nicht weniger kreativ in Bezug auf Sprachschöpfun­ gen, die das Unbeschreibliche versuchen zu beschreiben. Und auch der dritte oben genannte Theologe, der uns hier bespielhaft für diese Richtung innerhalb der Theo­ logie dienen soll, geht vergleichbar vor.279 Für Tillich ist Gott das religiöse Symbol überhaupt und er versucht zu umschreiben, was mit dem Gottesbegriff gemeint ist, indem er, wie oben schon genannt, Gott als »Grund allen Seins« bezeichnet und, darauf werde ich noch ausführlich eingehen, schließlich mit dem »Gott über Gott« eine Deutefigur evoziert, die zwar nicht zu einer atheistische Theologie führt, aber, wenn man ihn beim Wort nimmt, zu einer supratheistischen Theologie und damit 273   Das berühmte Zitat lautet im Ganzen: »Wenn nun das unmittelbare innere Aussprechen des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls das Gottesbewusstsein ist, und jenes Gefühl jedesmal wenn es zu einer gewissen Klarheit gelangt von einem solchen Aussprechen begleitet wird, dann aber es immer mit einem sinnlichen Selbstbewußtsein verbunden und auf dasselbe bezogen ist: so wird auch das auf diesem Wege entstandene Gottesbewußtsein in allen seinen besonderen Gestaltungen solche Bestimmungen an sich tragen, welche dem Gebiet des Gegensazes angehören in welchem das sinnliche Selbstbewußtsein sich bewegt;« F. Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweite Auflage (1830 / 31), 2003, 51 f. 274   R. Otto, Das Gefühl des Überweltlichen (sensus numinis), 1932, 221. 275   AaO., 327. 276   AaO., 330. 277   Otto, Heilige, 21. 278   AaO., 22. 279   Vgl. dazu den Aufsatz W. Schüßler, Gott erfahren – Gott denken, in: J. Lauster u. a. (Hg.), Rudolf Otto. Theologie – Religionsphilosophie – Religionswissenschaft, 2014, 347 – 359.

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ebenso wie Hei­deg­ger die Bahnen einer vorkritischen Theologie, von der Thomas Rentsch mit seiner Aufnahme des Zitats von Löwith Hei­deg­ger abgrenzt, längst ver­ lassen hat.280 Aber selbst für die Zuschreibung atheistische Theologie lassen sich bei Tillich Belegstellen finden. So hatte er schon 1917 in einem Brief an Emanuel Hirsch die, natürlich höchst unklare und auslegungsbedürftige, Formel des »Glaubens ohne Gott« für sich verwendet, die noch einmal näher an dem liegt, wie Hei­deg­ger hier interpretiert wird.281 Und würde man Theologie, genauer systematische Theologie und noch genauer Dogmatik, um ein zeitgenössisches Verständnis zu nennen, in dessen Linie auch ich stehe, als »religionspsychologisch fundierte Symbolhermeneutik, die auf die Freile­ gung christlicher Sinndimensionen und der ihnen eigenen Rationalität zielt« ver­ stehen, ist man ebenfalls nicht so weit von den Analysen Hei­deg­gers entfernt.282 Schließlich sind die von Rentsch als Ausweis der Gottlosigkeit ausgemachten Lücken nur Lücken auf der Ebene des symbolischen Charakters religiöser Rede. Fragt man hingegen theologisch, also nicht auf der Ebene religiöser, sondern auf der Ebene wissenschaftlicher Rede, nach dem, was hinter dem religiösen Phänomen der Schuld oder dem des Gewissens oder dem auch der Angst steht, kann man, der genannten theologischen Tradition verpflichtet, nicht einfach Gott antworten, sondern muss versuchen zu beschreiben, was hier hinter dem Symbol Gott steht. Eine religionspsy­ chologische Herangehensweise könnte dann durchaus auch auf die Stimmung Angst stoßen.283 Noch deutlicher wird diese Gemeinsamkeit am Phänomen des Gewissens. Versteht man dieses zunächst als auf der Symbolebene religiöser Sprache liegend, lässt sich hermeneutisch damit verfahren, indem die anthropologischen Struktu­ ren aufgezeigt werden, die diesem religiösen Symbol zugrunde liegen. Noch län­ ger wird der gemeinsame Weg, wenn man theologisch einen emotionstheoretischen Zugriff wählt. Gibt es religiöse Gefühle? Und wenn ja, was sind religiöse Gefühle?284 Die Bedeutung der Stimmungen für ›Sein und Zeit‹ im Allgemeinen, aber speziell für die Frage nach dem Tod, aber natürlich auch für die nach der Angst und der Schuld, und auch für das Gewissensphänomen, macht noch einmal die Nähe des Hei­deg­gerschen Ansatzes zu einem möglichen theologischen deutlich (vgl. dazu 3.3.4 u. 3.4). Insofern ist Hei­deg­gers Denken nicht gottloser als manche Theologie, oder insofern ist Hei­deg­gers Denkweise nicht nihilistisch, nur weil sie das Nichts als 280   Der Ausdruck ›Gott über Gott‹ taucht allerdings schon in seiner Habilitationsschrift auf. Vgl. u. a. P. Tillich, Der Begriff des Übernatürlichen, sein dialektischer Charakter und das Prinzip der Identität – dargestellt an der supranaturalistischen Theologie vor Schleiermacher, in: Ders., Frühe Werke, 1998, 435 – 592, hier 474. 281   P. Tillich, Briefwechsel und Streitschriften, hg. von R. Albrecht, 2017, 97. 282   R. Barth, Evangelische Dogmatik? Überlegungen zu ihrer kritischen Identität, in: H. Schulz (Hg.), Evangelische Theologie. Eine Selbstverständigung in enzyklopädischer Absicht, 2016, 176 – 201, hier 200. 283   Vgl. hierzu meinen ebenso bei Hei­deg­ger ansetzenden Aufsatz Sacher, Glaube. Noch viel grundlegender T. Dietz, Der Begriff der Furcht bei Luther, 2009 und P. Schüz, Mysterium Tremen­ dum, 2016.

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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zentralen Bezugspunkt ihres Denkens annimmt. Sicherlich mag hier von manchen eingewendet werden, das Gesagte zeige viel eher die Gottlosigkeit bestimmter Theo­ logie als ein Gemeinsames von ›Sein und Zeit‹ und einem möglichen theologischen Zugriff auf die gleichen Phänomene. Solche antizipierten Einwände möchte ich ein­ mal dahingestellt lassen und stattdessen auf den Teil 3.4 dieser Arbeit verweisen, wo anhand von Paul Tillichs theologischem Bestseller ›Der Mut zum Sein‹ noch einmal deutlich werden wird, wie nahe Hei­deg­ger hier, jetzt bezogen auf die Frage des Todes, einem möglichen theologischem Zugriff ist. 3.3.2  Der Mensch als Sein zum Ende – die Hermeneutik von ›Sein und Zeit‹ In diesem Abschnitt nun gilt es nicht noch einmal zu wiederholen, was oben (vgl. 3.3.1.4) bereits über die hermeneutische Struktur des Daseins gesagt wurde. Viel­ mehr soll nun der enge Zusammenhang zwischen dem Tod bzw. der Endlichkeit und dem Menschsein auf der Ebene der Hermeneutik deutlich gemacht werden. Die Daseinshermeneutik aus ›Sein und Zeit‹ macht die konstitutive Bedeutung der »Befindlichkeit« und des »Verstehens« für das Menschsein deutlich.285 Gleichzeitig wird bei Hei­deg­ger unterstrichen, dass dieses »befindliche-Verstehen« eben immer schon durch den Tod bzw. die Endlichkeit bestimmt ist. Das bedeutet im Umkehr­ schluss, dass eine Deutung des Todes, wie sie beispielsweise in der theologischen Thanatologie erfolgt, nicht ohne das dieser spezifischen, expliziten Deutung vorher­ gehende befindliche-Verstehen des Daseins als »Sein zum Ende« auskommen kann. 3.3.2.1  Deutung als Auslegung des befindlichen-Verstehens Deutung ist für Hei­deg­ger auf der Ebene der Auslegung angesiedelt.286 Diese Bestim­ mung ist zunächst verwirrend, weil sie nicht einfach übertragbar ist auf den in der Theologie üblichen Begriff der Deutung.287 Anders gesagt: Es muss im Anschluss an Hei­deg­ger in zwei unterschiedliche Deutungen differenziert werden. Existen­ zial-hermeneutische Deutung als Auslegung des befindlichen-Verstehens ist dabei kein bewusst angestrebter oder durchgeführter Vorgang. Sie kommt auf.288 Eine theologisch-thanatologische Deutung im Sinne einer ausformulierten Theorie des 284   Vgl. für einen solchen Zugriff Barth, Gefühle. Vgl. auch die Aufsätze im Band R. Barth /  C. Zarnow (Hg.), Theologie der Gefühle, 2015 und dort besonders C. Zarnow / R. Barth, Das Pro­ jekt einer Theologie der Gefühle, in: aaO., 1 – 20. 285   Ein zwar anders gelagerter, aber dennoch interessanter und mindestens aufgrund seiner ­Seltenheit hier erwähnenswerter Ansatz Hei­deg­gers Befindlichkeits-Denken in die Theologie zu übertragen findet sich bei P. Henke, Die Bedeutung der Befindlichkeit für den christlichen Glauben, in: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 62, 1978, 122 – 132. 286  Vgl. Hei­deg­ger, SuZ, 134. 287   Vgl. bspw. W. Gräb, Religion als Deutung des Lebens. Perspektiven einer Praktischen Theo­ logie gelebter Religion, 2006. 288  Vgl. Hei­deg­ger, SuZ, 148 – 153.

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Todes allerdings, eine explizit werdende »Auslegung« also, ist innerhalb der Termi­ nologie Hei­deg­gers auf der Ebene der »Aussage« verortet.289 Jede Aussage jedoch ist nach Hei­deg­ger immer ein »abkünftiger Modus der Auslegung«290 und jede »Aus­ legung« wiederum die »Ausbildung des Verstehens«291 und »Verstehen« wiederum zusammen mit »Befindlichkeit« die grundsätzlichste existentenziale Bestimmung des menschlichen Lebens. Beide Sinne von Deutung hängen also mit dem »befindli­ chen-Verstehen« eng zusammen. Aber nur die zweite, explizit werdende Deutung in Form einer ausformulierten Theorie kann sich von den im befindlichen-Verstehen getroffenen Vorentscheidungen entfernen. Um nun diese hochkomplexe Daseins­ hermeneutik auf ihre Beziehung zum Tod hin zu rekonstruieren und dabei die jetzt nur angedeutete grundlegende Funktion des Todes näher auszuführen, möchte ich einen der berühmt gewordenen thanatologischen Sätze Hei­deg­gers zitieren und ihn dann auf unsere Fragestellung hin interpretieren: So wie das Dasein vielmehr ständig, solange es ist, schon immer sein Noch-nicht ist, so ist es auch schon immer sein Ende. Das mit dem Tod gemeinte Enden bedeutet kein Zu-Ende-sein des Daseins, sondern ein Sein zum Ende dieses Seienden. Der Tod ist eine Weise zu sein, die das Dasein übernimmt, sobald es ist. ›Sobald ein Mensch zum Leben kommt, sogleich ist er alt genug zu sterben‹.292

Diese Passage nun befindet sich nicht in den Hermeneutik-Paragraphen, sondern bereits inmitten der Todesanalyse, die uns gleich noch ausführlich beschäftigen wird. Sie setzt mithin aber die entwickelte Hermeneutik voraus und ist ohne diese nicht zu verstehen. Die erste Bestimmung, die Hei­deg­ger hier trifft, besagt, dass der Mensch sein ganzes Leben lang, vom ersten Moment nach der Geburt bis zum Ster­ ben, immer sein »Noch-nicht« ist. Der Sinn dieses Satzes erschließt sich nur, wenn Hei­deg­gers Bestimmung von Aussagesätzen aus § 33 mitgedacht wird. Der Satz hat die Struktur von etwas (Dasein) als etwas (Noch-nicht). Beide etwas werden dabei durch die Copula ist verbunden, die Hei­deg­ger im Original kursiv setzt, um anzu­ zeigen, dass es sich hier um ein spezifisches ist handelt. In Bezug auf Sätze mit der Struktur von etwas als etwas unterscheidet Hei­deg­ger in Sätze mit einem »apophantischen ›Als‹« und solche mit »existenzial-hermeneutische[m] ›Als‹«.293 Aussagen mit dem apophantischen Als sind für ihn Aussagen wie Hei­deg­gers Standardbeispiel »der Hammer ist schwer«.294 Diesen Satz löst Hei­deg­ger selbst auf in »das Ham­ merding hat die Eigenschaft der Schwere«.295 Nun ist für ihn aber gerade ein solcher Satz, der über »Zuhandenes« als »Vorhandenes« spricht, aus existenzial-hermeneu­

289

  Vgl. aaO., 153 – 160.   AaO., 153. 291   AaO., 148. 292   AaO., 245. 293   AaO., 158. 294   AaO., 157. 295  Ebd. 290

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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tischer Perspektive, also »wenn Aussagen und Seinsverständnis existenziale Seins­ möglichkeiten des Daseins selbst sind«296 gar nicht zu tätigen. Hier greift immer das existenzial-hermeneutische Als. Dieses Als erhält seinen Aussageinhalt nun für Hei­deg­ger aus der ihm vorausliegenden »Auslegung des befindlich-verstehenden Daseins«. Darauf komme ich gleich zurück. Doch zunächst sollen noch einmal die zwei Weisen von Deutung angesprochen werden. Eine theologisch-thanatologische Deutung des Todes im Sinne etwa der klassischen Unsterblichkeitslehre wäre für Hei­deg­ger eine Aussage auf der gleichen Ebene wie »der Hammer ist schwer«. Hier würde das menschliche Leben zu etwas Vorhandenem gemacht, was es für Hei­deg­ ger aber, das ist eine der Grundpointen seines Denkens, nicht sein kann, ohne dass man sozusagen völlig an ihm vorbeiredet. Eine daseinshermeneutisch fundierte tha­ natologische Aussage hingegen, könne über den Tod nicht in der Form etwas als etwas mit apophantischem Als reden, sondern müsse die im befindlichen-Verstehen bereits grundgelegte Todesdeutung, jetzt im Sinne einer existenzial-hermeneuti­ schen Deutung, zur Sprache bringen.297 Wenn nun also Dasein im oben genannten Zitat so bestimmt wird, dass es stets sein Noch-nicht ist, dann unternimmt Hei­deg­ger hier genau das gerade Beschrie­ bene. Es wird dabei zurückgegriffen auf eine vorthematische Struktur des Daseins, die Hei­deg­ger anhand seiner Befindlichkeits- und Verstehensanalyse versucht dar­ zulegen und die eben schon bestimmt ist durch das kommende Ende des menschli­ chen Lebens selbst. Dasein ist immer sein Noch-nicht bedeutet also, nun in meinen Worten, dass menschliches Leben in seinem Selbstverständnis in allen Situatio­ nen auf einer vorthematischen, befindlich-verstehenden Ebene dadurch bestimmt wird, dass es auf etwas Unbekanntes zugeht. Das menschliche Leben ist offen, es ist bestimmt in seiner Freiheit. Nun bestimmt Hei­deg­ger dieses Noch-nicht aber weiter als Ende. Damit ist gemeint, dass dieses Unbekannte, das das menschliche Leben vorthematisch, befindlich-verstehend bestimmt, letztlich ein Ende sein wird. Der Mensch ist endliche Freiheit. Dieses Ende ist dabei in seiner letzten Steigerung der Tod. Es ist aber auch schon vor dem Tod ständig da. Alle Phasen des Lebens, die Kindheit, die Jugend usw. enden. Jeder Moment des Lebens kommt, sobald er begonnen hat, auch schon wieder zu seinem Ende. Diese Struktur ist so grundle­ gend, dass Hei­deg­ger sagen kann: Das Dasein ist sein Ende. Es geht hier also nicht darum im Sinne des oben genannten apophantischen Als daseinsmäßiges Seiendes als Vorhandenes zu behandeln. Ein solches Verständnis würde völlig weg von Hei­deg­gers Denkbewegung führen. Um das klar zu machen, 296

  AaO., 160.   Vgl. zu den Inkonsistenzen in Hei­deg­gers Ansatz: A. Graeser, Das hermeneutische ›als‹. Hei­deg­ger über Verstehen und Auslegung, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 47, 1993, 559 – 572. Graeser schreibt: »Dies gilt um so mehr, als die Konzeption [des Hei­deg­gerschen etwas als etwas, KS] selbst sehr starke Elemente des Psychologismus enthält und der Übertragung von Zügen der Betrachtung auf den Gegenstand der Betrachtung ihrerseits wohl nur auf dem Hintergrund psychologistischer Annahmen gerechtfertigt werden könnte.« 297

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

tätigt Hei­deg­ger dann die nächste Bestimmung unserer Passage. Er schreibt, dass das Enden nicht ein »Zu-Ende-sein« bedeute. Daseinsanalyse wie Hei­deg­ger sie betreibt kann immer nur aus der Perspektive des Daseins auf das Dasein selbst blicken. Inso­ fern endet sie mit dem Moment des Zu-Ende-seins. Dass das Dasein also immer schon sein Ende ist, meint so, dass Dasein im Ganzen, grundsätzlich, immer als »Sein zum Ende« aufgefasst wird. Wichtig sind hier nun wirklich die Details. Es geht ihm nicht darum, dass Dasein als Sein zum Ende aufgefasst werden soll oder muss oder ähnliches. Hei­deg­ger beschreibt hier lediglich Strukturen, wie er sie anhand seiner Daseinsanalyse herauskristallisiert. Die grundlegende Struktur des mensch­ lichen Lebens als befindliches-Verstehen beinhaltet also, dass es immer schon Sein zum Ende ist, d. h. Dasein vollzieht sich als endliche Freiheit. Es kommt nun darauf an, noch einmal genau auf die Strukturen Befindlichkeit und Verstehen zu schauen, um diese Analyse Hei­deg­gers zu verdeutlichen. 3.3.2.2  Befindlichkeit und Tod Hier hilft der nächste Satz aus unserer Text-Passage. »Der Tod ist eine Weise zu sein, die das Dasein übernimmt, sobald es ist«, schreibt Hei­deg­ger. Sobald mensch­ liches Leben beginnt, befindet es sich schon in einer »Befindlichkeit«.298 Der Begriff Befindlichkeit ist dabei natürlich an das Befinden im Sinne von auf der Welt befin­ den angelehnt.299 Mit der Geburt befindet sich der Mensch auf der Welt und ist damit zugleich in einer Befindlichkeit, die er oder sie sich, das ist entscheidend, nicht ausgesucht hat. Auch hier spielt Hei­deg­ger natürlich mit den Doppeldeutig­ keiten der Begriffe. Sowohl das auf der Welt befinden hat sich der Mensch nicht ausgesucht, als auch die Befindlichkeit, in der er oder sie auf der Welt ist. Die Befind­ lichkeit ist dabei nicht gänzlich frei von menschlicher Beeinflussung. Wenn ein Mensch sich selbst sein Leben lang bemüht, ein gutes Leben zu erlangen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er oder sie sich in einer für ihn oder sie guten Befindlich­ keit befindet, natürlich höher. Aber das ist schon eine abgeleitete Ebene der Befind­ lichkeit als Existenzial. Diese greift nämlich viel früher. Sie wäre in dem gewählten 298

  Vgl. den einschlägigen § 29 Hei­deg­ger, SuZ, 134 – 140.   Es wird m. E. stets über die schon bei Hei­deg­ger selbst begründet liegende Undeutlichkeit der Differenzierung zwischen »Stimmung« und »Befindlichkeit« hinweggegangen. Hei­deg­ger erläu­ tert zwar, worin der Unterschied liege, zieht diese Unterscheidung im Folgenden aber nicht durch. So ist es mehr als verwunderlich, dass er zunächst die »Befindlichkeit« als den eigentlichen, onto­ logischen Begriff einführt, dann aber im Verlauf der relevanten Kapitel meistens von Stimmung spricht. Diese Unklarheit bei Hei­deg­ger zieht sich in die Besprechung seiner Konzepte durch. Vgl. etwa J. A. Escudero, Hei­deg­gers Phänomenologie der Stimmungen: Zur welterschließenden Funk­ tion der Angst, der Langeweile und der Verhaltenheit, in: Hei­deg­ger Studies 26, 2010, 83 – 95. Escu­ dero redet in der Überschrift von »Stimmungen«, betreibt dann im Verlauf des Artikels jedoch in einer Unterüberschrift die »Analyse der Befindlichkeit« ohne nur zu erwähnen, warum es zwei Begriffe braucht oder worin die Differenz liegen könnte. Da er beides »Befindlichkeit« und »Stim­ mung« aber letztlich als Begriffe für Gefühle bzw. Affekte nimmt, ist für ihn eine solche Differen­ zierung vielleicht auch nicht nötig. Jedenfalls liegt hier eine Schwäche in Hei­deg­gers System selbst. 299

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

251

Beispiel schon dafür verantwortlich, ob dieser Mensch es überhaupt unternehmen würde, für sich nach einem guten Leben zu streben. Die Befindlichkeit liegt also, so wie Hei­deg­ger sie fasst, noch vor der Ebene solcher Phänomene wie sie unter Begriffen wie Charaktereigenschaften und ähnlichem gefasst werden. Hei­deg­ger verhandelt die Befindlichkeit dann meistens unter dem Begriff Stimmung. Wie bei­ des im Zusammenhang steht, erklärt er folgendermaßen: »Was wir ontologisch mit dem Titel Befindlichkeit anzeigen, ist ontisch das Bekannteste und Alltäglichste: die Stimmung, das Gestimmtsein.«300 Wenn also auf der Ebene der Theorie über das Existenzial der Befindlichkeit gesprochen wird, kann es auch »Stimmung« genannt werden. Nun, das ist dabei eine der Pointen dieser Verhältnisbestimmung, dürfe dabei aber nicht so getan werden als sei die Rede von Stimmungen selbst frei von Befindlichkeit. Nur wenn die existenziale Hermeneutik sich ihre eigene Befindlich­ keitsfundierung klar macht, kann sie nach Hei­deg­ger überhaupt sinnvolle Aussagen über Stimmungen treffen.301 Und hier nun spielt wieder der Tod bzw. die Endlichkeit eine herausragende Rolle. Diese dem menschlichen Leben grundlegend vorgegebene Struktur bestimmt die Befindlichkeit, zumindest nach Hei­deg­ger, wie keine andere. Daher kann er sagen, das Dasein ist »Sein zum Tode«.302 Die Aussage trifft Hei­ deg­ger allerdings erst, als er die Möglichkeit des »Eigentlichseins« erfassen möchte. Eigentliches Dasein ist Sein zum Tode nicht nur auf der vorthematischen Ebene von Befindlichkeit und »Verstehen«, sondern auch auf der der Aussage und Rede, also dem eigentlichen, aktiven, bewussten Selbstverständnis. Aber nicht nur eigent­ liches Dasein ist Sein zum Tode. Das wird in der oben zitierten Passage im nächs­ ten Satz deutlich, wenn Hei­deg­ger schreibt, der »Tod ist eine Weise zu sein, die das Dasein übernimmt, sobald es ist.«303 Auch uneigentliches, im »Man« verhangenes Dasein ist durch den Tod bzw. die Endlichkeit auf der Ebene des vorthematischen befindlichen-Verstehens bestimmt. Wie es sein kann, dass dies unbewusst geschieht, versucht Hei­deg­ger anhand der Unterscheidung von »Grundbefindlichkeit«, Angst, und Befindlichkeit, z. B. Furcht, zu beschreiben. Darauf komme ich zurück (vgl. 3.3.3.2). Terminologisch fest macht es Hei­deg­ger an den beiden Begriffen der »Geworfenheit« und der »Faktizität«. Diese unterscheiden sich so wie Befindlichkeit und Stimmung auf der Ebene von »ontologisch« und »ontisch« bzw. »existenzial« und »existenziell«. Beide Begriffe beschreiben die Tatsache, dass Dasein sich selbst niemals verlassen kann, außer mit dem Tod, aber dann ist es eben auch kein Dasein mehr. Hei­deg­ger schreibt hierzu: »Faktizität ist nicht die Tatsächlichkeit des factum brutum eines Vorhandenen, sondern [. . .] Seinscharakter des Daseins.«304 Die Tat­ sache, dass ein Mensch einfach lebt, ohne eigenen Anteil daran, wirkt sich auf sein 300

  Hei­deg­ger, SuZ, 134.   Der damit entstehende hermeneutische Zirkel wird von Hei­deg­ger mehrmals extra erwähnt und bekräftigt. Vgl. aaO., 7 f., 152 f. u. 315 f. 302   So u. a. in der Überschrift zu Kapitel 1. des 2. Abschnitts. AaO., 235 – 267. 303   AaO., 245. 304   AaO., 135. 301

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ganzes Leben aus, das ist Hei­deg­gers Prämisse. Dabei geht es ihm darum, dass die­ ses Auswirken nicht auf der Ebene des »wahrnehmenden Sich-vor-finden«, sondern auf der Ebene des »gestimmten Sichbefinden« zu verorten ist.305 Er unterstreicht das mehrmals und betont schließlich, und hier kommt deutlich die Bedeutung für theologische Sätze zum Tod durch, dass Stimmung deutlich zu unterscheiden ist von dem, was der immer bereits gestimmte Mensch kennt, weiß oder glaubt. Dann: Auch wenn Dasein in seinem ›Wohin‹ ›sicher‹ ist oder das Woher zu wissen meint in ratio­ naler Aufklärung, so verschlägt das alles nichts gegen den phänomenalen Tatbestand, daß die Stimmung das Dasein vor das Daß seines Da bringt, als welches es ihm in unerbittlicher Rätselhaftigkeit entgegenstarrt.306

In Hei­deg­gers Denkbewegung wird jede Form von konkreter, gegenständlicher reli­ giöser Aussage über den Tod eben immer schon fundiert durch die in der »Faktizi­ tät« bzw. »Geworfenheit« gründende Stimmung bzw. Befindlichkeit des Menschen als aus rätselhaftem Ursprung (also mit unbestimmtem Woher) kommendes und in das nicht-mehr-Dasein gehendes Dasein als Sein zum Tode. Das oben gegebene Beispiel einer theologischen Unsterblichkeitslehre wäre hier mit einzubeziehen. Es wäre der genannte Fall, in welchem das Dasein ganz sicher ein Wohin glaubt. Die­ ses Wohin kann jedoch nach Hei­deg­ger nur als letztlich abgeleitete, uneigentliche, ausweichende Redeweise verstanden werden. Darauf gehe ich gleich noch ein (vgl. 3.3.2.4). An dieser Stelle lässt sich fragen, warum das Dasein ausschließlich Sein zum Tode und nicht mindestens auch Sein aus Geburt ist? Diese Anfrage hat Hei­deg­ger aller­ dings selbst gesehen und im zweiten Abschnitt von ›Sein und Zeit‹ darauf reagiert.307 Er bestimmt hier die Geburt als dem Tod ebenbürtiges Existenzial.308 Die Valenz dieser spät im Buch kommenden und recht kurzen Einsicht müsste ausführlich erhoben werden.309 Dass Geburt und Tod theoretisch Phänomene auf einer gleichen Ebene sind, dürfte klar sein. Auf der für Hei­deg­ger maßgeblichen Ebene des onto­ logisch-existenzialen allerdings spielt der Tod eine ungleich größere Rolle.310 Das Woher des Lebens ist sicherlich geheimnisvoll genug. Es bezieht sich jedoch auf das Gewesene und hat dadurch nicht den gleichen für die Stimmung ausschlaggebenden Aktualitätsbezug wie das Wohin des Daseins, das sich im Tod manifestiert. In jeder 305

 Ebd.   AaO., 136. Es sei hier nur noch einmal an Hei­deg­gers Otto-Lektüre erinnert, da auch diese Formulierung natürlich an Otto denken lässt, der den Begriff des Mysteriums oder Geheimnisses zentral für genau das hier beschriebene Phänomen einführt und mit dem Geheimnis nun natürlich sehr nahe an Hei­deg­gers »Rätselhaftigkeit« liegt. Vgl. Otto, Heilige, u. a. 13 f. 307  Vgl. Hei­deg­ger, SuZ, 372 – 377. 308   Hannah Arendt spricht später von der Gebürtigkeit. Vgl. dazu ihr Werk H. Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, 192018. 309   Vgl. hierzu C. Schües, Philosophie des Geborenseins, 2016, bes. 171 – 248. 310   Vgl. auch die Aussagen bei Vetter, der zwar interessanterweise einen eigenen Abschnitt ›Geburt und Tod‹ bietet, aber dann nur ganz kurz die Bemerkungen zur Geburt aus ›Sein und Zeit‹ diskutiert. Vetter, Grundriss, 90 – 94. 306

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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Situation des Lebens stellt sich sicherlich die Frage nach dem Woher dieser Situa­ tion. Diese wird jedoch durch die Spannung, die sich nach vorne erstreckt, über­ wogen. So kann eine Situation beispielsweise schrecklich sein, weil etwas Schreck­ liches geschehen ist. Dieses Schreckliche der Vergangenheit allerdings behält seine Schrecklichkeit nur dadurch, dass es aus dem Gewesenen in das Kommende hinein­ wirkt. Wäre etwas nur im Gewesenen schrecklich, würde es schnell seine Bedeutung verlieren. Das zeigt sich auch am Phänomen, dass Ereignisse der Vergangenheit mit zeitlichem Abstand ihre Relevanz verringern, wohingegen der Tod, als immer aus­ stehendes Ende, auf das das Leben zu geht, diesen Relevanzverlust nicht erleiden kann. Sicherlich spricht Hei­deg­ger weder in Bezug auf den Tod noch auf die Geburt von den Ereignissen, sondern eben von Existenzialien, die sich jedoch nur aufgrund der Faktizität des Daseins, die sich aus diesen Ereignissen speist, entfalten können. Und trotz dieser phänomenalen Stimmigkeit seiner Darlegung muss natürlich gesagt werden, dass diese Dramatik innerhalb der Daseinshermeneutik, die sich noch einmal am noch zu besprechenden Beispiel der Angst als Grundbefindlichkeit zeigt, auch mit der oben (vgl. 3.1.1 – 3.1.4) beschriebenen Lebenssituation Hei­deg­ gers selbst zu tun hat. Das allerdings ist systematisch folgerichtig. Die Befindlich­ keits-Analyse muss von der Befindlichkeit Hei­deg­gers abhängig sein. 3.3.2.3  Verstehen und Tod Nun habe ich beständig in Anlehnung an Hei­deg­ger vom befindlichen-Verstehen gesprochen. Dabei stellt sich die Frage, was das »Verstehen« dem Gesagten noch hinzufügt. Für was führt Hei­deg­ger das Existenzial des Verstehens ein? Auf wel­ che anthropologische Struktur reagiert Hei­deg­ger mit der Rede vom Verstehen? Das zuletzt Gesagte hat dabei schon die Antwortrichtung gewiesen. Im Verstehen geht es um das nach-Vorne des Daseins. Insofern spielt es besonders in Bezug auf den Tod, der alles nach-Vorne beendet, noch einmal eine herausragende Rolle. Es soll nun das Existenzial des Verstehens auf seine Beziehung hin zum Tod zugespitzt zur Sprache kommen. Die Grundunterscheidung zwischen »Befindlichkeit« und »Verstehen« ist nicht, wie es vielleicht annehmbar wäre, eine des Vorthematischen zum Thematischen. Im Gegenteil befindet sich das Verstehen noch genauso im Bereich des Vorthematischen wie die Befindlichkeit. Erst die »Auslegung« macht das befindliche-Verstehen thema­ tisch. Beide sind auf einer Ebene: »Gleichursprünglich mit ihr [Befindlichkeit, KS] konstituiert dieses Sein das Verstehen. Befindlichkeit hat je ihr Verständnis [. . .]. Verstehen ist immer gestimmtes.«311 Warum ist dann aber nicht alles Befindlichkeit oder alles Verstehen? Warum braucht Hei­deg­ger beide Existenzialien, um auszudrü­ cken, was er meint? Zunächst lässt sich hier antworten, dass es tatsächlich so ist, dass in jedem der beiden das andere schon vollumfänglich mitgedacht ist. Die Unter­ 311

  Hei­deg­ger, SuZ, 142.

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

scheidung ist lediglich auf der Ebene der Explikation, jedoch nicht auf der Ebene des Phänomens liegend. Befindlichkeit und Verstehen zusammen nennt Hei­deg­ger »Erschlossenheit«. Beide Existenzialien sind also nur je eine Seite der Erschlossen­ heit. Beide beschreiben dasselbe, nur eben aus einer anderen Richtung betrachtet. Während sich die Befindlichkeit primär aus dem »Gewesenen« speist, richtet sich das Verstehen auf das Zukünftige.312 Das menschliche Leben ist nach Hei­deg­ger in jedem Moment immer in beide zeitlichen Richtungen (»Ekstasen der Zeitlichkeit«) erstreckt. Was der Mensch ist, im Hei­deg­ger’schen Sinne, speist sich aus dem Gewe­ senen und erstreckt sich auf das Zukünftige. »Faktizität« und »Geworfenheit«, die beiden Äquivalentbegriffe für Befindlichkeit, zeigen diese Zeitlichkeitsdimension schon an. Ein Mensch ist geworfen, weil er einmal geworfen wurde. Dasein hat Fak­ tizität, weil der Fakt seines da-Seins einmal geschaffen wurde. Für das Verstehen hat Hei­deg­ger keine ähnlich griffigen Äquivalente. Am ehesten passt hier zur Näher­ stimmung des Verstehens seine Rede vom Dasein als »Sein-können« und »Möglich­ sein«.313 In beiden wird dann auch die Zukunftsrichtung des Verstehens deutlich. Hei­deg­ger schreibt: »Dasein ist nicht ein Vorhandenes, das als Zugabe noch besitzt, etwas zu können, sondern es ist primär Möglichsein. Dasein ist je das, was es sein kann und wie es seine Möglichkeit ist.«314 Bevor ich nun noch einmal das oben gege­ bene Zitat aus der Todesanalyse auslege und zwar auf das Verstehen hin, sei schon an dieser Stelle auf die Bedeutung des Todes für das Verstehen verwiesen. Wenn Dasein eben als Verstehen im Sinne von Möglichsein und Sein-können beschrieben wird, ergibt sich, dass alles Sein-können und alle Möglichkeiten zu einem Ende kommen mit der »eigenste[n], unbezügliche[n], gewisse[n] und als solche unbestimmte[n], unüberholbare[n] Möglichkeit des Daseins«315, welche für Hei­deg­ger der Tod ist. So ist jedes Möglichsein immer schon fundiert durch die Möglichkeit des Todes. Doch nun zurück zum oben gegebenen Zitat. Dort heißt es im ersten Satz: »So wie das Dasein vielmehr ständig, solange es ist, schon immer sein Noch-nicht ist, so ist es auch schon immer sein Ende.«316 Das menschliche Leben befindet sich nicht nur, es bezieht diese Befindlichkeit auch immer schon auf seine Möglichkei­ ten hin. Dieses Beziehen der Befindlichkeit auf die Zukunft hin ist das Verstehen. Eine besondere Form des Verstehens ist das Vorlaufen, das für die Todesanalyse zentral ist. Vorlaufen ist für Hei­deg­ger der Name für das Verstehen, das die eigene Befindlichkeit ernsthaft mit einbezieht, ihr nicht auszuweichen versucht. Er schreibt: Für die »Kennzeichnung der eigentlichen Zukunft halten wir den Ausdruck Vor­ laufen fest.«317 Es lässt sich auch sagen, dass Vorlaufen das der Grundbefindlichkeit 312   Hei­deg­ger widmet der Zeitlichkeit des Verstehens und der Zeitlichkeit der Befindlichkeit im zweiten Abschnitt jeweils eigene Paragraphen (§ 68a und b). Vgl. aaO., 336 – 339 u. 339 – 346. 313   Vgl. aaO., 143. 314  Ebd. 315   AaO., 258. 316   AaO., 245. 317   AaO., 336.

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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adäquate Verstehen ist. Die genaue Unterscheidung von Verstehen und Vorlaufen als spezielle Weise des Verstehens wird noch deutlich werden, wenn ich auf den Zusammenhang zwischen Angst und Tod eingehen werde (vgl. 3.3.3.1.e u. 3.3.3.2). Gerade die Tatsache, dass jeder kommende Moment eine unüberschaubare Viel­ zahl von Möglichkeiten bereithält, führt dazu, dass sich das befindliche-Verstehen in existenzial-hermeneutischen Als-Aussagen fassen lässt. Das Dasein als sein Nochnicht meint also, dass sich der Mensch immer als das versteht, was seine Zukunft ihm bietet. Doch kann der Mensch eben diese Zukunft nicht in sein Selbstverständ­ nis einfließen lassen, wenn es nicht aus einer bestimmten Position heraus verstanden wird, die jedoch wiederum immer schon durch das beeinflusst ist, was als Sein noch kommen kann. Dieses auf die Zukunft gerichtet-Sein beinhaltet dabei natürlich einen hohen Unsicherheitsfaktor. Ich kann mich als der Mensch auslegen, der über die Thanatologie im 20. Jahrhundert promoviert hat, doch ob ich dieser jemals sein werde, ist und bleibt dabei unklar. Das enthebt den Menschen jedoch nicht von der Notwendigkeit ein solches Verstehen immer schon zu haben. Nun gibt es nur eine Möglichkeit, die ganz gewiss ist, nämlich die, dass ich, hier stellvertretend für Jeden und Jede, einmal an mein Ende komme, sterbe. Diese sozusagen den Superlativ der Endlichkeitsdimension des Lebens ausmachende Möglichkeit ist deswegen konsti­ tutiv für alle anderen Möglichkeiten und zeigt ihren langen Schatten in jeder noch so kleinen Möglichkeit, die zu Ende geht, also in der Endlichkeit als Phänomen aller Aspekte des Daseins. Dabei liegt eine der Pointen auch hier wieder darauf, und das war schon in der Rede vom existenziell-hermeneutischen Als mitgemeint, dass die­ ses Sein-können im Verstehen eben »nie als Noch-nicht-vorhandenes aussteht, son­ dern als wesenhaft nie Vorhandenes mit dem Sein des Daseins im Sinne der Exis­ tenz ›ist‹.«318 Dass die Möglichkeiten des Verstehens jederzeit von der Befindlichkeit abhängen, ist deutlich geworden. Hei­deg­ger kann daher auch davon sprechen, dass Dasein geworfene Möglichkeit ist.319 3.3.2.4  Daseinshermeneutik als Beitrag zur Thanatologie Als bleibendes Ergebnis dieses Durchgangs durch die Grundbestimmungen der Daseinshermeneutik aus ›Sein und Zeit‹ kann folgendes festgehalten werden: 1. Es gibt immer zwei Arten von Deutungen des Todes. Eine auf der Ebene von Als-Aussagen, die »daseinsmäßiges Seiendes« zu »Vorhandenem« macht. So eine Deutung wäre beispielsweise eine gegenständlich verstandene Unsterblichkeitslehre. Diese Deutung ist dabei zunächst nicht als wertmäßig zweitrangig anzusehen. Jede Form von ausformulierter Rede wird schließlich zu einer solchen Aussage. Auch die Daseinsanalyse Hei­deg­gers macht selbstverständlich daseinsmäßiges Seiendes zu Vorhandenem. Bei der Bewertung einer solchen Deutung muss allerdings die 318

  AaO., 144.   Vgl. ebd.

319

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zweite Art von Deutung mit hinzugezogen werden. Diese ist die »existenzial-her­ meneutische« Deutung. Hier liegt zwar vorthematisch, aber noch nicht ausformu­ liert das vor, was das Dasein als befindlich-verstehendes ausmacht. In Bezug auf den Tod heißt das, dass das Dasein bereits unter dem Einfluss des Todes steht (eine Art implizite, vorthematische Deutung des Todes), bevor überhaupt die explizite Deu­ tung ausgesprochen werden kann. Diese explizite Deutung kann so nur treffend sein, wenn sie die implizite Deutung trifft oder zumindest aufnimmt und bearbeitet. 2. Dasein als befindliches-Verstehen ist immer abhängig von der Zeit, in der es lebt. Das habe ich in Bezug auf Hei­deg­ger in den ersten beiden Abschnitten die­ ses Kapitels versucht deutlich zu machen (vgl. 2.1 u. 2.2). Insofern ist die durchaus dramatische, nicht mit einem personalen Gott als Gegenüber arbeitende Anthro­ pologie Hei­deg­gers nicht ohne weiteres auf alle Zeiten übertragbar. Sie ist vielmehr eine sehr zeitspezifische, zeitbezogene.320 Nicht zu allen Zeiten und nicht bei allen Menschen gibt es die eine Grundbefindlichkeit. Solche Verallgemeinerungen kön­ nen niemals treffen. Zunächst beschreibt Hei­deg­ger hier sich selbst. Das Verhältnis von Hei­deg­ger als Person und den philosophischen Bestimmungen in ›Sein und Zeit‹ ist vergleichbar mit der Beziehung eines Literaten oder einer Literatin zu sei­ nem bzw. ihrem großen Roman, der vielerlei Menschenleben erschließt, ohne dabei Allgemeingültigkeit behaupten zu können. Insofern ist auch hier wieder einmal Thomas Rentsch zuzustimmen, wenn er schreibt ›Sein und Zeit‹ sei »der große Hei­ deg­gersche Roman über das Menschenleben.«321 3. Das führt zu einer ambivalenten Beurteilung der Bedeutung seiner Aussagen für eine heutige Thanatologie. Zum einen müsste erst noch nachvollzogen werden, ob die konkrete Ausformulierung einer bestimmten Grundbefindlichkeit, nämlich der Angst, aktuell sein kann. Zum anderen kann jedoch die unabhängig von dieser konkreten Ausformulierung liegende Bestimmung des Ortes, an welchem der Tod als Phänomen greift, übernommen werden. 4. Die formale Beschreibung des Menschen als befindliches-Verstehen jedoch, die die grundlegende Bedeutung der Stimmung für das Menschsein im Allgemeinen und eben auch für die Frage nach dem Tod zum Ausdruck gebracht hat, muss von einer theologischen Thanatologie mitbedacht werden, will sie nicht Deutungs-Aus­ sagen treffen, die der existenzial-hermeneutischen, grundlegenden Deutung zuwi­ derlaufen und damit nicht verfangen können.

320   Alle neueren biographischen Arbeiten zu Hei­deg­ger machen diesen Zusammenhang deut­ lich. Vgl. dazu Safranski, Meister und Ott, Hei­deg­ger. Günter Figal bezeichnet Hei­deg­ger gar als Propheten der Moderne. Vgl. dazu seine online zur Verfügung stehende Vorlesung: G. Figal, Hei­ deg­ger in Moderne, 2012. Ich deute auch die Ausführungen bei Pöggeler in diese Richtung, wenn er es auch nicht konkret sagt. Vgl. Pöggeler, Wege, 63 – 72. 321   Rentsch, Hei­deg­ger, 108.

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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3.3.2.5  Daseinshermeneutik und Literatur Zuletzt soll noch auf den letzten, bisher ignorierten Satz aus dem oben gegebenen Zitat eingegangen werden. Hei­deg­ger schreibt: »Sobald ein Mensch zum Leben kommt, sogleich ist er alt genug zu sterben.«322 Hei­deg­ger zitiert hier die spätmit­ telalterliche Geschichte des Ackermann aus Böhmen.323 Ein Dialog zwischen dem Tod und dem Ackermann, der jenen anklagt, weil er ihm seine Frau genommen hat. Es ist zunächst verwunderlich, dass Hei­deg­ger hier dieses Zitat anfügt. Es addiert inhaltlich eigentlich nichts zum Gesagten. Warum also zitiert Hei­deg­ger hier den spätmittelalterlichen Text? Zunächst lässt sich damit natürlich das gerade unter  2. betonte in gewissem Sinne entkräften. Wenn eine Hei­deg­gers Todesdeutung ähnliche Deutung schon in einem literarischen Text aus dem frühen 15. Jahrhundert vorkommt, ist sie zumin­ dest nicht nur seine Deutung. Allerdings, Hei­deg­ger verzichtet sonst auch auf solche Untermauerungen aus der Literatur. Ausgerechnet in den Todesparagraphen greift er jedoch noch ein weiteres Mal auf ein literarisches Werk zurück. So verweist er in Paragraph 51 auf Tolstois Novelle ›Der Tod des Iwan Iljitsch‹.324 Dies sind die einzigen beiden Stellen, an denen sich Hei­deg­ger in ›Sein und Zeit‹ auf literarische Werke bezieht.325 Was bedeutet der Tod für das menschliche Leben? Diese Frage, die für Hei­deg­ ger in den Paragraphen 46 – 53, die gleich besprochen werden, essentiell ist, lässt sich nicht objektiv von außen betrachten. Denn sie betrifft, zumindest, wenn man mehr das bloße »factum brutum« des Endes des Lebens betrachten möchte, den ganzen Bereich des menschlichen Selbstverständnisses, in welchen der Tod zu inte­ grieren ist. Wie sich dieses bildet, das beschreibt Hei­deg­ger in seiner Daseinsher­ meneutik. Dass und inwiefern der Bereich der Befindlichkeit bzw. Stimmung hier ausschlaggebend ist, habe ich gezeigt. Nur ist es eben die Frage, wie diese zunächst leere Hülle gefüllt werden kann. Der Tod wirkt auf dieser Ebene bereits, das haben die Analysen Hei­deg­gers deutlich gezeigt. Doch wie wirkt er? Was bewirkt er? Um das zu beschreiben, braucht es Quellen. Diese müssen möglichst frei sein von einem bestimmten Programm in Hinsicht auf die an sie gestellte Frage. Wenn beispiels­ weise eine christlich-theologische Abhandlung nach der Bedeutung des Todes für das menschliche Leben befragt wird, stehen die Ergebnisse von vorneherein unter einem bestimmten Blickwinkel, nämlich dem Versuch, christlich-theologisches Denken in Bezug auf die Frage nach dem Tod einzuspielen. Die zu extrahierende 322

  Hei­deg­ger, SuZ, 245.  Vgl. J. von Tepl, Der Ackermann aus Böhmen: Urtext und Übertragung, 1972. Einen ein­ führenden Kommentar bietet: Der Ackermann aus Böhmen, hg. von R. A. Zäck, 1983. 324  Vgl. Hei­deg­ger, SuZ, 254. 325   Man könnte höchstens noch Augustins Confessiones und Kierkegaards Werke, die beide nicht nur einmal, aber auch nur sehr selten (Augustin öfter) genannt werden, als literarische Werke zählen. Vgl. u. a. aaO., 190 Anm. 1. 323

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Stimmung ist somit eine bereits geformte Stimmung. Anders ist es mit Äußerungen erzählender Literatur oder, was für Hei­deg­ger noch keine Rolle spielen konnte, heut­ zutage natürlich aber eine umso größere spielt, mit Filmen und Serien. In Romanen, Erzählungen, Spielfilmen und Serien geht es in den meisten Fällen nicht darum, ein bestimmtes Programm zu begründen. Es geht, um hier noch einmal die oben (vgl. 3.1.4.1) erwähnte Eisberg-Methode Hemingways aufzunehmen, darum zu sagen wie das Leben inklusive des oftmals unter dem Meer liegenden Subtexts ist und zwar ist im Sinne von sich anfühlt. Doch wie ist es? Auf diese Frage gibt es selbstverständ­ lich nicht eine Antwort. Otto Friedrich Bollnow schreibt in Bezug auf genau die­ sen Punkt: »Das Leben in seiner unmittelbaren Fragestellung ist fließend und nicht scharf zu fassen, aber wo es sich im Ausdruck vergegenständlicht hat, da ist es fest geworden [. . .].«326 Es kann nicht darum gehen, die gesamte Breite der fließenden und uneindeutigen Lebensäußerungen über die, in unserem Fall, Bedeutung des Todes für das Leben zu sichten, sondern es kann nur darum gehen von einzelnen, eben festen und damit auslegbaren Äußerungen den Ausgangspunkt der Betrach­ tung zu nehmen. Bollnow: »je unmittelbarer diese [die Äußerungen zu bestimmten Punkten, KS] aus dem Leben hervorgegangen sind, je weniger dabei eine bestimmte Absicht mitgesprochen hat, um so höher hat man den ›Quellenwert‹ dieser Zeug­ nisse zu veranschlagen.«327 Und gerade literarische und filmische Zeugnisse eignen sich hier besonders. Zumindest, wenn man annimmt, dass die Autorin oder der Autor einen Ansatz verfolgt, wie ihn wiederum Hemingway über sein Schreiben beschrieben hat. In seinem Memoir ›A Moveable Feast‹, das 1964 aus dem Nach­ lass veröffentlicht wurde, schreibt er an einer Stelle, an der es darum geht, was er zu sich selbst gesagt hat, als er mit einer Geschichte nicht weitergekommen ist, jene berühmten Sätze: Do not worry. You have always written before and you will write now. All you have to do is write one true sentence. Write the truest sentence that you know.328

Die hier von Hemingway gemeinte Wahrheit ist natürlich keine im Sinne eines klas­ sischen korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriffs, also kein »adaequatio rei et intellectus« im Sinne etwa Thomas von Aquins.329 Der von Hei­deg­ger in Para­ graph 44 von ›Sein und Zeit‹ entwickelte Wahrheitsbegriff, der hier nur angerissen werden kann, passt jedoch sehr gut zu einem solchen literarischen Wahrheitsbegriff. Barbara Merker fasst Hei­deg­gers Wahrheitsverständnis folgendermaßen zusammen: In diesem Sinne bedeutet ›wahr-sein‹ für ihn dasselbe wie ›entdeckt-sein‹ oder, auf das Dasein selber bezogen, ›erschlossen-sein‹. Die Sachen selber sind wahr, wenn 326

  O. F. Bollnow, Das Wesen der Stimmungen, 81995, 20.  Ebd. 328   E. Hemingway, A Moveable Feast, 2000, 12. 329   Für eine Einführung in eine aktuelle theologisch-philosophische Diskussion des Wahrheits­ begriffs vgl. R. Barth, Absolute Wahrheit und endliches Wahrheitsbewußtsein, 2004, bes. 1 – 60. 327

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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sie (in der Wahrnehmung zum Beispiel) entdeckt sind, wenn sie sozusagen für uns geworden sind. Primär wahr aber ist für Hei­deg­ger das Dasein selber, weil es dasje­ nige Seiende ist, das (innerweltliches) Seiendes entdeckt und sich selber erschließt.330 Literatur im Sinne des oben mit Hemingway beschriebenen Ansatzes tut genau das. Sie »erschließt« das menschliche Leben in ausgewählter, aber eben gerade dadurch auch beispielhafter Weise. So schreibt Bollnow auch, dass gerade die philosophische Anthropologie, als deren Teil ich Hei­deg­ger, die gebotenen Unterschiede bedenkend, verstehe (s. o. 3.3.1), es zurecht des Öfteren unternehme auf »Werke der Dichter und Denker« zurückzugreifen, weil sich »in ihnen seelisches Leben rein und unverstellt von jeder fälschenden Absicht zur Darstellung« bringt.331 Dieser hier nur angerissene Zusammenhang wird (vgl. 3.3.4) nach dem Durchgang durch die Todesanalyse noch einmal aufgegriffen und vertieft werden und verweist und auch schon auf den letzten Teil dieses Kapitels, der sich mit der Thanatologie Paul Tillichs beschäftigt (vgl. 3.4). 3.3.3  Und mitten im Leben der Tod – die Todesanalyse aus ›Sein und Zeit‹ Es ist nun schon an vielen Stellen etwas Konkretes zu Hei­deg­gers Todesdeutung gesagt worden. Wenn nun hier noch einmal auf die Details dieser Deutung eingegan­ gen wird, dann kann es nicht darum gehen, jeden Abzweig dieser Analyse darzustel­ len.332 Vielmehr werden wir pointiert darauf schauen, inwiefern Hei­deg­gers Analyse heutige theologische Rede vom Tod beeinflussen soll. An dieser Stelle soll noch ein­ mal an die Hei­deg­ger-Deutung von Thomas Rentsch erinnert werden (vgl. 3.3.1.13). Er versteht Hei­deg­gers ›Sein und Zeit‹, und das macht er gerade an der Todesdeu­ tung immer wieder fest, als »gottlose Theologie«.333 Dem hier zu Grunde gelegten Theologieverständnis nach wäre Theologie jedoch sowieso gottlos, weil sie sich viel­ mehr analysierend auf religiöse Phänomene bezieht und es dabei zwar selbst unter­ nimmt Rede von Gott zu plausibilisieren, diese aber nicht betreibt. Das wäre Aufgabe der Religion selbst.334 Wird diese oben ausgeführte, zwar wichtige, aber letztlich for­ 330

  B. Merker, Die Sorge als Sein des Daseins (§§ 39 – 44), in: Rentsch (Hg.), Hei­deg­ger, 109 –  123, hier 120. Vgl. auch die schöne Zusammenfassung des § 44 bei Luckner, Hei­deg­ger, 91  –  98. 331   Bollnow, Wesen, 20 f. 332   Das ist auch schon oft getan worden. Vgl. dazu die Beiträge von Thomas Rentsch: Rentsch, Hei­deg­ger. Etwas kompakter Ders., Endlichkeit und Sinn. Noch kompakter Ders., Endlichkeit und Lebenssinn, 27 – 32. Aber auch bei Luckner findet sich eine gute Darstellung: Luckner, Hei­deg­ ger, 105 – 113. Recht früh hat sich schon Sternberger dieser Frage detailliert zugewendet. Vgl. D. Sternberger, Über den Tod, 1930. Eine detaillierte und durchaus kritische Auseinandersetzung findet sich auch bei A. Hügli / B.‑C. Han, Hei­deg­gers Todesanalyse (§§ 45 – 53), in: Rentsch (Hg.), Hei­deg­ger, 125  –  140. 333   u. a. Rentsch, Hei­deg­ger, 30. 334   Für die hier zu Grunde liegende Unterscheidung vgl. bspw. M. Laube, Die Unterscheidung von Theologie und Religion. Überlegungen zu einer umstrittenen Grundfigur in der protestanti­ schen Theologie des 20. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, 112, 2015, 449 – 467.

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

male Grunddifferenz mitgedacht, kann hier vielfach an Rentsch’ Hei­deg­ger-Deutung angeschlossen werden. Der Tod ist kein Ereignis im Leben wie etwa die Verleihung eines theologischen Doktorgrades, sondern ein Existenzial, eine Struktur, die das Leben bestimmt und zwar grundsätzlich und immer. Diese eigentlich gar nicht ein­ mal so neue Bestimmung des Todes wird von Hei­deg­ger ausführlich begründet.335 Ausgehend vom »vollen existenzialen Begriff des Todes«, der den Tod in fünf Näher­ bestimmungen entfaltet, möchte ich diese Begründung zunächst vorstellen (3.3.3.1). Daraufhin werde ich die danach entfaltete Todesdefinition in ihrer Beziehung zu den für die theologische Thanatologie bedeutenden Konzepten von Angst (3.3.3.2), Mut (3.3.3.3), Gewissen (3.3.3.4) und Geschichtlichkeit (3.3.3.5) setzen. 3.3.3.1  Der Tod und seine Bestimmungen Die Frage was ist der Tod? steht uns nun besonders vor Augen. Diese Frage ist nicht nur für das Verständnis des Denkens Hei­deg­gers interessant, sondern zielt auch auf die zentrale Problematik dieser Arbeit. Wenn ich nicht in der Lage bin, zu sagen was der Tod ist, ist meine theologische Besinnung über den Tod unvollständig. Dabei ist es maßgeblich, einzusehen, dass dieses ist, von dem hier gesprochen wird, im Sinne der oben erwähnten Copula in Hei­deg­gers Daseinshermeneutik ein hermeneuti­ sches ist ist, das damit seine Relevanz schon vor allen anderen ist entfaltet. Wenn ich also beispielsweise formuliere, der Tod ist der Übergang in das ewige Leben, dann ist dieser Aussage der hermeneutisch grundlegende Ort des Todes, um den es jetzt geht, schon vorausgehend. Doch was ist der Tod nach Hei­deg­ger? In Paragraph 52 von ›Sein und Zeit‹ findet sich der berühmt gewordene »volle existenzial-ontologische Begriff des Todes«,336 dessen fünf Bestimmungen Hei­ deg­ger in den Paragraphen 50, 51 und 52 entwickelt. Ich werden nun ausgehend von diesem Begriff, die fünf Grundbestimmungen erläutern: »Der Tod als Ende des Daseins ist die eigenste, unbezügliche, gewisse und als solche unbestimmte, unüberholbare Möglichkeit des Daseins.«337 a)  Der Tod als Ende des Daseins Zunächst fällt auf, dass Hei­deg­ger hier eine in gewissem Sinne schon präfigurierende Bestimmung einführt, die letztlich in der gesamten Todesanalyse nicht abgegolten 335   Vgl. für eine Einführung in die philosophischen Thanatologie H. Wittwer, Philosophie des Todes, 2009. In dem Reclam-Bändchen ›Der Tod‹ sind viele philosophische Grundlagentexte zur Thanatologie abgedruckt und wunderbar eingeleitet von Héctor Wittwer. Mindestens Senecas und Montaignes Todesdenken kommt dem Hei­deg­gers in vielerlei Hinsicht sehr nahe. Vgl. für eine kurze Einführung: H. Wittwer (Hg.), Der Tod. Philosophische Texte von der Antike bis zur Gegenwart, 2014, zu Seneca 74 – 94 und zu Montaigne 95 – 108. Aber auch das mittelalterliche Todesdenken überhaupt kommt diesem sehr nahe. Vgl. dazu u. a. U. Volp, Der menschliche Tod in den christlichen Gemeinden, in: Ders. (Hg.), Tod, 2018, 117 – 161, hier bes. 134 – 144. 336   Hei­deg­ger, SuZ, 258 f. 337  Ebd.

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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zu werden scheint. Diese Bestimmung ist die des Todes als »Ende des Daseins«. Es lässt sich natürlich sofort fragen, woher hat Hei­deg­ger diese Bestimmung? Woher will er wissen, dass der Tod das Ende des Daseins ist? Auf diese Fragen lässt sich mit Hei­deg­gers Ansatz in mehrfacher Weise antworten. Zunächst ist auch dieses »als« hier nicht als »apophantisches Als« anzusehen, sondern als »existenzial-onto­ logisches«. Das heißt übersetzt: Aus der Perspektive des Daseins erschließt sich der Tod nur als Ende des Lebens. Das meint nun, dass selbst, wenn es doch anders wäre und der Tod nur der Übergang in ein anderes, unserem Leben vergleichbares Leben wäre, würde es nichts an dieser existenzial-ontologischen Bestimmung des Todes als Ende des Daseins ändern. Das Dasein im Sinne von Hei­deg­gers Daseinsana­ lyse endet sicher mit dem Tod. Das gilt schon allein, weil diese Analyse es mit dem Tod enden lässt. Anders ausgedrückt: Der Mensch in der Weise, wie Hei­deg­ger ihn beschreibt, findet sein Ende mit dem Auslöschen seiner lebenserhaltenden körper­ lichen Funktionen. Das alleine zeigt jedoch nur, dass Hei­deg­gers Denken solange funktioniert, wie ich mich in den Bahnen seines Denkens aufhalte. Innerhalb seines Modells ist die Bestimmung des Todes als Ende des Daseins folgerichtig, auch wenn nicht noch einmal extra nachgewiesen wird, dass der Tod das Ende des Daseins ist. Sodann müsste also gefragt werden, ob das Dasein als befindliches-Verstehen sich auf den Tod notwendig als Ende des Daseins bezieht. Oder gibt es auch eine andere Möglichkeit? Diese Frage lässt sich für das Hei­deg­gersche Konzept erst beantwor­ ten, wenn die Frage nach der »Geschichtlichkeit des Daseins« gestellt wurde. Daher muss eine detaillierte Beantwortung dieser Frage zunächst noch unterbleiben (vgl. aber 3.3.3.5). Hier bereits lässt sich jedoch soviel sagen: Dass der Tod als Existenzial eine grund­ legende Rolle für den Menschen spielt, ist unabhängig von der Art und Weise, in der er eine tragende Rolle spielt. Diese Art und Weise allerdings, also ob er als Ende des Daseins oder z. B. als Übergang in ein anderes Dasein oder als noch etwas anderes eine solche Rolle spielt, das hängt von geschichtlichen Grundlagen ab, auf denen sich das befindliche-Verstehen konstituiert. Schließlich ließe sich also durchaus denken, dass der Tod als Übergang verstanden das Dasein zwar wie in Hei­deg­gers Denken existenzial-ontologisch ausmacht, aber eben mit einer anderen Zielrichtung. Dass Hei­deg­ger das Dasein mit dem Tod enden lässt, ist seinem persönlichen befindli­ chen-Verstehen als Mann in Deutschland im Jahr 1926, der aus einer streng katho­ lischen Familie und Lebensumgebung in die denkerische Freiheit der Philosophie vorgestoßen ist (vgl. 3.1) und nun von diesem Standpunkt aus über die Endlichkeit des Lebens redet, geschuldet. Mithin ist es von Hei­deg­gers Geschichtlichkeit abhän­ gig (vgl. 3.3.3.5). In Bezug auf diesen ersten Teil des Todesbegriffs ergibt sich also ein ambivalentes Ergebnis: Hei­deg­gers Bestimmung des Todes als Ende des Daseins ist zwar innerhalb seines Denkens folgerichtig, kann aber durchaus angefragt werden. Seine daseinshermeneutische Bestimmung des Menschen als befindliches-Verstehen wird dadurch jedoch in keiner Weise aufgehoben. Vielmehr gilt es im Folgenden zu überprüfen, ob die weiteren Bestimmungen des Todes von dieser ersten, quasi ein­

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

geschlichenen, abhängig sind, oder auch ohne diese bzw. mit einer anderen hier ein­ gefügten Bestimmung funktionieren würden, beispielsweise mit dem Tod als uner­ gründlichem Geheimnis des Lebens. b)  Der Tod als Möglichkeit Nachdem Hei­deg­ger den Tod als »Ende des Daseins« bezeichnet, geht er im oben genannten vollen Todesbegriff dazu über, die fünf bekannten Bestimmungen des Todes zu nennen. Diese hat er in den Seiten davor entwickelt und ausführlich begründet. Die Bestimmungen sind jedoch keine des Todes an sich, sondern des Todes »als Möglichkeit«. Insofern soll zunächst noch dieser Teil des Todesbegriffs geklärt werden: Was meint die Rede vom Tod als Möglichkeit? Die »Möglichkeit als Existenzial« wird von Hei­deg­ger in den HermeneutikParagraphen, genauer im Verstehens-Paragraph 31, eingeführt, er nennt sie »die ursprünglichste [. . .] ontologische Bestimmtheit des Daseins.«338 Sie könne über­ haupt nur gesehen werden, weil »das Verstehen als erschließendes Seinkönnen« für das Dasein grundlegend ist.339 Möglichkeit gehört für ihn streng zusammen mit Ver­ stehen. Wie oben gesehen (vgl. 3.3.1.4 u. 3.3.2.3) bezieht sich das Verstehen maß­ geblich auf die Zukunft. Der Mensch versteht sich immer als etwas, was er sein wird. Das heißt nicht, dass das, als was sich der Mensch versteht, nicht schon eingelöst sein kann, in der Weise des Verstehens, aber ist es immer nur nach vorne hin zu beziehen. Auch, wenn ich mich auf etwas Gewesenes verstehe, also beispielsweise als derjenige, der einmal Student der evangelischen Theologie war, bezieht sich dieses Verstehen nach vorne. Das lässt sich in Bezug auf das gegebene Beispiel etwa so fas­ sen: Ich verstehe mich als derjenige, der einmal Student der evangelischen Theologie war, und nun darüber nachdenkt, was er damit anfangen soll oder was das für mein Leben bedeutet oder wie die damaligen Erfahrungen mich noch prägen usw. Der Mensch ist für Hei­deg­ger immer nach vorne hin ausgerichtet und diese Richtung fasst er im Existenzial des Verstehens. Die Möglichkeit nun ist das, auf was hin sich der Mensch im Verstehen entwirft. Dabei sind diese Möglichkeiten natürlich nicht unendlich. Vielmehr eben schon dadurch, dass »das Dasein als wesenhaft befindli­ ches je schon in bestimmte Möglichkeiten hineingeraten« ist, eingeschränkt.340 Trotz dieser Einschränkung bleiben allerdings noch viele Möglichkeiten, sodass Hei­deg­ ger sagen kann: das »Dasein ist ihm selbst überantwortetes Möglichsein, durch und durch geworfene Möglichkeit.«341 Wenn nun Hei­deg­ger den Tod als Möglichkeit fasst, dann meint das, dass der Tod etwas ist, was in der Zukunft liegt, vielleicht sogar noch weit in der Zukunft, was aber, das unterscheidet den Tod von allen ande­ ren Möglichkeiten, ganz sicher zu meinen sich einlösenden Möglichkeiten gehört. 338

  AaO., 144.  Ebd. 340  Ebd. 341  Ebd. 339

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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Diese Möglichkeit Tod nun, das ist zumindest Hei­deg­gers These, ist so zentral, dass sie das menschliche Leben bestimmt wie nichts anderes. Dabei meint Hei­deg­ger hier wiederum nicht, dass dieses Bestimmen ein bewusstes wäre. Er sagt, dass das Dasein immer auf Möglichkeiten hin entwerfend ist, also in jedem Moment sich aus seiner »Befindlichkeit« in die Zukunft hin versteht. Dieses Verstehen als »Entwer­ fen« ist so zu verstehen, dass »dieses das, woraufhin es entwirft, die Möglichkeiten, selbst nicht thematisch erfaßt.«342 Die Pointe des Todes als Möglichkeit ist also wie­ der: Er wirkt unterschwellig, unbewusst, unthematisch auf der Ebene des befindli­ chen-Verstehens und gleichzeitig umso stärker. In jedem Moment meines Lebens, so könnte man dieses Denken übersetzen, ist mein Selbstverständnis von meiner End­ lichkeit beeinflusst, auch ohne, dass es mir bewusst ist. Nun gilt es hier jedoch das oben gerade Gesagte (vgl. 3.3.3.1.a) zu beachten: Wie die Endlichkeit mich jedem Moment bestimmt, hängt davon ab, in welcher »Geschichtlichkeit« sich mein Dasein befindet (vgl. 3.3.3.4)! In Hei­deg­gers Fall bestimmt es ihn als das unausweichliche Ende, das immer mitschwingt, und dem Augenblick, das ist sein Zentralbegriff für dieses Denkmodell,343 endlichen Wert gibt. Das hängt jedoch damit zusammen, dass er den Tod als Ende des Daseins in sein Selbstverständnis integriert hat. c)  Der Tod als eigenste, unbezügliche, unüberholbare Möglichkeit Die hinter diesen Bestimmungen stehenden Gedanken finden sich in Paragraph 50.344 Hei­deg­ger schreibt: »Der Tod ist eine Seinsmöglichkeit, die je das Dasein selbst zu übernehmen hat.«345 Dann beginnt er mit der Aufzählung der Bestimmungen. Zuerst: »Mit dem Tod steht das Dasein selbst seinem eigensten Seinkönnen bevor.«346 Hier rekurriert Hei­deg­ger auf den allgemein bekannten Gedanken, jeder stirbt sei­ nen Tod allein, der sich, wie viele der Gedanken, die Hei­deg­ger in seiner Todes­ analyse formuliert, auch schon im biblischen Buch Kohelet findet.347 Den Tod kann einem kein Mensch abnehmen, an diesen Gedanken schließt Hei­deg­ger an. Jedoch hat die Bestimmung »eigenste Möglichkeit« noch weitere Implikationen. Mit der Möglichkeit des Todes steht dem Menschen für Hei­deg­ger sein eigenstes Selbstsein vor Augen.348 Hier steht das Eigentlichkeitsdenken Hei­deg­gers im Hintergrund. Es gibt ein eigentliches und ein uneigentliches Dasein (vgl. 3.3.1.3, 3.3.1.7 u. 3.3.1.8) 342

  AaO., 145.   Der Augenblick ist die »eigentliche Gegenwart«. Vgl. aaO., 338. 344  Vgl. Rentsch, Hei­deg­ger, 28 f. Vgl. auch Hügli / Han, Todesanalyse, 132. 345   Hei­deg­ger, SuZ, 250. 346  Ebd. 347   Vgl. für diese interessante Parallele, die Bemerkungen zum Thema Tod bei Kohelet bei: A. A. Fischer, Tod und Jenseits im Alten Orient und im Alten Testament, 2014, 200 – 209. Einen detaillierten Vergleich von Hei­deg­ger und Kohelet findet man bei M. Shuster, Being as Breath, Vapor as Joy. Using Martin Hei­deg­ger to Re-Read the Book of Ecclesiastes, in: Journal for the study of the Old Testament 33, 2008, 219 – 244. 348  Vgl. Hei­deg­ger, SuZ, 263. 343

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und der Tod weist die Richtung in das eigentliche Dasein. Hei­deg­ger arbeitet hier mit einem Vielfachen an Subtext. »Memento Mori heißt gnothi seauton«349 (vgl. 2.3.4.3) hatte Eberhard Jüngel seine Todesanalyse in Anlehnung an Hei­deg­ger for­ muliert. Das trifft als Zusammenfassung der vielen hier in den Todesbestimmungen zusammenlaufenden Gedanken Hei­deg­gers Denken gut, wenn es natürlich auch eine pointierte Zuspitzung ist. Der Mensch muss, so lässt es sich normativ formulieren, und diese Normativität steckt zumindest unterschwellig auch in Hei­deg­gers Bestim­ mungen, sich selbst als Sterbender verstehen. Nur dann versteht er sich richtig. Nur dann erkennt er seine eigenste Möglichkeit. Unter diesen Bedeutungen, die Hei­deg­ ger selbst hier alle impliziert, liegt immer aber noch die Ebene der Möglichkeit, auf der wir uns hier befinden. Auch als eigenste bleibt der Tod Möglichkeit. D. h. es geht nicht darum wie ich mich bewusst oder thematisch auf den Tod beziehe, sondern darum wie sich der Mensch bereits unthematisch, vorbewusst auf den Tod bezieht. Und auch das tut er nach Hei­deg­ger so, dass er den Tod als dasjenige weiß, was ihm wie nichts anderes bevorsteht. Wenn man ernst nimmt, wie Hei­deg­ger den Begriff der Möglichkeit fasst (vgl. 3.3.3.1.b), dann lässt sich die Zuspitzung Jüngels beispiels­ weise nicht mehr als Hei­deg­gers Denken adäquat bezeichnen, was Jüngel allerdings auch gar nicht tut. Es ist mehr ein Weiterdenken Hei­deg­gers. Denn das »Vorlaufen« (vgl. 3.3.1.7, 3.3.1.8, 3.3.1.10 u. 3.3.2.3, sowie 3.3.3.1.e), auf das wir gleich noch kom­ men werden, das in Hei­deg­gers Denken beschreibt wie der Übergang vom unei­ gentlichen in das eigentliche Dasein vonstatten geht, ist dann eben kein bewusster Akt. Ich kann mich nicht entscheiden vorzulaufen, wenn das Vorlaufen eine spezielle Form des »Verstehens« ist. »Verstehen« wie »Befindlichkeit« sind die vorthemati­ schen Konstitutionsformen des Daseins und lassen sich nicht einfach bestimmen. Vielmehr muss eine grundlegende Veränderung vollzogen werden, damit sich das befindliche-Verstehen als eigentliches entpuppt. Die hier zugrundeliegende Proble­ matik ist mit der Frage nach der Entstehung des Glaubens in der christlichen Tradi­ tion vergleichbar. Und dieser Gedanke, der letztlich schon bei Kierkegaards Eigent­ lichkeitsdenken zentral war,350 steht bei Hei­deg­ger, der, wie mehrfach gezeigt, stark vom christlichen Denken beeinflusst ist, im Hintergrund. Es bleibt für uns also die Frage, was sich verändern muss, damit der Mensch vorlaufen kann (vgl. 3.3.3.1.e). Nachdem Hei­deg­ger den Tod als die eigenste Möglichkeit bestimmt hat, ergänzt er diese Bestimmung durch folgende: »Wenn das Dasein als diese Möglichkeit sei­ ner selbst sich bevorsteht, ist es völlig auf sein eigenstes Seinkönnen verwiesen. So sich bevorstehend sind ihm alle Bezüge zu anderem Dasein gelöst.«351 Diese Bestim­ mung nennt Hei­deg­ger »Tod als unbezügliche Möglichkeit«. Was hier gemeint ist, hängt eng mit dem Tod als eigenster Möglichkeit zusammen. Hei­deg­ger sagt sogar: 349

  Jüngel, Tod, 64.   Vgl. u. a. Kierkegaard, Krankheit, 29 – 32. Vgl. dazu Ringleben, Krankheit, 153 f. Grund­ legend zum Verhältnis verweise ich wieder auf Thonhauser, Zeichen. 351   Hei­deg­ger, SuZ, 250. 350

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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»Die eigenste Möglichkeit ist unbezügliche.«352 Wenn es um das Sterben geht, dann spielen die Bezüge dieser Welt keine Rolle mehr. Ob ich reich bin, ob ich arm bin, ob ich Doktor der Theologie bin und alle anderen weltlichen Errungenschaften versin­ ken in Bedeutungslosigkeit angesichts des Todes.353 So zumindest deutet es Hei­deg­ ger. Auch hier ist er sehr nahe an den Gedanken des biblischen Buches Kohelet.354 Hei­deg­ger ist nicht zuletzt aufgrund dieser Gedanken immer wieder Solipsismus vorgeworfen worden.355 Doch neben diesem Vorwurf ist die Frage hier vor allem: Stimmt das denn auf der Ebene der Phänomenbeschreibung? Gerade die spätmittelalterliche »ars mori­ endi« hatte die Sterbestunde zum Ort der Entscheidung über Heil oder Unheil gemacht. Das findet sich nicht nur auf berühmten Gemälden, wie etwa Hieronymus Boschs ›Der Tod des Geizhalses‹, sondern auch in Luthers schon erwähntem Ser­ mon.356 Im Sterbemoment, das wird durch diesen Verweis unterstrichen, verlieren die Bezüge des Lebens an Bedeutung. Es kommt, zumindest in dieser Denktradition, darauf an, im Moment des Sterbens zu glauben. Insofern könnte man Hei­deg­ger zunächst zustimmen. Doch, dass sie an Bedeutung verlieren, bedeutet wiederum nicht, dass ihre Bedeutung völlig schwindet. Im Gegenteil: Denn gerade um in der Sterbestunde glauben zu können, sind die Bezüge dann wiederum sehr wichtig. Wer begleitet mich, wie habe ich mich innerlich darauf vorbereitet, solche Beziehungsbe­ stimmungen beeinflussen auch im Moment des Sterbens das Selbstverständnis. Hier scheint Hei­deg­ger die Bedeutung von anderem Dasein und auch von Mitsein zu unterschätzen oder kleinzureden, um seine Pointe zu untermauern, dass der Tod als Struktur klarmacht, dass es im Leben auf mich selbst ankommt. Hei­deg­ger erläutert die Bestimmung der Unbezüglichkeit noch, indem er sagt: »Der Tod ›gehört‹ nicht indifferent nur dem eigenen Dasein zu, sondern beansprucht dieses als einzelnes. Die im Vorlaufen verstandene Unbezüglichkeit des Todes vereinzelt das Dasein auf es selbst.«357 Hier wird wieder einmal deutlich, dass es Hei­deg­ger an vielen Stel­ len gelingt, letztlich altbekannte, sogar trivial erscheinende Sinnsprüche zu plausi­ bilisieren. »Ein jeder ist seines Glückes Schmied«, das macht der Tod als Struktur überdeutlich. Allerdings, und hier eben liegt die immer wieder zu betonende Pointe der Hei­deg­ger’schen Analyse, wird die Entscheidung, ob ich nun ein guter oder ein schlechter Schmied bin, bereits im befindlichen-Verstehen vorthematisch getroffen. Genau um diesen Bereich gilt es sich also zu kümmern, wenn, um im Bild zu blei­ ben, die Fähigkeiten als Schmied verbessert werden sollen.358 352

  AaO., 263.  Vgl. Hügli / Han, Todesanalyse, 132. 354   Vgl. neben den oben genannten Verweisen auch A. A. Fischer, Art. Tod (AT), in: WiBiLex, hier bes. 2.3. 355  Vgl. Luckner, Hei­deg­ger, 107 – 111; und auch Rentsch, Hei­deg­ger, 29. 356   Vgl. dazu u. a. P. Ariès, Geschichte des Todes, 122009, 134 – 141. 357   Hei­deg­ger, SuZ, 263. 358   Dieser Aspekt wird bei der Kritik an Hei­deg­ger bei Hügli / Han übersehen. Vgl. Hügli / Han, Todesanalyse, 133 ff. 353

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

Die dritte hier schon genannte Bestimmung ist dagegen weniger kritisch zu betrachten. »Als Seinkönnen vermag das Dasein die Möglichkeit des Todes nicht zu überholen. Der Tod ist die Möglichkeit der schlechthinnigen Daseinsunmöglich­ keit.«359 Hiermit ist gemeint, dass der Tod als »mein Tod« niemals gewesen sein wird. Er geht dem Menschen immer voraus und zwar in einer Weise, die Hei­deg­ger so meint, dass hier wieder die Aspekte aus den schon genannten Bestimmungen eine Rolle spielen. Der Tod kann nicht nur nicht überholt werden, in der Weise, dass er für mich einmal gewesen sein wird, sondern er lässt sich auch nicht durch vorbeu­ gende Maßnahmen überholen. Ein Mensch kann sich zwar schon zu Lebzeiten ein Denkmal errichten und sich so einreden, seinen eigenen Tod zu überholen, indem er für die eigene, bleibende Relevanz gesorgt hat. Doch ist das nur ein Vorgaukeln. Der Tod steht immer bevor, kann jederzeit eintreten und alle Pläne, seien sie noch so ausgefeilt, ad absurdum führen. Unter anderem hier hat Jean-Paul Sartre Hei­deg­ ger kritisiert und weitergedacht.360 Dieses Strukturmerkmal des Todes unterstreicht Hei­deg­ger, wenn er durch die Bestimmung der »Unüberholbarkeit« letztlich den Tod als superlativischen Kontingenzmarker des Lebens beschreibt. d)  Der Tod als gewisse, unbestimmte Möglichkeit Woher weiß ich eigentlich, dass ich einmal sterben werde? Diese Frage, die in der Geschichte der Thanatologie immer wieder gestellt wurde, liegt hier nun im Hinter­ grund, wenn Hei­deg­ger in Paragraph 52 die bisherigen drei Bestimmungen durch zwei weitere ergänzt. Max Scheler hatte bereits 1914 in seiner allerdings erst post­ hum erschienen Abhandlung ›Tod und Fortleben‹ geschrieben: »Ein Mensch wüßte in irgendeiner Form und Weise, daß ihn der Tod ereilen wird, auch wenn er das einzige Lebewesen auf Erden wäre [. . .].«361 Diese »intuitive Todesgewissheit« die Scheler unter anderem auch an den im Alter kleiner werdenden Lebensmöglich­ keiten festmacht, passt gut zu Hei­deg­gers Todesbestimmung der »Gewißheit«.362 Denn auch hier ist die Gewißheit nicht an das wirkliche, erfahrene Sterben anderer geknüpft, sondern vorthematisch gegeben, wenn auch durch die »Geschichtlichkeit« des befindlichen-Verstehens (vgl. 3.3.3.5) das Sterben der anderen hier vorthema­ tisch wirkt. Hei­deg­ger erläutert, was er meint in zwei Sätzen, die in ihrer inhaltlichen Dichte nur mit dem Gesamtkonzept von ›Sein und Zeit‹ im Hintergrund verstanden werden können. Aufgrund des fortgeschrittenen Zustandes der hier gegebenen Dis­ kussion, können wir sie allerdings erklären: 359

  Hei­deg­ger, SuZ, 250.  Vgl. J.‑P. Sartre, Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, 9 2003, 919 – 950. 361   Max Scheler, Tod, 16. 362   Paul Ludwig Landsberg setzt sich auch mit dieser Frage auseinander und diskutiert Sche­ lers Antwort, bevor er zu einem eigenständigen Antwortversuch kommt. Vgl. bei Landsberg, Erfahrung, bes. 24 – 29. 360

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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Eines Seienden gewiß-sein besagt: es als wahres für wahr halten. Wahrheit aber bedeutet Ent­ decktheit des Seienden. Alle Entdecktheit aber gründet ontologisch in der ursprünglichen Wahrheit, der Erschlossenheit des Daseins.363

Wahrheit ist für Hei­deg­ger (vgl. 3.3.2.5) »Entdeckt-sein«. Wahrheit in Bezug auf sich selbst, bedeutet für Hei­deg­ger folglich, zu entdecken, dass man sterben wird. Wer diese Tatsache aus seinen Lebensentwürfen ausblendet, der ist nicht in Wahrheit. Ein Seiendes als »wahres für wahr halten« lässt natürlich wieder an den hermeneuti­ schen Zirkel denken (vgl. 3.3.2.2), den Hei­deg­ger allen Auslegungen zugrunde legt. Wahrheit ist nichts Abstraktes für ihn, nichts, was außer meiner selbst, ent-deckt werden könnte. Vielmehr geht es darum, eine Struktur, die das eigene Leben durch­ zieht und maßgeblich beeinflusst, als solche auch zu erkennen und zu integrieren. Die Endlichkeit des Lebens ist die Struktur des Lebens, die es gilt anzuerkennen, und in den eigenen Lebensentwurf adäquat einzubauen. Damit erkenne ich das Wahre als Wahres an. Die Ursprüngliche Wahrheit, die hier im Zitat genannt wird, die Erschlossenheit, ist der Überbegriff für die Daseins-Struktur des befindlichen-Ver­ stehens. Erschlossen ist das Leben, wenn es als befindliches-Verstehen gesehen und gelebt wird. Gewißheit ist für Hei­deg­ger eng an Wahrheit angelehnt. »Gewißheit aber gründet in der Wahrheit oder gehört ihr gleichursursprünglich zu.«364 Der Unterschied zwischen Gewißheit und Wahrheit ist für Hei­deg­ger lediglich, dass Gewißheit »die Überzeugung«365 ist und Wahrheit eben das, worauf sich die »Überzeugung« bezieht. In der Bestimmung des Todes als »gewiße Möglichkeit« liegt also zum einen wieder die Anerkenntnis, dass er so sicher wie nichts anderes kommen wird. Zum anderen aber liegt hier auch der Gedanke miteinbezogen, dass der Tod den Menschen wie nichts sonst sich selbst ent-decken lässt. Es zeigt sich, dass die verschiedenen Todes­ bestimmungen sich in gewisser Weise überlappen. Einer der Gründe, warum Hei­ deg­ger den Tod als gewisse Möglichkeit bezeichnet, ist sicher auch, dass er die, oben anhand der intuitiven Todesgewißheit Schelers erwähnte, Frage danach, woher der Mensch eigentlich weiß, dass er sterben wird, von der reinen empirischen Evidenz im Sinne eines ›bisher sind noch alle gestorben‹ weg hin zu einer im Bereich der Existenzialien verankerten Antwort entwickeln wollte.366 Nun fehlt nur noch die Bestimmung des Todes als »unbestimmt«. Die scheinbare Widersprüchlichkeit dieses Satzes liegt auch in der Bestimmung als unbestimmt mitgedacht. Denn einerseits ist es sicher, dass der Tod kommen wird und ande­ rerseits ist es nie sicher, wann. Die einzige Weise, Sicherheit über den Zeitpunkt

363

  Hei­deg­ger, SuZ, 256.  Ebd. 365  Ebd. 366   Hügli und Han verweisen ebenso auf Scheler und erklären, Hei­deg­ger lasse es offen, woher die Todesgewissheit komme. Das sehe ich so nicht, erklärt er doch, dass sie im befindlichen-Verste­ hen mitangelegt, mithin vorthematisch erkannt ist. Er ist dabei nahe an Schelers intuitiver Todesge­ wissheit. Vgl. Hügli / Han, Todesanalyse, 135. 364

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

zu erlangen, ist sich selbst zu töten. Da dies nicht der Normalfall ist, bleibt der Tod immer unbestimmt. Der Tod ist »jeden Augenblick möglich [. . .]. Mit der Gewißheit des Todes geht die Unbestimmtheit seines Wann zusammen.«367 Auch diese Todes­ bestimmung ist für Hei­deg­ger wiederum eine Struktur des Lebens. Dass der Mensch jeden Augenblick mit dem Tod rechnen muss, macht das Leben, wenn der Mensch sich dieser ständigen Todesbedrohung bewusst ist, unheimlich. D. h. es ist nicht möglich richtig zuhause im Leben zu sein, sich bürgerlich niederzulassen.368 Jeden Moment droht der Rauswurf aus dem eigenen Leben. e)  Vorlaufen in den Tod Ganz zum Schluss seiner Todesanalyse gibt Hei­deg­ger ein Art Fazit des Gesagten. Der gesamte, sechs Zeilen umfassende Satz ist im Buch kursiv gedruckt, was auf die besondere Bedeutung dieser Passage hindeutet. Dort heißt es: Das Vorlaufen enthüllt dem Dasein die Verlorenheit in das Man-selbst und bringt es vor die Möglichkeit, auf die besorgende Fürsorge primär ungestützt, es selbst zu sein, selbst aber in der leidenschaftlichen, von den Illusionen des Man gelösten, faktischen, ihrer selbst gewissen und sich ängstenden Freiheit zum Tode.369

Ich möchte nun nicht wiederholen, was oben schon zum »Vorlaufen« gesagt wurde (vgl. 3.3.1.7, 3.3.1.8, 3.3.1.10 u. 3.3.3.1.c), vielmehr geht es darum, den speziellen Zusammenhang zwischen Tod und »Vorlaufen« aufzuzeigen. Der Tod ist, wie nun ausführlich dargelegt, kein Ereignis im Leben des Menschen. Er kann als eigener Tod, und nur darum geht es Hei­deg­ger, im Leben des Menschen nicht Wirklichkeit werden, denn, wenn der Tod da ist, ist das Leben nicht mehr da.370 Aber wie nur reagiert man adäquat auf etwas, was nur Möglichkeit ist? Man muss sich diese Mög­ lichkeit präsent machen, sie sich in Gedanken rufen, antizipieren.371 So könnte das Vorlaufen gedeutet werden. Soweit leuchtete Hei­deg­gers Denken wohl recht leicht ein. Wenn sich der Mensch den eigenen Tod in Gedanken ruft, dann wird er das eigene Leben anders sehen, als wenn er so lebt, als sei er unsterblich. Das steckt auch im oben genannten Zitat. Durch das Vorlaufen kann ein Mensch selbst sein. Und zwar auf eine Weise, die unabhängig von anderen ist. Was man so tut auf dieser Welt, das kann der Mensch, der vorläuft in seinen Tod, durchschauen und sich frei machen davon. Selbst-sein bedeutet dann aber »in der Freiheit zum Tode« sein. Das bedeutet, dass der Mensch anerkennt, dass sein eigener Tod, den er selbst alleine sterben muss, ganz sicher aber an einem unbekannten Zeitpunkt kommt, ohne dass 367

  Hei­deg­ger, SuZ, 258.   Vgl. aaO., 296. 369   AaO., 266. 370   Das ist natürlich stark von Epikur beeinflusst. Vgl. dessen berühmten Ausspruch: »wenn ›wir‹ sind, ist der Tod nicht da; wenn der Tod da ist, sind ›wir‹ nicht.« Epikur, Briefe. Sprüche. Werkfragmente, hg. von H.‑W. Krautz, 1980, 45. 371  Vgl. Luckner, Hei­deg­ger, 112  f. 368

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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er etwas daran ändern könnte, und dass dieser Mensch durch diese Anerkenntnis sich frei von den unbedeutenden Dingen dieser Welt und seines Lebens ganz, rein, ursprünglich als ein geworfenes und wieder herausgeworfen werdendes Geschöpf ohne Schöpfer und damit als frei versteht. Doch warum und wie kann ein Mensch vorlaufen?372 Diese Frage klärt Hei­deg­ger in der Todesanalyse nicht. Er legt ledig­ lich dar, dass diese Möglichkeit dem Dasein gegeben ist. Vorlaufen, das habe ich oben (vgl. 3.3.2.3) darlegt, ist eine Form des Verstehens. Insofern ist es etwas, das vorthematisch abläuft. Eine Interpretation des Vorlaufens wie oben, die es aus dem Vorthematischen herausholt, scheint so fraglich. Eine bewusste Entscheidung für das Vorlaufen ist nicht denkbar. Vielmehr hängt auch hier, so deute ich es zumin­ dest, alles an der »Geschichtlichkeit des Daseins« (vgl. 3.3.3.5). Was ist nun die Bedeutung der Todesbestimmungen für die Todesanalyse Hei­ deg­gers in unserer Aufnahme dieser? Die Bestimmungen des Todes sind zwar alle­ samt einleuchtend, aber eigentlich nicht weiter neu. Die gegebenen Verweise auf die geistesgeschichtlichen Vorläufer von Epikur, zu Seneca, Luther und Montaigne und Tolstoi, sowie zu dem Zeitgenossen Scheler, haben das gezeigt. Was ist also die inno­ vative Kraft dieser Bestimmungen? Sie sind zu verstehen als Nuancen der Todesstimmung, die im Leben herrscht. Wenn mit Hei­deg­ger gesagt werden kann, die eigene Endlichkeit ist eine Struktur, die auf den Ebenen von Befindlichkeit und Verstehen vorthematisch alle Momente des Lebens grundiert, dann geben die Bestimmungen einerseits Argumente für diese These zur Hand, weil sie die Herausgehobenheit der Struktur Endlichkeit (Tod) klar­ machen und andererseits verweisen sie eben auch immer schon auf die Art und Weise wie diese Struktur das Leben maßgeblich bestimmt: Sie machen klar, dass es das eigene Leben ist, was vergeht, dass dabei aber letztlich unbestimmt bleiben muss, was eigenes Leben bedeutet, dass aber dennoch gerade in dieser Anerkenntnis klar wird, dass es gewiss mein eigenes Leben ist, das ich zu formen habe, dass die Bezüge zu anderen Menschen und Dingen durch die eigene Endlichkeit, zwar nicht verschwinden oder irrelevant werden, aber zumindest an Bedeutung verlieren und dass genau diese Punkte, so lange man lebt, immer aktuell bleiben werden, mithin nicht überholbar sind. 3.3.3.2  Der Tod und die Angst Angst bestimmt Hei­deg­ger als die »Grundbefindlichkeit« des Daseins (vgl. für die­ sen ganzen Abschnitt auch 3.3.2.2). Es ließe sich nun leicht einwenden, dass diese Bestimmung der Grundbefindlichkeit zutiefst subjektiv und zeitbezogen ist. Und dieser Vorwurf ist auch erhoben worden.373 Hei­deg­ger, das haben wir oben gesehen (3.1), war spätestens von Beginn seiner Studienzeit an selbst immer wieder von Angst 372

  Vgl. AaO., 112 f.  Vgl. Rentsch, Hei­deg­ger, 29.

373

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

mindestens begleitet.374 Das haben die Hinweise auf die Abschnitte seines Lebens, in denen er Pläne abbrechen musste, weil sein Herz nicht mitmachte, gezeigt. Und auch die Tatsache, dass die Zeit der Entstehung von ›Sein und Zeit‹ eine war, die sicher in vielerlei Hinsicht Angst machen konnte, habe ich ausgeführt (vgl. 3.1.4).375 Diese Ein­ wände spiegeln sich beispielsweise bei Safranski wider, wenn er schreibt: »Selbstver­ ständlich lebt Hei­deg­gers Philosophie der Angst auch aus der allgemein krisenhaften Stimmung der zwanziger Jahre.«376 Und doch träfe dieser Vorwurf nicht den Kern der Bestimmung der Angst als Grundbefindlichkeit. Das liegt an der engen Verbin­ dung zwischen Tod und Angst, beides nun als Hei­deg­gersche Konzepte verstanden. Diese enge Verbindung möchte ich im Folgenden noch einmal unterstreichen.377 »Befindlichkeit« und »Verstehen« sind die zwei Existenzialien, die Hei­deg­ger für das Menschsein als grundlegend beschreibt. Zusammen als befindliches-Verstehen sind sie das Grund-Existenzial. Die Befindlichkeit oder eben auch Stimmung ist beschrieben worden als die unthematische, damit also auch vorbewusste menschliche Teilhabe an den Gegebenheiten des Lebens, die, das zeigt die enge Verbindung zum Verstehen, und auch die mit zu denkende Fundierung der Befindlichkeit im eigenen, körperlichen Wohl-befinden oder auch Unwohl-befinden, nicht frei ist vom menschlichen Eigenan­ teil. Befindliches-Verstehen ist also der letztlich immer ungenügend bleiben müssende Versuch ein erstes Existenzial (Hei­deg­gers Begriff für das, was in der philosophischen Tradition die Kategorie ist)378 für die Bestimmung dessen zu finden, was es bedeutet Mensch zu sein. Für dieses Menschsein ist es nach Hei­deg­ger, und diese Einsicht sollte auch heute jeder Anfrage standhalten, grundlegend, was er folgendermaßen fasst: Auch wenn Dasein im Glauben seines ›Wohin‹ ›sicher‹ ist oder um das Woher zu wissen meint in rationaler Aufklärung, so verschlägt das alles nichts gegen den phänomenalen Tat­ bestand, daß die Stimmung das Dasein vor das Daß seines Da bringt, als welches es ihm in unerbittlicher Rätselhaftigkeit entgegenstarrt.379

Auch wenn ich in einem religiösen Sinne glaube oder in einem wissenschaftlichen Sinne weiß, wird es nicht das Geheimnis des Lebens lösen.380 Das Leben bleibt ein 374   Wie oben in Abschnitt 2.1 gezeigt, wird eine solche Sichtweise auch bei Ott und Safranski impliziert. Vgl. Ott, Hei­deg­ger, 45 – 119 u. Safranski, Meister, 30 – 71. 375  Vgl. Gumbrecht, 1926. 376   Safranski, Meister, 185. 377   Vgl. hier meinen Aufsatz Sacher, Glaube. 378  Vgl. Rentsch, Hei­deg­ger, 37. 379   Hei­deg­ger, SuZ, 136. 380   In einer wirklich überzeugenden Klarheit zeigt das auch Christian Thies in seinem schönen Buch ›Der Sinn der Sinnfrage‹. Er behandelt das bleibende Geheimnis des Lebens unter der Über­ schrift »Metaphysik der letzten Fragen«, wobei natürlich auch der Tod eine zentrale Rolle spielt. Vgl. C. Thies, Sinn, 228 – 316, bes. 241 – 264. Auch Volker Gerhardt kommt in seinem viel beachteten Buch ›Der Sinn des Sinns‹ immer wieder zu dieser Erkenntnis. Vgl. Gerhardt, Sinn, 148 – 208. Für kritische Bemerkungen zu Gerhardt vgl. den Band: R. Barth / R. Leonhardt (Hg.), Vernunft. Vgl. dort insbesondere den Beitrag von Roderich Barth (163 – 184). Natürlich findet sich dieses Thema auch prominent in den schon vielfach genannten Texten von Thomas Rentsch.

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

271

Geheimnis und, auch wenn sich in jedem Moment des Lebens durch nur immer weitergehendes und tieferbohrendes Fragen auf diese Wahrheit stoßen lässt, gibt es eben ein Phänomen, das diese Geheimnishaftigkeit wie kein anderes deutlich macht: den Tod (zu Bedeutung der Geburt vgl. 3.3.1.11 u. 3.3.2.2). Diese grundlegende Geheimnishaftigkeit des Lebens aber bleibt nicht folgen­ los. Im Gegenteil wirkt sie sich, nach Hei­deg­ger, bereits auf der grundlegendsten Stufe des Menschseins aus, nämlich in der Befindlichkeit. Diese ist nie, das sind jetzt meine Worte, ohne Spannung zu haben, sie ist, in Hei­deg­gers Worten, grundlegend »Angst, die sich ängstet«.381 Gibt es ein Wovor der Angst? Ja, und dieses wird von Hei­deg­ger als »die Welt als solche« und »das In‑der-Welt-sein selbst«382 bestimmt. Das Dasein ist zwar in seinen Strukturen beschreibbar, das zeigt Hei­deg­ger selbst mit seinem Buch, doch diese Beschreibung enthebt es nicht davon, geheimnishaft zu sein, sodass das eigene Da-sein das Dasein »ängstet«. In meiner Wiedergabe dessen, was mit Angst gemeint ist, also wenn ich sage, das Leben ist immer in Spannung, habe ich Hei­deg­gers Denken in gewissem Sinne ein wenig die Dramatik genom­ men. Ich denke jedoch, dass diese Beschreibung jenseits der Krisenrhetorik der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts gut trifft, was Hei­deg­ger unter Angst fasst. Die Tatsa­ che, dass ein Mensch in seinem Leben in gewissem Sinne immer »un-zuhause« ist und ihm sein eigenes Leben »un-heimlich« ist, führt ja nicht sofort zum Extrem der Angst. Diese ist eher eine Spitzenform der Spannung, die sich in jedem Moment des Lebens grundlegend finden lässt. Durch ein Hineinsteigern in die »Unheimlich­ keit« des eigenen Lebens, lässt sich sicher ein Zustand der gesteigerten Spannung erreichen, der den Namen Angst verdient hätte. Als Grundbefindlichkeit jedoch, die jenseits von Extremsituationen Geltung haben soll, scheint sie mir zu dramatisch. Vielmehr lässt sich sagen, die nun ausführlich beschriebene (vgl. 3.3.3.1) Struktur Tod im Leben wirkt vorthematisch auf eine Unruhe erzeugende Weise, wie es ja auch schon im berühmten Satz Augustins durchscheint: inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.383 Die Ruhe, die Augustin hier anspricht, ist letztlich eine jenseitige. Erst mit dem Tod wird die Spannung des Lebens entspannt. 3.3.3.3  Der Tod und der Mut Mut ist sicher kein Zentralbegriff in Hei­deg­gers Todesanalyse. Der Mut wird jedoch zum Zentralbegriff in Paul Tillichs hier als thanatologischer Beitrag gelesener Schrift ›Der Mut zum Sein‹ (vgl. 4.), die in vielerlei Hinsicht durch Hei­deg­ger beeinflusst ist. Insofern ist es für uns von Bedeutung, dass Hei­deg­ger an einer entscheidenden Stelle in seiner Todesanalyse ebenfalls auf den Mut zu sprechen kommt.384 381

  Hei­deg­ger, SuZ, 187.  Ebd. 383   A. Augustinus, Confessiones. Bekenntnisse. Lateinisch-Deutsch. Übersetzt v. W. Thimme. Mit einer Einführung von Norbert Fischer, 2004, 8. 384   Auch Kierkegaard, der für Hei­deg­ger und Tillich bedeutend war, kommt schon auf den Mut zu sprechen. Vgl. dazu Kierkegaard, Krankheit, 29 u. 84. 382

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

Es ist nur ein Satz, in dem der Mut konkret genannt wird. Im Zuge der Analyse des alltäglichen Umgangs mit dem Tod schreibt Hei­deg­ger: »Das Man läßt den Mut zur Angst vor dem Tod nicht aufkommen.«385 Hei­deg­ger spricht sonst nicht von der Angst vor dem Tod. Die ganze Angst-Analyse kommt ohne den Todesbegriff aus. Es ist auch in gewissem Sinne widersprüchlich, dass Hei­deg­ger von einer Angst vor dem Tod spricht, denn die Angst als Grundbefindlichkeit hat, wie oben gerade noch einmal gezeigt (vgl. 3.3.3.2) keinen Gegenstand als das »In‑der-Welt-sein« selbst. Angst, die sich einen konkreten Gegenstand sucht, wird zu Furcht.386 Wie kann es dennoch sinnvoll sein, von einer »Angst vor dem Tod« zu sprechen? Diese Aussage lässt sich nur in Hei­deg­gers Denken integrieren, wenn sie so verstanden wird, dass Angst vor dem Tod meint, sich selbst als »Sein zum Tode« verstehen. Wenn ein Mensch sich als Sein zum Tode versteht, dann erkennt er seine Angst als eng mit der Todesstruktur des eigenen Lebens verbunden. Wie wäre eine adäquate Reaktion in diesem Fall? Hei­deg­ger deutet hier in diesem einen Satz an, was Tillich dann aus­ führlich darlegt: »Mut« als Gegenstimmung zu Angst (vgl. dazu ausführlich 3.4.4). Was genau sich unter Mut bei Hei­deg­ger verstehen lässt, findet sich an einer anderen Stelle in ›Sein und Zeit‹, wo es eigentlich um die eng mit Mut verwandte Stimmung der »Hoffnung« geht.387 Im Abschnitt über die »Zeitlichkeit der Befind­ lichkeit« wählt Hei­deg­ger die Hoffnung als Beispiel aus, um zu zeigen, dass alle Befindlichkeit im »Gewesenen«, also in der Vergangenheit, fundiert ist. Er schreibt hier: »Man hat die Hoffnung im Unterschied von der Furcht, die sich auf ein malum futurum bezieht, als Erwartung eines bonum futurum charakterisiert.«388 Eine sol­ che Sichtweise lehnt Hei­deg­ger jedoch ab. Er schreibt weiter: »Entscheidend für die Struktur des Phänomens ist aber nicht so sehr der ›zukünftige‹ Charakter des­ sen, worauf sich die Hoffnung bezieht, als vielmehr der existenziale Sinn des Hoffens selbst.«389 Hoffen bedeutet für Hei­deg­ger, dass der Mensch für sich selbst etwas erhofft. Das setze jedoch voraus, dass man sich selbst gefunden habe, also ein Ver­ ständnis davon hat, wer man als der- oder diejenige, der oder die etwas erhofft, ist. Hei­deg­ger schreibt, hoffen setze ein »Sich-gewonnen-haben voraus.«390 Hoffnung ist für Hei­deg­ger eine Stimmung, die sich einstellt, ohne dass es einen genauen Bezug geben muss, auf den etwa gehofft wird. Vielmehr ist sie eine aus dem Gewesenen, der Vergangenheit, sich speisende Stimmung, die von der »Bangigkeit erleichtert«.391 Schließlich schreibt Hei­deg­ger: »Gehobene, besser hebende Stimmung ist ontolo­ 385

  Hei­deg­ger, SuZ, 254.   Für Hei­deg­gers Furcht-Analyse vgl. aaO., 140 – 142. 387   Ob die Hoffnung nun Stimmung oder Gefühl ist, darüber lässt sich streiten. Ich plädiere aufgrund des Gesagten eher für Stimmung, Bollnow rechnet sie jedoch unter die Gefühle. Vgl. Bollnow, Wesen, 34 f. 388   Hei­deg­ger, SuZ, 345. 389  Ebd. 390  Ebd. 391  Ebd. 386

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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gisch nur möglich in einem ekstatisch-zeitlichen Bezug des Daseins zum geworfe­ nen Grunde seiner selbst.«392 Dieser Satz lässt von Seiten der Theologie aufhorchen. Was ist der »Grunde seiner selbst«? Mindestens etwas anderes als das Selbst muss gemeint sein, also in gewissem Sinne ein Gegenüber des Selbst, das geworfen ist, also ohne für den Menschen erkennbaren Grund da ist. Wenn der Mensch sich nun zu diesem Grund seines Lebens in eine Beziehung setzt, dann kann seine Stimmung sich heben, so schreibt es Hei­deg­ger. Hoffnung ist für Hei­deg­ger also eine sich in der Aktualität auszeichnende Stimmung, die ihre Güte durch etwas aus der Vergangen­ heit erhält, was bis ins Jetzt durchwirkt. Hoffnung, so wie Hei­deg­ger sie beschreibt, lässt sich auch Lebensmut nennen. 3.3.3.4  Der Tod und das Gewissen Es bleibt die Frage, woher dieser Lebensmut kommt. Wie kann ein Mensch trotz der »Unheimlichkeit« seines Daseins sich in einer Stimmung befinden, die ihn diese Unheimlichkeit anerkennen lässt, aber nicht an ihr verzweifeln lässt? Die Antwort liegt einerseits im Gewissen. Andererseits liegt sie in der Geschichtlichkeit des Daseins (vgl. 3.3.3.5) begründet. In diesem Abschnitt geht es um das Gewissen, im nächsten (3.3.3.5) dann um die Geschichtlichkeit. Das Gewissen wurde oben (vgl. 3.3.1.8) bereits behandelt. Es soll an dieser Stelle nichts wiederholt werden. Vielmehr gilt es das schon Gesagte auf den Tod hin zuzu­ spitzen. Das Gewissen wurde als innerer Drang beschrieben, der das Dasein hinaus­ ruft aus dem »Man« in seine »Eigentlichkeit«. Einerseits arbeitet das Gewissen, das ein »Anrufverstehen« sein soll, damit noch auf der Ebene des »Verstehens«, also des unthematischen. Andererseits aber, weil es durch seinen Rufcharakter zu einer Ent­ scheidung führen will, macht es thematisch. Das Gewissen hat in Hei­deg­gers System also gewissermaßen einen Übergangscharakter. Die Unterscheidung zwischen Man und Eigentlichkeit kehrt auf anderer Ebene in der Unterscheidung zwischen »Erschlossenheit« und »Entschlossenheit« wieder. Das Gewissen »ruft« in die Entschlossenheit. Entschlossenheit wiederum wurde beschrieben als die Seinsweise, die maßgeblich durch das »Vorlaufen in den Tod« geprägt ist. Erschlossen versteht sich der Mensch als endliches Wesen, das seine ihm jetzt, im Augenblick, gegebene Zeit nutzen wird.393 Der Übergang zwischen Erschlossenheit und Entschlossenheit, das liegt auch schon im Begriff angedeutet, erfordert eine Entscheidung des Daseins. Der Zusammenhang zum geistesgeschicht­ lich gleichzeitigen Dezisionismus theologischer Prägung wurde oben schon erwähnt (vgl. 3.3.1.8). Ob, und durch welche Momente beeinflusst, das Dasein diese Ent­ scheidung trifft, sich also entschließt, wird nicht genauer bestimmt. Wie kommt die Entscheidung zu Stande? Die Antwort liegt im Phänomen des Gewissens begrün­ 392

 Ebd.   Zum Begriff des Augenblicks vgl. aaO., 336 – 339.

393

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

det, das ruft.394 Dasein entschließt sich, wenn es auf den Ruf des Gewissens hört. Das Gewissen allerdings ruft nach Hei­deg­ger »Nichts«. Wie soll also auf diesen Ruf gehört werden, wenn er doch gar keinen Inhalt hat? Wie oben auch bereits gesagt, ist dieses Nichts allerdings nicht völlig leer. Zum einen scheint hier das Nichts durch, auf das das Dasein als »Sein zum Tode« stets zugeht. Das Nichts des Gewissens ruft also den eigenen Tod in Erinnerung. Zum anderen nennt Hei­deg­ger hier, ganz in den Bahnen seines christlichen Hintergrun­ des, die »Schuld« als entscheidendes Phänomen.395 Aber auch das Phänomen der Schuld ist für Hei­deg­ger eng mit dem Tod verknüpft. Hei­deg­ger begründet die Ein­ führung der Schuld allerdings recht dürftig. So sagt er: der »schlichte Hinweis dar­ auf, was durchgängig in allen Gewissenserfahrungen gehört bzw. überhört wird«, nämlich »daß der Ruf das Dasein als ›schuldig‹ anspricht«,396 verweise darauf, dass Schuld hier das entscheidende Phänomen ist.397 Da Hei­deg­ger sich aber im Folgen­ den explizit davon abgrenzt, was sonst unter schuldig-Sein verstanden wird, ist die­ ser Anschluss an die Tradition auch nicht überzubewerten.398 Es geht Hei­deg­ger hier einmal mehr darum die Tradition zu überbieten bzw. zu zeigen, dass er das richtige Verständnis eines Phänomens offenlegt. So ist es gerade nicht Schuld in einem mora­ lischen Sinne, was Hei­deg­ger wichtig ist. Vielmehr schreibt er: »Die formale existen­ ziale Idee des ›schuldig‹ bestimmen wir daher also: grundsein für ein durch ein Nicht bestimmtes Sein – das heißt Grundsein einer Nichtigkeit.«399 Dieser komplizierte Satz lässt sich folgendermaßen fassen: das Dasein ist sich selbst etwas schuldig, nämlich aus dem eigenen Leben etwas zu machen. Das Gewissen sagt also in gewissem Sinne: Nutze dein Leben auf die deinem Leben adäquate Weise. Niemand, das steckt hier mit in den Gedanken, ist so schuldig an dem, wie es einem Menschen ergeht, wie dieser Mensch selbst. Nun lässt sich das natürlich leicht in Frage stellen: Aber das Dasein ist doch geworfen. Was kann es selbst dazu, dass es geworfen ist? Nichts. Das würde Hei­deg­ger jederzeit zugestehen. Allerdings, so Hei­deg­ger, lässt sich eben auch niemand sonst dafür verantwortlich machen, sondern nur das Dasein selbst. Das Verantwortlichsein für etwas, was es nicht hervorgerufen hat, gehört zur Seinsweise des Daseins dazu. Insofern ist auch das Gewissenhaben ein Existenzial. Und dass diese Verantwortung so schwer wiegt, hängt nun wieder mit dem Tod zusammen. Hat das Dasein das eigene Leben nicht genutzt, sich nicht entschlossen, ist diese ein­ malige Chance vertan. Der Tod, der immer bereitsteht, macht die Dringlichkeit des »Entschließens« deutlich. Genau das ruft das Gewissen beständig.400 Das »Vorlaufen 394

  Vgl. für diese Passage vor allem aaO., 280 – 289.   Vgl. aaO., 281. 396  Ebd. 397   Vgl. für diesen Abschnitt Luckner, Hei­deg­ger, 118  f. 398  Vgl. Hei­deg­ger, SuZ, 281 – 283. 399   AaO., 283. 400   Für einen Hinweis darauf, dass doch auch in dieser scheinbar amoralischen Gewissenskon­ struktion eine moralische Pointe liegen kann vgl. Safranski, Meister, 192 f. 395

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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in den Tod« steht hier im Hintergrund. Denn das Vorlaufen in den Tod war von ihm beschrieben worden als »Möglichkeit des Verstehens des eigensten äußersten Seinkönnens, das heißt als Möglichkeit eigentlicher Existenz.«401 Es ist die Weise des eigentlichen Erschließens, der »Entschlossenheit«. Erst der Tod macht den Imperativ des Gewissensrufs so deutlich vernehmbar. Hätte der Mensch nicht auf der Ebene des befindlichen-Verstehens bereits erschlossen, dass das eigene Leben ständig mit dem Tod bedroht ist, »unheimlich« ist, könnte es den Ruf des Gewissens, der genau dieses unthematische Verstehen thematisch macht, nicht vernehmen. Der oben angesprochene Lebensmut gründet für Hei­deg­ger also in einer Entscheidung des Daseins. Allerdings, und das ist entscheidend, liegt es nicht allein in der Hand des Daseins, diese Entscheidung zu treffen. Vielmehr muss der Grund dazu bereits gelegt sein. Und diese, ich nenne sie Lebensbedingungen, die stimmen müssen, kommen in ›Sein und Zeit‹ in Form des Existenzials der Geschichtlichkeit vor. 3.3.3.5  Der Tod und die Geschichtlichkeit »Geschichtlichkeit« wird als Existenzial in ›Sein und Zeit‹ ganz zum Ende hin einge­ führt. Das allein führt dazu, dass ihm weniger Aufmerksamkeit zuteilwird, als den prominenten Konzepten aus Hei­deg­gers Hauptwerk. Es gibt sicherlich noch andere Gründe für diese relative Unbekanntheit.402 Für unsere Fragestellung allerdings trägt die Geschichtlichkeit Entscheidendes bei. Das Existenzial der Geschichtlich­ keit beschreibt in Hei­deg­gers Daseinshermeneutik, inwiefern das Dasein in seinem selbstbezüglich beschriebenen befindlichen-Verstehen abhängig von außer seiner selbst liegenden Faktoren ist (vgl. 3.3.1.11). Für die hier aufgeworfene Frage wie das Dasein nun zu einem Lebensmut trotz der »Unheimlichkeit« seines Lebens finden kann, ist die Geschichtlichkeit zentral. In Hei­deg­gers Terminologie gibt es jeweils Begriffe für die jeweiligen Struktu­ ren des Lebens in eigentlicher und uneigentlicher Weise. »Geschichtlichkeit« meint bei ihm die Daseinsstruktur, die das menschliche Leben hat, wenn es »entschlos­ sen« ist und auf seiner selbst adäquate Weise mit der eigenen »Zeitlichkeit« umgeht. Geschichtlichkeit ist also die »Zeitlichkeit des eigentlichen Daseins«.403 Zeitlich­ keit wiederum war der Name für das Phänomen, dass das Dasein sich in jedem Moment seines Lebens in alle drei zeitlichen Ekstasen erstreckt (vgl. 3.3.1.10). Wenn Geschichtlichkeit also die eigentliche Zeitlichkeit meint, dann wird darunter eine Lebensstruktur verstanden, die beschreibt, dass der Mensch sich zum »Gewesenen« wie zum »Gegenwärtigen« wie zum »Zukünftigen« so verhält, dass ihm seine beson­ ders durch die Dunkelheit seiner Herkunft (»Gebürtigkeit« vgl. 3.3.1.11 u. 3.3.2.2) und die ständige Bedrohung seines Nichts (Tod) vor Augen geführte Endlichkeit 401

  Hei­deg­ger, SuZ, 263.   Für einige Kritikpunkte vgl. bspw. Gander, Existenzontologie. 403  Vgl. Luckner, Hei­deg­ger, 170  f. 402

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bestimmt. Eine Pointe des Geschichtsverständnisses Hei­deg­gers, wie er es beson­ ders in Paragraph 73 ausarbeitet, ist dabei, dass Geschichte eben nichts Vergangenes meint, sondern die aktuelle Bedeutung des Gewesenen für das befindliche-Verstehen beschreiben soll. Geschichte gibt also Antwort auf die Frage, woher die Daseinsmög­ lichkeiten, auf die hin sich das Dasein entwirft, kommen.404 Wenn nun das Leben eigentlich oder entschlossen zu leben eine, und zwar die ausgezeichnete Möglichkeit des Daseins ist, für die sich das Dasein aus bisher nicht geklärten Gründen entschei­ den kann, dann liegt der Schlüssel für ein Verständnis des Zustandekommens oder nicht-Zustandekommens einer solchen Entscheidung in der Geschichte im Hei­ deg­ger’schen Sinne. Für diesen Ursprung der faktischen Möglichkeiten, das eigene Leben zu beschreiben, hat Hei­deg­ger dann einen gar nicht einmal so überraschen­ den Begriff: das »Erbe«. So schreibt er: »Die Entschlossenheit, in der das Dasein auf sich selbst zurückkommt, erschließt die jeweiligen faktischen Möglichkeiten eigent­ lichen Existierens aus dem Erbe, das sie als geworfene übernimmt.«405 Ich möchte hier noch einmal betonen, was aus dem Gesagten eigentlich klar sein dürfte und eine der Pointen dieses Modells ist: Das Erschließen zur Entschlossenheit ereignet sich für Hei­deg­ger »vorthematisch«. Es ist also auf der Ebene des befindli­ chen-Verstehens angesiedelt. Das Erbe ist so nicht so nur eines aus Gedanken und Ideen, wenngleich diese Komponenten natürlich auch wichtig sind, als besonders eben eines aus »Stimmungen«. Der Begriff des Erbes ist also keinesfalls »ontisch« gemeint, sondern »ontologisch«. Die Geschichte, aus der sich das Erbe speist, ist nicht so sehr die Ereignisgeschichte, auch wenn diese Dinge natürlich auch eine Rolle spielen, als vielmehr die Geschichte, die mir überliefert ist und in der ich mich selbst vorfinde. Auf diesen Punkt werde ich gleich noch einmal zurückkommen, weil er für die uns hauptsächlich interessierende Frage wie der Mensch in eine Stimmung des Lebensmutes trotz des Todes hineinkommen kann, von zentraler Bedeutung ist. Dieser Punkt wird uns auch zum Abschluss der Studie in Bezug auf Tillichs Thana­ tologie noch beschäftigen. Es stellt sich nämlich noch die wichtige Frage, was das denn für eine »Geschichte« ist, die mir überliefert wird und in der ich mich selbst vorfinde. Hier kommen wir dann zu dem bisher immer schon mitgeführten und an dieser Stelle dann explizit werdenden Zusammenhang von Thanatologie und Litera­ tur; aber dazu gleich (vgl. 3.3.4). Zunächst möchte ich noch ein wenig genauer auf die Beschreibung von Geschicht­ lichkeit und Erbe bei Hei­deg­ger selbst eingehen, um zu zeigen, dass er beide Kon­ zepte wieder aufs Engste mit dem Tod verbindet. Um das darlegen zu können, muss ich zwei weitere Hei­deg­ger-Begriffe in Erinnerung rufen bzw. einführen: »Gesche­ hen« und »Schicksal«. Geschehen, das habe ich oben (3.3.1.11) bereits gesagt, ist Hei­deg­gers Name für die Erstreckung des Lebens zwischen Geburt und Tod, aller­ dings natürlich nicht in einem dinglichen Sinne, sondern existenzial gemeint. Das 404

  So auch aaO., 162.   Hei­deg­ger, SuZ, 383.

405

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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»Geschehen des Daseins« meint: die »spezifische Bewegtheit des erstreckten Sicher­ streckens«.406 Schicksal wiederum bezeichnet »das in der eigentlichen Entschlossen­ heit liegende ursprüngliche Geschehen des Daseins, in dem es sich frei für den Tod ihm selbst in einer ererbten, aber gleichwohl gewählten Möglichkeit überliefert.«407 Schicksal ist also etwas Gutes in Hei­deg­gers Denksystem (anders als bei Elert vgl. 2.4.4). Für das Dasein gilt es, sich selbst als Schicksal anzuerkennen. Damit liegt der Begriff des Schicksals auf einer Ebene wie der der Entschlossenheit und der der Eigentlichkeit. Ein entschlossenes Dasein ist ein eigentliches Dasein, weil es sich selbst als Schicksal versteht. Sich selbst als Schicksal zu verstehen bedeutet dem­ nach anzuerkennen, dass das eigene Leben jederzeit mit dem Tod enden kann und irgendwann mit dem Tod enden wird, daran aber nicht zu verzweifeln, sondern so erst eigentlich zu leben und zwar in den Möglichkeiten des Erbes. Ob und in wel­ cher Weise sich das jeweilige Dasein jedoch dem Schicksal überliefert, hängt mit dem Erbe zusammen, das die eigenen Daseinsmöglichkeiten beeinflusst. Hei­deg­ger fasst diese Zusammenhänge noch einmal in einem längeren kursiv gesetzten Absatz zusammen, den ich hier ganz zitieren und dann auslegen möchte: Nur Seiendes, das wesenhaft in seinem Sein zukünftig ist, so daß es frei für seinen Tod an ihm zerschellend auf sein faktisches Da sich zurückwerfen lassen kann, das heißt nur Seiendes, das als zukünftiges gleichursprünglich gewesend ist, kann, sich selbst die ererbte Möglichkeit überliefernd, die eigene Geworfenheit übernehmen und augenblicklich sein für ›seine Zeit‹. Nur eigentliche Zeitlichkeit, die zugleich endlich ist, macht so etwas wie Schicksal, das heißt eigentliche Geschichtlichkeit möglich.408

Viele Teile des Zitates sollten sich nach dem Gesagten erschließen, sodass ich nicht alle Sätze durchgehen möchte. Zentral für unseren Zusammenhang ist die Aus­ sage, dass »die ererbte Möglichkeit überliefernd« bedeutet, »die eigene Geworfen­ heit übernehmen«. Zunächst beinhaltet das Existenzial nur die Geworfenheit, die Kontingenz des eigenen Lebensbeginns. Durch das Erbe wird die Geworfenheit jedoch näher gefasst. Dass ich da bin, ist zwar kontingent, die Art und Weise, wie ich da bin ist aber von vorneherein dadurch bestimmt, dass ich ein Erbe anzutreten habe. Zu diesem Erbe, das macht Hei­deg­ger auch hier wieder klar, gehört immer und für jeden, dass das eigene Leben enden wird. Was noch zu diesem Erbe gehört, ist jedoch individuell. Zwar gehören hier auch rein körperliche Voraussetzungen hinzu, entscheidend ist jedoch wie ich mich befindlich verstehe. Und jetzt komme ich noch einmal zurück auf die oben angesprochene Geschichte, in der ich mich selbst verstehe. Geschichte im Sinne Hei­deg­gers ist nicht nur die Weise, wie sich mir das Gewesene mitteilt, also wie es Bedeutung für mich hat. Geschichte im Sinne Hei­ deg­gers lässt sich auch deuten als Geschichte, die mir mich selbst erschließt. Welche Geschichte das konkret ist, hängt wiederum zum Teil vom Erbe ab. Verstehe ich 406

  AaO., 375.   AaO., 384. 408   AaO., 385. 407

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mich selbst als vereinzeltes Individuum? Oder verstehe ich mich selbst vielleicht als Teil der Geschichte Gottes mit den Menschen? Es ließen sich natürlich noch unzäh­ lige andere Beispiele aufzeigen. Das führt uns nun, zum Abschluss dieses Teils noch einmal zum Themenkomplex »Thanatologie und Literatur«. Wie wird dem Menschen nämlich dieses Erbe mitgegeben? Natürlich auf vielerlei Weise und besonders durch das Verhalten der Menschen, die das Individuum in den jungen Jahren prägen. Gleichzeitig kommt hier, und das deutet auch schon der enge semantische Zusammenhang zur Geschichtlichkeit mehr als nur an, den Geschich­ ten eine herausragende Bedeutung zu (vgl. für diese Überlegungen u. a. 3.4.2). Hay­ den White, Historiker und Literaturwissenschaftler, der sein Lebenswerk besonders dem Zusammenhang von »Geschichtsschreibung« und »Literatur« gewidmet hat, schreibt: Die »Erzählung [ist] keineswegs nur ein Code unter vielen [. . .], derer sich die Kultur bedienen kann, um der Erfahrung Sinn zu verleihen, sondern vielmehr ein Metacode, eine menschliche Universalie, auf deren Basis sich [. . .] Botschaften über die Natur einer gemeinsam erlebten Realität weitergeben lassen.«409

Damit wird zunächst nur die vermutlich recht einleuchtende Tatsache umschrieben, dass es Geschichten im Sinne von »Erzählungen« (für eine Definition des Begriffs vgl. 3.4.2) sind, die den Menschen Sinn geben. Das Hei­deg­ger’sche Erbe verweist uns also für die Thanatologie nicht einfach in den Bereich der Geschichtsschrei­ bung im Sinne der sogenannten Wissenschaft, sondern vielmehr in den Bereich des Geschichten-Schreibens im Sinne des erzählerischen Tradierens von sinnstiftenden Inhalten, die zwar mit dem, was die Geschichtswissenschaft betreibt, im Zusammen­ hang stehen können und es oft auch tun. Dieser Zusammenhang ist jedoch nicht zwingend. Wichtiger als die realgeschichtliche Verankerung ist die erzählerische Qualität. Ich werde auf diesen Punkt gleich in Bezug auf Tillichs ›Der Mut zum Sein‹ noch ausführlich eingehen (vgl. 3.4). 3.3.4  Sinn, Befindlichkeit, Geschichte und Tod »Die vermutlich ursprünglichste Funktion des Erzählens bzw. Aufschreibens von Geschichte besteht in der Bewahrung von Tradition und der Stiftung von Identi­ tät.«410 Dieses Zitat von Matthias Schloßberger macht deutlich, dass die nun als Schlusspunkt unserer Hei­deg­ger-Studien erarbeitete Verbindung von der Frage nach dem »Sinn von Sein«, die Hei­deg­ger ganz zu Beginn in seinem »Prolog im Himmel« (Safranksi) stellt und dem Erzählen bzw. Aufschreiben von Geschichte nun letztend­ lich nichts Neues ist. Die Frage nach dem Sinn von Sein ist letztendlich eine nach einer gewinnbringend ererbten Geschichte, in die sich das fragende Individuum ein­ 409   H. White, Die Bedeutung von Narrativität in der Darstellung der Wirklichkeit, in: Ders., Die Bedeutung der Form, 1990, 11. 410   M. Schloßberger, Geschichtsphilosophie, 2013, 20.

3.3  ›Sein und Zeit‹ als Wegweiser für die Thanatologie

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schreiben kann. Dafür, dass diese Geschichte es vermag, die »Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens«, wie wir sie nach dem bisher Gesagten auch nennen kön­ nen, so zu beantworten, dass sie etwas stiftet, sei es nun Sinn oder Identität, wie im Zitat, jedenfalls einen positiven Beitrag zum individuellen, fragenden Leben leistet, ist es ausschlaggebend, dass sie die Frage nach dem Tod mit behandelt. Das wiede­ rum hat Hei­deg­gers Darlegung eindrücklich gezeigt. Die Frage nach dem Tod kann nicht einfach ausgeschaltet werden. Sie wirkt auf der Ebene der »Befindlichkeit« im Bereich des »Vortheoretischen« immer schon prägend. Der Sinn, in welchem sich das Leben abspielt, ist durch die Frage nach dem Tod maßgeblich mitbestimmt. Hei­deg­ger hatte zum Sinn gesagt: Wenn innerweltliches Seiendes mit dem Sein des Daseins entdeckt, das heißt zu Verständnis gekommen ist, sagen wir, es hat Sinn. Verstanden ist aber, strenggenommen, nicht der Sinn, sondern das Seiende, bzw. das Sein. Sinn ist das, worin sich Verständlichkeit von etwas hält. Was im verstehenden Erschließen artikuliert ist, nennen wir Sinn.411

Das bedeutet letztlich nichts anderes als, dass der Sinn eine individuelle, im jeweili­ gen Dasein sich einstellende Weise des befindlichen-Verstehens (hier verstehendes Erschließen) ist und zwar die Weise, in welcher das befindliche-Verstehen artiku­ liert werden kann. Sinn ist nicht vorgegeben durch etwas immer schon Seiendes, sondern stellt sich in jedem einzelnen Leben immer wieder neu ein und zwar als die Geschichte, in der ich mich selbst vorfinde. Sinn ist das Medium des Verstehens. Dabei kann es, zumindest nach Hei­deg­ger, schlechten und guten Sinn geben. Also Sinn, der, um nun schon einmal diesen Begriff zu verwenden, der gleich im Teil zu Tillichs Thanatologie noch zentral werden wird, Mut macht, oder solchen, der ver­ zweifeln lässt. Jedenfalls ist der Sinn maßgeblich durch die Befindlichkeit bestimmt. Das Konzept des Sinns wird uns ganz zum Abschluss dieser Studie noch einmal aus­ führlicher beschäftigen (vgl. 4.4). Das Gesagte schreibt nun dem Zusammenhang zwischen Sinn und Befindlich­ keit und Tod eine mehrfache Bedeutung zu: Zum einen bestimmt der kommende Tod (Endlichkeit des Lebens) die Befindlichkeit immer schon. Zum anderen ist die Art und Weise, wie auf die hier schon wirkende Endlichkeitsdimension des Lebens reagiert wird, also der Sinn, in dem ich lebe, eben wiederum schon in der jede Lebenssituation mitbestimmenden Befindlichkeit mitentschieden. Drittens wird diese Entscheidung (also der individuelle Sinn) beeinflusst durch die Geschichtlich­ keit des menschlichen Lebens, also die Geschichte, in der das individuelle Leben sich befindlich-verstehend befindet. Die Deutung des Todes setzt also in genau die­ sem Bereich an. Und hier hat die christliche Todesdeutung, als das über Jahrhun­ derte hinweg unhinterfragte Erbe, also als Quell der Geschichte vom Tod, zuver­ lässig gewirkt. Die Geschichte vom Tod war eine christliche, der Sinn des Lebens war ein christlicher Sinn. Im Zuge der zurückgedrängten Bedeutung dieses Erbes 411

  Hei­deg­ger, SuZ, 151.

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

im Verlauf der Geschichte bekommen andere Geschichten immer größere Bedeu­ tung. War es sicherlich schon immer so, dass nicht nur eine Geschichte sich auf die verstehende-Befindlichkeit des Menschen ausgewirkt hat, ist es durch die allge­ meine Pluralisierung und die geradezu unendliche Verfügbarkeit unterschiedlicher Geschichten heutzutage von besonderer Bedeutung, als evangelisch-theologische Thanatologie an der einen Geschichte weiterzuarbeiten, die das befindliche-Verste­ hen des Menschen in die Richtung eines mutigen und nicht eines angstvollen Lebens bestimmt. Eine solche Geschichte muss aber, um wirken zu können, offen sein wie es das Leben selbst ist. So muss die Geschichte vom Tod eine mit offenem Ende sein. Hierzu braucht es eine eindrücklich erzählende Thanatologie, wie Tillich sie in ›Der Mut zum Sein‹ geboten hat. Was aber bedeutet offen? Hier spielt nun der Kontrast zwischen einer Theolo­ gie, die auf der Ebene der Gegenständlichkeit verharrt und einer Theologie, die sich primär den Strukturen des religiösen Bewusstseins zuwendet, eine entscheidende Rolle. Offen bedeutet nicht beliebig oder egal. Offen bedeutet, dass die Gegenstand­ sebene des religiösen Denkens nicht theologisch am Reißbrett festgelegt werden kann, und das anzuerkennen ist. Es entspricht auch nicht den, in unserer daseins­ hermeneutisch vorgegangenen Analyse offengelegten, anthropologischen Struktu­ ren, das Lebensende mit einer geschlossenen Denkfigur, die exklusiv anzunehmen ist, zu deuten. Aber, muss was für die wissenschaftliche Theologie gilt, auch für die religiösen Vollzüge beispielsweise der Seelsorge oder der Grabesrede gelten? Ist es hier nicht vielmehr geboten, eine Deutung zu geben, die Halt geben kann, anstatt alles offen zu lassen? Die gerade ausführlich dargelegten Analysen haben gezeigt, dass die Todesfrage eben schon vorthematisch ihre Wirkung entfaltet und somit eben auch hier, auf der Ebene der Faktoren, die für die Ausbildung des befindlichenVerstehens ausschlaggebend sind, angesetzt werden muss, will man die Menschen erreichen. Wie das geschehen kann und warum eine offene, ungegenständliche Rede hier eventuell besser greift, werde ich später noch einmal ausführlich aufnehmen (vgl. 4.1 – 4.4).

3.4  Von der Entschlossenheit zum Mut zum Sein Zum Abschluss dieses ›Sein und Zeit‹ gewidmeten Kapitels, soll es nun nicht mehr direkt um Hei­deg­ger gehen, sondern dessen Denken soll durch einen Zeitgenossen angereichert werden. Wir haben sowohl im Durchgang durch die Thanatologien der drei Wellen des 20. Jahrhunderts (vgl. 2.) als auch anhand von Hei­deg­gers Todes­ denken (vgl. 3.1 – 3.3) erkennen können, dass der Tod sich gegen eine rein objek­ tivierende Behandlung sperrt. Wenn Theologie nur die Frage nach dem Was des Todes und dem Wie eines vermeintlichen Lebens nach dem Tod stellt, verbleibt sie in den Gegenstandwelten des gläubigen Subjekts. Stattdessen ist der Tod ein Thema, das theologisch auf der Ebene von Stimmungen zu verhandeln ist. Das bedeutet

3.4  Von der Entschlossenheit zum Mut zum Sein

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jedoch nicht, dass die Gegenstandswelten ihre Bedeutung verloren hätten. Sie spie­ len vielmehr auf der Ebene des religiösen Umgangs mit dem Tod eine entscheidende Rolle. Meine Arbeit soll auch nicht so verstanden werden als wollte ich die religiöse Bedeutung dieser Gegenstandswelten abwerten. Darauf werden wir gleich noch aus­ führlich eingehen (vgl. 4.3). Doch so einleuchtend wie dieser Schluss anhand von Hei­deg­gers Denken und den Problemen der theologischen Thanatologie auch sein mag, fällt es doch auf, dass es noch mehrere Lücken gibt, die es zur Vermittlung der nun vorgestellten Denkwege hin auf eine, etwas austragende, »Antwort« auf die religiöse Frage des Todes zu schließen gilt. Eine Zusammenführung der Denkwege soll indes erst im Schlussteil der Arbeit erfolgen (vgl. 4.). Hier nun ist zunächst noch einmal auf Hei­ deg­ger zurück zu blicken, um zwei bedeutende Punkte hervorzuheben, die bei ihm nurmehr am Rande vorkommen; dies soll mit Hilfe einer Schrift geschehen, die in gewissem Sinne eher in das erste Kapitel dieser Arbeit gehört: Paul Tillichs ›Der Mut zum Sein‹. Diese Schrift verbindet so für uns die beiden bisherigen Kapitel der Arbeit. Tillich schreibt unter ganz ähnlichen Rahmenbedingungen wie die Autoren der zweiten Welle (vgl. 2.3), allerdings lässt sich ›Der Mut zum Sein‹ geradezu als Wei­ terführung des Denkens Hei­deg­gers lesen.412 Tillichs Denken ist, auch wenn wir uns auf den genannten späten, populären Text beschränken, hier nicht in all seinen Dimensionen zu durchleuchten.413 Es muss uns also klar sein, dass wir ihn hier in einem wissenschaftlichen Sinne nicht gänzlich verstehen werden, sondern Aspekte seines Denkens »benutzen«. Dennoch trägt ein solcher, benutzender Zugriff auf Tillichs ›Der Mut zum Sein‹ entscheidendes zu unserem Thema bei, insbesondere, wenn die Schrift hier als theologische Weiterführung der Gedanken Hei­deg­gers gele­ sen wird. Deswegen widme ich Tillich auch kein eigenes Kapitel, sondern stelle ihn hier als Endpunkt der Auseinandersetzung mit Hei­deg­ger dar. Ein solcher Zugriff rechtfertigt sich durch den bei Hei­deg­ger vorhandenen, implizit theologischen Ansatz (vgl. 3.2 u. 3.3.1.13) und umgekehrt durch die große Nähe des Tillich’schen Denkens zu Hei­deg­gers Ansatz in ›Sein und Zeit‹. Er rechtfertigt sich überdies durch die inhaltlichen Bezüge zu unserer Fragestellung. Tillichs Buch ist letztlich ein Buch über den Tod, wie ich gleich zu zeigen versuchen werde. Zudem gibt es eine syste­ 412   Vgl. u. a. und zugespitzt auf ›Der Mut zum Sein‹ die Ausführungen bei: C. Danz, Der Mut zum Sein. Ein werkgeschichtlicher Prospekt, in: P. Tillich, Der Mut zum Sein, 22015, 9.11. Vgl. für einen allgemeinen Blick auf Tillich und Hei­deg­ger: Fritz, Menschsein, 2016, bes. 370 – 385. Dasselbe in sehr kurzer Form findet sich hier: Ders. Tillich-Preis 2018. Dankesrede und Buchvor­ stellung, in: Dialog. Mitteilungsblatt der Deutschen Paul Tillich Gesellschaft e. V. NF 66 / 67, 2018, 10 – 13. 413   Vgl. die Ausführungen bei W. Schüßler, Paul Tillichs Schrift ›The Courage to Be‹ – ein missverstandener Bestseller. Eine kritische Analyse der Begriffe ›Theismus‹, ›absoluter Glaube‹ und ›Gott über Gott‹, in: C. Danz (Hg.), The Courage to Be, 2018, 109 – 131 und M. Fritz, Letzte Sorge, letzte Zuversicht. Religionstheoretische Grundlagen und religionssoziologische Implikationen von Tillichs »Der Mut zum Sein«, in: Danz, Courage, 133 – 178.

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matische Konvergenz zu den vorliegenden Überlegungen, insofern auch Tillich die Frage nach dem Tod in den Stimmungen verankert und dabei Hei­deg­gers Denken an zwei Stellen entscheidend bereichert. Zum einen geht Tillich zwar mit Hei­deg­ger davon aus, dass das Leben durch eine Grundstimmung grundiert wird, beschreibt diese allerdings differenzierter als Hei­deg­ger, der sie bekanntlich als die »Grund­ stimmung der Angst« (vgl. bes, 3.3.3.2) fasst und dabei eine von ihm durchaus mit­ dargestellte Ambivalenz dieser Grundstimmung begrifflich unterschlägt. Tillich hingegen beschreibt diese Grundstimmung in der Doppelseitigkeit von »Mut und Angst«. Diese Ambivalenz der Grundstimmung ist der erste Fokus unseres Rück­ griffs auf ›Der Mut zum Sein‹. Zum anderen verweist uns Tillichs Schrift auf einen weiteren entscheidenden Aspekt dieser Grundstimmung, der ebenfalls implizit bei Hei­deg­ger schon vorliegt, aber anhand von Tillich noch einmal deutlich gemacht werden kann. Das ist der Zusammenhang von Narration und Stimmung. Dabei kommt ein weiteres Problem auf, das ich aber erst im Schlussteil zu behandeln in der Lage bin, nämlich die Differenzierung von Grundstimmung als Daseinseins­ struktur und Stimmungen als unter dem Emotionsbegriff subsumiertes subjektives Phänomen des menschlichen Erlebens (vgl. 4.2.1). ›Der Mut zum Sein‹ lässt sich also gleichsam als subjektivitätstheoretisch zugespitzte Fortsetzung von ›Sein und Zeit‹ lesen.414 Ich werde die Gedanken Tillichs mit denen Hei­deg­gers zusammen­ 414   Auch Danz betont die Bedeutung Hei­deg­gers. Vgl u. a. in der Einleitung zu ›Der Mut zum Sein‹: »Einen nicht unerheblichen Einfluss auf die systematischen Veränderungen seiner Konzep­ tion dürften die Etablierung der philosophischen Anthropologie in den 1920er Jahren und vor allem Martin Hei­deg­gers 1927 erschienenes Werk Sein und Zeit gespielt haben.« Danz, Mut, 9. Fritz schreibt: »Die Anfänge von Tillichs ›anthropologischer Wende‹ reichen weiter zurück, vor die Zeit der einschlägigen Werke der philosophischen Anthropologie. 1925 ist das Schlüsseljahr. Es ist das Jahr, in dem Tillichs Religionsphilosophie erscheint und in dem Tillich in Marburg zum ersten Mal über die Dogmatik liest, beginnend mit einer einsemestrigen Prolegomena-Vorlesung.« Fritz, Menschsein, 11. Auch Hei­deg­ger war zu dieser Zeit in Marburg (vgl. 3.1 u. 3.2) und arbeitete an den Vorstufen von ›Sein und Zeit‹. Vgl. auch Fritz, Menschsein, 370 – 385. Wie sehr diese Heran­ gehensweise mit dem oben beschriebenen Denkweg Hei­deg­gers vergleichbar ist, zeigt folgende Zusammenfassung der Intention Tillichs bei Fritz: »Im Rahmen der Dogmatik, also der systema­ tischen Interpretation der religiösen Grundsymbole des Christentums (wie Schöpfung, Sünde und Erlösung), muss zum Ausdruck kommen, dass diese Symbole mich persönlich betreffen, nämlich in meinem ureigenen Streben nach individueller Lebenserfüllung, oder im Jargon der Zeit gesagt: in meinem Streben nach dem ›Gewinn einer eigenen konkreten Existenz‹. Denn nur so können diese Symbole als etwas verständlich gemacht werden, ›was mich unbedingt‹ – in den letzten, tiefs­ ten Strebungen meines Seins – ›angeht‹« (aaO., S. 12). Hei­deg­gers ›Sein und Zeit‹, das hat die oben genannte und affirmierte Lesart von Thomas Rentsch gezeigt, lässt sich als der Versuch lesen eben genau jene Grundsymbole Schöpfung, Sünde, Erlösung in einer Art und Weise zu fassen, dass ihr den Sinn des Seins betreffender Kern deutlich wird. Und dass dieser im Zuge des Hei­deg­gerschen Eigentlichkeitsdenkens, wenn nicht gar zusammenfällt, so doch zusammen gedacht werden kann mit dem, was Fritz als mein »ureigenes Streben nach individueller Lebenserfüllung« oder eben als Gewinn einer »eigenen konkreten Existenz« bezeichnet, sollte oben deutlich geworden sein (vgl. 3.3.1 – 3.3.2). Diese Gemeinsamkeiten zeigen sich eben nicht zuletzt im gemeinsamen Ontologiever­ ständnis. Hierzu noch einmal Danz: »Ontologie meint in diesem Zusammenhang keine gegenstand­ sorientierte Konzeption, sondern ähnlich wie bei Martin Hei­deg­ger eine ungegenständliche, voll­ zugsgebundene Explikation des geschichtlich eingebundenen Selbstverständnisses des Menschen.«

3.4  Von der Entschlossenheit zum Mut zum Sein

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fließen lassen. Dazu gebe ich zunächst eine kurze Einführung in ›Der Mut zum Sein‹ (3.4.1), und gehe dann auf die Besonderheit der Form dieser Schrift ein (3.4.2), die, wie sich zeigen wird, entscheidend ist, um schließlich den systematisch-theologisch relevanten thanatologischen Ertrag der Schrift benennen zu können. Dabei soll es also sowohl um eine Rekonstruktion der entscheidenden Denkbewegungen gehen, als auch darum, auf den Geist der Schrift zu hören. Tillichs Schrift ist nämlich in gewisser Weise ein Zwitter. Sie lebt einerseits von der Vielschichtigkeit des Denkens Tillichs, die hier im Hintergrund steht. Andererseits lebt sie von Tillichs erzähleri­ scher Gabe, die ihn dieses Denken inspirierend darstellen lässt. Hierbei wird ›Der Mut zum Sein‹ zunächst, getreu dem Ansatz Tillichs selbst, in evokativer Weise dar­ gestellt (3.4.3). Eine kritische Distanzierung zu vielen der Schwierigkeiten, die dabei übergangen werden, erfolgt dann im abschließenden Teil (3.4.4). 3.4.1  Einführung zu ›Der Mut zum Sein‹ Paul Tillichs Schrift ›Der Mut zum Sein‹ gilt als die wohl bekannteste des ohnehin bekannten Theologen, der ohne Frage zu den wichtigsten Theologen des 20. Jahr­ hunderts gehört.415 Das Buch basiert auf sechs Vorträgen, die Tillich 1950 an der Yale University an der US‑amerikanischen Ostküste im Rahmen der sogenannten ›Terry-Lectures‹ gehalten hat.416 Diesen sechs Vorträgen entsprechen die sechs Kapi­ tel der Schrift, die man als Teil des Tillich’schen Programms einer gegenwärtigen Aktualisierung des Grundgerüstes der christlichen Religion verstehen kann, wie er es in seinem parallel verfassten späten Hauptwerk ›Systematische Theologie‹ darlegt.417 Bei all den philosophischen, soziologischen und auch die Psychoanalyse seiner Zeit aufnehmenden Denkbewegungen hat ›Der Mut zum Sein‹ also eine explizit theolo­ gisch-apologetische Pointe: Tillich will die bleibende Bedeutung der Religion für das moderne Selbstverständnis zeigen und gleichzeitig die besondere Stärke der protes­ tantischen Religion darlegen. Ihre herausgehobene Bedeutung für uns liegt darin, dass Tillich dieses ihm allgemein wichtige Motiv hier so durchführt, dass er dabei die »zentrale[n] Gedanken und Aspekte seines theologischen Gesamtwerkes brenn­ punktartig«418 zusammenfasst – und dass dabei, wie bei Hei­deg­ger, Reflexionen über den Tod bzw. die Endlichkeitsdimension des Lebens im Mittelpunkt stehen. Und ein Stück weiter wird in Danz’ Beschreibung der Tillich’schen Ontologie die Nähe zu dem, was Hei­deg­ger in ›Sein und Zeit‹ macht, noch einmal überdeutlich. Danz schreibt: »Sie [die Ontolo­ gie, KS] zielt auf eine vollzugsgebundene Theorie des Lebens aus der Perspektive des Lebensvollzugs selbst.« Vgl. Danz, Mut, 9 f. 415   Für einen Überblick zu Tillich vgl. die Einführung der beiden Tillich-Experten Werner Schüßler und Erdmann Sturm: Schüßler / Sturm, Paul Tillich: Leben – Werk – Wirkung, 22015. Vgl. für ›Der Mut zum Sein‹ bes. 21 – 23 u. 163 – 167. 416  Vgl. E. Sturm, Der Mut zum Sein. Eine Einführung, in: Danz (Hg.), Courage, 1 – 24. 417  Vgl. P. Tillich, Systematische Theologie I / II, 1987 und Ders., Systematische Theologie III, 1987. 418   C. Danz, Vorwort, in: P. Tillich, Der Mut zum Sein, 22015, V.

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

Indes hat die Schrift, wenn man sich ihr als systematisch-theologischer Abhand­ lung widmet, viele Schwächen. Vieles von dem, was Tillich sagt, ist in der reduzier­ ten, für die Vorträge gewählten Form in einem engeren wissenschaftlichen Sinne nicht haltbar. Das wird besonders bei seinen die Schrift durchziehenden geschichts­ philosophischen Überlegungen deutlich. Tillich beschreibt nicht nur den titelge­ benden Mut als geschichtliche Dynamis, sondern ebenso die ihm komplementäre Angst. So kommt er dazu, bestimmte Epochen der Geschichte als »Epochen der Angst« zu bezeichnen. Realgeschichtlich sind die ausgezogenen Entwicklungslinien mindestens fragwürdig, doch als geschichtsphilosophisch motivierte Aufbauele­ mente der Erzählung vom Mut zum Sein, die hier geboten wird, erhalten sie ihre Berechtigung. Die fragliche Neigung zur allzu gradlinigen und dadurch simplifizie­ renden Deduktion geschichtsübergreifender Gemeinsamkeiten ließe sich in Tillichs Schrift noch an anderen Stellen aufzeigen. Wir wollen uns ihr aber gerade nicht in entlarvender Weise widmen, sondern im Gegenteil versuchen den positiven Aspekt dieses Vorgehens Tillichs hervorzuheben. Das führt uns zu einer Unterscheidung, die ich in den Schlussbetrachtungen noch einmal aufnehmen werde (vgl. 4.1), die aber hier bereits genannt werden soll, weil ›Der Mut zum Sein‹ für die eine Seite dieser Unterscheidung Pate steht. Die religiöse Frage nach dem Tod wissenschaftlich zu betrachten, also eine wissenschaftlich-theologische Thanatologie auszuführen, ist das eine. Die Ergebnisse einer solchen rein wissenschaftlichen Betrachtung dann jedoch in einer Weise zu präsentieren, dass sie über den rein wissenschaftlichen Dis­ kursbereich hinaus ihre Wirkung entfalten können, ist ein anderes. In Anlehnung an einen auf die Aufklärung der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückgehen­ den Begriff, lässt sich das zweite Anliegen als »popularwissenschaftlich« bezeich­ nen.419 Für die Theologie hat dieses popularwissenschaftliche Vorgehen noch eine spezielle Zuspitzung, die es in anderen Disziplinen so vielleicht nicht hat. Wobei das im Einzelfall zu entscheiden wäre und zumindest über die Philosophie nicht in so einfacher Weise gesagt werden kann. Diese Zuspitzung lässt sich mit dem traditio­ nellen theologischen Begriff der »Erbauung« fassen. Dieser Ausdruck wird zwar, ähnlich wie der der Popularwissenschaft, heute oftmals in einem eher pejorativen Sinne verwendet, meint jedoch in seiner älteren Bedeutung etwas Positives. Schleier­ macher brachte die Aufgabe der Kirchenleitung auf diesen Begriff und bestimmte sie näher als »Erweckung und Belebung des frommen Bewußtseins«.420 Genau in diesem Sinne möchte ich diesen Begriff verstanden wissen, wenn ich ›Der Mut zum 419   Für den Begriff vgl. H. Holzhey, Art. Popularphilosophie, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 7, 1989, 1093 – 1100. Albert Schweitzer fasst den Begriff der Popularphilosophie treff­ lich: »Popularphilosophie [. . .] [ist Philosophie KS], die daraus entsteht, daß die Philosophie auf die elementaren, innerlichen Fragen, die die Einzelnen und die Menge denken oder denken sollen, eingeht, sie in umfassenderem und vollendeterem Denken vertieft und sie so der Allgemeinheit zurückgibt [. . .].« Vgl. A. Schweitzer, Kultur und Ethik, 1996, 21. 420  Vgl. G. Friedrich / G. Krause, Art. Erbauung, in: Theologische Realenzyklopädie 10, 1982, 18 – 28.

3.4  Von der Entschlossenheit zum Mut zum Sein

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Sein‹ im Folgenden als popularwissenschaftlich-erbauliche Schrift über die heraus­ gehobene Bedeutung des religiösen Selbstverständnisses für ein Leben im Horizont seines Endes lese. Auf diesen Zusammenhang werden wir noch ausführlich einge­ hen (vgl. 4.1).421 3.4.2  Die Form von ›Der Mut zum Sein‹ Wie gesagt, wird ›Der Mut zum Sein‹ von mir als popularwissenschaftliches Erbauungsbuch verstanden.422 Das beschreibt die Form der Schrift jedoch nur von einer Seite. Es lässt sich zusätzlich noch auf die konkrete Darstellungsweise blicken. Tillich hat sich als Gegenstand seiner Abhandlung das menschliche Leben mit Bezug auf dessen Endlichkeitsdimension erwählt. Doch welche schriftstellerische Darstel­ lungsweise wählt Tillich, um diesen Gegenstand zu behandeln? Zunächst einmal ist das Buch der Abdruck einer Reihe von Vorlesungen, wie oben (vgl. 3.4.1) bereits erwähnt. Nun sind die sogenannten ›Terry-Lectures‹ damals wie heute darauf aus­ gerichtet, die Verbindung von akademischem Denken und außer-akademischer Öffentlichkeit zu befördern.423 Das bedeutet, die popularwissenschaftliche Heran­ gehensweise ist dem Redner in gewissem Sinne bereits vorgegeben. Tillich zeigt sich dieser besonderen und wohl auch besonders schwierigen Form von Theologie mehr als gewachsen. Die Schwierigkeit besteht darin, einen systematisch relevanten Kern so zu entfalten, dass er einem breiten Publikum verständlich wird, ohne dabei flach oder einfältig zu erscheinen. Tillich schlägt dafür einen narrativen Weg ein. Er baut seine sechs Reden um eine Geschichte herum. Das gelingt ihm, trotz des hochtheo­ 421  Birkner kann in diesem Sinne eben auch Schleiermachers Reden als Erbauungsbuch schlechthin beschreiben. Seine Beschreibung kommt dem, wie ich Tillichs ›Der Mut zum Sein‹ verstehe, sehr nahe. Vgl. H.‑J. Birkner, Friedrich Schleiermacher (1768 – 1834), in: Ders., Schleier­ macher-Studien im Kontext, hg. von H. Fischer, 1996, 196 f.: »Die fünf Reden, in die das Buch sich gliedert, sind nie gehalten worden. Es handelt sich um eine literarische Stilisierung, die zur Geltung bringen soll, daß die Thematik der Religion ihre sachgemäße Darstellung nicht in theoretischer Abhandlung und Erörterung findet, sondern in persönlichem, autobiographisch gefärbtem Zeug­ nis, in bekenntnishafter Anrede. Dabei will jedoch beachtet sein, daß diese Stilisierung den theo­ retischen Anspruch keineswegs ausschließt. Vielmehr macht nicht zuletzt dies das ›romantische‹ Gepräge der Schrift aus, daß sie ihr theoretisches Konzept in den Formen von Rede und Anrede, von Hinweis und Anspielung zur Geltung bringt. Dem entspricht es, daß das Buch auf höchst unter­ schiedliche Weise gewirkt hat und gelesen werden kann. Nicht wenigen Lesern ist es so etwas wie ein Erbauungsbuch ›höherer Ordnung‹ geworden. Der Erweckungstheologe Claus Harms hat in seiner ›Lebensbeschreibung‹ (1851) geschildert, wie er bei der Lektüre der Reden eine förmliche Bekehrung erfahren hat, ›die Geburtsstunde meines höheren Lebens‹. Das Buch kann andererseits gelesen werden als ein – in Auseinandersetzung mit der repräsentativen Theologie und Philosophie seiner Zeit entwickelter – religionstheoretischer Entwurf, der für die Theologie, aber auch für Religi­ onsphilosophie und Religionswissenschaft den Rang eines klassischen Dokuments gewonnen hat.« 422   Auf der Tagung der ›Tillich Gesellschaft‹ 2017 hat C.‑D. Osthövener dem Vernehmen nach in einem Vortrag ›Der Mut zum Sein‹ als Erbauungsbuch ausgelegt. Dieser ist jedoch leider nicht veröffentlicht worden. 423   Vgl. die Website der Yale University (für den Link s. Literaturverzeichnis).

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

retischen Inhalts, durch die geschichtsphilosophische Anlage.424 So bekommt das Gesamt seiner Reden einen Spannungsbogen. Tillich beginnt in der griechischen Antike, bei Platon, und endet in seiner Gegenwart. Dazwischen lässt er die einzelnen Punkte seines Denkens nicht linear aus der Geistesgeschichte erwachsen, versteht es aber, trotz teilweise großer zeitlicher Sprünge, eine Entwicklung zu zeichnen, die jedoch wiederum eine Entwicklung aus Entwicklungen ist. Denn so sehr Tillich die Zeitspanne von Platon bis in die 1950er Jahre zu einer Zeit zusammenfassen kann, in welcher es dann bestimmte Entwicklungen gibt, so sehr denkt er trotzdem in Epochen, die sich innerhalb dieser Zeit in gewissem Sinne in sich abgeschlossen ent­ wickelt haben, also die Entwicklungen in der Entwicklung sind. So spielen die Epo­ chen »Antike«, »Mittelalter« und »Moderne« eine Rolle bei in seinem Gedanken­ gang, indem Tillich ihnen jeweils eine bestimmte »Form der Angst« und dadurch auch eine »Form des Muts« (vgl. 3.4.3) zuschreibt. So entspinnen seine Reden eine Erzählung über die Kraft der Religion in dem seit Anbeginn des bekannten Denkens stattfindenden Kampf des Menschen gegen die niederdrückende Gewissheit des ewigen Verlöschens. Tillich fungiert dabei als Erzähler. So führt er sich auch ganz zu Beginn ein, indem er schreibt: Obwohl nicht zu erwarten ist, daß mir gelingt, was Sokrates nicht gelungen ist [d. h. abschlie­ ßend zu klären, was Mut bedeutet, KS], so mag doch der Mut, ein fast unvermeidliches Miß­ lingen auf mich zu nehmen, dazu beitragen, daß das Sokratische Problem lebendig bleibt.425

Tillich sieht seine eigene Rolle als die desjenigen, der Mut auf sich nimmt, um den Mut in seinen Hörern und Hörerinnen bzw. Leserinnen und Lesern zu erzeu­ gen. Seine Schrift hat performativen Charakter. Wer die Schrift zum wiederholten Male liest, erkennt hier bereits eine der Pointen Tillichs vorweggenommen. Mut hat es immer mit einem »Trotz« zu tun: »Mut zum Sein ist Mut zum Leben trotz des Todes«. Dass die Aufgabe unlösbar scheint, soll uns nicht davon abhalten, sie auf uns zu nehmen. Das gilt nicht nur für ein Buch über den Mut, das gilt für das Leben selbst. Dass dies so ist, will Tillich nicht nur systematisch darlegen, sondern performativ in seinen Lesern und Leserinnen (bzw. Hörern und Hörerinnen) evo­ zieren. Dieses Anliegen ist popularwissenschaftlich-erbaulich im besten Sinne und die Form, die Tillich wählt, ist die einer Geschichte. Tillich erzählt eine Geschichte. Diese Erkenntnis wird für uns in aller seiner Mehrdeutigkeit noch wichtig werden. Dabei dürfen die hier verwendeten Begriffe von »Erzählung« und »eine Geschichte erzählen« aber natürlich nicht einfach naiv verwendet werden. Um sie herum hat sich ein eigener geisteswissenschaftlicher Forschungsbereich entwickelt: die Narratologie. Ich werde allerdings im Zuge dieser Abhandlung über den Tod 424   Es ist Konsens in der Tillichforschung, dass dessen Theologie wie Religionsphilosophie ganz allgemein geschichtsphilosophisch geprägt ist. Vgl. u. a. die Beiträge in folgendem der Geschichts­ philosophie gewidmeten Band des Tillich-Jahrbuchs: C. Danz (Hg.), Interpretation of History: Yearbook 2013, 2013. 425   Tillich, Mut, 15.

3.4  Von der Entschlossenheit zum Mut zum Sein

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nicht in die umstrittenen Felder narratologischer Diskurse einsteigen. Das ist für unsere Zwecke auch überhaupt nicht notwendig. Es geht mir nicht darum, bis ins Detail zu diskutierten, was eine Erzählung im Einzelnen ausmacht und wie man diese von anderen literarischen Gattungen abgrenzen kann, sondern lediglich darum, das Erzählerische in der Theologie Tillichs, besonders für die theologische Spezialfrage nach dem Tod, stark zu machen. Um also zu zeigen, dass Tillich erzäh­ lerisch vorgeht, genügt es, in seiner Rede bestimmte Merkmale der Erzählung auf­ zuweisen, die weitgehend unumstritten sind. Wolf Schmid hält in seinem grundlegenden Werk zur Gattung der Erzählung fest: Zum Narrativen gibt es in der Literaturwissenschaft zwei verschiedene Konzeptionen. Die erste von ihnen hat sich in der klassischen Erzähltheorie besonders deutscher Provenienz gebildet, die sich noch nicht Narratologie nannte. In dieser Tradition galten als erzählend Texte, die bestimmte Merkmale der Kommunikation enthielten. Erzählen, das der unmittel­ baren dramatischen Präsentation entgegengesetzt wurde, war an die Gegenwart einer vermit­ telnden Instanz, des ›Erzählers‹, gebunden.426

Auch wenn Tillich in ›Der Mut zum Sein‹ textlich keinen Erzähler auftreten lässt, ist seine eigene Rolle doch die eines Erzählers, wie wir nicht zuletzt am oben gegebenen Zitat über den performativen Charakter der Schrift gesehen haben. Tillich selbst tritt hier zu Beginn in Erscheinung, indem er in der 1. Person Singular (»nicht zu erwarten, dass es mir gelingt«) seine eigene Rolle klar macht. Er unternimmt etwas mit einem klaren Ziel und einer sich findenden Form: die popularwissenschaftlicherbauliche Darlegung des Mutes zum Sein. Was genau damit gemeint sein kann, darauf kommen wir noch! Und auch in einem anderen Punkt, können wir Tillichs Schrift narratologisch festmachen. Noch einmal Schmid: Ein zweites Konzept der Narrativität hat sich in der strukturalistischen Narratologie herausge­ bildet. [. . .] Texte, die im strukturalistischen Sinne narrativ genannt werden, präsentieren, im Gegensatz zu deskriptiven Texten, eine temporale Struktur und stellen Veränderungen dar.427

Auch hier lässt sich Tillichs Schrift gut einschreiben. Durch sein geschichtsphiloso­ phisches Grundgerüst, die Entwicklung des Muts zum Sein in den unterschiedlichen Epochen der westlichen Geistesgeschichte, verleiht Tillich seiner Schrift eine tempo­ rale Struktur. Dass beide Definitionen des Narrativen auf ›Der Mut zum Sein‹ pas­ sen, fügt sich darin ein, dass beide Bestimmungen von Erzählung, sich in »der Pra­ xis der Literaturanalyse« längst als »eine Mischkonzeption durchgesetzt« haben.«428 Diese fasst Schmid folgendermaßen: Narrativ im weiteren Sinne sollen entsprechend der strukturalistischen Konzeption Reprä­ sentationen genannt werden, die die Veränderung eines Zustands oder einer Situation dar­ 426

  W. Schmid, Elemente der Narratologie, 22011, 1.  AaO., 2. 428  AaO., 3. 427

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stellen. Narrativität im engeren Sinne verbindet die Merkmale der strukturalistischen und der klassischen Definition: Die Zustandsveränderung wird von einer Vermittlungsinstanz prä­ sentiert.429

›Der Mut zum Sein‹ ist, die als grundlegend anzusehende Darstellung bei Schmid in Anschlag bringend, demnach sowohl im weiteren als auch im engeren Sinne als narrativ zu bezeichnen. Neben diesen literaturwissenschaftlichen Überlegungen zum Begriff der Erzäh­ lung, helfen uns jedoch auch noch einige geschichtstheoretische weiter. Tillichs Schrift, das habe ich oben schon angedeutet, hat ein geschichtsphilosophisches Grundgerüst. Er beschreibt eine Entwicklung in der Geschichte. Alleine sein Rück­ griff auf die Geschichte und der Aufbau seiner Schrift anhand von geistesgeschicht­ lichen Wegmarken verweist wiederum auf das Erzählerische in seiner Schrift. In einem breit geführten Diskurs ist im letzten Jahrhundert in den Geschichtswis­ senschaften immer wieder die Narrativität von Geschichte und eben besonders von Geschichtsphilosophie betont worden. Und auch wenn sich Historiker wie geschichtsphilosophisch arbeitende Philosophen und Theologen gleichermaßen gerne vom Nimbus eines objektiven Beschreibens umgeben lassen, erscheint es doch als Konsens, dass, wer Geschichte zum Gegenstand hat, um das erzählen von Geschichte nicht herumkommt.430 Ein geschichtsphilosophisches Konzept, das mit geschichtlichen Wegmarken arbeitet, muss letztlich erzählt werden. Es gibt einen weiteren Zusammenhang, in welchem die Narrativität eine Rolle in Tillichs Schrift spielt. Mut und Angst sind die beiden Hauptbegriffe, um die herum Tillich seine Schrift entwirft. Beide Begriffe umfassen dort ein ganzes Konzept und sind letztlich sein Versuch eine anthropologische Grundstruktur zu beschreiben.431 Er nimmt hier entscheidende Anregungen von Hei­deg­gers Angstanalyse auf und deutet die Angst als anthropologischen Grundstimmung wie auch Hei­deg­ger es in ›Sein und Zeit‹ gemacht hat. Mut ist dann bei Tillich zu verstehen als das polare Gegenstück zur Angst in der menschlichen Grundstimmung. Genau diese Ambiva­ lenz der menschlichen Grundstimmung, die Tillich hier in dem Begriffspaar Angst und Mut einfängt, ist für uns interessant. Sie wird uns bis zum Ende der Studie beschäftigen.

429

 Ebd.   Vgl. die Beiträge aus dem groß angelegten Sammelband: R. Koselleck / W.‑D. Stempel (Hg.), Geschichte – Ereignis und Erzählung, 21990. Darin besonders die Beiträge R. Koselleck, Geschichte, Geschichten und formale Zeitstrukturen (211 – 222) und W.‑D. Stempel, Erzählung, Beschreibung und der historische Diskurs (325 – 346). 431  Ich habe Hei­deg­gers Fundamentalontologie als Anthropologie gedeutet (vgl. 3.1 – 3.3). In diesem Sinne verwendet auch Tillich hier in ›Der Mut zum Sein‹ stets den Begriff Ontologie statt Anthropologie. Zum Begriff der Anthropologie vgl. die erhellenden Bemerkungen bei Fritz, Menschsein, 14 Anm. 40. Fritz spricht an anderer Stelle in Bezug auf Tillich von einer »partiellen Äquivalenz« der Begriffe Ontologie und Anthropologie. Vgl. Fritz, Sorge, 156 Anm. 104. 430

3.4  Von der Entschlossenheit zum Mut zum Sein

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Hier soll es aber zunächst noch um die Narrativität in Tillichs ›Der Mut zum Sein‹ gehen. Was genau Grundstimmung meint, konnten wir oben mit Hei­deg­gers Hilfe zwar klären (vgl. 3.3.2). Es ist jedoch noch eine offene Frage, ob es einleuchtet, eine Grundstimmung, verstanden im Sinne einer überindividuellen anthropologi­ schen Strukturkonstante, mit Begriffen für empirisch-psychologische Stimmungen wie Angst (Hei­deg­ger) bzw. Angst und Mut (Tillich) zu beschreiben. Wie oben bereits gesagt, müssen wir genau hier noch Differenzierungsarbeit leis­ ten. Für den an dieser Stelle zur Debatte stehenden Aspekt der Narrativität allerdings verweist uns der Gebrauch von Stimmungen noch einmal mitten in den erzähleri­ schen Aspekt der Schrift Tillichs. Die moderne Emotionstheorie betont, dass Stim­ mungen keine Zustände sind, sondern vielmehr Prozesse, die sich narrativ ausbil­ den. In welcher Stimmung ein Mensch ist, hat eine »Vorgeschichte« und hat etwas im »lebensgeschichtlichen Horizont«. Stimmungen sind, so wie Hei­deg­ger sie fasst und wie Tillich sie hier aufnimmt, zwar immer schon bestimmend für das Dasein, aber sie bilden sich sozusagen doppelt intentional. Einerseits sind sie bezogen auf einen Gegenstand, der auch unklar und diffus sein kann, und wie im Falle Hei­deg­gers in Überbegriffe wie Dasein gefasst werden kann.432 Andererseits sind sie jedoch auch bezogen auf die menschliche »Befindlichkeit« (vgl. 3.3.2.2), also auf die Geschichte, die den Menschen zu dem Punkt gebracht hat, an dem ihn nun die Stimmung packt, und das menschliche »Verstehen« (vgl. 3.3.2.3), also sein bereits vorbewusstes sich selbst »Entwerfen«, wie Hei­deg­ger sagt. Die Befindlichkeit ist die Vorgeschichte und das Verstehen der lebensgeschichtliche Horizont. Die Intentionalität ist hier also höchst komplex. Dasein ist bei Hei­deg­ger ja Befindlichkeit und Verstehen, sodass es in seiner Terminologie auch reichen würde, zu sagen: Stimmungen sind intentional in Bezug auf das Dasein selbst. Dessen unbenommen gilt, wenn man nun annehmen will, dass es zwischen dem, was eine Grundstimmung wäre und dem, was als Stim­ mungen das menschliche Leben bestimmt, einen Zusammenhang gibt, der recht­ fertigt, dass beides unter dem Oberbegriff der Stimmung steht, dann muss gefragt werden wie die Beziehung zwischen Grundstimmung und Stimmung beschrieben werden kann. Diese Frage ist sehr komplex, Sie führt in das Innere des menschli­ chen Selbstverhältnisses (vgl. 4.2). Es lässt sich allerdings an dieser Stelle bereits fest­ halten, dass Tillich mit seinem popularwissenschaftlich-erbaulichen Ansatz auf die Ebene der Narration abzielen muss, will er die Stimmung (oder Grundstimmung) des Muts evozieren.433 Hier spielt die von Hei­deg­ger bearbeitete Frage der Mög­ lichkeit, Stimmungen zu beeinflussen, hinein. Dazu Hei­deg­ger: »Herr werden wir der Stimmung nie stimmungslos, sondern je aus einer Gegenstimmung.«434 Das soll 432  Vgl. P. Goldie, The Emotions. A Philosophical Exploration, 2001, 143: »Secondly, there will always be some degree of specificity in the object of moods, even if the best available description of that object is ›everything‹ or ›nothing in particular‹.« 433   Vgl. für die Möglichkeit der Regulierung von Stimmungen Bollnows beinahe gleichnamiges Kapitel: Bollnow, Wesen, 132 ff. 434   Hei­deg­ger, SuZ, 136.

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heißen, dass die Stimmungen einerseits so grundlegend sind, dass es keine stim­ mungslosen Momente geben kann. Und andererseits, dass eben der Mensch den­ noch, sozusagen reflexiv, sich selbst über seine Stimmungen Rechenschaft gebend, auf seine Stimmung Einfluss zu nehmen versuchen kann.435 Das gilt aber ebenso für die Stimmungen anderer Menschen. Erkennen wir diese, können wir versuchen, jeweils Anreize für eine Gegenstimmung zu schaffen. Der Übergang und die tat­ sächliche Regulierungsfähigkeit sind hier äußerst schwierig zu bestimmen. Es lässt sich jedoch mit Verweis auf die neuere Emotionstheorie zumindest annehmen, dass eine langfristigere, tiefsitzendere, in Bezug auf ihre Intentionalität diffusere Emotion wie eine Stimmung, durch beharrliches Hervorrufen von gegenteilig ausgerichteten, kürzeren, weniger tief gehenden episodischen Emotionen auf Dauer beeinflusst wer­ den kann. Mag eine depressive Stimmung (nicht eine Depression!) durch einen ein­ zelnen guten Witz oder die herauskommende Sonne nicht verfliegen, kann anhal­ tend gutes Wetter, angenehme Gesellschaft und ähnliches mehr auf Dauer sicher zu einem Stimmungswechsel beitragen. Peter Goldie bestimmt diese Transforma­ tion folgendermaßen: Emotion könnten sich in Stimmungen wandeln, »rather in the way that smoke difuses in the atmosphere, leaving just a haze through which all sorts of objects in the world are seen.«436 Aber nochmal: Hier geht es um Stimmun­ gen, nicht um die Grundstimmung. Auch wenn Hei­deg­ger beides ineinanderfließen lässt, ist diese Differenzierung nicht zu verwischen. Trotzdem möchte ich, mit Hei­ deg­ger, eine Beeinflussbarkeit der Grundstimmung annehmen, die sich aber nicht auf die Grundstimmung an sich stützen soll, die als solche strukturell zu begreifen und somit unveränderbar wäre.437 Jedoch ist eben auch diese Grundstimmung, das klingt bei Hei­deg­ger schon an, wenn es auch nicht bis zum Ende ausgeführt wird, nicht eindimensional, obgleich das ihre Bezeichnung als Angst nahelegt. Vielmehr lässt sie sich besser als gemischte Stimmung verstehen, deren Mischungselemente die dann von Tillich gebrauchten Begriffe Mut und Angst bezeichnen. Welche die­ ser Pole nun innerhalb der Stimmung die Oberhand hat, das, so zumindest die hier getätigte Annahme, lässt sich durch Geschichten beeinflussen, die so überzeugend sind, dass der oder die Einzelne sich in sie einschreibt, sie zum Teil der eigenen Lebensgeschichte macht. Diese Überlegungen zur Form von ›Der Mut zum Sein‹ haben uns nun von lite­ rarturwissenschaftlicher, geschichtstheoretischer sowie emotionstheoretischer Seite hin auf das Erzählerische in Tillichs Schrift verwiesen. Dies ist aus mehreren Grün­ den für uns von Interesse. Nicht zuletzt gibt es uns einen wichtigen Hinweis für die Schlussbetrachtungen dieser Arbeit. Sehen wir ›Der Mut zum Sein‹ als positives 435

  Vgl. auch hier Bollnows instruktive Beobachtungen bei Bollnow, Wesen, 132 – 136.   Goldie, Emotions, 18. 437   Wobei hier natürlich nicht eine die gesamte Menschheit umspannende, immer gleichblei­ bende Grundstimmung gemeint sein kann. Denn wie oben gesehen ist Hei­deg­gers Daseinsanalyse zunächst eine Analyse seines eigenen Daseins. Kulturrelative und individuellen Momente müssen bei der Bestimmung der Grundstimmung also mit einbezogen werden. 436

3.4  Von der Entschlossenheit zum Mut zum Sein

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Exempel einer theologischen Thanatologie an, gibt uns der erzählerische Charakter einen Hinweis darauf, wie eine solche formal zu anzulegen wäre. Wir halten hier also fest, dass es für eine theologische Thanatologie aus Gründen, die teils gerade genannt wurden, teils noch entfaltet werden müssen, angebracht ist, vom Tod zu erzählen und nicht den Tod abzuhandeln (vgl. 4.3). 3.4.3  ›Der Mut zum Sein‹ als Buch über den Tod ›Der Mut zum Sein‹ lebt von seiner Mut evozierenden Kraft, die hier in einer Rekon­ struktion nur völlig ungenügend wiedergegeben werden kann. Gerade in ihr liegt jedoch das Funktionieren des popularwissenschaftlich-erbaulichen Charakters begründet. Um Leserinnen und Lesern, die die Schrift nicht kennen, wenigstens eine Ahnung davon zu vermitteln, versuche ich im Folgenden etwas von diesem Schwung mitdarzustellen. Dabei muss dann unweigerlich über Probleme, die die Schrift zuhauf aufwirft, zunächst hinweg gegangen werden. Ich werde sie allerdings vermerken und dann im anschließenden Teil (vgl. 3.4.4) diese Punkte alle aufgreifen. Tillich hebt damit an, sein Grundthema des Mutes aus der Geistesgeschichte erwachsen zu lassen. Es ist nicht er, Tillich selbst, das ist die Botschaft dieses Ein­ stiegs, der die Bedeutung des Mutes entdeckt hat. Er wiederholt, gegenwartsbezo­ gen, lediglich, was seit Platon Thema des westlichen Denkens war. »Wenige Begriffe sind so wie er [der Mut, KS] geeignet, als Schlüssel zum Verständnis der menschli­ chen Situation zu dienen.«438 Der Mut sei sowohl auf ethischer wie auf ontologischer Ebene fundamental, um zu verstehen, was Menschsein überhaupt bedeutet. Und noch mehr: Die ethische Frage nach dem Wesen des Mutes führt unausweichlich zu der ontologischen Frage nach dem Wesen des Seins und umgekehrt: die ontologische Frage nach dem Wesen des Seins kann in Form der ethischen Frage nach dem Wesen des Mutes gestellt werden.439

Bereits hier auf der ersten Seite der Schrift macht Tillich die Tragweite seines The­ mas klar. Wie Hei­deg­ger nach dem »Sinn von Sein« gefragt hat, so stellt Tillich hier die Frage nach »dem Wesen des Seins« an den Anfang der Schrift. Und Tillich geht noch weiter. Seine These ist: Wer das Wesen des Mutes versteht, versteht die Frage nach dem Wesen des Seins erst richtig zu stellen. Die Nähe zu Hei­deg­gers Ansatz drängt sich hier geradezu auf. Was ist also der Mut nach Tillich? Der Antwort auf diese Frage ist letztendlich die gesamte Schrift gewidmet. Bevor der Autor geistes­ geschichtlich ausholt, um seine Mutdefiniton zu entwickeln, gibt er, noch auf der ersten Seite, den oben bereits erwähnten Hinweis auf den performativen Charakter seiner Ausführungen. Sokrates-Platon sei es nicht gelungen, den Mut zu bestim­ men und Tillich? »Obwohl nicht zu erwarten ist, daß mir gelingt, was Sokrates nicht 438

  Tillich, Mut, 15.  Ebd.

439

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gelungen ist, so mag doch der Mut, ein fast unvermeidliches Mißlingen auf mich zu nehmen, dazu beitragen, daß das Sokratische Problem lebendig bleibt.«440 Wer die Schrift zum wiederholten Male liest, erkennt hier, wie gesagt, bereits die Pointe Til­ lichs vorweggenommen (vgl. 3.4.2). Gleich zu Beginn fällt als klärungsbedürftiges Problem auf, dass die Beziehung zwischen dem von Tillich als »ontologisch« bezeichneten, denkbar allumfassenden Mutbegriff und dem herkömmlichen Begriff aus unserer Alltagssprache unklar bleibt. Dieses Problem müssen wir uns für den nächsten Schritt vormerken (vgl. 3.4.4.1). Eine geistesgeschichtlich gesättigte Definition des Muts gibt Tillich zu Beginn des zweiten Kapitels. Zuvor umkreist er das Phänomen und bedient sich dazu aus mehr als 2000 Jahren des Denkens, von Platon bis zu Nietzsche, und das oft in ziemlicher freier, erzählender Weise. Was Tillich unter Mut versteht, entdeckt er bei den unter­ schiedlichsten Denkern. Er findet es in Platons »Thymos« präfiguriert, im Denken des Aristoteles und bei Thomas von Aquin, bei den Stoikern, besonders bei Seneca, bei Spinoza und Nietzsche. Mut sei ein grundlegender »menschlicher Akt«, und zwar »universale und essentielle Selbstbejahung«.441 Und weiter dann: »Mut ist eine Seelenregung, eine Stimmung«.442 Mut ist für Tillich ein positives Selbstverhältnis (Selbstbejahung). Und er ist etwas den Menschen grundsätzlich Bestimmendes, was der Mensch einerseits in sich hat (Seelenregung), was ihm andererseits nicht immer gegeben ist, sondern von ihm in irgendeiner Form hervorzurufen ist (Akt). Hier taucht bereits auf, was für unsere Frage nach dem Tod wichtig ist. Zwar hat Mut, wenn er eine Stimmung ist, einen passiven Anteil. Stimmungen können über den Menschen kommen, ohne, dass er es beeinflussen kann. Und dennoch wird durch die Beschreibung als Akt auch hervorgehoben, dass der Mut als Stimmung dem menschlichen Einfluss auch nicht völlig entzogen ist. Wenn ein Mensch von sich selbst weiß, dass er positiv auf Sonnenlicht reagiert, kann er dafür sorgen, dass er dort ist, wo die Sonne scheint, und somit an seiner Stimmung arbeiten. Das gilt auch für die Beziehung zu anderen Menschen und zwar hier vielleicht noch einmal in gesteigertem Maß. Die Art und Weise, wie wir mit anderen Menschen umgehen und was wir ihnen erzählen, trägt zu deren Stimmung ganz erheblich bei. All das schwingt bei Tillich bereits mit. An dieser Stelle taucht der zweite gleich zu behandelnde Problemkreis auf. Zum einen spielt die oben schon angesprochene Frage (vgl. 3.4.2) nach dem Verhältnis von Stimmung als Emotion und Grundstimmung als anthropologischer Struktur­ sachverhalt eine Rolle. Sie ist bei Tillich wie bei Hei­deg­ger nicht zu Ende geklärt. Zum anderen spielt, damit zusammenhängend, die Frage nach der menschlichen Fähigkeit zur Stimmungsregulation hier hinein. Wir werden uns dem noch widmen (vgl. 3.4.4.2). 440

 Ebd.   AaO., 16. 442   AaO., 18. 441

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Gleichzeitig beginnt Tillich bereits seine Geschichte zu erzählen.443 Während der Mut bei den frühen Philosophen noch nicht in umfassender Form hervorzutreten vermochte, habe sich das mit den Stoikern geändert. Bei ihnen erblickt Tillich mehr als nur eine philosophische Schule. Er erblickt »die Form, in der einige der edelsten Gestalten der Spätantike und ihrer Nachfolger in der Neuzeit die Frage der Existenz beantworteten und die Angst vor Schicksal und Tod überwanden.«444 Es kommt durch, um was es Tillich sozusagen metathematisch geht, nämlich anhand des Muts die »Frage der Existenz« zu bearbeiten, die für ihn, das zeigt sich dann bald, die Frage nach dem Sinn des Lebens im Angesicht des Todes ist. Das ließe sich ja auch für Hei­deg­ger sagen. Nur dass Hei­deg­ger einerseits immer ein unethisches Pathos mit sich führt und strikt nichts darüber aussagen möchte, was seine Darlegungen für das konkrete Leben bedeuten, wenn die Rezeption von ›Sein und Zeit‹ natürlich auch ganz anders verlaufen ist und man durchaus behaupten kann, dass er auch etwas evozieren möchte. Aber Tillich verschleiert es nicht, er macht es deutlich: Er schreibt, um etwas in seinen Lesern und Leserinnen zu evozieren, und kategorisiert den Mut, den er evozieren möchte, auch ein. Er führt, das zeigt sein Beispiel des ­Stoizismus, zu einer »religiösen Haltung«.445 Es zeigt sich wieder das Problemfeld der menschlichen Regulierungsmöglichkei­ ten in Bezug auf die Stimmung bzw. Grundstimmung, das sich anhand des Begriffs der »Haltung« noch einmal verschärft. Auch darauf werde ich gleich eingehen (vgl. 3.4.4.3). Tillich selbst vertieft dies in seiner Schrift nicht weiter. Er verweist nur an einer Stelle darauf, dass der Mut zum Sein nicht befohlen werden könne und nicht durch Gehorsam gegen ein Gebot gewonnen werden könne, sondern »Geschenk der Gnade« sei.446 Diese Erklärung scheint jedoch ein wenig zu schlicht bzw. sogar Til­ lichs eigenem Konzept des Mutes nicht ganz zu entsprechen – will er doch gerade mit seiner Schrift den Mut selbst hervorrufen. Hier verlässt Tillich seinen popu­ larwissenschaftlichen Ansatz zugunsten eines rein erbaulichen, in einem pejorati­ ven Sinne, Ansatzes, indem er ausschließlich religiös redet und diese religiöse Rede nicht wieder durch eine Reflexion einfängt. So kann dann der Eindruck entstehen, 443   Es ist nicht zuletzt diese eher erzählende als abhandelnde Weise von Tillichs Schrift, die Schüßler zu seiner These des missverstandenen Bestsellers führt. Er schreibt: »Was haben die Leser von dieser Schrift überhaupt verstehen können? Denn ›The Courage to Be‹ ist alles andere als leicht verständlich, ist dieses Werk [. . .] doch vollgepackt mit philosophiegeschichtlichen Implikationen – von Platon über die Stoa bis hin zu Spinoza und Nietzsche –, tiefenpsychologisch-medizinischen Anspielungen und nicht zuletzt mit Voraussetzungen in Bezug auf Tillichs eigene Existential­ ontologie, was ein in Philosophie und Theologie Ungeschulter wohl kaum adäquat verstehen kann, geschweige denn richtig einzuordnen weiß.« Schüßler, Schrift, 110. Doch was hier »missverste­ hen« heißt, müsste schon gefragt werden und auch, ob all die Leserinnen und Leser, die Tillichs Buch als erbauliches Buch gelesen haben, es nicht vielleicht doch »verstanden« haben? 444   Tillich, Mut, 19 f. 445   AaO., 20. 446   AaO., 65.

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Tillich überlasse es dem göttlichen Wirken oder dem Schicksal, wie es Tillich in ›Der Mut zum Sein‹ meist nennt, ob ein Individuum zum Mut zum Sein findet. Der Verweis auf die Entscheidungskraft der Schicksalsmächte in Bezug auf die Lebens­ fähigkeit eines Menschen hat zwar in letzter Konsequenz sein Wahrheitsmoment, unterschlägt aber eben die vielen Vorstufen der menschlichen Regulierungsfähig­ keit, die Tillich eigentlich ja mitdenkt. Ich werde gleich im abschließenden Teil (vgl. 4.2 u. 4.3) noch einmal auf die gerade für unsere Frage nach einem angemessenen religiös-theologischen Umgang mit dem Tod wichtige Regulierungsfähigkeit, die sich auch die menschliche Möglichkeit des Mutmachens nennen lässt, kommen.447 An dieser Stelle sollen uns die gegebenen Hinweise genügen. Und noch eine Frage wird im Zusammenhang des Stoizismus aufgeworfen. Es ist die Frage nach der religiösen Seite des Muts. Was ist eigentlich das »Religiöse« am Mut zum Sein? Darauf werde ich auch gleich eingehen (vgl. 3.4.4.4). Es ist in Bezug auf die Gegenstandwelten des religiösen Bewusstseins interessant, dass es Tillich zunächst nur darauf ankommt, das Religiöse als das Entscheidende auszuzeichnen. Das wie des Religiösen, also in welchen Vorstellungen sich das Reli­ giöse ausdrückt, ist hier erst einmal nicht weiter wichtig. Es könne also eine »theisti­ sche, atheistische oder transtheistische« Haltung sein.448 Die von ihm hoch geschätz­ ten Stoiker hatten für Tillich eine solche religiöse Haltung. Diese Haltung komme aus »der Herrschaft der Vernunft im Menschen«, die aber nicht mit dem gleichzuset­ zen sei, was heute darunter verstanden werde, also nicht »die Fähigkeit, zu überlegen und verständig zu urteilen«, sondern »logos, die sinnvolle Struktur der Wirklichkeit im ganzen und des menschlichen Geistes im einzelnen« meine. In der Stoa zielt Thymos auf den »Mut, die eigene vernünftige Natur gegen alles bloß Zufällige zu behaupten.«449 Wieder kommt der Bedeutungsaspekt des Mutes als Selbstverhältnis durch. Mut als Selbstbejahung bedeutet, sein Leben auf einer Art Vertrauensgrund­ lage zu leben, auf einer Grundlage, die das Leben so stimmt, dass das Individuum ihm einen Sinn abgewinnen kann (Vgl. zum Sinn 4.3). 447   Der Begriff der Haltung wird aktuell auch wieder diskutiert. Vgl. für gegenwärtige Ausein­ andersetzungen mit ihm: F. A. Kurbacher / P. Wüschner (Hg.), Was ist Haltung? Begriffsbestim­ mung, Positionen, Anschlüsse, 2016. Aus theologischer Perspektive betrachtet Jochen Schmidt die ›Haltung‹ in seinem Aufsatz J. Schmidt, Gewahrte Haltung. Überlegungen zu einer skeptischen Tugendethik, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 60, 2018, 548 – 558. Dort heißt es, gut an Bollnow anschließend: »Haltung hingegen kann sowohl eine innere Haltung meinen als auch die äußere Körperhaltung beziehungsweise die durch äußere leibliche Vollzüge dargestellte Hal­ tung – wobei, und dies ist entscheidend, nicht gesagt ist, dass die äußere Haltung tatsächlich Spiegel jener Einstellungen ist, auf die die äußere Haltung zu schließen Anlass gibt. Denn Schauseite und Innenperspektive der Haltung, gezeigte Haltung und die innere Verfassung einer Person können in Differenz zueinander treten. Wenn von gewahrter Haltung die Rede ist, kommt diese Differenz von Schauseite und Innenseite zur Geltung. [. . .] Im Auseinandertreten von innen und außen, das in dieser Form im Bereich von Tugend und Charakter nicht anzutreffen ist, besteht demnach das Proprium der Haltung« (S. 549). 448   Tillich, Mut, 20. 449   AaO., 21 f.

3.4  Von der Entschlossenheit zum Mut zum Sein

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Doch wo hat der Mut seinen Ort im Menschen? Auch diese Frage wird von Til­ lich bereits anhand der Stoiker ansatzweise beantwortet. »Überlegungen anstellen und Schlüsse ziehen ist eine rein kognitive Funktion, etwas vom persönlichen Zen­ trum Verschiedenes, das niemals Mut in uns erzeugen könnte.«450 Der Mut, um den es Tillich geht, kommt demgegenüber aus dem »persönlichen Zentrum«. Für uns gilt es daher festzuhalten, dass Mut als ein zentrales Moment des Menschseins bestimmt wird. Mut hat seinen Ort dort, wo »alle geistigen Funktionen« des Menschen zusam­ menkommen. Diese Ortsbestimmung des Muts zeigt, dass eben auch für Tillich der Stimmung eine anthropologische Zentralstellung zukommt. Dieses persönliche Zentrum rückt dann weiter ins Zentrum der Abhandlung. Zunächst folgt Tillich aber erzählerisch dem Weg des Muts durch die Geistesge­ schichte. Die Zeit der Stoiker endete. Daran hatte für Tillich maßgeblich die christ­ liche Denkweise Anteil. »Der Stoizismus trat in den Hintergrund, als der Glaube an die kosmische Erlösung den Mut zur kosmischen Resignation ersetzte.«451 Während die heidnische Antike von einer eher negativen Grundhaltung getragen gewesen sei, sei das Christliche für eine positive Haltung zum Leben verantwortlich gewesen. Das oben Gesagte hier mitdenkend ließe sich vielleicht sagen, dass in Tillichs Geschichte des Mutes nun mit dem Auftreten und Erstarken des Christlichen die Gnade begon­ nen hat, ihre Wirkung zu entfalten. Tillich erblickt dann, er macht große zeitliche Sprünge, bei Spinoza einen Neostoizismus, der vom antiken Stoizismus vor allen darin unterschieden sei, dass er »die Idee der Resignation« verwerfe.452 Es trete statt­ dessen »eine Art von Selbstbejahung« hervor, »die über die stoische hinausgeht«.453 Während bei den Stoikern der Mut als Selbstverhältnis zwar individuell durchaus lebensbejahende Kraft entfalten konnte, sei dies meist mit einer grundsätzlich nega­ tiven Einstellung gegenüber allem Materiellen einher gegangen. Erst mit der Renais­ sance habe eine Bewegung begonnen, die den »Fortschrittsglauben« anstelle »der Resignation«454 gesetzt habe. Der Begriff der Selbstbejahung wird daraufhin von Til­ lich noch weiter angereichert. Wie der Mut so ist auch die Selbstbejahung für Tillich etwas Grundlegendes, das heißt, etwas, was gar nicht völlig aufhören kann, es sei denn der Mensch ist bereits tot. Darauf ist ebenfalls noch einmal zurückzukommen (vgl. 3.4.4.5). Nachdem Tillich den Begriff des Muts von verschiedenen Seiten angereichert hat, gibt er zu Beginn des zweiten Kapitels seine Grunddefinition: »Mut ist Selbst­ bejahung ›trotz‹, nämlich trotz alles dessen, was dazu beiträgt, das Selbst an der Bejahung seiner selbst zu hindern.«455 In Tillichs Geschichte vom Mut zum Sein führt zum ersten Mal den Gegenspieler des Muts ein, der jedoch, wie es sich für das 450

  AaO., 22.   AaO., 25. 452   AaO., 26. 453  Ebd. 454   AaO., 25. 455   AaO., 33. 451

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Verhältnis Antagonist zu Protagonist in einer guten Geschichte gehört, untrennbar mit dem Mut selbst verbunden ist: die Angst.456 Beide verhalten sich zu einander wie Kraft und Gegenkraft. Wie das, was Tillich unter Mut versteht, in der Geis­ tesgeschichte schon immer in sich ähnelnder, aber dennoch abweichender Form beschrieben worden sei, so sei auch das, was Tillich unter Angst fasst, in dieser Geschichte immer schon aufgetreten. Tillichs Angstbegiff ist hier einerseits beinahe eins zu eins mit dem Hei­deg­gers zu verstehen. Angst hat keinen konkreten Gegen­ stand, sie bezieht sich nicht auf einen Gegenstand unserer Lebenswelt, sondern auf das, was jenseits dieser liegt. So sind es denn auch die Endlichkeitsphänomene von »Schicksal«, »Tod«, »Schuld«, »Verdammung«, »Leere« und »Sinnlosigkeit«, die Til­ lich als die ungegenständlichen Gegenstände der Angst ausmacht. Menschliches Leben verlaufe nach keiner uns verständlichen Ordnung, wir seien Mächten ausgeliefert, die für uns im Dunkeln lägen. Letztlich aber laufe alles Leben auf den Tod zu. Doch bevor es soweit sei, häufe der Mensch, ob er es will oder nicht, Schuld an, Schuld an sich selbst, Schuld an anderen. Diese Schuld aber lasse sich auch im Laufe des Lebens nicht wieder aufheben, so dass das Leben dazu verdammt sei in Schuldigkeit zu enden. Und genau dieses Netz der gegebenen Bestimmungen des Lebens mache das Leben in Bezug auf den Sinn zu einem leeren. Der Mensch wisse um all das und damit um die Sinnlosigkeit seiner Existenz. Der Tod hat hier wie bei Hei­deg­ger eine Doppelfunktion. Er ist einerseits eines der Endlichkeitsphä­ nomene und andererseits als der Endlichkeitsmarker schlechthin dasjenige Endlich­ keitsphänomen, ohne welches die anderen nicht ihre Wirkung entfalten könnten. Jedenfalls beschreibt Tillich anhand der genannten Gegenstandsbezüge der Angst, die letztlich eben beinahe ungegenständlich, weil unkonkret sind, drei Typen von Angst, die er, getreu des narrativen Charakters seiner Gedanken, einzelnen Epo­ chen der Geschichte zuweist.457 In der »Spätantike« sei die »Angst vor Schicksal und Tod« entscheidend gewesen, in der Reformationszeit, im »späten Mittelalter«, die »Angst vor Schuld und Verdammung«, sowie zu seiner Gegenwart, von ihm als »späte Moderne« adressiert, die »Angst vor Leere und Sinnlosigkeit«. Immer gegen Ende einer Epoche werde eine der Formen der Angst so dominant, dass von einer entsprechend geprägten »Epoche der Angst« zu sprechen sei. Auf seine eigene Zeit geht Tillich dann genauer ein. Wie in einer guten Geschichte eben, spitzt sich die Handlung zu. 456   Christian Danz beschreibt diese dualistische Geschichte eines Kampfes als die Grundform der Tillich’schen Geschichtsphilosophie: »Das Movens sowohl der Religions- als auch der Kultur­ geschichte ist der Kampf zwischen dem Göttlichen und dem Dämonischen. [. . .] Tillich [denkt] bei diesem Kampf nicht an einen mythologischen Kampf von göttlichen und dämonischen Wesen um den Menschen [. . .], wie Luther, wenn er in De servo arbitrio vom menschlichen Willen als einem Reittier spricht, um das Gott und Satan im Kampf liegen, sondern an unterschiedliche reflexive Selbstverständnisse, welche das Handeln und Leben von Menschen als unthematischer Hintergrund steuern.« C. Danz, Das Göttliche und das Dämonische, in: Ders. (Hg.), Interpretation, 11. 457   Martin Fritz hat mir gegenüber angemerkt, dass es vielleicht besser wäre von intentionalen Korrelaten der Angst sprechen.

3.4  Von der Entschlossenheit zum Mut zum Sein

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Hier fällt analog zu dem oben zum Mut Gesagten auf, dass die Beziehung zwi­ schen der Angst im Sinne Tillichs und der Angst als uns allen bekannter Emotion oder auch Stimmung, je nach Auslegung, nicht ausreichend bedacht wird. Wie ver­ halten sich beide zu einander? Und zeigt sich das, was Tillich als Angst-Struktur ausweist, immer nur in Form einer Angstemotion oder kann es sich auf vielfältige Weise zeigen? Darauf gehe ich noch ein (vgl. 3.4.4.2). Wie steht es um den Kampf zwischen Mut und Angst heutzutage? Das rückt jetzt in den Fokus. Für Tillich ist die größer werdende Bedeutung der psychotherapeuti­ schen Behandlung, besonders zu seiner Zeit, besonders in den USA, wo die Reden gehalten wurden und das Buch zuerst erschien, Ausweis für seine These von der Angst als einer Seite der Grundstimmung, die gegen Ende der Epoche der Moderne, also zu Tillichs Jetztzeit, die Oberhand gewinnt. Die »neurotische Angst«, die als Phänomen seiner Zeit gelten kann, steht für ihn in einem engen Zusammenhang zur existentiellen Angst. Als Grundprinzip muss gelten, daß die existenzielle Angst in ihren drei Formen nicht das Anliegen des Arztes ist, obgleich er sich ihrer bewußt sein muß; umgekehrt ist die neurotische Angst in allen ihren Formen nicht das Anliegen des Seelsorgers als Seelsorger, obgleich er ihrer bewußt sein muß.458

Denn anders als die neurotische Angst könne die existentielle Angst nicht überwun­ den werden. Hier gelte das Prinzip des »Trotzdem«. Wahre »Selbstbejahung«, die sich nicht auf »falscher Sicherheit« stützt, kann es nach Tillich nur geben, wenn die Angst »in den Mut zum Sein hineingenommen« wird.459 Nachdem Tillich nun die Spur der Angst bis in die Gegenwart verfolgt hat, unter­ nimmt er es, auch die Anzeichen des Muts in seiner Gegenwart zu benennen. Die menschliche Anlage als Spannung zwischen Mut und Angst, die sich für Tillich, wie bereits angesprochen, letztlich aus der ontologischen Grundspannung zwischen »Sein« und »Nichtsein« speist, lasse sich auch in anderen Polaritäten beschreiben. Die »ontologische Grundstruktur« sei eine der Polaritäten und die »ersten polaren Elemente sind Individuation und Partizipation«.460 Das habe eine eindeutige Bedeu­ tung für die Frage nach dem Mut, denn »Mut als Selbstbejahung«, wie Tillich es ja definiert hatte und lasse fragen, wer das Subjekt dieser Selbstbejahung sei. Die Ant­ wort: »das individuelle Selbst, das an der Welt partizipiert.«461 Diese polare Struktur, die dem Leben selbst obliege, finde sich eben auch immer wieder in geschichtlichen Lebensformen. So kann Tillich geschichtliche Entwicklungen nachzeichnend und Geschichte erzählend zurückfragen nach dem »Mut man selbst zu sein« oder eben nach dem »Mut, Teil eines Ganzen zu sein«. Zunächst geht es um letzteren Aspekt, der sich in »kollektivistischen«, »halbkollektivistischen«, »neukollektivistischen« 458

  Tillich, Mut, 59.   AaO., 61. 460   AaO., 66; Vgl. hierfür Fritz, Menschsein, 157 ff. 461   Tillich, Mut, 66. 459

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und auch in einem »demokratischen Konformismus« niederschlage. Mit diesem demokratischen Konformismus meint Tillich die US‑amerikanische Gesellschaft seiner Gegenwart. In den großen Bögen, die Tillich hier zieht, wird einmal mehr sein Wille eine gute Geschichte zu erzählen deutlich. Er schreibt Sätze wie: Aber er [der Mut zum Sein, KS] unterlag vielen Veränderungen, ehe er zum konformistischen Typ des Mutes, Teil eines Ganzen zu sein, wurde, der die heutige amerikanische Demokratie kennzeichnet. Der kosmische Enthusiasmus der Renaissance verschwand unter dem Einfluß des Protestantismus und des Rationalismus, und als er in den klassisch-romantischen Bewe­ gungen des späten 18. und 19. Jahrhunderts wieder hervortrat, konnte er keinen großen Ein­ fluß mehr auf die industrielle Gesellschaft ausüben.462

Diese Thesen mögen realgeschichtlich fragwürdig sein, sie sind als Teil des gro­ ßen, geschichtsphilosophisch ausgerichteten Programms Tillichs folgerichtig: Der Mensch, bestimmt durch die polare Struktur von Mut und Angst auf der Ebene von Grundstimmungen, entwickelt sich geschichtlich als Geschichte. Der Mut drücke sich in der US‑amerikanischen Gesellschaft seiner Zeit dadurch aus, dass man sich selbst als Teil des produktiven Prozesses selbst verstehe. So könne in Form einer abgewandelten Unsterblichkeitsidee auch der Tod integriert werden. Das Indivi­ duum verstehe sich selbst als Teil des produktiven Fortschritts weiterlebend. Wir werden sehen, dass diese Form des Mutes gar nicht so weit von der Tillich schließlich vorschwebenden höchsten Mutform ist. Wir müssen später noch einmal auf die genaue Lösung der Todesfrage bei Tillich eingehen und die gegenüber ande­ ren möglichen Lösungen abgrenzen (vgl. 3.4.4.6). Doch zunächst blickt er noch auf das Gegenteil. Es gab und gibt für Tillich in der Geschichte neben dem »Mut, Teil eines Ganzen zu sein« auch stets den »Mut, man selbst zu sein«. Ging es bisher also um die Idee der »Partizipation« und deren Anteil zur Bestimmung des Muts zum Sein, geht es nun um die Idee der »Individua­ tion«. Auch diese Seite im Menschen hatte für Tillich geschichtlich ihre Hochzei­ ten und zeigt sich in Tillichs Gegenwart besonders in Form des Existenzialismus. Diese Form wird von ihm sehr geschätzt. Er beschreibt ihn ähnlicher Weise wie den ebenfalls gelobten Stoizismus. Im Existenzialismus blicke das Individuum den Formen der Angst ins Angesicht und verliere dennoch nicht den Mut. Hier kommt das Tillich’sche Ideal des »Trotzdem« besonders zur Geltung. Dennoch sieht er in diesem Mut, man selbst zu sein ein Problem: Die Selbstbejahung, als welche der Mut zum Sein verstanden wird, brauche ein »Selbst, das sie bejahen kann«. In diesem radikalen Existenzialismus jedoch, bleibe vom Selbst nur das, was dieses Selbst aus sich selbst mache.463 Darin lässt sich für Tillich das Problem dieses Muts erkennen. Denn, wenn der Mensch nichts als sich selbst zu bejahen habe, dann blieben die Endlichkeitsphänomene im Einzelnen und besonders der Tod die »sinnzerstörende

462

  AaO., 78.   Vgl. aaO., 106 f.

463

3.4  Von der Entschlossenheit zum Mut zum Sein

299

Schwelle«, als welche sie im Existenzialismus wahrgenommen werden.464 Selbstfixie­ rung treibt zu Tod und Sinnlosigkeit. Hier nun spielt wieder die oben schon angesprochene Frage nach dem Religiö­ sen eine Rolle. Tillich schätzt den Existenzialismus sehr und dennoch fehle diesem etwas. Es bleibt aber in der Schrift selbst klärungsbedürftig, was genau hier fehlt. Ich werde darauf noch eingehen (vgl. 3.4.4.4). Betrachten wir also noch einmal die Problemkonstellation. Wenn wir uns wis­ senschaftlich-theologisch dem Problem des Todes widmen, dann widmen wir uns einem Problem, das auf der Ebene eines Selbstverhältnisses angesiedelt ist. Das haben wir mit Hei­deg­ger gesehen, dessen Frage nach dem Tod die Frage nach der Bedeutung des Todes für das jemeinige Dasein (mein Leben) war. Das haben wir nun, anders akzentuiert, noch einmal bei Tillich gesehen. Für Hei­deg­ger bedeutete die Endlichkeitsdimension des Lebens, dass sich das Dasein in einer Grundstim­ mung der Angst befindet. Oder umgekehrt: Die Grundstimmung der Angst deutete auf die zentrale Bedeutung der Endlichkeit für das eigene Leben hin. Doch Tillich, der diese Gedanken aufnimmt, hat gezeigt, dass Hei­deg­ger seine Endlichkeit einsei­ tig nach vorne hin bestimmt und damit das Ende des Anfangs unterbelichtet. Auch am Anfang des Lebens ist für die Grundstimmung eine zentrale Grenze gesetzt. Doch ist diese, anders als die Grenze des Endes des Lebens, keine die auf »Nichtsein« verweist, sondern eine die auf »Sein« verweist. Während nach dem Tod das Nicht­ sein droht, steht vor dem Lebensanfang das Sein bereit. Diese polare Endlichkeit macht Tillich klar. Und während ein Selbstverständnis des Menschen, das sich aus­ schließlich auf die kommende Grenze (den Tod) bezieht, zwar »Mut zum Sein trotz des Todes« aufbringen kann, kann ein Selbstverständnis, das sich selbst als zwischen der Grenze zum Sein und der Grenze zum Nichtsein eingespannt versteht, den Mut zum Sein trotz des Todes nicht nur aufbringen, sondern ihn auf einen positiven Grund stellen. Es reicht jedoch nicht, einen solchen positiven Grund abstrakt dar­ zulegen, er muss geschichtlich lebendig werden, d. h. einerseits als geschichtliches Phänomen und andererseits als Geschichte des eigenen Lebens erzählt werden. Aus dieser wissenschaftlich-theologischen Erkenntnis nun erwächst weiterhin die Frage, was dies für die religiösen Gegenstandwelten in Bezug auf den Tod bedeutet? Darauf werden wir im Schlussteil dann ausführlich eingehen (vgl. 4.3). Doch zunächst müssen wir noch sagen, wie Tillich nun den Tod deutet und was seine Lösung des mit ihm einhergehenden Problems ist. An einer Stelle der Schrift sagt Tillich konkret wie er den Tod versteht: Selbst wenn die sogenannten Beweise für die ›Unsterblichkeit der Seele‹ Beweiskraft hätten (was sie nicht haben), könnten sie existenziell nicht überzeugen; denn existenziell ist sich jedermann bewußt, daß das biologische Verlöschen den völligen Verlust des Selbst mit sich bringt. Der einfache Geist weiß instinktiv, was die Ontologie wissenschaftlich formuliert: daß 464   Vgl. beispielsweise die bekannte Behandlung des Todes im existenzialistischen Hauptwerk Sartres: Sartre, Sein, 914 – 950.

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die Wirklichkeit die Grundstruktur der Selbst-Welt-Korrelation besitzt und daß beim Ver­ schwinden der einen Seite, der Welt, die andere Seite, das Selbst, ebenfalls verschwindet.465

Diese thanatologische Aussage Tillichs, die sich in ›Der Mut zum Sein‹ an ziemlich unauffälliger Stelle findet und leicht zu überlesen ist, ist, bedenkt man die in Kapi­ tel 1 dargestellte Debatte um den sogenannten Ganztod, von erheblicher Radikalität. Hier wird nicht etwa der vielfach kritisierte Ganztod angenommen, der dann mit ausgefeilten hermeneutischen Operationen dennoch in der Auferstehung mündet. Hier wird klar gesagt: das biologische Verlöschen bringt den völligen Verlust des Selbst mit sich. Dass dieses Selbst einmal wiedergewonnen werden könne oder in anderer Form weiterbesteht, davon ist nicht die Rede. Und dennoch ist Tillichs Denken keineswegs trostlos. Im Gegenteil ist sein Buch, so wie ich es lese, ja erbaulich. Worin nun liegt dieser Trost begründet? Dieser Trost hat eine konkrete und eine abstrakte Seite. Konkret bedeutet er, in jedem Moment des Lebens theoretisch auf eine in einem selbst innewohnende Ressource zurück­ greifen zu können, die letztlich stärker ist als der Tod. Beispielhaft gesprochen: Wenn mir mein Leben sinnlos erscheint, was wie wir von Tillich gelernt haben, eine Ableitung der im Tode kulminierenden Endlichkeit des eigenen Lebens ist, habe ich dem etwas entgegenzusetzen. In jedem Menschen wohnt laut Tillich als Sinnres­ source ein Mut. Diese Ressource zu aktivieren ist Aufgabe der religiösen Rede vom Tod. Doch können das auch andere Thanatologien, wie Tillich gezeigt hat. Etwa die stoische oder die existenzialistische oder gar die von ihm als demokratisch-konfor­ mistisch beschriebene, die wir auch die kapitalistische nennen können. Der qualita­ tive Unterschied zwischen ihnen liegt im Religiösen begründet. Das betrachten wir gleich genauer (vgl. 3.4.4.4 u. 3.4.4.6). Die abstrakte Seite dieses positiven Moments von Tillichs Schrift ist notwendig, um diesem eine Begründung zu geben. Diese Begründung lautet zunächst: Ein abstrahierender Blick auf die das eigene Leben bestimmenden Momente legt offen, dass den Momenten, die dem Nichtsein zunei­ gen, immer mindestens so viele Momente, die sich aus dem Sein speisen, vorgela­ gert sind. Tillich beschreibt die persönliche Beziehung zum eigenen Ende als ent­ scheidend für das, was der Tod für uns ist. Und nur darum geht es in der religiösen Thanatologie: Der Tod darf nicht nur Sinnzerstörer sein. Der Tod bedroht uns zwar absolut und relativ in vielfältiger Weise, das hat Tillich anhand seiner Endlichkeit­ sphänomene gezeigt. In den Gegenstandswelten unseres Lebens verharrend gibt es daher keinen Grund für Mut trotz des Todes. Erst ein religiöser Blick auf das eigene Leben, der sich von diesen Gegenstandswelten löst, erlaubt es eine Begründung für den Mut trotz des Todes zu geben. Wer in eine solche religiöse Einstellung zum eigenen Leben hineinkommt, der hat laut Tillich den wahren »Mut zum Sein trotz des Todes«.

465

  Tillich, Mut, 39.

3.4  Von der Entschlossenheit zum Mut zum Sein

301

3.4.4  Thanatologische Problemkreise in Tillichs ›Der Mut zum Sein‹ Tillichs Erfolgsbuch handelt vom Mut, den jedes Leben braucht, um die Aufgabe, die ein Leben für jedes Individuum darstellt, positiv meistern zu können. Wie wir gesehen haben, wirft dieses Thema zwangsläufig das Problem des Todes auf. Unser individuelles Leben braucht jenen Mut, weil es endlich ist, weil es im Tode vergehen wird. Um diese Erkenntnis herum hat Tillich seine Gedanken entfaltet, die er so darlegt, dass deutlich wird: Sie stehen auf der Basis der Gedanken des westlichen Denkens seit über 2000 Jahren. Der Mut erscheint so als Gegenspieler des Todes seit Menschengedenken. Allerdings hat Tillichs Behandlung der Frage, die hier natür­ lich nur selektiv wiedergegeben wurde, einige Frage offengelassen, die wir zu klären versuchen. Erst nach diesem Durchgang können wir Tillichs Lösung der Frage des Todes noch einmal reformulieren und mit der Hei­deg­gers Lösung zusammenfließen lassen. Diese Lösung soll uns dann als Ausgangspunkt für die Schlussbetrachtungen dienen. 3.4.4.1  Mut und Angst als Alltagsphänomen und Grundstimmung Es war im Durchgang durch ›Der Mut zum Sein‹ aufgefallen, dass Tillichs Beschrei­ bung des Muts als eine Seite der Grundstimmung im Sinne Hei­deg­gers zwar ein­ leuchtend dargelegt wird, dass die Verhältnisbestimmung im Blick auf den Mut als Alltagsphänomen dabei jedoch unterbelichtet war. Gleiches gilt für die Angst. Diese Differenzierung nun hängt eng damit zusammen, wie Stimmung von Grundstim­ mung unterschieden wird und wie sich beides zu dem nahe verwandten, bei Tillich ebenfalls angesprochenen, Phänomen der Haltung verhält. Diesem Problemkreis widmen wir uns jetzt. a)  Mut als Alltagsphänomen und Grundstimmung So griffig wie die Formulierung des Muts zum Sein ist, so wenig fällt der Tillich’sche Mut mit dem zusammen, was wir alltagssprachlich mit diesem Ausdruck bezeich­ nen. Aber es gibt eine Gemeinsamkeit, die an einem Beispiel leicht verdeutlicht wer­ den kann. Der Mut, den ein Kind zusammenraffen muss, um zum ersten Mal vom Dreimeterturm zu springen, und der Mut als grundlegende menschliche Befähigung zur Lebensbejahung, wie ihn Tillich avisiert, haben etwas gemeinsam. Das Kind tritt an die Kante des Sprungturms, blickt in den Abgrund, antizipiert die Gefahr, die vom Abgrund ausgeht, antizipiert mögliche negative Folgen eines Sprungs, kommt vielleicht sogar zum Schluss, dass es einfacher wäre, einfach wieder herunterzu­ steigen und den Sprung zu lassen, überwindet alle diese Hindernisse jedoch und springt mutig. Im besten Fall genießt es den Sprung, im schlechtesten Fall, landet es unglücklich und wird so schnell nicht wieder springen. Dazwischen gibt es viele Zwischenstufen. In allen Fällen aber bedeutet der Sprung eine Bejahung der eige­ nen Zukunft. Sei es, dass die eigene Lebenslust erspürt werden soll, sei es, dass vor

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sich selbst oder anderen Anerkennung erwirkt werden soll oder noch ein anderes. Der aufgebrachte Mut ist eine Bejahung der eigenen Zukunft. Allerdings geschieht diese Bejahung auf dem Boden von etwas. Sie ist nicht völlig grundlos, auch wenn ein konkreter Grund schwer zu benennen sein wird. Dennoch scheint sich der kon­ krete Mut einer unkonkreten Mutressource bedient zu haben. Und hier liegt die Gemeinsamkeit zum Mut als Grundstimmung wie Tillich ihn versteht. Tillich hatte den Mut ja auch als »Selbstbejahung« beschrieben, die ein Selbst bejaht, das mehr ist als nur das Selbst, das es bejaht. Das meint, dass hier auf etwas zurückgegrif­ fen wird, das jenseits unserer gegenständlichen Erfahrungswelt liegt, in dem sich dieses Selbst, das sich bejaht, jedoch befindet. Wenn wir nun an dieser Stelle kurz an Hei­deg­ger zurückdenken, fällt auf, dass Tillichs Umkreisen des Muts und seine Anreicherung des Begriffs durch Bezüge aus der Geistesgeschichte uns an Hei­deg­ gers existenziale Hermeneutik erinnern. »Dasein ist Erschlossenheit« in seinen drei Ausprägungen von »Befindlichkeit«, »Verstehen« und »Rede« (vgl. 3.3.2) hatte Hei­ deg­ger gesagt. Das Existenzial des Verstehens verwies dabei gerade in diesen Bereich des »Nach-vorne«, den auch Tillich hier begriffsmäßig umschreibt. Das Dasein ver­ steht sich selbst als etwas. Wenn der Mensch sich aber als etwas versteht, versteht er sich nicht als Nichts. Hier ist folglich bereits eine rudimentäre Form der Selbstbe­ jahung als anthropologische Grundkonstante beschrieben. Die menschliche Anlage des Nach-vorne-Entwerfens des eigenen Lebens, die nach Hei­deg­ger und auch nach Tillich als grundlegende Lebensweise des Menschen anzusehen ist, die also jedes menschliche Leben ausmacht, hat so gesehen immer schon einen selbstbejahenden Anteil. Dieses Nach-vorne kann auch krankhafte, dann letztlich destruktive Formen annehmen. Aber solange ein Mensch sich selbst noch nach vorne versteht, ist immer noch ein Teil von Selbstbejahung als vorhanden zu denken. Erst ein Suizid wäre das absolute Ende der Selbstbejahung. Dieses grundlegende Moment des mensch­ lichen Lebens entfaltet seine Kraft auf der Ebene einer Grundstimmung, tritt dann jedoch davon abgeleitet in Form vieler unterschiedlicher Stimmungen und wieder davon abgeleitet in Emotionen, Willensäußerungen, Handlungen usw. konkret in Erscheinung. Die Grundstimmung nennt Tillich Mut. Die konkreten Stimmungen können unterschiedliche Namen haben. So kann sich der Mut in Form von kon­ kreter Zuversicht in Bezug auf ein begonnenes Projekt zeigen. Ein weiteres Beispiel wäre Gelassenheit gegenüber den Unwägbarkeiten des Lebens. In beiden Fällen wird eine Zukunft bejaht, ohne zu wissen, ob es dazu einen guten Grund gibt. Vielleicht wird doch nichts aus dem Projekt und vielleicht ist doch alles schlimmer als gedacht. Es sind vielerlei andere Möglichkeiten denkbar, wie sich diese als Mut bezeichnete Grundstimmung im Leben abgeleitet zeigen kann. Für unsere Frage nach dem Tod jedoch ist das Entscheidende, dass sie immer eine Art Trotz- oder Abwehrbewegung gegen die eigene Endlichkeit ist, die sich, wie oben gesagt, aus einer diffusen Kraft speist, deren Ursprung undeutlich bleibt, in welcher sich der Mensch jedoch immer schon befindet. Hei­deg­ger hatte angedeutet, aber nicht ausführlich ausgeführt, dass hier vielleicht die Geburt als das eine Gegenstück zum Tod im Hintergrund steht.

3.4  Von der Entschlossenheit zum Mut zum Sein

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Darauf wollen wir in den Schlussbemerkungen noch einmal eingehen (vgl. 3.3.1.11 u. 4.1).466 b) Angst als Alltagsphänomen und Grundstimmung Analoges trifft auch für die Angst zu. Das muss schon gelten, sofern Tillich nach meiner Auslegung Mut und Angst als zwei Seiten derselben Grundstimmung beschreibt. Es hat sich eingebürgert, dass zwischen Angst und Furcht unterschieden wird, wie es ja auch Hei­deg­ger, im Anschluss an Kierkegaard, schon getan hatte (vgl. 3.3.1.4 u. 3.3.2.2).467 Doch auch jenseits dieser Differenzierung fallen Angst im Sinne Hei­deg­gers bzw. Tillichs und Angst als Alltagsphänomen nicht in eins. Wobei natür­ lich auch gesagt werden muss, dass alltagssprachlich meist nicht zwischen Angst und Furcht unterschieden wird. So kann man als Mensch sowohl Angst als auch Furcht vor einem großen Hund haben. Geht man die Differenzierung allerdings mit und nimmt Furcht als Emotion gegenüber konkreten Gegenständen, wie etwa einem großen Hund, und Angst als eine längerfristige Stimmung, die sich auf alles und nichts beziehen kann, meist also einen eher diffusen Gegenstand hat, zeigt sich, dass dieses bekannte Phänomen der Angst nicht mit der Grundstimmung der Angst gleichzusetzen ist. Hei­deg­ger hatte es bereits so beschrieben, dass Angst zu »Entschlossenheit« wird und keineswegs zu Ängstlichkeit.468 Angst als Grundstimmung kann sich also ana­ log zum Mut als Grundstimmung in vielerlei konkreten Ableitungen zeigen. Dabei ist es auch hier so, dass die allgemeinbekannte praktisch erfahrbare Angst etwas Entscheidendes mit der theoretischen Grundstimmung der Angst gemeinsam hat. Beide Phänomene stehen in Bezug zur Unheimlichkeit des Daseins. So kann eine konkret erfahrbare Angst als diffuses Gefühl vor einem routinemäßigen Gesund­ heits-Checkup beim Arzt als Beispiel dienen. Vielleicht setzt sich diese Angst aus einer Furcht vor einer schlimmen Diagnose, für die es allerdings eventuell gar keine Anzeichen gibt, und der Furcht vor den unangenehmen Untersuchungen wie etwa einer Darmspiegelung, aber auch der Angst vor dem Unbekannten, gar nicht Benennbaren, das aber potentiell in diesem Checkup seine Kraft entfaltet, zusam­ men. Diese Angst speist sich also ganz allgemein aus einer noch im Dunkeln liegen­ den, bedrohlichen Zukunft. Und so ist auch die Angst als Grundstimmung zu ver­ stehen. Jedes menschliche Leben wird stets von Seiten der Zukunft unter Spannung gesetzt, weil diese zwar auch Schönes bereithält, aber immer auch Bedrohliches brin­ gen kann und irgendwann, in womöglich nicht allzu ferner Zukunft, den Tod bringt. Diese Angstseite der Grundstimmung allerdings kann sich wiederum auch in vieler­ lei abgeleiteten Phänomenen zeigen. So kann tätige Unruhe genauso wie lähmende Niedergeschlagenheit als Realisierungsgestalt dieser Angst verstanden werden. 466

  Hei­deg­ger, SuZ, 372 – 377.   Vgl. aaO., 140 – 142 u. 184 – 191. 468   Vgl. aaO., 184 – 191. 467

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c) Grundstimmung, Stimmung und die menschliche Regulierungsmöglichkeit Nun haben wir sowohl in Bezug auf die positive wie auch in Bezug auf die nega­ tive Seite der angenommenen Grundstimmung gesehen, dass eben Stimmung und Grundstimmung zu differenzieren sind.469 Während Stimmungen klar benannt und unterschieden werden können, ist die Grundstimmung etwas Diffuses, das höchstens von konkreten Stimmungen abstrahiert werden kann. Fröhlichkeit und Bedrücktheit, Mut und Angst sind unterschiedliche Stimmungen, die zwar meist eine eher unklare Intentionalität haben, aber dennoch beschrieben und klar benannt erlebt werden können. Angst und Mut als die zwei Seiten der einen Grundstim­ mung allerdings, das haben wir oben gesehen, sind abstrakte, theoretischen Kon­ zepte, die auf etwas verweisen, das als Ressource für konkrete Stimmungen fun­ gieren kann. Dass der Mensch Fröhlichkeit empfinden kann, dass der Mensch Mut empfinden kann, aber auch, dass er Bedrücktheit und Angst empfinden kann, hat etwas, so die Annahme, mit einer immer zwischen den beiden Enden des Lebens, zwischen Anfang und Ende, zwischen Geburt und Tod, eingespannten Grundstim­ mung menschlichen Lebens zu tun. Der Tod als unweigerlich kommendes, absolutes Ende des individuellen Lebens strahlt so von seinem bis zuletzt unbestimmten Zeit­ punkt in alle Momente unseres vollbewussten Lebens hinein. Aber auch die Geburt hat das Potential wirkmächtig zu strahlen. Immerhin ist hier unser Bewusstsein aus uns letztlich unerfindlich bleibenden Gründen aus dem Nichts entstanden. Diesem zurückliegenden »Ende des Lebens«, seinem Anfang, wird in der Konzeption einer gemischten Grundstimmung ein ebenso starkes Potential zugeschrieben. Doch, wenn es auch zweifellos Menschen gibt, die ständig Mut haben und man sich als außenstehender Mensch nur fragen kann, woher sie diesen Mut nehmen, so gibt es genauso Beispiele von fehlendem Mut oder von vergeblicher Suche nach Mut. Es drängt sich die Anschlussfrage auf, wie ein Mensch auf die hier angenommene Res­ source der positiven Seite der menschlichen Grundstimmung zurückgreifen kann. Das führt uns zum nächsten Punkt. d) Stimmung und Haltung Tillich schätzt die Stoiker und die Existenzialisten sehr. Für uns ist die Hochschät­ zung der »stoischen Haltung«, und abgeleitet die der »neostoischen« der Existen­ zialisten, durch Tillich noch einmal Hinweis darauf, dass das, was Tillich als Mut bezeichnet, mehr ein Konzept ist als ein klar definierter Begriff. Ich verstehe den Mut bei Tillich als eine Stimmung im Sinne der Hei­deg­ger’schen Grundstimmung, die der anderen Seite der Grundstimmung, nämlich der Angst, polar gegengeordnet ist. Nun kann Tillich in seiner Schrift aber auch davon sprechen, dass Mut zum Sein, nämlich im Stoizismus, die Grundlage einer »Haltung« sei. Es stellt sich also die Frage nach der Beziehung zwischen Stimmung bzw. Grundstimmung und Haltung. 469

  Vgl. schon Bollnow, Wesen, 33 – 53.

3.4  Von der Entschlossenheit zum Mut zum Sein

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Diese Frage ist noch einmal Anlass über die feine Differenzierung zwischen dem Haben einer Stimmung, dem Haben der gemischten Grundstimmung aus Angst und Mut und dem in den Vordergrund treten Lassen einer der beiden Seiten der Stim­ mung zu reflektieren. Denn, wenn mit Tillich angenommen wird, dass die Grund­ stimmung eine gemischte ist, die in vielen unterschiedlichen Nuancen zwischen den beiden Extremen Mut und Angst changieren kann, dann stellt sich, wie auch oben mit Rekurs auf die Form des »Geschichte Erzählens« (vgl. 3.4.2) schon angespro­ chen, die Frage nach der menschlichen Regulierungsfähigkeit in Bezug auf seine Stimmungen. Der Hei­deg­gerschüler Otto Friedrich Bollnow, dessen Buch über das »Wesen der Stimmungen« auch heute noch maßgeblich ist, beschrieb den Unter­ schied von Stimmung und Haltung folgendermaßen: »Die Haltung, in der sich der Mensch von innen her eine selbstgeprägte Form gibt, steht der Stimmung gegenüber, in die er sich schon immer geworfen findet.«470 Das lässt sich zunächst recht einfach exemplifizieren: Wenn ich mich in eine düs­ tere, unfreundliche Stimmung geworfen finde, kann ich eine Haltung der Abneigung gegen diese, meine eigene Stimmung einnehmen und dennoch versuchen beson­ ders freundlich zu meiner Umgebung zu sein. Ob ein solcher Versuch Erfolg hat oder nicht, ist einen andere Frage. Aber es besteht durchaus die Möglichkeit, sich als Mensch nicht einfach immer von seinen Stimmungen überwältigen zu lassen, son­ dern ihnen gegenzuarbeiten. Und auch in diesem Fall kommt sofort eine Anschluss­ frage auf. Wann ist es möglich, sich gegen eine Stimmung zur Wehr zu setzen und wann nicht? Oder anders gefragt: Wer schafft das und wer schafft es nicht? Was für Eigenschaften muss eine Person haben, um überhaupt eine Haltung einnehmen zu können, die der Stimmung, in die sie sich geworfen findet, widerstrebt? Diese Fragen werden wir hier nicht klären können. Und auch Tillich unternimmt nicht den Ver­ such, sie zu klären. Dennoch verweisen die Fragen auf einen wichtigen Sachverhalt: Stimmungen überkommen den Menschen, er ist ihnen jedoch nicht einfach ausge­ liefert. Gemäß unserem oben schon eingeführten Modell der inneren Stufigkeit von Stimmungen lässt sich das zumindest partiell auch auf die angenommene, gemischte Grundstimmung übertragen. Innerhalb der Bandbreite zwischen Mut und Angst gibt es die Möglichkeit, sowohl bei mir als auch bei anderen durch unterschiedliche Mechanismen auf die jeweilige Grundstimmungsnuance einzuwirken. Wie jedoch könnte so etwas konkret aussehen? Diese Frage möchte ich in den Schlussbetrach­ tungen ausführlich diskutieren (vgl. 4.2). Hier sei nur so viel gesagt, dass Stimmun­ gen wie Grundstimmung als entweder gar nicht intentional oder zumindest diffus intentional beschrieben werden. Sie richten sich also nicht auf konkrete Gegen­ stände oder Bilder unserer Lebenswelt. Wenn eine theologische Rede vom Tod also auf die Stimmungsressource des Muts zurückgreifen will, scheint eine gegenständ­ liche Adressierung dieser Ressource etwa in konkreten Jenseitsbildern nicht ziel­ führend. Um eine Idee davon zu bekommen, welche Adressierung zielführend sein 470

  AaO., 155.

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könnte, ist es wichtig, sich zunächst noch einmal dem religiösen Aspekt des Mutes zuzuwenden. 3.4.4.2  Die religiöse Seite des Muts Tillich schätzte am eben schon erwähnten Stoizismus dessen »religiöse Haltung«. Damit sind wir bereits in die Dimension des Religiösen verwiesen. Die eben behan­ delte Haltung des Stoizismus wird also dahingehend weiter qualifiziert, dass sie sich auf das bezieht, was uns, nach Tillichs berühmter Formel, »unbedingt angeht«. Es geht um eine Haltung zu letzten Fragen. Das zeigt sich auch am englischen Origi­ nalbegriff »ultimate concern«, dessen Übersetzung »das, was uns unbedingt angeht« ist.471 Eine Haltung zu letzten Fragen ist etwas genuin Religiöses. Doch wie lässt sich das genauer beschreiben? Ulrich Barth definiert das religiöse Bewusstsein in seinem Aufsatz ›Was ist Religion?‹ anhand von vier Erfahrungsbereichen, in welchen das jenseits unserer Erfahrung liegende Unbedingte in unserer Erfahrungswelt einen Abdruck hinterlässt.472 Diese liegen im »Grenzbereich« unserer Erfahrung und wer­ den von ihm entlang der vier Kategorien der »Quantität«, der »Qualität«, der »Rela­ tionalität« und der »Modalität« gebildet. Dadurch gewinnt Barth vier Grenzbegriffe, die, um es bildlich zu sagen, mit einem Bein in unserer Erfahrungswelt stehen, mit dem anderen im Unbedingten zu verorten sind. Diese sind: »aktuale Unendlich­ keit«, »reale Ganzheit«, »reine Zeitenthobenheit« und »absolute qualitative Notwen­ digkeit«. Für unsere Fragestellung führt das insofern weiter, als es uns aufzeigt, in Beziehung zu welchen lebensweltlichen Erfahrungsbereichen die zunächst einmal nichts mit Religion zu tun habende gemischte Grundstimmung aus Mut und Angst bezogen werden muss, um deren religiöse Bedeutung zu heben. Mut und Angst müssen demnach gedacht werden als in Beziehung stehend zu sowohl der endlichen Freiheit, als die sich der Mensch selbst erfährt, als auch in Beziehung zur unendlichen Möglichkeit, die das Leben bietet. Hier stehen wieder die Hei­deg­ger’schen Existenzialien »Befindlichkeit« und »Verstehen« im Hintergrund. Mut und Angst müssen in Folge der Überlegungen Barths gedacht werden als in Beziehung stehend zu sowohl der erfahrbaren Partikularität des eigenen Lebens als auch in Beziehung zur antizipierbaren Ganzheit des Weltzusammenhangs. Mut und Angst müssen auch gedacht werden als in Beziehung stehend zu sowohl der eigenen endlichen Lebensspanne als auch der Ewigkeit, in welche diese Lebensspanne ein­ 471

  Vgl. für die Übersetzungsfragen die instruktiven Bemerkungen Werner Schüßlers in der Ein­ führung zur Neuübersetzung von Tillichs zweiter Erfolgsschrift Dynamics of Faith: W. Schüßler, Einführung, in: P. Tillich, Dynamik des Glaubens (Dynamics of Faith). Neu übersetzt, eingeleitet und mit einem Kommentar versehen von Werner Schüßler, 2020, 1 – 10. 472   Vgl. den gesamten, immer noch sehr zu empfehlenden Aufsatz Barth, Religion, bes. 9 – 13. Es geht hier darum, durch die »Schematisierung der Idee des Unbedingten« im Sinne des Schema­ tisierungsbegriffs von Rudolf Otto folgendes möglich zu machen: »Als solche ermöglichen sie die für die Struktur religiöser Deutung erforderliche Anwendbarkeit der Idee des Unbedingten auf die Sphäre der Erfahrung.«

3.5  Die Lösungsversuche der Todesfrage in ›Sein und Zeit‹ und ›Der Mut zum Sein‹

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geordnet erscheint. Mut und Angst müssen schließlich gedacht werden als in Bezie­ hung stehend zu sowohl der Kontingenz, in welcher das eigene Leben erfahren wird, als auch zur Notwendigkeit, die unser Leben für uns selbst hat. Vor dem Hintergrund der menschlichen gemischten Grundstimmung aus Mut und Angst deutet das religiöse Bewusstsein seine Erfahrungswelt in seiner Unend­ lichkeits‑, Ganzheits‑, Ewigkeits- und Notwendigkeitsdimension. Und auch hier drängt sich wieder die herausgehobene Bedeutung des Todes auf. Für ein Leben ohne Tod, bzw. davon abstrahiert, für eine Welt ohne Endlichkeit, verlören diese Unbedingtheitsdimensionen ihre unbedingte Bedeutung. Ein solches Leben wäre tatsächlich unendlich in seinen Möglichkeiten, und zwar in einer Weise, über die hinaus keine weitere Unendlichkeit mehr sinnvoll wäre. Es wäre jedoch niemals ganz, weil es zu keinem Abschluss kommen könnte. Es wäre dadurch auch niemals in Ewigkeit, weil es unendlich in der Zeit gefangen wäre. Es könnte der Zeit nicht entkommen. Und auch die Notwendigkeitsdimension müsste anders bedacht wer­ den. Wenn etwas schlicht für immer da wäre, verlöre auch die Frage nach Notwen­ digkeit und Kontingenz ihre Bedeutung. All das zeigt uns mindestens Viererlei. 1. Religion ist gerade auch aufgrund des Todes für den Menschen bedeutend. 2. Gibt es innerhalb der theologischen Tha­ natologie eine Möglichkeit auf die stimmungsmäßige Einstellung des Menschen zum Tod einzuwirken, kann die Valenz einer potentiellen Möglichkeit anhand der Beziehung zu den Dimensionen des religiösen Bewusstseins gemessen werden. 3. Es kommt für uns im Schlussteil noch einmal darauf an, die Beziehung zwischen der Grundstimmung, den Stimmungen und dem Religiösen zu bedenken. 4. Bei Hei­ deg­ger, der sich als a‑religiös versteht, aber von mir als implizit theologisch gedeutet wurde, haben wir anhand der Ausrichtung von ›Sein und Zeit‹ auf genau solche hier nun behandelte letzten Fragen hin die Bedeutung des Religiösen aufgespürt. Und auch bei Tillich ist das Religiöse so gefasst, dass es auf unsern »ultimate concern« verweist, also auf letzte Fragen.

3.5  Die Lösungsversuche der Todesfrage in ›Sein und Zeit‹ und ›Der Mut zum Sein‹ Bevor diese thanatologischen Überlegungen in den Schlussbetrachtungen zugespitzt werden, soll nun, quasi zur Wegbereitung dahin, noch einmal auf ›Sein und Zeit‹ und ›Der Mut zum Sein‹ zurückgeblickt und der Versuch unternommen werden, das bisher Gesagte auf zwei Lösungsversuche hin zu rekapitulieren bzw. zu bündeln. Ich habe Hei­deg­gers großes Frühwerk ›Sein und Zeit‹ als Beitrag zu einer philo­ sophischen Anthropologie gelesen (vgl. 3.3.1). Sein Denken hat dabei viel Theolo­ gisches gezeigt (vgl. 3.2). Das hat seinen einen Grund in Hei­deg­gers Denk- und Bil­ dungsweg, der ihn aus dem traditionellen Katholizismus herausgeführt hat (vgl. 3.1). Somit war sein persönliches Interesse von Beginn an zumindest auch ein religiöses.

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3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

Dem Hauptwerk ging eine intensive Beschäftigung mit der religionsphilosophi­ schen Tradition voraus. Diese lenkte sein Denken zunächst immer wieder auch in protestantisch-theologische Bahnen. Das Interesse an der religionstheologisch aus­ gerichteten Theologie des Protestantismus wurde dann durch die Wissenschaftler­ freundschaft mit Rudolf Bultmann, die in die Entstehungszeit des Hauptwerkes fällt, nochmals nachhaltig umgeprägt. Der innere Aufbau von ›Sein und Zeit‹ orientiert sich, wie Thomas Rentsch gezeigt hat (vgl. 3.3.1.13), an dogmatischen Loci. Außerdem deutet Hei­deg­ger das Dasein, das im Zentrum des Werkes steht und das von uns stets als der Mensch aus der Perspektive der ersten Person Singular verstanden wurde, in ›Sein und Zeit‹ in Bezug auf dessen Unbedingtheitsdimension. Alle kategorialen Bestimmungen des Menschseins, die Existenzialien, werden in ihrer letzten Konsequenz auf das Dasein selbst zurückgeführt. Dieses erfährt sich selbst zwar ständig und in vielfälti­ ger Weise, ist dabei aber stets auf die »Unheimlichkeit« des eigenen Seins bezogen. Diese Unheimlichkeit verweist in die Unbedingtheitsdimension des Daseins und kulminiert im stets bereitstehenden Tod (vgl. 3.3.3.1). Um trotz der Unheimlichkeit des Daseins etwas Sinnvolles über das eigene Leben im Leben aussagen zu können, wird der Tod aus dem Bereich des Unbedingten in das Bedingte hineingeholt. Er wird damit vom Tod, verstanden als Ende des Lebens, gewandelt in den Tod, ver­ standen als Chiffre für die Endlichkeitsdimension des Lebens. Damit steht der Tod für weit mehr als nur für das Lebensende. Er umfasst die Endlichkeitsphänomene des Lebens, die Tillich dann in seinen Intentionalitätsrichtungen der Angst ausfor­ muliert (vgl. 3.4.2 u. 3.4.3). In dieser Zusammenstellung wird immer wieder deut­ lich, dass der Tod nicht einfach eines dieser Phänomene ist. Die anderen Phänomene brauchen ihn sozusagen, um ihre Kraft entfalten zu können. Der Tod wird für Hei­ deg­ger zum maßgeblichen Ankerpunkt der Lebensdeutung. Wer wissen will, was es bedeutet, Mensch zu sein, muss dieses Menschsein als endliches verstehen. So lässt sich die Pointe zusammenfassen. Laut Hei­deg­ger gibt es hier auch keine Ausweichmöglichkeit vor dem Todesbe­ wusstsein, denn das Leben hat sich, wenn wir es als Menschen bewusst erleben und zu reflektieren beginnen, bereits auf seine eigene Endlichkeit hin ausgelegt. Wenn wir uns unsere eigene Endlichkeitsdimension klar machen, machen wir uns laut Hei­deg­ger nur etwas bewusst, was uns vorher auch schon bestimmt hat. Aus diesem Bestimmtsein auf das eigene Ende hin ergibt sich für Hei­deg­ger eine Grundspan­ nung des Lebens, an die der Mensch positiv anknüpfen kann. Somit ist der Tod nicht verstanden als das Ende des Lebens, sondern als essentieller Lebensmotor. Die Spannung auf das Ende hin kann im Menschen, wenn er sie richtig zu verstehen weiß, positive Lebensenergie freisetzen. Er wird entschlossen. Dabei ist diese »Ent­ schlossenheit«, wenn sie auch zu Gutem führen kann, nicht als angenehmer Zustand zu verstehen. Sie beschreibt wohl sehr gut das Getriebensein, das auch Hei­deg­gers eigenem Leben zur Entstehungszeit von ›Sein und Zeit‹ inhärent war (vgl. 3.1). Der Autor löst die Frage nach dem Tod also dahingehend auf, dass er klarmacht, dass die

3.5  Die Lösungsversuche der Todesfrage in ›Sein und Zeit‹ und ›Der Mut zum Sein‹

309

Bedeutung des Todes für uns Menschen nicht so sehr darin liegt, dass er das Leben tatsächlich beendet, als vielmehr darin, dass er als kommendes Ende des Lebens die­ ses auf einer vor dem bewusst reflektierenden Leben liegenden Ebene maßgeblich beeinflusst. Diese Beeinflussung kann sich in eine positive wie eine negative Rich­ tung auswirken. Um sich richtig zu verstehen, wird der Mensch dazu gerufen, sich selbst in Hinblick auf seine eigene Endlichkeit zu deuten, denn so kann aus dieser Grundstimmung genannten Beeinflussung ein positives Moment entspringen. Da nun sich selbst in Hinblick auf die eigene Endlichkeit zu deuten bedeutet, sich selbst im Horizont seiner Unbedingtheitsdimension zu deuten, wird Hei­deg­gers Blick auf das Menschsein in ›Sein und Zeit‹, wenn man die entsprechende Religions­ definition zugrunde legt,473 als religiöser Blick erkennbar. Allerdings ist Hei­deg­gers religiöser Blick ein religiöser Blick auf der Ebene der Theorie. Man könnte auch sagen es ist eine Art Intellektuellen- oder Vernunftreligion. Damit steht sie in einer langen Tradition, die bis heute reicht.474 Was dieser Religion Hei­deg­gers nämlich fehlt, sind die religiösen Gegenstandswelten. Somit steht sein Ansatz dem der meis­ ten der im zweiten Kapitel erörterten Beiträge zur theologischen Thanatologie, die in diesen Gegenstandwelten verharren, diametral entgegen. Eberhard Jüngels berühm­ tes Buch »Tod« (vgl. 2.3.4) kann, wie oben entwickelt, als Versuch gelesen werden, die Erkenntnisse Hei­deg­gers zu übernehmen und mit den Gegenstandswelten der christlichen Tradition zu vermitteln. Allerdings wurde als Problem ausgemacht, dass es Jüngel nicht gelingt, beide Seiten schlüssig zu verbinden. Die auch bei Jüngel ins Feld geführte typische Alternative der thanatologischen Diskussion innerhalb der protestantischen Theologie des 20. Jahrhundert, entweder Unsterblichkeit der Seele oder Auferstehung der Toten, hat sich für diesen Versuch als unbrauchbar erwie­ sen. Zu groß ist die Spannung zwischen der intellektuell-religiösen Erkenntnis der eigenen Endlichkeit auf der einen und deren Konsequenz für das eigene Leben und dem von Jüngel präferierten gegenständlichen Bild einer leiblichen Auferstehung auf der anderen Seite. Diese Spannung führte entweder zu einer endlosen Reihe an intellektuellen Übungen, um beides doch noch logisch plausibel zu verbinden, wie es viele der Beiträge der dritten Welle unternommen haben (vgl. 2.2). Oder sie führte zu einem offensichtlichen Auseinanderklaffen beider Seiten, welches dann etwa bei Jüngel durch einen Begriff wie »Geheimnis« überbrückt werden soll. Dies scheint jedoch mehr eine Verlegenheitslösung zu sein. Es ließe sich dem vielleicht entgegnen, dass Jüngel das auch bewusst ist und er deswegen ganz zum Ende seines Buches die Auferstehung in eine Verewigung im Gedächtnis Gottes münden lässt. Dieses Bild ist weit weniger gegenständlich und bietet dem hier Gesagten folgend auch größeres Vermittlungspotenzial (vgl. dazu 4.3.1). 473

 Vgl. Barth, Religion.   Ein gegenwärtiges Beispiel wäre: Gerhardt, Sinn. Für eine Diskussion dieses Beitrags vgl. Barth / Leonhardt (Hg.), Vernunft. Hier vor allem den Beitrag von Georg Neugebauer (145 –  162). Auch Christian Thies denkt in diese Richtung. Vgl. dazu das Ende seines Buches Thies, Sinn, 2008, 228 – 323. 474

310

3  Martin Hei­deg­gers Thanatologie

Tillich geht nun einerseits über Hei­deg­ger hinaus, bleibt aber andererseits in Bezug auf den Gegenstandsbezug seiner Thanatologie hinter den übrigen hier behandelten Theologen zurück. ›Der Mut zum Sein‹ kann daher als Vermittlungs­ versuch gelesen werden und passt damit einerseits sehr gut in die zweite Welle, für deren Beiträge ja sämtlich ein starker Hei­deg­gerbezug charakteristisch war. Ande­ rerseits übertrifft er diese Beiträge, weswegen er hier auch gesondert zur Darstel­ lung gekommen ist. Sein Endlichkeitspathos ist gegenüber dem der anderen Beiträge noch einmal gesteigert. Es bleibt vom individuellen Menschen nach dem Tod nichts übrig. Insofern überführt er die auch bei vielen der übrigen Theologen affirmierte Endlichkeitserkenntnis nicht in ein religiös-gegenständliches Bild des Weiterbeste­ hens. Doch er verbleibt auch nicht in einer rein intellektuellen Theorie. Vielmehr macht er den religiösen Charakter seiner Schrift insofern deutlich, als er deren ethi­ schen Impetus betont. Religiöse Thanatologie darf sich nicht darauf beschränken, so kann man diesen Ansatz ausformulieren, die radikale Endlichkeit des Lebens und deren Bedeutung für das Leben herauszuarbeiten. Vielmehr braucht eine religiöse Thanatologie auch eine praktische Seite. Diese findet sich in der starken ethischen Ausrichtung von Tillichs Schrift, die ich oben teilweise seinen popularwissenschaft­ lich-erbaulichen Charakter oder auch seinen mutmachenden Impetus genannt habe. Diese Seite war auch bei Hei­deg­ger schon vorhanden, doch blieb sie dort absichtlich unbetont bzw. wurde sogar verschleiert. Tillich aber versucht die religiös-thanato­ logische Lebensdeutung in eine Art religiös-thanatologische Lebensführung zu ver­ wandeln. Dafür betont er noch mehr als Hei­deg­ger die positive Seite der endlich­ keitsbestimmten Grundstimmung. Dieser Seite gibt er den Namen des Muts und hebt somit ein Desiderat der Theorie Hei­deg­gers, da er die Ambivalenz der Grund­ stimmung deutlicher zum Vorschein bringt als dieser. Aber Tillich expliziert Hei­deg­ger nicht nur, er geht auch über ihn hinaus. Wie hinter dem Tod, metaphorisch gesprochen, das Nichtsein wartet, so steht vor dem Lebensbeginn das Sein bereit. Er betont damit nicht nur die positive Seite der end­ lichkeitsbestimmten Grundstimmung, sondern weist dieser auch einen Ursprung zu. Das Leben ist eben nicht nur Sein zum Tode wie Hei­deg­ger es gesagt hatte, son­ dern zuerst einmal Sein, sonst könnte es auch nicht Sein zum Tode sein. Aus dieser zunächst noch rein intellektuellen Erkenntnis kann sich durch religiöse Lebensdeu­ tung eine positiv grundierte Lebensführung ergeben, die durch das absolute Ende, auf das das Leben zugeht und welches ein Verlöschen des individuellen Lebens bedeutet, nicht aufgehoben werden kann. Durch Tillichs geschichtsphilosophisch ausgerichtete Einbettung des individuellen Lebens in einen universalen Zusammen­ hang, kann Tillich eine Geschichte entspinnen, die auf Grundlage dieser positiv grundierten religiösen Lebensdeutung als Ersatz für die traditionellen Gegenstands­ welten der religiösen Tradition fungieren kann. Er geht damit an einer weiteren Stelle über Hei­deg­ger hinaus, weil er dem Einzelnen durch den ethischen Impetus und die geschichtliche Anlage seiner Schrift die Möglichkeit gibt, sich in diese zunächst sehr abstrakten Denkbewegungen emotional einzuschreiben. So bleibt er nicht bei

3.5  Die Lösungsversuche der Todesfrage in ›Sein und Zeit‹ und ›Der Mut zum Sein‹

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der reinen Intellektuellen Erkenntnis stehen, sondern macht daraus eine Geschichte. Genau das macht den gelungenen popularwissenschaftlich-erbaulichen Charakter seiner Schrift aus. Dennoch bleibt seine Schrift abstrakt und es bleibt die Frage, ob es nicht doch die Möglichkeit gibt, die Erkenntnisse Hei­deg­gers und Tillichs mit den traditionellen Symbolbeständen der christlichen Religion zu verbinden.

4  Schlussgedanken: Das Trotzdem des Lebens Wir haben sowohl im Durchgang durch die Thanatologien der drei Wellen des 20. Jahrhunderts als auch anhand von Hei­deg­gers Todesdenken und mit dem Blick auf Tillichs ›Der Mut zum Sein‹ erkennen können, dass der Tod sich gegen eine rein objektivierende Behandlung sperrt. Wenn Theologie nur die Frage nach dem Was des Todes und dem Wie eines vermeintlichen Lebens nach dem Tod stellt, ver­ bleibt sie in den Gegenstandwelten des gläubigen Subjekts. Vielmehr ist der Tod ein Thema, das theologisch auf der Ebene von Stimmungen zu verhandeln ist, was uns wiederum in das menschliche Selbstverhältnis verweist. Damit aber erhält das fragliche Thema eine anthropologisch grundlegende Bedeutung. Unsere Hei­deg­gerStudien haben gezeigt, was Otto Friedrich Bollnow bereits 1956 gesehen hat: »Die Stimmungen bedingen [. . .] von vornherein, wie die Welt und das Leben dem Men­ schen erscheinen. [. . .] Wie ich mich einem Ding zuwende und wie es mir erscheint, ist von vornherein durch die Stimmungslage bedingt, in der ich mich befinde.«1 Das bedeutet für unsere Frage nach einem adäquaten theologischen wie religiösen Umgang mit dem Tod: Wenn er als Thema eingefangen werden soll, dann muss es um die Stimmungen gehen, die die Endlichkeitsdimension des Lebens, für welche der Tod das herausragende Exempel ist, in unser Leben einträgt. Nur wer auf dieser Ebene etwas Substantielles beizutragen hat, kann sinnvoll über den Tod sprechen. Doch wie kann theologisch auf diese Ebene zugegriffen werden? Oben (vgl. 3.4.4) haben wir bereits gesehen, dass hier weiterer Differenzierungsbedarf besteht. Emo­ tionale Stimmung ist von strukturell-anthropologischer Grundstimmung zu unter­ scheiden und die Frage der menschlichen Regulierungsfähigkeit der Stimmungen zu bearbeiten. In Bezug auf die strukturell-anthropologische Stimmung kann sich eine solche Regulierungsmöglichkeit jedoch nicht auf die Stimmung an sich, sondern nur auf die Nuance einer solchen Stimmung, die wir oben als stets ambivalent beschrie­ ben haben, beziehen (vgl. 3.4). Das gilt zum einen wissenschaftlich-theologisch: Hier ist es Aufgabe, die Ver­ ankerung der Todesfrage in den Stimmungen immer wieder durch strukturelle Analysen aufzuzeigen, sowie die Stufigkeit der menschlichen Stimmungslagen zu bedenken. Wenn die Dogmatik nur versucht, systematisch kohärente Theorien zu glaubender Glaubensätze über den Tod aufzustellen, verfehlt sie diese Aufgabe. Die in der Frage des Todes mit zu bedenkende anthropologische Tiefenschicht bleibt so

1

  Bollnow, Wesen, 55.

314

4  Schlussgedanken: Das Trotzdem des Lebens

unberücksichtigt. Das gilt aber eben auch für die mit Tillich in den Blick gerückte popularwissenschaftlich-erbauliche Herangehensweise (vgl. 3.4.1 – 3), die Erkennt­ nisse der theologischen Wissenschaft in das religiöse Leben hinein zu vermitteln sucht. Auf dieser Ebene bewegen sich ja zu Recht viele der Bücher über den Tod (z. B. Jüngel, Thielicke, Pannenberg), die wir oben besprochen haben. Auch eine sol­ che Vermittlung muss auf die Stimmungen zielen. Eine gläubige Einstellung dem Tod gegenüber kann nicht als gegenständliches Für-wahr-halten deduzierter Dog­ men verstanden werden, sie baut auf Stimmungen auf. Wenn der Tod das Leben auf der Ebene der Stimmung maximal anfragt, dann muss der Glaube das Leben auf der Ebene der Stimmung ebenso maximal bestärken. Glaube im Angesicht des Todes bedeutet in seiner Tiefenschicht Lebensbejahung und nicht gegenständliches Für-wahr-Halten. Es ist aber nicht so, dass so eine Evokation von Lebensbejahung einfach aus dem Nichts kommen könnte. Sie ist ja Evokation, also Hervorrufung von Etwas, was dem Menschen, so wie die stimmungsmäßige Einstellung zum Tod, bereits grundsätzlich zu eigen sein muss: eine stimmungsmäßige Einstellung zum Leben sozusagen. Es lässt sich, wenn wir uns noch einmal an Hei­deg­gers Grundstimmung der Angst erinnern und das oben Gesagte vergegenwärtigen (vgl. den Zusammenhang von Angst, Mut und Hoffnung bei Hei­deg­ger, vgl. 3.3.3.2 u. 3.3.3.3) und Tillichs Beitrag zu dieser Frage mitbedenken (vgl. 3.4), anhand einer Kritik dieser Grund­ stimmung mittels der Erkenntnisse der neueren Emotionstheorie (Goldie, Nuss­ baum), aber auch schon mit Rückgriff auf eine frühe Kritik Hei­deg­gers durch seinen Schüler Bollnow, noch einmal intensiver hervorheben, dass das, was Hei­deg­ger als Angst bezeichnet, viel weniger eindimensional ist, als es erscheint. Angst bei Hei­ deg­ger ist ja eine Stimmung, die die Entschlossenheit (zu leben) erst in ihrer vollen Güte aufkommen lässt. Angst im Sinne Hei­deg­gers stimmt den Menschen zwar auf seine Endlichkeit ein, doch ruft sie dabei idealerweise oder »eigentlich« gerade keine Ängstlichkeit hervor, sondern »Entschlossenheit«, also, unserer Lesart folgend, letzt­ lich Lebensbejahung. Otto Friedrich Bollnow fasst diesen Zusammenhang folgen­ dermaßen: »Die naive Betrachtung würde nun versuchen, dieses Erzittern der Angst als eine bedauerliche Schwäche zu begreifen und abzutun. Die existenzphilosophische Deutung unterscheidet sich aber gerade dadurch von ihr, daß sie dieser Erschütterung der vertrauten Lebensbezüge in der Erfahrung des Unheimlichwerdens einen positiven Sinn abzugewinnen versucht. Sie wird von vorneherein durch die Annahme geleitet, die sich dann nachher als das Ergebnis der Untersu­ chung bestätigt: ›Die Angst ist ein Ausdruck für die Vollkommenheit der menschlichen Natur [Kierkegaard, KS].‹«2

Angst ist also nicht in erster Linie etwas Lebensbedrohliches, sondern Kraftpunkt von Lebensenergie. Doch diese Ambivalenz der Angst kommt nicht voll zur Gel­

2

  AaO., 73 f.

4  Schlussgedanken: Das Trotzdem des Lebens

315

tung, wenn das, was mit dem Begriff gemeint ist, einlinig als Angst bezeichnet wird. Vielmehr ist diese Grundgestimmtheit des Lebens nicht eine Stimmung, sondern ein Gestimmtheitskomplex, was aber, wie wiederholt betont (vgl u. a. 3.4.4.1), von den Stimmungen im Sinne von wechselnden, subjektiven emotiven Zuständen unter­ schieden werden muss. Das hatte ich mithilfe von Tillichs Gedanken zu veranschau­ lichen versucht. Es kommt nun also im Folgenden darauf an, diese Erkenntnisse noch einmal zu betrachten und dabei besonders auf die Ambivalenz der Grundstim­ mung zu achten. Die Leitfrage muss hier sein: Wie kann das, was Hei­deg­ger Angst nennt und was Tillich in Mut und Angst differenzieren kann, als Ressource avisiert werden, um die Frage des Todes religiös (vgl. 3.4.4.2) zur Geltung zu bringen? Das Dasein ist, so hatten wir es schon angerissen, nicht nur Sein zum Tode, sondern muss, um überhaupt Sein zum Tode sein zu können, ja zuerst Sein zum Leben sein. Auch, wenn sich die Grundstimmung immer ausstreckt auf das kom­ mende Lebensende hin (bestimmt ist durch die Endlichkeitsdimension), so speist sie sich ja immer auch aus dem gewesenen Lebensanfang (Anfänglichkeitsdimension des Lebens). Dieses Eingespanntsein zwischen Leben und Tod, das das menschli­ che Dasein ausmacht, muss sich eben auch in der phänomenologischen Erfassung der Grundstimmung abbilden. Paul Tillich hatte das, wie oben gesehen, getan. Für ihn ist das Dasein, er nennt es Leben, nicht nur durch eine Grundstimmung der Angst bestimmt, sondern gleichzeitig durch eine zweite, oder besser gesagt, durch die andere Seite der Grundstimmung, die er den Mut nennt (vgl. 3.4.3 u. 3.4.4). Während sich die Angst aus dem kommenden Ende speist, erwächst der Mut aus dem gewesenen Anfang. Diese Dialektik der Grundstimmung muss über Hei­deg­ ger ­hinausgehend mitgedacht werden. Dies erweitert nicht nur die wissenschaft­ lich-theologische Betrachtung des Todes um etwas Entscheidendes, es verhilft auch zu einer die popularwissenschaftlich-erbauliche Thanatologie weiterbringenden Erkenntnis. Tillichs Ansatz zeigt auf, dass Thanatologie narrative Züge braucht. Die in den Blick zu nehmende Grundgestimmtheit, die sich ekstatisch nach hinten (Beginn des Lebens) wie nach vorne (Ende des Lebens) erstreckt, bildet sich nicht nur narrativ aus, sondern ist auch narrativ zu thematisieren (vgl. 3.3.2.5 u. 3.4.4.1). Hier helfen uns die Erkenntnisse der modernen Emotionstheorie, die genau das vielfach bestätigen. Das emotionale Leben ist nicht durch Zustände charakterisiert, sondern durch Prozesse, die narrativen Charakter haben. Wir können an dieser Stelle an das Hei­deg­ger’sche Motiv der »Geschichtlichkeit« des menschlichen Lebens anknüpfen. Welche Seite der gemischten Grundstimmung nun die prägende ist, ist nicht völlig außerhalb des Verfügbaren. Es gibt, das hatten wir bereits bemerkt (vgl. 3.4.4.1.c), eine Möglichkeit zur Stimmungsregulierung. Die Grundstimmung bleibt zwar immer ambivalent, doch sie changiert in Bezug auf ihr Leitmotiv, auf ihre dominierende Seite. Welche Seite die Oberhand gewinnt, hängt von der Geschichte ab, in der wir uns verstehen. Anders als Hei­deg­ger bietet Tillich hier in ›Der Mut zum Sein‹ eine Geschichte an. Seine Schrift ist genuin geschichtsphilosophisch aus­ gelegt und hat, wie oben gesehen (vgl. 3.4.3), die Struktur, dass sich Mut und Angst

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4  Schlussgedanken: Das Trotzdem des Lebens

als die grundlegenden Polaritäten des menschlichen Lebens in einem Kampf um die Oberherrschaft befinden. Und so wie es die Angst nur geben kann, weil es den Mut vorher schon gab, weil Tod immer Leben braucht, das er beenden kann, so kann die Angst den Mut nicht beseitigen. Tillich, der wie Hei­deg­ger seine Anthropologie als Ontologie versteht, führt diese Ambivalenz dann bis in die Tiefen eines Kampfes zwischen Sein und Nichtsein, welcher für ihn immer in einer Dominanz des Seins gegenüber dem Nichtsein endet. Es ist jedoch evident, dass auch diese Beschrei­ bung evokativen Charakter hat. Es ließe sich leicht fragen, ob das nicht eine ähnliche Leerformel ist, wie die von Theologen immer wieder gebrauchte Rede vom Sieg des Lebens über den Tod. Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied. Mit der Rede vom Mut, der durch die Angst nicht beseitigt werden kann, wird auf das Leben abgezielt. Es soll damit nicht gesagt werden, dass nach dem Ende des Lebens noch von diesem individuellen Mut die Rede sein kann. Das ist in der Rede vom Sieg des Lebens über den Tod anders. Der Tod beendet das individuelle Leben, das erkennt Tillich klar an. Es ist gerade das Trotzdem, das daraus folgt, das dann zur Rede vom Mut, der der Angst entgegensteht, führt. Diese in ›Der Mut zum Sein‹ abstrakt begründete und zugleich narrativ darge­ legte Dominanz des Seins bzw. des Muts gegenüber dem Nichtsein bzw. der Angst führt Tillich dazu, dass er eine Haltung des Trotzes gegenüber dem Tod zu evozie­ ren versucht. Die Tatsache des kommenden Endes des Lebens, die bei Tillich als absolutes Ende des individuellen Lebens zu verstehen ist (vgl. 3.4.1 – 3.4.4), hat zwar das Potential den Menschen verzweifeln zu lassen, was ein Sieg der Angst wäre. Sie birgt aber, wenn die gegenwärtige Kraft des Lebens ins Zentrum der Aufmerksam­ keit rückt, die Möglichkeit dem Tod mit Mut die Stirn zu bieten. Der Mut speist sich nicht aus einem vermeintlichen Sieg des Lebens über den Tod, nicht auf universeller und schon gar nicht auf individueller Ebene. Er kann sich lediglich aus der aktuali­ sierten Möglichkeit des Lebens im einzelnen mutigen Leben speisen. Dass es Leben gibt, ist Grund zum Trotzdem. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Diese Geschichte gilt es auf einer theologisch-religiösen Ebene zu erzählen, um dem Tod etwas entgegen setzen zu können. Das Erzählen knüpft dabei, so die Annahme, pro­ duktiv an die sich narrativ bildenden Stimmungen des Menschen an, die wiederum in einem nicht gänzlich zu bestimmenden, aber sinnvoll anzunehmenden Zusam­ menhang zur Grundstimmung stehen. Erzählen und Geschichte verweisen auch darauf, dass es sich dabei nicht um einen rein intellektuellen Vorgang handelt, den man im Sinne einer Erkenntnis annehmen müsste, sondern, man könnte vielleicht sagen, um ein Arbeiten am ganzen Menschen. Gleichzeitig hatte der Blick auf Tillich noch einmal dazu geführt, explizit zu erkennen, dass ein solcher Blick auf den Tod ein religiöser ist, der aber, wenn er nur wissenschaftlich dargelegt wird, höchstens zu einer vernunftreligiösen Einstellung zum Tod führen kann. In Form einer solchen zwar als religiös zu qualifizierenden, aber letztlich reine Vernunfterkenntnis bleibenden theologischen Thanatologie kann zwar anerkannt werden, dass der Tod, trotzdem er das absolute Ende des individuellen Lebens

4  Schlussgedanken: Das Trotzdem des Lebens

317

bedeutet, dieses nicht entwertet. Doch verlangt ein religiöser Blick auf den Tod nach mehr. Ein solcher Weg kann das religiöse Bedürfnis nach ganzheitlicher Erbauung nicht erfüllen. Das liegt an der inneren Struktur des menschlichen Selbstverhältnis­ ses, welches uns anhand der Daseinshermeneutik Hei­deg­gers (vgl. 3.3.2), aber auch anhand von Tillichs anthropologischen Überlegungen (vgl. 3.4.1 – 4) schon ausführ­ lich beschäftigt hat. Analog zu Kants Zweiquellentheorie, die sich in den beiden berühmten Sät­ zen »Gedanken ohne Inhalt sind leer. Anschauungen ohne Begriffe sind blind« für unsere Zwecke fassen lässt, brauchen jene thanatologischen Vernunftgedanken Inhalte, wenn auch jene Inhalte wiederum auf die hier gebildeten Begriffe zurück­ bezogen werden müssen. Gerade anhand dieser inneren Bezugslage hat sich eben auch die Schwäche der traditionellen Inhalte der Auferstehung von den Toten oder der Unsterblichkeit der Seele gezeigt. Die hervorgerufenen Inhalte passen nicht recht zu den zuvor gebildeten Gedanken. Dieses nur angerissene Thema, möchte ich hier in den Schlussgedanken zuerst unter dem Titel »Thanatologie und Selbst­ verhältnis« (4.1) reflektieren. Die dort gefundenen Anregungen werden uns noch einmal tiefer in den Bereich des Selbstverhältnisses führen, sodass wir zweitens den »inneren Aufbau des Selbstverhältnisses« mit Zuspitzung auf die Frage des Todes betrachten können (4.2). Schließlich wenden wir uns noch den für eine theologi­ sche Thanatologie bedeutenden Frage danach, was zu einem sterbenden Menschen und zu Menschen, die am Grab eines oder einer lieben Angehörigen stehen müs­ sen, gesagt werden kann. Auch wenn ich keine abschließende Antwort auf diese Fragen zu geben vermag, erhoffe ich mir vom dritten und vorletzten Punkt die­ ser Schlussgedanken, den ich unter dem Titel »thanatologische Gegenstandwel­ ten im Lichte des religiösen Selbstverhältnisses« (4.3) bedenken werde, immerhin einige Impulse geben zu können. Wir werden dort zu »alten Symbolen« (4.3.1) und »neuen Geschichten« (4.3.2) geführt, wobei alt und neu nicht mit schlecht und gut verwechselt werden darf. Das sollte dem, der die Ausführungen zum Existenzial der Geschichtlichkeit bei Hei­deg­ger gelesen hat, einleuchten (vgl. 3.3.3.5 u. 3.3.4). Zuletzt komme ich noch auf eine ebenfalls schon in der Einleitung gestellte Frage zurück, die, weil sie so etwas wie den systematischen Überbau der theologischen Thanatologie zum Thema hat, getrost ganz am Ende stehen darf: Ist die Frage nach dem Tod nun eine Frage nach dem Sinn oder die Frage nach dem Sinn eine nach dem Tod (4.4)? Beides, Tod und Sinn, hängt untrennbar mit einander zusammen. Einige an das Bisherige anknüpfende Reflektionen sollen versuchen für diese hoch­ komplexe Verhältnisbestimmung, Anregungen geben zu können.

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4  Schlussgedanken: Das Trotzdem des Lebens

4.1  Thanatologie und Selbstverhältnis Theologische Thanatologie, die theologische Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Tod, wurde in der vorliegenden Arbeit zugespitzt auf die Frage, was denn der Tod für das religiöse Bewusstsein bedeutet.3 Die Frage, was nach dem Tod kommt, so die damit einhergehende Annahme, kann wissenschaftlich-theologisch nicht seriös bearbeitet werden. Sie verweist vielmehr in den Bereich der Gegenstandswel­ ten des religiösen Bewusstseins. Dennoch spielen diese gegenständlichen Aussagen über das Wie und Was nach dem Tod innerhalb der theologischen Thanatologie eine wichtige Rolle. Die in Bezug darauf getätigten Aussagen haben dann jedoch den epistemischen Status religiöser Symbolsprache. Ihre Wahrheit liegt damit auf der Ebene des Symbols.4 Das heißt nun aber wiederum nicht, dass alle religiös3   Roderich Barth hat mich darauf hingewiesen, dass meine Aufnahme des Konzepts des Vorthematischen von Hei­deg­ger Probleme mit sich bringt, die ich nicht lösen konnte. Ich bin mir der Valenz und des Gewichts dieses Hinweises bewusst. Ich denke, es ist jedoch nicht möglich, das genannte Problem an dieser Stelle zu lösen. Daher weise ich lediglich auf die Problematik hin und bin auf alle Versuche des Weiterdenkens gespannt. Es sind Fragen, die ins Zentrum von Bewusst­ seinstheorie oder gar Philosophie und Theologie überhaupt führen. Es geht um die Beziehung des heideggerschen Vorthematischen und der für die Religionsphilosophie notwendigen Kategorie des Unbedingten. Oder anders: um die Frage, ob wir die Möglichkeit haben, einen Endlichkeitsbezug im menschlichen Selbstbewusstsein anzunehmen, der vorreflexiv ist. Das ist zum einen natürlich ein Widerspruch, weil es sich bei dem Gemeinten immer um eine vernunftmäßige Operation han­ delt. Das kommt auch im Begriff des Endlichkeitsbezugs vor. Was sollte dieser Bezug sein, wenn nicht ein mentales Reflexionsverhältnis? Dessen ist sich auch Hei­deg­ger bewusst. Er beharrt trotz­ dem darauf, dass dieser Endlichkeitsbezug des Menschen (das Dasein als Sein zum Tode) bereits im praktischen Weltumgang eingeschrieben ist, also etwas Vorthematisches ist (doch gibt es einen vorreflexiven praktischen Weltumgang überhaupt?). Diese Verankerung des Todes im Aufbau des Menschseins habe ich übernommen, ohne die Problematik zu lösen. Ich schleppe sie sozusagen von Hei­deg­ger mit und bin mir dessen bewusst. Ich möchte jedoch kurz bemerken, warum ich es dennoch vorgezogen habe, mit dieser Art eines ungedeckten Schecks zu arbeiten: In der Sprache der Frömmigkeit könnte man die zugrundeliegende Frage umformulieren: Wo begegnet dem Menschen Gott eigentlich? Mit den Theologen der von mir oben beschriebenen ersten Welle (und auch mit Hei­deg­ger) würde ich sagen: Im vor-den-Tod-Gestellt-sein (natürlich nicht nur dort). Hier wird dem Menschen sein Bezogen-sein auf das Göttliche am ehesten deutlich. Doch wo, an welchem Ort im inneren Aufbau des Menschseins, wird die Endlichkeit zuerst deutlich? Mit Hei­deg­ger vertrete ich hier die Ansicht, dass dem Menschen die Endlichkeit eben nicht erst in einer Reflexion, im bewussten Denken deutlich wird, sondern dass das Menschsein schon vorher auf seine Endlichkeit bezogen ist, also auf Gott verwiesen ist. Das adäquat auszudrücken ist sprachlich unmöglich. Mir kommt es jedoch auch nicht auf die bewusstseinstheoretische, antimentalistische Pointe Hei­deg­gers an. Was mir vielmehr wichtig ist, ist eine thanatologische Pointe. Nämlich, dass es nichts Mensch­ liches gibt, was nicht in Bezug zum Tod steht. Jeder mentale Vorgang operiert dadurch, dass es ein menschlicher Vorgang ist und Menschsein immer Sterben-müssen bedeutet, auf Grundlage der Endlichkeit. Auch alle Vernunftoperationen sind nur auf dem Boden eines endlichen Menschseins zu verstehen. Ich weiß dabei natürlich, dass ich diese Pointe nur mit den Mitteln logischer oder ver­ nunftmäßiger Operationen beschreiben kann. 4   Für die hier im Hintergrund stehende Beziehung zwischen religiöser Sprache und Symbol sind immer noch Tillichs Gedanken maßgeblich. Vgl. z. B. P. Tillich, Das Wesen der religiösen Sprache, in: R. Albrecht (Hg.), Die Frage nach dem Unbedingten: Schriften zur Religionsphilosophie Paul

4.1  Thanatologie und Selbstverhältnis

319

gegenständlichen Aussagen über das Wie und Was nach dem Tod als gleichwertig anzusehen sind. Insofern kommt der inneren Abwägung zwischen den traditionel­ len Symbolen von Auferstehung der Toten, Unsterblichkeit der Seele und Ewigem Leben, die von mir in Bezug besonders auf die dritte Welle evangelisch-theologischer Thanatologie im 20. Jahrhundert immer wieder kritisiert wurde (vgl. 2.2), durch­ aus eine gewisse Berechtigung zu.5 Es lässt sich theologisch sinnvoll fragen, welche symbolische Aussage über das Wie und Was nach dem Tod nun am adäquatesten ist. Allerdings lässt sich eine Antwort auf diese Frage dann weder pauschal geben, noch auf der Ebene einer innersystematischen Kohärenz in Bezug auf die gegebe­ nen dogmatischen Lehraussagen hin, noch mit rein biblizistischen oder traditiona­ listischen Argumenten begründen. Vielmehr ist hier wieder der dieser Arbeit als Motto vorangestellten Aussagen des Kirchenhistorikers Hans von Campenhausen zuzustimmen, der sagt: »Im übrigen ist es auch so, daß der Mensch nirgends so verschiedenartige und einander widerstreitende Vorstellungen nebeneinander ertra­ gen kann, wie gerade im Bereich der Jenseitshoffnungen und der Ewigkeit. Das hat vielleicht seinen guten Sinn.«6 Doch worin liegt dieser »gute Sinn«? Er liegt in der Struktur des Daseins begründet. Diese macht es widersinnig, eine generell geltende Vorstellung anzunehmen. Die gegebene Struktur lässt durchaus unterschiedliche Gegenstandsvorstellungen zu, worauf ja auch das religionsgeschichtlich fundierte Urteil von Campenhausens verweist, dass der Mensch verschiedenartige und einander widerstreitende Vorstel­ lungen ertragen könne und eben geschichtlich betrachtet auch immer ertragen hat. Dennoch sind dieser Struktur nicht alle Gegenstandsvorstellungen gleich adäquat. Es lässt sich also als Ergebnis dieser Schlussbetrachtungen festhalten: Einem gläu­ bigen Menschen ein bestimmtes gegenständliches Bild des Wie und Was nach dem Tod ausreden zu wollen, kann zwar seelsorgerliche Gründe haben, etwa, wenn jenes Bild destruktiv wirkt. Sich dabei jedoch auf ein wahrheitsfähiges systematischtheologisches Urteil zu beziehen, ist theoretisch höchstens abgeleitet mit Rekurs auf die Struktur des religiösen Bewusstseins möglich, praktisch aber aufgrund der mit einem solchen Rekurs einhergehenden Unsicherheit weder zu empfehlen noch auf­ grund der Komplexität als durchführbar zu erachten. Es ließe sich zwar umgekehrt argumentieren, dass bestimmte gegenständliche Antworten auf die Frage nach dem Wie und Was des nach dem Tod nicht christlich seien, dann begäbe man sich jedoch wiederum in die Diskussion über eine Wesensbestimmung des Christlichen, wel­ che ebenfalls höchst komplex und hier nicht das Thema ist. Da wir uns im Zuge Tillich, 1964, 213 – 223. Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit Tillichs Symboltheorie vgl. L. C. Heinemann, Sinn – Geist – Symbol. Eine systematisch-genetische Rekonstruktion der frühen Symboltheorie Paul Tillichs, 2017. 5   Tillich selbst wählt in der Systematischen Theologie das Symbol des Ewigen Lebens. Vgl. P. Tillich, Systematische Theologie III, 1987, 446 – 459. 6   H. von Campenhausen, Tod, Unsterblichkeit und Auferstehung, in: Pro Veritate. Ein theo­ logischer Dialog. Festgabe für Erzbischof Lorenz Jaeger und Bischof Wilhelm Stählin, 1963, 275.

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4  Schlussgedanken: Das Trotzdem des Lebens

dieser Arbeit im Bereich des Theoretischen bewegen und uns auch Komplexität weder scheuen sollte noch bisher gescheut hat, können wir eine solche Abwägung der unterschiedlichen Gegenstandsvorstellungen zugespitzt auf die Frage, was denn in einem Gespräch mit einem sterbenden Menschen und am Grab zu sagen sei, unternehmen. Ich bin mir dabei jedoch der Unsicherheiten eines solchen Unter­ fangens bewusst. So möchte ich die folgenden Anmerkungen lediglich als eben vor­ sichtige Anmerkungen verstanden wissen (vgl. 4.3). Dass die antizipierte Situation (Gespräch mit einem sterbenden etc.) womöglich eher schweigende Andacht oder traditionell geformtes Gebet verlangt, soll dabei unbenommen bleiben.

4.2  Der innere Aufbau des Selbstverhältnisses Zunächst müssen wir uns, wenn auch in rekapitulierender Form, wieder dem inneren Aufbau des Selbstverhältnisses zu wenden, als dessen Teil das religiöse Bewusstsein zu verstehen ist. Im oben herangezogenen (vgl. 3.4.4.2) Aufsatz ›Was ist Religion?‹ gibt Ulrich Barth seine bekannte Religionsdefinition, an die ich hier anknüpfen möchte: »Religion als Deutung der Erfahrung im Horizont der Idee des Unbeding­ ten – so unsere Zugangsdefinition – kann [. . .] näherbestimmt werden als eine gegen­ über dem Bereich der Erkenntnis spezifische Form menschlicher Deutungsleistung, nämlich als Deutung der Wirklichkeit im Horizont ihrer Unendlichkeits‑, Ganz­ heits‑, Ewigkeits- und Notwendigkeitsdimension.«7 Unser mit Hei­deg­ger eingeführ­ ter Begriff ist zwar nicht der der Erfahrung, sondern der des befindliche-Verstehens. Die genannte Religionsdefinition kann jedoch mit diesem Begriff zusammengebracht werden. Die Erfahrung ist bereits eine gedeutete, wie eben auch das befindliche-Ver­ stehen sich immer verstehend befindet. Sie ist so auf der Ebene der Stimmung und des Verstehens im Sinne Hei­deg­gers (vgl. 3.3.1.4 u. 3.3.2) gedeutet. D. h. die vollzo­ gene Deutung entzieht sich zunächst der menschlichen Kenntnis und Einflussnahme. Ob es dabei eine Einflussnahme geben kann und, wenn ja, in welcher Form, ist für uns wichtig und wird gleich wieder Thema (vgl. auch 3.4.4.1.c). Ich habe versucht zu zeigen, dass das Thema Tod schon in diesem Bereich der Erfahrung vorkommt. Das menschliche Leben, unser eigenes Leben, erfahren wir bereits als in Bezug auf den Tod hin gedeutet. Wenn ein religiös-gegenständliches Reden über das Wie und Was nach dem Tod den Versuch unternimmt, eine Deutung des Todes für unser Leben zu geben, kann diese nicht so tun als könnte sie gleichsam sozusagen bei null anfangen. Deutung ist immer voraussetzungshaft. Bildlich gesprochen lässt sich das vielleicht so fassen: Das Blatt, auf das die Gegenstandswelten des religiösen Todesverständnisses gemalt werden sollen, ist nicht leer und weiß. Es ist bereits in einer gewissen Nuance grundiert. Diese Grundierungsnuance ist allerdings nicht einfach zu erkennen. Die Farbe, mit der sie gemalt ist, ist vielmehr eine feine Mischung aus maßgeblich zwei 7

  Barth, Religion, 14.

4.2  Der innere Aufbau des Selbstverhältnisses

321

Zutaten. Die erste Zutat ist die dem menschlichen Leben vorgegebene doppelte End­ lichkeitsdimension (Sein zum Anfang und Sein zum Ende, vgl. 3.3.1.11 u. 3.4.4.1). Die zweite Zutat ist die Dimension der Geschichtlichkeit des Lebens im Sinne Hei­ deg­gers (vgl. 3.3.3.5 u. 3.3.4). Das menschliche Selbstverhältnis muss also in gewis­ sem Sinne als sich schon gebildet habend betrachtet werden, bevor die religiöse Deu­ tung des Todes überhaupt beginnen kann zu greifen. Doch wo hat nun die Religion ihren Ort innerhalb dieses gestuft aufgebauten Selbstverhältnisses? Diese Frage ist äußerst schwer zu beantworten, weil sie in den angesprochenen komplexen Bereich einer Religionstheorie überhaupt verweist. Ich möchte mich hier wiederum Ulrich Barth anschließen. Seine Religionsdefinition aufnehmend lässt sich sagen, dass der Religion hier ein doppelter Ort zu kommt. Zu Einen lässt sich theoretisch bereits die der bewussten Deutung vorgehende, hier mit Hei­deg­ger als im Bereich der vorthematischen Erfahrung liegend ange­ nommene Deutung als religiöse Deutung bezeichnen. Hier deutet sich das Subjekt, deutet sich jeder von uns, in Bezug auf die vier oben gegebenen Unbedingtheitsdi­ mensionen. Theoriesprachlich wieder zu Hei­deg­ger zurückkehrend lässt sich das so ausdrücken, dass eben das befindliche-Verstehen bereits innerhalb des Seins zum Tode zum Ausdruck kommt. Dies wiederum mit der von Tillich her erarbei­ teten Anreicherung des Seins zum Tode hin auf ein Sein zum Anfang zusammen­ führend, lässt sich hinzufügen: Die sich in der gemischten Grundstimmung aus Angst und Mut ausdrückende, vor der bewussten Auslegung des eigenen Lebens sich vollziehende Deutungsleistung des befindlichen-Verstehens ist bereits eine in unserem Sinne religiöse Deutung, weil sie sich im Horizont von von Anfang und Ende des Lebens vollzieht. Anfang und Ende des Lebens sind hier jedoch wiederum Symbole, die auf einen Horizont des Lebens verweisen, der begrifflich nicht trenn­ scharf benannt werden kann und daher mit der Vernunftidee der Unbedingtheit des Lebens bezeichnet wird. Wie allerdings steht diese religiöse Deutung in Beziehung zu den religiösen Gegenstandswelten? Zunächst böte sich ja an, hier zu sagen, dass kein Zusammen­ hang bestehen kann, da die Gegenstandswelten erst auf der Ebene der bewussten Deutung ins Spiel kommen. Das allerdings wäre zu kurz gegriffen. Mit Hilfe des heidegger’schen Existenzials der Geschichtlichkeit haben wir oben gesehen (vgl. 3.3.3.5 u. 3.3.4), dass eben die Geschichte, in welcher sich das befindliche-Verstehen ereignet, für dieses von Relevanz ist. Konkret bedeutet das, dass die Traditionen und kulturellen Besonderheiten des jeweiligen Subjekts diese sich bereits im befindli­ chen-Verstehen vollziehende Deutung des menschlichen Lebens hin auf seine dop­ pelte Endlichkeitsdimension beeinflussen. Diese Traditionen und kulturellen Beson­ derheiten vermitteln sich jedoch hauptsächlich durch die geschichtlich in Form von Geschichten vermittelten religiösen Gegenstandswelten. Es ist hier von einem wech­ selseitigen Einfluss zwischen religiösen Gegenstandswelten und religiösem Bewusst­ sein, einer Symbolisierung, auszugehen. Denn wenn wir mit Hei­deg­ger annehmen, dass das Bewusstsein immer schon als befindlich-verstehendes gedacht werden muss

322

4  Schlussgedanken: Das Trotzdem des Lebens

und dieses befindliche-Verstehen sich durch das Existenzial der Geschichtlichkeit im Horizont der es umgebenden Tradition und kulturellen Besonderheiten bildet, so hat die in Form von gegenständlich-geschichtlichen Aussagen vermittelte Todesdeu­ tung immer bereits Einfluss auf das sich bildende Bewusstsein genommen. Konkret auf unsere Frage hin zurückbezogen bedeutet das, dass eine religiös-gegenständ­ liche Todesdeutung, die völlig ohne Zusammenhang zu den traditionellen Todes­ deutungen steht, ebenso unvermittelbar wäre wie eine solche, die die in den Unbe­ dingtheitsdimensionen des Bewusstseins liegenden Strukturen völlig ausklammern würde. Mit anderen Worten: Die Vorstellung, dass wir nach dem Tod als Stein auf einem in einer anderen Galaxie sich befindenden Planeten weiterexistieren, ist zwar an sich nicht abwegiger als die Annahme, dass wir am jüngsten Tage aus den Grä­ bern erweckt werden und zum jüngsten Gericht gerufen werden usw., sie ist aber mit unserer protestantischen Tradition völlig unvermittelt und scheint uns daher abwegiger. Doch worin liegt die Differenz? In beiden Fällen ist nicht klar, was es bedeuten soll, dass wir nach dem Tod weiterexistieren. Sowohl das von Gott Auf­ erwecktwerden als auch das Weiterexistieren als Stein ist nichts, was sich an sich vorstellen lässt. Es liegt jenseits des menschlichen Vorstellungsvermögens. Die tradi­ tionell-christliche Auferstehungsvorstellung hat allerdings den Vorzug, dass sie uns über das Existenzial der Geschichtlichkeit vermittelt ist. Wir mögen die Auferste­ hungsvorstellung für uns selbst nicht annehmen, aber unsere Todesdeutung wird, unter der Voraussetzung eines Aufwachsens unter christlicher Prägung, von dieser Vorstellung geprägt sein. Und sei es nur durch Ablehnung. Diese Beeinflussung ist weder in allen Menschen gleich ausgeprägt, sondern im Gegenteil ist der Grad der Beeinflussung von vielen subjektiv verschiedenen Faktoren abhängig. Doch solange das zur Debatte stehende Todesdeuten im nicht hart abgrenzbaren geistesgeschicht­ lichen Raum des christlichen stattfindet, spielt sie eine Rolle. Gleiches gilt für die oben bereits genannten Jenseitsbilder der Unsterblichkeit der Seele und des Ewigen Lebens. Auch sie spielen hier immer eine Rolle. Und es gilt, wahrscheinlich mit noch nicht vergleichbarer, aber wohl anwachsender Kraft, auch für die Jenseitsbilder der Wiedergeburt und des zwar ungegenständlich daherkommenden, aber natürlich als ebenso auf einer gewissen Gegenstandsebene zu verortenden ewigen Verlöschens im Nichts. All diese Vorstellungen sind uns irgendwie geschichtlich vermittelt und beeinflussen die im befindlichen-Verstehen liegende, auf der Ebene der Theorie als religiös zu bezeichnende, Todesdeutung. Ich komme nun noch zum praktischen Ort der Religion in Bezug auf die Todes­ deutung. Auch hier kann noch einmal unterschieden werden. Als Grundform einer religiösen Todesdeutung wären schon ganz einfach die Gedanken, die sich jeder Mensch einmal über den Tod macht, anzusehen. Sie haben einen solchen praktischreligiösen Anteil, egal ob sich dieser Mensch nun als religiös versteht oder nicht, denn auch hier ereignet sich eine Bezugnahme auf die Unbedingtheitsdimension des Endes des Lebens. Es wird sich hier aus der Position des andauernden Lebensvoll­ zugs, auf genau dieses Leben als abgeschlossen bezogen. Eine solche Deutung ist im

4.2  Der innere Aufbau des Selbstverhältnisses

323

Anschluss an die hier mitvollzogene Religionstheorie gegeben. Sie soll jedoch nicht dazu führen, Menschen als religiös zu vereinnahmen, die dies für sich selbst explizit ablehnen. Anders gedacht wird jedoch ein interessanter Gedanke daraus. Ob nun ein Mensch sich selbst als areligiös versteht und seine Todesdeutung in einer sich unge­ genständlich gebenden, in unserem Sinne aber als durchaus diffus gegenständlich zu verstehenden Vorstellung vom ewigen Nichts münden lässt, oder ob ein Mensch sich explizit religiös versteht und seine Todesdeutung auf eine klar gegenständliche Auf­ erstehungsvorstellung hinausläuft, auf der Ebene der Theorie deuten beide Subjekte ihr Dasein im Horizont der Unbedingtheitsdimension und tun damit Vergleichba­ res. Auch die Vorstellung des Nichts ist eine gegenständliche Abschlussvorstellung, deren Gegenständlichkeit nur undeutlicher, diffuser ist und für die es vielleicht im Zuge der Geschichtlichkeit des Denkens des Jahres 2020 ­bessere Gründe gibt als für die Auferstehungsvorstellung. Für die Geschichtlichkeit des Denkens im Jahre 1517 würde das jedoch sicher nicht zutreffen. Hier erschiene und erschien vielmehr eine andere Gegenstandvorstellung passender. Nun gibt es neben dieser Grundform von religiöser Todesdeutung auch noch eine religiöse Todesdeutung, die ich eine professionelle religiöse Todesdeutung nennen möchte. Zwischen beiden gibt es wiederum Stufen, die ich jedoch auslasse. Profes­ sio­nelle religiöse Todesdeutung wäre beispielsweise ein Seelsorgegespräch mit einem sterbenden Menschen oder eine Grabesrede. Ob hier nun eine Pfarrerin oder einen Pfarrer oder eine Person, die sich anderweitig professionell in dieser Situation befin­ det, etwa als freie Rednerin oder als freier Redner, agiert, ist nebensächlich – dass auch in einem solchen nicht religiös-institutionell angebundenen Kontext profes­sio­ nelle, religiöse Todesdeutung gegeben wird, ist jedoch ein anderes Thema und soll uns hier nicht weiter beschäftigen.8 Was unterscheidet eine solche professionell-reli­ giöse Todesdeutung von der eben eingeführten Grundform? Es geht an dieser Stelle nicht primär um die eigene, persönliche Todesdeutung, sondern um eine intersub­ jektiv vermittelbare. Das führt uns nun bereits zum nächsten Punkt unserer Schluss­ gedanken, weil einer solchen professionell-religiösen Todesdeutung engere Grenzen gesetzt sind als einer im Bereich der Grundform liegenden. Gleichzeitig muss eben auch der klar seelsorgerlich ausgerichtete Impetus einer solchen Todesdeutung mit­ gedacht werden. Eine Rede am Grab bspw. steht im Dienst der Hinterbliebenen und richtet sich daher an deren »Mut zum Sein«.9

8   Vgl. zum Thema meinen Aufsatz K. Sacher, ›Freie Kasualien‹: wie ein Verbot die Kirche als ecclesia incurvata in se erscheinen lässt, in: Deutsches Pfarrerblatt 118, 2018, 69 – 73. 9   Die instruktive Studie zur Beerdigungsrede aus praktisch-theologischer Sicht findet sich bei U. Roth, Die Beerdigungsansprache: Argumente gegen den Tod im Kontext der modernen Gesell­ schaft, 2002.

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4  Schlussgedanken: Das Trotzdem des Lebens

4.3  Thanatologische Gegenstandwelten im Lichte des religiösen Selbstverhältnisses Es war nun im Bisherigen immer wieder die Rede davon, dass der Tod einerseits als Endlichkeitsdimension des Lebens in der komplexen gemischten Grundstimmung unseres Lebens bereits gedeutet ist. Jedoch war damit nicht impliziert, dass diese Deutung in ihrer Konkretion damit auch schon feststeht. Insofern gehen wir hier über Hei­deg­ger hinaus, der die Grundstimmung stets als Angst bezeichnet, wenn er dieser auch eine gewisse Komplexität zugrunde legt und Hei­deg­gers Angst mit­ nichten mit der herkömmlichen Angst in eins fällt. Dennoch ist bei Hei­deg­ger zwar einerseits die Rede davon, dass die Stimmung durch eine andere Stimmung beein­ flusst werden könne (vgl. 3.4.4.1). Die Beziehung zwischen Grundstimmung, wie der Begriff hier verwendet wird, also mit Rückgriff Hei­deg­gers Existenzial der Befind­ lichkeit, und Stimmung als individuell und subjektiv wechselnder Gemütszustand, wird bei ihm nicht deutlich.10 Für unsere Fragstellung ist dieser Übergang aber emi­ nent wichtig. Wenn nämlich die Frage ist, ob und, wenn ja, wie in einer professio­ nell-theologischen Todesdeutung oder auch einer popularwissenschaftlich-erbauli­ chen Theologie auf die oben mithilfe Tillichs gegebene positive Ressource der in der Grundstimmung bereits gedeuteten Endlichkeitsdimension Bezug genommen wer­ den kann. Das Ziel muss hier sein, den Mut in oben genanntem Sinne zu affizieren. Hier ist einerseits die oben schon angesprochene Frage der Regulierungsfähigkeit der Stimmungswelten zu bedenken (vgl. 3.4.4.1.c) und andererseits die dort gewon­ nen Ergebnisse in ihrer Aussagekraft für eine mögliche Regulierungsfähigkeit der Grundstimmungsnuance zu bewerten. 4.3.1  Die Regulierungsfähigkeit der Stimmungswelten Wir wollen nun zunächst einmal in einige Gedankenanregungen aus der neueren Emotionsdebatte in Bezug auf die Bedeutung und Definition von Stimmungen emp­ fangen und diese dann auf unsere gegebene Ausgangsfrage zurückbeziehen. Peter Goldie beschreibt in seinem klassisch gewordenen Werk ›The Emotions‹ den Über­ gang von weniger Komplexen und klarer intentional ausgerichteten Emotionen wie etwa der klassischen Furcht und komplexeren und zwar ebenfalls intentional aus­ gerichteten Stimmungen. Hinsichtlich der Intentionalität heißt es dort: »I should note that emotions have more specific objects than moods. The destinction is thus a matter of degree.«11 Die Unterscheidung zwischen Emotion und Stimmung ist laut Goldie also weniger starr als vielleicht angenommen. Vielmehr ist der Übergang in vielerlei Hinsicht fließend. Beispielhaft bezogen auf die immer wieder gegebene Unterscheidung zwischen Furcht und Angst lässt sich das leicht zeigen. Die Furcht 10 11

  Vgl. für diese Überlegungen Bollnow, Wesen, 53 – 65.   Goldie, Emotions, 17.

4.3  Thanatologische Gegenstandwelten im Lichte des religiösen Selbstverhältnisses

325

vor einem großen Hund kann episodisch auftreten, etwa, wenn ich einen solchen sehe oder wenn ich mir vorstelle einem solchen zu begegnen. Sie hat dann den Hund als intentionalen Gegenstand und wird wieder verschwinden, sobald der Hund aus dem Blick und die Vorstellung von ihm vergangen sind. Wenn nun aber z. B. ein jugendlicher Zeitungsausträger oder eine Zeitungsausträgerin ständig in Gärten lau­ fen muss, in denen es große, bellende Hunde gibt, vor denen die Person sich fürch­ tet, kann sich die beschriebene Emotion zumindest während der Austragerunde verstetigen. Die Zeitungsausträgerin oder der Zeitungsausträger vermutet dann in jedem Garten einen großen, bellenden Hund. So kann während des Austragens die kürzere, intentionalitätsbezogen weniger komplexe Emotion der Furcht vor dem Hund zu einer länger andauernden, diffuser intentionalen werden. Die Person wird in eine nervöse Stimmung versetzt, die nun nicht mehr nur auf Hunde bezogen ist, sondern sich eher allgemein auf überraschende und erschreckende Vorkommnisse in zu betretenden Gärten richtet. So kann aus einer Emotion eine Stimmung wer­ den. Das von Goldie eingezogene Differenzierungsmerkmal der matter of degree in Bezug auf das Objekt beschreibt das gut. Auch die Stimmungen sind in gewisser Weise intentional ausgerichtet. So schreibt Goldie ergänzend: »Secondly, there will always be some degree of specificity in the object of moods, even if the best available description of that object is ›everything‹ or ›nothing in particular‹.«12 Das erinnert an Hei­deg­gers Grundstimmung der Angst oder ist sogar als eine Anspielung auf diese bekannte Stelle zu verstehen. Hei­deg­ger ordnet auch das Dasein selbst, also in gewissem Sinne alles und zwar unter der Prämisse der Endlichkeit, der Angst als Objekt zu. Peter Goldie beschreibt noch an anderer Stelle wie sich Emotionen in Stimmungen wandeln können: »rather in the way that smoke difusses in the atmos­ phere, leaving just a haze through which all sorts of objects in the world are seen.« Nun befinden wir uns aber, wie betont, immer noch auf der Ebene der Stimmun­ gen und nicht der einer Grundstimmung. Inwiefern kann das hier für den Übergang von Emotion zu Stimmung auf die Grundstimmung als Bewusstseinsstruktur bezo­ gen werden? Einerseits muss man sagen, dass eine klare Durchlässigkeit von Emo­ tion zu Stimmung zu Grundstimmung eigentlich nicht angenommen werden kann. Bewusstseinsstruktur ist nichts Auswechselbares. Dennoch kann dadurch, dass in diese Bewusstseinsstruktur zwei Variablen eingezogen wurden, indirekt mit einer gewissen Veränderbarkeit der Grundstimmung gerechnet werden. Es ließe sich also folgendes Modell denken: Während die unveränderbare Bewusstseinsstruktur stehen bleibt und das Menschsein als eingespannt zwischen den beiden Endlichkeitsmarkern (Anfang und Ende des Lebens) verstanden wer­ den muss, kann die sich aus dieser Eingespanntheit ergebende Grundstimmung aufgrund ihrer Gemischtheit variieren. Im Sinne eines gestuften Emotionsmodells könnte in diesem Fall angenommen werden, dass so wie Furcht zu Angst werden kann, eben auch die Grundstimmung auf Dauer durch die weiter oben liegenden 12

  AaO., 143.

326

4  Schlussgedanken: Das Trotzdem des Lebens

emotiven Zustände in ihrer mitgegebenen Variabilität beeinflusst werden kann. Das hieße nun, das oben gegebene Beispiel der Zeitungsausträgerin wieder aufnehmend, dass in der beschriebenen Situation der nervösen Unruhe beim Betreten der Gärten das Potential liegt, die Grundstimmungsspannung hin auf die Seite Angst im Sinne einer Grundstimmungsseite zu beeinflussen. Wenn nun, um das Beispiel ein wenig mehr auszumalen, die junge zeitungsaustragende Person in einem ausbeuterischen System dazu gezwungen wäre, jeden Tag über viele Stunden Zeitung in Gärten aus­ zutragen, in denen potentiell große, bellende und gefährliche Hunde warten, würde die weiter oben liegende Stimmung der Angst hin zu einer auf der Ebene der Grund­ stimmung liegenden angstbestimmten Spannung werden, die so grundlegend ist, dass sie schlicht alles weitere grundiert. Es ließe sich das gleiche natürlich auch in die positive Richtung denken. Dauerhafte Affizierung einer positiven Stimmung könnte so als potentiell grundstimmungsnuancenverändernd gedacht werden. All das hat eine entwicklungspsychologische Pointe, die hier jedoch nur angeris­ sen werden kann, weil sie mich erstens in ein mir fachfremdes Gebiet führt und uns zweitens zu weit von der Kernfrage nach dem Tod entfernen würde. Diese Pointe richtet den Blick zum wiederholten Male auf den Anfang des Lebens. Dieser ist zur Erfassung der Bedeutung des Todes nicht nur in theoretischer Hinsicht wichtig, wie gezeigt, sondern auch für unseren praktischen Umgang mit dem Tod. Die hier ange­ sprochene Konsequenz lässt sich zunächst in einer wahrscheinlich allgemein ein­ leuchtenden Aussage benennen: Positive Erfahrungen im Kindesalter sind von her­ ausragender Bedeutung für eine spätere Lebenstauglichkeit. Zugespitzt auf unsere Frage: Positive, lebensbejahende Erfahrungen im Kindesalter sind von herausragen­ der Bedeutung für eine spätere Ausbildung des »Muts zum Sein trotz des Todes«. Die emotionalen Fähigkeiten der Menschen sind nicht gleich ausgeprägt. Eine ent­ scheidende Rolle dabei, welche Emotionen ein Mensch ausbildet, spielt seine früh­ kindliche Prägephase. Vor allem für die für uns entscheidende Fähigkeit, Mut als Grundstimmung auch anzunehmen, sind frühkindliche Erlebnisse, die einen sol­ chen Mut auch rechtfertigen, notwendig. Martha Nussbaum führt diesen Zusam­ menhang ausführlich und mit Rückgriff auf entwicklungspsychologische Literatur aus.13 Sie weist dabei gerade der Kunst einen entscheidenden Ort zu. Besonders die narrativen Formen der Kunst sind ihrer Darlegung folgend wichtig, um die eige­ nen emotionalen Anlagen ausbilden zu lernen, da, wie schon vielfach angesprochen, eben auch Emotionen narrativ veranlagt seien. Nussbaum: »Storytelling and nar­ rative play are essential in cultivating the child’s sense of her own aloneness, her inner world. Her capacity to be alone is supported by the ability to imagine the good 13  Vgl. M. Nussbaum, Upheavals of Thought. The Intelligence of Emotions, 2001, 174 – 237. Es ist für unsere Bestimmung von Angst und Mut als Grundstimmungsgemisch übrigens interessant, dass Nussbaum einerseits anxiety (also Angst) und andererseits hope for a blisful arrival (etwas in die Richtung Mut Gehendes) als entwicklungspsychologisch erste Emotionen festmacht (vgl. aaO., 190).

4.3  Thanatologische Gegenstandwelten im Lichte des religiösen Selbstverhältnisses

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object’s presence when the object is not present.«14 Nun haben Religion und Kunst nicht nur auf einer theoretischen Ebene viele Gemeinsamkeiten, auch die Formen, in welchen sich beides im menschlichen Lebens ausbildet, sind oftmals die gleichen. Musik, Rituale, die körperliche Bewegungen einschließen, Malerei und eben das Erzählen und Hören von Geschichten sind einerseits Kunst und andererseits fester Bestandteil von Religion. Insofern führt uns auch dieser Punkt wieder zu der her­ ausragenden Bedeutung einer »Geschichte vom Tod« für einen religiös-theologi­ schen Umgang mit der Todesfrage. Doch gibt es bei aller Gemeinsamkeit natürlich weitere Schwierigkeiten. Es geht bei der Grundstimmung, so wie ich sie gedeutet habe, um eine Einstellung gegen­ über der unbedingten Endlichkeit des Lebens. Insofern stellt sich die Frage wie bei­ spielsweise positive Erfahrungen mit der unbedingten Endlichkeit gesammelt wer­ den könnten, um diese dann auf die Grundstimmungsfärbung einwirken zu lassen. So etwas lässt sich durchaus denken, ist aber nicht einfach beeinflussbar. Ein Beispiel findet sich im geläufigen Satz »das Schicksal meint es gut mit mir«. Hieraus spricht die Erfahrung, dass einem Menschen unbegründet Gutes widerfahren ist. Das lässt sich durchaus als positive Erfahrung im Horizont der Unbedingtheitsdimension beschreiben, weil es sich auf etwas außerhalb unserer Verfügung Liegendes, uns nicht verständliches bezieht. Was dann auch dazu führt, dass eine aus dieser Erfah­ rung resultierende Emotion wie die der Dankbarkeit religiöse Züge hat.15 Wenn wir nun wieder darauf zurückkommen, wie eine professional-theologische Todesdeutung und eine popularwissenschaftlich-erbauliche Thanatologie auf eine Grundstimmungsregulierung hin zur Affizierung der Grundstimmungsnuance des Muts einwirken kann, müssen wir zuerst feststellen, dass dies nicht einfach möglich ist. Positive Lebenserfahrung mit Unbedingtheitsdimension kann ein Mensch haben oder nicht, aber weder eine Grabesrede noch ein Buch über den Tod kann eine sol­ che hervorrufen. Was uns jedoch in Richtung einer Lösung führen könnte, ergibt sich aus dem Aufsammeln einiger oben liegen gelassener gedanklicher Stöckchen. Sowohl das Hei­deg­ger’sche Existenzial der Geschichtlichkeit, aber auch die sich narrativ ausbildenden Emotionen bzw. Stimmungen und die letztlich als in einer geschichtlichen Struktur mit Anfang und Ende sich befindende Grundstimmungs­ spannung, als auch Tillichs geschichtsphilosophische Anlage von ›Der Mut zum Sein‹ und als auch der zuletzt gegebene Hinweis auf die Bedeutung der Kunst für die Ausbildung der Emotionen verweisen uns in den Bereich der Geschichte in einem vielfältigen Sinne. In Form der Tradition, die uns übermittelt ist, und auch in Form von kulturellen Ritualen und anderen Besonderheiten, aber, und das ist nun für uns besonders wichtig, auch in Form von uns über Bücher, Filme, Hörspiele, Theater 14

  AaO., 236.  Vgl. R. Barth, Dankbarkeit als religionsaffines Gefühl, in: Ders. u. a. (Hg.), Erleben und Deu­ ten. Dogmatische Reflexionen im Anschluss an Ulrich Barth. Festschrift zum 70. Geburtstag, 2015, 169 – 191. 15

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4  Schlussgedanken: Das Trotzdem des Lebens

und jede andere denkbare Form vermittelte Geschichten können wir stellvertretende Erfahrung im Horizont der Unbedingtheitsdimension machen. Hierzu ist natürlich besonders auch noch die Musik zu zählen, die jedoch noch einmal ein ganz eigenes Thema ist und hier deswegen keine Berücksichtigung finden kann. Vielmehr möchte ich mich auf die beiden genannten Bereiche der professionell-theologischen Todes­ deutung und der popularwissenschaftlich-erbaulichen Thanatologie beschränken. Wenn nun in Geschichten die Unbedingtheitsdimension des Lebens zum Thema wird, dann geht das, anders als in theologischer Rede, oftmals vonstatten ohne, dass dabei konkrete religiöse Symbole genannt werden müssen. Die Geschichte trägt vielmehr das, was im anderen Fall das Symbol trägt, sie wird in gewissem Sinne selbst zum Symbol, allerdings zu einem vielseitigen, uneindeutigen. Jedoch gilt auch: Durch jene Unbestimmtheit ist ein solches Geschichten-Symbol eventuell fragiler, flüchtiger. Jedenfalls ist die Form der Geschichte sehr viel anpassungsfähiger und offener als die der symbolisch gesättigten religiösen Rede. Doch soll es nun nicht darum gehen, beide Möglichkeiten gegeneinander auszuspielen. Vielmehr haben beide ihr Eigenrecht und ihren Ort. Allerdings gilt, dass durch die Abnahme der Traditionstradierung in Bezug auf die religiösen Symbole des Christentums die Frage nach anderen Formen der Vermittlung aktueller wird. Das führt uns gleich im nächsten Punkt dazu, anzunehmen, dass offenere, weniger gegenständliche Symbole nicht nur der offenen, ungegenständlichen Bewusstseinsanlage des Menschen mehr entsprechen, sondern dass sie bei weniger traditionell christlich sozialisierten Men­ schen auch eine bessere Anknüpfungsfläche bieten. 4.3.2  Alte Symbole Unter der Überschrift »Alte Symbole« möchte ich mich nun in kurzen Überlegungen den klassischen thanatologischen Symbolen des Christentums widmen, den Symbo­ len Auferstehung von den Toten, Unsterblichkeit der Seele und Ewiges Leben. Alle drei bieten sich für eine professionell-theologische wie für eine popularwissenschaft­ lich-erbauliche Todesdeutung an. Gerade in der dritten Welle evangelisch-theologi­ scher Thanatologie im 20. Jahrhundert (vgl. 2.2) spielte die Diskussion der einzel­ nen Positionen in Form einer Gegenüberstellung und Bewertung eine große Rolle. Dieses Vorgehen haben wir aber auch in früheren Thanatologien wie bspw. bei Carl Stange (vgl. 2.4.2) gesehen. Mit unterschiedlichen Intentionen und aufgrund von unterschiedlichen Vorannahmen wurde schließlich jeweils eines der Symbole den anderen vorgezogen. Dies galt meistens für die Auferstehung von den Toten, aber auch das Ewige Leben wurde gelegentlich, wie bei Stange, betont. Die Intention war dabei zumeist, dass aus apologetischen Gründen und auf Grundlage einer Wesens­ bestimmung des Christentums bspw. das Symbol der Unsterblichkeit der Seele aus­ geschieden werden sollte, weil es unchristlich sei. Diese Argumentation fand sich sogar noch bei Jüngel (vgl. 2.3.4). Ein anderes, dann vor allem in der dritten Welle wichtiges Ausscheidungsmerkmal war, dass sich eines der Symbole in logische Apo­

4.3  Thanatologische Gegenstandwelten im Lichte des religiösen Selbstverhältnisses

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rien verstricke. Bspw. machte es immer Schwierigkeiten, die personale Kontinuität zwischen dem irdischen und dem jenseitigen Leben logisch herzuleiten. Wie sollte also die verstorbene und die auferstandene Person dieselbe sein können? Alle diese Punkte sind für meine Schlussgedanken nicht interessant. Ich halte, wie oben ja auf­ geführt, die Argumentationsrichtung bereits für verfehlt. Wenn sich innerhalb eines religiösen Lebens ein tragfähiges Jenseitsbild bereits ausgebildet hat, das dem Leben Kraft verleiht, kann es von Seiten der Systematischen Theologie kein bevormunden­ des Abspenstigmachen dieses Bildes geben. Vielmehr sollte gefragt werden, welche strukturellen Eigenschaften, welche überlieferten Traditionen, welche Rituale und Geschichten, welche Musik hier zu diesem positiv-funktionierenden Jenseitsbild beitragen. Die Regulationsfunktion der Systematischen Theologie sehe ich auf einer anderen Ebene liegen. Ausgehend von der Kenntnis, dass religiöse Symbole Verge­ genständlichungen des Ungegenständlichen sind, dass hier also, um es mit einem Ausdruck Rudolf Ottos zu sagen, etwas letztlich nicht Ausdrückbares so schemati­ siert wird, dass wir es zum Thema unseres Denkens machen können, obliegt es der Systematischen Theologie, genau auf diesen Punkt hinzuweisen.16 Damit werden die einzelnen Symbole in Bezug auf eine transzendente Wahrheit hin gleichwertig. Sie sind alle gleich wahr und unwahr. Allerdings lässt sich vor dem Hintergrund die­ ser Kenntnis durchaus fragen, ob es einer solchen Schematisierung adäquate und weniger passende Symbole gibt. Eine solche Wertung möchte ich allerdings nur auf der Ebene der Theorie verstanden wissen und damit nichts über die seelsorgerlich jeweils im Einzelfall zu erhebende Deutekraft für das jeweilige Leben, das sie in Anschlag bringt, aussagen. Die Rede von der Auferstehung der Toten ist sowohl aufgrund ihrer biblischen Beschreibung als auch aufgrund der vielfachen Darstellungen in der Kunst mit einer bestimmten gegenständlichen Bildwelt verbunden. Unabhängig davon, dass diese Bildwelten sicher nicht alles transportieren, was im Symbol der Auferstehung ent­ halten ist, zeigen die Beispiele aus der dritten Welle der Thanatologie des 20. Jahr­ hunderts, dass diese Bildwelten eben die Tendenz zur Vergegenständlichung des Jenseits befördern. Wenn von der leiblichen Auferstehung die Rede ist, dann liegt bspw. die Frage nach der Beziehung des neuen Leibs zum alten Leib nahe. Wird diese Frage allerdings wissenschaftlich-theologisch auf der Ebene der Gegenständ­ lichkeit diskutiert, etwa im Sinne der Frage nach dem Kontinuitätsfaktor zwischen den beiden Leibern oder im Sinne anderer vorkritisch-metaphysischer Fragen, dann wird damit der Symbolcharakter dieses Bildes vernachlässigt. Innerhalb des menschlichen Selbstverhältnisses kommt einem solchen symbolischen Jenseitsbild ja die Aufgabe zu, zwischen der Unbedingtheitsdimension des Lebens, die im kom­ menden Ende des eigenen Lebens, also im Tod, ihren konkreten Bezugspunkt findet, und den im Bedingten verfangenen Denkwelten zu vermitteln. Wenn wir nun die 16  Vgl. Otto, Heilige. Auch Ulrich Barth greift in seinem Religionsaufsatz auf dieses Sprachbild zurück. Vgl. Barth, Religion.

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4  Schlussgedanken: Das Trotzdem des Lebens

oben ermittelten theoretischen Bewertungskriterien für ein solches gegenständliches Jenseitsbild heranziehen, können wir noch einmal nach der verbliebenen Kraft des Bildes von der Auferstehung fragen. Einerseits bedeutet das, zu fragen, inwiefern es der Geschichtlichkeit unseres Daseins entspricht. Das bedeutet im Sinne dieser Untersuchung, wie es an die in Geschichten und mit Rückgriff auf die Geschichte, in welcher wir leben, also das, was ich die Traditionen und kulturellen Besonderheiten genannt habe, geprägten Denkwelten unseres Lebens anknüpft. Andererseits bedeu­ tet das zu fragen, wie das gegenständliche Jenseitsbild zu dem passt, was es repräsen­ tieren soll. Das ist die sich, unserer Untersuchung folgend, diffus intentional ausbil­ dende Bewusstseinsstruktur der Grundstimmung, in welcher der eigene Tod zuerst verhandelt wird. Zum erst genannten Punkt lässt sich sagen, dass sich hier eine große Verschiebung ereignet hat und noch ereignet. War das Bild der Auferstehung über Jahrhunderte hinweg in Bezug auf Traditionen und kulturelle Besonderheiten sicher unmittelbar anschlussfähig, ist es das heutzutage eher nicht mehr. Ohne auf die Gründe dafür an dieser Stelle genauer eingehen zu können, reicht es sicherlich zu sagen, dass hier einerseits die Wende hin zu einem eher naturwissenschaftlich geprägten Blick auf die Welt und andererseits die kulturell-religiöse Pluralisierung unserer Lebenswelt, die Prägekraft dieses Bildes auf der Ebene der Geschichtlichkeit verwässert haben. Zudem lässt sich argumentieren, dass dies dem zweiten Kriterium in die Hände spielt. Ist die Unbedingtheitsdimension unseres Dasein doch gerade dadurch defi­ niert, dass sie sich zum einen auf das Jenseits unserer gegenständlichen Denkwelten bezieht und zum anderen, dass jener Bezug im Sinne dieser Untersuchung eben auf der Ebene einer diffus intentionalen Grundstimmung zuerst seinen Niederschlag findet, also auch hier wiederum aufgrund dieser diffusen Intentionalität eine Ver­ mittlung auf eine derart gegenständliche Jenseitsvorstellung wie die der Auferste­ hung schwerfällt. All das heißt nicht, dass dieser Vorstellung keine Prägekraft mehr zukommen kann. Gerade der erste Punkt der Geschichtlichkeit lässt sich nicht ver­ allgemeinern und ist je nach eigener Geschichtlichkeit anders zu beurteilen. Zuletzt sei daran erinnert, dass auch klare Verfechter der Auferstehungsvorstellung sie innerhalb der Thanatologie des 20. Jahrhunderts durch das Symbol der »Verewigung im Gedächtnis Gottes« angereichert hatten (vgl. bes. zu Jüngel 2.3.4). Dieses Symbol verlässt ganz deutlich die gegenständlichen Denkwelten der Auferstehungsvorstel­ lung und erscheint mir als gelungener Vermittlungsversuch zwischen dem Bild der Auferstehung und dem des Ewigen Lebens, das ich gleich noch diskutieren werde. Es hat aber den entscheidenden Nachteil, dass es, obwohl es letztlich schon auf Luther zurückgeht, nicht geschichtlich vermittelt ist, sondern letztlich eine Art neu ein­ geführtes Symbol darstellt. Die Rede von der Verewigung im Gedächtnis Gottes, hat jedoch, im Gegensatz zum nichttheistisch verstehbaren Bild vom Ewigen Leben, eine theistische Pointe. Das kann man wiederum negativ oder positiv bewerten. Die Rede von der Unsterblichkeit der Seele ist in Bezug auf die Dimension der Geschichtlichkeit als ebenso wirkmächtig einzuschätzen wie das Symbol der Auf­

4.3  Thanatologische Gegenstandwelten im Lichte des religiösen Selbstverhältnisses

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erstehung. Anders als es die Diskussion im 20. Jahrhundert impliziert, lassen sich beide Symbole ja durchaus auch vermitteln. Aber es geht mir hier, wie mehrmals gesagt, auch sowieso nicht darum, die einzelnen Vorstellungen gegeneinander aus­ zuspielen. Vielmehr denke ich, dass durchaus jede von ihnen »ihren guten Sinn« hat. Dennoch hat dieses Symbol einen problematischen Aspekt. Die Rede von der Unsterblichkeit affiziert eine gegenständliche Vorstellung, die jedoch durch den See­ lenbegriff unmittelbar unterlaufen wird. Was nicht stirbt, wird den Tod umgehen. Für das Sterben kennen wir aus unserer Lebenswelt klare Beispiele. Insofern ist das Bild der Unsterblichkeit, auch wenn es die Unbedingtheitsdimension, auf die es sich bezieht, mit sich führt, in gewissem Sinne gegenständlich, weil es ein Weitergehen des Bisherigen impliziert. Anders verhält es sich mit der Rede von der Seele. Die Seele ist dabei nicht völlig ungegenständlich zu verstehen. Jeder Mensch hat eine diffuse Ahnung davon, was mit Seele gemeint ist. Es lässt sich dem Bild der Seele also etwas aus dem Gegen­ standsbereich des »Wissens um sich selbst« zuordnen. Dennoch affiziert es anders als das Bild des Nicht-Sterbens keine klare Vorstellung. Insofern scheint mir das Bild der Unsterblichkeit das zweite Kriterium zumindest teilweise erfüllen zu können. Durch die Mischung aus dem eher gegenständlichen Bild der Unsterblichkeit und dem eher ungegenständlichen der Seele ergibt sich eine Vorstellung, die die diffuse Intentionalität unserer Endlichkeitsstimmungen in gewissem Sinne aufzufangen in der Lage ist. Allerdings ist die Rede von der Unsterblichkeit dennoch ein harter Kon­ trast zu dem auf die Unbedingtheit bezogenen religiösen Bewusstsein, weil sie eben mit der Rede vom Nicht-Sterben eine Bildwelt aufruft, die uns Menschen aus unse­ rem Leben sofort vor Augen steht. Und noch ein letzter Punkt scheint mir dieses Symbol zu problematisieren. Auch wenn unsere Vorstellungen von der Seele sicher unterschiedlich sind und sich nicht genau fassen lassen, geht mit diesem auch all­ tagssprachlich vielfach gebrauchten Begriff oftmals die Vorstellung von etwas einher, was die menschliche Eigenart, den Persönlichkeitswert ausmacht. Gerade in Fäl­ len von schwierigen Eigenarten bzw. Persönlichkeiten kann diese Vorstellung daher problematisch sein. Gleiches gilt im Übrigen für den Zusatz des Leibes im Auferste­ hungssymbol. Gerade in Fällen von einem unguten Verhältnis zur eigenen Leiblich­ keit kann dieses Symbol schwierig werden. Zuletzt ist auf die Rede vom Ewigen Leben einzugehen. Das Ewige Leben ist wie die beiden zuvor genannten Symbole auf der Ebene der Geschichtlichkeit als gut vermittelt zu verstehen. So wie dieses Symbol auch traditionell, etwa im Credo, als eine Art Abschlussbild fungiert, das sich auf der Ebene der für unserer Bewusstsein nicht herausrechenbaren Zeitlichkeit, noch nach der Auferstehung befindet, kommt ihm auch bei der Abwägung hin auf unsere Kriterien ein abschließender, verbinden­ der Platz zu. Sowohl Ewigkeit als auch Leben sind Grenzbegriffe unserer Denkwel­ ten. Sicher haben wir eine Vorstellung davon, was Leben bedeutet, aber wir können Leben nicht vollumfänglich beschreiben oder gar verstehen. Wenn wir uns gedank­ lich bzw. bildlich auf das Leben beziehen wollen, kommen viele Vorstellungen in

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4  Schlussgedanken: Das Trotzdem des Lebens

Frage, aber sicher nicht eine bestimmte. Diese diffuse Beschaffenheit des Gegen­ standsbezugs Leben scheint mir, gemessen an unseren Kriterien für das Symbol zu sprechen. Anders als die Rede von der Seele impliziert die Rede vom Leben weniger Persönliches, was es eben noch einmal weniger gegenständlich macht. Und auch die Ewigkeit ist ungegenständlich und dennoch als Kontrast zur Endlichkeit des eigenen Lebens, welche im Tod ihren konkretisierenden Höhepunkt findet, geeignet. Theo­ retisch kommt dem Symbol des Ewigen Lebens so eine besonders passende Stellung zu. Ob dies auch praktisch so ist, lässt sich nicht theoretisch deduzieren. Ob nun also von der Auferstehung der Toten, der Unsterblichkeit der Seele oder dem Ewigen Leben geredet wird – alle drei haben als symbolische Bildwelten im Sinne des oben gebrauchten Schematisierungsbegriffs die Funktion, die Unbedingt­ heitsdimension unseres Lebens zugespitzt auf den diese wie nichts anderes konkret machenden Tod hin positiv zu vermitteln. Dass unser Leben sich immer im Hori­ zont dieser Unbedingtheit ereignet, so die Botschaft dieser Symbole, ist nichts völlig Negatives. Es entwertet dieses Leben nicht, vielmehr lässt es, religiös verstanden, das Leben erst in seiner ganzen uns eigentümlichen, unhintergehbar zu uns passen­ den Art erfahrbar werden. Der Tatsache der eigenen Endlichkeit liegt ein Impetus zugrunde, der das Leben auch positiv bestimmen kann. Dieser wurde von Hei­deg­ger durch die sich im Vergegenwärtigen dieser Endlichkeit einstellende Entschlossen­ heit beschrieben (Vorlaufen, vgl. 3.3.3.1.e). Bei Tillich findet er seinen Ausdruck im Mut zum Sein des Trotzdem. Gibt es aber, so möchte ich zuletzt noch fragen, neben der religiös-symbolischen Bezugnahme auf diese Struktur, die wir eben in einem kurzen Durchgang durch die drei christlich-thanatologisch Hauptsymbole in Bezug auf den Tod angesprochen haben, noch einen anderen Weg, diese Struktur deutlich zu machen? Paul Tillichs weniger mit religiösen Symbolen als mit geschichtsphilo­ sophisch erzählenden Elementen arbeitende Schrift ›Der Mut zum Sein‹ weist uns hier den Weg. 4.3.3  Neue Geschichten Selbst das am wenigsten gegenständliche Symbol des Ewigen Lebens verschließt die Offenheit unseres Lebens innerhalb der Grenzen eines festgelegten Bildes. Ist dieses Bild auf der Ebene der Geschichtlichkeit ausreichend gut vermittelt, ist diese Tatsa­ che nicht problematisch. Kommt diesem Symbol jedoch innerhalb der geschichtli­ chen Dimension unseres Selbstverhältnisses keine Bedeutung mehr zu, ändert sich dieser Befund. Für einen solchen Fall des Weggebrochenseins der bewusstseinsprä­ genden Kraft der das Symbol vermittelnden Geschichten, braucht es neue Geschich­ ten, die das im Symbol Enthaltene vermitteln. Solche neuen Geschichten mögen für das institutionell verfasste Christentum ein Problem sein, weil hier der Rückbezug auf die tradierten Symbole, abhängig durch die Gebundenheit an eine historisch gewachsene Institution, in das Selbstverständnis eingeschrieben ist. Das führt prak­ tisch zu Problemen.

4.3  Thanatologische Gegenstandwelten im Lichte des religiösen Selbstverhältnisses

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Auf der Ebene der Theorie, die lediglich nach den Strukturen der jeweiligen Form der Bearbeitung des Unbedingtheitsbezug fragt, ist der Übergang weniger proble­ matisch. Eine Todesdeutung, die sich in Bezug auf das Symbol des Ewigen Lebens und im Zusammenhang einer professionell-theologischen Thanatologie innerhalb der Grenzen der kirchlich verfassten Christenheit vollzieht und eine professionelltheologische Todesdeutung, die von einem freien Redner vollzogen wird, und sich aus der Bildwelt der Saga ›Star Wars‹ bedient, sind theoretisch durchaus vergleich­ bar. Durch die mittlerweile über 40 Jahre anhaltende Präsenz von ›Star Wars‹ in der Lebenswelt mancher Menschen, kommt hier je nach Verbundenheitsgrad bei jün­ geren Menschen bereits die Dimension der Geschichtlichkeit zum Tragen. Wenn der Redner am Grab des Verstorbenen den Satz »möge die Macht auch weiterhin mit ihm sein« spricht, hat das eine vergleichbare Funktion wie etwa ein bei einer christlichen Bestattung gesprochenes »der Verstorbene hat Eingang gefunden in das Ewige Leben« oder ähnliche Formulierungen. Ich möchte diesen Punkt an dieser Stelle weder überstrapazieren noch weiter ausmalen. Geht es mir doch innerhalb dieser theologischen Untersuchung gerade um die traditionellen christlichen Sym­ bole. Und es ist sicherlich so, dass es auch heute in unserem Teil der Welt keine ver­ gleichbar wirkmächtigen Geschichten wie die der Heiligen Schrift der Christenheit gibt. Dennoch erlaubt es ein theoretischer Blick auf unsere thanatologischen Sym­ bole, neuere, in populären Geschichten vermittelte Thanatologien ohne grundsätz­ liche Abwertung wahrzunehmen. Hierbei ist sowohl an lebensweltlich so populär gewordene Epen wie ›Star Wars‹ oder auch ›Harry Potter‹ zu denken, die vielfältige Anknüpfungspunkte für eine der christlichen Todesdeutung vergleichbare Deutung geben.17 Sie haben den Vorteil, dass sie durch ihre Popularität auch innerhalb von größeren Gruppen zur Anwendung kommen können. Innerhalb eines engeren Rah­ mens, beispielsweise innerhalb der Grundform der religiösen Thanatologie, im per­ sönlichen Nachdenken über die Bedeutung des Todes für das Leben, können hier noch ganz andere, nur individuell bedeutsam gewordene Geschichten zum Tragen kommen. Zusammenfassend für unser Thema lässt sich jedenfalls sagen, dass der Versuch, regulativ über den Weg des in sich gestuften Selbstverhältnisses auf die durch die Endlichkeit im doppelten Sinne bestimmte Grundstimmung Einfluss zu nehmen, je nach Kontext des Versuchs sowohl über die Auslegung der traditionellen christlichen Symbole als auch mit Rückgriff auf geeignete, neue Geschichten erfol­ gen kann. Welcher Weg der bessere ist, hängt dabei nicht vom Weg selbst ab, son­ dern vielmehr vom Kontext, in welchem der Todesdeutungsversuch unternommen wird.

17   Vgl. hierfür die Beiträge bei: A. Dinter / K. Söderblom (Hg.), Vom Logos zum Mythos: ›Herr der Ringe‹ und ›Harry Potter‹ als zentrale Grunderzählungen des 21. Jahrhunderts. Praktischtheologische und religionsdidaktische Analysen, 2010.

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4  Schlussgedanken: Das Trotzdem des Lebens

4.4  Tod und Sinn Diese abschließenden Bemerkungen führen uns nun zum letzten Akt dieser Arbeit. Dabei geht es um die Vermittlung der Todesfrage mit der Sinnfrage.18 Es geht dabei nicht alleine darum, eine systematische Schlusspointe für diese Studie zu formu­ lieren, sondern auch darum, lose Enden, die im Bisherigen unverbunden waren, zu einem Strang zusammenzubinden. Eines der von Tillich in ›Der Mut zum Sein‹ benannten Endlichkeitsphänomene, nämlich das für ihn für die späte Moderne, in der er schrieb, und zu der wir uns vielleicht noch immer zuordnen können, entschei­ dende, war das der »Sinnlosigkeit«. Er beschrieb es in der Form der »Angst vor Leere und Sinnlosigkeit«. Die Frage nach dem Sinn des Lebens, so Tillichs Diagnose, steht nicht nur als bedeutende Frage im Zentrum des Fragens der Menschen, es ist vor allem auch ihre Unbeantwortbarkeit, die dem modernen Menschen seine Stimmung vermiest – um es mit einem etwas flapsigen, aber hier passenden Ausdruck zu sagen. Diese damit angesprochene Sinnfrage intendiert in gewisser Weise einen »ontolo­ gischen Sinn«. Dass das auf einer Linie mit dem Anliegen Tillichs in seiner Schrift ›Der Mut zum Sein‹ liegt, hatten wir oben gesehen. Er bestimmte die Frage nach dem Mut als die Frage nach dem »Wesen des Seins« überhaupt. Nun scheint hier allerdings ein Vermittlungsproblem vorzuliegen, das grundsätzlich durch die termi­ nologische Vermischung von Ontologie und Anthropologie entsteht, wie sie ja auch schon bei Hei­deg­ger vollzogen worden war. Tillich versteht, wie schon gesagt, dabei Hei­deg­ger explizit folgend, die Ontologie als Anthropologie.19 Was aber bedeutet das nun für die ontologische Sinnfrage? Und noch weiter gefragt: Was bedeutet das für den Zusammenhang von Sinnfrage und Todesfrage? Zunächst will ich zur ersten Frage kommen. Wenn die Ontologie als Anthropolo­ gie verstanden wird, bedeutet das, dass wir uns der Sinnfrage wissenschaftlich-theo­ logisch auf der Ebene des Bewusstseins zu nähern haben. Sinn ist also etwas, was auf der Ebene des Bewusstseins angesiedelt ist. Das soll vor allem klar machen: Es gibt keinen externen, außerhalb des Bewusstseins angesiedelten Sinn. Und so hatte auch Hei­deg­ger, das haben wir anhand der Dilthey-Vorträge gesehene, die Frage nach dem Sinn von Sein gleichsinnig die Frage nach dem Sinn des Lebens nennen kön­ nen. Für die Vermittlung von beidem hilft uns die von uns letztlich subjektivitäts­

18

  Dieser Zusammenhang ist auch heutzutage vielfach Thema der Philosophie. Vgl. vor allem die Arbeiten von Thomas Rentsch: Rentsch, Endlichkeit und Ders., Endlichkeit, Sinn sowie Ders., Endlichkeit und Lebenssinn. Aber auch das Buch G. Scherer, Sinnerfahrung und Unsterblichkeit, 1985. Interessant dazu auch die schon oben behandelten Schriften Schmalenberg, Sinn, sowie Ders., Todesverständnis, sowie Ders., Tod. 19  Vgl. Danz, Mut, 9 – 11. Zum Begriff der Anthropologie vgl. die erhellenden Bemerkungen bei Fritz, Menschsein, 14 Anm. 40 und bes. auch 370 – 385. Fritz spricht an anderer Stelle in Bezug auf Tillich von einer »partiellen Äquivalenz« der Begriff Ontologie und Anthropologie. Vgl. Fritz, Sorge, 156 Anm. 104.

4.4  Tod und Sinn

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theo­retisch verstandene Daseinshermeneutik Hei­deg­gers.20 Sie hilft uns einzufan­ gen, wie Sinn zu verstehen ist. In Hei­deg­gers Analyse, das haben wir oben darlegt (vgl. 3.3.1.4 u. 3.3.2), lässt sich der Sinn bestimmen als Seinsweise des Daseins, das durch Auslegung, die »vorsichtig« erschließt was es in der »Vorhabe« hat und dabei »vorgreift« auf das vorstrukturierte Verstandene, die eigenen Möglichkeiten »erkennt«. Sinn steht so als Abschluss des phänomenal identischen fundamenta­ lontologischen Prozesses des befindlichen-Verstehens oder in der von Ulrich Barth entliehenen Terminologie formuliert: von Erleben und Deuten. Unser gedeutetes Erleben ist für Hei­deg­ger der Sinn. Daraus folgt, dass menschliches Leben als gedeutetes Erleben (befindliches-Ver­ stehen) eben immer in der Sphäre des Sinns ist.21 Sinnloses Leben kann es so ver­ standen nicht geben. Wie passt das jedoch mit Tillichs Analyse der hervorgeho­ benen Bedeutung der Angstform Sinnlosigkeit in der späten Moderne zusammen? Oder anders, offener gefragt: Wie passt das mit der wahrscheinlich jedem Men­ schen bekannten, subjektiv unbeantwortbar scheinenden, allumfassenden Sinn­ frage zusammen?22 Was ist der Sinn davon, nach Sinn zu fragen, wenn man immer schon im Sinn lebt? Hier nun treffen wieder die beiden Welten des wissenschaft­ lich-theologischen Blickwinkels, der sich der Strukturanalyse der Religion zuwendet und, auf der anderen Seite, des Blicks innerhalb der Gegenstandswelten des religiö­ sen Bewusstseins aufeinander. Man könnte auch sagen: Die Unterscheidung ist eine zwischen religiöser Theorie und religiöser Praxis. In Bezug auf die Gegenstands­ welten des religiösen Lebens ist es nicht möglich zu sagen Sinnlosigkeit ist unmög­ lich. Praktisch begegnet uns Sinnlosigkeit sowohl als potentielle Bedrohung unse­ rer Selbstdeutung als auch als mögliches Attribut eines erlebbaren Zustands. Der hier implizierte Sinn, der sich auf die allumfassende Abschlussfrage nach dem Sinn richtet, ist jedoch von dem Sinn als bewusstseinstheoretischer Struktur zu unter­ scheiden. In Bezug auf die strukturelle Analyse dieses Lebens kann nämlich nicht gesagt werden, dass unser befindliches-Verstehen jemals jenseits des Sinnes liegt. So hat eben auch die Sinnfrage zwei Seiten. Als gegenständliche Abschlussfrage ist sie unlösbar, als ungegenständliche Strukturfrage ist sie immer schon geklärt: Sinn ist das, worin wir leben. Nun zur zweiten der oben genannten Fragen: Was bedeutet das Gesagte für den Zusammenhang von Sinnfrage und Todesfrage? Wenn Sinn allein das ist, worin das Individuum lebt, bedeutet der Tod das Ende des Sinns. Es wäre in diesem Fall also Sartres berühmter Todesdefinition vom Tod als Sinnzerstörer zu folgen. Auf der 20   Vgl. u. a. den Aufsatz U. Barth, Cartesianische oder hermeneutische Subjektivität. Hei­deg­ gers Beitrag zu einer Theorie der Selbstdeutung, in: Ders., Religion in der Moderne, 2003, 263 – 283. 21   In den neueren sinntheoretischen Debatten steht vor allem der Name Volker Gerhardt für diese Idee, dass Sinn das nicht zu verlassende Medium des menschlichen Lebens ist. Vgl. seine aus­ führliche Studie zum Sinnbegriff, die auf eine theologische Pointe zuläuft: Gerhardt, Sinn. 22   Ausführlich und höchst instruktiv verhandelt Christian Thies den ›Sinn der Sinnfrage‹ in seiner Habilitationsschrift. Vgl. Thies, Sinn.

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4  Schlussgedanken: Das Trotzdem des Lebens

Ebene des einzelnen Subjekts kann dem nicht widersprochen werden. Nun sind wir jedoch nicht nur Individuum in einer vereinzelten Sinnsphäre. Eine solche Sicht­ weise ist Hei­deg­ger stets in Form des sog. Solipsismusvorwurfs vorgehalten wor­ den. Auch wenn sich bei Hei­deg­ger tatsächlich die Anlage dazu findet, ein solches Verständnis zu entwickeln, ist dieses wiederum einer ungenauen Lesart von ›Sein und Zeit‹ zuzuschreiben. Gerade das immer wieder hervorgehobene Existenzial der »Geschichtlichkeit« verweist uns auf eine mögliche, vermittelnde Antwort. Das menschliche befindliche-Verstehen, das in der Auslegung thematisch wird, oder in der von Ulrich Barth entliehenen Terminologie, das gedeutete Erleben, das das menschliche Leben ist, ist geschichtlich. Es bildet sich also genauso im Zusammen­ hang mit Traditionen, kulturellen Prägungen etc. wie persönlichen Erlebnissen. Aus dieser Mischung wird schließlich eine Geschichte, in der wir leben, unser Sinn. Der persönliche Anteil dieser Geschichte endet mit dem eigenen Tod, der geschichtliche Anteil dieser Geschichte jedoch nicht. So kommen wir auch hier schließlich wieder zu dem Punkt, den bereits Tillich stark gemacht hatte. Das individuelle Leben endet mit dem eigenen Tod, die Geschichte des Lebens ist deswegen noch nicht zu Ende, auch wenn wir davon ausgehen müssen, dass auch diese irgendwann einmal ganz zu Ende sein wird. Somit kann auf der Ebene der wissenschaftlichen Strukturanalyse von einem den Tod überdauernden Sinn gesprochen werden. Dieser Sinn ist aller­ dings völlig ungegenständlich, er liegt im Unbedingten, was er für uns bedeutet, können wir wiederum nur bildlich zu schematisieren versuchen. Aufgabe theologi­ scher Thanatologie ist es, diesen unbedingten, ungegenständlichen Sinn für unser Bewusstsein in möglichst adäquaten Gegenstandswelten erlebbar zu machen.

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Namensregister Ahlbrecht, Ansgar  6, 20, 35, 50 – 52, 131 Althaus, Paul  6, 8, 17, 28, 31, 43, 46, 51 – 56, 100, 104, 112 – 114, 118, 130 – 149, 163 – 166, 204 Arendt, Hannah  200 Assel, Heinrich  103, 109, 117 Augustinus, Aurelius  92, 94, 171, 176, 233, 244, 271

Gadamer, Hans-Georg  196, 201 – 203 Gehlen, Arnold  74 Gerhardt, Volker  270, 335 Goldie, Peter  290, 314, 324 – 325 Graf v. Kessler, Harry  204 Greshake, Gisbert  23, 43 – 45 Gumbrecht, Hans Ulrich  173, 187, 192, 226

Ball, Bryan  32 Barth, Karl  4, 7 – 8, 34, 36, 46, 48, 52 – 53, 55 – 56, 63 – 74, 87 – 92, 115, 127, 130 – 132, 145 – 146, 166 – 167 Barth, Roderich  270, 318 Barth, Ulrich  2, 12, 306, 320 – 321, 335 – 336 Bayer, Joachim  144 – 148 Beißer, Friedrich  65 – 66 Beyschlag, Karl  149 – 150 Birkner, Hans-Joachim  285 Bollnow, Otto-Friedrich  121, 258 – 259, 294, 305, 313 – 314 Brunner, Emil  65 – 66, 131, 165 Bry, Carl Christian  209 Bultmann, Rudolf  88, 92, 101, 131, 177, 196, 210, 212 – 213, 243, 308

Hahn, Alois  91, 95 Härle, Wilfried  5, 22 – 25, 38 – 41, 101 Heidegger, Martin  4, 7 – 8, 12 – 18, 53, 57 – 58, 61 – 66, 68 – 74, 78 – 80, 84 – 95, 99, 103, 110, 115, 120 – 121, 123, 134 – 135, 166, 168, 169 – 311, 313 – 318, 320 – 321, 324 – 325, 327, 332, 334 – 336 Hemingway, Ernest  187 – 194, 258 – 259 Henning, Rudolf-Christian  22, 25 – 29, 31, 33, 44 Hermanni, Friedrich  22, 25 – 26, 31 – 33 Herrmann, Wilhelm  134 Hirsch, Emanuel  15 – 22, 246 Huxel, Kerstin  5, 22, 25, 28 – 33, 50

von Campenhausen, Hans  11, 45, 319 Cullmann, Oscar  48 – 50, 59 Danz, Christian  282 – 283 Dilthey, Wilhelm  201, 208, 219 – 223, 226, 241 Elert, Werner  6 – 7, 55 – 56, 100, 142, 144 – 166, 177, 185, 204, 277 Epikur  268 – 269 Figal, Günther  208 – 209, 256 Fischer, André  131 – 133, 166 Fischer, Hermann  73, 75, 101, 144 Fritz, Martin  282, 288, 334 Fukushima, Yo  64 – 67

Jüngel, Eberhard  7, 8, 15, 17, 23 – 25, 34 – 36, 38 – 41, 53, 59, 64, 67, 71, 74, 84, 87 – 100, 112, 115, 127, 130, 142, 159, 161 – 163, 166 – 167, 264, 309, 314, 328, 330 Kierkegaard, Søren  58, 134 – 135, 171, 187, 195, 198, 210, 213, 229, 233, 244, 264, 303 Klassen, Anna-Maria Herta  15 – 22, 34 Koch, Klaus  78 Körtner, Ulrich  22, 34 – 37 Landsberg, Paul Ludwig  94, 187, 192 – 194 Löwith, Karl  171 – 172, 242, 246 Luckner, Andreas  226, 259 Neuer, Werner  105 – 108 Nussbaum, Martha  226

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Namensregister

Osthövener, Claus-Dieter  285 Otto, Hugo  173 – 174, 179, 182, 197 Otto, Rudolf  122, 153, 175, 177, 196 – 201, 215, 242, 245, 252, 306, 329 Pannenberg, Wolfhart  7 – 8, 17, 53, 73 – 87, 115, 166 – 167, 314 Plessner, Helmut  74 Pöggeler, Otto  196, 210, 256 Potter, Harry  333 Reményi, Matthias  32 Rentsch, Thomas  170, 226, 240, 242 – 247, 256, 259 – 260, 270, 308, 334 Rendtorff, Rolf  78 Rolf, Sibylle  22 – 25, 38 Rößler, Dietrich  78 Safranski, Rüdiger  224, 270 Sartre, Jean-Paul  17 – 18, 35 – 36, 69 – 70, 266, 335 Scheler, Max  74, 92, 94, 266 – 267, 269 Schlatter, Adolf  5 – 7, 16, 27, 31, 51, 100 – 116, 119 – 120, 127, 129, 138, 141, 156, 165, 185 Schleiermacher, Friedrich  25, 29 – 30, 39, 128, 175, 181, 197 – 198, 201, 208, 215, 242, 245 – 246, 285

Schloßberger, Matthias  278 Schmalenberg, Erich  46 – 48, 59, 334 Schüßler, Werner  293, 306 Seubert, Harald  182 Slenczka, Notger  145 – 158 Spengler, Oswald  145, 147 – 154, 157 Springhart, Heike  64 Stange, Carl  7 – 8, 27 – 28, 31, 51, 100, 112, 114 – 131, 138, 141 – 142, 153, 161, 164 – 166, 204, 328 Stern, Fritz  148 Sternberger, Dolf  259 Thiede, Werner  22, 41 – 43 Thielicke, Helmut  6 – 8, 17, 46 – 47, 52 – 64, 66 – 67, 74, 77, 87, 166 – 167, 314 Thies, Christian  2, 270, 309, 335 Tillich, Paul  4, 7 – 8, 13 – 14, 21, 47, 70, 84, 115, 131, 159, 172, 225, 243, 245 – 247, 259, 271, 276, 278 – 311, 313 – 319, 321, 324, 327, 332, 334 – 336 Tolstoi, Leo  92, 94, 257, 269 Wenz, Gunther  78 White, Hayden  278 Wilkens, Ulrich  78 Wittwer, Héctor  2, 260 Wohlgschaft, Hermann  64, 66, 73

Sachregister Angst  13 – 14, 58, 171, 177, 187, 193, 244, 246, 250 – 251, 255 – 256, 260, 269 – 272, 282, 284, 286, 288 – 290, 293, 296 – 299, 301, 303 – 308, 314 – 316, 321, 324 – 326, 334 – 335 – Grundbefindlichkeit als ~  79, 173, 203, 216, 225, 232 – 233, 253 – Mut zur ~  80 Anthropologie  3 – 4, 8, 12, 35, 44 – 45, 49, 51, 53 – 55, 58 – 63, 65 – 74, 76, 78, 80, 83, 85 – 86, 108 – 110, 141, 158, 167, 259, 282, 288, 307, 316, 334 Auferstehung (von den Toten)  3, 5 – 6, 9 – 10, 14, 16 – 17, 26 – 34, 37, 40 – 45, 48 – 51, 76 – 77, 80, 82 – 83, 85 – 87, 91, 96 – 97, 114, 119, 126 – 129, 139 – 142, 160 – 167, 244, 300, 309, 317, 319, 322 – 323, 328 – 332 Beerdigungsansprache (Beerdigungsrede) (Bestattungspredigt) (Rede am Grab)  14, 18, 105, 323, 333 Bewusstsein  109 – 110, 123, 215, 219, 222, 304, 331, 334 – 336 – gläubiges ~  9, 11 – religiöses (christliches) ~  87, 197, 201, 209, 280, 294, 306 – 307, 318 – 322, 331 – Selbstbewusstsein  245, 318 Dasein – Daseinsanalyse  58, 200, 217, 221, 227, 231, 233, 237, 250, 255, 261, 290 – Daseinsangst  233 – Daseinsdeutung (Deutung des Daseins)  29, 122 – Daseinshermeneutik (Hermeneutik des Daseins)  13, 195, 222, 237, 242, 247, 253, 255, 257, 260, 275, 317, 335 – Grundbefindlichkeit des Daseins  79, 205, 216, 269 – menschliches ~  204 – 205, 220 – 223 – Mitdasein  220, 228

Dialektik  127, 315 Dogmatik  3, 5, 7 – 8, 22, 29, 38 – 39, 53, 63, 68, 72 – 73, 102 – 109, 111, 113, 117, 119, 124, 132, 134 – 136, 146, 149, 154 – 159, 161 – 162, 165 – 166, 215, 246, 282, 313 Einstellungen zum Tod  164 Emotionstheorie  289 – 290, 314 – 315 Endlichkeitsdimension  13, 140, 154, 255, 279, 283, 285, 299, 308, 313, 315, 321, 324 Endlichkeit des Lebens  13, 84, 86, 261, 267, 279, 310, 327 Entschlossenheit  173, 220, 235, 237, 239, 273, 275 – 277, 303, 314 Erbauung  20, 63, 284 – 285, 317 Erlösung  49 – 50, 71 – 72, 141, 160, 282, 295 Evangelium  25, 55, 107, 145 – 146, 148 – 149, 157, 159 – 162, 165 Evokation  314 Existenzialismus  7, 47, 298 – 299 Furcht  136, 143, 155, 205, 212, 233, 251, 272, 303, 324 – 325 Geburt  11, 241, 248 – 250, 252 – 253, 271, 276, 285, 302, 304 Geheimnis  2, 21 – 22, 77, 88, 94 – 95, 109, 121, 139, 141 – 142, 144, 252, 262, 270 – 271, 309 Geschichtlichkeit  171, 218, 225, 235, 241, 260 – 261, 263, 268 – 269, 273, 275, 277 – 278, 315, 317, 321 – 323, 330 – 333, 336 Gewissen (Gewissensbegriff)  101, 109 – 112, 125, 141, 171, 177 – 178, 220, 225, 234, 236 – 238, 244 – 246, 260, 273 – 275 Glaube (Glaubensbegriff)  14, 21 – 22, 29 – 30, 36, 38 – 42, 45, 47 – 48, 80 – 82, 84 – 85, 89 – 91, 97, 107, 114 – 115, 120, 124 – 129, 133 – 146, 156 – 160, 162,

356

Sachregister

164 – 165, 188, 207, 212, 215, 223 – 224, 246, 264 – 265, 270, 295, 313 – 314 – Ewigkeitsglauben  20 – 21 Gott – Gottesbegriff  79, 81 – 84, 153, 243 – 245 – Gottesbewusstsein  112, 114, 116, 245 – Gotteserkenntnis  158 – Gottesfrage  108 – Gottesgewissheit  115, 139 – Gedächtnis Gottes  26, 30, 32, 309, 330 – Handaufhebung gegen ~  208 – 209 Grundstimmung (Grundgestimmtheit)  13 – 14, 164, 172, 215 – 216, 282, 288 – 293, 297 – 299, 301 – 310, 314 – 316, 321, 324 – 327, 330, 333 – Grundstimmungsnuance  305, 324, 326 – 327 Jenseits  26, 28, 30, 36, 43, 71 – 72, 125, 130, 132, 140, 160, 165 – 166, 305 – Jenseitsbild  322, 329 – 330 – Jenseitshoffnung  45, 320 – Jenseitstheologie  42 Jesus (Christus)  24, 48, 71, 79, 83, 88 – 89, 97, 126 – 128, 136, 167, 179 – 180 Kunst (Kunstwerk, Literatur, Malerei, Musik)  19, 150, 176, 257 – 259, 326 – 327, 329 Leben – Leben nach dem Tod  24, 29, 40, 85, 125, 127, 206 – Beginn des Lebens  315 – Ende des Lebens (absolutes Ende)  18, 116, 206, 225, 241, 261, 304, 308 – 309, 315 – 316, 321, 325 – Ewiges ~  114 – 115, 138, 160, 162, 328 – Sieg des Lebens  316 Lebensbejahung  301, 314 Mut  13 – 14, 21, 83 – 84, 100, 137, 171 – 172, 189, 225, 271 – 273, 279, 280 – 311, 314 – 316, 321, 326 – 327, 334 – ~ zur Angst  80, 272 – ~ zum Leben  80, 84, 210, 286 – ~ zum Sein  7, 13 – 14, 84, 172, 225, 247, 271, 278, 280 – 311, 313, 315 – 316, 323, 327, 332, 334 Nichtsein  70 – 71, 297, 299 – 300, 310, 316

Opfer  47, 113 Person  33, 40, 59 – 61, 125 – 126, 128, 142, 155, 162, 164, 219, 294, 305 – Personalität  15 – Personhaftigkeit  58 Rechtfertigungslehre  52 Religionstheorie  2, 110, 321, 323 Schöpfung  25, 49, 67, 71, 141, 282 – Schöpfungsordnung  55 – 56 – Neuschöpfung  52, 129, 160 – 161 Schuld  18, 11 – 112, 156, 220 – 221, 237, 244, 246, 274, 296 Seele  106 – 107, 141, 143, 147, 149 – 154, 180, 189, 190, 197, 292, 331, 332 – Leib und ~  32 – 33, 39, 50, 86, 95 – Unsterblichkeit der ~  7 – 10, 14, 16 – 17, 24 – 32, 37, 39 – 43, 49 – 52, 76, 85, 99, 114, 117, 119, 123, 129, 131 – 132, 142, 163, 166 – 167, 299, 309, 317, 319, 322, 327, 330, 332 Sein – ~ zur Geburt  241 – ~ zum Leben (zum Anfang)  13, 315, 321 – ~ zum Tode (zum Ende)  13, 57, 80, 173, 235 – 236, 241, 247 – 248, 251 – 252, 272, 274, 310, 315, 318, 321 Selbstverhältnis  13 – 14, 19, 289, 292, 294 – 295, 299, 313, 317 – 321, 329, 332 – 333 Sinn – ~ des Daseins  221, 223, 235, 238 – ~ des Hoffens  272 – ~ des Lebens (Lebenssinn)  13, 69, 84, 167, 189, 219, 223, 226 – 227, 233 – 234, 236, 240, 245, 279, 293, 334 – ~ des Menschen  220 – ~ des Seins  282 – ~ des Todes  141 – 143 Sinnlosigkeit  146, 296, 299, 334 – 335 Sterbehilfe 5 Stimmung(en)  13 – 14, 115, 121, 144, 164, 167, 169, 172, 173, 175 – 177, 183, 190, 206, 209, 222 – 223, 225, 230 – 233, 246, 250 – 252, 257 – 258, 270, 272 – 273, 276, 280, 282, 289 – 311, 313 – 336 – Stimmungsregulierung (Stimmungsregu­ lation)  292, 315, 327

Sachregister

357

– Grundstimmung  164, 172, 215 – 216, 255, 256, 282, 288, 289 – 311, 313 – 336 – Grundstimmungsnuance  305, 324, 326 – 327 Suizid  302 Symbol – Symbolbestände  14, 311 – ~ des Ewigen Lebens  319, 332 – 333 – Grundsymbol  26, 282 – Alte Symbole  328 – 332 – Religiöse(s) Symbol(e)  26, 245, 328, 339

Todesdeutung  2, 10 – 22, 36, 38, 57 – 58, 64 – 67, 72 – 73, 87, 90, 93, 95 – 96, 98 – 99, 109, 125, 148, 151, 167, 209, 249, 257, 259, 279, 322 – 324, 327 – 328, 333 Trauerarbeit  14 Trotz  147, 158 – 159, 286, 302 – Trotzdem  115 – 116, 297 – 298, 313 – 336

Tod – Ganztod (Ganztodtheorie)  5 – 6, 9, 16 – 17, 24 – 32, 36, 39 – 40, 48 – 52, 63 – 64, 67, 70, 72, 86, 98 – 99, 112, 116, 119, 128 – 130, 142, 162 – 163, 165, 167, 300 Todesdefinition  260, 335 Todesdenken  93, 95, 98 – 99, 116, 152, 224, 260 – Heideggers ~  313 – Theologisches ~  18

Vergebung  160 Vorlaufen  220, 236 – 237, 239, 254 – 255, 264 – 265, 268 – 269, 273 – 275, 332 – ~ in den Tod  93, 268 – 269, 275

Unbedingtheit  321, 331 – 332 – Unbedingtheitsdimension  12, 242, 307 – 309, 322 – 323, 327 – 331

Weltende (Ende der Welt)  3, 18, 44 Wiedergeburt  322 Zwischenzustand  9, 31 – 32, 37, 44, 49 Zustände, emotive  315, 326