Die sächsischen Franziskaner und ihre theologische Auseinandersetzung mit der frühen deutschen Reformation 3402186888, 9783402186886


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Table of contents :
Title
Inhalt
Vorwort
Vorbemerkungen zum Thema
1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie
1.1. Der Ordensbruder Martin Luther und „der reformatorische Durchbruch“
1.2. Die erste Auseinandersetzung mit reformatorischer Theologie in Jüterbog
1.3. Die Wittenberger Franziskanerdisputation
1.4. Augustins von Alveldt Einsatz für die päpstliche Autorität
1.5. Ein kleines Nachspiel
2. Die Zeit der Entscheidung
2.1. Franziskanische Entscheidung
2.2. Luthers entscheidende Anfrage – Evangelium und/oder Ordensleben?
3. Franziskaner entscheiden sich gegen ihr bisheriges Ordensleben
3.1. Johannes Briesmann
3.2. Johannes Schwan
3.3. François Lambert
3.4. Johann Eberlin von Günzburg
3.5. Friedrich Myconius (Mecum)
4. Das Ende von Franziskanerklöstern
4.1. Wittenberg und Torgau
4.2. Zwickau und Altenburg
4.3. Magdeburg
4.4. Lüneburg, Celle und Winsen/Luhe
4.5. Ribnitz
4.6. Meiningen und Schleusingen
4.7. Weimar und Langensalza
5. Profilierte theologische Gegner der Reformation in der franziskanischen Saxonia
5.1. Alexander Svenichen
5.2. Konrad Klinge
5.3. Andreas Scheunemann
5.4. Michael Hillebrant
5.5. Kaspar Meckenlör
5.6. Kaspar Sager
5.7. Jakob Schwederich
5.8. Bernhard Dappen
5.9. Augustin von Alveldt
6. Ein abschließendes reformatorisches Urteil über die Franziskaner und über Franziskus? Erasmus Alber und der franziskanische Alcoran
7. Schluss und Ausblick
8. Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Abkürzungsverzeichnis
Register
Ortsregister
Personenregister
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Die sächsischen Franziskaner und ihre theologische Auseinandersetzung mit der frühen deutschen Reformation
 3402186888, 9783402186886

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FORSCHUNGEN Johannes Schlageter

DIE SÄCHSISCHEN FRANZISKANER UND IHRE THEOLOGISCHE AUSEINANDERSETZUNG MIT DER FRÜHEN DEUTSCHEN REFORMATION

Johannes Schlageter

Was Franziskaner in der Geschichte der Reformation sagten und bedeuteten, ist bisher kaum im Zusammenhang erforscht worden. In dem hier vorliegenden Werk werden primär die Franziskaner in der Ordensprovinz Saxonia in den Blick genommen. Es fällt auf, dass eine theologische Begegnung mit der Reformation bei den Franziskanern der Saxonia nicht nur zur Gegnerschaft führte, sondern oft zum Anschluss an die reformatorische Bewegung. Das mag auch im Gesamtzusammenhang stehen mit der ursprünglich franziskanischen Option eines Lebens nach dem Evangelium – zumindest in der Überzeugung reformatorisch gesinnter Franziskaner und in heutiger ökumenischer Sicht.

DIE SÄCHSISCHEN FRANZISKANER UND DIE FRÜHE DEUTSCHE REFORMATION

FRANZISKANISCHE

52 ISBN 978-3-402-18688-6

52. Band

Johannes Schlageter Die sächsischen Franziskaner Und Ihre Theologische Auseinandersetzung Mit Der Frühen Deutschen Reformation

Franziskanische Forschungen herausgegeben von Theofried Baumeister OFM, Jürgen Werinhard Einhorn OFM, Leonhard Lehmann OFMCap, Johannes Schlageter OFM, Raynald Wagner OFM

Band 52

Johannes Schlageter

Die sächsischen Franziskaner und ihre theologische Auseinandersetzung mit der frühen deutschen Reformation

Layout und Satz: Christian Loefke, Fachstelle Franziskanische Forschung, Münster

© 2012 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen. Gesamtherstellung: Aschendorff Druckzentrum GmbH & Co. Kg, 2012 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier.

ISBN 978-3-402-18688-6

Inhalt Vorwort ....................................................................................................................... VII Vorbemerkungen zum Thema ...................................................................................

1

1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie ............

3

1.1. Der Ordensbruder Martin Luther und „der reformatorische Durchbruch“ ..............

3

1.2. Die erste Auseinandersetzung mit reformatorischer Theologie in Jüterbog .............

11

1.3. Die Wittenberger Franziskanerdisputation .................................................................... 21 1.4. Augustins von Alveldt Einsatz für die päpstliche Autorität ........................................ 46 1.5. Ein kleines Nachspiel ........................................................................................................ 68 2. Die Zeit der Entscheidung ...................................................................................... 75 2.1. Franziskanische Entscheidung ........................................................................................

77

2.2. Luthers entscheidende Anfrage – Evangelium und/oder Ordensleben? ................... 85 2.3. Franziskanische Verteidigung des Ordenslebens .........................................................

95

3. Franziskaner entscheiden sich gegen ihr bisheriges Ordensleben ........................ 101 3.1. Johannes Briesmann ......................................................................................................... 101 3.2. Johannes Schwan ............................................................................................................... 108 3.3. François Lambert .............................................................................................................. 112 3.4. Johann Eberlin von Günzburg ........................................................................................ 132 3.5. Friedrich Myconius (Mecum) ......................................................................................... 138 4. Das Ende von Franziskanerklöstern ...................................................................... 151 4.1. Wittenberg und Torgau .................................................................................................... 151 4.2. Zwickau und Altenburg ................................................................................................... 157 4.3. Magdeburg ......................................................................................................................... 164 4.4. Lüneburg, Celle und Winsen/Luhe ................................................................................ 190 4.5. Ribnitz ................................................................................................................................ 196 4.6. Meiningen und Schleusingen ......................................................................................... 205 4.7. Weimar und Langensalza ................................................................................................. 214

VI

Inhalt

5. Profilierte theologische Gegner der Reformation in der franziskanischen Saxonia ....................................................................................... 225 5.1. Alexander Svenichen ......................................................................................................... 225 5.2. Konrad Klinge ................................................................................................................... 232 5.3. Andreas Scheunemann ..................................................................................................... 245 5.4. Michael Hillebrant ............................................................................................................ 260 5.5. Kaspar Meckenlör ............................................................................................................. 268 5.6. Kaspar Sager ...................................................................................................................... 283 5.7. Jakob Schwederich ............................................................................................................. 290 5.8. Bernhard Dappen ............................................................................................................. 303 5.9. Augustin von Alveldt ........................................................................................................ 313 6. Ein abschließendes reformatorisches Urteil über die Franziskaner und über Franziskus? Erasmus Alber und der franziskanische Alcoran ..................... 349 7. Schluss und Ausblick ............................................................................................... 359 Quellen- und Literaturverzeichnis ............................................................................. 361 Abkürzungsverzeichnis .............................................................................................. 381 Orts- und Personenregister ........................................................................................ 383

Vorwort Das Konzept für die vorliegende Arbeit wurde bereits in den letzten Jahren des vergangenen Jahrhunderts vom damaligen „Institut für Franziskanische Geschichte“ in Münster entworfen. Der Rahmen für eine Provinzgeschichte der Saxonia, in dem eine Arbeit zur theologischen Auseinandersetzung mit der Reformation ihren Platz finden sollte, änderte sich allerdings im Laufe der Jahre. So konnte die Arbeit in dem Umfang, zu dem sie inzwischen herangewachsen war, nur noch sehr gekürzt für den frühneuzeitlichen Band der Saxonia-Geschichte in Betracht gezogen werden. Doch die frühere Provinzleitung der Saxonia bzw. seit 2010 die Verantwortlichen der vereinigten deutschen Ordensprovinz Germania OFM unterstützten den Druck der gesamten Arbeit und befürworteten ihre Aufnahme in die Reihe der „Franziskanischen Forschungen“. Ihnen gilt vor allem der Dank, aber auch den Brüdern aller deutschsprachigen franziskanischen Provinzen des Ersten Ordens (Franziskaner, Kapuziner, Minoriten), die nun die Arbeit der „Fachstelle Franziskanische Forschung“ in Münster und deren Publikationen, so auch die „Franziskanischen Forschungen“, mittragen. Ohne die hier gegebenen Möglichkeiten der Forschung und Publikation, die schon bei vorbereitenden Veröffentlichungen zum Thema in der Zeitschrift „Wissenschaft und Weisheit. Franziskanische Studien“ zu erleben waren, hätte diese Arbeit zur Reformations-Geschichte nicht gedeihen können. Deshalb möchte ich besonders Herrn Bernd Schmies und Herrn Christian Loefke danken, da sie in den vergangenen Jahren das „Institut für Franziskanische Geschichte“ und später die „Fachstelle Franziskanische Forschung“ maßgeblich mit Leben erfüllten und so als unermüdliche Gesprächspartner und Helfer entscheidenden Anteil am Gelingen dieser Arbeit haben. Es ginge freilich über den Rahmen eines solchen Vorworts weit hinaus, wollte ich alle nennen, die mir zu Hilfe kamen, besonders die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Archiven und Bibliotheken, die ihre Zeit, ihre Räume und Materialien zu Verfügung stellten. Dass es dabei zu guten und hilfreichen Begegnungen über die konfessionellen Grenzen hinaus kam, verstärkte die ökumenische Ausrichtung einer Arbeit, die die theologischen Kontroversen der frühen deutschen Reformation für eine Neubesinnung auf das Gemeinsame und Zukunftsweisende fruchtbar machen wollte. Ob das in diesem Rückblick auf die Franziskaner in der Saxonia und auf ihre Begegnung mit der frühen deutschen Reformation, die häufig in heftigsten Streit ausartete, immer gelingen konnte, bleibt eine offene Frage, die alle, die diese Arbeit lesen, nur selbst beantworten können. Ohne die Kämpfe der Vergangenheit und die Wunden, die sie schlugen, einfach zu vergessen, dürfen wir – hoffe ich – den Weg in eine Zukunft wagen, in der wir das uns Christen „gemeinsamste Evangelium“ (M. Luther) von Gottes Güte und Erbarmen neu entdecken, wie das auf ihre Weise Franziskus und Klara von Assisi vor etwa 800 Jahren sowie Martin Luther vor etwa 500 Jahren erlebt haben. Fulda, im Februar 2012

Johannes Schlageter OFM

Vorbemerkungen zum Thema Was Franziskaner in der Geschichte der Reformation sagen und bedeuten, ist bisher noch kaum im Zusammenhang erforscht worden. Die Arbeit, die Chang Soo Park über „Luther und die Franziskaner“ als Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 1996 vorlegte,1 kann als erster wertvoller Versuch einer Zusammenfassung gesehen werden, allerdings ganz im Blick auf Martin Luther selbst und von einem protestantischen Standpunkt aus. Bei der Frage nach einer theologischen Begegnung mit der Reformation werden nun primär die Franziskaner in der Saxonia aus dem Interesse an der Geschichte dieser Ordensprovinz in den Blick genommen. Das geschieht bewusst von einem anderen Standpunkt aus, der sich jedoch nicht nur katholisch-konfessionell verstehen möchte, sondern sich ökumenisch-theologisch der Verständigung christlicher Konfessionen verpflichtet glaubt. Der Blick weitet sich ebenfalls, wenn es bei der theologischen Begegnung der damaligen sächsischen Franziskaner mit der frühen Reformation nicht nur um die zentrale Gestalt Martin Luthers geht, sondern mehrere Akteure der reformatorischen Bewegung eine bedeutende Rolle spielen – bis hin zur Basis dieser Bewegung in der Bevölkerung vieler Städte und Territorien. Die Saxonia als damals besonders weit ausgedehnte Provinz des Ordens der Minderbrüder, die vom heutigen Thüringen bis zu den baltischen Ländern reichte, war ja aufgrund ihrer sozio-ökonomischen Lebensform und durch ihre pastorale Ausrichtung in erster Linie dem einfachen Volk in Stadt und Land zugewandt. So wichtig theologische Diskurse im akademischen Bereich für die Begegnung mit der Reformation wurden, waren es eher Veränderungen an der Basis in Predigt, Gottesdienst und Lebensführung sowie in religiös-sozialer Organisation überhaupt, die die Franziskaner in der damaligen Saxonia in besonderer Weise beschäftigten und in Mitleidenschaft zogen. Wenn sich die Arbeit mit ihrem besonderen geschichtlichen Interesse auf die damalige alte Saxonia beschränkt, so konzentriert sich allerdings dort das reformatorische Geschehen besonders; denn dies ist der Raum, in dem es beginnt, und in dem auch Franziskaner von nah und fern zur Begegnung mit ihm sowie zur Entscheidung für oder gegen die Reformation kommen. Eine theologische Begegnung, das heißt eine reflektierte, im Glauben begründete und mitgeteilte Erfahrung mit der Reformation, führte ja bei Franziskanern in diesem Raum nicht nur zur Gegnerschaft, sondern oft zum Anschluss an die reformatorische Bewegung. Das sollte man nicht einfach wie früher von konfessionell-katholischer Seite als Abfall werten. Denn vielleicht verwirklicht sich darin auf neue Weise die ursprünglich-franziskanische Option für ein Leben nach dem Evangelium – zumindest in der Überzeugung reformatorisch gesinnter Franziskaner und in heutiger ökumenischer Sicht.

1 Siehe Park, Chang Soo: Luther und die Franziskaner. Hamburg 1996.

1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie 1.1. Der Ordensbruder Martin Luther und „der reformatorische Durchbruch“ Martin Luther trat 1505 als junger Magister der Artes und Student des Rechts in das besonders observante Kloster der Augustiner-Eremiten zu Erfurt ein, von wo er nach Jahren des theologischen Studiums unter dem Einfluss seines Oberen Johann von Staupitz an die Universität Wittenberg berufen und dort seit 1512 als promovierter Lehrer der Theologie tätig wurde.1 Dass Luthers Weg zu seiner neuen Theologie entscheidend mit seinem Ringen um ein gutes Ordensleben zusammenhängt, ist bei divergierenden Deutungen seines Werdegangs unbestritten.2 Bedeutsam ist ein spätes Selbstzeugnis Luthers, in dem die Wende dieses Ringens und der Neuanfang seines theologischen Denkens dramatisch dargestellt wird: „Von wundersamem Eifer war ich ergriffen gewesen, Paulus kennenzulernen in dem Brief an die Römer, aber dem stand entgegen nicht Herzenskälte, sondern das einzige Wörtchen im 1. Kapitel: ‚Die Gerechtigkeit Gottes wird in ihm [dem Evangelium] offen­bar‘ [Röm 1,17 Vg.]. Verhasst war mir nämlich dieses Wörtchen ‚Gerechtigkeit Gottes‘, das man nach dem Brauch und der Gewohnheit aller Lehrer mich gelehrt hatte, philosophisch zu verstehen als die so genannte formale oder aktive Gerechtigkeit, wodurch Gott gerecht ist sowie die Sünder und Ungerechten bestraft. Obwohl ich ja als tadelloser Mönch lebte, fühlte ich mich vor Gott als Sünder mit unruhigstem Gewissen und konnte nicht vertrauen, ich sei durch hinreichende Leistung ausgesöhnt. So liebte ich nicht, ja hasste vielmehr den gerechten und den Sünder strafenden Gott. Wenn nicht mit stillschweigender Lästerung, so gewiss mit ungeheuer unzufriedenem Murren lehnte ich mich auf gegen Gott. Ich sagte: wäre es nicht gerade genug, dass die elenden Sünder und die infolge der Erbschuld ewig an jede Art von Unglück Verlorenen durch das Zehn-Gebote-Gesetz niedergedrückt würden, wenn nicht Gott durch das Evangelium dem Schmerz Schmerz hinzufügte und auch durch das Evangelium uns seinen Zorn und seine Gerechtigkeit androhte? Ich war voll Wut mit einem so wilden und verstörten Gewissen, nahm ungestüm Anstoß an Paulus wegen jener Stelle, in brennendstem Verlangen zu wissen, was der heilige Paulus wolle. Bis ich durch das Erbarmen Gottes, Tag und Nacht meditierend, den Zu­sammenhang der Worte erfasste: ‚Die Gerechtigkeit wird in ihm [dem Evangelium] offenbar, wie geschrieben steht: Der Gerechte lebt aus dem Glauben‘ [vgl. Röm 1,17; Hab 2,4]. Da begann ich die Gerechtigkeit Gottes zu 1 Siehe Brecht, Martin: Martin Luther, Bd. 1: Sein Weg zur Reformation 1483–1521. Stuttgart 31989, 1–129. 2 Vgl. insgesamt Lohse, Bernhard: Mönchtum und Reformation. Luthers Auseinandersetzung mit dem Mönchsideal des Mittelalters. Göttingen 1963, 239–314; Stamm, Heinz Meinolf: Luthers Stellung zum Ordensleben. Wiesbaden 1980 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte [VIEG], 101) 4–24; Reblin, Klaus: Freund und Feind. Franziskus von Assisi im Spiegel der protetantischen Theologiegeschichte. Göttingen 1988 (Kirche und Konfession, 27) 17–30; Schilling, Johannes: Klöster und Mönche in der hessischen Reformation. Gütersloh 1997, 120–137; Park, Luther und die Franziskaner 18–21; Schlageter, Johannes: Das Franziskanerkloster in Wittenberg bei der Gründung der Universität (1502) und im Beginn der Reformation. In: Wissenschaft und Weisheit [WiWei] 65 (2002) 82–111, bes. 97f.; Leppin, Volker: Martin Luther. Darmstadt 2006 (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance) bes. 28–117; Reformation und Mönchtum. Aspekte eines Verhältnisses über Luther hinaus, hg. von Athina Lexutt / Volker Mantey / Volkmar Ortmann. Tübingen 2008 (Spätmittelalter, Humanismus, Renaissance – Studies in the Late Middle Ages, Humanisme and the Reformation, 43).

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1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie

verstehen als die, durch die der Gerechte aus Gottes Geschenk lebt, nämlich aus dem Glauben. Das sei die Lehre, es werde durch das Evangelium die Gerechtigkeit Gottes offenbart als passive, in der der barmherzige Gott uns durch den Glauben rechtfertigt, wie geschrieben steht: ‚Der Gerechte lebt aus dem Glauben‘ [Hab 2,4]. Hier fühlte ich mich ganz und gar neu geboren und bei offenen Türen ins Paradies heimgekehrt. Dort wurde sogleich ein neues Gesicht der ganzen Heiligen Schrift sichtbar. Darauf ging ich die Schrift durch, wie ich sie im Gedächtnis hatte, und entnahm auch anderen Worten Ähnliches: das Werk Gottes, das heißt, was Gott in uns wirkt, die Kraft Gottes, womit er uns kraftvoll macht, die Weisheit Gottes, mit der er uns weise macht, die Stärke Gottes, das Heil Gottes, die Herrlichkeit Gottes. Mit welch großem Hass ich bisher das Wörtchen ‚Gerechtigkeit Gottes‘ gehasst hatte, mit so großer Liebe rühmte ich nun das für mich süßeste Wörtchen, sodass für mich diese Stelle bei Paulus wahrhaft die Pforte zum Paradies wurde. Danach las ich Augustinus ‚Über Geist und Buchstaben‘, wo ich wider Erwarten fand, dass auch er die Gerechtigkeit ähnlich deutet als die, mit der uns Gott bekleidet, da er uns rechtfertigt. Und obwohl das noch unvollkommen gesagt wurde und er nicht alles über die Anrechnung klar auslegt, lehrte er doch liebend gern die Gerechtigkeit Gottes, wodurch wir gerechtfertigt werden.“3 Wenn Luther hier aus großer zeitlicher Distanz 1545 auf die für seine reformatorische Theologie entscheidende Einsicht zurückblickt, so fasst er einen längeren Prozess zusammen, der mit seinem Eintritt ins Kloster beginnt und in der beglückenden Erfahrung der Rechtfertigung allein aus dem Glauben und allein aus Gottes Geschenk gipfelt. Je nachdem welche Momente in diesem Prozess betont werden, kann dieser ‚reformatorische Durchbruch‘ unterschiedlich 3 Luther, Martin: Vorrede zur Gesamtausgabe von Luthers lateinischen Schriften, Wittenberg 1545. In: Luther, Martin: Sämtliche Werke, Weimarer Ausgabe [WA] 54, 185,14–186,20: „Miro certe ardore captus fueram cognoscendi Pauli in epistola ad Romanos, sed obstiterat hactenus non frigidus circum praecordia sanguinis, sed unicum vocabulum, quod est Cap. 1: ‚Iustitia Dei revelatur in illo‘. Oderam enim vocabulum istud ‚Iustitia Dei‘, quod usu et consuetudine omnium doctorum doctus eram philosophice intelligere de iustitia (ut vocant) formali seu activa, qua Deus est iustus, et peccatores iniustosque punit. Ego autem, qui me, utcunque irreprehensiblis monachus vivebam, sentirem coram Deo esse peccatorem inquietissimae conscientiae, nec mea satisfactione placatum confidere possem, non amabam, imo odiebam iustum et punientem peccatores Deum, tacitaque si non blasphemia, certe ingenti murmuratione indignabar Deo, dicens: quasi vero non satis sit, miseros peccatores et aeternaliter perditos peccato originali omni genere calamitatis oppressos esse per legem decalogi, nisi Deus per euangelium dolorem dolori adderet, et etiam per euangelium nobis iustitiam et iram suam intentaret. Furebam ita saeva et perturbata conscientia, pulsabam tamen importunus eo loco Paulum, ardentissime sitiens scire, quid S. Paulus vellet. Donec miserente Deo meditabundus dies et noctes connexionem verborum attenderem, nempe: Iustitiam Dei revelatur in illo, sicut scriptum est: Iustus ex fide vivit, ibi iustitiam Dei coepi intelligere eam, qua iustus dono Dei vivit, nempe ex fide, et esse hanc sententiam, revelari per euangelium iustitiam Dei, scilicet passivam, qua nos Deus misericors iustificat per fidem, sicut scriptum est: ‚Iustus ex fide vivit.‘ Hic me prorsus renatum esse sensi, et apertis portis in ipsam paradisum intrasse. Ibi continuo alia mihi facies totius scripturae apparuit. Discurrebam deinde per scripturas, ut habebat memoria, et colligebam etiam in aliis vocabulis analogiam, ut opus Dei, id est, quod operatur in nobis Deus, virtus Dei, qua nos potentes facit, sapientia Dei, qua non sapientes facit, fortitudo Dei, salus Dei, gloria Dei. Iam quanto odio vocabulum ‚iustitia Dei‘ oderam ante, tanto amore dulcissimum mihi vocabulum extollebam, ita mihi iste locus Pauli fuit vere porta paradisi. Postea legebam Augustinum de spiritu et litera, ubi praeter spem offendi, quod et ipse iustitiam similiter interpretatur: qua nos Deus induit, dum nos iustificat. Et quamquam imperfecte hoc adhuc sit dictum, ac de imputatione non clare omnia explicet, placuit tamen iustitiam Dei doceri, qua nos iustificemur.“ Siehe etwa Augustinus: De spiritu et littera, cap. 7 nr. 11: „nec quia recti sunt corde, sed etiam ut recti corde sint, praetendit iustitiam suam, qua iustificat impium“ (PL 44, 206; CSEL 60, 163,1–2). Vgl. Brecht, Luther I, 219f.

Der Ordensbruder Martin Luther und „der reformatorische Durchbruch“

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in den Werdegang des Ordensbruders und Theologen Luther eingeordnet werden.4 Doch die von Luther besonders hervorgehobene Erfahrung der ‚Gerechtigkeit‘ Gottes, durch die Gott gerecht macht, liegt jedenfalls schon in Luthers Vorlesung zum Römerbrief (1515/16) vor, in der er sie bereits in Augustins Schrift „Über Geist und Buchstaben“ bestätigt sieht.5 Eine zutiefst enttäuschende Erfahrung Luthers mit dem klösterlichen Perfektionismus, der nicht die erwartete hinreichende Leistung vor Gott erbringen konnte, hatte vorher den jungen Ordensbruder zum Aufbegehren gegen Gott gereizt, den er infolge der gelehrten Theologie nur mit dem in Gerechtigkeit strafenden Richter identifizierte. Angesichts dieser persönlichen Erfahrungen musste die Abkehr von der traditionellen Theologie, wie sie Luther verstand, und die Entdeckung der Gerechtigkeit Gottes, die allein im Glauben an das Evangelium geschenkt wird,6 ihn zunächst einmal von jenem religiösen Perfektionismus befreien, den Luther vorher gesucht und verinnerlicht hatte. Von daher kann Luther die verbreitete Kritik am damaligen Verständnis des Ordenslebens7 mit einer neuen theologischen Zielrichtung aufnehmen, ohne selbst mit dem Ordensleben zu brechen und erst recht ohne die späteren Konsequenzen seiner theologischen Neuentdeckung zu ahnen. Zum Römerbief schreibt er bereits: „Ist es also gut, nun Ordensmann zu werden? Ich antworte: Wenn du meinst, anders nicht das Heil zu haben, außer wenn du Ordensmann wirst, sollst du nicht eintreten. So nämlich bewahrheitet sich das Sprichwort: ‚Verzweiflung macht einen Mönch‘, vielmehr nicht einen Mönch, sondern einen Teufel. Denn niemals wird ein guter Mönch sein, 4 Vgl. Brecht, Luther I, 215–225. Weil Brecht das beglückende und befreiende Moment dieser Erfahrung besonders betont, meint er, ihren Höhepunkt in Luthers früher „Demutstheologie“ noch nicht zu finden. Von einem längeren Prozess, der bereits in Luthers früher Theologie beginnt, gehen Leppin und Hamm aus. Vgl. Leppin, Luther 107–117, siehe auch Leppin, Volker: Humanismus und Mönchtum. Überlegungen zu ihrer Bedeutung für ein Verständnis der Wittenberger Reformation. In: Reformation und Mönchtum 79–101, hier 95–101; Hamm, Berndt: Naher Zorn und nahe Gnade. Luthers frühe Klosterjahre als Beginn seiner reformatorischen Neuorientierung. In: Reformation und Mönchtum 103–143. 5 Siehe Luther, Martin: Römerbriefvorlesung 1515/16, WA 56, 157–172, bes. 172,3–9; Luthers Werke in Auswahl [LWA], Bd. 5, hg. von Erich Vogelsang. Berlin 21955, 222–224 bes. 224,1–6: „Et hic iterum iustitia Dei non debet accipi, qua ipse iustus est in seipso, sed qua nos ex ipso iustificamur, quod fit per fidem evangelii. Unde b. Augustinus c. 11 de spi[ritu] et lit[tera]: ‚Ideo iustitia Dei dicitur, quod impertiendo eam iustos facit‘. Et eadem dicit c. 9 eiusdem. Et dicitur ad differentiam iustitie hominum, que ex operibus fit.“ Vgl. Augustinus: De spiritu et littera, c. 9 nr. 15; c. 11 nr. 18 (PL 44, 209; 211, CSEL 60, 167,7–8; 171,5–7). Wie Luther seine neue Sicht der „Gerechtigkeit Gottes“ später als die entscheidende Wende in seinem Leben zeichnet (oben Anm. 3), das wird allerdings von späteren Erkenntnissen (z. B. zur „iustitia passiva“) mitgeprägt. So muss offen bleiben, in welch einzelnen Etappen der Prozess der neuen theologischen Erkenntnis Luthers sich ereignete. So könnte dem neuen Verständnis der „Gerechtigkeit Gottes“ ein neues Verständnis von „Buße“ als bis auf den Grund gehende Sinnesänderung vorausgegangen sein. Dadurch käme der Einfluss einer neuen spirituellen Theologie, wie sie Luther durch Johann von Staupitz bei Johannes Tauler, bei Augustinus und auch bei Bernhard von Clairvaux entdeckte, noch deutlicher zum Ausdruck. Siehe insgesamt Leppin, Luther 72–101; 111–116; Köpf, Ulrich: Wurzeln reformatorischen Denkens in der monastischen Theologie Bernhards von Clairvaux. In: Reformation und Mönchtum 29–56, hier bes. 32–39; 41–45. 6 Ebd. WA 56, 171,26–172,2; LWA 5, 233,31–36: „‚Iustitia Dei reuelatur‘ [Röm 1,17]. In humanis doctrinis reuelatur et docetur iustitia hominum, i. e. quis et quomodo sit et fiat Iustus coram se et hominibus. Sed in solo euangelio reuelatur Iustitia Dei (i. e. quis et quomodo sit et fiat iustus coram Deo) per solam fidem, qua Dei verbo creditur.“ 7 Vgl. dazu etwa Reblin, Freund und Feind 27–30; Dipple, Geoffrey: Antifraternalism and Anticlericalism in the German Reformation. Johann Eberlin von Günzburg and the Campaign against the Friars. Aldershot / Hants – Brookfield / Vermont 1996, bes. 18–36: „The friars and their critics on the eve of the Reformation.“

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1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie wer aus solcher Verzweiflung Mönch ist, sondern nur wer aus Liebe. Weil der nämlich seine schweren Sünden sieht und seinem Gott dann etwas Großes aus Liebe tun will, verzichtet er freiwillig auf seine Freiheit, zieht dieses närrische Kleid an und unterwirft sich verachteten Aufgaben. Darum glaube ich, es sei jetzt besser, Ordensmann zu werden, als es zweihundert Jahre lang gewesen ist. Aus solchem Grund nämlich, weil bisher die Ordensleute vom Kreuz zurückwichen und es ruhmvoll war, Ordensmann zu werden. Nun beginnen sie wiederum, auch wenn sie gut sind, den Menschen zu missfallen wegen der närrischen Kleidung. Das nämlich heißt Ordensmann sein, der Welt verhasst sein und ein Narr. Und wer sich dem aus Liebe unterwirft, macht es sehr gut. Ich erschrecke nämlich nicht darüber, dass Bischöfe und Priester uns verfolgen. Weil das so geschehen muss. Doch mir gefällt überhaupt nicht, dass wir für solches Missfallen schlimmen Anlass geben. Die übrigens, denen kein Anlass gegeben wird und die die Mönche schmähen, ohne zu wissen warum, das sind die besten Förderer, die die Ordensleute in der ganzen Welt haben. Es müssten ja die Ordensleute als Ergebnis ihres Gelübdes sich freuen, wenn man sie in diesem ihrem für Gott übernommenen Gelübde verabscheute und beschämte; denn dazu haben sie diese närrische Kleidung, damit sie alle zu ihrer Missachtung reizen. Aber nun handeln sie viel anders, weil sie nur den bloßen Anschein von Ordensleuten haben. Doch ich weiß, sie wären ganz glücklich, hätten sie die Liebe, und seliger, als die in einer Einsiedelei waren, weil sie täglich dem Kreuz und der Beschimpfung ausgesetzt sind. Jetzt aber gibt es kein arroganteres Geschlecht. Leider!“8

8 Luther, Römerbriefvorlesung (WA 56, 497,18–498,12; LWA 5, 295,3–29): „An ergo Bonum nunc Religiosum fieri? Respondeo: Si aliter salutem te habere non putas, nisi religiosus fias, Ne ingrediaris. Sic enim Verum est prouerbium: ‚Desperatio facit Monachum‘, immo Non Monachum, sed diabolum. Nec enim vnquam bonus Monachus erit, qui ex desperatione eiusmodi Monachus est, Sed qui ex charitate, scil. Qui grauia sua peccata videns Et Deo suo rursum aliquid magnum ex amore facere volens, Voluntarie resignat libertatem suam, Et induit habitum istum stultum et abiectis sese subiicit officiis. Quamobrem Credo Nunc melius esse religiosum fieri, quam in ducentis annis fuit; Ratione tali Videlicet, Quod hucusque monachi recesserunt a cruce Et fuit gloriosum esse religiosum. Nunc rursus incipiunt displicere hominibus, etiam qui boni sunt, propter habitum stultum. Hoc enim est Religiosum esse, mundo odiosum esse ac stultum. Et qui huic sese ex charitate submittit, optime facit. Ego enim non terreor, quod Episcopi persequuntur et sacerdotes nos. Quia sic debet fieri. Tantum hoc mihi displicet, Quod occasionem malam huic damus displicentie. Ceterum Quibus non est data occasio et fastidiunt monachos, nescientes quare, optimi sunt fautores, quos in toto mundo habent religiosi. Deberent enim gaudere religiosi tanquam voti sui compotes, Si in suo isto voto pro Deo assumpto despicerentur confunderenturque, Quia ad hoc habent habitum stultum, vt omnes alliciant ad sui contemptum. Sed Nunc aliter agunt multo, habentes speciem solam religiosorum. Sed ego scio felicissimos eos, si charitatem haberent, et Beatiores, quam qui in heremo fuerunt, Quia sunt cruci et ignominie quottidiane expositi. Nunc Vero nullum est genus arrogantius, pro dolor!“ Vgl. einen ähnlichen Gedanken des Franziskus in der Epistola ad quendam ministrum (2–9): „Dico tibi, sicut possum, de facto animae tuae, quod ea quae te impediunt amare Dominum Deum, et quicumque tibi impedimentum fecerit sive fratres sive alii, etiam si te verberarent, omnia debes habere pro gratia. Et ita velis et non aliud. Et hoc sit tibi per veram obedientiam Domini Dei et meam, quia firmiter scio, quod ista est vera obedientia. Et dilige eos qui ista faciunt tibi. Et non velis aliud de eis, nisi quantum Dominus dederit tibi. Et in hoc dilige eos; et non velis quod sint meliores christiani. Et istud sit tibi plus quam eremitorium.“ Siehe dazu Esser, Kajetan: Die Opuscula des hl. Franziskus von Assisi. Neue textkritische Edition. Zweite, erweiterte und verbesserte Auflage besorgt von Engelbert Grau. Grottaferrata 1989 (Spicilegium Bonaventurianum, 13) 232 [im Folgenden abgekürzt zitiert: Esser / Grau, Opuscula]. Vgl. auch Die Schriften des hl. Franziskus. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Leonhard Lehmann. In: Franziskus-Quellen. Die Schriften des heiligen Franziskus, Lebensbeschreibungen, Chroniken und Zeugnisse über ihn und seinen Orden. Im Auftrage der Provinziale der deutschsprachigen Franziskaner, Kapuziner und Minoriten hg. von Dieter

Der Ordensbruder Martin Luther und „der reformatorische Durchbruch“

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Die damalige Kritik und Ablehnung des bisher so hochgepriesenen Ordenslebens, mit dem man sich das Heil verschaffen wollte, aber oft in bloßer Scheinheiligkeit und arroganter Anmaßung endete, wird von Luther also theologisch zum Guten gewendet. Sie führt, recht verstanden, zum Eigentlichen des Ordensgelübdes zurück, nämlich zur Kreuzesnachfolge aus Liebe, die Missachtung und Beschimpfung nicht scheut, sondern sie sogar durch närrische Kleidung und verachteten Dienst freudig auf sich zieht. Luther wollte vielleicht seinen Hörern, zu denen eigene Ordensbrüder und mit anderen Ordensleuten auch Franziskaner gehörten, deutlich sagen, wie weit seit langem und bis zu seiner Zeit das Selbstverständnis der meisten Ordensleute von dieser Sicht der Kreuzesnachfolge entfernt ist. Das musste schließlich selbst solche Ausprägungen von Ordensleben der Kritik aussetzen, die Luther früher positiv erlebte, wie etwa das demütige Auftreten des fürstlichen Minderbruders Ludwig von Anhalt,9 weil die Franziskaner es zum Ruhm ihres Ordens nutzten. Insoweit die neue Sicht Luthers bei seinen Ordensbrüdern ankam, durften sie sich nicht mit persönlicher Verdemütigung begnügen, sondern mussten sich auf eine radikale Reform in Selbstverständnis und Praxis des Ordenslebens einstellen. Da es Luther allerdings zunächst um eine neue theologische Einsicht ging, wollte er vor allem die traditionelle scholastische Theologie überwinden und seine akademischen Kollegen wie seine Studenten für ein neues theologisches Denken gewinnen.10 Es war daher ein äußeBerg / Leonhard Lehmann. Kevelaer 2009 (Zeugnisse des 13. und 14. Jahrhunderts zur Franziskanischen Bewegung, 1) 109 [im Folgenden abgekürzt zitiert: Franziskus-Schriften]. – Die vorher zitierte Passage aus Luthers Scholien zum Römerbrief findet sich nicht in den studentischen Nachschriften (siehe dazu WA 57). Freilich dürfte Luther neben dem Vorlesungsdiktat andere Wege zur Kommunikation seiner Auffassungen gefunden haben. Zu dieser Möglichkeit, die sich allerdings aus den studentischen Nachschriften nicht belegen lässt, siehe Schmidt-Lauber, Gabriele: Luthers Vorlesung über den Römerbrief 1515/16. Ein Vergleich zwischen Luthers Manuskript und den studentischen Nachschriften. Köln – Weimar – Wien 1994 (Archiv zur Weimarer Ausgabe der Werke Martin Luthers, 6) 139. 9 Siehe Reblin, Freund und Feind 30f.; Luther: Verantwortung der aufgelegten Aufruhr 1533 (WA 38, 105,8–21): „Ich habe gesehen mit diesen augen, da ich bey meinem vierzehnten jar zu Magdeburg jnn die Schuele gieng, einen Fuersten von Anhalt, Nemlich des Thumbrobst und hernach Bisschoffs Adolphs zu Merseburgs bruder, der gieng jnn der Barfussen kappen auff der breiten strassen umb brot und trug den sack wie ein Esel, das er sich zur erden krummen mueste. Aber sein gesel bruder gieng neben jm ledig, auff das der from Fuerst ja allein das hoehest exempel der Grawen beschornen heiligkeit einbildete. Sie hatten jn auch so uberteubet, das er alle andere werck im Kloster gleich wie ein ander bruder thet. Und hatte sich also zu fastet, zu wacht, zu Casteyet, das er sahe wie ein todten bilde, eitel bein und haut [...] Summa, wer jn ansahe, der schmatzt fuer andacht und muste sich seines weltlichen schandes schemen, Und ich halt, das noch viel leute zu Magdeburg leben, die es auch gesehen haben.“ Das ist zwar ein späterer Rückblick. Der Wandel in der Sicht solcher ‚Exempel‘ klösterlicher Bußwerke kündigt sich aber bereits an in Luthers Römerbriefvorlesung von 1515/16. Dabei ist Reblin zuzustimmen, dass Luther auch später nicht die persönliche Frömmigkeit und Selbstverleugnung des Fürsten und Ordensbruders kritisierte, als vielmehr die Art und Weise, wie dessen ‚Graue Brüder‘ dieses ‚Exempel‘ zu Glorifizierung des eigenen Ordens nützten. Vgl. dazu die Darstellung und Verteidigung Ludwigs von Anhalt bei Lemmens, Leonhard: Aus ungedruckten Franziskanerbriefen des XVI. Jahrhunderts. Münster 1911 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte [RGST], 30) 8–22, 77–79. 10 Siehe die Thesen, die Luther bereits am 25. Sept. 1516 von Bartholomäus Bernardi aus Feldkirch, dem späteren Propst von Kemberg, „de viribus et voluntate hominis sine gratia“ in der Promotionsdisputation verteidigen ließ (WA 1, 145–151; LWA 5, 311–322). Thesen, die den Kollegen in Wittenberg zu schaffen machten! Durch die „Disputatio contra scholasticam theologiam“ 1517 (WA 1, 224–228; LWA 5, 320–326) trug Luther mit dem Respondens Franz Günther aus Nordhausen am 4. Sept. 1517 seinen Angriff auf die Scholastik über Wittenberg hinaus (Druckexemplare nach Erfurt und Nürnberg!). In Wittenberg vor allem fand er unter seinen Kollegen bald Mitstreiter (Nikolaus von Amsdorf, Andreas Karlstadt, Johannes Dölsch), sodass man bereits von einem ‚Reformerteam‘ unter den Wittenberger Professoren sprechen könnte. Vgl. dazu Kruse, Jens-Martin:

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1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie

res Ereignis, nämlich die von dem Dominikaner Johann Tetzel betriebene Ablasspredigt in Jüterbog, wodurch Luther zu seinen Ablassthesen von 1517 veranlasst und infolge von deren großem öffentlichen Echo zur Verdeutlichung seiner ‚reformatorischen‘ Theologie geführt wurde.11 Bei diesem öffentlichen Echo spielt, zumindest in der späteren Erinnerung Martin Luthers und der Seinen, bereits ein Franziskaner eine besondere Rolle, der Guardian des observanten Klosters von Steinlausigk Johannes Fleck.12 Seine Gestalt lässt sich freilich nur begrenzt darstellen, weil bisher unmittelbare Zeugnisse für sein Leben und Wirken nicht zu finden waren. Während die Erinnerungen Luthers an Fleck in den Aufzeichnungen seiner „Tischreden“ noch relativ verlässlich erscheinen, hat sich die spätere Legendenbildung um Luther dieses Franziskaners bemächtigt.13 Immerhin mag Johannes Fleck schon vor seinem Kontakt mit Luthers Denken ein bekannter Prediger gewesen sein, was seine erste Erwähnung als „papistischer Prediger“ in Luthers „Tischreden“ vom August 1532 nahelegt.14 Was Fleck aber vor allem bekannt gemacht hat, seine frühe Stellungnahme zu Luthers Ablassthesen, wird in den „Tischreden“ von 1542 als Erinnerung Luthers überliefert: „Ich hab Fleck lieb; denn er war ein Mann voll von Tröstung. Seine Worte waren wirklich tröstlich. Er schrieb an mich einen Brief, sofort als ich meine Thesen herausgegeben hatte, einen sehr guten Brief. Ich wollte 10 Gulden darum geben, dass ich ihn noch hätte. Es war nämlich ungefähr dieses Urteil: Verehrter Herr Doktor, geht weiter und beschleunigt eure Füße. Auch mir haben immer diese papistischen Missbräuche missfallen usw. Die Mönche waren ihm auch gram. Denen zu Steinlausigk hat er gesagt: Er ist da, der es tun wird! So hat er auch nie eine Messe gehalten, was ein gutes Zeichen war.“15

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Universitätstheologie und Kirchenreform. Die Anfänge der Reformation in Wittenberg 1516–1522. Mainz 2002 (VIEG, 187) 78–112. Vgl. Brecht, Luther I, 217f. Für Brecht ist die in Luthers „Resolutiones“ zu den Ablassthesen erstmals klar formulierte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, von Gericht und Gnade der eigentliche „reformatorische“ Durchbruch (ebd. 218). Vgl. Park, Luther und die Franziskaner 54. Vgl. besonders die durch Johannes Mathesius (d. Ä.) verbreitete Erzählung, Johannes Fleck habe in einer Predigt zur Eröffnungsfeier der Wittenberger Universität 1502 ihre spätere Ausstrahlung vorausgesagt: „Von diesem weißen Berge werden Flüsse und Ströme der Weisheit und des Lebens in die ganze Welt sich ergießen“, was auf Wittenberg und seine Universität Leucorea gedeutet werden kann. Diese ‚Prophezeiung‘ und die weitere Legendenbildung um „Dr. Fleck“ spielen noch in der Lokalhistorie von Steinlausigk (heute Muldenstein) eine Rolle. Vgl. Kretschmer, Karl: Chronik der Gemeinde Muldenstein. Bitterfeld 1996 (Bitterfelder Heimatblätter. Sonderheft) 15f. Zum Quellenwert der Lutherpredigten des Johannes Mathesius siehe Volz, Hans: Die Lutherpredigten des J. Mathesius: kritische Anmerkungen zur Geschichtsschreibung im Zeitalter der Reformation. Leipzig 1930 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 12). – Die Predigt zur Eröffnungsfeier der Wittenberger Universität 1502 hielt übrigens der damalige Pfarrer von Torgau Nikolaus Schreyter aus Coburg (vgl. Friedensburg, Walter: Geschichte der Universität Wittenberg. Halle / Saale 1917, 19 Anm. 3), der damals als „artium magister et sacre theologie licentiatus“ von Leipzig in der Leucorea intituliert wurde (Forstemann, Carl Eduard: Album Academiae Vitebergensis. Leipzig 1841, 1). Vgl. WA Tischreden [Tr] 2 (nr. 2619), 549,11–13: „Postea multum dixerunt de papisticorum praedicatorum gestibus et thematibus. Fleck incepit sua themata mit lachen, jauchsen und schreien.“ Dazu Anm. 4: „Johann Fleck, Franziskaner in Leipzig, später Prior des Klosters Stein-Lausigk bei Bitterfeld“. Dabei beruft man sich auf Köstlin, Julius: Martin Luther. Sein Leben und seine Schriften, Bd. 1. Berlin 51903, 163f. Aber da Köstlin die Legende von Predigt und Prophezeiung ‚Dr. Flecks‘ anlässlich der Universitätseröffnung weiterspinnt (ebd. 80), sind seine Angaben zur Herkunft, Ausbildung und Position dieses „Priors“, eher Guardians, von Steinlausigk, schwer zu überprüfen. WA Tr 5 (nr. 5480), 177,23–31: „Ich hab Fleck lieb, quia fuit homo plenus consolatione; verba eius erant plane consolatoria. Scripsit ad me epistolam, statim cum edidissem meas positiones, optimam epistolam! Ich wolt

Der Ordensbruder Martin Luther und „der reformatorische Durchbruch“

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Diese Erinnerungen Luthers sind zwar von einem späteren Rückblick und vielleicht auch von dem Nachschreiber Johannes Mathesius geprägt. Doch am Brief Flecks selbst und seinem wesentlichen Inhalt ist kaum zu zweifeln. Dass unter Franziskanern vor allem strenger Observanz damals ein großes Unbehagen über das Ablasswesen und eine große Sehnsucht nach Reform verbreitet waren, ist auch sonst bezeugt.16 Was von Flecks Verzicht auf die Messzelebration gesagt wird, wäre eher von einem Widerstand gegen die so genannten ‚Privatmessen‘ zu verstehen, bei dem er sich auf Franziskus selbst berufen konnte.17 Wenn Fleck soweit ging, sich diesem Brauch zu verweigern, dann war das damals ungewöhnlich und musste schon früh das Verhältnis zu seinen Brüdern im Konvent belasten. Dass Fleck sich mit seinen Brüdern in Steinlausigk entzweite, wird ja in den „Tischreden“ schon angedeutet und wird von Luther in seiner „Vorrede“ 1542 zu „Der Barfuser Muenche Eulenspiegel vnd Alcoran“ des Erasmus Alber als Verdammung eines Andersdenkenden dargestellt: „Vnd were jemand so kuene gewest / der etwas hette daran gezwiuelt oder da wider gemuckt / der hette muessen ins fewer / oder sonst verdammt werden. Wie Er Johann Ilten vnd Flecken / vnd andern mehr geschach.“ 18 Während nun das Geschick von Johannes Hilten aufgeklärt ist, der wegen apokalyptischer Spekulationen in den Klosterkerker wanderte, aber ausgesöhnt mit seinen Brüdern 1500 zu Eisenach starb,19 ist von Johannes Fleck weiter nichts Genaues bekannt.20 Was also seine

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10 fl. darumb geben, das ich sie noch hett. Erat autem fere haec sententia: Venerabilis Domine Doctor, pergite et urgete pedes vestros! Et mihi semper displicuerunt hi abusus papistici etc. Die mönch warn im auch gram. Den zu Steinlaussig hat er gesagt: Er ist da, der es thun wirt! So hatt er auch nie kein meß gehalten, welchs ein gutt zeichen gewesen.“ Vgl. Lemmens, Leonhard: Pater Augustin von Alfeld. Ein Franziskaner in den ersten Jahren der Glaubensspaltung in Deutschland. Freiburg 1899, 5–8. Siehe Epistola toti Ordini missa 30–33. Dazu Esser / Grau, Opuscula 261; Franziskus-Schriften 117. Franziskus ermahnt seine Brüder, nur eine gemeinsame Messe jeden Tag zu feiern. Dieser Text war damals auch im Druck verbreitet. Vgl. in der textkritischen Einführung (Esser / Grau, Opuscula 242f.) die Hinweise auf Bartholomäus von Pisa [BP], die verschiedenen Ausgaben der „Monumenta“ [m], der „Firmamenta“ [fir] und des „Speculum Minorum“ [sp], der Sammlungen franziskanischer Quellen im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert. Siehe Alber, Erasmus: Der Barfuser Muenche Eulenspiegel und Alcoran. Mit einer Vorrede D. Martini Luthers. Wittenberg 1542, A 3a. Die Legende von einem angeblich durch seine Ordensbrüder erwürgten Franziskaner Johannes Hilten, der Luthers Reformation prophezeit haben soll, wird immer noch weitergetragen. Vgl. Park, Luther und die Franziskaner 50. Dagegen wandten sich schon Clemen, Otto: Schriften und Lebensausgang des Eisenacher Franziskaners Johann Hilten. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte [ZKG] 47 (1928) 402–412; Lemmens, Leonhard: Der Franziskaner Johannes Hilten († 1500). In: Römische Quartalschrift 37 (1929) 315–347; Volz, Hans: Beiträge zu Melanchtons und Calvins Auslegungen des Propheten Daniel. In: ZKG 67 (1955/56) 93–118, bes. 111–115. Vgl. auch Schlageter, Johannes: Hilten, Johannes (Johannes Herwich von Ilten), OFM. In: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Auflage [LThK3] 5, 113. Wichtig ist aber die Zusammenfassung bei Flacius Illyricus, Matthias: Catalogus testium veritatis. Straßburg 1562, 537, in der es zu Fleck heißt: „Monachus quidam, notus reuerendo uiro D. Amsdorffio, fuit in monasterio Steinlausic prope Bitterfeld, qui nunquam noluit celebrare Missam. Accusatus propterea pigritiae, dixit esse aliam eius rei causam. In refectorio primum uidit propositiones Lutheri de indulgentijs. Ibi cum alioqui silentium praestandum de more esset, prae gaudio ridens et gestiens (fuit autem grandi et pleno corpore) dixit: Ha, ha, ha, Er ist kommen, derß euch thun wirdt. Iam is uenit, qui nos recte tractabit monachos et sacrificulos putans. Vnde apparet, eum ante praedicationem Lutheri expectasse redemptionem Israel, ex captiuitate Babylonica Antichristi. Lutherus facit eius mentionem in praefatione Alcorani Minoritarum, tanquam a monachis violenter oppressus sit. D. Martinus, piae memoriae, sic aliquando de hoc bono monacho est locutus, Ich hab Flecken lieb, quia fuit homo plenus consolatione. Verba eius plane consolatoria: Scripsit ad

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1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie

ungewöhnliche Haltung zur Messe bedeutete und welche Gründe ihn dabei und in seiner frühen Zuneigung zu Luthers Ablassthesen bewegt haben, lässt sich mangels unmittelbarer Zeugnisse nicht sagen. Bessere Kenntnisse gibt es über den späteren Kampf der Brüder in Steinlausigk gegen die Reformation, der von der Fürstin Margarete von Anhalt und vielleicht von Herzog Georg von Sachsen unterstützt wurde, aber das Ende des Klosters 1531 nicht verhindern konnte.21 Das war zwar erst eine spätere Entwicklung, die bereits das politische Ringen um die Reformation einbezieht. Die Wittenberger Visitatoren konstatierten aber den Kampf und Widerstand der Steinlausigker Brüder und deren entscheidendes Argument: „Uns wurde aber von jedem besonders und danach in Gemeinschaft die Antwort gegeben, sie wollten bei der allgemeinen Christenheit bleiben, bis dass etwas anderes entschieden und die Sachen zur Einigkeit gebracht würden.“22 Ein solcher Hinweis auf die allgemeine Kirche, der allein die Kompetenz zur Reformation zusteht, war damals die Standardantwort solcher Franziskaner, die sich trotz ihres Unbehagens an kirchlichen Missbräuchen Luthers reformatorischer Konsequenz nicht anschließen konnten.23 Vor allem dürften sich freilich die Brüder von Steinlausigk durch die problematische Durchführung der Reformation in Kursachsen in ihrer Abneigung bestätigt gesehen haben. Denn es ging nun um einen politischen Zwang zur Reformation, welche die Brüder zudem

me statim cum edissem meas propositiones, optimam epistolam. Ich wolt zehen gulden darumb geben /das ich sie noch hette, Erat autem ferme haec sententia: Venerabilis domine D. pergite et urgete pedes vestros. Et mihi displicent hi abusus Papistici, etc. Die moench waren ihm auch gramm / denn zuo Steinlausick hat er gesagt. Er ist da / der es thun wirdt, so hat er auch nie keine Meß gehalten, welchs ein gut Zeichen gewesen.“ Über die bekannten Zeugnisse Luthers hinaus wird auf die persönliche Bekanntschaft des reformatorischen Theologen Nikolaus von Amsdorf (1483–1565) mit Fleck verwiesen, was weitere Auskünfte über Fleck ergeben könnte, die aber leider von Flacius Illyricus allenfalls in Einzelheiten wie etwa Flecks großer und fülliger Gestalt überliefert werden. 21 Zur Fürstin Margarete von Anhalt siehe Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 43–46. Die Unterstützung durch Herzog Georg von Sachsen wirft Luther selbst ihm vor. Siehe Luther: Kleine Antwort auf Herzog Georgen nächstes Buch 1533 (WA 38, 170,10–16): „Wo man nicht wuste, das Hertzog George die barfusser Muenche zu Steinlaussig, im Kurfuerstenthum gelegen, und die sich zu Weymar widder des Kuer Fuersten willen etliche jar enthalten, mit korn, wein und schrifften hat troesten und erhalten lassen wieder des Kuerfursten willen, so solt ers auch wol leugnen. Und er ist doch seer zornig, das ich ettliche Buerger zu Leiptzig allein mit einem Trostbriefflin getroestet habe, Und der Kuerfurst noch nie keinen unter Hertzog Georgen mit korn oder huelffe widder jn gestercket hat etc.“ 22 Siehe das Visitationsprotokoll der reformatorischen Visitatoren besonders des Justus Jonas: „Uns ist aber von ieglichen insonderheit und danach in gemein die Antwortt gefallen, als wolten sie bey der gemeinen Christenheit bleiben, biß daß ein anderes determiniret und die Sachen in Einigkeit gebracht würden“ (nach Obst, Emil: Die Geschichte der Kirche zu Bitterfeld. Bitterfeld 1905, 100). 23 Siehe etwa Alveldt, Augustin von: Ein Sermon, darinnen sich Bruder Augustinus von Alueldt […] beclaget. Leipzig 1520: „betzeuge das mit goth / dem erkenner aller hertzenn. Das ich begirlichers auff erden nicht sehenn / dan das solcher symonijscher misszgebrauch / geyerheit / und hoffart / mit anderen strefflichen handeln ßo alda [zu Rom] und in der gantzen Christenheit befundenn / außgerewth / reformirt unnd tzu besserung getzogen werden mochten. Was kann ich aber dartzu thun, dyeweyl mir diß gericht szo wenigk als bruder Martinen Luther bevolenn / ader tzu reformirenn weyth uber unnßer machtt / Die weyl auch sollichs tzu anndernn dis [die scharfe Kritik] nicht dye weyß ist.“ Siehe bei Köhler, Hans-Joachim u. a. (Hg.): Flugschriften des frühen 16. Jahrhunderts, Mikrofiche-Ausgabe. Zug 1978–1987: Fiche 343 Nr. 970 (A 3r). Vgl. auch: Flugschriften gegen die Reformation 1518–1524, hg. von Adolf Laube unter Mitarbeit von Ulman Weiss. Berlin 1997, 93.

Die erste Auseinandersetzung mit reformatorischer Theologie in Jüterbog

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aufgrund ihres eigenen Verständnisses eines geistlichen Lebens als eines Lebens nach dem Evangelium nicht als Verbesserung verstanden, sondern als Verschlechterung.24

1.2. Die erste Auseinandersetzung mit reformatorischer Theologie in Jüterbog Viel offener war die Lage noch, als sich Franziskaner in der Saxonia zum ersten Mal kritisch mit der reformatorischen Theologie Martin Luthers und seiner Anhänger auseinandersetzten. Nachdem Luther 1517 mit seinen Ablassthesen an die breitere Öffentlichkeit getreten war, kommt jedenfalls aus Wittenberg, wo Franziskaner an der Universität mit engagiert sind, zunächst keine Stellungnahme von ihrer Seite. Die Wittenberger Brüder gehörten ja zur ‚martinianischen‘ Reformrichtung,25 die erst 1517 durch Papst Leo X. mit den Observanten vereinigt worden war. Und anders als die Observanten waren sie dem Universitätsstudium zugetan, sodass der Kurfürst von Sachsen, Friedrich der Weise, seine Landesuniversität 1502 auch in Räumen ihres Klosters einrichten konnte und die Franziskaner die Universität mittrugen.26 Noch 1518/19 lobten die Wittenberger Brüder die Universität gerade wegen der grundlegenden Lehre der Heiligen Schrift und wegen ihres humanistischen Lehrprogramms der alten Sprachen.27 Mag die feierliche Form dieses Lobpreises dem Kurfürsten schmeicheln wollen, die Wittenberger Franziskaner äußern jedenfalls keinen Vorbehalt gegen die Theologie der Wittenberger Universität. Sie legte ja mit ihrer humanistischen Reform besonderen Wert auf die Kenntnis der biblischen Sprachen und brachte so 1518 Philipp Melanchthon, den Großneffen Johannes Reuchlins, nach Wittenberg. Ja, selbst die von Luther forcierte Konzentration auf die Heilige Schrift scheint in dem Lobpreis der Wittenberger Franziskaner anerkannt. 24 Siehe Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 44f., wo im Brief von Br. Johannes Reinfelt aus Steinlausigk vom 18. September 1528 an Fürstin Margarete von Anhalt die Zwangsmittel der lutherischen Visitatoren gegenüber den Geistlichen, „das Evangelium zu lernen“, gleichgesetzt werden mit „Sünde, Schalkheit und Bosheit zu fördern“. 25 Die ‚martinianische‘ Reformrichtung bezieht sich auf die von Johannes von Capestrano erarbeiteten und von Papst Martin V. 1430 bestätigten Reformstatuten, die bereits im selben Jahr in der Saxonia offiziell zur Norm gemacht wurden. Vgl. Schmies, Bernd / Rakemann, Kirsten: Spuren franziskanischer Geschichte. Chronologischer Abriß der Geschichte der Sächsischen Franziskanerprovinzen. Hg. von Dieter Berg. Werl 1999 (Saxonia Franciscana. Sonderband) 157 [im Folgenden zitiert Schmies / Rakemann, Spuren]. Durch diese Statuten unterschied sich die ‚martinianische‘ Reform unter den regulären Oberen („sub ministris“) von den Observanten, die eigene „vicarii“ als Obere hatten. Vgl. auch Degler-Spengler, Brigitte: Observanten außerhalb der Observanz. Die franziskanischen Reformen „sub ministris“. In: ZKG 89 (1975) 354–371. 26 Vgl. dazu ingesamt Schlageter, Das Franziskanerkloster in Wittenberg 93–96; Wentz, Gottfried: Das Franziskanermönchskloster in Wittenberg. In: Germania sacra I/3: Das Bistum Brandenburg II, bearbeitet von Ferdinand Bünger / Gottfried Wentz. Berlin 1941, 372–397 (nr. 10); Doelle, Ferdinand: Das Wittenberger Franziskanerkloster und die Reformation. In: Franziskanische Studien [FrS] 10 (1923) 279–307. 27 1518/19 bitten die Franziskaner Wittenbergs „Euere kurfürstliche Gnaden“, Friedrich den Weisen, um die Unterstützung des geplanten Kapitels von 1519 und des Ausbaus des Beichthauses „mit eyner liberey“, einer Bibliothek, die für den Gebrauch der Universität bestimmt war. Deren Theologie findet dabei ihr besonderes Lob: „Szo ist nun Wittenbergck untter E[uer] K[ur]f[ürstlichen] G[naden] gebitte mit der loblichen universitet, durch E. Kf. G. affgericht und mit gruntlichen meystern der heilligen schrifft unaußsprechlichen gezcirt, auch mit mannicherley zcungen sprach begenath allendthalben, von welchen alle klugckheyt und weißheyt myldiglichen erlanget mag und mytgeteylt werden und das zcu E. Kf. G. preyß, lob und ere yn ßelliger stetter gedechtnuß.“ Siehe Doelle, Ferdinand: Die Observanzbewegung in der Sächsischen Franziskanerprovinz bis zum Generalkapitel von Parma 1529. Münster 1918 (RGST, 30–31) 262–264, bes. 263.

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1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie

Doch als Luthers Auffassungen 1519 im benachbarten Jüterbog weitere Kreise ziehen in den Predigten Franz Günthers, eines Luther-Schülers,28 gehen dort observant geprägte Franziskaner zum Angriff über. Es mag die größere Volksnähe der Observanten und damit auch ihr größeres Engagement in der Seelsorge gewesen sein, die sie in Jüterbog, wie vorher in Steinlausigk, für die entstehende reformatorische Bewegung besonders sensibel machten. Die Kritik kirchlicher Vorschriften und Bräuche bei Beichte, Fasten und Heiligenverehrung, die man in der Fastenzeit 1519 dem Prediger des Stadtrats Franz Günther nachsagte,29 wollten die Brüder in Jüterbog nicht unwidersprochen hinnehmen. Dass zudem behauptet wurde, „die Böhmen seien bessere Christen als wir“30, wirkte als Hinweis auf die Hussiten mit ihrer größeren Freiheit von solchen Gesetzen und Bräuchen noch zusätzlich provozierend. Denn nicht nur die Seelsorgepraxis, auch die dezidierte Kirchentreue der Jüterboger Observanten waren damit tangiert. So luden sie Franz Günther noch in der Fastenzeit zu einem klärenden Gespräch in ihren Konvent. Er brachte den Wittenberger Prior und Theologielektor der Augustiner Konrad Helt mit und einen weiteren Augustinerlektor, vielleicht Gabriel Zwilling.31 Als die Franziskaner von Günther eine Stellungnahme zu den angeblich von ihm gepredigten Meinungen verlangten, leugnete er, sie vertreten zu haben. Doch der „Gefährte des Priors“ brachte in das Gespräch Auffassungen ein, die für die Jüterboger Brüder noch schwerer zu verkraften waren, wie etwa: „Er halte nichts von allgemeinen Konzilien, weil allgemeine Konzilien nicht die Gesamtkirche repräsentierten. Er leugnete, dass der Papst Stellvertreter Christi sei. [...] Die Kirchengesetze (canones), sagte er, seien aufgestellt infolge der Habgier des Papstes und der anderen Bischöfe [...] Es gebe, sagte er, keine evangelischen Räte, sondern alles, was im Evangelium vorkomme, seien Gebote. Die sakramentale Beichte, sagte er, sei nicht göttlichen Rechts, sondern von Innozenz III. eingesetzt [...] Er sagte auch, Gott fordere von jedem beliebigen Christen die höchste Vollkommenheit und die Einhaltung (obseruantia) des ganzen Evangeliums. Die Kirchengesetze lehrten Unzucht, Habgier, Hochmut. Der Mensch habe keinen freien Willen. Und viele Kirchengesetze seien im 28 Er war der Respondens Luthers in der Disputatio contra scholasticam theologiam (siehe oben Anm. 10). 29 Siehe: Der Lutheraner Müntzer. Erster Bericht über sein Auftreten in Jüterbog. Verfaßt von Franziskanern anno 1519. Hg. von Gerhard Brendler. Berlin 1989. Hier eine Faksimile-Wiedergabe der franziskanischen Beschwerden im Originaldruck ab S. 15 (A 1r–5v) und deren Übersetzung 25–37. Siehe auch Bensing, Manfred / Trillitzsch, Winfried: Bernhard Dappens „Articuli ... contra Lutheranos“. Zur Auseinandersetzung der Jüterboger Franziskaner mit Thomas Müntzer und Franz Günther 1519. In: Jahrbuch für Regionalgeschichte 2 (Weimar 1967) 113–147. Hier Transkription des lateinischen Textes und deutsche Übersetzung 132–147; Peters, Benedikt: Die Franziskaner von Jüterbog in den Anfängen der lutherischen Bewegung. In: Kirchengeschichtliche Studien. Festschrift Michael Bihl. Hg. von Ignatius Maria Freudenreich. Kolmar 1941, 189–204; Wallenborn, Jakobus: Luther und die Franziskaner zu Jüterbog. In: FrS 17 (1930) 140–159. Hier Transkription des lateinischen Textes 152–159. Vgl. auch neuerdings Burger, Christoph: Leben als Mönch und Leben in der ‚Welt‘ – monastischer Anspruch und reformatorischer Widerspruch. In: Reformation und Mönchtum 7–27, hier 24f. 30 Der Lutheraner Müntzer, A 2r [17]: „Quarto, quod Bohemi essent meliores Christianos quam nos.“ 31 Ebd. A 2r [17]: „Ipso autem ad conuentum nostrum veniente, habuit in comitatu Venerandum patrem Priorem Vuittenbergensem ordinis sancti Augustini artium magistrum et sacre Theologie lectorem, et socium eiusdem prioris etiam artium magistrum et sacre Theologie lectorem.“ Zum Wittenberger Augustinerkonvent, seinem Prior Konrad Helt und den dort wissenschaftlich tätigen Brüdern siehe Wentz, Gottfried: Das Augustineremitenkloster in Wittenberg. In: Germania sacra I/3: Das Bistum Brandenburg II, bearbeitet von Ferdinand Bünger / Gottfried Wentz. Berlin 1941, 440–499 (nr. 15).

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Widerspruch zur Heiligen Schrift und legten sie verdreht aus. Ebenso: Man müsse mehr einem einfachen Bauern glauben, der die Schrift anführt, als Papst und Konzil, die die Schrift nicht anführen. Ebenso sagte er, gute Werke seien nicht notwendig, und Gott habe dem Menschen Unmögliches geboten.“32 Diese Zuspitzung im Gespräch konnte keinem der Kontrahenten als Lösung des Konflikts erscheinen. Doch Günther scheint vor dem Stadtrat behauptet zu haben, er habe die Oberhand behalten, und er werde die Franziskaner vor die Wittenberger Universität zitieren, wenn sie nicht nachgäben. Bei einem weiteren Gespräch im Terminierhaus der Dominikaner zu Jüterbog, einem Stützpunkt zum Almosensammeln, bekannte er sich zu den meisten Auffassungen des Augustinerlektors, ohne die anscheinend versprochenen Argumente dafür vorzulegen.33 Der Streit eskalierte dann weiter unter Günthers Vertreter Thomas Müntzer.34 Denn er ließ sich an den Osterfeiertagen 1519 in eine regelrechte Predigtschlacht mit den Franziskanern ein.35 Der Guardian der Brüder hatte vorher in seiner Karfreitagspredigt gegen Auffassungen36 gepredigt, die nach ihm die Einheit der Kirche, des Rockes ohne Naht Christi, gefährdeten: „Diese Einheit scheint bereits sehr zerteilt. Ich nämlich weiß beinahe nicht mehr, ob wir Christen, Böhmen, Griechen oder Heiden sind. Manche sagen ja, die Böhmen seien bessere Christen als wir es sind.“37 Darauf soll Müntzer in seiner Osterpredigt mit dem Vorwurf geantwortet haben, der Guardian bestreite die Abfassung der Heiligen Schrift in Hebräisch und Griechisch.38 Von Seiten der Franziskaner griff nun der eigentliche ‚spiritus rector‘ der Debatte, der Theologie-Lektor des Klosters Bernhard Dappen, mit einer Ostermontagspredigt die Gegner an, indem er die Widersprüchlichkeit der Predigten beklagte und meinte:

32 Der Lutheraner Müntzer, A 2rv [17f.]: „dixit ex animi sententia Sotius Venerandi patris Prioris, Quod nihil teneret de conciliis generalibus quia concilia generalia non representarent ecclesiam vniuersalem. Papam negauit esse vicarium Christi. [...] Canones dixit institutos propter auaritiam summi pontificis et aliorum pontificum [...] nulla dixit esse concilia Euangelica sed omnia que in Euangelio fierent dixit esse precepta. Confessionem sacramentalem dixit esse non ex iure diuino, sed ex institutione Innocentij tertij [...] dixit etiam, quod deus exigeret summam perfectionem a quolibet Christiano et obseruantiam totius euangelij. Canones dixit docere Luxuriam, Auaritiam, Superbiam[.] hominem dixit non habere liberum arbitrium multosque canones contrarios sacrae scripture eandem extorte exponentes. Item quod plus esse credendum simplici rustico scripturam alleganti quam papae et concilio scripturam non alleganti. Item dixit non esse necessaria bona opera Deumque precepisse homini impossibilia.“ 33 Ebd. A 2v–3r [18f.]. 34 Müntzer ist offenbar der „alius magister eiusdem secte nomine Thomas“, von dem die Rede ist (ebd. A 3r [19]). Vgl. auch Ackermann, Irmgard: Thomas Müntzer. Stätten seines Lebens und Wirkens. Hg. vom Institut für Denkmalpflege. Berlin 1989, 40–46. 35 Der Ort dieser Auseinandersetzung in Jüterbog wird unterschiedlich angegeben, einmal die „Kirche der glorreichen Jungfrau“ (ebd. A 3r [19]), ein andermal die „Kirche des seligen Nikolaus“ (ebd. A 4v [22]). Der eine Ort wäre in Jüterbog die Kirche des Nonnenklosters Liebfrauen vor dem Dammtor, der andere die Stadtkirche St. Nikolai. Als Vertreter von Franz Günther wäre Müntzer nur für St. Nikolai zuständig gewesen. Doch das schließt nicht aus, dass Predigten an beiden Orten stattgefunden haben. 36 Gemeint waren Auffassungen, die Franz Günther nachgesagt wurden und sich auf die bessere Christlichkeit der Hussiten (Böhmen) sowie auf die Vorschriften von Fasten und Beichte bezogen (vgl. ebd. A 2r [17] und A 3r [19]). 37 Ebd. A 3r [19]: „haec vnitas videtur iam multum scindi; nam ego pene ignoro: Vtrum christiani, an Bohemi, an Greci, an Pagani simus. Aliqui enim dicunt Bohemos esse meliores christianos, quam nos simus.“ 38 Ebd. A 3r [19]: „Bibliam non esse in greco neque in hebreo.“

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„ganz sicher behaupte ich, käme Runkarius, ein Magister der böhmischen Häresie, hierher und predigte seine Irrlehren mit den Worten, seine Predigt sei wahrhaft das Evangelium Christi; einige hörten sehr gerne mit offenen Ohren zu, damit sie nach Art der Athener Neuigkeiten ihren Ohren eintrichtern ließen.“39 Da Günther und Müntzer bei dieser Predigt „an der Mauer des Friedhofs“40 anwesend waren, konnte die Replik Müntzers in seiner Abendpredigt nicht ausbleiben, in der er Dappen persönlich beschimpfte. Weil Dappen aber das wie die vorherigen Angriffe Müntzers nur vom Hörensagen erfuhr, ging er selbst am kommenden Tag in Müntzers Abendpredigt, die wiederum auf eine Mittagspredigt des Guardians „über den Gehorsam gegenüber der heiligen römischen Kirche und über die Schriften der anerkannten Lehrer, des heiligen Thomas und des heiligen Bonaventura“41 reagierte. In dieser Predigt Müntzers am Osterdienstag ging es zunächst um die allgemeinen Konzilien, die der Papst alle fünf Jahre einberufen sollte, aber nur so selten einberuft, dass man sie deswegen gegen den Willen des Papstes einberufen müsste. Denn der Papst habe nur solange Vollmacht, wie die übrigen Bischöfe es zuließen. Dann relativierte Müntzer die Heiligsprechungen des Thomas von Aquin und Bonaventuras, weil sie nicht von einem allgemeinen Konzil, sondern nur vom Papst erfolgt seien. Er meinte, deren Lehre wie die der übrigen scholastischen Theologen sei von der Kirche nur zugelassen, wie die Städte Huren und Zuhälter zuließen. Zudem stützten sich diese Theologen auf natür­ liche Vernunftgründe, die aber seien alle vom Teufel.42 Nach Angriffen auf die derzeitigen Bischöfe, die nicht mehr wie früher Heilige, sondern Tyrannen seien, denen es nur noch um sich selbst, nicht um die Sache ginge, und die ihre Priester unterdrückten, kamen offenbar die Franziskaner selbst in den kritischen Blick des Predigers Müntzer: „es gibt Schmeichler und Verführer des irrenden Volkes, die das Gute schlecht und das Schlechte gut heißen, die weder griechisch noch hebräisch verstehen, nur betteln und stinken.“43 Fazit der ganzen Predigt ist ein vernichtendes Urteil über die Kirche der derzeitigen Epoche: „das heilige Evangelium lag unter der Bank, mehr als vierhundert Jahre, und es würden noch sehr viele gezwungen, ihren Hals zu wagen, um es hervorzuholen.“44 Es ging also nicht nur um einen Konkurrenzkampf zwischen den vorher privilegierten Seelsorgern und Predigern, den seit 1478 in Jüterbog

39 Ebd. A 3v [20]: „certissime teneo, si Runkarius quidam Bohemorum Heresis magister veniret ad hunc locum, predicans errores suos, dicens quod predicatio sua esset euangelium Christi vere, aliqui auribus patentibus libentissime auscultarent, vt Athenium more noua possent suis auribus inculcari“. Das spielt auf die Charakterisierung der Athener in der Apostelgeschichte an (Apg 17,21). „Runcarius“ war ein Schimpfname für Waldenser, abgeleitet von einem Ausdruck für unkultiviertes Land. Siehe Du Cange, Charles Du Fresne: Glossarium mediae et infimae Latinitatis, bearbeitet von Leopold Favre, Tomus VII. Paris 1886, ND Graz 1954, 239. 40 Ebd. A 3v [20]: „iuxta parietem cimiterij“. 41 Ebd.: „occasione sermonis quem pater Guardianus habuit post prandium de obedientia sancte Romane ecclesie et de scriptis doctorum approbatorum, videlicet sancti Thomae et sancti Bonaventure“. 42 Siehe besonders ebd.: „doctrina prefatorum doctorum et aliorum scolasticorum dicitur ab ecclesia admissa et meretrices Lenonosque permittuntur in ciuitatibus. Item prefati doctores innituntur rationibus naturalibus et omnes tales rationes a diabolo sunt“. 43 Ebd. A 4r [21]: „sunt adulatores et seductores populi errantis, dicentis [!dicentes] bonum malum et malum bonum, qui nec sciunt Grecum nec Hebraicum nisi questen vnd stincken“. 44 Ebd.: „Euangelium sanctum iacuit sub scamno, annis plus quam quadringentis, pro cuius reuocatione adhuc plurimi cogerentur colla extendere.“

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tätigen Franziskaner-Observanten,45 und den aus Wittenberg kommenden, universitär ausgebildeten und mit neuen Ideen erfüllten Predigern des Stadtrates. Es ging um einen grundsätzlichen Dissens über Kirche und Evangelium, wobei beide Seiten das Volk für sich gewinnen wollten. Weil gegen die Neuerer die Franziskaner offenbar Boden verloren, wurde der Streit von ihrem Lektor Bernhard Dappen bereits mit Vorwürfen gegen den Urheber der „häretischen“ Ansichten, nämlich Martin Luther selbst, an den Brandenburger Bischof Hieronymus Scultetus46 herangetragen.47 Vom Bischof mag das Schreiben der Jüterboger Franziskaner Luther zur Stellungnahme zugesandt worden sein.48 Luther versuchte in seinem Antwortbrief „an die ehrwürdigen Väter und Brüder des Konvents zu Jüterbog vom Orden der Minderbrüder“49, die dortigen Franziskaner-Observanten als ungelehrte Leute ins Abseits zu stellen50. Dabei ging es ihm vielleicht um das Einverständnis seiner Wittenberger franziskanischen Kollegen, wenn er versucht, den Angriff auf sich und die Seinen als Angriff auf die gesamte Wittenberger Universität hinzustellen: „Mir wurden zwei Zettel übergeben, von denen der eine, vom ganzen Konvent an den Hochwürdigsten Bischof, unseren gnädigen Herrn von Brandenburg, gesandt, meinen Namen abscheulich besudelt und eine Anzahl von durchaus wahren Thesen mit unverschämter Unüberlegtheit als irrig hinstellt. Ich war freilich genug verwundert: Ihr, die ihr euch entflammt unter dem Titel Observanz, euch dem Volk als Retter aufspielt und als Eiferer für das Gewand ohne Naht51, ihr solltet so sehr das Evangelium vergessen haben, um nicht vorher den Bruder zu mahnen zwischen dir und ihm allein, wie Er sagt [Mt 45 Vgl. Wentz, Gottfried: Das Franziskanermönchskloster zu Jüterbog. In: Germania sacra I/3: Das Bistum Brandenburg II, bearbeitet von Ferdinand Bünger / Gottfried Wentz. Berlin 1941, 401–408. 46 Noch im Ablassstreit war Scultetus Luther entgegengekommen. Siehe Bensing / Trillitzsch, Bernhard Dappens „Articuli...“ 124f. 47 Siehe Der Lutheraner Müntzer, A 4v [22]: „denuntiando insinuamus in populo Interbocksensis [!] vestre diocesis emergentibus erroribus pestiferis ortam non modicam pacis et christiane vnitatis periculosam et quasi schismaticam scissuram occasione doctrine et predicationum D. Martini et aliorum predicatorum de secta eiusdem doctoris“. Das stammt aus dem angehängten Brief an den Bischof selbst, der die ausführlichere Darstellung im vorhergehenden Brief an den Generalvikar des Bischofs Jakob Gropper zusammenfasst und die Anklage auf den eigentlich verantwortlichen Doktor Martin Luther hin zuspitzt. Sie datieren vom Mittwoch beziehungsweise Donnerstag nach dem 2. Ostersonntag „Quasimodogeniti“, 4. und 5. Mai 1519. 48 Denn Luther hat offenbar die beiden „Zettel“ des Schreibens, den Brief an den Generalvikar und den Brief an den Bischof, bald in den Händen gehabt, da er schon am 15. Mai darauf ausführlich antworten kann (WA Briefwechsel [Br] 1, 387–393). 49 Siehe WA Br 1, 389,1–2: „Venerabilibus Patribus et Fratribus Conventus Iutterboccensis, Ordinis Minorum.“ 50 Dass die Observanten im Allgemeinen in der Aus- und Weiterbildung ihrer Brüder auf Universitätsstudien und entsprechende akademische Grade verzichteten, war schon im innerfranziskanischen Streit ein beliebter Angriffspunkt gegen die Regelobservanz. Siehe etwa Hombergk, Frederik Adolphus Henricus van den: Nikolaus von Harlems Widerlegung von Vorwürfen gegen die Observanten. In: Archivum Franciscanum Historicum [AFH] 73 (1980) 124–172, bes. 146, sowie Schatzgeyer, Kaspar: Apologia status fratrum or=// dinis minorum de obseruantia // nuncupatorum declaratoria: // Aduersus patrem Bonifacium prouin-//cie Francie ministrum (bei Johannes Froben, Basel 1516), J 1b–2a. In: Köhler, Flugschriften Fiche 1362 Nr. 3596. Vgl. dazu auch Schlageter, Johannes: Franziskanische Bildung und Tradition bei Augustin von Alveldt (vor 1485 bis nach 1435). In: Averkorn, Raphaela u. a. (Hg.): Europa und die Welt in der Geschichte. Festschrift zum 60. Geburtstag von Dieter Berg. Bochum 2004, 335–363, bes. 336–346. 51 Vgl. Joh 19,23. Das ungenähte Gewand steht hier als Symbol für die ungeteilte Einheit der Kirche (siehe: Der Lutheraner Müntzer, A 3r; 4v [19; 22]; siehe auch Bensing / Trillitzsch, Bernhard Dappens „Articuli...“ 136f.; 140f.; Peters, Die Franziskaner von Jüterbog 190 Anm. 9 (202); Wallenborn, Luther und die Franziskaner 145, 147, 154f., 157.

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18,13]. Ihr wolltet vielmehr Verleumder eines fremden Namens, ja was noch schändlicher ist, Richter einer fremden Lehre werden aus eigener Autorität. Ist dieser Hochmut und Übermut die Art eurer religiösen Gemeinschaft und Observanz? Wahrlich um euch nicht Böses mit Bösen zu vergelten, lasse ich euch die Wahl: Widerruft entweder eure Unüberlegtheit und gebt mir meinem guten Namen wieder. Oder ich will euren Zettel im Druck veröffentlichen mit einer Widerlegung euerer Ignoranz, was eurem Orden keine Ehre einbrächte. Ihr verachtet nach dem Brauch eurer Observanz die Studien und wollt freiwillig die Wissenschaften nicht lernen, sondern das Volk nur einnehmen mit Visionen52 und euren Überlegungen. Für Euch gehörte es sich also, zu schweigen und die Anderen studieren zu lassen. Meine Lehre ist seit drei Jahren an unserer Universität ständig betrieben, diskutiert und beurteilt worden in Disputationen, Vorlesungen, im Lehren, Predigen und Schreiben, zu­sammen mit sehr scharfsinnigen und aufmerksamen Männern, und noch nicht verwerflich gefunden. Und nun soll sie hinter dem Ofen eures Klösterchens von einem oder zwei verschlafenen Brüdern, die vielleicht irgendwann einmal einen Magister gesehen, aber niemals kennengelernt haben, als ketzerisch verurteilt werden. Schaut, dass man nicht euch als Ketzer findet, als solche, als welche ihr mich und die Meinen angeklagt habt! Mir wird es nicht schwer sein, mit Gottes Gnade meine Aussagen gegen euch zu verteidigen. Aber inzwischen werde ich euch und euren Orden schonen, bis ich höre, was ihr machen werdet.“53 Der von Luther zur Wahl gestellte Frieden, den franziskanische Vermittler in Wittenberg gegen ihre Jüterboger Brüder später festzumachen versuchten,54 wurde durch die weitere Auswirkung dieses Konfliktes im Nachspiel der Leipziger Disputation vom Juni 1519 völlig 52 Gemeint sind wohl besondere spirituelle Erfahrungen, vielleicht auch die Seraph-Vision des Franziskus und andere visionäre Erfahrungen der franziskanischen Tradition. 53 WA Briefe [Br] 1, 389,3–390,30: „Oblatae sunt mihi duae schedulae, venerabiles Patres, quarum una ad Reverendissimum D. Episcopum, Dominum nostrum gratiosum Brandenburgensem, a toto Conventu missa, meum nomen foedissime conspurcat et aliquot propositiones verissimas impudenti temeritate arguit erroneas esse. Ego sane fui satis admiratus, quod vos, qui observantiae titulo inflamini et populo vos salvatores iactatis et tunicae inconsutilis zelatores, adeo fueritis obliti euangelii, ut non ante fratrem monueritis inter te et ipsum (ut inquit [Mt 18,13]) solum ac magis voluistis detractores alieni nominis, tum, quod foedius est, iudices alienae sententiae auctoritate propria fieri. Est ista superbia et petulantia religionis vestrae et observantiae modus? Verum ne reddam malum pro malo, optionem vobis do: aut revocate hanc temeritatem et reddite mihi nomen meum, aut publicabo per impressuram hanc vestram schedulam, adiecta confutatione vestrae ignorantiae, quod non erit honorificum ordini vestro. Vos, qui vestrae observantiae ritu studia contemnitis et literas sponte vultis nescire, sed tantum visionibus et cogitationibus vestris populum occupare, decebat, ut sileretis et alios studere permitteretis. Mea doctrina tribus annis in Universitate nostra assidue est agitata, discussa et iudicata, disputando, legendo, docendo, praedicando, scribendo, cum acutissimis et diligentissimis viris, necdum inventa reproba; et nunc post fornacem vestri Conventiculi ab uno aut duobus stertentibus fratribus, qui Magistrum forte viderunt aliquando et cognoverunt numquam, debet haeretica damnari? Videte, ne vos inveniamini haeretici et omnino tales, qualem me et meos criminati estis. Mihi non erit difficile, deo propitio, defendere mea dicta contra vos, sed vobis interim et ordini vestro parcam, donec audiam, quid sitis facturi.“ 54 Das geschah durch eine Delegation, die der zuständige Provinzialminister noch im September zu Luther schickte, wobei der Provinzial anscheinend sogar Bestrafung und Versetzung der Jüterboger Brüder versprach. Siehe Luthers Brief an Spalatin, 22. September 1519, WA Br 1 (nr. 198), 509. Das kann aber nicht der Provinzial Benedikt von Löwenberg gewesen sein (hier Anm. 8), der 1519 nur für die Saxonia S. Johannis Baptistae zuständig war. Denn Jüterbog gehörte als observant geprägtes Kloster seit 1518 zur Saxonia S. Crucis, die damals Johannes Amberg leitete. Vgl. Peters, Die Franziskaner von Jüterbog 196 Anm. 49.

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gegenstandslos.55 Trotz der Vorwürfe von mangelnder Bildung und mangelndem Verständnis hatte ja Luther bereits in seiner ersten Antwort den von den Jüterboger Brüdern angemerkten Dissens durchaus ernst genommen. Dabei ging es ihm freilich weniger um das Geschrei, das über die jeweiligen Predigten entstand und die Stimmung in Jüterbog anheizte. Er konzentriert sich auf die wichtigen von seinem Wittenberger Mitbruder und Theologielektor aufgestellten und von Franz Günther bekräftigten Behauptungen: „ihr sagt, es wurde behauptet, ‚Gott habe dem Menschen unmögliche Dinge geboten.‘56 Ich antworte: Warum sagt Paulus Röm 8[,3], sie seien unmöglich gewesen, nicht nur für uns, sondern für das Gesetz, damit Gerechtigkeit geschehe. Daher sei es notwendig gewesen, dass Christus starb. Lest den seligen Augustinus über die Vollendung der Gerechtigkeit, und ihr werdet entdecken, dass eher ihr Schismatisches und Verderbliches lehrt, wenn ihr leugnet, sie seien für den Menschen unmöglich. Oder sagt: Wenn sie möglich sind, wozu ist die Gnade notwendig. Oder verhöhnt und verspottet ihr die Wohltat göttlicher Barmherzigkeit? Schließlich warum betet ihr: ‚Dein Wille geschehe‘, wenn ihr durch euch den Willen Gottes tun könnt? Es erfüllt mich mit Scham eure derart krasse Unüberlegtheit, mit der ihr diese überaus christliche Lehre einen verderblichen und gefährlichen Irrtum nennt.“57 Die Unfähigkeit des Menschen, die von Gott gebotene und zum Heil notwendige Gerechtigkeit aus eigener Kraft zu erreichen, wird hier von Luther für damalige Theologie, Pastoral und Spiritualität ungewöhnlich und radikal betont. Die Rede von der Wohltat göttlicher Barmherzigkeit, von der Rechtfertigung aus Gnade aufgrund der erlösenden Hingabe Jesu Christi, war den Franziskanern sicher vertrauter, aber auf dem dunklen Hintergrund unmöglicher Gesetzeserfüllung nur schwer verständlich, zumal wenn von daher ihr Moralismus und ihr eigenes Streben nach Vollkommenheit kritisch zu beurteilen waren. Das wird noch deutlicher in dem nächsten Punkt, den Luther nennt: „Zweitens nennt ihr es einen Irrtum, dass ‚Gott von jedem beliebigen Christen die höchste Vollkommenheit und das ganze Evangelium fordert‘. Zuerst frage ich eure ausgezeichnete Klugheit: Wem wurde das Evangelium gegeben, den Steinen oder Hölzern? Wenn den Menschen, warum sind sie nicht verpflichtet, die Gebote Gottes zu halten, da Christus sagt, es werde nicht ein Jota vergehen? Mich schmerzt es merkwürdig, dass ihr, fixiert 55 Johannes Eck, der Kontrahent Andreas Karlstadts und Luthers in Leipzig, erhielt nach eigenen Angaben im Anschluss an die Leipziger Disputation Ende Juli das Schreiben der Jüterboger Franziskaner von Bischof Hieronymus Scultetus selbst und schrieb dazu ein Gutachten. Und erst als Luther dieses Gutachten schwer angriff, äußerte Eck sich selbst in der Öffentlichkeit. In diesem Zusammenhang scheint er die „Articuli contra Luteranos“ der Jüterboger Brüder für den Druck in Ingolstadt (bei Andreas Lutz) freigegeben zu haben. Zur Vor- und Nachgeschichte vgl. besonders WA Br 1, 387–389; Bensing / Trillitzsch, Bernhard Dappens „Articuli...“ 126 Anm. 72–76; Peters, Die Franziskaner in Jüterbog 195f. 56 Siehe oben Anm. 32. 57 WA Br 1, 390,44–54: „dicitis esse dictum quod ‚Deus preceperit homini impossibilia‘. Respondeo: Cur Paulus Rom. VIII. dicit, fuisse impossibilia, non tantum nobis, sed etiam legi, ut iustitia fieret? ideo necesse fuisse ut Christus moreretur? Legite B. Augustinum de perfectione iustitiae, et invenietis, vos potius errorem schismaticum et pestiferum docere, quando negatis, homini esse impossibilia praecepta. Aut dicite: si sunt possibilia, ad quid necessaria est gratia? Aut illuditis et irridetis misericordiae Dei beneficium? Denique, cur oratis: ‚Fiat voluntas tua‘, si per vos potestis facere voluntatem Dei? Pudet me tam crassae vestrae temeritatis, quod hanc christianissimam doctrinam appellatis pestiferos et perniciosos errores.“ Vgl. dazu Augustinus, Aurelius: De perfectione iustitiae hominis c. 10 nn. 21-22 (PL 44, 302–303; CSEL 42, 21–23).

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auf den nahtlosen Rock, so unsinnig werdet, um zu leugnen, die Menschen seien verpflichtet, den Willen und die Gebote Gottes zu beobachten: Und jetzt soll man sogar noch zweifeln und disputieren, ob man dem gebietenden Gott zu gehorchen hat. Welch Raserei! Also wir alle schulden das ganze Evangelium und alle Gebote; und weil wir das nicht vermögen, daher sind wir Sünder und eilen zum Thron der Barmherzigkeit Gottes. Das ist das Urteil des seligen Augustinus im ganzen achten Teil. Ihr aber zieht die Menschen von der Barmherzigkeit zum Gericht, da ihr sie nicht zur Selbsterkenntnis als Sünder und Schuldner der Gebote Gottes gelangen lasst.“58 Die Verpflichtung auf die höchste Vollkommenheit und das ganze Evangelium ist also keine Spezialität einer christlichen Elite, wie sie sich die damalige Ordenstheologie und gerade das Selbstverständnis der Franziskaner-Observanten vorstellen und so als erfüllbar ansehen. Alle Menschen sind dazu verpflichtet, aber ihre Unfähigkeit, diese Verpflichtung zu erfüllen, erweist alle als sündig und schuldig vor Gottes Gebot, auch die religiöse Elite. So bleiben alle auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen. Wer daher die Selbsterkenntnis als Sünder nicht zulässt, liefert die Menschen hoffnungslos dem Gericht Gottes aus. Diese Gefahr sieht Luther offenbar im Moralismus und Perfektionismus der Observanten gegeben. Weiter hatten die Jüterboger Brüder als Irrtum dargestellt: „Es gebe keine Räte, sondern alles im Evangelium seien Gebote“59. Dazu meint Luther: „Das hat euer Neid und euere Nichtsnutzigkeit gelogen. Jene haben nämlich gesagt: ‚Die Gebote gehen über die Räte hinaus‘ und ‚Die Gebote sind mehr als die Räte‘. Denn die Räte sind gewisse Hilfsmittel, damit man leichter die Gebote erfüllt, wie eine Jungfrau, eine Witwe oder ein Eheloser leichter das Gebot beobachten kann: ‚Du sollst nicht begehren‘ als ein Verheirateter, der der Begierlichkeit irgendwie nachgibt.“60 Als evangelischer Rat erkennbar ist also für Luther der Rat zur Ehelosigkeit, aber er ist nur noch ein Hilfsmittel zur leichteren Beobachtung des Gottesgebotes. Ob Luther hier noch die besondere Berufung dazu im Ordensstand im Auge hat, bleibt offen. Entscheidend wichtiger und als umfassender Rahmen des Lebens für alle maßgebend sind jedenfalls die Gebote Gottes, auch und gerade in den Evangelien. Das stellt die damalige Ordenstheologie der evangelischen Räte in Frage, obwohl Luther die angebliche Leugnung evangelischer Räte überhaupt durch seine Anhänger bestreitet. In diesen Zusammenhang gehört auch die Bestreitung der Willensfreiheit durch den Lektor von Wittenberg. Dazu meint Luther: 58 WA Br 1, 390,55–391,67: „Secundo errorem dicitis, ‚quod Deus exigit a quolibet Christiano summam perfectionem et totum euangelium‘. Primo quaero ab insigni vestra prudentia, quibus sit euangelium datum, lapidibus an lignis? Si hominibus, cur ergo non tenentur praecepta Dei tenere, quando Christus dicit, ne unum iota praeteriturum? Doleo miro modo vos inconsutilistas et tunicastros sic desipere, ut negetis homines esse debitores servandae voluntatis et praeceptorum Dei. Et nunc demum dubitandum et disputandum sit, an obedire oporteat praecipienti Deo. O furor! Igitur omnes debemus totum euangelium et omnia praecepta; et quia non possumus, ideo sumus peccatores, et currimus ad thronum misericordiae Dei. Haec est B. Augustini sententia in tota parte octava. Vos autem homines a misericordia trahitis ad iudicium, dum non sinitis eos sese agnoscere peccatores et praeceptorum Dei debitores.“ Luther bezieht sich hier auf den Teil 8 der Augustinus-Ausgabe von Basel 1508, der die antipelagianischen Schriften enthält. 59 Vgl. oben Anm. 32 und WA Br 1, 391,68: „nulla sunt consilia, sed omnia in euangelio sunt praecepta“. 60 WA Br 1, 391,69–73: „Haec invidia et nequitia vestra mentita est. Illi enim sic dixerunt: ‚praecepta sunt ultra consilia‘ et ‚praecepta sunt plus quam consilia‘. Quia consilia sunt quaedam media, quibus facilius implentur praecepta, ut virgo aut vidua aut caelebs facilius servat praeceptum: ‚non concupisces‘ quam coniugatus, qui concupiscentiae aliquo modo cedit.“ Vgl. dazu Ex 20,17.

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„Ebenso vom freien Willen, der nichtig ist, nach dem Zeugnis des seligen Augustinus. Er kann nämlich nur Böses tun, niemals aber Gutes, außer mit Hilfe der Gnade. Also ist er aus sich allein nicht frei, sondern Sklave der Sünde, wie Augustinus im 2. Buch gegen Julian lehrt. Aber ich bitte euch, mäßigt eure Unüberlegtheit und lasst ab von euren albernen Träumereien, ihr wisst überhaupt nichts in der christlichen Lehre, seid für euch Redekünstler, lasst uns die heiligen Lehrer lesen.“61 Für die scholastisch-traditionellen Überlegungen der Franziskaner, für die die Bestreitung der Willensfreiheit wie die neue reformatorische Theologie überhaupt außerhalb ihres Blickfelds lagen, zeigt Luther wenig Verständnis. In aller Kürze verlangt er ein Eingehen auf seine Gedankengänge, die von bisheriger scholastischer und franziskanischer Theologie aus schwer nachzuvollziehen waren. Doch Luther wirft den Brüdern von Jüterbog ihr mangelndes Verständnis für die eigentliche Intention der Aussagen vor, ohne ihre Verstehensprobleme wirklich ernst zu nehmen. Das gilt selbst dort, wo er ihre Formulierung der „Articuli“ bestreitet, wie bei der These zu den „Kirchengesetzen“, die angeblich „Unzucht, Habgier, Hochmut lehren“62. Das schränkt Luther ein: „Jene sagten, die Kirchengesetze (canones) und päpstlichen Erlasse (decretales) röchen oder schmeckten manchmal nach Hochmut und Habgier, das heißt: Die, die sie aufstellten, suchten manchmal das Ihre mehr als die Liebe. Das nennt ihr ‚Hochmut lehren‘. Ich frage euch: Kann nicht ein Hochmütiger und Habgieriger die Wahrheit predigen und dennoch in seiner Predigt nach Gewinnsuche riechen? So riechen eure Worte, selbst wenn ihr in eurem Zettel Wahres gesagt hättet, doch nach Neid unter Brüdern und eselsdummer Unwissenheit. Danach ist wahr: Die Kirchengesetze missbrauchen sehr oft die Schriften und legen sie verdreht aus in einem anderen Sinn, als sie an ihrer Stelle haben. Und was ist da verwunderlich? Nehmt nicht auch ihr das nahtlose Gewand und die Einheit der Kirche in einem gegenteiligen Sinn?“63 Mit dieser Argumentation, die vor einer pauschalen Verwerfung des Kirchenrechts zurückschreckt, bleibt noch vieles in der Schwebe. Dennoch ist für Luther angesichts des Wortes Gottes in der Heiligen Schrift alles andere, was kirchlich Autorität beansprucht, zu relativieren: „ ‚einem Laien, der die Autorität (der Schrift) hat, ist mehr zu glauben als dem Papst, als dem Konzil, ja sogar als der Kirche.‘ Das sagen selbst Juristen, wie Panormitanus [...]. Und es ist so sehr katholisch, dass Augustinus das an vielen Stellen als Regel anführt, 61 WA Br 1, 391,100–107: „Idem de libero arbitrio, quod nullum est, teste B. Augustino. Non enim potest nisi malum facere, nunquam autem bonum, nisi gratia adiutum. Ergo se solo non est liberum, sed servum peccati, ut Augustinus libro II. contra Iulianum docet. Sed rogo vos, cohibete temeritatem vestram, ac desistite ab insulsis vestris somniis; nimis nihil sapitis in doctrina christiana, estote pro vobis sermocinistae, sinite nos Doctores sanctos legere.“ Vgl. etwa Augustinus, Aurelius: Liber contra Iulianum Pelagium lib. 2 cap. 8 n. 23: „Hic enim vultis hominem perfici, atque utinam Dei dono, et non libero, vel potius servo voluntatis arbitrio“ (PL 44, 689–690). 62 Siehe oben Anm. 32. 63 WA Br 1, 391,76–86: „Illi dixerunt, quod canones et decretales olent seu sapiunt aliquando superbiam et avaritiam, hoc est, quod ii, qui statuerunt, aliquando quaesierunt quae sua sunt, plus quam charitatem. Hoc vos dicetis docere superbiam. Rogo vos: non potest superbus et avarus praedicare veritatem et tamen sic praedicando olere quaerere lucrum? Sicut vos in hac schedula etiamsi vera dixissetis, tamen fraternam invidiam et asininam inscitiam olerent vestra verba. Deinde hoc verum est, quod canones saepissime abutuntur Scripturis, et torte exponunt in alium sensum, quam suo loco habent. Et quid hoc mirum? Nonne et vos tunicam inconsutilem et ecclesiae unitatem hic accipistis in contrarium sensum?“

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1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie

um Autoren zu lesen. Und es gab keinen so abscheulichen Ketzer, der das geleugnet hätte, außer diesen neuen Ketzern, den vermessensten von allen, den kleinen Jüterboger Observanten, die mit ihrer hurerischen Stirn die geheiligsten Lehren der Väter, die sie niemals gelesen haben, für verderblich, absurd, anders als katholische Lehre verkünden. Ist das nicht Lästerung gegen den Heiligen Geist?“64 Entschiedene Verfechter kirchlicher Odnung und Hierarchie wie die Franziskaner von Jüterbog konnte Luther so kaum überzeugen, zumal das mit einer massiven persönlichen Abwertung verbunden war. Dass es den Brüdern wirklich um die Einheit der Kirche ging, so wie sie sie verstanden, hat Luther entweder nicht verstanden oder nicht gelten lassen. Doch die Brüder von Jüterbog haben die Angriffe auf die traditionelle Theologie, auf kirchliche Ordnung und kirchliche Hierarchie bereits sehr ernst genommen, weil sie eine heraufziehende Kirchenspaltung ahnten.65 Eine differenziertere Kritik damaliger Kirche, wie sie bei Luther eher als bei Franz Günther und Thomas Müntzer66 wahrzunehmen ist, konnte sich jedoch auf mittelalterliche Vorgänger berufen. Und Luthers von Augustinus her abgesicherte Darlegung seiner reformatorischen Rechtfertigungslehre galt ja lange als legitime Spielart christlicher Theologie. Das macht die Bemühungen des Franziskanerprovinzials Johannes Amberg und anderer Brüder um Vermittlung verständlich.67 Allerdings war dann nach der Leipziger Disputation Luthers und Karlstadts mit Johannes Eck im Juli 1519 die Atmosphäre bereits stark belastet. Das prägt Luthers Verteidigung gegen Johannes Ecks „Gutachten“ über die Jüterboger „Articuli“68 und wiederum Ecks Antwort darauf69 mehr als der ursprüngliche

64 WA Br 1, 391,100–392,106: „‚quod laico habenti auctoritatem (Scripturae) plus sit credendum, quam papae, quam concilio, imo quam ecclesiae‘: hoc etiam iuristae docent, ut Panormitanus [...]; et adeo est catholicum, ut Augustinus in multis locis hoc pro regula habeat legendi autores. Nec fuit ullus tam foedus haereticus, qui hoc negaret, nisi novi isti haeretici omnium temerariissimi Iutterboccenses Observantini, qui fronte sua meretricia sacratissimas Patrum doctrinas, quas nunquam legerunt, pronuntiant pestiferas, absurdas, alienas a catholica doctrina. Nonne haec est in Spiritum sanctum blasphemia?“ Luther beruft sich hier auf Nicolaus de Tudeschis (1386–1445), den bedeutenden Kanonisten und Erzbischof von Palermo. Siehe Panormitanus im Kommentar zu c. Significasti in den Decretales Gregorii IX. I 6; c. 4 (Corpus Iuris Canonici. Ed. Aemilius Friedberg, Tomus II. Leipzig 21881, ND Graz 1955, 49–50). Panormitanus steht in seiner Auslegung unter dem Einfluss des Franziskaners Wilhelm von Ockham. Vgl. Schlageter, Johannes: Die Autorität des kirchlichen Amtes und die evangelische Freiheit. Zur Problematisierung des päpstlichen Herrschaftsanspruchs bei Wilhelm von Ockham und Martin Luther. In: FrS 59 (1977) 183–231, bes. 193 Anm. 21. Siehe auch Kalb, Herbert: Nicolaus de Tudeschis. In: LThK3 7, 869. 65 Vgl. oben Anm. 47: „pacis et christiane vnitatis periculosam et quasi scismaticam scissuram“ (A 4v [22]). 66 Es fällt auf, dass sich Luther zu den Vorwürfen gegen die Predigten Thomas Müntzers eher zurückhaltend äußert: „quid Thomas [Müntzer] praedicarit, nescio, nisi quod iterum video vestram malitiam prodere se ipsam“ (WA Br 1, 392,107f.). 67 Siehe oben Anm 54. Vom heutigen ökumenischen Standpunkt aus erscheint ein solches Bemühen um Ver­ mittlung und Verständigung, obwohl ihm kein Erfolg beschieden war, jedenfalls weniger problematisch als in vergangenen Zeiten. Vgl. dazu Peters, Die Franziskaner in Jüterbog 196. 68 Siehe Luther, Martin: Contra malignum Iohannis Ecci Iudicium super aliquot Articulis a fratribus quibusdam ei impositis Martini Lutheri defensio (WA 2, 625–654), gedruckt in Leipzig bei M. Lotter [d. Ä.] Ende September 1519. 69 Eck, Johannes: Ad criminatricem // Martini Luders Uittenber//gensis offensionem. super iudi-//cio iustissimo facto: ad articu=//los quosdam per minoritas // de obseruantia Reuerendissi//mo Episcopo Brandenburgensi obla//tos Eckiana respon=//sio. o. O. [Augsburg bei Johann Miller] 19. Oktober 1519. Bei Köhler, Flugschriften, Fiche 126 Nr. 337. Vgl. auch Köhler, Hans-Joachim: Bibliographie der Flugschriften des 16. Jahrhunderts. Teil 1: Das frühe 16. Jahrhundert, Bd. 1. Tübingen 1991, 354 (nr. 821).

Die Wittenberger Franziskanerdisputation

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Inhalt der franziskanischen Vorwürfe „contra Luteranos“.70 Jedenfalls geht es hier nicht mehr unmittelbar um eine Auseinandersetzung zwischen Franziskanern in der Saxonia und der beginnenden Reformation, sondern um eine Auseinandersetzung zwischen Luther und Eck.71 Immerhin waren es die Franziskaner-Observanten von Jüterbog und besonders ihr Lektor Bernhard Dappen72, die in der reformatorischen Bewegung die Gefahr für ein traditionelles und ihr franziskanisches Verständnis von Ordensleben und Kirche erkannten und trotz Widerständen zum Ausdruck brachten.73

1.3. Die Wittenberger Franziskanerdisputation Vielleicht bemühte man sich um eine Annäherung an die Observanten, als das Anliegen einer Union auf die Tagesordnung des Provinzkapitels der ‚martinianisch‘ geprägten Saxonia Sancti Iohannis Baptistae von 1519 zu Wittenberg gesetzt wurde.74 Leider sind die Akten dieses Kapitels nicht erhalten geblieben. Doch was immer genau verhandelt worden ist, es gab im Zusammenhang damit eine Kapitelsdisputation vom 3.–4. Oktober 1519, in der man sich offenbar um eine Neubesinnung auf Franziskus und auf das ursprüngliche Anliegen des Ordens bemühen wollte.75 Zugleich wehrte man sich gegen Angriffe, die man den hussitischen Taboriten, den „häretischen Böhmen“ zuschrieb. Auf dem Hintergrund des Jüterboger Streits mit den „Lutheranern“, bei dem ja schon der Hinweis auf die „Böhmen“ eine Rolle spielte, und angesichts der gespannten Lage nach der Leipziger Disputation, seit der Luther Johannes Hus

70 Fraglich scheint, ob der Ausdruck „Luterani“ in der Überschrift bereits von den Jüterbogern Franziskanern stammt (so Wallenborn, Luther und die Franziskaner 149f.) oder nicht doch erst von Johannes Eck dem Druck beigefügt wurde. 71 Johannes Eck erwähnt aber in seinem Widmungsbrief an den bayerischen Kanzler Leonhard von Eck dessen Sympathie für die Franziskaner-Observanten, siehe Eck, Ad criminatricem, A 1v: „Tibi autem dedicare volui ea ratione: quia minoritas (quos ille [Luther] insanos, pseudo prophetas, indoctissimos appellat: quorum professio sit nihil scire, nihil discere velle) tu plurimum ames ac obserues.“ Das Vorurteil Luthers bezüglich der angeblichen Bildungsfeindlichkeit der Observanten haben offenbar Eck und sein Adressat nicht geteilt. 72 Bernhard Dappen (Doppenn) aus Dorsten hat zudem eine Handschrift (heute: Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1095 Helmst.) hinterlassen, die für die weitere Auseinandersetzung der Franziskaner mit der Reformation wichtig ist. So wird er später noch zur Sprache kommen. 73 Siehe Der Lutheraner Müntzer, A 5v [24]: „Verum quamquam contra huiusmodi errores pestiferos publicis concionibus clamitare non cessamus. parum tamen aut nihil proficimus Nam quo instantius contra huiusmodi errores predicamus eo amplius a quampluribus reputamur et dicimus [!dicimur] errantes et seductores Euangelijque sancti Conculcatores ut ficti [!facti?] videamur illis in parabulam [!parabolam] et in obprobrium subsonnationem [!subsannationem] et derisum hijs qui in circuitu nostro sunt.“ 74 Im Bittbrief an Kurfürst Friedrich den Weisen von 1518/19 (siehe oben Anm. 29) wird als Ziel des Kapitels angegeben: „zcu handeln von der eynikeit, uff das es zcu eynem ßelligen ende nach dem willen Gottes gebracht mocht werden“. Vgl. Doelle, Die Observanzbewegung 263 (Anhang 22). Vielleicht ist aber mit dieser „Einigkeit“ nur die innere Konsolidierung der Saxonia sancti Iohannis Baptistae gemeint, die ja nicht auf längere Sicht gesichert werden konnte. 75 Siehe insgesamt Schlageter, Das Franziskanerkloster in Wittenberg 99–104. Vgl. dazu auch Schlageter, Johannes: Die geschichtlichen Quellen zu Franziskus und Klara von Assisi im Streit um die franziskanische Lebensform in der frühen deutschen Reformation. In: Vaiani, Cesare (Ed.): Domini vestigia sequi. Miscellanea offerta a Giovanni Boccali. Santa Maria degli Angeli (Assisi) 2003, 371–421, bes. 377–387. Vgl. auch neuerdings Burger, Leben als Mönch und Leben in der ‚Welt‘ 18f.; 25.

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und seine Anhänger dezidiert verteidigte,76 zielte diese Bemerkung wohl mehr auf Gegner in der Nähe. Luther selbst und seine Freunde an der Universität77 sahen sich daher mit den franziskanischen Disputationsthesen herausgefordert. So jedenfalls beschreibt es Luther in einem Brief an Johann von Staupitz: „Die Minderbrüder bei uns disputieren – gezwungen durch das Kapitel – über die Wundmale des heiligen Franziskus und den Ruhm seines Ordens, aber so glücklich, dass wir, die wir vorher beides verehrten, bereits zu zweifeln beginnen sowohl an jenen Wundmalen wie am Stand dieses Ordens. Beides fand man eher falsch als wahr. Ihnen, die das zu sehr in die Höhe hoben, geschah es wie den Prediger[brüder]n, die den heiligen Thomas [von Aquin] zu sehr feiern. Es führte sie zu diesen Disputationen der Neid auf diesen Martin, wodurch sich das Gerücht verbreitet hatte, ich hätte gegen jene Wundmale gepredigt. Als sie daher einen Anhaltspunkt gegen mich meinten gefunden zu haben, hofften sie, dass sie so etwas wie eine Affäre zustande bringen könnten. Und ich habe wahrlich Glück. Denn es entzückt alle so sehr, mich zu bekämpfen, dass sie sogar Lehrsätze erdichten, die sie als die Meinen bestreiten. Doch bin ich wirklich traurig, weil sie so ihr gesamtes Gelöbnis ohne Ursache dem Gespött preisgeben. Der Erfurter war es, der das disputierte, jener, der mit unserem Lang Gefährte im Lehramt gewesen ist. Morgen wird Petrus Fontinus [von Borna] disputieren, der im Angriff auf mich und auf uns alle als Leute, gering an Lehre und Wissen, die These aufstellte, man solle mit den vorzüglichsten Vätern faseln. Wir werden die großen Wundertaten dieser Werkleute Minderbrüder sehen. So rufen diese unwissenden Menschen ohne Ursache Trauerspiele hervor. Was soll das? Ihr Baccalaureus Jakob [Fuhrer], der heute für den Kreis antwortete, überragte, weil er bescheiden war und die Thesen richtig stellte, jene beiden, Unsere Magister78. Er stammt aus Zwickau, in Wittenberg ausgebildet, gleichermaßen gut und geistreich. So demütigt Christus die Hochmütigen und erhöht die Demütigen.“ 79 76 So noch in Luthers Antwort auf Ecks Gutachten zu den Jüterbogern „Articuli“! Siehe Luther, Contra malignum Iohannis Ecci Iudicium (WA 2, 651,25–33). 77 Es hatte sich an der Wittenberger Universität eine engagierte Gruppe von Lehrern und Studenten herausgebildet, die die reformatorische Theologie weiter entfaltete und immer deutlicher nach außen vertrat. Siehe insgesamt Kruse, Universitätstheologie. Zur Entwicklung der dafür maßgebenden Theologischen Fakultät siehe auch Dingel, Irene / Wartenberg, Günther (Hg.): Die Theologische Fakultät Wittenberg 1502 bis 1602. Beiträge zur 500. Wiederkehr des Gründungsjahres der Leucorea. Leipzig 2002. 78 „Magistri Nostri“. Das spielt auf die fiktiven Epistolae obscurorum virorum an, die aus dem Streit um Johannes Reuchlin entstanden, worin mit dieser Titulatur die Gegner Reuchlins, die sich gegenseitig hochjubelnden zeitgenössischen Scholastiker, dem Spott preisgegeben wurden. Vgl. Epistolae obscurorum virorum. Leipzig 1869. Siehe auch Köhler, Flugschriften Fiche 962 Nr. 2405 (1); Fiche 931 Nr. 2315 (2). 79 WA Br 1, 514f.,54–74: „Minores apud nos, capitulo coacto, disputant de stigmatibus S. Francisci et gloria ordinis sui, sed adeo feliciter, ut, qui ante utrumque venerati sumus, iam dubitare incipiamus tam de stigmatibus illis quam de ordinis istius conditione. Utraque falsis similiora quam veris inventa sunt; contigit eis nimio extollentibus, quod praedicatoribus S. Thomam nimium celebrantibus. Perduxit eos in has disputationes Martini huius invidia, quae disseminaverat rumorem, me contra stigmata illa praedicasse. Ideo ansam contra me se adeptos putantes mihi speraverunt nonnihil se exhibituros negotii. Et vere felix sum, quem adeo omnes delectat impugnare, ut etiam fingere incipiant dogmata, quae tamquam mea impugnent; verum doleo, quod universam suam professionem ita ludibrio traducunt sine causa. Effurdiensis fuit, qui haec disputavit, ille scilicet, qui cum Lango nostro socius magisterii fuit. Cras Petrus Fontinus disputabit, qui me et omnes nos doctulos et sciolos pungens posuit hallucinandum sit cum patribus primoribus. Videbimus miracula magna Minorum istorum operariorum. Ita concitant homines isti ignari tragoedias sine causa. Quid? Baccalaureus eorum Jacobus, qui hodie pro circulo respondit, quia modestus fuit et positiones recte posuit, praecellit illos

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In diesem Brief vom Abend des 3. Oktober stellt Luther die Situation so dar, als hätten die Franziskaner, nur um sich gegen ihn und die Seinen aufzuspielen, übertriebene Thesen zur Bedeutung des Franziskus, seiner Wundmale und seines Ordens aufgestellt. Die Verantwortung dafür schreibt er in erster Linie dem Erfurter Theologen Jakob Schwederich zu, der mit dem Augustiner Johannes Lang dort am 14. Februar 1519 promoviert worden war. Doch die Franziskaner insgesamt hätten sich und ihr Gelöbnis mit solchen Thesen in Misskredit gebracht. Von dieser Kritik nimmt Luther nur den „Respondens“ dieser ersten Disputation aus, einen Baccalaureus von Wittenberg, den Franziskaner Jakob Fuhrer, der die Thesen „richtig stellte“, das heißt vielleicht besser im Sinne Luthers formulierte. Für Luther steht noch der Angriff des Petrus Fontinus bevor. Dieser Franziskaner aus Borna, scotistischer Theologe und vorheriger Dekan der theologischen Fakultät zu Wittenberg, stellte nach Luther eine besonders problematische These auf, die Luther als persönliche Diffamierung seiner selbst und seiner Kollegen wertete. Dabei ist eher rätselhaft, was Petrus Fontinus eigentlich mit dieser Abwertung der „doctuli“ und „scioli“, „gering an Lehre und Wissen“ gegenüber den „patres“, mit denen man „faseln“ solle, bezweckte. Wollte er damit das Wissen und die Gelehrsamkeit seiner Kollegen an der Universität ironisch in Frage stellen? Zu welchem Zweck wollte er den vorzüglichen Anschluss an die „Väter“ betonen, also vermutlich an die maßgebende Tradition der Kirche und des Ordens? Jedenfalls hatten 1519 die Vertreter der Scholastik und auch die Franziskaner-Theologen durch die reformatorische Entwicklung an der Universität kaum noch Raum und Einfluss. Schon 1516 hatte Johannes Lang, Augustiner und Freund Luthers an Spalatin, seinen Freund aus Erfurter Zeiten im Dienste des Kurfürsten, schreiben können: „Derart sind die Studien, die wir mit Freude wieder zum Leben kommen sehen. Während immer mehr Leute die Heilige Bibel und die antiken Schriftsteller begierig verlangen wie auch freudig hören, haben die scholastischen Lehrer (wie sie heißen) kaum zwei oder drei Hörer.“80 Und Luther schrieb 1517 dem inzwischen in Erfurt tätigen Lang: „Unsere Theologie und der heilige Augustinus machen gute Fortschritte und herrschen durch Gottes Wirken an unserer Universität. Aristoteles ist allmählich im Abstieg begriffen, nahe dem künftigen immerwährenden Ruin. Die Vorlesungen über die Sentenzen werden erstaunlich verschmäht; und keiner könnte sich Hörer erhoffen, außer er wollte diese Theologie, nämlich die Bibel oder den heiligen Augustinus oder einen Lehrer kirchlicher Autorität anbieten.“81

utrosque Magistros Nostros. E Zwickavia hic est, Wittembergae educatus, bonus et ingeniosus pariter. Sic Christus superbos humiliat et humiles exaltat.“ Das Wort „hallucinari“ hatte damals die Bedeutung „träumen, faseln, daherreden“. Was in der franziskanischen These, auf die Luther hier anspielt, damit genau gemeint ist, kann nicht ganz geklärt werden. 80 Nach Kruse, Universitätstheologie 2 Anm. 2: „Talia sunt studia, quae iam reviviscere cum gaudio cernimus, dum sacram bibliam antiquosque scriptores complures et anhelant et laetanter audiunt, dum scholastici doctores (quod appellant) vix aut duos aut treis [!tres] habent auditores.“ 81 Ebd. 2 Anm. 3: „Theologia nostra et S. Augustinus prospere procedunt et regnant in nostra universitate Deo operante. Aristoteles descendit paulatim inclinatus ad ruinam prope futuram sempiternam. Mire fastidiuntur lectiones sententiariae, nec est, ut quis sibi auditores sperare possit, nisi theologiam hanc, id est bibliam aut S. Augustinum aliumve ecclesiasticae auctoritatis doctorem velit profiteri“ (WA Br 1, 99,8–13).

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Damit ist der scholastische Studienbetrieb, der in der Philosophie auf der Kommentierung des Aristoteles und in der Theologie auf die Vorlesungen zu den Sentenzen des Petrus Lombardus aufbaute, schon durch mangelndes Interesse der Studenten in der Wittenberger Universität an den Rand geraten. Auf diesen vorherrschenden Trend, der von der ‚bibelhumanistischen‘ Sicht Langs mit der Betonung der antiken Schriftsteller hinüberführt zur neuen, auf Augustinus gestützten reformatorischen Theologie, will offenbar Fontinus mit seiner These eingehen. Dabei ist nicht ganz sicher zu entscheiden, ob er sich diesen Trend zunutze macht, wie er dann in der Disputation andeutet,82 oder ob er sich der Entwicklung an der Wittenberger Universität entgegenstellt, wie das Luther im Voraus vermutete. In Luthers Bericht über die Disputation erscheinen noch am Abend des 3. Oktober er selbst und die Seinen als bloße Zuschauer einer von den Minderbrüdern selbst inszenierten „Tragödie“. Das könnte für den Beginn dieser Kapitelsdisputation zutreffen, die am Vorabend des Franziskusfestes wohl eher den Charakter einer erbaulichen Rückbesinnung vonseiten der Minderbrüder selbst haben sollte. Ob und in welcher Form Luther mit weiteren Wittenberger Dozenten selbst in die Disputation eingreifen wollte, lässt sein Bericht offen, der allerdings bereits ironisch den „großen Wundertaten dieser Werkleute Minderbrüder“ nicht viel Gutes zutraut. Vom Gegenangriff Luthers und seiner Universitätskollegen spricht allein das anonym verfasste ‚Protokoll‘ der „Minoritischen Disputationen“, das in einem niederländischen Druck überliefert ist und das tendenziös, mit manchen Brüchen in der Argumentation und offenbar nur bruchstückhaft den Verlauf der Diskussion wiedergibt.83 Diese „Disputationen“ sollen am 4. Oktober 1519 stattgefunden haben, und von Anfang an in Auseinandersetzung mit namhaften Vertretern der Wittenberger Universität. Leider werden aber hier die Namen der franziskanischen Diskussionspartner nicht genannt und auch ihre Argumente oft nur kursorisch wiedergegeben. So ist ein genauer Vergleich mit Luthers Bericht kaum möglich. Entweder beginnt die hier angeführte Diskussion bereits am Vorabend des Franziskusfestes, der nach damaligem Brauch zum kommenden Franziskusfest, dem 4. Oktober, gerechnet werden konnte. Oder – eher dem Bericht Luthers und dem Datum des ‚Protokolls‘ entsprechend – die Vertreter der Wittenberger Universität haben erst am 4. Oktober in die „Disputationen“ eingegriffen. Das wird dadurch wahrscheinlich, dass gelegentlich Argumente und Dissonan 82 Dort fragt Philipp [Melanchthon]: „Dentur mihi scioli et doctuli illi, cum quibus inuulgariter sapere nephas est.“ Der Respondens antwortet: „recentiores quosdam esse“. Darauf Philipp: „Qui?“ Wieder der Respondens: „Thomas et ceteri.“ Damit wäre also die These auf Thomas von Aquin und die übrigen Thomisten zu deuten, was aber Melanchthon und Luther im Gespräch nicht akzeptieren. Siehe: Disputationes Minoritice, B 2v, Niedersächs. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8o HE. ORD. 104/20 Rara); Hammer, Gerhard: Franziskanerdisputation. 1519. In: Luther, Werke, WA 59, 606–697, bes. 694,28–32. 83 Der Druck insgesamt stammt aus der Druckerei des Jan Severcz in Leiden / Niederlande, um 1520. Von diesem Druck ist bis heute nur dies einzige Exemplar bekannt. Ediert wurde der Text bei Hammer, Gerhard: Militia Franciscana seu militia Christi. Das neugefundene Protokoll einer Disputation der sächsischen Franziskaner mit Vertretern der Wittenberger theologischen Fakultät am 3. und 4. Okober 1519. I. Teil: Archiv für Reformationsgeschichte [ARG] 69 (1978) 51–81; II. Teil: ARG 70 (1979) 86–105; ebenfalls Hammer, Franziskanerdisputation, WA 59, 606–697, bes. 678–697. Der in ARG 70 (1979) beziehungsweise WA 59, 606 Anm. 2 angekündigte abschließende III. Teil ist anscheinend nicht erschienen. Unsere Textwiedergabe folgt dem Originaldruck (vgl. oben Anm. 82), allerdings ohne die oft unverständliche Zeichensetzung sowie Groß- oder Kleinschreibung von Anfangsbuchstaben zu übernehmen, sonst aber der damaligen lateinischen Polygraphie zu folgen. Die bei Hammer vorliegende Transkription war dabei eine große Hilfe, obwohl seine Normalisierung des Textes nicht übernommen wird, um einen Eindruck von der originalen Textgestalt zu geben.

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zen bei den franziskanischen Diskutanten angesprochen werden, die in dem abgedruckten Protokoll nicht mehr erscheinen, ebenso wie kaum die in Luthers Bericht angesprochenen ‚Richtigstellungen‘ des ‚respondens‘ Jakob Fuhrer. Das mag auch an mangelhafter Wiedergabe gerade der franziskanischen Thesen und Argumente liegen: „Es beginnen die minoritischen Disputationen, gehalten zu Wittenberg in deren Konvent am 4. Oktober 1519, als deren Drei-Jahres-Kapitel damals dort gefeiert wurde. 1. Satz: Gnadenvoll beschloss die göttliche Güte, im Greisenalter der Welt eine bestimmte neue Ritterschaft seiner streitenden Kirche erkennen zu geben. 2. Satz: Der heilige Franziskus sei in ihr Gleichbild umzugestalten, und zwar habe er seraphische Wirkungen. 3. Satz: Zu dieser erwählte sie als Bannerträger und Vorkämpfer den gottgemäßen Franziskus, durch den sie das Leben und Leiden Jesu erneuern wollte. 4. Satz: Franziskus, der katholische und ganz apostolische Mann, trachtete, sich so mit ungeheuerer Sorgfalt den Fußspuren des gekreuzigten Jesus gleichzugestalten. 5. Satz: Die Echtheit der Stigmata des seraphischen Vaters teilt nicht nur mit , und ein einleuchtendes Zeugnis bringt die Durchbohrung der gottgeweihten Hände und Füße bei. 6. Satz: Deswegen mögen schweigen die ganz verkehrten Taboriten, die häretischen Böhmen, die gegen die gottgeweihte Ordensgemeinschaft des gottgemäßen Franziskus kläfften. 7. Satz: Echte Stigmata des seraphischen Vaters teilt nicht nur mit , und ein einleuchtendes Zeugnis bringt die Durchbohrung seiner gottgeweihten Hände und Füße bei. 8. Satz: Franziskus, der katholische und ganz apostolische Mann, trachtete, sich so mit ungeheuerer Sorgfalt den Fußspuren des gekreuzigten Jesus gleichzugestalten. 9. Satz: Als Bannerträger und Vorkämpfer erwählte sie den gottgemäßen Franziskus, durch den sie das Leben und Leiden Jesu erneuern wollte. 10. Satz: Es ist überhaupt jene Observanz der Ordensleute zur Zeit der Apostel eingesetzt, und nicht wegen der Christen , wie die Verleumder, und so weiter. 11. Satz: Es ist besser für einen Theologen, mit den vorzüglichsten Vätern des orthodoxen Glaubens sich aufs Faseln einzulassen84 als mit einigen Leuten, gering an Wissen und Lehre, Ungewöhnliches zu sinnen, um nicht zu sagen: verwegenen Unsinn zu treiben.“85 84 Diese Übersetzung des „hallucinatum iri“ ist nur eine der möglichen, die freilich das Gemeinte noch offen lässt und sinngemäß nicht ganz negativ einstuft (vgl. oben Anm. 79). Von den Diskussionsgegnern wird freilich dann nur die negative Wertung des „hallucinatum iri“ als ein Sich-Einlassen auf Irrtum und Täuschung ins Spiel gebracht. Vielleicht wollte die franziskanische These reagieren auf Vorwürfe gegen traditionell ange­ sehene „Väter“, sie hätten sich manches „eingebildet“ oder beziehungsweise „unbegründet dahergeredet“. So wäre die These als ironische Gegenreaktion verständlich. Vielleicht wollte man aber Luthers und seiner Freunde kritische Sicht des Gebrauchs von „Visionen“ in der franziskanischen Ordenstradition und Predigt ansprechen (vgl. oben Anm. 52). Dafür findet sich in der Disputation jedoch kein Anhaltspunkt. 85 Siehe Disputationes Minoritice, A 1rv, bei Hammer, Militia franciscana I. In: ARG 69 (1978) 65–80 (A 1r – B 4r); Franziskanerdisputation, WA 59, 678,1–679,28: „Incipiunt disputationes Minoritice habite Wittenberge in eorum conuentu quarto die Octobris Anno .m.ccccc.xix. in eorum capitulo triennali ibidem pro tunc celebrato. Prima propositio. Gratiose decreuit diuina benignitas senescente mundo nouam quandam ecclesie sue militantis militiam demonstrare. Secunda propositio. Sanctum Franciscum in eius similitudine[m] transformandum perinde ac ipsum seraphicas operationes habere. Tertia propositio. Ad quam vexilliferum et antesignanum diuum Franciscum elegit, per quam [quem] vitam passionemque Jesu voluit renouare. Quarta propositio. Franciscus vir catholicus et apostolicus crucifixi Jhesu vestigiis sic se ingenti diligentia studuit conformare. Quinta propositio. Vera seraphici patris fuisse stigmata non modo confert euidensque testimonium affert manuum pedumque sacrorum perforatio. Sexta propositio. Sileant ob id peruersissimi Taborite Bohemi heretici, qui in sacram diui Francisci religionem latrarunt. Septima propositio. Vera seraphici patris stigmata

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Gliederung und Reihenfolge der Disputationsthesen sind wohl erst vom ‚Protokoll‘ so zusammengestellt, vielleicht um damit den etwas sprunghaften Verlauf der Disputationen wiederzugeben. Vermutlich sind dabei weitere Sätze der Franziskaner, die nicht disputiert wurden, weggefallen. Dass in den hier überlieferten Thesen selbst Lücken anzunehmen sind, zeigt da und dort der mangelnde Textzusammenhang. Doch auch aus dem Kontext sind diese Lücken nur hypothetisch zu ergänzen. Hammer vermutete zuerst im 10. Satz die mögliche Ergänzung „ob Christianorum contemplationem“, weil im Kontext der späteren Disputation dieses Satzes immer wieder von „contemplatio“ die Rede ist.86 Später ergänzt Hammer: „nec ob Christianorum omnium causam, ut Sycophantae dicunt (nicht wegen der Sache aller Christen)“. Diese Ergänzung erscheint plausibler. Doch sollte der Wortlaut des Nebensatzes deutlicher auf den Hauptsatz bezogen werden, etwa mit der Formulierung „nec ob Christianorum omnium obseruantiam (nicht wegen der Einhaltung durch alle Christen)“.87 Auch im 5. und 7. Satz ist anscheinend eine Lücke auszufüllen; denn nach dem „non modo“ (nicht nur) fehlt ein „sed etiam“ (sondern auch). Da im Kontext der späteren Disputation dabei öfters auf den „Glauben“ Bezug genommen wird, scheint folgende Ergänzung möglich und sinnvoll: „Die Echtheit der Stigmata des seraphischen Vaters teilt nicht nur mit die Historie, sondern auch der Glaube, und ein einleuchtendes Zeugnis bringt die Durchbohrung der gottgeweihten Hände und Füße bei.“88 Ist eine derartige hypothetische Ergänzung plausibel, würden in dieser Sicht geschichtliche Echtheit und Glaubensbedeutung gerade der Stigmata des Franziskus miteinander verbunden. Das trifft jedenfalls zu, wenn die Echtheit der Stigmata tatsächlich zur Diskussion gestellt und nicht bloß erbaulich behauptet wurde, wie es die übrigen Aussagen über die Bedeutung des heiligen Franziskus und seines Ordens nahelegen. Aber eine bloß erbauliche Darstellung dessen, was die Franziskaner von sich und ihrem Gründer hielten, taugte ja gar nicht als Grundlage einer offenen Diskussion, musste jedenfalls mögliche gegnerische Diskutanten erst recht zum Zweifel und Widerspruch provozieren. Das mag allerdings, wie es schon Luther vermutete, die Absicht derer gewesen sein, die eine derartige Gesprächsgrundlage formulierten, um jeden Zweifel und Widerspruch als Parteinahme für bereits kirchlich verurteilte Ketzer zu disqualifizieren. Das könnte auch der Grund sein, weshalb eine kritische Rückbesinnung auf die Quellen zur Geschichte von Franziskus und seiner Ordensgemeinschaft in den franziskanischen Thesen kaum zu erkennen ist. So findet sich zwar eine Anknüpfung an eine Redeweise von Franziskus selbst, wenn von non modo confert euidensque testimonium affert manuum pedumque sacrorum perforatio. Octaua propositio. Franciscus vir catholicus et totus apostolicus crucifixi Jhesu vestigiis sic se ingenti diligentia studuit conformare. Nona propositio. Vexilliferum et antesignanum diuum Franciscum elegit, per quam [quem] vitam passionemque Jhesu voluit renouare. Decima propositio. Est denique religiosorum illa apostolorum tempore instituta obseruantia, nec ob Christianorum ut Sycophante, et cetera. Undecima propositio. Satius est theologo cum primoribus orthodoxe fidei patribus hallucinatum iri, quam cum nonnullis sciolis et docticulis inuulgariter sapere, ne dicas, temere desipere.“ Mit [...] sind Korrekturen und mit vermutliche Lücken des Textes angezeigt und der Transkription hinzugefügt. Siehe dazu auch Hammer, Militia franciscana I, 65f. 86 Hammer, Militia Franciscana II, 75 Anm. 19. 87 Zu dieser Ergänzung Hammers, die ohne Begründung vorgelegt wird, vgl. Franziskanerdisputation, WA 59, 679,24. Die Verdeutlichung mit „obseruantia“ macht diese These noch verständlicher als Widerspruch zur bereits in Jüterbog vertretenen „obseruantia totius euangelij“ für jeden Christen (vgl. oben Anm. 32). 88 Hypothetische lateinische Ergänzung des 5. Satzes: „Vera seraphici patris fuisse stigmata non modo confert historia, sed etiam fides euidensque testimonium affert manuum pedumque sacrorum perforatio“. Die hinzugefügten Worte auch hier kursiv!

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„vestigiis Jesu crucifixi“, „Fußspuren des gekreuzigten Jesus“ gesprochen wird. Aber Franziskus spricht in Anlehnung an 1 Petr 2,21 in Bezug auf den Herrn, also auf Jesus Christus in seiner ganzen Geschichte, von „vestigia eius sequi“, „seinen Fußspuren folgen“89, nicht von „vestigiis conformare“. Nun geht es also eher um Gleichgestaltung mit einem Vor-Bild als um konkrete Schritte von Nachfolge, die sich bei Franziskus auf den bestimmten maßgebenden Lebensweg Jesu Christi beziehen. In diesem Punkt wie im gesamten Duktus der Thesen zeigt sich eine große Nähe zur Hochstilisisierung des „gottgemäßen Franziskus“ zu einem Gleichbild Jesu Christi. Sie findet sich besonders ausgeprägt in De conformitate vitae beati Francisci ad vitam Domini Jesu des Bartholomäus von Pisa († 1401), einem Buch, das 1510 und 1513 zu Mailand im Druck herauskam, aber bereits seit 1399 vom Orden approbiert und empfohlen wurde.90 Eine erbauliche Sicht von Franziskus und seinem Orden durchzieht freilich schon ältere Franziskus-Darstellungen. So erinnert im 4. Satz die Bezeichnung des Franziskus als „vir catholicus et totus apostolicus“, als „der katholische und ganz apostolische Mann“ an das „Officium rhythmicum“ zum Franziskusfest, verfasst hauptsächlich von Julian von Speyer, in dem in der 1. Antiphon zur 1. Vesper so formuliert wird.91 Präsent ist in den Thesen auch die Franziskusdarstellung Bonaventuras in den offiziellen Legendae des Ordens,92 und das Bild des Franziskus in päpstlich anerkannten Dokumenten und Statuten, etwa in den 1509 in Lübeck gedruckten Statuta Iulii II.93 Die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Gruppen im Orden und das Bemühen um ihre Einigung hatte ja zu einer gewissen Sammlung von Quellen zur Geschichte des Heiligen und seines Ordens geführt, allerdings noch ohne deren kritische Untersuchung.94 Der Einfluss solcher 89 Siehe Epistola ad Fideles 2,13; Epistola ad Fr. Leonem 3; Epistola toti Ordini missa 51; Fragmenta alterius Regulae 1,1; Regula Non Bullata 1,1; 22,2. Siehe Esser / Grau, Opuscula 208; 222; 263; 301; 377f.; 395; FranziskusSchriften 129; 107; 120; 70; 86. 90 Kritisch ediert in Analecta Franciscana sive Chronica aliaque documenta ad historiam Fratrum Minorum spectantia [AF]. Ed. a Patribus Collegii S. Bonaventurae, Tomus IV–V. Ad Claras Aquas (Quaracchi) 1906–1912. Zur möglichen Abhängigkeit von diesem Werk vgl. Hammer, Franziskanerdisputation. Einführung, WA 59, 664 Anm. 238–242. 91 Siehe Iulianus de Spira [von Speyer]: Officium rhythmicum S. Francisci. In: AF X, 372; Fontes Franciscani, a cura di Enrico Menestò / Stefano Brufani. Santa Maria degli Angeli (Assisi) 1995, 1105; Julian von Speyer: Das Reimoffizium zum Fest des hl. Franziskus. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Johannes Schneider. In: Franziskus-Quellen 499–521, hier 502. 92 Bonaventuras „Legenda maior“ und „Legenda minor“ liegen seit 1509 beziehungsweise schon 1499 auch im Druck vor. Vgl. dazu AF X, 559–652; 653–678. Vgl. auch Bonaventura von Bagnoregio: Legenda Maior – das Große Franziskusleben [LM]. Auf der Grundlage der Übersetzung von Sophronius Clasen neu bearbeitet von Marianne Schlosser und eingeleitet von Paul Zahner. In: Franziskus-Quellen 686–778; ders.: Legenda Minor – das Kleine Franziskusleben [Lm]. Übersetzt von Sophronius Clasen. Eingeleitet, überarbeitet und kommentiert von Paul Zahner. In: Franziskus-Quellen 813–844 [im Folgenden abgekürzt zitiert: LM; Lm]. – Hammer weist auf Bonaventuras häufige Redeweise von einer Ritterschaft und ihrem Bannerträger Franziskus hin. Siehe Hammer, Franziskanerdisputation, WA 59, 661f. Anm. 227f. 93 Vgl. Hammer, Franziskanerdisputation, WA 59, 663f. Anm 235–237. Siehe dazu Bihl, Michael: Die sogenannten Statuta Julii II. und deren Lübecker Ausgabe vom Jahre 1509. In: FrS 8 (1921) 225–259. Hier Beschreibung und Wertung dieses Drucks von Stephan Andres zu Lübeck, veranlasst durch den damaligen Provinzial der Saxonia Ludwig Henning. Vgl. Schmies, Bernd: Ludwig Henning. Provizialminister 1507 bis 1515. In: Berg, Dieter (Hg.): Management und Minoritas. Lebensbilder Sächsischer Franziskanerprovinziale vom 13. bis zum 20. Jahrhundert. Kevelaer 2003 (Saxonia Francicana, Beiheft 1) 86–143. 94 Der Druck von Lübeck 1509 ist überschrieben: Tres Regulae beatissimi patris Francisci. Er enthält die Minderbrüder-Regel, eine Regel der Klarissen, nämlich die Klara-Regel von 1253, und eine Regel des Dritten Ordens, daneben weitere vor allem für die Martinianer wichtige Dokumente des Ordens, siehe bei Bihl, Die

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Sammlungen auf die Formulierung der Thesen von Wittenberg ist möglich, aber im Einzelnen schwer nachzuweisen. Konkreter lässt sich nach den Quellen fragen bei der hier gegebenen Sicht der Stigmata von Franziskus, wobei die hypothetische Ergänzung der betreffenden Sätze 5 und 7 zunächst außer Betracht bleiben soll. Für die Echtheit der Stigmata wird als „evidens testimonium“, als „einleuchtendes Zeugnis“ die „perforatio“, die „Durchbohrung“ der Hände und Füße angeführt. Nur vom „Durchstochensein“ der Hände und Füße sprechen die älteren Quellen seit Thomas von Celano und ganz aus der Sicht des Betrachters: „clavis [...] videbantur confixi“ „schienen mit Nägeln durchstochen“.95 Diesen Eindruck steigert noch Bonaventura, als er in der Legenda minor genauer die nagelähnlichen Gebilde beschreibt, die an Händen und Füßen des Franziskus zu sehen waren.96 Besonders massiv will jedoch Bartholomäus von Pisa bereits aus der Gestalt der Stigmata ihr wunderbares Entstehen und damit ihre Echtheit als Christuszeichen nachweisen.97 Von daher wird es wahrscheinlich, dass die Echtheit der Stigmata in den Disputationsthesen nicht nur als historisches Faktum, sondern geradezu als Glaubenssatz behauptet werden sollte, der ohne Gefahr der Häresie nicht mehr in Frage gestellt werden durfte. Aber weshalb wurde diese Echtheit dann überhaupt als Diskussionsthese formuliert? Aus der Sicht der Gegner betraf das ein eher zweifelhaftes oder unbedeutendes historisches Faktum, über das zu streiten sich nicht lohnte98, das jedenfalls als Glaubensinhalt zu behaupten widersprüchlich ist.99 Oder sollte sich der hier gemeinte Glaube nur auf ein

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sogenannten Statuta Julii II. 243–259. Vgl. dazu weitere damalige Quellenwerke der Ordenszweige, nämlich Monumenta Ordinis Minorum. Salamanca 1506, 1511; Speculum Minorum. Rouen 1509; Firmamenta trium ordinum beatissimi Patris Francisci. Paris 1512; Singulare opus [...] quod Speculum Minorum et Firmamenta trium ordinum intitulatur. Venedig 1513. Siehe dazu Lalo, Jean-Xavier: Les Recueils des sources juridiques franciscaines (1502–1535). Description et analyse. In: Archivum Franciscanum Historicum [AFH] 73 (1980) 237–340; 527–640; 73 (1981) 146–230. Vgl. Thomas Celanensis: Vita S. Francisci I / 95; Tractatus de miraculis 4 (AF X, 72; 274; Fontes Franciscani, 370f.; 647f.); Thomas von Celano: Erste Lebensbeschreibung oder Vita des hl. Franziskus [1 C]. Überarbeitet und kommentiert von Johannes-Baptist Freyer. In: Franziskus-Quellen 195–288, hier 256; ders.: Das Mirakelbuch [3 C]. Überarbeitet und kommentiert von Johannes-Baptist Freyer. In: Franziskus-Quellen 423–486, hier 427 [im Folgenden abgekürzt zitiert: 1 C; 3 C]. Vgl. auch Bonaventura, Legenda Maior XIII / 3 (Opera omnia, Ed. Quaracchi VIII, 543a); Fontes Franciscani 891f.; LM. XIII / 3. In: Franziskus-Quellen 766. Vgl. Bonventura, Legenda minor VI: De stigmatibus sacris. Lectio tertia: „Siquidem percussio ipsa clavorum adeo prominens erat et extra protensa, ut non solum plantas solo libere applicari non sineret, verum etiam intra curvationem arcualem ipsorum acuminum facile immitti valeret digitus manus, sicut ab ipsis accepi, qui oculis propriis conspexerunt.“ Vgl. AF X, 673; Fontes Franciscani 1002. Siehe auch Lm VI / 3. In: Franziskus-Quellen 837. Vgl. Bartholomaeus de Pisa, De conformitate (fructus XXXI. beziehungsweise lib. III. fructus III.) 2: Franciscus consignatur (AF V, 369–415, besonders 393–395). Hier sind die „Nägel“ durch eine blutende Wunde bereits vom übrigen Fleisch abgesetzt, was nach den Patres Editores auf die späte Quelle der „Actus beati Francisci“ zurückgeht (vgl. ebd. V, 394,27–29 Nota 6) Siehe: Actus beati Francisci 39,8. In: Fontes Franciscani 2167. Vgl. dazu auch Hammer, Franziskanerdisputation, WA 59, 664 Anm. 238–242. So meint Philipp Melanchthon, damals baccalaureus der Theologie: „Et mirum quod vos in dubium iam vocatis, quod semper ratum apud me habebatur: An videlicet Franciscus habuerit vulnera, sed cum vos dubitetis, cogor et ego dubitare vobiscum. Sed inutilis admodum huic negotio est materies, et nullius penitus momenti, cum in utramque partem multa sint dubia pariter et argumenta, sed tanti est ponderis, hec inquirere, quanti si disputarem Cesar ne barbam habeat an minus“ (Disputationes Minoritice, A 3r). Siehe Hammer, Militia franciscana I, 67; WA 59, 681,26–32. Das ist die Position von Nicasius Claii von Herzberg: „Contradictionem in se continent hec positiones, ergo non vere. Quia dubitant de Francisco, an stigmata habuerit, et dicunt sine dubio firma fide credendum esse

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inneres, nicht nachprüfbares Geschehen beziehen?100 Waren sich die Brüder untereinander nicht einig, wie sie das verstehen wollten?101 Besonders Martin Luther sah bei ihnen einen Gegensatz zwischen einem „natürlichen“ Verständnis der Stigmata, also wohl in ihrem historisch bezeugten, augenscheinlich wahrnehmbaren Faktum, und einem spirituellen Verständnis als inneres Geschehen „im Herzen“ von Franziskus. Doch in den franziskanischen Aussagen des ‚Protokolls‘ ist davon nichts mehr zu erkennen, und ein solcher Gegensatz wird von dem antwortenden Franziskaner auch geleugnet.102 Da Luther weiterhin darauf bestand103, antwortete dem ‚Protokoll‘ nach der angesprochene Franziskaner, vielleicht Schwederich, ganz verunsichert, „er wisse nicht, was die anderen behaupteten, seine Position aber habe er aus der wahren Legende, die Bonaventura geschrieben hat“.104 Da der genaue Wortlaut der entsprechenden franziskanischen Disputationsthese wohl nicht vorliegt und die innerfranziskanische Uneinigkeit, die Luther anspricht, im ‚Protokoll‘ nicht zu fassen ist, bleibt vieles offen. So lässt sich nur aus dem Zusammenhang vermuten, wo die Schwierigkeiten, sich zu verstehen, ihren Grund haben könnten. Luther und die Seinen konnten das behauptete, aber eben auch bezweifelbare historische Faktum der Stigmata des Franziskus nicht zusammenbringen mit der Glaubensdeutung und Glaubens-Bedeutung, die die Franziskaner in ihrer Tradition den Stigmata zusprachen. Vielleicht haben daher einige Franziskaner, etwa der von Luther so hoch gelobte Jakob Fuhrer, diese Schwierigkeit schon in einem nicht dokumentierten Teil der Disputationen zu entschärfen versucht, indem sie ein bloß spirituelles, inneres Verwundetsein bei Franziskus einräumten, um Luther und seinen Kollegen entgegen zu kommen. Es ist immerhin bezeichnend, dass neben Jakob Fuhrer105 später weitere franziskanische Teilnehmer dieser Disputation wie Petrus Fontinus106, Heinrich Never107 und auch Johannes eum habuisse ea [...]“ (ebd. A 3r). Siehe Hammer, Militia franciscana I, 67; WA 59, 681,36–682,3. 100 Das scheint die Meinung von Sebastian Küchenmeister, Lizentiat der Theologie, zu sein: „Dicitis, religiose pater, sanctum Franciscum fide habuisse stigmata, ergo non in corpore [...] Fides enim est rerum non apparentium“ (ebd. A 4v). Vgl. Hebr 11,1. Siehe dazu Hammer, Militia franciscana I, 69; WA 59, 683,32–35. Küchenmeister beruft sich auch auf Christi Wort an Thomas: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29). Noch präziser bezieht sich dann Luther auf ein inneres Geschehen – in Anknüpfung an das auch von den Franziskanern herangezogene Schriftzeugnis von Gal 6,17: „Detorquetis sensum scripture in alienam aut vestram sententiam, cum non facile videantur probari stigmata sancti Francisci in corpore impressa. Sed potius sic gessit sicut Paulus portauit stigmata Jhesu Christi non quidem in carne, sed in corde“ (ebd. A 6v). Siehe Hammer, Militia franciscana I, 72; WA 59, 687,26–30. 101 So meint Luther zum Schluss: „Vehementer miror, non prius inter vos conuenire, de sancto Francisco quam publice disputationi inserere. Proxime enim nitebantur probare naturaliter eum habuisse stigmata, vos autem spiritualiter asseueratis. Contradicitis ergo mutuo vobis“ (ebd. B 4r). Siehe auch Hammer, Militia franciscana I, 80; WA 59, 697,28–31. 102 Ebd.: „Respondens negabat hoc.“ Siehe auch WA 59, 697,32. 103 Ebd.: „Estne contradictio esse et non esse, habere stigmata naturaliter, et non habere naturaliter?“ Siehe WA 59, 697,33f. 104 Ebd.: „Respondens dixit: Se nescire quid alii ponerent, suam vero positionem ex vera legenda quam Bonauentura scripsit habere.“ Siehe WA 59, 697,35f. 105 Zu Jakob Fuhrer siehe Hammer, Militia franciscana II, 72f.; Franziskanerdisputation, WA 59, 646–649. 106 Zu Petrus Fontinus beziehungsweise von Borna siehe Hammer, Militia franciscana II, 70–72; WA ebd. 639–646. 107 Heinrich Never beziehungsweise Niver oder Nivert wird in einem Brief Luthers an Heinrich V. von Mecklenburg vom 4. Juli 1536 erwähnt (WA Br 7, 460): „Etlich allhier achten, es sei Henr[icus] Neverus, der zu Wismar ein Barfüßer gewest, welcher etwan allhier zu Wittenberg die fünf Wunden S. Francisci in einer Disputation

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Briesmann108 sich der Reformation anschlossen. Aber wie weit solche Hinwendung bereits während der Disputationen zum Ausdruck kam, lässt sich aufgrund der bisher bekannten Zeugnisse nicht feststellen. Jene Franziskaner freilich, die ihrer Tradition treu blieben wie Jakob Schwederich109, wollten beides behaupten, das historische Faktum der Stigmata wie deren Glaubensdeutung. Dabei konnten sie sich ohne einen Zugang zu früheren Quellen nur gläubig auf die Legenda Bonaventuras beziehungsweise auf De Conformitate des Bartholomäus von Pisa stützen und so den Bedenken oder Zweifeln der Gegner kaum wirksam begegnen. Die bloße Berufung auf eine angeblich unanfechtbare Tradition konnte den kritischen Einwänden und dem theologischen Selbstbewusstsein der Wittenberger Theologen, die sich entschieden nur auf die Heilige Schrift stützen wollten, nicht standhalten. Das bestimmt den gesamten Verlauf der Disputation, wobei das ‚Protokoll‘ den kritischen Einwänden der Opponenten weit mehr Gewicht gibt als den Erwiderungen der Befürworter. Es lässt sich aber gut das Zusammenspiel der Wittenberger Reformergruppe erkennen. Philipp Melanchthon, der am 9. September erst baccalaureus der Theologie geworden war, eröffnete die Diskussionsrunde zur 1. These mit einer Frage nach der „neuen Ritterschaft“, von der die Rede ist.110 Diese bezieht der Franziskaner auf den eigenen Orden, wozu meint Melanchthon: „Eine einzige Ritterschaft haben wir, mit der wir in der Taufe ausgezeichnet werden.“111 Daher verwirft er jeden religiösen Anspruch auf eine höhere Vollkommenheit als ‚Menschenerfindung‘: „Eher ist also ein solcher Orden und die übrigen zu verwerfen und in den Geboten Gottes zu wandeln, da sie nur irgendein Schattenbild oder Götzenbild machen.“112 Solch menschliche Einbildung kann auch nicht unter Berufung auf Franziskus oder gar das Evangelium gerechtfertigt werden, zumal wenn die Brüder sich damit über die zur Predigt berufenen Pfarrer stellen.113 Dazu meint der franziskanische Respondent:

verloren, da sie hie ein Kapitel der Zeit hatten.“ Heinrich Never schloss sich als Guardian zu Wismar um 1525 der Reformation an. Siehe Hammer, Franziskanerdisputation (WA 59, 634 Anm. 98; 649f.). Zu Heinrich Never vgl. auch Ulpts, Ingo: Die Bettelorden in Mecklenburg. Ein Beitrag zur Geschichte der Franziskaner, Klarissen, Dominikaner und Augustiner-Eremiten. Werl 1995 (Saxonia Franciscana, 6) 348–350; 428–430. 108 Johannes Briesmann bezieht sich jedenfalls auf diese Disputation, als er noch als Franziskaner gegen Jakob Schwederich das reformatorische Anliegen vertritt, und zwar in seiner Schrift an die „christliche Gemeinde zu Cottbus“. Siehe dazu Hammer, Militia franciscana II, 65f. Anm. 17–19. 109 Zu Jakob Schwederich von Übigau, der wohl der eigentliche Inspirator der franziskanischen DisputationsThesen war, siehe Hammer, Militia franciscana II, 62–70; besonders 67f. Anm. 21; Franziskanerdisputation, WA 59, 634–639. Später noch genauer zu besprechen ist die hier erwähnte Verteidigungsschrift Schwederichs für das Ordensleben: Jacobi Suederici Theologi collectaniolum de religiosorum origine et eorundem per mundum multiplicatione ac a ceteris vulgaribus per habitus, signa et ritus discrimine. De apostatarum quoque et eis cooperantium piaculo simul ac punitione ex diversis hinc inde comportatum. Dresden [Emser-Presse] 1523. Sie ist eine Kompilation, bezieht sich aber in der Passage über Franziskus und dessen Orden wörtlich auf De Conformitate des Bartholomäus von Pisa wie auch auf Texte Bonaventuras (Articulus Septimus, K 3r–L 2v). Das unterstützt die Annahme, dass Schwederich bereits bei der Formulierung seiner Disputationsthesen damit vertraut war. 110 Disputationes Minoritice, A 2r: „Quero religiose pater que noua illa militia, de qua mentio hic habetur.“ Siehe WA 59, 679,33f. 111 Ebd.: „Unicam habemus militiam, qua ab baptismate insignimur.“ Siehe WA 59, 680,2f. 112 Ebd.: „Potius ergo talis relligio [!] et cetere reiciende sunt, et ambulandum in preceptis dei, cum nihil nisi simulacrum aliquod et idolum faciant.“ Melanchthon bezieht sich dabei auf Kol 2,6–23. Siehe WA 59, 680,18f. 113 Ebd. 2v. Siehe WA 59, 681,1–7.

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„Nicht als Herren freilich, sondern als Diener der Pfarrer und Bischöfe sind wir bestimmt und nicht zu predigen gegen den Willen des Hirten. Wer anders handelt, folgt nicht der Regel und Bestimmung.“114 Damit wird dem Vorwurf elitärer Überheblichkeit begegnet durch die franziskanische Verpflichtung zum Untertansein und zum Dienst, wie sie die Regeln des Ordens und das Testament des Franziskus einschärfen.115 Zur 2. These fragt dann Melanchthon nach den „seraphischen Wirkungen“, die dort von Franziskus behauptet werden.116 Der Franziskaner antwortet: „Sehr glühend ist die Liebe Gottes, sie zielt auf die Missachtung seiner selbst.“117 Darauf Melanchthon: „Aber so jemand wäre von höchster Vollkommenheit. Die aber zu haben, ist uns unmöglich in diesem Leben. Denn nach Paulus seufzen und liegen wir noch immer täglich in Wehen und tun das, was wir nicht wollen. Umso weniger hatte Franziskus jene Vollkommenheit, wenn sie dem Paulus noch gefehlt hat.“118 Dazu kann der Respondent nur sagen: „Durch ein Gleichnis und nicht im strengen Sinn wollen wir das aufgefasst wissen.“119 Das zentrale Problem der Thesen, die Idolisierung des Ordensgründers, bleibt damit. Der nächste Opponent, der Dekan der philosophischen Fakultät (Artes) und ‚sententiarius‘ der Theologie, Nicasius Claii aus Herzberg/Elster,120 verdeutlicht das anhand der 3. These: „Von allen Christgläubigen ist der eine Vorkämpfer Jesus Christus, für euch aber Franziskus. Also seid ihr Ungläubige und keine Christen. Denn unser Vorkämpfer ist jener, von dem wir auch den Christennamen tragen und durch den wir befreit und geheilt wurden.“121 Und als der Franziskaner erwidert, Christus sei doch in allem vorausgesetzt, fragt der „Herssberger“: „Wo nun verbirgt sich also der Name Christi, da er nirgendwo in diesem Sinn erscheint, Franziskus aber überall?“122 Der Respondent meint, schon am Anfang sei doch mit dem Ausdruck „göttliche Güte“ Jesus Christus selbst zur Sprache gebracht.123 Doch weiter besteht der Opponent auf dem Verdacht, als ‚Erneuerer des Lebens und Leidens Jesu‘ werde Franziskus mit Jesus Christus gleichge-

114 Ebd.: „Non quidem vt domini, sed vt ministri parochorum et episcoporum instituti sumus et non sermocinari inuito pastore. Si quis secus egerit, non regulam et institutionem sectatur.“ Siehe WA 59, 681,8–10. Vielleicht zeigt sich hier eine der von Luther gelobten Richtigstellungen des Jakob Fuhrer. Vgl. oben Anm. 79. 115 Vgl. besonders die Bestimmungen zur Predigt in Regula Bullata 9,1; Regula non Bullata 17,1–4; Testamentum 7. Siehe Esser / Grau, Opuscula 370; 391; 438; Franziskus-Schriften 99; 83; 59f. 116 Disputationes Minoritice, A 2v – B 1r. Siehe WA 59, 681,15f. 117 Ebd. A 3r: „Feruentissimus est amor dei, finiens in contemptum sui.“ Siehe WA 59, 681,17. 118 Ebd.: „Sed talis esset perfectissimus, hunc autem impossibile est nos habere in hac vita, quia iuxta Paulum Quotidie gemiscimus et perturimus [!parturimus] adhuc, et agimus que non volumus; multo minus sanctus Franciscus eam perfectionem habuit, si Paulus ea adhuc caruerit.“ Vgl. Röm 8,22; 7,16. Siehe WA 59, 681,18–22. 119 Ebd.: „Per similitudinem quampiam, et non stricte accipi volumus.“ Siehe WA 59, 681,23f. 120 Zu Nicasius Claii siehe Hammer, Militia franciscana II, 80f.; Franziskanerdisputation, WA 59, 652f. 121 Disputationes Minoritice, A 3rv: „Cunctorum christifidelium vnus est antesignanus Jhesus Christus, vobis autem est Franciscus; ergo estis infideles et non christiani, quia ille est antisignanus noster, a quo et nomen christianum possidemus, et per quem liberati et saluati sumus.“ Siehe WA 59, 682,3–7. 122 Ebd. A 3v: „Ubi nam ergo Christi nomen delitet, cum nusquam appareat in eo sensu, Franciscus vero vbique.“ Siehe WA 59, 682,10f. 123 Ebd. A 1v. 3v: „diuina benignitas“ beziehungsweise ‚diuina clementia‘. Siehe WA 59, 678,6; 682,11.

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setzt.124 Im Kontrast dazu weist der nächste Opponent, der Lizentiat der Theologie, Johannes Dölsch aus Feldkirch („Veltkerkius“)125 anhand von Selbstaussagen des Apostels Paulus sowie von Überlegungen Augustins und Gregors des Großen darauf hin, auch Franziskus sei als Sünder anzusehen. Statt solches Sündenbewusstsein gerade des Heiligen von Assisi von den Franziskus-Quellen her einfach zu bestätigen, versucht der Respondent es herunterzuspielen.126 An eine Diskussion über die Stigmata127 schließt sich die Erörterung der besonderen Vollkommenheitsvorstellung der Franziskaner an: „Gottes Gebote sind sehr vollkommen und ihnen gemäß leben wir alle. Also sind die des Franziskus nicht vollkommener als die Gottes. Folglich lebt ihr noch nach den allgemeinen Geboten Gottes, die den Vorrang haben.“128 Auf diesen Einwand des Lizentiaten der Theologie Nikolaus von Amsdorf wird erwidert: „ ‚Mögen die Gebote Gottes vollkommener sein, bezüglich der Lebensweise sind die des Franziskus vollkommener.‘ Der vermittelnde Doktor antwortet: ‚Zweifaches nennen wir vollkommen: einmal die Mittel, mit denen wir zur wahren Vollkommenheit gelangen; und derart ist der Orden. Die anderen aber machen das Ziel aus, und sie sind nicht Sache des Ordens, sondern Gottes‘.“129 „Doctor Martinus“ Luther selbst kann diesen Vermittlungsversuch eines franziskanischen Lehrers nicht gelten lassen. Wenn die Franziskaner mit ‚evangelischer Vollkommenheit‘ nur die Mittel und nicht das Ziel meinen, sei das widersprüchlich: „Denn euere Regel wird vom Evangelium her begründet, worüber sie noch anderes aufbaut. Wenn nun das Evangelium vollkommen ist und freilich ist es vollkommen, ist daher sinnlos, was aufgebaut wird über das hinaus, was die evangelische Vollkommenheit fordert.“130 Damit stellt Luther den evangelischen Anspruch der Minderbrüder-Regel in Frage; denn alles, was dem Evangelium hinzugefügt wird, erweist sich nach seiner Überzeugung als „abergläubisch“: „das Evangelium, das heißt Christus, hatte niemals eine solche Armut wie ihr. Er hatte nämlich eine Kasse, Geld wurde ausgegeben. Und dennoch predigte er Armut, wie, man solle für den morgigen Tag nicht sorgen. Aus welchem Grund ihr aber kein Geld anfasst, sehe ich nicht ein, da ihr doch andere Dinge im Gebrauch habt. Also scheint ihr leiblich 124 Ebd. A 3v. Siehe WA 59, 682,14–21. 125 Zu Johannes Dölsch siehe Hammer, Militia franciscana II, 81–84; Franziskanerdisputation, WA 59, 653f. 126 Zur 4. These siehe Disputationes Minoritice, A 3v–4r. Siehe WA 59, 682f. 127 Zur 5. These (ebd. A 4rv; WA 59, 683f.) schaltet sich Sebastian Küchenmeister ein, der nicht zur Wittenberger Reformergruppe zu zählen ist. Zu ihm siehe Hammer, Militia franciscana II, 84f.; Franziskanerdisputation, WA 59, 655f. Vgl. auch oben Anm. 100. 128 Disputationes Minoritice, A 4v: „Dei precepta sunt perfectissima, secundumque [secundum que] omnes viuimus; igitur non sunt Francisci perfectiora dei; et per consequens adhuc viuitis secundum communia dei preceptaque [precepta que] prestantiora sunt“ (WA 59, 684,8–10). Zu Nikolaus von Amsdorf vgl. Hammer, Militia franciscana II, 85f.; Franziskanerdisputation 59, 656. 129 Disputationes Minoritice, A 4v: „Licet perfectiora dei sint precepta, quo tamen admodum [! ad modum] viuendi francisci sunt perfectiora. Doctor mediator respondit: Duplicia sunt, que perfecta dicimus. Primo enim media, quibus ad veram perfectionem venimus; et talis est religio. Alia vero in finem consistunt, et illa non sunt religionis, sed dei.“ Siehe WA 59, 684,11–15. 130 Ebd.: „Regula enim vestra ab euangelio fundatur, supra quod et alia construit; modo si euangelium perfectum, et utique perfectum, inane itaque, quod edificatur supra quam perfectio euangelica exigit.“ Siehe WA 59, 684,20–22.

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zu meiden, was Christus wollte, es solle im Geist geschehen. Und das ist euer Aberglaube, den ihr auferlegt über das hinaus, was das Evangelium fordert.“131 Darauf der Respondent: „Eine Kasse hatte der Herr Jesus wegen der Unvollkommenen und Schwachen, um zu ihrer Unvollkommenheit hinabzusteigen, damit er sie nicht irre machte.“132 Dieses traditionelle Argument verwirft Luther völlig: „Aber das ist eine Lästerung gegen Gott, dass Christus das Evangelium aufgegeben haben sollte wegen eines Menschen, und die höchste evangelische Vollkommenheit für die Schwachen, da er doch vorher getan, was er nachher gelehrt hat.“133 Da sich der Respondent auf die traditionelle Lehre beruft, meint Luther: „Und wenn das hundert Lehrer sagten, dann muss ich Christus mehr als allen Lehrern glauben.“134 Der Respondent versucht nun die Aussage zu präzisieren: „Mag auch Christus, wie ich sagte, vollkommen gelebt haben, so tat er doch einiges wegen der Schwachen. Und das zeigt sich auch bei Johannes dem Täufer, der in der Wüste auf vollkommenere Weise lebte, da er doch nicht vollkommener ist als Christus.“135 Die Argumente des Verteidigers franziskanischer Doktrinen greifen ohne besonderes Geschick zurück auf vergangene Armutsdiskussionen, die wohl auch Luther nicht unbekannt sind.136 Luther geht aber über solche Diskussionen der Vergangenheit hinaus, wenn er dann sagt: „Viel gefährlicher ist es unter der Menge als in der Wüste zu leben, wo es keine Gelegenheit für so große Versuchungen gibt, wie wir sie unter der Menge erdulden. So zeigt sich auch bei uns: Wenn wir abgesondert in den Klöstern bei aufmerksamer Lektüre ausharren, trifft uns kein so starker Kampf gegen die Versuchungen, als wenn wir unter den Leuten weilen. Daher ist das viel vollkommener, nämlich unter der Menge gut zu leben, als in der Wüste. Also bringt jene Lösung nichts. Und folglich ist die Regel des heiligen Franziskus viel geringer als das Evangelium.“137 131 Ebd. A 4v–5r: „euangelium hoc est Christus numquam talem paupertatem habuit, qualem vos; loculos enim habuit, pecunia mittebatur, et tamen paupertatem predicabat, vt de crastino non curandum; vos vero qua ratione non contingitis pecunias, non video, aliarum tamen rerum vsum habentes. Ideo corporaliter vos vitare videmini quod Christus spiritu voluit fieri. Et hoc est superstitio vestra quam composuistis supra quam euangelium exigit“. Vgl. dazu Joh 12,5; 13,26 und Mt 6,34. Siehe WA 59, 684,24–30. 132 Ebd. 5r: „Loculos dominus Jesus habuit propter imperfectos et infirmos, vt condescenderet imperfectioni illorum, ne confunderet eos.“ Siehe WA 59, 684,32f. 133 Ebd.: „Sed hoc est blasphemia in deum, quod ipse Christus reliquerit euangelium propter hominem, et summam perfectionem euangelicam per [!propter] infirmos, cum tamen prius fecerit, et postea docuerit.“ Siehe WA 59, 684,34–36. 134 Ebd.: „Et si centum doctores hoc loquerentur, tunc michi oportet Christo credere plus omnibus doctoribus.“ Siehe WA 59, 685,5f. 135 Ebd. A 5rv: „Licet Christus, vt dixi, perfecte vixit, tamen propter infirmos aliqua fecit. Et hoc etiam patet de Johanne Baptista in deserto perfectiori modo viuente, licet non sit tamen perfectior Christo.“ Siehe WA 59, 685,18–20. 136 Vgl. besonders Bonaventura: Apologia pauperum (Opera omnia, VIII, 236f.). Er stellt diesen „Hinabstieg Christi zu den Schwachen“ im Geldgebrauch und in der pastoralen Zuwendung unter Berufung auf Augustinus, Chrysostomus, Gregor den Großen und Hugo von St. Viktor eingehend dar und verteidigt diese Sicht gegen die Pariser Magister wie Wilhelm von Saint-Amour und Gerhard von Abbeville. 137 Disputationes Minoritice, A 5v: „Multo periculosius est inter turbam quam in deserto viuere, vbi non est tantarum temptationum occasio, quas inter turbas patimur; sicut patet et de nobis, quando sequestrati in monasterijs lectitantes aliquid perserueramus, non tam fortis temptationum pugna nos excipit quam inter

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Darauf wieder der Respondent: „Man mag das so sehen. Dennoch hat Christus gesagt: ‚Geh und verkaufe alles‘ usw. Das machen die Laien nicht, die nach den Geboten leben, daher ist der Orden noch vollkommener.“138 Das kann Luther nicht gelten lassen: „Die Laien allerdings, die arbeiten, um die Not ihrer Kinder und ihre eigene zu beheben, und die nach den Geboten leben, sind vollkommener als wir Ordensleute, die diese Notwendigkeit nicht haben.“139 So möchte Luther die angeführte Weisung Christi anders verstehen: „Christus hat ja befohlen: ‚Geh und verkaufe alles, was du hast, wenn du vollkommen sein willst‘. Hat nun Christus das befolgt, ja erfüllt oder nicht? Wenn nicht, ist Christus verlogen und unvollkommen. Wenn er es aber erfüllt hat, ist Christus wahrhaftig und vollkommen, und folglich ist euer Orden abergläubisch und sinnlos.“140 Damit möchte also Luther eine andere, nicht so buchstäbliche Erfüllung dieser Weisung andeuten, die eher dem Beispiel Jesu Christi entspricht. Und er bestreitet zudem die angeblich größere Armut der Franziskaner: „Selbst die Prämonstratenser, Benediktiner und Karthäuser übertreffen in ihrer Armut euch und uns Bettelorden alle, da sie nichts haben außer dem, was ihnen von ihren Oberen übergeben wird. Wir aber gehen stets mit voll beladenen Händen, damit uns nichts fehlt.“141 Weil Luther in der Lebensform der Franziskaner nichts besonders Evangelisches erkennen kann, muss er auch die 6. These ablehnen, nach der Angriffe darauf von Seiten der „Böhmen“, der Hussiten, als „häretisch“ abqualifiziert werden.142 Nach einem weiteren Zwischenspiel zu den Stigmata des Franziskus143 greift dann Andreas Karlstadt144 noch schärfer als Luther die angeblich evangelische Lebensform der Franziskaner an, die sich mit Barfußgehen und Armsein groß tut: „Zu verabscheuen ist sicher diese neue Lebensweise und ein Sich-Täuschenlassen durch äußere Maskierung. Paulus lehrt, den inneren neuen Menschen von Tag zu Tag zu erneuern. Ihr seid also keine Christen, weil ihr ein von Christus verschiedenes und homines morantes. Igitur et istud est multo perfectius, videlicet inter turbam bene viuere quam in deserto. Ergo solutio illa nihil facit. Et per consequens sancti Francisci regula multo inferior euangelio.“ Siehe WA 59, 685,21–28. 138 Ebd.: „Licet hoc videatur, tamen Christus dixit: ‚Vade et vende omnia‘ etc., quod laici secundum precepta viuentes non faciunt, igitur adhuc est perfectior relligio [!religio].“ Vgl. Mt 19,21parr. Siehe WA 59, 685,29–31. 139 Ebd.: „Laici quidem in suis laboribus ad prolis et sui necessitatem leuandam sub preceptis viuentes perfectiores sunt nobis religiosis hanc necessitudinem non habentibus.” Siehe WA 59, 685,32–34. 140 Ebd.: „Precepit enim dominus: ‚Vade et vende omnia que possides, si vis perfectus esse‘; modo hoc Christus seruauit siue compleuit an non? Si non, ergo Christus mendax et imperfectus. Si vero compleuit, ergo perfectus et verax Christus, et per consequens religio vestra superstitiosa et inanis.” Siehe WA 59, 685,37–686,2. 141 Ebd. A 6r: „ipsi Premonstratenses, Benedictinenses, Carthusienses multo excellant sua paupertate vos et omnes nos mendicantes, cum nihil habeant, preter id quod illis a suis prelatis traditur. Nos vero plenis et onustis manibus semper ambulamus, vt nihil nobis desit.“ Siehe WA 59, 686,20–23. Der Franziskaner erwidert: „Licet hoc verum sit, tamen possessiones ac predia et bona [habent], de quibus viuant“ (ebd.; WA 59, 686,24f.). Darauf scheint Luther nicht mehr einzugehen. 142 Ebd. A 6rv. Siehe WA 59, 686f. 143 Zu These 7 (ebd. A 6v–7r; WA 59, 687,24–27). Vgl. Luthers Argument, oben Anm. 100. 144 Zu Karlstadt und Luther siehe Hammer, Militia franciscana II, 87; Franziskanerdisputation, WA 59, 656f.

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vollkommeneres Leben (nämlich des heiligen Franziskus) führt. Das Leben Christi aber ist geistlich. Verwunderlich ist andererseits, dass ihr Franziskus so viel zuschreibt. Genügte es nicht, dass er ein Christenmensch gewesen ist? Ihr aber macht euch ein Götzenbild [Idol] aus ihm.“145 Wie Luther geht es Karlstadt darum, das christliche Leben nach dem Evangelium, das stets zu erneuern ist, als inneres, geistliches Leben zu bestimmen. Von daher können die besonderen äußeren Bräuche der Franziskaner nur als unangemessene Maskerade erscheinen, die dann der zum Idol erhobenen Gründerfigur zugeschrieben werden. So greift Karlstadt vor allem den zentralen evangelischen Anspruch der franziskanischen Lebensform an: „Wahrhaftig das wundert mich am meisten, dass ihr sagt, euer Orden oder euer Aberglauben komme aus jenem Wort des Evangeliums: ‚Geh und verkaufe alles‘ usw. und Mt. 10. ‚Habt kein Geld in euren Gürteln und tragt nicht eure Vorratstaschen auf dem Weg und keine Schuhe an den Füßen.‘ Das nämlich behauptet ihr als eure mehr denn evangelische Vollkommenheit, und doch wird das alles im Evangelium geboten. Daher nenne ich euch weder Christen noch Franziskaner.“146 Karlstadt behauptet zunächst, dass die Brüder sich nicht wirklich an diese Gebote des Evangeliums oder auch ihre Regel halten.147 Doch im geistlichen Sinn unbedingten Gottvertrauens sind alle zu einem solchen Leben verpflichtet: „Und dieses Leben geloben wir alle, also ist es nicht eures allein.“148 Dagegen meint der franziskanische Respondent, „in der Armut und im Bettlersein überragten sie die anderen“.149 Aber gerade das Betteln sei durch Gottes Gesetz verboten, sagt Karlstadt unter Berufung auf Dtn 15,4: „Kein Bedürftiger und Bettler soll unter euch sein.“ Und er verweist auf das Beispiel und die Weisung des Paulus, die zum Erwerb des Lebensunterhalts die Handarbeit nahelegen: „Auch Paulus arbeitete mit seinen Händen, wodurch er sich das Notwendige zum Lebensunterhalt verschaffte, um anderen nicht zur Last zu fallen. Zudem hat er dasselbe gelehrt, wir sollten mit den Händen arbeiten. Denn ‚wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen‘. Also ist das Bettlersein nicht Vollkommenheit, sondern Gebrechlichkeit und Schwäche, ja Sünde, weil vom göttlichen Recht verboten.“150 145 Zur These 8 siehe Disputationes Minoritice, A 7r: „Abhorrendus certe iste modus viuendi nouus et externa decipi larua. Paulus docet renouandum nouum hominem interiorem de die in diem. Christiani ergo non estis, quia aliam a Christo et perfectiorem (sancti Francisci videlicet) vitam geritis. Vita vero Christi spiritualis. Ast mirum est, vos tanta tribuere Francisco. Sufficeret, ne hominem christianum eum fuisse. Vos autem fingitis vobis ydolum ex eo.“ Vgl. 2 Kor 4,16. Siehe WA 59, 688,7–13. 146 Ebd.: „Verumtamen hoc miror potissimum, quod dicatis vestre relligionis [!] siue superstitionis fundamentum ex euangelij illo: ‚Vade et vende omnia‘ etc. et Matth. 10.: ‚Non habeatis pecunias in zonis, neque portaueri­tis peras vestras in via, aut calceos in pedibus‘; idcirco dico nec vos christianos nec franciscanos esse.“ Vgl. Mt 19,21parr und Mt 10,9. Siehe WA 59, 688,16–22. 147 Ebd. A 7rv: „precepta euangelij aut perfectionis vestre non seruatis, cum tamen habeatis calceos et magnos saccos portatis“. Siehe WA 59, 688,24–26. Karlstadt spielt wohl auf die Schuhe und großen Bettelsäcke der nicht besonders regeltreuen Franziskaner aus der Saxonia St. Johannis Baptistae an. 148 Ebd. A 7v: „Et hanc vitam omnes profitemur, et non vestra sola.“ Siehe WA 59, 689,9f. 149 Ebd.: „Paupertate et mendicitate se excellere alios.“ Siehe WA 59, 689,11. 150 Ebd.: „Paulus etiam laborabat suis manibus, quo victus necessitudinem levaret, ne grauaret quemquam. Insuper docuit hoc ipsum, vt manibus laboraremus. Nam qui non laboret, non manducet. Igitur nulla in mendicitate perfectio, sed fragilitas et infirmitas, ymmo peccatum, quia prohibita iure diuino.“ Vgl. dazu 1 Thess 2,9; 2 Thess 3,8.10. Siehe WA ebd. 15–20. Mit solchen Argumenten musste sich bereits Bonaventura auseinandersetzen. Siehe die Dokumentation zu Bonaventuras Auseinandersetzung mit Wilhelm von Saint-

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Karlstadt schließt daraus: „Also durch Arbeit wäre von uns der Lebensunterhalt zu suchen, nicht in Müßiggang. Oder welche Ursache habt ihr, in Muße euer Leben zu verbringen. Der Respondent sagt, weil er alles verlassen habe. Karlstadt: Wem also bleibt die Arbeit? Der Respondent: Den Weltleuten. Karlstadt: Aha; erweise diese Lösung. Alles haben wir verlassen, also brauchen wir nicht zu arbeiten. Und es wird, glaube ich, allen gefallen, auch so alles zu verlassen, um nicht arbeiten zu müssen.“151 In diesem Wechselgespräch will Karlstadt das Leben der Franziskaner als Muße oder sogar als Müßiggang bloßstellen. Und nach dem ‚Protokoll‘ scheint der franziskanische Respondent nicht auf die klösterlichen und pastoralen Beschäftigungen der Brüder wie Gebet und Gottesdienst, Predigt und Seelsorge, Studien und häusliche Arbeiten hinzuweisen. Erst recht scheint er nichts zu wissen von der Forderung der Regeln und des Franziskus, dass sich alle Brüder einer Arbeit und sogar der Handarbeit widmen sollen, um dafür das Nötige zum Leben zu erwerben oder sich geben zu lassen.152 Zur These 9 geht es Karlstadt wieder um die Franziskus zugesagte ‚Erneuerung‘. Er meint: „Das ist unmöglich von einem Menschen, da die Erneuerung selbst durch Jesus Christus geschieht im inneren Menschen durch den Glauben. Also weder Franziskus noch ihr erneuert etwas im Glauben.“153 Auf den Einwand: „Mag auch ein Mensch den Glauben nicht ganz und gar geben können, er könnte dennoch angeregt werden durch Ermahnung und Predigt“154 erwidert Karlstadt: „Wo bleibt also Paulus, wenn er sagt, ‚Gottes sei der Bau‘ usw.? Also nicht des Menschen. Ja, Paulus sagt sogar: ,Petrus hat gepflanzt, Apollo begossen, Gott aber gab das Wachstum. Weder der ist etwas, der pflanzt, noch der, der begießt, sondern der, der das Wachstum gibt.‘ Also erneuert allein Gott, nicht ein Mensch. Zu sehr scheint ihr euch zu schmeicheln über die Vollkommenheit eures Herzens. Übrigens war er (nämlich Franziskus) gewiss ein Sünder und hat gesündigt. Daher ist er da nicht zur evangelischen Vollkommenheit gelangt. Der Herr sagt ja im Evangelium: ‚Seid vollkommen, wie auch euer himmlischer Vater vollkommen ist‘ und ‚Wenn ihr alles getan habt, was befohlen wurde, sagt: Wir sind unnütze Knechte.‘ Wenn wir unnütz sind, dann Sünder, und wir haben noch nicht die evangelische Vollkommenheit.“155 Amour anlässlich Bonaventuras Quaestio de mendicitate, bei Traver, Andrew: The Opuscula of William of Saint-Amour. The minor works of 1255–1256. Münster 2003 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie im Mittelalter, NF 63) 124. 151 Ebd. A 8r: „Igitur labore a nobis victus querendum esset, et non otio. Aut que causa vobis est in otio vitam expendere. Ait respondens: quia reliquisset omnia. Carolstadius: Quibus ergo labor manet. Respondens: Secularibus hominibus. Carolstadius: Eya proba hanc solutionem. Omnia reliquimus, igitur non laborandum. Et placebit, credo, omnibus, et sic relinquere omnia, vt non sit necessum laborare.“ Siehe WA 59, 689,31–690,2. 152 Siehe Regula Bullata 5,1–4; Regula non Bullata 7,1–11; Testamentum 20–21. In: Esser / Grau, Opuscula 368; 383; 440; Franziskus-Schriften 97f.; 75f.; 60. 153 Disputationes Minoritice, A 8r: „impossibile est id ab homine, cum ipsa renouatio fiat per Jhesum Christum in homine interiori per fidem. Igitur neque Franciscus neque vos renouatis quicquam in fide.“ Siehe WA 59, 690,11–13. 154 Ebd.: „Licet penitus fides dari ab homine non possit, excitari tamen exhortatione et sermone poterit.“ Siehe WA 59, 690,14. 155 Ebd. 8rv: „Ubi ergo Paulus manebit dicens dei edificationem esse etc.? Ergo non hominis. Immo et Paulus ait: Petrus plantauit, Apollo rigauit, deus autem incrementum dedit; neque qui plantauit, neque qui rigauit aliquid est, sed qui incrementum dedit. Ergo solus deus renouat, non homo; nimium quidem adulari vide-

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Das entspricht ganz der Selbsteinschätzung als Sünder, die von Franziskus bezeugt ist.156 Auf das nur scheinbare Entgegenkommen des Respondenten: „wir müssten uns für Sünder halten“157 antwortet Karlstadt: „So verderbt ihr die Schrift. Er sagt nicht: Haltet euch für unnütze Knechte, sondern ‚sagt es‘, weil es in Wahrheit so ist, da er doch will, all unser Reden sei wahrhaftig.“158 Schließlich kommt Karlstadt von dem paulinischen Bild der korinthischen Gemeinde her auf einen Vorwurf zu sprechen, der den Franziskanern noch lange zu schaffen machen wird: „Paulus verbietet am meisten, dass in der Kirche Spaltungen entstehen. Aber schon so viele Spaltungen entstehen, wie viele Orden es gibt. Er tadelt ja einige, die sich Leute des Petrus, des Paulus oder des Apollo nannten. Denn er sagt: ‚Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt worden‘?“159 Darauf der Respondent: „Und wenn auch die Brüder den Namen des Franziskus trügen, sie wären trotzdem auf Christus gegründet.“160 Und Karlstadt erwidert: „Allerdings! Das glaube ich auch, andernfalls auf den Teufel. So waren auch die von Paulus Getadelten auf Christus gegründet, denn abgewaschen im heiligen Quell der Taufe glaubten sie an ihn und trugen allein seinen Namen. Und dennoch wurden sie getadelt. Wenn ihr also keine Franziskaner seid, weil auf Christus gegründet, dann seid es durchaus nicht! Und weil Franziskaner, nicht des Christus, sondern des Franziskus Leute, folglich seid ihr keine Christen, sondern Ungläubige und abgesondert von der christlichen Religion. Ich weiß, das macht den ehrwürdigen Vater Martin bestürzt, und er hat daher schwere Gewissensbisse, wie auch darüber, dass sie nicht eher durch Handarbeit das Notwendige für den Leib erwerben als sich durch Almosen unterhalten zu lassen.“161 mini de perfectione cordis vestri. Ceterum constat, peccatorem eum (scilicet Franciscum) fuisse et peccasse. Igitur nun dum [!nondum] ad perfectionem euangelicam peruenit. Dicit enim dominus in euangelio: Estote perfecti, sicut et pater vester celestis perfectus est et cum feceritis omnia que precepta sunt, dicite, quia serui inutiles sumus. Si inutiles, ergo peccatores, et euangelicam perfectionem nondum habemus.“ Vgl. 1 Kor 3,9; 3,6f. (Vulgata: „Ego plantavi, Apollo rigavit ...“); Mt 5,48 und Lk 17,10. Siehe WA 59, 690,16–26. 156 Vgl. etwa Epistola toti Ordini missa 3: „frater Franciscus homo vilis et caducus“; 47: „Ego frater Franciscus, homo inutilis et indigna creatura Domini Dei.“ Siehe Esser / Grau, Opuscula 259; 263; Franziskus-Schriften 114; 119. 157 Disputationes Minoritice, A 8v: „Dixit Respondens, quod reputare nos deberemus peccatores.“ Siehe WA 59, 690,27. 158 Ebd.: „Sic scripturam corrumpitis. Non dicit: reputetis vos seruos inutiles, sed dicite, quia in veritate sic est, cum tamen vult omnem sermonem nostrum esse veracem.“ Siehe WA 59, 690,28–30. 159 Ebd.: „Paulus maxime vetat schismata in ecclesia fieri. Jam vero tot fiunt schismata, quod ordines religiosorum. Reprehendit namque quosdam, qui Petri, qui Pauli, qui Apollo dicebantur. Ait namque: ‚Numquid Paulus pro vobis crucifixus est?‘ “ Vgl. dazu 1 Kor 1,10; 12,25 und 1 Kor 1,13. Siehe WA 59, 690,31–35. 160 Ebd.: „Et si ipsi Fratres Francisci haberent nomen, nihilominus supra Christum fundati essent.“ Siehe WA 59, 690,36f. 161 Ebd.: „Nempe! Hoc ipsum credo, alias enim supra diabolum. Sic et illi a Paulo reprehensi supra Christum fundati erant, quia abluti sacro fonte baptismatis credentes in eum et solum nomen eius habentes, et tamen reprehendebantur. Si ergo non estis Francisciani [!], quia supra Christum fundati, et vtique non estis! Et quia Francisciani [!], non Christi, quia Francisci. Et per consequens non estis christiani, sed infideles et sequestrati a christiana religione. Scio et hoc moueri reuerendum patrem Martinum, et conscientiam amariorem inde habere, sicut et de illo, potius quod non manibus laborantes neccessaria habeant corporis quam elemosinis sustentari.“ Siehe WA 59, 691,1–10.

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‚Franziskaner‘ ist nicht der eigentliche und der damals übliche Name des Ordens, um den es in der Auseinandersetzung geht. Deswegen auch der Potentialis in der Aussage des Respondenten und die Schwierigkeit, zumindest im Druck den Namen richtig wiederzugeben. Aber auch unter den Namen ‚Mindere Brüder‘ beziehungsweise Minoriten oder Barfüßer und ‚Graue Brüder‘ bedeutete für Karlstadt allein ihre Berufung auf die Gründerfigur des Franziskus Spaltung, Schisma der Kirche. Dieses harte Urteil wird in etwa verständlich, weil Karlstadt um entsprechende Gewissensnöte des Augustiner-Eremiten Martin Luther weiß. Dass er die persönlichen Probleme seines Mitstreiters mit dessen Augustinersein aber in der Disputation publik macht, ist weniger gut zu verstehen. Aber vielleicht rechnet Karlstadt damit, dass Luthers Schwierigkeiten mit seinem Leben als Augustiner und Bettelbruder bereits bekannt sind. Jedenfalls sind bei Luther in der Auseinan­dersetzung mit den Franziskanern eigene existentielle Nöte mit im Spiel. Erst Karlstadt jedoch stellt die Sonderbezeichnung der Orden wie das Betteln und Leben von Almosen zur Diskussion, vielleicht weil er nicht selbst betroffen ist. Zu der 10. These stellt Melanchthon zunächst die apostolische Herkunft des Ordenslebens in Frage, weil sie biblisch fragwürdig mit dem gemeinsamen Leben der Jerusalemer Urgemeinde begründet wurde.162 Dann kommt er auf das Wort „contemplatio“ (Betrachtung) zu sprechen, das in der These nicht erscheint, aber vielleicht zu ergänzen wäre. Doch eher zielt Melanchthon damit auf den besonderen Anspruch der Ordensobservanz, der die „Kontemplation“ einschließt.163 Sie versteht er offenbar als ‚theoria‘ im Sinn der griechischen Philosophie und verweist sie aus dem Bereich christlicher Religion als „phantasma Aristotelicum“, ohne den platonischen Ursprung zu nennen oder vielleicht zu kennen.164 Demgegenüber preist Melanchthon als christlich „das süße Leben in der Ruhe des Geistes“165. Auch der Respondent denkt bei „contemplatio“ nicht an ein „phantasma Aristotelicum“, sondern an „eine gewisse Erhebung des Sinnens im Heiligen Geist zur Nachfolge Jesu“166. Insofern kann Melanchthon die These akzeptieren: „Das gemeinsame Leben ist geeigneter zur Meditation oder Kontemplation, da es unter den Stürmen der Welt Gott mehr gefällt und zu seiner Zeit Frucht bringt.“167 Doch er meint, das Wirken des Geistes und die Kraft der Liebe sei nicht so einfach zu fassen: „Ich gebe zu, dass die Liebe erfahren werden kann. Aber was heißt das: ‚mit unausprechlichem Seufzen‘, da folgt: ‚wir wissen nicht, um was wir bitten sollen?‘ Also wissen wir in uns nicht das Wirken des Geistes und folglich können wir die Liebe in uns nicht erfassen.“168

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Vgl. zu These 10 ebd. B 1r, unter Berufung auf Apg 2,44f.; 4,32–37. Siehe WA 59, 691f. Siehe oben Anm. 86f. Siehe Mieth, Dietmar: Kontemplation. In: LThK3 6, 336f. Disputationes Minoritice, B 1r: „In Christiana enim relligione [!] dulcem quandam dominus denotat vitam in quiete spiritus.“ Siehe WA 59, 691,28–30. 166 Ebd.: „Respondens dixit se non intelligere phantasma Aristotelicum, sed eleuationem quandam mentis in spiritu sancto ad sequelam Christi.“ Siehe WA 59, 692,1f. 167 Ebd.: „Vita communis aptior est meditatione aut contemplatione, cum ea inter seculi turbines plurimum placeat deo, et reddat fructum suum in tempore suo.“ Siehe WA 59, 692,3–5. 168 Ebd. A 8v: „Concedo charitatem experiri. Sed quid hoc est: gemitibus inenarrabilibus, cum sequatur: nescimus quid petamus? Igitur in nobis nescimus opus spiritus, et per consequens caritas in nobis non potest deprehendi.“ Vgl. Röm 8,26, wo allerdings das Nichtwissen um das rechte Gebet der Erfahrung des Geistes im unausprechlichem Seufzen vorausgeht. Siehe dazu WA 59, 692,11–14.

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Worauf Melanchthon wohl hinaus will, die geistlich wertvolle, gemeinsame christliche Erfahrung von Geist und Liebe lässt sich nicht vorzeigen als Beweis für den Anspruch einer Ordensgemeinschaft. Der ‚wunde Punkt‘ im damaligen Ordensleben scheint dann für ihn, ähnlich wie für Karlstadt, die Bettelarmut: „Anscheinend sind alle Bettelorden gegen Christus, da sie nicht leben von der Arbeit ihrer Hände. Und doch ist im Buch Genesis geboten: ‚Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen‘.“169 Dazu meint der Respondent: „Auch wir selbst arbeiten.“170 Melanchthon gibt ihm in gewisser Weise recht: „Auch wenn es wahr ist, dass die Arbeit des Wortes groß und ‚der Arbeiter seines Lohnes wert ist‘, wieviele gibt es schon, die nicht arbeiten und doch sich unterhalten lassen durch die Arbeit armer Leute? Die allerdings sind gegen das Evangelium, da sie essen, ohne zu arbeiten.“171 Anders als Karlstadt hebt Melan­chthon die „Arbeit des Wortes“ hervor, was vom Evangelium her den Dienst der Verkündigung meint, aber vielleicht bei ihm jeden Dienst am Wort Gottes umfasst. Damit ist über bloße Handarbeit hinaus ein weiterer Bereich christlich wertvoller Arbeit eröffnet, der sicher für das Gedeihen der Wittenberger Universität höchst notwendig war und noch mehr werden sollte. Man kann spätere Auseinandersetzungen zwischen Karlstadt und seinen Kollegen hier zumindest angedeutet sehen. Dem folgt die Diskussion um die besonders problematische 11. These, in der „den vorzüglichsten Vätern“ ein unbegrenzter Vertrauensvorschuss eingeräumt wird.172 So ist die Frage Melanchthons verständlich: „wer sollen diese Lehrer sein, deren Irrtümern wir frei folgen könnten?“173 Ohne diese Frage anscheinend im Geringsten zu beanstanden, erwidert der Respondent: „Die sind es, die den Zeiten und den Weisungen Christi und der Apostel in größter Nähe folgen.“174 Neben „Vätern“ der Frühzeit wie Polykarp, Ignatius und Klemens zählt er in zweiter Reihe christliche Lehrer der älteren Zeit auf wie Origenes, Gregor von Nazianz, Cyprian und Athanasius und dann eine Reihe von Autoren, die bis ins Mittelalter reicht: Hieronymus, Ambrosius, Augustinus, Gregor den Großen, Bernhard von Clairvaux. Er betont noch einmal die These: „Mit diesen ist es eher förderlich, zu faseln, als mit Leuten klein an Lehre gute Einsicht zu haben.“175 Der Respondent gesteht dann Melanchthon zu, dass den „Vätern“ nicht zu folgen ist, wenn sie sich gegen das Evangelium verfehlt haben.176 Doch

169 Ebd.: „Videntur omnes ordines mendicantes esse contra Christum, cum non viuant labore manuum suarum. Et tamen in Genesi preceptum est: In sudore vultus tui vesceris pane tuo.“ Vgl. Gen 3,19. Siehe WA 59, 692,21–24. 170 Ebd.: „Et ipsi nos laboramus.“ Siehe WA 59, 692,25. 171 Ebd.: „Et si verum est laborem verbi magnum esse et dignum operarium mercede sua, quot iam sunt non laborantes, et tamen pauperum hominum laboribus sustentantur; ii nimirum contra ipsum euangelium sunt, cum non laborantes manducent.“ Vgl, dazu Lk 10,7; 1 Tim 5,18. Siehe WA 59, 692,26–29. 172 Vgl. oben Anm 79; 84f. Dazu Disputationes Minoritice, B 1v–4r. Siehe Hammer, Militia franciscana I, 76–80, WA 59, 692–697. 173 Disputationes Minoritice, B 1v: „qui sint hij doctores, quorum errores libere sectari poterimus?“ Siehe WA 59, 692,36f. 174 Ebd.: „Hi sunt, qui proxime sequuntur Christi et apostolorum tempora simul et precepta.“ Siehe WA 59, 693,1f. 175 Ebd. B 2r: „Cum hijs potius hallucinari expedit, quam cum doctulis bene sapere.“ Siehe WA 59, 693,8. 176 Ebd.: „Ubi contra euangelium lapsi sunt, ibi nullo modo recipiendi.“ Siehe WA 59, 693,13f.

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1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie

er kann überhaupt keinen Irrtum nennen, dem zu folgen wäre. Das einzige Beispiel, das er zu nennen wagt, betrifft die Auslegung des Streits zwischen Petrus und Paulus nach Gal 2,11ff.: „Zwischen Petrus und Paulus gab es einen Irrtum, wo Paulus nach Hieronymus sündigte, als er Petrus tadelte.“177 Dem entgegnet Melanchthon: „Ganz klar ist der kanonische Text, dem viel mehr zu folgen ist als den Lehrern, dass Petrus geirrt hat. Dem Irrtum soll man also folgen?“178 Melanchthon stellt dann klar: „Wie sind Irrtümer zu fassen, ohne durch die Richterin Schrift? Und sie haben wir als einzige, geschrieben mit dem Blut Christi, fromm und wahr. Ich wollte nicht dieses Beispiel [des Petrus und Paulus] gehabt haben, sondern etwas zwischen den Lehrern der Kirche, da dieses für uns schwierig ist. Denn die Unsern sind nicht darauf eingestellt, hier die Apostel zu behandeln, sondern die Lehrer und Väter. Ich ersuche also, wenigstens einen Irrtum anzugeben, wovon ich selbst unzählige kenne. Aber erstaunlich behauptet ihr in eurer Schlussfolgerung, es sei eher mit den Früheren zu faseln als mit Leuten klein an Lehre eine gute oder ungewöhnliche Einsicht zu haben; und ihr habt kein Beispiel. Ihr scheint freilich auf gewisse Leute einzuschlagen. Daher frage ich nicht nach einer Person, sondern nur nach irgendeinem Irrtum, dem zu folgen oder nicht zu folgen angebracht sein soll. Und da ihr keinen angebt, nehme ich selbst einen. Jenen nämlich bei den Galatern: ‚Der Gerechte lebt aus dem Glauben‘, wo der heilige Hieronymus auslegt: ‚Zuerst sei der Mensch gerecht durch weltliche Gerechtigkeit und dann wird er gerecht gemacht durch die wahre Gerechtigkeit, da der Glaube hinzukommt‘. Nehmt ihr ihn an, frage ich, dass er Wahres gesagt hat?“179 „Ganz und gar“, meint der Respondent.180 Doch Melanchthon muss dem widersprechen: „Er denkt gegen andere Lehrer und die Schrift, da der Glaube den Menschen gerecht macht. Und aus dem Grund, aus dem wir den einen Irrtum annehmen, müssen wir erst recht einen andern annehmen.“181

177 Ebd.: „Inter Paulum et Petrum fuit error, vbi Paulus increpando iuxta sententiam Hieronymi peccauit.“ Siehe WA 59, 693,24f. 178 Ebd.: „Apertissimus est textus canonicus, cui fides maxime est adhibenda quam doctoribus, quod Petrus errauit. Ergo sequendus est error?“ Siehe WA 59, 693,26–28. 179 Ebd. B 2rv: „Quomodo deprehendantur errores, non iudice scriptura. Et eam habemus vnicam, sanguine Christi scriptam, piam et veram. Nolui hoc exemplum habuisse, sed aliquod inter doctores ecclesie, cum difficile nobis sit, et non instituti nostri tractare hic apostolos, sed doctores et patres. Quero igitur, vel vnum saltem errorem dari, quorum innumeros ipse noui. Sed mirum dicitis in conclusione, potius hallucinandum cum prioribus quam cum doctulis bene sapere siue inuulgariter, et nullum vobis est exemplum. Videmini quidem in quosdam impingere. Igitur non quero personam, sed tantum errorem quempiam, quod sequendum vel non sequendum expediens sit. Et cum nullum detis, accipio igitur ipse vnum: Illum videlicet ad Galatas Iustus ex fide viuit, quod diuus Hieronymus exponens dicit: Primo hominem iustum mundana iustitia, et deinde iustificatur iustitia vera, fide superueniente. Hunc, quero, admittatis verum dixisse?“ Siehe WA 59, 693,31–694,7. Vgl. dazu Gal 3,11; siehe dazu Hieronymus: Commentariorum in Epistolam ad Galatas liber II. cap. 1 [zu Gal 3,11.12] (PL 26, 358–360). Die von Melanchthon angeführte Sentenz findet sich hier nicht wörtlich, allenfalls dem Sinn nach. 180 Ebd. B 2v: „Respondens: Omnino.“ Siehe WA 59, 694,8. 181 Ebd.: „Sentit contra alios doctores et scripturam, cum fides iustificet hominem. Et ea ratione qua vnum errorem admittimus, vtique et alium admittere necessum.“ Siehe WA 59, 694,9–11.

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Der Respondent findet das nicht immer so schlimm. Für Melanchthon ist diese Gelassenheit unverständlich, außer wenn etwa eine bloße Meinung zur Diskussion gestellt würde, die den Glauben nicht direkt betrifft. Aber selbst dann wäre es fragwürdig, eher einem Irrtum zu folgen als mit Leuten klein an Lehre ungewöhnliche Einsicht zu haben.182 Nach dem Franziskaner sind damit nur einige Neuere gemeint, vor allem Thomas von Aquin, was Melanchthon für ein persönliches, nicht in der Sache begründetes Vorurteil hält.183 Der Franziskaner möchte sein Urteil ganz an der Heiligen Schrift festmachen: „Wann jemand außerhalb der Schrift etwas erwiesen haben sollte, dort ist er nicht anzunehmen. Aber wo mit der Schrift, dort ist seine Autorität durchaus anzunehmen.“184 Melanchthon unterstellt nun anscheinend ein legalistisches Verständnis der Schrift und ihrer Autorität. Aber ohne das eigens zu sagen, geht er auf den Themenbereich Christus und Mose, Gnade und Gesetz ein: „Ihr nennt Christus einen Gesetzgeber. Das scheint nicht gut gesagt, da es gegen Paulus Röm 3 ist, der Christus ohne Gesetz behauptet, Mose aber als Gesetzgeber. Und so verdrängt der Apostel diese Bezeichnung; denn Christus ist der Ursprung von Gnade und Barmherzigkeit.“185 Doch der Respondent meint vom Gesetz Christi: „dies Gesetz ist nicht im Gegensatz zur Gnade, sondern ist die Gnade selbst.“186 Das kann sich Melanchthon nicht vorstellen: „Also sind Gesetz und Gnade ein und dasselbe. Das fasse ich nicht, und ich sehe nicht, wie das geschehen könnte.“187 „Für die Menschen in Furcht ist das Gesetz freilich Gesetz, für die in Liebe ist es Gnade“, erklärt der Franziskaner.188 Daraus folgt für ihn: „für den Menschen ist das Gesetz unmöglich [zu erfüllen] ohne die Gnade, in der Gnade aber ist es möglich“189. Melanchthon hält die Gesetzeserfüllung selbst in der Gnade für unmöglich: „solange wir nämlich in uns die verkehrten Neigungen spüren, erfüllen wir das Gesetz nicht. Diese Neigungen aber werden uns niemals völlig fehlen. Also wird das Gesetz durch uns nicht erfüllt und ist so unmöglich.“190

182 Ebd.: „Satius ergo est, cum eo errare quam cum doctulis inuulgariter sapere?“ Siehe WA 59, 694,24f. 183 Ebd: „Ubi Thomas cum euangelio sentit, quare, rogo, non accipiendus? Sed video personarum acceptionem apud vos, vt vni plus faueatis cetero.“ Siehe WA 59, 694,33–35. 184 Ebd.: „Quando aliquis praeter scripturam probauerit, ibi non accipiendus, sed vbi cum scriptura, ibi recipienda eius auctoritas.“ Siehe WA 59, 694,36–38. 185 Ebd.: „Christum legiferum dicitis, id quod non videtur bene dictum, cum sit contra Paulum Rom. 3. Christum sine legem asserentem, Mosen vero legiferum. Et sic Apostolus reprimit epitheton illud, nam Christus gratie et misericordie parens.“ Vgl. dazu Röm 3,21ff. Siehe WA 59, 695,1–4. Hier dürfte vielleicht ein Argument der franziskanischen Seite zum „Gesetzgeber Christus“ vorausgesetzt sein, das in der Überlieferung des Geschehens verloren gegangen ist. 186 Ebd.: „ea lex non est contraria gratie, sed est ipsa gratia“. Siehe WA 59, 695,5f. 187 Ebd. B 3r: „Ergo lex et gratia sunt vnum et idem; id mihi non capitur, nec video, quomodo fieri possit.“ Siehe WA 59, 695,7f. 188 Ebd.: „Lex quidem timentibus lex, amantibus vero gratia est.“ Siehe WA 59, 695,9f. 189 Ebd.: „Respondens dixit homini absque gratia impossibilem esse legem, in gratia vero possibilem.“ Siehe WA 59, 695,17f. 190 Ebd.: „quamdiu enim in nobis prauos sentimus affectus, lex nobis non impletur. His vero scilicet affectibus nunquam penitus caremus. Ergo lex nobis non impletur et sic impossibilis.“ Siehe WA 59, 695,24–27.

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1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie

Das läuft auf die damals und bis heute ungewöhnliche reformatorische Überzeugung hinaus, dass infolge der unmöglichen Erfüllung des Gesetzes ein Mensch durch die rechtfertigende Gnade zugleich gerecht und ein Sünder sein kann. Mit dem Themenbereich der franziskanischen Thesen scheint das zwar nicht direkt in Verbindung zu stehen, jedoch indirekt, insofern die 11. These sich gegen die neue ungewöhnliche Wittenberger Theologie richtet. Dass die Brüder das nicht offen zu erkennen geben, wirft ihnen zum Schluss Luther vor: „So kämpft ihr freilich im Finstern und tut nichts im Licht. Wenn ihr etwas gegen jemand haben solltet, solltet ihr es ihm offen gesagt haben, und nicht mit einem Schatten und mit einer bestimmten Maskerade kämpfen, damit ihr ohne etwas zu vollbringen, nachher Großes umgetrieben zu haben scheint. Ich sage euch: Völlig falsch ist diese These, gegen Paulus und gegen die Heilige Schrift, da ihr niemand vorstellen konntet, dessen Irrtum zu folgen ist. Thomas habt ihr sofort preisgegeben. Aber ich höre sehr wohl, dass ihr Scotisten seid.“191 Nun erwidert der Doktor, also Fontinus selbst: „Auch Euer Ehrwürden verwirft bisweilen den Thomas.“192 Darauf Luther: „Das ist wahr. Aber er hat kein ungewöhnliches Verständnis, sondern ein allzu gewöhnliches. Allzu gewöhnlich nämlich ist einer, der ein Verständnis hat gegen das Evangelium. Und dort verwerfe ich ihn. Wenn er aber anderswo mit der Schrift redet, wird er umarmt, wie die übrigen Lehrer. Oder gebt einen Irrtum von ihm, der nicht gewöhnlich wäre. Darüber hinaus sagt ihr, Paulus habe geirrt, als er Petrus tadelte oder ihm widerstand, und der Irrtum des Petrus sei nicht verderblich.“193 Der franziskanische Kollege Luthers, Petrus Fontinus, möchte offenbar dessen Thomas-Kritik für die eigene scotistische Schultradition vereinnahmen und damit den Dissens zur neuen Theologie Luthers und der Wittenberger Reformgruppe eher herunterspielen. Aber Luther spielt da nicht mit, da er das Kriterium der Heiligen Schrift für seine theologische Stellungnahme zu allen Schulen und Positionen betont und den Dissens mit den Franziskanern bezüglich des antiochenischen Streits des Paulus mit Petrus wieder in Erinnerung ruft. So deutet er an, dass sich der Dissens auf die für ihn zentrale Rechtfertigungslehre bezieht. Dabei hilft es nicht, wenn sich der franziskanische Respondent, wohl ein Schüler des Fontinus, für seine Sicht des Streits in Antiochia auf Athanasius und Hieronymus beruft.194 Denn dieses Argument mit patristischen Autoritäten kann Luther nicht beeindrucken:

191 Ebd. B 3v: „Sic quidem pugnatis in tenebris, et nihil in luce agitis. Si quippiam habuissetis contra aliquem, palam dixissetis illi, et non cum umbra aut cum larua quedam pugnare, vt iam nihil perficiendo, postea videamini grandia peregisse. Dico vobis: Falsissima est hec propositio, contra Paulum et contra sacram scripturam, cum non poteritis quemquam prestare, cuius error sequendus sit. Thomam statim tradidistis, sed optime audio Scotistas vos esse.“ Siehe WA 59, 696,14–20. 192 Ebd.: „Respondit doctor: Reuerentia vestra quoque interdum reiecit Thomam.“ Siehe WA 59, 696,25f. 193 Ebd.: „Verum est. Sed non sapit inuulgariter, sed nimis vulgariter. Nimis enim vulgaris est sapiens contra euangelium. Et mihi ibi rejicitur. Alias autem cum scriptura loquens amplexatur, et ceteri doctores. Aut detis errorem ex eo, qui non sit vulgaris. Insuper dixistis, quod Paulus errauerit Petrum increpando aut ipsi resistendo, et non esse pernitiosum erorem Petri.“ Siehe WA 59, 696,27–32. 194 Ebd.: „Respondens dixit, quod non sit pernitiosus error adducens ad hoc Athanasii et Hieronymi expositiones, quod sic esset.“ Siehe WA 59, 696,33f.

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„Mag das Athanasius oder ein Sterblicher sagen. Mehr Kraft hat für mich Paulus als alle jene. Und der Text hat ausdrücklich: ‚Aber als ich sah, dass er nicht nach der Wahrheit des Evangeliums vorging‘ usw. Ich höre freilich, dass ihr auch Erasmus und Hieronymus gelesen habt, die dort allerdings ein ganz schlechtes Verständnis haben.“195 Solche Kritik an Hieronymus und Erasmus von Rotterdam, der sich besonders gern auf Hieronymus bezieht, ist damals bei Luther schon üblich196, aber offenbar für den Franziskaner noch neu. Als Luther dem Apostel Petrus eine Abweichung von der „Wahrheit des Evangeliums“ vorwirft, entgegnet der Respondent sogar: „zu der Zeit sei das Evangelium noch nicht vorgetragen gewesen.“197 Dazu erwidert Luther ironisch: „Das wäre sicher eine gute Schriftauslegung. Paulus sagt, er [Petrus] habe nicht zur Wahrheit des Evangeliums gestanden; und ihr leugnet, dass es das Evangelium gegeben hat. Nicht vorgehen gemäß der Wahrheit des Evangeliums heißt: im Glauben irren, und das ist der verderblichste Irrtum. Ja, nach Paulus ist ein Irren gegen die Gnade selbst, die die Sünden vergibt, schwerwiegender als selbst ein Irren gegen das Gesetz, als gegen das, was nach einer anderen Stelle gleichsam die Sünde macht. Und nun hier: ‚Wenn wir, die wir gerechtfertigt sind, noch gerechtfertigt werden wollen, ist also Christus Diener der Sünde‘. So disputiert nämlich der Apostel im 1. und 2. Kapitel gegen Petrus, der die Menschen zwang, sich jüdisch zu verhalten. Wollt ihr also, man soll eher jenem Irrtum des Hieronymus folgen als mit Leuten klein an Lehre ein ungewöhnliches Verständnis haben?“198 Hier geht es Luther deutlich um das zentrale Verständnis der Rechtfertigung in Christus, allein durch den Glauben an das Evangelium, und nicht durch Einhalten des Gesetzes, das Petrus und den ‚Judaisten‘ nach Paulus nicht gelingt.199 Für Luther wird das neu aktuell und existentiell entscheidend in der Kritik der legalistischen Tradition in Orden und Kirche. Deswegen stellt er dieses Beispiel so groß heraus. Der Hinweis auf die andersartige Auslegung 195 Ebd.: „Dicat Athanasius vel mortalis. Potior michi Paulus est quam omnes illi. Et textus expresse habet: Sed cum vidissem, quod non incederet ad veritatem euangelii etc. Audio quidem, Erasmum quoque vos legisse et Hieronymum, qui ibidem quidem pessime sapiunt.“ Vgl. Gal 2,14. Siehe WA 59, 396,35–397,3. Dazu Hieronymus, Comment. in Ep. ad Gal. lib. I. cap. 2 [ad Gal 2,11–14] (PL 26, 338–341); Erasmus, Desiderius: Novum Testamentum omne [...] cum annotationibus. Basel 1516, 512. 196 Zu Luthers Verhältnis bereits 1516 zu Erasmus und Hieronymus vgl. Kruse, Universitätstheologie 48–50, 99f., mit dem er freilich noch keine Schule machte (ebd. 112, 136). Erst um 1519 kritisiert Melanchthon Hieronymus (ebd. 226; siehe dazu oben Anm. 178f.; 181) und ab 1521 dann explizit Erasmus. Siehe Kruse, Universitätstheologie 286. 197 Disputationes Minoritice, B 4r: „Respondens respondit ad argumentum, quod eo tempore non fuerit prolatum euangelium.“ Siehe WA 59, 697,7f. 198 Ebd.: „Illa certe bona expositio scripturarum. Paulus dicit eum [Petrum] non sensisse ad veritatem euangelij, et vos negatis euangelium fuisse. Non incedere secundum veritatem euangelij est errare in fide, et ille error est pernitiosissimus; ymmo iuxta Paulum errare contra gratiam ipsam, que peccata dimittit, est grauius quam contra legem ipsam, quam alias quam [!quasi] facit peccatum. Et idem: ‚Si ergo adhuc nos qui iustificati sumus in Christo, iustificari querimus, ergo Christus peccati minister est.‘ Sic enim apostolus primo et secundo capite disputauit contra Petrum, qui iudaisare cogebat homines. Vultis igitur sequendum illum errorem Hieronymi potius quam cum doctulis inuulgariter sapere?“ Vgl. dazu Gal 2,14. 16f. (freie Zusammenfassung) mit Hinweis auf den Kontext von Gal 1–2. Siehe WA 59, 697,9–19. 199 Vermutlich zitieren die franziskanischen Disputanten den ‚antiochenischen Zwischenfall‘ (Gal 2,11–14), um auf Luthers Galaterbriefvorlesung von 1516/17 kritisch einzugehen. Siehe dazu Hammer, Militia franciscana I, 81 Abstract nr. 4. Zur Behandlung des ‚antiochenischen Zwischenfalls‘ in dieser Galaterbriefvorlesung Luthers, vgl. LWA 5, 330f.; WA 57, 65–67.

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1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie

bei Erasmus von Rotterdam, der gleichsam zur Entschuldigung vorgebracht wird200, hat da für Luther kaum noch Bedeutung: „In diesem Teil genügt Erasmus nicht. Mehr als allen muss man dem Apostel zugestehen. Wie wollt ihr anders die Heilige Schrift verteidigen? Oder wenn das ausgedehnt werden soll, lasst uns wieder zum Kampf rufen, sofern nicht die Auseinandersetzung und Entscheidung bei Augustinus und Hieronymus genügt.“201 Nach dem Eingeständnis der Franziskaner, das sei genug, ermahnt Luther sie: „Ihr dürftet uns freilich nicht lehren, dass wir Irtümern folgen, sondern eher der Wahrheit, ohne Ansehen der Person. Denn das ist irreführend und völlig gegen die Heilige Schrift.“202 Die Franziskaner hatten bereits die Bedeutung ihres Ordensheiligen Franziskus, die der von ihm ausgehenden Lebensform der Brüder und die seiner Stigmata nicht mehr so recht in die neue kritische theologische Atmosphäre der Wittenberger Universität übertragen können. Das mag mit den Mängeln in der Vorbereitung und gegenseitigen Abstimmung ihrer Argumentation gemeint sein, die Luther am Ende der Disputation feststellte.203 Doch vor allem passte der erbauliche Ton in den Thesen der Franziskaner über Franziskus und ihren Orden, jedenfalls wie sie überliefert sind, nicht in eine kritische akademische Öffentlichkeit. Sie schienen ohne tiefere Überlegung und erst recht ohne vorheriges Überdenken möglicher kritischer Anfragen einfach die eigene geheiligte Tradition zu verfechten. So mussten sie infolge der Entwicklung der reformatorischen Theologie, die bereits zu heftigen Diskus­ sionen geführt hatte, den Widerspruch provozieren. Vielleicht wollten die franziskanischen Theologen sich selbst in diese Diskussionen einschalten, was besonders die 6. These und die letzten beiden nahelegen. Denn sie richteten sich gegen radikale Hussiten, gegen nicht näher bestimmte „Verleumder“ und gegen neuere Lehrer „klein an Lehre und Wissen“, die wohl die Konkurrenz in der Nähe meinten. Aber wenn das so gedacht war, hätten die Brüder das neue theologische Denken in Wittenberg intensiver kennen lernen müssen. Die mangelnde Kompetenz und Kenntnis der franziskanischen Disputanten sollen allerdings geradezu vorgeführt werden; denn das entspricht der massiven antifranziskanischen Tendenz und der einseitigen, selektiven Darstellung des Geschehens im überlieferten Druck. Doch dass der damit hervorgerufene Eindruck in etwa zutrifft, ist doch wahrscheinlich. Wie viele andere zeitgenössische Theologen waren die Franziskaner, die sich in Wittenberg zur Diskussion stellten, offenbar nicht vorbereitet auf die Kraft des neuen theologischen Denkens, das mit großer Entschiedenheit und existentiellem Ernst auf sie zukam. Die Argumente, die dabei besonders in Bezug auf die traditionelle Sicht der franziskanischen Lebensform vorgetragen wurden, sollten in der weiteren Reflexion und Diskussion die theologische Begegnung der Franziskaner mit der Reformation über den Bereich der 2 00 Ebd.: „Erasmus etiam sic exposuit.“ Siehe WA 59, 697,20. Vgl. Erasmus, Novum Testamentum omne 512. 201 Ebd.: „Non sufficit Erasmus in ea parte. Plus omnibus apostolo tribuendum est. Quomodo aliter velitis defendere sacram scripturam. Aut si placet latius, reuocemus in pugnam, si non sufficit Augustini et Hieronymi concertatio et diffinitio.“ Siehe WA 59, 697,21–24. Vgl. Augustinus, Aurelius: Epistolae 28, 40, 75, 82 (CSEL 34/1, 103–113; 34/2, 69–81, 280–324, 351–387). Siehe auch Luther: Galaterbriefvorlesung 1516/17, WA 57, 65–67; LWA 5, 330f. 202 Ebd.: „Non quidem deberetis nos docere, vt insequeremur errores, sed potius veritatem, nullo respectu persone. Est igitur erronea et sacre scripture repugnans penitus.“ Siehe WA 59, 697,26–28. 203 Ebd.: „Vehementer miror, non prius inter vos conuenire de sancto Francisco quam publice disputationi inserere.“ Siehe WA 59, 697,28f. Vgl. auch oben Anm. 101.

Die Wittenberger Franziskanerdisputation

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Saxonia hinaus entscheidend bestimmen. Die ausführliche Darstellung scheint daher sinnvoll, weil ähnliche Argumente in den späteren Diskussionen erneut auftauchen. Diese Kapitels-Disputation macht bereits sichtbar, weshalb die Franziskaner oft den Argumenten der Gegenseite nicht standhalten konnten und dabei in keinem guten Licht erschienen. Die bloße Wiederholung traditioneller Argumente, ohne selbstkritische Befragung des eigenen Lebens und der eigenen Tradition, konnte mehr und mehr nicht einmal alle Brüder überzeugen, so dass mit der Wittenberger Disputation von 1519 die spätere Entscheidung für oder gegen die Reformation sich bereits ahnen lässt. In der Franziskanerdisputation tritt die Wittenberger Reformergruppe erstmals gemeinsam in die Öffentlichkeit. Bereits in Leipzig waren zwar Karlstadt und Luther gemeinsam gegen Johannes Eck zur Verteidigung der neuen Wittenberger Theologie angetreten. Doch nun melden sich noch weitere Mitstreiter zu Wort, vor allem Philipp Melanchthon, der als jüngster Theologe mit zwei inhaltlich bedeutsamen Auftritten die reformatorische Theologie ähnlich kompetent wie Luther in das Gespräch einbringt. Und obwohl Luther mit den Anderen die franziskanische Lebensform als evangeliumsfern einstuft, so bringt er eher verhalten das Problem des Lebensunterhalts von Ordensleuten durch Betteln zur Sprache. Das hängt mit der Verstrickung seines eigenen Ordens in dieses Problem zusammen, die er nur andeutet, die ihn aber im Gewissen bedrängt. Dagegen artikuliert Karlstadt dieses Problem sehr massiv, indem er ein Leben ohne Handarbeit als bloßen Müßiggang hinstellt, während Melanchon neben der Handarbeit auch die „Arbeit des Wortes“ als bedeutsam und ihres Lohnes wert anerkennt. Diese Unterschiede lassen sich erkennen. Doch es bleibt fraglich, wie weit sich damit bereits späterer Streit ankündigt.204 Obwohl Melanchthon selbst, anders als Luther, Erasmus von Rotterdam noch nicht beim Namen nennt, wird bei beiden in der Franziskanerdisputation die kritische Distanz zu dessen Galater-Auslegung bereits sichtbar. Eigenartig ist bei Melanchthon die Ablehnung des vermuteten aristotelischen Einflusses auf die Spiritualität der Franziskaner, wohl weil er als theologischer Anfänger die Schultradition der Brüder weniger kennt.205 Doch sowohl Melanchthon wie Luther weisen deren pauschalen Anti-Thomismus zurück, weil er ihnen als parteiliches Vorurteil erscheint. Erst Luther aber kennzeichnet diese Thomaskritik als durchsichtiges Manöver franziskanischer Scotisten.206 Die franziskanischen Brüder, deren Persönlichkeiten im ‚Protokoll‘ kaum zu unterscheiden sind, überzeugen selbst in ihrer einhelligen Berufung auf Bonaventura die Opponenten nicht; denn sie nehmen ihn zu fraglos als in jeder Hinsicht gültige Autorität in Anspruch, besonders für ein Bild des heiligen Franziskus, das ihren Opponenten als Idol erscheint. Insgesamt beurteilen die Wittenberger Reformer die Autoritäten der Vergangenheit, selbst die Kirchenväter, von der Heiligen Schrift und vor allem von deren Mitte, dem Evangelium. 204 Das generelle Vorurteil Karlstadts gegen ein Leben ohne Handarbeit in ‚Muße‘ für Meditation, Studium, Predigt und Lehre richtet sich später gegen das universitäre Lehramt selbst. Vgl. Schlageter, Das Franziskanerkloster in Wittenberg 108f. Anm. 113–115. 205 Vielleicht ist das der Grund, weshalb Melanchthon diesen Vorwurf bald nicht weiter verfolgt, sondern nur noch die ‚Unaussprechlichkeit‘ eines wahrhaften Ergriffenseins vom Heiligen Geist gegen den besonderen Anspruch einer franziskanischen vita contemplativa ins Feld führt (vgl. oben Anm. 167f.), um dann zur leichter greifbaren Frage des Lebensunterhalts durch Arbeit überzugehen (siehe oben Anm. 169). 206 Speziell scotistische Lehren werden in der gesamten Diskussion nicht sichtbar. So ist der Hinweis Luthers auf einen antithomistischen Scotismus eher als argumentum ad hominem zu verstehen – gegen Petrus Fontinus [von Borna], den franziskanischen Inhaber des scotistischen Lehrstuhls an der Wittenberger Universität.

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1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie

Damit wird jede traditionelle und kirchliche Autorität dem Gericht, der Kritik, der Heiligen Schrift unterworfen.207 Wegen der größeren Nähe zum Verständnis der paulinischen Rechtfertigungslehre als Zentralbotschaft des Evangeliums, wie sie die Reformatoren sehen, wird etwa Augustinus dem in dieser Hinsicht ‚irreführenden‘ Hieronymus vorgezogen. Obwohl sich Melanchthon auf den Streit zwischen den Aposteln Petrus und Paulus in Antiochia lieber nicht näher einlassen will, ist er im Grunde mit Luther einig, dass vom Text des Galaterbriefes her die ambivalente Haltung des Petrus als Abweichung von der Wahrheit des Evangeliums zu werten ist. Diese kritische Sicht der Glaubenstradition ganz von der Rechtfertigungslehre her können allerdings die Franziskaner wie die meisten Theologen der Zeit weder verstehen noch anerkennen,208 obwohl zur Zeit der Disputation deren Konsequenzen für Lehre und Praxis des christlichen Glaubens noch nicht so deutlich wurden.

1.4. Augustins von Alveldt Einsatz für die päpstliche Autorität Bereits seit den Ablassthesen Luthers von 1517 ging es um die Frage der päpstlichen Auto­ rität in der Kirche. Unter Berufung auf päpstlichen Auftrag traten ja die Ablassprediger auf. Luthers Angriff auf die Ablasspredigt gab daher seinen Gegnern Anlass, von Luther die Anerkennung der päpstlichen Autorität einzufordern. Das verschärfte sich noch, als im Sommer 1518 gegen Luther der römische Prozess eröffnet wurde und er sich vom 12.–14. Oktober einem wenig freundlichen Verhör vor dem päpstlichen Legaten, dem Kardinal Thomas de Vio von Gaeta (Cajetan), stellen musste. Dabei hatte Luther aufgrund der Heiligen Schrift die unbedingte Autorität des Papstes in Frage gestellt, am 28. November 1518 gegen den Papst an ein allgemeines Konzil appelliert, was er dann trotz der Vermittlungsversuche des päpstlichen Kammerjunkers Karl von Miltitz nicht mehr zurücknahm.209 Im Vorfeld der Leipziger Disputation spitzte sich Luthers Kritik am Papsttum trotz gegenteiligen Rats etlicher Freunde wie etwa Karlstadts noch zu.210 In diesen Zusammenhang gehörte schon im Frühjahr 1519 die These des Wittenberger Augustinerlektors im Gespräch mit den Jüterboger Franziskanern, der Papst sei nicht der „vicarius Christi“211 und Luthers Verteidigung dieser These in seinem Brief an die Jüterboger Franziskaner.212 Als Luther dort das „göttliche Recht“ aller hierarchischen Unterordnung in der Kirche unter Berufung auf Hieronymus in Frage stellte, kommt er zur Schlussfolgerung:

207 Vor allem in diesem Punkt zeigt sich eine gewisse Parallele zur vorherigen Jüterboger Auseinandersetzung. Vgl. oben Anm. 32; 64. 208 Das gilt freilich nur insoweit, als sich bei den Wittenberger franziskanischen Disputanten in der Disputation nicht ein teilweises Umschwenken zur reformatorischen Theologie abzeichnet. Das wäre von ihrer späteren Geschichte her nicht unmöglich, lässt sich aber im ‚Protokoll‘ nicht erkennen, das nur die Hilflosigkeit der Franziskaner und ihre deutliche Niederlage dokumentieren möchte. 209 Brecht, Luther I, 231–263: „VII. Die ersten Phasen des kirchlichen Prozesses gegen Luther bis zum Sommer 1519“. 210 Ebd. 285–295. 211 Siehe oben Anm. 32. 212 Siehe WA Br 1, 387–393, bes. 393,131–142.

Augustins von Alveldt Einsatz für die päpstliche Autorität

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„Also ist der Papst allein aus menschlichem Recht Stellvertreter Christi, wie auch zu Rom an der Laterankirche, der Mutter aller, geschrieben ist.“213 Eine ähnliche These formulierte Luther auch gegen Johannes Eck, als ihn dieser in die Leipziger Disputation mit Andreas Karlstadt hineinzog, und baute sie noch vor der Disputation zu einem kurzen Traktat „über die Vollmacht des Papstes“ aus.214 „In der Auseinandersetzung über den päpstlichen Primat, die es bis dahin in der Geschichte der Christenheit in diesem Ausmaß nicht gegeben hatte, liegt die epochale Bedeutung der Leipziger Disputation. Durch die kritische Infragestellung des Primats erfolgte ein wichtiger Schritt hin zu Bildung einer eigenen Reformationskirche.“215 So fasst M. Brecht, ganz aus späterer Sicht, das Ergebnis der entsprechenden heftigen Diskussion zwischen Eck und Luther zusammen.216 Die Primatsfrage beschäftigte jedenfalls nun alle, die für oder gegen Luther Stellung bezogen, von gegnerischer Seite besonders den Leipziger Theologen Hieronymus Dungersheim von Ochsenfurt und den Hofkaplan des sächsischen Herzogs in Dresden Hieronymus Emser, die sich infolge der Leipziger Disputation mit Luther auseinandersetzten.217 Aber unabhängig von ihnen,218 auf Anregung des enttäuschten Vermittlers Karl von Miltitz219 und des Bischofs von Merseburg, Adolph von Anhalt,220 greift 1520 ein noch unbekannter Franziskanerlektor aus Leipzig,221 Augustin von Alveldt, in die Diskussion über den päpstlichen Primat ein.222 Alveldt nahm am dortigen 213 Ebd. 393,141–142: „Igitur Papa solum humano iure est vicarius Christi, sicut etiam Romae scriptum est in Ecclesia, matre omnium, Lateranensi.“ Vielleicht bezieht sich Luther hier auf eine Inschrift, die die Erbauung der Lateranbasilika durch Kaiser Konstantin bezeugt, also die entscheidende Initiative zu dieser „Mutterkirche“ nicht beim Papst, sondern beim Kaiser sieht. 214 Vgl. Brecht, Luther I, 288f. 293f. 215 Ebd. 302. 216 Vgl. zum Ganzen ebd. 302–305. 217 Ebd. 315, 317–319. 218 Zu Unrecht sah Luther in den Leipziger Theologen, besonders in Hieronymus Dungersheim von Ochsenfurt, die Veranlasser, ja die eigentlichen Autoren von Alveldts Widerspruch. – Der heutigen Schreibweise des Geburtsortes „Alfeld“ bei Hildesheim, wo der spätere Franziskaner Augustin vor 1485 geboren wurde und nach dem er sich nannte, wird die damalige Schreibweise „Alveldt“ (latinisiert: „Alveldensis“ oder „Alveldianus“) vorgezogen. 219 Zum Briefwechsel Alveldts mit Karl von Miltitz, siehe Cyprian, Ernst Salomon: Der andere Teil Nützlicher Uhrkunden zur Erläuterung der ersten Reformationsgeschichte [...] Aus denen Originalien ans Licht gestellet [Teil II]. Leipzig 1718, 160–162. Daraus geht sogar hervor, dass neben der Inanspruchnahme durch Aufgaben im Konvent auch der Widerstand der „Patres“ einer literarischen Auseinandersetzung Alveldts mit der Reformation im Wege stand: „Non te lateat volo, quod patres mihi mandare moliuntur, ne vltra scribam in causa fidei. Si potes, et quia potes, porrige mihi auxilium ex sedis apostolicae gratia, vt libere agam, quae possum in hac re, ita tamen, ne suspicentur patres mei, quasi ex me sit id consilium, sed tua per omnia prudentia, motu proprio, quasi id cogitauerit“ (ebd. 161f.). 220 Der Bischof hatte noch 1519 die Leipziger Disputation durch ein Verbot verhindern wollen (Brecht, Luther I, 287f.). Ihm ist die erste Schrift Augustins von Alveldt „über den apostolischen Stuhl“ gewidmet. 221 Doch auf Alveldt bezieht sich wohl die Bemerkung des Benediktiners Paul Lange in seiner Naumburger Chronik zum Jahre 1519: „Quare non absque re et iusto libramine eum ipsum [Luther] septem haeresibus et quidem maximis sacre pagine quidam lector Minoritanus Lipsicus in publica collacione multis mecum audientibus infectum asseruit.“ Zitiert nach Lemmens, Augustin von Alfeld 4 Anm. 1 222 Siehe Alveldt: Super apostolica se=//de, An videlicet diuino sit iure nec ne, anque pontifex // qui Papa dici caeptus [!] est, iure diuino in ea ipsa // praesideat, non parum laudanda ex sacro Bibliorum // canone declaratio, aedita [!] per Fratrem Augustinum // Alveldensem Franciscanum, regularis (vt // dicitur) obseruantiae sacerdotem, Prouin // ciae Saxoniae, Sancte crucis, Sacri=//que Bibliorum canonis publi=//cum lectorem in conuentu Lipsico, // ad Reverendum in Christo // patrem et dominum, dominum // Adolphum principem

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1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie

Ordensstudium der sächsischen Franziskanerprovinz vom Heiligen Kreuz, die aus der früheren Observantenvikarie entstand223, eine Aufgabe in der Ausbildung der Brüder wahr. Dabei bedeutet die Bezeichnung als „lector publicus“, dass andere Interessenten an seinen Vorlesungen teilnehmen konnten.224 Auch die Zuordnung zum ‚Kanon der Heiligen Bücher‘ meint zunächst nur, dass Alveldt für die Theologie zuständig war.225 Dass er sich aber der Heiligen Schrift ganz besonders verpflichtet fühlte, zeigte Alveldt schon in der Widmung seiner Arbeit an den Merseburger Bischof: „Ich weiß, keiner Sache ist volles Vertrauen zu schenken, nur den wahrhaft gelehrten Schriften, nämlich den heiligen und göttlichen, ja zugleich mit aller Wonne erfüllten, die in den Büchern der Bibel, wozu wir Kanon sagen, sich befinden. Diese reinen und im Feuer erprobten Worte Gottes sind allerdings wie ein Schiedsrichter, mit deren Hilfe alles zu erwägen und zu beurteilen ist. Daher nehme ich zu ihnen selbst meine Zuflucht, in denen ich – kein Wort des Neides darf sein! – seit dem Knabenalter die Zeit und meine Lebensjahre verbracht habe.“226 Diese Hervorhebung der Heiligen Schrift als Kriterium für alles erinnert an das reformatorische Schriftprinzip, ist aber wegen des fehlenden Zentrums im reformatorisch verstandenen Evangelium nicht damit zu identifizieren. Obwohl Alveldt die Heilige Schrift sehr wichtig ist, mit ihrer besonderen Hervorhebung reagiert er bereits auf Luthers reformatorische Theologie, da er bereits in seinem ‚Fehdebrief ‘ an Luther schreibt: „Du leugnest beinahe alle Lehrer, außer wo sie vielleicht deiner Glaubenslehre zu Hilfe kommen. Von mir wirst du also keinen Lehrer hören. Und ich will auch nicht, dass Du mir einen darbietest. Und das sollst Du wissen, bei mir brauchst Du nur zu glauben, was Dir vom Heiligen Kanon des Alten und Neuen Testamentes widergeklungen ist nicht als Grammatiker, sondern als Theologe. Auch nicht in gelehrten Worten menschlicher Weisheit werde ich Dich angreifen, sondern im Geist und in der Wahrheit“227. Die ‚Resonanz‘ der Heiligen Schrift, die „im Geist und in der Wahrheit“ ausgelegt werden soll, kommt aber nur dort an, wo sie jemand nicht nur als „Grammatiker“, das heißt wohl als

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// Illustrem in Anhaldt // etc. Episcopum // Mersen=//burgen//sem“ (A 1r). In: Köhler, Flugschriften Fiche 335 Nr. 947. Vgl auch Köhler, Bibliographie I 1, 49 (nr. 106). Die ‚regularis obseruantia‘ des Franziskaners und Priesters Alveldt wird in der langen Überschrift betont, wenn er sie mit dem „vt dicitur“ auch wohl nicht als eigene Rühmung verstehen möchte. Diese Offenheit der internen Ordensstudien der Observanten für ein größeres Publikum ist jedenfalls für die Tätigkeit des Franziskaner-Observanten Paulus Scriptoris in Tübingen bezeugt. Vgl. Decot, Rolf: Scriptoris, Paulus (Paul Schreiber). In: LThK3 9, 357f. Sie darf also für die Tätigkeit Alveldts in Leipzig vorausgesetzt werden. Siehe dazu den Bericht des Benediktiners Paul Lange über den ‚öffentlichen Vortrag‘ (publica collacio) des franziskanischen Lektors, oben Anm. 221. Die Theologie verstand sich ja mittelalterlich ingesamt als Erklärung der Heiligen Schrift. Alveldt, Super apostolica sede A 3r: „nulli rei tam plenam fidem tribuendum scio, quam literis vere literatis, hoc est, et sanctis et diuinis, et simul omni dulcedine refertis, que in bibliacis libris (quem nos Canonem dicimus) continentur. Siquidem haec dei verba pura et igne probata, ad instar sunt gnomonis quibus omnia expendi iudicarique debent. Confugi itaque ad illa ipsa, in quibus (absit inuidia verbo) a puero tempus et aetatem meam consumpsi“. Cyprian, Der andere Teil Nützlicher Uhrkunden 162f.: „Negas item fere omnes Doctores, nisi vbi forsan tuo suffragantur dogmate. Ex me igitur nullum Doctorem audies, nec tu mihi aliquem offeres volo. Et illud scias; apud me tibi nulla sit fides, nisi sacri Canonis Veteris Novique Testamentorum resoneris non Grammatista, sed theologus. Nec in doctis humanae sapientiae verbis te aggrediar, sed spiritu et veritate.“ Vgl. dazu 1 Kor 2,13; Joh 4,23f. Brecht datiert diesen Brief Alveldts auf den 7. April 1520 (Brecht, Luther I, 327).

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Sprachkenner und Philologe, sondern als „Theologe“ aufnimmt. Das ist ein Grundsatz, den Alveldt immer wieder betont. Denn für ihn beschränkt sich das rechte Wahrnehmen der Heiligen Schrift weder auf deren verbale Wiedergabe, noch auf deren philologische Erschließung, die er aber trotz mangelnder Kenntnis der Ursprachen nicht völlig ablehnt.228 Dazu bedarf eines ‚sensus theologicus‘, eines ‚theologischen Gespürs‘ für die eigentlich gemeinte göttliche Wahrheit, bei Alveldt freilich weniger ausgerichtet auf einen zentralen Kern wie bei Luther in der Rechtfertigungslehre, sondern ganz auf den Konsens mit Tradition und Kirche. Von diesem traditionellen Konsens geht Alveldt in der Argumentation „über den apostolischen Stuhl“ aus: „So hat auch dieser Stuhl eine andauernde Geschichte von mehr als 1486 Jahren. Daher scheint es mir ganz schrecklich, dass sehr berühmte Männer in Zweifel ziehen, ob er göttlichen Rechtes sei.“229 Dennoch war es die Absicht des Leipziger Lektors, sich bei seinen Ausführungen nur an die Heilige Schrift zu halten, wie er das in seinem Widmungsschreiben mehrfach betont: „Ich habe mich nach Kräften bemüht, aus dem heiligen Kanon der Bibel herauszufinden, was vom apostolischen Stuhl zu halten ist, ob er göttlichen Rechtes ist oder nicht, ebenso vom Primat des Apostels Petrus und seiner Nachfolger, da es ja (wie Euer Durchlaucht sagt) mehrere infolge der Lehre des [Augustiner-]Eremiten Bruder Martin Luther in Zweifel ziehen. In dieser Sache habe ich mich zu dem einen verbürgt, fest entschlossen und ganz bewusst, dass ich ohne alle Neigungen von Zorn, Neid, Ehrgeiz, eitler Rühmung vor dem Volk, die vor Gott schlechtesten Ratgeber, nur die echte und ursprüngliche Wahrheit erforschen möchte. Das nicht aus den heiligen oder kirchlichen Vätern oder aus den, wie sie sagen, Scholastikern, vornehmlichst dagegen aus jenen Schriften, die göttlich inspiriert, alle ohne jedes Bedenken lesen und glauben müssen! Es wäre mir nicht schwer gefallen, viele Deutungen der heiligen Lehrer in Anspruch zu nehmen, hätte ich nicht gesehen, dass das alles einige ohne Unterschied verwerfen und mehr, als es geziemt, missachten.“230 Zum Schluss seiner ganzen Schrift, in einer „Entschuldigung an den Leser“, meint Alveldt, dass sogar seine sprachlich weniger versierte, kaum im humanistischen Sinn gebildete Ausdrucksweise der eigentlich gesuchten Wahrheit des Evangeliums besonders dienlich ist:

228 So bezieht sich Alveldt mehrfach auf Erasmus von Rotterdam und andere Kenner der griechischen beziehungsweise hebräischen Ursprache der Bibel. Darauf darf man aber nicht schließen, dass er sich besonders damit befasst hat (anders Lemmens, Augustin von Alfeld 2). Denn es scheinen eher gelegentlich herangezogene Lesefrüchte zu sein. 229 Alveldt, Super apostolica sede A 3r: „Sicque haec sedes perdurauit iam plusquam mille quadringentis octoginta sex annis, vt omnino videatur mihi horrendum clarissimos viros in dubium vertere, an iure sit diuino.“ 230 Ebd. A 1v: „Studui pro viribus ex sacro Bibliorum canone exquirere, quidnam de Apostolica sede sentiendum videatur, an ne diuino iure sit, an non. Item de Petri eiusque successorum primatu. Quandoquidem id, vt ait Illustris tua dominatio, pluribus ex fratris Martini Lutther Heremitani dogmate in dubium vertitur. In qua re hoc vnum ipse vehementer conatus, et etiam vt mihi conscius sum, praestiti, Vt posthabitis omnibus affectionibus, ira, inuidia, ambitione, vana vulgi gloriola, pessimis per deum consultoribus, eruerem veram et genuinam veritatem, non ex sanctis patribus vel ecclesiasticis, vel vt vocant scholasticis, verum potissimum ex his literis, quae diuinitus inspiratae, citra vllam hesitationem et legendae sunt, et credendae. Non fuisset mihi difficile multa sanctorum doctorum interpretamenta adsciscere, nisi viderem iam apud quosdam omnia indiscriminatim repudiari, atque plusquam decet contemni.“

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1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie

„Du hast, aufrichtiger Leser, nicht etwas, was den Cicero, den Vergil, den Livius atmet, sondern was nach christlicher Religion riecht. Die evangelische Wahrheit bedarf nicht der Schminke der Worte. Was erfreulich klingt, gestehe ich, lockt das Ohr, was aber durch den Klang gut bezeichnet wird, dringt durch Botschaft der Ohren bis in das Sinnen allein. An manchem mag der wutentbrannte Orestes sein Schwert schärfen. Das darf ein wahrhaftiger Liebhaber der Wahrheit nicht fürchten. Das aber soll jeden Christen ängstigen, Gott herauszufordern, die christliche Religion zu beschmutzen, aus Begier nach menschlichem Lob und Ruhm die Wahrheit im Stich zu lassen. Klugheit hat Christus gelehrt, nicht im Schmuck der Worte, sondern in einem unbescholtenen Leben und in gesunder Lehre. Er lehrte auch Einfalt, nicht die des Esels, die dumm ist, sondern die der Taube, die schön ist: ‚Seid daher klug wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben‘.“231 Offensichtlich vermag Alveldt nicht ganz mit der kunstvollen Rede und sprachlichen Bildung seiner Gegner mitzuhalten. Aber er versucht sie nachzuahmen, deshalb auch hier der ziemlich unvermittelte Hinweis auf die tragische Figur des Orestes aus der griechischen Antike, die für ihn Luther als muttermörderischen Gegner der Papstkirche symbolisiert. Er beruft sich für sein Unternehmen überzeugt auf die Wahrheit des Evangeliums, in dem er den Primat des Petrus und seiner Nachfolger in den Verheißungen an Simon Petrus begründet sieht. Denn gegen die Auslegung Luthers, der sie als Verheißungen für alle Jünger und Apostel und damit für die ganze Kirche versteht, sind sie für Alveldt in ihrer kirchlich entscheidenden Bedeutung Zusage der höchsten amtlichen Vollmacht. Gegen Luther, den er zusammen mit Wyclif und Hus als Gegner des Papsttums und der Orden bekämpft,232 führt Alveldt mit der Heiligen Schrift, wie er sie versteht, dann die heiligen Päpste bis Silvester und die übrigen Heiligen ins Feld, die nach ihm seit vielen Jahrhunderten „das göttliche Recht“ des 231 Siehe ebd. K 3r: „AD LECTOREM EXCVSATIO. Habes candide lector, non quod Ciceronem, Vergilium, Liuium spirat, sed quod redolet Christianam religionem. Euangelica veritas, verborum fucis non eget. Quod iucunde sonat fateor auditum allicit, quod vero per eundem sonum bene significatur, nuncio quidem aurium ad solam mentem refertur, habet hic quo Orestes iratus gladium acuat. Verum id veritatis amator timere aut exhorrescere non debet. Illud paueat vnusquisque Christianorum, ne deum prouocet, religionem Christianam foedat, humanae laudis et gloriae percupidus veritatem deserat. Prudentiam docuit Christus, non verborum phaleris, sed vita integra, et sana doctrina. Docuit idem simplicitatem, non asininam, quae stolida est, sed columbinam, quae pulchra est: Estote igitur prudentes sicut serpentes, et simplices sicut columbae.“ Vgl. Mt 10,16. 232 Ebd. H 4rv: „Quis autem laetale [!] venenum hoc (quo secta negantium omnia madet) in dei ecclesia fudit? id foecit [!] o praesulum decus, laetiferi [!] veneni conflator asellus ille Iohannes Vickleff, et consobrinus diaboli Iohannes Hus, illi Belial filii, viri iniqui se mutuo iuuantes in dubium zelo indiscreto, quem Paulus prohibet [? I Cor 3,3], reuocarunt, quod iam tot saeculis fuit certum, et indubitatum [...] id quoque patet etiam ex articulis ipsorum damnatis, quos huic opello interseruimus. sed precor ego Christum, ne suae ecclesiae in finem ipse obliuiscatur. Simile quiddam seminarunt de religionibus monasteriorum: [...] ‚Articulus trigesimus quartus. Omnes de ordine mendicantium sunt haeretici, et dantes eis aelemonsinam [!] sunt excommunicati. Articulus xxxv. Ingrediens ordinem aliquem, eo ipso inabilis [!] est ad obseruanda praecepta diuina, et per consequens ad regnum coelorum peruenire non potest, nisi apostatauerit. Articulus xliiii. Augustinus, Benedictus, Bernhardus, damnati sunt, nisi paenituerint de hoc quod instituerunt religiones, et in eis vixerunt, habueruntque possessiones, Sicque a Papa vsque ad infimum religiosum omnes haeretici sunt. Articulus xlv. Omnes religiones indifferenter a diabolo introductae sunt.‘ Ecce fons et origo istius veneni blasphemorum, negantium Petri summum pontificium iure esse diuino.“ Siehe dazu die Verurteilungen Wyclifs im Konzil von Konstanz: Errores Iohannis Wyclif nn. 34–35; 44–45. In: Denzinger, Heinrich / Hünermann, Peter: Enchiridion symbolorum [...]. Freiburg u.  a. 371991, nn. 1184–1185. 1194–1195 [zitiert DH]. Siehe Köpf, Ulrich: Wyclif, John. In: LThK3 10, 1337–1341; Eberhard, Winfried: Hus, Hussiten. In: LThK3 5, 340-343.

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Papsttums anerkannten und nicht geirrt haben können.233 Da stimmt Alveldt überein mit dem mittelalterlichen theologischen Konsens, der die damalige Gestalt und Autorität des Papsttums über eine jahrhundertelange Tradition in der Heiligen Schrift begründet sah.234 Aber diesen Konsens bestreitet ja Luther, für den die gegenwärtige Gestalt des Papsttums und die entsprechende theologische Begründung seiner besonderen Autorität nur etwa 400 Jahre zurückreichen. Gegenüber dieser Kritik hilft Alveldts fragwürdiger Umgang mit der Geschichte des päpstlichen Amtes und der kirchlichen Tradition kaum weiter. Das belastet seine durchaus engagierte Argumentation. Noch weniger überzeugend ist Alveldts Sicht des Alten Testamentes, in dem er in Mose, dem Gesetzgeber, Jesus Christus selbst und in Aaron, dem Hohenpriester, Petrus und dessen Nachfolger vorausgebildet sieht. Zudem hält er die „Monarchie“ des Papsttums auch aus rationalen, sozusagen sozialtheoretischen Gründen für die von Gott gewollte, beste Leitungsstruktur der Kirche.235 Überzeugender ist Alveldt, wenn er die „Missbräuche“ päpstlicher und kirchlicher Autorität kritisiert, aber ihren legitimen „Gebrauch“ gelten lässt. So schreibt er etwa zum kirchlichen „Missbrauch zeitlicher Dinge“, womit er vor allem die verwerfliche Gier nach irdischen Gütern bei so genannten „Geistlichen“ im Blick hat: „Entfernen soll man aus der Kirche den Missbrauch zeitlicher Dinge, und sie wird die schönste Jungfrau, die Braut Christi sein. Denn zeitliche Güter und entsprechendes Regiment stammen nicht aus göttlichem Recht, sondern aus menschlichem. Nicht sage ich: Der Kirche sollen die zeitlichen Güter genommen werden, wie es ein Unheil bringender Häretiker erträumt hat, jener Wyclif und Hus, sondern den Missbrauch, sage ich, soll man entfernen. Keinem der Christen nämlich, ob Fürsten, Herzögen, ob Königen, Adeligen oder Nichtadeligen, ist der Missbrauch zeitlicher Güter gestattet, sondern bei all diesen ist er zu verdammen, viel mehr noch bei den Geistlichen, wie ich sie nennen möchte.“236

233 Alveldt, Super apostolica sede H 4r: „Et vsque Siluestrum papam omne fere sanctissimi viri fuerunt, seque adseruerunt et tenuerunt ipsi pontifices summos, idque verbis, scriptis, miraculis probauerunt. Si itaque omnes hi sanctissimi et in sanctorum ordinem relati viri pontifices summos se aestimarunt falso, consectaneum erit propterea, quod se falso tales in hac summa dignitate perpetuo ad mortem vsque tenuerint, omnes ipsos esse damnatos, et oues Christi ab ipsis deceptas in periculosissimas rupes praecipites iuisse. quod o quam horrendum, o quam indignum est vel cogitare. Quomodo enim tanto tempore Christi sponsa ecclesia a Christo sponso in tam periculosa condicione deserta fuisset? curque Christus tot sanctos, totque sanctas miraculis coruscantes comprobauisset, qui eam sedem iure diuino erectam crediderunt?“ 234 Selbst ein so scharfer Kritiker des damaligen Papsttums wie Wilhelm von Ockham griff zwar den päpstlichen Absolutismus an, ließ aber noch die Begründung einer recht verstandenen geistlichen Autorität des Papsttums in ununterbrochener kirchlicher Auslegungstradition der Heiligen Schrift gelten. Vgl. Schlageter, Johannes: Hermeneutik der Heiligen Schrift bei Wilhelm von Ockham. In: FrS 57 (1975) 230–283, bes. 274–276. 235 Zu einer Analyse von Alveldts Darlegungen zum Papsttum siehe Smolinsky, Heribert: Augustin von Alveldt und Hieronymus Emser. Eine Untersuchung zur Kontroverstheologie der frühen Reformationszeit im Herzogtum Sachsen. Münster 1988 (RGST, 122) 48–87. Smolinsky bezieht hier auch die Erwiderungen der Gegner Alveldts und dessen Anwort darauf mit ein. Vgl. auch Lemmens, Augustin von Alfeld 10–15. 236 Siehe Alveldt, Super apostolica sede G 3r: „Auferatur temporalium rerum abusus ab ecclesia, et erit virgo pulcherrima Christi sponsa. Non enim temporalia bona, et regimen in his ecclesiae iure diuino eveniunt, sed iure humano. Non dico: tollantur bona temporalia ab ecclesia, sicuti pestifer haereticus insipienter somniauit ille Vickleff et Hus, sed abusus inquam tollatur. Nulli enim Christianorum siue principum, siue ducum, siue etiam alicui vel regum, vel nobilium, aut etiam ignobilium, rerum temporalium abusus conceditur, sed damnabilis est his omnibus, multo etiam magis viris, vt sic dicam, spiritualibus.“

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1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie

Doch eine tiefgreifende Reform der Kirche nahm Alveldt mit dieser vorsichtigen Äußerung nicht in den Blick.237 Zu sehr stand ihm offenbar die Gefahr vor Augen, ein Versuch radikaler Reform ohne eine kirchlich anerkannte Vollmacht könnte die überlieferte Einheit der Kirche zerbrechen. Ein auf Regeltreue und kirchlich autorisierte Reform ausgerichtetes Ordensleben, wie Alveldt es in der franziskanischen Observanz kannte und lebte, war aber mit der zentralen kirchlichen Autorität im Papsttum und der von ihr garantierten traditionellen Einheit von Kirche eng verbunden. So musste nach seiner Überzeugung jede Schwächung päpstlicher Autorität letztlich das Ordensleben in der Kirche gefährden, wie er das bereits in Wyclif und Hus vorgezeichnet sah. Die Angst Alveldts war nicht unbegründet, wie die Zukunft zeigen sollte. Ein tieferes Verständnis von Luthers reformatorischem Anliegen gelang ihm freilich nicht. Es war bereits damals die Kluft zwischen den Verteidigern der kirchlichen Tradition und den Neuerern zu groß und vorerst unüberbrückbar geworden, was freilich die Zeitgenossen in den gegnerischen Lagern noch nicht so deutlich erkennen konnten. Luther selbst wollte vorerst auf Alveldts Schrift nicht antworten, sondern beauftragte damit seinen Schüler und Augustinerbruder Johannes Lonicer, der „eine grobe und wenig bedeutende Anfängerarbeit“238 verfasste: „Gegen den Romanisten Bruder Augustin von Alveldt, einen Franziskaner aus Leipzig, öffentlichen Liktor des biblischen Kanons und dessen Folterer.“239 Lonicer versucht auf seine Weise, mit schweren persönlichen Diffamierungen, einen Keil zu treiben zwischen Alveldt und dessen Ordensbrüder, vor allem insoweit sie bereits mit Luther sympathisieren: „vor allem will ich diese Franziskanische Berufung ausgenommen haben. In ihr sind sehr viele für Luther die besten Freunde, davon an erster Stelle Konrad Pellikan, der Vorsteher des Basler Konventes, ein Mann durch Leben und Bildung dem Erdkreis empfohlen. Dessen verehrungswürdigen Namen wagte dieser unlautere Mensch, der die Observanz wie die Berufung nur im Titel führt, in seine Jauchegrube zu mengen. Ich habe auch erfahren, seine nächsten Brüder hätten alles versucht, damit er nicht schreiben würde. Er aber habe so gewütet, dass er keine Ruhe gab, bis er gar eine Freistellung vom Chorgebet erreichte, um so der Wut seines Herzens freieren Lauf zu lassen. Was ich daher zu dessen Berufung gesagt haben mag, will ich gesagt haben zu jener, die er selbst wie 237 Bei dieser Vorsicht betont Alveldt zwar seinen aufrichtigen Reformwillen, spricht aber sich wie Luther die Kompetenz zur Reform ab. Vgl. Alveldt, Sermon, darinne sich Bruder Augustinus von Alveldt […] beclaget A 3r: „betzeuge das mit goth, dem erkenner aller hertzenn. Das ich begirlichers auff erden nicht sehen / dan das solcher symonijscher misszgebrauch / geyerheit / und hoffart / mit anderen strefflichen handeln ßo alda [zu Rom] und in der gantzen Christenheit befundenn / außgerewth / reformirt unnd tzu besserung getzogen werden moechten. Was kann ich aber dartzu thun / dyeweyl mir diß gericht szo wenigk als bruder Martinen Luther bevolenn / ader tzu reformirenn weyth uber unnßer machtt / Die weyl auch sollichs tzum andernn dis [die scharfe Kritik] nicht dye weyß ist“. In: Köhler, Flugschriften Fiche 343 Nr. 970; Laube, Flugschriften gegen Reformation, 93. Vgl. auch oben Anm. 23. 238 Brecht, Luther I, 327. 239 Lonicer, Johannes: Contra Romanistam fratrem // Alveldensem Fran-//ciscanum Lipsicum Canonis // Biblici publicum lictorem et // tortorem eiusdem Frater // Joannes Lonice-//rus // Augustinianus. // VVitenbergae, apud Collegium Novum. // Anno, M, D, XX, (A 1r). In: Köhler, Flugschriften Fiche 127 Nr. 342. Vgl. auch Köhler, Bibliographie I, Bd. 2. Tübingen 1992, 330f. (nr. 2248). Das „lictor“ scheint kein Druckfehler für „lector“ zu sein, sondern mit einem Wortspiel einen römischen „Liktor“ (mit dem Rutenbündel) anzudeuten, der als Amtsdiener auch körperliche Strafen bis hin zur Todesstrafe zu exekutieren hatte. Zu Johannes Lonicer vgl. Stupperich, Robert: Reformatorenlexikon. Gütersloh 1984, 134.

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ein Abtrünniger verließ, weil ich es nur mit Alveldt zu tun habe, der größten Schande seiner Berufung. Und mag es belastend sein zuzulassen, dass der eine Unwürdige unter Missbrauch von Ruhm und Autorität einer ganzen Menge so tollkühn ist, muss man jedoch dem Judas Iskariot etwas zugestehen wegen des Chors der Apostel, obwohl er an sich höchst unwürdig ist.“240 Lonicer scheint in diesem Text die wahre franziskanische Berufung noch durchaus gelten zu lassen, von der er Alveldt als bloßen Einzelgänger, ja als Abtrünnigen und als deren Schimpf und Schande zu trennen versucht. Ob das noch ernst gemeint ist oder nur ein taktischer Kunstgriff, um schwankende und besonders sympathisierende Franziskaner weiter für Luthers Sache zu gewinnen, sei dahin gestellt. Jedenfalls gibt es bei Lonicer auch Texte, die dem franziskanisch-observanten Ordensleben insgesamt eine besonders verderbliche Tendenz bescheinigen, weil es im Dienste „Römischer Tyrannei“ einer wahren christlichen Einheit im Wege steht: „Übrigens unter Römischer Tyrannei gibt es keine Diözese, keine Berufung, keinen Orden, in denen nicht soviele Sekten, wie Köpfe sind; und dieses Reich ist wahrhaft tyrannisch und in sich gespalten. Das wollen und inszenieren die römischen Tyrannen so, dass, wann einmal die kirchliche Eintracht von ihrer Wut, Lüsternheit, Habgier, Gewalttätigkeit geheilt wird, auf Betreiben von Alveldt die Einheit ja nicht bestehen bleibt. Und die von der Regelobservanz (wie sie es nennen) wüten gegen alle Menschen, am meisten gegen die Martinianer ihres eigenen Ordens wegen der Bäder, der Braten, der holzbeschuhten Füße und ich weiß nicht, was sonst, wie für den höchsten Glauben in ständigem, unversöhnlichem Hass. Ja, sie rühmen sich, ein evangelisches Leben zu führen und, um es deutlicher zu sagen, als regeltreue Observanten, und das insoweit, dass sie auch willige Märtyrer des Glaubens sein möchten wegen der derart auffälligen Religion von Bädern, Braten und Holz. Sie kümmern sich gar nicht um brüderliche Liebe, ob sie erschlafft oder ob sie zugrundegeht. Wie ich daher schon anmerkte: Solange sie, die Feinde heiliger Einheit und Verursacher schändlichster Spaltung, durch Gunsterweis des apostolischen Stuhles noch ihm vorstehen, bleibt doch gewiss das Reich noch nicht ungeteilt. Andere aber, die sich der wahrsten Einheit Christi und des Geistes erfreuen, beschuldigen, blamieren, lästern sie ohne Scheu. Derartige Erynnien, dass sie die heilige Einheit, die in Christus ist, verleugnen - die Gnade und Wahrheit, durch die das Gesetz erfüllt wird! Die tyrannische Einheit des Papstes jedoch, unter der die Herzen aller

240 Lonicer, Contra Romanistam, A 3rv: „ante omnia professionem istam Franciscanam exceptam volo in qua plurimi Luthero sunt amicissimi, inter quos primo loco est Conradus Pellicanus Basiliensis Coenobii praeses, vir vita et eruditione orbi commendatus, cuius nomen venerabile impurus hic, qui praeter titulum nihil habet vel observantiae vel professionis, in sui sterquilinium ausus est immergere. Compertum quoque habeo, suos proximos fratres omnia tentasse, ne scriberet, ipsum vero sic insanijsse, vt non quiesceret donec impetraret etiam ferias chori quo furias cordis sui posset liberius effundere. Itaque quicquid dixero in huius professionem, in eam quam ipse deseruit apostata dictum volo, cum solo Alveldio professionis suae summo dedecore mihi res est, Etsi molestum est permittere, vt vnus indignus, gloria et auctoritate abusus totius multitudinis, tam audax sit, sed dandum est aliquid Iude Scharioti propter Apostolorum chorum, licet per se indignissimo.“ Lonicer bezieht sich hier auf eine Passage, in der Alveldt den Franziskaner observanter Provenienz Konrad Pellikan als Gewährsmann seiner Übersetzung des Namens „Kephas“ aus dem Hebräischen heranzieht. Siehe Alveldt, Super apostolica sede, D 4r. Pellikan ging nach langem Zögern schließlich 1526 über zur Reformation Zwinglis in Zürich. Siehe Raeder, Siegfried: Pellikan (eigtl. Kürsner), Konrad. In: LThK3 8, 15.

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geteilt werden (wie offenkundig ist) behaupten sie im Wahn zwecklos als Erfüllung des Gesetzes, als Geist und Leben, als Gnade und Wahrheit in Christus.“241 Das Reich päpstlicher Tyrannei ist also zuinnerst gespalten, weil es die wahre Einheit in Christus, das heißt im wahren Verständnis von Gnade und Erfüllung des Gesetzes, verhindert. Das sieht Lonicer in Alveldt, der in römischem Auftrag die neu gefundene und von römischer Habgier, Lüsternheit, Wut und Gewaltätigkeit geheilte Einheit zerstören will. Darauf war nach ihm die observante Parteiung bereits deutlich angelegt. Denn sie rühmten sich, ein evangelisches Leben zu führen, verfolgten aber mit unversöhnlichem Haß die Gegner ihrer besonderen Bräuche in Nahrung und Kleidung, besonders die ‚martinianischen‘ Brüder des eigenen Ordens. Lonicer spielt hier auf asketische Armutsgebräuche der Observanten an, die Bäder und Braten verschmähten und hölzerne Sandalen trugen. Die Verfolgungswut, die sie sich infolge päpstlicher Gunst schon gegen die eigenen Brüder leisten konnten, trifft jedoch nun die „wahrste Einheit Christi“ bei denen, die aufgrund reformatorischer Überzeugung die Erfüllung des Gesetzes in Christi Gnade und Wahrheit finden. Lonicer malt hier ein insgesamt finsteres Bild der observanten Einsatzbereitschaft für das Papsttum, die der wahren Einheit in Christus nicht mehr dient, sondern sie im Namen der päpstlich tyrannischen und verkehrten Einheit wahnhaft bestreitet, daher von Grund auf und in ihrem Ziel antichristlich ist. Etwas ruhiger und sachlicher argumentiert Johannes Bernhardi aus Feldkirch/Vorarlberg, ein Schüler Melanchthons, der ebenfalls gegen Alveldt schreibt: „Widerlegung des ungeeigneten und gottwidrigen Schriftchens des Bruders Augustin von Alveldt, eines Franziskaners aus Leipzig, zu Gunsten von Doktor Martin Luther.“242 Er kritisiert vor allem die Schriftauslegung Alveldts, die nach ihm nicht geduldet werden dürfte: „Ertragen könnte man, du Brüderchen der Riesen, deine Beschimpfungen, Albernheiten und Verleumdungen, aber bei dem Gottwidrigen, das du schreibst, welcher gute Mann könnte damit leben? Vornehmlich in diesem deinem Argument ist alles so voller Lästerungen und Gottwidrigkeit, dass du auch die des Celsus, des Porphyrius und des Julian übertriffst. Denn da die Gesamtheit des christlichen Glaubens davon abhängt, dass wir Christi Priestertum möglichst ganz recht verstehen, kann man jemanden nur 241 Lonicer, Contra Romanistam, B 4rv: „Ceterum cum sub Romana tyrannide nulla diocesis, nulla professio, nullus ordo sit, quibus non tot sectae, quot capita sint, sicque hoc regnum vere tyrannicum et intra se diuisum, hoc ita et volentibus et agentibus Romanis tyrannis, ne quando Ecclesiastica concordia eorum furori, libidini, auaritiae, violentiae medeatur, tamen autore Alveldensi vnitas perseuerat, cumque ipsimet regularis (vt vocant) obseruantiae contra omnes homines, maxime suijpsius ordinis Martinianos, propter balneas, assaturas, pedes ligneos, et nescio quae alia, perpetuo, irreconciliabilique odio tanquam pro summa fide insaniant, et illijpsi qui Euangelicam se ducere vitam, et ut aliquid prestantius dicam, obseruantes sese regulares gloriantur, vsque adeo vt et martyres fidei prompti sint ob tam insignem balneorum, assaturae, et ligni religionem, nihil curantes de fraterna caritate an vel conflaccescat vel pereat, nec ne, dum longe, quae iam recensui, huic praestent, manet tamen adhuc regnum indiuisum, Apostolicae videlicet sedis benefitio, adhuc isti vnitatis sanctae hostes, schismatisque foedissimi autores, alios qui verissima Christi et spiritus vnitate gaudent, criminari, traducere, blasphemare nil timent, tanto Erynni, vt eam quae est in Christo vnitatem, negent esse gratiam et veritatem qua lex impletur, tyrannicam vero Pape vnitatem, sub qua omnium corda diuiduntur (vt in propatulo est) legis plenitudinem, spiritum, vitam, gratiam et veritatem per Christum factam, sine fine insaniant.“ Diese lange Satzperiode konnte nur sinngemäß ins Deutsche übertragen werden. 242 Bernhardi, Johannes: Confutatio inepti et impij li-//belli Fratris Augustini Alveldensis // Franciscani Lipsici: // pro doctore Martino // Luthero. // Wuittenbergae apud Melchiorem Lottherum iuniorem, // Anno Domini M.D.XX. (A 1r). In: Köhler, Flugschriften Fiche 739 Nr. 1890. Vgl. Köhler, Bibliographie I 1, 120 (nr. 275).

Augustins von Alveldt Einsatz für die päpstliche Autorität

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als überaus gottwidrig beurteilen, der es irgendwie verdunkelt. Du verdunkelst es nicht nur, sondern löschst es ganz und gar aus. An Christi Stelle walten die Bischöfe, denen es zuerst zukommt, sich dafür einzusetzen, dass die christliche Lehre möglichst rein gelehrt werde. Die Aufgaben der Bischöfe sind einerseits den Akademien der allgemeinen Studien, andererseits den Mönchen anvertraut. Deshalb wundere ich mich gewaltig, dass dir so viel gestattet wird – durch die Bischöfe, durch deine Patres und ganz besonders durch die Theologen der Leipziger Akademie, die am meisten aufpassen müssten, dass nicht so etwas von den Ihren geschrieben würde. Es sei denn, bei ihnen gibt es welche, deren Spiel du machst. Die Schrift versprichst du, obwohl du mit gottwidrig verdrehten Bildern menschlichen Begierden zuspielst.“243 Alveldt hatte ja auf ungewöhnliche Weise die Vollmacht des Papsttums vom Vorbild des alttestamentlichen Hohenpriestertums Aarons abgeleitet.244 Allerdings war das nicht ohne Rückhalt in der franziskanischen Tradition etwa eines Bonaventura.245 Wenn Bernhardi Alveldt anklagt, die Heilige Schrift bewusst zu verfälschen, um menschlichen Begierden, wohl dem päpstlichen Streben nach Macht und Geld, entgegenzukommen, trifft er nicht das, worum es Alveldt ging. Er wollte mit seinem eigenartigen, aber nicht ganz traditionslosen typologischen Verständnis der Bibel für die in der Autorität des Papstes garantierte Einheit der Kirche kämpfen. Die Erwartung Bernhardis, die Bischöfe beziehungsweise die von ihnen delegierten Universitäten und „Mönche“ sollten gegen die fragwürdige Lehre Alveldts einschreiten, war im Zusammenhang von Alveldts Schrift kaum erfolgversprechend. Denn der Bischof von Merseburg hatte ja die Schrift mit in Auftrag gegeben, die „Patres“ der Provinz und des Leiziger Klosters schon im Vorfeld ihren Widerstand dagegen eingestellt. Da zudem das Leipziger Ordensstudium mindest seit Übernahme des Klosters durch die Observanten 1498246 institutionell mit der Universität Leipzig kaum verbunden war, sondern als ordenseigene Ausbildungsstätte fungierte, konnte der Einfluss der Universität auf das Geschehen dort nur gering sein. Bernhardi hielt es freilich sogar für möglich, dass Gelehrte der Universität Leipzig Alveldt zu seinem Angriff bewogen hatten. Diese Verdächtigung führte dazu, dass sich bald führende Leute und sogar der Rektor der Universität eigens von Alveldts Schrift distanzierten. Das zeigt sich in einer ersten franziskanischen Erwiderung auf Bernhardis

243 Siehe ebd. Bernhardi, Confutatio inepti et impii libelli, A 4rb: „Ferri poterant, fratercule gigantum conuitia, ineptie, calumnie tue, verum ad impia ista que scribis, quis bonus vir conuiuere queat? Et in hoc potissimum argumento tuo, ita sunt blaphemiarum et impietatis plena, vt et Celsos, Porphirios et Julianos superes. Nam vt summa christianismi inde pendet, vt quam rectissime Christi sacerdotium intelligamus, non potest non impiissimus censeri, qui illud quouis modo obscurat. quod tu non solum obscuras, sed plane in vniuersum obliteras. Christi vicem in terris Episcopi gerunt, quos in primis conueniebat in hoc incumbere, vt Christiana doctrina quam purissime doceretur. Episcoporum vices demandate sunt, tum Academijs communium studiorum, tum Monachis. Itaque vehementer miror, tantum licere tibi per Episcopos, per patres tuos, ac potissimum per Lipsice Academie theologos, quos maxime cauere debeat, ne quid tale a suis scriberetur, nisi in iis etiam sunt, quorum tu fabulam agis. Scripturam polliceris cum figuris impie detortis ad humanas cupiditates agis.“ 244 Vgl. Smolinsky, Augustin von Alveldt 75–77. 245 Siehe Bonaventura, Apologia pauperum c. 1, nr. 1 (Opera omnia 8, 235a). 246 Siehe dazu Schmies / Rakemann, Spuren 217.

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1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie

Schrift, die von Alveldts Schüler Johannes Fritzhans ausging: „Mahnbrief Bruders Johannes Fritzhans an Bruder Augustin Alveldt.“247 Fritzhans stilisiert seine Darlegungen als Ermahnung an Alveldt zum schweigenden, geduldigen und demütigen Ertragen der Beschimpfungen, aber sie sind in ihrem Hauptteil gegen Bernhardi und in einem eigens angehängten Brief unmittelbar gegen Lonicer gerichtet. Von Bernhardi, dem Schüler Melanchthons, schreibt er: „Er gibt vor allem einen Widerhall von Cicero mit gedrechselten Reden. Ob er Christus im Evangelium, ob er Paulus in seinen Briefen nachahmt, möge ein kluger Leser beurteilen. Dich schrecke, mein Augustin, diese Kriegstrompete nicht! Kümmere dich nur darum, als ein ebenso bescheidener wie demütiger wie auch apostolischer Mann zu handeln! Und die Apostel ‚gingen weg vom Hohenrat und freuten sich, weil sie gewürdigt wurden, für den Namen Christi Schmach zu erleiden‘.“248 Fritzhans verteidigt Alveldt gegen die an der Antike geschulte Rhetorik im Angriff Bernhardis; denn sie hat nach ihm wenig mit der Sprache der Heiligen Schrift zu tun. Demgegenüber unterstreicht er Alveldts Bescheidenheit, Demut und sein apostolisches Verhalten, wenn er die angetane Schmach mit Freude hinnimmt. Für sich selbst deutet Fritzhans freilich an, dass er humanistisch nicht ungebildet ist, wenn er Ciceros Rhetorik zu erkennen vermag und seine Kenntnis der antiken Literatur deutlich macht.249 Zu Alveldt kann Fritzhans jedoch sagen: „Mach nicht sehr viel daraus, weil dieser Bruder dich verachtet wegen eines unkultivierten Stils. Sieh, das entkräftet der paulinische Text! Er sagt: ‚Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkünden, nicht mit gewandten und klugen Worten, damit das Kreuz Christi nicht seine Kraft verliert [...]‘ Und an anderer Stelle sagt er: ‚Als ich zu euch kam, Brüder, kam ich nicht, um glänzende Reden oder gelehrte Weisheit vorzutragen [...]‘ Um alles zusammenzufassen: Beachte insgesamt den Kanon der Heiligen Schrift, mein Augustin, und darin hat der Heilige Geist einen schön klingenden und fleischlichen Stil außer acht gelassen. Kehr also zurück, Augustin, zu unserer Sache, ja um des liebreichsten Herzens Christi willen ersuche, bitte und flehe ich, dass du nicht allzu große Wortstreitereien in Betracht ziehst. Wahrlich tu, was du 247 Fritzhans, Johannes: Epistola exhortatoria fratris Jo-//annis Fritzehans ad fratrem // Augustinum Alveldianum Franci=//scanum: ne terreatur et contur=//betur confutatione fratris // Joannis veltkirchen // quia seipsi indig//na: cum sit con-//tumeliosa (A 1r). In: Köhler, Flugschriften Fiche 103 Nr. 267; ders., Bibliographie I 1, 513 (nr. 1207). Siehe Fritzhans, Epistola exhortatoria, B 3v–4r: „Ob id forsitan moti sunt nonnulli ex nostris senioribus, et Rector vniuersitatis alme Lipsice mittentes duos e magistris nostris, qui te Augustinum ex parte consilii adhortarentur, vt eos excusares in scriptis tuis, quod nihil rei tecum haberent in tuis scriptis. Sint ergo isti domini excusati, quia timent dubio procul quod aucupentur pro veritate vituperia, conuicia, contumelias.“ Der Franziskaner Johannes Fritzhans, der später selbst in Magdeburg zur Reformation überging, war zu dieser Zeit vielleicht sogar Mitglied der Leipziger Universität, wenn er von „unseren Senioren“ und „unseren Magistern“ sowie von der „nährenden“ (alma) Universität spricht. Ein „Johannes Fritzschans de Falkenaw“ aus der „polnischen Nation“ wurde jedenfalls im Wintersemester 1509 dort immatrikuliert. Vgl. Die Matrikel der Universität Leipzig, hg. von Georg Erler, Bd. 1: Die Immatrikulationen von 1409–1553. Leipzig 1895, 500. – Zum Vorgehen der Universität gegen Alveldt, das ihn als Nichtmitglied kaum besonders bewegt, jedenfalls nicht von seinem Kurs abgebracht hat, vgl. auch Lemmens, Augustin von Alfeld 8 Anm. 3. 248 Fritzhans, Epistola exhortatoria, A 2r: „Resonat apprime Ciceronem tersis voculis: an Christus in Euangelio, et Paulus in suis Epistolis imitetur, iudicet prudens lector. Non te, mi Augustine, hec tuba bellica terreat. id cura, vt virum tum modestum, tum humilem, tum et Apostolicum agas. Et Apostoli ‚ibant a conspectu consilii gaudentes, quia digni habiti sunt pro nomine Jesu contumeliam pati‘.“ Vgl. Apg 5,41. 249 Vgl. etwa den Hinweis auf Ovids „Metamorphosen“, ebd. A 3v.

Augustins von Alveldt Einsatz für die päpstliche Autorität

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tust, recht und billig in der Reinheit des katholischen Glaubens. Auf die Erbauung der Kirche warst du bedacht, vollende das mit Schriften in einheimischer wie in lateinischer Sprache. Doch auf keine Weise antworte auf das Spotten und Schelten jener unglücklichen Menschen mit ihrem abgetöteten Gewissen, sondern schweige.“250 Den wenig kultivierten Stil Alveldts leugnet Fritzhans nicht. Aber durch Vergleich mit der Heiligen Schrift, besonders durch den zitierten Text von 1 Kor 1–2 wird aus dieser Schwäche geradezu ein Kennzeichen für das Wirken des Heiligen Geistes, für das Evangelium als Predigt des Kreuzes Christi. Fritzhans möchte Alveldt ermutigen, für die gemeinsame Sache des christlichen Glaubens sowie zur Erbauung der Kirche weitere deutsche und lateinische Schriften zu verfassen. Doch befürchtet er, Alveldt könne sich zu sehr auf Streitereien einlassen. Das ist nach ihm selbst als Antwort auf böswillige Angriffe der anderen Seite weniger sinnvoll, als sie mit vornehmem Schweigen zu übergehen. So mischen sich in diesem brüderlichen Mahnbrief Anerkennung wegen des Einsatzes für die gemeinsame Sache und die Meinung, Alveldt in Stil und Sachlichkeit der Auseinandersetzung überlegen zu sein. Bei aller Wertschätzung von Fritzhans für seinen Bruder und Lehrer Augustin von Alveldt lässt er eine gewisse Distanzierung von ihm erkennen, die er in einer direkten Auseinandersetzung mit Bernhardi andeutet. Ihn fragt er einmal: „Sprich, was nennst du die Kirche? Doch die Versammlung von Menschen? Da noch nicht das Menschengeschlecht zusammengerufen war, was könnte anstößig sein an einem Verb im Futurum? Sieh, Augustin, wie redlich dieser Bruder argumentiert. Wenn es wahr ist, was ich von dir nicht nur einmal hörte: Bei den Esten in Livland gibt es über fünftausend Leute, die das Heer des Himmels und sinnenhafte Dinge der Erde anbeten, dann ist bis jetzt das Menschengeschlecht nicht zusammengerufen. Und nun antwortet dieser Bruder mit einer Aussage aus deinem Traktat: Die Kirche war einst schon erbaut auf Christus, jetzt aber ist sie auf Petrus zu erbauen. Diesen Satz möchte ich verloren geben, wenn er von dir ist. Ob aber dieser Bruder ihn erfindet oder hierin lügt, das mag beurteilen, wer will.“251 Es geht also darum, wie weit die Verheißung Jesu Christi in Mt 16,18: „Auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“ bereits erfüllt ist. Dass dieses ‚Bauen‘ noch weitergeht, vertritt jedenfalls Fritzhans mit Alveldt. Für Fritzhans geht das Zusammenrufen in die Kirche weiter, solange es noch Heiden gibt, wie das die Erfahrung Alveldts mit heidnischen Esten in 250 Ebd. A 2v–3r: „Neque plurimi id facias, quia frater is ob incultum stilum te contemnit. En Paulinus id diluit textus: ‚Non‘, inquit, ‚misit me Christus baptisare, sed euangelisare, non in sapientia verbi, vt non euacuetur crux Christi [...]‘ ‚Ego‘, inquit Paulus in alio loco, ‚cum venissem ad vos, fratres, veni non in sublimitate sermonis aut sapientie [...] Vt colligam omnia: totum respice sacrarum litterarum canonem, mi Augustine, et in his stilum phaleratum et carnalem spiritus sanctus neglexit. Redeam igitur in rem nostram, Augustine, ob Christi pientissima viscera rogo, peto, flagito, ne nimia iurgia pendas. Verum age que agis eque in fidei catholice puritatem. Et Ecclesie edificationem cogitasti, scribendo perfice cum lingua vernacula tum lingua latina. Nec vllo modo illorum infelicium hominum cauteriatam conscientiam habentium nugis et vituperijs respondeas, sed sile.“ Vgl. dazu insgesamt 1 Kor 1,17–20; 2,1–5 (Vg.). 251 Ebd. B 2r: „Age ecclesiam quid vocas? Nonne hominum conuentum? Atque nondum conuocatum erat genus humanum, quid igitur verbo futuro offenderet? Ecce Augustine, quam integre arguit frater iste. Si uerum est quo ex te non semel audiui, quia in Liuonia estenses habent vltra quinque milia hominum qui miliciam celi et sensibilia terre adorant, igitur genus humanum adhuc conuocatum non est. Et nunc iste frater respondet ex tractatu tuo: Ecclesia, inquiens, iam olim erat edificata in Christum, nunc vero edificanda in Petrum. Hec sententiam Augustine dispeream, si es tua. An ipse autem frater eam fingat, vel id mentiatur, iudicet qui vult.“

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1. Die Franziskaner in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie

Livland deutlich machte. Dass Alveldt für einige Zeit im damaligen Livland tätig war, wird er in seinen Schriften erwähnt haben252, da er gern und häufig davon erzählte. Die andere Frage ist, wie dieses ‚Bauen‘ weitergeht, ob nach dem einmaligen Fundament des Ursprungs in Jesus Christus nun Petrus als bleibendes Fundament dieses Kirchenbaus gesehen werden darf. Eine solche Sicht lässt sich bei Alveldt nicht wörtlich nachweisen. Doch konnte man seine Auslegung in diesem Sinn verstehen253, was Fritzhans so nicht akzeptieren möchte und es eher für eine Unterstellung Bernhardis hält. Fritzhans meint vorsichtiger, theologisch behutsamer zu sein als Alveldt. Deshalb stellt er sich nicht ganz vorbehaltlos auf dessen Seite. Doch findet sich in der Auseinandersetzung mit der Reformation hier das einzige Zeugnis auf franziskanischer Seite, in dem ein Schüler seinen Lehrer verteidigt.254 Den Verzicht, auf Polemik mit Polemik zu antworten, den Fritzhans seinem Lehrer Alveldt nahelegt, hat er selbst nach der vorwiegend sachlichen Auseinandersetzung mit Bernhardi nicht durchgehalten. Im angehängten kurzen Brief gegen Luthers Schüler Lonicer erwidert er Schmähungen mit Schmähungen, wenn auch geschickt in einer Anfrage untergebracht: „Johannes Fritzhans wünscht dem Bruder Johannes Lonicer, einem Augustiner, einen gesunden Sinn. Wo haben dich, mein Bruder, das Evangelium Christi und die Stimme des Paulus, ja die gesamte Heilige Schrift jemals gelehrt, aus welcher Kämpferschule hast du das entnommen? Warum erhebst du dich wie ein wutentbrannter Geisteskranker, unmenschlicher als jedes Ungeheuer, verschmähst alle Achtung, die schön die Jugend ziert? Ja, warum möchtest du, unsinniger als der Unsinnigste, jenseits aller menschlichen wie christlichen Bescheidenheit, dich erheben mit sovielen Scheltreden, Schmähungen, Beschimpfungen, Beleidigungen, Lästerungen, Verspottungen, Vorwürfen und ironischen Worten, ohne auszulassen, was immer möglichst schändlich du dir ausdenken konntest: Dich so grausam und garstig zu erheben gegen den Christenmenschen und unschuldigen Bruder Augustin, der niemals dich oder die Deinen verletzte, und ihn so glorreich anzugreifen?“255 252 Dort ist Alveldt auch der russisch-orthodoxen Kirche begegnet. Siehe etwa Alveldt: Eyn gar frucht=//bar vnd nutzbarlich buchleyn von dem babst//lichen stule / vnd von sant Peter. Leipzig 1520, B 1v: „Die Reussen haben eyn teyl von dem gelauben und sacramenten. Wie sie aber der sacrament gebrauchen / ist nit allein unlustig tzu bedencken. sunder auch tzu reden und tzu schreiben alß ich selber gesehen hab.“ Köhler, Flugschriften Fiche 86 Nr. 229; Flugschriften gegen Reformation, Ed. Laube 72–90, bes. 78. 89 Anm. 14. Vgl. Köhler, Bibliographie I 1, 43 (nr. 95). Vgl auch Lemmens, Leonhard: Die Observantenkustodie Livland und Preußen. Düsseldorf 1912, 63 (nr. 281). 253 Alveldt vertritt zwar hauptsächlich die traditionelle Auslegung, die im „Felsen“ von Mt 16,18 Christus selbst sieht beziehungsweise den Glauben an Jesus Christus, weil aber Petrus diesen Glauben bekannt hat, kann auch sein Apostelsitz selbst unter dem „Felsen“ verstanden werden. Siehe Alveldt, Super apostolica sede, D 4v–E 2r, bes. E 1v: „ideo dixit Christus ‚super hanc petram‘, id est, super vnam hanc et solam sedem apostolicam et catholicam, ‚edificabo‘ post mortem et resurrectionem meam ‚ecclesiam meam‘, id est, multitudinem Christifidelium. Haec ergo sedis vnitas petra est; quia firmissima est, ex petra Christo nomen sortitur, et in petra Christo haec petra sedes fundata. Vna est petra Christus, vna petra sedes eius, vnusque Petrus, non plures simul, residebit in ea. Sine sede hac vna fieri non potest dei diucius consistere ecclesiam.“ Köhler, Flugschriften Fiche 335 Nr. 547. Vgl. dazu Mt 16,18 Vg. 254 Siehe Fritzhans, Epistola exhortatoria, B 4r: „Sat mihi, fateor, est, mi Augustine, vt tuus sim discipulus.“ 255 Ebd.: „Joannes Fritzehans fratri Joanni Lonicero Augustiniano sanum optat sensum. Vbi Euangelium Christi et Paulina vox, totaque scriptura sacra, mi frater, unquam te docuerunt et qua ex palestra id hausisti: vt instar frenetici furibundi, belua omni immanior, spreta que pulchre iuuentam ornat verecundia, ac insanissimo insanior citra omnem modestiam et humanam et christianam cum tot vituperijs, contumelijs, conuicijs, iniurijs, blasphemijs, illusionibus, exprobrationibus, derisorijs verbis, et quidquid turpius excogitare potuisti:

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Obwohl diese lange Satzperiode in der Übersetzung aufgelöst wird, ballt Fritzhans darin zusammen, was er immer seinem „Bruder“ Lonicer nur entgegenschleudern kann an verletzenden Worten. Das ist freilich so übersteigert, dass es schon gar nicht mehr richtig ernst zu nehmen ist und eher wie ein spielerischer Wettstreit wirkt, in dem einer den anderen mit den schärfsten Beleidigungen zu übertreffen versucht. Dass Fritzhans seinen Lehrer als unschuldig am ganzen Streit hinstellt, entspricht seiner bisherigen Strategie, bei der Schrift Alveldts die Stoßrichtung gegen Luther und die Wittenberger Universität zu leugnen256, um den Streit nicht auszuweiten. Es war nicht die Polemik von Johannes Fritzhans, die schließlich Luther zum persönlichen Eingreifen bewegte, sondern der Eindruck, den vor allem Alveldts deutsche und gekürzte Version seiner Verteidigung des Papsttums auf viele machte.257 In Luthers Antwort ging es nicht nur um die Auseinandersetzung mit Alveldt, sondern um die Abrechnung mit einem theologischen Verständnis von Papsttum und Kirche, das er nicht allein bei Alveldt, sondern bei noch bedeutenderen Theologen der Gegenpartei fand: „Nu wolan / das yhn nit alle ding mißlinge / will ich mich eben stellenn / sam 258 verstunde ichs spiel gar nichts / bit sie wollten widderumb / ßo ich auff den sack werd schlahenn / nit mercken / das ich den esel habe wolt treffenn / vnnd wo sie disse bit nit wollen erhoren / ßo bedinge ich zuuor / wo ich wurd etwas widder die newen Romanistischenn ketzer vnd schrifftlesterer sagen / das sichs nit allein annehm der arm vnmundig schreyber zu Leyptzck / ym barfusser kloster / sondern viel mehr / die großhertzigen fenrichen / die nit durften an den tag sich geben / vnd doch gerne wollten sighafftig werden / vnder eyns andern namen. Ich bit ein yglich frum Christenn mensch / wolt mein wort also aufnehmen / ob sie villeicht spottisch oder spitzig sein wurden / als auß einem hertzen gesprochenn / das sich hat must mit grossem wehe brechen / vnnd ernst in schimpff wandeln / angesehen das tzu Leyptzck / da doch auch frum leut seinn / die die schrifft vnd gottis wort / mit leyp vnd seel erredten / ein solcher lesterer offentlich redt vnd schreybt / der die heyligen gottis wort nit hoher acht vnd handlet / dan als het sie / einn stock oder gelt narr / in der fastnacht fur ein mehrlin ertichtet.“259 Alveldt, „der arme, unmündige Schreiber zu Leipzig aus dem Barfüßerkloster“, erscheint hier nur als Exponent der „neuen Romanistischen Ketzer und Schriftlästerer“, die sich sonst noch bedeckt halten. So muss Luther „den Sack schlagen“, obwohl er ‚den Esel hat treffen wollen‘. Doch wird die Schrift Alveldts als so ‚herzzerbrechend‘ geschildert, dass sie bei Luther den ‚Ernst in Schimpf verwandelt‘. Deshalb bittet er „einen jeglichen frommen Christenmenschen“ um verständnisvolle Aufnahme auch ‚spöttischer oder scharfer‘ Worte. Luther gibt sich persönlich betroffen, dass Alveldt gerade zu Leipzig schreibt, wo es auch „fromme Leute“ gibt,

adeo crudeliter et turpe in virum christianum et insontem fratrem Augustinum qui nunquam te vel tuos lesit, insurgeres, sicque gloriose afficeres?“ 256 Das stellte Fritzhans bereits als eine ungerechtfertigte Behauptung Bernhardis dar (ebd. B 3v). 257 Siehe Alveldt: Von dem babstlichen stule. In: Flugschriften gegen Reformation, Ed. Laube 72–90. Siehe dazu die Einleitung zu Luther, Martin: Von dem Papsttum zu Rom wider den hochberühmten Romanisten zu Leipzig. In: WA 6, 277–284; Luthers Werke in Auswahl, Bd. 1 [LWA 1], Ed. Otto Clemen. Berlin 61966, 323. 258 gleichsam, als. 259 Nach: LWA 1, 324,16–325,6. In dieser Ausgabe wird der Originaldruck reproduziert aus Wittenberg, bei Melchior Lotther (d. J.), 1520. Siehe dazu WA 6,285,30–286,13.

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die sich ‚für die Heilige Schrift und Gottes Wort mit Leib und Seele einsetzen‘.260 Das empört ihn, weil er Alveldt als öffentlichen „Lästerer“ der Heiligen Schrift empfindet, der die „heiligen Gottes-Worte“ nur wie zur Fasnacht von Narren erdichtete Geschichtchen achtet und behandelt. Alveldts weithin traditionelle Schriftauslegung, die nur wenige Besonderheiten aufweist wie etwa den Vergleich des aaronitischen Hohenpriestertums mit dem Papsttum, empfindet Luther bereits als lächerlich und völlig verkehrt. Luthers Verständnis der Heiligen Schrift als Gotteswort hat sich so weit vom traditionellen Schriftverständnis entfernt, dass er die papsttreuen Theologen insgesamt als neue Häretiker und Lästerer der Heiligen Schrift ansieht. Weil diese jedoch und somit auch Alveldt ihre durchaus verbreitete Sicht nicht aufgeben und sich nicht Luther anschließen, ist die gegenseitige Verketzerung und damit die Kirchenspaltung nur konsequent. Da Alveldt die Böhmen (Hussiten), Griechen und Russen mit ihren unabhängigen Kirchen als „Ketzer“ bezeichnet hatte261, konnte Luther schreiben: „Dan disse alle / glewben wie wir / teuffen wie wir / predigen wie wir / leben wie wir / halten auch den Bapst in seynen ehren / on das sie nit gelt geben fur yhre Bischoff vnd priester zubestetigen. wollen sich auch mit ablas / bullenn / bley / pergamen / vnnd was der Romischen war mehr sein / nit lassen schinden vnd schenden / wie die truncken / vollen deutschen thun / sein auch bereyt das Euangelium zuhoren von dem Bapst odder Bapsts botschafften / vnd mag yhn doch nit widderfaren [...] Nu hab ich gehalten vnd halt noch / das die selben nit ketzer noch abtrunniger sein / vnnd villeicht besszer Christen dan wir / nit alle / gleich wir wir nit alle gutte Christen seyn. Dawidder streit nw noch den andern auch das feyne barfussische buchle von Leyptzck / vnd geht daher auff den holtzschuchenn / ia auff steltzenn / lessit sich duncken / es tret fur allen allein nit in den kat [Kot] / wolt villeicht auch gerne tantzen / wer yhm ein pfeiffen keuffte.“262 Für Luther waren die von Rom getrennten Kirchen durchaus christlich, ohne dass er auf die jeweiligen theologischen und kulturellen Unterschiede etwa zwischen den Hussiten und den Orthodoxen eingeht. Was sie in der Sicht Alveldts häretisch machte, nämlich die mangelnde Unterwerfung unter den päpstlichen Stuhl, das hinderte sie nach Luthers Überzeugung nicht, „den Papst in seinen Ehren“ zu halten und „bereit“ zu sein, „das Euangelium zu hören von dem Papst und des Papstes Botschaften“. Aber das genügte ja den Päpsten und ihren Theologen nicht, denn sie möchten für das Papsttum nur mehr Macht über Bischöfe und Priester und mehr Geld für ihre „Ware“, etwa für Amtsbestätigungen, Ablässe und Bullen. Luther spielte damit auf Missbräuche an, die gerade damals in Deutschland als besonders gravierend empfunden wurden. Aber all das hatte für ihn im Grunde mit dem besonderen Vollmachtsanspruch des Papsttums zu tun, den Alveldt als „göttlichen Rechts“263 verteidigte. Für Luther ging es da nur um äußere Rechtsordnung, die nicht in Gesetz und Evangelium göttlich-geistlich begründet sein kann: 260 So kann man wohl das „erredten“ des Originaldrucks, das wohl „erretten“ bedeutet (vgl. LWA 1, 325,3 Anm., WA 6, 286,10), sinngemäß übertragen. 261 Siehe Alveldt, Von dem bapstlichen stule 77–79. Alveldt zählt merkwürdiger Weise noch die Muslime dazu: „Die Machometen haben ein stuck von dem christlichen glauben und von den sacramenten“ (ebd. 77,1–2). 262 Siehe LWA 1, 325,37–326,22; WA 6, 287,9–29. 263 Vom „göttlichen Recht“ (ius divinum) des päpstlichen Primates spricht Alveldt nur in seiner lateinischen Schrift „Super apostolica sede“ (vgl. oben Anm. 222; 230; 232f.). In der deutschen Schrift „Von dem babstlichen stule“ wird das umschrieben als das von Christus selbst anvertraute oberste Hirtenamt (vgl. Laube, Flugschriften gegen Reformation 80f.).

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„Darumb muß auch nit war sein, das es gotliche ordnung sey / vnter der Romische gemein zu seinn / Dan wer einn gotlich ordnung helt / der helt sie alle / vnd mag keyn on die andern gehalten werden. Also muß es ein offentliche / lesterliche lugen sein in den heyligen geyst / wer da sagt / das die eußerliche eynickeit Romischer gewalt / sey erfullung eyniger gotlicher ordnung / ßo alßo vil drynnen sein / die kein gotlich ordnung achtenn noch erfullenn. Daher kompt es / das nit ketzerey macht / hie odder da seynn / sondern nit recht glaubenn das macht ketzer.“264 Die wahre innere Einigkeit ergibt sich also für Luther allein aus dem rechten Glauben und ist nicht identisch mit der äußerlichen Einigkeit römisch-päpstlicher Vollmacht, die nach ihm nicht die Achtung und Erfüllung göttlicher Ordnung in Gesetz und Evangelium garantierte. Darum mag es äußere Ausdrucksformen von Glauben und Kirche geben, wesentlich und an erster Stelle kommt die innere Zusammengehörigkeit im rechten Glauben: „Auß all dem folget, das die erste Christenheit die allein ist die wahrhafftige kirch / mag vnd kann kein heubt auf erden haben / vnnd sie von niemant auff erden / noch Bischoff / noch Bapst regirt mag werden / sondern allein Christus ym hymel ist hie das heubt / vnd regirt allein.“265 Von ihm allein kommt „alles leben / sin vnd werck“266, nämlich Leben, Bedeutung und Wirkung im Glauben, und das zeigt sich auch äußerlich: „Die zeichen / da bey man eußerlich mercken kann / wo die selb kirch in der welt ist / sein die tauff / sacrament vnd das Euangelium / vnnd nit Rom / diß odder der ort. Dan wo die tauff vnd das Euangelium ist / da sol niemant zweyffeln es sein heyligen da / vnd soltens gleich eytel kind in der wigen sein. Rom aber odder bepstlich gewalt / ist nit eyn zeychenn der Christenheit / dan die selb gewalt macht keinen Christen / wie die tauff vnd das Euangelium thut / drumb gehoret sie auch nichts zur rechten Christenheit / vnd ist ein menschlich ordnung.“267 Mit diesen sichtbaren Zeichen von Kirche, die freilich in ihrer Bedeutung nur im Glauben recht und ganz erfasst werden können, eröffnete Luther einen sehr weiten Raum für christliches Leben und christliche Gemeinschaft. Darin schien aber kaum Platz zu sein für päpstliche Vollmacht, selbst wenn sie vielleicht nur ein Dienst wäre, das Evangelium zu identifizieren und die weltweite Gemeinschaft zu einen. Auf jeden Fall ist für Luther ein „Regieren“ der Kirche, wie es Alveldt mit dem Amt des obersten Hirten verbunden hatte268, ausgeschlossen. Den entsprechenden Text Joh 21,15–17 legt Luther ganz anders aus als Alveldt: 2 64 Luther, Von dem Papsttum zu Rom LWA 1, 332,40–333,7; WA 6, 294,24–31. 265 Siehe ebd. LWA 1, 336,11–14; WA 6, 297,37–40. 266 Ebd. LWA 1, 336,22; WA 6,298,7f. 267 Ebd. LWA 1, 339,16-23; WA 6, 301,3–10. 268 Siehe Alveldt, Super apostolica sede F 4b: „Si id studiosus in te animus non occoecata [!] malicia rimatur, deum [!dei] benignitate facile veritatem videbimus. Itaque praeterquam quod in vero et genuino sancti Iohannis euangelistae contextu est non solum bose id est pasce, sed etiam poimene quod significat et rege et pasce; id quod super eodem loco doctissimus Germanorum Erasmus ille etiamnum annotauit, et Homerus non semel poimnaj lawn vocat principes et reges.“ In: Köhler, Flugschriften Fiche 335 Nr. 547. Siehe auch Alveldt, Von dem bapstlichen stule 80,29–33: „Peters stul, den Christus unßer Godt auffgerichtet hat, do er sprach tzu Petro: Czum ersten du salt huten meiner scheflein, aber tzum andern mal, du salt huten meiner scheflein, tzum dritten: du salt regirn meine scheflein [Joh 21,15–17], wen alßo hat der text in grekischer schrifft alß auch Erasmus Roterodamus sagt im XXI. capitel Johannes.“ Vgl. dazu Erasmus, Desiderius: Annotationes 1515. In: Erasmus, Desiderius: Opera omnia, Bd. 6. Ed. Jean LeClerc. Leiden 1703–06 (6, 518 E/F, 167). Erasmus

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„derhalben leydet sichs nit / das solch wort Christi werden getzogen zur euserlichen gewalt / die on yhr selbst mag gehorsam vnnd vngehorsam sein / weyden kann nit anders dan gehorsam sein. Das hat auch Christus gewolt / dan er zu Petro drey mal sagt: ‚weyde meine schaff ‘ / fragt ehr yhn zuuor drey mal / ob er yhn auch lieb hette / vnnd Petrus drey mal antwort / ehr het yhn lieb / das es offenbar ist / wo nit lieb ist / da ist kein weyden / derhalben muß das bapstum liebe sein / odder muß nit weyden sein / vnnd wo das wortlein / weyde meine schaff / den bapstul setzet / ßo folget / das souil bepste sein / so vil der sein die Christum lieben vnd die schaff weyden / das ist auch war / dan ßo hießen vortzeyten alle bischoff / bepste / das nw nur dem Romischen ist zugeeygent.“269 Dieser Bezug des Hirtenamtes und der Hirtensorge zur Liebe wird von Luther geradezu emphatisch betont: „Christus redt von der hochsten / sterckisten / besten lieb / die do sein mag. Er wil nit mit falscher halber lieb geliebt sein. Es muß hie gantz vnd auffs best odder nichts geliebt sein / vnd die meynung / das ehr in sanct Peters person / alle prediger vnterweyßet / wie sie sollen geschickt sein / als solt er sagen / Sihe Peter / soltu predigen mein wort / vnnd damit meine schaff weyden / ßo wird sich gegen dich erheben / hell / teuffel / welt / vnnd alles was nur in der welt ist / vnd must daran setzen / leyp / leben / gut / ehre / freund / vnd alles was du hast / das wirst du nit thun / du habest mich dan lieb / vnd hangest fest an mir.“270 Damit ist eine allgemein mit dem Hirtendienst im Sinne Jesu Christi und besonders mit der Predigt des Gotteswortes verbundene Liebesverpflichtung angezeigt, der freilich kein Mensch und Christ nachkommen kann, wenn er nicht auf die mitgemeinte Zusage des Evangeliums vertraut. Davon ist freilich keine Rede, zum einen, um die geforderte Liebe gegen die damaligen, von Alveldt zugegebenen Missstände im römischen Papsttum in einen deutlichen Kontrast zu stellen, zum andern um die Ausflucht einer dennoch hinreichenden Funktionsfähigkeit der Institution Papsttum unmöglich zu machen. Aber ist nicht wie jeder kirchliche Dienst so auch der Dienst des Hirtenamtes auf die dem Petrus geschenkte Vergebung seines Versagens angewiesen? Das wird wie vorher von Alveldt auch von Luther nicht bedacht, ergäbe aber eine bessere und hilfreichere Sicht des kirchlichen Amtes und selbst des Papsttums. Luther bleiben so zu Ende nur noch Hohn und Spott über Alveldt, von denen er Stadt und Universität Leipzig freilich verschonen will: „Das ich aber Leiptzck habe nennet / ßol niemant achten / das ich die loblich stadt und universitet damit will in einen schympff setzen. Es hat mich zwungen der auffgeblasieht hier keinen bedeutsamen Unterschied zwischen den beiden Worten „pasce“ und „rege“, und er betont wie Luther besonders die Liebespflicht der „Hirten“: „Illud obiter est admonendum, qui hoc loco gloriantur sibi commissum gregem Domini, eos primo oportere meminisse a Petro ter exactum amorem erga Christum, neque quemlibet amorem, sed ardentiorem caeteris; deinde ter item commissam curam gregis. Illud nimirum significatum est non esse idoneum sacerdotio nisi qui neglectis omnibus nihil amet nisi Christum, hoc est veritatem, innocentiam, pietatem. Ad haec nihil est antiquius esse debere incolumitatem gregis sibi crediti. Proinde quaeso, quod frontis est istis quibusdam qui prophanis, imo sceleratis obsequiis principum, qui pecuniis huc penetrant, qui sacerdotium nihil aliud quam quaestum et tyrannidem esse putant? Nec meminerunt quam attente quibusque legibus Christus suas oues Petro commiserit? Nec commiserit deuorandas, sed pascendas. Pascendas exemplo piae vitae, pascendas euangelicae doctrinae pabulo, siue lac desiderabunt siue solidum cibum; pascendas etiam opum subsidio, si res ita poposcerit.“ 269 Siehe Luther, Von dem Papsttum zu Rom LWA 1, 356,25–33; WA 6, 318,34–319,8. 270 Ebd. LWA 1, 357,23–31; WA 6, 620,4–12.

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sen / hochmutige / ertichte titel dißes Romanisten / der sich rumet offentlich leßer der gantzenn heyligen schrifft zu Leyptzck / wilche titel die gantz Christenheit yn aller welt nie hat yhr zugeschryben / und das der selben stadt und radt zugeschrieben / und wo er sein affenbuchle nit het ynß deutz geben / die armen leyen zuvorgifften / wer er mir viel zugering angesehen. Dan das grobe mullers thier kann noch nit sein ika ika singen / unnd legt sich unberuffen in solch sach / die der Romische stul selb mit allen bischoffen und gelereten / in tausent jaren nit hab mugen außfuren.“271 Damit will Luther freilich auch Stadt und Universität gegen Alveldt und seine Positionen einnehmen. Luther scheint dabei den besonderen Titel Alveldts „öffentlicher Lektor der Heiligen Schrift zu Leipzig“272 nicht zu kennen, vielleicht weil ihm aus Wittenberg und Erfurt die besondere Stellung des franziskanisch-observanten Studiums in Leipzig nicht vertraut ist.273 Es könnte aber auch sein, dass Luther wie vorher sein Schüler Lonicer Anstoß nimmt, dass sich anscheinend Alveldt rühmt, mit der Auslegung der „ganzen“ Heiligen Schrift beauftragt zu sein.274 Doch durch einen intensiven Umgang mit der Bibel in persönlicher und gemeinschaftlicher Lektüre wie durch seine besondere, wenn auch ordensinterne Ausbildung war Alveldt mit der Heiligen Schrift vertraut, allerdings ganz in ihrem traditionellen Verständnis. Gerade das Schriftverständnis, in dem Alveldt aufgewachsen war und sich zuhause fühlte, konnte Luther aber nicht mehr gelten lassen.275 Dabei mag Luthers Vorurteil gegen die an keiner Universität ausgebildeten franziskanisch-observanten Theologen wie Alveldt mit im Spiel sein.276 Dass sich Alveldt wie schon Dappen in Jüterbog so entschieden für den päpstlichen Primat einsetzte, ist aber nicht so sehr begründet in seiner Berufung als Lehrer der Theologie, die Luther nicht anerkennt. Beide ergreifen die Partei des Papstes und der römischen Kirche vor allem als ihrer Ordensregel treue Franziskaner, weil sie sich daher zu Ehrfurcht und Gehorsam gegenüber dem Papst und zur Unterordnung unter die römische Kirche verpflichtet sehen.277 Schon von daher hätte Alveldt den Primat des Papstes kaum als so problematisch empfinden können, wie das Luther hier tut:

271 Ebd. LWA 1, 360,41–361,10; WA 6, 323,23–32. Vgl. dazu die Widmung an die „achtbaren und weysen herren burgemeister und radtherren und allen ersamen burgeren der stadt Leyptz“ in Alveldt, Von dem babstlichen stule 72; Köhler, Flugschriften Fiche 86 Nr. 229, A 1v. 272 Vgl. oben Anm. 220f.; 223f. Siehe dazu auch Schlageter, Franziskanische Bildung und Tradition 346f. 273 Hier gab es ja neben der öffentlichen Lehrtätigkeit der Franziskaner und Augustiner an der Universität nur die Hausstudien dieser Orden, die keine derart öffentliche Bedeutung hatten. 274 Siehe Lonicer, Contra Romanistam, A 2v: „Quis autem feret mendacissimum hoc iactantiae monstrum? grammaticaster hic totum Canonem Biblicum legere iactat, quem nec omnes vniuersitates, vlla Ecclesia, vllus doctor unquam legerunt, ni forte in lectionibus refectorij et matutinali. Sed esto, voluit namque hic publicus lector Canonis hac sua synecdocha ostentari in titulo, quam insigniter esset mendax in toto libro.“ In: Köhler, Flugschriften Fiche 127 Nr. 342. 275 Vgl. Luther, Von dem Papsttum zu Rom LWA 1, 359,6–9; WA 6, 321,28–30: „Ich finde nichts darynnen [in Alveldts Büchlein] / dan das er die heyligen schrifft / mit seinem vnnutzen geyffer begeyffert / wie ein rotzicht kind / ist an keinem ort seiner wort mechtig odder selbvorstendig.“ 276 Dieses Vorurteil zeigte sich ja bereits bei der Reaktion Luthers 1519 auf die Vorwürfe der FranziskanerObservanten von Jüterbog, siehe oben Anm. 53. 277 Vgl. schon Regula non Bullata nr. 3: „Frater Franciscus et quicumque erit caput istius religionis promittit obedientiam et reverentiam domino Innocentio papae et suis successoribus.“ In: Esser / Grau, Opuscula 377; Franziskus-Schriften 70. Siehe vor allem Regula Bullata 1,2; 12,3–4. In: Esser / Grau, Opuscula 367; 371; Franziskus-Schriften 94; 102.

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„Szo ist mein meynung von den Bapstum also gethan / die weyl wir sehen / das der Bapst ist vbir alle unsere Bischoff / in voller gewalt / dahin ehr on gotlichen rad nit ist kummen / wie wol ichs nit acht / das aus gnedigen / sondern mehr auß zornigem rad gotis datzu kummen sey / der zur plag der welt zulessit / das sich menschen selbs erheben vnd andere vntertrucken.“278 Obwohl Luther also Gottes Ratschluss sieht in der Überordnung des Papstes über alle Bischöfe, so doch nicht Gottes gnädigen Willen, sondern Gottes Zorn, der Selbstüberhebung und Unterdrückung als Plage für die Welt zulässt. Das lässt keinen sinnvollen Dienst des Papsttums in der Kirche mehr erkennen. Deshalb möchte Luther dem Papsttum vor allem Grenzen setzen: „Das erst, ich wils nit leyden / das menschen sollen new artickel des glaubens setzen / vnd alle ander Christen in der gantzen welt schelten / lesteren vnnd vrteylen fur ketzer / abtrunnige / vnglewbige / allein das sie nit vnter dem bapst sein. Es ist gnug das wir den Bapst lassen bapst sein / ist nit not das vmb seynen willen werden vorlestert got vnd seine heyligen auff erden. Das ander / allis was der bapst setzt / macht vnd thut / will ich also auffnemen das ichs zuuor nach der heyligen schrifft vrteyle. Er sol mir vnter Christo bleyben / vnnd sich lassen richtenn / durch die heyligen schrifft.“279 Diese Begrenzung des päpstlichen Lehr- und Leitungsamtes stimmt anscheinend weitgehend mit dem überein, was schon früher Kritiker einer Verabsolutierung päpstlicher Vollmacht geäußert haben, wobei auch das Kriterium der Heiligen Schrift ins Feld geführt wird. Allerdings bringt Luther in seiner ichbetonten Sprache weniger allgemein nachprüfbare und diskutable (rational begründbare) Urteile aus der Heiligen Schrift ins Spiel als vielmehr sein ganz persönliches Urteil. Dass Schriftauslegung zu neuen, nicht einfach rational ableitbaren Erkenntnissen kommen kann, kam auch in bisheriger Hermeneutik der Heiligen Schrift zum Ausdruck, aber zunächst als Möglichkeit von charismatisch oder institutionell besonders qualifizierter Offenbarung beziehungsweise Einsicht in den Schriftsinn. Doch bereits bei Ockham wird von daher an die Chance gedacht, in Krisenzeiten des traditionellen Systems von Kirche gerade mit neuen theologischen Einsichten in den Sinn der Heiligen Schrift weiter zu kommen.280 Bei Luther wird daraus allerdings eine neue reformatorische Theologie aus der zentralen Neuentdeckung des Evangeliums, die ein konservativer Kritiker wie Alveldt nur als Angriff auf die überlieferte Einheit und Ordnung der Kirche werten kann, ohne auf ihre eigentlich existentielle Begründung jemals einzugehen und sie in ihrer gedanklichen Konsequenz zu verstehen. So kommt Alveldt in seinen Antwortschriften auf Luthers Polemik zu keinem tieferen Eindringen, sondern wendet sich nur mit traditionellen Argumenten den weiteren Themen zu, die Luther in seiner reformatorischen Theologie aufgreift.281 278 Luther, Von dem Papsttum zu Rom LWA 1,359,10–15; WA 6, 321,31–35. 279 Ebd. LWA 1, 359,19–27; WA 6, 322,2–3. 280 Vgl. zum Ganzen etwa Schlageter, Hermeneutik der Heiligen Schrift 230–283; siehe auch Schlageter, Die Autorität des kirchlichen Amtes 183–231. 281 Vgl. etwa Alveldt, Ein Sermon darinnen sich Bruder Augustinus von Alveldt […] beclaget. Siehe Laube, Flugschriften gegen Reformation 91–109, wo er in der 2. Ausgabe dieser Schrift bereits auf Luthers Sermon von dem neuen Testament, das ist von der heiligen Messe (WA 6, 353–378) eingeht (Laube, ebd. 101–105). Ähnliches gilt auch von anderen Schriften Alveldts wie Alveldt: Malagma optimum nuper confectum contra infirmitatem fr. Ioannis Loniceri et fr. Martini Lutheri. In: Köhler, Flugschriften Fiche 121 Nr. 325; ders., Bibliographie I 1, 45f. (nr. 90); Pia collatio F. Augustini Alveldiani ad R. P. Doctorem Martinum Luderum

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Für den Kern der Auseinandersetzung zwischen Franziskanern und Reformation, um die es in dieser Darstellung vor allem geht, ist jedoch entscheidend jene Schrift, in der Luther den Bruch mit der Papstkirche mit letzter Konsequenz vollzieht: „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche ein Vorspiel“.282 Hier kann Luther nun eindeutig schreiben: „ich weiß nun und bin gewiss, das Papsttum ist das Reich Babylons, und die Macht Nimroths, des starken Jägers“283; und er meint damit ein antichristliches Reich und eine antichristliche Macht. Zu dieser Einsicht, schreibt er, haben ihn seine Gegner gebracht. Dabei nennt er neben Johannes Eck, Hieronymus Emser und dem italienischen Dominikaner Isidoro Isolani auch Alveldt: „Es schrieb gegen mich über beiderlei Gestalt des Sakramentes ein anderer Bruder aus Leipzig, ein Deutscher, jener Lektor, wie Du weißt, des ganzen biblischen Kanons, der (wie ich höre) noch Größeres und seltsam Wunderbares tun will. Der Italiener hat freilich vorsichtig seinen Namen verschwiegen, vielleicht aus Furcht vor dem Beispiel [Kardinal] Cajetans und Silvesters [Prierias]. Der von Leipzig dagegen, wie es sich für einen kämpferischen und wilden Deutschen geziemt, hat in vielen Zeilen des Titels seinen Namen, sein Leben, seine Heiligkeit, sein Wissen und Amt, seine Herrlichkeit und Ehre, ja beinahe seine Holzschuhe gefeiert. Hier werde ich zweifellos nichts Mittelmäßiges lernen, da er nämlich dem Sohn Gottes selbst einen Widmungsbrief schrieb, so vertraut sind diese Heiligen mit Christus, dem König der Himmels. Drei Elstern scheinen mir da zu sprechen, die eine gut lateinisch, die andere besser griechisch, die dritte sehr gut hebräisch. Was meinst Du, lieber Hermann284, soll ich da anders zu tun als meine Ohren zu spitzen? Die Sache Leipzigs wird da betrieben durch die Observanz vom heiligen Kreuz. Bisher habe ich Tor gemeint, es wäre schön, wenn ein allgemeines Konzil die Darreichung von beiden Gestalten des Sakramentes an die Laien beschlösse. Um diese Meinung zu korrigieren, hat der mehr als höchst gelehrte Bruder gesagt: Es gebe weder ein Gebot noch einen Rat, ob von Christus oder von den Aposteln, den Laien beide Gestalten des Sakramentes zu reichen. Daher sei es dem Urteil der Kirche überlassen, was hier zu tun oder zu unterlassen ist. Ihm müsse man gehorchen.“285 super biblia nova Alveldensis (Köhler, Flugschriften Fiche 1438 Nr. 3820; ders., Bibliographie I 1, 46); Sermo de confessione sacramentali (Köhler, Flugschriften Fiche 99 Nr. 262; ders., Bibliographie I 1, 47); Tractatus de communione sub utraque specie (Köhler, Flugschriften Fiche 336 Nr. 949; ders., Bibliographie I 1, 50). 282 Luther: De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium (August-Oktober 1520), siehe LWA 1, 426–512; WA 6, 497–573. 283 Ebd. LWA 1, 427,20–21; WA 6, 498,4–6: „scio nunc et certus sum, Papatum esse regnum Babylonis, et potentiam Nimroth robusti viatoris“. 284 Zur Widmung an Hermann Tulich vgl. die Einführung ebd., LWA 1, 426; WA 6, 487. 285 Ebd. LWA 1, 427,34–428,20; WA 6, 498,16–34: „Scripsit in me de utraque specie sacramenti frater alius Lipsensis Germanus, lector ille, ut nosti, totius Canonis Biblici, facturus (ut audio) adhuc maiora et mira mirabilia. Italus sane cautus nomen suum obticuit, forte exemplum Caietani et Sylvestri ueritus. Lipsensis contra, sicut decet strenuum et ferocem Germanum, multis tituli versibus nomen suum, uitam suam, sanctitatem suam, scientiam suam, officium suum, gloriam suam, honorem suum, pene et Caolopodia sua celebrauit. Hic procul dubio non mediocra discam, quandoquidem ad ipsum filium dei scribitur nuncupatoria Epistola, tam familiares sunt hi sancti Christo regnanti in coelis. Deinde tres mihi picae hic videntur loqui, una, bene latina, altera, melius graeca, tertia, optime Haebraica. Quid hic mihi, Hermanne mi, agendum putas aliud, quam, ut aures arrigam. Res Lipsiae agitur per obseruantiam sanctae Crucis. Hactenus ego stultus sensi, pulchrum fore, si pro laicis utraque species sacramenti porrigenda statueretur Concilio generali. Hanc sententiam frater plus quam doctissimus correcturus dicit, Neque praeceptum esse, neque consultum, siue a Christo siue Apostolis, ut utraque species porrigatur laicis, Ideoque Ecclesiae relictum iuditio, quid hic faciendum omittendumue

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Ironisch geißelt hier Luther die deutsche Kampfeslust Alveldts, unter Berufung auf seine Zugehörigkeit zur observanten Franziskanerprovinz vom Heiligen Kreuz und seinen Lehrauftrag als Lektor der Heiligen Schrift und mit fragwürdigem Gebrauch lateinischer, griechischer und hebräischer Sprache Luthers moderaten Vorschlag anzugreifen, ein allgemeines Konzil die Kommunion unter beiden Gestalten bestimmen zu lassen. Alveldts Schriftargumente gegen die Kelchkommunion für Laien können Luther ohnehin nicht überzeugen, ja er führt sie in ihrer Seltsamkeit regelrecht vor: „Du verstehst, lieber Tulich, den observantischen und neuen Brauch, die Schrift zu behandeln.“286 Als Ergebnis dieser Generalabrechnung, die auch die anderen Gegner mit einbezieht, kommt Luther zu dem für seine ganze Schrift bestimmenden Grundsatz: „Zu Anfang, ich muss die sieben Sakramente leugnen, und nur die drei zur Zeit behaupten, die Taufe, die Buße, das Brot, und diese alle hat die römische Kurie uns in erbärmliche Gefangenschaft geführt und die Kirche ihrer ganzen Freiheit beraubt. [...] Nun zum Sakrament des Brotes, von allen das erste. Ich möchte daher sagen, was ich auch im Dienst dieses Sakrament betrachtet und vorgebracht habe. Denn zu der Zeit, als ich die Predigt über die Eucharistie herausgab, hing ich am allgemeinen Brauch, unbesorgt um das Recht oder Unrecht des Papstes. Aber nun herausgefordert und hart geprüft, ja mit Gewalt in diese Kampfbahn gerissen, gebe ich in Freiheit an, was ich meine. Lachen oder klagen sollen die Papisten, oder alle zusammen.“287 Die Auseinandersetzung mit seinen Gegnern hat Luther also von früheren moderaten und den allgemeinen Bräuchen verpflichteten Meinungen weggeführt und ihn zu einer grundlegend neuen Sicht von Kirche und Sakramenten gebracht, mit der er die bisherige Gefangenschaft der maßgebenden sakramentalen Vollzüge in Taufe, Buße und vor allem Eucharistie überwinden will. Bezüglich der beiden Gestalten in der Eucharistie sagt er daher: „Ich betreibe das nicht deshalb, damit man mit Gewalt nach beiden Gestalten greift, als würden wir durch die Notwendigkeit eines Gebotes dazu gezwungen. Aber ich unterrichte das Gewissen, dass jeder die römische Tyrannei erduldet, im Wissen, dass ihm in diesem Sakrament sein Recht geraubt ist infolge seiner Sünde. Nur das will ich, dass niemand die römische Tyrannei rechtfertigt, als hätte sie recht getan, den Laien eine Gestalt zu verbieten. Sondern wir sollen sie verabscheuen und ihr nicht zustimmen. Doch wir sit, cui necesse sit obedire.“ Zu dem hier verspotteten Widmungsbrief Alveldts an Jesus Christus vor seiner Schrift Tractatus de communione Sub utraque specie vgl. Smolinsky, Augustin von Alveldt 109f. 286 Ebd. LWA 1, 429,38–39; WA 6, 500,7f.: „Intelligis, mi Tulichi, morem tractandae scripturae obseruanticum et nouum.“ Luthers Aversionen gegen die Franziskaner-Observanten, die seit dem Jüterboger Predigt-Streit sichtbar werden, zeigen sich erneut: „Nam hunc lectorem non decet rationem reddere eorum quae dicit, cum sit de professione eorum, qui uisionibus suis omnia probant et docent“ (ebd. LWA 1, 430,19–21; WA 6, 500,24f.). Zu dieser Auseinandersetzung über die Eucharistie vgl. insgesamt Smolinsky, Augustin von Alveldt 106–119. 287 Ebd. LWA 1, 431,34–432, 7; WA 6, 501,33–502,6: „Principio, neganda mihi sunt septem sacramenta, et tantum tria pro tempore ponenda, Baptismus, Poenitentia, Panis, et haec omnia esse per Romanam curiam nobis in miserabilem captiuitatem ducta, Ecclesiamque sua tota libertate spoliatam. [...] Nunc de sacramento panis, omnium primo. Dicam itaque, quid et in hoc sacramenti ministerio meditatus promouerim. Nam, quo tempore sermonem de Eucharistia edebam, in usu communi haerebam, nihil de Papa siue iure siue iniuria sollicitus. At nunc, prouocatus et exercitatus, immo, per uim raptus in hanc harenam, dabo libere, quae sentio. Rideant siue plorent Papistae, uel uniuersi in unum.“

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ertragen sie, nicht anders, als ob wir bei dem Türken gefangen wären, wo uns keine der beiden Gestalten erlaubt wäre. Darum habe ich gesagt, es schiene mir schön, wenn durch Bestimmung eines allgemeinen Konzils diese Gefangenschaft gelöst würde und uns jene christliche Freiheit aus den Händen des römischen Tyrannen zurückgegeben würde.“288 Wenn man also auch nicht mit Gewalt aufgrund eines zwingenden Gebotes die Kommunion unter beiden Gestalten einführen muss, soll doch die päpstliche Tyrannei überwunden werden, die bisher die Kelchkommunion der Laien verbietet. Dabei setzt Luther hier auf die Unterrichtung der Gewissen, damit diese Tyrannei nicht weiter gerechtfertigt erscheint und deshalb keine Zustimmung mehr erhält. Wie weit Luther hier noch auf die Entscheidung eines allgemeinen Konzils setzt, bleibt offen. Doch nachdem er bereits vorher das reformatorische Anliegen und die Befreiung aus römischer Tyrannei dem „christlichen Adel deutscher Nation“ anvertraut hat, kommen für ihn offenbar neue Wege für „des christlichen Standes Besserung“ in Betracht.289 Damit wird jedenfalls die Reformation nicht mehr von den traditionellen geistlichen Instanzen, also nicht mehr von einem allgemeinen Konzil im traditionellen Sinn, abhängig gemacht. Gegen eine bisher wichtige geistliche Einrichtung, die Orden der Kirche, richtet sich eine Empfehlung, die Luther im Anschluss an seine Ausführungen zur Taufe ausspricht: „Das eine füge ich hier an, von dem ich doch alle überzeugen möchte, nämlich dass man überhaupt alle Gelübde aufheben oder vermeiden sollte, ob von Orden oder von Wallfahrten oder von irgendwelchen Werken, und wir bleiben sollten in der höchst religiösen und wirkkräftigen Freiheit der Taufe. Man kann nicht sagen, wie die viel zuviel gepriesene Meinung von den Gelübden die Taufe abwertet und das Wissen um die christliche Freiheit verdunkelt, ganz zu schweigen von den unsäglichen und auch unendlichen Gefahren, die diese Begier zu geloben, die unberatene Verwegenheit, täglich mehrt. [...] Durch einen allgemeinen Erlass müsste man entweder die Gelübde aufheben, vor allem jene ewigen, und alle zu den Taufversprechen zurückrufen, oder sorgfältig ermahnen, dass niemand verwegen ein Gelübde ablegt, niemand dazu einladen, ja vielmehr die Zulassung zu den Gelübden erschweren und verzögern. Denn reichlich geloben wir in der Taufe und mehr, als wir erfüllen könnten, es ist genug zu tun, wenn wir uns diesem einen widmen. Aber jetzt durchstreifen wir Meer und Land, um viele Proselyten zu machen, um die Welt mit Priestern, Mönchen, Nonnen zu füllen und sie mit ewigen Gelübden einzukerkern. Hier magst du die finden, welche disputieren und bestimmen, ein Werk innerhalb des Gelübdes sei hervorragender als ein Werk außerhalb oder jenseits des Gelübdes und ich weiß nicht, mit welch großem Lohn im Himmel den anderen vorzuziehen. Blinde und gottwidrige Pharisäer, die infolge der Größe und Menge 288 Ebd. LWA 1, 437,36–438,10; WA 6, 507,21–29: „Itaque non hoc ago, ut ui rapiatur utraque species, quasi necessitate praecepti ad eam cogamur, Sed conscientiam instruo, ut patiatur quisque tyrannidem Romanam, sciens sibi raptum per uim ius suum in sacramento propter peccatum suum. tantum hoc uolo, ne quis Romanam tyrranidem iustificet, quasi recte fecerit, unam speciem laicis prohibens, sed detestemur eam nec consentiamus ei, et tamen feramus eam, non aliter, ac si apud Turcam essemus captiui, ubi neutra specie liceret uti. Hoc est, quod dixi mihi pulchrum uideri, si generalis Concilii statuto ista captiuitas solueretur, et nobis Christiana illa libertas e manibus Romani tyrrani restitueretur.“ 289 Vgl. Luther: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung, Juli-August 1520. Siehe LWA 1, 362–425, WA 6, 404–469. Hier wird gegen allen gesetzlichen ‚Zwang‘ zum Ordensleben bereits die Freiheit solcher Bindungen betont.

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oder einer anderen Eigenschaft der Werke die Gerechtigkeit und Heiligkeit messen, die doch bei Gott allein aus dem Glauben zugemessen wird, bei dem es keinen Unterschied der Werke gibt, außer infolge der Unterschiedlichkeit des Glaubens!“290 Luthers Kritik am traditionellen Verständnis des Ordenslebens, die bereits in seiner Vorlesung zum Römerbrief erkennbar ist291, verdichtet sich wie schon in seiner Schrift „An den christlichen Adel“292 zur grundsätzlichen Infragestellung der Ordensgelübde. Das hat zwar nicht mehr unmittelbar zu tun mit Luthers Antwort auf Augustin von Alveldt, sondern ist ein Thema, mit dem Luther sich in seiner existentiellen und pastoralen Betroffenheit auseinandersetzt. Aber es ist doch erstaunlich, dass der sonst so kämpferische Lektor von Leipzig auf diese Thematik zunächst kaum eingeht, sondern sich mehr mit Luthers Lehre zur Ehe beschäftigt.293 Ob Alveldt sich für eine Diskussion mit Luther über die Grundlagen des Ordenslebens noch nicht genügend gerüstet oder persönlich zu befangen fühlte?

1.5. Ein kleines Nachspiel Dass das reformatorische Anliegen, wie Luther und die Seinen es vertraten, auf einen Bruch mit der bisherigen Tradition und Institution der mittelalterlichen Papstkirche hinauslief, hatte sich bis 1520 hinreichend geklärt. Dem konnten traditionsgebundene Theologen und Franziskaner nicht folgen. Das wurde gerade am Beispiel Augustins von Alveldt deutlich, der mit aller Kraft für jene Traditionen und Institutionen der bisherigen Kirche kämpfte, die nach seiner Überzeugung grundlegend waren, besonders für die Tradition und Institution des römischen Papsttums. Geklärt war freilich noch nicht, wie weit und auf welche Weise aus diesem theoretischen Bruch sich nun praktische Konsequenzen ergeben würden. Luther und die Seinen beließen es vorerst bei Appellen, die bei der zunehmenden Feindseligkeit kirchlicher Instanzen sich bereits an die weltlichen richteten. Doch selbst die lang und breit 290 Luther, De captivitate LWA 1, 473,19–474,5; WA 6, 538,26–539,10: „Vnum hic addo, quod utinam cunctis queam persuadere, id est, ut uota prorsus omnia tollerentur aut uitarentur, siue sint religionum, siue peregrinationum, siue quoruncumque operum, maneremusque in libertate religiosissima et operosissima baptismi. Dici non potest, quantum detrahat baptismo et obscuret scientiam libertatis Christianae opinio illa uotorum plus nimio celebris, ut interim taceam infanda etiam eaque infinita pericula animarum, quae uouendi ista libido, inconsultaque temeritas quotidie auget. [...] Oportuit hic generali edicto, uel tollere uota, illa praesertim perpetua, et ad baptismi uota cunctos reuocare, uel diligenter monere, ne quis temere uoueret, nullum inuitare, immo difficiles tardosque esse ad uota permittenda. Abunde enim uouimus in baptismo, et plus quam possimus implere, sat negocii habituri, si huic uni intenderimus. At nunc mare et aridam circuimus, ut multos proselytos faciamus, mundum sacerdotibus, monachis, monialibus implemus, et hoc omnes perpetuis uotis incarceramus. Hic inuenias, qui disputent et statuant, opus intra uotum esse prestancius opere extra et citra uotum, et nescio quantis premiis in coelo aliis praeferendum, Pharisaei caeci et impii, qui ex operum magnitudine et multitudine aliaue qualitate metiuntur iustitiam et sanctitatem, quae ex sola fide apud deum mensuratur, apud quem nulla est differentia operum, nisi quanta est fidei differentia.“ Vgl. dazu Jesu Anklage der Pharisäer in Mt 23, bes. 23,15. 291 Vgl. oben Anm. 8. 292 Siehe Luther, An den christlichen Adel LWA 1, 393–395; WA 6, 438–440, wo Luther bereits die ursprüngliche Freiheit der Ordenszugehörigkeit betont. 293 Vgl. dazu Luther, De captivitate. In: LWA 1, 489–497; WA 6, 550–560; Alveldt, Von dem elichen standt widder bruder Martin Luter Doctor tzu wittenberg. In: Köhler, Flugschriften Fiche 325 Nr. 915; ders., Bibliographie I 1, 50 (nr. 108).

Ein kleines Nachspiel

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entwickelte Kritik am kirchlichen Buß- und Ablasswesen hatte noch keine praktische Folgen. Im Gegenteil! „In den Jahren 1519 und 1520 erfuhr die Ablasspraxis in Wittenberg sogar noch eine Intensivierung.“294 Durch päpstliche Erlasse und entsprechende Privilegien für Friedrich den Weisen wurden die bisher üblichen Ablassfeiern erheblich ausgeweitet. Die „Diskrepanz zwischen der programmatischen Kritik der Wittenberger Theologen am Ablasswesen und der gesteigerten Ablasspraxis“ musste die reformatorische Theologie gerade am Ort ihres Entstehens fragwürdig erscheinen lassen.295 In dieser Situation wollte Andreas Karlstadt die reformatorische Theologie ganz klar machen, indem er am 10. August 1520 auf Angriffe antwortete, die observante Franziskaner in Annaberg/Sachsen gegen die Ablasslehre der Wittenberger richteten: „Es seynt tzween brueder parfußer ordens / nemlich bruder Franciscus Seyler / der sich ein vnuordienten Gardian / in dem scheynbarlichen kloster / auff sant Anneberg schreybe / vnd Johan Forchem / Vice Gardian dasebst / ym predigstull / der tzu vorkuendung gottes wort vnd warheyt auffgericht / gestanden / vnd haben gesagt / man sol sich nit keren an die newen propheten / die den Ablas in tzweyffel setzen / aber untuglich schatzen / dan die selben / seynd vorfuerer des volcks / Disse brueder haben vns Wittenberger offentlich / vnd teutlich / in ob angetzeygter stelh / genant / vnd vor dem hauffen Christlicher menschen / als solche Propheten / die Christo / sein tewer gewonnen volck / vorleyden / mit starckem vnd freyhen geschrey vorurteylt. Weyll ich dan / die tzeyt doselbst gewest vnd treffelicher vorletzet vnd vorleumbt Auch mich schuldig erken / der berumpten Vniuersithet Wittenbergk / eher / preyß / lob vnd nutz / zu halten / vnd nach vormugen zuuortreden. Wie woll ich yhe vnd ye mich bevlissen hab / gar wenig oder nichts / gegen dem Ablas zusagen / Doch dringen mich die heyligen grohan munchen vnd vorgunden mir / das ich stil schweyg / dan sie ob genante Vniuerßteet der glidmaß ich byn / hochlich vorletzen / vnd mich zusampt der Vniuersitet handeln / als solt ich ein solcher prophet sein / der das volck gottes / mit falscher leer / gar abtziehe / vnd in eynen affterglauben fuere.“296 Die Auseinandersetzung ergab sich also aus Predigten, die Brüder aus dem observant geprägten Franziskanerkloster in Annaberg/Sachsen, der Guardian Franz Seyler und der Vize-Guardian Johannes Forchheim, gehalten hatten. Dort scheinen sie die Wittenberger Theologie ingesamt wegen ihres Zweifels am Ablass und an dessen Tauglichkeit zum Heil angegriffen haben, während sich Karlstadt selber in der Gegend aufhielt. Dadurch fühlte Karlstadt sich als Mitglied der Wittenberger Universität auch persönlich angegriffen, zumal die Wittenberger insgesamt als falsche Propheten und Volksverführer hingestellt wurden. Karlstadt hat, wie er dann schreibt, durch zwei Brüder von Franz Seyler eine Erklärung der Vorwürfe gefordert, aber eine nach seiner Ansicht nur unzureichende briefliche Antwort

294 Kruse, Universitätstheologie 163. 295 Siehe insgesamt ebd. 163 besonders die Bemerkung des Hieronymus Scheurl aus Nürnberg in einem Brief an Spalatin, Anm. 245: „[...] mirum, unde propulsentur indulgentiae et ex omni Germania, eo potissimum advocentur“ (Scheurl, Hieronymus: Briefbuch II nr. 215. Hg. von Franz von Soden / Joachim Karl Friedrich Knaake. Potsdam 1867 ND Aalen 1967, 114). 296 Siehe Karlstadt, Andreas Bodenstein von: Vom vermugen des // Ablas. wider bruder // Franciscus Seyler // parfuser ordens / Andres Carol//stat Doctor [Wittenberg; Rhau-Grunenberg 1520] A 2r. In: Köhler, Flugschriften, Fiche 437 Nr. 1182; ders., Bibliographie I 2, 211 (nr. 1964).

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erhalten.297 Weil also nach ihm die Vorwürfe ohne zureichende Begründung aus der Heiligen Schrift erneuert wurden, schreibt Karlstadt weiter: „Hatt nicht lieber Bruder Francisce / meyn doctor Martinus vill mals begert er wuelde sich gern / durch die schrifft lassen weyßen / Des gleychen bin ich noch erpuetig / von einem ungelarten kindlein zu lernen das mich von irrungen abfueren vnd vnderricht magk / ich geschweych / das mir wider seyn solt / von eynem zu lernen / der eyn seyl 40 iar umb den nabel gegurt / vnd den Psalter außwendig syngen kan.“298 Nach Karlstadt hat Seyler für seine Meinung Johannes Eck, die Päpste und die Ordenslehrer Bonaventura, Duns Scotus, Franziskus de Mayronnes und Nikolaus de Orbellis (Dorbellis) ins Feld geführt. 299 Johannes Eck, so sagt Karlstadt, ist sein Feind, dem er nichts Gutes zutraut. Den Päpsten zieht er die Heilige Schrift vor: „ich lerne teglich / daz den Christen allen vnd yglichem / er sey Babst / Bischoff / geystlich oder weltlich / kleyn oder groß / hoch aber nyder / die heylig schrifft / wie eyn tryfeltiger strick / den niemants zu reyssen kann / fur gegeben / auß der selbe vorstaendige mich wol vnd recht / Was darffstu mich zu menschen weyßen / fure vns in die schrifft / leer vns durch gotliche schrift.“300 Von den „schulvettern“, den Scholastikern, bemerkt er skeptisch: „muglich ist es das sie alle geirret vnd blind gewest / vnd das / der yhn nach geeth / mit yhnen in die gruben fall.“301 Wie Doktor Martinus, Luther selbst, betont Karlstadt das unbedingte Schriftprinzip: „ich byn ein Christ / vnd frag dich von gotlichem willen / ob got ablas ye hatt wollen haben / das soltu außer der schrifft / dar in gotlicher will scheynet / vnderweyßen.“302 So kommt er zum Schluss: „Diß hab ich kurtzlich vmb vrsachen / oben vermeldet / gezweyffelt von dem ablas / vnd dich erynnert / als eynen / der die Biblien tag vnd nacht frisset vnd außbillet / Wiewol ich dich nit ßo gelart acht / als koendestu dieser sach gnug thun [...] du hast zu sampt etzlichen deynen bruedern / mich vnd die glidmas dießer vniuerstett als falschen vnd new Wittenbergische propheten / offenlich gescholten / nun aber vber weyß daz durch schrift und gibe mir nit holzschuge fur haselhuenner / nym alle deynn holtzschug brueder zu hilff / vnd helfferßhelffer / vnd leer mich / das der ablas / in der schrifft bewert ist.“303

297 Ebd. A 3v: „Hab ich durch II brueder / gedachtem bruder Francisco entpotten / ich woel yhm meynen gruß von Wittenberg zu schicken / in meynung etwas von yhm / das mir noch unbewuest / zu begreyffen. Das ist yhm gar ungefellig gewest / derwegen hab ich von stunden an sein vngekochten stichling empfangen. Vnder andern schreybt der Seyler alßo / Soll man schweygen / wan etzliche offenbarlich irren / auff das / das volck vorfuert vnd betrogen wirt? Dißer frage antwort der Seyler selbst / das sie [!sei] fernn von vns / wir wollen nit hunde sein / die nit bellen kuennen.“ 298 Ebd. A 3v. 299 Entgegen der Weise der „alten Väter“ werden nach Karlstadt in jetziger Theologie die „Schulväter“ statt der Heiligen Schrift angeführt. Siehe ebd. A 4r: „Die rechten alt vetter haben ein vordrieß / das yhr buecher / der heyligen schrifft gleych gewirdert werden […] Was darffstu nun / mit deynem Bonauentura / Schoto / Francisco Marenis / Dorbellis vnd andern schulvettern groß geschrey machen.“ Vgl. Tenge-Wolf, Viola: Nikolaus von Orbellis (d’ Orbelles, Dorbellus; Skotist, gestorben um 1472/75). In: LThK3 7, 860. 300 Karlstadt, Vom vermugen, A 4r. 301 Ebd. A 4r. 302 Ebd. B 4r. Siehe auch Kruse, Universitätstheologie 164 Anm. 247, zu Karlstadt, Vom vermugen, B 1r. 303 Ebd. B 4rv.

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Der Hinweis auf die besonderen Gebräuche der Observanten wie hier auf die Holzsandalen unterstreicht noch, dass Karlstadt von ihrer Gelehrsamkeit und ihrem täglichen Umgang mit der Heiligen Schrift in Meditation und Lektüre, in Tagzeiten und Gottesdiensten nicht viel hält. Jedenfalls können ihn die Argumente Franz Seylers und seiner Brüder nicht überzeugen, er möchte aber damit nicht andere Franziskaner treffen, wie Karlstadt in einem Nachwort betont: „Ich will hiemit die andere Brueder parfußer ordens / dere sehr vil / vast woll / sich in die heylige schrifft legen / nit angegriffen hab / in sunder / die / den holtzschugern in geberden ungleych seynt. wollen sie aber mich ye haben / allhie byn ich.“304 Dabei geht es zunächst um das ernsthafte Studium der Heiligen Schrift, das Karlstadt bei sehr vielen Franziskanern anerkennt. Aber er betont die von den „Holzschuhern“, den Observanten, abweichenden Verhaltensweisen anderer Franziskaner, etwa der Brüder von der ‚martinianischen‘ Reformrichtung, von denen Karlstadt in Witttenberg viele kennen gelernt hat. Weil Seyler offenbar die Weihe von Wasser und Salz für schriftgemäß hielt, kündet Karlstadt ein weiteres Büchlein an.305 Darin greift er neben Franz Seyler auf einmal Augustin von Alveldt an: „bruder Alvelder / vnd bruder Seyler handeln die schrifft / wie sie / mit yren gurtell thun / yre strick / bygen sie / vnd machen mannigfelt knoten / sunderlich vil zweyffel knoten / alles nach yrem wolgefallen vnd wollust / derwegen muß ich ein clein wenig wasser / umb mich werffen / das mich die grawhen gesellen nit geferlich beyssen. Ist es nit eyn freuelich sach / das eyn frumer bruder / der / der schrifft / hoher dan ich voreydet ist / als kindisch/ mit der schrifft umbgeen sol / als were sie / ein henffner gurtel / bruder Alvelder legt mir / dise schrifft: ‚Erit vnus pastor et vnum ouile‘ [Joh 10,17] / also auß. Es sol ein Roemischer stul seyn / Ich will Roemischer oberkeit nit zu nahe reden / aber sonerlich wolt ich / das sie geschickter anwelder vnd vorteydingst knecht / auf den plan schicken / Wo aber das mutwillig gebrauchen / der schrifft / yrlewbet ist / so mugt ich in gleycher einfeldickeit / folgende wort / asinus portat saccum per forum civitatis s. Anne / alßo außlegen / Der graw bruder Seyler / tregt ein keeß sack vber den marck auff sant Anneberg / das muß ich ynen zuuor sagen / damit sie itzt lernen wie ein schlechter vngelarter Nahr ich byn / auff das sie / getrewlicher / mit der heyligen schrifft handeln / vnd greuffen mich mit lichten vnd offenbaren schrifften an / dan dunckel wort / vnd plinde außlegung / kann ich nit wol vornemen.“306 Auf diese Schrift antwortet wieder Alveldts Schüler Johannes Fritzhans: „Ich begehre der Ursache ernstlich von dir, lieber Bruder Karlstadt, eine gnedige Unterichtung, was dir mein Präzeptor, Bruder Augustin von Alfeldt, gethan, dass du deine Schrift nicht konntest gehen lassen, er musste darin gerührt werden, welcher dich doch nicht mit Worten oder Schriften belanget oder beleidigt hat. [...] Hast du ein Herz, 304 Ebd. B 4v. 305 Ebd. B 1rv: „Am letzten vorhoenet mich bruder Seyler mit solcher frag. Sol man nit glauben / aber in der kirchen thun / daz in der heyligen schrifft geschrieben ist / wie kumpt es, daz man wasser vnd saltz weyhet. Auff dissen gegenwurff gehoret ein clein buchlin / daz wil ich dem bruder auch bald schicken vnd nennen / vom geweychten wasser / wider bruder Seyler.“ 306 Siehe Karlstadt, Andreas Bodenstein von: Vom geweichten wasser vnd // saltz Doctor Andreas Carl=// stadt. wider den vnuordien=//ten Gardian Fran=//ciscus Seyler. o. O. u. J. [Wittenberg 1520] B 1v. In: Köhler, Flugschriften Fiche 46 Nr. 127; ders., Bibliographie I 2, 209 (nr. 1959).

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heb an mit Bruder Augustin, du hast auch noch keine hohen Bäume gefällt. Rühme dich nicht zu hoch. Denke an die Disputation zu Leipzig; was Triumph dir da geschah, ist keinem unbekannt.“307 Damit wird die Diskussion zwischen Franziskanern von Annaberg und Karlstadt, in der es nicht um zentrale Glaubensfragen ging, sondern um die kirchlichen Bräuche des Ablasses beziehungsweise der Weihe von Wasser und Salz, in Beziehung gebracht zur Diskussion über das Papsttum, die Augustin von Alveldt im Anschluss an die Leipziger Disputation zwischen Johannes Eck sowie Karlstadt und Luther ausgelöst hatte. Nur die Thematik des Umgangs mit der Heiligen Schrift, mit deren Autorität und deren Auslegung führt ins Zentrum christlicher Glaubensbegründung. Doch selbst diese Thematik wird von Karlstadt eher spielerisch, ironisch und närrisch angesprochen. Die Diskussion erhält in dem Eingreifen des Alveldt-Schülers Johannes Fritzhans kaum ein höheres Niveau. Das muss Karlstadt selbst gespürt haben, der zwar in einer weiteren Schrift gegen Fritzhans die Auseinandersetzung erneut aufnahm308, aber dann abbricht: „Das ander gepler / das bruder hans Fritz geschrieben ist nit wert / das mansz handeln sol. Ich hab auch auff die heylige schrifften / die er wider Christliche warheit (von mir angetzeigt) fur gewent / allein den Christen zu gut geantwurt / sonst wolte ich den groben Fritzen drescher / in ein scheun geweist haben.“309 Die Auslegung der Heiligen Schrift, die Fritzhans bringt, ist also nach Karlstadt gegen die christliche Wahrheit und so um der Christen willen zurückzuweisen. Denn sie stützt sich auf menschliche und vor allem päpstliche Tradition: „Ich acht nit groß / waß Alexander und andere Bepst geleert haben / das wort gottis pind mich vnd ist mir lieb / das auch alle Bepst fur die stirn stossen vnd niderwerffen kann / auß dem selben ist vnser glauben. vnd auß keinem andern.“310 Die Infragestellung und Zurückweisung der päpstlichen Lehrautorität zugunsten des Wortes Gottes in seinem reformatorischen Verständnis wird hier bei Karlstadt wie bei Luther ganz klar und kennzeichnet die Trennung von der Papstkirche. Es scheint nur Karlstadts erklärte Sympathie mit manchen Franziskanern zu sein, die ihn doch zu einer interessanten Herausarbeitung seiner ganz persönlichen Sicht von Rechtfertigung bringt: „aber ich schon etzlicher frumer vetter parfuser ordens / die wir gelibt / den selben zu eren / hab ich mich enthalten / vnd den groben brudern / Franciscus Seyler / vnd Fritzhansen / nit wie sie vordient / geantwurt. Nach dem ich aber noch rawm vnd feelt zu schreyben / wil ich dem holtzschuger / bruder Fritzhansen das zeychen hoher stecken / damit ich yhm sein fueßeysen von den fuessen breng. Ich sage fur einen artickel / das die gnad in dem gerechten menschen an gedreng vnnd not nit wircket. II. Item das kein

307 Fritzhans, Johannes: Von dem geweichten wasser widder Andream Bodenstein von karlstadt doctor zu Wittenberg [o. O. u. J.]. Hier zitiert nach Lemmens, Augustin von Alfeld 21 Anm. 3. 308 Siehe Karlstadt, Andreas Bodenstein von: Antwort Andres Bo[denstein]. von Ca-//rolstad Doctor: geweicht // wasser belangend: // wider einen bru-//der Johann. Fritz-//hans genant: holtzuger ordens. // Wittemberg // Im Jar M.D. XXI. (A 1r). In: Köhler, Flugschriften Fiche 92 Nr. 250. Nach Karlstadts Angabe (ebd. B 3r) wurde die Schrift am Severitag im Oktober 1520 abgeschlossen. Vgl. auch Köhler, Bibliographie I 2, 165 (nr. 1848). 309 Ebd. B 2v. 310 Ebd. B 3r. Gemeint ist vielleicht die Verurteilung Wilhelms von Saint-Amour durch Alexander IV. 1256.

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gotlich werck / sunder bitterkeit des menschen volbracht wurt. III. Item / das das leben des geheyligten menschen / leyden vnd betrubnis selber ist.“311 Karlstadt will also nicht in die eigentlich verdiente Polemik verfallen, sondern Johannes Fritzhans die Chance geben, von der Fessel, vom „Fußeisen“, das ihn gefangen hält, frei zu werden. Dem sollen Karlstadts drei „Artikel“ dienen. Denn sie beanspruchen die tiefe Einsicht, dass die Gnade Gottes und die Leidensnachfolge, das rechtfertigende Wirken Gottes und die Erfahrung von Leiden und Bitterkeit miteinander verbunden sind. Diese Einsicht hat Karlstadt schon vorher gegen Fritzhans und dessen observante Berufung ins Feld geführt: „Du meinst lieber Fritz du habest meiner gelacht / ßo weistu nit / dastu der gnad gottis gelacht hast. / Dan Prouerbiorum III. stet geschrieben: Du solt die zucht vnd straffung gottis nit vorachten oder verspotten. Dan got schleget auß lieb / er schlegt wie ein frumer vatter / der frume son zihen wil. Ja du must bekennen / das alle die yene / ßo an leyden vnd an betrubniß leben / huren kinder seint / Hebr. XII. Wu du nu / vnd deine holtzschuger ann vorfolgung seyt / ßo seyt yhr gewiß kein recht kinder gottis. Dartzu setze ich / das bruderlich lieb (die auch gotlich ist) sunder leyden seltenn vnnd wenig erfult wurt. Denn wir Christen / seint einn gantzer leyp / vnd vil glieder / zwuschen den selben glidern sein vil bedrubten / krancke / elende vnd bescheempte glieder / Wie aber eines gliedes kranckheit den andern wee thuet / als wan der fueß schwach ist / ßo hat das heubt schmertzen / So sollen die rechte glieder / das leyden / das yndert ein Christ leydet odder treget / auch auff sich legen / vnd fur eygen schmertzen vnnd trubsal achten vnnd tragen […] Darauß folget / das gnad vnd lieb gottis sunder umbtreyben / qual / trubsal / vnd angst / vnd der gleychen nit volkumen ist / vnd das sich der arm bruder Fritz vor solt bedacht haben / ap er / den kern / der schrifft kond beissen. Er wolt wol gern beyssen / ßo ist yhm das brot Christi zu hart / darumb sol er ein weil / biß er gelerter wurt / ein grossen weychen pawrs brey kosten vnd beyssen / das wer yhm noter vnd den Christen vil nutzer / dan sich ßo durstiglich mit vmbeschlagen holtzschugen auff das glad eyß zu legen.“312 Das Leben „ohne Leiden und ohne Betrübnis“, „ohne Verfolgung“, das Karlstadt hier den „Holzschuhern“, den Franziskaner-Observanten, vorwirft, ist also Zeichen, dass sie in ihrer Berufung nicht wirklich erwählte und gerechtfertigte Kinder Gottes sind; denn bei solchen werden Gnade und Liebe Gottes gerade in brüderlicher Liebe sich erst dann als vollkommen erweisen, wenn sie mit Qual, Trübsal und Angst gepaart sind. Das ist für Karlstadt der harte Kern der Heiligen Schrift, den Fritzhans noch nicht „beißen“ kann, weil „ihm das Brot Christi zu hart“ ist. Was Karlstadt hier zur ‚Mitte der Heiligen Schrift‘ erklärt, unterscheidet sich inzwischen deutlich von Luthers Konzept der Rechtfertigung. Denn die Leidensnachfolge muss nach Luther nicht den Gerechten als solchen erst kenntlich machen, sondern kann nur eine innere Konsequenz des Rechtfertigungshandelns Gottes sein.313 So zeigen sich bereits in der Klärungsphase der reformatorischen Theologie unterschiedliche Akzentsetzungen. Karlstadt scheint dabei der franziskanischen Identifikation mit dem armen und gekreuzigten Jesus Christus besonders in den Leidenden, Schwachen und Kranken näher zu stehen. Doch er kann sie hier gegen die observantischen Brüder ausspielen, die sich durch ihre Nutznießung 311 Ebd. B 3rv. 312 Ebd. A 4v – B 1r. Siehe dazu Spr 3,11f. Vg.; Hebr 12,4–1, bes. 12,8 Vg. 313 Brecht, Luther I, 335.

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etablierter kirchlicher Frömmigkeitsformen und Rituale von der Jesusnachfolge in Solidarität mit den Notleidenden und Betrübten entfernt haben. Diese Gedanken Karlstadts dürften auf Johannes Fritzhans Eindruck gemacht haben, weil er sich mit ähnlichen Überlegungen später 1524 in Magdeburg der Reformation zuwendet.

2. Die Zeit der Entscheidung Inzwischen war der römische Prozess gegen Martin Luther soweit vorangekommen, dass Johannes Eck im September 1520 die Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“ mit nach Deutschland bringen und dort deren Publikation besorgen konnte. In Wittenberg selbst wurde jedoch die Bulle erst am 10. Oktober dem Rektor der Universität übergeben.1 Luther wollte sich mit einem Begleitschreiben zu seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ daraufhin persönlich an den Papst wenden. Diese letzte Geste der Versöhnungsbereitschaft sollte Luther in der Öffentlichkeit von der Schuld am Zerwürfnis entlasten und sein zentrales Anliegen noch einmal werbend darstellen. Sie konnte aber nach Luthers eigener Erwartung Papst Leo X. persönlich kaum noch aus der ‚Gefangenschaft‘ der antichristlichen römischen Institution und Tradition befreien.2 So schrieb Luther zur gleichen Zeit gegen die Bannandrohungsbulle, die er taktisch als Fälschung des Johannes Eck darstellte: „Wider die Bulle des Endchrists“3 und dann: „Grund und Ursach aller Artikel, so durch romische Bulle unrechtlich verdammt sind“4. Mit ähnlicher Schärfe wie in diesen beiden Schriften wendet er sich gegen das römische Vorgehen am 17. November 1520 in einer erneuten Appellation an das allgemeine Konzil.5 Von Rom selbst war nur noch der Kirchenbann zu erwarten, zumal Luther zum Widerruf der verurteilten Artikel nicht bereit war und am 10. Dezember die Bannandrohungsbulle mit Büchern des Kirchenrechts verbrennen ließ.6 Nachdem die Exkommunikation am 17. Januar 1521 verhängt war, hing für Luther und die Seinen Entscheidendes davon ab, wie nun die breite Öffentlichkeit und besonders die weltlichen Mächte ihre Position zu Luther bestimmten. Die Verhängung der Reichsacht nach Luthers Auftritt auf dem Wormser Reichstag durch kaiserliches Edikt am 8. Mai 15217 und der Schutz, den Kurfürst Friedrich der Weise Luther Anfang Mai durch die vorgetäuschte Entführung auf die Wartburg gewährte8, bestimmten mehr über Luthers persönliches Geschick als über den Fortgang der Reformation selbst. Denn die hatte inzwischen eine so breite Zustimmung gefunden und besonders in Wittenberg ein so aktives und engagiertes Zentrum, dass sich nach Luthers Rückzug die Dynamik der Reformation noch verstärkte. Denn in Wittenberg wie auch in Erfurt kam es nun zu einer ersten Umgestaltung des kirchlichen Lebens, die die Klöster und Ordensleute nicht unberührt lassen konnte.9 In Wittenberg blieb die Reformergruppe an der Universität weiterhin aktiv und konnte unter der Führung Melanchthons vermittels Spalatin mit Luther Kontakt



1 Siehe Brecht, Luther I, 382–385. 2 Ebd. 385–390. 3 Ebd. 390–392. Lateinisch: „Contra execrabilem Antichristi Bullam“. 4 Ebd. 392–394. 5 Kruse, Universitätstheologie 262f.; Brecht, Luther I, 395. 6 Brecht, Luther I, 403–406. 7 Ebd. 427–453. 8 Kruse, Universitätstheologie 279f. 9 Ebd. 282–375. Siehe Müller, Nikolaus: Die Wittenberger Bewegung 1521/22, Leipzig 21911; vgl. Weiss, Ulman: Das Erfurter Pfaffenstürmen 1521: „Haec prima Lutheranorum adversus clericos seditio“. In: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 3 (1979) 233–279.

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2. Zeit der Entscheidung

halten. So gelang es zunächst, die praktischen Konsequenzen reformatorischer Theologie zu reflektieren und zu kontrollieren. Erst gegen Ende des Jahres 1521 kam es im reformatorischen Geschehen zu gewaltsamen Übergriffen, weil etliche Studenten und Bürger der Stadt gegen die bisherigen Gottesdienstformen in der Stadtkirche wie in der Franziskanerkirche vorgingen.10 In Erfurt ereignete sich ein spontaner Ausbruch von Empörung, der sich an der Verhängung der Reichsacht gegen Luther entzündete und sich zunächst ohne theologische Reflexion und Kontrolle gegen die Luthergegner in den Erfurter Stiften richtete. Erst danach wurde dort die reformatorische Theologie, vermittelt besonders durch Luthers Freund und Ordensbruder Johannes Lang, für die praktische Neugestaltung des kirchlichen Lebens wirksam. Theologisch zentral ging es um eine neue Gestalt der Eucharistiefeier als Gemeindemahls mit Kommunion für alle unter beiden Gestalten. Dabei tendierte man dahin, die bisherigen Privatmessen abzuschaffen sowie alle Messfeiern, bei denen die Kommunion und besonders die Kelchkommunion den Priestern allein reserviert war. Melanchthon mit seinen Studenten drängte in Wittenberg auf die Kommunion unter beiden Gestalten, Brot und Wein. Auch bei den Augustinern Wittenbergs ging eine engagierte Reformgruppe in diese Richtung. Eng damit verbunden, aber für die beteiligten Priester und Ordensbrüder existentiell noch dringlicher war die Frage nach der Geltung des Priesterzölibats und der bisherigen Ordensgelübde. Bereits im Frühsommer 1521 heirateten erste priesterliche Sympathisanten der Reformation, allen voran der Lutherschüler und derzeitige Propst von Kemberg Bartholomäus Bernardi.11 In der Verteidigung des Zölibatsbruches stellten seit Juni Karlstadt und Melanchthon zugleich die Geltung der Ordensgelübde in Frage,12 in einer Sicht, die Luther nicht einleuchtete.13 Erst im September fand Luther durch den Austausch mit Melanchthon die für ihn maßgebende Unterscheidung, die er im Oktober 1521 als seine „Themata de votis“ an die „episcopi et diaconi“14 der Wittenberger Kirche sandte.15 Grundsätzlich schrieb Luther: „Die evangelische Freiheit ist göttlichen Rechts und ein göttliches Geschenk.“16 Kein Gelübde kann also versprochen werden und gültig sein, das im Widerpruch zu dieser Freiheit steht. Denn ein Gelübde ist nichtig, wenn es etwa versprochen wird aus knechtischer Gesinnung, ohne Glauben und in der Intention, sich dadurch Gerechtigkeit und Heil zu erwerben. Damit konnten solche Gelübde für nichtig erklärt werden, und man musste sie nicht mehr halten. Doch es blieb für Luther möglich, den traditionellen Missbrauch der Gelübde abzustellen und dann die Gelübde so zu halten, wie das der evangelischen Freiheit und Gottes Gesetz

10 Am 3. Dezember in der Stadtkirche und am 4. Dezember in Kirche und Kloster der Franziskaner, siehe Kruse, Universitätstheologie 337–343. 11 Ebd. 293. Zur bedeutsamen Disputation des Bartholomäus Bernardi von Feldkirch, die Luthers Kampf gegen die Scholastik in die akademische Öffentlichkeit bringt, vgl. oben Kap. 1, Anm. 10. 12 Siehe Kruse, Universitätstheologie 293–298. Vgl. auch Leppin, Luther 182f. 13 Siehe Kruse, Universitätstheologie 298–300. Vgl. auch Leppin, Luther 182f. 14 Siehe Luther: Themata de votis, WA 8, 323,3–5. Die Adresse an die „Bischöfe und Diakone“ der Wittenberger Kirche erinnert an Phil 1,1. Sie zeigte, dass Luther in der Wittenberger Gemeinde inzwischen eine eigene selbstständige Ortskirche sah, mit allen notwendigen Ämtern und Verantwortlichen. Als Hilfe gerade für die verantwortlichen Amtsträger waren die Themata de votis gedacht. 15 Kruse, Universitätstheologie 300f.; 334f. 16 Ebd. 300. Siehe auch Luther, Themata de votis, WA 8, 330,3: „Euangelica libertas divini est et iuris et doni.“

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entspricht.17 Diese Überlegungen Luthers und seiner Freunde blieben nicht ohne öffentliche Wirkung, zumal in den Orden, da sie den Ordensleuten die Freiheit gaben, sich entsprechend ihrem Gewissen für oder gegen ihre Ordensgelübde zu entscheiden. Bis Ende November 1521 waren bereits 15 Augustiner aus dem Wittenberger Kloster ausgetreten – gegen den Widerstand ihres Priors Konrad Helt. Auch mindestens zwei Franziskaner verließen noch bis Ende des Jahres ihr Kloster.18 Etliche der ausgetretenen Brüder wurden von der Stadt Wittenberg zu bürgerlichen Berufen zugelassen, etwa im Handwerk oder als Tagelöhner. Andere, wie der Vorkämpfer der Ordensaustritte, der Augustiner Gabriel Zwilling (Didymus), hatten vor, sich als Boten Jesu Christi andern Orts für das Evangelium im Verständnis der Reformation einzusetzen.19 Zu Epiphanie 1522 räumte offiziell das Distriktskapitel der Augustiner in Wittenberg allen Brüdern die Freiheit ein, ihr Kloster zu verlassen oder in ihm zu bleiben, sie sollten aber im Kloster durch berufliche Tätigkeit in Lehre oder Handarbeit selbst ihren Lebensunterhalt bestreiten.20

2.1. Franziskanische Entscheidung Augustin von Alveldt hatte 1520 in seinem Einsatz für das Papsttum und die kirchliche Tradition die Bedeutung des Ordenslebens nicht unmittelbar angesprochen, und auch die Brüder von Annaberg kämpften gegen Karlstadt 1520 noch auf einem anderen Feld, wohl weil bei ihnen das Ordensleben nicht diskutiert wurde. Insgesamt war die offizielle Position der Franziskaner der Saxonia zur reformatorischen Entwicklung in Wittenberg eher zurückhaltend. Bereits 1520 hatte jedoch der Generalminister des Ordens, der Scotist Francesco Lichetto, bei einer Visitationsreise durch Deutschland die Verbrennung der Schriften Luthers gefordert und die Ausbildung von Predigern gegen die Reformation21, zunächst ohne erkennbare größere Resonanz in der Saxonia. Das ergab sich vermutlich aus der zwiespältigen Haltung vieler Brüder, die einer klaren Entscheidung auswichen. Jedenfalls waren die gemäßigt ‚martinianisch‘ reformierten Brüder der Saxonia S. Iohannis Baptistae, zu der das Kloster in Wittenberg gehörte, weiter um einen Ausgleich bemüht.22 Eine zwiespältige Position zum reformatorischen Geschehen könnte auch bei der Teilung dieser Provinz eine Rolle gespielt haben, die am 13. Oktober 1521 bei einem Kapitel in Neubrandenburg ohne vorherige Zustimmung der

17 Vgl. insgesamt Luther, Themata de votis, WA 8, 323–335. Vgl. dazu Lohse, Mönchtum und Reformation 356–362; Stamm, Luthers Stellung zum Ordensleben 45–48; Leppin, Luther 184f. 18 Siehe Müller, Wittenberger Bewegung (nr. 101) 209. 19 Siehe Müller, Wittenberger Bewegung (nr. 31) 71f.: „Quindecim monachi vestem mutarunt, quorum Antesignanus, magister Gabriel, diuini verbi preco strenuus, hodie mutat et vltimum apud Vvitebergenses sermonem hodie habuit. Nam et aliis gentibus Christum pure annunciare consilium est.“ Zum Geschehen insgesamt vgl. Kruse, Universitätstheologie 330–332. 20 Vgl. Wentz, Das Augustineremitenkloster in Wittenberg 450. 21 Siehe Schmies / Rakemann, Spuren 251. 22 Das zeigte sich etwa, als Thomas Müntzer bei seiner Antrittspredigt in Zwickau am 17. Mai 1520 die Franziskaner scharf angegriff, aber sich der damalige Provinzialminister Benedikt von Löwenberg um einen Ausgleich bemühte. Siehe Schmies / Rakemann, Spuren 253.

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Generalleitung erfolgte. Denn zur neu entstehenden obersächsischen Provinz wurde auf ausdrücklichen Wunsch Friedrichs des Weisen das Wittenberger Kloster hinzugenommen.23 Die Brüder waren also zunächst mit ihren internen Auseinandersetzungen beschäftigt. So war bei diesem Teilungskapitel anscheinend keine Rede davon, dass Papst Leo X. beim Generalkapitel von Carpi im April 1521 die Brüder zum Vorgehen gegen die Reformation verpflichtete. Allerdings hatten die Franziskaner der observant geprägten Saxonia S. Crucis auf ihrem Kapitel zu Weimar in einem Brief vom 15. August 1521 an Friedrich den Weisen gegen Luthers Lehre Stellung bezogen.24 Sie setzten dabei die Kenntnis des Kurfürsten über die Glaubenskonflikte voraus, die durch Luthers Lehre entstanden waren, und baten ihn um Hilfe gegen „jene verderbenbringenden lutherischen Glaubenslehren“.25 Dabei betonten die in Weimar versammelten Brüder unter Führung ihres Provinzialministers Andreas Grone, dass sie „gewungen mit Trauer“ Mandaten des Generalkapitels und Briefen Papst Leos X. folgen müssten.26 Aber sie wollten selbst das Ihrige tun, um mit Hilfe Friedrichs des Weisen gegen

23 Haselbeck, Gallus: Urkundenbuch der älteren Thüringischen Franziskanerprovinz (1523–1600) I. Band / 1. Heft. Fulda 1925 (nr. 2) 2–4. Damit werden die Kustodien von Thüringen, Meißen, Leipzig, Goldberg, Breslau und Preußen vom nordwestlichen Teil der Provinz (mit den Kustodien von Brandenburg, Magdeburg, Halberstadt, Lübeck, Stettin und Bremen) abgetrennt. Auf Wunsch Friedrichs des Weisen und mit Zustimmung der niedersächsischen Provinz wurde der Konvent Wittenberg aus der Kustodie Magdeburg herausgenommen und der ‚obersächsischen‘ Provinz zugeschrieben, „ut ammodo ipsi [patres nacionis superioris] eundem conventum regant, ordinent ac disponant iuxta religionis instituta et supradicti illustrissimi principis vota“ (ebd. 3). Hier werden die „vota“ des Kurfürsten als Richtlinien für die Leitung des Wittenberger Klosters in besonderer Weise genannt. Das sollte schon vor der Zustimmung der Generalleitung gelten. Unterschrieben haben neben Benedikt von Löwenberg, dem noch amtierenden Provinzialminister der ganzen Saxonia St. Johannis Baptistae, Konrad Klinge als Kustos von Thüringen, Georg Lange als Kustos von Meißen und Alexander Svenichen als Kustos von Preußen. 24 Auf ein Mandat Leos X. an das Generalkapitel von Carpi beriefen sich die Franziskaner der Saxonia S. Crucis, als sie Friedrich den Weisen um ein Vorgehen gegen Luther ersuchten. Dieser Brief wurde durch Georg Spalatin deutsch wiedergegeben: „Die verteuscht Schrifft an meinen gnedigsten Herrn, den Churfürsten zu Sachsen etc. der Holtzschuchparfuesser aus ihrem Capitel zu Waymar, in Doctor Luthers Sachen 1521.“ Siehe Cyprian, Ernst Salomon (Hg.): Wilhelm Ernst Tentzels Historischer Bericht vom Anfang [...] der Reformation. Nebst [...] nützlichen noch niemahls publicirten Uhrkunden [Teil I]. Leipzig 1717, 367–371. Vgl. Schmies / Rakemann, Spuren 255. Hier (ebd. 253 Anm. 150) wird bereits für 1520 eine Initiative gegen Luther unter Führung des Provinzialministers der Saxonia S. Crucis erwähnt. Dabei bezieht man sich auf eine Notiz bei Holzapfel, Heribert: Handbuch der Geschichte der Franziskanerordens. Freiburg 1909, 463. Doch diese Initiative gegen Luther dürfte mit dem Brief des Weimarer Kapitels von 1521 identisch sein, denn Holzapfel hat sie wohl nur zu früh datiert. 25 Siehe das lateinische Original nach Kapp, Johann Eberhard: Kleine Nachlese einiger, groeßten Theils noch ungedruckter Und sonderlich zur Erläuterung Der Reformations-Geschichte nuetzlicher Urkunden. Anderer Theil [II.]. Leipzig 1727, 471–474, bes. 472: „Dulcem Jhesum inclite virginis cunctas hereses eliminantem natum, perhenne salutare nostrum in sincero catholice veritatis amore. Illustrissime ac piissime Princeps Domineque gratiossime. Non enim potest vestre Illustrissime gratie oculos super commissos subditos vigilantissimos effugere: quantave in ecclesia Dei suborta scismata, quanta quoque errorum heresumque genera, pestifera illa Lutheri dogmata, illiusque perniciosa atque infecta scripta in catholico populo attulerunt, ac deinceps affere posssint, nisi his salubribus remediis, ope, consilio pariter et favore vestre Illustrissime gratie, orthodoxam fidem revelando, et seminatos errrores, doctrinamque fallacem, Lutherianam impietatem extirpando succurratur.“ 26 Ebd.: „Cogimur itaque dolentes ac pleni meroribus, per mandata et etiam Apostolica breuia in generali capitulo novissime, in festo Penthecostes de anno presenti Carpi celebrato, legittime requisiti vestre Illustrissime gratie insinuare atque aperire ea, que nobis presentata obvenerunt.“

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Luther und die Seinen vorzugehen.27 Die Antwort des sächsischen Kurfürsten jedoch, deren Konzept nach Spalatin von Melanchthon entworfen wurde, war nicht gerade ermutigend. Denn die Franziskaner erschienen in ihrem Einspruch gegen Luther selbst als Ursache von Konflikt und Spaltung.28 Sie müssten nämlich in einer Zeit, in der die „christlichen Angelegenheiten“ „in Bewegung“ sind, ihren Eifer mäßigen, um nicht die behauptete Gefahr von Parteiung und Spaltung selbst heraufzubeschwören.29 Vermutlich war Augustin von Alveldt als Lektor beim Weimarer Kapitel selbst beteiligt. Er war gewiss nicht bereit, seinen Eifer zu mäßigen. Jedenfalls wurde unter seinem Vorsitz am 20. Januar 1522 zu Weimar über die „christliche Freiheit“ und das Ordensleben disputiert, und zwar mit den reformatorisch gesinnten Erfurter Brüdern Johannes Lang, Freund Luthers und bisher Augustiner30, und Ägidius 27 Ebd. 472–474: „Suscepimus enim a summo Pontifice, Domino nostro, Domino Leone in mandatis, ut juxta sue Sanctitatis desiderium, ecclesie adversariis, et fidem orthodoxam depravantibus viriliter occurrere, putrideque doctrine Lutheriane, que, procurante humane felicitatis hoste, nostro euo, insurrexit, salubriter obviare satagentes, spiritualibus armis feliciter pugnantes, vtputa Diuini verbi gladio, sacreque doctrine iaculis imperterriti Christi milites, superna gratia armati, pestifero Doctori atque infectis discipulis resistere valeremus pariter et occurrere muniremur. Sperantes itaque, scientes, vestram Illustrissimam gratiam nil adeo curare, quam ut gloriosi Dei cultus ampliari, viteque sanctimonia, religionis integritas, ac ecclesiae Sancte unitas, apud cunctos foveri a conservari possit. Nos quoque veri obedientie filii, volentes ea merito ac juste exequi, nostris tamen viribus minime confidentes, sed de Vestre Illustrissime gratie fideli ac jugi assistentia, in Domino presumentes, ne effusum venenum in fidelibus cordibus latius serpat, ne tortuosi colubri filius, ecclesie sancte liberos suis pestiferis doctrinis peramplius inficiat, nec venenatis iaculis contorqueat, eandem Vestram Illustrem gratiam atque pietatem a Deo in partem sollicitudinis vocatam, et cujus humeris commissi gregis cura et reipublice salus plurimum, in terris imitetur maximopere rogatam et obtestatam habemus, Vestra Illustrissima gratia ut probatus crediti pastor, contra atrocis lupi rabidos morsus, per exuberantem gratiam, toto conatu, diligenti cura invigilet, nobisque suis literis gratiose aperire studeat, quam assistentiam in prememoratis periculis imminentibus, qualeue subsidium, ac diuini nominis honorem ampliandum nobis exhibere sit inclinata, vt hujusmodi pollulantibus erroribus, magis ac magis indies (quod dolentes inserimus) excrescentibus, nobis etiam tucius atque confidentius resistendi auctoritas et reluctandi via aperiatur. In quibus totis nisibus humillime atque devotius supplicantes, obsecramus in Christo, nos gratiose exaudiri, et vt Vestre Illustrissime gratie literis mereamur reddi certiores, Altissimo Deo Opt[imo] Max[imo] opem ferente, ac Vestram Illustrissimam Gratiam in prospera valetudine felicique regimine, ut optamus, conservante. Datum in nostro Conventu Vuimarie, tempore nostre Capitularis congregationis Die Assumptionis gloriose Virginis Marie, Anno restitute salutis M.D.XXI.“ 28 Siehe Cyprian, Wilhelm Ernst Tentzels Historischer Bericht. Uhrkunden I, 371f.: „Vtinam ita nos spiritu suo dominus noster Jesus Christus illuminet, vt nihil vnquam optauimus ardentius, quam vt paci tranquillitati ecclesiae, et euangelii gloriae optime consultum esset. Idque sedulo per dei gratiam agimus, ne quid usquam, quod ad gloriam Christi faceret, ecclesiis nostris deesset. Tantum abest, vt vllis vnquam factionibus aut scismatis fauerimus, aut fauere velimus. Proinde quod aduersus Lutherum per litteras opem imploratis, id praestabimus perpetuo, quod ex re et tranquillitati ecclesiae esse videbitur, quam quisquis imprudenti zelo interturbat, ille vt a Christo, ita a nobis etiam, quibus regendi Christiani populi cura demandata est, anathema erit.“ 29 Ebd. 371f.: „Videntur in motu quodam esse hoc tempore res Christianae, quo prudentius nobis moderandus est zelus vester, quibus in aedificationem, non in destructionem potestas data est, cauendumque, ne temere factionibus aut dissensionibus, publico malo, res Christiana labefactetur, ne spiritus alicubi extinguantur. Nos vt ab omni genere factionum alieni esse volumus, ita omnia studia conatusque, qui euangelio Christi pie patrocinantur, quibus possumus, consiliis opibusque juuabimus.“ 30 Zur Disputation insgesamt vgl. Lemmens, Augustin von Alfeld 64–66. – Seit dem Epiphanie-Kapitel der Augustiner 1522 konnte sich auch Lang die Freiheit nehmen, aus seinem Orden auszutreten. Er scheint von dieser Freiheit bald Gebrauch gemacht zu haben, wie einige von Spalatin überlieferte entsprechende Thesen Langs zeigen. Siehe Kapp, Kleine Nachlese 528f.: „Artickel aus Johann Langens Augustiners und Theol. Doct. Schreiben, darin er bittet, dass er von dem Moenchs-Orden absolviret werden moechte. Aus Spalatini

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Mechler, bisher Franziskaner der gemäßigt reformierten Saxonia S. Johannis Baptistae.31 Die überlieferten Thesen Alveldts sind anscheinend authentisch32 und jedenfalls bemerkenswert: „1. Christliche Freiheit heißt, wegen der Liebe Christi und seines Evangeliums aller menschlichen Kreatur untertan zu werden, als Erbe im Himmel und Miterbe Christi. Sonst ist Freiheit ein Leben von Tieren. 2. Das Leben in der Gemeinschaft der Minderbrüder zu führen, ist apostolisch und daher göttlichen Rechtes. Das Gegenteil vorzubringen, heißt, die Apostelgeschichte zu leugnen, das Evangelium Christi zu verachten und gegen den Heiligen Geist zu lästern. 3. Zu leben, ganz wie es die Regel der Minderbrüder eröffnet, heißt, zu leben, wie unser Befreier Christus mit seinen Aposteln es wollte, es lebte und lehrte. Dessen Gegenteil im Ernst zu behaupten, meint, das Evangelium Christi zu leugnen und den Sohn Gottes erneut zu kreuzigen. 4. Die christliche Religion ist nicht an der Kleidung zu sehen, sondern wird erprobt in Tugenden wie Armut, Milde, Demut, Bescheidenheit, Sanftmut, Barmherzigkeit, Wahrheit, Gerechtigkeit, Schamhaftigkeit, Reinheit, Keuschheit, Geduld, Liebe. Das Gegenteil zu lehren, heißt, das Evangelium Christi zu lästern, Christus samt dem Heiligen Geist zu verleugnen und selbst Paulus zu steinigen. 5. Wer Christus in Armut, Keuschheit und Gehorsam nachahmt, kehrt sich nicht ab von der christlichen Religion, sondern glänzt eher wahrhaft in ihr, blüht und bringt evangelische Frucht. Das Gegenteil zu versichern, heißt, mehr als lieblos Christi heiliges Evangelium herabzusetzen, Schmähungen nach dem Brauch von Windbeuteln vorzubringen. 6. Sich mit geringwertiger oder weniger kostspieliger Kleidung zu bekleiden, stimmt eher überein mit dem Evangelium Jesu Christi und den Lehren der Apostel, als sich mit schönen, sauberen, ausgesuchten, auffallend geschlitzten und mit Gold durchwebten Roben oder Kleidern zu schmücken. Dem zu widersprechen, meint, Christus samt Paulus der Falschheit anzuklagen. 7. Klöster zu errichten, in denen man evangelisch leben und der dreifachen gefährlichen Begierlichkeit der vom Bösen beherrschten Welt aus dem Weg gehen soll, wo man ebenfalls den Kampf des Geistes gegen das Fleisch erleben, das Reine vom Unreinen trennen und das Animalische vom Spirituellen unterscheiden soll, ist nicht bloß katholisch als vielmehr sehr christlich und apostolisch. Dessen Gegenteil zu behaupten, heißt: die ganze Heilige Schrift der Alten und der Neuen Urkunde schimpflich und töricht zu verdammen, zu verdunkeln und zu lästern.“33 avtographo. Articuli ex literis Ioannis Langi, Augustiniani, Theolog. Doctoris, quibus petit sese absolui ab ordine monastico. M.D.XXII.“ 31 Mechler hat sich zu seinem Ordensaustritt, der wohl erst einige Zeit später erfolgte, und besonders zu seiner Heirat ausführlich geäußert, was im Zusammenhang mit der Position des Erfurter Klosters und seines Doktors Konrad Klinge noch zu Sprache kommen wird. 32 Lemmens Zweifel am überlieferten Wortlaut dieser Thesen werden nicht näher begründet. Siehe Lemmens, Augustin von Alfeld 65 Anm. 1. Er übernimmt die Thesen aus Kapp, Kleine Nachlese 516–518. 33 Siehe Lemmens, Augustin von Alfeld 65 Anm. 1: „1. Libertas Christiana est, ob Christi amorem et eius evangelium se omni creature humane subdere, ut heres in coelo coheresque Christi, alioquin libertas vita pecudum est. 2. Vitam in Fratrum Minorum communitate agere est apostolicum et iure prorsus divino; afferre contrarium est acta negare apostolica et in evangelium Christi spuere et in Spiritum Sanctum blaphemare. 3.Vivere, ceu Fratrum Minorum regula pandit, est vivere, ut noster adsertor Christus suis cum Apostolis voluit, vixit, docuit. Huic asseverare contrarium est negare Evangelium atque crucifigere denuo Dei filium. 4. Religio christiana non in veste cernitur, sed virtutibus comprobatur, ut sunt paupertas, mititas, humilitas, modestia, mansuetudo, misericordia, veritas, iusticia, pudicicia, mundicia, castitas, paciencia, charitas; contrarium docere est Christi evangelium blasphemare et Christum cum Spiritu Sancto negare ipsumque Paulum lapidare. 5. Quisque Christum in paupertate, castitate, obedientia imitatur, non recedit a christiana

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Die Diskussion über das Ordensleben hatte zwar bei Luther und seinen Freunden schon begonnen. Aber die maßgebende Schrift Luthers „De votis monasticis iudicium“ erschien erst Ende Februar 1522 im Druck, obwohl sie durch seine Themata de votis gedanklich vorbereitet und bis Dezember 1521 im Manuskript vollendet war.34 Auf Luthers Infragestellung der Gelübde ging Alveldt in seinen Thesen noch nicht ein. Doch war ihm die reformatorische Kritik am Ordensleben einigermaßen bekannt. Zu Alveldts Thesen schrieb ja Lang: „Evangelische Freiheit ist die, welche nach dem Evangelium und der Lehre des Paulus keinem Ort, keiner Zeit, keinem Werk verpflichtet sein sollte. Regel und Leben der Minderbrüder, wie es nun gehandhabt wird, dem allgemeinen Christentum vorziehen, heißt Christus leugnen. Zu leben, wie die Minderbrüder leben und sich in Aberglauben verwickeln, bedeutet, das Evangelium und Paulus zu verwerfen. Wahrer Religion hilft keine geringwertige Kleidung, noch wird sie entweiht durch gute und kostbare, sondern besteht in Glaube und Liebe. Wer in wahrer und evangelischer Armut, entsprechend seinem Stand in Keuschheit und im Gehorsam Gottes lebt, der – glaubt man – ahmt Christus nach, auch wenn er eine Frau hat und niemals bettelt. Wir sagen, Schmuck oder ehrbare Kleidung und genauso geringwertige tun nichts zur Religion, sondern wir messen alles aus dem Geist und dem Glauben. Klöster zu erbauen, wie man sie jetzt hat, das befürworten wir nicht, außer wenn man sie zum alten Brauch zurückführt und sie zur Erziehung der Schwächeren und Jüngeren dienen, und das freilich so, dass niemand sich durch ein Gelübde bindet, sondern in Freiheit dient.“35 Langs Thesen wurden zwar erst im Widerspruch zu denen von Alveldt formuliert. Doch gaben sie die damalige Meinung unter Sympathisanten der Reformation wieder, ohne dass sie in der Gelübdefrage bereits die Differenzierung Luthers in den Themata de votis aufnehmen. Alveldt setzte sich selbst noch ganz allgemein mit der reformatorischen Bestreitung des traditionellen franziskanischen Lebens wie des Ordenslebens auseinander. In der 1. These religione, quin verius in ea fulget, viret fertque fructum evangelicum; astruere illi contrarium est plus quam impie sacro Christi evangelio detrahere, contumelias nebulonum more inferre. 6. Vilibus induere indumentis aut minus preciosis sacius est Christi evangelio consonum et apostolorum doctrinis, quam nitidis, comptis, exquisitis, scissis insolenter auroque contextis cycladibus seu vestibus ornari; huic refragari est Christum cum Paulo falsitatis accusare. 7. Monasteria edificare, in quibus evangelice vivatur atque mundi huius in maligno positi trifaria concupiscentia periculosa declinetur, ubi item carnis et spiritus pugna experiatur, mundum ab immundo secernatur, animale a spirituali agnoscatur, non tam catholicum, quam christianissimum et apostolicum est; huic affirmare contrarium et totam scripturam veteris et novi instrumenti turpiter et stulte damnare, foedare, blaphemare.“ 34 Luther, De votis monasticis iudicium, WA 8, 564–669. Vgl. Stamm, Luthers Stellung zum Ordensleben 42–57; Schlageter, Das Franziskanerkloster Wittenberg 106; ders., Die geschichtlichen Quellen zu Franziskus und Klara 387–392. 35 Siehe Kapp, Kleine Nachlese 527f.: „D. Johann Langens Saetze wider Alveldts Weymarische Disputation aus Spalatini ideographo. M.D.XXII. Doc. Jo. Langi, Erphordensis, Positiones contra positiones Alfeldii in disputatione eius Vuimariensi. Libertas Christiana est, que iuxta Euangelium et Pauli doctrinam nulli loco, nulli tempori, nulli operi addicta fuerit.Vitam et regulam fratrum minorum, vt nunc res agitur, communi Christianismo preferre, est Christum negare.Viuere, vt fratres minores viuunt, ac superstitionibus inuoluuntur, est Euangelium et Paulum reiicere.Vera religio nec vilibus vestibus iuuatur, nec bonis ac pretiosis contaminatur, sed in fide et charitate consistit. Qui in vera et Euangelica paupertate, castitate, pro sua conditione, in obedientia Dei viuit, is demum Christum imitari creditur, etiamsi vxorem habeat, et numquam mendicet. Nitiditas seu honesta vestis, et itidem viles nihil ad religionem facere dicimus, sed ex spiritu et fide omnia metimur. Monasteria, qualia nunc habentur, edificare, non probamus, nisi ad antiquum ritum redigantur, et pedagogia fiant inferiorum ac iuniorum, et id quidem ita, vt nemo per vota obstringatur, sed libere seruiat.“

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über die christliche Freiheit schien Alveldt anzuknüpfen an Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (Ende 1520) im zweiten „Beschluss“: „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jederman untertan.“36 Alveldt bezog sich aber direkt auf 1 Petr 2, 13 in der Vulgata-Version37, wobei er vielleicht von Franziskus selbst angeregt wurde, wenn er dessen Regula non Bullata im Blick hatte.38 Das ist aber fraglich, weil er in der 3. These nur die eine offizielle Regel nannte und mit ihrer traditionell franziskanischen und päpstlichen Auslegung39 den evangelischen und apostolischen Gehalt der franziskanischen Lebensform betonte. Denn um die franziskanische Lebensform, wie sie bei Observanten verstanden wurde, etwa als Verpflichtung auf ärmliche Kleidung (6. These), und wie man sie aus der Heiligen Schrift ableitete, ging es Alveldt vor allem. Diese besondere Lebensform ist nach ihm jedoch einbezogen in das allgemein christliche Leben, das sich an den entscheidenden Tugenden orientiert (4. These), aber zugeordnet der „imitatio Christi“ in „Armut, Keuschheit und Gehorsam“, die besonders für Ordensleute gilt (5. These). Die Art und Weise, wie Alveldt traditionell klösterliches Leben und vor allem die franziskanische Lebensform in Stellung brachte gegen die „vom Bösen beherschte Welt“ und gegen ihre „Begierlichkeit“, ja überhaupt gegen alles Unreine, Fleischliche und Animalische, trug freilich eigene, elitärasketische Züge, die so geballt nicht aus der Tradition abzuleiten sind.40 Hier stellte Alveldt die Alternative der geistlich-franziskanischen Lebensform zu der von Luther und den Seinen betonten allgemein christlichen Berufung zugespitzt heraus und sah sie unmittelbar in der Urkunde41 des Alten und Neuen Testaments begründet. Dagegen griff Langs Sicht, dass man die Klöster wieder zum alten Brauch der Erziehung ungebildeter und junger Menschen zurückführen sollte, einen Gedanken auf, den Luther schon in seiner Adelsschrift entwickelt hatte.42 Die klösterliche Lebensform wurde also eher funktional gesehen. Sie hat in sich keinen Sinn, weil die von Alveldt beanspruchte „imitatio Christi“ in evangelischer Armut, in einer dem jeweiligen Stand gemäßen Keuschheit und in Gehorsam gegenüber Gott jedem Christen aufgegeben ist, auch wenn er auf die Ehe nicht verzichtet oder seinen Lebensunterhalt nicht erbettelt. Die franziskanische Lebensform in der gegenwärtig tradierten Weise und in ihrem besonderen Anspruch war dagegen für Lang eher eine Verleugnung dessen, was Christus und Paulus wollten. Denn im Widerspruch zu Alveldt ging es im Evangelium und bei Paulus nicht um besondere Kleidung, um Bindung an besondere Orte, Zeiten und Werke wie in den jetzigen Klöstern, sondern um ein allgemein christliches Leben „aus dem Geist und dem Glauben“. Alles andere war für Lang Aberglauben und stand im Gegensatz zur „evangelischen Freiheit“ und auch zu einem möglichen freien 36 Siehe Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, WA 7, 21,3f.; LWA 2, 11. 37 1 Petr 2,13 Vg.: „Subiecti igitur estote omni humanae creaturae propter Deum.“ 38 Siehe Regula non Bullata 16,6 (Esser / Grau, Opuscula 390; Franziskus-Schriften 82). Dieser Text war damals bereits im Druck zugänglich. Vgl. dazu Schlageter, Die geschichtlichen Quellen 396 Anm. 63. 39 Siehe Regula Bullata (Esser / Grau, Opuscula 366–371; Franziskus-Schriften 94–102). Zu 1 Petr 2,13 vgl. besonders Bonaventura, Quaestiones disputatae de perfectione evangelica (Opera omnia 5, 184b). Insgesamt zum evangelischen und apostolischen Gehalt der franziskanischen Lebensform, vgl. die wörtlichen Anklänge an die Konstitution Papst Nikolaus’ III. von 1278: „Exiit qui seminat“. In: Bullarium Franciscanum [BullFr], Tomus III. Ed. Ioannes Hyacinthus Sbaralea. Roma 1765, 404–416. 40 Zu dieser Sicht der „concupiscentia“ vgl. Bonaventura, Apologia pauperum (Opera omnia 8, 245b). 41 Alveldt gebrauchte in der 7. These wie Erasmus von Rotterdam den Ausdruck „instrumentum“ (Urkunde) für die Schriften des Alten und des Neuen Bundes wie zuvor in De Apostolica sede (E 2r, F 3r). 42 Vgl. Luther, An den christlichen Adel, LWA 1, 395,11–21; WA 6, 439,33–440,7.

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Dienst, wie ihn vielleicht nach dem „alten Brauch“ reformierte Klöster für die christliche „Erziehung der Schwächeren und Jüngeren“ ausüben könnten. Diesem freien Dienst widersprach die Bindung durch Gelübde, bei denen Lang nicht wie Luther eine aus Werkgerechtigkeit befreite Selbstverpflichtung gelten ließ, sondern die Ordensgelübde ganz als traditionellen Missbrauch sah und so pauschal ablehnte. Auf die Thesen Alveldts ging Lang nicht explizit ein. Doch er formulierte Gegenthesen zu Alveldt, die er dann in der weiteren Disputation begründen und mit Alveldts Thesen in Beziehung setzen wollte.43 Alveldt konnte schon zuvor die reformatorische Infragestellung der franziskanischen Lebensform und des tradierten Ordenslebens nicht als ernstzunehmende Anfrage in Betracht ziehen. Er vermochte sie nur pauschal zu verwerfen, weil ihm diese Lebensform und das Ordensleben überhaupt das Gegenmodell und die Alternative zu einer von der bösen Begierlichkeit beherrschten Welt sind. Denn auch die Einordnung des Ordenlebens in die christliche Religion insgesamt mit ihren allgemeingültigen Tugenden brachte für ihn nur noch deutlicher dessen glanzvolle und fruchtbringende Besonderheit als „imitatio Christi“ in Armut, Keuschheit und Gehorsam zum Ausdruck. Alveldt sah daher Armut, Keuschheit und Gehorsam nicht wie Lang als allgemeine Grundhaltungen jedes Christen, sondern als Kennzeichen einer besonderen, konsequenteren „imitatio Christi“. Man könnte meinen, die eine Sicht schließt die andere nicht aus. Aber damals wurden sie offenbar als konträr verstanden. Über den Verlauf und Erfolg der Disputation informierte nur ein umfangreiches Gedicht, das freilich eindeutig Partei nahm für den „Kommilitonen“ Johannes Lang, die beteiligten Franziskaner abwertete und den triumphalen Sieg Langs bejubelte.44 Interessant ist, dass hier die Teilnahme Heinrich Marquardis, des früheren Provinzvikars der Observanten (1512–1515) und späteren Provinzialministers der Saxonia S. Crucis (1523–1525) erwähnt wurde.45 Man bezeichnete ihn als Scotist und Logiker, der sich mit Philipp Melanchthon anlegte, aber von dessen Theologie, Pädagogik und griechischer Bildung kaum Ahnung hatte.46 Alveldt stellte 43 Das entspricht der überlieferten Überschrift. Vgl. oben Anm. 35: „Langi, Erphordensis, Positiones contra positiones Alfeldii“. 44 Vgl. Kapp, Kleine Nachlese 519–526: „Carmen Iambicum liricum“ (ebd. 519); „Langium, meum commilitonem“ (ebd. 524). Vgl. Schlageter, Johannes: Humanistische Polemik gegen den Franziskaner Augustin von Alveldt zu Beginn der Reformation. In: WiWei 69 (2006) 230–264, hier 256–264. 45 Zu Heinrich Marquardi siehe Doelle, Ferdinand: Die Provinzvikare der sächsischen Provinz. In: FrS 17 (1930) 58–82, bes. 79f., 82; Lemmens, Leonhard: Niedersächsische Franziskanerklöster im Mittelalter. Hildesheim 1896, 47–50. Zur Zeit der Disputation war er „Custos der sächsischen Provinz vom heiligen Kreuz“ (Lemmens, Augustin von Alfeld 66 Anm. 1). Das war er als Stellvertreter des Provinzialministers Andreas Grone (1520–1523). 46 Vgl. Kapp, Kleine Nachlese 521: „Hic, inquam, Henricus Marquardus In quo non est amor fraternus, Est purus sophista et logicus modernus, Attamen est glorisosus in vtraque milicia, Vir strenuus de modica pericia, Qui facit omnes actus sine tristitia. Ille reprehendit nuper Philippum Melanchtonem, Qui si sciret, redderet ei bonam talionem, Vt fieret notus per omnem regionem. Appellauit ipsum passionatum grammatistam, Paruumque socium et blesum Judaistam, Imo mendacem poetam vanumque grecistam. Credo tamen, quod Philippus scit plus in theologia,

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man als disputationswütig hin, der mit seinen logischen Spitzfindigkeiten sich überall wichtig machen will, aber nur Falsches behauptet und gegen Luther letzlich Nutzloses geschrieben hat.47 Den Verlauf der Disputation erzählte der Satiriker so, als wäre Lang mit seinen Erfurter Freunden unerwartet und zum Schrecken der Brüder in die Weimarer Franziskanerkirche gekommen, in der die Disputation standfand, und als hätte Alveldt mit seinen Brüdern Langs Argumenten nicht widerstehen können.48 Doch scheint das Erlebnis Alveldt nicht die Lust am Disputieren genommen zu haben. Denn er soll Lang danach einen Brief geschrieben und sich zu einer Disputation in Erfurt angeboten haben.49 Ob die Weimarer Disputation nun gut gelungen ist oder nicht, Alveldt und seine Brüder haben sich damit in die neu eröffnete Diskussion über das Ordensleben eingeschaltet. Sie haben nicht nur das Ordenleben insgesamt, sondern besonders ihre franziskanische Berufung, so wie sie sie verstanden, verteidigt. Damit haben sie bereits klar und entschieden gegen die reformatorische Infragestellung des tradierten Ordenslebens Position bezogen.

Quam Marquardus de sua scotistria, Atque de tota sua merdosa sophistria. Dicit Philippi studium puluerulentum. In quo ipse non intelligit vnicum Elementum, Dignus vt comedat rusticum pulmentum. Et de literis grecis Marquardo nulla est contentio, Quia in Scoto de illis nulla fit mentio. Ideo dicit quod inutilis est ipsarum inuentio.“ 47 Ebd. 521f.: „Alveldius autem est egregius disputator, Grandisque et horrisonus clamator, Et in paruis logicalibus gloriosus triumphator. O summe Deus, quam egregie scit clamare, Brachiaque, nasum et oculos hic inde leuare, Et veritatem pro falsitate negare. Et adducta per eum nihil faciunt ad propositum, Sed potius intendunt in contrarium et oppositum, Et hunc dicunt ipsum habere morem solitum. Contra Martinum Lutherum scripsit puchrum commentum, Reuera aridum malagma et inutile predicamentum.“ 48 Ebd. 524f.: „Quia Deus euertit ipsius intentionem, Per doctorem Langium, meum commilitonem, Qui ipsum facile coegit ad redargutionem, Langius cum insperato ecclesiam intraret, Seque ad disputandum pararet, Et nonnullos Erphordienses secum portaret, Mox posuit ipsi gloriosum cantate, Vt canerent requiem sine laudate, Hoc vos reliqui pharisei notate, Quando Alveldius cum suis volebat multa dicere, Tunc nihil poterant contra Langium proficere. Quia sciuit eorum deliramenta per scripturam sacram reiicere, Et cum Langius reprobauit cucullorum abusum, Reddidit Alueldium totum confusum.“ 49 Siehe Kapp, Kleine Nachlese 526: „scripsit ad doctorem Langium epistulam“; „vult ire disputatum ad Erphurdiam“. Siehe auch Lemmens, Augustin von Alfeld 66 Anm. 3.

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2.2. Luthers entscheidende Anfrage – Evangelium und/oder Ordensleben? Luthers entscheidende Schrift zum Ordensleben „De votis monasticis iudicium (Urteil über die Ordensgelübde)“ war bereits Ende November 1521 für den Druck fertiggestellt50; denn er wollte damit den damals austretenden Ordensleuten klare Kriterien für ihre Entscheidung geben. Doch um die angespannte Lage nicht zu verschärfen, hielt Spalatin die Schrift zurück und ließ sie erst im Februar 1522 drucken. So hatte sie auf die bisherige Diskussion über das Ordensleben und die Entscheidung vieler Ordensleute noch nicht jene gewaltige Wirkung, die sie erreichen wollte und später erreichen konnte.51 Sehr eindrucksvoll bekannte Luther vor seinem Vater die verfehlten Motive für seinen eigenen Ordenseintritt, wie er sie nun im Lichte des Gotteswortes zu erkennen vermochte. Das Gottesgebot des Gehorsams gegen den Vater hat er missachtet, als er wegen eines angeblich himmlischen Schreckenszeichens ohne Wissen und gegen den Willen des Vaters in den Orden eintrat. So sicher war er sich der eigenen Gerechtigkeit, obwohl er nicht nur gegen die väterliche Autorität sündigte, sondern auch ohne spontanen und freien Einschluss eine so weit reichende Entscheidung fällte. Was so auf Betreiben Satans geschah, wollte aber Gott zum Guten wenden; denn Luther konnte nur so die angebliche Weisheit der Hochschulen und Heiligkeit der Klöster „aus eigener und sicherer Erfahrung“ als gottwidrige Sünde durchschauen.52 Doch nicht der Vater musste ihn da herausholen, Gott selbst hat ihn herausgeholt.53 Nun fühlte sich Luther ganz frei: „Was macht es nämlich, ob ich das [Ordens-]Kleid und die Tonsur trage oder ablege? Machen Kutte und Tonsur den Mönch? ‚Alles gehört euch‘, sagt Paulus, ‚ihr aber gehört Christus‘; und ich würde der Kutte gehören und nicht viel mehr die Kutte mir? Das Gewissen ist befreit, und das ist die Befreiung in ihrer ganzen Fülle. Daher bin ich schon Mönch und doch nicht Mönch, eine neue Schöpfung, nicht des Papstes, sondern Christi.“54 Frei wurde Luther von der Autorität des Papstes, der ihn zu einer Larve und einem Idol seinesgleichen gemacht hatte. Er akzeptierte nun die Autorität des Vaters, weil Orden und Gelübde dagegen nichts vermögen. Der Anspruch Christi ist jedoch größer als der des Vaters: „der, der mich herausgeholt hat, hat auf mich ein größeres Anrecht als du. Daher siehst du mich nicht mehr in jenem Machwerk der Ordensleute, sondern im wahren Dienst 50 Der Widmungsbrief an Luthers Vater, Hans Luther, endet: „Ihesus Christus solus est dominus deus noster, benedictus in secula seculorum. Amen. In quo bene vale, carissime parens, et matrem meam, Margaritam tuam, cum uniuerso sanguine, Saluta in Christo. Ex eremo, Vicesima prima Novembris. AN. M.D.XXI.“ Siehe Luther: De votis monasticis iudicium. In: Luthers Werke in Auswahl. Bd. 2 [LWA 2]. Ed. Otto Clemen. Berlin 51959, 193,23–33; WA 8, 576,27–32. 51 Siehe insgesamt Luther, De votis monasticis, LWA 2, 188–298; WA 8, 573–669. Vgl. dazu Kruse, Universitätstheologie 334ff.; Brecht, Martin: Martin Luther, Bd. 2: Ordnung und Abgrenzung der Reformation 1521–1532. Stuttgart 1986, 32f.; Lohse, Mönchtum und Reformation 363–370; Stamm, Luthers Stellung zum Ordensleben 49–56. 52 Siehe Luther, De votis monasticis, LWA 2, 188–190, besonders 190,3–6; WA 8, 574,26–28: „Voluit autem dominus (ut nunc uideo) Academiarum sapientias et monasteriorum sanctitates propria et certa experientia, hoc est, multis peccatis et impietatibus mihi notas fieri.“ 53 Ebd. LWA 2, 191,9–11; WA 8, 575,23f.: „Nunquid me extrahes adhuc? At ne tu gloriaris, praeuenit te dominus et ipse me extraxit.“ 54 Ebd. LWA 2, 191,11–17; WA 8, 575,24–29: „Quid enim, si uestem et rasuram uel gestem uel ponam? Nunquid cucullus et rasura faciunt monachum? Omnia vestra, ait Paulus, uos autem Christi, et ego cuculli ero ac non potius cucullus meus? Conscientia liberata est, id quod abundantissime est liberari. Itaque iam sum monachus et non monachus, noua creatura, non Papae, sed Christi.“ Vgl. dazu 1 Kor 3,22f.

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Gottes. Dass ich nämlich im Dienst des Wortes bin, wer kann daran zweifeln? Wahrhaft, dieser Kult ist es, dem die Autorität der Eltern weichen muss; denn Christus sagt: ‚Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert.‘ Nicht dass er in diesem Wort die Autorität der Eltern entkräftet, da der Apostel so oft einschärft, die Kinder sollten ihren Eltern gehorchen. Aber wenn der Eltern und Christi Berufung oder Autorität im Streit liegen, darf allein Christi Autorität herrschen.“55 Luther fühlt sich befreit von dem menschlich gemachten, päpstlich sanktionierten Dienst des Ordenslebens, aber in gewisser Weise auch frei von der elterlichen und besonders der väterlichen Autorität. Denn diese originäre Autorität gilt zwar allgemein, wie Luther unter Berufung auf die deuteropaulinischen Briefe an die Epheser und Kolosser feststellte, ohne hier einen Unterschied zu machen zwischen unmündigen Kindern und den mündigen Söhnen und Töchtern. Aber wo sie in Konflikt gerät mit der Autorität Christi, besonders mit der Berufung zum Dienst an seinem göttlichen Wort, muss die Autorität Christi allein gelten. Das betonte Luther unter Hinweis auf die synoptische Tradition, die ja auch für den Vorrang der Ordensberufung in die besondere Nachfolge Jesu Christi angeführt wurde. Luther konnte diese Sicht nicht mehr anerkennen, weil sie für ihn durch die päpstlich etablierten Formen des Ordenslebens diskreditiert war. Das musste für ihn in seiner Situation erst recht befreiend wirken, weil er damit die über ihn verhängte Exkommunikation und Reichsacht nicht innerlich, im Gewissen, anzuerkennen brauchte, sondern sich ganz darüber hinwegsetzen konnte. So schrieb er schließlich seinem Vater: „Ich sende dir daher dieses Buch, in dem du sehen magst, mit welch großen Zeichen und Kräften mich Christus vom Ordensgelübde löste und mir so große Freiheit gab, dass ich – obwohl er mich allen zum Knecht machte – doch keinem untertan bin außer ihm allein. Er ist mein unmittelbarer, wie sie sagen, Bischof, Abt, Prior, Herr, Vater und Meister. Ich kenne keinen anderen mehr. So er dir den einen Sohn geraubt hat, hoffe ich, um durch mich anzufangen, seinen vielen anderen Kindern zu raten. Das darfst du nicht nur gerne ertragen, sondern dich auch darüber mit großer Freude freuen. Und ich bin mir ganz sicher und überzeuge mich, dass du nichts anderes tun wirst. Was wenn mich der Papst erschlüge oder über den Tartarus hinaus verdammte? Den Erschlagenen wird er nicht auferwecken, um ihn zweimal auch wieder zu erschlagen. Verdammt sein aber will ich, damit er niemals lossprechen kann. Denn ich vertraue, jener Tag steht an, an dem dieses Reich des Gräuels und des Verderbens zerstört wird. Mögen doch wir zuerst würdig sein, von ihm verbrannt oder erschlagen zu werden, wodurch unser Blut mehr schreit und drängt, das Gericht über ihn zu beschleunigen! Aber wenn wir nicht würdig sind, mit dem Blut Zeugnis abzulegen, erbeten und erflehen wir wenigstens diese Barmherzigkeit, dass wir mit dem Leben und der Stimme bezeugen: Jesus Christus allein ist unser Herr und Gott, gepriesen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“56 55 Ebd. LWA 2, 191,24–33; WA 8, 575,35–576,4: „is qui me extraxit, ius habet in me maius iure tuo, a quo me uides positum iam non in fictitio illo monasticorum, sed uero cultu dei. In ministerio enim uerbi me esse, quis potest dubitare? At hic cultus plane est, cui cedere debet parentum auctoritas, dicente Christo: Qui amat patrem et matrem plusquam me, non est me dignus. Non quod parentum auctoritatem hoc uerbo euacuauerit, cum Apostolus toties inculcet, ut filii obediant parentibus, sed si pugnet parentum et Christi uocatio uel auctoritas, Christi auctoritas regnare sola debet.“ Vgl. Mt 10,37; zu Paulus vgl. Eph 6,1; Kol 3,20. 56 Ebd. LWA 2, 192,5–24; WA 8, 576,14–23: „Mitto itaque hunc librum, in quo uideas, quantis signis et virtutibus Christus me absoluerit a uoto monastico, et tanta libertate me donarit, ut, cum omnium seruum fecerit, nulli

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Die existentielle Ergriffenheit, in der Luther selbst zum Blutzeugnis bereit war, um damit den Untergang der päpstlichen Herrschaft zu beschleunigen, entsprang seiner Erfahrung von Befreiung. Sie ließ ihn Jesus Christus als allein maßgebend für sein Leben und Wirken erkennen, er wusste sich aber dadurch in Dienst genommen für alle Menschen als Kinder Gottes. Demgegenüber musste die bisherige Ordensberufung als Irrweg erscheinen und die päpstliche Herrschaft, die ihn darauf im Gewissen festlegen wollte, als zum Untergang bestimmtes Reich von Gräuel und Verderbnis. Und so war Luther fest überzeugt, die befreiende und beseligende Erfahrung seinem Vater und – soweit wie möglich – auch anderen Menschen, besonders den Ordensleuten, mitteilen zu können. Der Inhalt von Luthers Schrift „über die Ordensgelübde“ kann hier nicht bis in die Einzelheiten besprochen werden, sondern nur jene Gedanken werden hervorgehoben, die für die theologische Begegnung der Franziskaner mit der Reformation von zentraler Bedeutung sind. Vor allem ist es die Gestalt des heiligen Franziskus selbst, die Luther in seiner Sicht des Ordenslebens neben Bernhard von Clairvaux und anderen Vätern des Mönchtums als ein Beispiel galt, dass durch die Gnade Gottes selbst im Ordensleben das Evangelium verwirklicht werden konnte: „Aber auch der heilige Franziskus, der bewundernswerte Mann, ganz glühend im Geist, sagte mit höchster Weisheit: Seine Regel sei das Evangelium Jesu Christi. Doch das Evangelium wollte eine freie Keuschheit und nichts von dem, was jetzt diese Minderbrüder mit unglaublicher Heuchelei befolgen. Da Franziskus wollte, die Seinen sollten nach dem Evangelium leben, wollte er offenbar sie sehr frei von Gelübden wie von allen menschlichen Überlieferungen. So hätten die Minderbrüder auch aus dem Recht ihres Gelübdes und ihrer Regel die Vollmacht, ehelos oder nicht ehelos zu leben, in ihren Gemeinschaften und allen ihren Bestimmungen zu bleiben, so lange sie wollten. Denn etwas anderes gelobten nicht und konnten nicht geloben, die das Evangelium gelobt haben. Nun aber ist diese Art von Menschen, die in allem freier sein sollte, heute in allem abergläubischer und ängstlicher, gefangen in endlosen Bestimmungen, in irgendwelchen Glaubenssätzen sowie kindischen und lächerlichen Observanzen. Nicht im Recht jedoch ist der heilige Mann entweder infolge der massenhaften Verachtung des Evangeliums in der Welt oder gefangen durch die irrige Machenschaft päpstlicher Bestätigung und Anerkennung, dass er das allen Gläubigen gemeinsame Evangelium zur besonderen Regel weniger machte und, was Christus katholisch wollte, ins Schismatische zog. Nichts nämlich gelobt der Minderbruder, wenn er seine Regel gelobt, als was er schon von Anfang an in der Taufe gelobte, nämlich das Evangelium. Wenn nicht eher das der Irrtum des Franziskus war, dass er glaubte, viele Weisungen im Evangelium seien entsprechend der gottwidrigen Meinung der papistischen Schulen nur Räte, die er dann durch die Regel in Gebote tamen subditus sim nisi sibi soli. Ipse enim est meus immediatus (quod uocant) Episcopus, Abbas, Prior, dominus, pater et magister. Alium non noui amplius. Sic spero tibi unum filium rapuerit, ut multis aliis filiis suis per me consulere incipiat, quod tu non modo libenter ferre, sed et multo gaudio gaudere debes, nec aliud te facturum esse mihi certissime persuadeo. Quid si me occidat Papa aut damnet ultra tartara? Occisum non suscitabit, ut bis et iterum occidat. Damnatum uero ego uolo, ut nunquam absoluat. Confido enim instare diem illum, quo destruetur regnum istud abominationis et perditionis. Vtinam nos primum digni simus uel exuri uel occidi ab eo, quo sanguis noster magis clamet et urgeat iudicium illius accelerari! sed si digni non sumus, sanguine testificari, hanc saltem oremus et imploremus misericordiam, ut uita et uoce testemur, quod Ihesus Christus solus est dominus deus noster, benedictus in secula seculorum. Amen.“

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übertrug. Warum ich das einem so großen Mann nicht zuschreibe, will ich kurz darauf sagen. Fragst du daher einen Minderbruder, warum er ehelos lebt und warum er kein Geld anfasst, obwohl er doch ein Bekenner des Evangeliums ist und Christus die Ehelosigkeit frei stellte und mit Geld umging etwa bei der Münze des Kaisers; was wird er antworten außer dem: er beobachte das, was Franziskus in der Regel menschlich empfand und was durch papistische Tyrannei verkehrt ist, was er aber von Gott her im Sinn hatte, seine Regel sei das Evangelium, das beobachte er nicht? Du siehst es also erwiesen, Franziskus als Mensch habe in der Grundlegung seiner Regel geirrt. Was nämlich heißt es zu sagen: Die Regel der Minderbrüder ist das Evangelium, als zu bestimmen, nur die Minderbrüder seien Christen. Denn wenn das Evangelium ihnen zu eigen ist, gibt es keine Christen außer den Minderbrüdern, obwohl doch unbestritten das Evangelium allein und ganz dem christlichen Volk gehört. Er hat sich auch getäuscht, da er lehrte, wenn er das gelehrt hat, das von neuem zu geloben, was er selbst und alle gemeinsam in der Taufe schon vorher gelobt haben, nämlich jenes allergemeinsamste Evangelium aller.“57 Für Luther war also Franziskus durchaus vom Heiligen Geist und höchster Weisheit erfüllt, als er das Evangelium sich und seinen Brüdern zur Lebensregel machte. Aber damit dürfte es für sie keine Bindung geben über das mit allen anderen in der Taufe gelobte Evangelium hinaus und so die größte Freiheit, ehelos zu leben oder nicht, einer bestimmten Lebensform zu folgen oder nicht. Insofern jedoch Franziskus dabei für sich und seine Brüder einen besonderen Anspruch auf das Evangelium erhob und es in seiner Regel mit der Verpflichtung zu ihrer besonderen Lebensform gleichsetzte, geriet er auf einen schismatischen Irrweg. Luther entschuldigte Franziskus mit der verbreiteten Verachtung des Evangelium zu jener 57 Ebd. LWA 2, 195,34–196,36; WA 8, 579,26–580,13: „Sed et S. Franciscus, uir admirabilis et spiritu feruentissimus, sapientissime dixit: Regulam suam esse Euangelium Ihesu Christi. At Euangelium castitatem liberam habet, nec aliquid eorum, quae nunc isti Minores incredibili hypocrisi seruant. Plane Franciscus, cum uoluit suos ad Euangelium uiuere, liberrimos esse uoluit tam a uotis quam ab omnibus humanis traditionibus, ut fratres minores etiam iure sui uoti et regulae potestatem habeant, celibes et non celibes uiuendi et manendi in Coenobiis et omnibus suis statutis, quam diu uoluerint, aliud enim neque uouerunt neque uouere potuerunt, qui Evangelium uouerunt. Nunc uero hoc hominum genere, quod nihil oportuit esse liberius, nihil est hodie superstitiosius et scrupulosius, captiuum infinitis statutis, articulis aliquibus et puerilibus ridiculisque obser­ uanciis. Falsus tamen est uir sanctus uel multitudine contemnentium Euangelium in mundo, uel operatione erronea Papisticae confirmationis et approbationis captus, ut commune Euangelium cunctis fidelibus faceret regulam paucorum, et quod catholicum esse Christus uoluit, traheret in schismaticum. Nihil enim uouet frater Minorita, dum suam regulam uouet, quam quod iam ab initio uouit in baptismo, nempe Euangelium. Nisi is fuerit potior error Francisci, quod credidit, multa in Euangelio consilia esse, ut Papisticarum scholarum sapit impietas, quae per regulam in mandata transtulerit. Quod cur non tribuam tanto uiro, paulo post dicam. Si itaque interroges Minoritam, cur celebs uiuat, et cur pecuniam non contrectet, cum sit Euangelii professor, Et Christus coelibatum liberum esse iusserit, et pecuniam tractarit uel in nomismate Caesaris, quid respondebit, nisi: sese obseruare id, quod in regula Franciscus humanum sapuit et tyrannide Papistica uiciatum est, Id uero quod diuinum sapuit (regulam suam esse Euangelium), non obseruare? Vides ergo demonstratum esse, Franciscum ut hominem errasse in condenda regula sua. Quid enim est dicere: Regula fratrum minorum est Euangelium, quam statuere, Solos fratres minores esse Christianos? Si enim Euangelium eorum proprium est, nulli sunt Christiani praeter Minores, cum Euangelium sine controuersia et solius et totius sit populi Christiani. Illusus etiam est, dum docuit, si tamen docuit, uouere denuo id, quod et ipsi et omnes communiter in baptismo uouerunt iam antea, nempe communissimum illud omnium Euangelium.“ Vgl. dazu Regula Bullata 1,1: „Regula et vita Minorum Fratrum haec est, scilicet Domini nostri Jesu Christi sanctum Evangelium observare vivendo in obedientia, sine proprio et in castitate.“ Siehe Esser / Grau, Opuscula 366f.; Franziskus-Schriften 94. Vgl. dazu Schlageter, Die geschichtlichen Quellen 387f. Anm. 45.

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Zeit beziehungsweise mit dem tyrannischen Zwang, sich mit seiner Regel der päpstlichen Bestätigung und Anerkennung zu unterwerfen. Das kann nicht, wie etwa Reblin meint58, erst mit der Regula bullata in Beziehung gebracht werden, obwohl hier der papale Einfluss auf die Verfassung des Minderbrüder-Ordens seine besondere Dichte erhält. In der Sicht Luthers war bereits die Formierung einer verbindlichen Sondergemeinschaft unter Berufung auf das Evangelium unzulässig. Sie hatte ja Franziskus bereits um 1209 durch die Formulierung der so genannten Ur-Regel und durch die Bemühung um ihre päpstliche Anerkennung eingeleitet. Luther schien freilich die Regula non bullata, die bis 1221 entwickelt wurde, gar nicht zu kennen. Er bezog sich ausschließlich auf die Regula bullata. Sie interpretierte Luther so, dass sie seinem eigenen Verständnis von evangelischer Freiheit nahe kam. Denn für ihn darf es über das allen Christen gemeinsame Evangelium Jesu Christi hinaus keine heilsverbindliche Verpflichtung geben. Luther vermutete zu Recht, dass die später entwickelte Theorie von Gelübden auf so genannte evangelische Räte sich bei Franziskus noch nicht findet. Daher wollte Luther Franziskus von dieser nach seiner Überzeugung verderblichen scholastischen Auffassung freisprechen. Das verdeutlichte er, als er auf das Gelübde der Armut zu sprechen kam: „Evangelische Armut heißt, nichts im Geist zu begehren und die Dinge frei in den Dienst zu nehmen zum Wohl der anderen. Was können jene darüber hinaus geloben, außer einen äußeren Gebrauch der Dinge? Da sowohl der inneren Begierlichkeit in der Taufe abgeschworen wie das äußere Indienstnehmen der Dinge auch im Evangelium empfohlen ist, können ja sie selbst den Gebrauch als solchen nicht entbehren. Wahrlich auch hier täuschen sie sich und andere, da niemand mehr die Dinge in den Dienst nimmt als sie selbst. Denn diese gebrauchen sie nicht zum Wohl der anderen, sondern zu ihrem eigenen, mehr als irgendjemand, indem sie unter dem Vorwand jener heiligen gelobten Armut die Habgierigsten und ganz in die Dinge Verstrickten wurden. Bisher rühmen sie sich als solche, die die Räte geloben, obwohl keine Weltleute weiter von der Armut entfernt sind. Und es macht nichts, dass sie ihre Sache durch einen anderen besorgen. Denn mit der Zustimmung und dem Willen aller betreibt der Ökonom ihre Sache. Da sie über das Evangelium hinaus möchten und die Führung durch Christus verlassen, stürzen sie im Gegenteil in den Abgrund eines ganz verkehrten Irrtums. Denn sie nennen sich gehorsam und arm, obwohl sie die Ungehorsamsten und Reichsten von allen sind. Das kann jeder mit Händen greifen, und doch bestricken diese Täuscher unsere Sinne mit ihren erdichteten Worten wie Gehorsam, Armut, Räte, Vollkommenheit, religiöse Gemeinschaft und ähnlichen. Also nichts ist von den Räten bei denen, die die Räte geloben, sondern alles ganz lange im Widerspruch zu den Geboten. Ausgenommen ist die Keuschheit, doch auch sie ist ohne Brauch und Frucht des Evangeliums. Denn weil sie der Satan nicht wie Gehorsam und Armut unter einem äußeren Anschein ins Gegenteil verkehren konnte, blieb sie intakt, aber in vielem zum größten Verderben. Er hat ja sowohl ihren [evangelischen] Gebrauch ausgelöscht wie über den allgemeinen Glauben hinaus erhoben. Darauf hat er ihn zu weit verbreitet, um durch die naturhafte Unfähigkeit unendlich viele Seelen mit seinem Fallstrick zu verstricken und zu verderben. So ist denen, die die Räte geloben, die eine Keuschheit verblieben, aber eine perverse und gottwidrige, da fast insgesamt in 58 Vgl. Reblin, Freund und Feind 34–36.

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Begierden ganz verdorben. Weh jenem heillosen Versprechen der Räte und dem Stand der Vollkommenheit! Was außer Irrtum, Einbildung und Gottwidrigkeit ist all das, was man da vorgibt? Aber du bist gerecht, Herr, und gerecht ist dein Gericht. So müssen nämlich die fallen, die nicht nur gleich dem Höchsten, sondern über ihm sein wollen und des Bundes ihres Gottes vergaßen, wie jene Frau Sprüche 7, die den Gefährten ihrer Jugend verlässt. Wie ich daher gesagt habe: ich schreibe zwar dem heiligen Franziskus und den anderen Vätern den Irrtum zu, dass sie vor Glut des Geistes das Evangelium für sich in Anspruch nahmen, aber von diesem Irrtum spreche ich sie frei: Ich glaube nämlich nicht, sie hätten die Lügen und Erdichtungen von Räten, Vollkommenheit, von angeblichem Gehorsam, angeblicher Armut und verkehrter Keuschheit anerkannt. Denn unter dem Antrieb des Heiligen Geistes, voll Glauben und glühender Liebe wurden sie nur dazu geführt, auf das Evangelium eine möglichst umfassende und entsprechende Antwort zu geben. Dabei bedachten sie nicht, wem das Evangelium gehören und an wen es sich richten soll, sondern nur dass es erfüllt würde. So hatten sie nicht im Reden, sondern in der edlen Kraft das Reich Gottes.“59 Luther lastete also dem traditionellen Ordensleben das Gelöbnis einer idealisierten Lebensform an, die nicht mehr dem Evangelium und der Nachfolge Jesu Christi entspricht und damit unter dem Vorwand hochfliegender Ideale ihrem Gegenteil verfällt. Selbst wenn der evangelische Rat eheloser Keuschheit für Luther bestehen blieb, er war nach ihm für unendlich viele zum Fallstrick des Satans geworden, weil man ihn nicht mehr im Sinn des Evangeliums als freies, gnadenhaftes Charisma gebraucht. Denn durch satanische Verführung, die Luther hier überall am Werk sah, hatte man den evangelischen Rat der Ehelosigkeit über das 59 Luther, De votis monasticis, LWA 2, 204,28–205,31; WA 8, 587,3–39: „Euangelica paupertas est, nihil cupere in spiritu, et res libere administrare ad aliorum commodum. Illi quid possunt ultra hoc uouere, nisi externum usum rerum? cum et interna cupiditas in baptismo abnegata et administratio externa rerum Euangelio etiam commendata sit, et usu ipso nec ipsi carere possunt. Verum et hic illudunt seipsos et omnes, cum nemo magis res administret quam ipsi, tum non in aliorum, sed proprium commodum nemo magis utitur, sub sancta illa uoti paupertate et auarissimi et rebus inuolutissimi facti. Adhuc iactant sese consiliorum professores, cum nulli saeculares longius absint a paupertate. Nec refert, quod per alium res curant. Nam omnium consensu et uoluntate oeconomus illorum res curat. Sic, dum uolant ultra Euangelium deserto duce Christo, ruunt in contrarium sub baratrum peruersissimi erroris, dicentes se obedientes et pauperes esse, cum sint omnium inobedientissimi et ditissimi, id quod nemo non palpat, et tamen sensus nostros perstringunt illusores isti uerbis suis fictis: obedientia, paupertas, consilia, perfectio, religio et similibus. Igitur nihil est consiliorum apud professores consiliorum, sed omnia longe contrariissima praeceptis, excepta sola castitate, et ipsa tamen sine usu et fructu euangelico, quam qui nulla specie potuit Satan in contrarium uertere, sicut obedientiae et paupertati fecit, reliquit intactam, sed in multo maximam perniciem, dum et usum eius aboleuit, et ultra fidem communem extulit, deinde uulgauit nimio, ut per impossibilitatem naturae infinitas animas laqueo illius innecteret et perderet. Ita reliqua est una castitas professoribus consiliorum, sed peruersa et impia, tum fere in totum libidinibus corruptissima. Ve perditae illi professioni consiliorum et statui perfectionis! quid enim nisi error, illusio et impietas est totum quod pretendit? Sed iustus es, domine, et rectum iudicium tuum, sic enim cadere debent, qui non solum similes, sed superiores esse uolunt altissimo, et pacti dei sui obliuiscuntur, sicut mulier illa Prouer. vii., quae relinquit ducem pubertatis suae. Quemadmodum itaque dixi, sancto Francisco et aliis patribus etsi tribuo errorem, quod Evangelium sibi usurparint seorsum, prae fervore spiritus, tamen hoc errore eos libero, ne credam eos mendacia et figmenta consiliorum, perfectionis, fictae obedientiae et paupertatis et peruersae castitatis probasse. Dum enim spiritus sancti impetu et plena fide ardenteque charitate solum huc ferrentur, ut Euangelio plenissime et dignissime responderent, non hoc cogitabant, quorum esset et ad quod pertineret Euangelium, sed tantum, ut impleretur. Non enim in sermone, sed in virtute regnum dei habebant.“ Vgl. dazu Ps 119,137; statt Spr 7 Spr 2,17 sowie 1 Kor 4,20. Siehe dazu Schlageter, Die geschichtlichen Quellen 389f. Anm. 47.

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hinaus gehoben, was Gottes Wort und der gemeinsame Glaube sagt. Die damit konstruierte verbindliche Verpflichtung hatte man zudem auf unzählig viele Menschen ausgedehnt, die dazu von Natur aus unfähig waren, und sie damit dem Verderben preisgegeben. Für Luther blieb am hochgepriesenen, angeblichen Stand der Vollkommenheit nichts Gutes, nur Irrtum, Einbildung und Gottwidrigkeit. Darin sah er Gottes Gericht, weil sich Menschen über Gott, über sein Wort und seinen Bund erhoben haben. So verstand Luther seine harte Kritik als Erkenntnis und Verkündigung von Gottes Gericht. Es ging ihm also nicht nur um bestimmte Missstände im damaligen Ordensleben, wie etwa ein nur scheinbarer Gehorsam, eine nur scheinbare Armut sowie eine durch Begierden ganz verdorbene ehelose Keuschheit. Diese Missstände, die er nicht besonders aufbauschen möchte, sah Luther als Indizien für die grundlegende Anmaßung, Gott gleich oder gar über Gott sein zu wollen. Obwohl Luther in seiner Kritik so bis auf den Grund damaligen Ordenslebens ging, wollte er Franziskus und andere Väter des Ordenslebens ausgenommen sehen. Sie waren nach Luther vom Heiligen Geist, von echtem Glauben und glühender Liebe getragen und hatten auf das Evangelium nur eine ganz konsequente Antwort geben wollen. Deshalb hatten sie das Evangelium sich in besonderer Weise zu eigen gemacht, dabei aber zu wenig bedacht, dass das Evangelium allen gehört und sich an alle richtet. So hatten Franziskus, aber auch andere Ordensgründer nicht in ihrem Denken und Reden, jedoch in der charismatischen Kraft des Geistes, des Glaubens und der Liebe das Reich Gottes verwirklicht. Dieses Bild des Franziskus und anderer Heiliger bot damit für Luther und seine Anhänger zunächst die Möglichkeit, an eine vom mittelalterlichen Irrtum befreite und aus charismatischem Ursprung erneuerte, franziskanische und monastische Existenz und Lebensgemeinschaft zu denken.60 Besonders Bernhard von Clairvaux, den Luther offenbar besser kannte als Franziskus, wurde zum Beipiel dafür, dass jemand, der es so ernst mit seinem Ordensleben meinte, doch am Ende seinen Irrtum einsehen und bereuen konnte: „da er irgendwann zu Tode krank wurde, sagte er nichts anderes als dieses Bekenntnis: ‚Ich habe meine Zeit vergeudet, da ich heillos gelebt habe. Doch das eine tröstet mich, einen zerknirschten und gedemütigten Geist wirst du nicht verachten.‘ Und an anderer Stelle: ‚Aus doppelten Recht gehört Christus die Herrschaft. Einmal weil er der Sohn ist, zum anderen weil er gelitten hat. Und dieses zweite brauchte er nicht für sich als Verdienst, sondern er gab es für mich und alle Glaubenden.‘ Du siehst hier Worte aus zutiefst christlicher Brust, wodurch er [Bernhard] sein ganzes Vertrauen auf Christus setzt und über seine Werke durchaus verzweifelt. Nichts rühmt er vom Gelübde der Armut, des Gehorsams, der Keuschheit, sodass er sein Leben heillos nennt, und durch diesen Glauben wurde er gerettet und gerechtfertigt mit allen Heiligen. Oder meinst du, er habe gelogen oder im Scherz gesagt, sein Leben sei heillos? Er spürte das Gericht Gottes, vor dem ihm niemand beisteht außer Christus allein und seine Gerechtigkeit. Daher ließ er sich los und übergab sich ihm, in dem er die eigenen Gerechtigkeiten als heillos bekräftigt. Wenn du bereits die Verkündigung hörst, die Gelübde und das Leben der Ordensleute seien heillos und ohne irgendeinen Nutzen für Gerechtigkeit und Heil, wer wird noch geloben? Wer wird im Gelübde bleiben? Doch wenn du sie nicht heillos genannt hast, wirst du wahrhaft heillos sein und nicht einmal zum Teil die Gelübde der heiligen Väter 60 Vgl. auch bei Stamm, Luthers Stellung zum Ordensleben bes. Abschnitt: „Erste Ansätze zu einem erneuerten Kloster- und Ordensleben“ 144–158 und „Schluss“ 159–162.

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nachahmen. Wie nämlich Bernhard war, so mussten notwendig auch alle heiligen und frommen Ordensleute sein. Denn so siehst du klar, alle wurden wunderbar gerettet, sie sind ja schließlich notwendig dazu gekommen, dass sie ihre Gelübde für nichts und für heillos hielten und so allein durch den Glauben gerechtfertigt und gerettet wurden. Und die Gottwidrigen, unter Missachtung des Glaubens der Väter, richten auf und blähen auf ihre Werke, die jene verurteilten. Unter dem Vorwand des Beispiels der Heiligen lehren sie die Abkehr vom Glauben und gegen das Beispiel der Väter täuschen sie mit ihren Lügen den ganzen Erdkreis. Sieh, was es heißt, Gott ist wunderbar in seinen Heiligen.“61 Luther machte Bernhard und die anderen heiligen Ordensleute zu Musterbeispielen der Rechtfertigung allein aus dem Glauben an Jesus Christus, weil sie vor dem Tod das Ungenügen ihrer eigenen Werke, Gelübde und Gerechtigkeiten erkannt haben. Doch um sie von ihren derzeitigen Anhängern abzuheben, unterstellte Luther von vornherein, dass die Ordensleute seiner Zeit ganz auf ihre Werke, Gelübde und ihre eigene Gerechtigkeit vertrauen. Dafür konnte er aber nur Indizien nennen, die oft sehr vergröbert erscheinen. So schrieb er zum Beispiel von gegenwärtigen Franziskusjüngern: „Niemand folgt weniger dem Beispiel der Heiligen, niemand löscht es mehr aus, als die, die nur ihren Werken und nicht ihrem Glauben folgen. So ist niemand heute weniger Franziskaner als jene Super-Franziskaner, die von der Observanz genannt werden, ja sie sind ihm [Franziskus] die erbittertsten Feinde und mit größter Wut bedacht, seinen Glauben zu verwerfen.“62

61 Luther, De votis monasticis, LWA 2, 220,27–221,15; WA 8, 601,19–602,8: „cum aliquando aegrotasset ad mortem, nihil aliud sonuit, quam confessionem huiusmodi: ‘Tempus meum perdidi, quia perdite uixi. Sed hoc unum me solatur, quod spiritum contritum et humiliatum ne despicies.’ Et alibi: ‘duplici iure Christus regnum possidet. Semel quia filius, secundo quia passus. Atque hoc secundo merito nihil ei fuit opus, dedit autem mihi et omnibus credentibus.’ Vides haec esse uerba Christianissimi pectoris, quod totam fiduciam in Christum ponit, de suis operibus prorsus desperans. Nihil de uoto paupertatis, obedientiae, castitati gloriatur, quin perditam uitam uocat, atque hac fide et seruatus et iustificatus est cum omnibus sanctis. An putas eum fuisse mentitum aut ioco dixisse, perditam esse suam uitam? Iudicium dei sensit, coram quo, nisi solus Christus et sua iusticia, nemo subsistit; ideo se deserto ad illum se transtulit, perditas suas affirmans iustitias. Iam si praedicari audias, uota et uitas religiosorum perditas esse, et nullius usus ad iustitiam et salutem, quis uouebit? quis in uoto manebit? At nisi perditas dixeris, uere perditus eris, nec sanctorum patrum uota ulla ex parte imitaberis. Qualis autem Bernhardus fuit, tales fuisse necesse est omnes religiosos sanctos et pios, ut uideas clare, omnes miraculose fuisse seruatos, et eo tandem necessario rediisse, ut uota nihil et perdita esse assererent, quo sola fide iustificarentur et seruarentur. Et impii, hac fide patrum contempta, erigunt et inflant opera, quae illi damnauerunt, et praetextu exempli sanctorum docent discessionem a fide, et contra exempla patrum fallunt mendaciis totum orbem Ecce hoc est, deum esse mirabilem in sanctis suis“. Siehe dazu Bernhard von Clairvaux: In Canticum Sermo XX n. I/1. In: Bernhard von Clairvaux: Sämtliche Werke lateinisch-deutsch. Hg. von Gerhard Bernhard Winkler, Bd. V. Innsbruck 1994, 114; vgl. auch Vita Bernardi auctore Alano quondam Episcopo Autissiodorensi [v. Auxerre] (PL 185, 491). Siehe zum Ganzen Manns, Peter: Zum Gespräch zwischen M. Luther und der katholischen Theologie. Begegnung zwischen patristischmonastischer und reformatorischer Theologie an der Scholastik vorbei. In: Ders.: Vater im Glauben. Studien zur Theologie Martin Luthers. Festgabe zum 65. Geburtstag, hg. von Ralf Decot. Stuttgart 1988 (VIEG, 131) 441–532, bes. 482–532; siehe ingesamt Bell, Thomas: Divus Bernhardus. Bernhard von Clairvaux in Martin Luthers Schriften. Mainz 1993 (VIEG, 148). 62 Ebd. LWA 2, 208,13–18; WA 8, 590,17–21: „Nemo enim minus sequitur sanctorum exemplum, nemo etiam magis extinguit, quam qui opera sola et non fidem eorum sectantur; sic nemo minus est hodie Franciscanus quam ipsi Franciscanissimi, qui de obseruantia dicuntur, imo ii acerrimi hostes eius sunt, et fidem eius eiicere cogitant furiosissime.“

Luthers entscheidende Anfrage – Evangelium und/oder Ordensleben?

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Darin spiegelte sich der Widerstand gerade von Franziskaner-Observanten gegen Luthers Lehre, der sich freilich kaum gegen den Glauben an Jesus Christus, an Christi rechtfertigende Erlösungstat richtete. Sie wurden zu Luthers Gegnern, weil sie die Tradition und Institution ihrer Kirche gegen ihn glaubten verteidigen zu müssen. Damit kämpften sie freilich für das traditionelle Verständnis ihrer Gelübde, ihrer Regel und ihres Lebens. Für Luther waren sie allerdings so sehr dem päpstlichen Irrtum verfallen, dass sie vom wahren Christusglauben, wie er ihn verstand, abgewichen sind. Luther ging es nun darum, die Gelübde in ihrer bisherigen Form loszuwerden. Unter Berufung auf 1 Tim 4,1–5, wo eine gnostische leib- und ehefeindliche, glaubenswidrige Askese abgewehrt wird, schrieb er: „Eben in der Autorität allein dieses Wortes, da es ein Wort des Heiligen Geistes ist, der unser Gott ist, gepriesen sei er, wagte ich alle Ordensleute von ihren Gelübden loszusprechen und mit Vertrauen zu proklamieren, ihre Gelübde seien vor Gott verworfen und nichtig. Früher habe ich nämlich nur die Priester vom Zölibat losgesprochen in der Kraft dieses Wortes. Aber als ich mir die Sache näher anschaute und die Worte des Paulus sorgfältiger erwog, ging mir auf, seine Lehre gelte allgemein und katholisch gegen alle Zölibatäre, gegen Ordensleute wie gegen Priester.“63 Eine solche leib- und ehefeindliche Askese gab es nach Luther also nicht nur bei Gnostikern und Manichäern, sondern sie zeigte sich gerade in den traditionellen kirchlichen Eheverboten für Geistliche, weil sie nach ihm auf eine Minderbewertung der Ehe hinauslaufen. Deshalb glaubte er sich berechtigt, von diesen Eheverboten loszusprechen, selbst wenn jemand für immer auf die Ehe verzichtet hatte. Denn niemand kann nach Luther wissen und wollen, wie weit das Charisma ihn trägt und wie lange Gottes Gnade zur ehelosen Keuschheit ihm beisteht: „Es scheint sich also mit der Form des Gelübdes bei Gott so zu verhalten: Ich verspreche die Keuschheit, solange sie möglich ist, sollte ich sie nicht halten können, wäre es erlaubt zu heiraten.“64 Darin, meinte Luther, könnte man an eine urkirchliche Sitte wieder anknüpfen: „Denn die Unterwerfung, frei und auf Zeit zu geloben, ist nicht nutzlos. Wir sehen nämlich in der Urkirche eine Einrichtung und durchaus sehr heilsame Sitte, dass Ältere die ihnen auf Zeit anvertraute Jugend im Glauben und in der Zucht unterrichteten, was auch die Briefe der Apostel Petrus und Paulus andeuten, wo Jüngere den Älteren sich unterwerfen wollen. Daher sind zuerst die christlichen Schulen entstanden, in denen auch Mädchen erzogen wurden, wie die Geschichte der heiligen Agnes zeigt. Daraus sind schließlich hervorgegangen Kollegien und Klöster wegen derer, die für immer und frei in diesen Schulen bleiben wollten.“65 63 Ebd. LWA 2, 215,19–27; WA 8, 597,1–7: „Ego plane huius solius uerbi auctoritas, cum si uerbum spiritus sancti, qui est deus noster benedictus Amen, ausim uniuersos monachos a suis uotis absoluere, et cum fiducia pronunciare, uota eorum esse coram deo reproba et nulla. Antea enim solos sacerdotes a coelibatu uirtute huius uerbi absolui, sed propius mihi rem spectanti et uerba Pauli diligentius consideranti occurrit, doctrinam eius catholicam et generalem esse in omnes coelibes, tam monachos quam sacerdotes.“ 64 Ebd. LWA 2, 257,31–33; WA 8, 632,37–633,2: „Videtur ergo forma uoti apud deum sic habere: Voueo castitatem, quam diu possibilis fuerit, si autem seruare nequiero, ut liceat nubere.“ 65 Ebd. LWA 2, 236,19–28; WA 8, 614,39–615,7: „Nam uouere subiectionem istam liberam ad tempus, non est inutile. Videmus enim primitiuae Ecclesiae institutum fuisse et morem plane saluberrimum, ut iuuentutem seniores sibi ad tempus commendatam instituerent in fide et disciplina, quod et Apostolorum Petri et Pauli Epistolae indicant, ubi iuniores uolunt subdi senioribus. Hic primum natae scholae Christianae, in quibus et puellae quoque erudiebantur, ut sanctae Hagnes habet historia. Ex his tandem collegia et monasteria pullulauerunt,

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2. Zeit der Entscheidung

Aber Luther sah im gegenwärtigen Ordensleben wenig Chancen auf eine solche Erneuerung. Denn die Ordensleute sind zu sehr festgelegt auf ihre jeweilige Ordensinstitution: „Doch die Institution des Gelübdes entkräftet durch die Lehre der Werke den Glauben, wie wir sagten, und daher richten sie unter Missachtung des Namens Gottes ihren eigenen auf. Und sie nennen sich ja nicht mehr Christen und Kinder Gottes, sondern Benediktiner, Dominikaner, Franziskaner, Augustiner. Das und ihre Väter rühmen sie eher als Christus. Denn nicht in diesem Namen nehmen sie in Anspruch, gerettet und gerecht zu werden, weil sie getauft, weil sie Christen sind, sondern dadurch allein weil sie den Namen ihres Ordens haben. Daher vertrauen sie auf ihren Namen, rühmen sich deswegen, als ob Taufe und Glauben schon längst wie im Schiffbruch untergegangen wären.“66 Das lief nach Luther auf eine Art Götzendienst hinaus, der gegen das erste Gebot des Dekalogs verstieß und aus dem sich jemand nur retten konnte, wenn er damit Schluss machte. Denn Luther sah darin eine falsche Gottesverehrung, die im Missbrauch der Messe als Opfer und Werk des Menschen gipfelte: „Die Hauptsache dieses Kultes, die Messe, weil sie sie als Opfer und Werk gebrauchen, übertrifft alle Gottwidrigkeit und allen Gräuel. Gäbe es keinen Beweggrund, die Kutte auszuziehen, das Kloster zu verlassen, sich vom Gelübde abzuwenden, der Gräuel der Messen allein müsste dafür mehr als genug sein, um nicht im Gewissen mit verkehrten Leuten Gemeinschaft zu haben, besonders wenn du nicht im Gelübde und im Kloster sein kannst, ohne an ihren Messen teilzunehmen und mitzuwirken.“67 Da war für Luther die Toleranz am Ende, so dass nur noch der radikale Bruch mit diesem pervertierten System übrigblieb. Es war von daher unwahrscheinlich, wenn auch nicht völlig unmöglich, dass das Ordensleben in einer anderen, nach dem Evangelium im reformatorischen Verständnis erneuerten Form diesen Bruch hätte überleben können.

propter eos, qui perpetuo et libere in scholis istis manere uolebant.“ Luther sah das angedeutet in 1 Petr 5,5, vielleicht auch in Tit 2,6–8 und in der Agnes-Legende. Vgl. auch Luther, An den christlichen Adel LWA 1, 395,15–21; WA 6, 439,37–440,4: „Denn was sein stifft vnd kloster ander geweßen / den Christliche schulenn / darynnen man leret / schrifft vnnd zucht nach Christlicher weyße / vnnd leut auff ertzog / zu regieren vnnd predigen. wie wir leßen / das sanct Agnes in die schule gieng / vnd noch sehen / in etlichenn frawen klostern / als zu Quedlinborg vnnd der gleychen / furwar es solten alle stifft vnd kloster auch ßo frey sein / das sie got mit freyem willen / vnd nit getzwungen dienstenn dientenn.“ Luther spielt auf das „freiweltliche Kanonissenstift“ in Quedlinburg an, das später nach dem Übergang zur Reformation 1539 als lutherisches Damenstift erhalten blieb. Vgl. Pilvousek, Josef: Quedlinburg. In: LThK³ 8, 766f. 66 Luther, De votis monasticis LWA 2, 240,12–20; WA 8, 618,5–11: „At institutio uoti, dum docet opera, fidem euacuat (ut diximus), et inde abiecto nomine dei suum erigunt. Neque enim Christiani amplius nec filii dei, sed Benedictini, Dominicani, Franciscani, Augustiniani dicuntur. Hos et suos patres prae Christo iactant. Neque enim hoc nomine salui et iusti fieri praesumunt, quod baptisati, quod Christiani sunt, sed hoc solo, quod sui ordinis nomen habent; ideo in suum nomen confidunt, in hoc gloriantur, quasi baptismus et fides iam olim uelut naufragio perierint.“ 67 Ebd. LWA 2, 279,16–23; WA 8, 651,13–19: „Caput uero huiusmodi cultus, Missae scilicet, quia pro sacrificio et opere frequentant, superat omnem impietatatem et abominationem, ut, si nulla causa moueret ad exuendum cucullum, relinquendum monasterium, detestandum uotum, sola missarum abominatio nimio satis esse deberet, ne participaret conscientia cum peruersis hominibus, maxime cum in uoto et monasterio esse non possis, nisi intersis Missis eorum et coopereris.“

Franziskanische Verteidigung des Ordenslebens

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2.3. Franziskanische Verteidigung des Ordenslebens Ein süddeutscher Franziskaner, der Provinzialminister einer observantisch geprägten oberdeutschen Provinz, Kaspar Schatzgeyer, war bisher um Vermittlung der widerstreitenden Positionen bemüht.68 Doch Luthers „De votis monasticis iudicium“ erregte seinen heftigen Widerspruch. Diese erste Stellungnahme soll hier zu Worte kommen, obwohl sie nicht aus dem Raum der Saxonia stammt.69 Sie wird nämlich die weitere Diskussion mitbestimmen. In seiner Replica von 1522 geht es Schatzgeyer um eine umfassende Erwiderung auf Luthers Angriff: „Weil man aber einen Traktat gegen das Klosterwesen mit heftigstem Unmut verfasst hat, der ganz ernsthaft auf die Ausrottung von allem Klosterwesen aus ist, muss man zu Recht diskutieren, was er an Kraft hat. Denn er greift die Festung des Klosterwesens mit fürchterlichen Geschützen an, mit fünf nämlich, mit denen er alle seine Befestigungswerke niederlegen und dem Erdboden gleich machen möchte, um freiere Bahn zu haben, einzudringen und alles Kostbare zu erbeuten.“70 Es ging dabei um die fünf entscheidenden Angriffspunkte Luthers, die den Widerspruch der Ordensgelübde zum Wort Gottes, zum Glauben, zur evangelischen Freiheit, zu den Geboten Gottes und zur Vernunft aufzeigen sollten und auf die Schatzgeyer nun ausführlich zu sprechen kommt.71 Schatzgeyer war enttäuscht, dass sich Luther bisher nicht auf eine ruhigere Aussprache eingelassen hatte: „Du siehst, aufrichtiger Leser, wie der Eifer für das Haus Gottes jenen Mann verzehrt. ‚Willst du‘, sagen wir, ‚dass Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet.‘ Aber nicht im Feuer ist der Herr, nicht in einem so ungestümen Eifer. Daher höre diesen Herrn, wie er das Feuer auslöscht: ‚Er wandte sich um‘ (sagt der Evangelist) ‚und der Herr wies sie zurecht und sagte: Ihr wisst nicht, was für ein Geist aus euch spricht.‘ Sieh, der Herr anerkennt deinen Geist nicht. Daher wird er deinen Optativ nicht zu einem Indikativ 68 In einer ersten irenischen Schrift Scrutinium divinae scripturae pro conciliatione dissidentium dogmatum versuchte Kaspar Schatzgeyer noch die reformatorischen Positionen mit seiner scotistischen Sicht in Einklang zu bringen. Da die Schrift im März 1522 erschien, kam er zwar schon auf die Ordensgelübde zu sprechen, aber war noch nicht mit Luthers erst kurz zuvor gedruckten De votis monasticis iudicium vertraut. Siehe Schatzgeyer, Kaspar: Scrutinium divinae scripturae pro conciliatione dissidentium dogmatum (1522). Hg. von Ulrich Schmidt. Münster 1922 (Corpus catholicorum, 5). Dieser Schrift ist ein Vorwort des Basler Guardians Konrad Pellikan beigegeben (ebd. 1f.), das nach dem ehemaligen Franziskaner Johann Eberlin von Günzburg aber Erasmus von Rotterdam selbst verfasst haben soll. So nach Eberlin, Johann: Mich wundert daß keyn gelt im land ist. Wittenberg 1524. In: Eberlin, Johann von Günzburg: Sämtliche Schriften. Hg. von Ludwig Enders, Bd. 3. Halle 1902, 172. 69 Siehe Schatzgeyer, Kaspar: Replica // contra periculosa scripta post Scru//tinium diuine scripture iam pridem // emissum emanata (Herbst 1522). In: Köhler, Flugschriften Fiche 1803 Nr. 4615. Ein weiterer Teil der Schrift, der Luthers Kampf gegen die Messe behandelte, ist bereits kritisch ediert in Schatzgeyer, Kaspar: Schriften zur Verteidigung der Messe. Hg. von Erwin Iserloh / Peter Fabisch. Münster 1984 (Corpus Catholicorum, 37). 70 Siehe Schatzgeyer, Replica, B 3v–4r: „Quia autem contra Monasticen tractatus ardentissimo stomacho est confectus totus superciliosus anhelans ad omnia monastices exterminium, Merito quid uirium habeat est discuciendus. Aggreditur autem monastices fortalicium formidabilibus tormentis / quinque signanter / quibus omnes eius deijcere conatur munitiones soloque equare / ut liberius ad omnia pretiosa diripienda pateat ingressus.“ 71 So wenig wie bei Luthers Schrift De votis monasticis können bei Schatzgeyers Replica die entsprechenden Ausführungen im Einzelnen wiedergegeben werden.

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2. Zeit der Entscheidung

wenden. Ich hatte schon einmal gewünscht, von diesem Mann den sanften Lufthauch zu hören einer aufrichtigen Lehre im Geist der Demut, der Milde und der brüderlichen Liebe. Aber sein Genius erlaubt ihm das nicht. Dazu ist er nämlich wohl geboren und in die Welt gekommen, dass er mit einem gewaltigen und starken Sturm die Berge zerreißt und die Felsen zerbricht, das heißt: das Papsttum und das Reich mit dem ganzen Klerus. ‚Aber nicht im Sturm ist der Herr.‘ Nach dem Sturm macht er ein Erdbeben der Völker. ‚Aber nicht im Erdbeben ist der Herr.‘ Nach dem Erdbeben schickt er Feuer auf alle Ordensleute und Klöster, und nicht nur Feuer, sondern auch Schwefel, um sie schneller aufzuzehren, damit sie im Abgrund ihre eigne Stätte finden. ‚Aber nicht im Feuer ist der Herr.‘ Wir wollen noch als Viertes erwarten, dass er in einem sanften, leichten Säuseln kommt, damit er demütig seine Fehler verbessert und als Angeklagter seine Irrtümer eingesteht. Darum flehen wir demütig zu Gott.“72 Schatzgeyer erkannte offenbar die geniale und geradezu unaufhaltsame Kraft des Reformators, mit der Luther die Welt veränderte. Aber es war für ihn nicht der Geist Gottes, mit dem Luther die bisherige Welt aus den Angeln hob und zur Vernichtung bestimmte. Unter Berufung auf biblische Texte, die dem von Luther beschworenen und gewünschten Untergang der Klöster nach Art von Sodom und Gomorrha entgegenzustehen scheinen, sah der Franziskaner nur im Geist der Demut, der Milde und der brüderlichen Liebe das „sanfte, leichte Säuseln“, das Gottes Gegenwart anzeigt. Doch wenn Schatzgeyer von Luther schrieb: ‚er ist dazu geboren und dazu in die Welt gekommen‘, scheint er an das Selbstzeugnis des johanneischen Jesus vor Pontius Pilatus zu erinnern: „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich

72 Schatzgeyer, Replica, G 2r: „Cernis, candide lector, quomodo zelus domus dei deuorauit uirum illum. ‚Vis‘, dicimus, ‚ut ignis descendat de celo et consumat illos‘. ‚Sed non in igne dominus‘, non in hoc importuno zelo. Vnde audi dominum hunc ignem extinguentem ‚et conuersus‘ (ait Euangelista) ‚dominus increpauit illos dicens: Nescitis cuius spiritus estis.‘ Ecce, quia dominus spiritum tuum non approbat. Vnde tuus optatiuus nunquam uertet in indicatiuum. Optaueram iam olim ex uiro hoc audire sibilum aure tenuis sincere doctrine in spiritu humilitatis et pietatis ac fraterne charitatis, ut cognoscerem ibi esse dominum. Verum genius suus eum non permittit. Ad hoc enim forte natus est et ad hoc uenit in mundum, ut in spiritu grandi et forti subuertat montes et conterat petras, hoc est papatum et imperium cum omni clero, ‚sed non in spiritu dominus.‘ Et post spiritum commotionem populorum faciat, ‚sed non in commotionem dominus.‘ Et post commotionem ignem in omnes monasticos et monasteria mittat et non ignem solum, sed et sulphur, ut celerius consumantur et in abyssum proprium eorum eant locum, ‚sed non in igne dominus.‘ Prestolamur adhuc quartum, ut in sibilo tenui et leui ueniat humiliter errata corrigendo et errores suos ueraciter reus cognoscendo, pro quo et deum supplices exoramus“ (in der Vorlage keine Anführungszeichen im Text, von mir nach Vg.-Text eingefügt [JS]). Vgl. dazu die Geschichte vom Feuerwunsch der Donnersöhne Lk 9,54f. in der längeren Vulgataversion und von der Gotteserscheinung vor Elia auf dem Berge Horeb 1 Kö 19,10–12. Schatzgeyer bezog sich auf Luther, De votis monasticis, LWA 2, 249,14–23; WA 8, 624,8–15: „Hic ueni in locum indignationis meae et ardeo me ulcisci de plus quam sacrilegis et blasphemis mendaciis et insaniis, sed desunt et uerba et cogitatus, quibus monstra haec pro dignitate aggrediar. Propter hanc uel solam abominationem, eradicata, extincta, abolita cupio, sicut et oportuit, uniuersa monasteria, quae et utinam ereptis Lot et filiabus suis de medio eorum dominus igne et sulphure colesti ad exemplum Sodomae et Gomorrae demergeret in profundum, ut ne memoria quidem eorum superesset, neque enim satis fuerit illis anathema imprecari.“ Dieser Wutausbruch war jedoch nicht typisch für Luthers Schrift. Er erklärte sich daraus, dass Luther an dieser Stelle sich daran erinnerte, wie er sich im Kloster um die Gottesgebote des liebenden Gehorsams gegenüber den Eltern und der Zuwendung zum Nächsten betrogen sah. Siehe ebd. LWA 2, 248,36–41; WA 8, 625,20–24: „Ego sane in meo monachatu, quanquam hebes sum et rudis, nihil tamen egrius tuli, quam hanc crudelitatem et negatae caritatis sacrilegium. Neque potui unquam persuaderi, ut quietus crederem rectam et licitam esse obedientiam istam monasticam aduersus charitatem tam impudenter saeuientem.“

Franziskanische Verteidigung des Ordenslebens

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für die Wahrheit Zeugnis ablege.“73 Das könnte eine ironische Anspielung sein, die Luther ein geradezu messianisches Sendungsbewusstsein unterstellte. Doch es zeigt sich darin vielleicht ein Gespür, dass die revolutionäre Wirkung reformatorischer Theologie in der damaligen Zeit etwas mit der Wahrheit Jesu Christi zu tun hatte. Denn ohne einen entscheidenden Kern von Wahrheit des Glaubens und von Wahrheit in der Kritik an Orden und Kirche ist die gewaltige Wirkung, mit der Luthers Schriften die Glaubensgeschichte vieler Menschen und einer ganzen Epoche veränderten, gewiss nicht zu verstehen. Insofern hätten Luthers Anfragen an das Ordensleben und das franziskanische Selbstverständnis damals bereits ernster genommen werden sollen, als das Schatzgeyer trotz aller persönlichen Betroffenheit tat. Schatzgeyer äußerte sich nicht besonders zu Luthers Anfragen an seine franziskanische Regel und Armutsauffassung. Er wollte das Ordensleben insgesamt verteidigen, ohne sich selbst auf Luthers polemischen Stil einzulassen „Verleumdungen, Ungerechtigkeiten, Verfluchungen, Beschimpfungen, Spöttereien und solch abscheulichen Worten, von denen das Buch gegen die Ordensleute überaus voll ist, gehe ich daher klug aus dem Weg. Umso gewisser weiß ich, sie stimmen nicht überein mit christlichem Sinn, passen nicht in irgendeiner Verbindung zum Evangelium, zur katholischen Frömmigkeit wie zur brüderlichen Liebe. Offen gebrauche ich aber das Wort des Heilands: Wir Ordensleute haben keinen Dämon, sondern möchten mit höchstem Verlangen unseren Vater im Himmel verherrlichen. Daher will ich gegenwärtig keine besonderen klösterlichen Einrichtungen wie etwa der Minderbrüder behandeln. Es ist die gemeinsame Sache von allen, die wir verteidigen.“74 So deutete Schatzgeyer etwa seine Abwehr der Interpretation Luthers zur Minderbrüder-Regel nur an, indem er dessen Auffassungen als irrelevant „extra aut preter regulam“ [außerhalb oder vorbei an der Regel] und insgesamt für ungerecht erklärte. Denn es kam nur entscheidend an auf die „Intention“ jedes Regelautors: „Einer jeden Ordensgemeinschaft Gelübde hat die Regel als Grundlage und angemessenen Gegenstand, und zwar entsprechend derjenigen Weise der Verpflichtung, die in der Regel überliefert wird und die der ursprüngliche Stifter intendierte.“75 Und wieder ohne expliziten Bezug zur Minderbrüder-Regel interpretierte Schatzgeyer das so: „Man muss aber in den klösterlichen Einrichtungen die Überlieferung dreifacher Dokumente abwägen. Eines sind nämlich Gebote des Evangeliums, anderes evangelische Räte, wie man sehen wird, anderes heilsame Bestimmungen, die dem Ziel des klösterlichen Lebens sehr angepasst sind und förderlich. All das fällt unter das Gelübde, doch mit unterschiedlicher Verpflichtung. Die ersten freilich als göttlichen Rechts sind unerschütterlich und unverletzbar einzuhalten, da das erste Band der Taufe bekräftigt 73 Siehe Joh 18,37 Vg.: „Ego in hoc natus sum, et ad hoc veni in mundum, ut testimonium perhibeam veritati.“ 74 Replica. Primum Tormentum, ebd. C 1v: „Unde calumnias, iniurias, exprobationes, irrisiones et id genus portentosa uerba quibus liber contra monasticos conflatus refertissime scatet, prudens declino, certo certius sciens non conuenire christiano animo, nec ullo pacto quadrare Euangelio et pietati catholice Ac fraterne charitati. Sed plano saluatoris utar uerbo: Nos monastici demonium non habemus, sed honorificare patrem nostrum qui in celis est, summis exoptamus uotis. Vnde nec specialia quorundam monasticorum utpote minoritarum tractabo in presentiarum instituta. Causa omnium communis est quam uentilamus.“ Vgl. dazu Joh 8,49. 75 Ebd. C 1v : „Religionis cuiuscumque uotum regulam pro fundamento et obiecto habet adequato, Et secundum eum obligationis modum qui in regula traditur, Et quem intendit institutor principalis.“

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wird. [...] Was zweitrangig ist, nämlich die evangelischen Räte, wird verpflichtend aufgrund des Gelübdes, das hinzukommt. Um aber eine gewisse Übereinstimmung der verschiedenen Sichten grundzulegen, füge ich einige Aussagen bei. Das Evangelium ist allen Gläubigen gemeinsam in der Weise, wie der Heiland es überlieferte. Und in dieser Weise enthält das allen vorgelegte Evangelium alle Vollkommenheit jeder christlichen religiösen Gemeinschaft. Kein Werk, innerlich oder äußerlich, das zur wesentlichen Vollkommenheit des Christseins gehört, fällt unter einen Rat. [...] Die evangelischen Räte beziehen sich auf Dinge, ohne die ein Christ zu aller wesentlichen, im Stand des Weges möglichen Vollkommenheit aufsteigen kann. So bleibt den Klosterleuten infolge der evangelischen Räte oder beigefügter Überlieferungen keine falsche Rühmung einer häufigeren wesentlichen Vollkommenheit über irgendwelche Leute aus dem Volk hinaus. Denn solche Rühmung ist zu untergraben, da sie hassenswert und zu Recht jedem klugen Eifer missliebig ist.“76 Dieses Konzept einer wesentlichen christlichen Vollkommenheit, die sich allein aus den für alle Christen vorgeschriebenen und seit der Taufe verpflichtenden Gebote des Evangeliums ergibt, machte deutlich, dass Schatzgeyer noch um eine gemeinsame Verstehensgrundlage mit der reformatorischen Theologie bemüht war. Das zeigte er an den grundlegenden Geboten des Evangeliums, die nach ihm an die Grenze des im Pilger-Stand noch Möglichen gehen und doch nicht über die allen Christen wesentliche, evangelische Vollkommenheit hinausführen. Insofern kann durchaus ein gewöhnlicher Christ dieser Vollkommenheit mehr entsprechen als jemand, der sich durch Gelübde an evangelische Räte bindet. Die Gebote des Evangeliums fordern freilich nicht, wie Luther meinte, das im Pilgerstand Unmögliche, obwohl es vollendet („consummate“) erst in der Ewigkeit erfüllt ist. Hier redete Schatzgeyer nicht so zugespitzt wie Luther, weil der Franziskaner vielleicht die Herausforderung des evangeliumsgemäßen Liebesgebotes für den irdischen Lebensweg jedes Christen nicht abschwächen möchte. In der festgehaltenen Gelübde-Verpflichtung auf evangelische Räte blieb aber Schatzgeyer bei aller Verständigungsbereitschaft an einer traditionellen Theologie des Ordenslebens orientiert. Immerhin dürfte diese Theologie der päpstlich bullierten Minderbrüder-Regel geschichtlich und sachlich näher stehen als Luthers kühne Interpretation dieses Textes, die die „evangelische Freiheit“ der Minderbrüder von allen über das Taufversprechen hinausgehenden Verpflichtungen betonte. Was ursprüngliche Intention des Franziskus und seiner ersten Brüder war, die sich besonders aus der Regula non bullata und aus anderen frühen Zeugnissen erhellen ließe, das wäre eine eigene Frage, die hier noch nicht in den Blick kam. Ziemlich unbefangen 76 Ebd. C 2rv: „Considerandum autem in monasticorum institutis triplicia tradi documenta. Nam quedam sunt euangelica precepta / Quedam consilia euangelica ut uidebitur / Quedam salubria instituta ad monastices finem assequendum plurimum accomoda et promouentia. Que omnia sub uoto cadunt, dispari tamen obligatione. Et prima quidem (cum sint iuris diuini) inconcusse et inuiolabiliter (fortificato primo baptismi uinculo) sunt obseruanda [...] Ea que secundi ordinis sunt, uidelicet consilia euangelica, in uim obligationis transeunt, rationis accedentis uoti. Vt autem in aliqualem diuersariorum descendam consonantiam, nonnullas subnectam assertiones. Euangelium omnibus fidelibus commune est Eo modo, quo a saluatore est traditum. Euangelium hoc modo omnibus propositum omnem christiane religionis continet perfectionem. Nullum opus siue intrinsecum siue extrinsecum ad essentialem christianismi perfectionem pertinens cadit sub consilio [...] Euangelica consilia de hiis sunt, sine quibus christianus ad omnem essencialem ascendere post [! potest?] perfectionem statui uie possibilem, ut Monasticis nulla falsa remaneat gloriatio ex solis consiliis Euangelicis uel traditionibus adiectis cumulacioris perfectionis essentialis super uulgares quosque. Nam talis gloriatio, cum sit odiosa et non immerito cuique zelatori discreto dispicibilis conuellenda est.“

Franziskanische Verteidigung des Ordenslebens

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argumentierte daher Schatzgeyer gegen Luthers Kritik77, dass sich Ordensleute auf ihre Väter, Franziskaner auf Franziskus, statt auf Christus berufen: „ich frage, da ich mich nach Franziskus nenne und von Herzen ihn, seine Lehre und sein Leben nachahmen möchte: Kann das nicht bestehen mit dem Glauben und dem Vertrauen in Christi Namen? Du sagst: Nein! Denn, wie du sagt, rühmen sie sich und ihre Väter über Christus hinaus. Weh mir, weil ich nicht meinen Vater Franziskus nachahmen kann, um von ihm den Namen Franziskaner in Anspruch zu nehmen, ohne Lästerung Christi und Verunglimpfung des göttlichen Namens! Sind sich so entgegen Leben und Lehre Christi und des heiligen Franziskus, dass sich die Bezeichnung nach dem einen in die Verunglimpfung des anderen verkehrt und man keine Unterordnung finden könnte? [...] Sieh nur, des Namens Christi Herrlichkeit kann bestehen bleiben neben den Heiligen-Namen Benedikt, Franziskus und Dominikus! Denn wie sie selbst im Leben jedwede Entsprechung mit Christus in menschlicher Gebrechlichkeit zu haben suchten, so wünschten sie bei denen, die ihnen folgten, die Gleichförmigkeit mit Christus. So ist ein Benediktiner nur darin gleichförmig mit dem heiligen Benedikt, worin er selbst gleichförmig ist mit Christus. Daher sagt Paulus: ‚Nehmt mich zum Vorbild, wie ich Christus zum Vorbild nehme‘.“78 Die Gleichförmigkeit mit Christus, die hier zum Maßstab wird für die Berufung auf die Ordensgründer, hat zwar etwas zu tun mit der Jesus-Nachfolge der Heiligen. Sie wollte ja gerade Franziskus konsequent leben und den Seinen vorgeben. Aber wenn Schatzgeyer die Gleichförmigkeit von Franziskus mit Christus so stark betonte, stammte allerdings diese Franziskusdeutung erst aus späterer theologischer und legendärer Tradition. Franziskus selbst wollte seine Brüder nicht an sich selbst, sondern am Weg Jesu Christi orientieren. Von diesem für alle Christen maßgebenden Weg her wollte er das Leben der Seinen entscheidend bestimmen, wozu dann auch jene Einsichten und Regelungen dienen sollten, die sich auf diesem Weg als hilfreich erwiesen. Vielen späteren Franziskusjüngern konnte aber gerade die Berufung auf die ideale Gleichförmigkeit ihres Vaters mit Christus zum bloßen Titel werden, dem kaum noch etwas in Wirklichkeit ihres Lebens und ihrer angeblichen Jesusnachfolge entsprach. Solche Erfahrungen standen hinter den Angriffen Luthers, und sie wurden damals von den Verteidigern des Ordenslebens nicht genügend ernst genommen.

77 Vgl. oben Anm. 66. 78 Replica. Tormentum quartum, ebd. F 4v – G 1r: „abs te quero cum me nomino Franciscinum et ex corde imitator eius et doctrine et uite esse exopto / potestne hoc stare cum fide et in nomine Christi fiducia? Dices quod non / quia ais, hos et suos patres pre Christo iactant. Ve mihi, quia non possum patrem meum Franciscum imitari, ut ex eo Franciscini nomen usurpem, sine blasphemia Christi et iniuria nominis diuini. In tantum sibi aduersantur uita et doctrina Christi et S. Francisci, ut alterius titulus in alterius uergat iniuriam, ut nec subalternatio quepiam ibi valeat inueniri? [...] Vides, quia et nominis Christi gloria stare potest cum sanctis Benedicti, Francisci et Dominici titulis, qui sicut in uita cum Christo omnimodam pro fragilitate humana habere conati sunt quadraturam, sic et in sequacibus conformitatem ad Christum exoptauerunt, ut Benedictinus alius non sit nisi conformis S. Benedicto in quibus ipse conformis est Christo. Vnde Paulus ait: ‚Estote imitatores mei sicut et ego Christi‘.“ Vgl. 1 Kor 11,1.

3. Franziskaner entscheiden sich gegen ihr bisheriges Ordensleben Klosteraustritte gab es bereits, bevor Luthers Schrift „De votis monasticis“ im Druck herauskam.1 Besonders Andreas Karlstadt mobilisierte in Wittenberg die öffentliche Meinung gegen die Klöster der Bettelorden. Unter seinem Einfluss erklärte am 25. Januar 1522 der Wittenberger Stadtrat, dass er keine Bettelmönche mehr dulden werde. Die jüngeren Brüder sollten sich bis zum 30. März entschließen, ein Handwerk zu lernen, die älteren sich der Krankenpflege widmen.2 Diese Verfügung bedeutete die Ausweisung von Brüdern, die ohne eigenes Einkommen zum Studium oder zur Lehre an der Universität weilten. Auf Einspruch Luthers und auch wegen des Widerstands Friedrichs des Weisen blieb diese Ausweisung nicht derart strikt wirksam. So konnten wieder einige Brüder sogar als Mitglieder der Universität und oft als Anhänger Luthers in den Klöstern Wohnung und Bleibe finden, etwa im Franziskanerkloster Johannes Briesmann aus Cottbus und Johannes Schwan aus Marburg.3 Aber auch für sie war nun die Stunde der Entscheidung gekommen.

3.1. Johannes Briesmann Als Johannes Briesmann Anfang 1523 seine Schrift „Unterricht und ermanung [...] an die Christlich gemeyn zu Cottbus“ schrieb, wohnte er wieder im Franziskanerkloster zu Wittenberg und verstand sich noch als Bruder „Barfusser Ordens“.4 1488 zu Cottbus geboren, studierte Briesmann seit 1507 zu Wittenberg, wurde 1510 Priester und wohl dann erst Franziskaner. Er studierte zunächst an der Universität in Frankfurt/Oder weiter, bis er sich 1520 als baccalaureus der Theologie erneut in Wittenberg immatrikulieren ließ, 1521 unter Karlstadts Einfluss eine reformatorische Theologie vertrat5 und am 21. Januar 1522 unter Justus Jonas 1 Vgl. oben Kap. 2, Anm. 18–20. 2 Siehe Doelle, Wittenberger Franziskanerkloster 288 Anm. 3. 3 Vgl. ebd. 279 Anm. 1 zu Immatrikulationen von Franziskanern zwischen 1521–1522; Foerstemann, Carl Eduard (Ed.): Album Academiae Vitebergensis 1502–60. Leipzig 1841. Für Johannes Schwan steht da im Sommersemester 1522: „Frater Joannes Swan Martburgensis minorita Basileus diocesis Maguntinae“ (ebd. 113). Auch im Winter-Semester 1522/23 werden noch Franziskaner immatrikuliert: „Frater Adrianus Ludowici de monte s. Gertrudis diocesis leodinenis. Franciscanus. Frater Joannes Spirensis civitatis. Franciscanus“ (ebd. 114). Das Wittenberger Aufenthaltsverbot für ‚Bettelmönche‘ wurde also nicht strikte praktiziert. 4 Siehe Briesmann, Johannes: Unterricht und ermanung // Doct. Johannis Bries-//manns Barfusser Or-//dens an die Christ-//lich gemeyn zu Cott-//bus. Anno M.D.XXIII. [Wittenberg, bei Johannes Rhau-Grunenberg, 1523].“ Vgl. auch Köhler, Flugschriften Fiche 1003 Nr. 2544. 5 Reformatorisch geprägte und offenbar in der Frage der Bilderverehrung von Karlstadt beeinflusste Thesen Briesmanns von 1521 sind überliefert bei Kapp, Kleine Nachlese 595f.: „Pro circulari disputatione feria sexta. Ioannes Brismannus. In nobis nihil est periculosius racione nostra et voluntate. Firma fides abstrahit ab omnium creaturarum fiducia, que in celo sunt et que in terra, trahitque ad solum Deum. Rursus quantum abest fidei in homine, tantum adest tenebrarum et impietatis, auersionis a Deo, conuersionis ad creaturam. Auersio dicit, Deo non curam de hominibus, sed viuendum esse secundum cordium nostrorum consilia. Hinc ex Dei ignorancia et impietate, sicut aliarum rerum: Ita quoque veneracionis sanctorum ortus est abusus. Quia a sanctis precantur et exspectant auxilium, idololatre sunt, eciamsi putent, sese colere Deum. Signa tamen et portenta euenire sinit Deus, vt tentet nos, an credamus. Sic ad seducendos homines, pseudo-Christi et pseudo-prophete signa magna et prodigia daturi predicuntur a Christo. Vt a spiritu serpentis enei a Mose facti laudatur confractio, itidem et excelsorum (in quibus eciam

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promoviert wurde.6 Die Verfügung des Wittenberger Stadtrates vom selben Datum, keine Bettelmönche mehr zu dulden, veranlasste Briesmann, in seine Heimatstadt Cottbus auszuweichen, wo er als Franziskaner im Sinne der reformatorischen Theologie predigte. Weil er deshalb Schwierigkeiten bekam, rief ihn Luther nach Wittenberg zurück, damit dieser dort nach bisher gewohnter Weise lebe und mit ihm zusammenarbeite.7 Briesmann sagte sich also in seiner Schrift nicht vom Orden los, obwohl er sich zur Wehr setzen musste gegen eigene Brüder,8 besonders gegen Predigten seines Regional-Oberen Jakob Schwederich, damals Kustos von Meißen in der obersächsischen Provinz: „Die außlegung aber des Euangelions / der er sich geruemet hatt mich tzu leren / hab ich mit meinem schaden lang zuuor gewust. Denn ich wol tzwelff iar ynn dem schulgezencke gewest / vnd fast sehr dem Euangelio widderstrebet hab / erstlichen / biß das es meynem gnedigen gott / der da reych ist yn der barmherzickeyt / mich auß der grundsuppen der Sophisterey / yn der ich schier ersoffen war / tzurucken unnd auszufuren behaget hatt. Dem sey preyß ynn ewickeyt. Amen.“9 Briesmann wehrte sich hier gegen die traditionell-scholastische Auslegung des Evangeliums, die ihm selbst 12 Jahre hindurch an den Universitäten und im Orden beigebracht worden war. Denn die neue reformatorische ‚Erweckung‘ und ‚Auferstehung‘ der bisher in der Heiligen Schrift verborgenen Wahrheit entlarvten diese „Sophisterei“ und die Werkheiligkeit, die er bei der hohen Geistlichkeit und in den Orden besonders gepflegt sah: „Alßo itzundt ist die warheyt / durch gottes geyst erwackt vnnd auß dem grabe der heyligen schrifft krefftiglich aufferstanden / aber dieser froelichen aufferstehung / ist niemandt mehr tzuwidder / denn die grossen pfaffen vnd die heyligen orden / das sind die geystlichen vetter / ya die rechtschaffene Saduceer / das ist ßo vill gesagt / als rechtfertigen / Nemlich die durch yhren freyen willen und gute werck rechtfertig sind / wenn warumb yhre heylickeyt und gute werck der vernunfft (die sie fur grosse frumckeyt halden) werden durch die klarheyt des Euangelions / ßo es lautter gehandellt wirtt / gantz Deo immolabantur) destructio. Ita hodie in domibus nostris, quas vocamus ecclesias, arularum, adeo multiplicatarum euersio, gratissimum opus foret factum in fide. Atque sic forte, deploranda miseraque priuatarum, vt vocant, missarum numerositas abrogaretur, in quibus peccatur adeo horribiliter. Joann. Brismannus. 1521.“ Vgl. dazu Stupperich, Robert: Johann Briesmanns reformatorische Anfänge. In: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 34 (1939) 3–21, bes. 8–10; siehe insgesamt zu Briesmann auch Stupperich, Reformatorenlexikon 44–46. 6 Siehe Stupperich, Briesmanns reformatorische Anfänge 10. Zu Briesmanns Studiengang vgl auch Höhle, Michael: Die Franziskaner in Frankfurt (Oder) zwischen Universitätsgründung und Reformation. In: Wichmann-Jahrbuch des Diözesangeschichtsvereins Berlin NF 10 (2008/2009) 64–100, hier 77–79. 7 Siehe Stupperich, Briesmanns reformatorische Anfänge 10f. 8 Erst nach Briesmanns Abreise nach Wittenberg predigte in Cottbus Jakob Schwederich gegen seine reformatorisch gesinnten Brüder. Siehe dazu Briesmann, Unterricht vnd ermanung A 2r: „Ich weiß wol / wie bald nach meynem abschied von euch / der ausbündige Doctor / Bruder Jacob Schwederich von Ibigaw (der auch die menliche disputacion von der newen Christlichen ritterschafft vnd den funff wunden Sancti Francisci / hielt vor dreyen iarn ym Capittel der Barfusser tzu Wittemberg) alle lere vnd prediget / die durch mich / als eynen diener des worttes / vnnd die andern / ym Closter bey euch /das vergangene iar durch geschehen / vnuerschemet offentlich am nehisten Christag auff den Cantzel widderrufen / ia verfurisch vnnd ketzerisch gescholten und verdammet hatt.“ Zitiert nach dem Faksimile des Wittenberger Drucks von 1523, das dem Artikel von Robert Stupperich vorangestellt ist, eingangs in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 34 (1939). Zum hier erwähnten Auftritt Schwederichs bei der Wittenberger „Franziskanerdisputation“, vgl. oben Kap. 1, Anm. 108f. 9 Ebd. B 3v–4r.

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und gar entploeset vnnd nichts denn triegerey / affenspiell / vnd greyffliche narrheyt / ya verfurisch vnd dem heyligen Euangelio ttzu nachteyl / befunden.“10 Davon fühlte sich Briesmann befreit, er konnte nun selbst die Widerstände gegen die evangelische Wahrheit entlarven. Das resultierte aus der schriftgemäßen Predigt, so wie Briesmann sie verstand und wie er sie mit anderen in Cottbus vertreten hatte: „Dieße ding / vnd der gleych / wie yhr wisset / hab ich euch geprediget / vnnd alle meyn lere / ßo vill als myr mueglich gewest ist / auff den glawben yn Christum / Vnd auf die liebe zum nehsten gerichtet / vnd was der klar ynnhalt des Euangelions mitbracht hatt / angetzeygt. Daneben hab ich mich beflyssen / ettlich yrsall von dem freyen willen vnd gutten wercken / von dem ablas vnd andern schedlichen dingen / die durch die wercklerer dem volck eyngebildet sind / außtzuroden / vnd hab eyn vnterscheydt tzwischen gottes wort vnnd menschen satzung, ya tzwischen den rechtschaffenen gutten wercken vnd den geferbeten vnd gleyssenden wercken gemacht / Vnd diß gleychwol messig / nach dem yhr noch etwas schwach wart / das yhe nicht keyn sturm odder auffrhur erwackt wuerd / als es denn auch on alle getuemmell zugangen ist / Wie wol etlich gleysner vnd die sich fur schrifftweysen achten / darueber entruestet sind worden / vnnd ettliche anwaldigen widder die prediger gehetzet haben.“11 Briesmann und seine Mitstreiter in Cottbus hatten offenbar von den Vorgängen in Wittenberg gelernt, wo erst Luther im Februar 1522 einer rücksichtslosen, jedenfalls von der Obrigkeit nicht mehr beherrschbaren Bewegung ein Ende machen konnte. In Cottbus wollte man die reformatorische Bewegung maßvoll angehen lassen und Rücksicht auf die Schwachen nehmen, die noch nicht für größere Veränderungen reif waren. So hat auch die radikale Abrechnung mit seiner Vergangenheit und mit jenen Brüdern, die dem Evangelium in seinem neuen Verständnis widerstrebten, Briesmann nicht gehindert, zunächst seinen Weg im Orden weiterzugehen.12 Im Frühjahr 1523 begann Johannes Briesmann dann im Auftrag Martin Luthers, seine Antwort auf Kaspar Schatzgeyers Replica auszuarbeiten: „Die Antwort Johannes Briesmanns auf die Verwicklungen des Minoriten Kaspar Schatzgeyer, zugunsten von Luthers Schrift über die Ordensgelübde.“13 Die Absicht der Schrift wird in der Unterschrift zum Titel so erklärt: „In diesem Büchlein wird klar gezeigt, wie sehr die irren, die den Ordensgelübden viel zu viel zuschreiben über das Zeugnis der Heiligen Schrift hinaus.“14 Luther ging in seinem Vorwort, das als Brief an Johannes Briesmann formuliert ist, noch von derselben „professio“, nämlich Ordensberufung, bei Schatzgeyer und Briesmann aus. Er 10 Ebd. A 3v–4r. 11 Ebd. B 3rv. 12 Luther nannte ihn sogar in einem Brief einen „echten Schüler des Franziskus“ (WA Br 2, 510ff.). Siehe Stupperich, Briesmanns reformatorische Anfänge 10. 13 Siehe Briesmann, Johannes: Ioannis //Briesmanni Ad Caspa-//ri Schatzgeyri Minoritae plicas responsio,// pro Lutherano libello de uotis // monasticis. // Item. // M. Lutheri ad Briesmannum Epistola, de eodem. Straßburg 1523, A 1r. Nach dem entsprechenden Exemplar der Bayrischen Staatsbibliothek München Polem. 396m. Siehe auch Köhler, Flugschriften Fiche 1538 Nr. 4001. „Plicae“ sind ein Wortspiel, das sich auf Schatzgeyers Replica bezieht und sie negativ als wenig durchsichtige „Verwicklungen“ kennzeichnet. 14 Ebd. A 1r: „In hoc libello clare ostenditur, quantum errent qui uotis monasticis plus nimio tribuunt citra omne sacrae scripturae testimonium.“

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unterscheidet freilich Briesmann, den er „hervorragend erfahren in der minoritischen Sekte“ nennt, von Menschen, „die nur Minoriten sind und keine Christen“. Das lässt noch eine Verbindung von minoritischer und christlicher Existenz zu. Doch erscheinen in Luthers Vorwort insgesamt die observanten Minderbrüder in einem schlechten Licht, nämlich als Sonderlinge, die sich mit neuen Wörtern und Lebensformen von andern abheben möchten und doch nichts wirklich Gutes zu bieten haben. Luther spielte dabei vor allem auf Alveldts Schriften an.15 Aber auch Schatzgeyer („Thesauriuora“, Schatzfresser) wurde gerade wegen der Vermittlung zwischen Heiliger Schrift im Sinne reformatorischer Theologie und Scholastik, zwischen „Christus und Belial“, in seiner Schrift „Scrutinium sacrae scripturae“ verurteilt. Dass dieser sich nun an der Schrift „De votis monasticis“ vergriffen hatte, die Luther selbst für seine bestbegründete und bisher unüberwundene Arbeit hielt, das konnte er dem „in heiliger Sache ungelehrten“ Franziskaner nicht durchgehen lassen. Luther selbst war zwar zu beschäftigt, um eine ohnehin für die Gegner vergebliche Antwort geben zu wollen. Aber er mutete diese Antwort, um die ihn Freunde gebeten haben, Briesmann zu, der als Kenner des franziskanischen Lebens die heuchlerische Selbstdarstellung seines Ordensbruders entlarven konnte, obwohl er eigentlich Besseres zu tun hätte.16 In Briesmanns Schrift selbst, der eine Widmung an Georg Spalatin von Mitte März 1523 vorangestellt ist,17 lässt nichts mehr darauf schließen, dass er sich noch als Franziskaner 15 Die Schrift Alveldts „Super Apostolica sede“ nannte ihre entscheidenden Argumente „Schwerter (gladios)“, und seine Schrift „Malagma optimum“ bot „malagmata (Umschläge)“ und „syrupos (Säfte)“ gegen Luthers „Krankheiten“ an. Darauf spielte Luther in seinem Vorwort an, als er zugleich über die „conatus (Versuche)“ und „indagines (Forschungen)“ in Schatzgeyers Schriften spottete. 16 Siehe insgesamt ebd. [M. Lutheri ad Briesmannum Epistola] A 2rv: „Martinus Luther Ioanni Briesman fratri suo, Gratiam et pacem in Christo. Prodiit nuper tuae professionis homo Caspar Schatzgeyr, libello contra me aedito [!], super uotis et missis: qui et antea contemptum illum librum et insulsum, quem Scrutinium appellauit, aediderat [!], conatus Christum et Belial conciliare, nempe sacrilegam scholasticen et literas sacras: quod ubi male cessit, alia uia gloriam affectat, et nunc indagines et conatus, ac nescio quae portenta uerborum et rerum parturit. Nosti autem et tu quam sit isto hominum generi gentile, imo fatale (de iis loquor, qui minoritae tantum sunt, et non Christiani) nouis et singularibus uocibus uti, quemadmodum et nouis moribus uiuunt. Sic alius scribit gladios, alius syrupos, alius malagmata, iste uero, ut dixi, indagines et conatus: ne scilicet quicquem commune uel in uerbis, uel rebus cum hominibus habeant. Accedit ad haec, propria quaedam ac minoritica phrasis, quae talis est, ut nullo alio uocabulo nominare queas, quam ut minoriticam dicas: in qua illud potissimum ualet, quod est taediosissima, dum cupit noua uideri, et fit neque uetus neque noua, sed nec media quaedam inter nouam et ueterem. Sed ut ad rem ueniam, rogaui te, ut munus respondendi obires: non quod ducerem te, qui dono dei melioribus rebus seruire potes, cum his laruis pugnare: sed quod ego occupatior sim, quam ut ipse respondeam. Nam etsi hominem indoctum in re sacra contemnerem, atque cogitarem, ne responsione mea millies iterata firmari eos posse: qui tam uanis scriptis mouentur ad dissentiendum libello meo de uotis, omnium quos scripsi, etiam me teste, munitissimo, et quod ausim gloriari inuicto: tamen amicis quibusdam sic instantibus et urgentibus cessi, ut respondendum illi esse censerem. Tu ergo prospere procede in Christo, ut qui minoriticam sectam egregie callens, probe intelligas, quot locis Thesauriuora ille indagator et conator mentitur, dum nobis persuadere conatur, ut credamus tam uulgarem esse apud religiosos fidem et castitatem, quam uulgares sunt ipsi monachi, praesertim minoritae, cum sua ipsius tum conscientia, tum experientia, eum longe aliter doceat, nisi quod purum Minoritam oportet esse purum hypocritam. Sic enim loquitur, sicut hactenus uixerunt, credens tam neminem fore, qui mentientem intelligit, quam hactenus nemo fuit qui putaret eos esse meras personas, et ut Paulus ait: ‚Species pietatis, cuius uirtutem abnegant‘.“ Vgl. 2 Tim 3,5. Zum Text dieser „Epistola“ Luthers, siehe auch Luther, Werke WA 11, 282–291. 17 Ebd. B 1r: „D. Georgio integerrimo uiro Spalatino, illustrissimi Saxoniae ducis et principis electoris, a secretis, Ioannes Briesmannus, Gratiam et pacem in Christo.“

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verstand. Schatzgeyer reihte er ein unter die „schädlichsten geisttötenden und heuchlerischen Feinde des Evangeliums“18, von denen er schrieb: „Wenig wäre es, wenn sie nicht glaubten oder nur verachteten, aber nun verfolgen sie auch mit Gewalt die im Evangelium dargebotene Barmherzigkeit, der diese Geisteskranken mit ungezähmter Wut widerstehen und widersprechen. Unter denen neuerdings Schatzgeyer, von der franziskanischen Partei derer, die sich unter dem Titel von der Observanz feilbieten, in die Bresche springt.“19 Wenn auch dieser verächtliche Ton nichts Gutes verhieß, so behandelte Briesmann doch insgesamt sachlich die Argumente Schatzgeyers, dem er zumindest „scholastische Weisheit“20 zuerkannte, obwohl er spöttisch fragte: „Um Himmels willen, wer hätte so hervorragende Leute in jener simplen Gemeinschaft der Brüder von der Observanz gesucht?“21 Dabei griff Briesmann selbst öfter auf Luthers Darlegungen zurück, etwa auf dessen Sicht der früher noch christlich freien Lebensform der Klöster, die erst später verkehrt wurde: „dass die Klöster einmal Übungsstätten (gymnasia) christlicher Freiheit gewesen sind, das mache ich nicht schlecht, und auch Luther hat nicht anders geschrieben. So nämlich war die erste Bestimmung der Ordensleute, nach ihrem Eintritt ins Kloster sollten sie, untertan den Oberen, lernen, nichts eigennützig zu tun, sondern bereitwillig und freudig allen in allem zu dienen. So wurden sie geübt und vollendet in christlicher Freiheit. Hier lag, sage ich, der Gebräuche Ziel und Maß. Weil der Feind Unkraut säte, begann man schließlich, in verkehrtem Eifer alles sich anzueignen wider das Recht christlicher Freiheit. Und man begann, unter dem Vorwand der Vollkommenheit und der Gebräuche die wahre Frömmigkeit auszulöschen, damit statt der Freiheit die Knechtschaft und eine erbärmliche Gefangenschaft der Gewissen tyrannisch herrsche. Denn die auf Gelübde Wert legten, legten unter dem Namen Christi und des ganz freien Evangeliums die Fallstricke der Gelübde und der Traditionen auf den Pfad, sodass wer in Christus zu wandeln meint (von dem wir bei Johannes 14 lesen, er selbst sei der Weg) nun in ihre Fallstricke tritt.“22 Die Übung in einem Ethos des Dienens, das auf die Aneignung eigener Leistungen verzichtet, sondern in Freiheit ganz für andere sich einsetzt, erinnert nicht nur an Vorgaben Martin

18 Vgl. ebd. [Epistola dedicatoria]: „aduersus nocentissimos Euangelij hostes spiriticidas et hypocritas“. 19 Ebd.: „Parum esset, si non crederent aut contemnerent: at nunc oblatam Euangelij misericordiam, etiam ui persequuntur, et indomito furore resistunt, ac contradicunt phrenapatae isti: inter quos nuper Schatzgeyrus, e Franciscana factione eorum, qui sese obseruantiae titulo uenditant, in medium prosilijt.“ 20 Ebd. B 2r: „pro sapientia sua scholastica“. 21 Ebd.: „Obsecro, quis tam excellentes uiros in simplici illo fratrum de obseruantia coetu quaesisset?“ 22 Ebd. C 6r: „quod monasteria, Christianae quondam libertatis gymnasia fuere, non inficior, neque Lutherus aliter scripsit. Siquidem haec fuit prima religiosorum institutio, ut monasterium ingressi, maioribus subiecti, discerent nihil proprie operari, sed prompti et alacres omnibus in omnibus seruire: sicque exercebantur et perficiebantur in libertate Christiana. Hic inquam erat ceremoniarum finis et modus. Tandem iniquo homine zizanias seminante, coeperunt peruersitatis studio, in libertatis Christianae iniuriam usurpari omnia. Coepitque perfectionis ac ceremoniarum praetextu uera pietas extingui: ut iam pro libertate seruitus, conscientiarumque misera captiuitas tyrannizet. Votarii nanque[!] sub nomine Christi, et liberrimi Euangelij praetextu, uotorum et traditionum laqueos posuerunt iuxta semitam, ut qui in Christo ambulare se putat (de quo legimus Ioannis 14. quod ipse sit uia) calcet in eorum laqueis.“ Vgl. Mt 13,25–28; Joh 14,6.

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Luthers,23 sondern auch an Einsichten von Franziskus.24 Briesmann selbst bezog sich nicht ausdrücklich auf solche Impulse von Franziskus her. Doch vielleicht war ihm das Anliegen des franziskanischen Ursprungs doch gegenwärtig, als er mit seinen Worten die frühe unverdorbene Zeit der Klöster deutlicher noch als Luther ausmalte. Auf die franziskanische Lebensform, die hier primär interessiert, kam Briesmann erst ausdrücklich zu sprechen, als er Luthers Interpretation der Minderbrüder-Regel anführte.25 Doch hier machte er nur die Klage Schatzgeyers über Luthers Angriffe auf die Franziskaner lächerlich: „Aber da man ihnen entgegen offen widersteht, da man ihr grobes Gehirn verlacht, da man mit frommem Sinn ihre Heuchelei selbst und die törichten Einbildungen von Traditiönchen auspfeift, sagen diese kleinen Heiligen, das gezieme sich nicht für einen Christen, das passe in keiner Weise zum Evangelium und zur katholischen Frömmigkeit, usw., wie der Plicator [Verwickler] schreibt. Vielleicht will der Indagator [Erforscher] auch Christus die Frömmigkeit wie den christlichen Geist absprechen.“26 Denn Christus hat, meint Briesmann, durchaus die Pharisäer und Heuchler gescholten: „Ist es also verwunderlich und des Christennamens unwürdig, wenn Luther oder irgendjemand sonst in demselben Heiligen Geist beim Kampf gegen diese Sinnestäuscher und papistischen Larven sie in ihren eigenen Farben malt und (was sie sagen) beim richtigen Namen nennt? Aber ‚lassen wir sie, sie sind Blinde und Führer von Blinden‘.“27 Eigens ging freilich Briesmann auf Schatzgeyers Interpretation von Ordensregeln ein: „der Plicator [Verwickler], damit er nicht gar nichts sagt, gibt sich unterdessen sophistisch und schwätzt vom entsprechenden Gegenstand des Gelübdes, von dem er behauptet, es sei die Regel, nicht die Räte, nicht die Gebote. Um Himmels willen, welche Ausflucht sucht er mit diesem leichtfertigen Gerede? Beziehen sich nicht die Gelübde beinahe aller Orden auf diese drei, nämlich auf Gehorsam, Armut und Keuschheit, obgleich die Minderbrüder vor allen anderen sich das Gelübde der Armut anmaßen? Ich verschweige jetzt, dass die Regeln aller Ordensleute zum großen Teil menschliche Überlieferungen und Erfindungen im Sinn haben. Wer mag schon glauben, dass alle Ordensleute derart stupid geloben, dass sie nicht vorher wenigstens wissen möchten, was sie geloben, und warum sie sich dieser Lebensform weihen? Daher nämlich unterrichtet man im Probejahr die Novizen, damit sie wissen, was man zu geloben hat. Auch ruft man das denen in Erinnerung, die schon einmal Profess abgelegt haben. Daher nämlich liest man die Regeln und erklärt sie. In dieser Weise haben der heilige Bonaventura und andere Väter auch anderer Orden die Ordensregeln ausgelegt von den evangelischen Räten, denen in dieser Sache 23 Siehe oben Kap. 2, Anm. 65. 24 Vgl. oben Kap. 2, Anm. 37f. 25 Ebd. [Epistola dedicatoria] D 5v–6r. 26 Ebd. D 5v–6r: „At dum eis e diuerso palam resistitur, dum crassum eorum cerebrum irridetur, dum hypocrisis ipsa et stultae traditiuncularum opinationes pio spiritu exsibilantur, dicunt id sanctuli isti, non conuenire Christiano, nec ullo pacto quadrare Euangelio et pietati catholicae, etc. ut plicator scribit, fortassis et a Christo tam pietatem quam Christianum animum ablaturus est indagator.“ 27 Ebd. D 6r: „Quid igitur mirum aut Christiano nomen indignum, si Lutherus aut alius quispiam, in eodem spiritu sancto contra hos mentium deceptores et laruas papisticas pugnans, suis et propriis coloribus depingat, et recto (quid aiunt) nomine appellet? Sed sinamus eos, caeci sunt et duces caecorum.“ Vgl. zum Kontext die Streitreden Jesu gegen Pharisäer und Schriftgelehrte Mt 15,12–14; 23,2–26. Siehe dazu auch Schatzgeyers Klage, oben Kap. 2, Anm. 74.

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und Meinung alle gefolgt sind, auch so viele ordnungsgemäße Visitatoren der Brüder und Ordensleute, außer vielleicht als einziger Schatzgeyer, der in dieser Sache, ohne die Meinung von Vollkommenheit und Räten, sein Amt als Vikar wie Minister allein lauter und rechtschaffen vollendete. Das überlasse ich seinem Gewissen.“28 So wenig wie Schatzgeyer selbst behandelte Briesmann in besonderer Weise die Regel der Minderbrüder. Schatzgeyer konnte sich bei seiner Sicht, dass die Ordensregel selbst versprochen wird, allerdings auf die Regula Bullata seines Ordens stützen.29 Die Rede von Gelübden auf evangelische Räte, die Briesmann zu Recht als die damals geltende Auffassung ansah und die von Schatzgeyer selbst relativiert wurde, findet sich noch nicht ausdrücklich in den frühen Franziskus-Quellen. Für Schatzgeyer war entscheidend die erneute Verpflichtung auf die göttlichen Weisungen selbst, die für alle Christen unbedingt gelten. Erst dann kommen die Räte, die man aus dem Evangelium in die Regeln übernahm und die nun freiwillig im Gelübde zu versprechen sind. Erst an letzter Stelle geht es in den Regeln um menschliche Regelungen für das Leben der jeweiligen Gemeinschaft, die nur als solche und deshalb als veränderliche Bestimmungen im Gehorsam gelobt werden. Diese Differenzierung Schatz­ geyers, die die jeweilige Ordensberufung in Relation sah zur allgemeinen christlichen Berufung und so relativierte, wertete Briesmann ab unter Hinweis auf die traditionelle Erklärung der Regeln und die übliche Unterweisung in den Orden. Damit traute er Schatzgeyer nicht zu, dass er als früherer Vikar der Observanten und nun als Provinzialminister einer observant geprägten oberdeutschen Franziskanerprovinz seine eigene Sicht entwickelt hatte. Schatzgeyers behutsame Annäherung an Luthers Position, womit er in den Ordensregeln grundlegend die gemeinsame Sache und die wesentliche Vollkommenheit des Evangeliums betonte, wurde damit unter Hinweis auf die traditionelle Theologie des Rätestandes ironisch beiseite geschoben. Briesmann gab also zu bedenken, ob nicht Schatzgeyer in Wirklichkeit doch der traditionellen Ordenstheologie folgte, die freilich bei Bonaventura noch nicht so ausgebildet war30, wie Briesmann hier meinte. Insgesamt ging es ihm eher darum, Schatzgeyer als Gegner Luthers abzufertigen, als darum dessen Gedanken zu verstehen und darauf ernsthaft einzugehen. Als Briesmann noch im selben Jahr 1523 als reformatorischer Prediger nach Königsberg/Ostpreußen berufen wurde, hat er sein Ordensgewand abgelegt.

28 Ebd. D 6v–7r: „plicator, ne nihil dicere uideatur, sophisticatur interea atque nugatur de uoti obiecto adaequato, quod regulam esse adstruit, non consilia, nec praecepta. Obsecro, quale hac leptologia sua effugium quaerit? Nonne omnium fere religionum uota super haec tria feruntur, nempe supra obedientiam, paupertatem et castitatem: quamquam Minoritae paupertatis uotum prae omnibus alijs sibi arrogent? Sileo nunc, quod omnium monasticorum regulae, magna ex parte humanas traditiones et adinuentiones sapiant. Iam quis credet monachos omnes adeo stupide uouere, ut ne ante quidem scire curent, quid uouendum sit, et cur sese huic generi uitae addicant? Ideo enim in probationis annos instituuntur nouitij, ut sciant quid uouendum sit. Sic quoque eadem in memoriam reuocantur iam olim professis. Ideo enim leguntur et declarantur regulae. In hunc modum diuus Bonauentura, et alii aliorum quoque ordinum patres regulas monasticas, exposuere de consiliis Euangelicis, quas hac in re et opinione secuti sunt omnes, quotquot ordinarii fratrum et monasticorum uisitatores fuerunt. Nisi unicus forte Schatzgeyr, qui hac in re, citra opinionem de perfectione et consilijs, tam uicarij quam ministri munus candide et dextre absoluit. Sed hoc ipsum conscientiae eius relinquo.“ Siehe dazu Schatzgeyers Sicht oben Kap. 2, Anm. 75f. 29 Siehe Regula Bullata 1,11: „Finito vero anno probationis, recipiantur ad obedientiam promittentes vitam istam semper et regulam observare.“ In: Esser / Grau, Opuscula 367. Vgl. Franziskus-Schriften 95. 30 Vgl. einen Ansatz dazu bei Bonaventura: Apologia pauperum cap. 2 nr. 3 (Opera omnia VIII, 240a).

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3. Franziskaner entscheiden sich gegen ihr bisheriges Ordensleben

3.2. Johannes Schwan In der Form noch stärker geprägt von Luthers „De votis monasticis“ erscheint 1523: „Ein Sendbriff Johannis Schwan, darinne er anzeigt auß der Bibel und schryfft. Warumb er Barfusser orden des er etwan ym kloster zu Baßell gewest verlassen“31. Ähnlich wie Luther seinem Vater schrieb Johannes Schwan „dem Ersamen Danieli Schwan, Bürger zu Marpurg, seynem lieben vatter“, er blieb freilich ganz in der Form eines öffentlichen Briefes, obwohl er selbst zu Wittenberg die Drucklegung seiner Schrift besorgt hat.32 Johannes Schwan verließ damals das Wittenberger Franziskanerkloster, in dem er als Franziskaner, der aus dem observanten Kloster zu Basel kam, und als Student noch wohnte. Das wollte er seinem Vater erklären. Denn der war anders als Luthers Vater mit dem Ordenseintritt seines Sohnes und mit der höchst feierlichen Profess 1502 zu Marburg offensichtlich einverstanden und musste erst für den Ordensaustritt des Sohnes und zur Hilfe für einen Neuanfang gewonnen werden: „Darumb bitt ich durch Christum, lieber vatter, du wollest myr nu eynen Christlichen standt helffen, darynne ich sonst meyn leben gotlich und Christlich müge hinbringen. Und wollest dich nicht bewegen lassen, das meyn profession ist geschehen ynn beywesen unßers gnedigsten fursten und herrn Landtgraffen zu Hessen vatter löblicher gedechtnis verscheyden, vieler Ritterschaft und ander erbar leutt, als sollt dyr das nu honlich seyn. Es sind eytel menschliche gedanken, die man ynn gottes sachen nit muß ansehen. Es durfft auff die zeyt der Gardian offentlich auff der kantzel außruffen, er wolt mich gott opffern und mit dreyen negeln an creutz schlagen. Was das fur eyn opfferung gewest, ist nun verhanden, ßo der münch falsch geystlicheyt kont an tag komen. Wie auch die münche der welt gestorben und mit Christus ans creutz geschlagen sind, gibt die erfarung, ßo niemants gar nahe weniger creutz hatt, weniger den alten Adam dempffet und nidertruckt, dann eben die münch, wilche sich ynn müssigang von andern leute gütter nit anders denn die schweyn mesten und erneeren.“33 Johannes Schwan vermutete, sein Vater könnte den Hohn und Spott über den Ordensaustritt seines Sohnes fürchten. Denn Marburg und Hessen waren damals für die Reformation noch nicht gewonnen, obwohl bereits der spätere Förderer der Reformation, Landgraf Philipp, seinem Vater Wilhelm II. gefolgt und der Regentschaft seiner franziskanerfreundlichen Mutter Anna entwachsen war.34 Schwan suchte die Hilfe seines einflussreichen Vaters vor 31 Ohne Angabe des Druckers und Druckortes, doch gedruckt zu Wittenberg bei Nickel Schirlentz, wohl mit der aktiven Hilfe des „Werkstudenten“ Johannes Schwan selbst, der bald in Straßburg als Drucker arbeiten wird. Hier zitiert nach der Transkription von Wintzer, Eduard: Ein Sendbrief von Johannes Schwan an seinen Vater Daniel Schwan, Bürger zu Marburg. Wittenberg, den 24. Februar 1523. In: Hessenland 16 (1902) 42–44, 58–61. Die Datumsangabe stimmt hier nicht. Es heißt am Ende (ebd. 61): „Geben zu Wittenberg auff freytag nach Sanct Matthias im Jar. Tausent Funffhundert und XXIII“. Das aber war der 27. Februar 1523. Im Original-Druck ist der Titel so angegeben: Ein Sendbriff // Johannis // Schwan dar//inne er anzeigt auß der Bibel // vnd schryfft /, Warumb er Bar//fusser orden des er etwan ym // kloster zu Baßell gewest // verlassen (A 1r). In: Köhler, Flugschriften Fiche 1186 Nr. 2980; vgl. auch Köhler, Bibliographie I, Bd. 3. Tübingen 1996, 436 (nr. 4140). 32 Vgl. dazu die Einleitung bei Wintzer, Ein Sendbrief 42. 33 Ebd. 60f. Siehe auch Schwan, Ein sendbriff, B 3rv. 34 Vgl. Rudersdorf, Manfred: Philipp I. der Großmütige, Landgraf von Hessen. In: LThK3 8, 233–235. Philipps Mutter Anna von Mecklenburg wurde noch 1525 in der Franziskaner-Klosterkirche zu Marburg beigesetzt. Siehe auch Schilling, Klöster und Mönche 28–36, bes. 29f. Anm. 93f. und 97.

Johannes Schwan

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allem für den Übergang in einen neuen Beruf. Das bisherige Leben im Orden konnte er nicht guten Gewissens weiterführen. Dabei hatte besonders Luthers Gelübdeschrift bei ihm einen tiefen Eindruck hinterlassen. Die Auseinandersetzung mit Schatzgeyers „Replica“ förderte noch den Klärungsprozess: „Darumb, lieber vater, dass sie sagen, die kirche hab den heyligen geyst vnd konne nicht yrren, vnd Got hab seyn kirchen entlich nie ßo lang verlassen, ist ware. Es haben aber unser gleysnerische münch nie verstanden, was kirche odder Evangelium sey, wie noch wol an dem mynistro Barfussserordens Sasgero erscheynt, der sich vnterstanden hatt, D. Mart. Luthers buch von klostergelübden nydderzulegen, so doch klar an seynem schreyben erscheynt, das er eyn vngelerter papist ist, der ynn der sophisterey ersoffen, viel vngelerter ist, dan er solt etwas tügliches konnen widder ßo starken grundt auffbringen, schweyge dan, das er wissen solt oder an den tag bringen, was das Evangelium sey oder gesetz, glawb, gnad oder zusagung Christi etc. Darumb, wann die suppenbrüder mitt yhren argumenten kommen von allter gewonheyt, alltem geprauch, ßo laß dyr das klar gotswort furlegen oder glawb yhnen nicht.“ 35 Die eher scholastische Argumentation Schatzgeyers [Sasgerus] hatte Schwan von der Überlegenheit der reformatorischen Theologie, ihrer Sicht von Evangelium und Gesetz, von Glaube und Gnade überzeugt. Denn was er bei Schatzgeyer fand, erschien ihm als überholte „Sophisterey“ ohne echte Gelehrsamkeit. Insgesamt sah Schwan seine eigene klösterliche Vergangenheit nur noch negativ: „Dann was haben sie vns anders geprediget dann (wie der Apostel saget) sich selbst vnnd yhren beuttel; Christum aber, darauff alle Heyligkeyt, alle frumkeytt, die fur Gott gilt, muß gebawet werden, haben sie verschwigen, die Biblien, Krychische, vnd Hebraysche zungen, an wilche die Biblien nicht kann verstanden werden, haben sie ligen lassen, vnd vns ablaß, gnadbullen vnd ander mancherley darfur geprediget, darynn ßodann nichts anders dann yhr nutz vnd genieß gesucht. Dann die münch haben nichts anders predigen kunden dann: wer vns etwas gibt, wer vnßerem Convent wol thutt, wer vnns das kloster bawet, odder wer vns armen brüdern hilfft, der wirtt die gnad gottes erlangen, der wirtt die ewige selikeyt erwerben etc.“ 36 Wäre das Bild vom Leben und Wirken der Franziskaner, das Schwan insgesamt ausmalte, wirklich der Erfahrung entnommen, es gäbe kein gutes Zeugnis für das, was Johannes Schwan selbst in seiner franziskanischen Zeit zu Marburg, dann zu Basel und schließlich zu Wittenberg erlebt und gelebt hatte. Doch anfangs wurde nur die Diskrepanz deutlich zwischen dem hohen Ideal, wie es bei einer Aufsehen erregenden Professfeier des Sohnes aus einem angesehenen Marburger Patriziergeschlecht gepredigt wurde und wie es auf seine Weise ja selbst Luther noch lange festhielt, und der alltäglichen Wirklichkeit. Dann sah Schwan herab auf jenes vorherrschende Denken im Orden, das selbst in respektablen Vertretern wie Schatzgeyer noch von mittelalterlicher Scholastik geprägt war und kaum Zugang fand zur Neuentdeckung der Bibel in ihren Ursprachen. Doch wo Schwan klösterliches Leben nur als „müssigang“ und Sich-Mästen darstellte, scheint er nicht aus Erfahrung zu sprechen. Denn zumal das Kloster in Basel war unter der Leitung von Konrad Pellikan ein Zentrum 35 Siehe Wintzer, Ein Sendbrief 58. Siehe auch Schwan, Ein sendbriff, B 2v. 36 Wintzer, ebd. 43. Siehe auch Schwan, Ein sendbriff, A 2v. Vielleicht berief sich Schwan hier auf Phil 3,17–19 beziehungsweise auf die entschiedene Ablehnung des Paulus, nicht um irdischen Gewinns willen zu predigen.

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von Studium und Gelehrsamkeit. Schwan folgte hier eher dem radikalen Vorurteil Karlstadts gegen ein Leben der Meditation, des Studiums und der Lehre als dem sonst hochgepriesenen Martin Luther selbst. Dieses Vorurteil führte ja gerade 1523, als Karlstadt Dekan der theologischen Fakultät war, zu einem Eklat bei der Promotionsfeier für die Augustiner Johannes Westermann und Gottschalk Grop. Denn Karlstadt „bezeugte zugleich offen, er werde danach niemanden mehr zu welchem Grad auch immer ins Verderben stürzen“37. Und Luther fügte später zur Erläuterung hinzu: „Und ich bezeuge, dass ich bei diesem Akt dabei war. Und auch diese frevlerischen Worte aus seinem blasphemischen Mund gehört habe (aber ihnen offen zu widersprechen, wurde nicht gestattet): ‚Ich Kluger handle gottwidrig, weil ich wegen zweier Gulden promoviere.‘ Und er behauptete fest aus Matthäus 23, man dürfe niemand auf Erden Vater oder Lehrer nennen, sondern einer sei Lehrer und Vater im Himmel usw. Daraus lässt sich verstehen, aus welchem Geist er seine Theologie bezog.“38 Karlstadts Vorurteil, das sich zunächst gegen die spirituell-intellektuelle Seite des klösterlichen Lebens richtete, machte nicht halt vor der akademischen Theologie.39 Und so mündete der Niedergang der Klöster schließlich in eine Krise der Wittenberger Theologischen Fakultät, sodass die Promotionen abnahmen und zwischen 1525 und 1533 überhaupt keine theologischen Grade mehr vergeben wurden.40 Das mag Johannes Schwan, der eine gute Ausbildung erhalten, sogar in Basel bei dem gelehrten, humanistischen und mit der Reformation sympathisierenden Franziskaner Konrad Pellikan gelebt und gelernt hatte, in der Hinwendung zum Druckgewerbe bestärkt haben.41 Noch aus Wittenberg wendet sich Johannes Schwan 1523 erneut an seinen Vater mit der Schrift: „Ein kurtzer begriff des Erschrecklichen stands der munch.“42 Wie der Titel zeigt, richtete sich diese Schrift ausdrücklich an einen weiteren Adressatenkreis, an die Ordensleute zunächst, aber zugleich an die ganze Öffentlichkeit. Dennoch behielt Schwan die Form eines offenen Briefes an seinen Vater bei: „Dem Erbaren Daniel Schwan burger tzu Marpurg / meinem lieben vater wünsche ich Johan Schwan fryd unnd gnad von got.“43 Ihn hatte der Sohn anscheinend noch nicht für seine Sache gewonnen. Doch der persönliche Ton blieb in der Anrede weitgehend erhalten. Allerdings setzte sich Schwan nun sachlicher mit dem Ordensstand auseinander, vielleicht weil der erste Sendbrief nicht die erhoffte Wirkung gezeitigt 37 Siehe Foerstemann, Carl Eduard: Liber Decanorum Facultatis Theologiae Academiae Vitebergensis. Leipzig 1838, 28. Vgl. Schlageter, Das Franziskanerkloster in Wittenberg 108f. 38 Foerstemann, Liber Decanorum Facultatis 28 Anm 1. Vgl. Mt 23,9–12. 39 Vgl. dazu auch Brecht, Luther II, 158. Karlstadt hätte sich wohl gewundert, dass er zumindest in diesem Punkt mit manch radikalen Franziskanern eines Sinnes war. 40 Siehe Foerstemann, Liber Decanorum 28 Nota 2. 41 Das wird auch nahegelegt durch seine spätere Druckertätigkeit für Karlstadt in Straßburg. Siehe Wintzer, Eduard: Die Marburger Familie zum Schwan um die Zeit der Reformation. In: Hessenland 15 (1901) 309f. Vgl. zu Schwan auch Schilling, Johannes: Gewesene Mönche. Lebensgeschichten in der Zeit der Reformation. München 1990, 7–15; ders.: Klöster und Mönche in der Hessischen Reformation. Gütersloh 1997, 145–150. 42 Schwan, Johannes: Ein kurtzer begriff // des Erschrocklichen stands der munch / nutz//lich vnd nottig tzu leßen allen dennen // die sich verpflicht haben mit munchs // gelubden. Inn welchem auch ange// zeygt wirt / mit kurtzen worthenn // eyn genugsamer vnterschid / des // christlichen glaubens / von // allen secten der turcken / // iuden vnd papisten / // allen menschen not//tig zu wissen // Gegeben zu Wittenburg // M.D.xxiij. [Erfurt: Wolfgang Stürmer 1523] A 1r. In: Köhler, Flugschriften Fiche 208 Nr. 593. Vgl. auch Köhler, Bibliographie I/3, 435 (nr. 4139). 43 Ebd. A 1v.

Johannes Schwan

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hatte. Darauf deutet auch hin, dass er sich eingangs als „verlassner“, das heißt verlorener, „Sohn“ seinem Vater zuwandte: „Meyn herzliebster vatter / die weil ich als eyn verloeßner sun uff erden / keynem menschen billicher meyn anliegende nott ertzelenn mag / dan dir meynem aller getrauwesten vater / Las ich dich wissen / von dem elenden betrieg. In den ich unwissent mit eynfeltigem syn bin eingefuret worden / darumb das ich wenig geacht hab / der noetigen warnung unßers herren Jesu Christi.“ 44 Da Schwan nun einsah, dass er in Betrug und Bosheit verstrickt wurde, konnte und musste er sich daraus lösen: „Die weil nun keyn mensch / der boeßheit mag verpflicht bleyben / ob ehr sich auch dar eyn mit ayd vnd geluebt verbunden het / alß keyner auch sall halten / dem teuffel den glauben widder gott / Szo volg ich dem heyligen geyst / der mich hayst außtrethen / vnd abweychen von dem gotlosen Babilon / an dem LI. Capittel Hieremie / vnd an dem XVIII. des buchs der heymlichen offenbarung.“ 45 Schwan sah wie Luther die derzeitigen Klöster als Teil des gottwidrigen babylonischen Systems in der Kirche, das der Macht des Bösen unterworfen ist. Dass er deswegen mit den klösterlichen Leben brechen musste, glaubte er, verständlich machen zu können: „Mercke nue meyn herzliebster vatter / vnd betracht ob mich beweg mutwill vnbestendikeit ader sunst etwas boeße / tzu verlassen die gesellschaft der muenich / vnd nit mehr meyn gewisßen / das ich hab vom glauben / vnd von gottes gebotten / Dan war von solt ich sunst / in meynem alter heraußkommen / ßo ich doch ytzunt nit mynder / dann xx. Jar hab getragen die kappen / vnd nichts wenigers bey mir ynn meynem gemueth gedacht / dann daß / daz ich sye vor meynem tod wolt hinlegen / Aber got der da hatt / beriefft sanct Pauls / von Judischer gerechtikeit tzu seyner gnad erkanntnuß / der hat auch mich erleuchtet / vnd berufft von muenchischer heylikeit / die vor gott nichts ist / dan eyn lautder schalkeit vnd boßheit / darumb das sye verdilgen / und verwerffen den glauben Christi. Durch welchen wir eyglichen sullen selig werden. Denselben lerent sye nit alleyn nicht / besunder sie weren mit henden vnd fusßen / das yn keyner yerer gesellen predig. Dar tzu find man vnder tzehen nit eynenn / de do recht wiß was eynn Christen glaub sey. Hyrumb ßo bey ynen eyner ist der die christenlich warheit verstehet / vnd sye wil verkunden / vnd bekennen / ßo lassen sye yn vorbas nit predigen / noch auch beychthoren / noch gemeynschaft haben mit leuthen als mir auch geschehen ist. Dan die weil yher narung stehet uff ligen vnd betriegen ßo firchten sye die worheit komme an tag / vnd sye hungers ersterben / Und dartzu dye weil sye byßher seint gehalten wordenn alß hailige menschen / durch welche man mieß selig werden / ßo furchten sye das ynen Christ hynweck nem sollich ehr. Und ehr selb furbas werdt erkennet vor den der alleyn alle menschen tzu hymel bringt.“46 Die Mehrheit der Ordensleute widerstand dem reformatorisch verstandenen Christenglauben. Dafür wurden zwar noch wirtschaftliche Gründe genannt wie in Schwans „Sendbrief “. Aber Schwan betonte nun als entscheidendes Motiv für diesen Widerstand, dass die Ordensbrüder 44 Schwan, Ein kurtzer begriff, A 1v. Vgl. Mt 7,15. ‚Wölfe in Schafskleidern‘ nannte Schwan nun die heuchlerischen Mönche, die die Menschen mit ihrer „Gleisnerei“ verführen. 45 Ebd. A 1v. Vgl. dazu Jer 51,6. 9. 45. 50 und Apk 18,4f. 46 Ebd. A 2v–3r.

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ihre vorgebliche Heiligkeit schützen wollten, die durch den Glauben an Jesus Christus und an das Heil in ihm allein gefährdet und im Ansehen der Menschen geschmälert wurde. Da er solche Motive für den Widerstand gegen den Christusglauben bei seinen Brüdern am Werk sah, spitzte er eine Erfahrung zu, die er als Sympathisant der Reformation gewonnen hatte, als man ihm und seinesgleichen die Predigt, die Seelsorge und die Gemeinschaft mit Leuten draußen verwehren wollte. Wo er selbst das erlebt hatte, sagte Schwan nicht. Gemeint waren eher allgemeine Maßnahmen im Orden gegen reformatorisch gesinnte Brüder als konkrete Erfahrungen in Basel, wo die Unterstützung des städtischen Rates den Sympathisanten der Reformation zugute kam. Allerdings dürfte sich der Einspruch vieler Ordensbrüder gegen die Reformation nicht so sehr gegen den Christusglauben als gegen die Konsequenzen gerichtet haben, die die reformatorische Theologie daraus für die Gestaltung des kirchlichen Lebens zog, besonders in der Ablehnung einer päpstlich-hierarchischen Verfassung der Kirche. Denn hier bei Schwan erscheinen die „Papisten“ bereits neben den Juden und Türken als Feinde des wahren christlichen Glaubens. Die starke Betonung des reformatorischen Anliegens führte also in der Kirche damals zu unüberbrückbaren Gegensätzen. Diese bedauerliche Eskalation des Gegeneinander ist auf beiden Seiten wahrzunehmen. Sie machte nicht nur die klösterliche Gemeinschaft immer schwieriger. Johann Eberlin von Günzburg aus Ulm und François Lambert aus Avignon, die 1522 beziehungsweise 1523 bereits als ehemalige Franziskaner nach Wittenberg kamen,47 konnten und wollten sich daher dort nicht mehr in die franziskanische Klostergemeinschaft eingliedern, die sich in der reformatorischen Bewegung ihrer Wittenberger Umgebung selbst aufzulösen begann.48 Kontakte Eberlins und Lamberts zu gleichgesinnten Brüdern, die wie etwa Johannes Schwan noch im Kloster lebten, sind dagegen wahrscheinlich, da Schwan später in Straßburg Schriften von ihnen drucken wird. Wie er und Johannes Briesmann wurden jedenfalls Lambert und Eberlin bereits 1523 in die „Kampagne“ gegen ihren bisherigen Orden einbezogen.49

3.3. François Lambert François Lambert, 1483 zu Avignon geboren, trat 1501 dort bei den Franziskanerobservanten in den Orden ein. Wegen seiner Predigtbegabung, auch wegen Schwierigkeiten in der Gemeinschaft der Brüder, zog er als Wanderprediger und sogar Praedicator apostolicus durch die Lande. 1522 predigte er in Lausanne, in Bern und in Zürich, wo er mit Ulrich Zwingli

47 Vgl. zu ihnen Park, Luther und die Franziskaner 67–88. Eberlin wurde im Sommer-Semester 1522 als „Joannes Apriolus kunspergensis diocesis Augustensis“ in Wittenberg immatrikuliert, Lambert am 30. April 1523 als „Franciscus Lambertus Avenionensis civitatis“ (Foerstemann, Album 113 beziehungsweise 117), beide bereits ohne Erwähnung einer Ordenszugehörigkeit. 48 Vgl. dazu Doelle, Das Wittenberger Franziskanerkloster und die Reformation 284–288; Park, Luther und die Franziskaner 63–88, 110–119; Schilling, Klöster und Mönche 137f., 145–158. 49 Vgl. dazu Dipple, Antifraternalism 131–134; Dipple, Geoffrey: Anti-Franciscanism in the Early Reformation: The Nature and Sources of Criticism. In: Franciscan Studies 55 (1998) 63–81.

François Lambert

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disputierte.50 Von dort begab er sich über Basel und Mainz nach Wittenberg,51 von wo er 1523 mit einer ersten Schrift seinen Austritt aus dem Orden erklärte: „Franziskus Lamberts des Theologen Gründe, derentwegen er Leben und Kutte der Minderbrüder verwarf.“52 Er möchte nicht ohne Rechenschaft gegenüber anderen seinen Schritt in ein neues Leben und Wirken tun: „Weil man mich zum Leben mit den Minderbrüdern (die sich Observanten, freilich nicht mit christlichem Titel nennen) einst aufnahm und einkleidete, habe ich sehr viele Jahre das Wort des Herrn in verschiedenen Gegenden und Provinzen verkündet, war aber zuletzt genötigt, das Leben mit ihnen und deren Kutte zu lassen. So muss ich allen offen legen, was die Ursache meines Austritts war und für mein Tun offenkundige Rechenschaft geben. Anders könnten die Kleinen und Einfachen ein Ärgernis nehmen, wenn sie mich nicht verstünden, dass ich, was ich tat, Christus entsprechend habe tun können. So gab ich deswegen zwei Schriften heraus. Die erste hast du, worin ich einige und wahrhaft wenige von mehreren Ursachen meines Austritts darlegte. Die andere wird nächstens erscheinen, worin du erkennst, was von der Regel der Minderbrüder zu halten ist. Hast du sie gelesen, wirst du, falls du Christ bist, kein Ärgernis nehmen, sondern sogar mit mir spüren, dass ich von ihnen weggehen musste.“  53 Die Lebensform der Brüder erscheint schon deswegen problematisch, weil sie sich Observanten und nicht Christen nennen. Aber da Lambert im Orden den Auftrag erhielt, vielerorts das Wort des Herrn zu verkünden, schien er doch zu einer guten, auch später noch maßgebenden Berufung gefunden zu haben. Weil er derart engagiert im Orden tätig war, musste er seinen Ordensaustritt eigens begründen, um keinem von seinen bisherigen Hörern und Freunden Ärgernis zu geben. Wie Johannes Schwan sah sich freilich auch Lambert in seinem Ordensleben infolge einer kindlichen Täuschung von Anfang an auf einem falschen Weg: „Als ich bei Avignon, der berühmten Stadt Galliens, noch im zarten Knabenalter lebte, mein Vater verstorben und Christi Geist den Sinn des Knaben zum Besseren bewegte, 50 Siehe insgesamt Müller, Gerhard: Lambert, Franz, Reformator in Hessen. In: LThK3 6, 618; vgl. insgesamt auch Müller, Gerhard: Franz Lambert von Avignon und die Reformation in Hessen. Marburg 1958 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck, 24/4); Kurten, Edmund: Franz Lambert von Avignon und Nikolaus Herborn in ihrer Stellung zum Ordensgedanken und zum Franziskanertum im Besonderen. Münster 1950 (RGST, 72). 51 Zu dieser Reise, auf der sich Lamberts entscheidende Lebenwende abspielte, vgl. besonders Müller, Lambert und Reformation 4–15. Plausibel erscheint Müllers Vermutung, dass der Kontakt mit Konrad Pellikan und anderen reformatorisch gesinnten Brüdern in Basel den Ausschlag für Lamberts Übergang zur Reformation gab (ebd. 12). Weniger wahrscheinlich ist dagegen, dass Lambert bereits mit Johannes Schwan die Reise von Basel nach Wittenberg machte (ebd. 13); denn dieser kam einige Zeit zuvor noch als Franziskaner nach Wittenberg (vgl. oben Anm 3), während Lambert sich vor seiner Ankunft in Wittenberg, etwa bei einem Aufenthalt in Eisenach, nicht mehr als Franziskaner verstand (vgl. Müller, Lambert und Reformation 13f.). 52 Lambert, François: Francisci // Lamberti Avenionensis, // Theologi rationes, propter quas // Minoritarum conversa-//tionem habitumque // reiecit. o. O. u. J., A 1r. In: Köhler, Flugschriften Fiche 779 Nr. 1959. 53 Ebd. A 1v: „Quoniam in Minoritarum (quos obseruantes titulo, prorsus non Christiano appellant) olim fui conuersationem receptus, atque in eorum habitu, annis plurimis uerbum domini in diuersis regionibus, et prouincijs declamaui: nouissime autem conpulsus, eorum et conuictum et habitum derelinqui: necessum fuit, ut cunctis palam facerem, quae fuerit causa mei egressus, factique mei apertam redderem rationem. Alioqui pusilli et simplices scandalizarentur, nisi intelligant me, id quod feci, secundum Christum facere potuisse. Huius rei gratia libellos duos aedidi [!]. Primum habes, quo nonnullas et vere ex compluribus paucas dicti mei egressus causas posui. Reliquus propediem emittetur, quo quid de Minoritarum regula sentiendum sit, aperte cognosces. Hos dum legeris, si Christianus es, non tantum non scandalizaberis, sed et mecum senties me ab illis necessario fuisse egressum.“

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begegnete mir jenes äußere Ansehen der Minderbrüder-Observanten mit viel Anschein von Heiligkeit, und ich vermeinte in kindlicher Wertschätzung, sie seien innerlich so.“ 54 Lambert schilderte dann diesen äußeren Anschein von Heiligkeit, der durch entsprechende Predigten der Brüder für ihn noch anziehender wurde, sodass er mit 15 Jahren bereits dem Orden beitrat. Doch wie für Schwan waren nun für Lambert die Brüder eigentlich Betrüger, Wölfe im Schafspelz. Gott hat aber die menschliche Täuschung zum Guten gewendet: „Ich darf auch gar nicht im Zweifel sein, dass ich durch göttliche Vorsehung unter ihnen war und dass er wollte, ich solle mich von ihrem äußerem Aussehen täuschen lassen, bis ich nach Erkenntnis der Wahrheit austräte und allen eröffnete, welche Unreinheit unter diesen getünchten Gräbern sich verborgen hielt.“ 55 Ähnlich wie Luther sah also Lambert seine Zeit im Orden als göttliche Fügung, damit er später die ihm widerfahrene Täuschung aufdecken konnte. Die traurige Enttäuschung zeichnete sich bereits ab, als er nach dem Probejahr und der Profess mit den internen Vorgängen im Orden vertraut wurde. Welche Vorgänge so schockierend waren, beschrieb Lambert nicht, nur dass man ihm bei seiner wandernden Verkündigung des Evangeliums Christi wegen seiner Popularität und wegen seiner Regelstrenge Schwierigkeiten machte.56 Doch erst die späteren Querelen mit den eigenen Brüdern, die er dann bis in die Einzelheiten beschrieb, trieben ihn beinahe zum Übertritt in eine Kartause.57 Als Höhepunkt der Verfolgung durch die Brüder schilderte Lambert die Wegnahme von Schriften Luthers: „Sie nahmen wahrhaft evangelische Bücher des überaus christlichen Theologen Martin Luther, die ich hatte, weg, versiegelten sie, verdammten sie, obwohl man sie auf dem Provinzkapitel nicht einsah und kaum von weitem zur Kenntnis nahm, und verbrannten sie, die man wenigstens hätte lesen sollen. Sie schrien nur: sie sind ketzerisch, sie sind ketzerisch. So beurteilen und verdammen sie, was sie überhaupt nicht kennen. Ich aber möchte zuversichtlich sagen, im Glauben an den Herrn, was wahr ist: mehr an echter Theologie enthalten diese Bücher als alle Schriften aller Ordensleute von Anfang an.“ 58 Die hohe Wertschätzung von Schriften Luthers brachte hier Lambert erst im nachhinein zum Ausdruck. Vorher waren sie für ihn wohl Arbeitshilfen für seine von der Heiligen Schrift geprägte Predigt.59 Aber nach dem Kirchenbann über Luther und den antilutherischen Maßnahmen des Generalkapitels von Carpi 1521 wurden Luthers Schriften bei den papsttreuen 54 Lambert, Rationes, A 2r: „Apud Avinionem inclytam Galliarum urbem, me tenello adhuc puero existente, patre defuncto, et Christi spiritu animum pueri ad meliora solicitante, occurrit externus ille Minoritarum (quos obseruantes vocant) splendor, multam sanctitatis speciem habens, quos tales fore interne puerili aestimatione sentiebam.“ 55 Ebd. A 2rv: „Nihil quoque dubitauerim, me inter eos fuisse, deo prouidente, receptum, quodque me ab externis illorum faciebus seduci uoluerit, donec ueritate cognita egrederer, cunctisque palam facerem quae sub sepulchris istis dealbatis spurcitiae latitarent.“ Vgl. dazu Mt 23,27. 56 Vgl. ebd. A 2v–3r. 57 Vgl. ebd. A 3r–4r. 58 Ebd. A 4v: „Hi libros vere euangelicos, theologi Christianissimi Martini Lutheri, quos habebam, abstulerunt, sigillaruntque: quos in prouinciae capitulo non inspectos, et vix a limine salutatos, condemnarunt, et combusserunt: saltem illos legere oportuerat. Clamabunt tantum, haeretici sunt, haeretici sunt. Sic iudicant et condemnant,quod penitus ignorant. Ego confidenter loquar, credens in domino quod uerum sit, quod plus syncerioris theologiae in libris praedictis continentur, quam in omnibus libris omnium monachorum, qui a principio fuerunt.“ 59 Vgl. Müller, Lambert und Reformation 3f., 9f.

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Franziskanern nicht mehr geduldet.60 Leider nennt Lambert nicht den Ort des erwähnten Provinzkapitels und die näheren Umstände dieser Bücherverbrennung. Aber sie scheint bereits vor seinem Abschied aus Frankreich stattgefunden zu haben. Denn als Lambert mit einem Auftrag der Generalleitung nach Deutschland geschickt wurde,61 womit auch die deutsche Schweiz gemeint ist,62 nützte er die Gelegenheit, ‚jenes pharisäische Gewand‘ abzulegen, „im Wissen, dass es für das Christsein nichts ausmacht, sich so oder so, in dieser oder jener Farbe zu bekleiden. Ich bezeuge aber vor dem Herrn, ich hätte sie niemals verlassen, hätte ich unbeschadet der Freiheit evangelischer Wahrheit bei ihnen bleiben können, doch da sie diese keineswegs tolerieren, musste ich austreten.“ 63 Trotz des bedauerlichen Verlusts früherer Wirkungsmöglichkeiten fühlte sich Lambert in Wittenberg aber am rechten Ort und erwartete die Weisungen des Herrn für sein zukünftiges Wirken: „ich kam zu jener wahrhaft überlegensten Akademie des Erdkreises zu Wittenberg, wo nichts zu wünschen übrig bleibt, was die heiligen und guten Wissenschaften anbelangt. Denn alles lehrt man da im Überfluss. Ich bedauere, gleichsam stumm geworden zu sein, sodass ich nicht in lebendigem Vortrag das Wort Gottes den Völkern verkünden könnte. Wahrlich, ich werde erwarten, was mir der Herr befehlen mag, und seine Fügung aushalten. Inzwischen werde ich mich eifrig bemühen, soweit ich kann, wenigstens durch Schriften in Latein wie in der Volkssprache alle zur Reinheit des Evangeliums zu ermahnen.“ 64 Damit deutete Lambert an, dass ihn die mangelnden Kenntnisse in deutscher Sprache in seiner eigentlichen Berufung, nämlich der Predigt vor dem Volk, verstummen ließen. Diesen Verlust hat anscheinend auch seine akademische und schriftstellerische Tätigkeit in Wittenberg nicht ganz wett machen können.65 Seine zweite Schrift, nämlich „die Evangelischen Kommentare zur Minderbrüder-Regel“66, widmete Lambert „den geliebtesten Brüdern, allen Professen der Minoritischen Stiftung“, 60 Vgl. oben Kap. 2, Anm. 21; 24–27. 61 Worum es da ging, ist unklar. Vgl. Kurten, Franz Lambert 54 Anm. 25. Vielleicht hatte dieser Auftrag etwas mit Francisco de Quiñonez zu tun, der 1520–1523 als Generalkommissar für die außeritalienischen Franziskaner amtierte und damals öfter in diesem Gebiet tätig war (vgl. Schlageter, Johannes: Quiñones, Francisco de, OFM [1475–1540]. In: LThK3 8, 774). Der gelehrte Franziskaner (Generalminister 1523, Vermittler zwischen Kaiser und Papst 1526, Kardinal 1527) soll sich nach Worten Konrad Pellikans noch 1520 bei einem Aufenthalt in Basel positiv zu Luther geäußert haben. Vgl. dazu Lemmens, Augustin von Alfeld 7 Anm. 4. 62 Lambert kommt hier nicht auf seine Disputation mit Zwingli in Zürich zu sprechen. 63 Lambert, Rationes A 5rv: „a Gallijs ueni in Germaniam, ubi opportunitate accepta, pharisaicum illud tegumentum reieci, sciens quod nihil faciat ad Christianismum, sic uel sic, hoc uel illo colore uestiri. Testificor autem coram domino, quod nunquam eos reliquissem, si salua ueritatis euangelicae libertate, apud eos manere potuissem, sed cum eandem neutiquam sustinent, me ab illis egredi necessarium fuit.“ 64 Ebd. A 5v: „ueni ad illam uere supremam orbis Academiam VVittenbergensem in qua nihil quod ad sacras, bonasque literas pertineat, desyderatur. Cuncta enim illic traduntur abunde. Doleo me factum esse quasi mutum, quod non possim uiuo uocis actu uerbum domini populis nunciare: uerum expectabo quid mihi imperet dominus, et sustinebo manum eius: interim uero quantum potero nitar, ut uel saltem scriptis, tam latinis quam uulgaribus cunctos ad euangelij synceritatem admoneam.“ 65 Vgl. Müller, Lambert und Reformation 16. Siehe auch Clemen, Otto: Zwei Gutachten Franz Lamberts von Avignon. In: ZKG 22 (1922) 129–143. 66 Lambert, François: Evangelici in Mino-//ritarum Regulam Commentarij, Qui//bus palam fit, quid tam de illa, quam // de aliis Monachorum Regulis et con//stitutionibus sentiendum sit (A 1v). Zitiert wird dieses Werk Lamberts, das im März 1523 in Wittenberg entstand, nach einem Straßburger Druck von 1524 aus der Druckerei

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denen er in seinem Widmungsbrief „Gnade und Frieden“ wünschte „mit der notwendigen Erkenntnis der Wahrheit“.67 Doch ging es Lambert um eine Abrechnung mit dem bisherigen Regelverständnis und Leben im Orden. Das machte schon der Empfehlungsbrief Martin Luthers klar, nach dem die Minderbrüder eigentlich nichts mit Franziskus zu tun haben: „Doch unter dieser Verderbnis nimmt zu Recht die erste Stelle ein jene vielköpfige, vielfüßige und vielfarbige Pest der minoritischen Sekte. Dabei bringen sie nicht, wie sie prahlen, das Vorbild des Franziskus uns nahe, sondern durch Lügen und Verstellungen verderben sie mit sich den größeren Teil des Erdkreises. Als daher das Evangelium gegen das ganze Chaos der Larven seinen Angriff begann, musste es sich zu Recht an erster Stelle und am meisten gegen diese wenden.“ 68 Im Sinne Luthers wollte Lambert an die Stelle eines nach seiner Überzeugung bisher täuschenden traditionellen und päpstlichen Verständnisses der franziskanischen Regel das neue, wahrhaft evangelische Regelverständnis setzen: „Früher getäuscht habe ich diese euere [Regel] mehr als einmal dem Fleische nach gedeutet, da ich den ganz ungereimten Erfindungen von Nikolaus [III.] und Klemens [V.] wie von etlichen anderen folgte. Bisher haben nämlich die Tyrannei des Papstes und sehr verderbliche Machenschaften von Menschen den Glanz der evangelischen Wahrheit verdunkelt. Da sie soviele Jahrhunderte verborgen und noch nicht eröffnet war und weil ich wie ein Knabe empfand, dachte ich und redete ich wie ein Kind. Aber nun durch Christi Liebe aus erbärmlicher Blindheit erlöst, habe ich abgetan, was kindisch war. Daher habe ich zum offenkundigen Verständnis dieser Regel allein Gottes Wort genommen, wodurch, was immer Menschen erfanden, nicht nur ausgelegt, sondern auch verbessert und, wenn notwendig, zunichte gemacht werden muss. Und ihr dürft euch nicht wundern, dass ich davon so frei spreche. Habe ich sie [die Regel] früher, schlecht beraten, versprochen, kann ich nun über sie gut beraten schreiben. Schließlich ist es für jeden, der glaubt, der Mühe wert, sich zuhöchst auf das Wort Gottes zu stützen und Gott mehr als den Menschen zu gehorchen, Apostelgeschichte 5. Daher mache ich zunichte des Papstes Bestätigungen, Dekrete, Erklärungen, Zensuren, und was immer

Johann Koblochs d. Ä. Das verwendete Exemplar aus der Bayerischen Staatbibliothek München (J.  can. P. 182/2) ist wegen des durchschlagenden Drucks nicht immer leicht lesbar. Die eigentümliche Wiedergabe der lateinischen Buchstaben, etwa ß für ss, wird nicht übernommen. Vgl. zu dieser Ausgabe auch Köhler, Flugschriften Fiche 1482/83 Nr. 3888. Der Schrift Lamberts gehen Empfehlungsbriefe Martin Luthers (A 2rv) und des französischen Adeligen Anemond Cocte voraus (A 3r–4r), der sich der Reformation angeschlossen hatte. – Der Text Lamberts wurde in einer gekürzten Fassung auch ins Deutsche übersetzt und von Johannes Schwan 1524 in Straßburg herausgegeben: Ein euangelische Beschreibung // über der Barfüsser Regel / dahär offen-//bar würt / nit allein was von Iren sun-//der auch von anderen münchen // Regeln vnd satzungen // zu halten sey (Bayerische Staatsbibliothek München, 4o H. mon. 319). Vgl. dazu Köhler, Flugschriften Fiche 378 Nr. 1050. 67 Siehe Lambert, Evangelici Commentarij A 5r [Epistola dedicatoria]: „Franciscus Lambertus Auenionensis inutilis IESU CHRISTI seruus. Charissimis fratribus, uniuersis Minoritanae institutionis professoribus, gratiam et pacem, cum necessaria ueritatis agnitione“. 68 Siehe Lambert, Evangelici Commentarij A 2rv [Epistola Martini Lutheri]: „Inter has tamen perditiones, primum locum, multiceps illa, et multipes, ac multicolor pestis, Minoriticae sectae merito obtinet. In qua, non Francisci exemplar, nobis (ut iactant) referunt, sed mendacijs et fucis, maiorem orbis partem secum perdunt, ut quando Euangelion, contra totum istarum laruarum cahos, impetum facere coepit, merito in hos primum et maximum facere debeat.“

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jener Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, jemals durch törichte Klugheit des Fleisches sich ausdenken konnte.“ 69 Da Lambert im Papsttum mit Luther inzwischen den Antichrist sah, musste aller päpstliche Einfluss auf die Regel der Minderbrüder und auf deren Verständnis ihm als abwegig erscheinen, ausgedacht aus „törichter Klugheit des Fleisches“. Nur Gottes Wort im reformatorischen Sinn eröffnete das eigentliche Verständnis der Regel, wodurch auch alle menschlichen Zutaten erkannt, verbessert und – soweit notwendig – abgetan werden. Leitfaden dafür war Luthers Schrift De votis monasticis, wie Lambert ausdrücklich schrieb: „Es gibt in dieser Sache bereits Martin Luthers, des ganz christlichen Theologen Buch, in dem nichts fehlt, was zur Aufdeckung des Unsinns von Ordensgelübden gehört. Doch weil vor allen die Sekte der Minderbrüder den Erdkreis verführte, ist sie einer besonderen Schrift wert.“ 70 Trotz dieser polemischen Sprache meinte Lambert, seinen früheren Brüdern diese Schrift widmen zu können: „Nehmt, ihr Lieben um Christi willen, dieses Werk auf, das euch wie auch immer gewidmet ist. Denn weil es sich auf das Wort Christi stützt, kommt es den Frommen zur Hilfe und zum Trost, den Gottlosen aber zum Ärgernis, zum Ruin und zum Verderben. Die Gnade aber und der Friede sei mit eurem Geiste, Brüder. Amen. Wittenberg, im März 1523.“ 71 Wie schon Luther wies Lambert gleich zu Anfang darauf hin, dass es in der Regel eigentlich um das Evangelium geht. Nach seinem Testamentum hatte der hl. Franziskus den Auftrag des Herrn empfangen, mit seinen Brüder nach der Form des Heiligen Evangeliums zu leben: „Es wünschte freilich der Heilige, in allem von Gott angenommen zu werden. Als er danach sorgfältig forschte, befahl ihm der Herr: Lebe nach der Form meines Evangeliums. Als wollte er ihm sagen: Franziskus, suchst du wirklich, was du tun musst, um mir angenehm zu sein? Was mühst du dich vergebens? Du hast schon die Regel, die ich selbst allen meinen Dienern überliefert habe, nämlich mein Evangelium. Was suchst du anderes?“ 72 69 Siehe Lambert, Evangelici Commentarij A 5rv [Epistola dedicatoria]: „Deceptus olim, eandem [regulam] vestram aliquoties secundum carnem interpretatus sum, Nicolai et Clementis, et aliorum quorundam insulsissima adinuenta secutus. Adhuc enim Papae tyrannis, et perniciosissima hominum figmenta, fulgorem ueritatis Euangelicae adumbrabant. Sicque eadem tot seculis abscondita, et nec dum reserata, quia puer sensibus eram, cogitabam, atque loquebar ut paruulus. At nunc per Christi pietatem, a misera caecitate redemptus, euacuaui quae erant paruuli. Ideo ad apertam prescriptae regulae intelligentiam, sola Dei eloquia sumpsi, per quae hominum quecunque[!] inuenta non tantum exponenda, sed et corrigenda et, si necessum est etiam annihilanda sunt. Neque uos admirari oportet, quod de eadem tam libere loquar. Quippe qui eandem olim inconsulte professus sum, nunc in illam consulto scribere possum. Denique omnem credentem, soli Dei uerbo summe inniti, ac Deo magis quam hominibus obedire operae precium est, Act. 5. Ideo nihil facio Papae approbationes, decreta, declarationes, censuras et quidquid homo ille peccati, filius perditionis, per stultam carnis prudentiam excogitare potuit unquam.“ Vgl. dazu 1 Kor 13,11; Apg 5,29. 70 Ebd. A 7v: „Habetur iam de hac re Martini Lutheri Theologi Christianissimi liber, in quo nihil desideratur, quod ad uotorum monasticorum insaniam detegendam pertineat. Attamen, quia prae caeteris Minoritarum secta orbem seduxit, speciali est digna libello.“ 71 Ebd. B 3v: „Suscipite, charissimi per Christum, opus hoc qualecumque uobis dedicatum, quod quia uerbo Christi nititur, piis ueniet in auxilium et consolationem, impiis uero in scandalum, ruinam et perditionem. Gratia autem et pax domini nostri Iesu Christi cum spiritu uestro, fratres. Amen. VVittenbergae Mense Martio 1523.“ 72 Ebd. [Cap. I] B 5v: „Optabat quippe uir sanctus modis omnibus Deo acceptus fieri, et modum solicite requirenti imperauit dominus: uiue secundum formam Euangelii mei; quasi diceret illi: Francisce, quaeris quid te agere oporteat, ut mihi gratus sis, uerum. Quid frustra fatigaris? habes iam regulam, quam ego ipse omnibus seruis

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Das Evangelium als bestimmte Lebensform, wie sie Franziskus in Regel und Testament vor Augen hatte, war nicht einfach identisch mit der allgemeinen Orientierung am Evangelium Jesu Christi. Doch diese allgemeine Orientierung am Evangelium legte hier Lambert „gleichsam“ dem ‚Herrn‘ in den Mund. So wollte er die ursprüngliche Intention des Franziskus den evangeliumsfernen Orden beziehungsweise „Sekten“ entgegenstellen. Lambert konnte eine solche Intention des Franziskus allerdings nicht mit der konkreten Gestalt der MinderbrüderRegel in Einklang bringen: „Lieber möchte ich jedoch behaupten, dass er niemals diese Regel schrieb, als dass er verführt sie anordnete. Denn wie man aus den Worten seines Testamentes klar ersieht, hat er die heiligsten Worte Gottes mit großer Glut geliebt und immer aufs höchste verehrt.“ 73 Lambert leugnete nicht, dass Franziskus die Regel schrieb, aber dieses Faktum ist ihm unangenehm. Denn die Regel hatte sich nach ihm infolge päpstlicher Verführung entfernt von dem, was der Heilige selbst nach dem Auftrag Jesu Christi als Leben nach dem Evangelium wollte. So kann die Regel nur gemäß diesem Auftrag richtig verstanden werden: „Weil der Herr gebot, die Minderbrüder sollten nach der Form des heiligen Evangeliums leben, deshalb ist nicht das Evangelium durch ihre Regel, sondern die Regel selbst durch das Evangelium zu verstehen, ja auch zu korrigieren.“ 74 Maßstab und Korrektiv für die Regel wurden für Lambert freilich weniger jene Texte der Heiligen Schrift, die in der Geschichte des Franziskus und seiner Brüder für die Regelentwicklung maßgebend waren, oder gar die, die man traditionell zur Erklärung der Regel heranzog. Das reformatorische Verständnis von Evangelium wurde nun in die Regel hinein interpretiert, was sie einem neuen Maßstab für ihr Verständnis unterwarf. Damit wurde die überlieferte Gestalt der Regel in Frage gestellt, erst recht ihr traditionelles Verständnis und ihre offizielle Erklärung durch die Päpste: „Nach dem Anfang der Regel, wo geschrieben wurde: ‚Regel und Leben der Minderbrüder ist das, unseres Herrn Jesu Christi heiliges Evangelium zu beobachten‘, fügten sie diese Eingrenzung hinzu ‚durch ein Leben in Gehorsam, ohne Eigentum und in Keuschheit‘. Wirklich eine ungereimte Beifügung ist das, so dass sie wider den Sinn des vorigen Satzes geht. Daher schrieb Klemens V. in seiner Extravagante: ‚Exivi de paradiso‘ eine lange Diskussion mit der Schlussfolgerung, die Brüder werden nicht zur Beobachtung des ganzen Evangeliums verpflichtet, sondern nur zu jenen drei Gelübden, bloß und absolut genommen, und zu dem, was zu diesen dreien gehört und was die Regel aufstellt. Völlig töricht ist diese Bestimmung, keineswegs durch das Wort Gottes bekräftigt. Denn wer wurde jemals von der Beobachtung des Evangeliums ausgenommen? Es ist klar, eben dieser Klemens hat sich daher getäuscht, weil er von den Geboten die Räte unterschied. meis tradidi, nempe Euangelium meum. Quid aliud quaeris?“ Vgl. dazu Testamentum 14: „ipse Altissimus revelavit mihi, quod deberem vivere secundum formam sancti Evangelii“. In: Esser / Grau, Opuscula 439; Franziskus-Schriften 60. 73 Ebd. [Cap. II] C 1v: „Libentius tamen affirmarem, quod nunquam eandem regulam scripserit quam, quod seductus illam ordinarit. Nam sicut ex uerbis testamenti sui liquido cernitur, Dei uerba sanctissima, ardentissime dilexit, et summe semper fuit reueritus.“ Vgl. Testamentum 12–13: „Et omnes theologos et qui ministrant sanctissima verba divina debemus honorare et venerari, sicut qui ministrant nobis spiritum et vitam.“ In: Esser / Grau, Opuscula 439; Franziskus-Schriften 60. 74 Ebd. [Cap. III] C 1v: „Quia dominus praecepit, ut Minoritae uiuant secundum formam sancti Euangelii, ideo non Euangelium per eorum regulam, sed ipsa regula per Euangelium est intelligenda, immo et corrigenda.“

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Gehorsam und Armut machte er zu Räten, während sie allen höchst notwendige Gebote sind. Allein die dauernde Ehelosigkeit stellte allerdings der Herr denen frei, die die Gabe empfangen haben, indem er bei Matthäus 19 sagt: ‚Wer es fassen kann, der fasse es‘: da nämlich niemand jemals ein eheloses Leben führen könnte, hätte er nicht die Gabe der Keuschheit von Christus empfangen, wie es dort heißt: ‚Nicht alle fassen dieses Wort, sondern die, denen es gegeben ist‘.“ 75 Lambert wertete das „Leben in Gehorsam, ohne Eigentum und in Keuschheit“ als „Eingrenzung“ für die Verpflichtung auf das Evangelium und als ‚Hinzufügung‘ zur Regel. Doch das findet sich ja nicht nur in der Textgestalt der Regula Bullata76, sondern bereits als Konkretion der Orientierung am Evangelium Jesu Christi in der Regula non Bullata77. Immerhin war Lamberts kritische Wertung insoweit nicht ohne Fundament bei Franziskus selbst, weil Franziskus im Testamentum nur einfach das „Leben nach der Form des heiligen Evangeliums“ hervorhob.78 Das lässt sich allerdings nicht als Distanzierung von der bisherigen Regelent­ wicklung in der Bruderschaft verstehen, die Franziskus zwar nicht allein, aber mit anderen Brüdern zu verantworten hatte. Wenn in der später folgenden Tradition aus der Regel drei gesonderte Gelübde abgeleitet wurden, konnte man das freilich als Versuch werten, die auch für Franziskus grundlegende und maßgebende Orientierung am Evangelium Jesu Christi einzuschränken – wohl im Interesse einer besseren juridischen Handhabung der Regel, ihrer Verpflichtungen, Gebote und geistlichen Impulse. Das war bei der Formulierung der Regel aber noch nicht im Blick. Doch dachte Lambert bei seiner kritischen Interpretation weniger an eine Textkritik im historischen Sinn als an eine inhaltliche theologische Kritik an der Minderbrüder-Regel in ihrem traditionellen Verständnis. Diese Kritik ging ganz von der reformatorischen, vor allem von Luther entwickelten Konzeption der allgemein gültigen und geistlich verstandenen evangelischen Gebote von Gehorsam und Armut sowie der freien Gabe der Ehelosigkeit aus.79 Diese Sicht kann nicht bereits für Franziskus selbst vorausgesetzt werden. Das meinte auch Lambert, wenn er bei Franziskus eine ‚Verführung‘ am Werke sieht. Sie ereignete sich durch den zum Antichrist gewordenen Papst: 75 Ebd. [Cap. IV] C 2rv: „Post regulae principium, ubi scriptum fuit: ‚Regula et uita fratrum Minorum haec est, Domini Iesu Christi sanctum Euangelium obseruare‘, adiunxerunt hanc limitationem: ‚uiuendo in obedientia sine proprio et in castitate.‘ Profecto inconcinna additio est, ita ut a priore sententia dissentiat. Hinc Clemens quintus in sua Extrauagante, quae incipit: ‚Exiui de paradiso‘, longam scripsit disputationem, concludens, quod Minoritae non obligantur ad totius Euangelii obseruationem, sed solum ad illa tria uota, nude et absolute accepta, et ad ea quae pertinent ad haec tria, quae regula ipsa ponit. Stulta prorsus determinatio est, per Dei uerbum neutiquam roborata. Quis enim ab Euangelii obseruatione exceptus fuit unquam? Liquet eundem Clementem ideo deceptum, quod a praeceptis consilia distinxerit. Obedientiam et Paupertatem consilia fecit, cum praecepta sint, cunctis summe necessaria. Solam quippe in coelibatu perseuerantiam, liberam fecit dominus, his qui donum acceperunt, dicens Matthaei 19: ‚Qui potest capere, capiat.‘ Quandoquidem coelibem uitam nemo unquam ducere poterit, nisi pudicitiae donum a Christo acceperit, sicut ibidem dicitur: ‚Non omnes capiunt uerbum istud, sed quibus datum est‘.“ Vgl. Mt 19,11–12; Regula Bullata 1,1 (Esser / Grau, Opuscula 366f.; Franziskus-Schriften 94). BullFr 5. Ed. Conradus Eubel. Roma 1898, 85. 76 Regula Bullata cap. 1,1. In: Esser / Grau, Opuscula 366f.; Franziskus-Schriften 94. 77 Regula non Bullata cap. 1,1: „Regula et vita istorum fratrum haec, scilicet vivere in obedientia, in castitate et sine proprio, et Domini nostri Jesu Christi doctrinam et vestigia sequi.“ In: Esser / Grau, Opuscula 377; Franziskus-Schriften 70. 78 Testamentum 14: „secundum formam sancti Evangelii“. In: Esser / Grau, Opuscula 439; Franziskus-Schriften 60. Vgl. oben Anm. 72. 79 Siehe oben Kap. 2, Anm. 57; 59.

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„Er [Franziskus] wurde also verführt, aber nur unter dem heiligsten Namen Christi. Es hörte jener auf den Namen Christi, den er aufs Höchste verehrte. Er erkannte jenen [den Papst] nicht als Menschen der Sünde, wodurch auf der ganzen Erde nie jemand mehr als jener die Vergehen vermehrte. Deswegen geriet er unter dessen Herrschaft, in der er nicht durch den Antichrist, sondern durch die Einfalt des Glaubens das Heil erlangte, wie Hananja, Asarja und Mischael inmitten der Flamme nach Daniel 3, und Daniel selbst in der Löwengrube. Er hat darauf eine besondere Regel geschrieben, in der der ganz christliche Mann nur bei dem in Irrtum geriet, in welchem er den antichristlichen Gesetzen anhing. Welches aber jene sind, werden wir unter der Anleitung des Heiligen Geistes zeigen. War es notwendig für den Heiligen, die Bestätigung seiner Regel, wenn sie das Evangelium ist, von jenem zu ersuchen? Nach meiner Sicht war damals schon in Geltung gekommen jener ganz verheerende Irrtum, wodurch sie behaupten, auch in der Heiligen Schrift sei nur das anzunehmen, was jener annahm, aber das zu verwerfen, was jener verwarf.“ 80 Lambert unterstrich damit noch seine Wertschätzung des Heiligen aus Assisi. Doch er wollte die bleibende Bedeutung der ursprünglichen Intention des „Lebens nach dem Evangelium“ theologisch-kritisch abheben von dem, was durch päpstliche und damit für ihn antichristliche Gesetzgebung in Regel und Leben der Minderbrüder hineingekommen ist. Die „Anleitung des Heiligen Geistes“, auf die er sich berief, half nach Lamberts Überzeugung, das maßgebende Kriterium zu handhaben, nämlich die Einsicht in das biblische Wort Gottes, zentral im Evangelium Jesu Christi. So fand er etwa die Notwendigkeit der Arbeit für die Christen in der Bibel und im Neuen Testament fest verankert, was an Ausführungen von Franziskus in der Regula non Bullata erinnert.81 Lambert freilich bezog sich auf die Regula Bullata und das ihm gut bekannte Testamentum des hl. Franziskus,82 um die Bedeutung der Arbeit für Franziskus und dessen frühe Brüder herauszustellen: „Daraus ergibt sich sehr klar: Der heilige Franziskus wollte, die Minderbrüder sollten 6 Dinge einhalten, 1. dass sie mit größter Sorgfalt den Müßiggang vermieden; 2. dass jeder nach seiner Fähigkeit und der eigenen Begabung arbeitete; 3. dass die nicht arbeiten können, es lernten, um nicht müßig zu leben; 4. dass sie sich von ihrer Arbeit kleideten und lebten, 5. dass sie, wenn man ihnen der Arbeitslohn nicht geben will, ihn nicht 80 Siehe Lambert, Evangelici Commentarij [Cap. II] C 1r: „Seductus ergo fuit, sed nonnisi sub Christi nomine sanctissimo. Audiebat ille nomen Christi, quod summe reuerebatur. Nesciebat illum hominem esse peccati, quo in uniuersa terra delicta plus illo nullus unquam multiplicauit. Propterea factus est de regno illius, in quo non per Antichristum, sed per fidei simplicitatem saluus factus est, quasi Ananias, Azarias und Misael in medio flammae, Danielis 3, et Daniel ipse in lacu leonum. Scripsit deinde specialem regulam, in qua tantummodo in his a uiro christianissimo fuit erratum, in quibus legibus antichristianis adhaesit. Quae autem illa sunt, Spiritu sancto dirigente ostendemus. Quid necesse fuit uiro sancto confirmationem regulae suae, si Euangelium est, ab illo postulare? Vt video iam invaluerat ille pernitiocisissimus error, quo etiam in literis sanctis id tantum suscipiendum adfirmant, quod ille susceperit, reiiciendum uero quod ille reiecerit.“ Vgl. Dan 3,49f. 88; 6,23. 81 Ebd. [Cap. XIII] F 4rv: „Quod omnes laborare oporteat. [...] Non tantum Minoritis, sed et uniuersis prorsus Christianis labor necessarius est. Nonne ad cunctos pertinet, quod dominus Adae dixit Genesis 3: ‚In sudore uultus tui uesceris pane, donce reuertaris in terram de qua sumptus es?‘ Ideo Paulus 2. Thess. 3 ait: ‚Si quis non uult operari, nec manducet‘.“ Vgl. dazu Regula non bullata 7,1–6. In: Esser / Grau, Opuscula 383; Franziskus-Schriften 75. 82 Lambert bezog sich im Text unter Auslassung des Geldverbots (vgl. ebd. F 6r) auf Regula Bullata 5,1–4 und Testamentum 20–22. In: Esser / Grau, Opuscula 368; 440; Franziskus-Schriften 97; 60.

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gewaltsam einfordern oder nicht darum streiten könnten; zuletzt dass sie, da ihnen der Wert ihrer Arbeit nicht überlassen wird, bettelten. Niemals dürften sie also betteln, wenn ihnen nicht zuvor der Lohn ihrer Arbeit verweigert wird. Es sollen arbeiten die Minderbrüder und alle Christen und vom Wert ihrer Arbeit leben. Wenn sie ihn nicht erhalten, dann werden sie erlaubterweise betteln. Denn niemand ist es erlaubt zu betteln, wenn nicht zuvor diese beiden zutreffen: Erstens, die sorgfältige Arbeit; zweitens, die Verweigerung des Wertes dieser Arbeit. Das verstehen wir von den Gesunden und denen, die zur Arbeit Kraft haben.“ 83 Ohne die noch eingehenderen Bestimmungen der Regula non Bullata über das Ethos von Arbeit und Dienst der Minderbrüder zu kennen und ohne das Verbot von Geldwert für die Arbeit zu akzeptieren,84 formulierte Lambert vom Testamentum des Franziskus her eine allgemein christliche Arbeitspflicht für alle Arbeitsfähigen. Das richtete sich vor allem gegen das verbreitete und kirchlich sanktionierte Betteln der damaligen Franziskaner. Anders als etwa Karlstadt stellte jedoch Lambert die Verpflichtung zur Handarbeit nicht besonders heraus und kannte Notfälle, in denen das Betteln erlaubt ist.85 Aber auch für ihn setzte christliches Leben grundlegend die Bereitschaft zur Arbeit voraus, wobei es besonders auf die Fähigkeit und Begabung des Einzelnen ankam, mit welcher Arbeit er sich um Kleidung und Lebensunterhalt kümmerte. Auf dieser ökonomischen Basis und infolge evangelischer Freiheit sollte sogar das Ordensleben sich erneuern, Lambert führte allerdings dafür nur Frauenklöster als Beispiel an: „Nichts hätte ich verurteilt, wäre in allen Klöstern diese Freiheit, dass man die, die in Freiheit bleiben wollten, behielte, und die, die es nicht wollten, in Freiheit hinausgehen ließe. O wie herrlich und für die christliche Religion heilsam würde es, wenn die Nonnen der heiligen Klara und die Übrigen sich so einrichteten: Zuerst dass sie sich dieses Ziel setzten, bei ihnen den Töchtern der Christen das reinste Wort Gottes, das Evangelium Christi, zu lehren und ebenso irgendeine Fertigkeit, damit sie nicht müßig lebten. Solange sie im Kloster wären, sollten sie von Männern getrennt bleiben. Man sollte ihnen auch einprägen die hochheilige Freiheit Christi, damit sie nicht vielleicht etwas Unrechtes täten. Man sollte ihnen auch predigen: wenn sie nicht die Gabe der Keuschheit haben, könnten und dürften sie nicht dauernd im Kloster bleiben, damit sie frei hinausgehen 83 Siehe Lambert, Evangelici Commentarij [Cap. XIII] F 6r: „Ex his apertissime liquet, quod S. Franciscus uoluit, quod Minoritae, haec sex obseruarent. Primum, quod omnem ociositatem diligentissime uitarent. Secundo, quod laboraret unusquisque secundum facultatem suam, et proprium donum. Tertio, quod nescientes operari, discerent, ne ociose uiuerent. Quarto quod de labore suo induantur, et uiuant. Quinto, quod si quis non uult eis laboris precium tradere, illud ab eis uiolenter exigere, aut cum eis litigare non possint. Vltimo quod dum pro labore, precium illis non traditur, mendicent. Nunquam ergo illis mendicare licet, nisi prius laboris precio abnegato. Laborent illi et Christiani omnes, et ex laboris precio uiuant, quod si non recipiunt, tunc licite mendicabunt. Neque enim cuipiam mendicare licet, nisi prius haec duo aduenerint, primum sollicitus labor, secundum, recusatio precii eiusdem laboris, quod de sanis et laborare ualentibus intelligimus.“ 84 Darauf ging Lambert bereits vorher ausführlich ein, als er Regula Bullata 4,1–3 (Esser / Grau, Opuscula 368; Franziskus-Schriften 97) besprach. Siehe Evangelici Commentarij [Cap. XII] F 3r–4r: „De pecunia non recipienda.“ Die Begründung des Geldverbotes aus den Evangelien (Aussendungsreden Jesu Mt 10,9; Mk 6,8; Lk 10,4) lehnte Lambert ab. Denn nach ihm wandte sich Jesus hier nur gegen ängstliche Sorge um Irdisches, weil die „Diener des Gotteswortes in der Arbeit des Evangeliums“ (ebd. F 3r) ganz auf Gott vertrauen sollen. Im Übrigen umgingen nach Lambert die Minderbrüder selbst das Geldverbot der Regel, indem sie ihre Geldangelegenheiten weltlichen Angestellten („syndici apostolici“) übertrugen. 85 Vgl. dagegen Karlstadt in den Disputationes Minoritice, oben Kap. 1, Anm. 150f.

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und einen Mann suchen, weil ‚es besser ist zu heiraten als zu brennen‘. Und durch den Dienst des Paulus befiehlt der Herr: die sich nicht enthalten können, sollen heiraten.“ 86 Die Umformung der Klöster in Bildungsstätten für die Jugend, wie sie bereits Luther im Auge hatte, stand hinter dieser Zukunftsvision Lamberts. Er berief sich aber nicht auf frühere und sogar urchristliche Einrichtungen dieser Art wie Luther selbst.87 Entscheidend wurde für Lambert wie für Luther die „evangelische Freiheit“, in der die sexuelle Enthaltsamkeit nicht aufgezwungen werden kann, sondern sich als Gabe Gottes erst im Leben bewährt und herausstellt oder eben auch nicht. Eine solch reformatorische Umformung der Klöster verlangte in Lamberts Sicht jedenfalls einen Abschied von Ordensregeln, ihrem bisherigen gesetzlichen Verständnis, noch mehr von weiteren überholten Bestimmungen und Traditionen des Ordenslebens,88 sodass, wie für alle Christen, nur das „Wort Gottes“, das „Evangelium“ in seinem reformatorischen Verständnis, als Lebensregel bliebe.89 Lamberts Schrift, die gründlichste Auseinandersetzung mit dem damaligen franziskanischen Verständnis der Ordensregel von reformatorischer Seite, ist mehrfach nachgedruckt worden und zeitnah in einer deutschen Übersetzung herausgekommen.90 Da diese deutsche Übersetzung, die Johannes Schwan gedruckt und wohl auch besorgt hat, die differenzierten Überlegungen Lamberts etwa zum Arbeitsethos des Franziskus ausließ, so dürfte man dabei die größere Wirkung der Schrift im einfachen Volk im Sinn gehabt haben. Dementsprechend wurde die Polemik gegen die zeitgenössischen Franziskaner noch ausgebaut, wobei das Vorurteil vom Müßiggang der Brüder betont wurde und so Schwans Verantwortung für diese Übersetzung erkennen lässt.91 Inzwischen hatte Lambert Wittenberg verlassen, wo er trotz seines Vorlesungsauftrags an der Universität und einer Heirat mit Christine, einer Herzberger 86 Siehe Lambert, Evangelici Commentarij [Cap. IX] E 2r: „Nihil enim condemnauerim, si ea libertas in Monasterijs omnibus esset, ut qui libere vellent permanere, sustinerentur, qui autem nollent, libere etiam egrederentur. O quam praeclarum et religioni Christianae salutare foret, si Moniales diuae Clarae et reliquae sic instituerentur: Primum, quod hunc scopum sibi constituerent, docere scilicet in illis Christianorum filias purissimum uerbum Dei, euangelium Christi, itemque artem aliquam, ne uiuerent ociosae. Quamdiu essent in Monasterio seiunctae manerent a uiris. Inculcaretur quoque eis sacrosancta Christi libertas, ne forsan quicquem perperam agerent. Praedicaretur etiam eisdem, quod si non habent castitatis munus licite in monasterio perseuerare non possint, quod libere egrediantur, uirum quaerant, quia ‚melius est nubere quam uri‘. Et Pauli ministerio iubet Dominus, quod qui se non continent nubant.“ Vgl. 1 Kor 7,9. 87 Vgl. oben Kap. 2, Anm. 65. Eine ähnliche Vision findet sich in Thesen von Johannes Lang und später bei Johannes Briesmann, siehe oben Anm. 21 und Kap. 2, Anm. 35. 88 Lambert, Evangelici Commentarij [Cap. XVII] G 8r – H 5v: „De frigidissimis constitutionibus eorundem et mendosis quibusdam reuelationibus.“ Besonders polemisch rechnete Lambert ab mit den sogenannten Privilegia S. Francisci, wobei er sich auf eine populäre, aber gefälschte (conficta) Tradition im Orden bezog (ebd. G 8v – H 5r). Für einige dieser hier angeführten Privilegia vgl. Bartholomaeus de Pisa, De Conformitate (AF IV, 436 Nota 1), der sich auf Br. Leo berief. Siehe dazu schon die Schrift De secretis beato Francisco revelatis (AF III, 646). Aber die Ausführungen Lamberts bezogen sich im Wortlaut eher auf den Text von Firmamenta, Pars I. (18rb). Siehe Lalo, Les recueils des sources juridiques. In: AFH 73 (1980) 530. 89 Siehe Lambert, Evangelici Commentarij [Cap. XVII] H 5v: „uerbi Dei uitaeque Euangelicae scholae“. Am Ende seiner Schrift erschien so noch einmal die Vision Lamberts von Klöstern als „Schulen des Wortes Gottes und des evangelischen Lebens“, die nach ihm besonders der christlichen Erziehung der Heranwachsenden dienen sollten. Doch damit waren sie den allgemeinen Standards christlichen Lebens, dem „Wort Gottes“ und der gelebten „Freiheit des Evangeliums“ verpflichtet. 90 Vgl. Kurten, Franz Lambert von Avignon 60–62. 91 Vgl. oben Anm. 66: Ein Euangelische beschreibung über der Barfüsser Regel [...] Durch den gottgeleerten Franciscum Lamprecht uß Gallia. M.D. xxiiij. Vgl. hier: I 4v – K 2r.

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Bäckerstochter, nicht heimisch wurde.92 Über Metz kam er 1524 nach Straßburg. Dort war er schriftstellerisch sehr produktiv, aber konnte sich nicht recht in die städtische Umgebung und in den Kreis anderer reformatorisch Gesinnter einfügen.93 Den Höhepunkt seiner Wirksamkeit erreichte Lambert, als er 1526 auf dem Reichstag zu Speyer von dem Landgrafen Philipp von Hessen nach Marburg berufen wurde, um dort die Universität mitaufzubauen und der Reformation in Hessen zum Durchbruch zu verhelfen.94 Entscheidend wurde dafür Lamberts Führungsrolle auf der hessischen Synode zu Homberg / Efze am 21.–23. Oktober 1526 und seine Auseinandersetzung mit Nikolaus Ferber von Herborn, dem Guardian der Franziskaner-Observanten zu Marburg.95 Lamberts Wirkung ist freilich damit nicht mehr begrenzt auf das Gebiet der franziska­ nischen Saxonia, da die Franziskaner zu Marburg damals zur Kölner Provinz gehörten. Doch auf dieses Wirken und diese Auseinandersetzung hier wenigstens kurz einzugehen, erscheint sinnvoll, weil Lamberts Auffassung vom Ordensleben und besonders von der franziskanisch-traditionellen Lebensform, die er in Wittenberg erarbeitet hatte, damit ihre geschichtlich weitreichenden Folgen zeitigte. Die Reformation unter Landgraf Philipp führte unter maßgeblicher Mitwirkung Lamberts zur raschen Aufhebung der hessischen Klöster.96 Und der Widerstand dagegen, der sich vor allem in Nikolaus Herborn und seinen observanten Brüdern verkörperte, ließ bereits erkennen, weshalb die Ablehnung der Reformation durch Franziskaner der Kölner Provinz und mit ihnen durch weite Kreise des westlichen Deutschlands in die Gegenreformation mündete. Da offenbar der Landgraf von Hessen bereits auf dem Speyerer Reichstag 1526 zur Reformation entschlossen war, die für ihn in der Hauptsache die Aufhebung der Klöster bringen sollte,97 darf gerade die Berufung Lamberts nach Hessen, die auf diesem Reichstag erfolgte, in diesem Zusammenhang gesehen werden. Er hatte sich ja bereits gegen das traditionelle Ordensleben engagiert und mit Zustimmung Luthers ausführlich damit auseinandergesetzt. Lambert musste trotz seiner Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache Philipp von Hessen als geeigneter Wortführer der Reformation erscheinen. Diesen Erwartungen entsprach Lambert, indem er auf der Homberger Synode auf Lateinisch entsprechende Thesen und Begründungen vorlegte.98 Diese Begründungen oder „Paradoxa“ 99 interessieren hier, da sie in Bezug auf das Ordensleben von Lamberts Wittenberger Arbeiten geprägt waren.100 Grundsätzlich behauptete er: 92 Vgl. Müller, Lambert und Reformation 16–19. 93 Ebd. 19–28. 94 Ebd. 29–33. 95 Ebd. 33–43; siehe auch Kurten, Franz Lambert von Avignon 56f. 96 Die Haltung von Landgraf Philipp gegen die Klöster war freilich bereits vor der Berufung des in Fulda geborenen und erzogenen Geistlichen Adam Kraft, der zum Erfurter Humanistenkreis gehörte und früh zu Luthers Lehre neigte, 1525 sehr kritisch geworden. Siehe Schilling, Klöster und Mönche 160–173, 176–180. – Melanchthon hatte auf eine Anfrage des Landgrafen im August 1526 noch mit einer Mahnung zur Mäßigung geantwortet (ebd. 179 Anm. 162–166). Konkreter waren die Vorschläge Kurfürst Johanns von Sachsen, die bereits auf eine Aufhebung der Klöster hinausliefen (ebd. 179f. Anm. 169). Doch erst seit der Homberger Synode und gemäß ihren Beschlüssen wurde diese Aufhebung dann konsequent verwirklicht (ebd. 181–234). 97 Siehe Schilling, Klöster und Mönche 183–186. 98 Ebd. 188f.; vgl. auch Müller, Lambert und Reformation 36f.; Kurten, Franz Lambert von Avignon 56. 99 Mit diesem Wort „Paradoxa“ (Widersprüche) bezeichnet Lambert seine Begründungen selbst mehrfach im Text. 100 Lambert brachte seine „Paradoxa“ später im Druck heraus, verbunden mit einer „Epistola an die Kölner“, um sich damit gegen den inzwischen nach Köln emigrierten Nikolaus Herborn zu wehren. Siehe Lambert,

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„Die Bestimmungen aller Konzilien, Bischöfe oder Ordensleute, die nicht auf dem Wort Gottes beruhen, seien gottwidrig und verdammenswert, weil sie nicht aus der Schlüsselgewalt des Wortes Gottes stammten. Keine derartige Bestimmung kann für die Kirche Gottes oder der Gläubigen gelten, sondern nur für die Synagoge der Gottlosen oder ihrer Diener.“ 101 Damit wurde das Wort Gottes, die Bibel in ihrem reformatorischen Verständnis, unbedingte Norm für alle kirchliche Ordnung. Wie Lambert von daher die Minderbrüder-Regel kritisieren konnte, so auch alle anderen Bestimmungen gleich welcher menschlichen Autorität. Die Bibel freilich kommt erst im Geist Christi zu ihrem wahren Verständnis: „Der Geist Christi, der in der Kirche selbst lebt, ist der andere Schlüssel, mit dem sich die Geheimnisse der Gottesschrift eröffnen lassen. Mit ihm löst oder öffnet die Kirche, da sie durch den Geist Gottes den Sinn des Herrn aus dem Fleisch oder dem Buchstaben der Schrift lehrt.“102 Dieses pneumatische oder charismatische Schriftverständnis, das freilich in der Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden seinen Ort hat und zu ihrem zweiten „Schlüssel“ wird, stellte Lambert sehr stark heraus. Es erhielt geradezu franziskanisch-spirituale Züge: „der zu Christus hinzutritt, um die Geheimnisse der Schrift eröffnen zu dürfen, muss in seinen Augen erbärmlich sein, arm, ungelehrt, ohne Scharfsinn und Erfahrung, ohne Gerechtigkeit und Tugendkraft. Das heißt: Wenn er von all dem überaus erfüllt wäre, darf er demnach sich nichts zuschreiben, nichts meinen zu sein oder nichts zu können in der Auslegung der Gottesschrift, die allein vom Schlüssel des Geistes Jesu Christi abhängt. Daher sagt Christus auch: ‚Wenn nicht jemand auf alles verzichtet, was er besitzt, kann er nicht mein Jünger sein.‘ Nicht nur von den äußeren Besitztümern, sondern auch von allen Gaben unseres Geistes ist diese Stelle zu verstehen. Solltest du also Scharfsinn besitzen, Lehre, Erfahrung, verzichte darauf, wenn du zur Schule Christi hinzutrittst. Verzichte, sage ich, nicht damit du das gar nicht haben willst, sondern damit du gar nicht darauf vertraust. Sonst bist du kein geeigneter Schüler Christi, und er wird dich nicht lehren, noch dir die überaus ersehnte Tür der Schrift aufschließen. Nichts tut dazu jene Promotion zum Magister gottwidriger Universitäten.“ 103 François: Que // Franciscus Lamber//tus Avenionensis / apud // sanctam Hessorum Synodum // Hombergi congregatam / // pro Ecclesiarum refor=//matione / Dei verbo dis=//putanda et deservien=//da proposuit. // * Eiusdem epi=//stola ad Colonienses De ipsa // venerabili Synodo: aduersum // Nicolaum Herborn Minoritam // assertorem et consarcionatorem // mendaciorum. Erfurt 1527. Die „Epistola Francisci Lamberti ad Colonienses“ (ebd. 45r–54v) ist datiert: „Marpurgi 15. Februarii. Anno vero 1527.“ Am Ende der ganzen Schrift sind Drucker sowie Ort und Zeit des Drucks angegeben: „Excusum Erphordie per Johannem Loersfelt Anno salutifere incarnationis. 1527.“ Vgl. Köhler, Flugschriften Fiche 1264/65 Nr. 3245. Lamberts Schrift wurde mehrfach nachgedruckt und auch ins Niederländische übersetzt (siehe Schilling, Klöster und Mönche 188 Anm. 42). Vgl. dazu auch Kurten, Lambert von Avignon 72–75. Siehe auch Köhler, Bibliographie I/2, 279. 101 Lambert, Paradoxa, B 3r: „Vniuersae Conciliorum / Episcoporum / aut Monachorum constitutiones / que ex Dei verbo non pendent / impie et execrabiles sint / quod non sint ex vi clauium / eloquiorum Dei. Nulla eiusmodi constitutio / Dei ecclesie aut fidelium esse potest / sed tantum Synagoge impiorum vel ministrorum eius.“ 102 Ebd. B 4r: „Spiritus Christi / qui in ipsa Ecclesia est / alia est clauis / qua Dei scriptorum mysteria aperiuntur. Hac soluit / seu aperit Ecclesia / cum per Dei spiritum / sensum domini ex carne seu litera scripture docet.“ 103 Ebd. B 5r: „eum qui accedit ad Christum / vt scripturarum mysteria aperire dignetur: necesse est in suis oculis miserum / pauperem / indoctum / sine ingenio atque experientia / sineque iustitia ac virtute: hoc est: si etiam his omnibus sit maxime plenus / nihil proinde sibi tribuat / aut se aliquid esse putet / aut se credat

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Franziskanisch-spiritualer Radikalismus und reformatorischer Rechtfertigungsglaube scheinen sich bei Lambert zu verbinden, um im Verständnis der Heiligen Schrift jeden hermeneutischen Vorsprung menschlicher Begabungen, Erfahrungen und Gelehrsamkeit in Frage zu stellen. Die Bedeutung solcher Besitzstände wird zwar nicht einfach geleugnet, aber sie dürfen nicht als Vertrauensvorschuss gewertet werden. Ja, erst im Absehen von ihnen wird der Weg frei zum wahren Verständnis aus dem Geist Jesu Christi, in seiner Jüngernachfolge. Den altgläubigen Gegnern stand nach Lambert freilich weniger das Vertrauen auf Gelehrsamkeit im Weg als das Vertrauen auf die menschliche Gerechtigkeit, die sie sich selbst zuschrieben: „derart sind alle Vertreter der verderblichen Sekten, von denen jeder seine Sekte, seine Vollkommenheit, seine Verdienste, seine Werke hochjubelt; und untereinander streiten sie ewig, wer von ihnen den Vorrang hat, was man (um einstweilen von anderem zu schweigen) unter Kartäusern, Benediktinern, Minderbrüdern, Dominikanern sehen kann.“ 104 Daraus ergab sich für Lambert bereits, dass diese „verderblichen Sekten“ der bisherigen Orden nicht weiter zu dulden sind: „Die Kirche Gottes kennt keine Sekten, weil sie geeint ist in dem einen Geist, in dem einen Gott, in dem einen Mittler, in dem einen Wort usw. [...] Von der Einheit der Kirche haben wir an vielen Stellen gehandelt, besonders in unseren Kommentaren zum Hohenlied Salomos und zur Minderbrüder-Regel, wo wir dasselbe wie hier gesagt und erwiesen haben. […] Die Möncherei gehört gar nicht zur Kirche Gottes. Und wer immer sie zulässt, fällt ab von der Kirche. Denn zu ihr kann nicht gehören, wer unter Verwerfung des reinen Gotteswortes sich von Überlieferungen der Menschen führen lassen und leben will, demgemäß auch Gott verehren will, wie es im Ordensleben geschieht. Möncherei ist gegen die Liebe; denn sie macht, dass man das Seine sucht, nicht das der Nächsten. Das haben wir in unseren Kommentaren zur Minderbrüder-Regel erwiesen.“ 105

quidquam ex his posse / in dei scriptorum interpretatione / que a sola claui spiritus Jesu Christi pendet. Vnde et Christus ait: ‚Nisi quis renuntiauerit omnibus que possidet / non potest meus esse discipulus.‘ Non enim de solis externe possessis / sed etiam de uniuersis animi nostri dotibus capitur hic locus. Si possides: ingenium / doctrinam / experientiam: his abrenuntia / cum accedis ad Christi scolam. Abrenuntia inquam: non vt omnino ea nolis, sed vt nihil eis fidas / alioquin non eris ideoneus Christi discipulus, et non docebit te / nec scripturarum desideratissimum ostium reseruabit [! reserabit]. Nihil ad hoc facit magistralis illa promotio / impiarum vniuersitatum“. Vgl. dazu Lk 14,33. Siehe dazu bereits aus der urfranziskanischen Überlieferung Admonitio VII (Esser / Grau, Opuscula 110; Franziskus-Schriften 49) sowie spätere spirituale und observante Vorbehalte gegen Gelehrsamkeit und Wissenschaft als Besitzanspruch und Selbsterhebung. Vgl. Schlageter, Franziskanische Bildung und Tradition 335–363, bes. 340–345. 104 Ebd. C 2v–3r: „cuiusmodi sunt omnes sectarum perditionis assertores: quorum quisque iactat suam sectam / suam perfectionem / sua merita / sua opera / et que inter se potior sit / perpetuo rixantur / quod (ut interim alia taceam) inter Cartusianos / Benedictinos / Minoritanos / Dominicastros / est videre“. 105 Ebd. F 2v: „Ecclesia dei sectas nescit: quod unita sit / uno spiritu / uno deo / uno mediatore / uno verbo etc. [...] De Ecclesiae unitate egimus multis locis, presertim in nostris commentariis in Salomonis Cantica / atque in Minoritarum regulam, ubi et eadem que hoc diximus, et probavimus. […] Et Monachismus ad Ecclesiam Dei nihil pertinet. Et quisquis ipsum admittit, ab Ecclesia apostatat. Ad eam enim pertinere nequit, qui abiecto puro Dei verbo, vult hominum traditionibus regi, et vivere, ac secundum illum colere deum, sicut fit in Monastice. Monachismus est contra charitatem, quod faciat, ut querantur que sua sunt, non que proximorum. Hec probavimus in nostris in Minoritarum regulam commentariis.“ Der angeführte Hohelied-Kommentar gehörte zu den exegetischen Schriften, die Lambert in Straßburg herausgab. Vgl. Müller, Lambert und Reformation 19 Anm. 138.

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Ähnliche Vorwürfe brachte Lambert gegen ein müßiges, heuchlerisches Leben mit verdammenswerten Gelübden vor, von dem nichts in der heiligen Schrift zu finden war und das gegen die christliche Freiheit verstieß sowie gegen wahren Gehorsam, wahre Armut und wahre Keuschheit im Sinn des Evangeliums. Anschließend kam er auf Bettelarmut zu sprechen: „Ihr Bettelwesen ist Raubgier. Das Bettelwesen der Minderbrüder ist zudem gegen ihre Regel, da ihnen dann nur das Betteln erlaubt ist, wann sie von ihrer Hände Arbeit nichts finden.“ 106 Mit all dem wandte Lambert das, was er bereits zur Minderbrüder-Regel geschrieben hat, auf eine neue Situation an und spitzte es dabei zu; denn nun ging es ihm kaum noch um die Überzeugung Andersdenkender als vielmehr um die Legitimation einer allgemeinen Aufhebung der Klöster. Es war diese Absicht Lamberts und überhaupt die reformatorische Atmosphäre, die die Homberger Synode kennzeichnete, weshalb Nikolaus Herborn sich zwar als einziger Opponent zu Wort meldete, aber sich auf eine inhaltliche Diskussion der Thesen und Begründungen („Paradoxa“) Lamberts nicht einlassen wollte. Das begründete er ausführlich mit Schriften, die der Veröffentlichung von Lamberts „Paradoxa“ noch vorausgingen. Herborn bezog zunächst in einer lateinischen Schrift zu den Vorgängen in Homberg Stellung: „326 wahre und rechtgläubige Behauptungen des Bruders Nikolaus Herborn, Guardians zu Marburg, gegen die gottwidrigen und von Irrtümern erfüllten Paradoxa, die der entwichene Mönch Franziskus Lambert auf der Hombergschen Versammlung der Hessen vorlegte und mehr als überaus ketzerisch ableitete und auslegte.“ 107 In einer zweiten Schrift wandte er sich gegen Lambert, indem er die Theologie des Ordenslebens positiv herausstellte, aber zugleich begründete, weshalb er sich nicht dem Urteil reformatorisch Gesinnter unterwerfen wollte.108 Herborn konnte bereits seit Beginn der reformatorischen Entwicklung in Hessen diesen Weg nicht mehr mitgehen. Das zeigte eine Schrift, die er am 10. Januar 1525 an den Landgrafen Philipp von Hessen schickte und die den bedeutsamen Titel trug: „Von der Bewahrung der Religion der Vorfahren.“109 Das hatte 106 Ebd. F 3r: „Mendicitas eorum / est rapacitas. Mendicitas minoritarum / est etiam contra eorum regulam / cum tum solum liceat eis mendicare / cum ex labore manuum nihil reperiunt.“ 107 Siehe Herborn, Nikolaus Ferber von: Assertiones trecentae ac viginte[!] sex Fratris Nicolai Herborn, Guardiani Marpurgensis, verae et orthodoxae, adversus Francisci Lamberti exiticii monachi Paradoxa impia et erroris plena in Hombergiana Hessorum congregatione proposita, ac plus quam haeriticissime deducta et exposita. Köln 1526 („Coloniae, impensis honesti ciuis Petri Quentell, anno 1526, mense Decembris“). Siehe Köhler, Flugschriften Fiche 37 Nr. 103. Vgl. dazu Kurten, Franz Lambert von Avignon 76–79. 108 Siehe Herborn, Nikolaus Ferber von: Eyn kurtzer berycht // von den dreyen gelo=//bten der geystlichen / Nemlich von Euangeli=//scher gehorsamheyt / armuot vnd reynig=//keit / Gemacht durch bruoder Niclaus Herborn / Guardian tzu // Marpurgk observentien ordens / tzu troest vnd ster=//ckeyt aller froemen geistlichen. [Anhang] Vrsach vnd reedt / warumb // ich bruder Niclaus Herborn / ordens Francisci / meyn schriefften den Luthery=//schen richtern / lerern / vnd or=//tell nicht vnderwerfen wyll vnd sall. Köln 1527. Siehe Köhler, Flugschriften Fiche 889/90 Nr. 2242; ders., Bibliographie I/2, 489f. Vgl. dazu Schilling, Klöster und Mönche 192 Anm. 73. Zum Inhalt dieser Schrift vgl. ebd. 192–201; Kurten, Franz Lambert von Avignon 79–94. 109 Herborn, Nikolaus Ferber von: De servanda religione maiorum. Siehe dazu Kurten, Franz Lambert von Avignon 58 Anm. 53; Schilling, Klöster und Mönche 165 Anm. 42–44. Der „Sendtbrieff des Guardians // zuo Margburg / obseruantzer / Bar//fußer ordens / an herrn Phi=//lippen / Lantgraffen zuo Hessen etc.“ wurde ins Deutsche übersetzt und mit einer Antwort des Landgrafen zu Speyer (bei Jacob Schmidt) 1525 herausgegeben: „Antwort herrn Philippen Lantgraffen etc. / darin erscheinet, wie der Moench (so sich den

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mit guten Erfahrungen in einer guten Ausbildung zu tun, die der um 1480 zu Herborn/ Nassau in eine Familie Ferber geborene, spätere Bruder Nikolaus nach seinem Ordenseintritt bei den Observanten erlebt hatte. Von den Umständen seiner Kindheit und Jugend ist nichts bekannt. Aber vor allem prägte ihn die theologische Bildung, die er vom observanten Franziskanerkloster Brühl aus seit 1512 an der Universität Köln weiterführen und während der er bereits die Gastfreundschaft Kölner Bürger erleben durfte; denn Köln war Hochburg einer an der Hochscholastik orientierten Theologie. Das verband sich mit einer Spiritualität des franziskanischen Lebens, die sich in der observanten Reform an der großen Zeit des Minderbrüderordens im 13. Jahrhundert, besonders an der maßgebenden Führung des Theologen und Generalministers Bonaventura orientierte. Die Unterstützung durch das Papsttum, der die Obervanzbewegung ihren Erfolg entscheidend verdankte, verstärkte in Herborn wie in vielen seiner Brüder noch die franziskanisch-traditionelle Bindung an die Kirche Roms. Dass Lambert, der maßgebende Vorkämpfer der Reformation auf der Homberger Synode, den Orden und dessen Bindungen aufgegeben hatte, musste einen so entschiedenen Verfechter der Tradition und der franziskanischen Observanz wie Herborn erst recht zum Widerspruch reizen. Herborns Kontroverse mit Lambert, die sich nicht mehr im Raum der Saxonia abspielte, ist schon hinreichend dargestellt. Es sollen zur besseren Veranschaulichung nur einige Aussagen Herborns herausgegriffen werden, die sich direkt auf Lamberts „Paradoxa“ beziehen: „das Ordenswesen, das die eine Kirche Gottes anerkennt, das unter dem einen Wort unter dem einen höchsten Pontifex gehütet und von den einzigen kirchlichen Sakramenten am Leben erhalten wird, muss zur Kirche Gottes gehören“.110 Herborn behauptete die Zugehörigkeit der Orden zu der einen Kirche gegen Lamberts These, sie seien von der einen Kirche abgefallen; denn für ihn steht die eine Kirche zwar unter dem einen Wort Gottes, aber auch unter dem einen Papst, der die Orden in dieser Einheit behütet. Die Einheit des päpstlichen Hirtendienstes garantierte also, dass die Orden trotz ihrer Unterschiede nicht aus der einen Kirche unter dem einen Wort Gottes herausfallen. So konnte Herborn sich auch gegen die Unterstellung wehren, die Orden hätten mit ihren menschlichen Traditionen das reine Wort Gottes verworfen: „Das Ordensleben verwirft nicht das reine Wort Gottes, sondern es wird dadurch aufrecht erhalten, behütet und geführt. Es wird auch geführt durch fromme Überlieferungen von Menschen, nicht anders als in der Urkirche die Korinther, die Antiochener und alle Gläubigen insgesamt durch einige Überlieferungen geführt wurden, die jedoch aus dem Evangelium entspringen und fließen, unterschiedlich wegen der veränderlichen Zeiten

Fürsten zuo lernen vndersteet) des Euangeliumbs so gar vnwissend / ja gantz dol / blind vnd vngelehrt ist. / Dagegen der iung Fürst so christlich vnd des Euangeliumbs hochverstendig / Gott sey lob“ (insgesamt ebd. A 3r–4v). Siehe Köhler, Flugschriften Fiche 46 Nr. 129. Mit einem Kommentar und einer Antwortschrift von Konrad Bimlich aus der landgräflichen Kanzlei erweitert, wurden diese Texte neu herausgegeben zu Augsburg (bei Heinrich Steiner) 1525. Siehe Köhler, Flugschriften Fiche 754 Nr. 1928; vgl. auch Köhler, Bibliographie I/1, 487 (nr. 1140f.). 110 Siehe Herborn, Assertiones ad 258, D 8v: „monachismus, qui unam ecclesiam dei agnoscit, unoque uerbo sub uno Pontifice summo pascitur, unis ecclesiasticis sacramentis uegetatur, ad ecclesiam dei pertinere necesse est“. Vgl. auch Kurten, Franz Lambert von Avignon 77 Anm. 40.

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entsprechend der Beschaffenheit der Personen und Menschen, wie sie nachher durch die Verantwortlichen geregelt werden können.“ 111 Herborn konnte unter Hinweis auf die Verschiedenheit urchristlicher Traditionen, die er bereits in der Bibel fand, die späteren unterschiedlichen Regeln und Traditionen von Orden verständlich machen. Für ihn ergaben sie sich wie die urchristlichen Traditionen aus dem Evangelium, das eben in veränderten Zeiten entsprechend den menschlichen Eigenarten in unterschiedlichen Regelungen seinen Ausdruck findet. Das ermöglichte eine legitime Pluralität in der einen Kirche, die Lambert infolge seiner reformatorischen Interpretation der Heiligen Schrift so nicht gelten lassen konnte. Ob das Herausfließen all der Ordenstraditionen aus dem Evangelium immer so einleuchtend ist, auf diese kritische Frage ging Herborn nicht ein, sie war für ihn durch die Tradition besonders des eigenen Ordens schon beantwortet. Das zeigte etwa sein Umgang mit Lamberts Einspruch gegen das Betteln der Minderbrüder: „Wenn deren Betteln Habgier ist, dann dürfte auch Christi und der Apostel Betteln Habgier sein. Christus hat nicht nur einmal Gastfreundschaft erbeten, sondern er ist auch um unseretwillen bettelarm geworden, wie wir bei Paulus und dem Psalmisten lesen.“ 112 Herborn bezog sich auf die traditionelle Argumentation für das Betteln der Mendikanten, wie sie sich in der franziskanischen Tradition, etwa in Bonaventuras Auseinandersetzung mit Wilhelm von St.-Amour, findet.113 Obwohl sich Herborn um Orientierung an der Heiligen Schrift bemühte, folgte er doch deren traditionellem Verständnis. Er fragte dabei nicht einmal, ob die Jesus und seinen Boten gewährte Gastfreundschaft mit dem kirchlich und sozial privilegierten Betteln der Minderbrüder gleichzusetzen ist. Ähnlich traditionell argumentierte Herborn auch, als er sich mit Lamberts Auffassung beschäftigte, Betteln sei nach der Minderbrüder-Regel nur bei Verweigerung des Arbeitslohns erlaubt. Nach ihm gibt es regulär neben der Arbeit und den freiwilligen Spenden auch das Betteln zur Beschaffung des Lebensunterhalts: „Folglich sind weder kraft des Evangeliums Christi noch kraft der Regel, die aus der Quelle des Evangeliums fließt, alle Minderbrüder zur Handarbeit verpflichtet, sondern nur jene, die um der Arbeit willen aufgenommen wurden. Die übrigen Kleriker aber müssen dem Dienst am Altar und der Wissenschaft, wie auch vor allem der Betrachtung der höchsten Dinge obliegen.“ 114 111 Siehe Herborn, Assertiones ad 259/260, D 8v: „Non abijicit Monastice purum Dei uerbum, sed eo stabilitur, fundatur, pascitur, regitur. Regitur et pijs constitutionibus hominum, non secus quam in primitiua ecclesia, Corinthij Antiocheni et omnes in uniuersum fideles traditionibus nonnullis recti sunt, quae ex euangelio tamen emanant, fluuntque diuersae pro uarietate temporum iuxta personarum hominumque qualitatem, quae subinde temperari per Maiores possunt.“ Vgl. Kurten, Franz Lambert von Avignon 77 Anm. 41. 112 Siehe Herborn, Assertiones, E 2r: „Si mendicitas eorum est rapacitas, erit et Christi et apostolorum mendicitas rapacitas. Christus enim non semel hospitium mendicauit alienum, immo propter nos factus est egenus et mendicus, uti ex Paulo, Psalmosque legimus.“ Vgl. 2 Kor 8,9; Ps 40,18; 109,16. Vgl. Kurten, Franz Lambert von Avignon 129 Anm. 51. 113 Siehe Bonaventura: Quaestiones disputatae de perfectione evangelica q. 2 a. 2: De paupertate quoad mendicitatem (Opera omnia 5, 134–155). Vgl. hier Argumenta contra 8–10 die Hinweise auf 1 Kor 8,9; Ps 40,18; 109,16 (Vg.; Glossa ordinaria) sowie Argumenta contra 11–15 auf die von Christus in Anspruch genommene Gastfreundschaft (Opera omnia 5, 137–38). Wilhelm von St.-Amour sollte sich später explizit mit Bonaventuras Verteidigung franziskanischer Bettelpraxis auseinandersetzen. Siehe Traver, The Opuscula of William of Saint-Amour 123–154. 114 Siehe Herborn, Assertiones ad 174, E 2v: „Deinde neque ex Euangelio Christi neque ex regula fonte Euangelij scaturiente, cogendi sunt minoritae omnes ad manuum laborem, sed ij soli qui ob labores recepti sunt. Caeteri

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Diese Abstufung der Arbeitspflicht widersprach jedenfalls dem Testamentum des Franziskus, wie es Lambert zunächst bei seinen Evangelici Commentarij herangezogen hatte.115 Immer ging es Herborn darum, die Tradition gewordene übliche Praxis des franziskanischen Ordenslebens abzusichern, ohne sich auf Fragen nach deren urfranziskanischer oder biblischer Legitimation ernsthaft einzulassen. Denn für ihn war die geltende Auslegungstradition der Heiligen Schrift durch die reformatorischen Anfragen nicht wirklich betroffen, schon gar nicht durch die Anfragen eines ausgetretenen Mönchs, die er nur als überaus ketzerisch einstufen konnte. Wie schon früher für Alveldt sollten bei Herborn selbst die erkannten Missstände116 das Bild einer im Grunde heilen und unanfechtbaren Tradition von Orden und Kirche nicht trüben, weil dieses Bild infolge seiner guten eigenen Erfahrung und Bildung bei den Franziskaner-Observanten einen Sitz im Leben hatte. Insofern blieb die Anfrage an das Ordensleben, die sich bei Lambert zur Forderung der Aufhebung der Klöster verschärft hatte, zwar nicht ohne Wirkung auf jene Brüder, die der einmal übernommenen Berufung treu bleiben wollten. Denn sie mussten sich damit auseinandersetzen, vor allem indem sie noch entschiedener die Gegenposition vertraten und lebten. Das galt gerade für Herborn, der nach der Homberger Synode 1526 aus Hessen weichen musste, aber als Guardian von Brühl 1527 und als Provinzial der Kölner Provinz 1529 im Sinne einer guten Tradition von Orden und Kirche wirkte. 1530 nach Kopenhagen berufen, konnte er selbst in Dänemark der Reformation entgegentreten, wenn auch letzlich ohne sichtbaren Erfolg. Doch Herborn resignierte nicht, sondern setzte sich als Generalkommissar für die außeritalienischen Franziskanerprovinzen von 1532 bis zu seinem Tod 1535 für eine Reform des Ordens im Sinne der guten alten Tradition ein und für die Ausbreitung des Glaubens bis in die neuentdeckten Länder Amerikas und Asiens.117 Franz Lambert dagegen hatte mit der Homberger Synode den Höhepunkt seiner kirchlichen Wirksamkeit erreicht. Die Reformation der Kirche in Hessen kam so, wie sie dort maßgebend durch ihn konzipiert wurde, nicht zustande, weil Luther Einspruch erhob. Stattdessen kam hier wie bei der Aufhebung der Klöster die Wittenberger Auffassung vom landesherrlichen Kirchenregiment zum Tragen, was rasch auf das Ende der Klöster und den landesherrlichen Einzug ihres Besitzes hinauslief. Lambert musste sich bescheiden mit der Lehrtätigkeit an der neuen Universität Marburg, die der Landgraf Philipp aus dem Klosterbesitz gestiftetet hatte. Dort konnte Lambert sich der Heranbildung der Theologen und Geistlichen für die neue reformatorische Kirche widmen. Freilich waren diese Jahre Lamberts überschattet von Auseinandersetzungen mit anderen reformatorischen Theologen. Sie kommen deutlich in einem „Memoriale“ zum Ausdruck, das Lambert „dem

vero Clerici sacris altaribus, sacris literis incumbere debent, porro et altissimorum considerationi.” Vgl. Kurten, Franz Lambert von Avignon 130 Anm. 52. – Die Sicht der Arbeit und besonders der Handarbeit hat sich bereits im Minderbrüderorden des 13. Jahrhunderts von der Sicht des Franziskus entfernt. Vgl. Schlageter, Johannes: Regel und Leben der Minderbrüder im Licht maßgeblicher Regelkommentare des 13. Jahrhunderts. In: Regel und Leben. Materialien zur Franziskus-Regel II. Hg. von Johannes Schneider im Auftrag der Werkstatt Franziskanische Forschung in Verbindung mit der Fachstelle Franziskanische Forschung. Norderstedt 2009, 71–149. 115 Vgl. oben Anm. 82f. 116 Zu den bei Herborn benannten Missständen gerade in der Armutspraxis vgl. Kurten, Franz Lambert von Avignon 130. 117 Siehe insgesamt Kurten, Franz Lambert von Avignon 58.

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3. Franziskaner entscheiden sich gegen ihr bisheriges Ordensleben

ehrwürdigen Bruder Herrn Friedrich“ Myconius zusandte und in dem er sich offensichtlich gegen Vorwürfe von reformatorischer Seite wehrte: „Nachdem ich Christus erkannt hatte und er mich auf die Seite seines Evangeliums rief, wollte ich niemals, irgendjemand solle sich nach meinem Sinn leiten lassen, nicht einmal ich selbst. Ich wünschte und habe auf vielerlei Weise vollauf zu tun, dass wir, ich wie alle, uns vom Wort Gottes leiten lassen. Und ich bedauerte, wenn etwa wir, ich wie andere, die Satzung Gottes wegen der unseren abgetan haben. Daher habe ich manchmal ermahnt, getadelt usw. 2. Ich wollte niemand beherrschen, sondern das wünschte, das wollte ich, das wünsche und will ich, dass alle dem Wort Gottes gehorchen. Das Gegenteil aber habe ich in mir wie in anderen verabscheut. Daher habe ich oft voll Trauer Trunkenbolde, Hurer, Ehebrecher getadelt; wir sollten, wie ich auch gesagt habe, mit denen keinen Umgang haben, die falsche Brüder sind, 1 Kor 5,3. Niemals habe ich die Bildung verurteilt oder die Sprachen, sondern ihren Missbrauch habe ich verurteilt, ihren Gebrauch gelehrt, da ich nach Paulus wünschte, alles möge allen zu Nutzen sein. Ich wünschte immer und wünsche, alle sollten (wenn es geschehen kann) darin gelehrt sein. Den Missbrauch jedoch habe ich immer verurteilt, verurteile ihn und werde ihn verurteilen. 4. Ich erinnere mich nicht, jemals etwas verurteilt oder behauptet zu haben, außer ich hätte Gewissheit aus dem Wort Gottes gehabt. Habe ich andere in Heiligkeit reden sehen, habe ich sie nicht verurteilt, sondern geliebt. Sah ich, dass sie nicht richtig geschrieben haben, habe ich niemand beim Namen genannt, außer vielleicht und ganz selten Scholastiker, Hieronymus oder jemand ähnlichen. 5. Mein Gewissen klagt mich nicht an, ich hätte nach dem erkannten Wort zur Ausbreitung meines Ruhms die Kommentare der Heiligen Schrift herausgegeben oder einige aus den Heiligen Büchern erklärt. Ich wollte den ungelehrteren Brüdern nützen, für die ich mich abgemüht habe entsprechend dem Dienst, zu dem mich Gott berufen hat. Und es missfiel mir inzwischen nicht, ja es gefiel mir vielmehr, wenn jemand in derselben Sache besser schrieb. 6. Niemand habe ich gehasst, sondern in Trauer und Seufzen erlebe ich, dass ich sehr wenige die Freiheit des Evangeliums recht gebrauchen sehe und dass es beinahe keine Liebe gibt, sondern alles voll Missgunst, Lüge, übler Nachrede und Neid ist. Das habe ich in mir wie in anderen gehasst. Grüße mit Christus in meinem und meiner Frau Namen Doktor Martin Luther, Philipp Melanchton, Johannes Pomeranus [Bugenhagen], Doktor Jonas, Hieronymus. Gnade und Frieden allen, die aufrichtig an der Wahrheit hängen. Der Deine von Herzen, Franz Lambert, im Herrn ein Mitknecht. Was ich umseitig geschrieben habe, Gott weiß es, habe ich wahrhaft geschrieben, wie die Sache sich verhält. Und wahrlich, wer anderes von mir denkt, anderes behauptet, behauptet anderes, als die Wahrheit sich verhält. Ich bitte, dass niemand etwas Abweichendes herausgibt. Der Richter aller weiß ja, ich bin unschuldig in allem, was dem umseitig Geschriebenen widerspricht. Gott möge die schonen, die mich mit einer Lüge anklagen.“ 118 118 Siehe insgesamt Strieder, Friedrich Wilhelm: Grundlage zu einer Hessischen Gelehrten und Schriftsteller Geschichte. Seit der Reformation bis auf gegenwärtige Zeiten, Bd. 7: Kal – Ler. Kassel 1787, 385f. Anm.: „Memoriale venerabili fratri, Domino Friderico (scilicet Myconio) pro presbytero, Ill[ustrissimi] Sax[oniae] Du[cis]. A Concionibus, Franciscus Lambertus. Posteaquam novi Christum, et vocavit me in partem evangelii sui, nunquam volui, quenquam regi sensu meo; neque me ipsum. Cupivi autem, et sategi multis modis, ut et ego, et omnes Dei verbo regeremur, et dolui, cum aut ego, aut alii Dei institutionem pro nostra abiecerimus. Ideo aliquando admonui, reprehendo etc. 2. Nolui cuipiam dominari, sed id cupivi, hoc volui, cupio et

François Lambert

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Wie dieser Brief zeigt, hatte Lambert weiterhin mit der Impulsivität seines Temperaments zu kämpfen, die ihm die kollegiale Zusammenarbeit selbst mit Mitstreitern nicht leicht machte, sodass sich seine Kollegen und Studenten anscheinend gegen Übergriffe von seiner Seite zu wehren hatten. Denn der Vorwurf, andere dominieren zu wollen, ihnen ihre eigene Arbeit zu erschweren oder gar zu missgönnen, stand zur Debatte. Sonst müsste sich Lambert nicht so vehement dagegen wehren. Anscheinend geriet er sogar in Verdacht, er könnte Gelehrsamkeit und Kenntnis der alten Sprachen ablehnen, also wohl das, was der christliche Humanismus besonders hochschätzte. Das dürfte mit der von Haus eher pastoralen, franziskanisch-spiritualen Orientierung Lamberts zusammenhängen. Was er dagegen als Missbrauch von Gelehrsamkeit und Sprachenkenntnis anklagte, dürfte auf Karrieredenken und Ruhmsucht von Gelehrten zielen. Doch scheint Lambert überhaupt ein sehr pessimistisches Bild von Anhängern und Mitstreitern der Reformation zu haben, da nach ihm der Missbrauch der evangelischen Freiheit und sittliche Missstände gang und gäbe waren. Wenn Lambert sich von dieser pessimistischen Sicht öfters zu Vorwürfen an die Adresse anderer hinreißen ließ, dürfte er sich dadurch viele Gegner zugezogen haben, von denen er ein öffentliches Vorgehen gegen sich befürchtete. Deswegen sein Versuch, sich dagegen abzusichern, indem er Friedrich Myconius einschaltete, von dem Lambert Fürsprache bei den führenden Leuten der Reformation zu Wittenberg erwartete. Seine Befürchtungen haben sich insofern nicht bewahrheitet, weil Lambert trotz mancher Schwierigkeiten weiter an der Marburger Universität lehren konnte, bis er 1530 beim Ausbruch der Pest und bei Verlegung der Universität nach Frankenberg mit seiner ganzen Familie der Krankheit zum Opfer fiel.119

volo, ut omnes Dei verbo pareant, oppositum autem et in me, et in aliis abominatus sum. Ideo tristis saepe reprehendi ebrios, scortatores, adulteros: cum his etiam asserui nobis non conversandum, qui fratres falsi sunt I. Cor. 5. 3. Nunquam damnavi eruditionem, aut linguas, sed earum damnavi abusum, docui usum, secundum Paulum cupiens omnia omnibus utilia fieri. Optavi semper, et opto omnes (si fieri potest) in his doctos esse. Damnavi tamen semper abusum, et damno, atque damnabo. 4. Non recordor, me aliquid unquam aut damnasse, aut asseruisse, nisi habuerim certitudinem ex verbo Domini. Si alios vidi, sancte dixisse, non damnavi, sed amavi: si vidi, eos non recte scripsisse, neminem nominavi, nisi forsam et rarissime scholasticos, aut Hieronymum, aut aliquem ex similibus. 5. Non accusat me conscientia mea, quod post agnitum verbum pro gloria propaganda aut ediderim in divinis commentariis, aut explanaverim aliquos ex sacris libris. Volui prodesse fratribus indoctioribus, quibus desudavi, secundum ministerium, ad quod Deus vocavit me. Nec interim displicuit, immo placuit, si etiam in eadem re quisquam melius scripsit. 6. Neminem odi, sed dolens, et gemens vivo, quod paucissimos videam recte uti evangelii libertate, et quod charitas ferme nulla sit, sed plena sint omnia obtrectationibus, mendaciis, maledicentia, invidia. Quae et in me, et in aliis odi. Saluta per Christum meo et uxoris meae nomine D. M. Luth. Phil. Mel. Jo. Pome. Doct. Jonam Hieronymum. Pax et gratia omnibus sincere adhaerentibus veritati. Tuus ex animo Franc. Lambertus, conservus Domino. Quae a tergo scripsi, novit Deus, vere scripsi, ut res se habet. Et vere, qui aliud de me sentit, atque asserit, aliud asserit, quam veritas habeat. Oro autem, ut nemo diversum edat. Nam iudex omnium scit, quod sum innocens ab oppositis eorum, quae hic a tergo scripsi. Parcat Deus illorum, quae cum mendacio me accusant. Franciscus Lambertus, Avinionensis.“ Vgl. dazu 1 Kor 5,9–11; 10,33. Dass der Adressat dieses „Memoriale“ Friedrich Myconius war, musste nicht mit der gemeinsamen franziskanisch-observantischen Herkunft zusammenhängen. Aber immerhin kamen in Lamberts Vorbehalten gegen einen Missbrauch von Bildung und Gelehrsamkeit Gedanken vor, die auch in der franziskanischen Tradition wirksam waren. Vgl. Schlageter, Franziskanische Bildung und Tradition 336–345. – In der Grußformel am Ende sind mit „Doct. Jonam Hieronymum“ wohl Justus Jonas und Hieronymus Schurf gemeint. 119 Siehe insgesamt Müller, Lambert und Reformation 42–125.

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3. Franziskaner entscheiden sich gegen ihr bisheriges Ordensleben

3.4. Johann Eberlin von Günzburg Schon bevor Johann Eberlin nach Wittenberg kam, hatte er sich für eine Reform von Orden und Kirche eingesetzt, zwar schon unter dem Einfluss von Martin Luther, aber insgesamt noch als humanistischer Reformer.120 Als er 1521/22 fern von Wittenberg vor allem in Basel wirkte, griff er bereits unter Berufung auf die Regula non bullata und das Testamentum des Franziskus gerade die Bettelpraxis seiner bisherigen Brüder Franziskaner-Observanten an,121 von denen er sich nach reformerischen Predigten in Ulm 1520 hatte trennen müssen. In die antifranziskanische „Kampagne“, die ab 1523 von Wittenberg ausging, schaltete sich Johann Eberlin damit ein, dass er gegen die Ordensregeln der Minderbrüder und Klarissen polemisierte. Da er in der Volkssprache schrieb, hatte Eberlin, anders als Lambert, ein allgemeines Publikum im Blick. Seine Streitschrift, die bereits im Sommer 1523 in Wittenberg ausgearbeitet wurde, kam aber erst 1524 im Druck heraus und umfasste eigentlich zwei Schriften, die im Titel so vereint werden: „Wider die falschscheynende gaystlichen under dem Christlichen hauffen, genant Barfuosser oder Franciscaner orden Sonderlich vom titel Reformacio oder Observacio. Item wie sovil adelicher leibe und seelen in Sannt Clara orden erbarmmlich verderben.“ 122 Für den Gegensatz der Ordensregeln von Franziskanern und Klarissen zum Evangelium Jesu Christi machte Eberlin anders als Lambert Franziskus selbst maßgeblich verantwortlich: „Ist der stiffter so nerrisch geseyn, das er maynet, diße regul were das Euangelion, und ist also betrogen worden, hat auch andere betrogen, so ist er ein schedlicher narr gesain, dem man mit guotten kolben laußen. Hat er aber gewißt, das diße regel nit ist das Euangelion, und dennocht den betrug in die welt gefuert, so ist er ain ertzbuob, ein leüt bescheysser, ain seelen moerder, und sol vom allen Christen sein buoberey anklagt unde mit hailger geschrifft erwürgt werden.“ 123 Eberlin inszenierte daher ein Streitgespräch zwischen Franziskus und Christus, um den Gegensatz der Minderbrüder-Regel zum Evangelium im Sinne der Reformation dramatisch deutlich zu machen: „Die regel Francisci ist wider das Euangelion christi, das zuobeweren will ich Christum unnd Franciscum gegen ainander haltten, so merckestu, wie Frantz Cristum ein lugner 120 Siehe dazu Peters, Christian: Johann Eberlin von Günzburg ca. 1465–1533. Franziskanischer Reformer, Humanist und konservativer Reformator. Gütersloh 1994. Eberlin war zwar von Martin Luther und dessen Anhängern beeinflusst, sah Luther aber zunächst noch an der Seite von anderen Kritikern der Bettelorden wie Johannes Hus, Hieronymus von Prag, Johannes von Wesel, Johannes Gerson und Erasmus von Rotterdam. Vgl. Eberlin, Johann von Günzburg: Ausgewählte Schriften. Ed. von Ludwig Enders, Bd. 1. Halle 1896, 99. 121 In Eberlins anonymen Schriften, die bald unter dem Titel „Die 15 Bundsgenossen“ veröffentlicht und verbreitet wurden, galt diesem Thema vor allem der IX. Bundsgenoss, dessen Überschrift in Anlehnung an Luthers Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Stands Besserung von 1520 so formuliert ist: „An alle christenliche oberkeit jn waeltlichem und geystlichem stand Teütscher nation, ein klaeglich ernstlich klag aller gotsfoerchtigen Münch Nunnen und pfaffen, das man inen zuo hilff kumm do mit sy von iren endtchristischen by woneren erloest werden“ (siehe Eberlin, Ausgewählte Schriften 1, 89). Wie etwa Eberlin hier Betteln und Arbeit der Brüder von der Regula non Bullata und vom Testamentum her wertet, dazu vgl. besonders Schlageter, Die Quellen zu Franziskus und Klara 393–398. 122 Siehe Eberlin, Johann von Günzburg: Sämtliche Schriften. Ed. von Ludwig Enders, Bd. 3. Halle/Saale 1902, 41. Vgl. dazu insgesamt Dipple, Antifraternalism 131–162. 123 Eberlin, Sämtliche Schriften 3, 65f.

Johann Eberlin von Günzburg

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schiltet. Von Christo schreibt Johan. I. ca. Das gesatz ist durch Mosen geben, die gnad und warhait ist durch Christum worden, davon das Euangelion leret, dann Euangelion ist ein predig von der vergebung der sünd. Frantz. Nit also, aber das Euangelion ist ein zwingent gesatz, damit alle Christen getriben sollen werden, also hab ich den notstall meyner regel ein Euangelion genandt. Hyemit zaygtt frantz, das er nit weißt, was Euangelion oder gesatz ist, und sol das auch kain parfot lernen, denn im x. capit. der regel ist verpotten nicht zelernen in der gschrifft, das man vor nit weißt. Cristus. Die summa des gsatz Mosy ist got liebhaben über alle ding, und den nechsten als dich selbs. Math. 22. ca. Frantz. Die summa des Euangelii ist leben in parfoten gehorsam, armuot unnd keüschait. Hye is frantz auch im gsatz jrr worden, er macht erstlich auß Christo ein Mosen, bald wil er die summa des Moses oder gesatzes zaigen, redet er glaich wider Cristum und Mosen, allßo rumpelt der gaist im narren umb.“ 124 Damit wurde ein entscheidender Streitpunkt hervorgehoben: Franziskus verstand nach Eberlin in der Regel das Evangelium nicht; denn er verstand es nicht als Verkündigung von Gnade und Vergebung, sondern als „zwingendes Gesetz“. Und dieses evangelische „Gesetz“ wurde nicht einmal wie das Gesetz Mose zentral als Liebe zu Gott und zum Nächsten verstanden, sondern als „der Barfüßer Gehorsam, Armut und Keuschheit“. Die Polemik Eberlins sollte jedoch weniger Franziskus treffen, gerade in ihrem grob verletzenden Schimpfen galt sie den Minderbrüdern, die Franziskus mit Christus gleichsetzen wollten: „Also gefallen von einem yrsal zuo dem andern, bys sy auch Franciscum für einen Christum auffgeworffen haben, mit geschriften, worten und gemalt fürgetragen Conformierung Chrysti und Francisci.“ 125 Eberlin kannte also De Conformitate des Bartholomäus von Pisa126 wie entsprechende Predigten und Bilder, die Franziskus zum geradezu christusgleichen Idol erhoben. Dieses Idol, mit dem die Brüder damals ihr Leben und Regelverständnis unangreifbar machten, wollte er mit seinem Angriff zerstören, ohne Franziskus in seiner geschichtlichen Gestalt wirklich treffen zu können, ja vielleicht nicht einmal treffen zu wollen. Denn ähnlich wie Lambert entschuldigte Eberlin zumindest in seiner anschließenden Schrift an die Klarissen große Heilige wie Franziskus und Klara mit der antichristlichen Verirrung und Verführung ihres Zeitalters: „diser yrsal ist über die welt lang jar gsein und groß hailgen sein darein gfuert worden, das sy menschen tandt für gots wort hielten, zuo grossem schaden der selen, deren auch gsein seind franciscus, Clara. Yetz kompt es an tag, so man das wort gots in der biblia widerumb fürnimpt.“ 127 Eberlins Stellungnahme zu den Klarissen-Regeln erscheint bedeutender als seine Ausführungen zur Minderbrüder-Regel; denn er sprach mit mehr Sympathie zu den betroffenen Schwestern und mit mehr Sachkenntnis über die Regelentwicklung bei den Klarissen. Die entsprechende Schrift wurde noch einmal eigens überschrieben:

124 Ebd. 3, 65. Vgl. dazu Joh 1,17. Vgl. auch Regula Bullata 10,7: „non curent nescientes litteras litteras dicere“. In: Esser / Grau, Opuscula 370; Franziskus-Schriften 101 Anm. 35f. Zum Verständnis dieses Textes in der franziskanisch-observanten Tradition vgl. Schlageter, Franziskanische Tradition und Bildung 335–337; 341f. Anm. 21. 125 Ebd. 3, 47. 126 Zu Bartholomaeus de Pisa, De Conformitate, vgl. oben Kap. 1, Anm. 90; 97. 127 Eberlin, Sämtliche Schriften 3, 75.

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3. Franziskaner entscheiden sich gegen ihr bisheriges Ordensleben

„Alle frommen Christen sollen sych erbarmmen über der grossen qual, so leyden an seel und leib so vil adelicher Junckfrewlicher personen im unmenschlichen kloster stand, Genandt Santt Clara orden, deren regel und grund unchristliche, widerchristlichen und unmenschlichen puncten innhalt, als diß byechlin zaiget.“ 128 Das führte fort, was Eberlin bereits zur Kritik der tradierten franziskanischen Lebensform gegen deren Regelgrundlage schrieb, verbunden mit einem werbenden und rechtfertigenden Brief an mögliche Sympathisanten im oberen Neckartal.129 Doch die Schrift selbst wurde als Brief Eberlins an die Klarissenklöster in der Straßburger Provinz der Franziskaner observanter Prägung (Alemania) adressiert, die er ebenfalls für die Reformation gewinnen wollte.130 Wie er das im Einzelnen tat, war einfühlsam und vielleicht wirkungsvoll. Dabei kam er in seinem Brief an Klöster mit der Regel Papst Urbans IV. (1263)131 auch auf zwei vorhergehende Regeln der Klarissen zu sprechen: „euer regel hatt S. Clara nit geschriben, noch S. franciscus, sonder der Bapst Urba. 4. mit rat gotloser Cardinelen, und merckent hie, liebe kindt, wie seltzam der teüfel mit den seelen geschimpft hatt. iij. regel hab ich gelesen eurem orden gegeben. Dye Erst von francisco, deren anfang ist. Die regel der armen schwestern ist, halten das hailig Euangelion unnßers herren Jhesu Christi. etc.“ 132 Diese erste Regel ist aber die von Klara selbst 1253 nach dem Muster der Minderbrüder-Regel verfasste Regel. Eberlin führte jedoch mit der Tradition Franziskus als Verfasser an,133 um das

128 Ebd. 71. 129 Es ging dabei um die Städte Rottenburg und Horb am Neckar und Orte der Umgebung, die Eberlin offenbar durch seine Tätigkeit als Prediger und Werber für den Dritten Orden vom Kloster Tübingen aus (etwa 1519) und infolge seines Einsatzes für ein Beginenhaus im benachbarten Herrenberg kannte. Siehe ebd. 67–70. Dieser Brief war datiert vom Margareten-Tag (nach dem Kalender der Diözese Brandenburg 13. Juli) 1523 aus Wittenberg. 130 Siehe ebd. 71: „Den wirdigen frawen Aptissin, Priorin, schreyberin und ratgeberin, und allen muettern und schwestern S. Clara orden, sonderlich die in Straßburger provintz unnder dem Regiment der barfuosser observantzer leben, Wünscht Johann Eberlin von Gintzburg Gnad und frid von Gott unserm vatter“. Der Brief schloss ab mit dem Datum: „Wittenberg auff Divisionis apostolorum. M.D.XXIII“ (ebd. 88). Gemeint ist nach dem Brandenburger Diözesan-Kalender das Fest Trennung der Apostel, 15. Juli 1523. 131 Diese Regel Urbans IV., eine Abmilderung der Klara-Regel, galt damals in den meisten deutschen Klarissenklöstern. Siehe dazu Strasser, Hieronymus (Hg.): „REGVLA. // Das ist: // Regel / welche Bapst Vr-//banus der Vierte diß Namens / den Schwestern S. // Clara Ordens fürgeschriben vnnd // geben. // Sambt den General Satzungen / so im Vallisoleta-//nischen General Capitl / Anno 1593. für dieselben zusamben // getragen / vnd zuhalten anbefolchen worden. Anjetzo auß Latein in Teutsch vbersetzt. // Durch // F. Hieronymum Strasser // der Reformierten Parfuesser S. Francisci Or-//dens / Theologum vnnd durch Ober Teutschlandt / etc. // Generalem Commissarium. // Anno M. DC.XXI // Gedruckt zu Wienn in Oesterreich / durch Gregorium // Gelbhaar in der Laembl Burschen.“ Vgl. auch Schweizer, Christian: Lebensform einer armen Schwester und Nonnenpolitik eines Papstes. Aufbau und Organisation der Klarissenkonvente nach den Regeln der hl. Klara (1253) und Papst Urban IV. (1263). In: Helvetia Franciscana 32 (2003) 159–177. 132 Siehe Eberlin, Sämtliche Schriften 3, 73f. Zur ‚ersten Regel‘, die Eberlin meinte und die Klara selbst ihren Schwestern gegeben hat, vgl. Grau, Engelbert / Schlosser, Marianne: Leben und Schriften der heiligen Klara von Assisi. Kevelaer 2001, 238–293. 133 Vgl. Tres regulae beatissimi patris Francisci, bei Bihl, Die sogenannten Statuta Julii II. 248–253. Siehe oben Anm. 93f. Vgl. auch Firmamenta, Pars V., 2va: „Prima Regula secundi ordinis [...] a beato Francisco (paucis interpositis) edita.“ Siehe Lalo, Les recueils des sources juridiques 566. Zur von Klara selbst verfassten Regel und einer Einführung in den Text vgl. Grau / Schlosser, Leben und Schriften 227–293.

Johann Eberlin von Günzburg

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dann angesichts des Wortlauts von Kapitel 6 in Frage zu stellen.134 Die theologische Kritik entfaltete er dann wie bei der Minderbrüder-Regel. Auch die Klara-Regel war nach Eberlin entgegen ihrem Anspruch doch nicht mit dem Evangelium identisch, ja wider Evangelium und Vernunft. Dennoch warf Eberlin dann der zweiten Regel vor, dass sie gerade diesen Anspruch aufgab: „Ain ander regel hat bapst Innocenz 4. geben zu Lugdun in Franckreich, deren tail nit ist under dem Euangelion, aber im andern Capitel leeret er, diser regel profession soll geschehen got, Marie und Francisco unnd allen hailigen, unnd das auff das gantz menschen leben. Diser Bapst hat unrecht gethon, das er die schwestern abloeßt vom Euangelio vorhin gelobt (als bruoder Frantz fürgibt) und inen ain anndere regel fürschreibt. Ist nun der bapst ein stathalter christi, warumb loeßt er, was seyn herr gebunden hat.“ 135 Schon für Klara schien die Lebensform des Evangeliums durch die päpstlichen Vorgaben in den Hintergrund zu treten, jedenfalls so wie Franziskus die evangelische ‚Lebensform‘ auffasste in ihrer Konkretisierung und Aktualisierung für eine bestimmte Zeit. Deshalb schrieb sie ihre eigene Regel, was Eberlin freilich nicht erkannte. So fiel es ihm nicht schwer, gegen diese Vielfalt von Regeln und ihre diversen Verpflichtungen zu polemisieren: „Die drit regel hat euch geben bapst Urbanus 4. unnd absolviert alle von glübten obgemelter regulen, das man seyne allain halt, ist wol ain wunderlich ding, das ein orden sovil regeln hat, all in gots namen, alle got geschworen, und das man so bald mag absolvieren von gottes glübt und gepot. Das ist wol hüpscher, das der bapst Innocen. sein erstliche satzung widerruofft, verbeüt sein aigne regel und treibt widerumb zuo der ersten. Also sollen die hailigen baepst spilen mit den gewissen, sy unruewig machen, so sy yetz diß, yetz ain anders gepot fürgeben, bey tod, bey hell, bey gottes zorn zehalten.“ 136 Eberlin kannte die geschichtlichen Gründe und Hintergründe der Regel-Entwicklung bei den Klarissen nur ungenau.137 Daher musste ihm diese Entwicklung als Musterbeispiel päpstlicher Willkür erscheinen und als Vergehen gegen die Ruhe der Gewissen. Da war Eberlin besonders sensibel aus eigener existentieller Erfahrung, denn wie er schrieb, war er

134 Siehe Eberlin, Sämtliche Schriften 3, 78: „Auß diesem mügt ihr mercken, das eur erste regul nit das Euangelion ist, als der anfang lygt, auch nit von Francisco geschriben ist worden, als das vj. capitel zaygtt. Ich moechtt auch zaygen, wie vil stuck in der regel wider das Euangelion seyndt, Ya wider alle menschliche vernunfft.“ Klara zitierte ja ausdrücklich im 6. Kapitel ihrer Regel den ‚letzten Willen‘ (ultima voluntas), den Franziskus eigens für die Frauen in S. Damiano aufschrieb (siehe Grau / Schlosser, Leben und Schriften Klaras 267). So konnte also diese Regel nicht von Franziskus selbst stammen. 135 Eberlin, Sämtliche Schriften 3, 74. Eine kritische Bemerkung zu dieser Regel Innozenz’ IV. von 1247 fand sich bereits in Firmamenta, Pars V., 8ra: „Explicit secunda Regula ordinis sancte Clare cum relaxatione prioris Regule quo ad paupertatem.“ Dabei wurde, ähnlich wie bei Eberlin, nicht erkannt, dass die hier erstgenannte Regel, nämlich die Regel Klaras selbst, erst später 1253 so formuliert und approbiert wurde. Siehe dazu besonders Claire d’Assise: Écrits. Introduction, Texte latin, Traduction, Notes et Index. Paris 1985 (Sources chrétiennes [SC] 325) 19f., 120–165. Zur Klara-Regel mit einer Einführung, ihrem lateinischen Text und einer deutschen Übersetzung, siehe Grau / Schlosser, Leben und Schriften 238–293. 136 Eberlin, Sämtliche Schriften 3, 74f. Siehe dazu Firmamenta, Pars V., 8va–13va. Vgl. besonders die einführende Bulle Urbans IV. bei Strasser, Regel welche Bapst Vrbanus 3–5. 137 Eberlin bezieht sich offensichtlich auf die Firmamenta (Pars V., 2rb–18vb), weil nur sie in den damaligen Rechtssammlungen diese drei Klarissen-Regeln so dokumentieren und werten, allerdings ebenfalls ohne den geschichtlichen Hintergrund dieser Entwicklung aufzuzeigen. Siehe dazu Lalo, Les recueils des sources juridiques 566f.

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3. Franziskaner entscheiden sich gegen ihr bisheriges Ordensleben

„im kloesterlichen leben so lang gebunden gwesen, in grossem qual meines hertzen, also das die unmessyge unruo meiner conscientz auch vilen münchen zuo einem gespöt und sprüchwort kommen ist (also thuond die teüfels botten, so sy ein gwissen erschrecken und betrieben, spoten sie darnach der unruo)“.138 Damit deutet Eberlin die großen Nöte an, die seinem Gewissen die strenge Observanz der Ordensregel in ihrem damaligen Verständnis bereitete. Da hatten gerade Brüder, die er dafür verantwortlich machte, so wenig Einfühlungsvermögen, dass sie über die heraufbeschworenen Skrupel spotteten. Diese zusätzliche Demütigung verschärfte noch das innere Leiden, das bei Eberlin schließlich in die offene Empörung über eine geradezu dämonisch erfahrene Belastung seines Gewissens umschlug. Ingesamt verstand Eberlin die Regeln der beiden franziskanischen Ordenszweige allzu legalistisch, wie ihm das freilich in seiner eigenen Ordenszeit durch Erziehung und Lebenspraxis nahe gelegt wurde. Sollten die Regeln nun in diesem Verständnis identisch sein mit dem Evangelium, wie Eberlin das unterstellte, konnten sie als Widerspruch zum Evangelium Jesu Christi erscheinen. Sie ließen sich erst recht in einer reformatorischen Theologie als geradezu unsinnig darstellen. Dabei folgte Eberlin Luthers Charakterisierung des traditionellen Ordenslebens als „wider die Vernunft“ 139. Doch Eberlins undifferenzierte, grobe Polemik, die selbst die heiligen Gründergestalten der franziskanischen Bewegung miteinbezog, war damals noch nicht ganz in Luthers Sinn.140 Allerdings zeichnete sich bereits damals eine kritischere Sicht des Franziskus bei Luther ab.141 Luther kommt in einer Predigt zu Allerheiligen 1522 über die Seligpreisung der Armen auf einen angeblichen Gegensatz zwischen Franziskus und Christus zu sprechen: „Als nemlich Franciscus, das doch ein frumer man gewest ist, Also das mich wundert, wie er so nerrisch und grob hie gestolpert hat, der sich hie hat in armut geben und seine brueder in ein regel verfast, nit mer zuhaben wann von der handt zu dem munde, uber nacht nichts zu behalten, und hat das Ewangelium also herauß in zeitlich armut gezogen wider Christum. Dann die armut muß im geyst stehen, das geystlich regiment, das Ewangelium, leßt sich in kainen weg herauß ins liecht ziehen, in das eußerlich regiment, Es geet im hertzen daher. Alßo ist auch Christus am geyst arm gewest und dannocht außwendig nit bloß on gelt gangen, Dann do sie auff den berg giengen, do hatt er fünff Gersten prot und zway hundert pfennig, Item Judas der trug den beuetel und nam ein was man jm gab, das er wol mocht bey eim gulden oder dreyssig in bereytschaft gehabt haben.“ 142 Luther übertrieb noch den äußerlich armen Lebensstil des Franziskus und seiner Brüder, um ihn leichter ins Absurde ziehen zu können.143 Er übersah dabei den für Franziskus maßgebenden inneren Kern der Nachfolge des armen und gekreuzigten Jesus Christus. Dabei ließe sich darüber streiten, wie weit Franziskus sinnvoll die ältere synoptische Jesus-Tradition für 138 139 140 141 142

Siehe Eberlin, Sämtliche Schriften 3, 71. Siehe Luther, De votis monasticis: „V. Adversari rationi Monasticen“; LWA 2, 253–267; WA 8, 629–641. Vgl. dazu etwa Luthers Darstellung von Franziskus und Bernhard, oben Kap. 2, Anm. 57; 59; 61. Vgl. dazu Reblin, Freund und Feind 38–40. Vgl. ebd. 38 Anm. 3; siehe Luther, Ein Sermon auffs fest aller heyligen 1522 (WA 10/3, 404,7-19). Vgl. dazu Mt 5,3; 6,34 sowie Joh 6,7–9; 12,6. 143 Ein Gebot, von der Hand in den Mund zu leben beziehungsweise nichts über Nacht aufzubewahren, findet sich nirgendwo bei Franziskus. Es mag freilich sein, dass einige Brüder Mt 6,34 sich in diesem Sinn zu eigen gemacht haben.

Johann Eberlin von Günzburg

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seine Bewegung verbindlich machte. Doch weder Luther noch erst recht Eberlin waren zu einer differenzierten Betrachtung der franziskanischen Lebensform in der Lage.144 Leider konnte man diese damals zwar theologisch-reformatorisch hinterfragen, aber nicht ihre Quellen historisch-kritisch sichten, um zu einem zutreffenderen Bild des Ursprungs und seiner Entwicklung zu kommen.145 Die zunehmende Polemik machte eine unvoreingenommene Sicht immer schwieriger. Das zeigte sich ja nicht nur bei der reformatorischen Seite, sondern ähnlich bei ihren Gegnern im Franziskanerorden. So konnte etwa der früher so irenische Kaspar Schatzgeyer über Eberlin, seinen ehemaligen Bruder aus der oberdeutschen Franziskanerprovinz, schreiben: „Es ist ausgegangen ein Wildschwein, mit scharfen Zähnen um sich hauend, vom Wald gekommen in den Weingarten, hat sich unterstanden, diesen umzuwühlen und alle Weinstöcke umzukehren mit seiner wütenden Unsinnigkeit, d. i. mit Schändung, Schmähung, falscher Verliegung, Nachredung, Ehrabschneidung, falscher Urteilung, verkehrter Ratgebung unter der Gestalt einer guten Meinung und gutem Ernst. Das ist der Schreiber des größten Schandbüchleins wider der Barfüßer Regel und wider die Regel der Schwestern Sankt Claren, welches geschmiedet ist in der Werkstatt Satans durch den Hammer der Lästerung Gottes und seiner Heiligen in dem höllischen Feuer, aus welchem Werk klar erkannt wird, was dieser Schmied für ein Meister ist, wer ihn zu einem Meister gemacht, und wem er dient [...] Er berühmt sich auch, dass er das Schandbüchlein hab gemacht von den fünfzehn Bundesgenossen, droht auch noch mehr und größere Schandbüchlein zu machen, ist ihm dazu leid, dass das gemeldete Schandbüchlein von den fünfzehn Schelmen nicht Frucht hat gebracht, so er verhofft hat, Umkehrung oder Umstürzung der Klosterleute. Aber Gott sei Lob, bisher hat er nichts geschafft mit seiner Unsinnigkeit.“ 146 Die Art und Weise, wie unter Anspielung auf Eberlins Namen er mit den biblischen Verwüstern von Gottes Weinberg gleich gesetzt wird, grenzt den ehemaligen Bruder nur noch aus, ohne mit ihm in ein ernsthaftes Gespräch einzutreten. Aber nur in einer solch konsequenten Dämonisierung des Andersdenkenden schienen sich die befürchteten Gefahren abwenden zu lassen. So sah es nun Schatzgeyer mit anderen Vertretern einer sich formierenden Ge-

144 Ansätze zu einer differenzierten Betrachtung zumindest des Franziskus finden sich bei Luther eher als bei Eberlin. Damit mag zusammenhängen, dass Luther nur zu Lamberts „Evangelici Commentarij“ eine Vorrede schrieb und dass sich die Publikation von Eberlins Schrift so lange verzögerte. 145 Mit seiner theologischen Kritik an Franziskus wehrte sich Luther gegen ein Bild des „Heiligen“, das nicht mehr in Frage gestellt werden konnte. Siehe Luther, Ein Sermon auffs fest aller heyligen: „Da must jr nun selbs richten das er gefelt hat und gestrauhelt, das hat dannocht hinden nach der Bapst bestetiget. Darumb so man euch wurdt für werffen, sant Franciscus hab also gelebt und sey dannocht ein heylig man gewest, so werfft jr widerumb Christum auff, der hat anders gelebt und ist auch ein heylig man gewest. Wenn sie sagen: so hat gelehrt Franciscus, so sagt jr: so hat gelehrt Christus, nun wem soll man volgen? Da muessen sie dann selbs bekennen: Christo, so beschließt jr sie frey. Wenn sie herkummen und ruemen der heyligen leben und alte gewonhait, so ruemet jr Christum, der hat anders gelert, hat auch wol lenger gelebt, wenn sie all zu mal. Also werfft jr dann ymmer zu ein heyliger auff wann sie, dann werden sie auch den nit umbstossen. Also vil ist nun das gesagt: ‚Selig seind die armen‘: verzeyhet euch des zeytlichen guts, steet nit mit dem hertzen darauf, so ist der hymel euer“ (WA 10/3, 404,8–32). Vgl. auch Reblin, Freund und Feind 39f. 146 So Schatzgeyer, Kaspar: Von dem waren Christlichen Leben. Augsburg 1524. Zitiert nach Peters, Johann Eberlin von Günzburg 171. Vgl. dazu Ps 80,14. Siehe zu dieser Schrift Schatzgeyers Köhler, Flugschriften Fiche 1917/19 Nr. 4910 bes. Fiche 1918 (A 2v); ders., Bibliographie I/3, 402 (nr. 4062).

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genreformation, die in der katholischen Kirche mehr und mehr zum Zuge kam. Eberlins grobe Polemik freilich legte eine solche Gegenreaktion nahe.147

3.5. Friedrich Myconius (Mecum) Anders als Johannes Schwan, Franz Lambert und Johann Eberlin war Friedrich Myconius (Mecum) schon früh eng mit der Franziskanerprovinz Saxonia verbunden. Im fränkischen Lichtenfels/Main 1490 geboren, wurde er auf die damals bekannte Lateinschule im sächsischen Annaberg geschickt.148 Dort trat er 1510 in das 1501 gegründete Kloster ein, das damals zur Observantenvikarie der Saxonia gehörte.149 Später berichtet Myconius von einem Traum in der Nacht seines Ordeneintritts, in dem ihn eine apostolische Gestalt nach dem Bild des Paulus aus der Wüste in ein weites Erntefeld führte, was er zunächst als franziskanisch-observante Berufung verstand.150 Als Myconius 1517 von Luthers reformatorischem Auftreten hörte und ihm im Weimarer Franziskanerkloster (29./30. 9. 1518) persönlich begegnete, erkannte er in ihm die paulinische Gestalt seines Traumes: „Aber später im Jahre 1517 habe ich erfahren, dieser Paulus sei zu mir gekommen in D. Martin Luther. Ihn sah ich, als er zu Lebzeiten [Kaiser] Maximilians nach Augsburg reiste und zu Weimar bei den Franziskanern übernachtete, auch morgens die Messe feierte. Damals war Luther mager im Gesicht und am ganzen Leib, aber sein Gesicht war mir jenes paulinische Gesicht. Meine Mönche ließen mich nicht einmal mit einem Wort zu ihm kommen. Ich sah sofort ganz klar, es sei der heilige Paulus. So nämlich hatte ich ihn unter den Aposteln gemalt gesehen.“ 151 147 Auf Eberlins weitere Wirksamkeit wird nicht mehr eingegangen. Sein Weg führte später wieder nach Süddeutschland zurück, aus dem Bereich der franziskanischen Saxonia heraus. 148 Vielleicht war dafür maßgebend der spätere Rektor dieser Schule Andreas Weidner aus Staffelstein, ein Landsmann des jungen Lichtenfelsers, der ihn dann zum Ordenseintritt bei den Annaberger Franziskanern bewegte. Vgl. Scherffig, Paul: Friedrich Mekum von Lichtenfels. Leipzig 1909 (Quellen und Darstellungen aus der Geschichte des Reformationsjahrhunderts, 12) 5, 18. 149 Vgl. insgesamt Delius, Hans Ulrich: Myconius (Mecum), Friedrich OFM (1510), Reformator. In: LThK3 7, 567f.; Ulbrich, Heinrich: Friedrich Myconius 1490–1546. Lebensbild und neue Funde zum Briefwechsel des Reformators, mit einer textgeschichtlichen Einleitung und einem Korrespondentenverzeichnis der gesamten Erstausgabe. Tübingen 1962; Delius, Hans Ulrich: Der Briefwechsel des Friedrich Myconius 1524–1546. Tübingen 1960 (Schriften zur Kirchen- und Rechtsgeschichte, 18/19); ders.: Friedrich Myconius. Das Leben und Werk eines thüringischen Reformators. Diss. Münster 1956; Ledderhose, Karl-Friedrich: Friedrich Mykonius, Pfarrherr und Superintendent von Gotha. Ein Leben aus der Reformationszeit. Hamburg – Gotha 1854. 150 Siehe Scherffig, Friedrich Mekum 20–26. Vgl. dazu: „Somnium Friderici Myconii, ostensum ipsi Anno Christi 1510, cum Lutherus nondum scripsisset contra Papam. Somnium quod ostensum est mihi Friderico Myconio, anno Domini 1510, aetatis meae 20, in nocte precedente festum divisionem apostolorum, in monte Divae Annae, in prima nocte ingressus mei in monasterium et Religionem Franciscanorum seductorum et alios seducentium.“ Zitiert nach dem Autograph von Myconius: Chronica collata a D. Friderico Myconio, seniore, episcopo Gothanae ecclesiae. Forschungs- und Landesbibliothek Gotha, Chart. B 153, 30r–38r. Es war also die Nacht vom 14. auf den 15. Juli 1510, an dem man das Fest „Divisio Apostolorum“ (Teilung der Apostel) feierte. 151 Siehe Myconius, Chronica collata, ebd. 38r: „Sed postea anno 1517 comperi paulum hunc ad me venisse in D. Mart. Lutherum quem vidi, cum vivente Maximiliano, Augustam proficisceretur, et Vimaria apud Franciscanos pernoctabat, mane etiam Missam celebrabat, erat tunc Lutherus macilenta facie et toto corpore, sed vultus

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Diese Identifizierung Luthers mit dem traumhaften Bild des Paulus mag bei Myconius durch seine Hinneigung zum reformatorischen Programm Luthers vorbereitet gewesen sein. Als er, ausgebildet in Annaberg, Leipzig und Weimar, nach seiner Priesterweihe 1516 zu Weimar seine erste Heilige Messe gefeiert hatte,152 kam er wohl schon bald in Kontakt mit reformationsgeneigten Kreisen der dortigen sächsischen Residenz.153 Einige Franziskaner, aber vor allem manche ihrer Freunde in Weimar sympathisierten früh mit Luther, wie es Myconius in einem Bericht von Luthers Aufenthalt dort andeutet: „Doctor Martinus zog Anno 1518 in Septembri nach Augsburg, lag ein Nacht zu Weymar im Barfüsser-Closter: do er noch ein Meß hält, und war noch eins mit den Mönchen. Und als der Mönchen Provisor Johann Kestner aus Mitleiden sagt: o liber Herr Doktor! die Wahlen [Welschen] sind bey Gott gelert Leut. Ich hab Sorg, ihr wird euer Sachen für ihn nicht erhalten können. Sie werden euch darob verbrennen. Darauf antwortete Luther: Mit Nesseln gieng hin, aber mit Feuer wäre es zu heiß. Lieber Freund! bitt unsern HerGott im Himmel mit einem Vater unser für mich und sein liebes Kind Christum, des mein Sach ist, daß er dem wolle gnädig seyn. Erhält er nur dem die Sachen, So ist sie mir schon erhalten: will ers aber dem nicht erhalten können: so muß er die Schand tragen.“ 154 Die zunehmende Polarisierung zwischen Anhängern und Gegnern der Reformation scheint jedoch bereits um 1520 zu größeren Auseinandersetzungen im Weimarer Kloster geführt zu eius erat ille meus Paulinus vultus. Monachi mei non permittebant, ut eum vel uno verbo convenirem. Ego prorsus statim vidi Divum Paulum esse, sic enim illum pingi videram inter Apostolos.“ 152 Die Ausbildung als junger Franziskaner sah Myconius später als sehr enttäuschend an, sodass er sich von einem frustrierenden Studium mit handwerklichen Arbeiten abgelenkt haben will. Wie er aber im Brief an Paul Eber seine Studienleistung beschrieb, wies eher hin auf eine selbst zugemutete Überforderung (vgl. dazu Scherffig, Friedrich Mekum 27f.). – Zur Primiz in Weimar siehe Cyprian, Ernst Salomon (Hg.): Friderici Myconii Historia Reformationis vom Jahr Christi 1517 bis 1542. Aus des Autors Autographo mitgeteilet und in einer Vorrede erläutert. Gotha 1715, 15f. [A 8rb]: „Anno 1516 ward ich Friedrich Mecum Priester geweiht zu Weymar und sang, wie es dazumal unter dem Papst Gewonheit war meine erste Messe auf dem Pfingstag. Darbey waren die zween [späteren] Churfürsten zu Sachsen Hertzog Johanns und Johanns Friedrich, und dies ist die letzte papistische Erste-Meß gewesen, die die Churfürsten zu Sachsen verlegt haben. Anno eodem ward ich zum Predig-Ambt zu Weymar verordnet im Jahr meines Alters 25 und thät etlich wenig Predigt von der Heiligen Leiden und Legenden, doch ohn sonderlichen Schaden. Denn Gott erhielt mich, daß ich nicht viel Pabst-Artikel gelehret hab.“ Vgl. auch insgesamt Clemen, Otto (Hg.): Friedrich Myconius – Geschichte der Reformation. Leipzig 1914 ND Gotha 1990. 153 Das erzählt ein Nachtrag von anderer Hand zu Myconius, Chronica collata, Gotha, Chart. B. 153, 63r: „Der herr friedrich Mecum, welcher hernach lange pfarrherr zu Gotha geweßen, und herr johann Voitichen, pfarrherr zu Burgh sind miteinander hire im Closter geweßen, vnd haben die Zwene hochlobliche Churfürsten hertzog Friedrich vnd hertzog Johannes ein sonderliches Gefallen gehabet an Er Johann Voitichens predigten, die sie ser gerne gehört, wie denn auch hertzog Johann Friderich der Churfürst, der die Zeit noch ein junger herre war. Doch brachte er, one Zweipfel auß seines hern Vaters angeben dem prediger Er Johann Voith, allerley schriften Doctoris Lutheri zu, welche er mit Er Friedrich [Mecum] vnd etlichen andern durchlaß, vnd almelich eben dieselbigen leren auch auf die Cantzel brachte vnd seinen Zuhörern mitteilte, die es auch begierig auffnamen.“ Vgl. dazu auch Scherffig, Friedrich Mekum 29f. Johannes Voigt (Vogt, Voith, Voitichen) scheint damals der attraktivste Prediger im Weimarer Konvent gewesen zu sein. Ihn sollen jedenfalls die damaligen Fürsten von Sachsen, sofern sie in Weimar residierten, Kurfürst Friedrich der Weise, Herzog Johann und Erbprinz Johann Friedrich, bevorzugt und ihm bald eine größere Offenheit für die beginnende Reformation zugetraut haben. Allerdings wurde das bereits aus einem größeren zeitlichen Abstand erzählt, wohl nicht mehr von einem unmittelbaren Zeugen der Ereignisse. 154 Cyprian, Myconii Historia Reformationis 30f. [B  7v–8r]. Der Provisor des Klosters war ein Bürger der Stadt, nämlich der weltliche Sachwalter ihrer wirtschaftlichen Angelegenheiten, die die Observanten nicht selbst als ihre eigene Sache ansehen und verwalten durften.

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haben.155 Dem wollte man gegensteuern mit der Versetzung von Myconius nach Eisenach, Leipzig und Annaberg156 und später mit dem Einschreiten gegen Johann Voigt.157 Dieses Vorgehen, das bei Johann Voigt seit 1523 genauer zu erkennen ist, soll nach dem eigenen Zeugnis von Myconius ihn selbst schon früher getroffen haben: „Die Mönche haben mich deswegen fünfmal relegieret, und anderthalb Jahr so genau eingeschränkt, daß ich weder mit jemand reden, noch an jemand schreiben oder Briefe von jemand annehmen konnte. Ja sie droheten mir schon mit ewigem Gefängnis, und wollten mich lebendig begraben, wie sie es Hilteno gethan. Ich bekannte das Evangelium sechs Jahre lang unter den Mönchen, und wo es nur erlaubet war von Christo zu predigen, da lehrte ich, wie es bey der Vergebung der Sünden und dem ewigen Leben allein auf den Glauben ankomme; denn ich fassete den Inhalt dieser Lehre gar bald. Endlich hat Gott, nach siebenjähriger Peinigung, so ich von und unter den Mönchen ausgestanden, auch den Leib von ihrer Gewalt befreyet, da das Gewissen die Freyheit schon lange genossen.“ 158 Danach müsste die Hinwendung des Myconius zur Reformation schon früh begonnen haben, das offene Auftreten dafür und die entsprechenden Predigtverbote etwa seit 1518, die schärferen Einschränkungen von Leben und Wirksamkeit seit 1522. Daran erinnerte sich Myconius im Alter, er wollte die ausgestandenen Leiden um des Evangeliums willen hervorheben und entsprechend der Klosterhaft des Johannes Hilten159 das drohende Begräbnis bei lebendigem Leib betonen. Vergleichbare Maßnahmen waren im Gebiet des albertinischen Sachsen, wo Myconius in Leipzig und Annaberg die Herrschaft des Reformationsgegners Herzog Georgs erlebte, durchaus möglich. So konnte Myconius erst 1524 nach Zwickau flüchten, wo er die volle

155 Im Nachtrag zu Myconius, Chronica collata, Gotha, Chart. B. 153, 111rv: „Da erstlich die lere des heiligen euangelii auffkam. Hat Er Fridericus Mecum sunst Myconius genant, Er Johann Voitichen vnd andere wenig in diesem Kloster im Jahr 1520 vnd vielleicht auch etwas ehr angefangen Evangelisch wider des Bapsts Bullen zu predigen, da wolten es die andern Brüder nicht leiden, gaben die neuen Prediger dem Teuffel, und predigten auch hefftig wider sie, aber unsere burger etliche haben die monche offentlich in der kyrche heißen liegen, das schier ein auffruhr drauß wer worden. Aber die hohe oberkeit, die albereit auch erleuchtet war mit dem lieben Euangelio hat solchs widersprechen ihn wol gefallen lassen. denn sie darauß der Christen Eifer vnd liebe zur warheit spureten vnd vernahmen.“ Vgl. dazu Scherffig, Friedrich Mekum 31. 156 Vgl. Scherffig, Friedrich Mekum 34. 157 Von der Verfolgung Voigts (Vogt, Voith, Voitich) durch die eigenen Brüder 1523 berichtete der Nachtrag zu Myconius, Chronica collata (Gotha, Chart. B. 153, 111v), nämlich von gewaltsamen Nachstellungen, die nur durch Gegendrohungen abgewehrt werden konnten: „Hernachmals anno 1523 als die mönche sahen das Er Johann Voitichen oder Voiht welcher hernach Pfarrherr zu Burgel lange Zeit geweßen bey hertzog friedrich dem fürsten vnd seinem Herrn Bruder hertzog Johannes mit seinen predigten in grossen ansehen und gnaden war, gedachten sie ihn auf einmal mit gewalt zu dempfen, weil sie sunst mit der schrift ihn nicht überwinden kundten. Aber da war ein Bruder dem der Keller befohlen war, der hatte gleich ein kerpmesser, wie die Buttner gebrauchen, in seinem ermel, wischte damit herfur vnd bedrawete die schreiende mönche mit ausgestreckten kerpmesser, als wolte er unter sie faren, wo sie Johann Voith angriffen wurden. Da zerliefen die schelke alle, ein jeder in seine Zelle, und Er Johann kam als vnverletzt hervor.“ Vgl. auch die andere Version bei Scherffig, Friedrich Mekum 32. 158 Siehe Bertram, Johann Friedrich (Hg.): Friderici Myconii evangelischen Pastoris und ersten Superintendenten zu Gothe erbauliches Schreiben an Paulum Eberum [Paul Eber]. Aus dem Lateinischen ins Teutsche übersetzt und zu allgemeiner Erbauung ans Licht gestellet. Halle 1776, 47f. [C 8rv]. 159 Siehe oben Kap. 1, Anm. 18f.

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Rede- und Publikationsfreiheit erlangte und sein Eintreten für die Reformation greifbar wurde.160 Das entscheidende Zeugnis dafür findet sich in der Schrift: „Eyn // freüntlich // ermanung und troestung // aller freündt und liebhaber gottis // wort yn der loblichen beruempten // Pergkstadt S. Annapergk / // von wegen viler anstoeß die // sie teglich überfallen umb // Evangelischer lere und Christliche freyheit willen. // Etwan in der Parfuosser München tauff // Franciscus / Aber in Christi Jhesu eyni=// ger tauff genant Fridericus Mekum von // Liechtenfelß.“ 161 Den Annabergern fühlte sich der bisherige Franziskaner Bruder Franziskus, nun wieder in Erinnerung an die eine Taufe Jesu Christi „Friedrich Mekum von Lichtenfels“ besonders verpflichtet; denn ihren Hunger nach dem ‚klaren, lauteren, unvermischten Wort Gottes‘ hatte er miterlebt und doch nicht stillen können: „Weyl es nu so gar arg worden ist / sag ich / wie got mein hertz weiß / das mich meyn lebtag keyner stadt / noch leüdt / nye serer geyamert hat / das ich solt solchen hunger des Goetlichen / klaren / lautern / vngemenckten wortt Gottis / sehen: vnd doch nit kundt zuo hilff kommen / Denn ich was achtzehen wochen also verwardt / das nyemant mit mir / auch ich mit nyemant gereden kundt / Denn der Teüffel muest sich wider an mir rechen: seyn mündtlein kuel / darumb das ich etwan mitt Gottis worts ruodten yn seine kinder weynen gemacht hat / vnd seynen reychsgenoessen ein wenig yn die taschen geblosen / Des schadens kann er nymmer vergessen / Hoff aber Christus wer ym wider eyn stücklein sehen lassen: solts yn auch noch so sehr verdriessen / Got lob er hatt mich auß seynen Babilonischen glueenden ofen geledigt / Ich hoff aber ich woel noch Gottis ehr vnd herligkeyt singen vnd pfeyffen / wann auch die gantzen hel verdruß / Will mit disem puechlein / vnnd denn zweyen predigen die ich hye gethan angehoben haben / Bit got das er nach truck / es sol gar baldt noch baß klingenn.“ 162 Das Myconius auferlegte Schweigen, das er mit dem Einsatz für das reformatorisch verstandene Wort Gottes erklärt sowie mit dem Ärger und Schaden bei den „Teufelskindern“, den dämonisierten Gegnern der Reformation, hatte ihn bisher gehindert, den Annabergern zu Hilfe zu kommen. Aber die Befreiung hat ihm Mut gemacht zu größerem Engagement. Doch die achtzehn Wochen ganz eingeschränkter Kommunikation hatten eine tiefe Verbindung gerade zu den Menschen in Annaberg geschaffen. Und Myconius wollte nun den ihm aufgetragenen apostolischen Dienst tun: „weil ich eygentlich weyß / das eüch nit kleinere / sonder wol groessere / oder ya gleyche übel vnder augen stehen / Muoß ich thunn wie der trewe Legat / vnnd rusttzeüg Christi / Paulus / der seiner eygnen ketten / gefenckniß / kerckers / vnd leydens vorgisset / auß 160 Vgl. Scherffig, Friedrich Mekum 34. Hier ein Schreiben des Buchholzer Bergvogtes Matthäus Busch, der sich zuerst des aus Annaberg entwichenen Ordensbruders annahm. Siehe auch den Hinweis auf die Zwickauer Chronik Peter Schumanns: „1524 am Ostersonntage hat [...] zu U. l. F. [Unser lieben Frauen] ein munch mit namen Johan Votichen, szo zu Weimar ausm Kloster gangen, gebrediget, und nachmittag hat [...] zu U. l. F. einer gepredigt mit namen Friedrich Mecum, der ist uß S. Annaberg ausm Kloster gangen.“ So nach Delius, Friedrich Mykonius 12! Johann Voigt und Myconius haben, vielleicht nicht ganz ohne Absprache miteinander, ihren Klosteraustritt in Zwickau publizistisch für die Reformation ausgewertet. 161 Siehe Myconius, Friedrich: Eyn freüntlich ermanung. Zwickau 1524, A 1r. Vollendet wurde dieser offene Brief an die Freunde der Reformation zu Annaberg in der kurfürstlichen Stadt Zwickau, am Donnerstag nach Ostern 1524 und dort, wie vorher Johann Voigts Neujahrspredigt von 1523, bei Jörg Gastel 1524 gedruckt. Zur Schrift des Myconius, vgl. Köhler, Flugschriften Fiche 934 Nr. 2329; ders., Bibliographie I/3, 119 (nr. 3423). 162 Myconius, Eyn freüntlich ermanung, D 2v.

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brennender lieb / allein gedenckt / Wie er andere troesten / fordern / vnnd stercken müge. Dann ich befind mich ya dartzuo pflichtig vnd schuldig nur allein darumb das yr mich / on alles widergeltenn / wol achtzehen wochen ym closter / enthalten / generet / gespeyset vnd trencket habt / Sonder auch das ich erkenn vnd weyß / das nu von wegen gemeynes Creützes vnd verfolgung / ewern glauben vnd liebe zuo bestendigkeit vermanen / mer verpflichtigt / Auch leydet die zeit vnd zuonehung des creütz nit eüch lenger vngerust vnd vngehertziger zuo lassen den die anfechtung ist schon vor der thür / der schauer vnd stürwindt prauset do her / vnd stelt sich greilich als woel er alles zuo poden stossen.“ 163 Unterhalt und Nahrung, Speise und Trank, die Myconius von Seiten der Annaberger im Kloster erhielt, meinten wohl nichts anderes als die Unterstützung, auf die das Kloster angewiesen war, also vielleicht keine heimliche Nahrungszufuhr für den Bruder im Hausarrest.164 Das nahm Myconius jedenfalls nicht so wichtig wie seine Anteilnahme an den Schwierigkeiten, die die Annaberger Sympathisanten der Reformation genauso, ja noch mehr belasteten als ihn selbst. Denn der eigentliche Sturm der Anfechtung stand ihnen noch bevor, sodass sie auf die Hilfe von außen besonders angewiesen waren: „Darumb Christlichen liebsten Brueder / wie wol ich ym synn het / eüch vorhyn zuo berichten / warumb man mich so lang ym Closter heymlich verwardt / nie mit Christi wort / vor sein volck zum liecht kummen lassen / Auch weßhalben / ich mich von disen andechtigen helßkrümmern vnd ketzerfeyndten entwandt / vnd nun mit dem froelichen hauffen am Palmsonntag früe / Christo gegen dem oelperg entgegenzogen bin / im helfen yn sein reych einfueren / auff das die schwachen bey eüch / sich nit meines thuns ergerten vnd auff gottes weg zuoruck tretten / muoß ich doch ytzt das redlein vmbkern / das hinderst zuo foderst setzen versuchen ob ich doch ein wenig mit gottis wort ewer glauben stützeln vermüge / auf das er doch nit gar / yn dieser sundtflut vnd sturm des glaubens untergehe / Die weyl mir gegenwertig von meinen fromen geystlichen vettern nye gestadt wardt / mundtlich zuo ewern Bruederlichen Christlichen hungerigen hertzen vil oder wenig zuo reden / Nur fordert bruederlich lieb weil ich von Christi schaffen milch gessen hab / das ich auch widergeltung thüe / Vnd am Weyngarten hack und arbeyt von dem ich mich so lanng generet hab.“ 165 Einen Bericht über die Gründe seiner ‚heimlichen Verwahrung‘ im Annaberger Kloster und seiner Flucht aus dieser Klosterhaft, den Myconius eigentlich zu verfassen beabsichtigte und mit dem er die ‚Schwachen‘ vor Ärgernis bewahren wollte, wird er nun leider nicht geben. Denn vordringlicher war in der Anfechtung die Stützung des Glaubens, die mündlich ja nicht gestattet war, aber nun schriftlich nachgeholt werden musste, um wenigstens nachträglich den gegebenen Lebensunterhalt zu vergelten. Obwohl Myconius in der Anfechtung zu Ausdauer und Geduld ermahnte, wusste er doch, wie schwer das werden konnte: „Nemet auch eyn ebenpild yetzt schir von allen Christlichen gemeynen: denn der Teüfel alleyn zuo gleych entsagt hat / vnd wider sie stürmen / denn yr leydet nit allein: sonder die gantze Bruoderschafft ya Christus leydt mit / Ich hoff yr wisset was die von Miltenperg leyden: vnd alle ewre nachpauren: Was sollten yetzt die grossen herren sonst vor die lange weil fürnemen: da mit sie sich erlustigten? Was sollten Bischoff / Abt / 163 Ebd. A 2rv. Am Rand Hinweise auf Eph 3,1; Kol 4,3; 2 Tim 1,8. 164 Anders Scherffig, Friedrich Mekum 36f.! 165 Myconius, Eyn freüntlich ermanung, A 3v. Am Rand Hinweise auf 1 Tim 5,17f.; 1 Kor 9,7.

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Thumbherren / vnnd soliche gotfoerchtig leüt thun / wenn sie sich auff dem wald am geiagte muede gereyten: Darnach schwach gtrincken / vnd kranck getantzen vnd spilen / denn das sie zuo zeyten vor die lange weil got zuo lob / yren armen selen zuo trost / vnnd gemeyner Christenheyt zuo nutz / die Luterischen poeßwicht stocken vnd pflocken: got also zuo eren seine kinder ermorden: seine zarte edle wort vertilgen / verprennen: vnd der armen pewerlein für die lange weil / wenn sie jm gefroenet haben: ein weyl lachen vnd spotten: Inen auch auflegen (wie sie dann thun) das sie ya yren Christlichen: und herlichen gewalt und mayestat beweysen gepiten das sie ynen zuo fron tantzen muessen: O hymlischer vater schleffstu? Oder sichtus nitt? Wie lanng kanstu dulden / das diese vnverschempte hund / trachen vnnd Wolff / deyner kindlein spotten: sie so schentlich sudeln vnd handeln / Nym dich doch ire einmal an / Thuostu doch gleych / als weren sie nit deyne Creaturen: sonder hettest yr gar vergessen.“ 166 Die gleiche Leidenserfahrung verband die christlichen Gemeinden reformatorischer Prägung; denn alle erlitten nach Myconius den Ansturm des Teufels, dem sie entsagt hatten, und die ganze Bruderschaft, ja Christus selbst hatte mitzuleiden. Diese Jagd der großen Herren, besonders der Bischöfe, Äbte und Domherren, auf die ‚lutherischen Bösewichte‘ und die ‚armen Bäuerlein‘ konnte Myconius nur noch sarkastisch als angeblichen Dienst für Gott, für das Heil der Seelen und für das Gemeinwohl karikieren. Gott selbst müsste eingreifen und tut es nicht, so klagte Myconius schließlich in der Art eines biblischen Klageliedes; denn bestialisch fiel man über die Kinder Gottes her, als hätte Gott sie vergessen. Das klang zunächst so, als läge für Myconius die Verantwortung für die Härte der Auseinandersetzung nur auf Seiten der Reformationsgegner. Doch Myconius deutete an, dass der Gebrauch der christlichen Freiheit auf reformatorischer Seite oft nicht von der gebotenen Rücksicht auf die „Schwachen“ bestimmt war: „Habt yr eüch yn solchem fleysch essen / als die sach der Euangelischen freyheyt noch auff die zeit stund / ein wenig vergriffen / vnd ein wenig vnpillich / yn pillichen dingen gethan / auch Christlicher freyheit nit gar vnd gantz reyn christlich gebraucht. Denn wie eüch durch ewere prediger / vnd etzlicher gottis diener schrifft vnd lere anzeygt. Sein wir also von Christo gefreyet: das wir doch bleyben diener vnd knecht gottis / vnd allen vnsern schwachen bruedern zuo gefallen knecht vnd schwach sein muessen.“ 167 Die christliche Freiheit durfte also nicht zu Willkür entarten, sondern stellte erst recht in den Dienst Gottes und der schwachen Brüder. Hier hatte Myconius ganz Luthers Lehre verinnerlicht, dass christliche Freiheit und Dienst für andere in eins zu gehen haben: „Dann ich besorg mich seer / das vil des yamers / übels / vnd leydens / die uns überfallen / vnd teglich anstossen / fast sich do her spinnen / das wir allzuo gantz rohe / frech / vnd vnhübsch mit der sach faren sam wer es kinderspil und gauckelwerck / vnd vnser kleynen schwachen brueder zuo wenig achten / alß werens nit auch vnsers vaters kinder.“ 168 Die Schwierigkeiten, mit denen die reformatorische Bewegung zu ringen hatten, haben also etwas mit dem rohen, frechen und unschönen Umgang mit ihrer Sache zu tun. Daher verlangte 166 Ebd. D 1v–2v. Zu den Auseinandersetzungen in Miltenberg im Februar 1524 und zur Unterdrückung der reformatorischen Bewegung dort im kurmainzischen Herrschaftsgebiet des Erzbischofs Albrecht von Brandenburg, vgl. Brecht, Luther II, 86f. 167 Myconius, Eyn freüntliche ermanung A 4r. 168 Ebd. A 4v.

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die Sicht auf die Schwachen Rücksicht auf sinnvoll geltende soziale und religiöse Ordnungen, sonst wurde die Sache selbst, die grundlegende christliche Freiheit, verkannt und verachtet: „So rueffen und schreyen vnser widerpart / vnd geben auß / die gantze sach sey vnrecht got wider / eytel teüfflisch ding / hellisch gespenst / vermanen yederman / an allen gassen vnd strassen / das man sich vor Euangelischen predigen vnd ler huete als vor eytel gifft / machen hier nur vil einfeltiger frummer hertzen stützig. Mich dunckt auch (yrre ich anders nit) daz beweg etliche Oberherrn / das sie der Euangelischen lere so ganntz entgegen seyn / das sie die weder / hoeren / sehen noch leyden koennen.“ 169 Das Bedenken solcher Gefahren erlaubte allerdings nicht die Preisgabe der grundlegenden Freiheit des Gewissens, das selbst zu entscheiden hat, was gut, sinnvoll und förderlich ist für den Nächsten: „Meynet kurtzlich das in solchen dingen / als feyern / essen / trincken / vnd allem was got nit gepoten hat / das hertz frey ist / vnd das thun / lassen / ueben / brauchen / müge wie / wenn / wo / und so offt es ym gefelt vnd das nützlich foderlich / vnnd pesserlich seynem nechsten erkendt / Wo man aber yemant dringt solche freyheit nit zuo brauchen / ist nichts anders / dann ein gewalt / den man vmb gottis vnnd gerechtigkeit willen leyden muoß.“ 170 Die christliche Freiheit kam dort an ihre Grenze, wo Gewalt zu erleiden ist, Verfolgung und Bedrängnis um Gottes und der Gerechtigkeit willen. Diesen Grenzfall und seine Herausforderung für den Glauben kannte Myconius aus eigener Erfahrung: „Weyl ich aber yn disen meynen verfolgungen / domit mich meyne lieben brueder / got / dem bapst / vnd bauch zuo eren vnd gefallen / verfolget vnd vmbtriben haben / wol erlernt vnd erfarnn hab wie gantz schwach / vnd gebrechlich dingk es ist vmb eynen armen menschen / der noch nit yhm glauben recht bekrefftigt vnd starck eyngewurtzelt ist / das er Christum mit gleychen gemuet / freüden / vnd wunne / weyß anzuonemen / So er mit sauern / zornigscheynenden angesicht kompt / als wen er freüntlich / zuo schmutzelt vnd anlechelt / Ich rede ytzt von mir / Ich bin offt auf gehlinge plützling vnfal sol [!so] schnel gestürtzet wurden / vnd von disen zarten ketzerschreiern so vnversehens angestormet / das ich nitt wust / wie ich mich an got vnnd sein wort hengen solt / das ich mocht bepaumeln / kündt mich auch unter solchen windes werbln und gepreüß / kaum besinnen wie ich Christum fassen solt / daz er mir nit entpfil. Acht nu wol ir seyt auch von der derselben erden gegossen / habt den edlen schatz / auch in einem schwachen sparbüchslein das es nit ganntz vnpillich geacht werd / das ich eüch auff disem wuetigen mehre / zeyge doch eyn wenig / wohyn mann sich doch richten soll.“ 171 Mit diesem sehr persönlichen Eingeständnis eigener Schwäche in der Anfechtung, besonders im Ansturm der Gegner aus den eigenen Reihen, stellte Myconius sich auf eine Stufe mit seinen Adressaten, sodass er von gleich zu gleich Orientierung „auf diesem wütenden Meere“ geben konnte. Die seelische und seelsorgliche Reife, die Myconius in den harten Auseinandersetzungen erlangte und die zu seiner Offenheit für Menschen in ähnlicher Lage geführt hat, entsprang für ihn existentiell aus dem Rechtfertigungsglauben. Die Gegner aus Orden

169 Ebd. B 1r. 170 Ebd. B 1v. 171 Ebd. C 1v–2r. Am Rand Hinweis auf 2 Kor 4,7.

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und Kirche konnte Myconius leider kaum noch verstehen, obwohl er sich gegen Hass und Feindschaft verwahrte: „wer wolt sich solcher armer / stoltzer / plindter geyster nit erbarmen / vnd vor Gotis gerechten zorn erschrecken: Drumb lieben brueder zymbt gar nit sie zuo hassen / oder zuo schelten / Sonder bit gott vor sie wie Christus leret / Bit für ewre feyndt / vnnd die eüch verfolgen / Vnnd Paulus / Laß dich keyn arges überweldigen: sonnder überwind du das arge mit guottem.“ 172 Die evangelische Weisung zum Erbarmen auch für die Gegner und zum Gebet für die Verfolger führte aber bei der Verhärtung der Fronten noch nicht zum Verständnis oder gar zur Versöhnung. Die Gegner kämpften bei ihrem Kampf gegen die Reformation nach Myconius „Gott, dem Papst und Bauch zu Ehren und Gefallen“173, das heißt Gott, für dessen Ehre und Wohlgefallen sie sich angeblich einsetzten, war in Wirklichkeit der Papst und der Bauch, das traditionelle papstkirchliche System und der Lebensunterhalt, den sie da finden. Dass letzlich der eine und gleiche Gott gemeint sein könnte, kam zwar in den Blick, aber nur als Zeichen äußerster Verblendung: „Wie solt sie Gott herter plagen / den das ehr sie also schendt vnnd plendt / das sie sich wider yn setzen / und so gar grundt tieff fallen lest / so nymmer glauben sollen noch wollen / das yr vermeynen übelthan sein. Wie etwan die frommen gotz freynde auch theten / die do yr wol virtzigk zuo hauffen schworen vnd thetten Got ein ynnigs andechtigs gefelligs gelübd / sie wollten keyn pissen essen noch trincken / sie hetten denn Paulum getoedt / Ach wie fromme leüdt / wie hertzlich meynten sie es / wie hitzigk opfferten sie vor gottis ehre / were yn gesagt het yhr thun wer poeß / hett on zweyffel muessen ein ketzer sein / vnd auß der Synagog gestossen werden / Dann sie woellen haben yr thun sey recht gefall Gott / es sey gleych Gott lieb oder leydt.“ 174 Die jüdischen Stammes- und Glaubensbrüder, die sich gegen Paulus wegen der angeblichen Verachtung und Übertretung von Gottes Gesetz verschworen und zu seiner Ermordung nach ihrer Meinung „Gott ein inniges, andächtiges, wohlgefälliges Gelübde“ ablegten, deuteten bei Myconius die Tragik solcher bis zur äußersten Intoleranz gesteigerten religiösen Auseinandersetzungen an. Myconius konnte das nur verstehen als eine von Gott verhängte Plage, als göttliche Schändung und Blendung der Gegner des Paulus wie der Gegner der Reformation. Immerhin war seine Einsicht in eine damals menschlich unlösbare Tragik weit entfernt von den antimonastischen Pauschalverurteilungen, die Myconius später übernahm: „Man hielte sie wie die lebendigen Heiligen, als die uns mit guten Wercken in Himmel brächten, und war doch ihr Leben das heßlichste unflätigste Leben, als auf Erden je bey Menschen hat seyn mögen. Denn weil sie nicht Eheweiber haben durften, und doch Weiber nicht entbehren kunten, noch wolten, erfülleten sie die Welt mit ungläublicher, unsäglicher Hurerey, Ehebrecherey, Sodomiterey und andern Sünden und Schanden; und durft sie doch niemand darum straffen. Denn sie waren allein unter dem Pabst, den hielt man als den wahren Gott und Menschen der nicht irren kunt, und den niemand einreden durfft.“ 175 172 Ebd. C 4v. Vgl. dazu Mt 5,44; Hinweis am Rand auf Röm 12,14. 21. 173 Siehe oben Anm. 171. Vgl. dazu Phil 3,19, Röm 16,18. 174 Ebd. C 4rv. Vgl. den Hinweis am Rand auf Apg 23,12–15. 175 Cyprian, Myconii Historia Reformationis 8 [A 4v].

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In dieses „Summarium“, das erst 1541 geschrieben wurde,176 floss ein, dass inzwischen manche Missstände eines aufgezwungenen Zölibates aufgedeckt wurden, die unter päpstlicher Exemtion unaufgedeckt und unbestraft blieben.177 Aber ein solches Pauschalurteil war Myconius noch fremd, als er selbst mit seiner eigenen klösterlichen Vergangenheit und Gemeinschaft abrechnete. Damals waren es rein religiöse Gründe, die ihn das bisherige klösterliche Leben als Gefängnis erscheinen ließen, aus dem er zu seiner eigentlichen Berufung befreit wurde: „Ich mein das mich der guetig vater darumb / eben auff diese zeyt / von disen Pharaonischen gefencknuß / Egiptischen kercker: vnd rechten huemelnest geledigt hab / wie etwan den lang geplagten Joseph / auff das ich wie etwan er seinen bruedern / auch yn disen engsten vnd hungerigen / doch ein wenig vor eüch sorget (welchs vor unmüglich war) Vnd also mein heyl versuoche ob doch Got durch mich wircken woel / das diese wuetende / prausende mehr pulgend / Christum vnd seine wort nit gar auß ewern hertzen wueschen.“ 178 Myconius fühlte sich befreit aus dem Kerker eines inzwischen qualvollen und verhassten Lebens, um einen neuen Auftrag von Gott zu empfangen, zunächst in der Glaubensstärkung seiner angefochtenen reformatorischen Glaubensbrüder, damit nicht „wütende, brausende Meereswellen“ der Verfolgung „Christus und seine Worte“ aus den „Herzen wüschen“. Diesen Auftrag konnte Myconius zunächst in Buchholz ganz nahe bei Annaberg wahrnehmen,179 bis er noch im selben Jahr durch Herzog Johann von Sachsen als Prediger und 1525 als Pfarrer in Gotha zu einer neuen Wirksamkeit berufen wurde. Damit konnte er zu einem fried­lichen Aufbau von Kirche im Sinne lutherischer Reformation beitragen,180 wie er es selbst am Beispiel des Bauernkrieges deutlich macht: „Zu Gotha sind gewesen: Ich, Friederich Mecum, Pfarrherr. Und wiewohl ich der allergeringsten einer gewesen, so muß ich doch die Werck Gottes durch mich getan rühmen. In der Bewerschen Aufruhr hat Gott durch sein Wort diese Stadt Gotha und die Pleg, dass sie nit aufrührerisch wurden, erhalten. Den Hauffen Bauern zu Ichtershausen beredet und zertrennet ich mit einer Oration, dass sie abzogen und niemand Schaden thäten. Die wollten die Schlösser Gleichen, Mülwerg, Wachsenburg schleiffen und den Adel vertreiben.“ 181 Dieses Talent zur Friedensstiftung konnte Myconius wahrnehmen, als er zu Visitationen in Thüringen und später nach dem Tode Herzog Georgs im albertinischen Herzogtum Sachsen eingesetzt wurde.182 Weil es da um die Durchsetzung der Reformation ging, kam für Myconius

176 Ebd. 8 [A 4v]. 177 Doch entscheidend wandte sich Myconius gegen die traditionelle religiöse Überhöhung des Ordenslebens. Vgl. ebd. 7 [A 4r]: „Do waren die fürnehmlichsten Stück der Geistlichen, daß sie gelobten ihr Leben lang Gehorsam, Armuth und Keuschheit: und wurden diese Gelöbnüß für ein höher Ding geacht, denn das ganze Leiden Christi, und wie [sie] öffentlich predigten, so solt es für Gott besser seyn, denn die Tauff selb.“ Schon in seiner ersten Schrift kehrte Myconius von der ‚Mönchstaufe‘ hin zur einen Taufe Jesu Christi. Vgl. Myconius, Eyn freüntlich ermanung, A 1r, siehe oben Anm. 161. 178 Myconius, Eyn freüntlich ermanung, A 3r. Vgl. den Hinweis am Rand auf die Befreiung Josefs und die dadurch mögliche Hilfe für seine Brüder Gen 41[–46]. 179 Vgl. dazu Scherffig, Friedrich Mekum 42–50. 180 Ebd. 51–57. 181 Cyprian, Myconii Historia Reformationis 51 [D 2r]. 182 Siehe Scherffig, Friedrich Mekum, wo neben den Visitationen (ebd. 67–87) die vielfältigen Kontakte zu den für die Reformation Verantwortlichen (ebd. 100–114) und die über Gotha hinausgehenden erzieherischen

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Toleranz für die Andersdenkenden und Andersglaubenden nicht in Betracht, wie ein Brief vom 21. August 1539 an den Rat zu Leipzig zeigte: „Auch Erbaren Wolweysen lieben herrn weys ich euch nicht zuverhalten, daß yhr keyn grosser Hynerniss des Evangelii yhn Leypzig habt, den eben die parfusser Bettelmonch unnd yhre pegynen. Die lestern und machen anhang, secten unnd parteyen yhn unnd umb die stadt, das ich besorg, Ihr werdet schwerlich eyntrechtigkeyt hie anrichten odder erhalten konnen, sie weren den versperret odder von dannen geweiset. Den dyses volk thuet yhm nit anders, den wies yhre vetter, die Pharisei und Zaducei, Baalim und Molochim auff sie geerbet haben.“ 183 Die Eintracht setzte, wie Myconius mit den Anderen in diesem konfessionellen Zeitalter, ganz im Einklang mit seinen katholischen Gegnern, meint, das religiöse Monopol einer Glaubensrichtung voraus. Dem mussten die Aktivitäten der papsttreu gebliebenen Franziskaner und der mit ihnen verbundenen Beginen, ordensähnlicher Frauengemeinschaften, zuwider laufen und somit als Hindernis des reformatorisch verstandenen Evangeliums erscheinen. Den Widerstand seiner früheren Ordensbrüder vor allem hatte ja Myconius schon zu Anfang seiner Hinwendung zur Reformation erlebt und auch später bestätigt gefunden. Die Disputation, die Myconius 1527 zu Düsseldorf mit dem Kölner Domprediger und observanten Franziskaner Johann Heller von Korbach führte,184 hat ihn offenbar in seiner Erfahrung und Überzeugung noch befestigt.185 Die Gegenseite beharrte ebenfalls auf ihrem Standpunkt.186 Die Disputation hing mit der Reise des sächsischen Erbprinzen Johann Friedrich zusammen, der aus Düsseldorf seine Frau Sybille von Kleve, die Tochter des dortigen Herzogs Johann von Jülich-Berg und Cleve, heimführte. Johann Heller, der damals zum Observantenkloster Brühl bei Köln gehörte,187 und pastoralen Tätigkeiten des Myconius (ebd. 119–145) ausführlich gepriesen werden. Vgl. auch Delius, Myconius (Mecum). In: LThK3 7, 568. 183 Siehe Delius, Briefwechsel des Mykonius 59 [n. 200]. Vgl. dazu Scherffig, Friedrich Mekum 119–122. Auch gegen die Wiedertäufer musste Myconius konsequent vorgehen (ebd. 94–100). 184 Zur Person des Kontrahenten von Myconius vgl. Henze, Barbara: Heller v. Korbach, Johann OFMObs. In: LThK3 4, 1413. Zur Vorgeschichte und zum Verlauf der Disputation siehe den etwas einseitigen Bericht bei Scherffig, Friedrich Mekum 87–93. Vgl. dazu die neuere Arbeit von Finger, Heinz: Reformation und katholische Kirche im Rheinland. Begleitheft zur Ausstellung der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf zum 500. Todestag Konrad Heresbachs und zum 450. Todestag Martin Luthers. Düsseldorf 1996 (Schriften der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, 26) 43–49. 185 Siehe Cyprian, Myconii Historia Reformationis 52 [D 2v]: „Zu Düsseldorf hielt ich öffentliche Disputation mit den Mönchen und Sophisten zu Cöln: aber sie mussten Christum lassen einen Seligmacher der Gläubigen und Richter der Ungläubigen bleiben.“ Siehe auch die anonym veröffentlichte Schrift des Myconius: „Handlung vnd Disputation (1527)“, neu ediert bei Schmitz, Cajetan: Der Observant Joh. Heller von Korbach. Mit besonderer Berücksichtigung des Düsseldorfer Religionsgesprächs vom Jahre 1527. Anhang: Neudruck der „Handlung und Disputation“ und Hellers „Antwort“. Münster 1913 (RGST, 23) 89–110. Zur „Handlung und Disputation“, mit der Myconius das ‚Düsseldorfer Religionsgespräch‘ 1527 zuerst bei Matthes Maler in Erfurt dokumentierte, siehe Köhler, Flugschriften Fiche 1069 Nr. 2706. Vgl. dazu und zu weiteren Druckausgaben Köhler, Bibliographie I/1, 330f. 186 Siehe Schmitz, Der Observant Joh. Heller 111–119: „Antwort broder Johan Hallers von Corbach observant uff eyn vnwahrhafftich smeychbuechlen, das yn der letsten Francfurder messe wydder en ys ußgangen.“ Vgl. auch Scherffig, Friedrich Mekum 93. 187 Ins Kloster Brühl war Nikolaus Herborn nach seiner Emigration aus Hessen gezogen (vgl. auch oben Anm. 117) und wurde dort im Mai 1527 Guardian (vgl. Kurten, Franz Lambert zu Avignon 58). Er war eng mit Johann Heller verbunden, den Herborn einmal in einem Brief „filium meum dilectissimum“ nennt

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hatte sich eigens nach Düsseldorf begeben, um dem befürchteten reformatorischen Einfluss entgegenzutreten. Die Reformation, vertreten durch Myconius als Prediger des sächsischen Prinzen, erweckte bei vielen großes Interesse. So wurde nach Predigten beider Seiten schließlich ein Gespräch für den 19. Februar 1527 angesetzt, das in relativ friedlicher Atmosphäre verlief.188 Doch die Veröffentlichungen zum Gespräch, in der jede Seite den Verlauf zu ihren Gunsten deutete, führten dann zur harten Konfrontation. Myconius behauptete, Johann Heller habe selbst seine Niederlage eingestanden. Dem konnte der Franziskaner nur heftig widersprechen, sodass der wirkliche Verlauf des Gesprächs umstritten bleibt. Die franziskanische Lebensform kam jedenfalls gar nicht zur Sprache, es ging um das richtige Verständnis von Kirche. Dabei betonte Heller die Sichtbarkeit der Kirche.189 Myconius meinte, dass die wahre Kirche der Auserwählten nur geglaubt werden kann.190 Interessant ist aber die Dikussion um die wahre Sendung in der Kirche: „Auff den vierten artickel wolt der Obseruant wissen, wer Mecum zupredigen gesandt hette etc. Antwort Mecum: Gottes Wort; fraget der Observant, wo es stünde. Antwort Mecum: Weil er nach der regel Pauli Rom. xiij. schüldig bey ewiger verdamnus der öberkeit gehorsam zusein, vnd yhm sein Landfurst aus krafft seiner öberkeit gepotten mit yhm zu zihen, seiner F[ürstlichen] G[naden] vnd der selben verwanten das Euangelion zuuerkündigen hette er Gottes gepot gehorcht, vnd were Gottes Wort seine beruffung. Darwidder der Observant fürgewant, das kein weltlich furst Gottes wort furdern nach dasselbige zu predigen bestellen sollten, sondern es stünde den Bischouen als der geistlichen öberkeit zu. Antwort Mecum: Dauid vnd Josaphat, wie man ym buch Regum vnd Paralip. list, hetten auch Gottes wort auffs vleyssigst zu singen vnd zu predigen bestellt [...] kond yhe die öberkeit yhren vnderthanen nichts besseres schaffen, denn das sie yhn gelerte prediger verordenten, die yhn Gottes wort verkündigten, Welchs allein die leute gut macht. Denn die weil es die Bischoff, die es doch zu thun schuldig, nicht thun wollen, müssen darumb die weltlichen fürsten yhr volck nicht on Gottes wort lassen.“ 191 Heller hatte anscheinend im vierten Artikel auf seine eigene Sendung großen Wert gelegt und die Sendung des lutherischen Predigers geleugnet.192 So musste es im Streit mit Myconius besonders um die Legitimität des Predigtauftrags gehen. Myconius sieht sich durch Gottes Wort hinreichend zum Predigen berufen; denn im göttlich gebotenen Gehorsam gegen die (vgl. Schmitz, Der Observant Joh. Heller 80 Anm. 2). Herborns Einfluss hat die Kontroverse zwischen Heller und Myconius nicht nur insofern mitgeprägt, als Heller, wie Herborn in der Homberger Synode, eine Disputation vor Laien als unzuständigen Richtern ablehnt. Das Düsseldorfer Religionsgespräch erfolgte wie Herborns Auseinandersetzung mit Lambert aber außerhalb des Raumes der damaligen Saxonia und gehört deshalb nicht unmittelbar zum Thema. 188 Darin stimmten die beiden Berichte von Myconius und Heller überein, obwohl sie sonst in der Darstellung des Gesprächs sich beinahe in allem widersprechen. Denn obwohl sich der Bericht des Myconius als anonymes, durch Zeugen bestätigtes, geradezu objektives ‚Protokoll‘ des Geschehens gab, wurde er in seinen verschiedenen Versionen, von denen die letzte, in Wittenberg gedruckte erweiterte Fassung bereits eine Reaktion auf Hellers „Antwort“ zu sein scheint (Schmitz, Der Observant Joh. Heller 11–23), ganz aus reformatorischer Sicht geschrieben. Einer solchen Schilderung reformatorischer Überlegenheit und des schließlichen Einlenkens von Heller konnte Heller selbst in seiner Antwort nur polemisch widersprechen, gab jedoch zu, er habe in der Verkündigung des Myconius Übereinstimmungen mit seiner eigenen Predigt gefunden (ebd. 116). 189 Siehe ebd. 91, 113f. 190 Ebd. 96f. 191 Ebd. 99f. Vgl. dazu Röm 13,1f.; 2 Sam 6,12. 14; 1 Chr 16,4–42; 2 Chr 20,18–21. 192 Ebd. 92.

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Obrigkeit darf er sich durch einen weltlichen Fürst berufen lassen, wenn die Bischöfe dem Volk das Wort Gottes im reformatorischen Sinn versagen. Heller, der die Sendungsvollmacht der Bischöfe betont, sieht das anders: „den fierten artikel hab ich also geredt, das ich bewisen wil, das ich vffrichtig gesant byn von der oberckheyt, die prediger zu senden hait in den wyngarten Christi; die lutherschen konnen des aber nyt bewysen, aber werden mit dem wertlichen swert in gedrunghen widder recht vnd billicheyt.“ 193 Bei den lutherischen Predigern wie Myconius mit ihrem landesherrlichen Predigtauftrag sieht Heller nur weltliche Macht und Gewalt im Spiel, sodass sie gegen „Recht und Billigkeit“ mit dem „Schwert“ aufgedrängt werden. Denn für ihn ist die kirchliche Obrigkeit der Bischöfe durchaus noch in der Lage, „Prediger“ in den „Weinberg Christi“ zu senden. Das Verständnis von Wort Gottes, von Kirche und kirchlicher Vollmacht hat sich so weit auseinander entwickelt, dass bei gleicher Berufung auf die Bibel die Standpunkte unvereinbar erscheinen. Um Verständigung ging es dabei kaum noch, sondern allenfalls um die intellektuelle und politische Überlegenheit der einen oder anderen Seite. Um die politische Durchsetzung der lutherischen Konfession verhandelte Myconius 1538 mit den Bischöfen in England, aber ohne Ergebnis, „weil König Heintz VIII. ein Lügen- und Mord-Teuffel ist“194. Diese Dämonisierung der Gegner, die bei Heinrich VIII. nicht ganz ohne Anhaltspunkte ist, verdeckte freilich die tieferen Gründe für die Verständnisschwierigkeiten und Widerstände, die der Reformation im Wege standen. Sie wurden ja auch bei Myconius deutlich, die Ängste um die ‚Eintracht‘ beziehungsweise vor ihrem Auseinanderbrechen, denn die überlieferte Einheit von Glaube und Gesellschaft, von Staat und Kirche meinte man, über die konfessionelle Spaltung hinüber retten zu müssen. In diesen menschlich-rational nicht zu bewältigenden Ängsten setzte man in der geradezu unaufhaltsamen Kirchenspaltung leider mehr auf die Dämonisierung und Verketzerung der anderen Seite als auf die geringe Chance einer wirklichen Verständigung. Denn so ließ sich wenigstens in der Öffentlichkeit die eigene Konfession definieren und von der anderen Seite abgrenzen.

193 Ebd. 114. 194 Vgl. Cyprian, Myconii Historia Reformationis 49 [D 1r].

4. Das Ende von Franziskanerklöstern Schon lange bevor Myconius im albertinischen Sachsen seine letzten Gefechte für die Reformation austrug, hatte sich andernorts längst ereignet, was Myconius später den Stadtvätern von Leipzig 1539 so dringend empfahl. Klöster der Bettelorden und damit der Franziskaner kamen an ihr Ende, da sie vom Wohlwollen der Städte und Landesherrschaften besonders abhängig waren. Die ‚Obrigkeit‘ konnte entweder Klöster ‚versperren‘, das heißt Leben und Wirken der verbliebenen Brüder immer weiter einengen, oder die Brüder aus Stadt und Land ‚ausweisen‘. Diese Vorgehensweisen hatten sich bisher bei der Schließung von Klöstern bewährt, so dass Myconius den Stadträten von Leipzig nichts Neues empfahl.1 Da es im Thema um die theologische Begegnung von Franziskanern in der Saxonia mit der frühen Reformation geht und nicht insgesamt um die Geschichte der sächsischen Franziskanerklöster damals, wird nur auf jene Schließungen von Klöstern besonders eingegangen, bei denen theologische Erörterungen mit im Spiel waren. Dabei besiegelten solche theologischen Auseinandersetzungen meist nicht unmittelbar das Ende eines Klosters. Denn sie verlangten noch sehr viel Engagement und Kraft, die am Ende einer klösterlichen Gemeinschaft nicht mehr aufgebracht oder auch zugelassen wurden. Solche Auseinandersetzungen kennzeichneten eher den Anfang vom Ende.

4.1. Wittenberg und Torgau Um das Wittenberger Franziskanerkloster freilich ereigneten sich nach der antifranziskanischen ‚Kampagne‘ von Briesmann, Schwan, Lambert und Eberlin keine bemerkenswerten theologischen Aktivitäten mehr. Zwar lebten dort weiterhin einige meist ältere Brüder. Ob sie überhaupt noch registrierten, dass die obersächsische Provinz, zu der sie seit 1521 de facto gehörten, vom Generalkapitel zu Burgos 1523 ‚de iure‘ als thüringische Franziskanerprovinz anerkannt wurde, lässt sich nicht mehr feststellen. Bereits im Sommer 1524 verließ der Guardian Veit Gericke unter Mitnahme des Klostersiegels die Gemeinschaft und erhielt durch Vermittlung Luthers eine Pfarrstelle in Gräfenhainichen.2 Vorher hatte Gericke den in Dresden versammelten Brüdern des Provinzkapitels geschrieben, es seien nur noch drei ältere Brüder verblieben und der Stadtrat von Wittenberg erlaube nicht, einen neuen Guardian dort einzusetzen oder weitere Brüder dorthin zu schicken.3 Proteste gegen diese Entwicklung von Seiten der Verantwortlichen in der obersächsischen beziehungsweise thüringischen Provinz4 1 Siehe oben Kap. 3, Anm. 183. 2 Vgl. Wentz, Franziskanermönchskloster in Wittenberg 383. 3 So berichteten die Teilnehmer des Kapitels, die als „E. Kfl. G. [Euer Kurfürstlichen Gnaden] undertenige capellan minister, doctores, custodes, discreten der provincien won Sachssen“ unterzeichnen, in einem Bittbrief an Kurfürst Friedrich den Weisen vom 24. August 1524. Sie baten um Nachricht, wie sie es künftig mit Wittenberg halten sollten und erbaten „in diesen geschwinden, aufrührerischen zeiten“ Schutzbriefe, um die Messe halten, predigen, Almosen und Wertgegenstände behalten zu können und überhaupt bis auf weiteres im „alten gebrauch der kirchen bleiben“ zu dürfen. Vgl. Doelle, Wittenberger Franziskanerkloster und Reformation 304. 4 Dieser vom Generalkapitel zu Burgos verordnete Name wurde hierzulande niemals gebraucht (ebd. 290 Anm. 3).

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4. Das Ende von Franziskanerklöstern

fanden selbst zu Lebzeiten Friedrich des Weisen wenig Widerhall und blieben letztlich ohne Erfolg.5 Noch in ihrem letzten Brief an Friedrich den Weisen vom 20. Januar 1525 baten die verantwortlichen Brüder, die der Kurfürst nach Torgau bestellt, aber ohne Bescheid gelassen hatte, um gesicherte Weiterführung ihres Lebens, „bis zu gemeinsamem Beschluss der ganzen heiligen, christlichen Kirchen, zu welcher wir uns als Brüder Christi und Francisci samt allen Christgläubigen untertänig bekennen und berufen“ .6 Damit wurde noch einmal der ekklesiologische Rahmen franziskanischen Lebens beschworen, der aber nicht mehr unbefragt gelten konnte und jedenfalls im reformatorisch bewegten Wittenberg keinen Rückhalt mehr bot. So konnte die Abwicklung des Franziskanerklosters, die bereits mit der Übergabe von Räumlichkeiten für Melchior Lotters (d. J.) Druckereibetrieb durch den Guardian Veit Gericke 1524 begonnen hatte,7 nach dem Tod Friedrichs des Weisen am 5. Mai 1525 erst recht weitergehen. Denn auf Bitte Martin Luthers und auf Befehl des neuen Kurfürsten Johann wurde im bisherigen Kloster seit 1527 ein Armenhospital eingerichtet, das schließlich 1535 dem „Gemeinen Kasten“ zu Wittenberg, der reformatorisch inspirierten sozialen Einrichtung der Stadt, übergeben wurde. Die weitere Geschichte der Gebäude, der Wertgegenstände und Bücher des Klosters hat mit den Franziskanern nur noch insoweit zu tun, als durch ihre Überbleibsel die Erinnerung an die früheren Brüder am Leben erhalten blieb. Das Ende des Franziskanerklosters zu Torgau, das wie das Kloster zu Wittenberg seit 1521 zur obersächsischen beziehungsweise seit 1523 zur thüringischen Ordensprovinz gehörte, hat nicht so sehr wegen theologischer Auseinandersetzungen, sondern eher wegen eines Klostersturms Aufsehen erregt.8 Wie in Wittenberg war das Kloster in Torgau mit dem Herrscherhaus eng verbunden, da die Wettiner schon als Markgrafen zu Meißen seit etwa 1243 für die Gründung und Ausstattung des Klosters bei ihrer Stadt und Burg in Torgau sorgten. Die ‚martinianische‘ Reform, die Friedrich der Weise um 1489 im Kloster durchsetzte, sowie der Neubau der Klosterkirche, der darauf folgte, banden die Brüder noch enger ein in die landesväterliche Fürsorge der weltlichen Obrigkeit. Durch die Verbindung der beiden kurfürstlichen Residenzen Wittenberg und Torgau gelangten dann die reformatorischen Impulse früh nach Torgau, sodass bereits 1519 die erste deutsche Taufe gespendet und 1520 zum ersten Mal im reformatorischen Sinn gepredigt worden sein soll.9 Dieser erste reformatorische Prediger soll ein Franziskaner namens Valentin Tham gewesen sein. Jedenfalls hat Luther selbst 1521 in Torgau gepredigt, und auch 1522 ist er dort anzutreffen.10 In diesen Jahren legte der Rat von Torgau es den Terminariern der Dominikaner von Leipzig und 5 Siehe insgesamt ebd. 289–307. Eine besondere Bedeutung hatten dabei die vom Fürstenhaus selbst gestifteten Gottesdienste an der Grabstätte der Askanier in der Franziskanerkirche (vgl. ebd. 305f.). Vgl. dazu auch Schlageter, Das Franziskanerkloster in Wittenberg 90. 6 Siehe Doelle, Wittenberger Franziskanerkloster und Reformation 307. Der Brief ist unterzeichnet: „E. Kfl. G. willige cappellann versammelt von wegenn der provincien von Sachssenn unnd Schlesien zu Torgaw“. 7 Vgl. Wentz, Franziskanermönchskloster in Wittenberg 384. 8 Siehe insgesamt Schlageter, Johannes: Die Franziskaner in Torgau. In: Thuringia Franciscana NF 59 (2004) 431–443. 9 Vgl. Doelle, Ferdinand: Der Klostersturm zu Torgau im Jahre 1525. Münster 1931 (FrS Beiheft, 14) 17. So hat man in der Lokalhistorie das Motto geprägt: „Wittenberg war die Mutter und Torgau die Amme der Refor­ mation“ (ebd. 17 Anm 1). 10 Ebd. 17 Anm. 2–3.

Wittenberg und Torgau

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der Augustiner von Herzberg nahe, ihr Almosensammeln einzustellen und in ihre Klöster zurückzukehren, da der Rat sie nicht mehr schützen könne. Die reformatorische Bewegung in der Stadt wuchs weiter an, als Gabriel Zwilling (Didymus), ein ehemaliger Augustiner aus Wittenberg, Freund Luthers und eifriger Verfechter der Reformation, 1523 in der Heilig-Geist-Kirche als Prediger angestellt wurde. Schon damals wurde nur noch in der Marienkirche und in der Klosterkirche der Franziskaner Gottesdienst nach der alten Tradition gehalten.11 Ein führender Bürger von Torgau, der frühere kurfürstliche Schosser Leonhard Koppe, hatte 1523 neun Nonnen, unter ihnen Katharina von Bora, die spätere Frau Luthers, aus dem Zisterzienserinnenkloster Nimbschen befreit.12 Dass sich bei dieser reformatorischen Stimmung unter den Bürgern das Franziskanerkloster noch so lange halten konnte, hatte mit dem möglicherweise reformationsbereiten Kloster13 und vor allem mit dem Schutz zu tun, den Friedrich der Weise noch ‚seinem‘ Kloster angedeihen ließ. Doch scheint sich unter den Bürgern das Unbehagen gegen die Brüder verstärkt zu haben, vielleicht weil Gerüchte über ihr zügelloses Leben die Runde machten.14 Immerhin wollten die Bürger noch im Herbst 1524 die Brüder predigen lassen, sofern sie nur das Evangelium predigten.15 Doch damit forderte man einen Anschluss an die Reformation, zu dem die Brüder in ihrer Mehrheit nicht bereit waren. Den zündenden Funken in die gespannte Atmosphäre brachte der Kustos von Meißen, Dr. Jakob Schwederich, der Mitte Januar 1525 nach Torgau kam, um sich mit anderen Brüdern bei Friedrich dem Weisen um besseren Schutz der Klöster zu bemühen.16 Anlässlich einer abendlichen Einladung beim Bürgermeister der Stadt, Erasmus Köppe, diskutierte er mit Gabriel Zwilling. Dabei fiel eine Äußerung, die das äußerste Missfallen des reformatorischen Predigers erregte. Sie wurde der theologische Anlass für das weitere Vorgehen gegen die Franziskaner. Beim späteren Verhör durch die kurfürstlichen Räte haben die beim Gespräch anwesenden Zeugen, der Bürgermeister Erasmus Köppe und der Stadrichter Eberlin Schneider, ausgesagt, Gabriel Zwilling habe die Kirchenväter als bloß menschliche Autorität in Zweifel gezogen. Darauf habe Schwederich gesagt:

11 Ebd. 18. 12 Siehe dazu Brecht, Luther II, 104. In einer als offenen Brief an Leonhard Koppe formulierten Schrift: „Vrsach und anttwortt, das iungkfrawen kloster gotlich verlassen mugen. Wittenberg 1523“ (WA 11, 387–400) verteidigte Luther solche Befreiungsaktionen. Leonhard Koppe wurde dann im Juni 1525 zu Luthers Hochzeit mit Katharina von Bora eingeladen (Brecht, Luther II, 198). Koppe beteiligte sich vorher, Ende Februar 1525, am Torgauer Klostersturm, allerdings nicht als Anführer (siehe Doelle, Klostersturm 41f.). 13 Wie ein Brief aus Eger 1524 zeigte, sah man im Torgauer Kloster eine gewisse Neigung zur Reformation (vgl. Doelle, Klostersturm 23–27). Das kann man bestreiten (vgl. dazu Haselbeck, Urkundenbuch, I. Bd. / 3. Heft. Fulda 1932, 159–161 Anm. 1). Aber es war nicht nur allgemein von „Ketzerei“ die Rede, sondern von „bösen Brüdern“ auch zu Torgau (vgl. ebd. 159,6–7; vor allem 160,63–65). 14 Solche Zügellosigkeit ist nicht zu belegen. Vgl. Bartscherer, Agnes: Wahres und Sagenhaftes vom Klostersturm und von der Auflösung des Barfüßerkonventes in Torgau. In: Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte der Provinz Sachsen 22 (1926) 52–73, bes. 62. Doch das verhinderte ja nicht, dass Gerüchte aufkamen. 15 Ebd. 62. 16 Zu Schwederich, der in Torgau in den Orden eingetreten war und deshalb nach damaliger Sitte als „Sohn“ dieses Konventes geführt wurde (Doelle, Klostersturm 29, 56 Anm. 4), vgl. seine Beteiligung an der Wittenberger Franziskanerdisputation von 1519 (oben Kap. 1, Anm. 79; 108f.) sowie sein Auftreten gegen reformatorische Predigten seines Ordensbruders Johannes Briesmann in Cottbus 1523 (oben Kap. 3, Anm. 8). Resultat des Torgauer Treffens war ein Brief an Kurfürst Friedrich den Weisen, siehe Doelle, Wittenberger Franziskanerkloster und Reformation 307; siehe auch oben Anm. 3; 6.

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4. Das Ende von Franziskanerklöstern

„Warumb man doch den heiligen lerern, die dem Ewangelio gemes geschrieben, nit glauben soldt. Wer allemalh dabey gewesen, do die Ewangelisten alles geschrieben, dauon er sagt. Vnd wo man dem Ewangelio nach christlich lebte vnd nit der leichtferttigkeit des fleisch vnd mit hubschen frewlein, so hielt er auch dauon.“ 17 So nach Aussage des Stadtrichters Schneider! Beim Bürgermeister Köppe klingt die Infragestellung der Evangelisten noch provozierender: „Ey wer jst dann alweg dabey gewesen oder wer hat es bestettigt, das alles, was die ewangelisten geschrieben haben, also war sein muß.“ 18 Vom damaligen traditionellen Verständnis der Heiligen Schrift her wollte Schwederich wohl auf die alles umfassende Autorität der Kirche aufmerksam machen, die den Evangelisten wie den alten Auslegern der Evangelien ihre Glaubwürdigkeit garantiert. Es ging gewiss noch nicht um eine historisch-kritische Hinterfragung der evangelischen Berichte. Doch die Betonung des Schriftprinzips in der Reformation, die allein durch die Schrift („sola scriptura“) Glauben begründet sieht, hat Schwederich anscheinend ironisch hinterfragt, mit einem Seitenhieb auf solche, die das Evangelium für „fleischliche“ Leichtfertigkeit und für ihr Vergnügen mit „hübschen Fräulein“ missbrauchten. Das genügte, um den Zorn Gabriel Zwillings und der reformatorisch Gesinnten zu erregen, zumal Zwilling die „Blasphemie“ Schwederichs von der Kanzel entsprechend publik machte. Es dauerte jedoch bis zur Nacht vom Fastnachtsdienstag zum Aschermittwoch (28. Februar – 1. März 1525), bis sich der Volkszorn in einem zweimaligen Klostersturm entlud. Die für die Brüder damals sehr bedrängenden Vorgänge müssen hier nicht mehr in Erinnerung gerufen werden, denn sie sind bereits erschöpfend dargestellt.19 Der Anlass des Streits spielt nur insofern eine Rolle, als sich die Initiatoren des Klostersturms in einem Brief an Herzog Johann, den Bruder des Kurfürsten, entschuldigend darauf berufen.20 Doch wird hier auch die Reaktion Gabriel Zwillings genauer beschrieben und mit als Ursache für den Volkszorn namhaft gemacht: „hatt vntter andern der doctor angehaben vnd diese adder der gleichen wordt gancz schympflich gegen gedachtten prediger uffintlich, das es die obgedachten burgermeyster vnd richter auch sunsten mennigklich, der dazwmal beyhanden gewest, angehorett, gerett: Ey lieber prediger, jr saget vnd pucht vil auffs ewangelium, saget mir, wer ist dabey gewest, do es die vier ewangelisten beschrieben und bezcewget, das es das wort Gotes sey. Ir konnet nichts dan ewangelien, ewangelien - vnd dardurch den prediger vnd die andern alßo beweget, das sie auch dorzwmall douon weiter zw reden abgelassen vnd von enander gescheyden, welchs volgendt der burgermeyster von dem doctor geredett. Zw dem hatt sich solch erschrecklicher rede der prediger vffintlich vor allem volck awff der canczeln beclaget vnd gesagt, eynen sulchen, der ein crist gerwmett seyn will vnd 17 Doelle, Klostersturm 21f. Zu Gabriel Zwilling vgl. insgesamt Stupperich, Reformatorenlexikon 228f. 18 Siehe Doelle, Klostersturm 22 Anm. 18. 19 So meint Doelle selbst in seinem Vorwort (ebd. 12). Doch seine Darstellung ist gelegentlich sehr emotional. So spricht er etwa „von jenen wüsten Auftritten, die ein ewiges Schandmal bleiben werden“ (ebd. 17). Deshalb lohnt es sich noch, trotz einiger von Doelle korrigierter Fehler, die ruhigere Beschreibung von Bartscherer zu berücksichtigen (Bartscher, Wahres und Sagenhaftes 52–73). 20 Die Klosterstürmer Paul [Resch] Büchsenmacher und Günter [Braun] Schneider, die als angesehene und für den kurfürstlichen Hof beschäftigte Männer die Aktion in Gang setzten, erzählen ja eine noch weiter zugespitzte Version der Auseinandersetzung zwischen Schwederich und Zwilling. Siehe dazu Doelle, Klostersturm 44, 87.

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solche wort, das das heilige ware ewangelium nicht von Gott, nach aus seinem gotlichen munde beschrieben were, von jm lawten ließe, solt man zwr stadt mit ruthen hinaus hawen, des sich auch daß gemeine volck nicht wenigk beswertt vnd wir armen gesellen dardurch ane zweyuel aus vorhencknus vnd strafe des almechttigen neben andern zw solchem furnehmen vorursacht. Vnd wiewol wir, solchs Gott von hymmel weyß, nichts vnsers nucz halben, sondern zw erhalttunge des wortt Gottes alleine gethan, so bekennen wir dach, das wir jn dem vnschicklich vnd vnbedechttigk gehandelt, hetten vns auch nicht vorsehen, das der gemeine hawffe ßo grymmick daryn gegryffen haben solt.“ 21 Ob Zwilling ein solch simples Verständnis vom göttlichen Ursprung des Evangeliums wirklich vertreten hat, lässt sich kaum nachprüfen. Vielleicht hat er „Evangelium“ als Inbegriff göttlicher Offenbarung gesehen; aber dann hätte er die Anfrage Schwederichs an die menschliche Autorität der Evangelisten nicht verstanden und einfachhin als Leugnung der göttlichen Offenbarung hingestellt. Doch mit einem Aufruf zur gewaltsamen Aktion hätte er Übergriffen gegen Gegner der Reformation zumindest Vorschub geleistet, denn man konnte meinen, zur „Erhaltung des Wortes Gottes allein“ sei Gewalt gerechtfertigt. Weil aber Friedrich der Weise den Klostersturm äußerst ungnädig aufnahm und sogar mit der Hinrichtung der Beteiligten drohte, mussten die geflohenen Anführer bei den der Reformation zugeneigteren Fürsten in Weimar, Herzog Johann und Erbprinz Johann Friedrich, solche Entschuldigungen vorbringen. Die Fürsten ließen zwar diese Entschuldigungen nicht gelten, baten aber den Kurfürsten, die Strafe nicht zu hart ausfallen zu lassen, weil die Tat in der Fastnacht passiert sei und die Schuldigen sie inzwischen bereuten und büßen wollten.22 Nach den kurfürstlichen Räten Friedrichs des Weisen freilich war der Klostersturm bereits vor Schwederichs Äußerung geplant, wie sie im Entwurf eines Briefes des Kurfürsten an seinen Bruder Herzog Johann deutlich machen. Und sollte sich Schwederich so „blasphemisch“ geäußert haben, hätte es ein gesetzmäßiges Vorgehen dagegen gegeben.23 Der Ärger, dass gegen den Befehl des Kurfürsten und in Gegenwart einer Gesandtschaft des kaiserlichen Bruders Erzherzog Ferdinand die „lutherische Lehre“ angeblich zu solch gewaltsamen Vorgehen gegen ein Kloster führte, wird noch sehr deutlich ausgesprochen.24 Die Antwort, die Friedrich der Weise dann wirklich gab, formulierte schon gnädiger gegen die Klosterstürmer.25 Erst nach seinem Tod am 5. Mai 1525 aber wurden sie amnestiert und konnten nach Torgau zurückkehren. Die namentlich bekannten Beteiligten beteuerten ja, sie hätten in ihrem ersten Vorgehen

21 Ebd. 87f. 22 Ebd. 89f. (nr. 3 und 4). 23 Ebd. 99: „Vnd wiewol die obbestimbten zwen jn jrer suplicacion, so sie an E[uer] L[iebden] gestellet, vermeinte vrsachen jrer entschuldigung antzeigen, wodurch sei zu solchem furnemen solten bewogen sein, nemlich das doctor Schwederich parfuser ordens etliche wort, so dem Ewangelio zuuerachtung sein, gebraucht haben solt, darumb sie solchs zuerhaltung Gots worts gethan, so kann doch menigklich, wie E. L. jn jrem schreiben selbs auch anzeigen, wol ermessen, ob solche vrsachen genugsam. Dann jnen mehr geburt hette, ob der doctor, der doch die zeit jres begynnens nit vorhanden, sonder etliche wochen zuuor hinweg gewesen, diese rede gebraucht vnd etwas verwurgkt haben solt, solches an vns gelangen zu lassen oder sunsten der oberkeit anzuzeigen vnd nicht selbs thettigs begynnen furzunemen.“ 24 Ebd. 47, 98–10. 25 Ebd. 101. Die Meinung Doelles, diese Antwort sei im Inhalt identisch, ist kaum nachzuvollziehen (ebd. 48). Zum weiteren Vorgehen gegen die Klosterstürmer vgl. ebd. 48–54; Bartscherer, Wahres und Sagenhaftes 66–69.

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4. Das Ende von Franziskanerklöstern

gegen das Kloster keinen Schaden und schon gar keine Plünderung beabsichtigt.26 Wer aber war für das zweite Vorgehen verantwortlich, das etwa zwei Stunden später am frühen Aschermittwoch stattfand und das in einen regelrechten Bildersturm und in die Plünderung alles Verwertbaren ausartete? Die Anführer des ersten Vorgehens sprechen von dem „gemeinen Haufen“, der dann „grimmig darein gegriffen“.27 Wer die erheblichen Schäden, etwa die Zerstörung eines Bildes von Lukas Cranach,28 zu verantworten hatte, wurde nie geklärt. Nirgendwo in Torgau und im Kurfürstentum Sachsen sprach man allerdings von einer Mitverantwortung Gabriel Zwillings.29 Seine Position in der Stadt blieb unangefochten, er wurde nach dem Tode Friedrichs des Weisen sogar zum Pfarrer von ganz Torgau erwählt.30 Die Brüder in Torgau bekamen vorher auf Weisung Friedrichs des Weisen vom Stadtrat, den der Kurfürst persönlich für die ganzen Vorgänge haftbar machte, den angerichteten Schaden ersetzt. Aber sie waren nun bereit, sich der reformatorischen Kirchenordnung zu unterwerfen und verbliebene Wertgegenstände, vor allem liturgische Geräte und Gewänder, dem Stadtrat zu übergeben.31 Den Brüdern wurde schließlich empfohlen, ihre „pharisäische Kleidung auszuziehen und gleiche Kleider mit ihnen zu tragen“, und verboten, andere Brüder ins Kloster aufzunehmen.32 Der Guardian Urban Abern von Sommerfeld berichtete dann am 10. Okober 1525 seinem Kustos von Meißen, Dr. Schwederich, dass nun der neue Kurfürst Johann selbst gegen das Kloster vorgeht.33 Am 9. März 1527 bittet der Senior des Klosters, Peter Tammenhayn, um seine Versetzung nach Dresden, weil er um sein Leben fürchtet, möchte aber zugleich Bücher und Wertgegenstände mitbringen.34 Schließlich schildert am 15. März der Guardian Urban Abern die hoffnungslose Lage der wenigen Brüder, die im bereits anderweitig genutzten Kloster verblieben. Doch er getraut sich nicht mehr, Torgau zu verlassen, weil die Torgauer Brüder in anderen Klöstern ohne ihre Schuld als „Ketzer“ gälten. So muss er „bei den Ketzern“ bleiben, „mit ihnen leben, gehen und stehen, wie sie es wollen“. Und er meint: „trage ich den Habit nicht am Leibe, so trage ich in doch im Herzen“. In ohnmächtigen Zorn kann er nur noch auf Gott hoffen: „Auf Befehl der kurfürstlichen Räte muss ich alle Tage in die Predigt gehen. Ich höre da solches Vermaledeyen und Schelten auf Papst, Kardinal, Bischof, auf Mönche, Nonnen und Pfaffen, das erbärmlich anzuhören ist. O daß doch Gott vom Himmel niedersähe und schlüge mit Fäusten drein und strafte doch die Buben. Gott wartet wahrlich allzulange, mir will es schier zu lange werden. Ich hoffe aber und vertraue, der ewige, gütige Gott wird noch einmal kommen und die Seinigen erlösen.“ 35 26 Vgl. Doelle, Klostersturm 87f.; 111. 27 Ebd. 88. 28 Vgl. dazu die Schadensliste, die die Brüder in einem Brief an den Kurfürsten aufstellten, ebd. 92–95. 29 Ihn verantwortlich macht freilich Johann Lindner, der Mönch von Pirna, aus dem albertinischen Herzogtum Sachsen um 1530. Siehe Bartscherer, Wahres und Sagenhaftes 65. 30 Ebd. 67. 31 Ebd. 66; Doelle, Klostersturm 55–59. 32 Siehe insgesamt Bartscherer, Wahres und Sagenhaftes 66. 33 In ihrem Brief von 15. März 1525 an Schwederich hatten ja die Brüder noch auf eine Kollekte der übrigen Brüder für sie gehofft und besonders auf den „Schutzherrn der Armen“, Herzog Georg aus dem albertinischen Sachsen (Doelle, Klostersturm 96). Nach dem Regierungsantritt des der Reformation mehr zugeneigten Kurfürsten Johann zeichnete sich nun das definitive Ende des Klosters ab (ebd. 113–115). 34 Ebd. 67, 118. 35 Vgl. insgesamt ebd. 67–69, 119–121, bes. 69.

Zwickau und Altenburg

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Schwederich bittet auf diesen Brandbrief hin Herzog Georg von Sachsen, sich beim neuen Kurfürsten Johann von Sachsen für das Kloster in Torgau einzusetzen, wobei er die Lage hoffnungsvoller darstellt, als sie ist.36 Die Antwort, die Herzog Georg vom Kanzler des Kurfürsten erhielt, ist unter dem Brief so wiedergegeben: „sie wollten eher in den Krieg ziehen, als nur das Geringste zurückgeben.“37 Das Ende des Klosters war damit besiegelt. 1532 heiratete der ehemalige Guardian Urban Abern von Sommerfeld und wurde im Kloster wie sein bisheriger Mitbruder Georg Tischer von der Stadt mit dem Nötigsten versorgt.38 Weil seine Hoffnung auf eine Wiederherstellung des traditionellen Ordenslebens in Torgau geschwunden war, wie das schon in Urban Aberns letztem Brief an Schwederich anklingt, musste er in fortgeschrittenem Alter anderweitig für sich sorgen. Dabei müssen nicht einmal eine gewandelte Überzeugung und damit Sympathie für die Reformation mitgespielt haben.39

4.2. Zwickau und Altenburg Die damalige Situation der Franziskanerklöster in Altenburg und Zwickau ist nicht ganz gleich.40 Auch der Verlauf des reformatorischen Geschehens in den beiden kursächsischen Städten unterscheidet sich in manchem. In Altenburg wurden, trotz einer Chorherrenpfründe von Luthers Freund Spalatin und trotz der Verhandlungen Luthers mit Freiherr Karl von Miltitz dort 1519, reformatorische Einflüsse erst 1521 sichtbar. In Zwickau waren die Brüder bereits 1518 konfrontiert mit scharfer Kritik des humanistischen Stadtpredigers Johannes Sylvius Egranus (von Eger). 1520 verschärfte sich die Kritik an den Franziskanern noch bei dessen Vertreter Thomas Müntzer und wurde erst recht reformatorisch und radikal.41 Die Auseinandersetzungen, in die der Stadrat von Zwickau auf der Seite seiner Prediger und die 36 Vgl. ebd. 70–72, 121–124. Dass etwa die ausgetretenen jungen Brüder nach Änderung der Verhältnisse ins Kloster zurückkehren könnten, musste schon damals als kaum realisierbare Erwartung erscheinen. Kein gutes Zeichen für Schwederichs Fähigkeit beziehungsweise Bereitschaft, die wirkliche Situation zu erkennen und darzustellen! 37 Vgl. ebd. 72, 124: „Responsio, data per cancellarium principis, fuit, quod pocius velint inire bellum quam minimum quid restituere.“ 38 Siehe ebd. 78f., dort auch etwas über den möglichen Verbleib der übrigen Brüder. Zur Heirat des Guardians vgl. auch Doelle, Ferdinand: Ist der Guardian Urban Abern der katholischen Kirche treu geblieben? In: FrS 19 (1932) 64–68; Haselbeck, Gallus: Nochmals P. Urban Abern. In: Ebd. 155–162; Bartscherer, Agnes: Das letzte Wort zu der Urban-Abern-Frage. In: FrS 20 (1933) 234–238. 39 Von Abfall sollte man da nicht so schnell reden, wie etwa Doelle, Klostersturm 79f. 40 Beide Klöster, gegründet in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunders in der Diözese Naumburg-Zeitz, gehörten zur ‚martinianischen‘ Reformbewegung und daher seit 1521 zur obersächsischen (1523 thüringischen) Provinz. Altenburg kämpfte zu Ende des 15. Jahrhunderts mit wirtschaftlichen Nöten, die das Eingreifen des Stadtrates in die inneren Angelegenheiten des Konvents begünstigten. Zwickau war eher gut dotiert, aber die Brüder waren mehrfach in Konflikte mit dem Pfarrklerus verstrickt. Vgl. Teichmann, Lucius: Die Franziskanerklöster in Mittel- und Ostdeutschland (ehemaliges Ostdeutschland in den Reichsgrenzen von 1938). Leipzig 1995 (Studien zur katholischen Bistums- und Klostergeschichte, 37) 31, 206f.; Doelle, Ferdinand: Reformationsgeschichtliches aus Kursachsen. Vertreibung der Franziskaner aus Altenburg und Zwickau. Münster 1933 (FrS Beiheft, 15) 27f., 31–38, 41–43; Löwe, Barbara: Altenburg. In: Müller, Thomas T. / Schmies, Bernd / Loefke, Christian (Hg.): Für Gott und die Welt. Franziskaner in Thüringen. Text- und Katalogband zur Austellung in den Mühlhäuser Museen vom 29. März bis 31. Oktober 2008. Paderborn u. a. 2008 (Mühlhäuser Museen. Forschungen und Studien, 1) 209–211. 41 Ebd. 38–56.

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4. Das Ende von Franziskanerklöstern

bischöfliche Behörde von Naumburg-Zeitz auf Seiten der Franziskaner eingriffen, vergifteten die Atmosphäre in der Stadt. In einem Brief an Luther vom 13. Juli 1520 versuchte Müntzer, seine umstrittenen Angriffe auf die Franziskaner zu erläutern und zu begründen.42 Die „neuen Prediger“ stießen also zuerst auf den Widerspruch der Franziskaner. Doch wie weit Müntzer die franziskanischen Gegenthesen des Lektors Tiburtius von Weißenfels korrekt wiedergibt, bleibt fraglich.43 Egranus und Müntzer verließen schließlich Zwickau.44 Erster reformatorischer Pfarrer dort wurde 1521 auf den Rat Martin Luthers hin Nikolaus Hausmann, der in enger Absprache mit Luther behutsam die Reformation weiterführte.45 Theologisch erreichte die reformatorische Kritik an den Franziskanern ihren Höhepunkt 1524/25 in einer Schrift Hausmanns und der anderen reformatorischen Prediger: „Vnterrichdt vnd warnung an die Kirch zu Zwickaw mit etzlichen Artickeln dem kloster­ volck doselbst angeboten vnd von jnen vnbillich abgeschlagen.“ 46 Diese Schrift erschien zwar erst im Februar 1525 im Druck – sozusagen als nachträgliche Begründung des Vorgehens gegen die Zwickauer Franziskaner. Aber die entscheidenden Artikel gegen die Franziskaner lagen wohl Ende 1524 bereits vor, als der Rat der Stadt immer entschiedener gegen das Kloster vorging.47 Seit Palmsonntag (20. März) 1524 hatte ja Hausmann trotz des anhaltenden Widerstandes der Brüder, die sich in ihrem Gewissen der allgemeinen kirchlichen Regelung verpflichtet sahen,48 in Zwickau eine reformatorische 42 Ebd. 46–51. 43 Wie Müntzer die franziskanischen Thesen referierte, ergibt nicht immer einen Sinn, sodass sie vermutlich von ihm polemisch entstellt wurden. Doch schienen sie „die neuen Prediger“ im Visier zu haben, die das „Evangelium“ predigten, aber „den Satzungen der Menschen widersprächen“, die doch „dem Evangelium hinzuzufügen“ seien. Anscheinend hat sich Tiburtius dagegen verwahrt, dass das Evangelium von allen gelebt werden muss. Sonst verpflichtete die „evangelische Armut“ alle, ihre Reichtümer aufzugeben und „wie die Bettler zu leben“ sowie dem die andere Wange hinzuhalten, der auf die eine geschlagen hat. Dann könnten die „Ketzer […] die Kirche ungestraft verfolgen“. Zudem schien Tiburtius geleugnet zu haben, dass man sich der Vorherbestimmung zur Seligkeit bereits im Glauben gewiss sein kann, ohne noch Werke tun zu müssen. Siehe insgesamt ebd. 48f. Vgl. auch Mt 5,39. 44 Sie wurden auch untereinander nicht einig, zumal Müntzer die reformatorische Kritik auf einen sozialen Umbruch hin steuerte. 45 Am 5. April 1522 kam es zu einem Schiedsspruch des Herzogs Johann von Sachsen in Weimar, der noch – analog zu früheren Absprachen zwischen Welt- und Ordensklerus – die Rechte der Brüder auf ihr eigenes Leben, auf Betteln, Beerdigungen, Predigten und Beichthören regelte. Das könnte Luthers Rat zu verdanken sein. Denn ihm ging es nicht um eine nötigende Umsetzung der Reformation, sondern um eine Veränderung des Bewusstseins durch die Mitteilung der reformatorischen Einsichten (vgl. Doelle, Reformationsgeschichtliches 65–68). Dieses Anliegen sah Luther bei den Verantwortlichen in Zwickau gut aufgehoben, ja er bestärkte sie darin bei Predigten dort vom 29. April bis 2. Mai 1522. Damit war die Auseinandersetzung freilich nicht zu Ende, sondern sie konzentrierte sich auf das eigentliche Anliegen der Reformation. Das schloss dauernde Nebengeplänkel zwischen den Brüdern, der reformatorischen Geistlichkeit und den Verantwortlichen der Stadt mit ein. Mehr und mehr verloren dabei die Franziskaner ihren Rückhalt in der Stadt und bei der Landesherrschaft (ebd. 66–98). 46 Siehe Doelle, Reformationsgeschichtliches 99–103; Haselbeck, Urkundenbuch I/1, 42–47. Die Transkription des Textes ist, trotz einiger von Doelle angemerkten Fehllesungen, bei Haselbeck vollständiger und näher beim Originaldruck. 47 Vgl. dazu Haselbeck, Urkundenbuch I/1, 47 Anm. 1. 48 Das zeigen Briefe der Zwickauer Brüder an Herzog Johann von Sachsen (ebd. 34f.), an die bischöfliche Behörde in Naumburg-Zeitz (ebd. 35–37), an den Kurfürsten Friedrich den Weisen (ebd. 38f.). Eine Unterstützung ihres Anliegens durch den Kustos von Leipzig und durch Abgesandte des Provinzkapitels, die bei Friedrich dem Weisen beziehungsweise seinen Räten vorstellig wurden, blieb ohne größere Resonanz. Siehe dazu den Brief des Kustos (ebd. 37f.), die Beschwerde des Provinzkapitels (ebd. 47–50; Doelle, Reformationsgeschichtliches

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Kirchenordnung eingeführt mit Gottesdiensten in der Volkssprache und mit Kommunion unter beiderlei Gestalt.49 Hausmann war empört über den Widerstand der Franziskaner, die sich nach seiner Meinung gegen ihre Regel und das Testament ihres Gründers auf päpstliche Privilegien beriefen, und beklagte sich deswegen bei Herzog Johann von Sachsen, weil ihn solcher Widerstand in seinem Gewissen beschwere.50 Das legte eine grundsätzliche theologische Abrechnung mit den Minderbrüdern nahe, wobei Hausmann vielleicht die Schrift des Myconius an die Annaberger als Anregung diente.51 Im Vorwort zu den Artikeln gegen die Franziskaner wird die vergebliche Hoffnung beklagt, die Ordensbrüder hätten doch als gute Kenner der Heiligen Schrift die neue reformatorische Ordnung begrüßen müssen, da sie doch dem göttlichen Wort gleichförmiger sei als die bisherigen Missbräuche. Statt dessen hätten sie ihren Widerstand dagegen trotz mehrfacher Mahnungen nicht aufgegeben, ohne ihn aus der Heiligen Schrift begründen zu wollen und zu können. Sie hätten sich nur auf menschliche Autoritäten, Konzilien und Universitäten berufen: „In welcher irer antwort, wie hoch und erschrecklich Christus die ewige warheit und wort gottes, und also got selbst, voracht, geschmecht und gelestert, als musste Christus alleyn durch menschliche bestetigung war werden, geben wir yedem christlichem menschen anheym, mit schmerczen zu bedenken.“ 52 Das unmittelbare Vertrauen auf das Wort Gottes, auf Christus selbst, das für Hausmann und seine reformatorischen Freunde maßgebend war, wurde grundsätzlich gegen die Bindung der Brüder an die Vermittlung menschlich-kirchlicher Autoritäten ins Feld geführt. Die beiden Positionen ließen sich damals nicht in ein fruchtbares Gespräch bringen, was nach Hausmann auf der Gegenwehr der Brüder gegen angeblichen Zwang, aber zutiefst in ihrer „unchristlichen boswilligkeit“ gründete.53 So mussten alle vor der Verführung durch die Franziskaner gewarnt werden, damit man sich nicht mitschuldig mache. Dem folgte eine Ermahnung, die besonders deutlich an entsprechende Worte von Friedrich Myconius erinnert, nämlich gegen diese „armen, verblenten leuthe“ keine Gewalt anzuwenden, sondern Gottes Barmherzigkeit anzuflehen, damit sie sich „bekehren“.54 Dann wurden die mit Schriftstellen bewehrten theologischen Artikel angeführt, die man den Franziskanern vergeblich zur Zustimmung angeboten hatte. In deren erstem Teil wird das reformatorische 249–252) und den Brief Friedrichs des Weisen an seinen Bruder, Herzog Johann, über die Beschwerden der Franziskaner (Doelle, Reformationsgeschichtliches 247f.). Die bischöfliche Behörde dagegen verpflichtete die Zwickauer Brüder auf herkömmliche kirchliche Regelungen (ebd. 231f.; Haselbeck, Urkundenbuch I/1, 29f.), ohne freilich etwas zu ihrem Schutze tun zu können. 49 Siehe Doelle, Reformationsgeschichtliches 77f. Damals kam auch Myconius nach Zwickau (vgl. oben Kap. 3, Anm. 160), und predigte zusammen mit seinem ehemaligen Weimarer Mitbruder Johann Voigt sowie einem eben erst aus dem Zwickauer Kloster ausgetretenen Ordensbruder und Lektor Georg von Bautzen am Ostermontag in verschiedenen Zwickauer Kirchen (siehe Doelle, Reformationsgeschichtliches 78f.). 50 Siehe die Gutachten Hausmanns für Herzog Johann (Haselbeck, Urkundenbuch I/1, 53f.) sowie einen Brief von ihm ebenfalls an Herzog Johann (Doelle, Reformationsgeschichtliches 242–246). Obwohl Hausmann sich in seinem Brief gegen Vorwürfe der bischöflichen Behörde von Naumburg-Zeitz zu wehren hatte, erschienen doch immer die Franziskaner als die eigentlichen Unruhestifter. Offensichtlich war Hausmann mit der 1523/24 von Wittenberg ausgegangenen Polemik gegen die Franziskaner vertraut. 51 Es gibt jedenfalls Anklänge an Myconius im Wortlaut und Inhalt, die freilich auch auf das gemeinsame reformatorische Anliegen zurückgehen könnten. 52 Siehe Haselbeck, Urkundenbuch I/1, 43; vgl. auch Doelle, Reformationsgeschichtliches 100. 53 Haselbeck, ebd. 44. 54 Ebd. Vgl. oben Kap. 3, Anm. 172.

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Kirchenverständnis dargelegt. Danach ist die Kirche eine Gemeinde, die „auf Christum, den rechten grundfels durchs wort ym glauben und bekantnus erbauet“, „vom geyst gottes regirt und geleytet“ wird.55 Diese Kirche ist „unsichtig“, also unsichtbar, nicht sonderlich gebunden an Ort und Zeit oder eine Person, nur eins in der wunderbaren Einigkeit des Glaubens und der Gemeinschaft aller geistlichen Güter.56 Ihr Haupt ist allein Christus, dessen Stimme allein zu hören ist, ohne eines anderen „stym horen, saczungen ader regeln sich untergeben“ zu dürfen.57 Das Hören auf das Haupt Christus allein, die Eintracht mit ihm in Glaube, Hoffnung und Liebe wie in den Sakramenten entscheidet allein über die Zugehörigkeit zu seinem Leib, der Kirche, in der es allerdings viele Glieder gibt mit mancherlei Gaben des einen Geistes.58 Deshalb darf niemand in der Gemeinde sich mehr herausnehmen, als er aus Gottes Gnade empfangen, und sich kein Amt anmaßen, er sei denn von Gott gesandt sowie besonders von der Gemeinde erwählt, berufen und angenommen: „Ane solche wale und berufung sol nymants gottes wort offentlichen predingen, seelsorg haben, sacrament reychen, auf das ordenung und erbarkeyt gehalten.“ 59 Hier wurde sowohl gegen Zwickauer ‚Schwärmer‘60 wie gegen die Franziskaner die Alleinzuständigkeit der Gemeinde für die Bestellung der Amtsinhaber, für die Ordnung von Predigt, Seelsorge und Sakramentenspendung betont. Gerade dieser ‚Zweifronten-Krieg‘ ließ Hausmann zur Zeit des Bauernaufstandes auf eine rasche Entscheidung der kirchlichen Situation in Zwickau drängen.61 Gegen die Franziskaner speziell richtete sich dann die zweite Hälfte der Artikel, obwohl in dieser scharfen Kritik allgemein „Closterleuthe“ angesprochen wurden. Sie waren nur „vormittels babstlicher freyheiten“ in die Gemeinde eingedrungen, „handeln wider gottes wort“. So gingen sie entsprechend dem johanneischen Gleichnis nicht durch die Tür hinein, sondern anderswo wie Wölfe, Diebe und Mörder.62 Das war nicht als historisches Urteil gemeint, da sich die Zwickauer Franziskaner auf Einführung und Förderung durch den zuständigen Bischof von Naumburg-Zeitz berufen konnten. Ihr Wirken erscheint in dieser Sicht erst als abwegig und verderblich, weil sie sich der neuen reformatorischen Kirchen­ordnung widersetzten und weiter die alten Bräuche übten, die nun als antichristliche Missbräuche erkannt und abgetan wurden.63 Das sah man in der Werkgerechtigkeit der Brüder begründet, womit sie „bauen auf ires ordens werk, prangen mit iren 55 Siehe Haselbeck, Urkundenbuch I/1, 45. 56 Ebd. 57 Ebd. Auch hier die polemische Entgegensetzung der unmittelbaren Beziehung zu Christus gegenüber aller menschlichen Vermittlung! 58 Ebd. 59 Ebd. 46. 60 Solche Dissidenten vom ‚mainstream‘ der Reformation waren ja seit Thomas Müntzers Wirken in Zwickau sehr aktiv. 61 Deshalb wird der Rat der Stadt auch später, am 13. Februar 1525, in einem Brief an die kurfürstlichen und herzoglichen Räte die Zusperrung des Klosters damit begründen: „das wir der haymlichen Molhausischer [Mühlhausener] geister bey uns auch haben, dy sich in das closter unterlangk zusammen finden und rottieren sollten, dyweil sie sonsten scheue hetten, offentliche vorsammlunge zu machen“ (Haselbeck, Urkundenbuch I/1, 88). Damit wurde also die Gefahr beschworen, dass die heimlichen Aufrührer sich gerade im Angriff auf das Kloster zusammenrotten und dabei der Kontrolle der Obrigkeit entgleiten könnten. 62 Siehe insgesamt Haselbeck, Urkundenbuch I/1, 46; Doelle, Reformationsgeschichtliches 102. Vgl. dazu Joh 10,7–10. 63 Diese ‚Missbräuche‘ werden im Einzelnen aufgezählt, wie etwa Anrufung der Heiligen als Nothelfer und Mittler, Ablasshandel und Hängen an der „ausserlichen Romischen kirchen“, das Weihen von Wasser, Palmen

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ceremonien, verlassen sich auf den faulen unchristlichen bettel“. Sollten sie nicht von all dem Abstand nehmen, nicht ihren bisherigen Irrtum vor der Gemeinde bekennen, mussten sie nach mehrmaliger Mahnung nun als „heyden und publican geacht werden“64. Die Verurteilung der Franziskaner als „Heiden und Zöllner“ meinte nichts anderes als den Kirchenbann, ihre Exkommunikation und damit ihre Isolierung von der im reformatorischen Sinn rechtgläubigen Gemeinde. Damit war die Zusperrung des Klosters und schließlich die Ausweisung der Brüder aus Zwickau nur noch eine Frage der weltlichen Obrigkeit, die nach mittelalterlicher Tradition diesen Bann zu vollstrecken hatte, um durch diese Strafe den Irrenden eine letzte Chance zur Umkehr zu geben. Wenn dann am 11. Februar das Kloster abgeriegelt und am 2. Mai 1525 die Brüder ausgewiesen werden, war das die Konsequenz ihrer Weigerung, sich zu ‚bekehren‘, die freilich gegenüber der übergeordneten Obrigkeit noch einmal eigens dargetan werden muss. Theologisch und spirituell Neues bringt da nur eine Antwort, die der Zwickauer Bürgermeister Hieronymus Mühlpfort den gegen ihre Ausweisung protestierenden Franziskanern gegeben hat: „Franciscus wehr nit viel vor drei hundert jaren uf erden gewesen, dorften sich also nit rumen ihres anfangs in der ersten christlichen kirchen. Sie lebten auch nit, wie Franciscus inen befolen, dan sie lebten under den privilegien des pabsts und nit des evangelions, das doch Franciscus, der wol ein from man moge gewesen sein, nit hette wollen, dan so im bei seinem leben ein privilegium des pabsts zukommen, hette er sollen sagen similibus verbis: Nolo habere tale privilegium, sed hoc sit nostrum privilegium, nullum habere privilegium. Wie sie auch nach dem evangelion lebten, wehr am tag, doch wolde sich der burgermeister weiter nit dar tzu uf ire antwort vornehmen.“ 65 Vielleicht munitioniert durch Hausmann, konnte hier der Bürgermeister den Brüdern ein Stück franziskanischer Spiritualität entgegenhalten, das sie zur Besinnung auf ihre Berufung als „Pilger und Fremdlinge“ bringen konnte.66 Dass dabei die Frage nach dem Evangelium als Lebensform der Brüder mit ins Spiel kam und eine gewisse Anerkennung des Franziskus als „frommer Mann“, entsprach vorangegangenen reformatorischen Auseinandersetzungen mit den Franziskanern. Aber in einem Ratsprotokoll der politischen Gemeinde Zwickau ist das schon bemerkenswert. Es macht die Verbindung von Glaube und Politik im reformatorischen Geschehen deutlich.

und anderen Dingen, Messopferverständnis, Ablehnung der Kelchkommunion für Laien, eucharistische Frömmigkeit, Latein in Tagzeitengebet und Gottesdiensten (vgl. Haselbeck, Urkundenbuch I/1, 46f.). 64 Haselbeck, Urkundenbuch I/1, 47. 65 Ebd. 64; Doelle, Reformationsgeschichtliches 116. Dass Franziskus gesagt haben soll: „ich will kein solches Privileg haben; denn das soll unser Privileg sein, kein Privileg zu haben“, findet sich nicht in den ältesten Quellen. Doelle verweist auf Sabatier, Paul (Ed.): Speculum perfectionis seu S. Francisci Legenda antiquissima auctore frate Leone. Paris 1898 (Collection des documents pour l’histoire religieuse et littéraire du Moyen Age, 1) 88, sowie auf Bartholomaeus de Pisa, De conformitate. In: AF 4, 471. Vgl. jedoch bereits Compilatio Assisiensis 20,8 ähnlich wie Speculum perfectionis 50,6. In: Fontes Franciscani 1500; 1921. – Dem Bürgermeister Hieronymus Mühlpfort hatte Luther bereits 1520 seine Freiheits-Schrift gewidmet. Vgl. Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, WA 7,20; LWA 2,10. 66 Unabhängig von der Frage der Authentizität des zitierten Franziskuswortes gab es ja im Testamentum des Heiligen eine klares Verbot, sich Schutzbriefe der römischen Kurie zu erbitten, und die Mahnung: „ubicumque non fuerint recepti, fugiant in alteram terram ad faciendam poenitentiam cum benedictione Dei“. Siehe Testamentum 26. In: Esser / Grau, Opuscula 441; Franziskus-Schriften 61.

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In Altenburg bekam die Reformation ihren entscheidenden Antrieb durch den ehemaligen Provinzvikar der Augustiner Dr. Wenzelaus Linck, der auf den Rat Luthers als Prediger von der Stadt berufen wurde und am 8. Juli 1522 dort eintraf.67 1523 ereigneten sich erste Übergriffe auf die Klöster, die Friedrich der Weise noch verurteilte. 1525 wurde aber den Brüdern die Predigt in ihrer Kirche mehr und mehr unmöglich gemacht. Wie weit das bereits von der städtischen Obrigkeit gedeckt wurde, ist nicht ganz klar. Der Kurfürst Friedrich erhob jedenfalls am 21. Januar 1525 bei ihr noch einmal Einspruch dagegen. Das hinderte aber den Stadtrat nicht, nun entschieden gegen die Franziskaner vorzugehen, um sie zu einem Leben und Predigen im Sinne des reformatorisch verstandenen Evangeliums zu bringen.68 Bei dem Widerstand der Brüder führte das schließlich zum Verbot zu predigen, Messe zu halten und Beichte zu hören. Diese Maßnahmen werden, ähnlich wie in Zwickau, theologisch und pastoral in einer Rechtfertigungsschrift begründet. In ihr übernimmt der Rat der Stadt selbst im Frühjahr 1525 gegenüber dem Kurfürsten Friedrich dem Weisen die Verantwortung für das reformatorische Vorgehen gegen die Brüder: „Inhibicion des radts zcu Aldenburgk aus begeher der gemeyn vnd prediger doselbst den barfussen monchen bescheen, das sie des predigens, meßhaltens vnd beichthorens mussig stehen sollen vnd desselben grundliche vrsachen.“ 69 Die entscheidenden theologischen Argumente, die der „Inhibicion“, dem Verbot des Rates zugrundelagen, sind allerdings von den reformatorischen Predigern verfasst worden: „Doch von kurz wegen seint alleine obuormelte artickel vorzceichnet, durch die vorordneten prediger dem radte zugestellet mit angehaffter bitt, das ein ersamer radt durch Gotes willen zcu heil des armen volgs solichen vngereimpten schedlichen plaudern begegnen wolle vnd mit den monichen ßo vil vorschaffen, das sie ihres vnchristlichen wesens vnd predigens abstehen, dem Euangelio zcutretten ader solich ir vnchristlich predigen vorlegeten, dyeweil einer jeden oberickeit geburet, einsehung zu haben, ßo die gemeine betrifft, uff das nicht ergers entstehe.“ 70 Das „unchristliche Wesen und Predigen“ der Brüder wurde durch ihren Widerstand gegen das „evangelische und christliche Handeln des Rates“ 71 und durch die Inhalte ihrer Predigten belegt, die vom „Doktor Wenzelaus Linck“ und anderen „biederen Leuten“ gehört wurden: „ob sie villeicht nach in sich selbst schlagen vnd zcum wortte Gotes tretten wurden, dasselbige lautter und reyn ane lugen vnd zcusatz der menschen zcu Gotes ehren vnd der menschen heil predigen“. Doch die Predigten ließen ein solches Insichgehen der Brüder und ihren Übertritt zum reformatorisch verstandenen Wort Gottes nicht erkennen, da die Brüder mehrfach gegen die reformatorische Lehre der Rechtfertigung allein aus Glauben angingen, die Heilsnotwendigkeit von guten Werken betonten und zum Beibehalten der bisherigen Bräuche wie der Anrufung der Heiligen und des Fastens aufforderten.72 Besonders erbittert war man, weil 67 Vgl. Müller, Gerhard: Linck (Link), Wenzeslaus. In: LThK3 6, 938f. Er verließ den Augustinerorden 1522 und heiratete 1523 in Altenburg. 68 Siehe insgesamt Doelle, Reformationsgeschichtliches 4–8. 69 Siehe ebd. 8, 261–272. 70 Ebd. 265f. 71 Gemeint waren drei brüderliche Mahnungen gemäß Mt 18,15–17, wobei nun die dritte Mahnung mit der Verpflichtung verbunden wird, auf die reformatorisch gesinnte Gemeinde zu hören (ebd. 261f.). 72 Vgl. insgesamt ebd. 263f.

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die Franziskaner „ungescheut“ und „unverschämt“ in Stadt und Land „die Prediger, den Rat und die Gemeinde zu Altenburg“ als „Ketzer gescholten und schändlich Gott gelästert“ haben, besonders weil sie es als „unchristlich“ hinstellten, „das Sakrament unter beiden Gestalten zu empfangen“.73 Deshalb übergab man auf „einträchtigen Beschluss“ aller städtischen Verantwortlichen den Brüdern die schon schriftlich vorliegenden Argumente für das Verbot von Predigt, Messe und Beichthören, samt den bereits gedruckt vorliegenden Artikeln von Zwickau. Das war als letzte Mahnung gedacht, auf die hin die Brüder in der eingeräumten Frist jedoch nicht zur Einsicht kamen und ihren Widerstand nicht begründeten.74 Dass das Predigen, die Messfeiern und die Beichtseelsorge der Franziskaner pastoral schädlich und für das Heil der Menschen verderblich waren, ergab sich bereits aus ihrem Widerstand gegen das reformatorisch verstandene „Wort Gottes“. Aber das Verbot der Messen, an denen „das arme, elende Volk hängt“, wurde wegen der Stipendien für „Krämermessen“ sogar wirtschaftlich begründet, weil das Volk durch Abgaben und Steuern ohnehin schon schwer belastet sei.75 Theologisch zu begründen, dass weltliche Obrigkeit gegen angebliche Fehlformen von Predigt, Gottesdienst und Seelsorge einschreiten dürfe und müsse, das war nicht so leicht. Es wirkte ein wenig gezwungen, wenn alttestamentliche Sanktionen gegen Pseudo-Propheten, die Vernichtung der Baalspropheten durch Elia und das Vorgehen der Könige Hiskija und Joschija gegen Götzendienst mit dem Vorgehen einer christlichen Obrigkeit gegen bisher als christlich anerkannte Formen von Predigt, von Gottesdienst und Beichtpastoral in Verbindung gebracht werden.76 Die kirchlich-pastorale Funktion weltlicher Obrigkeit in der ‚Christenheit‘, wie sie sich im Laufe des Mittelalters entwickelte und sich zum städtisch-herrschaftlichen Kirchenregiment verfestigte, machte jedoch die Argumentation für weltliche Gewalt im geistlichen Bereich verständlich. Neutestamentlich war das kaum überzeugend darzulegen, wenn etwa das Beispiel des wirkmächtigen Fluchwortes des Paulus gegen den Zauberer und falschen Propheten Barjesus vorgebracht wurde; denn bei Paulus wurden ja nicht äußere politische Machtmittel ins Feld geführt. Doch die Verfasser der Schrift schienen hier kein Problem zu sehen: „Aus dem allem clar ist, das man vnchristlichen predigern die lere verbieten sall, sonderlich ein magistrat.“ 77 Sie wussten sich in klarer Übereinstimmung mit der allgemeinen Auffassung ihrer Zeit, die selbst auf der altgläubigen Seite wirksam war, erst recht aber bei den der Reformation sich zuneigenden Obrigkeiten. So fand Friedrich der Weise in seiner Antwort auf diese Schrift vom 10. April 1525 nur Worte milder Mahnung an den Stadtrat: „ir werdet in dem vnd andern nichts handeln oder furnemen, das dem heiligen Ewangelio vnd wort Gots entgegen sey“.78 Den Franziskanern in Altenburg aber ließ der Kurfürst schreiben: „wir weren der zcuuersicht, sie wurden sich auß verleyhung Gots gnaden selbs also in die sach schigken, domit durch sie Gots werck zcugegen nichts unbillichs furgenomen wird“.79 73 Vgl. ebd. 265. 74 Vgl. ebd. 266. Die Pflicht zur Glaubensrechenschaft begründet man mit 1 Petr 3,15f. 75 Vgl. Doelle, Reformationsgeschichtliches 269. 76 Siehe insgesamt ebd. 266–271. Vgl. dazu Dtn 13,3–11; 1 Kön 18,19.40; 2 Kön 18,3f.; 23,4–20. 77 Siehe Doelle, Reformationsgeschichtliches 267. Vgl. dazu Apg 13, 6-11. 78 Siehe Doelle, Reformationsgeschichtliches 272. 79 Ebd.

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Da der Kurfürst keinen Einspruch gegen den Stadtrat erhob, der den Brüdern ihren seelsorglichen Dienst untersagt hatte, konnte seine Mahnung, nicht gegen das Evangelium und Wort Gottes zu verstoßen, sich nur noch auf die Art und Weise des Umgangs mit den Franziskanern beziehen. Von den Brüdern selbst dagegen erwartete Friedrich der Weise, dass sie sich „aus Verleihung von Gottes Gnaden“ „in die Sache schicken“, also das Verbot auf sich nehmen. Nur so würden sie „nicht unbillig“ sich „Gottes Werk entgegen“ stellen. „Gottes Werk“, das war die begonnene Reformation in Altenburg, zu der sich der Kurfürst hier knapp einen Monat vor seinem Tod deutlich bekannte. So konnte er den Brüdern zumuten, dass sie sich nicht dagegen auflehnen, obwohl das Ende ihrer bisherigen pastoralen Tätigkeit damit besiegelt war. Wenn die Brüder sich „in die Sache schicken“, musste nach Friedrich dem Weisen die städtische Obrigkeit so mit ihnen umgehen, dass sie nicht selbst dem „heiligen Evangelium und Gottes Wort entgegen“ ist. Das zielte insgesamt auf eine friedliche, im Sinne Friedrichs evangeliumsgemäße und überzeugende Durchführung der Reformation. Vielleicht erwartete Friedrich sogar, dass durch eine solche Art von Reformation sich schließlich selbst die Franziskaner überzeugen lassen. Jedenfalls wurden – franziskanisch gesprochen – die Brüder damit an den Kern ihrer ursprünglichen Berufung erinnert, das Evangelium zu leben und allein dadurch die Gnade Gottes zu bezeugen, die ihnen gegeben ist. Die Franziskaner von Altenburg haben das ihnen zugemutete Geschick auf sich genommen, denn bis zur endgültigen Aufhebung des Klosters scheinen sie sich zumindest im Bereich der Stadt an das Verbot einer pastoralen Wirksamkeit nach außen gehalten zu haben.80 Die reformatorischen Visitatoren unter Kurfürst Johann 1528/29 konnten die verbliebenen Franziskaner allerdings nicht überzeugen, ihr Ordenskleid aufzugeben und sich „in ein christliches Wesen zu begeben“ 81. Ihnen wurde aber angeboten, sich von der Stadt versorgen zu lassen, worauf sich nur zwei Brüder einließen. Die anderen mussten die Stadt verlassen. Kirche und Kloster übergaben die Visitatoren am 9. Februar 1529 dem Rat der Stadt, die Kirche als künftige einzige Pfarrkirche Altenburgs und das Kloster als Wohnung für die reformatorische Geistlichkeit und die Kirchenangestellten.82

4.3. Magdeburg Waren die Franziskanerklöster in Wittenberg und Torgau, in Altenburg und Zwickau Konvente der ‚martinianischen‘ Reformrichtung, die in der Saxonia S. Iohannis Baptistae erhalten blieb und noch in die obersächsische beziehungsweise thüringische Provinz hinüberging, so hatte die strengere Reformrichtung der Observanten nicht ohne Mithilfe weltlicher Gewalt des Magdeburger Erzbischofs Friedrich III. (1445–1464) den wichtigen und großen Studien­ konvent in Magdeburg 1462 übernommen.83 Bedeutende Brüder der Observanz hatten dort gelebt und gearbeitet wie aus fürstlicher Familie der einflussreiche Bruder Ludwig von An 80 Es wird 1528 nur von einem Fall berichtet, in dem der Guardian auf Wunsch einem Hofmeister zu Gardschütz das Sakrament unter einer Gestalt gereicht habe. Vgl. ebd. 17. 81 Ebd. 17. 82 Vgl. insgesamt ebd. 17–22. 83 Siehe Teichmann, Die Franziskanerklöster 145f. Vgl. Mt 18,15–17. Weigel, Petra: Ordensreform und Konziliarismus. Der Franziskanerprovinzial Matthias Döring (1427–1461). Frankfurt am Main u. a. 2005 (Jenaer Beiträge zur Geschichte, 7) 239–274.

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halt, der auf den jungen Schüler Martin Luther einen so nachhaltigen Eindruck machte.84 Der Einfluss des Mainzer Kurfürsten und Erzbischofs von Magdeburg, Albrecht von Brandenburg, konnte nun der reformatorischen Bewegung in der Stadt kaum entgegenwirken.85 Eher widerstrebte der patrizische Stadtrat den Neuerungen, sodass noch 1522 der Priester Andreas Kauxdorf wegen seiner Heirat aus Magdeburg vertrieben wurde und auf Luthers Hilfe angewiesen war.86 Luther musste sich auch für einen Gesellen des dortigen Bürgers Heinrich Oldenburg einsetzen, der wegen der Verbreitung lutherischer Schriften belangt werden sollte.87 Ein Zentrum der reformatorischen Bewegung war das Augustinerkloster unter seinem Prior Melchior Mirisch,88 einem Lutherschüler. Auch im Franziskanerkloster, das seit 1518 zur observantisch geprägten Ordensprovinz Saxonia sanctae Crucis gehörte, begründete Johannes Fritzhans, der früher als Verteidiger seines Ordensbruders Augustin von Alveldt und der Observanten in Annaberg aufgetreten war,89 seinen Austritt aus dem Kloster und seinen Übergang zum „Wort Gottes“ mit einer Schrift, die in Wittenberg bei Hans Lufft 1523 gedruckt wurde: „Johann: Fritzschans // an ein Erbarn: Er-//samen / weyßen radt // unnd gantze Christliche ge-//meyn der stadt Ma//gdeburg / Got//tis wort vnd // sein ab//schiet belan//gende / mit ey//ner sermon / wie man // Gottis wortt predigen // soll.“ 90 Er sprach dabei von den Vorgängen, die ihn nach seiner Überzeugung mit gutem Recht aus dem Kloster getrieben haben: „Das sie aber so hefftig zornig sein / das ich aus dem Closter gangen bin / hat mich dartzu gezwungen Gottis wort / das sie mir nicht wolten lassen frey sein / yn preding vnd studiren. Auch tzu letzt verpoten / daz mit mir niemand reden solt. Die weil sie mir dann mein teglich brodt entpfrembten / sonder welches keyn mensch leben mag / wie Christus sagt Matth. am 4. ließ ich kappen vnd platten auch ligen / vnd gieng daruon. Ich weiß wol das mich wider kapp noch platt selig macht / sondern mein gelawb yn Christum. Hetten sie mir Gottis wort gelassen / so het ich die kappen behalten / ich erpot mich genugsam auff der Cantzel / ich wolt mich lassen weyßen wo ich geyrt hett / es wolt mich aber niemand weyßen / sondern nur widerruffen. Vnnd auff das ich nicht ein auffrur macht der stadt / gieng ich hynweck / dann wo sie mich hetten eingesetzt / wer ein auffrur worden. Ich will von yhrer bueberey (ich wolt sagen yhr heylickeyt) nichts schreyben / sondern von disem zucker kornlein will ich ytzundt still schweygen / dann der Gardian hatt sie mit dem alten schulmeyster gar zugedeckt biß noch auf zwey. Will euch alleyn erynnern was ich gepredigt hab / auff das yhr villeicht nicht moecht gedencken ich hett euch verfurt / und das yhr auch mugt meyden die euch gottis wort nicht predigen.“ 91 84 Vgl. oben Kap. 1, Anm. 9. 85 Siehe Hülsse, Friedrich: Die Einführung der Reformation in der Stadt Magdeburg. In: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 18 (1883) 209–369. Vgl. auch Brecht, Luther II, 87. 86 Vgl. Brecht, Luther II, 72. 87 Ebd. 87. 88 Ebd. 89 Vgl. oben Kap. 1, Anm. 246–255, 306. 90 Siehe A 1r. In: Köhler, Flugschriften Fiche 271 Nr. 771. Vgl. ders., Bibliographie I/1, 513 (nr. 1207). 91 Ebd. A 2v. Er bezieht sich dabei auf Jesu Antwort in der Versuchung nach Mt 4,4: „Der Mensch lebt nicht nur vom Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“

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Die Überzeugung, im reformatorischen Verständnis der Heiligen Schrift Gottes Wort neu entdeckt zu haben, war bei Johann Fritzhans so überwältigend, dass er in diesem Sinn Gottes Wort als das „tägliche Brot“ sah, das ihm die Brüder vorenthielten. Von einem Entzug leiblicher Nahrung scheint also nicht die Rede zu sein, weil sich Fritzhans auf Mt 4,4 beruft, sondern von einem Verbot, das Wort Gottes im reformatorischen Sinn aufzunehmen, zu predigen und überhaupt anderen mitzuteilen. Also ist auch hier – ähnlich wie bei Myconius in Annaberg – an ein Predigtverbot und an Hausarrest im Kloster zu denken. Doch das genügte Fritzhans, um sein bisheriges klösterliches Leben, Kleidung und Tonsur („kappen und platten“) aufzugeben; denn nicht sie machen selig, sondern das Wort Gottes allein. Dass die meisten seiner Brüder ihm dabei nicht folgen konnten, dafür machte er den Guardian und mit ihm den „alten schulmeyster“ verantwortlich. Damit könnte Fritzhans seinen eigenen Lehrer Augustin von Alveldt gemeint haben, der in dieser Zeit des Umbruchs in Magdeburg vor dem Klerus gepredigt hat.92 Alveldt stellte in seiner „Oracio Theologica“ die wahre Kirche der wahrhaft Glaubenden und die verkehrte Kirche der Häretiker in scharfem Kontrast einander gegenüber, wobei diese Unterscheidung nach ihm jetzt geradezu apokalyptisch offenbar wird, obwohl sie schon mit dem Abfall des Teufels und der Ursünde des Menschen begann. Von Christus her ist diese Gegenüberstellung bereits klar gegeben, denn er hat durch seine Zwölf Apostel und seinen einzigen Stellvertreter im Hirtenamt, Petrus und dessen Nachfolger, seine „Schafe“ sichtbar von den „Übeltätern“ unterschieden, die den Wölfen, Dieben und Räubern, das heißt besonders den Irrenden und Häretikern, folgen. Die wahre Kirche, die auf Erden sichtbar erscheint, hat daher allein Christus als ihren Bräutigam und seinen Stellvertreter im päpstlichen Hirtenamt, sie wird allein geführt vom Heiligen Geist, kann daher allein definitiv über Wahrheit und Irrtum entscheiden und hat so allein die volle Wahrheit und das vollkommene Evange­lium.93 Demgegenüber ist die verkehrte Kirche, die „ecclesia malignantium“, „eine Menge, versammelt oder verstreut, von verworfenen Menschen, die schismatische Wölfe oder irrige Diebe oder häretische Räuber oder schließlich zu verdammende Böcke sind, unter dem einen Führer, dem Teufel“94. Zu ihnen gehörte nun Luther, der „verruchte Mönch“, der wie früher verurteilte Häretiker glauben machen will, die katholische und apostolische Kirche werde nicht vom Heiligen Geist geleitet und ihr Bräutigam Christus habe sie im Stich gelassen.95 Diese massive Polemik konnte nur die überzeugen, die unbedingt der Papstkirche treu bleiben wollten. Jene konnte sie kaum erreichen, die mit Hilfe der reformatorischen Lehre Gottes Wort neu entdeckt hatten. Sollte Fritzhans diese Rede Alveldts gehört haben, könnte sie mit ihrer Polarisierung seine Entscheidung gegen die Papstkirche und gegen seinen bisherigen Weg im Orden eher noch gefördert haben. Wenn Fritzhans in seiner Absage an den Orden Alveldt nicht beim Namen nennt, könnte eine gewisse Scham mitspielen, sich von

92 Vgl. dazu Smolinsky, Augustin von Alveldt 87–105. Die entsprechende Schrift Alveldts Oracio Theologica quam Magdeburgis Ad Clerum habuit erschien zwar erst 1528 in Leipzig (bei Valentin Schumann). Da Alveldt aber von Hadrian VI. als gegenwärtigem Papst sprach, stammte die Predigt noch aus der Zeit vor dessen Tod († 14. 9. 1523). Vgl. Smolinsky, Augustin von Alveldt 88. Siehe dazu auch Köhler, Flugschriften Fiche 1436 Nr. 3814. 93 Ebd. 92–95. 94 Ebd. 95 Anm. 62. 95 Ebd. 95 Anm. 61.

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dem loszusagen, den er früher verteidigt hatte. Doch trennte sich Fritzhans klar von seinen bisherigen Brüdern und dem noch papsttreuen Domklerus Magdeburgs: „Ich hab von den gotloßen heuchlern (wie auch von den thumpfefflein) allein von hertzen begert / mich yn meynen yrthumb zu weyßen. Niemants thets / noch hat yhr schenden vnd lestern kein ende / liegen vnd triegen sie haben mir nicht vrsach geben / aus dem closter zu tzihen / Yha hundert fur eyne / diße ist eben genug / das sie mir verpoten Gottis wort zu preding / wie wol ich auch / nicht lenger hoern macht / daz sie ßo gantz kleglich mit der beicht hantirten / meß vnd alle gute werck verkaufften / noch sein sie frumme geystliche vetter / nemen kein gelt dann nur vier hundert gulden zu testament. Ich wil hie schweygen / Es ist woll tzu erbarmen / das man Christum vnd sein wort / ßo elendt schenden vnd lestern soll / verdamnen vnd nicht bewern noch weyßen warumb / Heyden vnd Tuercken thetten ßo nicht / wie sie thun. Wolan sie werdens villeicht noch thun / die leutfresser vnd ketzermeyster / last sehen was sie kunnen.“ 96 Die Vorwürfe von Fritzhans sollten keine Antwort sein auf Alveldts Versuch, die wahre katholische Kirche sowie die Wahrheit ihrer Lehre und ihres Evangeliums aufzuzeigen. Das grundlegende Vertrauen von Fritzhans auf Gottes Wort im reformatorischen Verständnis stand eher unvermittelt gegen Alveldts unbedingtes Vertrauen auf die unfehlbare Führung der alten Kirche. Da beide ihre Argumente nicht wirklich austauschten, lässt sich nur die fortgeschrittene Entfremdung beider Seiten feststellen, in der niemand mehr mit seiner Sache und seinem Anliegen den Anderen erreichen konnte. Die Probleme, die Fritzhans im Leben seiner bisherigen Brüder andeutete, etwa ihren fragwürdigen Umgang mit der Beichte, ihren Verkauf von Messen und guten Werken, ihr heuchlerisches Umgehen des Geldverbots der Regel, führte er nicht näher aus. Alveldt ging schon gar nicht ein auf gegnerische Vorwürfe. Die jeweilige Sicht von Wahrheit, von Wort Gottes und Evangelium, wurde der anderen einfach gegenüber gestellt. Da blieben als letztes Mittel nur noch Predigt- und Kommunikationsverbote übrig, mit denen die jeweils überlegene Seite die andere zu treffen und zum Schweigen zu bringen versuchte. Nach Fritzhans war aber der Widerstand seiner bisherigen Brüder geradezu notwendig, um letzte Klarheit zu schaffen: „Es ist des Euangelions art vnd natur / das es solche widerspenstige geyster dapffer vnd redlich mussen anfechten / auff das yhr torheyt werde kundt vnd offenbar aller welt. Wie moecht man sonst erkennen yhr gotloß leben. Wer wolt doch sagen / das sie vnter einer solchen geystlichen gestalt / so vngeystlich weren / wenn sie nicht so hart tobten vnd wuetten wider das klar helle Gottis wortt. Es gleyst doch alles vor den armen zaghafftigen volck / das do leichtglawbig ist / von den platten biß auff die holtzschuech / do mit sie das arm volck blenden / wie die gleyßner zu der zeyt Christi und der Apostel thetten / das es yhr gotloß leben nicht sehen vnd erkennen kann. Ja sie machen mit yhrem scheyn / das es Christum vnd sein heyligs wort / yhren grosten trost / wider todt / teuffel / vnd hell / zum mersten teyl von sich wirft / vnd nicht hoeren will. Dann es schleust also. Die geystlichen lieben vetter gehen einfeltig do her / sie dienen Gott tag vnd nacht / sie haben auch viel großgelarter leutt / die die sach wol vorstehen / vnd wollen doch an Luthers sach nicht: Darum ist yhr ding recht / vnd alle die do wider reden sein vnrecht. Do kommen denn die geystlichen vetter doher / gantz einfeltig / zwacken ein stucklein 96 Siehe Fritzhans, An radt unnd ganntze christliche gemeyn der stadt Magdeburg, C 5v.

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odder zwey aus der leer D. Martini / nach yhren duncken / geben fur es sey ketzerey / vorpieten die buecher / woellen niemandt absolvirn der sie list.“ 97 Das Ansehen, das die einfachen observanten Brüder mit ihrer Tonsur und ihren Holzsandalen, mit ihrem Gottesdienst bei Tag und Nacht, mit der Gelehrsamkeit vieler bei dem armen Volk errungen haben, musste als gottwidrige Scheinheiligkeit und Heuchelei entlarvt werden. Das aber leuchtete besonders gut ein, wenn sie als tobende, wütende, fanatisch polemische Gegner Luthers erscheinen. So machte sich Fritzhans die Polarisierung zu Nutze. Es schien ja, dass seine bisherigen Brüder in ihrer Polemik gegen lutherische „Ketzerei“ und in der Durchsetzung des Verbots von Luthers Schriften dem Volk etwas höchst Bedeutsames vorenthalten wollten. Das ließ sich leicht als Vorgehen gegen die freie und offene Verkündigung des Evangeliums, des klaren und hellen Gotteswortes im reformatorischen Sinn, brandmarken. So wurden die Gegenmaßnahmen der Brüder gegen die Reformation gerade zu deren Wahrheitszeugnis, denn wie in der biblischen Geschichte werden damit Christus und sein heiliges Wort selbst verfolgt, um den Menschen das zu nehmen, was ihnen Trost und Rettung sein könnte gegen Tod, Teufel und Hölle. Immerhin musste diese Argumentation mehr als ein taktisches Spielchen sein, sie konnte nur in echter Ergriffenheit von dem reformatorisch neu entdeckten Evangelium, dem Wort Gottes selbst, überzeugen. Die Polemik etwa Alveldts war schon dadurch im Nachteil, weil es in ihr mehr um die Verteidigung der Tradition und Institution der Papstkirche ging als um das Neuheitserlebnis einer religiösen Ergriffenheit. Mit der Schrift von Fritzhans war freilich der Erfolg der reformatorischen Bewegung in Magdeburg noch nicht entschieden. Die damit einhergehende Unruhe, der Fritzhans angeblich mit seiner Schrift entgegentreten wollte, steigerte sich, bis im Mai 1524 das patrizische Stadtregiment den Weg freigab für einen Bürgerausschuss, der mit den reformatorischen Predigern über die kirchliche Neuordnung in der Stadt beraten sollte. Vom Bürgerausschuss eingeladen, traf Luther selbst am 24. Juni in Magdeburg ein, wo er unter großem Zulauf des Volkes predigte und sich für die Berufung der reformatorischen Prediger durch die Pfarrgemeinden einsetzte.98 In der Zeit der sich konsolidierenden Reformation in Magdeburg mussten schließlich 1526 die Franziskaner über ihr Leben aufgrund des Wortes Gottes öffentlich Rechenschaft ablegen. Vorausgegangen waren 1524 „Artickell“, an denen mit „andern predigern des ewangelij der loeblichen vndd Kayserlichen Stadt Maydeburgk“ auch Fritzhans führend beteiligt war.99 Dort hieß es unter Punkt 4:

97 Ebd. A 1v–2r. 98 Vgl. dazu Brecht, Luther II, 87. In diesen Kampf um die Reformation gehörte noch eine Schrift von Fritzhans, die er 1524 in Zwickau herausbrachte: Wie mann // das klar hell gots wort pre=//digen soll / Zuowider // den Dobenden / vnd // wuettenden gotlo//sen menschen. In: Köhler, Flugschriften Fiche 151 Nr. 414. Hier wiederholte Fritzhans weithin das, was er in seiner Rechtfertigungsschrift bereits schrieb. 99 Siehe zunächst als Zwei-Blattdruck aus Magdeburg 1524 „Ein erklerung der ach//zcen artickel / durch die pre=diger zw Magdeburg auß//gangen Erkleret durch Doct. Eberhardum Weydenße vnd Joh: frizsthans.“ In: Köhler, Flugschriften Fiche 216 Nr. 610. Dann die ausführlichere Erläuterung dazu: Mirisch, Melchior / Weidensee, Eberhard / Fritzhans, Johannes [u. a.]: Doctor Melchior // Mirisch / Doctor Eberhardus // wydensee / Joannes FritzHans / // sampt andern predigernn / des // Ewangelij / der loeblichen vnnd Kayserlichen Stadt Mayde=//burgk / erbithen sich diese nach // gedruckte Artickell / vor eyner // gantzen gemeyn mit gegrunter // schrifft tzu erhalten / widder alle // Papisten Alhye tzu Maydeburgk. Magdeburg 1524. Siehe Köhler, Flugschriften Fiche 982 Nr. 2484.

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„Der geystlich genantenn gelubde / seyn wider gottes wort / gebot / Christlichen glawben / vnd freyheit / widder menschliche vornunfft / vnnd vber menschlich muglikeit / Darumb seyn die christlichen gewissen die tzw halten / nicht vorbunden.“ 100 Die reformatorischen Prediger übernahmen hier pauschal, noch ohne Erklärung und Differenzierung, Schlussfolgerungen aus Luthers De votis monasticis. Die Augustiner in Magdeburg unter Führung ihres „Doctor Melchior Mirisch“ zogen daraus die entsprechenden Konsequenzen, gestatteten Brüdern den Austritt aus dem Kloster und regelten mit der Stadt deren Versorgung.101 Da die Franziskaner in ihrer Mehrheit zu solchen Schritten nicht bereit waren, mussten sich reformatorische Prediger und Stadtrat eine Handhabe gegen deren Widerstand einfallen lassen. Man verlangte von den Renitenten, ihr Leben aus der Heiligen Schrift zu rechtfertigen und sich mit ihrer Antwort der öffentlichen Auseinandersetzung zu stellen. Das Ergebnis dieses Verfahrens ist überliefert in einer Schrift, die 1526 in Magdeburg gedruckt wurde: „Der Barfuszer zw // Magdeburg grund yhres Ordens. // Nyderlegung desselb // tigen ym wortte Gottes. // Erstlich eyn sendebryff / wy sulchs // den von Hamburg durch die von // Magdeburg zu geschryben.“ 102 Dass der Rat der Stadt auf drängende Anregung der reformatorischen Prediger zu dem Unternehmen veranlasst wurde, zeigte sich in dem „Sendbrief “ an „Bürgermeister, Ratsmänner und ganze Gemeinde“ der Stadt Hamburg, der im Druck die Schrift einleitet. Da hieß es: „wyr durch vnser / vonn Gott zu geschickte / Euangelische Prediger / ym wortthe Gottis / auffs hogeste / offt vnnd viell zu behertzigen vormanet / das die Oerden alhie / welche byßher zu geystlich gehalten / nicht alleyn vnnutzlich / andern zur selykeyt schedelich / auch wyder das aller eddelste vnnd thewerbarste wort: Euangelion Christi (welchs Ro. 1. eyn krafft Gottes ist) strebeten / die ehr Gottes vorkleynerten / das Gotliche geheymnus zur seligkeyt bergeten / den mechtigisten / widergefunden / allergroesten schatz vntertrugketen“.103 Das Pathos von der Unterdrückung des neu entdeckten Wortes Gottes im „Euangelion Christi“ durch die bisher für geistlich gehaltenen Orden erinnert an die Rechtfertigungsschrift von Fritzhans. Dass sich die Stadträte erst nach häufiger und andauernder Ermahnung auf ein Vorgehen gegen die nun als unnütz und schädlich entlarvten Orden entschließen konnten, ließ

100 Siehe: Ein erklerung der achzcen artickel (ad iiii), 2. 101 Vgl. Brecht, Luther II, 87. 102 Siehe Köhler, Flugschriften Fiche 433 Nr. 1174, A 1r. Vgl. dazu Köhler, Bibliographie I/1. 99 (nr. 220). Die Schrift besteht aus mehreren, auch sprachlich unterschiedlichen Teilen: 1. Frühneuhochdeutscher Sendbrief des Magistrats zu Magdeburg an den Magistrat zu Hamburg; 2. Niederdeutscher Brief des Magdeburger Guardians Johannes Grever an den Magistrat von Magdeburg; 3. Niederdeutscher Brief des Provinzialministers der Saxonia S. Crucis Andreas Grone an den Magdeburger Magistrat; 4. Kurze frühneuhochdeutsche Entschuldigung an die Leser wegen der angeblichen Unverständlichkeit der franziskanischen Texte; 5. Allgemeine Begründung franziskanischen Ordenslebens in Niederdeutsch; 6. Niederdeutscher Text der Regula Bullata der Minderbrüder sowie in ähnlicher Sprache eine kursorische Verteidigung der Regel und ihres Inhaltes durch die Franziskaner (Johannes Grever beziehungsweise Andreas Grone), begleitet von frühneuhochdeutsche Glossen meist am Rande, gelegentlich im Text selbst von seiten des reformatorischen Predigers Eberhard Weidensee; 7. Abschließende Widerlegung der franziskanischen Verteidigung durch etliche reformatorische Magdeburger Prediger in Frühneuhochdeutsch. 103 Siehe Barfüsser zu Magdeburg: Grund yhres ordens, A 2v. Vgl. Röm 1,16.

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das verbreitete Ansehen erkennen, das ja nach Fritzhans gerade die observanten Franziskaner in der Stadt hatten. Mit ihnen musste man sich offenbar in besonderer Weise beschäftigen: „haben alßo in schuldiger pflycht / Gott dem allmechtygen seynem wort mehr dann den menschen / gehorsam zw seyn / dy Barfusszer alhie guter wolmeynunge angesprochen vnnd bruderlich vormanet / das wyr ym worthe Gottes belernet / das yhr byß herzu gehalttener standt / nicht alleyn zur selykeyt vorgeblich / besunder mehr zu Gottes lesterunge / vordamlich wehr / das sie sich selbst in dem / wie bereyt / ethliche vonn yhne / auß dem kloster gegangen / Auch die Augustiner yn gesampt alle gethan / erkenneten yhre eygennutzliche wercke / welche der heylige Apostell Ti. 3. ym geyste Gottes offynbar vorwurfft / fallen lyessen / das heylsam wort Gottes / auch annehmen / ader auß Gotlicher schryfft / den grundt yhres Ordens anzeygeten. Vnnd ßo ein sache grosszer vnnd wychtiger (wie dysse) ist / ye mehr vnd mehr guthes rathes / gewysser erforschung vnd stanthafftiger orterung / die selbtyge / erfordert / Der halben yhne / den Barfusszernn nach yhrer selbst beliebung eyn rawme zeyt / dar zu / gelaszen / Wu nicht / wurden wyr nothwendig / auff geschehene vormanung vnser schweren pflycht nach / zu forderung der ehre Gottis geursacht / do myt die unsernn / alhie nicht weyter oder lenger Christo Jesu / dem eynygen heylandt / vnnd von Gott / dem Vater gesatztten vnnd gegebenen geweltygen mytler / dem auch niemandes / wyder sunde / thodt / teuffell noch helle wyderstehen kan / abegezogen.“ 104 Die Franziskaner wurden also vom Magistrat mit der neu gelernten reformatorischen Lehre über die Vergeblichkeit, ja Verdammnis ihres bisherigen Standes konfrontiert, was einige von ihnen – wie die Augustiner insgesamt schon – einsahen und aus dem Kloster gingen. Der Rat scheute sich allerdings, die Brüder aus der Stadtgemeinde auszuschließen,105 denn das müsste er konsequenterweise tun, „damit die unseren hier nicht weiter oder länger von Christus Jesus, dem ewigen Heiland und von Gott, dem Vater, eingesetzten und gegebenen gewaltigen Mittler, dem niemand, weder Sünde, noch Tod, noch Teufel widerstehen kann, abgezogen“ würden. Auch dieser Gedanke entsprach der Anklage von Fritzhans gegen seine früheren Ordensbrüder.106 Die „geraume Zeit“, die der Rat den Barfüßern noch ließ, erschien angesichts der angeblichen Verderblichkeit ihres Lebens und ihrer Lehren für die Stadbevölkerung nur als ein Aufschub, damit die Brüder auf die Mahnung antworten konnten beziehungsweise ihre Antwort als unzureichend nachgewiesen wurde: „Dem nach seyn vns diese nachfolgende schrifft / erstlych der Barfusszer alhie / dar ynne sie yhren standt / wollen gegrundet haben / Vnnd wyderumb wie der selbttyge gantz vnnd gar / durch Gotliche schryffte vorleget / durch etliche vnszere Predyger / zuhanden gestelth.“ 107 Der Wille der Brüder, ihren Stand zu begründen, wurde nicht bezweifelt. Aber nach dem parteiischen Urteil der Gegenseite erfolgte diese Begründung nicht aus der Heiligen Schrift, dem Wort Gottes im reformatorischen Sinn. Daher musste der Schrift der Barfüßer ihre Widerlegung aus der Heiligen Schrift durch etliche reformatorische Prediger folgen.

104 Ebd. A 3r. Vgl. vermutlich Tit 3,9–11. Besser passte zum Kontext 1 Tim 4,3f. 105 Hierzu passt Tit 3,10 vom Meiden der Irrlehrer nach zweifacher Ermahnung. 106 Vgl. oben Anm. 97. 107 Barfüsser zu Magdeburg, Grund yhres ordens, A 3v.

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In dieser von Vorurteilen bestimmten Atmosphäre haben die Magdeburger Franziskaner mit der im damaligen Niederdeutsch verfassten Verteidigung ihrer Regel, der Regula bullata in einer entsprechenden niederdeutschen Übersetzung, ein bemerkenswertes Werk zustande gebracht.108 Eingeleitet wurde die Verteidigung der Brüder von Briefen des Magdeburger Guardians Johannes Grever und des Provinzialministers Andreas Grone. Der Guardian Grever schrieb am Montag nach dem vierten Ostersonntag (Jubilate), dem 23. April 1526, über die vom Syndikus der Stadt verlangte „beweisung unseres standes“109, die Brüder wollten sich diesem Ansinnen nicht verweigern: „Wie wohl unser Leben und unser Stand in Gott hochgegründet ist und wohl bewährt, wie der ganzen Christenheit offenbar ist, weshalb wir auch nahezu über die ganze Welt ausgebreitet sind, sodass an vielen Orten nicht ein, sondern zwei oder drei Klöster unseres Ordens sind.“ 110 Danach berief Grever sich auf viele Brüder königlichen Geschlechts, die im Orden ein heiliges Leben geführt haben. Auch jetzt gebe es Brüder königlicher Herkunft wie den derzeitigen Generalminister, der mütterlicherseits mit dem Kaiser Karl V. eng verwandt sei.111 Zudem führte er den in Magdburg bekannten Fürsten und späteren Franziskaner Ludwig von Anhalt an: „mit uns hier gelebt und vielen bekannt Pater Ludwig seligen Gedenkens, geboren als ein Graf von Anhalt, etliche Mal Guardian hier zu Magdeburg und in Halle gewesen“.112 Ganz allgemein wies er auf Päpste, Kardinäle, Bischöfe und große Gelehrte hin, die aus dem Orden hervorgingen: „wenn die nicht die Wahrhaftigkeit unserer Lebensform gewusst hätten, hätten sie nicht Land und Leute verlassen, sich so ganz dem Leben der Armut gegeben. Wie das nun die oben genannten anführen, ist es ein starker Beweis unseres Standes, und es wäre nicht nötig, das in Frage zu stellen“.113 108 Leider ist hier keine philologische Einschätzung der niederdeutschen franziskanischen Texte möglich. Das muss Fachleuten überlassen bleiben, die hoffentlich diese Texte näher untersuchen werden. Nach einer persönlichen Mitteilung von Prof. Dr. Volker Honemann, damals im Germanistischen Institut (Abteilung Literatur des Mittelalters) der Universität Münster, unterscheiden sich diese Texte nicht wesentlich voneinander. Denn in allen vermischt sich eine mittelniederdeutsche Grundsprache mit Elementen des Frühneuhochdeutschen. Für diese Mitteilung und für die Hilfe bei der Übersetzung der mittelniederdeutschen Textpassagen möchte ich herzlich danken. 109 Barfüsser zu Magdeburg, Grund yhres ordens, A 4r: „bewysinghe unses States“. 110 Ebd. A 4rv: „Wo woll dat unse leuent vnde Stadt yn Godt ys hochgegrundet vnde woll beweret / alße der gantzen Christenheyt ys apenbar / war vth / wy ock auer de gantze werlet / gar na synt vthgebreydet / also dat ock in velen Steden / nicht eyn / sunder twe offte dre synt kloster vnßes ordens.“ Das kann mangels besserer Kenntnisse des Mittelniederdeutschen nur frei ins heutige Deutsch übertragen werden. Dennoch scheint gerade bei diesen niederdeutschen Texten ein solcher Übersetzungsversuch zu einem besseren Verständnis sinnvoll. 111 Gemeint ist Francisco de Quiñones. Vgl. Schlageter, Johannes: Quiñones, Francisco de, OFM. In: LThK3 8, 774. 112 Barfüsser zu Magdeburg, Grund yhres ordens, A 4v: „meth vns hyr geleuet vnd velen bekanth selyger gedechtnysse Pater Ludowicus geboren eyn Graue vann Anhalt / etlyke male Gardian hyr tho Meydeborch vnd tho Halle ghewest“. Vgl. Luthers Erinnerung an diesen fürstlich geborenen Franziskaner, oben Kap. 1, Anm. 9. 113 Ebd.: „wan de nicht hadden gewust vnses leuendes eyne wahrheydt / sie hadden nicht vorlathen / lanth vnd lude / sych ßo gentzelich gegeuen tho deme leuende des armodes / wu woll nu / dat dyt vorbeschreuene ynfuren / ys eyne starcke bewysynnghe vnßes States / vnnde were nicht noith / dar vann eyne fraghe tho donde“.

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Weil so bedeutende Leute, von der Wahrheit franziskanischen Lebens überzeugt, Herrschaft und Eigentum aufgaben, um sich dem Leben der Armut zu weihen, wäre eigentlich keine Nachfrage mehr nötig, um die Wahrheit franziskanischen Lebens zu begründen. Aber auf Verlangen des Rates wollten die Brüder doch nachweisen, „dass unser Leben und Stand christlich sei, weil er von Christus Sankt Franziskus durch den Heiligen Geist eingegeben, so kraftvoll durch die Einprägung der Wundmale unseres Herrn Jesus Christus in den Leib des heiligen Franziskus ohne Makel befestigt, dass es sich nicht ziemt, dagegen zu reden. Und es ist christlich niedergeschrieben nach der Form und Weise, wie es [noch] heute erscheint, darin wir geloben, das heilige Evangelium zu halten durch ein Leben in Gehorsam, Keuschheit und Armut“.114 Dass das wirklich stimmt, sollte dem Rat von Magdeburg angezeigt werden: „mit Bewährung aus der Heiligen Schrift von Satz zu Satz, um zu beweisen, dass Christus ein Fundament unseres Lebens und Standes sei, auch dass aus dem Leben Christi und der Apostel der rechte Kern des heiligen Evangeliums sei“.115 In ihrer Lebensform, die dem Leben Christi und der Apostel folgt, möchten also die Brüder, so meinte der Guardian, den Kern, die Mitte des Evangeliums darstellen. Diesem Vorhaben würden sich die Brüder später in ihrer Erklärung der Regel widmen. Sie wäre freilich bereits genug durch die Obrigkeit, vor allem durch die Stellvertreter Christi, die Päpste, und die Konzilien, bestätigt und in diesem Sinn auch durch große Gelehrte erklärt. Die Brüder wollten aber nicht auf jene Artikel der reformatorischen Prediger eingehen, die den Erzbischof von Magdeburg angingen und sein Stiftskapitel, die – soweit sie allgemein christliche Angelegenheiten betreffen – auf einem kommenden kaiserlichen Ratstag (concilio) zu behandeln wären. Auch hatte der Minister der Provinz ihnen eine eigene Stellungnahme verboten. Denn wenn man den Gelehrten nicht glaubte, würde man wohl auch den einfachen Minderbrüdern nicht glauben. So mussten sie sich letztlich der Gnade und Gunst des Rates empfehlen, dass er nicht mit Gewalt die Brüder zu etwas zu drängt, was sie nicht tun können.116 Denn die Zeit würde zeigen, was von den vorgenommenen Neuerungen bliebe: „Ist dieser neue Handel von Gott, kann ihn niemand auflösen oder verhindern. Ist er aber von den Menschen, wird er sich zweifellos selber auflösen.“ 117 Im Weiteren wollten die Brüder, wie Grever schrieb, sich nur noch dem Erzbischof gegenüber verantworten, dem sie besonders verpflichtet sind, weil einer seiner Vorgänger sie in die Stadt Magdeburg geholt hat. Damit ist wohl die Einführung der Observanten in das Magdeburger Kloster 1462 durch Erzbischof Friedrich III. von Magdeburg gemeint.

114 Ebd. B 1r: „dat vnse leuent vnd staedt sy Christlick wente van Christo / Sancto Francisco dorch den hyllighen geyst yn gegeuen / ßo krefftlich dorch de indruckinghe der wunteycken vnßes heren Jesu / yn den lychenam Sancti Francisci / vnstrafflych beuestiget deme nicht themet to ent yeghen tho seggende vnde kristlyken beschriuen na forme vnd wyse alse idt in desseme daghe erschynet dar ynne wy lauen tho holdende / dat hillyge Euangelium Jesu Christi tho leuende / yn ghehorsaem / kuscheyth vnnd armodt“. 115 Ebd.: „medt beweringhe der hilligen schryffte / van sentencien tho sentencien Dath bewysende dath Christus sy eyn fundament vnses leuendes vnde states / Ock dat ydt sy vth deme leuende Christi vnde der Apostele de rechte kerne des hylligen Euangelij“. 116 Vgl. ingesamt ebd. B 1v. 117 Ebd. B 2r: „Is desse nyghe handell van Gade / nummant mach one vploßen offte vorhinderen / Is ße ock van den menschen wert sich ane twyuell suluen uploßen.“ Vgl. den Rat Gamaliels in Apg 5,38f.

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Am Montag nach dem zweiten Ostersonntag, dem 9. April 1526, schrieb bereits der Provinzial­minister Andreas Grone aus dem thüringischen Langensalza, dass er sich des Anliegens des Rates und seiner Magdeburger Brüder angenommen habe und eine schriftliche Antwort auf die Anfrage des Rates vorlegen wolle. Er hoffe aber, dass die Brüder von Magdeburg auf jeden Fall in Sicherheit leben dürfen, wie das vom Kaiser auf dem Reichstag zu Speyer bestimmt worden sei, zumal sie letztlich ihr Leben vor dem kaiserlichen Reichstag selbst zu verantworten bereit sind.118 Demnach scheint die franziskanische Verteidigung der Lebensform und Regel der Provinzialminister Andreas Grone selbst verfasst zu haben. Das deutete vielleicht die etwas andere Sprache in der folgenden grundsätzlichen Schrift an, die die spätere Regelerklärung einleitete sowie theologisch und spirituell grundlegte. Diese franziskanische Schrift wurde freilich im Text selbst und am Rande durch Glossen kommentiert, die die reformatorische Seite in frühneuhochdeutscher Sprache beigab. Schon zu Anfang wurde die damalige niederdeutsche Sprache, die die Brüder gebrauchten, als undeutlich und unverständlich hingestellt: „Wysse lieber leszer das man sich myt hochem fleyssigem auffßehen / groß bemuhet hat / der Barfusser schryfft / in allen wortten sillaben vnd buchstaben / eygentlich abezutrugken / wie die selbtige / eym Erbaren wolweysen Rathe der alten Stadt Magdeburg vberantwort / Auch (do myt niemandes vordacht) alßo zubescheen befolen / Darff man dem Setzer ader Correctori keyn: besunder den Barfussern: schuld geben / So in der selbtigen teutzschen sprach / die yn yhrer arth vndeuthlich / vnd seer vnvorstendig / alßo vber geben / befunden ist. In dem woll abe zunehmen / das sie es nicht anders oder besser fuer zubrengen gewust / vnnd mytleydunge zu haben.“ 119 Damit wurde von Anfang an das Unternehmen der Brüder abgewertet; denn das geforderte Mitleid galt ja den für die Schrift Verantwortlichen, weil sie es nicht besser zustande gebracht hätten. Dass die Art und Weise der Wiedergabe und Kommentierung Parteilichkeit derer verriet, war denen, die diesen Text herausgaben, vielleicht gar nicht bewusst. Oder sie rechneten sogar auf den Beifall der Leser für ihre abschätzige und abwertende Behandlung der franziskanischen Schrift. Diese Schrift der Brüder versuchte zunächst eine allgemeine Grundlegung christlichen Lebens als eines geistlichen Lebens, weil es nach den Franziskanern dabei um den Geist Jesu Christi überhaupt und nicht um eine besondere Institution geht.120 Im Geist Jesu Christi, wie sie ihn verstanden, sahen sie sich eins mit der heiligen Christengemeinde, von der zu trennen, ewiges Verderben brächte: „Wer aber sich abtrennt vom Geist Christi oder der heiligen Christengemeinde, die allen zur Vermeidung ewigen Verderbens notwendig ist, der ist ein unguter, heilloser, ja viel

118 Vgl. ingesamt B 2v. 119 Siehe ebd. B 3r. Ob diese Erklärung zutraf, lässt sich nicht mehr feststellen. Aber selbst wenn es die Unklarheiten und sprachlichen Eigenarten bereits gegeben hätte, die das Verständnis des franziskanischen Textes erschweren, hätte man den oder die Autoren noch befragen können und müssen, wäre es um einen fairen Meinungsaustausch gegangen. Von solcher Fairness ist nichts zu erkennen in dem Umgang mit diesem franziskanischen Versuch, die eigene Lebensform und Regel angesichts reformatorischer Kritik zu verteidigen. Freilich suchten auch die Franziskaner kaum einen ernsthaften Zugang zum Denken ihrer Gegner, zu denen ja frühere Ordensbrüder gehörten. 120 Vgl. ebd. B 4v.

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weniger ein geistlicher Mensch, er rühme sich, welcher Würde, welchen Standes und Wesens oder [Lebens-]Weise er wolle.“ 121 Dieses mittelalterliche Konzept der alleinseligmachenden Kirche, dem sich die Brüder unbedingt verpflichtet sahen, brachte den Kommentator in einer Randglosse dazu, ihnen die verderbliche Abtrennung von den übrigen Christen vorzuwerfen: „wie die barfusser thun die nicht szeyn wie ander leute / richten vorderbliche secten an“122. Der Vorwurf der Sektiererei begegnete öfter in der reformatorischen Ordenskritik. Doch die Franziskaner wollten sich gerade zur grundlegenden Einheit bekennen: „Denn diese Einigung eines Geistes, eines Gottes, einer Taufe, eines Glaubens, einer heiligen allgemeinen christlichen und apostolischen Kirche, einer Liebe, einer Hoffnung, eines Evangeliums, einer Grundfeste, eines Hauptes, eines Leibes, eines Schafstalls, eines Hirten, eines Vaters, eines Heilands, eines Meisters, eines Mittlers, eines Brotes, eines Kelches, eines Zugangs zum Gnadenstuhl durch einen Hohepriester Christus, der unser aller Weg, Wahrheit und Leben: sie haben wir alle so notwendig, wie häufigere Betrachtung der Heiligen Schrift.“ 123 Die Brüder schienen mit diesem Bekenntnis zur wesentlichen Einigung aller Christen ihre Adressaten in diese Einheit miteinzubeziehen. Doch wie weit sahen sie ihre hartnäckigsten Gegner bereits als „abgetrennt“ von dem einen „Geist Christi“ und als „heillos“ an? Zumindest als Gefahr wurde das angedeutet. Der reformatorische Glossator dagegen grenzte die Brüder aus dieser beschworenen Einheit aus: „Sie reden vonn der eynigkeyt gleych wie der blynde vonn der farbe / der sie nye gesehen haben / wie eynig sie mit den Christen sind das weyßen yhre stricke und kappen woll auß.“ 124 Allein das abweichende franziskanische Ordenskleid widersprach demnach der Einigkeit mit anderen Christen, sodass selbst das Bekenntnis der Brüder zum einen Geist, zum einen Gott, zur einen Taufe, zum einen Glauben, zur einen Kirche, zum einen Hoffen, zum einen Evangelium reformatorisch nicht mehr zählte. Die Franziskaner brachten dann mit der Kreuzesnachfolge des Evangeliums nicht ihre allgemeine christliche Berufung in den Blick, vielmehr die besondere asketische Konsequenz ihres Ordenslebens: „Dass man aber völlig, das heißt in Regel, Form, Weise, Beschreibung, durch das Kreuz des Evangeliums es auf sich nimmt, den alten Adam zu töten, nach der Weise wie vorher gesagt, nämlich durch Abstinenz und Abbruch, Fasten, Wachen, Tagzeiten beten, Gehorsam, Armut, Keuschheit, Härte, Reinheit, Mangel an Kleidern haben, das ist dem 121 Ebd.: „Wer auer des geistes Jesu Christi / edder der hilgen christengemeyne / de allen by vormydinge des ewigen vorderues notlicht sich auetrennet / der ist eyn vngutiger heyloser / vil weniger ein geistlich mensche / er rohme sich welcker werde standes wesens / edder wyse er kunde.“ 122 Ebd. am Rande. 123 Siehe ebd. C 1r: „Den desser eynunge eynes geistes / eynes gades / eyner dope / eynes gelouens / eyner hylgen gemeynen Christliken vnd Apostolisschen kerken / eyner leue / eynes hoepens / eynes Euangelions / eyner grundfesten / eynes hoeuedes / eynes corpers / eynes schapstals / eynes herden / eynes vaders / eynes heylands / eynes meysters / eynes myddelers / eynes brodes / eynes kelches / eynes thoganges tho den genadenstol durch eynen hogen pryster Christum / der aller vnßer wech warheyt vnd leuent / synt we alle ßo benoediget / alße rickliker gotlicher schrifft ansecht.“ Vgl. dazu etwa Eph 4,3–6; Joh 10,16; 14,6. 124 Ebd. am Rande.

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Evangelium nicht entgegen und auch nicht als unchristlich anzusehen. Es ist sogar so sehr mit christlicher Vollkommenheit eins, wie viele derselben oben genannten Bedeutung der Taufe nachzutrachten sich bemühen.“ 125 Die besondere franziskanische Lebensform und Regel mit den strengen Vorschriften der Observanz widersprechen dem Evangelium nicht, wenn sie im Sinne des Evangeliums als tägliches Kreuztragen auf sich genommen werden. Die observant geprägten Franziskaner sahen ihre strenge Askese dabei im Einklang mit der Bedeutung der einen Taufe, insofern sie half, den alten Adam zu töten. Das konnte freilich für ein anderes Verständnis von Umkehr und Buße nicht einsichtig sein, wie der Kommentator am Rande schreibt: „Puße thun / heyst eyn newer mensch werden / es flickt sych hie nicht mit werken / dieße betler wyssen noch nicht was bussze thun sey douon sie ßo viel waschen.“ 126 Die Buße, die Umkehr, durch die ein neuer Mensch wird, geschah nach reformatorischer Sicht nicht in besonderen Werken, schon gar nicht in der Askese eines Bettelordens. Sie wird grundgelegt in der rechtfertigenden Tat Gottes, die allein im Glauben den neuen Menschen schafft. Das setzte die reformatorische Glosse gegen die besondere Lebensform der Brüder: „das euangelion lernet pussze thun / das heyst aber nicht ein kappen an zyhen vnd eyn barfusszer werden sonder Christum an zyhen vnd eyn newe creatur werden“.127 Die Barfüßer selbst aber sahen durchaus einen evangelischen Sinn in ihrer Lebensform, den sie meinten darlegen zu können. Sie verteidigten „solchen unseren Wandel nach dem heiligen Evangelium in einem durch das Kreuz geregelten christlichen Stand, um abzutun das Ungemach des alten Lebens, in einem bei Euer Ehrbarkeit unvergesslichen und genug bewährten christlichen Wesen. Davon wollen wir, nicht anders als wir es angenommen, mit diesen Schriften einem jeden berichtet haben“.128 Dieses selbstbewusste Vorhaben, die eigene Lebensform mit dem Evangelium zu identifizieren, schien in reformatorischer Sicht von vornherein vergebens: „do felts euch aber lieben francischer / es heyst nicht s. franciscus regel / sondern christus regel halten die nach dießer regel eynher tretten vbir die sey fryd und barmhertzigkeyt etc. gal. vlt.“ 129 Genauso freilich beriefen sich die Brüder auf das Wort der Schrift: 125 Ebd. C 2v: „Dat auer den vollichlich / id sy regule / forme / wyße beschriuunge dorch Euangelisschen crutze angenohmen / tho dodende den olden Adam / na wyße wo vorgesecht / id sy dorch abstinentz / affbrock / vasten / waken / beden dagetyde / horsam / armodt / kuscheyt / hardicheyt / ryncheyt der kleder mangel hebben / ist dem Ewangelio nicht vneynich / vnd ock nicht vor vnchristlich an tho seynde. Sunder so vil christlicher vollenkomenheit eynich / ßo vile der sulftigen vorgedachten bedudunge der dope na tho trachten sich bevlitiget.“ Vgl. Röm 6,4–6. Das „evangelische Kreuz“ soll vermutlich das im Evangelium geforderte Kreuz bedeuten, das der Jünger Jesu auf sich nehmen beziehungsweise täglich tragen soll (vgl. Mt 10,38; Lk 9,23; 10,27). Der genaue Sinn dieser Satzperiode lässt sich aber nur vermuten. Jedenfalls geht es im Einklang mit der Taufe darum, den alten Adam zu töten. 126 Ebd. am Rande. 127 Ebd. C 3r am Rande. 128 Ebd. C 3r: „solichen vnsen wandel nach deme auerhyligen Euangelion dorch dem crutze / aue tho donde den vngemagk des olden leuendes / geregeleret christlichs standes / by Iwer Erbarheit / vnuorwyßlich vnd genoch bewerth / christlich weßen / den wy nicht anders also angenommen mit dyssen schriften wyllen eynen itlichen bericht hebben“. 129 Ebd. am Rande. Vgl. dazu Gal 6,16.

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„So bleibt auch noch stets unverändert: Die Wahrheit des Herrn bleibt in Ewigkeit, dass man sich aus Liebe zu Gott nach seinem Wohlgefallen in Gehorsam, Armut und Keuschheit christlich und recht übe. Auch wird es niemand widerlegen, obwohl man sagen will, es sei dem Evangelium entgegen und nunmehr zu tadeln, da Gehorsam, Armut und Keuschheit zu halten vor allem unter klösterlichen Gelübden, hieße, Christus mit Füßen treten. Denn Christus und die Schrift sagen, dass es gut ist, aber nicht im geringsten Wörtchen an Gelübde gedacht wird. Daraus folgern etliche nicht sehr meisterlich, dass aus den Gelübden nichts als Widerchristliches entspringe. Diesem aber, dass das Gelübde von Armut, Gehorsam und Keuschheit in der Schrift nicht erwähnt wird, wollen wir nicht widersprechen und keine Aufmerksamkeit schenken, sowie es uns in lobwürdiger Schrift gegründet ist.“ 130 Dass die besonderen Ordensgelübde nicht in der Heiligen Schrift gegründet sind, machte nichts, wenn Gehorsam, Armut und Keuschheit in der Schrift gutgeheißen werden. Man versuchte dann aber gegen die bekannten reformatorischen Einwände gegen die Klostergelübde, die Bedeutung von Gelübden aus den alttestamentlichen Schriften darzulegen. Dazu meinte der Glossator ironisch: „wie feyn arguirt er hie die schrift billichet gelubdte / darumb billichet sie die clostergelubdte / das ist eben so viel geredt: Johann greuer ist eyn graw eßel / darumb synd alle menschen grawe eßel“.131 Dem Guardian Johannes Grever, dessen Logik hier in Zweifel gezogen wurde, schrieb man die Schrift zu. Der „graue Esel“ schient allerdings fähig, differenziert zu argumentieren, denn er wusste, dass die Ordensgelübde nicht so einfach in der Heiligen Schrift aufzuzeigen sind. Bedeutsamer waren die Darstellung und Verteidigung der Regel, die man hier vorgelegte. Darin wollte man auch auf Vorwürfe antworten, die von ausgetretenen Brüdern, wie etwa von Fritzhans, kommen: „Es ist aber von unseren entlaufenen Mönchen hier bekannt geworden, wie uns im Auftrag Eurer Ehrbarkeit vom Doktor Syndikus berichtet wurde: wir entfernten uns in unserer Regel vom Fundament in Christus und suchten einen anderen Weg zum Vaterland, obwohl doch er allein sagt: ‚Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben‘, und so wollen wir unsere Regel mit sehr wichtiger göttlicher Schrift ans Licht geben.“ 132

130 Ebd. D 2v: „So blift ock noch stedes vnuorucket (Veritas domini manet in eternum.) dat men syck vth leuen tho gade nach synem wolbefalle / yn gehorsam / armod vnd kußheit christlich vnd billich oue. Ock wert es nemandt vorleggen wo wol men will seggen / id is Ewangelischen schriften vnentygen vnd nummehr to straffen / als geredt / gehorsam / armod vnd kußheit holden / ouer vnder closterlichen geloften is Christum mit vothen treden wan Christus vnd de geschrift secht wol dat id gut is / auer nicht ym geringesten wordeken wert de geloften gedacht. Daruth den etliche nicht sere meysterlich besluten / vth den geloften nichtes als dat weder christlich entspringet. Duth auer des geloftes in der schrift von armodt gehorsam vnd kuscheyt nicht gedacht / will wy nicht wedder reden vnd ßo ein andacht daryn tho hebbende / als wy vns mit loffwerdiger schrift gegrundet.“ Vgl. Ps 117,2 Vg. Die Argumentation, wie sie hier sehr kompliziert erscheint, lässt sich in ihrem genauen Sinn nur vermuten und interpretieren. 131 Ebd. am Rande. 132 Ebd. E 2r: „Ed is auer von vnsen vthgeloffen monichen hyr tho vorgekomen alßo wy im ansyttende Iwer Erbarheit / von Doctore Sindico berichtet / wy entpfronden vns in vnßer regulen von fundamento christo / vnd suchten eynen andern wech thom vaderlande / ßo er doch alleyne gesecht / Ego sum via veritas et vita / ßo will wy vnse regel mit vulwichtiger gotlicher schrift / anth licht geuen.“ Vgl. Joh 14,6.

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Weil also den Brüdern vorgeworfen wurde, sie kehrten sich in der Regel ab vom Fundament in Christus und suchten einen anderen Weg zur ewigen Heimat, deswegen wollten sie ihre Regel mit bedeutsamer Heiliger Schrift ans Licht geben. Die Regel wurde Satz für Satz vorgelegt: „Die Regel der Minderen Brüder ist dieses, nämlich das Evangelium unseres Herrn Jesus Christus zu halten, in Gehorsam, ohne Eigentum und in Keuschheit zu leben.“ 133 Das sollte dann aus der Heiligen Schrift verdeutlicht werden: „Wüssten auch nicht, wie es freier und unanfechtbarer gesetzt sein könnte, als dass das Evangelium unseres Herrn Jesus Christus, die unvergängliche, lautere, heilsamste und göttliche Lehre der menschgewordenen Weisheit Jesu Christi, die Regel ist und soll sein. Danach sollen die Minderen Brüder leben, gemindert im alten Adam, dem sich gut dünkenden und ehrgeizigen Menschen, durch den Gehorsam (Mt 16) sich selbst verleugnen und sich erniedrigen, wie Christus der Herr nach dem Wort des Paulus (Hebr 2) erniedrigt unter die Engel und (Phil 2) entäußert, gehorsam geworden bis zum Tod am Kreuz, nicht um den seinen, sondern seines Vaters Willen zu tun (Joh 6).“ 134 Da die Brüder die Gemeinsamkeit der Taufberufung betonten, konnte damit nur eine besonders gehorsame Nachfolge des Gekreuzigten gemeint sein. Aber das kam nicht deutlich zum Ausdruck, sodass der reformatorische Kommentator entgegnen konnte: „Das heyst gelogen vnd got gelestert / ist dieser titel recht, so musszen alle menschen vordampt seyn die nicht grawe münche seyn. Die regel mit yren gelubdten synd wyder die christliche freyheit Gal. 5. bestehet in der freyheit vnd last euch nicht widerumb in das knechtische ioch vorknupffen etc. 1 Cor. 7. yhr seyt theur erkaufft werdet nicht der menschen knechte etc.“ 135 Zum Leben nach dem Evangelium meinte der Gegner: „Sie thun es aber nicht ßo sie diese regel halten / wilche in vielen stucken ist wider das euangelion“.136 Und zur Christusnachfolge nach dem Willen des Vaters schrieb er: „den willen thun die kleyniger bruder nicht / den des vaters wille ist gleuben dem den ehr gesandt hat Joh. 6. nicht in eygen werck vnd vordienst“.137 So wurde Satz gegen Satz gesetzt, gegen die traditionelle Begründung des Ordenslebens im Evangelium die reformatorische Sicht des Christenlebens und des Evangeliums. So auch bei der Armutsauffassung, wo die Brüder schrieben: „Gleicherweise das heilige Evangelium auch zu halten durch die Armut, von Christus (Mt 19; Mk 10) angeraten: ‚Geh hin, verkauf deine Güter, gib den Armen, komm und folge

133 Ebd. E 2v: „Der Regel der kleyniger bruder is alße vnsers hern Jesu christi Ewangelium holden / leuen in gehorsam / ane eygen / vnd in kusheyth.“ Siehe Regula Bullata 1,1. In: Esser / Grau, Opuscula 366f. 134 Ebd: „Wusten ock nicht wo id konde frybarer vnd vnanfechtbarer gesattet seyn / als datt Ewangelion vnsers heren Jesu christi / dat is de vnuorgengliche / lutter / auerheylsam heilwerdigeste vnd gotbar lere / der mensch worden wisheit Jesu christi / is / vnd schal syn de regule / darnach scholen leuen de kleyniger bruder vorkleyniget ym olden Adam / den gutdunckigen vnd eergytzischen menschen dorch den gehorsam Mat. 16. vorsachen sich suluen / vnd vor kleynigen / als Cristus der here nach dem worte Pauli / Heb. 2. vorkleniget vnder den Engelen vnd Phil. 2. vornichtiget horsam geworden thom dode des crutzes / nicht tho donde synes / sunder den willen synes vaders Joh. 6.“ Vgl. dazu Mt 16,24; Hebr 2,7. 9; Phil 2,7f.; Joh 6,37–39. 135 Ebd. am Rande. Vgl dazu Gal 5,1; 1 Kor 7,23. 136 Ebd. am Rande. 137 Ebd. am Rande. Vgl. dazu Joh 6,19.

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mir‘, so enteignet und vermindert der Dinge, die hinderlich sind für die vollkommene Übung des neuen Menschen.“ 138 Die Dinge, die der vollkommenen Übung des neuen Menschen im Weg stehen, werden genommen und verringert durch den freiwilligen Eigentumsverzicht. Dem entgegen meinte die reformatorische Glosse: „nicht die dinge, sondern lust vnd liebe ßo man hat in den dingen vorhyndert Luc. 14. wer nicht absaget allem das ehr hat kann nicht meyn iunger seyn“.139 Diese bloß spirituelle Deutung evangelischer Armut hatte mit dem konkreten Weg Jesu und seiner Jünger wenig zu tun, mit dem sie eine Alternative zu einer Welt von Eigentum und Besitz aufzeigten. Ob diese Alternative freilich in der Armut der observanten Brüder damals erkennbar war? Die Keuschheit, auf die sich die Brüder beriefen, war ebenfalls anstößig. Es wurde auch ein sehr hoher Anspruch formuliert: „Das dritte aber, nämlich das Evangelium zu halten in einem Leben in Keuschheit, ist dermaßen angegeben, dass der neue Mensch freier sich übe in den Früchten des Geistes (Gal 5), wie unser gnadenreicher heilwürdiger Christus rät (Mt 19). Und nach der Weise des Paulus (1 Kor 7) sorge er für die Dinge, die dem Herrn gehören, ohne einer Frau anzuhängen und unruhig gespalten zu sein, sondern tauglicher, als Werkzeug Gottes mit ihm in einem Geist eins zu werden (1 Kor 6): ‚Wer Gott anhängt, wird ein Geist mit ihm‘.“ 140 Gegen diese größere Freiheit im Geist Gottes führte freilich der Gegner kein konkretes Verfehlen dieses Anspruchs ins Feld, sondern konnte nur den Anspruch selbst ironisieren: „wie der gardian greuer / der mit got so ein geist geworden ist / durch seyn iungfrawlich keuscheit / das ehr ym sagt wen die seele auß dem fegfewer kumpt“.141 Ob da auf eine bestimmte Aussage Grevers etwa in einer Predigt angespielt wurde, lässt sich nicht sagen. Vielleicht ging es nur darum, die beanspruchte Einheit mit Gott in Zweifel zu ziehen, denn wer kann schon wissen, wie Gott Seelen beurteilt. Im Text der Regel ging es ungefähr so weiter: „Bruder Franziskus verspricht Gehorsam und Ehrerbietung dem Papst Honorius und dessen Nachfolgern, die rechtmäßig ihr Amt antreten.“ 142 Der Papst aber konnte zu jener Zeit reformatorisch nur noch als Antichrist identifiziert werden:

138 Ebd. E 2v–3r: „Des gelichen och holden dat hilige Ewangelion dorch den armodt / von Christo geraden Mat. 19. Mar. 10. gha hen vorkoff dyn gude / gyff den armen / kum vnd volge my. So benowet vnd vorkleyniget der dingere / de behynderlich an volkomener ouunge des nyen menschen.“ Vgl. dazu Mt 19,21; Mk 10,21. 139 Ebd. E 3r am Rande. Vgl. dazu Lk 14,33. Schon die Übersetzung des Herrenwortes unterstützt hier eine bloß spirituelle Absage an Hab und Gut. 140 Ebd. E 3r: „Dorch dem drudden auer als dat Ewangelion holden / tho leuende in kusheit / ist der mathe angegeue / dat der nye Adam fryher sich oue / yn den fruchten des geystes Gal. 5. als vnßer gnadenricher heylwerdiger Cristus radet Mat. 19. vnd nach wyße Pauli 1. Cor 7. ßorge der dinger de dem heren gehoren nich anhengich dem wyffe / vnd vnrowlich vorspaldet thowesen / sunder bequemer eyn handgerow goddes mit om in eynem geyste / eyn werden 1. Cor. 6. wer got anhenget / wert eyn geist mit om.“ Vgl. dazu Gal 5,22f.; Mt 19,12; 1 Kor 7,32–34; 6,17. 141 Ebd. am Rande. 142 Ebd. E 3v: „Bruder Franciscus lauet gehorsam vnd erwerdicheyt dem pawest Honorio vnd synen nachfolgeren rechtlich in ganden.“ Siehe Regula Bullata 1,2. In: Esser / Grau, Opuscula 367; Franziskus-Schriften 94.

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„Das ist dem boßewichte / dem menschen der sundt vnd ßon der vorderbung der ym tempel Gottis sitzt etc. 2 Thess. 2.“ 143 Ganz anders freilich die Erklärung der Brüder: „Dass sich der heilige, in Gott geübte Mann Franziskus zum Gehorsam und zur Wertschätzung dem Papst verpflichtet, geschieht aus der Absicht: Er will ein Schaf sein des wahren Hirten (Joh 10) und Oberhirten Jesus Christus (1 Petr 2), der das Weiden seiner Schafe befohlen hat dem Petrus und seinen Stuhlerben (Joh 21): Petrus, ‚weide meine Schafe‘. Weil nun die Schafe dem Petrus anvertraut und von ihm zum Weiden angenommen, so müssen die Schafe auf den Hirten hören und ihm folgen (Joh 10): ‚Die Schafe hören auf den Hirten.‘ Dies nun zu beweisen, verspricht Franziskus, in besonderem Maße ein demütiges und untertäniges Schaf, Gehorsam und Ehrerbietung dem Papst, der als ein Stuhlinhaber Sankt Peters von allen christlichen gemeinsamen Konzilien auf uns gekommen, stets unwidersprochen dafür gehalten.“ 144 Die Erklärung der Regel verband sich hier mit einer Apologie des Papsttums, der „Stuhlerben“ des Petrus, die ähnlich schon bei Augustin von Alveldt gegen die Reformation vorgebracht wurde. Damit war ein besonders kritischer Punkt erreicht, wie die Stellungnahme am Rande zeigt: „mit vrlaub heyliger vater gardian yr lieget / Christus sagt nicht Jo. 10. die schaff horen vnd volgen Petrum odder dem Pabst / sonder horen meine stym vnnd folgen mir nach“.145 Diesem Schlagabtausch in allen Einzelheiten zu folgen, würde eine kritische Edition des Textes im Zusammenhang und vor allem eine intensive theologische Analyse erfordern. Das kann aber im Rahmen dieser Darstellung nicht geleistet werden. Sie soll nur einige besonders wichtige Abschnitte des Textes vorstellen. Ein Regelkapitel, das schon bisher in der franziskanischen Begegnung mit der Reformation eine besondere Bedeutung bekam, war das fünfte Kapitel der Regula Bullata über die Arbeit der Brüder, wo sich aus der vorliegenden niederdeutschen Übersetzung nun etwa folgender Text ergibt: „Die Brüder, denen der Herr Gnade gegeben hat zu arbeiten, die arbeiten getreu und innig, sodass der Müßiggang, der Seelen Feind, ausgeschlossen ist und sie nicht den Geist des heiligen Gebetes und der Innigkeit Geist auslöschen, dem andere zeitliche Dinge dienen sollen. Wenn sie aber als Lohn der Arbeit annehmen für sich und ihre Brüder, was für ihr Leben notwendig ist, dann ohne Pfennig und Geld und demütig, wie es sich ziemt für Knechte Gottes und Nachfolger der allerheiligsten Armut.“ 146 143 Ebd. am Rande. Vgl. 2 Thess 2,3f. 144 Ebd. E 3v–4r: „Dat sich der hylige und god geouete man Franciscus des gehorsams vnd werdunge dem Pawest vorplichtiget / is vth der meynunge / her wil syn ein schap des warhafftigen Joh. 10. vnd auerweyders Jesu Christi 1. Petr. 2. der syne schapp tho weydende befolen heft Petro vnd synen stoleruen Joh. 21. Petre, weyde myne schaff. De wyle nu de schape Petro befolen vnd von eme tho weydende angenohmen / ßo mothen de schaff dem weyder horen vnd volgen / Joh. 10. de schaff horen dem weyder. Dath nw tho bewysende Franciscus in sundergermathe als ein demoetich vnd vnderdenich schaff vorheyschet gehorsam / vnd erwerdunge dem Pawest / der eyn stol vorweser sanct Peters von allen christlichen gemeynen Concilien an vns gebracht / stedes vnwedersprechlich daruor geholden.“ Vgl. dazu Joh 10,11–18; 1 Petr 2,25; Joh 21,16f.; Joh 10,3. 145 Ebd. E 3v–4r am Rande. Vgl. Joh 10,3. 146 Ebd. G 4v – H 1r: „De bruder den der here heft gnade gegeuen to arbeyden de arbeyden getrwlich vnd innichlich / ßo dat vtgeshloten moticheit der seleen vyenth des hylgen gebedes vnd den geist der innicheit nicht vthlosschen / dem andere tydliche ding scholen denen / wan loene auer des arbeydes nehmen se vor sich vnd ore brudere lyues nodtorfft / ane pennige edder gelt / vnd demodichlichen als id themet den knechten goddes /

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Dazu bemerkt die Randglosse: „Alhie halten sie yhre regel auch nicht / wie man sihet / das feyne iunge starcke faule schelmen yn den klostern musszig ligen / wie die sew vnd mesten sich von ander leute schweyß vnd blut / wyder yhre eygen regel / vnd gottis gepot.“ 147 Dieses sehr pauschale Urteil über den Müßiggang und die Faulheit selbst arbeitsfähiger junger Leute in den Klöstern, das damals öfter begegnete, wurde aber nicht konkret auf die Franziskaner in Magdeburg bezogen. Solche Meinungen waren aber bereits den Brüdern bekannt, wenn sie diesen Regeltext so kommentieren: „Dieses Feld unserer Regel meint nicht, wie einige Widersacher wüten, dass die Brüder müßig leben sollen, sondern macht eine Unterscheidung in Bezug auf die Müßigkeit, die eine ist schädlich, die andere nützlich, diese des Geistes, jene des Fleisches. Nicht dass der einen auch die andere fortan nützlich ist: die fleischliche und schädliche wird mit mehr Arbeit gezähmt, die geistliche im Gebet im Gebet und göttlicher Andacht bekräftigt. Es ist deshalb fein ordentlich bestimmt, wie die eine [äußere Müßigkeit] durch die Arbeit verdorben und zu der anderen gefügt werden soll, sodass man vornehmlich das Innnere eher als das Äußere gebrauche nach dem Wort Christi: ‚Sucht zuerst das Reich Gottes.‘ Wo aber das nicht getan und die Gnade des Inneren nicht von Gott geschenkt wird, muss man das Widerspiel üben zur äußeren Müßigkeit durch Arbeit. So wird man nicht beschuldigt, wie die, die da müßig standen auf dem Markt, die strafenden Worte des Hausvaters (Mt 20) hören mussten: ‚Was steht ihr den ganzen langen Tag müßig? Geht hin in meinen Weinberg!‘ Es ist ja auch nicht die äußere Arbeit zu verwerfen, besonders wenn sie, wie hier vorher beschrieben, getreu und innig getan wird, wie denn früher Paulus so etwas bringt (1 Tim 6): ‚Was ihr tut, tut freiwillig als für den Herrn und nicht für den Menschen, im Wissen, dass ihr vom Herrn die Belohnung empfangen werdet.‘ Da wird auch wieder vorgehalten, alle anderen Dinge sollen unaufhörlich dem Geist des Gebetes und der Innigkeit dienen. Das entspricht dem Evangelium (Lk 15): ‚man muss stets beten und ohne aufzuhören.‘ Es wäre auch allein diesem Stand gemäß evangelisch, bewährt nach dieser Regel, die alle äußerlichen, vergänglichen Dinge nicht in ihnen selbst, sondern in dem Geist des Gebetes und der Innigkeit vollendet, das ist, in dem wahren rechten evangelischen Dienst des Glaubens, in Liebe und Hoffnung, wie Paulus (1 Thess 5) zuvor vorschreibt. Es heißt ja (Joh 6): ‚der Geist macht lebendig, das Fleisch ist wenig nützlich‘, das meint Gottes Freigebigkeit. ‚Leibliche Übung allein ist am wenigsten nützlich‘ (1 Tim 4). Deshalb ist hier offenkundig die Summe und der Beschluss der ganzen Regel, der da in kurzen Worten will, dass sie also nicht den Geist auslöschen, dem alle zeitlichen Dinge dienen sollen, dass äußerlich und innerlich den Brüdern der Geist vornehmlich im Sinn sein soll in Zeit und Ewigkeit, und dem inneren Menschen kein Abtrag durch zeitliche Dinge zustehe. Christus mahnt ja (Mt 8; Lk 9): ‚Was nützte es dem Menschen, so er die ganze weite Welt eroberte und schadete der Seele.‘ Es steht auch geschrieben (Lk 10): ‚Marta, Marta, du sorgst und bekümmerst dich um vieles. vnd des aller hylligesten armodes nach folgeren.“ Vgl. dazu Regula Bullata 5,1–4. In: Esser / Grau, Opuscula 368; Franziskus-Schriften 97f. Die niederdeutsche Übersetzung geht eher frei, aber durchaus sinngmäß mit dem lateinischen Regeltext um. 147 Ebd. G 4v – H 1r am Rande. Zu „Gottes Gebot“ werden hier angeführt: Gen 3,19; Eph 4,28; 1 Thess 4,11; 2 Thess 3,12.

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Maria hat den besten Teil erwählt.‘ Das trägt auch in der Regel den letzten Paragraphen vom Lohn der Arbeit, der da allein demütig sein soll, wie es Knechten Gottes geziemt, das Lebensnotwendige zu empfangen und wie es Paulus (1 Tim 6) hinterlassen hat: ‚Wenn wir Nahrung und Kleidung haben, so soll es uns genügen.‘ Denn das ist eines jeden Arbeit wert (Mt 10): ‚Der Arbeiter ist seines Lohnes wert‘.“148 Gegen die stürmischen Vorwürfe der Widersacher, den Brüdern sei Müßiggang erlaubt, unterscheidet man fein säuberlich zwischen einer fleischlichen und einer geistlichen Muße. Die fleischliche Muße muss man durch Arbeit eindämmen, die geistliche in Gebet und Andacht bekräftigen. Nur wenn man die fleischliche, schädliche Muße abtut, wird die geistliche Muße zum Zuge kommen. Denn es geht dem Evangelium gemäß eher ums Innerliche als ums Äußerliche: „Sucht zuerst das Reich Gottes.“ Wo aber jemand das nicht tut und ihm Gott die Gnade des innerlichen Lebens nicht schenkt, muss er erst recht gegen die fleischliche, äußere Muße durch Arbeit angehen. Solcher Arbeit ist auch nichts vorzuwerfen, insofern sie nach der Regel treu und mit Hingabe getan wird, nicht nur für Menschen, sondern letzlich für den Herrn. Alles soll ja dem Geist des Gebetes und der Hingabe dienen, wobei man diese Priorität des Gebetes, des Geistes, des inneren Menschen mit vielen Stellen der Heiligen Schrift unterstrich. Diese dem Evangelium gemäße Priorität bekräftigte die Regel. Insgesamt 148 Ebd. H 1r–1v: „Duth felt vnser regel menet nicht / wo itliche wedderers stormen dat de brudere motig scholen leuen / auer maket eyn vnderschedt der motzicheit / de eyne schetzlich / de ander batlich / desse des geistes yenne des fleysches wesen / Nicht dat der eynen ock der anderen vort nutlich ist / de fleyschliche vnd schedliche mit me arbeyde gethemmeth / de geistliche ymmen gebede vnd gotlicher andacht becreftiget wert / Is derhaluen fyn ordentlichen angesettet / wo de eyne dorch dem arbeyde vordoruen vnd tho der andern gefoget schal syn / so dat men vornemliger dat inwendige eer dat vthwendige bruche nach dem worde Christi Mat. 6. sochet erst dat ryke godes / wo auer dat nicht gedan / vnd de gnade des inwendigen nicht vorreket von gode / ist noth men oue dat wedderspyl der uthwendigen motzicheit / durch arbeit nicht beschuldiget werde / als de dar moetich stunden up dem marckede / mosten horen de straffungen des huß vaders Mat. 20. wat sta gy hyr den gantzen langen dach motzich / gad hen in mynem wyngarden. Vnd ist ock nicht thouorwerpende / der vthwendigen arbeith / sunderlich ßo als hyr vorgeschreuen / getrwlich vnd innichlich gedan / den vor Paulus solch eyn inbrenget 1. Thimo. 6. wat gy doen dat doeth fry willich als dem heren vnd nicht dem menschen / wetende dat gy vom heren werden entpfangen de belonunge. Da och wyder vorgeholden / alle andere dingk scholen vnvorloßlich denen dem geiste des gebedes vnd innicheit / is noch dem Euangelio Luc. 18. men moth stedes beden / vnd vnuphoeren / wer och alleyne noch dussen stand Ewangelisch thowesende / bewert nach desser regel / de alle vtherlige vorgenglige dingk nicht vornemlich in oen / sunder in dem geiste der innicheit vnd des gebedes endet / dat ist / in dem waren rechten Ewangelischen denste des gelouens leue vnd hopunge als Paulus 1. Thes. 5. tho vorende vorschrift / wan Joh. 6. der geist maket leuendich auer dat fleysch wenich nutte / das is der got mildicheit lyfliche ouunge vorlykent / is uppem wenigesten nutte 1. Timo. 4. / derhaluen ist hyr nicht geberget / de summe vnd besluth der gantzen regulen / de dar wil in dessen korten worden / alße dat se nicht vorloschen den geist dem alle ander tydlichen dingk denen scholen / dat vthwendich vnd inwendich von den bruderen / alße der geist vornemlich schal gement werden in tydt vnd ewicheit / vnd des yneren menschen nicht thostaden affbrock dorch tithliche dingk / wo Christus vormanet Mat. 8. Lu. 9. wat weret nutte dem menschen / so er erouerde de gantze hele werlde vnnd were der selen schedelich / Id is ock geschreuen Lu. 10. martha, martha / du bist sorchlich vnd bekummert an velen / Maria heft den besten deyl erwelet. Id draget ock in de regel / den lesten paragraphum / vom lone des arbeydes / der dar alleyne schal wesen demotig / alse knechten gades themet / empfangunge lyues noth alse von Paulo na gelaten 1. Thimo. 6. wan wy hebben kost vnd kledunge so schal vns genogen / des denne eyns itzlichen arbeit wert Mat. 10 der arbeyder is werdich synes lones.“ Vgl. dazu Mt 6,33; 20,6; 1 Tim 6,1f.; Lk 18,1; 1 Thess 5,8; Joh 6,63; 1 Tim 4,8; Mt 16,26; Lk 9,25; Lk 10,41f.; 1 Tim 6,8; Mt 10,9. Was gemeint ist mit: „das is der got mildicheit“ wird nicht klar. Vermutlich fehlen hier Worte, die den Sinnzusammenhang besser herstellen könnten. Wenn nun frei übersetzt wird mit: „das meint Gottes Freigebigkeit“, kann das nur ein Versuch sein, der die Lücke nicht wirklich füllt.

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wollten die Brüder also trotz ihres offensichtlichen Eingehens auf gegnerische Vorwürfe wegen faulen Müßiggangs die maßgebende geistliche Ausrichtung ihrer Lebensform betonen. Dabei kam allerdings die soziale und ökonomische Bedeutung von Arbeit im neuzeitlichen Kontext kaum in den Blick. Das spirituelle Interesse überwiegt so sehr, dass das Konzept in vielem als Gegenentwurf zur neuzeitlichen Arbeitswelt und zu ihrem Arbeitsethos erschien. Ein Versuch, beides über ein franziskanisches Ethos des Dienens zu vermitteln, fehlte noch.149 Immerhin war die Erklärung für die damalige Zeit so ausgewogen, dass dem Gegner dazu keine Angriffspunkte auffielen. Hinweise wie bei Lambert und Eberlin auf die strenge Pflicht der Brüder zur Handarbeit im Testamentum des Franziskus fehlen hier.150 Wichtiger war der gegnerischen Glosse der Text zur franziskanischen Eigentumslosigkeit und Armut im 6. Regelkapitel, der nach der niederdeutschen Übersetzung etwa Folgendes ergibt: „Die Brüder sollen sich nichts zueignen, nicht Haus, nicht Ort, noch geringe Dinge, sondern als Pilger und Fremdlinge in dieser Welt in Armut und Demut dem Herrn dienen, voll Vertrauen um Almosen gehen. Es gehört sich für sie nicht, sich dessen zu schämen. Denn der Herr hat sich um unseretwillen in dieser Welt arm gemacht. Das ist die Höhe der allerhöchsten Armut, die euch, meine liebsten Brüder, zu Erben und Königen des Himmelreiches bestimmt hat, arm in zeitlichen Dingen, erhöht in Tugenden. Das sei euer Anteil, der euch führt in das Erdreich der Lebenden. Um dem, meine liebsten Brüder, ganz anzuhängen, wollt nichts anderes um des Namens unseres Herrn willen auf ewig unter dem Himmel haben.“ 151 Dieser Text war dem reformatorischen Gegner so wichtig, dass seine Glosse unmittelbar nach dem Regeltext in den gedruckten Text eingerückt wurde: „Dieß ist eyn klarer text / das die barfusszer gar nichts eygens haben sollen / noch hauß / noch stete / noch yenich ding / sonder als die pilgryn vnd frembdlinge / vmb die almoßen gehen / den sie wollen Christo allenthalben gleych seyn / der auch keyn eygen wonung gehabt Mat. 8. wilchs sie alhie in yhrer barfusszischen glosszen so hoch anzyhen / Ey wo her haben dan vnßere barfusszer zu Magdeburg (das ich der andern schweyge) mitten in der Stadt / am aller gelegensten ort / solchen grossen mechtigen rawm / solch kostlich vnd zcyrlich gepew / biß in den hymel hynauff gepawet / das freylich mit dreyssig odder vyertzigtaußent gulden nicht angerustet ist? Ia dar dreysszig odder vyertzig redliche burger / die schossen vnd wachen / vnd der Stadt nutzlich vnd forderlich seyn kondten / zymlich wonen mochten / doryn sie den als yn yhrem eygenthumb wonen / 149 Zu einer entsprechenden franziskanischen Lebensform vgl. Flood, David: Work for everyone. Francis of Assisi and the Ethic of Service. Quezon City (Manila) 2000; ders.: The Daily Labor of the Early Franciscans. St. Bonaventure NY 2010. 150 Siehe oben Kap. 3, Anm. 82f.; 121. 151 Siehe Barfüsser zu Magdeburg, Grund yhres ordens, H 2r: „De brudere scholen sich nichtes to egen / noch huß noch stede noch weynich dingk / sunder als pelegerymen vnd yn komlinge in desse werlde in armodt vnd demoht / dem heren denen / gan vmme de almyssen trwlich / nicht behort on sich des tho schemde / wen der herr sich vmme vnse willen arm gemacht in desser werlde / duth is de hoge des alder hogesten armodes / de iw myne alder leuesten broder / arffgenomen vnd koninge des rykes der hemmel heft angesettet / arm in tydlichen dingen / vorhoget in dogenden / desser sy iw deyl de iw voret in dat ertryke der leuendigen / dem myn alder leuesten bruder gentzlich anhengende nicht anders vmme den namen des hern Jesu Christi ewichlig vnder dem hemmel willet hebben.“ Vgl. Regula Bullata 6,1–6. In: Esser / Grau, Opuscula 368f.; Franziskus-Schriften 98.

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nennens yhr kloster / wollens auch vnentsatzt seyn / vnnd dorffen noch vnvorschampt dieße regel (die yhn ßo gar entkegen) zu yhrem schutz / eym Erbarn Radt vorleggen. O yhr hern vnd regenten zu Magdeburcg / wie lange wolt yhr doch durch die berillen sehen / yhr habt hyr mytten in ewer Stadt das ergeste rawbschloß / des gleychen kawm yn vyerhern land mag gefunden werden / dorynne behauset vnd heget yhr / die ergesten Rewber diebe vnnd morder / ßo man mag fynden auff dem erdbodem / vnd kundt das alßo leyden vnd dulden / das sie in ewer stadt wohnen / vnnd horet doneben das heylige Euangelion (wylchs disen leuthen ßo gar feyndt) teglich predigen / Bedencket doch eyn mal / was sie vor eynen schaden gethan haben viel ihar her / nicht alleyn hyr in ewer stadt ßonder ym gantzen landt vmbher / wie sie den leuthen das yhre mit liegen vnd triegen (wylchs doch der geringste schaden ist) abgezogen / vnd in yhr rawbschloß alhie zu Magdeburg gebracht haben / Es haben yhnen viele zugelegt / des itzunt yhre kynder mangeln musszen / darzu haben sie ßo viel tausent ßele ermordet mit yhrer heucheley vnd falschen predigten / vnd in die ewygen vordampnussz mit sich gefort / das iamer vnd iamer ist / wies den geht wen eyn blynde den andern leythet Mat. 15. Vnd ubir diß alles lassen sie noch heuts tages nicht abe / thun so viel sie vormugen / heymlich vnd offinbar / lesteren vnd schenden die heylsame lere / das lebendige Euangelion Jesu Christi / domith sie so offentlich vbirzeuget / vbirwunnen / vnd zu schanden gemacht werden / das yderman itzt yhre thorheyt erkennet 2. Thi. 3. Das wol byllich Ewer Erbar weyßheyt hier sollte eyn eynsehen haben / vnd so sie ye wollten barfusszer seyn / das sie E. E. [Ewer Erbar] weyßheit darzu forderte vnnd yhnen behulfflich were / nemlich das man die faulen schelmen vnd vnnutzen fresslynge auß dem kloster weyßete / das nicht yhr yst / vnd das sie mit vnrecht / wyder godt vnd yhre eygen regel / besitzen / vnd liessze sie als pylgryn vnd eynkomling / auff dieser welt / in armut vnd demut / getrawlich vmb die almoßen gehen / wie yhre regel sagt / Dießes hette E. E. weyßheit guten fug vnd scheyn / Szo nehmet yhr yhn auch nichts / den sie haben nicht / Hie steht yr regel vnd sagts dorre auß / sie sollen gar nichts eygen haben / auch keyn hauß noch steete etc. So ist ye grundt vnd bodem mit allem was darauff steht eyns Erbarn Radts zu Magdeburg / Es mag sie auch nicht helffen / ßo sie sagen wollten (wie sie yhr abgot zum Rom gelernet hat) das yhre wonunge vnd guter nicht yhr / sonder des bapsts seyn / vnd sie der nunt gebrawchen / nicht als yhrer eygen sonder des bapsts guter / denn ich halts dafur das E. E. weißheyt / der Rodten Babylonischen huren (das ist dem Endtchrist zu Rom) nycht wollet eynrewmen / das ehr eynen solchen steynhauffen yn ewer stadt habe / vnd domit belyhe wen ehr wolle / Sonderlich solche diebe morder vnd landtrewber / wie dieße stricktrager syndt. Summa summarum das kloster mit allem was darynne ist / das ist nicht yhr / sie seyndt auch nicht hern daruber / das bezeuget yhr eygen regel / vnd auch der Bapst selber in seyner erklerunge / ßo ehr ubir diese regel gemacht hat / de verb. Sig. Exiui / Szo kundten sie auch des Bapsts nicht seyn / wie wol ehr sich der annympt / den ehr hatt noch heller noch pfenning dar zu geben / sie liggen auch nicht auff seynem bodem / ßonder in ewer Keyßerfreyen Stadt Magdeburg / auff eyns Erbarn Radts grundt vnd bodem / wer soll sich der nun byllicher an nehmen / den E. E. weißheit / Diß sage ich nicht der masszen als wolt ich E. E. weyßheit synnes pflegen / den E. E. weyßheit wirt sich hyr eyn on meyn anregen wol wisszen zu halten / szondern das

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ich anzeyge wie gar nichts sich diese arme leuthe schutzen kundten / noch mit Gottis wort / noch mit des bapsts rechten / noch mit yhrer eygen regel.“ 152 Der Regeltext, der jede Aneignung verbietet, wurde hier zur Waffe gegen die Brüder, die als angeblich regeltreue Observanten in Magdeburg in einem großen Gelände mitten in der Stadt und einem hohen und schönen Gebäude untergekommen sind. Ihnen werden sogar die Kosten für das Gebäude vorgerechnet, obwohl längst vergangene Generationen daran bauten. Mehr Eindruck dürfte die Überlegung gemacht haben, man könne in diesem Gebäude 30 oder 40 „redliche Bürger“ unterbringen, die „schossen“ und „wachen“, das heißt Steuern zahlen und sich an der Verteidigung der Stadt beteiligen. Die Freiheit der Ordensleute von den städtischen Abgaben und Bürgerpflichten war ja für die Städte öfter ein Problem. Weil jedenfalls nach dem reformatorischen Kommentar das Kloster und sein Gelände nicht Eigentum der Brüder waren, konnte die Stadt alles ohne weiteres an sich nehmen. Ja, sie müsste das sogar aus den besten Glaubensgründen tun, weil die Brüder sich vom „Schweiß“ und „Blut“ der Menschen räuberisch und diebisch ernährt haben, die Menschen durch ihre falsche Lehre ins Verderben gestürzt und bis heute das reformatorisch verstandene „lebendige Evangelium Jesu Christi“ „lästern und schänden“. Da nun ihre Torheit offenkundig geworden ist, sollten „Euer Ehrbar Weisheit“, nämlich die Stadtväter, ein Einsehen haben und die Brüder aus der Stadt weisen, damit sie ihre Regel wieder wahrmachen und als „Pilger und Fremdlinge auf dieser Welt in Armut und Demut vertrauensvoll um Almosen gehen“. Der Stadtrat musste sich nicht durch das vom Papsttum übernommene Eigentumsrecht bezüglich des Besitzes der Brüder beeindrucken lassen; denn dem Antichrist, der roten babylonischen Hure, durfte man kein Recht mehr einräumen, zumal dieses Recht bloß eine Fiktion war, weil der Papst nichts dafür geleistet hatte und es auch nicht wirklich sein Territorium betraf. Der Glossator möchte dem Rat und seiner Weisheit keine Ratschläge geben oder Vorschriften machen, „nur anzeigen, wie gar nicht sich diese armen Leute schützen könnten, weder mit Gottes Wort, noch mit des Papst Rechten, noch mit ihrer eigenen Regel“. Für eine solche vernichtende Argumentation konnte also der Regeltext zum gefundenen Fressen werden, weil mit dem Regelgebot von Eigentumslosigkeit und Armut die reformatorische Bewegung die unliebsamen Konkurrenten und Gegner aus dem Weg räumen wollte. Und die Brüder fühlten sich vielleicht dabei an das Wort des Testamentum ihres Gründers erinnert, obwohl es hier nicht vorkommt: „wo immer sie keine Aufnahme fänden, sollen sie in ein anderes Land ziehen, um mit dem Segen Gottes Buße zu tun“.153 Doch so bedrängt sahen sich die Brüder in Magdeburg noch nicht, als sie im Vorfeld dieser gegnerischen Glosse selbst ihre Regel erklärten. Sie wussten freilich bereits, dass dieser Regeltext Angriffspunkte für eine in ihren Augen böswillige und destruktive Kritik bot: „Es lassen sich an dieser Stelle viele ihr Bösestes kosten, um baufällig zu machen, was hier geschrieben ist. Und sie wollen wenig beherzigen, wie es gemeint ist. Denn sie sind vielmals und auf mannigfaltige Weise gerüstet, dagegen zu freveln.“ 154 152 Ebd. H 2r–3r. Vgl. Mt 8,20; Mt 15,14; 2 Tim 3,9; Constitutio apostolica „Exivi de paradiso“ Papst Clemens’ V. 1312 (siehe: BullFr 5, Ed. Eubel 85; Corpus Iuris Canonici, Ed. Friedberg 2, 1198). 153 Siehe Testamentum 26: „ubicumque non fuerint recepti, fugiant in aliam terram ad faciendam poenitentiam cum benedictione Dei“. In: Esser / Grau, Opuscula 441. Vgl. Franziskus-Schriften 61. 154 Barfüsser zu Magdeburg, Grund yhres ordens, H 3v: „Id laten sich hyr / an dessem ende vele ores bosesten kosten bwefellich tho makende / wat hyr geschreuen / vnnd wyllen so wenech behertzen wo id gement / als se vilmals vnd mennigerley wys / dar wedder tho wreuelen gerustet synt.“

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Mit diesem Wissen um eine böswillige destruktive Kritik sind die Brüder bereits auf eine Apologie dieses Regeltextes eingestimmt. Sie beriefen sich zunächst, wie schon die reformatorische Glosse bemerkte, auf die Eigentumslosigkeit Christi nach Mt 8,20 und dann auf die Jünger Jesu, die nach Mt 19,27 alles verlassen haben, um Jesus nachzufolgen. Für die Glosse ließ sich das nicht buchstäblich übertragen: „So muste keyn christ ein eygen hauß oder sunst etwas eygens haben.“ 155 Die Brüder verstanden das aber nicht nur von äußerlicher, konkreter Armut, sondern sahen, dass es dabei entscheidend um die inwendige Armut geht: „Gleich wie der Herr hier nicht allein das Äußerliche der Armut wie das äußerliche Verlassen von Haus, Hof und allen Dingen mit solcher Zusage beschenkt, sondern vornehmlich die innere Armut. In ihr, von der es heißt (Mt 5): ‚Selig sind die eines armen Geistes‘, ohne die die äußere vergebens ist, ist eigentlich beschlossen: ‚Die ihr mir nachgefolgt seid, sollt das Reich der Seligkeit haben.‘ So folgert hier die Regel auch nicht anders: ‚die Brüder sollen sich nichts aneignen‘, nur das evangelische Verlassen und Nachfolgen, wie gesagt: ‚sie sollen als Pilger und Fremdlinge dem Herrn in Armut und Demut dienen, voll Vertrauen um Almosen gehen um dessentwillen, der reich (2 Kor 8) um unseretwillen arm auf Erden gewesen ist‘.“ 156 Jesus Christus ging es also nach dieser spirituellen Armutsauffassung nicht nur um äußeres Verlassen von Hab und Gut, sondern zuerst um die innere Armut. So verstanden die Brüder ihre Regel mit dem Verzicht auf Aneignung. Sie sollten innerlich frei werden von allem, um so im Sinn des Evangeliums alles zu verlassen und Jesus nachzufolgen. Die reformatorische Glosse betonte dagegen allein die innere Indifferenz zu allem Irdischen: „Das ist nicht euangelisch vorlassen / das man eußerlich nichts eygens habe / sonder das man es habe als hette man es nicht.“ 157 Das erinnert an Luthers Sicht einer bloß geistlichen Armut.158 Als äußerer Ausdruck innerer Armut wollten allerdings die Franziskaner gerade das von der Regel gestattete Betteln verstanden wissen: „Das Betteln ist auch nirgends anders auferlegt als um dessentwillen, der sich so sehr arm gemacht, um unseretwillen nicht zu eigen hatte, wohin er sein Haupt legen konnte, auch sich von Almosen der anderen ernährte, wie man (Lk 8) von etlichen Frauen überliefert: Maria von Magdala, Johanna, die Ehefrau des Chusa, des Hausvogtes des Herodes, und Susanna. Sie und viele andere dienten Jesus mit ihren Gütern. Und durch das Betteln wird auch der ungebrochene, hochtrabende Mensch ganz geschwächt und zunichte, da es sehr dazu dient und fruchtbar ist, wie uns diejenigen davon Kunde geben, die die 155 Ebd. H 3v am Rande. 156 Ebd. H 3v: „Gelich wo der here hyr nicht alleyn / dat vtherliche des armodes / als vtherlich vorlatens / huses haues vnnd alles dinges / mit solcher thosage begnadiget / sunder vornemlich in dem inwendigen armode (daruon Mat. 5. Salich synt de eyns armen geistes / an welchen der vthwendige vorgeues) egentlich besloten / de gy my nachgefolget / scholt hebben dat ryke der salicheit / So sluth de regele hyr ock nicht anders / de broderen scholen sich nichtes eghen / alße dat Ewangelische vorlatent vnd nachfolgend / als gesecht / sie scholen alse pelegryme vnd inkomliche dem heren in armodt vnd demodt denen / och trwlich gan vmme de almyssen / vmme des willen der ryke 2. Cor. 8 vmme vnser willen arm vp erden gewest ist.“ Vgl. Mt 5,3; Mt 19,28; 2 Kor 8,9. 157 Ebd. H 3v am Rande, mit Hinweis auf 1 Kor 7,30; Lk 14,33. 158 Vgl. oben Kap. 2, Anm. 59; Kap. 3, Anm. 142.

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Not täglich erfahren. Und so dürstet und hungert der rechte arme Geist ganz nach dem lebendigen Wasser der gnadenvollen Güte Jesu Christi (Joh 4), wie den Pilger nach dem Vaterland verlangt, sodass uns Petrus mahnt (1 Petr 2): ‚Meine Liebsten, ich bitte euch, da ihr Pilger und Fremdlinge seid in dieser Welt: Enthaltet euch der fleischlichen Begierden, die wider die Seele kämpfen.‘ Das tut wahrhaft eine hungrige und ledige Seele, die in gewissem Maße eingeführt ist durch äußere Armut.“ 159 Diese traditionelle Armutsspiritualität legt offenbar großen Wert auf die innere Armutshaltung, der die äußere Armut dienen und die sie zum Ausdruck bringen soll. Aber von der äußeren Armut wird nicht einfach abgesehen, sodass hier zumindest andeutungsweise der Bezug zu denen erhalten bleibt, die täglich Not erfahren. Dabei kam freilich die franziskanische Nähe zu den real Armen nicht besonders dicht zum Ausdruck, die in franziskanischer Spiritualität neu gesehen wird.160 Für die reformatorische Glossa ist besonders die spirituelle Verteidigung des Bettelns völlig verkehrt: „Christen sollen vnder sich keynen betler leyden deut. 15. den die krancken vnd dorfftigen sol man vorsorgen / die aber erbeiten kunnen sollen erbeyten / vnd yhr eygen brot essen sagt Paulus [...] wie gerne wollten doch diese keszeiegers christum auch zum bettelmunch machen / wie den yhr bonaventura auch offentlich schreybt vnd leugt er habe gebettelt.“ 161 An dieser Kritik war richtig, dass der Vorrang der Arbeit für den Lebensunterhalt, wie ihn Franziskus noch in seinem Testamentum kennt, in dieser franziskanischen Apologie des Bettelns so wenig eine Rolle spielte wie bereits bei Bonaventura.162 Zum Abschluss des sechsten Regelkapitels war noch von der brüderlichen Liebe die Rede, mit der die Brüder in Krankheit und Not einander beistehen: „Und überall wo die Brüder sind und sich finden, erweisen sie sich untereinander als Hausgenossen, und einer offenbare dem anderen sicher seine Not. Denn wie die Mutter ihren leiblichen Sohn ernährt und liebt, wie viel mehr soll ein jeder seinen geistlichen

159 Siehe Barfüsser zu Magdeburg, Grund yhres ordens, H 3v–4r: „Dat bedelend ock is nergent anders vmme als vmme des willen upgelecht / der sich so hoch vorarmet / vm unßer willen is vnegich gewest / eyns hoftlagers ock der andern almysszen erneret / wo man Lu. 8. auerkomet etliche frowen Maria Magdalena vnd Johanna beelichet Chuse dem huß vagede Herodis / vnd Susanna / vnd andere vele deneden Jesu mit oren guderen / vnnd ock dat dorch den bedelent / der vngebraken hochdrauende mensche / gantz vorsmadet vnd to nichte worde / dar et sere tho denet vnd fruchtbar ist / als vns des wol loue geuen / de der noth degelich erfaren / vnd so der rechte arme geist gentzlich dorstede vnd hungerde / nach dem leuendigen watter der gnadentlichen gudicheik Jesu Christi Joh. 4. alße den peregrynen vorlanget nach dem vaderlande / das vns Petrus vormanet. 1. Pet. 2. Min allerleuesten ich bidde iw / alße peregrynen vnd inkomlinge entholdet iw von fleslichen begerden / de dar fechten werde de ßele / dat warlich eyn hungrige vnd ledige sele deyt / etliger mathe ingefort dorch vtherligen armoth.“ Vgl. Mt 8,20par; Lk 8,2f.; Joh 4,14; 1 Petr 2,11. 160 Vgl. Flood, David / Calogeras, Athena: Dalla parte dei poveri. Padova 1992. 161 Barfüsser zu Magdeburg, Grund yhres ordens, H 4r am Rande. Vgl. dazu Dtn 15,4; 1 Thess 4,11f.; 2 Thess 3,6–12. 162 Bonaventura: Quaestiones de perfectione evangelica q 2 a 2. De paupertate quoad mendicitatem (Opera omnia V, 134–155). Bezüglich des Bettelns Jesu drückte sich Bonaventura hier eher vorsichtig aus: „ex quo igitur testimonio tam expresso textus hoc dicit, et Glossa consentit, et nulla auctoritas contradicit; quare non fatebimur, quod Christus ut mendicus petierit? Fatemur enim, eum virginem fuisse et uxorem caruisse, licet scriptura de hoc non facit mentionem. – Evangelium etiam exprimit, quod petiit et potum et hospitium; et constat quod non ex imperio et dominio et auctoritate, quia tunc exemplum paupertatis non dedisset“ (ebd. 150b). Bonaventura führte hier ein Textzeugnis des AT ein, nämlich den auf Christus gedeuteten Vers aus Ps 39,18 Vg. „Ego autem mendicus sum et pauper.“ Vgl. dazu die ganz andere Übersetzung Ps 40,18 EÜ.

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Bruder lieben und ernähren. Und wenn von ihnen einer in Krankheit fällt, so sollen die anderen Brüder ihm dienen, wie sie wollten, das ihnen gedient werde.“ 163 Dazu sehr bezeichnend die reformatorische Glosse: „Die liebe ist wol eyn edel kraut / es wechst aber in den barfusszer garten nicht / zeygen wol an das sie yn ßo viel secten vnter sych geteylt syndt etliche heysszen coleti etliche bernardini ethlich martiniani / ethliche gaudentes / ethliche conuentuales / ethliche obseruantes / wie vnße hie zu magdeburg diese haben sich vnterander so lieb als katz vnd mauß / wollen nicht zu samen essen / odder herbergen eyner den andern / ia eyner will vmmer besser seyn den der ander man weyß wol was sie fur eynen hader an richten. vnder bapst Leo 10. do sie sich mit eynander eynigen sollten / vnd nicht wolten / vnd kostete den obseruanten etliche tausend ducaten das sie die heyligisten blieben.“ 164 Wie die Observanten zu Magdburg vorher als „Käsjäger“ bezeichnet wurden, denen es nur eigennützig um die Jagd nach ihrem Lebensunterhalt ging, so stellt man sie hier unter den zerstrittenen Parteien der Franziskaner als die hin, die sich um viel Geld den Ruhm der größten Heiligkeit erkauften. So scheute die Glosse kein Mittel, um die Brüder so schlimm wie möglich darzustellen. Das zeigte noch einmal ihr Schlusswort: „Wie diese regel anfengt ßo endiget sie sich auch / der Bapst ist hynden vnd vorn / von dem nye nicht guts gekomen ist / den ehr ist eyn mensch der sunden / vnd das kynd der vorderbung / der da ist eyn wyderwertiger / vnd sych vbirhebt vber alles das got vnd gottis dienst heist / alßo das ehr sich setzt in den tempel gottis / vnd gibt sich fur ehr sey got 2. Tess. 2. Ob nu dieser Franciscus von ym auch (wie schier die gantze welt) betrogen ist / das auch etzliche außerwelten yn den yrthum geratten Mat. 24. So lest sichs doch ansehen vnd ist zu hoffen / ehr sey nicht entlich yn disem yrthum geblieben vnd gestorben / den wie man auß dieser regel spuren kann / ist er eyn gut eynfeltig from man gewesen vnd hats wol gemeynt / wie wol ehrs nicht troffen hat / Aber die so itzunt (nun yderman durch das Euangelion den yrthum erkennet) noch an dieser vnchristlichen regel hangen / vnd von yhrem sectisschen vnd gotlosen wesen vnd standt nicht wollen abelassen / ia wolten yhn noch gerne mit der heyligen schrieft (die sie so gar weddersynnisch vnd felschlich ia auch wyder yhr eygen gewyssen bey den haren herzu reyssen) schutzen vnd beschoenen / ist leychtlich zu ermessen / das sie vortzweyffelte / vnuorschampte ertzbuben synd / die nicht eyne gute oder vnd blutstropfen an yhrem leybe haben / sie scheynen auch wie heylig sie wollen / vnd kunten auch zwentzig seelen in eyner meß auß des Bapsts fegfewer erloßen / Eberhard weydensehe.“165 Eberhard Weidensee, der nun unter die reformatorische Glosse seinen Namen setzte, sah also bei allem die Bindung an den Papst als das durchgehende Problem der Regel; denn diese Bindung machte für ihn die Regel insgesamt unchristlich, weil sie Menschen dem 163 Barfüsser zu Magdeburg, Grund yhres ordens, H 4r: „Vnd aller wegen dar de broder synt / vnd sich finden bewyßen sich vnder eynander / hußgenaten vnd eyner openbare dem andern secher syne nottorfft / wente so de mutter erneret vnd leuet oren lyfflyken szone / wo vil mehr schal eyn itzlicher leuen vnd erneren synen geistlichen bruder / vnd so orer ein uelle in kranckheit / dem scholen de anderen bruder denen / als se wolden / dat one gedenet worden.“ Vgl. Regula Bullata 6,7–9. In: Esser / Grau, Opuscula 369; Franziskus-Schriften 98. 164 Ebd. H 4v – J 1r. 165 Ebd. K 3v – 4r. Vgl. dazu Regula Bullata 12,3–4. In: Esser / Grau, Opuscula 371; Franziskus-Schriften 102. Siehe auch die Hinweise auf 2 Thess 2,3–5; Mt 24,24.

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Antichrist auslieferte und damit beinahe zwangsläufig in Irrtum geraten ließ. Das sah er schon bei Franziskus selbst. Er meinte, man könne doch aus der Regel spüren, dass er „ein guter, einfältiger und frommer Mann war und es gut gemeint hat“. So möchte er hoffen, dass Franziskus nicht in jenem antichristlichen Irrtum gestorben ist, durch den seine Regel nicht die Wahrheit des Evangeliums treffen konnte. Diese Sympathie mit Franziskus selbst, wie sie besonders bei Luther und Lambert zu Anfang der Reformation zu finden war, erstreckte sich aber nicht auf seine Brüder. Da jedermann den antichristlichen Irrtum jetzt durch das Evangelium erkannte, ja nach Weidensee erkennen musste, gab es für die, die jetzt noch im päpstlich-antichristlichen System verharrten, keine Entschuldigung mehr. Die franziskanische Lebensform konnte Weidensee nur als „sektiererisches und gottloses Wesen“ abqualifizieren, das die Brüder mit der Heiligen Schrift nur noch „widersinnig und falsch, ja auch wider ihr eigenes Gewissen“ verteidigen wollten. So waren sie „verzweifelte, unverschämte Erzbösewichte“, an denen kein gutes Haar oder, wie er sagt, „keine gute Ader und Blutstropfen“ zu lassen war, wiewohl sie heilig scheinen wollten und meinten, sie „könnten in einer Messe zwanzig Seelen aus des Papstes Fegfeuer erlösen“. In der Schrift folgte diesem Schlagabtausch eine mehr systematische „antwordt etlicher prediger zu Magdeburg“.166 Aus welchem Grund man sie angefügt hat, wird nicht ganz klar, vielleicht weil doch manche Prediger, wie vielleicht Johannes Fritzhans, noch mehr Hoffnung auf die ‚Bekehrung‘ der Brüder hatten als Eberhard Weidensee. Denn diese Antwort beginnt: „Erßame, wolweyße vorsichtige liebe herrn / wyr haben myt allem fleyssz der barfusszer buch vbirleßen / darynne ßie wollen vnd vormeynen / yhren standt vnd weßen Christlicher massz an das liecht brengen / vnd anzeygen / das yhr Closter leben der gotlichen schrifft zu stendig vnd gemeß sey / vnd die weil es ßo lang ist vnd yhr gantze regel yn sich helt / do zu eytel vnnutz vergeblich geschwetz / das wyder heubt noch sterz hat / ßo ist nicht vonnoten / das buch nach der lenge / von wort zu wort zu vorantworten / den es wurde zu lang vnd verdrießlich zu lesen. Vnd wie wol / alles was darinne ist / bereyth reychlich vnd mehr den gnugsam vorantwort (wie den yderman kundt vnd vffinbar ist) das gar keyner antwort von noten / ßo wollen wyr doch auß Christlicher liebe pflicht / nicht vnterlassen / ab sich yrgent eyner erkennen / vnd bessern wolt / vnd auffs kurtzte anzeygen / das Ewer Erßame weyßheit vnd sie selbst sehen sollen / wie vngeschickt vnd vnformlich sie douon geschrieben / vnd die schriefft (wylche sie ßo heuffig do bey gekligkt) falschlich vnd wydersyns gehandelt haben.“ 167 „Christlicher Liebe Pflicht“ konnte durchaus im Spiel sein, wenn die Prediger auf Erkenntnis und Besserung von irgendeinem der Brüder hofften. Doch nicht nur den Brüdern, auch der „Ehrsamen Weisheit“ des Rates wollten sie deutlich machen, wie ungeschickt und unförmlich die Brüder geschrieben haben. Da es aber nun weniger um die Auseinandersetzung mit der franziskanischen Lebensform im besonderen, sondern mehr um Darlegung der reformatorischen Sicht von Glauben, Werken und Gelübden im Allgemeinen geht, ist das aus franziskanischer Sicht nicht mehr von so großem Interesse, zumal diese Darlegung nicht

166 Ebd. L 1r. 167 Ebd.

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ganz so kurz ist, wie versprochen.168 Einige Gedanken freilich, die die Franziskaner besonders treffen sollten, seien noch genannt: „der Munche standt / ist stracks wider die liebe / von den leuthen abe gesondert das sie yo niemant / dan yhn selbst dienen wollen / das sie Got wolgefallen / ya lassen sich alle welt dienen. Die liebe aber will mitten vnter den armen / krancken / lamen / vnd sundern seyn / das sie den selbigen dienen / raten / vnd helfen kann / mit denen geht sie gerne vmb / vnd hat mit yhn zu schaffen. Die Munche aber wollen myt eyttel heyligen / fromen / ya auch reychen die yhn nutzlich / nit mit sundern / boßen / vnd armen / denen sie auch nutzlich seyn mochten / gemeynschaft haben.“ 169 Hätten sich die Brüder von Magdeburg tatsächlich fern gehalten von den Armen, Kranken und Sündern, die besonders der Hilfe und Zuwendung bedurften, wäre ihre bisherige Popularität schwer zu verstehen. Jedenfalls wären sie dann dem franziskanischen Anliegen der Nähe zu den Armen und Ausgegrenzten untreu geworden. Aber vermutlich handelte es sich hier um ein pauschales Vorurteil gegen das klösterliche Leben, das ja zum Glück oft nicht zutraf. Die Verpflichtung auf die geltende Tradition des Ordens und der Kirche haben die Brüder zu Magdeburg jedenfalls sehr ernst genommen, sie sahen aber keinerlei Gegensatz zur ursprünglichen Intention des Franziskus oder gar zu ihrer Bindung an Jesus Christus. Reformatorisch freilich betonte man die Freiheit des Gewissens gegenüber allen menschlichen Autoritäten: „So doch eyn Christ / ßo viel die gewissen antritt / vnd vnser seligkeyt / niemant soll gehorsam seyn / den Gottis wort / niemant hoeren noch folgen / denn alleyn Christum / wie der Vater sagt Math. 17. das ist mein lieber Son / den horet / den / den / nit Francis­ cum / nit die Veter / nit die Concilia / nie den Pabst / ßonder Christum vnd die seyn wort predigen / Darumb ist yhr gehorßam / eyn erdichter falscher gehorsam / douon Got vnd die schrift nicht weyß / domit sie sich vom gehorßam Gotlichs worts ya auch aller ordentlicher obyrgkeit / abe zyhen.“ 170 Der Gehorsam gegen die traditionellen Autoritäten konnte allerdings in Widerspruch geraten zum Hören auf Jesus Christus und sein Wort. Die kritische Unterscheidung des Gewissens war vielleicht im damaligen Ordensleben zu wenig entwickelt. Aber dass der Gehorsam der Brüder insgesamt „ein erdichteter, falscher Gehorsam“ war, erscheint eher als pauschales Vorurteil. Zudem konnte auch der Gehorsam gegen die hier angeführte „ordentliche Obrigkeit“ in Widerpruch geraten zur Gewissensfreiheit und zum Hören auf Gottes Wort. Dieser Möglichkeit mussten sich jedenfalls die Brüder in Magdeburg stellen, wenn man sie und ihr Geschick ganz der Entscheidung des Rates der Stadt auslieferte, wie das in dieser „Antwort“ zum Schluss geschieht: „Derhalben / die weyl sie auch vnser lere vnd predigt / wie eyn Erbar Radt yhn befolen / vnd auch fur eynem Jar von yhn begert hat / nicht mit heller schrifft vorlegt / noch vmbgestossen haben / vnd gleych wol nit weniger lestern vnd schenden / vnd das volck hyn vnd wyder bewegen / vnd myt yhren luegen iemerlich vorfuren / Szo will euch alß eyner Christlichen obirkeyt / der von Got das schwert befolen / dor eyn zu sehen eygen 168 Vgl. ebd. L 1r – M 3r. Siehe Köhler, Flugschriften Fiche 433 Nr. 1174 (1). Und ebd. M 3v – O 4r. Siehe Köhler, Flugschriften Fiche 434 Nr. 1174 (2). 169 Ebd. M 3r. Siehe Köhler, Flugschriften Fiche 433 Nr. 1174 (1). 170 Ebd. O 1v–2r. Siehe Köhler, Flugschriften Fiche 434 Nr. 1174 (2). Vgl. dazu Mt 17,5.

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4. Das Ende von Franziskanerklöstern

vnd geboeren / das solchs in ewrem gebiet vorhutet werde. Hie mit wollen wyr E. E. weyßheyt in Gottis gnad vnd hulde bevolen haben AMEN.“ 171 Das vergebliche Bemühen der Brüder, die andere Seite von ihrer Sicht zu überzeugen, ihr Beharren auf ihrem Standpunkt und ihr offenbar immer noch großer Einfluss auf das Volk genügten also, um die „christliche Obrigkeit“ zum Vorgehen gegen die Brüder aufzufordern. Damit wollten die Prediger der Reformation und der Glaubenseintracht in der Stadt dienen. Das war aber nur möglich um den Preis einer verschärften Konfrontation, die sich nicht auf Magdeburg beschränken sollte. Jedoch wurde nicht die Ausweisung der Brüder aus der Stadt gefordert wie von Eberhard Weidensee, sondern eher eine Eindämmung ihres Einflusses auf die Stadtbevölkerung, die aber bald zur ‚Zusperrung‘ des Klosters führte, das heißt besonders zum Verbot öffentlicher Gottesdienste und des Almosenbettelns. Dennoch hielten die verbliebenen Brüder unter den erschwerten Bedingungen noch bis 1541 durch,172 bis sie dann am 15. Februar ihr Kloster und die Stadt wohl in Richtung Halberstadt verließen.173

4.4. Lüneburg, Celle und Winsen/Luhe Die drei Franziskanerklöster zu Lüneburg, zu Celle und zu Winsen an der Luhe waren zur Zeit der Reformation eng miteinander verbunden. Denn sie standen unter der Herrschaft der Herzöge Ernst, Otto und Franz von Braunschweig-Lüneburg, wobei der maßgebende der drei Brüder, Herzog Ernst, schon um 1522 der Reformation zuneigte.174 Zudem gehörten alle drei Klöster der Observanz an. Zu Celle und Winsen wurden durch Herzog Friedrich den Frommen von Braunschweig-Lüneburg 1452/54 beziehungsweise 1477 neue Klöster gegründet für Franziskaner strengerer Regelobservanz. Das bereits vor 1235 gegründete, seit 1481 ‚martinianisch‘ reformierte Kloster in Lüneburg wurde dann erst 1489/91 der Observanz zugeführt.175 Sie alle gehörten seit 1518 zur observant geprägten Ordensprovinz Saxonia S. 171 Ebd. O 4r. 172 Die bedrängte Lage des Konvents zeigt ein „Bettelbrief “ des Magdeburger Guardians Johannes Hesse an Meinhard, den Abt des Klosters Ammensleben, vom 20 November 1534. Siehe Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 86f. Anm 3: „Necessitas cogit, ut necessitatem nostram dignitati vestrae significemus. Recolentes enim, quam paterno favore et beneficentia dignitas vestra nos semper est prosecuta, ideo confidentius quomodo circa nos sit, aperimus. Deum testor, quod non habemus vel unum granum hordei, et nihil brasii. Ideo per misericordiam Dei vobis supplicamus, ut de hordeo nobis benedictionem facere dignemini, ab eo retributionem expectando, qui etiam calicem aquae frigidae discipuli datum mercede condigna remunerabit. Nisi dignitas vestra et alii propter Deum nobis subvenerint, quos inimici nostri diu speraverunt et de die in diem expectant, locum deserere cogimur. Sicut enim malitia [crescit], ita et caritas multorum refrigescit, et pauci memores sunt inclusionis nostrae et calamitatis, nec nobis subveniunt. Sed et benefactores nostri in civitate paulatim moriuntur. Caseos item multis diebus non habuimus, et parum adhuc superest. Si autem dignitas vestra manum nobis porrexerit, adhuc cum adjutorio Dei praestolabimur ejus salutare. Gratiae Dei commendo dignitatem vestram cum subditis vestris. Datum Parthenopoli ex fornace nostra ferrea, altera die Elisabeth, anno restaurationis salutis 1534, captivitatis autem nostrae octavo. Fr. Johannes Hesse, captivus Christi et servus pusilli gregis S. Francisci.“ 173 Teichmann, Die Franziskanerklöster 146. 174 Er war der kurfürstlichen Familie zu Sachsen eng verwandt, hatte mehrere Jahre zu Wittenberg studiert, und Spalatin war sein Mentor gewesen. Vgl. Lemmens, Niedersächsische Franziskanerklöster 46 Anm. 5. 175 Siehe Schmies / Rakemann, Spuren 33, 173–175, 197, 201, 207–209. Vgl. zu Lüneburg insgesamt Logemann, Silke: Die Franziskaner im mittelalterlichen Lüneburg. Werl 1996 (Saxonia Franciscana, 7).

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Crucis. Um 1522 soll Herzog Ernst die Franziskaner in Celle bereits aufgefordert haben, sich wegen ihres Lebens und ihrer Lehre zu verantworten.176 Doch der eigentliche Kampf begann mit 5 „Artickelln“, die der Leibarzt der herzoglichen Familie Wolf Cyklop von Zwickau in der Karwoche 1523 aufstellte. Darin verteidigte er die deutsche Bibelübersetzung Martin Luthers, die Suffizienz, Klarheit und alleinige Autorität der Heiligen Schrift sowie die alleinige Mittlerschaft Jesu Christi gegen Angriffe.177 Die Franziskaner zu Celle fühlten sich dadurch besonders angesprochen, wohl weil sie die Polemik von Hieronymus Emser gegen Luthers Bibelübersetzung auf die Kanzel gebracht hatten.178 Es gab freilich eine These Cyklops, die das kirchlich-traditionelle Bibelverständnis der Brüder besonders provozieren musste: „Alle, die der heyligen schrifft / vnd Gotlichem wort nicht anders und ehr glauben / denne umb der menschen gemeyn ader vorsammlung willen / Welche man auff kriekesch Ecclesiam vnde deuthsch kirch nennet, die setzen den menschen vber Gott / die Lugen vber die wahrheyt vnd den Wyder adder Antichrist vber Christum.“ 179 176 Siehe Lemmens, Niedersächsische Franziskanerklöster 46 Anm. 5. 177 Der noch im selben Jahr in Magdeburg erschienene Bericht Cyklops über die Vorgänge hob seine ‚fünf Artikel‘ besonders hervor. Siehe Cyklop, Wolf: Ein geistlicher kampff // und Scharmutzel / vber .v. beschluß // vnd artickelnn / das Gotlich wort be=//langende / zwischenn Wolff Cyklop // von Zwickaw der Ertzeney doctor etc. // vnd den aller Geystlichsten Vetern / // Heynrich Marquardi der parfusßer // minister / Mathias Teuffel von Nort//heym / Gardian / sampt allenn yrenn // mithbrudernn / tzu Newen Zcelle Im // Lüneborger Lande / in nehst vorschy//nener Marterwoche / schryfftlichen // begriffen vnd vorfasßet. Magdeburg 1523, A 1r – C 5r, bes. A 3v–4r; Köhler, Flugschriften Fiche 982 Nr. 2482. Die Franziskaner wurden in den ‚Artikeln‘ selbst nicht namentlich erwähnt. Aber wie Cyklop in einer weiteren Erklärung schreibt, hatte er an polemischen Predigten der Franziskaner, vor allem des Provinzialministers Heinrich Marquardi, in Celle Anstoß genommen. Siehe ebd. C 1r: „Die weyl yhr / vnnd ewere brudere nicht alleyne dysen winther vber / dye weyll ich allhyr gewesen / sondern alle die tzeyt lang (Sider das reyne wort Gottis / durch seyne milde gnade vnnd barmhertzigkeyt widerumb mit klerlichem auff gange an tag koemen ist) Mit ketzerischen / Hussitischen vnd grubenheimischem vnd der gleichen namen vnd schantflecken / heimlichen vnd offenbarlichen auff dem predigstull / nicht ane vorletzunge Gotlichenn wortes / widder die Christliche liebe / geschendet / geschmecht / vnd gelestert habet / Welches wir vmb Christus willenn / vnschuldiglichen geliden / Byß tzu der tzukunfft / jtzt obgenantenn Ministers / welcher die maße seyner bruder (Wie menniglich woll gehoeret) aller erst recht hat erfullet / vnd vberhauffet vnd sich zum kampffe selbist groß vnnd hoch vnde vber die maße […] erbotten / das ich der halb auß Gotlichem vordrieß beweget / nicht alleyne an den Orten vnd enden / do sulchs widerumb erholet / vnnd nach gesaget ist worden / der warheit tzu gute / habe mussen vorantworten.“ 178 Vgl. Lemmens, Niedersächsische Franziskanerklöster 47 Anm. 3. In ihrem niederdeutsch geschriebenen Antwortbrief auf die „Artikel“, den Cyklop in seine Schrift aufgenommen hat (ebd. A 4v – B 4r), stellten sich die Brüder so vor: „Wy Hinricus Marquardi Mathias northem brodere des Ordens S. Francisci vor vns vnd de vnsen“ (ebd. A 4v). Matthias Teufel von Nordheim war damals Guardian des Celler Klosters. Heinrich Marquardi, Provinzvikar der Observanten 1512–1515, war nun Provinzialminister der observant geprägten Saxonia S. Crucis (1523–1525) und weilte damals in Celle. Er hatte vor seinem Amtsantritt schon bei Alveldts Disputation 1522 in Weimar mitgewirkt und bereits als Streiter gegen die reformatorische Theologie Eindruck gemacht (vgl. oben Kap. 2, Anm. 45f.). Vielleicht ist er identisch mit „Henricus Marquardi de Gottingen“, der 1486 zu Erfurt sich als Magister artium qualifizierte (vgl. Kleineidam, Universitas studii Erffordensis I, 383). Das wäre dann noch vor seinem Ordenseintritt gewesen. 179 Siehe Cyklop, Ein geistlicher kampff, A 4r. Vgl. Lemmens, Niedersächsische Franziskanerklöster 48. Der gebildete Arzt, aber theologische Laie Wolf Cyklop berief sich hier dezidiert auf das „sola scriptura (allein die Schrift)“ der reformatorischen Theologie, das ihn besonders durch Luthers deutsche Übersetzung des Neuen Testamentes überzeugen konnte. Dazu schreibt er als „der kunst und gewerbe halben eyn artzt / Des Gelaubens eynn getauffter vnd bekenneder Christ“ in der Antwort auf die Franziskaner später: „Zum ersten bedinge ich mir das ich mit Lutterischer sache (Welche yhr hye mit eintzihet) sy sein klein odder groß wider tzu thun noch tzu lassenn habenn will / welcher selbist / allenn seynen widersachern / noch biß anher / tzu schicken genug gegeben hat / bedarfft auch / noch begerd meynes beystandes gantz nichtes / Aber des

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4. Das Ende von Franziskanerklöstern

Angesichts der grundlegenden Erfahrung Cyklops, in Luthers deutschem Neuen Testament dem Wort Gottes begegnet zu sein, und seinem Standpunkt, darüber keine andere Glaubensautorität mehr gelten zu lassen, konnten die Einwände des Hieronymus Emser und der Franziskaner gegen Luthers Übersetzung kaum verfangen. Sie wirkten für Cyklop nicht überzeugend, ja diskreditierten eher die Autorität Emsers und die Predigt der Brüder.180 Gegen das reformatorische Schriftverständnis Cyklops blieb aber für die Franziskaner die Bestätigung der Heiligen Schrift durch die Kirche maßgebend. Denn nach ihnen wurden apokryphe ‚Evangelien‘ nicht in den Kanon der Heiligen Schrift aufgenommen, sodass es auf die Autorität der Kirche ankam, wem Glauben zu schenken ist, wie Augustinus sagte: „Ich glaubte dem Evangelium nicht, wenn mich nicht die Autorität der katholischen Kirche dazu bewegte.“ 181 Dazu schrieb dann Cyklop: „Zum spruch Augustini / damit yhr so groß hofieret / das ehr deme Euangelio nicht glaubt hette / ßo ehr der kirche nicht hett geleubet / dar auff las ich Sant Paulum Roma. x. antworten / do ehr saget / ‚Eyn igtzlicher der do anrufet den namen des herren / der wirt salig / wie rufen sie yhn an / yhn den sie nicht geglaubt haben? adder wie glauben sie deme / wilchen sie nicht gehoret haben? wie werden sie aber hoeren ane prediger?‘ Alßo hette Augustinus dem Euangelio nicht gelaubt wo ers jn vnd von der kirchen nicht vor entpfangen / adder gehoeret / vnd yhren redlichen vnd Christlichen wandell gesehen hette / dar auß folget aber nicht / das ehr die kirche / schatzbarer vnd glauwirdiger dan das Euangelion geachtet / vnd gehalten habe.“ 182 Newen vordeutzsten Testaments (die weil es noch nicht besser den das selbig von yrgent eynem andern vordeutztscht ist) will ich michs nicht tzu lesen vortzeyhen […] Ob gleich der Bapst vnd Keyser sampt allen Cardinalen Bischoffen vnnd Fursten Lutther vnd alle seyne bucher vordampten / vnd vordampt hetten So kann ich das newe vordeutzschte Testament / vor sein buch tzu schatzen nicht beredet werden / Ob erß gleich vordeutzschet habe / gleich wie viell andere / das selbige auch in andren sprachen vordalmetzschet haben / vnnd doch fur yhr buch nicht gerechnet ist / will do mit allen oberkeyten / was leyb vnd leben / guth vnnd ehre antrifft / nach allem vermoegen nicht entgegen seyn / Sonder vber die sele vnd yhre guttere / kan vnd wil ich niemanth den Godt alleyne vor eynen oeberhern erkennen vnd leyden“ (ebd. B 4v – C 5r, bes. C 1v–2r). 180 Vgl. die entsprechenden, eher kleinlichen Einwände im Brief der Franziskaner (ebd. B 2rv) und Cyklops treffende Antwort darauf (ebd. C 2v–3v). Wenn die Brüder sich dabei auf Hieronymus Emser beriefen (ebd. B 2v: „Wy laten den Hieronimum Emßer dat beweren / den leß / ßo findestu wat du ßokest“), fand Cyklop das eher abwegig: „Zu letzt berufet yhr euch auff Hieronimum Emßer / das ehr das selbige beweysen sold / damit yhr yhm als eynem poeten […] nachfolget / vnd euch selbst alßo offentlich dar gebet / Alß die jennigen die alle merlin / vnd altverlische fabeln / wie sie Paulus j Timo. iiij. nennet / vnd yhre vnd der yhren eygene traume / auf den predigstulen / an stad der warheyt sich nicht schemen außtzuschreyen“ (C 3rv). Vgl. dazu 1 Tim 4,4. 181 Vgl. Augustinus: Contra epistulam quam vocant fundamenti, nr. 5: „ego uero euangelio non crederem, nisi me catholicae ecclesiae commoueret auctoritas“ (PL 42, 176; CSEL 25/1, 197). Dieses Augustinuswort griffen die Franziskaner von Celle auf, als sie zu den angeblichen ‚Evangelien‘ schreiben: „Wy meynen darumb dat se nicht bestetiget sin / van der hilgen kercken juxta illud S. Augustini ‚Euangelio non crederem‘ etc. Du vorachtest hir die Concilia vnd vorsammelunge der Christloevigen / jn den hilgen geiste“ (Cyklop, Ein geistlicher kampff, B 3r). Das Augustinuswort wurde schon vor der Reformation und dann bei Martin Luther zum Anlass, das Verhältnis von Autorität der Heiligen Schrift und Autorität der Kirche zu klären. Siehe etwa Schlageter, Johannes: Glaube und Kirche nach Wilhelm von Ockham. Eine fundamentaltheologische Analyse seiner kirchenpolitischen Schriften. (Diss. München 1970) Münster 1975, 123–134; ders., Die Autorität des kirchlichen Amtes und die evangelische Freiheit 184–192. 182 Siehe Cyklop, Ein geistlicher kampff, C 4r. Vgl. dazu Röm 10,13f. Die Glaubwürdigkeit, die Augustinus in Verkündigung und Leben der Kirche seiner Zeit fand, die vermisste Cyklop nun in der Predigt der Franziskaner,

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Die Disputation, zu der die Franziskaner Cyklop aufgefordert hatten und bei der kirchliche und weltliche Autoritäten, Universitäten und Doktoren der Theologie den Richterspruch fällen sollten, konnte er nicht annehmen, wie Cyklop mit einem biblischen und sogar franziskanischen Argument ausführt: „Zum andern beding ich myr das die großen yrdischen wirdenn Titell vnnd nhamen Sampt derselbigen personen schulen vnd steten / mihr ganz nichtes tzu schaffen geben sollen / Nemlich in dyesen Sachen / die weyl in meinen beschlussen vnd artickeln die Gotliche weyßheyt gehandelt wyrt / Welche von den weysen dieser welt / nicht mochte erkant werden vnd die weltliche weyßheyt vor Got eyn torheyt ist worden j Cor. j / vnd iij. vnd welche sich in der selbigen weyß nennen / seyn thoren worden Roma. j vnd yhre gedanken seynd vnutz j. Corinte. iij. Die weill denne dyße Gotliche weyßheyt / den weyßen vnd klugen ader vorsichtigen von Gott dem Vater verporgen ist / vnd alleyne den klenlichen vnnd wintzigen geoffenbaret / Wye Christus selbst gegenn Gott seynem Vater sich bedancket / Mathei am xj.“ 183 Wie die Franziskaner in Celle mit solchen Gedanken umgegangen wären, wären sie ihnen bekannt geworden, lässt sich leider nicht sagen. Denn Cyklop verließ danach die Stadt und ging nach Magdeburg, wo er dann die Beschreibung seines ‚geistlichen Kampfes‘ herausgab, die vielleicht die Brüder selbst gar nicht erreichte. An die Spitze der reformatorischen Bewegung in Celle trat nun Gottschalk Cruse, den Luther nach seiner Flucht aus dem noch altgläubigen Braunschweig dem Herzog Ernst empfohlen hatte. Als der Streit 1526 zwischen den reformatorischen Predigern und den Franziskanern auf der Kanzel eskalierte, erreichten die Reformatoren von Celle bei dem ihnen geneigten Herzog Ernst ein Predigt- und Kommunikationsverbot für die Brüder.184 Der von der er schrieb: „So hettet yhr vnd alle die eweren / all ewere leben langk in ewrem predigen / dar ynne yhr die heilige schrifft ßo jemmerlichen radebrechet / das es schande ist / nymmer vngefelschet gelassen / als ich offt selbst meyn grawen gehoret hab“ (ebd. C 3r). Mit dieser pauschalen Verurteilung damaliger franziskanischtraditioneller Predigt antwortete Cyklop auf den ebenfalls pauschalen Vorwurf einer Verfälschung des Neuen Testaments durch Luthers Übersetzung. Es stand dahinter allerdings die ernstzunehmende Erfahrung eines Christen, der erst im Neuem Testament, wie es Luther verdeutschte, das reine Wort Gottes entdeckt hat. 183 Ebd. C 2r. Vgl. dazu 1 Kor 1,18–31; 3,18–20; Mt 11,25. Zur Geschichte ähnlicher Argumente in biblischer und franziskanischer Tradition vgl. Schlageter, Hermeneutik der Hl. Schrift 233–238; 244–247. – Zum Aufgebot an theologischen Autoritäten, die die Franziskaner gegen den wegen seiner bloß medizinischen Kenntnisse gering geschätzten ‚Laien‘ Cyklop ins Feld führen wollten, vgl. Lemmens, Niedersächsische Franziskanerklöster 48 Anm. 1. 184 Eine Beschreibung des neuen Kampfes blieb ebenfalls nur von reformatorischer Seite erhalten: Handelyng // twyschen // den Baruoten tho Zcelle // ynn Sassen / vnde den verorden=//ten Predigern dar=//sulvest de Mysse be=//langen. // Grundt vnd Orsake / wur//uemb dorch Foerstlyke Ouericheit / // bemelten Baruoten de ge=//meinschop des volcks vorboden. // Affschrift der vorsegel=//den vnchristliken vorschriuyng / yn wel=//cker de Baruoten all ohre // guden wercke den anderen myldich=//lick uthdeilen / Mit Vorlei=// gynge dersulven. Wittenberg 1527. Siehe Köhler, Flugschriften Fiche 1064 Nr. 2686. Doch einbezogen ist in diese Beschreibung ein Brief des Guardians „Broder Bertoldus Wenthenkamp G[uardian] tho Zelle“ an die Herzöge Otto und Ernst zu Braunschweig-Lüneburg „tho eghender hanth“ (ebd. D 3v – E 3v). Diesem Brief folgte eine „Vnderrichtynge der gemenen Predigers tho Czelle / Vp der Barfoten Antwort“ (ebd. E 3v – I 3v). Zuletzt erzählten die Prediger: „Grundt vnd orsake wuruemb dorch Foerstlyke Ouericheit / bemelten Barfoten de gemeinschop des volckes vorboden“ (ebd. I 3v – L 3r). Dabei polemisierte man schließlich (L 1r–2r) gegen einen Affiliationsbrief, mit dem die Eltern der Herzöge noch 1518 in die Gemeinschaft aller Gebete und guten Werke des Minderbrüderordens aufgenommen wurden. Vgl. Köhler, Bibliographie I/2, 10 (nr. 1481). Die ganze Schrift ist niederdeutsch. Aber ähnlich wie in Magdeburg am Anfang, entschuldigte sich am Ende der

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4. Das Ende von Franziskanerklöstern

Kampf konzentrierte sich dabei auf die traditionelle Feier der Messe bei den Franziskanern. Denn die reformatorischen Prediger sehen sich „aus der allerhöchsten Not unsers Gewissen gedrungen“, den Herzog zum Einschreiten dagegen zu ermahnen, „damit ein so großes Ärgernis aus dem Weg genommen werde, nicht allein zu Celle, sondern im ganzen Fürstentum“185. Nach ihnen war die traditionelle lateinische Messe, wie sie die Franziskaner noch feierten, gegen die Heilige Schrift. Denn sie wurde als Privatmesse gefeiert, in unverständlicher Sprache, ohne Verkündigung des Gotteswortes, ohne strenge Gewissensprüfung, und sie wurde zu einem menschlichen Werk und Opfer verkehrt.186 Berthold von Wethenkamp, der 1526 neu ernannte Guardian von Celle, wies bereits auf Schriften von Kontroverstheologen hin wie John Fisher, Johannes Faber, Johannes Mensing, Cochläus, Emser und Schatzgeyer, die die Messfeier gegen reformatorische Angriffe verteidigten, und meinte, dass die neue reformatorische Abendmahlsfeier sich nicht buchstäblich und einmütig an das halte, was Jesus in hebräischer Sprache bei seinem Abschiedsmahl gesprochen und getan habe: „Warum pochen sie denn so herzlich auf uns arme Brüder und sagen Schrift, Schrift? So sie doch in so großem Werke der Neuerung, das sie vorgeben, bei allem keine Schrift anzeigen, daraus wir merken möchten, sie hätten einen festen Grund ihres Vornehmens.“ 187 Zum Schluss erklärte Br. Berthold: „Wir gedenken bei dem klaren, hellen, göttlichen Wort zu bleiben, lebendig und tot.“ 188 Er sah sein und seiner Brüder traditionelles Schriftverständnis durchaus im Einklang mit „dem klaren, hellen, göttlichen Wort“, während ihm die reformatorische Neuerung nicht hinreichend in der Heiligen Schrift und damit in Gottes Wort und Wahrheit begründet schien. Doch als in Celle die Reformation sich politisch durchsetzte, ließ sich die von Wethenkamp verteidigte herkömmliche Messfeier nicht mehr halten, da sie Herzog Ernst 1527 in seiner neuen landesherrschaftlichen Kirchenordnung verbot. Weil die Brüder sich der neuen Kirchenordnung nicht beugen wollten, wurden sie aus den dem Herzog unmittelbar unterstehenden Klöstern ausgewiesen, am 18. Juli 1528 aus Winsen an der Luhe und danach am 6. August aus Celle. Das führte in Celle, wo die Franziskaner noch viele Sympathisanten

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Drucker wegen der „unförmlichen“, „unverständlichen“ Sprache im „breeff des Wetenkampes / tho Zcelle Gardians“, den er Wort für Wort gesetzt habe, „nichtes mit virgulen odder boeckstauen darynne verwandelt“. Denn er meinte: „Inn deme / my nicht wol temet / eines sulken groten drepliken gelerden mannes schryffte tho voranderen / Dat ick my bauen synen vorstant ock nichtes wolde voernemen. Wat oeuerst hyr ynne mit schryuende vorseen is / geue ick em tho vorandtwortende“ (siehe ingesamt ebd. L 3v). Der Brief des Guardians ist wirklich nicht gut zu verstehen. Aber wo das herkam, ist angesichts der offensichtlich spöttischen Distanzierung des Druckers kaum noch auszumachen. Siehe Handelyng, C 1v: „vth aller hoegesten notdt / vnser eygen conscientien / gedrungen“; C 2r: „dat en sodaen grodt ergeringe / moege vth dem wege genomen werden / nicht allene hyr tho Zcelle sondern yn yuwer gnaden gantzen Foerstendome“. Vgl. zum Ganzen Lemmens, Niedersächsische Franziskanerklöster 50–52. Siehe ingesamt Handelyng, C 1r – D 3r, bes. D 2v: „hebben ein opffer / vnde gudt werck daruth gemaket“. Siehe insgesamt ebd. D 4r – E 3r, bes. E 2v: „Wor vmb pucchen se den so hertlyken vp vns armen broedere seggende Schrift Schrifft. So se doch ihn so grothem werke der vornyghynge / wo se vorgeuen / mith alle nene schrifft anteken dar uth wy merken mochten se einen vasten grunth ohres vornhemendes hedden.“ Siehe ebd. E 3v: „wy by dem klaren hellen Goethlyken worde gedencken tho blyuen leuendich vnd doeth“. Der Brief des Guardians, der sich auf das ihm am 1. Dezember übermittelte Schreiben der reformatorischen Prediger bezieht, ist datiert „in S. Thomas daghe / Int iar vnses hern M.D.XXVj, also „am Sankt Thomas-Tag 1526“. Dieser „S. Thomas-Tag“ ist nicht näher bestimmt, aber wohl das Fest des Apostels Thomas, damals am 21. Dezember.

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hatten, zu großer Aufregung, ja beinahe zu einem Aufruhr, sodass die reformatorischen Prediger die Ausweisung noch einmal eigens begründen mussten.189 In Lüneburg setzte sich die neue Kirchenordnung zunächst nicht durch, weil die Stadt dem Herzog ziemlich unabhängig gegenüberstand. Besonders die Oberschicht, Rat und Pa­ trizier, blieben der bisherigen Tradition verbunden. Erst 1530 bekam hier die reformatorische Bewegung die Oberhand190 gegen den erbitterten Widerstand der Franziskaner, der durch ausgewiesene Brüder aus Celle und Winsen, aus Bremen, Hamburg und Lübeck noch bestärkt wurde. Dennoch folgte hier bald ein Verbot aller Gottesdienste in der Klosterkirche und aller Kommunikation mit den Leuten sowie die Mahnung an die Brüder, ihre Lebensform und das Kloster zu verlassen.191 Doch die Franziskaner wollten erst das kommende Konzil abwarten und seiner Entscheidung folgen, „bis dahin möge man mit uns armen und wahrlich gar elenden, bedrückten Brüdern Mitleid haben aus brüderlicher Liebe“.192 Als die Brüder daher weiterhin ablehnten, sich der reformatorischen Lehre anzuschließen, drohte am 23. August 1530 eine gewaltsame Vertreibung. Dem stellte sich der Rat entgegen, doch auch er ließ den Franziskanern nur die Wahl, das Evangelium im reformatorischen Sinn anzunehmen oder die Stadt zu verlassen. Am darauf folgenden Sonntag (28. August) entschlossen sich die Brüder zur Auswanderung aus einer ihnen fremd gewordenen Umgebung.193

189 Siehe insgesamt Lemmens, Niedersächsische Franziskanerklöster 52–54. Diese Schrift der Celler Reformatoren trägt nach Lemmens den Titel: „Verantwortung der Prediger zu Celle am Tage assumptionis [15. August] 1528“. Siehe ebd. 54 Anm. 2. Doch gibt Lemmens dazu keine genaueren bibliographischen Angaben. Bisher war die Schrift nicht aufzufinden. 190 Einer der ersten reformatorischen Prediger in Lüneburg war der ehemalige Franziskaner Stephan Kempe, der aus dem Kloster von Rostock stammte. Siehe ebd. 54 Anm. 4. Er hatte sich bereits in Hamburg für die Reformation engagiert. Vgl. Stupperich, Reformatorenlexikon 115. 191 Das ergab sich aus einem Brief, den die Franziskaner an den Rat der Stadt richteten. Unterschrieben ist er: „Broder Augustinus Alveldianus, Broder Andreas Grone Gardian myd dem gantzen Convente tho unser leven fruwen bynnen Luneborg.“ Siehe Lemmens, Niedersächsische Franziskanerklöster 55 Anm. 1. Andreas Grone, der das Schreiben der Brüder zu Magdeburg als Provinzial mitverantwortete (oben Anm. 118), wehrt sich nun hier in Lüneburg als Guardian gegen die Maßnahmen des Rates der Stadt. Augustin von Alveldt ist seit 1529 Provinzialminister der Saxonia S. Crucis (Schmies / Rakemann, Spuren 269; 774). Vgl. insgesamt Fabricius, Dieter: Kontroversen in Lüneburg im Zusammenhang mit der Einführung der Reformation. Lüneburg 1988. 192 So schrieb Br. Andreas Grone im Namen seiner Brüder dann am 12. August 1530. Siehe Lemmens, Niedersächsische Franziskanerklöster 55 Anm. 2. 193 Sie zogen wenigstens zum Teil nach Göttingen weiter. Denn dort befand sich Br. Andreas Grone am 15. Februar 1531, als er – obwohl Göttinger Bürgerkind – aus Göttingen ausgewiesen wurde, weil er „in christlichen Sachen gegen einen ehrsamen Rat und löbliche Gilden zu ernstlich und viel zu hart geredet“. Andreas Grone war als Conrad Fricke aus Göttingen noch vor seinem Ordenseintritt 1482/83 an der Universität Leipzig immatrikuliert worden. Andreas war sein Ordensname und Grone nahe bei Göttingen sein Herkunftsort (siehe insgesamt Lemmens, Niedersächsische Franzikanerklöster 63f. Anm. 8). Diese Ausweisung Andreas Grones war ein Vorspiel der Ausweisung aller Brüder aus Göttingen, die dann am 18. Juli 1533 erfolgte (ebd. 64f.). Zur Geschichte der Reformation in Göttingen, soweit die Dominikaner und Franziskaner davon betroffen waren, vgl. besonders Schlotheuber, Eva: Die Franziskaner in Göttingen. Die Geschichte des Klosters und seiner Bibliothek. Werl 1996 (Saxonia Franciscana, 8) 37–64.

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4.5. Ribnitz Bei dem bedeutenden Klarissenkloster in Ribnitz194, nahe der Stadt Damgarten an der Ostsee, gab es nur einen kleinen Konvent von Franziskanern, denen neben Verwaltungsaufgaben vor allem die spirituelle und pastorale Begleitung der dortigen Schwestern anvertraut war. Bereits an der Gründung des Klarissenklosters durch Heinrich den Löwen von Mecklenburg seit 1323 war der Franziskaner Dietrich von Studenitz, der Beichtvater des Fürsten und Kustos von Lübeck, entscheidend beteiligt. Er begründete auch die Tradition einer lateinischen Chronik des Klosters, die von seinen franziskanischen Nachfolgern im dortigen Konvent bis 1538 weitergeführt wurde. Da das Klarissenkloster eng mit der Landesherrschaft verbunden blieb, die es gut dotierte, und da Frauen aus der fürstlichen Familie öfters als Äbtissinnen fungierten, kommt der Chronik große Bedeutung für die Mecklenburger Landesgeschichte zu.195 Wichtiger noch für den Zeitraum der reformatorischen Auseinandersetzung ist die niederdeutsche Chronik, die dem damaligen Beichtvater des Klosters, dem Lektor Br. Lambrecht Slaggert aus Stralsund, zum größten Teil (bis mindestens 1532) zu verdanken ist.196 Obwohl Br. Lambrecht als Lektor von Theologie einiges verstand, war er weniger an theologischen Auseinandersetzungen mit reformatorischen Auffassungen interessiert, die ihm fremd und unverständlich blieben. Als er 1522 nach dem Hamburger Kapitel der niedersächsischen Provinz, dem ersten nach der Teilung der martinianisch reformierten Saxonia S. Johannis Baptistae, nach Ribnitz versetzt wurde, war Slaggerts Bild von Luthers Reformation, von den „Martinianisten“ oder „Martinschen“, wie er gerne schrieb, bereits fest bestimmt und ganz negativ geprägt.197 Offensichtlich hatten ihn die reformatorischen Angriffe auf die Franziskaner verärgert, die er anlässlich des Provinzkapitels in Hamburg am Fest Kreuzerhöhung (14. 9. 1522) erleben musste: „In diesem Kapitel zu Hamburg haben die Martinianisten dem Orden und den Vätern großen Hohn und Schmach angetan, indem sie böse Schriften und Thesen in Deutsch an die Kirchtüren anschlagen und alle Menschen öffentlich haben lesen lassen, wie folgt: Frage. Karst Hans will sich in Fragen belehren. / Darüber sollen die Grauen Mönche disputieren, / wozu die Mönche sich hier zusammenfinden, / was für teuflische Bosheit sie noch wollen uns aufbinden, / wenn sie aus Martin Luthers Sachen / wollen uns einige neue Franziskus machen usw. Zu dieser Frage haben sie auch drei Schlussfolgerungen und eine Anmerkung gehabt, was ich um der Schande willen nicht schreiben will.“ 198 194 Zum Überblick vgl. Ulpts, Bettelorden in Mecklenburg 111–134; 205–236. 195 Vgl. insgesamt: Die Chroniken des Klosters Ribnitz, bearbeitet von Friedrich Techen. Schwerin 1909 (Mecklenburgische Geschichtsquellen, 1), besonders aber die Einleitung, ebd. 1*–17*. Die lateinische Chronik findet sich ebd. 1–61. 196 Siehe die niederdeutsche Chronik ebd. 63–172. 197 Von Slaggert stammte wohl bereits der Eintrag in die lateinische Chronik zum Jahr 1520: „Quo tempore eciam et jam ante pullulavit error vel heresis, ut ita dicam, Martini Lutter, Augustiniani, in Wittenberg et circa partes stagnales“ (ebd. 55). 198 Ebd. 129: „In desseme capittel tho Hamborch de Martianisten hebben deme orden enen groten hoen unde smaheyt ghedan unde den vederen myt eren boßen scryften unde posicien tho Dude an de kerkdoren tho slande unde apenbar laten lesen van allen mynsken in sulker wyse: Questio. / Kerst Hans wyl syck in vragen beleren. / Darup scholen de Grawen monneke disputeren, / Utrum de monneke don sick hir thosamende schycken, / Wath fenyns se noch wyllen laten blycken, / War se uns uth Martinus Lutters saken / Willen welke nyge Franciscus maken etc. Tho desser vraghe hebben se ock ghehat III conclusiones unde I corrolarium,

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Obwohl es sich bei dieser Disputationseinladung um eine Karikatur des akademischen Brauches handelte, womit man die Brüder nur verspotten wollte, könnte der vollständige Text Aufschluss geben, was man in der reformatorischen Bewegung in Hamburg den Franziskanern damals vorzuwerfen hatte. Vielleicht vermutete man, die Brüder wollten sich angesichts der reformatorischen Theologie Martin Luthers bei ihrem Kapitel mit ‚ihrem‘ Franziskus neu profilieren. Wenn Br. Lambrecht sich auf diese Angriffe nicht einließ, dann wohl nicht nur wegen ihrer angeblich für den Orden beleidigenden Form. Es zeigte sich seine insgesamt konservative Einstellung, mit der er in seiner Chronik selbst frühere ordensinterne ‚martinianische‘ Reformbemühungen des Provinzials Ludwig Henning skeptisch und eher negativ wertete. So meinte er zum Vorgehen Hennings gegen privaten Besitz von Ribnitzer Schwestern: „Aus welchem Geist das gekommen ist oder nicht, wer kann das sagen; denn die Gabe Gottes wirkt wunderliche Weise usw.“ 199 Noch deutlicher wurde Slaggerts Ablehnung solcher Neuerungen bei einer Bemerkung zum Rostocker Kapitel von 1509, auf dem die Brüder zur Reform nach den Statuta Iulii [Papst Julius’ II.] verpflichtet wurden: „In dem Kapitel wurden die Statuta Julii ausgegeben allen Vätern und Konventen, 3 für 5 Gulden. Oh, oh welch Einschnitt und Beschneidung für viele arme Klöster! Simon, Simon, dein Geld sei mit dir zu deinem Verderben. Wo die Güte und die Liebe wohnt, da ist Gott.“ 200 Solche Bemerkungen, die ja erst nach 1522 in die Chronik gelangt waren, verraten eine anhaltende Aversion gegen jede Art von Reform. Dabei mögen zwar die Kosten für die von Henning herausgegebenen Statuta Iulii für manche Brüder und Konvente eine Belastung gewesen sein. Die Franziskaner waren aber zum Erwerb notwendiger Bücher verpflichtet und in der Lage.201 Vielleicht ging es jedoch nicht so sehr um die Kosten für die entsprechenden Drucke der Statuta Iulii, als vielmehr um die bei der Übernahme der Statuten anfallenden Ausgaben für die römische Kurie.202 Wen Slaggert mit dem Magier Simon identifizierte, der die Gaben des Geistes mit Geld erkaufen wollte, bliebe dann offen. Jedenfalls zeigte Slaggert dat ick umme schande willen nicht mochte scriven.“ – Die reformatorische Bewegung erhielt aber erst 1523 Auftrieb, als der Franziskaner Stephan Kempe aus Rostock nach Hamburg kam und im Franziskanerkloster St. Marien Magdalenen unter wachsendem Zulauf des Volkes reformatorische Lehren predigte. Er forderte 1526 das Abendmahl unter beiden Gestalten. Danach wurde die Reformation trotz Einspruch des Rates durchgesetzt. Vgl. Hatje, Frank: „Gott zu Ehren, der Armut zum Besten“. Hospital zum Heiligen Geist und Marien-Magdalenen-Kloster in der Geschichte Hamburgs vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hamburg 2002, 180–187. Stephan Kempe spielte später auch in Lüneburg eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung der Reformation. Siehe oben Anm. 190. 199 In einer entsprechenden Bemerkung Slaggerts zur Visitation Ludwig Hennings in Ribnitz 1509, ebd. 125: „Uth welkerem gheyste dat ghekamen ys ofte nicht, wol kann dat seggen, wente de gave gades werket wunderlyke wys etc.“ Vgl. dazu Schmies / Rakemann, Spuren 237; Schmies, Ludwig Henning 120f. Das könnte auch mit dem ausbleibenden Erfolg der Reform zusammenhängen, vgl. dazu Ulpts, Bettelorden in Mecklenburg 318–320. 200 Die Chroniken, ebd. 125: „In deme capittel sin uthgegeven de statuten Julii allen vederen unde conventen vor gelt, III vor V gulden. O o, welk eyne sneydicheyt unde besnydinge veler armer closter dodurch ys vullenbroch, Simon, Symon, pecunia tua sit tecum in perditionem. Ubi caritas et amor, deus ibi est.“ Vgl. dazu Apg 8,20 Vg. 201 Das zeigte Slaggert später, als er sich der Einrichtung einer neuen, gut sortierten Bibliothek im Konvent Ribnitz rühmte (ebd. 163f.). 202 Siehe dazu Ulpts, Bettelorden in Mecklenburg 322.

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eine bis über Hennings Tod hinausgehende Verbitterung, die mit dessen Reformbemühungen zusammenhängt.203 Wie sehr dagegen Br. Lambrecht den Glanz genoss, der durch die hochadelige Herkunft von Schwestern des Klosters auf die Klarissen in Ribnitz fiel, lassen seine Eintragungen deutlich erkennen.204 Dass er bei allem herrschaftlichen Glanz jedoch die Probleme solcher Adelsklöster nicht ganz ausblendete, zeigte ein Eintrag in der lateinischen Chronik von 1522, als der jüngere Bruder des Herzogs von Mecklenburg, Albrecht VII., sich mit Anna von Brandenburg verheiratete, obwohl sie bisher in einem Kloster lebte, allerdings noch nicht feierlich eingekleidet war. Das ließ sich freilich nicht nur mit „schmeichlerischen Zureden und schönen Geschenken“ erklären, wie bei Slaggert, sondern hatte bereits mit einem Gesinnungswandel und mit der Hinneigung zur Reformation in der das Kloster mittragenden Herrscherfamilie zu tun.205 Doch sah Slaggert kein Problem, als die 1522 eingekleidete Ursula von Mecklenburg, die Tochter des Herzogs, nach Vollendung ihres 14. Lebensjahrs 1524 zum Noviziat und 1525 zur feierlichen Profess zugelassen wurde. Das zelebrierte man groß als ordensinternes Fest mit dem Provinzialminister und Doktor der Theologie Gerhard Funck wie mit den Schwestern und Brüdern zu Ribnitz.206 Zwischen diesen beiden Feiern fand jedoch ganz in der Nachbarschaft, in Slaggerts Heimatstadt Stralsund, ein Bildersturm auf die Kirchen und Klöster statt, der mit Dominikanern und Birgittinnen auch Franziskaner des Johannisklosters von dort vertrieb. Dieses Geschehen vom 10. April 1525 wurde für Slaggert zum Beweis für die Gottvergessenheit, Bosheit und ketzerische Verirrung der „vergifteten Martiner“.207 Dass solcher Kirchen- und Klostersturm Martin Luthers Auffassung von Reformation geradezu entgegen ging, konnte Br. Lambrecht nicht erkennen. Denn dazu waren ihm die theologischen Hintergründe zu wenig bekannt. Was er zum Vorgehen der Bilderstürmer erzählte, deutet auch eher auf deren volkstümlichen Aberglauben hin, so wenn die Bilderstürmer einer entzweigehauenen Pietà zurufen: „Maria, wirk nun Wunder, lass es sehen, oder du kannst auch verbrennen.“208 Zu solch demonstrativer Missachtung von bisher Sakralem gehörte auch die Übertretung der Fastenvorschriften in der Karwoche (Montag nach Palmsonntag), als die Klosterstürmer in die Speisekammer des Klosters einbrachen:

203 Die Ablehnung von Hennings Reformbemühungen war allerdings in der Provinz weit verbreitet, was auch mit dessen ziemlich autoritärem Vorgehen zusammenhing. Vgl. Schmies, Ludwig Henning 119f., 123–126. 204 So etwa wenn er die Einkleidung von Ursula von Mecklenburg beschrieb, der Tochter des regierenden Herzogs Heinrich V. von Mecklenburg und der Nichte der Äbtissin Dorothea von Mecklenburg, mit der Teilnahme hochadeliger Gäste und der Zelebration durch den franziskanischen Weihbischof von Schwerin, Dietrich Huls von Stade. Siehe Die Chroniken, ebd. 129. Obwohl das Fest schon am 8. September 1522 vor Slaggerts Ankunft in Ribnitz (29. 9.) stattfand, ist ihm dessen glanzvoller und aufwändiger Verlauf noch sehr wichtig. 205 Siehe Die Chroniken, ebd. 56, hier Anm. 4: Ein Zitat des Briefes des Bruders von Anna, Joachims II. von Brandenburg, des späteren Markgrafen und Kurfürsten, an Albrecht von Mecklenburg: „das meyne schwester ungeferlich vor dreyen wochen ist aus dem kloster durch meyne anregung gezogen und die heylose kappe abgelegt und das weltlich kleydt wider angezogen [...], und sal, ab got will, noch e.l. eliche gemahel werden.“ Vgl. dazu auch Ulpts, Bettelorden in Mecklenburg 345. 206 Siehe Die Chroniken, ebd. 132, 135f. 207 Siehe ebd. 134f. Vgl. auch den entsprechenden Eintrag in der lateinischen Chronik, ebd. 57: „Eodem anno feria secunda Palmarum fratres Minores et Predicatores et Birgittinenses Sundenses receperunt fugam propter impetum Martianistarum sive Lutteranorum et vim, quam eis inferebant in suis monasteriis.“ 208 Siehe ebd. 134: „Marie, do nu mirakel, lat thoseen, ufte du ock konst vorbarnen.“

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„Obwohl das in der Stillen Woche war, achteten sie nicht darauf, sondern aßen Würste und Fleisch wie Juden, Hunde und Katzen.“ 209 Slaggert verabscheute das noch mehr als die Übergriffe auf die Besitztümer und Nahrungsvorräte des Klosters. Denn solchen Leuten musste man selbst das Schlimmste zutrauen: „Aus diesem Grund haben der Guardian Bruder Henning Budde, der Kustos der Kustodie Lübeck, sein Prinzipal Bruder Stefan Plate von Lübeck, und der Lesemeister Bruder Joachim Pake die Flucht ergriffen. Das war ihnen zu raten, weil seit langer Zeit die Martiner dem Guardian gedroht hatten, sie wollten ihn töten. Und hätten sie ihn gekriegt, sie würden ihn auf dem Markt gebraten haben ohne Erbarmen. Aber Gott und fromme Leute halfen ihm davon. Die anderen Väter und Brüder waren verschreckt und wurden verscheucht, der eine hierhin, der andere dorthin. Etliche auch der alten und kranken Brüder blieben mit großer Betrübnis in dem Kloster. Der Spruch, den Christus gesprochen durch den Propheten: ‚Ich will den Hirten schlagen, und die Schafe der Herde werden sich zertreuen‘, er ist in diesen Tagen an den armen Brüdern wahr geworden.“ 210 Das Geschick der Brüder ließ sich gerade in der Karwoche von der Passion Jesu Christi her deuten, obwohl es zum Glück nicht zu Mord und Todschlag kam. Die eigentlich Veranwortlichen für das schreckliche Geschehen bleiben bei Slaggert im Dunkeln, obwohl er von der Mitwirkung zweier ausgetretener Mönche sprach. So musste er ganz allgemein über seine Heimatstadt schreiben: „Unmöglich möchte und könnte ich alles schreiben, was in dieser vermaledeiten Ketzerstadt zu Stralsund geschehen, welche bis zu dieser Zeit lange Jahre her bei manch anderen Städten groß geachtet war. Und nun werden die Einwohner, wohin sie kommen, jämmerlich und schändlich geheißen: Kirchenbrecher, Ketzer, Meineidige, Treulose, und die Unschuldigen müssen das büßen mit den Schuldigen. Gott der Herr bessere das usw.“ 211 Der Rat der Stadt scheint nach Slaggert wenigstens vor dem Sturm noch die Wertgegenstände des Klosters, Paramente und Geräte für den Gottesdienst, in seine Obhut genommen zu haben. Slaggert wollte darin allerdings die Absicht erkennen, Messfeiern nach dem traditionellen Brauch unmöglich zu machen. Wenn Br. Lambrecht das alles so ausführlich beschrieb, dann um seine Leserinnen und Leser, seine Hörerinnen und Hörer die schlimmen Folgen vor Augen zu stellen, die nach ihm aus Martin Luthers reformatorischer Lehre folgen; denn gewiss hat er das, was er in 209 Ebd.: „Wol dat id was in der stillen weke, denne achten se dat nicht, men eten worste unde flesk also Joden, hunde unde katten.“ 210 Ebd. 134f.: „Desser orsaken halven de gardian broder Henningus Budde unde de koster der custodien tho Lubeck unde syn principal broder Steffanus Plate van Lubeck unde de lesemester broder Joachim Pake hebben ghenamen de vorflucht; des en was tho raden, wente lange tydt her de Martiner hadden ghedrowet deme gardian, so wolden ene doden. Unde hadden se ene kregen, se wolden ene hebben ghebraden up deme markete ane vorbede. Men got unde vrame lude hulpen em darvan. De anderen vedere unde broder weren alle vorsrecket undewurden vorschuchtert, de ene hir, de ander dar. Etlyke also de olden unde kranken bleven myt groter bedroffenisse in deme closter. De sproke, den Cristus heft ghespraken dorch den propheten: parcutiam pastorem, et dispergentur oves gregis.“ Vgl. Zach 13,7; Mk 14,27; Mt 26,13. 211 Ebd. 135: „Unmogelick is, dat ick alle, dat ghescheen ys in der vormaledieten ketterstadt tho deme Stralsunde mochte ofte konde scriven, welker de bet an desse tydt langhe jar her manck anderen steden grot was gheachtet, unde nu so jamerlyken unde schendelyken de inwaner, wor se kamen, werden gheheten karkenbrekers, ketter, meneder unde lofflosen, unde de unschuldighen mot des entgelden myt deme schuldighen. Got der here beter dat etc.“

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seiner Chronik erzählte, so oft wie nur möglich in seiner Seelsorge und Predigt als warnendes Beispiel anderen vorgehalten, um sie gegen die lutherische Neuerung zu immunisieren. Wie weit Menschen, die sich bereits der Reformation zugewandt hatten, sich durch solch verallgemeinernde Polemik erreichen ließen, ist fraglich. Die aus einem Kloster ausgetretene, mit dem jüngeren herzoglichen Bruder Albrecht VII. verheiratete Anna von Brandenburg besuchte zwar 1525 mit ihrem Mann Ribnitz, nahm aber am traditionellen Gottesdienst nicht mehr teil, „denn sie war gut Martinisch“. Es war wohl ihr Hofgesinde gemeint, wenn Slaggert am Ende schrieb: „Am selben Tag wurden etliche Bilder und Schriften in unserer Kirche zerrissen durch die vermaledeiten, eigenwilligen Leute und Martiner.“ 212 Herzog Albrecht VII. und seine Frau Anna gaben freilich bald ihre Sympathie mit der Reformation auf und wurden selbst zu Verteidigern des alten Glaubens.213 Vielleicht haben doch Erfahrungen mit derartigen Übergriffen reformatorisch Gesinnter dieses Umdenken mitbewirkt. Die undifferenzierte Polemik gegen solche nicht wirklich lutherischen oder gar gut evangelischen Anhänger der Reformation machte Slaggert freilich nicht blind gegen Missstände im eigenen Haus. So tadelt er die Aufnahme der reichen Witwe Adelheid von Stenderen, die gegen den bisherigen Brauch ihrer Tochter ins Kloster folgte. Obwohl der Provinzial Eberhard Runge selbst diese Einkleidung am 22. Oktober 1525 vornahm, meint Br. Lambrecht: „Ich fürchte, dass mehr gesehen wurde ihr Geld, das sie versprach, dem Kloster mitzubringen, als ihrer Seele Seligkeit. Große Worte hat man etlichen Schwestern vorgetragen und ihnen gesagt, sie möchten Gott den Herrn bitten, dass sie solch eine Person ins Kloster kriegen würden. Dadurch möchten sie sich verbessern und Wein und Weißbrot kriegen. Ja, ja könnten sie noch gutes wohlgebackenes Roggenbrot, gutes Dünnbier und ordentliches Bier kriegen. Groß sprechen ist keine Kunst, aber Ausreden gibts umsonst.“ 214 Slaggert ironisierte die großen Versprechungen, die man anscheinend einfachen Schwestern über die Verbesserung ihrer Lebensumstände durch das mitgebrachte Geld machte, aber nicht einlöste. Weniger Missstände im Kloster, sondern eher das zunehmende Aufbegehren gegen klerikale Bevormundung förderten die reformatorische Bewegung in der unmittelbaren Umgebung, in der Stadt Ribnitz. Slaggert erzählte zum 18. April 1526 ausführlich über das Auftreten eines Schmiedeknechts, Heinrich Taske, der deutsche Schriften lesen konnte, gut „Martinisch“ war und den Prediger in der Pfarrkirche als Lügner bezeichnete. Als der Knecht auf Befehl der Äbtissin eingekerkert wurde, fand er Fürsprecher unter den Bürgern. Eine Delegation forderte von der Äbtissin die Freilassung und meinte:

212 Vgl. zu diesem Besuch am 26. Sept. 1525 insgesamt ebd. 138. Bei dieser Zerstörung von Bildern und Schriften in Ribnitz scheint es sich um Einzelfälle gehandelt haben, nicht um einen ‚Bildersturm‘ wie in Stralsund, sodass Slaggert nicht näher darauf eingeht. 213 Siehe Ulpts, Bettelorden in Mecklenburg 345. 214 Siehe Die Chroniken 139: „Ick befruchte, dat mer angheseen ys er ghelt, dat se lavede medethobringhen deme closter, alse eren selen salicheyt. Grote worde syn etlyken susteren vorgegheven unde en ghesecht, see mochten godt den heren bidden, dat se sulk ene personen in ere kloster mochten krygen, darvan se grot mochten betert werden unde krygen wyn unde wyt brot. Ja, ja konden se noch wolghebacken ghut roggenbrot und guden kavent unde reddelyck ber krygen! Grotsprekent ys nene kunst, men claffent gyft ungunst.“

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„solche Knechte predigten und sagten die Wahrheit, die die Pfaffen und Mönche lange verschwiegen hatten“.215 Ein Kürschner, Achim Kroger, behauptete, ein Kürschnerknecht habe zu Rügen wohl 7 Jahre lang gepredigt, obwohl nach Slaggert gar keine vier Jahre Rügen „war umgedreht von den Martinern und bösen Christen“216. Auf Bitten der städtischen Obrigkeit zu Ribnitz, die einen Volksaufstand fürchtete, musste der Schmiedeknecht dann freigelassen werden. Am folgenden Sonntag Jubilate (4. Sonntag der Osterzeit, 22. April) predigte nachmittags „solcher vermessene Schmiedeknecht“ in St. Jodokus draußen vor der Stadt „aus seinem deutschen Buche das Evangelium, und darnach sagte er dem ganzen Volk, das ihm in großen Haufen nachlief, als wäre er vom Himmel gekommen, er wolle ihnen unerschrocken predigen und nichts fürchten, weder Schwert noch Gefahr noch Tod noch irgendetwas. Sie sollten nicht den Pfaffen Rente oder Zins geben usw. Darüber freuten sich viele der simplen Menschen und lobten seine Worte und Rede. Er sprach: ‚Morgen am Tag des heiligen Georg will ich euch mehr predigen, und ihr solltet auch meiner Lehre und meinen Worten folgen‘ usw.“217 Mit einem solchen Verständnis von „Evangelium“ war die traditionelle kirchliche Ordnung in Frage gestellt. Die Äbtissin führte den Bürgermeistern darüber hinaus die drohende soziale Unordnung vor Augen, insofern selbst ihre und ihrer herzoglichen Brüder Herrschaft dadurch bedroht schien. Doch die Bürgermeister konnten sich nicht entschließen, gegen viele Bürger und selbst Leute des Stadtrates durchzugreifen. Schließlich ließ sich aber ein Untervogt Merten dazu bewegen, dem Schmiedeknecht Todesangst einzujagen, sodass er noch vor Mittag die Stadt verließ. Das schrieb Slaggert ganz der Mühe und Arbeit der Äbtissin Dorothea von Mecklenburg zu: „Ihre Gnaden ließ sich an diesem Morgen nicht verdrießen, schwere Arbeit zu tun, die gottvergessenen Lutherischen zu vermahnen und ihre Lehre hier zu Ribnitz zu verhindern, auf dass daraus nicht ein solch großes Übel entspringen möchte, wie es leider, Gott vom Himmel sei es geklagt, in vielen umliegenden Städten geschehen ist, wo Klöster und Jungfrauen, auch Mönche, zunichte geworden sind usw. Seht nun Ihre Gnaden bald vor dem Sprechfenster, bald vor der Scheibe! So hat sie mit großer Mühe und Arbeit sich eingesetzt, den geistlichen Stand bei Macht und Ehre zu halten. Unmöglich hätten alle zusammen in Ribnitz, Geistliche und Weltliche, so etwas erreichen können. So viele Anhänger hatte der Schmiedeknecht, sowohl im Rat wie auch bei den Bürgern, heimlich und offenbar.“ 218 215 Ebd. insgesamt 141f., siehe besonders 141: „sulke knechte preddeken unde seden de warheyt, welker de papen unde monneke langhe hadden vorsweghen“. 216 Ebd.: „id was noch nicht veer jar, dat Ryghe was ummekert van den Martiner unde boßen cristen“. 217 Ebd. 142: „uth sineme Dudesken boke dat ewangelium, unde darna sede he deme gantzen volke, welker em nalep, uf he van hemel were ghekamen, in groten hupen, dat he unvorscrecklyck wolde en preddeken unde nicht fruchtede noch swert noch vur noch den doth noch nichtes nycht. See nicht scholden gewen den papen rente ofte tyns etc. Hirinne frouden sick vele der simpel mynsken unde loveden an syne worde unde rede. He sprack: ‚morgen an deme daghe sunte Jurgens wyl ick jw mer preddeken und de warheyt seggen, unde ghy scolen ock volgen myner lere unde worden‘ etc.“ 218 Ebd.: „Er gnade an dessem morgen syck nicht laten vordreten swaren arbeyt tho dunde, de Luttersken gadesvorgeten tho vormanen und ere lere tho vorhinderen hyr tho Ribbenitz, up dat sulk eyn grot quadt darvan nicht mochte entspringen, also leyder, syt gade van hemmel gheclaget, in vele ummeliggende stede ys gheschen, dar closter unde juncfrowen, ock monnike tho nichte sin ghekamen etc. Seet, nu was er gnade vor

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Letzlich war es die weltliche Macht ihrer herzoglichen Brüder, die die Äbtissin ins Feld führen konnte und womit sie den Umschwung zustande brachte. Aber das verlangte, wie Slaggert zu Recht betonte, an Ort und Stelle ihren vollen persönlichen Einsatz. Damit waren das Aufbegehren des Volkes sowie die reformatorische Bewegung in Stadt und Umgebung zwar nicht ganz aus dem Weg geräumt, konnten aber fortan mit Gewalt oder gutem Zureden in Schranken gehalten werden. Für Slaggert gingen freilich selbst verbrecherische Übergriffe auf Kosten reformatorischer Lehre: „O wie viel Übel kommt aus der bösen Lehre Martini Luthers, und wie viele vergessen Gott den Herrn und folgen nach ihrem freien Willen dessen Vorschriften, die alle in drei Jahren nicht gebeichtet hatten. Gott vergebe ihnen allen ihre Sünde.“ 219 Slaggert hat Luthers reformatorische Lehre nicht wirklich gekannt und verstanden, aber wohl ebenso manche von Luthers vermeintlichen Anhängern, die sich in ihrer Willkür auf ihn beriefen. So sah Slaggert nur selten Licht in einer finsteren Zeit für das Ordensleben. Aber einen Hoffnungsschimmer entdeckt er in dem Ereignis der Einkleidung des zwölfjährigen Mädchens Magdalena Oldendorpe am 18. November 1526 zu Ribnitz, das er in Kontrast setzte zu den üblichen Erfahrungen seiner Zeit: „Das habe ich geschrieben, weil in diesen Zeiten und Tagen viele geistliche Personen mancher Orden, Männer und Frauen, verjagt wurden. Sie laufen auch selbst weg, die das Ordensleben reut und verändern sich in die Welt zur Verdammnis ihrer Seelen. Doch Gott der Herr erweckt andere Menschen, durch welche er vermehrt den Haufen und die Versammlung einer geistlichen Tochter, wie das heute an diesem Tag vorbestimmt geschehen ist. Das ist fürwahr eine besondere Schickung Gottes, da kann ich nicht fehlgehen. O wie viele geistliche gottgeweihte Jungfrauen haben in diesen Tagen ihr Gelübde und die Seligkeit ihrer Seelen vergessen, sind gefolgt den bösen Einblasungen des Teufels und der lutherischen Ketzerei Martins von Wittenberg. Durch sie leider, Gott sei es geklagt, sind die ganze deutsche Nation, mehrere andere Länder und Städte verkehrt worden. Ihr hängen auch an viele Herren, Fürsten und Herzöge, Ritter, Knappen und viele vom Adel. Sie beschützen ausgelaufene Mönche, die ihnen das Evangelium predigen müssen in ihren Klöstern, Pfarreien und Schlössern, auch andere ausgelaufene, böse und gottvergessene Priester, die sie unterstützen und heimlich halten in den Kirchen, die sie zu vergeben haben, gegen einen ehrsamen Rat der Stadt und die Allgemeinheit des Volkes. Christus Jesus hat nicht Unfriede gesucht und Zwietracht, wie nun etliche große Hansen suchen. Sie meinen Gott vom Himmel damit einen großen Dienst zu tun, wie die Juden, die die Jünger des Herrn verfolgten und töteten. Fürwahr, sage ich Dir, spricht Jesus, wer nicht mir mit mir zum Haufen sammelt, der zerstreut, und wer nicht mit mir ist,

deme sprackvinster, nu vor der schyve. Also heft se mit swarer moge unde arbeyt vorvordert den geystlyken staet tho holden by macht unde eren, des unmogelyck were ghewest allen thosamen bynnen Ribbenytz, beyde gheystlick und werlyck, sulk ens tho vorhinderen. So vele anhengende weren deme smedeknechte, beyde binnen rades und ock van den borgheren, hemelick unde apenbar etc.“ 219 So schrieb er anlässlich der Hinrichtung einer räuberischen Diebesbande, siehe ebd. 145: „O wo vele quades kumpt uth der bosen lere Martini Lutter, unde wo vele vorgeten got den heren unde volgen na erem vryen wyllen also dessen vorgescreven, de alle in dren jaren nicht hadden ghebichtet. Got vorgeve en alle ere sunde.“

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der ist gegen mich. O wie viele sind gegen Gott und zerstreuen seine Schafe, verjagen sie von ihrer guten Weide in Hungersnot usw.“ 220 Eine Art theologischer Auseinandersetzung mit der Reformation versuchte Slaggert an dieser Stelle, wobei freilich die teuflische Bosheit der Lehre Luthers ihm von vornherein feststand. Denn das Verlassen der Klöster und des Priesterstandes, das er allenthalben feststellen musste, konnte für ihn nur vom Bösen sein. Wenn viele Herren und Adelige die Predigt des Evangeliums gerade solch abgefallenen Mönchen und Priestern anvertrauten, war das nur vermeintlich ein großer Dienst für Gott, denn das endete für ihn in der Verfolgung der wahren Jünger des Herrn. Slagggerts entscheidendes Argument gegen die Reformation wurde allerdings der Unfriede und die Zwietracht, die entstanden, und zwar gegen den Willen Jesu Christi, der die Menschen um sich sammeln möchte. In reformatorischer Sicht wären Unfrieden und Zwietracht dagegen denen anzulasten, die die Predigt des Evangeliums nicht hören und zulassen und so die Schafe vom wahren Hirten Jesus Christus fernhalten. Hier stellte Slaggert einfach seine Sicht gegen die andere Sicht, ohne auf die anderen wirklich einzugehen. Doch setzte er sich in seiner Weise konsequent ein für seine Berufung und für die der ihm anvertrauten Schwestern. Problematisch war freilich Slaggerts Beispiel für Unfrieden und Zwietracht, dass die „großen Hansen“ gegen den Rat der Städte und gegen die Allgemeinheit des Volkes die reformatorische Predigt des Evangeliums einführten. Das dürfte in jener Anfangszeit der Reformation kaum einmal geschehen sein. Slagggert sah wie andere nicht die Möglichkeit, dass die Auseinandersetzung um das wahre Verständnis des Evangeliums selbst Spaltung und Unfrieden bringen kann. Diesen Unfrieden versuchte jede der beiden Seiten allerdings eher durch politische Übermacht als durch ein tieferes Verständnis auch des Gegners zu überwinden. Vorerst behielt in Ribnitz die Tradition des Glaubens noch die Oberhand. Der Umschwung kündigte sich für Slaggert an, als der Rostocker Franziskanerlektor Valentin Korte 1529 in Ribnitz seine Berufung zum Hofprediger Herzog Heinrichs V. von Mecklenburg feierte, aber kurz darauf den Orden ganz verließ.221 Zur Kirchweihe des Klosters Ribnitz am 9. Juli 1531 konnte nur noch in weltlichen Kleidern ein Bruder aus Rostock kommen, der Lektor Peter 220 Ebd. 150f.: „Dyt hebbe yck ghescreven darumme, wente in dessen tyden unde daghen vele gheystlyke personen mannyger orden, beyde menre unde juncfrowen, wurden vorjaget, unde lopen ock sulves wech, den dat klosterlevent ruwet, unde verandern syck in der werlt tho vordomenysse erer ßelen, unde doch got de here andere wedder vorwecket mynsken, dorch welker he vormeret den hupen und de sammelynge eyner gheystlyken dochteren, also huten in desememe daghe vorbestemmet ys gheschen. Id ys vorwar eyn sunderghe schyckynge gades, dat kaen my nycht feylen. O, wo vele gheystlyke juncfrowen, gade ghehylget, hebben in dessen daghen vorgeten eres gheloftes unde salycheyt erer selen unde synt naghevolghet der boßen inblasynghe des duvels unde der Luttersken ketterye Martinus van Wyttenberch, dorch welker leyder, syt gade gheclaget, de gantze Dudeske nacion unde ander mer lande unde stede synt vorkeret worden, dar ock mede anhengen vele heren, vorsten unde hertogen, ridder unde knapen unde vele des adels, welker beschermen vorlopene monneke, de den moten dat ewangelium preddeken in eren klosteren, in eren parren, up eren sloten, unde andere vorlopen boße prestere unde gades vorgeten, de ße hanthaven unde hemelyken holden in den kerken, de se hebben tho vorlenen, jeghen eynen ersamen raeth der stadt unde de menheyt des volkes. Cristus Jhesus heft nicht ghesocht unvrede unde twedracht, also nu etlyke grothe Hanße soeken, welker menen, se dar gade van hemmel eynen groten denst darane doen, also de Joden, welker de junger des heren vorvolgheden unde doden. Vor war, segge yck dy, spreckt Jhesus, de nicht myt my tho hope sammelt, de vorstreeget, und de nicht myt my ys, de ys wedder my. O wo vele sint wedder got unde vorstregen syne scape unde vor jagen van erer gude gehweyde in hungers noth etc.“ Vgl. Mt 12,30 par. Siehe aber auch Mt 10,34–36par. 221 Siehe zum 2.–11. September 1529, ebd. 165f.

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Bruen, denn die übrigen Brüder sind „verschüchtert durch die Martiner“222. Zum Weihnachtsfest 1532 ließ Herzog Heinrich V. von Mecklenburg in seinem Schloss zu Schwerin noch Messen halten „im alten Ritus“. Aber er erlaubte „zuvor den Feinden der Kirche die Messe in der Volkssprache zu feiern zum Ärgernis der Kirche und des Klerus“. Danach im Jahr 1533 machte Herzog Heinrich aus einem Gebäude in Schwerin eine „Synagoge Satans für die Lutheraner und für seine Familie allein. Gott möge ihm verzeihen“223. Der letzte katholische Bischof von Schwerin, nämlich Magnus von Mecklenburg, Sohn Herzog Heinrichs V. von Mecklenburg, trat 1533 zur Reformation über.224 Erst 1550 beschloss aber der Landtag zu Sternberg endgültig den Übergang Mecklenburgs zur Reformation.225 Im letzten Eintrag der lateinischen Chronik wird der Tod der Äbtissin Dorothea von Mecklenburg (1. September 1537) und der Amtsantritt der neuen Äbtissin, ihrer Nichte Ursula, 1538 vermeldet, und dazu gesagt: „ein ganzes Jahr lang war der Sitz der Äbtissin vakant, obwohl die erlauchte Ursula zu diesem Amt gewählt worden war. Denn sie weigerte sich und versuchte, das Kloster zu verlassen. Doch auf die Bitten der Schwestern und guter Leute hin wurde sie im folgenden Jahr Äbtissin im Namen Christi. Was sie aber bisher in ihrer Leitung an verschiedenem Unangenehmen und Schlimmen ausgehalten hat auch wegen der Martinisten, wissen alle Guten und im guten Sinn Klugen hinreichend und können es sich leicht denken. Gott gebe der erlauchtesten Herrin ein langes Leben.“ 226 Sollte Slaggert noch diesen Eintrag gemacht haben, war er in einer weithin andersdenkenden Umgebung vorsichtiger geworden. 1553 wird zum letzten Mal ein Franziskanerguardian in Ribnitz erwähnt.227 Das Klarissen-Kloster Ribnitz bestand jedoch bis zum Tode von Äbtissin Ursula, die 1586 im Alter von 76 Jahren starb. Wie lange noch Franziskaner die Schwestern begleiten konnten, ist nicht so klar, aber wohl nicht bis 1586,228 denn als Nachfolger von Br. Lambrecht Slaggert werden in den Zusätzen zur Chronik ab 1560 nicht mehr Franziskaner aufgeführt, sondern zunächst Johann Hennekin, ein ehemaliger Johanniter aus Danzig,229

222 Ebd. 172. 223 Siehe dazu insgesamt die Lateinische Chronik, ebd. 60: „Anno 1533 in nocte nativitatis Christi dux Hinricus Magnopolensis fecit missas celebrari in castro Zwerin more antiquo, qui tamen inantea ecclesie inimicis permisit missam celebari ydeomate vulgari in scandalum ecclesie et cleri. Hoc postea eodem anno, nescio quo spiritu ductus, aversus est et fecit edificium in civitate Zwerinensi sinagogam sathane pro Lutteranis et familia sua solum; parcat illi deus.“ Weihnachten wird wohl schon zum kommenden Jahr 1533 gezählt. 224 Vgl. Brodkorb, Clemens: Schwerin. In: LThK3 9, 349. 225 Vgl. Schmidt, Roderich: Mecklenburg. In: LThK3 7, 26. Vgl. dazu Ulpts, Bettelorden in Mecklenburg 344. 226 Siehe Die Chroniken, ebd. 61: „per totum annum vacua fuit sedes abbatisse, quanquam illustrissima Ursula electa erat ad id officium. Recusavit enim illud et tentavit abire e monasterio, sed, precibus sororum et bonorum hominum mota, sequenti anno abbatissa facta est in Christi nomine. Sed que sustinuerit hactenus in suo regimine incommoda et mala varia et ob Martinistas, omnes boni et bene prudentes satis sciunt et possunt facile cogitare. Deus illustrissime domine abbatisse vitam longevam largiatur.“ Vgl. dazu auch die noch vorsichtigeren, entsprechenden Einträge der niederdeutschen Chronik, ebd. 175f. 227 Vgl. Ulpts, Die Bettelorden in Mecklenburg 380. 228 So vermutet Teichmann, Die Franziskanerklöster 177. Siehe dagegen Ulpts, Die Bettelorden in Mecklenburg 380f. 229 Siehe Die Chroniken, ebd. 196f. Er scheint ein wechselhaftes Leben hinter sich zu haben, als er seit 1560 den Dienst des Beichtvaters im Kloster übernimmt. Obwohl in Rostock Magister der Theologie geworden, wird er später von dort „verdreven wegen siner falschen lere van dem fursten van Mechelnburgk etc. und superintendenten“. Ob er in Ribnitz Zuflucht suchte und fand?

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und 1569 Jakob Iserman aus Northeim, der sich bereits entschieden als reformatorischen Prediger verstand.230 Der Einblick, den die Chroniken von Ribnitz gerade in die alltägliche Auseinandersetzung mit der beginnenden Reformation in ihren manchmal fragwürdigen Formen geben, zeigt ohne besondere theologische und spirituelle Tiefe ihres Verfassers die engagierte Selbstbehauptung von Klarissen und Franziskanern in einer zunehmend andersdenkenden Umgebung. Obwohl sich das nur in Abgrenzung vollzog, ohne jeden Versuch eines wirklichen Verstehens und einer Verständigung, geschah auch darin ernstzunehmende Auseinandersetzung, selbst im geduldigen Aushalten von Schwierigkeiten, begünstigt freilich durch den Status eines begüterten ‚reichen‘ Klarissenklosters, die enge Verbindung mit der Landesherrschaft und den fürstlichen Rang seiner Äbtissinnen.

4.6. Meiningen und Schleusingen Beide Franziskanerklöster, die nicht weit entfernt voneinander lagen, zusammen zu betrachten, legt sich nahe, nicht nur weil ihr gleichzeitiges Ende mit dem Konfessionswechsel derselben Herrschaft zusammenhing. Denn ihre ganz unterschiedliche Geschichte und Prägung erlauben einen Vergleich, wie sich diese auf die Endphase ihres Lebens und Bestehens ausgewirkt haben. Nach Meiningen kamen die Franziskaner schon ziemlich früh. Die Weihe ihrer Kirche durch den Würzburger Bischof Hermann I. (von Lobdeburg, 1225–1254) wird bereits für den Sonntag Cantate (3. Sonntag in der Osterzeit, damals 17. Mai) 1242 bezeugt. Weil die Bürger der Stadt zu dem Kirchbau erheblich beigetragen hatten, wurde für diesen Sonntag ein Jahrmarkt zur Brüderkirchweih genehmigt, so beliebt, dass er sogar über das Ende des Klosters hinaus bestand.231 Alte päpstliche und bischöfliche Urkunden sollen sogar bezeugen, dass das Kloster bereits 1239 begründet wurde, mit Hilfe der Bürger der Stadt sowie kleiner Edelleute und Burgsassen der Umgebung.232 Vielleicht haben die Minderbrüder wie an anderen Orten schon vorher dort Gastfreundschaft genossen und sich durch ihre Arbeit nützlich gemacht,233 bis sie in der Seelsorge der Stadt und Umgebung ihre vorrangigen und angesehenen Aufgaben fanden. Urkunden, bei denen sie als Bürgen und Zeugen auftraten, und später auch Urkunden über Messstiftungen und Zuwendungen für das Franziskanerkloster sind für diese Hinwendung zur Seelsorge ein hinreichender Beleg.234 Die Brüder hatten jedenfalls ihr Auskommen, wenn auch nur zwei Terminierhäuser, Häuser 230 Ebd. 199: „Anno domini dusent viffhundert 69 up Michaelis archangeli [29. Sept.] ist thom predier beropen worden durch fruchen Ursula unses g. F. er Jacob Iserman van Northeimb, welcker das reine evangelium gepredigt, de sacramente nach Christi befehel verreichet.“ 231 Siehe ingesamt Pusch, Hermann: Das Meininger Franziskanerkloster. In: Neue Beiträge zur Geschichte deutschen Altertums, hg. vom Hennebergischen altertumsforschenden Verein in Meiningen, 29 (1919) 1-60, bes. 3. Vgl. auch die entsprechenden Beiträge in Müller, Thomas T. / Schmies, Bernd / Loefke, Christian (Hg.): Für Gott und die Welt. Franziskaner in Thüringen. Text- und Katalogband zur Austellung in den Mühlhäuser Museen vom 29. März bis 31. Oktober 2008. Paderborn u. a. 2008 (Mühlhäuser Museen. Forschungen und Studien, 1). 232 Ebd. 2. 233 Ein Bruder Heinrich Nuborn soll sogar die erste Wasserleitung für Meiningen in Angriff genommen haben. Vgl. Pusch, Meininger Franziskanerkloster 4. 234 Siehe ebd. (Urkundenbuch) 36–59.

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zum Almosensammeln, in Münnerstadt und Schmalkalden bezeugt sind.235 Nach und nach flossen dem Kloster mit den Gottesdienstverpflichtungen regelmäßige Einkünfte zu, ja sogar Besitz an Grund und Boden, wofür aber dann ein Prokurator aus dem Rat der Stadt Obhut und Verwaltung übernahm.236 Weil diese Wahrnehmung von Vermögensangelegenheiten des Klosters durch einen städtischen Prokurator erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts eigens genannt wird, hatte das vielleicht mit der Einführung der ‚martinianischen‘ Reform bei den Meiningern Franziskanern zu tun. Denn in einer Urkunde von 1473 bezeichnete sich das Kloster als „conventus de vita reformata“.237 Ein Anschluss an die striktere Observanzbewegung lässt sich daraus nicht ableiten.238 Schon seit dem 14. Jahrhundert, aber verstärkt im 15. Jahrhundert wurde ein „Lesemeister“ (lector) als Konventsmitglied genannt, sodass das Kloster Ausbildungsfunktionen für jüngere Brüder hatte.239 Weil es zur gemäßigten Reformrichtung und zur Kustodie Thüringen der Saxonia gehörte, gelangte das Kloster in Meiningen zur reformierten Mehrheit der Minderbrüder, der sich die Saxonia S. Johannis Baptistae 1518 anschloss. Nach der Teilung dieser Provinz kam Meiningen in die Obersächsische Provinz, die dann ab 1523 offiziell als Thuringia firmierte. Wie weit sich diese Veränderungen auf das innere Leben des Konvents auswirkten, lässt sich nicht ausmachen. Immerhin war von dem Ansehen, das die Minderbrüder zu Meiningen noch Ende des 15. Jahrhunderts genossen und das die enge Verbindung mit den Grafen von Henneberg bezeugt,240 im 16. Jahrhundert kaum noch etwas zu spüren. Das dürfte zusammenhängen mit der beabsichtigten und 1502 realisierten Gründung eines observanten Franziskanerklosters im unmittelbaren Herrschaftsgebiet der gefürsteten Grafschaft Henneberg zu Schleusingen. Denn dabei dürfte eine gewisse Unzufriedenheit mit dem Kloster in Meiningen im Spiel gewesen sein, wo die Grafen von Henneberg als Lehensnehmer des Fürstbistums Würzburg Hoheitsrechte ausübten und über das geistliche Niveau des ihnen nahestehenden Klosters unterrichtet waren. Besondere Probleme mit dem 1507 noch gut besetzten Kloster241 sind jedoch nicht bekannt, bis 1521 das skandalöse Verhältnis des Meininger Franziskaners Linhart Hahn mit einer Meininger Bürgersfrau an die Öffentlichkeit kam, ja später sogar zu einer merkwürdigen Sage Anlass gab.242 Das könnte dann im Bauernkrieg 1525 zu den Artikeln der Meininger geführt haben, die das Kloster und das Leben der Priester betrafen: „es ist ainer gemayn gutdunken und maynung, das das closter mocht abgethan werden, domit ferrer unrath und beschwert, so derhalb erwachsen mocht, vermiden pleiben“ und „das man kain priester furter hie leyden soll, der in offentlicher hurerey lige“.243 235 Ebd. 8f. 236 Siehe ebd. 17. 237 Ebd. 16, 46. 238 Ebd. 16. 239 Siehe die Liste der bekannten Brüder, ebd. 27f. Vgl. dazu auch die Präsentation von Weihekandidaten gegenüber dem Würzburger Bischof, die allerdings erst im 16. Jahrhundert dokumentiert ist, ebd. 57f. 240 Vgl. die Gebetsverbrüderungen des Ordens mit den Henneberger Grafen, die 1467 Nikolaus Lakmann sowie 1492 und 1496 Ludwig von Segen als Provinzialminister beurkundeten (ebd. 45f., 53f., 55f.). 241 Zu dieser Zeit waren mindestens noch 12 Priesterbrüder im Kloster, wie ein Rechnungseintrag der St. Wolfgangskapelle im Hermannsfelder See zeigt: „5 Schillinger haben verthan zwolf monch von Meynungen sint zu Sanct Wolfgang gewalt und haben meeß gelesen.“ Nach damaliger Sitte wurde den Priestern bei ihrer Wallfahrt und für ihre Messe eine Mahlzeit mit einem Viertel Wein im dortigen Gasthaus gereicht (vgl. ebd. 22). 242 Siehe ebd. 23. 243 Ebd.

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Im Bauernkrieg erlitten Kloster und Kirche auch etliche Schäden, die nach der Niederlage der Bauern die mit ihnen verbündete Stadt Meiningen wieder gutzumachen hatte.244 Der Würzburger Bischof Konrad III. (von Thüngen, 1519–1540) sorgte als Landesherr und Diözesanbischof in etwa für die Wiederherstellung des kirchlichen Lebens in der Stadt, wobei er den Franziskanern neue Aufgaben übertrug.245 Jedenfalls konnte das Kloster weiterbestehen, zumal es in der Stadt noch Anhang und Rückhalt besaß.246 1540 übergab das Würzburger Fürstbistum infolge eines Gebietstauschs die uneingeschränkte weltliche Herrschaft über Meiningen den Grafen von Henneberg-Schleusingen. So hing nun das weitere Geschick des Meininger Franzikanerklosters von der Konfessionszugehörigkeit dieses Fürstengeschlechts ab, das 1543 zur Reformation überwechselte, was zum Ende des Klosters führte. Zum Teil traten die Brüder selbst zur Augsburger Konfession über, zumindest Magister Jacobus Hermann, der 1555 reformatorischer Pfarrer zu Meiningen war.247 Wie wenig der kirchlich zuständige Bischof von Würzburg vom Geschick der Franziskaner zu Meiningen wusste und darauf Einfluss nehmen konnte, zeigt ein Beschwerdebrief Bischof Melchiors (von Zobel, 1544–1558) an Kaiser Karl V. im Jahre 1550, in dem es zum Meininger Kloster heißt: „so ist zu Meyningen ein Barfusser-Kloster de observancia, ob aber Munchen darinnen seint, ist zu erfragen. Denn sie haben sich nur enthalten de quotidiana contributione fidelium und von wegen ihrer großen Armuth gab Inen loblicher gedechtnus Bischoff Cunrath des Geschlechts von Thungen drei Vicarei pro eorundem sustentacione meliori. Nemlich vicariam crucis in parochiali, Vicariam Urbani et vicariam in sacella leprosorum und nit anders dann ad revocationem.“ 248 Die Angabe „de observancia“ erklärt sich einfach aus der Zugehörigkeit des Klosters zur reformierten Mehrheit des Minderbrüderordens. Ob Bischof Konrad von Thüngen 1526 die Franziskaner so weitgehend in die kirchlichen Dienste zu Meiningen einbezogen hatte, bleibt fraglich. Aber bei der schwierigen Versorgung eines Klosters durch Almosen in der damaligen Umbruchsituation lag das nahe. Vielleicht fiel deshalb etlichen Brüdern der Übergang in die reformatorische Geistlichkeit nicht besonders schwer. Zur Observanzbewegung im eigentlichen Sinn gehörte das Franziskanerkloster zu Schleusingen.249 Sein Geschick war noch enger mit der religiösen Einstellung der Grafen von Henneberg-Schleusingen verbunden als das ihrer Brüder zu Meiningen. Schon 1476 hatte sich Graf Wilhelm III. von Henneberg-Schleusingen bei seinem Nachbarn Wilhelm III. von Sachsen um eine Ansiedlung von Observanten bemüht. Er starb aber schon 1480 auf der Rückreise einer Pilgerfahrt nach Rom in Salurn bei Bozen. Erst sein Sohn Wilhelm IV. von Henneberg-Schleusingen griff um 1500 den Plan wieder auf und setzte ihn schließlich durch. 2 44 Ebd. 24. 245 Ebd. 24. Wie weit diese Einbeziehung der Meininger Brüder in Gottesdienstverpflichtungen ging, ist fraglich. 246 Noch 1538 wird den Brüdern eine Gottesdienstverpflichtung anvertraut von dem Meininger Bürger Caspar Freund, der sich auf dem Friedhof des Klosters bestatten ließ. Siehe Pusch, Meininger Franziskanerkloster 58. 247 Vgl. Zeitel, Karl: Die Reformation im Henneberger Land. Von den Anfängen bis zur Annahme der Augsburger Konfession durch Wilhelm von Henneberg. Hildburghausen 1994, 109. 248 Siehe Pusch, Meininger Franziskanerkloster 24 Anm. 4. Die Angaben im Brief Bischof Melchiors gehen zurück auf einen Bericht des damaligen Würzburger Fiskals, den Pusch einsehen konnte, damals im Kreisarchiv Würzburg, Misc. 3020: „anzaigung etzlicher mengel und gebrechen der geistlichen jurisdiction im stift Würtzburg, begriffen und geschrieben im Martio 1549 durch Wilhelm Ruesswurm, fiscaln“. 249 Vgl. dazu Becherer, Heike: Die Schleusinger Franziskaner zwischen Reform und Reformation. Magisterarbeit an der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität. Münster 2001.

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Dabei war der Einfluss seiner Mutter, Fürstin Margareta, die bis dahin vormundschaftlich die Grafschaft regierte, von großer Bedeutung.250 Graf Wilhelm IV. selbst wollte zum Heil seiner Seele und seiner gräflichen Dynastie, die er durch Unheil und Fluch betroffen sah, ein lebensstrenges, armes und seelsorglich ansprechendes Klösterchen stiften.251 Die Verhältnisse bei den Johannitern in Schleusingen, auf die der Graf nur wenig Einfluss hatte, und in anderen geistlichen Stiften und Klöstern der Grafschaft, ließen sich nur mühsam reformieren.252 So setzte Wilhelm IV. für das geistliche Wohl seiner Herrschaft auf die Neugründung in Schleusingen, wobei freilich das kleine Kloster der Bevölkerung nur wenig zur Last fallen sollte. Der zuständige Bischof von Würzburg gestand aber erst nach einigem Widerstreben den Observanten die Seelsorge und besonders das Almosensammeln in seinem Herrschaftsgebiet zu, zunächst nur für ein Jahr.253 Doch konnten andere freigebigere Wohltäter aus dem Adel und dem reichen Bürgertum der näheren und weiteren Umgebung gewonnen werden, sodass Observanten 1502 nach Schleusingen kamen und mit dem Bau von Kirche und Kloster für höchstens 6–8 Brüder begannen.254 In der kurzen Zeit des Wirkens dort haben sich die Brüder um einen guten geistlichen und kulturellen Standard ihres Lebens (Bibliothek!) und um die Verbesserung der Seelsorge bemüht, wobei man die häufigen Konflikte mit den ortansässigen Johannitern gütlich regeln konnte.255 Doch den Schwierigkeiten, die die beginnende Reformation und dann der Bauernkrieg 1525 mit sich brachten, waren die Brüder nicht mehr so gut gewachsen.256 Denn dieser Umbruch beeinträchtigte nicht nur ihr geistlich-seelsorgliches Leben und Arbeiten, sondern auch die wirtschaftliche Basis des Klosters durch zurückgehende Spendeneinnahmen. Solange Graf Wilhelm IV. die Brüder noch persönlich unterstützte, konnten sie sich halten.257 Zunächst hat sich daher die Lage des Klosters nach dem Bauernkrieg wieder konsolidiert.258 Obwohl sich Schleusingen nicht dem Aufbegehren der Bauern angeschlossen hatte, gab es auch hier Übergriffe auf das Kloster.259 Die Brüder mussten so bereits erleben, wie sehr sie von der Einstellung des Grafen Wilhelms IV. abhängig waren. Mit der vollen Inbesitznahme von 250 Siehe insgesamt Becherer, Schleusinger Franziskaner 36–39. 251 Das Vorhaben wurde in einer Denkschrift: „Causa monasterialis“ am gräflichen Hof intensiv reflektiert und vorbereitet. Siehe dazu insgesamt Becherer, Schleusinger Franziskaner 40–46. 252 Graf Wilhelm IV. und Gräfin Margarete hatten sich vorher mit unterschiedlichem Erfolg um die Reform des Schmalkalder Augustinerklosters und bei den Herrenbreitunger Benediktinern bemüht. Vgl. Becherer, Schleusinger Franziskaner 31f. Dass bei der Einführung der ‚martinianischen‘ Reform in Meiningen ebenfalls das Hennebergische Fürstenhaus eine Rolle spielte, legten seiner Zeit Messstiftungen für das Kloster dort und Gebetsverbrüderungen mit dem Orden nahe (vgl. oben Anm. 240). 253 Siehe Becherer, Schleusinger Franziskaner 56f. 254 Ebd. 57–63. 255 Ebd. 63–69; 77–83. 256 Es gab im Zuge des Bauernkriegs Brüder, die nicht mehr den Weisungen ihrer Oberen folgen wollten und dabei Unterstützung beim Grafen Wilhelm IV. fanden, anscheinend selbst bei einem geplanten Ordensaustritt des Arztes Lukas Vogel und des Hofpredigers Jacob Caspar, weil diesen der Graf außerhalb des Klosters für nützlicher hielt als drinnen. Vgl. Becherer, Schleusinger Franziskaner 70–76. 257 Ebd. 76f. 258 Vgl. etwa den Brief des Franziskaners Johann Reinfelt aus dem Kloster Steinlausigk (Muldenstein) an Fürstin Margarete von Dessau vom 4. März 1530: „Mit den closter zu slüsünge ist die sach gar gestilt und dy herschafft wol tzü fride.“ Siehe Becherer, Schleusinger Franziskaner 73 Anm. 370; Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 45 Anm. 2. 259 Siehe Becherer, Schleusinger Franziskaner 73f.

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Meiningen 1540 und mit dem Ausscheiden von Wilhelms Sohn Poppo aus dem geistlichen Dienst des Bistums Würzburg lösten sich zudem die oft problematischen Bindungen ans Hochstift Würzburg.260 Als Wilhelm IV. ab 1543 die Herrschaft mit seinen reformatorisch gesinnten Söhnen Georg Ernst und Poppo teilte, war das Ende des Klosters abzusehen. Bereits 1543 berief Graf Georg Ernst den Wittenberger Professor Dr. Johann Forster, der damals in Nürnberg weilte, zur Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse in seine Grafschaft. In erbaulichen ‚Memoiren‘, die der damals in Schleusingen beschäftigte Lehrer Christoph Rosshirt im Alter zu Nürnberg schrieb, schien diese Entscheidung Wilhelm IV. zugeschrieben zu werden: „Nachdem aber seiner f[ürstlichen] G[naden] Sohn, Graff Jorg Ernst, sein Heimfart mit seiner lieben vertrawtten Elisabeth, Ein gebornne Hertzogen von Braunschweig gehabt hette, Schrieb ir f. g. einem Erbarn Rath gen Nurmberg vmb einen gelerten Man, damit er (neben den vntterthanen) mit einer Christlicher lehre versorget mocht sein, auf solchs begeren, wart seiner f. g. Doctor Johan Forster zugeschickt, welcher in heyliger Schrifft wol geubt vnd erfaren was, Welcher dan hernachmals die lobliche Herschaft Henneberg (neben anderen gelerten leutten) visitirt, vnd die Brandenburgischen, oder die Nurmbergische Kirchenordnung bestelt vnd angerichtet hatt. Alle stifft, kloster vnd die pfarren im lande mit tuchtigen gelerten leuthen besetzt, dadurch Gottes wort befordert.“ 261 Ohne die Zustimmung Wilhelms IV., der die Geschicke seines Landes nicht ganz aus der Hand gegeben hatte, war jedenfalls eine so weitreichende Entscheidung kaum möglich. Nach Rosshirt war aber die Entscheidung, zur Reformation überzuwechseln, noch nicht besiegelt. Sie bahnte sich erst an durch Predigten des Henneberger Reformators Johann Forster und durch das Drängen der jungen Gräfin Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg262 sowie von deren Mutter263. Ob die dann angesetzte Disputation zwischen Johann Forster und den Franziskanern den Übertritt das alten Grafen Wilhelm IV. zur Reformation bewirkte, wie das Rosshirt schildert,264 oder man eine bereits gefällte Entscheidung nur für die Öffentlichkeit in Szene setzte, muss offen bleiben. Der erbauliche Stil der Erzählung, die den alten Grafen schließlich ein gut formuliertes reformatorisches Bekenntnis ablegen und das ganze Geschehen im feierlichen Gottesdienst mit Te Deum enden lässt, legt den Verdacht nahe, es handelte sich um eine gekonnte Inszenierung für die Öffentlichkeit der Stadt Schleusingen und der ganzen Herrschaft. Nach dem Bericht freilich stellte sich Wilhelm IV. zu Anfang 2 60 Ebd. 25–28. 261 Vgl. Rosshirt, Christoph: Des Fürsten Wilhelm, Grafen zu Henneberg, Leben, Amt und seliger Abschied. Drei Geschichten von Besessenen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Hg. von Hugo Fuchs. Meiningen 1902 (Königlich Preussisches Hennebergisches Gymnasium zu Schleusingen. Bericht für das Schuljahr 1901/02) 6f. Hier werden Auszüge veröffentlicht aus einem längeren Manuskript zu Karlsruhe (damals Hof- und Landesbibliothek Ms. Nr. 437), das in seinem dritten Teil (ab Bl. 301b) Geschichten zu Schleusingen enthält, vor allem: Des hochgebornnen Furstenn Hern Wilhelms, Grauen vnd Hern zu Henneberg, des christlichen Helden vnd Ritters, loblicher Gedechtnis, Leben, ampt vnd seligen abschieds. Da Rosshirt 1586 starb und erst im „Alter“ seine ‚Memoiren‘ schrieb, blickt er schon aus einer gewissen Distanz auf das Geschehen zurück. 262 Tochter Erichs (des Älteren) von Braunschweig-Lüneburg, seit 1543 verheiratet mit Graf Georg Ernst von Henneberg-Schleusingen. – Zu Johann Forster vgl. Stupperich, Reformatorenlexikon 81f. 263 Ebenfalls Elisabeth, Witwe Erichs d. Ä. von Braunschweig-Lüneburg, verheiratet mit Poppo von HennebergSchleusingen, dem früheren Domherrn von Würzburg. Sie war es, die dessen Bruders Georg Ernsts Heirat mit ihrer Tochter von seinem Übertritt zur Reformation abhängig gemacht hatte. Siehe Becherer, Schleusinger Franziskaner 84 Anm. 429. 264 Vgl. Rosshirt, Des Fürsten Wilhelm Leben 7–10.

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der Disputation noch auf die Seite der Franziskaner, während seine beiden Söhne mit ihren Frauen bereits auf der Seite Johann Forsters standen. Doch das schloss ja nicht aus, dass Wilhelms Entscheidung für die Reformation bereits vorbereitet war. Ob nun die Disputation noch von entscheidender Bedeutung war oder nicht, sie ist wichtig genug, um den theologischen Austausch, der sich darin vollzieht, genauer zu betrachten, selbst wenn der vorliegende Bericht Rosshirts offensichtlich parteiisch ist. Der Anlass für die Disputation waren danach Gewissensnöte des alten Fürsten, ausgelöst durch Bekehrungsversuche der beiden eingeheirateten Herzoginnen von BraunschweigLüneburg: „Als nun seiner f[ürstlichen] G[naden] gewissen irrig, vnd hoch beschwerdt wart, Beschloß er bey sich selbst (als ein verstendiger Furst) ihm solcher last abzuhelffenn, kam in der Barfusser kloster zu seinem alten Beichtvater dem Gardian, klagt im trewlich sein anligen vnd bekummerts gewissen in den Religion sachen, auch was er entlich hirinnen sein vnwandelbarer wille vnd meinung sey, dem er (ohn allen verzug vnd hindernuß) gedechte nachzusetzen, vnd ins werck zurichtenn. Nemlich das der Gardian, nach gelerten leuthen schreiben vnd schicken wolle (auff seiner f. g. vnkosten) welche ire lehr (so er von ihnenn ein lange Zeyt vnttericht worden) wisten (auß gottes wort) zuuerantworten vnd vertheittigen, bette auch, er wolte auffs forderligst darauf bedacht sein gantz vnuerzuglich.“ 265 Graf Wilhelm IV. neigte schon zur Reformation, wenn es sein Verlangen war, „ihre Lehre“, das heißt die bisher gelernte kirchliche Glaubenslehre, nicht mehr einfach hinzunehmen, sondern sie nach „Gottes Wort“, das heißt nach der Bibel, verantworten zu lassen. Kein Wunder, dass der „alte[] Beichtvater“, der damalige Guardian des Schleusinger Franziskanerklosters Ulrich Boller, über dieses Verlangen „ganz erschrocken war“!266 Solche Disputationen brachten erfahrungsgemäß den Übergang zur Reformation mit sich. Doch der Guardian konnte nur dem „Befehl“ des Landesfürsten folgen: „Wardt derhalben ken Erffurt in Duringen geschriben, ann ire Ordens Bruder, das auffs forderlichste (zu bestimpter zeyt) gelerte Munchen, zu verantwortung vnd erhaltung irer lehr mochten geschickt werden. Als nun die zeyt sich nahet, kam der Prior von Erffurt (mit seiner gesamleter ware) gen Schleusing, zu denen ging f[ürstliche] g[naden] vnd empfing sie, legt ihnen den Handel fur, vermanet sie daneben, getrost vnd Standhaftig zu sein, vnd wo sie irer sachen vnd lehre, recht vnd gewiß weren, wolt er trewlich ob ihnen halten, des solten sie kunlich sich verlassen, verschafft ihnen (zur ergetzlichkeyt ires leibs) ein vberflussige notturft von speiß vnd trank.“ 267 Das Franziskanerkloster zu Erfurt gehörte zwar bis 1517 nicht wie das zu Schleusingen zur Observanzbewegung und deshalb nicht zur observant geprägten Saxonia S. Crucis. Es war seit 1521 Teil der ‚martinianisch‘ geprägten und der Reformation eher geneigten obersächsischen Provinz (seit 1523 offiziell Provinz Thuringia). Doch hatte sich der Erfurter Guardian, der Universitätslehrer und Domprediger Konrad Klinge, als Verteidiger bisheriger kirchlicher Lehre einen Namen gemacht.268 Dass der franziskanische Hauptredner hier als „Prior von 265 Siehe ebd. 7. 266 Ebd. 267 Ebd. 268 Von ihm wird später eigens zu reden sein.

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Erfurt“ bezeichnet wird, lässt stutzen, denn einen solchen Titel gibt es im Franziskanerorden nicht. Noch mehr verwundert, dass niemals der akademische Titel Doktor der Theologie erscheint, der Klinge gebührte, während der Kontrahent, Johann Forster, immer als Doktor vorstellt wird. Hat Klinge vielleicht einem anderen Bruder die wenig erfolgversprechende Aufgabe übertragen? Dann dürfte er jedenfalls als der theologische Experte zumindest im Hintergrund agieren, unter der ‚gesammelten Ware‘, wie Rosshirt die franziskanischen Disputanten von vornherein abschätzig nennt. Eine solche Missachtung zeigt sich auch in der als fürsorglich dargestellten Ermahnung des Grafen an Forster: „Bald gingh sein f[ürstliche] g[naden] herfur, berufft denn Hern D. Forster, Batt vnd vermanet ihn, Er sol ernstlich bedencken, das diese ordenßleut, nicht mit verblumpten kunstlichenn worten geubt, sonder in einfalt erzogen, zum andern, soll ire Disputation vnd gsprech ohn alles gezenck vnd erbitterung, beytertheil hertzen vnd gemuth gehalten, vnd allein beforderung Gotliches wort vnd ehre gesucht vnd gehandelt werden, Darauff solten sie im Namen Gottes ir gesprech anfahen.“ 269 Die Ermahnung beider Seiten, ohne „Gezänk und Erbitterung“ von „Herz und Gemüt“ miteinander zu reden, sondern Gottes Wort und Ehre zu fördern, ist gut zu verstehen. Doch die Franziskaner, unter denen wohl ihr Erfurter Theologe war und die nach Wunsch und Willen des Grafen „gelehrte Leute“ sein sollten, so als Kontrahenten abzuwerten, lässt auf die Voreingenommenheit des Berichts und vielleicht schon der Eingangsermahnung Wilhelms IV. schließen. Forster aber scheint seine Kontrahenten durchaus ernst genommen haben; denn er sprach sie in der lateinischen Gelehrtensprache an: „Doctor Johan Forster fing gantz wolbedechtig an zu reden in lateinischer sprach, von dem Artickel der Rechtfertigung zum ersten, Darauff ihm der Prior richtige gutte antwort gab, vnd bekant offentlich, das allein der Gehorsam vnd verdinst des Bitteren Leidens vnd sterbens Jesu Christi, vns selig machte (laut der heyligen schriefft) vnd in viel anderen sachen mehr, musten sie dem Her Doctor Forster beyfal geben.“ 270 Eine Bereitschaft der Erfurter Franziskaner, im zentralen Punkt der Rechtfertigung allein durch Christus sich auf den reformatorischen Standpunkt einzulassen, entspräche durchaus der bekannten theologischen Position Klinges.271 Wie weit freilich der erwähnte „Beifall“ ging, lässt sich aus dem Bericht kaum entnehmen. Denn wieder werden in ihm die Franziskaner, besonders ihr „Prior“ ins Hintertreffen gesetzt: „Als aber der Alte loblich furst irer fragenn vnd antwort (der lateinischen sprachen halb) nicht verstund, Batt sein f[ürstliche] G[naden] (do es ihnen kein verhinderung vnd beschwer brechte) Sie wolten ihr gesprech den vmbsteheden leyen, vnd sonderlich seiner f. g. person halben (vmb welcher willen dan diese freundliche, Christlich, versamlung wer angestelt worden) Teudschen. Darauf wart seinen f. G. vntterthenigst geantwort von D. Forster, er hette das fur seine person kein beschwer, sonder eine freidt zur besserung vnd bekerung fromer hertzen vnd gemuther. Der prior sagte auch, Er wer seiner f. g. 2 69 Siehe Rosshirt, Des Fürsten Wilhelm Leben 8. 270 Siehe ebd. 8. 271 Siehe Rickauer, Hans-Christian: Rechtfertigung und Heil. Die Vermittlung von Glauben und Heilshandeln in der Auseinandersetzung mit der reformatorischen Lehre bei Konrad Klinge (1483/84–1556). Leipzig 1986 (Erfurter Theologische Studien, 11).

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wilfertig, jedoch were die Teudsche sprach im (mit zirlichen worten der kunstlichen Rethorica) vnbekannt.“ 272 Sollte der disputierende Franziskaner wie im akademischen Leben damals eine lateinische Disputation erwartet und vorbereitet haben, musste ihm der Wechsel ins Deutsche schwerer fallen als Forster, denn Forster war als volkstümlicher Prediger besser auf eine Argumentation im Deutschen eingestellt. Er bevorzugte die Volkssprache in bereits bewährter lutherischer Tradition wohl sogar zur Propagierung seines Standpunktes. War das von vorherein beabsichtigt, um den franziskanischen Disputanten zu benachteiligen? Oder waren die Franziskaner auf eine solche Disputation vor lateinunkundigen Laien zu wenig eingestellt? Wenn der franziskanische Disputant der Erfurter Domprediger war, wäre das schon etwas verwunderlich. Jedenfalls stellt damit der Bericht ein weiteres Mal die überlegene Kompetenz Forsters heraus, die ihm schließlich einen selbst die Gegner überzeugenden und überwältigenden Sieg einbrachte: „D. Forster [...] fur balt fort, von den guten wercken, ob der mensch dardurch for Gott vergebung der sunde, vnd das ewige leben erlangen möchte, wiwol der Prior etliche Spruch auß den patribus herfur bracht, vnd was im mangelt, hulff Im D. Forster (der darinnen wol geubt vnd belesen war) freundlich drein, gab sie (wo der Prior nicht kont) ins Teudsch, fragt alwege den Prior, ob sichs also hilt, vnd sein Tohlmechung [Dolmetschung] ihm eingnugen were, von der heyligen Tauff waren sie eynig, Beyderley gestalt des waren leibs vnd des bluts Christi den leyen zu vberreichen nach gottes ordnung vnd befehl, kontten sie gar nicht verwerfen, sonder fur recht erkennen, weils alwege bey der alten Christlichen kirchen auch zur zeyt der heyligen Apostel wer gebreuchlich vnd gehalten worden. Brachten hergegen etliche Mensche satzunge (So von den Bebsten in Conciliis weren gemacht worden) herfur, aber es wolte ir furbringen (in diesen vnd anderen satzungen der Ceremonien) den sig gar nicht halten, wiwol D. Forster viel Ceremonien (so nicht abgottisch waren) vmb frieds willen ihnen zulies, wurden sie entlich auß Gottes wort gewaltiglich vberwisen, vnd ir eygen gewissen vberzeuget sie, das ir furbringen lautter Menschen satzungen, ohn grund der heiligen schrieft seyen vnd bleiben. Vnd also durchauß in allen stucken vnd Artickeln der Christlichen leere nicht das geringste widerlegen noch ire Mensche leer vertheydigen kontten, noch vermochten aufzubringen. Derhalben sie domals in grosser forcht vnd schanden stunden.“ 273 Die möglichen Punkte der Übereinstimmung, wie etwa Taufe und schriftgemäßer Brauch der Kommunion unter beiderlei Gestalt, werden hier ausdrücklich genannt. Aber die bleibenden Divergenzen werden durch den Bericht in den Bereich rein menschlicher Satzungen beziehungsweise sogar abgöttischer Zeremonien abgeschoben und überhaupt nicht ernsthaft zur Sprache gebracht. Das kann kaum den Verlauf der Disputation richtig wiedergeben; denn sonst hätten die Erfurter Franziskaner „ihr eigen Gewissen überzeugt“ und sie hätten, vielleicht sogar mit ihren observanteren Schleusinger Brüdern, stracks zu Reformation übertreten müssen. Das war gewiss nicht der Fall, denn für sie waren ja die Argumente „aus den Vätern“, aus „Satzungen“ „von den Päpsten und Konzilien“ durchaus Verweis auf die kirchlich maßgebende Auslegung der Heiligen Schrift, konnten also nicht einfach aufgegeben werden. Wenn der hennebergische Graf ihre Argumentation nicht mehr 272 Siehe Rosshirt, Des Fürsten Wilhelm Leben 8. 273 Siehe ebd.

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mitvollziehen konnte, wie seine berichtete Antwort behauptet, dann stand er wohl schon vorher eher auf der Seite der Reformation. Doch die Franziskaner waren offensichtlich nicht von der Reformation überzeugt, weil nach dem Bericht Wilhelm IV. die Erfurter „mit einem guten sicheren Geleit“ ziehen ließ: „Wirdige liebe Hern, Das ir auff mein bittlichs schreiben vnd begeren, hiher auf mein vnkosten willichlich erschinen, Sage ich euren wirden grossem danck, wil euch auch mit einem guten sicheren Geleid durch meinen verlag aller zerung, widerumb in euere verwarung (des Barfusser Closters in Erffurt gelegen) furenn lassen.“ 274 Die Kosten und Begleitung auch für den Heimweg schuldete ein Fürst selbst Gegnern, die sich auf seine Bitten eingelassen hatten. Die Brüder zu Schleusingen, die Graf Wilhelm IV. nach dem Bericht für seine bisherige Verirrung verantwortlich machte,275 konfrontierte er allerdings mit der Ausweisung aus seinem Land, gab ihnen nur noch die Chance, sich für die Reformation zu entscheiden: „So ist das mein ernstlicher will vnd befehl, das ir alzumal in einem Monat von hinnen auß meinem Closter (welchs ich dan durch meinen kosten von grundauf hab erbauen lassen) vnd alle zugeherung hierin verschafft, zihen, was euer eygen ist, das möcht ir nach eurem gefallen, verkauffen oder mit euch nemen, Es sol auch der past [Pass] vnd gebitt (euch zureysen) vnuerhinderlich sein. Welcher aber vntter euch (In Gottes wort vnd reiner lehr des Euangelij (welchs dan die Gotliche warheit selbst ist) vnd ein kraft gottes die do selig macht, alle so daran von hertzen glauben) wil vnterrichten, weißen vnd lehren lassen, Sich von seinem grewl wil bekeren zu dem reinen götlichen wort Gottes, sein mißuersten vnd irthumb (mit rewigem hertzen offentlich bekennen) vnd abstehen; Demselbichen sol (auß gnaden) mein landt vnuerbotten seyn. Sonder wil im vberfluss (sofern er von vnsern Gelerten darzu tuchtig erkant) zu einer guten pfar, oder zu anderen Kirchendiensten beforderlich seyn, vnd darzu gebrauchen lassen. Dauon er gnugsame vntterhaltung der leiblichen noturff vnd narung haben soll. Nach diesem meinem ernstlichen befehl vnd abschidt wisse sich nun ein ider zurichten.“ 276 Die angeblich plötzliche Bekehrung des Grafen zur Reformation, womit er den Franziskanern nur die Alternative ließ, das Land zu verlassen oder sich der Reformation anzuschließen und sich in ihren Dienst zu stellen, wollte Rosshirt mit aller Entschiedenheit und mit höchster Dramatik darstellen. In Wirklichkeit hatte Graf Wilhelm IV. von Henneberg 1543 mit der weitgehenden Abgabe der Regierungsgeschäfte an seinen Sohn Georg Ernst der Einführung der Reformation bereits zugestimmt, obwohl er offiziell erst 1548/49 selbst die Augsburger Konfession annahm.277 So war für das Geschick des Klosters die öffentliche Einführung der Reformation durch Georg Ernst von Henneberg-Schleusingen mit einer Predigt Johann Forsters am 25. Januar 1545, dem Fest Pauli Bekehrung, entscheidend. Danach erhielten im Februar Stifte und Klöster des Territoriums wie etwa das Prämonstratenser-Kloster Veßra, das Chorherrenstift Schmalkalden und das Benediktinerkloster Herrenbreitungen den fürstliche Befehl zur Reformation

274 Siehe ebd. 9. 275 Ebd. Vgl. Becherer, Schleusinger Franziskaner 84 Anm. 430. 276 Siehe Rosshirt, Des Fürsten Wilhelm Leben 9. 277 Vgl. Becherer, Schleusinger Franziskaner 85 Anm. 431.

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und zur Visitation durch Forster.278 Bei den Franziskanern zu Schleusingen ist von einem solchen Befehl nichts bekannt. Mit ihnen wurde von der Herzogin-Mutter Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg am 9. April 1545 ein Abzugsvertrag geschlossen, den in Anwesenheit der Grafen Georg Ernst und Poppo von Henneberg-Schleusingen der Guardian Ulrich Boller und der Senior Johann Barthel unterzeichneten. Aus ihm geht hervor, dass keiner der Brüder sich der Reformation anschloss und keiner der Älteren die angebotene Versorgung durch den Landesherrn annahm. Die Brüder beschlossen, „der aller kains annemen noch sich trennen oder tailen sonder stracks uff irem Ordo beiainander zu bleiben“.279 Darauf wurde ihnen vom 9. bis 16. April, dem Donnerstag nach Quasimodogeniti (2. Sonntag in der Osterzeit), eine Bedenkzeit bis zu ihrem endgültigen Abzug gegeben, wobei sie aber schon von jetzt an im Henneberger Land keine Gottesdienste mehr feiern, keine Beichte mehr hören und keine Almosen mehr erbitten durften.280 Vermutlich zogen die Brüder nach Halle, wo Ulrich Boller ab 1547 als Mitglied des Konvents bezeugt ist.281 Von 1551–1554 war Boller Provinzialminister der Saxonia S. Crucis und 1561 Guardian des Konvents zu Halle, wo er 16 Jahre gelebt haben soll.282 Sein Lebenslauf erweist Ulrich Boller als einen entschiedenen franziskanischen Gegner der Reformation, freilich mehr pastoral als theologisch versiert und engagiert. Gerade das machte diesen Franziskaner in Schleusingen als Beichtvater des alten Grafen beim geplanten Übergang zur Reformation so hinderlich, dass vor allem er für das lange Festhalten Wilhelms IV. an der bisherigen kirchlichen Lehre verantwortlich gemacht wurde. Besonders seinetwegen, um seinem Einfluss demonstrativ ein Ende zu setzen, wurde vermutlich das Unternehmen der Disputation gestartet beziehungsweise in Szene gesetzt.

4.7. Weimar und Langensalza Vom 5.–9. September 1452 erhielt Wilhelm III. Herzog von Sachsen, Landgraf zu Thüringen und Markgraf zu Meißen, für die beiden thüringischen Städte Weimar und Langensalza die Erlaubnis zur Errichtung von neuen Franziskanerklöstern der Observanzbewegung, und zwar durch den päpstlichen Legaten und Ordensreformer Johannes von Capestrano.283 Beide Male ging es bei Wilhelms Engagement für eine religiöse und sittliche Reform zugleich um eine Stärkung und einen Ausbau beider noch relativ kleinen Städte in seinem thüringischen Herrschaftsgebiet, das ihm 1445 bei der Landesteilung mit seinem Bruder Kurfürst Friedrich dem Sanftmütigen ganz zufiel.284 Dabei verlagerte sich der Residenzort von Eisenach über Gotha mehr und mehr nach Weimar, wo sich Wilhelm III. der Tapfere wegen seiner engen Bindung an die Franziskaner nach seinem Tod 1482 in ihrer Klosterkirche bestatten ließ.285 278 279 280 281 282 283

Vgl. ebd. 83f. Vgl. ingesamt ebd. 85. Vgl. ebd. 85f. Vgl. ebd. 86 Anm. 439. Vgl. ebd. 86 Anm. 440f. Vgl. dazu Werner, Matthias: Landesherr und Franziskanerorden im spätmittelalterlichen Thüringen. In: Berg, Könige, Landesherren und Bettelorden 331–360, hier 351. Vgl. die entsprechenden Artikel in Müller / Schmies / Loefke, Für Gott und die Welt. Vgl. auch Weigel, Ordensreform. 284 Siehe ebd. 354 285 Siehe ebd. 354 Anm. 87.

Weimar und Langensalza

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Langensalza war als eine der fünf thüringischen Waidstädte in der Gründungsphase des Franziskanerklosters größer und ökonomisch bedeutender als Weimar. Es gelangte 1485 bei der wettinischen Leipziger Landesteilung unter Kurfürst Friedrichs Söhnen an Herzog Albrecht, während Weimar unter Kurfürst Ernst seine politische Bedeutung als Residenzstadt erweitern konnte. Langensalza gehörte also bei der beginnenden Reforma­tion zur albertinischen Linie der Wettiner mit Herzog Georg von Sachsen dem Bärtigen, der meist zu Dresden residierte und der alten Kirche zugewandt war. Dagegen blieb Weimar unter der ernestinischen Linie weiterhin Residenzstadt, wobei zur Zeit der Reformation dort vor allem der mitregierende Bruder des Kurfürsten Friedrichs des Weisen, nämlich Herzog Johann von Sachsen, und dessen Sohn Erbprinz Johann Friedrich ihren Sitz hatten. Deswegen mussten sich die Franziskaner in Weimar früher als in Langensalza mit Impulsen und Angriffen der Reformation auseinandersetzen. In einem Provinzkapitel zu Weimar 1521 bezog die observantisch geprägte Saxonia S. Crucis zum ersten Mal offiziell Stellung gegen Luthers Lehre, und zwar in einem Brief an den Kurfürsten Friedrich den Weisen selbst, der dann die Franziskaner zur Mäßigung ihres Eifers mahnte.286 Die observanten Franziskaner zu Weimar waren zudem mit der reformatorischen Bewegung im nahen Erfurt konfrontiert, von wo aus sich Luthers Ordensbruder Johannes Lang und der Franziskaner Ägidius Mechler für die neue Lehre entschieden einsetzten.287 Mit ihnen disputierte Augustin von Alveldt, der sich als Gegner Luthers einen Namen gemacht hatte, 1522 zu Weimar in der Franziskanerkirche über das Ordensleben und die franziskanische Lebensform.288 Am fürstlichen Hof zu Weimar und im Franziskanerkloster selbst hatten sich bereits früh Sympathien mit der Reformation gezeigt,289 die schon um 1520 zu heftigen Auseinandersetzungen im Kloster und zu klösterlichen Strafen gegen reformatorisch gesinnte Franziskaner wie Johann Voigt und Friedrich Myconius führten.290 Obwohl dabei offenbar Herzog Johann und sein Sohn eine wichtige Rolle spielten, die die Reformationsfreunde im Kloster unterstützten, wurde die am 8. Oktober 1521 verstorbene zweite Gemahlin des Herzogs in der Franziskanerkirche beigesetzt, wo bis 1523 der Beichtvater des Herzogs Vitus Schertzer, ein Gegner der Reformation, lebte.291 Vielleicht hoffte Herzog Johann auf einen weiteren Fortschritt der reformatorischen Bewegung in dem der Herrschaft so sehr verbundenen Kloster, während Luther die maßgebenden Brüder dort schon 1521/22 als seine erbitterten Gegner einschätzte.292 Besonders als der Reformator im Oktober 1522 auf Bitte des Hofpredigers Wolfgang Stein selbst nach Weimar kam, griff er in Predigten in der Schloss- und Stadtkirche die observanten Franziskaner an.293 Denn sie hatte Luther vor allem im Blick, wenn er sagte: „Wan einer ein münch wirt und thut das nit im geist gottes, so ist sein regel zu verwerfen. Was ists meer, das sant Franciscus ein kutten hat angehabt und ist uf holczschuhen 286 Siehe oben Kap. 2, Anm. 24–29. 287 Siehe oben Kap. 2, Anm. 30f.; 35; 43–48. 288 Siehe oben Kap. 2, Anm. 30–48. 289 Siehe oben Kap. 3, Anm. 153–155. 290 Siehe oben Kap. 3, Anm. 155–158. 291 Zum Grabmal der Herzogin Margareta vgl. Schmidt, Eva (Hg): Die Stadtkirche zu St. Peter und Paul zu Weimar. Berlin 1955, 96f.; 117. Zur Haltung gegen Luther beim Beichtvater Vitus Schertzer vgl. Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 33f. 292 Vgl. Luther: Brief an Spalatin vom 17. September 1521. In: WA Br 2, 391 (nr. 431). 293 Zu Luthers Weimarer Predigten von 1522, siehe Luther, Werke WA 10/3, 341–399.

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gangen? Es könt ein hencker gleich so vil ein gut werck Christo thun, so er einem den kopff abhieb, als dass ein mönch platten und kutten trägt.“ 294 Die Observanten glaubten mit ihren Holzsandalen Franziskus und Christus besonders genau zu folgen. Für Luther waren all diese äußeren Werke vor Christus nur etwas wert mit Gottes Geist, den ebenso wie ein Mönch mit seinem äußeren Tun und Erscheinungsbild ein Henker bei einer Hinrichtung haben kann. Ohne Franziskus persönlich abzuwerten, unterstellten Luthers Äußerungen, dass die Franziskaner insgesamt wie andere Orden auf einem verkehrten Weg sind, „Teufelsschulen“.295 Vielleicht hatte Luther dabei bereits das Vorgehen der Weimarer Franziskaner gegen Johann Voigt und Friedrich Myconius vor Augen, obwohl er nicht ausdrücklich darauf zu sprechen kam. Wo Klöster an ihrer traditionellen Lebensform und der bisherigen kirchlichen Ordnung festhielten, stellten sie sich ja mehr und mehr gegen die Reformation. Das zeigte sich bei den Weimarer Franziskanern, als sie Ende des Jahres 1522 gegen den Hofprediger Wolfgang Stein den Opfercharakter der Messe verteidigten.296 Anscheinend konnte Stein gegen die Brüder nicht besonders gut bestehen. Denn Luther wie Herzog Johann waren zunächst gegen eine weitere Auseinandersetzung.297 In einem Brief vom 11. Dezember 1522 gab freilich Luther selbst dem Hofprediger ausführliche Hinweise, wie auf die Thesen der Franziskaner sinnvoll zu antworten wäre.298 Obwohl Luther eingangs diese Thesen verächtlich abtat, sodass sie Stein selbst leicht widerlegen könnte299, ging er doch auf deren Argumente ein.300 Die Franziskanern wollten nur gegen Steins Bestreitung des Mess-Opfers die traditionelle Position der Kirche bekräftigen.301 Sie gestanden zu, dass in den Einsetzungworten Christi bezüglich der Messe beziehungsweise des Herrenmahls, wie sie die Heilige Schrift überliefert,

294 Siehe Luther, Werke WA 10/3, 375,20–24. Vgl. Bei der Wieden, Susanne: Luthers Predigten des Jahres 1522. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung. Weimar 1999 (Archiv zur Weimarer Ausgabe, 7) 339. 295 Siehe Luther, Werke WA 10/3, 390,10. Andere abwertende Äußerungen WA 10/3, 350,35; 364,31; 372,16. 296 Die Thesen der Franziskaner siehe bei Cyprian, Uhrkunden II, 240–252: Der Barfüßer Moenche zu Waymar Argument und Gegenbeweis, daß das Sakrament ein Opffer sey. 297 Siehe bei Luther, Brief an Wolfgang Stein (nr. 552), WA Br 2, 619–624. 298 Siehe ebd. 299 Ebd. 621,2–4: „Nihil neque stultius neque insanius in tota vita vidi, quam has minoriticissimas ineptias, ita ut nihil nostro opus habeas auxilio ad eas confutandas.“ 300 Luther schrieb zwar, er tue das nur, um überhaupt etwas zu antworten. Aber damit wollte er anscheinend Rücksicht nehmen auf die theologische Kompetenz seines Adressaten Stein, des wichtigen Vermittlers reformatorischer Theologie am herzoglichen Hofe zu Weimar. Die franziskanischen Thesen, auf die Luther antwortete, wurden jedenfalls in Auszügen der Weimarer Ausgabe von Luthers Briefen vorangestellt (ebd. 619–621). 301 So schrieben sie in ihrer „Schutzrede“ für Herzog Johann von Sachsen: „Gnediger Fuerst und Her. Nachdem sich zwischen E[uer] F[ürstlichen] G[naden] prediger / und uns armen bruedern ein zwyspeltigkeit begeben hat / yn dem das der Magister strafft und verdumpt unChristlichs yrthumb / das wir gelauben halten und predigen / das das heilig hochwirdig sacrament des Fronleichnams unsers Hern Jhesu Christi sey ein opffer der Christlichen Kirche; haben wir beyde parthey vor E. F. G. schrifft muentlichen angezeyget / auf beyde teyll ein itzlicher sein sentenz zw schuetzen aber nicht zu eynem endt gebracht. Hat E. F. G. aus gnaden uns nachgelassen / unser schrifft und argument weyter in schrifften an tag zw geben / dy weylls auff das mall / dy zeyt nit leyden wolt off das dy warheyt als der Clerer / mocht erscheynen vor E. F. G. und wir beyder parthey zw eindracht / und zw einem synn der warheyt / mochten bracht werden durch weysheyt und mittel E. F. G. Zum ersten zeygen wir an / das wir schuldig seint zw hoeren dy heilge Christliche Kirche / anbey weren wir nicht gehalten fuer Crist glaubigen menschen“ (Cyprian, Uhrkunden II, 240f.).

Weimar und Langensalza

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nicht ausdrücklich von einem „Opfer“ die Rede ist.302 Aber nirgends in der Heiligen Schrift werde gesagt, das Sakrament des Leibes und Blutes Christi sei kein Opfer, und damit sei Steins Leugnung des Opfercharakters der Messe als eine von ihm selbst verurteilte Zusetzung zur Heiligen Schrift anzusehen.303 Dieses auch historisch sehr fragwürdige argumentum e silentio wurde von Luther als die unsinnige Forderung zurückgewiesen, etwas Negatives zu beweisen. Denn nur die affirmative Behauptung, die Messe sei ein Opfer, müsste aus der Heiligen Schrift bewiesen werden. Wenn das die Franziskanern nicht vermöchten, dürften sie die Beweislast für das Gegenteil nicht ihrem Kontrahenten zuschieben.304 Die Franziskaner-Observanten von Weimar wollten jedoch nichts beweisen, sondern nur die für sie fraglos gültige Lehre der Kirche bekräftigen. Denn die Kirche sprach nach ihrer Überzeugung schon lange von einem Opfer der Messe und forderte dafür gehorsame Zustimmung.305 Nicht die traditionelle Lehre, sondern allein das Wort Gottes kennzeichnete allerdings nach Luther die wahre Kirche; denn durch Abweichen vom Wort Gottes haben selbst Heilige geirrt.306 Diese Vorgaben Luthers scheint Stein in seiner Antwort auf die „Schutzrede“ der Franziskaner aufzugreifen, ohne sie freilich im Wortlaut zu wiederholen.307 Aus Rücksicht auf das Verbot Herzog Johanns gab jedoch nicht er selbst, sondern der Eisenacher reformatorische Prediger und ehemalige Dominikaner Jakob Strauß mit einer persönlichen Vorrede und mit den franziskanischen Thesen die Antwort Wolfgang Steins 1523 zu Erfurt im Druck heraus.308 In der Polemik von 302 Ebd. 243: „Nu Mathei am XXVI. Marci am XIIII. Luce am XXII. I. zw den Chorin. am XI. in welchen stetten beschriben wirt / die ansetzung und gebung dieses sacraments. Ist nicht gesagt das es gegeben sey zw eynem oppffer.“ Vgl. dazu Mt 26,26–28; Mk 14,22–24; Lk 22,19–20; 1 Kor 11,23–25. 303 Ebd. 244: „Nun fragen wir yn / wo er gelesen hab yn der heiligen geschrifft / das dis sacrament nicht ein oppffer sey empfindt er das nyrgent geschriben / so ist es nach seyner sentenz ein verthamlich zwsetzung zum wort Gottes.“ 304 Vgl. insgesamt WA Br 2, 622,10-17: „Primo quando dicunt, te aliquid addere verbis Dei, cum Scriptura non dicat non esse sacrificium, non vident stultissimi homines, quod exigunt negativam probari, cum etiam in mundo iuristae dicant: negativa non probatur [Anm. 1]. Sufficit ergo christiano ad confutandam errorem quemlibet dicere: Scriptura non habet. Qui ergo affirmativam habet, tenetur probare; qui asserit demonstret, aut ipsa negatione contraria victus est. Tu autem negas, et illi afffirmant, missam esse sacrificium; ideo non tu, sed illi debent probare Scripturis suam sententiam.“ Vgl. dazu den Hinweis [Anm. 1] auf das Corpus Iuris civilis, Institutiones l. 2. D. 22, 3: „Ei incumbit probatio, qui dicit, non qui negat.“ 305 Siehe Cyprian, Uhrkunden II, 242: „So drinck und zwinck uns das oben beruerte gebot Christi Mathei am XVIII. zw hoeren dy Kirchen / und mit yr zw halten / das das sacrament ein oppffer sey: kann aber der magister Clerlich an zweyffel beweisen / das yrgent yn der heilge schrifft der biblien oder eynes Cristlichen doctors geschrieben sey / oder yrgent yn vorgangner zeit dy Christlich Kirch gelert oder gepredigt hab / das das sacrament nit eyn oppffer sey, mochten wir villeicht gelauben.“ Vgl. dazu Mt 18,17. Der Beweis einer früheren „offiziellen“ kirchlichen Leugnung des Messopfers kann freilich ebenso wenig erbracht werden wie ein entsprechener Schriftbeweis. 306 Siehe WA Br 2, 623,65–71: „Ecclesiam est solum illa, quae verbum Dei habet et docet, et nihil addit. Ioan. 10.: ‚Oves meae vocem meam audiunt, alienum autem non audiunt, sed fugiunt ab eo.‘ Haec ecclesia est audienda sola. 1. Corinth. 14.: ‚Si sedenti revelatum fuerit‘ etc. Illi autem, quos Minoritae allegant, aut fuerunt impii, sicut adhuc sunt, aut si sanctos allegant, debent primo probare, sanctos non errasse in hoc puncto, cum alias saepe errarint.“ Vgl. dazu Joh 10,27; 1 Kor 14,30. 307 Anders die Einführung zu Luthers Brief in der WA Br 2,619! Doch die Übereinstimmungen im Duktus der Argumentation sind unverkennbar. 308 Siehe dazu Stein, Wolfgang: Ob / daz aller hochwirdigeste Sacra-// ment / des leibs unnd blutes / unsers // heilmachers Christi / anders benenhet // moge werden dan eyn getrew Testa // ment / besthettet / mit dem bluet // vergiessen / vnd sterben Christi. Eine newe Disputacion / geschrifft//lich gehalten Zwiessch//en den Barfuessern Zw Weimmar / // vnd Magister // Wolffgang Steyn / des // Durchlauchten hochgeborenen // Furstenn Hanszenn // Zw Sachsszenn etc. Prediger. Erfurt 1523. In: Köhler, Flugschriften Fiche 173 Nr. 477,

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4. Das Ende von Franziskanerklöstern

Jakob Strauß sind es die Franziskaner, die das fürstliche Verbot zu verantworten haben, um sich weiter mit ihrem Sieg in der Disputation brüsten zu können.309 Allerdings soll nun die spätere Antwort Steins aufgrund göttlicher Vorsehung die Unwissenheit und den Irrtum der Franziskaner entlarven sowie das Vetrauen auf das lebendige Wort Gottes stärken.310 Das Ansehen, das die Weimarer Franziskaner-Observanten wegen ihres einfachen, ja heiligmäßigen Lebens immer noch haben, wurde hier ebenso deutlich wie bei Wolfgang Stein selbst, der auf Polemik weitgehend verzichtete.311 Dem Vertrauen der Brüder in die traditionelle Lehre der Kirche über das Mess-Opfer stellt er den unbedingten Vorrang des Wortes Gottes entgegen; denn weder Väter, noch Lehrer, noch Konzilien, noch Gewohnheit und Kirche sind über dem Wort Gottes, sondern das Wort Gottes steht über allem.312 Das Wort Gottes findet Stein grundlegend in der Bibel, besonders in den Worten Christi und in der Lehre des Paulus, die nichts von einem Opfer in der Messe wissen. Wenn die Brüder das Schriftzeugnis gelten ließen, müssten sie sich ihm anschließen; wenn nicht, muß man ihnen das Gegenteil nicht beweisen.313 Offenbar hoffte Stein noch auf eine in seinem Sinn bessere Einsicht der

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A 1r. Die Vorrede des Herausgebers der Schrift Jakob Strauß schließt: „Datum Zw Eyssennach am Zwentzigsten tag deß Jenners Anno M.D.xxiij.“ (ebd. A 2v). Die franziskanischen Thesen ebd. A 3r – B 3r. – Zu Jakob Strauß siehe Stupperich, Reformatorenlexikon 203f. So Jakob Strauß in seiner als Brief an Wolfgang Stein formulierten Vorrede ebd. A 2rv: „Die weil aber die ellenden leut / sich selber gantz tzuuernichten / die warheit Gottes / durch dich klerlich yn deynem schreyben / an tag gebracht / von newen an schenden / yr eigene sthinckende ehre / wie ihr gewonheidt / mit der vnworheit den onwyssenden antzeigen. Sich beruement / wy sie dich ihn iren geschriefften / vnd disputiren / gantz gestilt vnd beschlossen habent / vnd doch wissentlich ist / daz durch sie / der Durchlaucht hochgeborner furst / angelangtt / was tzwiesschen euch beiden gehandelt / soldt niemandes wissen / Also dw wie ein from ein fellig man (yres vermutens) schweigen vnd glawben / tzu verdempffunge der warheidtt / halten wurdest / ir schantliech verfierliech gleissznerey / eyn fuergang lenger haben mocht.“ Siehe ebd. A 2r: „Worlich lieber her vnnd bruder es ist schade / das ein from verstendig Christenn mensche / seiner tzeidt tzuuorlieszenn / das onformliech / onbegrunt schreibenn sol leszen / daz sie nach yhrer angeborner vermessenheidt / vor einem so hoch vorstendigen fursten / habentt erscheinen lassen / Gottes will wirt hieryhn erkent / das nit onverborgen mueß bleiben / wie sthar blint / verfiert vnd vngelert die sindt / die von yhn selbst / auch die betrogen welt / so vil gehalten hat / vnnd das weder holtzschuen / strieck / Cappen / nach beschornenn kopff / auch keynen erthiechten menschlichenn secten / oder Orden / nicht tzu vertrewen ist / Aber allein tzu dem lebendigen wort gottes / ihn Christum gentzliech vnd onuerruckt sich tzuuerhoffen not.“ Schon zu Beginn in seiner Anrede an Herzog Johann sprach Stein von „den geistlichen Andechtigen vnnd wirdigen vettern / von der observantz / Parfuesser ordens / alhye tzu Weimar“ (ebd. B 3v). Diesen respektvollen Ton behielt er bei, wenn er die Brüder selbst anredet, obwohl das im Zusammenhang manchmal eher ironisch klingt. Das sei von Anfang an seine Position: „ich [...] sagete / das widder vetter nach lerer / wider Concilia / gewonheitt nach kirche / vber daß wort weren / sunder das wort were vber alle vetter / lerer / Concilia / gewonheit vnd kirche etc. Der halben musten die vetter / leren / Concilia / gewonheit vnd kirche / siech nach dem wort richten / vnd nicht daß wort nach den vettern, lerern / Concilien / gewonheit vnd kirche“ (ebd. B 3v). Siehe ebd. B 4v: „So das wort christi Jesu / vor Bibellische schrifft / vnd sanctus Paulus / vor einen Christlichen doctor / vnd die recht geleubigen / vor die ware christliche kirche / bei den Andechtigen vettern / geacht vnd gehalten wurde / so het ich leicht zu beweren / das die messe kein opffer / sunder ein testament were. Wo sie aber die wort Christi nit vor bibellische heilige schrifft Achten / nach Paulum vor einen Christlichen doctor / vnd die gleubigen vor ein ware kirche. So wust ich es in nit tzubeweren. Ich verhoff mich aber gentzlich / die fromen andechtigen vnd geistlichen vetter / werden nit vmb meynetwillen sunder vmb christus willen die wortt Christi lassen Bibellische schrifft sein / aber mir nit ein ander biebell antzeiggen / dar in ich finden mocht / was sye vor Bibellische schrifft haltenn.“

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Franziskaner. Die Worte Jesu Christi, wie sie die Evangelien und Paulus bezeugen, ergaben für ihn das wahre Verständnis der Messe, dem nichts hinzuzufügen ist: „Disse wort Christi solthen ie alle hertzen bewegen / vnd vor warhafftig gehalten werden. So auch die gantze welt, ia der Teuffel / helle vnd sunde dar widder strebeten / dan ihn den worten / hatt vnns Christus eyn sulch starcke tzwsagunge than / der vergebunge der sunde / ia nit allein tzugesagt / vnd vorheissen / vergebung der sunde / sunder auch die selbige zusage / vnd vorheissunge / bestettigk mit dem tzeichen seines eigen leichnams vnd bluts / der wir billig glauben solten / vnd solch tzeichen / testament vnd gabe / nit tzu einem opffer machen / sunder bleiben lassen / wye es durch Christum eingesetzt.“ 314 Diesem bewegenden Aufruf konnten freilich die Franziskaner schon deswegen nicht folgen, weil sich aus einem so verstandenen Vorrang und Verständnis des biblischen Textes wie bei Luther so auch bei Stein eine Kritik der traditionellen kirchlichen Lehre wie der bisherigen Kirche überhaupt ergab.315 Das Recht zu solcher Kritik belegt Stein, wohl im Blick auf seinen wichtigsten Adressaten Herzog Johann, mit den Texten des Kirchenrechts, die gegen Wort und Beispiel Jesu Christi den Papst über den Kaiser stellen, die Immunität des Klerus von Steuern und Abgaben behaupten und selbst den Krieg um das irdische Gut der Kirche rechtfertigen.316 Wenn Stein aber die irdische Machtlosigkeit und Armut der wahren Kirche mit biblischen Texten wie Lk 9,58 und 2 Kor 8,9 beschwor, die in der franziskanischen Tradition wichtig waren, so kann er auf Sympathisanten bei den Weimarer Brüdern gehofft haben. Jedenfalls warf er ihnen konkret nur vor, dass es ihnen bei der Verteidigung des Mess-Opfers um ihre Einkünfte aus den Jahresgedächtnissen ging: „die nutzunge der ihar gedechnis / durch wylch man huner / gense / vnd eyer / korn / gerste / brot / vnd wein / kese / pyr vnd putter / fiesch vnd wilpert vorsammelt / daß mocht fallen / vnd auß den hertzen der menschen geriessen werden / vnd gewenigert / 314 Siehe ebd. C 1v. 315 Ebd. C 2rv: „Sulches hat auch also gehalten / die ware rechtt Christliche kirche / als wyr yn denn geschichtenn der Aposteln Actuum 2. vnd ihm Paulo haben I. Chor. XI. bis szo lange / das die klugenn menschenn lerer / dreyn gefallen / got vnnd seyn wort verachtet / vnnd eyn eygene sunderlyche weys / vnd fundt erdachtt / doch an alle schriefft / damytt / sye offentlich an tag gebenn haben / yhre gros klugheyt vnd weyszheytt / mit welcher sie es haben wollen bessermachen / den auch Christus vnd got selber / das doch gescheenn wirt / wann die schaffe mit den wolffen tzw weyde geheen / wie Esa. 65 gesagt.“ Vgl. dazu Apg 2,46; 1 Kor 11,23–25; Jes 65,25. Siehe auch ebd. C 2v–3r: „Dan eben daß gebot / vnd gesetz / ader insatzunge / daz alhie die kirche / vetter / Concilia / von wegen der messe / alß ein opffer / eingesatzt haben / ist widder got / vnd schrifft / vnnd widder die ware heilige christliche kirche / wie obenn angetzeigt / welche die heilige christlyche kirche gebawet ist durch Christum Jhesum vnsern hern / auff den fels / wy mathe. 16. gesagt welcher er selbst ist / welche kirche nichtes weiter vorniempt / nach tzusetzet vnd ordnet / dan so weitt sich daz wort erstreckt / auch niemandes anders hort dan das wort / wie Johannes schreibet am X. Meine schaff horen meine sthim / vnd volgen mir nach / einem fremden aber volgen sie nit nach / dan sie kennen nitt der frembden sthim.“ Vgl. Mt 16,18; Joh 10,4–5. 316 Siehe ebd. C 3v–4v. Vgl. besonders die Zusammenfassung C 4v – D 1r: „Christus hat in seinem Euangelium verpoten / alle krige hader vnd tzanck / bei verliesunge der selen. Disse kirche / vnd aller heiligster vatter der babst / gebiten tzu krigen / vnd verheissen da tzu / das ewige leben. O blintheit. O torheit. O verstockunge / mercken nun auff alle Christgleubigen menschen / ab es vnmuglich sey / vnd nit gnug erweist / aus irem eygnen geistlich bebestlichen rechten / daz yre kirche / vertamlich gebeut / zusetz / widder die gebot / vnd willen gottes. Dan der wil gottes ist / nit kryegen / vnnd wenig haben. Luce am IX. die fuchs haben ir gruben / vnd die vogel der lufft habenn ire nester / aber der son der menschen / hat nit / do er sein heubt legt, Paulus saget 2. Cho. 8. diesser aber wol reich war / dennoch vmb vnsertwillen / ist er arm geworden.“ Vgl. Lk 9,58; 2 Kor 8,9.

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4. Das Ende von Franziskanerklöstern

die ewigen mussegenger / da von Ezech. 16. des sie sich villeicht so hoch vnd hart besorgen / dan da durch wurdenn sie yren got / den pauch verlieszen / wie Paulus schreibet Phil. 3: darumb halten sie so vest dar vber. Got helffe in vnd erleucht sie mit gnad“.317 Wenn die Naturalien von Hühnern, Gänsen und Eiern, von Korn und Gerste, von Brot und Wein, von Käse, Bier und Butter, von Fisch und Wildbret, die die Jahresgedächtnisse einbrachten und die wohl bei den Weimarer Franziskaner-Observanten nicht zu üppig waren, kritisiert wurden, konnte das ordensinterner Kritik entgegenkommen. Freilich mit den beiden Schriftzitaten deutete Stein diese Mess-Spenden als Symptome einer Abkehr vom wahren Gottesdienst zu selbstsüchtig-müßigem Dahinleben und Götzendienst des eigenen Bauches. Darin konnten sich nur wenige Franziskaner selbst erkennen. Der tiefergehende Dissens gründete in einem unterschiedlichen Verhältnis zu Wort und Sakrament Christi, in dem Stein den unbedingten Vorrang des Wortes betonte und die Franziskaner in der sakramentalen Feier des Opfers Jesu Christi den zentralen Zugang zur erlösenden Heilstat fanden. Wenn die Franziskaner im Angriff auf das Mess-Opfer diesen Zugang gefährdet sahen,318 setzte Stein seine ganze Hoffnung nur auf das Wort Gottes: „Ach got von himel hie wollen die fromen veter / kluger vnd weiser sein / dan got selber vnnd Christus / vnd meinn villeicht / got hab nit gewust / wie sein gedechtniß solt erhalten werden / darumb haben sie daz opffer der messe auff gericht / vnd da mit gedacht daz gedechtnis des sterbens Christi / tzuerhalden / daß doch nit moglich. Dan das gedechtnis des leidens vnd sterbens Christi etc. wirt nit erhalden / in denn hertzen der menschen / wie die lieben veter sich beduncken lassen / durch die messehalten / sunder durch das lebendige ware gotliche wort Christi Jhesu vnsers hern / so daß lauther / vnd puer / vnd wol / dem volck gepredigt wirt / wie Paulus zu den Romern schreibtt am tzehend capitel.“ 319 Diese Konzentration auf das „lebendige, wahre, göttliche Wort“, wie es „lauter und pur und wohl dem Volk gepredigt wird“, war in Weimar wie anderswo schließlich überzeugender als das Bestehen der Brüder auf den herkömmlichen, aber für viele nun unverständlichen und fragwürdigen Messfeiern. Es gelang den Weimarer Franziskaner jedenfalls nicht, die Gegenwart der Hingabe Jesu Christi in der sakramentalen Feier der Eucharistie neu verständlich zu machen. Bloße Berufung auf kirchliche Tradition genügte offensichtlich nicht mehr. Die Fürsten wie etliche Beamte des Hofes zu Weimar stützten daher mehr und mehr die reformatorische Bewegung.320 Der einflussreiche fürstliche Sekretär Johann Riedesel konnte – vielleicht im Auftrag Herzog Johanns – den Weimarer Guardian soweit umstimmen, dass der reformatorische gesinnte Franziskaner Johann Voigt am Neujahrstag 1523 dem Volk predigen

317 Ebd. E 2r. Vgl. dazu Ez 16,49; Phil 3,19. 318 Siehe Cyprian, Uhrkunden II, 249f.: „ist zw foerchten / wie dy messe auffhoeren wuerden / und das stete oppffer der Kirchen / hinweg genommen wuerden / das das gedechtnues des leydens und sterbens Christi fur uns / fast aus dem hertzen der Christen menschen kommen wuerde / wider den willen Christi der do spricht / dis solt yr thun yn meynen gedechtnues“. 319 Siehe Stein, Ob das aller hochwirdigst Sakrament. In: Köhler, Flugschriften Fiche 173 Nr. 477, E 1v–2r. Vgl. dazu Röm 10,17–21. 320 Siehe Müller, Ernst: Martin Luther und sein Einfluß auf die reformatorische Entwicklung in Weimar in den Jahren 1518 bis 1525. In: Vogler, Günther / Hoyer, Siegfried / Laube, Adolf (Hg.): Martin Luther. Leben, Werk, Wirkung. Berlin 1986, 179–192, hier 187.

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durfte.321 Aber die Predigt wurde von den Brüdern als ketzerisch verurteilt, obwohl sie eher gemäßigt die reformatorische Rechtfertigungslehre vertrat.322 Der Arnstädter Guardian sollte dem in einer Predigt entgegentreten: „Darauff schickte sie gehn Arnstatt / nach einem sehr gelehrten Guardian / der solt den Sontag darnach wider mich Predigen / vnnd meyne Predig widerrüffen / Als vnrecht gelehrt / das dann auch geschach / Aber als das Volck seine Predigen höret / wollten sie mit steynen zu ihm werffen / Aber ich bat offentlich das Volck / sie sollten jnen halten.“ 323 Nach dieser bedrängenden Erfahrung mit dem Volkzorn schlug der Arnstädter Guardian eine Disputation mit Voigt vor, wie Voigt selbst erzählte: „Die wolt ich annemmen nit dem geding / man solt auß der Statt ins Kloster lassen gehen / vnnd zu lassen hören wer da wolt / das wollten sie nit thun / Sprachen / es möchte ein auffrhur werden. Da bat ich / man solt ein oder zween von den Fürstlichen Räthen darzu lassen kommen / das wollten sie auch nit zulassen / Endtlich wollten di zween Guardian mit mir handeln.“ 324 Von dieser Disputation sollte also das Volk ausgeschlossen sein, ja selbst mögliche Sympathisanten vom fürstlichen Hof sollten keinen Zutritt haben. Nur intern meinten die Franziskaner, noch die kontroversen Fragen behandeln zu können. Der Weimarer Guardian, damals Johannes Datoris [Gebhart], der mit dem Arnstädter Oberen zu einem Gespräch mit Voigt bereit war, musste ihn sogar warnen, sich vor den Brüdern zu hüten. Voigt glaubte sich daher nur noch durch seine Flucht aus Weimar vor dem Zorn der Brüder retten zu können.325 Die reformatorische Bewegung in Weimar ging weiter. Am 7. Mai 1524 musste der Weimarer Guardian Johannes Datoris wegen der häufigen Unruhen und Störungen des Gottesdienstes beim Fürsten Beschwerden vorbringen, ohne allzuviel davon erwarten zu können.326 Die Unruhen des Bauernkrieges blieben zwar von Weimar fern, da man früh gegen Thomas Müntzer und seine Anhänger, wie den Weimarer Prediger Johannes Laue und Andreas Karlstadt, vorging327 und da die Residenzstadt militärisch gut geschützt war.328 Für die Franziskaner wurde jedoch die Lage in Weimar immer bedrängender. Da sie einem 321 Siehe das Selbstzeugnis Voigts nach Rabus [Rabe], Ludwig: Historien der Heyligen Außerwolten Gottes Zeügen, Bekennern und Martyrern [...] Bd. 6. Straßburg 1557, 5v: „Johannes Voyt, etwan Barfüßer Ordens zu Weymar […] Als aber die Christlichen Fürsten / vnnd ander fromme leüt / begerten / man solt mich lassen Predigen / vnnd anhielten / des sich die Mönch nit länger kondten erwehren. Erlaubten sie mir auf den nüwen Jarstag zu Predigen / mit disem geding / so ich würde Predigen das der Lehre vnnd Geystligkeyt gemäß wer / so solt ich fürthin mehr Predigen / Aber da ich die Predig gethon / was für ein wesen vnder den Mönchen ward / wie vnder vnsinnigen leüten / das ein Wunder war das ich lebendig bliebe.“ 322 Siehe dazu Voigt [Vogt], Johann: Eyn sermon vom Newen Jare / durch Joan Vogt geprediget zuo Weymar ynn Barfüsser Closter / Darumb er als ein Ketzer von selben seinen bruodern geacht / und mit viel verfolgung veriagt. Zwickau [bei Jörg Gastel] 1523. Diese kleine Schrift mit einem kaum provokativen Abriss des reformatorischem Rechtfertigungsverständnisses ist bereits aus dem neuen Wirkungsort Voigts in Ronneburg dem Fürstlichen Kammersekretär Johann Riedesel gewidmet. 323 So nach einer Erzählung Voigts bei Rabus, Historien 5v. Der damalige Guardian des observantisch geprägten Arnstädter Konventes war Urban Walther. 324 Siehe ebd. 6rv. 325 Vgl. oben Kap. 3, Anm. 155; 157. 326 Siehe Müller, Luther und sein Einfluß 187. 327 Siehe ebd. 328 Von dort brach nach dem Tod Friedrichs des Weisen der neue Kurfürst Johann der Beständige am 20. Mai mit seinen Truppen auf, um die von den Aufrührern beherrschte Stadt Mühlhausen zu belagern.

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4. Das Ende von Franziskanerklöstern

Befehl von 1524, in reformatorischem Sinn das Evangelium zu predigen, nicht nachkamen, wurde ihnen wie allen altgläubigen Ordensleuten am 13. März 1525 die Predigt überhaupt verboten.329 War das zunächst eine Aktion des Hofpredigers Stein, gegen die Protest noch möglich war, so ließ man ab dem 17. August 1525 auf Befehl des neuen Kurfürsten Johann nur noch reformatorische Predigten zu und stellte den Widerstand dagegen unter Strafe.330 Den Franziskanern in Weimar war damit die Basis für ihr Wirken weitgehend entzogen, obwohl sie sich noch einige Zeit halten konnten, mit Unterstützung aus der Stadt und von außen.331 Eine gewisse Schonung der Weimarer Franziskaner, die selbst bei der Visitation von 1526 nur im Gespräch zur Umkehr ermahnt werden sollten, ergab sich ja aus ihrer Sorge für die Grabstätten der Herrscherfamilie in ihrer Kirche. Noch 1528 wurde Margaretha, eine Schwester Kurfürst Johanns, in der Franziskanerkirche beigesetzt.332 Erst bei einer erneuten Kirchen- und Schulvisitation im Herbst 1533 wurde auf Betreiben des Kurfürsten Johann Friedrich, der seinem Vater gefolgt war und noch entschiedener für die Reformation eintrat, den Franziskanern dort der Aufhebungsbeschluss mitgeteilt.333 Am 20. November 1533 zogen die Brüder in einer feierlichen Prozession aus der Stadt hinaus, nachdem sie vorher am Grab ihres Stifters Wilhelms III. das Ende ihres Klosters beklagt hatten.334 Einige Freunde selbst aus dem Rat der Stadt begleiteten sie ein Stück weit, bis sie von zwei Wagen aufgenommen und vom adeligen „Mönchsvater“ Albrecht von Meuselbach in sein Gut Schwerstedt gebracht wurden.335 Ein Teil der Brüder ging nach Langensalza, wie später am 13. März 1534 die franziskanischen Terziarinnen aus Weimar,336 weil im albertinischen Sachsen noch ein Ordensleben möglich war. Anders als die Weimarer Franziskaner waren die Brüder in Langensalza weniger von der reformatorischen Bewegung,337 sondern mehr von den Unruhen des Bauernkrieges betroffen, die nicht nur die Weiterexistenz des Klosters, sondern das Leben der Brüder bedrohten. Sie mussten deshalb nach Leipzig ausweichen.338 Nach der Niederlage der Bauern und der 329 Siehe Müller, Luther und sein Einfluß 189f. 330 Siehe ebd. 192. 331 Nur mit Spenden konnten sie ja überleben. Luther selbst wirft 1533 Herzog Georg von Sachsen vor, er habe im fremden Territorium des Kurfürsten Johann die Franziskaner in Steinlausigk (heute Muldenstein) und Weimar materiell unterstützt. Vgl. oben Kap. 1, Anm. 21. 332 Zu ihrem Grabmal vgl. Schmidt, Stadtkirche 97; 117. 333 Siehe Lemmens, Augustin von Alfeld 66 Anm. 2. Lemmens bezieht sich auf ein Schreiben von Cochläus an Lorenz von Truchseß: „Expulit novus elector Saxoniae nuper Franciscanos ex Weimar, qui hactenus in multis tribulationus ibi permanserunt.“ 334 Siehe Müller, Ernst: Magister Johannes Wolfs Niederschrift von 1559/60 über die kirchlichen Verhältnisse in Weimar vor der Reformation (mit Edition). In: Gockel, Michael / Wahl, Volker (Hg.): Thüringische Forschungen. Festschrift für Hans Eberhard zum 85. Geburtstag am 25. September 1993. Weimar 1993, 131–156, hier 149. 335 Siehe ebd. 149–152. 336 Siehe Wetten, Gottfried Alban: Historische Nachrichten von berühmten Residenzstadt Weimar, Bd. 1. Weimar 1737, 46. 337 Siehe Weigel, Petra: Thomas Weiß. Franziskaner in Eisenach – Guardian in Langensalza – Evangelischer Kaplan in Gotha. In: Bünz, Enno / Tebruck, Stefan / Walther, Helmut G. (Hg.): Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Festschrift für Matthias Werner zum 65. Geburtstag. Köln – Weimar – Wien 2007, 555–604, hier 575–577. Mit der Ausbreitung der neuen Lehre nahmen auch hier die Spenden ab, auf die die Brüder angewiesen waren, und die Franziskaner erlebten auch hier Anfeindungen, die ihnen das Leben schwer machten. 338 Siehe ebd. 577 Anm. 60.

Weimar und Langensalza

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Wiedereroberung Langensalzas stellte Herzog Georg der Bärtige als Gegner der Reformation weitgehend die bisherige Kirchenordnung wieder her. Ab 1526 waren wieder Franziskaner in Langensalza. Selbst der Provinzialminister Andreas Grone übte dort sein Amt aus,339 und 1529 konnte sogar das Provinzkapitel der Saxonia S. Crucis in Langensalza stattfinden.340 Guardian Ulrich Boller, der später 1544 in Schleusingen agierte und vertrieben wurde,341 wirkte von Langensalza aus 1531 beim Wiederaufbau der altgläubigen Seelsorge in der Umgebung bis nach Frankenhausen mit.342 Da auch im albertinischen Sachsen der Ordensnachwuchs ausblieb, waren die Brüder 1533 vermutlich dankbar, dass sie aus Weimar den Zuzug franziskanischer Exilanten erhielten.343 Mit dem Tod Herzog Georgs 1539 ging dann diese Zeit der Erholung des bisherigen kirchlichen und religiösen Lebens in Langensalza zu Ende. Wie in den anderen Städten der Herzogtums etwa in Leipzig, Chemnitz und Annaberg, wurde in Langensalza vom neuen Herzog Heinrich die Reformation eingeführt.344 Verzögerungsund Protestversuche von Seiten der städtischen Obrigkeit wie von Seiten der Franziskaner blieben ohne nachhaltigen Erfolg.345 Im Sommer 1539 verbot eine erste Kirchenvisitation den Brüdern Messfeiern und Beichthören, die Aufbewahrung des eucharistischen Sakramentes und alle öffentliche Tätigkeit, das Predigen und besonders jede Äußerung gegen die Reformation. Austritte aus dem Kloster und Heiraten wurden erlaubt, die Neuaufnahme von Novizen wurde dagegen untersagt.346 So war das Ende klösterlichen Lebens im albertinischen Herzogtum Sachsen abzusehen. Bei einer zweiten Visitation in Langensalza mussten alle elf Tertiarinnen ihre Ordenstracht ablegen. Die Franziskaner, der hochbetagte Guardian Nikolaus Witterstedt (oder: Willerstedt), der aus Weimar stammte, wie die vier Laienbrüder, wollten ihren Habit nicht ablegen, sie boten stattdessen am 2. Oktober 1540 ihren sofortigen Abzug aus der Stadt an.347 Doch vielleicht wegen Interventionen von außen348 mussten die Franziskaner erst am 26. Januar 1541 Langensalza verlassen, meist nach Mühlhausen. Dort wirkte noch der frühere Langensalzaer Vizeguardian Eberhard Fabri als Prediger, der nach der Vertreibung der Franziskaner aus Mühlhausen 1542 nach Eger weiterzog. Einige Brüder, die in der Umgebung von Langensalza in der ordentlichen Seelsorge eingesetzt waren und besonders der frühere Guardian Thomas Weiß aus Kronach, sollen sich schon 1538 der Reformation angeschlossen haben.349 339 Vgl. besonders Grones Brief an den Magistrat zu Magdeburg 1526, der von Langensalza datiert ist. Vgl. oben Anm. 118. 340 Siehe Weigel, Thomas Weiß 586 Anm. 93. 341 Vgl. oben Anm. 265–267; 279–282. 342 Siehe Einicke, Gustav: Zwanzig Jahre Schwarzburgische Reformationsgeschichte 1521–1541. Bd. 1. Nordhausen 1904, 411. 343 Siehe Weigel, Thomas Weiß 586 Anm. 92. 344 Siehe ebd. 594; 598 Anm. 128. 345 Siehe Wartenberg, Günther: Landesherrschaft und Reformation. Moritz von Sachsen und die albertinische Kirchenpolitik bis 1546. Gütersloh 1988 (Quellen und Forschungen zur Refomationsgeschichte, 53) 101. 346 Siehe Gerss, Walther: Zur Einführung der Lutherischen Reformation im Amt Salza und Thamsbrück 1539– 1541. Langensalza 1939, 14–29. 347 Siehe ebd. 30. 348 Zu einer entsprechenden Bitte um Aufschub des früheren Langensalzaer Guardians Raimund Alman aus Mühlhausen vgl. Dorn, Claudia: Die Klöster im mittelalterlichen Salza und deren Bedeutung für die Stadtgeschichte. Langensalza 1995, 71. 349 Siehe insgesamt Weigel, Thomas Weiß 597f. Thomas Weiß begründete bereits 1538 seinen relativ späten Übergang zur Reformation in einem Bittgesuch an den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen. Vgl. den

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4. Das Ende von Franziskanerklöstern

Wie bei den beiden Konventen Weimar und Langensalza stellten sich die observant geprägten Franziskaner in Magdeburg und Schleusingen so lange wie möglich der Reformation entgegen. Einzelne Brüder freilich wie in Steinlausigk Johannes Fleck, wie in Weimar Johann Voigt und Friedrich Myconius, wie in Magdeburg Johannes Fritzhans suchten und fanden in der reformatorischen Bewegung aber früher oder später die Befreiung aus der observantischen Tradition und aus den Werken äußerer Askese, ähnlich wie das schon vorher bei Luther selbst der Fall war. In den ‚martinianisch‘ geprägten Konventen wie Wittenberg und Torgau, wie Zwickau und Altenburg, wie Ribnitz und Meiningen passten sich die Brüder eher an die Zeitströmungen an, obwohl hier zunächst manche sich einer so tiefgreifenden Veränderung ihres Lebens und Wirkens, wie die Reformation sie ihnen abnötigte, nur ungern beugten, ja eher dazu gezwungen werden mussten wie der letzte Guardian von Torgau, Urban Abern. Anscheinend hatten die reformatorischen Gegner vor dem unbeugsamen Widerstand der Observanten mehr Respekt als vor der Anpassungsbereitschaft ‚martinianisch‘ geprägter Franziskaner. Eine vermittelnde Linie, wie sie am Beginn der Reformation noch möglich schien, erwies sich ja damals bald als völlig aussichtslos.

Text dieses Bittgesuchs, ebd. 603f.

5. Profilierte theologische Gegner der Reformation in der franziskanischen Saxonia Schon bisher kamen Franziskaner der Saxonia zur Sprache, die sich in den Entscheidungsjahren der Reformation gegen die Neuerung zu Wort gemeldet haben, wie besonders Augustin von Alveldt, oder vor dem Ende der einzelnen Konvente dagegen Stellung bezogen, wie etwa in Magdeburg Johannes Grever oder in Schleusingen Ulrich Boller. Doch nun sollen noch einige Brüder persönlich vorgestellt werden, die sich in der Auseinandersetzung mit der Reformation durch ihr Auftreten oder ihre Veröffentlichungen theologisch besonders profilierten.

5.1. Alexander Svenichen Wie Alexander Svenichen als Gegner der Reformation hervortrat, lässt sich nicht so einfach feststellen. Denn anscheinend hat er nie in einer ausführlichen schriftlichen Äußerung dazu Stellung bezogen. Geboren vermutlich im preußischen Neumarkt bei Löbau,1 scheint er zu Danzig in den Orden eingetreten zu sein. Das mag dem Einfluss von Laurentius Svenichen zu verdanken sein, vielleicht sein Onkel väterlicherseits, der seit 1491 Kustos der Kustodie Preußen war.2 Im Danziger Studienkloster der Kustodie wurde Alexander Svenichen jedenfalls ausgebildet. Die Kustodie Preußen gehörte damals zur ‚martinianisch‘ reformierten Saxonia S. Johannis Baptistae und umfasste außer dem Trinitatis-Kloster in Danzig Klöster in Thorn, Kulm, Braunsberg und Wartenburg. Daneben entwickelte sich noch eine observante Kustodie in Preußen und Livland mit Klöstern in Riga, Dorpat, Lemsal, Fellin, Saalfeld, Wehlau, Lauenburg, Hasenpoth, Kokenhusen, Löbau, Wesenberg, Tilsit und Königsberg, die nach der Vereinigung der Reformrichtungen 1517 mit der Saxonia S. Crucis verbunden waren.3 Alexander Svenichen wurde von seiner studienfreundlichen Provinz, vielleicht bereits als Lektor der Theologie, zum weiteren Studium 1503 an die neugegründete Universität Wittenberg geschickt. Dort wurde er 1507 zum Baccalaureus biblicus, 1509 zum Lizentiat und in der Pfingstwoche 1510 zum Doktor der Theologie promoviert und hielt danach eine Zeit lang in der Fakultät Vorlesungen.4 Eng verbunden war er dort mit seinem preußischen Landsmann Ludwig Henning, der an der Gründung der Universität beteiligt war, als Professor in Wittenberg scotistische Theologie lehrte und 1507 zum Provinzialminister der Saxonia gewählt wurde.5 Gute Kontakte pflegte Svenichen zu Johann von Staupitz, der von Seiten der Augustiner-Reformkongregation die Gründung und den Ausbau der Wittenberger Univer 1 Dafür spricht, dass ihm sein Verwandter oder gar Bruder Lukas Svenichen aus Neumarkt, der 1498 in Leipzig immatrikuliert wurde, seine Bücher überließ. Vgl. Borawska, Teresa / Rietz, Henryk: Alexander Svenichen (gest. 1529). Ein preußischer Franziskaner in den Wirren des Reformationszeitalters. In: Arnold, Udo u. a. (Hg.): Preußische Landesgeschichte. Festschrift für Bernhard Jähnig zum 60 Geburtstag. Marburg 2001, 175–185, bes. 176 Anm. 14, 179 Anm. 30; vgl. auch Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 60 Anm. 2. 2 Siehe Borawska / Rietz, Alexander Svenichen 176 Anm. 11. 3 Siehe Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 55 Anm. 5. Das Kloster zu Wehlau wurde erst 1520 den Observanten übergeben (ebd. 55 Anm. 4). 4 Vgl. ebd. 60 Anm. 1–2; Borawska / Rietz, Alexander Svenichen 177f. 5 Siehe Borawska / Rietz, Alexander Svenichen 177f.; vgl. auch Schmies, Ludwig Henning 96–98.

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5. Profilierte theologische Gegner der Reformation

sität förderte und zum theologisch-pastoralen Mentor Martin Luthers wurde.6 Noch enger befreundet war Svenichen mit dem Juristen Christoph Scheurl, der ihn in einer Widmung „als sehr tiefsinnigen Herrn Doktor der Heiligen Theologie und Freund“ feierte.7 Von der aufkommenden humanistischen Strömung an der Universität Wittenberg scheint Svenichen angerührt worden zu sein, obwohl erst eine Erforschung der von ihm hinterlassenen Bücher und der darin eingetragenen Randglossen seine Denkrichtung genauer erfassen könnte.8 Vermutlich hatte sich Svenichen an der Seite seines Provinzials Ludwig Henning, unter Mitwirkung von Johann von Staupitz und Christoph Scheurl und mit Unterstützung Friedrichs des Weisen, für eine weitere Reform des Ordens und für die Vereinigung der ‚martinianischen‘ Brüder mit den Observanten eingesetzt.9 Jedenfalls wurde er vom Provinzial Ludwig Henning gemeinsam mit einem Bruder Andreas Sonnenberg beauftragt, an den Beratungen des Observantenkapitels in Lüneburg (3. 2. 1511) teilzunehmen.10 In seiner Wittenberger Zeit könnte Svenichen bereits Martin Luther kennengelernt haben. Allerdings kam er später nicht auf diese Bekanntschaft zu sprechen. Svenichen war ja vielleicht nach dem Amtsverzicht des Provinzials Henning 1515 in seinen Heimatkonvent Danzig zurückgekehrt. Das 1419 gegründete Trinitatis-Kloster, im Westteil der alten Danziger Vorstadt in der Fleischergasse mit der Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit und der Jungfrau Maria, war der zentrale Studienort der Kustodie Preußen und der Sitz des Kustos. Hier konnte Svenichen mit dem bedeutenden Guardian Theophil Quandt und dem Kustos Johannes Zelislawski zusammenarbeiten. Beide waren wie Svenichen mit dem früheren Provinzial Ludwig Henning eng verbunden und unterstützten dessen Reform- und Unionsbestrebungen. Mit Quandt, der ebenfalls Lektor der Theologie war, musste Svenichen in Danzig für die Ausbildung der jungen Brüder und die Weiterbildung der älteren sorgen.11 Eigens erwähnt wurde aber erst seine Teilnahme am gemeinsamen Provinzkapitel von Observanten und ‚Martinianern‘ in Frankfurt / Oder, bei dem er als Diskret zusammen mit seinem Kustos Johann Zelislawski die Kustodie Preußen vertrat und mit der ganzen Saxonia sich am 28. 1. 1518 für die Annahme der Unionsbulle Leos X. („Ite et vos in vineam meam“, 29. 5. 1517) entschied.12 „Für die Martinianer bedeutet diese Vereinigung, die erst auf Vermittlung des Provinzial­ ministers der Straßburger Franziskanerprovinz, Johannes Machyssen, zustande kam, die 6 Von Staupitz erhielt er das Buch des Rubius Longipollus, Johann: Encomium in errores quos pueriliter commisit, Wittenberg (ohne Ort, ohne Jahr). Wie andere Bücher Svenichens, die er dem Konvent Braunsberg übergab, blieb es in der Universitätsbibliothek Uppsala erhalten (Sign. 33.99.5). Siehe Borawska / Rietz, Alexander Svenichen 178 Anm. 26. 7 Siehe dazu Scheurl, Christoph: Oratio doctoris Scheurli attingens litterarum prestantiam necnon laudem Ecclesie Collegiate Vitenburgensis. Leipzig 1509: „sacrae theologiae doctori profundissimo domino et amico“. Zitiert nach Borawska / Rietz, Alexander Svenichen 178 Anm. 27. 8 Siehe Borawska / Rietz, Alexander Svenichen 178f. Anm. 28–31. Hier wird eine solche nähere Untersuchung angekündigt (ebd. 178 Anm. 28). 9 Ebd. 179; vgl. auch Schlageter, Das Franziskanerkloster in Wittenberg 93 Anm. 45. Interessant ist jedenfalls, dass eines von Svenichens Büchern, nämlich die Vorlesung des Tübinger Franziskaners Paulus Scriptoris über das 1. Buch des scotischen Sentenzenkommentars 1505 mit dem Geld der „Herzöge von Sachsen“ angeschafft wurde. Vgl. Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 60 Anm. 2. Das unterstreicht noch einmal Svenichens Verbindung zu Johann von Staupitz, der die Vorlesungen des Lektors Paulus Scriptoris in Tübingen schätzen gelernt hatte, sowie seine guten Kontakte zum kurfürstlichen Hof. 10 Siehe Borawska / Rietz, Alexander Svenichen 179. 11 Vgl. zum Ganzen ebd. 179f. 12 Ebd. 178; Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 60.

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Aufgabe vieler ihrer Privilegien“, wie es in „Spuren franziskanischer Geschichte“ von Schmies / Rakemann heißt.13 Doch Svenichen und seine Mitstreiter hatten damit ein wichtiges Ziel ihrer Bestrebungen erreicht. Die verbliebenen Mentalitätsunterschiede führten aber auf dem Generalkapitel zu Lyon 1518 zur Errichtung zweier Provinzen. Neben der bisherigen ‚martinianisch‘ geprägten Saxonia St. Johannis Baptistae entstand die observant geprägte Saxonia S. Crucis. Auch in Preußen kam es zu keiner intensiveren Zusammenarbeit beider Reformrichtungen, sodass sogar die vom Danziger Guardian Theophil Quandt gewährte gelegentliche Gastfreundschaft für Observanten eine rühmenswerte Ausnahme blieb.14 Svenichen unterschrieb als neuer Kustos der Kustodie Preußen am 13. 10. 1521 auf dem Provinzkapitel der Saxonia St. Johannis Baptistae in Neubrandenburg den Beschluss zur Teilung dieser umfangreichen Provinz, sodass seitdem die Kustodie Preußen und 5 weitere Kustodien (Breslau, Goldberg, Leipzig, Meißen, Thüringen) die neue obersächsische Provinz bildeten.15 Borawska / Rietz vermuten, dass die beginnende „Entvölkerung der Klöster“ zu diesem Beschluss geführt habe.16 In dem Teilungsbeschluss selbst ist jedoch vom zu großen Umfang der Provinz die Rede, die die Provinzialminister an einer sorgfältigen Visitation aller Konvente hindere und die schon öfters die Teilung der Provinz nahegelegt habe.17 Man erwartete davon sogar ein „heilsames Wachstum des Ordenslebens“.18 Die beginnende Reformation dürfte sich damals aber insofern bemerkbar gemacht haben, dass die Brüder sich in ihrer Antwort darauf nicht einig waren. Von der „Teilung der Nationen“ erwartete man ja einen Zuwachs nicht nur für das Ordensleben, sondern auch für das Studium der Heiligen Schrift. Schließlich wurde der von der Reformation zunächst und besonders betroffene Studienkonvent Wittenberg auf inständigen Wunsch des Kurfürsten Friedrichs des Weisen aus der Kustodie Magdeburg gelöst und der neuen obersächsischen Provinz zugeschlagen.19 So waren die Brüder der neuen Provinz, die ohne vorherige Abstimmung mit Generalleitung und Generalkapitel des Ordens die Provinzteilung durchsetzten, eher aufgeschlossen für eine Neuorientierung des Ordenslebens besonders in der Neubesinnung auf die Heilige Schrift. Denn eine solche Erneuerung mochten sich viele zur damaligen Zeit von den aus

13 Siehe Schmies / Rakemann, Spuren 247. 14 Das zeigt etwa ein Dankesbrief des Rigaer Franziskaners Antonius Bomhower an Theophilus Quandt (Stettin, 12. 8. 1522), der auf weiter bestehende Probleme für die „Eintracht“ (concordia) beider Familien hinwies. Siehe Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen (nr. 4) 94–96. 15 Siehe Haselbeck, Urkundenbuch I/2, 3: „Ego frater Alexander Svenichen, custos Prussie, ea, que supra, sic acta, protestor et manu propria mea et sigillo.“ Man könnte freilich aus der Tatsache, dass Svenichen nicht wie andere, Provinzial und Kustoden, seine Zustimmung ausdrücklich betont, schließen, er sei doch nicht ganz von der Provinzteilung überzeugt gewesen. 16 Siehe Borawska / Rietz, Alexander Svenichen 180 Anm. 39. 17 Haselbeck, Urkundenbuch I/3, 2: „cum ob nimiam amplitudinem provincie nostre Saxonia ministri hactenus impediti fuerint, ne conventus omnes debita diligentia visitarent, sepius inter patres custodes et discretos in plerisque convocationibus tractatum est de divisione eiusdem provincie iuxta nationes, superiorem videlicet et inferiorem“. 18 Ebd.: „[...] arbitrantibus multis, id maximopere expedire ad salubre religionis incrementum“. 19 Siehe insgesamt ebd. 3: „[...] quo sacratissime religionis nostre observacio ac sacrarum litterarum studium salubriter excrescere possint ac valeant. Denique, cum illustrissimus princeps et dominus Fridericus, Saxonie dux etc., sacri Romani imperii elector, dominacionis sue litteris ad dictum nostrum capitulum directis instanter optaverit, ut, si divisio nacionum fieret, conventus Wittenbergensis sub dicione dominacionis sue et in custodia Magdeburgensi constitutus conventibus superioris nacionis iungeretur [...].“

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Wittenberg kommenden reformatorischen Impulsen erhoffen. Svenichen schrieb noch 1523 in einem Brief an den Danziger Guardian Quandt: „Was die Lutherische Partei schließlich für unseren Orden hervorbringen wird, weiß ich nicht; von Tag zu Tag gewinnt sie an Kraft und Wachstum.“ 20 Inzwischen hatte freilich die „Entvölkerung der Klöster“ bereits begonnen, wie 1522 der Bildhauer Bruder Martin Leuther an Quandt schrieb: „der Konvent in Wittenberg ist leer und geschlossen. Und viele Brüder verlassen das Ordenskleid aus diesem Grund, weil die Leute sie nicht mehr mit Almosen unterstützen wollen usw.“ 21 Und Leuther bringt solche Ordensaustritte in Beziehung zu Martin Luthers Auffassungen: „Das kommt, wie gut zu glauben ist, von vielen Redereien dieses Martin Luther, denn vieles wird von ihm gesagt, wie ihr besser wisst aus dessen Vorlesungen.“ 22 Das muss nicht unbedingt eine persönliche Teilnahme Quandts an Luthers Vorlesungen bedeuten, sondern meinte vielleicht nur, dass der Danziger Guardian und Lektor infolge seiner eigenen Lektüre mit Luthers Auffassungen „besser“ vertraut war, von denen nach Leuther auch Svenichen bei den Visitationskapiteln in den Konventen sprach.23 Was Svenichen zu Luther zu sagen hatte, wurde aber leider nicht mitgeteilt. Er dürfte aber etwas differenzierter als der Bildhauer Leuther über Luthers Lehre geurteilt haben. Wenn er sogar 1523 die Wirkungen von Luthers Reformationsimpulsen auf den eigenen Orden noch offen lässt, mag er gewisse Hoffnungen auf Erneuerung nicht ganz aufgegeben haben. Diese relative Offenheit gegenüber Luthers Unternehmen erklärte jedenfalls Svenichens Haltung und Verhalten, als die reformatorische Bewegung Danzig erreichte. Sie verband sich hier mit einem Aufbegehren der unteren Schichten gegen das patrizische Stadtregiment und die höhere Geistlichkeit, die man für die wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten der Stadt besonders infolge des damaligen Krieges zwischen dem Deutschen Orden und dem polnischen König mitverantwortlich machte. Bereits 1522 forderte man die Übergabe einer der Danziger Kirchen an die lutherisch Gesinnten. Doch erst im August 1523 führte die Volksbewegung durch die Aktivität der radikalen „Sturmprediger“ zum bewaffneten Aufstand der Armen unter dem Barbiergesellen Matern, der durch dessen Hinrichtung nicht 20 Siehe Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 94 (Brief aus Neuenburg vom 25. Juli 1523): „Faccio ipsa Luteriana quid finaliter ordini nostro excitabit, nescio; de die in diem robur sumit atque incrementum.“ 21 Siehe Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen (Brief aus Braunsberg vom 3. Februar 1522) 92: „conventus in Wittenbergk est vacuus et clausus. Et multi fratres reliquunt habitum propter hanc causam, quia homines nolunt eis subvenire elemosinis etc.“ Im Gerücht zugespitzt geht es um das Vorgehen des Wittenberger Stadtrates gegen die Bettelorden. Er erklärte am 25. Januar 1522 unter dem Einfluss Karlstadts, keine Bettelmönche mehr in der Stadt zu dulden, die Brüder sollten sich bis zum 30. März entschließen, ein Handwerk zu lernen, die älteren sich der Krankenpflege widmen. Vgl. Schlageter, Das Franziskanerkloster in Wittenberg 106 Anm. 104. 22 Speziell spricht Leuther von einem Bruder Subdiakon, den die „schlechten Brüder aus Wehlau“, also die Observanten, vertrieben haben und der in Braunsberg den Orden verließ. Siehe ebd. 92: „hoc venit, sicut bene credendum est, de multis garrulacionibus istius Martini Lutther, quia multa dicuntur ab eo, sicut vobis melius notum est ex leccionibus suis“. Luthers Schrift De votis monasticis war noch nicht im Druck erschienen, aber seine Kritik des traditionellen Ordenslebens war sicher bekannt. 23 Siehe ebd.: „paternitas dixit aliqua in capitulo, quod celebravit sexta feria ante Purificacionis [...] de doctrinis Martini Lutther, sicut ut puto vobis eciam dixit in capitulo“. Sevenichen kam am 27. Januar zur Visitation nach Braunsberg, um wohl zum Abschluss seiner Visitation am 31. Januar das Hauskapitel zu halten, auf dem er auch über die Lehren Martin Luthers sprach.

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ganz gebrochen werden konnte, sondern sich im September gewaltsam gegen altgläubige Bräuche und Kirchen wandte.24 Etwa in dieser Zeit verließ Christoph Medigen den Orden, der im Oktober 1523 gegen seine ehemaligen Brüder und gegen den ganzen Orden predigte, ihrer Lebensform pharisäische Heuchelei vorwarf und die Nichtigkeit ihres Lebens und ihrer Regel vor Gott erklärte. Die Brüder wagten nicht, gegen ihn vorzugehen, denn er behauptete, er habe mit Erlaubnis des Kustos Svenichen den Orden verlassen, ja Svenichen selbst sei ein Lutheraner und werde in Kürze den Orden verlassen.25 Anscheinend gab Svenichens vorsichtige, differenzierte und irenische Einstellung zur lutherischen Lehre Anlass zu solchen Behauptungen. Aber gerade diese Einstellung schien dem Rat der Stadt geeignet, das kirchliche Geschehen in Danzig in ruhigere Bahnen zu lenken. So wurde Svenichen zum maßgebenden Predigtamt der Stadt an der Marienkirche berufen, „um das Evangelium rein und unverfälscht zu verkünden, um jene Prediger zum Schweigen zu bringen, die das Wort Gottes zum Vorwand ihrer Bosheit und ihrer fleischlichen Freiheit missbrauchten, und um die alten Bräuche aufrechtzuerhalten, bis der christliche Erdkreis eine höhere Entscheidung treffen würde“. Das erklärte der Rat von Danzig in einem Brief dem „Professor der Heiligen Schrift und Minister der Minderbrüder der obersächsischen Nation“ Petrus Fontinus [von Borna]26, um Svenichen zu entschuldigen, weshalb er in der Stadt unbedingt gebraucht wurde und nicht am Provinzkapitel zu Pfingsten 1524 in Dresden teilnehmen konnte.27 Dieser ausführliche Brief macht deutlich, welche theologischen und menschlichen Qualitäten Svenichen zuerkannt wurden. Weil bei vielen Predigern Leben und Lehre nicht gut übereinstimmten, waren die Stadtväter nun froh, denn „uns begegnete der ehrwürdige Vater, der Minderbruder Alexander, Bekenner der wahrhaftigeren Philosophie Christi, der in der Wahrhaftigkeit zugleich des Lebens und der Lehre sich nicht nur uns, sondern allen, zu denen Ruf und Ruhm seines Namens drangen, zu erkennen gab“.28 Ihn konnten sie mit allen Predigern der Stadt entweder öffentlich im Rathaus oder privat im Kloster zusammenbringen und ihn konsultieren, „wie es geschehen könnte, dass das heilige Evangelium und Gottes Wort uns und allem Volk dieser Stadt ohne menschliche Erdichtungen durch von Menschen ausgedachten Lehren rein, echt und ohne philosophische Ränke verkündet würde“.29 Sollte aber eine Zweideutigkeit oder eine Schwierigkeit auftauchen, müsste man eine Lösung dieses Zweifelsfalles nur aus der Heiligen Schrift oder beim Doktor Alexander 24 Siehe insgesamt Borawska / Rietz, Alexander Svenichen 181. 25 Siehe Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 97 (Brief des Thorner Guardians Franz Wynther an Theophilus Quandt vom 13. Oktober 1523). 26 Fontinus war Wittenberger Professor, im Sommersemester 1519 Dekan der theologischen Fakultät und Teilnehmer an der Wittenberger Franziskanerdisputation (vgl. oben Kap. 1, Anm. 79, 106, 191f., 206). Die Anrede zeigt übrigens, dass die Umbenennung der obersächsischen Provinz zur thüringischen Provinz durch das Generalkapitel von Burgos 1523 (vgl. Haselbeck, Urkundenbuch I/1, 6–8) nicht rezipiert wurde. 27 Siehe insgesamt Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 100–103. 28 Ebd. 101: „occurrebat nobis venerandus pater Alexander Minorita, sincerioris Christi philosophie professor, qui vite simul atque doctrine sinceritate se nedum nobis, verum omnibus, ad quos sui nominis celebris fama pervenit, spectatum exhibuit“. 29 Ebd. 101: „[...] consultantes, quibusnam modis fieri possit, ut sacrosanctum evangelium divinusque sermo nobis ac unverso populo huius urbis sine humanis figmentis ex hominum excogitatis doctrinis pure, germane et absque ullis philosophicis tricis annuntiaretur“; „germane“ heißt nicht „deutsch“ (so anscheinend

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Svenichen suchen. Zum anderen sollte man das, was von den Alten überliefert wurde, niemals übereilt abschaffen, sondern eine höhere Entscheidung der ganzen Christenheit abwarten.30 Die Orientierung an der Heiligen Schrift hatte also den Vorrang, sie sollte aber im Konsens gefunden werden, wobei das gelehrte Urteil Svenichens besonderes Vertrauen genoss und der reformerische Eifer sich nicht übereilt an der Überlieferung der Vorzeit vergreifen durfte. Denn letzlich wollte man die kommenden universal gültigen Entscheidungen abwarten. Diese ausgleichenden Regelungen garantierten nach Meinung der Stadtrates bisher, dass durch die vermittelnde Führung Svenichens alle beinahe dassselbe meinen. Aber sollte Svenichen nicht mehr zur Verfügung stehen, müsste man bei der Vielfalt der Prediger die früheren verderblichen Auseinandersetzungen wieder befürchten.31 Der Frieden, der so bewahrt werden sollte, ließ sich freilich nicht auf die Dauer halten, denn die mit der Reformation sympathisierenden Unterschichten setzten im Sommer 1524 die Wahl von ihnen genehmen Predigern und politischen Vertretern (12 Rentmeister, ein Hauptmann) durch, die den patrizischen Rat mehr und mehr überspielten.32 Die Ordensleute wurden nun aufgerufen, mit den Predigern des Volkes ihre Lebensform und Lehre zu diskutieren. Als sie das ablehnten33, wurde ihnen erlaubt, ihre Klöster zu verlassen, denen aber, die dort blieben, wurde das Betteln, die Aufnahme neuer Brüder und jede öffentliche Tätigkeit verboten. Nur für sich sollten sie noch Messe und Tagzeiten halten dürfen. Svenichen musste diesen Beschluss selbst am 15. Januar 1525 von der Kanzel der Marienkirche verkünden. Dennoch scheute er sich nicht, seinem Predigtauftrag am Sonntag danach, dem 22. Januar, in franziskanischer Kutte weiter nachzugehen. Obwohl ihn der Handwerksgeselle Berndt von Eidten daran hindern wollte, hielt er seine Predigt.34 Der Tumult, der daraus entstand, endete mit der Kapitulation des alten Rates, der nun ganz dem Programm der reformatorisch gesinnten Volkspartei, dem sogenannten „Artikelsbrief “, folgen musste. Das brachte für Danzig grundlegende Veränderungen in wirtschaftlicher, sozialer und kirchlicher Hinsicht mit sich. Kirchlich bedeutete es die Wahl der Geistlichen durch die Glaubensgemeinde, die Abschaffung bisheriger Gottesdienstformen und die Umwandlung der Klöster in Krankenhäuser und Schulen. Franziskaner und Dominikaner mussten ins Karmelitenkloster umziehen, das zum Aussterben bestimmt war. Ein besonderer Satz der neuen Kirchenordnung, des „Artikelbriefes“, war Svenichen gewidmet:

Borawska / Rietz, Alexander Svenichen 182 Anm. 47), sondern „echt, recht, wahr“; denn etwas später wird das erläutert „juxta germanum sensum“, gemäß dem echten, wahren Sinn. 30 Ebd. 101: „si quid difficultatis aut ambigui sese offeret, eiusce rei dubie resolutio nonnisi e sacris litteris aut ab ipso doctore Alexandro peteretur; alia vero, que ceu per manus a majoribus tradita sunt, nequaquam tam repente summoveretur, sed exspectandam esse maiorem et christiani orbis diffinitionem“. 31 Ebd. 102: „nam timebamus, per alios zizanie seminatores post eius discessum purum tritici semen divini verbi suffocatum iri, und futurum esset, ut plebs huius regie urbis ex concionatorum varietate, qui nunc sub eius directione fere idem sentiunt, in diversum traheretur neque sibi constaret, et exinde haud parva turbatio foret exspectanda, qua in republica nihil pestilentius esse satis antiquorum et recentiorum exemplis compertum est“. 32 Siehe Borawska / Rietz, Alexander Svenichen 182; Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 64. 33 Zum entsprechenden Brief der Franziskaner siehe Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 64f., 105f. Die Franziskaner gestehen aber dort selbst jedem Bruder zu, wenn er es möchte, ungehindert den Orden zu verlassen. 34 Siehe Borawska / Rietz, Alexander Svenichen 183; Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 66f. Den Ungehorsam gegen das ihm vorher auferlegte Verbot hat Svenichen wohl im Gehorsam gegen den ihm göttlich und menschlich gegebenen Predigtauftrag begründen können.

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„Den Doktor Alexander soll man als einen Heiden halten, so er die Kappe nicht auszieht und die Schrift rein predigt.“35 Svenichen verließ daher die Stadt und fand in einem anderen Konvent Zuflucht. Der polnische König Sigismund befahl, die reformatorischen Änderungen in Danzig rückgängig zu machen. Als man ihm nicht folgte, erschien er im April 1526 mit seinem Heer in der Stadt. Vierzehn der Volksführer wurden enthauptet, andere in Gefangenschaft genommen oder aus der Stadt verwiesen. Der zuständige Bischof Matthias Drzewicki von Kujawien verurteilte alle Priester und Ordensleute, die eine Neigung zur Reformation gezeigt hatten, und verbannte mehr als 100 aus der Stadt, unter ihnen 18 Franziskaner verschiedener Herkunft.36 Mit den übrigen Danziger Franziskanern durfte Svenichen in sein Kloster zurückkehren und erhielt erneut die ehrenvolle Berufung zum Prediger der Marienkirche, die er bis zu seinem Tode im September 1529 wahrnehmen konnte. Am 3. August 1526 rühmte der vom König eingesetzte Rat von Danzig in einem Brief an Benedikt von Löwenberg, den Provinzial der obersächsischen (thüringischen) Provinz, den „Minister der Saxonia“, die Verdienste Svenichens bei der Zurückführung des Volkes vom Luthertum zum rechten Glauben und Ritus der römischen Kirche, die gleich nach denen des polnischen Königs besonders hervorgehoben wurden. Damit er sich noch mehr dieser Aufgabe widmen könnte, sollte ihn der Provinzial von den Visitationspflichten des Kustodenamtes entbinden.37 Nach der Erfüllung dieser Bitte dankte der Rat dem Provinzial Benedikt, „dem Minister der Minderbrüder des Ordens des hl. Franziskus in der Provinz von Sachsen und Schlesien usw.“38 Dem Schutz, den hier die Räte von Danzig dem Franziskanerkloster in ihrer Stadt zusicherten, scheint Svenichen nicht so viel Kraft zugetraut haben, dass er auf eine neue Blüte seines Klosters hoffte. Denn seine Bücher hinterließ er dem Kloster zu Braunsberg. Doch alle Klöster in der preußischen Kustodie, nicht nur das zu Danzig, verödeten schließlich aus Mangel an Nachwuchs. Ein erster Versuch, mit Brüdern aus Polen die Lücken zu schließen, gelang nicht, vielleicht wegen der Sprach- und Mentalitätsunterschiede.39 Erst gegen Ende des Jahrhunderts, nach dem Aussterben der deutschen Brüder, übernahmen polnische Franziskaner das Gebiet von Westpreußen in ihre Regie.40 Das theologische Profil von Alexander Svenichen ist nicht einfach zu bestimmen, obwohl er die Auseinandersetzung mit der Reformation in Danzig maßgeblich führte. Seine humanistische Orientierung an der Heiligen Schrift machte ihn offen für das Grundanliegen der Reformation. Dennoch wollte er die Tradition seines Ordens und seiner Kirche festhalten und verteidigen. Während ihn das zunächst für Vermittlung und Konsens-Suche qualifizierte, wurde Svenichen bei der politischen und konfessionellen Verschärfung der Gegensätze 35 Siehe Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 67 Anm. 2; Borawska / Rietz, Alexander Svenichen 183 Anm. 54. Das reformatorische Schriftprinzip wurde nun gegen die franziskanische Existenz Svenichens ausgepielt, ohne noch Raum zu lassen für Vermittlung und Konsens. 36 Siehe Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 68 Anm. 1; Borawska / Rietz, Alexander Svenichen 183f. Anm. 55. 37 Siehe Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 69 Anm. 1, 106f.; Borawska / Rietz, Alexander Svenichen 184 Anm. 56. 38 Siehe Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 69 Anm 1, 107–109, bes. 107: „Reverendo et religioso patri patri Benedicto, fratrum minorum ordinis S. Francisci de observantia per provintiam Saxonie et Silesie etc.“ Auch hier wurde der ‚offizielle‘ Name als Thüringische Provinz nicht erwähnt. 39 Das zeigt 1555 ein Brief des Kustos von Preußen, Johann Rollaw, an den Rat zu Danzig. Siehe Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 110f. 40 Siehe Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 76.

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zum Hauptgegner einer radikalen Reformation und danach zum Protagonisten der politisch durchgesetzten Gegenreformation. Die Sehnsucht nach Eintracht und Verständigung, die sowohl sein ordenspolitisches Engagement wie seinen kirchlich-pastoralen Einsatz motivierte, scheiterte so an der Härte der Auseinandersetzungen, die seine Zeit prägte.

5.2. Konrad Klinge Besser als bei Alexander Svenichen lässt sich bei Konrad Klinge das theologische Profil erkennen, das sich in seiner Auseinandersetzung mit der Reformation speziell in Erfurt entwickelte, denn es ist in mehreren Werken dokumentiert und hat schon verschiedentlich Beachtung gefunden.41 Konrad Klinge war seit seinen Universitätsstudien ab 1518 eng mit Erfurt verbunden. Vorher kümmerte er sich im Franziskanerkloster der Reichsstadt Nordhausen als Lektor um die Ausbildung seiner Brüder. In Nordhausen war er wohl in den Orden eingetreten, vielleicht weil er dort auch geboren war. Genaueres über seine Herkunft ist aber nicht bekannt. Selbst das Jahr seiner Geburt 1483/84 lässt sich nur ungefähr aus dem Lebensalter von 72 Jahren erschließen, das er bei seinem Tod am 10. März 1556 erreicht hatte.42 Erstmals erwähnt wurde der Nordhausener Lektor Konrad Klinge, als der Provinzial seiner studienfreund­lichen, ‚martinianisch‘ geprägten Provinz Saxonia St. Johannis Baptistae, Hermann Nedewolt, ihm in einem Brief vom 2. Februar 1518 den ihn betreffenden Beschluss des Provinzkapitels in Frankfurt/Oder mitteilte. Denn „wegen euerer besonderen Verdienste und der vorzüg­lichen Eignung euerer Person“ sollte Klinge an der Erfurter Universität sich graduieren und – soweit möglich – bis zum theologischen Doktorat gelangen.43 Die Erfurter Universität hatte damals einen guten Ruf.44 Ein großes Ansehen genoss früher die in die theologische Fakultät integrierte 41 Siehe besonders die Arbeiten von Bücker, Hermann: Der Erfurter Domprediger Konrad Klinge und seine Stellung zur Reformation. In: FrS 10 (1923) 177–198; ders.: Jugend und Studienzeit des Franziskaners Konrad Klinge. In: FrS 15 (1928) 252–271; ders.: Dr. Konrad Klinge, der Führer der Erfurter Katholiken zur Zeit der Glaubensspaltung. In: FrS 17 (1930) 273–297. Vgl. auch Beumer, Johannes: Ein Beispiel katholischer Zusammenarbeit während der Reformationszeit. In: FrS 49 (1967) 373–383. Zu beachten ist besonders die bereits zitierte theologische Studie von Rickauer, Rechtfertigung und Heil, vgl. oben Kap. 4, Anm. 271. 42 Vgl. die Zusammenfassung bei Rickauer, Rechtfertigung und Heil 7. 43 Vgl. bei Bücker, Jugend und Studienzeit 253. Siehe auch Doelle, Ferdinand: Hermann Nedewolt, Provinzial der Franziskaner, an Konrad Kling. In: Ders.: Briefmappe I. Münster 1912 (RGST, 21/22) 37–40, bes. 39: „Propter meritorum vestorum exigentiam ac personae vestrae exquisitam idoneitatem expediens atque inducens visum est patribus vocalibus provinciae, quatenus ad sublimiora vos paterne subordinarem. Ego vestrorum fide dignorum patrum justissimis votis cedere vobisque paterno affectu consulere cupiens, tenore praesentium charitati vestrae indulgeo et ad meritum s. obedientiae injungo, quatenus tempore vobis magis congruo conventui nostro Erfurtensi constitui curetis, et ubi reverendis magnificisque dominis doctoribus illius almae universitatis a venerando custode vestro praesentatus fueritis, vobis paterne confero licentiam et facultatem legendi pro forma graduque baccalaureatus s. theologiae. Hoc gradu suscepto, concedo ulterius, quatenus juxta institutionem egregiorum dominorum doctorum atque morem praefatae universitatis et usque ad doctoratum inclusive procedere vos licebit ad omnipotentis dei laudem et gloriam.“ Der Kustos von Thüringen, der Klinge an der Universität präsentieren sollte, war selbst ein früherer Lektor des Erfurter Studiums, Hermann Scharf. Vgl. Doelle, Hermann Nedewolt 39 Anm. 2. 44 Vgl. Bücker, Jugend und Studienzeit 253 Anm. 9; siehe aber vor allem Kleineidam, Erich: Universitas studii Erffordensis. Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt, Teil II: 1460–1521. Leipzig 1969 (Erfurter theologische Studien, 22).

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„Barfüßerschule“ im Erfurter Franziskanerkloster.45 Doch sie hatte schon seit dem Tod ihres letzten Professors Christian von Borgsleben 1484 und besonders infolge der Förderung der neuen Universitäten Wittenberg und Frankfurt/Oder durch Hermann Nedewolts Vorgänger, den Provinzial Ludwig Henning, erheblich an Ausstrahlung verloren.46 Weit besser konnte sich damals das Kloster und Studium der Augustiner-Eremiten in Erfurt präsentieren, das wegen seiner strengen Ordensobservanz, der Qualität seiner Lehrer und seiner Offenheit für die neuen philosophischen und humanistischen Strömungen in der akademischen Jugend sehr attraktiv war.47 Das war ein Grund, weshalb der Magister artium und Jurastudent Martin Luther sich dieser Gemeinschaft anschloss.48 Vermutlich sollte mit Klinges Studium, mit seiner studienbegleitenden Lehrtätigkeit und mit der Promotion zum Doktor der Theologie die franziskanische Präsenz in Erfurt wieder aufgewertet werden. Nachdem Klinge mit seinem Studium begonnen hatte (Ostern 1518), wurde am 14. Januar 1519 in Erfurt sein Ordensbruder Jakob Schwederich zum Doktor der Theologie promoviert, der sich ebenfalls als Gegner der Reformation profilierte.49 Welchen Professoren Klinge im Studium den Vorzug gab, lässt sich nicht feststellen. Vorherrschend war damals in Erfurt eine gemäßigte „via moderna“, die in vielem Wilhelm von Ockham und Gabriel Biel folgte, aber durchaus für ältere patristische und mittelalterliche Autoren aufgeschlossen war. Das zeigte sich bei den führenden Theologen wie Jodokus Trutfetter und dem Augustiner Bartholomäus Arnoldi von Usingen, an denen Klinge sich zu orientieren hatte.50 Daher ist fraglich, ob die frühere Ausrichtung der Erfurter „Barfüßerschule“ nach Johannes Duns Scotus zur Zeit Klinges noch Bestand hatte.51 Intensiver wurde damals der humanistische Einfluss an der Universität, der sich auch auf die theologische Fakultät, besonders auf Bartholomäus von Usingen und jüngere Theologen auswirkte.52 Infolge seiner Vorbildung und Lehrerfahrung als Nordhäuser Lektor konnte Klinge bereits im Wintersemester 1519 das theologische Lizentiat erreichen, sodass er am 15. Oktober 1520 zum Doktor der Theologie promoviert wurde. Damit gehörte er mit einem weiteren Ordensmann, dem Dominikaner Wichmann Luther, und zwei Weltpriestern, Jodocus Eckardi von Winsheim und Jakob von Horn, zu den letzten Doktoren der Theologie, die im 16. Jahrhundert an der Erfurter Universität promoviert wurden.53 Mit seiner Promotion übernahm Klinge die Leitung des franziskanischen Ordensstudiums in Erfurt und den Lehrstuhl der Franziskaner an der theologischen Fakultät. Bald wurde er Kustos

45 Siehe Meier, Ludger: Die Barfüßerschule zu Erfurt. Münster 1958 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie im Mittelalter, 38/2). Vgl. auch Schlageter, Johannes: Zur Bedeutung der Bettelorden im mittelalterlichen Erfurt. In: Thuringia Franciscana NF 58 (2003) 237–261. 46 Vgl. dazu Schmies, Ludwig Henning 123 Anm. 247; Kleineidam, Universitas studii II, 117. 47 Vgl. Kleineidam, Universitas studii II, 118 Anm. 707. 48 Vgl. Schlageter, Zur Bedeutung der Bettelorden 249f. 49 Zu Schwederich siehe oben Kap. 1, Anm. 79 und 109. Er wird noch eigens dargestellt werden. 50 Vgl. Bücker, Jugend und Studienzeit 264f. Anm. 64; Kleineidam, Universitas studii II, 146–150, 217–220. 51 Diese scotistische Ausrichtung wird zwar von Rickauer (Rechtfertigung und Heil 9 Anm. 36) im Anschluss an Meier (Die Barfüßerschule 60–126) noch betont. Aber mangels eigener Professoren an der Universität hat sie sich wohl nicht durchhalten lassen. Soweit bekannt, zitierte Klinge in seinen Werken Johannes Duns Scotus nie. 52 Siehe Kleineidam, Universitas studii II, 220–225. 53 Siehe Rickauer, Rechtfertigung und Heil 10; Kleineidam, Universitas studii II, 252; Bücker, Jugend und Studienzeit 265 Anm. 69.

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der thüringischen Kustodie.54 In dieser Aufgabe beteiligte er sich 1521 am Provinzkapitel in Neubrandenburg, er unterschrieb wie Svenichen den Teilungsbeschluss, den die Brüder der „obersächsischen Nation“ auf diesem Kapitel durchsetzten: „Ich Bruder Konrad Klinge, Kustos von Thüringen, stimme dem oben Gesagten handschriftlich zu und besiegle es.“55 Vielleicht war dieser Beschluss durch die beginnende Reformation mitbestimmt. Jedenfalls hatten es die Brüder in Erfurt schon früh mit der reformatorischen Bewegung zu tun. Luthers Thesen „gegen die scholastische Theologie“ von Ende August 1517 wie seine Ablassthesen vom November 1517 erreichten Erfurt schnell und erregten Aufsehen und Diskussionen.56 Luthers Lehrer Jodokus Trutfetter und Bartholomäus von Usingen konnten sich mit dessen Angriff auf die bisherige Theologie zwar nicht anfreunden.57 Zustimmung kam aber von Seiten der Humanisten, besonders als angeblich Erasmus von Rotterdam für Luther Partei nahm in einem Brief an Luthers Freund und Ordensbruder Johannes Lang und in anderen Äußerungen.58 In Erfurt erhielt die humanistische Richtung an der Universität neuen Auftrieb und schritt im Wintersemester 1518 zur Reform der Universität.59 1519 wurde die Universität Erfurt neben der von Paris als Schiedrichter angerufen, um bezüglich der Leipziger Disputation zwischen Karlstadt und Luther einerseits und Johannes Eck andererseits eine Entscheidung zu fällen.60 Doch die Universität lehnte schließlich diese Schiedsrichterrolle ab, weil die der theologischen Fakultät inkorporierten Ordensstudien der Dominikaner und Augustiner als befangen galten, vor allem aber weil man durch die vorzeitige Veröffentlichung der Disputationsakten durch Johannes Lang (beim Drucker Matthes Maler in Erfurt) unter den Druck der öffentlichen Meinung geriet.61 Jüngere Mitglieder der Universität, Studenten wie Doktoren, standen jedenfalls auf der Seite Martin Luthers, wie es sich besonders bei dem triumphalen Einzug des bereits kirchlich Gebannten in Erfurt am 6. April 1521 anlässlich seiner Reise zum Reichstag in Worms zeigte.62 Seit der Wahl vom Januar 1521 war auch der Erfurter Stadtrat auf die reformatorische Richtung eingeschwenkt, um die verhasste und für die Stadt finanziell sehr belastende Herrschaft des Mainzer Fürstbischofs loszuwerden.63 So wurde in Erfurt und Wittenberg der reformatorische Umbruch nach Luthers Reichsacht

54 Vgl. insgesamt Rickauer, Rechtfertigung und Heil 9f. Schon im Verzeichnis der Doktoren der Theologischen Fakultät heißt es: „Frater Chunradus Clinge ex conventu Nordhusensis s. Francisci custos.“ Siehe ebd. 9f. Anm. 39. 55 Siehe Haselbeck, Urkundenbuch I/1, 3: „Ego frater Conradus Klinge, custos Thuringie, manu supradictis assencio et sigillo.“ Vgl. dazu Bücker, Jugend und Studienzeit 265. 56 Siehe Kleineidam, Universitas studii II, 226–229. 57 Ebd. 230–233. 58 Ebd. 233–240. Vgl. auch Rickauer, Rechtfertigung und Heil 12 Anm. 35. 59 Siehe Kleineidam, Universitas studii II, 240–244. 60 Ebd. 244–247. 61 Ebd. 245–247. 62 Siehe Kleineidam, Erich: Universitas studii Erffordensis Teil III: Zeit der Reformation und Gegenreformation 1521-1632. Leipzig 1983, 5. Die beiden Stiftskapitel St. Marien und St. Severi in Erfurt stellten sich bereits damals entschieden gegen die beginnende Reformation und bestraften die Mitglieder, die sich am Einzug Martin Luthers beteiligten, Nikolaus Rottendörfer aus Karlstadt, Kanonikus von St. Marien, sowie seinen Landsmann Magister Johannes Draco von St. Severi. Vgl. auch Rickauer, Rechfertigung und Heil 12f. 63 Siehe Kleineidam, Universitas studii III, 4f. Vgl. auch Scribner, Robert W.: Reformation, Society and Humanism in Erfurt c. 1450–1530. London 1972.

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äußerlich manifest, zunächst im Erfurter „Pfaffenstürmen“ 1521,64 dann in der „Wittenberger Bewegung“, die erst 1522 ihren Höhepunkt erreichte. Vom „Pfaffenstürmen“ 1521 waren die Brüder der Bettelorden nicht unmittelbar betroffen. Der Angriff galt den Stiften und ihren oft wohlhabenden geistlichen Herren, die man wegen ihres Besitzes und wegen ihres angeblich ungeistlichen Lebens leichter zur Zielscheibe machen konnte.65 Die Brüder der Bettelorden waren zudem teilweise der Reformation zugeneigt oder gar, wie etwa ein Großteil der Augustiner-Eremiten, allen voran Luthers Freund Johannes Lang, ihre geistige Speerspitze. In ihren Klöstern selbst musste also die Entscheidung ausgefochten werden. In offenem Widerspruch zu Lang entwickelte sich etwa der Lehrer Martin Luthers, der ihm 1512 ins Kloster der Augustiner-Eremiten gefolgt war, nämlich Bartholomäus von Usingen, zu einem entschiedenen Gegner der Reformation. Mit seinen Predigten im Dom und seinen lateinischen Streitschriften konnte er bis 1525 zumindest beim akademisch gebildeten Publikum der Zeitströmung standhalten. Doch bei den Minderbrüdern ist dieser Widerstand zunächst nicht zu erkennen. Ihr Lektor Ägidius Mechler trat bereits 1522 mit dem Augustiner Johannes Lang in Weimar gegen seinen observanten Mitbruder Augustin von Alveldt auf und bekämpfte dessen traditionelle Sicht des Ordenslebens.66 Inzwischen war er aus dem Orden ausgetreten, war evangelischer Pfarrer in St. Bartholomäus geworden und bekämpfte nun Usingen.67 Mechler heiratete als einer der ersten Vorkämpfer der Reformation aus den Bettelorden. Dennoch verstand er seinen Weg nicht als feindseliges Verlassen seiner Brüder.68 Trotz der allgemeinen Verdächtigungen des klösterlichen Lebens, besonders des mangelhaft gelebten Zölibats, die Mechler in damals üblicher Art äußerte, fand sich bei ihm kein direkter Angriff auf seinen bisherigen Konvent. Anscheinend wollte Mechler seinen Weg gehen als Konsequenz seines ursprünglichen religiösen Anliegens, das er infolge einer besseren Einsicht sowie wegen seiner persönlichen Situation und der Notwendigkeit der Zeit

64 Siehe Weiss, Das Erfurter Pfaffenstürmen 233–279; Kleineidam, Universitas studii II, 259–265; Rickauer, Rechtfertigung und Heil 13 Anm. 60. 65 Siehe Kleineidam, Universitas studii III, 5. 66 Siehe oben Kap. 2; Anm. 31. 67 Mechler machte sich in einer Schrift gegen Usingen lustig über dessen Unfähigkeit, sich anders als lateinisch auszudrücken und über die Schwierigkeiten, für solche antireformatorischen lateinischen Texte noch einen Verleger zu finden. Siehe Mechler, Ägidius: Eyn wyderlegung // Egidii Mechlers / pfar=//ners zuo Erffort / zuo Sanct Barthol//mens betreffende / etzlyche yrrige // punckt / geschriben und geprediget // durch Bartholomeum Vsingen Augustinianern. Vnd sonder//lich inn der Sermon / Von // dem heyligen Creutz / ge=//than zu Erffort in der // stifftkirchen / Vnser // lyeben Frawen // Anno 1524 [Erfurt: Wolfgang Stürmer], Herzog-August-Bibliothek, Wolfenbüttel, 297 Theol. [12]) A 2r; Köhler, Flugschriften Fiche 1186 Nr. 2979; ders., Bibliographie I 3, 40 (nr. 3250). Usingen antwortete sehr polemisch mit der Schrift: „Libellus F. Bar// tholomei de vsingen augustiniani // In quo respondet confutationi // fratris Egidij Mechlerij monachi // franciscani sed exiticij laruati et con=//iugati“. Erfurt 1524. In: Köhler, Flugschriften Fiche 213/14 Nr. 603. 68 Siehe Mechler, Ägidius: Apologia. Oder // Schutzrede Egidy Mechlery pfar//ners tzu Sanct Bartholome//us tzu Erfffort. In welcher // wyrt grund vnd vrsach // erzelt seynes weyb nemens. [Am Ende B 4v:] Gedruckt tzu Erffort tzu dem Bunthen Lawen bey Sanct Pavel [Erfurt: Wolfgang Stürmer 1523]: „Die munche ungezweifelt / werden mich wol vngefraget lassen. Die weil ich in gesessen bin allhye. Vnd sie mit offenlichen munde haben bekennet auch den selbigen tag meines außgehens / vor einem obersten radtstmeyster des selbigen jares. Ja in offenbarlicher prediget vor allem volcke / hatt mich entschuldiget ir eygen oberster prediger (wy sy in nennen) Eben jr eigener doctor. Das ich mit yrem bewust / willen / und gunsth erbarlich von in gescheiden sey“ (Wolfenbüttel, 127. 21 Theol. [24] A 2v). Siehe auch Köhler, Flugschriften Fiche 1197 Nr. 3014; ders., Bibliographie I/3, 39f. (nr. 3249).

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nun anders versteht und lebt.69 Das ehelose Leben kann nämlich nach seiner Überzeugung aufgrund der Rechtfertigung allein aus Gnade nur ein freies Charisma sein, das allein aus der Gnade Gottes gelebt und bewahrt werden kann. Darin schien sich Mechler im Einverständnis mit seinen bisherigen franziskanischen Brüdern zu glauben. Er berief sich sogar auf „ihren obersten Prediger, ihren Doktor“70. Damit kam Konrad Klinge in den Blick, der später für die alte Kirche so wichtig wurde.71 Dass er mit Mechlers Schritt einverstanden war, ist durchaus möglich, obwohl die von Mechler angeführte Stellungnahme in der „Predigt vor allem Volk“ leider nicht überliefert ist. So wird man nur in Klinges postum erschienenen Werken Anhaltspunkte für eine solche Haltung finden.72 Klinge sah die Grund-Einsicht Luthers der Rechtfertigung allein aus Gnade und allein durch den Glauben zunächst als neue Denk-Möglichkeit des christlichen Glaubens, die er meinte, mit der überlieferten Lehre der Kirche vereinbaren zu können.73 Für Klinge war das Ordensleben durch die reformatorische Rechtfertigungslehre nicht schlechthin in Frage gestellt. Bei seiner Verteidigung der Freiheit zum Ordensleben beruft er sich sogar auf Luther und Melanchthon. So schreibt Klinge in seinen „Loci communes theologici“ über die Orden: Sie „fördern vielmehr die Gerechtigkeit Christi, damit man sie ungehinderter erreichen und die Rechtfertigung bewahren kann [...] Martin [Luther] meint in seiner Postille zur Epistel des Neujahrfestes: ‚Wenn man sich an einen Orden hält in der Absicht, er solle Gerechtigkeit und Heil schaffen, dann ist der Orden teuflisch. Wenn man aber dem Glauben oder der Gerechtigkeit Christi die Rechtfertigung, die Rechtschaffenheit und das Heil überlässt, und einen Orden nur annimmt, um seinen Leib zu züchtigen, dann wird er nicht schaden. Denn der Apostel sagt im Galaterbrief 6. Kapitel: In Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein, sondern die neue Schöpfung, der Glaube, der in der Liebe wirksam wird [...] Deswegen gilt dabei nicht der Orden Benedikts, des Dominikus oder des Franziskus, kein Orden rechtfertigt oder schafft ja das Heil, sondern der Glaube an Christus, in dem wir alle eins sind [...] Im äußeren Leben gibt es übrigens viele Arten zu leben, der ist Laie, ein anderer Schneider, der ist Schuhmacher, der Mönch usw. Die Weise zu leben ist daher verschieden, aber das ist keineswegs hinderlich, wenn wir alle in der Hauptsache, dem Glauben an Christus, übereinkommen. Die deswegen nur um der Freiheit des Fleisches willen die Klöster

69 Vgl. Mechler, Ägidius: Zween Sendtbrieffe, unter welchen er den ersten zu schreibet allen Christen, den andern dem Bartholomeo Usingen Augustinianern. Gegeben zu Erffort in meinem pfarrhofe bey Sanct Bartholomeus [Erfurt 1525]. Siehe auch Weiss, Ulman: Die frommen Bürger zu Erfurt. Die Stadt und ihre Geschichte im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Weimar 1988, 266: „Mechler, dessen Franziskanertum sich so fruchtbar mit seinen reformatorischen Überzeugungen verband“. 70 Siehe oben Anm. 68. 71 Siehe etwa das Zeugnis für Klinge aus dem Chronicon Kuchers: „Si ille non fuisset, actum fuisset de religione catholica in Erphordia.“ Zitiert nach Feldkamm, Jakob: Geschichte und Urkundenbuch der Pfarrei St. Laurentius zu Erfurt. Paderborn 1899, 22. 72 Nach seinem Tod 1556 kamen folgende Werke Klinges zuerst in Köln heraus: Loci communes Theologici 1559; Catechismus catholicus, summam Christianae institutionis [...] complectens 1562; Summa doctrinae Christianae Catholicae 1562; De securitate conscientiae Catholicorum in rebus fidei. 1563; Confutatio mendaciorum a Luteranis adversum librum Imperii seu Interim editorum 1563. 73 Siehe Rickauer, Rechtfertigung und Heil 11 Anm. 32.

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verlassen, die mögen selbst zuschauen. Ich habe ihnen das nicht angeraten. Du könntest gut im Orden bleiben, solange nur deine Absicht richtig wäre.‘ “ 74 Weil Klinge sich mit Luther in dieser Sicht eins glaubte, konnte er weiter schreiben: „Niemand von den Ordensleuten darf sagen: Weil ich Mönch bin und infolge von Orden und Profess eine besondere Kleidung trage, deswegen bin ich gerechter und heiliger als die übrigen, ja deswegen will ich gerettet werden, dadurch die Gerechtigkeit erlangen und gerecht werden. Denn das Mönchtum ist nichts bei Gott, das heißt: das äußere Leben in Kleidung und Gebräuchen ohne den Glauben an Christus.“ 75 Klinge wollte jedoch das Ordensleben gegen Leute der reformatorischen Richtung verteidigen, die es allgemein verurteilten: „Daraus wird klar, an welch großer und blinder Eifersucht Ketzer und ausgelaufene Mönche leiden, wenn sie sagen und predigen: alle Mönche und Priester seien des Teufels und verdammt; denn sie reden ohne Bescheidenheit und Unterscheidung daher. Das stößt auch einigen aus ihren Reihen übel auf, die selbst ihren Jüngern so antworten: ‚Wenn man die übrigen Aussagen des Paulus so strikt zitiert und hält, warum zitiert man nicht jene Stelle 1. Kor 7. und legt sie dem Volk dar: Jeder bleibe in der Berufung, in der er berufen wurde? Wenn diese nämlich aufgrund der Absicht recht in Ordnung ist, dann wird die Berufung weder zum Mönchtum noch zum Priestertum irgendjemand schaden. Richtiger sollte man sie also belehren, wie sie gerechter ihre Absicht ausrichten und in ihrer Berufung bleiben können.‘ So Philipp Melanchton in einem Brief an den Landgrafen.“ 76 Wenn Klinge mit anscheinend gleichgesinnten Vertretern der Reformation zur rechten Unterscheidung aufrief, rechnete er durchaus mit Missverständnissen des traditionellen Ordenslebens in den Klöstern. Deshalb stellte er in seiner Verteidigung des Ordenslebens das für ihn Wesentliche heraus, nämlich die konkrete Art der Christusnachfolge im Gebet und im Dienst an den Menschen durch Armut, Keuschheit und Gehorsam. Denn dadurch kann man nach seiner Überzeugung leichter die in Glaube und Taufe erlangte Gerechtigkeit Christi bewahren und bewähren. Den Gegnern Klinges in Erfurt und anderswo musste das aber mehr und mehr als ein übles Lavieren erscheinen, mit dem Klinge den letzten konse 74 Siehe Klinge, Loci communes Theologici (Erweiterte Ausgabe). Köln 21565, 196b–197a. Vgl. Luther: Kirchenpostille (Predigt zu Neujahr), WA 10, I/1, 484f. 490f. Klinge zitierte allerdings sehr frei und nur zusammenfassend die Gedanken Martin Luthers. Vgl. auch Gal 6,15. 75 Klinge, Loci communes Theologici, ebd. 555a. 76 Ebd. 555b. Philipp Melanchthons Gedanken zitierte Klinge ebenfalls frei und mit einer Zusammenfassung in seinem Sinn. Vgl. den Brief Melanchthons an Philipp von Hessen August/September 1526. Siehe Melanchthon, Philipp: Epistolae, Praefationes, Consilia, Iudicia, Schedae Academicae. In: Melanchthon, Philipp: Opera quae supersunt omnia. Corpus Reformatorum I. Ed. von Carolus Gottlieb Brettschneider. Halle 1834, 818–822 (nr. 406): „Porro ut ad Vest. Celsit. Literas respondeam, mihi non tantum inutiliter, sed etiam contra veritatem fieri videtur ab iis, qui publicas caeremonias abolent, quae tolerari poterant. Sic enim Paulus ad Corinthios: Circumcisus aliquis vocatus est, non adducat praeputium [I Cor. 7,18]. Si caetera Pauli religiose servantur, audiamus eum in hac parte toties diligentissime praecipientem. Itaque cantiones latinas, sacros vestes et hoc genus alios ritus puto esse ferendos. De Missa, quam sic vocant, cum rectius Paulina phrasi coenae dominicae administratio nominetur, ita iudico: in singulis parochiis unam tantum in festis diebus faciendam esse, et quidem veteri ritu, caeteras obolendas esse. Id de monasteriis etiam servari potest, quae ubi sunt parochiae in propinquo, petunt eucharistiam in parochia. Est enim instituta eucharistia, ut in ecclesia et congregatione utamur.“ Vgl. auch Clemen, Otto (Hg.): Melanchthons Briefwechsel, Bd. 1. Leipzig 1926, 331. Vgl. dazu 1 Kor 7,18.

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quenten Schritt verweigerte. So meinte etwa Justus Menius, der zu Erfurt in persönlichem Kontakt mit Klinge stand: „Weil nun der Satan sein spiel bey vns / wie wol sonst auch durch andere / doch furnehmlich vnd am allermeisten treibet / vnd / so viel yhm Gott verhenget / ausrichtet / durch den hochberumbten Doctor Cunrad Klingen Barfusser Rotten / vnd die sachen anfenglich mit solchen listen durch yhn angegriffen hat / das viel leut / auch lange zeit ich selbst meinet / und hett sein wohl ein eyd geschworen / er fure zumal recht vnd weislich ynn der lere Christi / vnd gedachte gentzlich / was er noch zur zeit vom Beptischen grewel hielt / das thet er den armen schwachen gewissen zu gut / das er die selben also fein sewberlich vnd mit der zeit / aus dem iamer heraus rysse / vnd zum seligen erkentnis Christi brechte / wie er sich denn der massen offt vnd vielmal ynn seinen predigten / auch gegen mir selbst / als ich mit eim guten freund das erste mal bey yhm ynn seinem kloster war / hat vernehmen lassen.“77 Klinges anfängliche Bereitschaft zur Verständigung veranlasste ihn offenbar, der reformatorischen Richtung soweit wie möglich entgegenzukommen und das Ordensleben eher als freies Charisma zu werten. Deshalb schrieb Justus Menius von Klinge: „er wolts alle zeit gern gesehen haben / das man sich der sachen ynn der still verglichen het. Saget weitter / Er wer zwar der lere halb ynn etlichen viel stucken fast mit vns eins / Ynn etlichen aber het er noch was feils. Ynn sonderheit zeigt er dazumal ynn diesen artickeln sein meinung selbst an. 1. Der frey will vermoechte gar nichts on Gottes gnad. 2. Man wurd durch den glauben allein / fur Gott gerecht / So doch das der glaub nicht on werk bliebe. 3. Ceremonien weren frey / hulffen odder schadten niemand / Es wer denn das sie mit einem vertrawen gethan / odder aus verachtung nachgelassen wurden. 4. Moncherey were ein menschen erfindung vnd auch frey. 5. Das Bapstum gebe yhm gar nicht zu schaffen / es were on yhn auffkomen / wurd auch on yhn wol vergehen.“78 Eine ähnlich vermittelnde Position war Klinge durchaus zuzutrauen und erinnerte an das, was noch 1543 bei der Disputation in Schleusingen der franziskanische „Prior“ von Erfurt gesagt haben soll.79 Von reformatorischer Seite konnte dieses Entgegenkommen aber missverstanden werden als Bereitschaft zum Verlassen des Ordens und der alten Kirche. Das führte dann zur Enttäuschung über Klinges fehlende Konsequenz, wie bei Justus Menius deutlich wird: „Und wenn ich eben D. Klingen hie selbst fraget / warumb er doch sein lausichte grawe kappen trage / mit sovieler einfaltigen und vnuerstendigen gewissen verderblichem ergernis / dazu mit solchem grausamen erschrecklichen verachtung des tewren bluts Christi / darein er allein alle sein trost / hoffnung vnd zuuersicht zu setzen ynn der tauff gelobt hat / Was gilts er wird nicht anders sagen mussen / denn er trag sie darumb / das 77 Siehe Menius, Justus: Widder den // hochberumbten Barfus=//ser zu Erffurt D. Cunrad // Klingen / Schutzred vnd // grundliche erklerung // etlicher heuptartickel // Christlicher lere / // durch // Justum Menium // Mit einer vorrede Martini // Luthers // Wittenberg // 1527. Zitiert nach dem Exemplar zu Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, QuN 715 (5) A 4rv; Köhler, Flugschriften Fiche 396 Nr. 1029; ders., Bibliographie I/3, 78f. (nr. 3338); Müller, Thomas T. / Schmies, Bernd / Loefke, Christian (Hg.): Für Gott und die Welt. Franziskaner in Thüringen. Text- und Katalogband zur Austellung in den Mühlhäuser Museen vom 29. März bis 31. Oktober 2008. Paderborn u. a. 2008 (Mühlhäuser Museen. Forschungen und Studien, 1) Kat.-Nr. 54. Zu Justus Menius, siehe Stupperich, Reformatorenlexikon 143f. 78 Siehe ebd. A 5r. 79 Siehe oben Kap. 4, Anm. 267–274.

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er damit gegen Gott etwas verdienen wol / Vnd ist sein auch gantz gewiss / es were denn das yhm sein Gardian ynn der profession gelogen hat / da er yhm zusaget / wo du die Regel S. Francisci halten wirdest / verheisse ich dir das ewig leben [...] Denn wo unser D. Kling solcher meynung nicht were / er wurd sein grawes keplin freilich lengest abgelegt / vnd den schwartzen rock / der nu lenger denn fur ein iar gemacht ist gewesen / haben angezogen es wer denn da er villeicht / widder Franciscum ym kloster noch Christum heraussen sondern die guten vollen Collation die yhm sein Papisten darynn bestellen am meisten ansehe / des ich nicht weis.“ 80 Dass Klinge „die lausige graue kappe“, also sein franziskanisches Ordensgewand, nicht ablegte, konnte Justus Menius nur durch Klinges Unaufrichtigkeit im Bekenntnis zu Jesus Christus erklären. Denn entweder hielt er doch fest an der besonderen Verdienstlichkeit des Ordenslebens oder wichtiger als Franziskus im Kloster oder Christus draußen war ihm das gute Essen und Trinken bei der „guten vollen Kollation, die ihm die Papisten drinnen bestellen“. Offenbar konnte Klinge dem reformatorischen Widerpart seine Absicht nicht deutlich machen, bei allem Entgegenkommen niemals seinen Orden und die alte Kirche zu verlassen. So musste er sich noch gegen Ende seines Lebens gegen ein Gerücht verteidigen, er wolle sich der Reformation anschließen.81 Klinges Entwicklung zum Hauptgegner der Reformation in Erfurt hat jene, die von ihm etwas anderes erwarteten, enttäuscht. Doch besonders die schlimmen Übergriffe gegen die Klöster im Zuge des Bauernkrieges führten Klinge zu der Überzeugung, dass dabei die Lügen und Verleumdungen der neuen Lehre gegen die andere, katholische Seite ihre schlimme Frucht brachten: „Jede Lehre, die nicht übereinstimmt mit der Lehre der Kirche, ist Häresie, wie sehr sie auch für schön, rein und evangelisch gehalten wird. Denn das ist dämonische Verblendung, die die Ihrigen so sehr verstrickt, dass sie die Lüge als Wahrheit anbeten. Der Vater der Lüge ist nämlich der Teufel und ein Mörder von Anbeginn. Er also zuerst sendet aus die Lüge und treibt sie an. Wenn man ihm nicht sofort willfährt, hetzt er auf der Stelle zum Aufstand und dürstet nach Blut. Das zeigte sich genug im Aufstand der Bauern usw. 1525.“ 82 Als die aufständischen Bauern in Erfurt einzogen, hatte ja der Rat der Stadt alles Wertvolle in den Klöstern an sich genommen, angeblich nur aus Angst vor den Unruhen, ohne aber 80 Siehe Menius, Widder den hochberumbten Barfusser, C 1rv. 81 Siehe Klinge, Loci communes Theologici (Erweiterte Ausgabe). Köln 21565, A 2r–3v: „Bekendtnus Catholischer Laere, Glaubens und Religion des Ehrwirdigen Herren und Vatters Conradi Klinge / Ordens S. Francisci / Doctors und Predigers zu Erford im Doringer Land.“ In diesem Bekenntnis, das 1554 formuliert wurde sowie deutsch und lateinisch als Vorrede in der zweiten Auflage der Loci communes diente, heißt es: „Dieweil aber Gott hasset die luegen / Psal. V. Ich auch nie in mein gemuet genommen / mich zu begeben aus der Allgemeinen Christlichen Kyrchen einigkeit: Sondern mein steter bitt ist zu dem Vater der barmhertzigkeit / umb Christi willen seines lieben Sones / und meines Herren und Erlösers mich zu behueten fuer alle Secten laere und freuel / hab ich die sache / und solchen falschen geruechtes tichter / Gott befolhen“ (ebd. A 2r). Vgl. Ps 5,7 Vg. 82 Siehe Klinge, Loci communes, ebd. 554r: „Omnis ergo doctrina quae non concordat cum doctrina Ecclesiae, haeresis est, quantumcumque speciosa, pura et Euangelica putetur. Est enim haec daemonica excaecatio, qua suos adeo constringit, vt mendacium pro veritate adorent, Est enim mendacii Pater diabolus, et homicida ab initio. Igitur primum emittit et excitat mendacium, cui si statim non obtemperetur, ilico tumultum excitat, et sanguinem sitit, id quod patuit satis in Rusticorum tumultu etc. anno 1525.“ Vgl. Joh 8,44.

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jemals etwas zurückzugeben. Der altgläubige Gottesdienst war bereits kaum noch möglich.83 Bartholomäus von Usingen verließ daher die Stadt.84 Nur Klinge konnte im Großen Hospital noch Gottesdienst halten und predigen, und zwar unter großem Zulauf.85 So gelang es ihm, die altgläubige Minderheit im Rat zu stärken, bis schließlich ab Pfingsten 1526 wieder eine Frühmesse im Dom Sonntagmorgens um 7 Uhr erlaubt wurde mit Gesang der Chorherren und einer Predigt Konrad Klinges. Danach erst hielt Johannes Lang den Hauptgottesdienst als Evangelische Deutsche Messe. Die Verhärtung der Fronten und die Verschärfung der Sprache kennzeichneten jedoch nicht erst die postume Endredaktion von Klinges Werken durch den Herausgeber Georg Witzel (den Jüngeren).86 Sie muss bereits in Klinges Predigen deutlich geworden sein.87 Das bezeugen gerade die Schriften von Justus Menius gegen Klinge.88 Menius war 1525 von Mühlberg nach Erfurt gekommen und Pfarrer an der Thomaskirche geworden. Er erlebte schließlich in Erfurt Klinge als den maßgeblichen Gegner der Reformation, den er in seinen Schriften bekämpfte. Zu ihnen schrieb Luther selbst die Vorreden.89 Die Haltung Luthers zur Entwicklung in Erfurt wird hier deutlich, als er an die „frommen Christen zu Erfurt“ schreibt: „Es hat mir einer ewer prediger Er Just Menius ein buechlin zu geschickt / so er widder den prediger zun Barfussen bey euch / gemacht das ich das selbige solle vrteilen / ob es wirdig vnd gnugsam were / an den tag zu geben. Nu bin ich nicht gesynnet / Gott sol mich auch dafur behueten / das ich mich vber ander prediger gewalt vnterwinde / richter odder regierer zu sein / das ich nicht auch ein Bapstum anfange / sondern will sie Christo befelhen / wilcher alleine regieren sol vber seine prediger ynn der Christenheit. Das bin ich aber schuldich / vnd wils auch gerne thun / das ich aus der liebe pflicht / eim iglichen zu dienst / und den Christen zu nutz / zeugnis gebe seiner lere / wo sie recht ist / vnd fur den falschen lerern warne vnd auch widder sie zeuge / so viel mir Gott verleihet / wie ich denn bisher gethan habe.“ 90 83 Weiss, Die frommen Bürger Erfurts 216. 84 Doch er verabschiedete sich nicht ganz aus der Kontroverse mit seinen Erfurter Gegnern. Siehe dazu Usingen, Bartholomäus Arnoldi von: Libellus Fratris // Bartholomaei // de Vsingen Augustiniani, // de duabus disputationibus // Erphurdianis. // Quarum prior est Langi et // Mechlerij monachorum exiti//ciorum contra ecclesiam catholicam // Posterior est Vsingi Au=//gustiani pro ecclesia catho//lica, priori adversa et con=// traria. 1527 [Bamberg: Georg Erlinger 1527]. Siehe Köhler, Flugschriften Fiche 380/81 Nr. 1053. 85 Der Erfurter Chronist Siegmund Friese schreibt in seiner Chronica der Stadt Erfurt II (1501–1600) zu 1525: „Allein der Guardian Zum Barfüßern Pater Conrad Klinge, so nach D. Langen erst in Doctorem Theologiae promoviret hatt, hielt noch öffentliche predigten, und zwar in der großen Hospitals Kirchen, da ward noch Messe gehalten, und liefen die noch übrigen Papisten unter denen Rahtshern und Volke darzu, daß die Kirche, Kirchhoff und Steinhaus vollstund“ (S. 431). Am Rande von anderer Hand: „Das Steinhaus war ihre Kirche darinnen D. Klinge Messe hielt und wenn der nicht getan hette, so were das Pabstthum allhier gar zugrunde gegangen.“ Zitiert nach Bücker, Der Erfurter Domprediger 190 Anm. 4. 86 Siehe Rickauer, Rechtfertigung und Heil 21 Anm. 120 und 122. 87 Von einer frühen Streitschrift Klinges „von den abtrünnigen Gliedern der römischen Kirche“ war zwar immer noch die Rede (vgl. Brecht, Luther II, 333). Aber sie ist nicht nachgewiesen. Siehe Rickauer, Rechfertigung und Heil 21 Anm. 118. 88 Siehe schon oben Anm. 77f.; 80. Siehe besonders Menius, Justus: Ettlicher Gottlosen // vnd widderchristi=//schen lere von der Papistischen // Messen // so der Barfusser zu Erfurt D. Conrad Kling gethan / // Verlegung durch Iustum // Menium am Sonntag // Reminiscere ge=//prediget // 1527. [Wittenberg 1527]. Zitiert nach dem Exemplar zu Wolfenbüttel, G 705 4o Helmst. (7). Siehe auch Köhler, Flugschriften Fiche 837 Flugschr. 2103; ders., Bibliographie I/3, 77 (nr. 3335). 89 Siehe auch WA 23, 13–16; 321f. 90 Siehe Menius, Widder den Hochberumbten Barfusser, A 1v. Vgl. auch WA 23, 15.

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Wo und wie er die rechte Lehre findet, machte Luther ganz klar, als er die Erfurter an ihre angeblich dunkle Vergangenheit erinnerte: „Yhr habt bey euch viel jar eine hohe schule gehabt / darynn ich auch etlich jar gestanden bin / Aber das will ich wol schweren / das alle die zeit vber / nicht eine rechte Christliche lection oder predigt von yrgent einem geschehen ist / der yhr itzt alle winckel voll habt. O wie selig het ich mich dazu mal gedaucht / wenn ich ein Euangelion / ia ein Pselmlin hette muegen ein mal hoeren / da yhr itzt die gantze schrifft klar zu hoeren habt. Wie theur und tieff lag da die gantze schrifft vergraben / da wir so trefflich hungerig und duerstig danach waren / vnd es war niemand / der vns etwas gab.“ 91 Doch trotz dieser Vergangenheit, die Luther in den dunkelsten Farben malte, waren jetzt die Erfurter von der ganzen Heiligen Schrift so übersättigt, dass sie sich nicht recht entscheiden konnten: „Aus der vrsache / besorge ich / kumpts / das euch Gott ynn solchem grossen liecht / noch lest mit dem prediger des finsternis zun Barfussen anfechten / Und gibt ewren Radhern nicht den mut / das sie es angreifen vnd dazu thetten / auff das zwytracht der prediger bey gethan wuerde / vnd sie liesse gegenander sich hoeren / Vnd wilche nicht bestehen kundten / das die schweigen musten / wie andere stedte / als Nurmberg und der gleichen / gethan haben. Denn es ist ia keiner Stad gut / das ym volck zwytracht gelitten wurd / durch offentliche anreger vnd prediger. Es solt ein teil weichen / es weren die Euangelischen odder die Bepstichen.“ 92 Der Hinweis auf das Nürnberger Religionsgespräch von 1525, bei dem die Altgläubigen gar nicht erst antraten und nach dem der Rat in eigener Vollmacht sich für die Einführung der Reformation entschied, ist wichtig. Das erklärt, weshalb Luther dem Rat der Stadt Erfurt eine ähnliche Entscheidung zumutete. Die Mehrheit in der Stadt war bereits klar für die Reformation. Die anderen Instanzen aber, wie etwa der Mainzer Erzbischof und die Universität, vor allem das nach altgläubiger Auffassung letzlich zuständige kirchliche Lehramt, sollten ausgeschaltet werden. Das war in Erfurt jedoch nicht so einfach wie in Nürnberg, weil hier der Erzbischof und Kurfürst von Mainz nicht bloß als zuständige geistliche Instanz, sondern auch als politischer Herr der Stadt fungierte. Der Rat der Stadt beugte sich zwar nicht dem Mandat des Mainzer Erzbischofs Albrecht von Brandenburg, die reformatorischen Prediger aus der Stadt auszuweisen. Er ließ sogar Konrad Klinge für einige Zeit das Predigen verbieten.93 Aber zu einer endgültigen Entscheidung für die Reformation war der Rat außerstande, weil die mainzisch und altgläubig gesinnte Minderheit einflussreich blieb und nicht völlig auszuschalten war. Eine solche Entscheidung hätte zudem die Stadt völlig dem Schutz und der Macht des nahen reformatorischen Territorialherrn, des Kurfürsten von Sachsen, ausgeliefert.94 Immerhin gelang es Erfurt, im Vertrag zu Hammelburg 1530 eine Vereinbarung mit dem Erzbischof und Kurfürsten von Mainz abzuschließen, die dem konfessionellen Frieden 91 Ebd. A 2r. 92 Ebd. A 2v; WA 23, 16. 93 Wenn Klinge in dieser Zeit gelegentlich Erfurt verließ, so hatte das wohl nicht mit diesem Predigtverbot zu tun. Bei eher kurzen Aufenthalten in Mansfeld zwischen 1525 und 1530 sollte er mit anderen altgläubigen Theologen auf Bitte von Graf Hoier die reformatorische Bewegung bekämpfen helfen. Vgl. Rickauer, Rechtfertigung und Heil 17 Anm. 86–88. 94 Vgl. zum Ganzen auch Rickauer, Rechtfertigung und Heil 16f.

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dienen sollte. Sie beließ zwar die Kirchen der Bettelorden mit anderen Kirchen der Stadt bei der Augsburger Konfession.95 Aber St. Peter und die beiden Stiftskirchen von St. Marien und St. Severi wurden ganz den Katholiken zurückgegeben.96 Weder die reformatorischen Prediger noch Klinge waren mit diesem Ergebnis einverstanden. Klinge bestritt die im Vertrag verlangte ordnungsgemäße Berufung der neugläubigen Prediger. Deswegen mussten diese sich sogar nach Wittenberg wenden, um von dort mit einigem Erfolg theologischen97 wie politischen98 Beistand gegen Klinge zu erbitten. In den Klöstern durften die Ordensleute ihr gewohntes Leben weiterführen, nur die Serviten mussten 1530 ihr Kloster veräußern. Gottesdienste durfte man aber nur intern bei verschlossenen Türen halten (etwa in einer Kapelle des Franziskanerklosters). Da der Nachwuchs schließlich ausblieb, ging das Leben in den Bettelordensklöstern nach und nach zu Ende, bei den Augustiner-Eremiten 1559, bei den Dominikanern 1590, bei den Franziskanern 1594.99 Klinge konnte in den Jahren langsamer Verödung des Ordenslebens aber noch einen Neuzugang aufnehmen. Dieser Bruder P. Jakobus Schilling wurde Nachfolger Klinges als Guardian und zahlte dem Rat der Stadt aus dessen Nachlass 500 Taler aus. Am 17. April 1556 bestätigte der Rat den Empfang des Geldes und versprach, den Guardian „und alle die Seinen in berührtem Barfüßerkloster hinfürder in allen billigen Sachen“ zu beschützen. Bis 1570 war Schilling Guardian, überlebte aber noch bis 1594 seinen Nachfolger Georg Gutwasser, der 1586 starb.100 Erhalten blieb nur die Grabplatte Konrad Klinges an der Wand des Domes: „Im Jahr des Herrn 1556, am 10 März, ging heim der ehrwürdige Pater des Minderbrüderordens Konrad Klinge, der hochheiligen Theologie hervorragender Lehrer und in dieser Kirche sehr wachsamer Verkünder des göttlichen Wortes. Seine Seele ruhe in Christus!“ 101 Die Bedeutung als Erfurter Domprediger erhielt Klinge erst, als nach dem Hammelburger Vertrag 1530 die Marienkirche wieder ganz dem katholischen Gottesdienst zur Verfügung 95 Nach den Ausführungen in WA Br 6,521 nur zur Hälfte, was immer das heißen mag. Es gab aber anscheinend keine Wiederherstellung des altgläubigen Gottesdienstes in den Bettelordenskirchen. 96 Siehe Weiss, Die frommen Bürger von Erfurt 242. 97 Siehe den Brief von Myconius, unterschrieben von Luther, Melanchthon, Justus Jonas und Bugenhagen (22. August 1536): An Erfordiae sit vera Ecclesia Christi. Siehe Luthers Briefwechsel, hg. von Ludwig Enders, Bd. 11. Frankfurt / Main 1907 (Nr. 2438). Siehe auch WA Br 7, 509f. bes. 510: „Quid enim sunt voces istae monachi et suorum thrasonum [Maulhelden]: Non estis vocati, irrupistis in messem alienam, non licet vobis tenere ecclesiastica beneficia et collegiaturas, quam voces et bullae [Wasserblasen]?“ Damit wird auf die Vorwürfe des „Mönchs“ Klinge angespielt. 98 Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen sollte in Erfurt gegen Klinge und die Papisten vorgehen. Siehe einen Brief Luthers, Melanchthons und des Justus Jonas an ihn vom 30. September 1533: „Was belanget die Zwie­ spaltung der Lehre wollen wir mit treuem Fleiß zu gelegener Zeit unseren gnädigen Kurfürsten erinnern, das S.K.F.G. [Seine kurfürstlichen Gnaden] auch die Sache sich aneinzuziehen [sich der Sache anzunehmen] nit unterlassen, damit es nit ein Ansehen habe oder den argen schein, wie Ihr etwas meidet. Denn S.K.F.G. ohn allen Zweifel des heillosen Barfußermunchs Lehre und der Papisten Gottesdienst wenig Gefallen tragen (WA Br 6,523).“ 99 Siehe Weigel, Petra: Zu Urkunden der Erfurter Franziskanerklosters in den Beständen des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt in Magdeburg. In: WiWei 64 (2001) 290–320 bes. 293 Anm. 7; vgl. ebenfalls Schmies / Rakemann, Spuren 325. Von 1597 spricht Weiss, Die frommen Bürger zu Erfurt 276. 100 Siehe insgesamt Bücker, Der Erfurter Domprediger 188. 101 Nach Meier, Die Barfüßerschule 40: „Anno Domini 1556, VI. Idus Martii, obiit Reverendus Pater Ordinis Minorum Conradus Clingius, Sacrosanctae Theologiae Doctor eximius et in hac ecclesia praeco divini verbi vigilantissimus, cuius anima in Christo requiescat.“ Abb. in: Müller / Schmies / Loefke, Franziskaner in Thüringen 137, Abb. 53.

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stand.102 Über die Grenzen Erfurts hinaus wurde er bekannt. So erwähnte der reformatorische Pfarrer von Hersfeld, Balthasar Reith, Klinge 1533 in einer gegen Georg Witzel103 gerichteten Schrift. Er sei ein gewandter Prediger, der in der Sprache Luthers rede, aber doch die alte Lehre verteidige.104 Auch Flacius Illyricus hielt Klinge anlässlich des Streits um das „Interim“ in einer 1549/50 erschienenen Flugschrift deshalb für einen gefährlichen Gegner, weil er in seiner Predigt den reformatorischen Auffassungen soweit entgegenkam, dass er das Volk in die Irre führte.105 Bereits 1539 rühmte von altgläubiger Seite der Leipziger Professor Henning Pyrgallus in einem Gedicht Klinge als besonders eifrigen und fruchtbaren Bekämpfer der zeitgenössischen Irrtümer.106 Die Publikation von Klinges Werken, die sein Denken erst weithin bekannt machen sollte, hat etwas mit seiner Freundschaft mit Georg Witzel (dem Älteren) zu tun. Die Freundschaft entstand, als Georg Witzel, der von der Reformation zur alten Kirche zurückgekehrt war, sich 1532 um eine Professur der hebräischen Sprache in Erfurt bewarb und Klinge ihm als Guardian die Bibliothek seines Klosters zur Verfügung stellte.107 Weil Klinge um 1534 sein Predigtamt im Dom wegen der Widerstände von reformatorischer Seite aufgeben wollte, ermahnte ihn Witzel in einem Brief, nicht zu resignieren.108 Dabei wusste Witzel durchaus, welch schweren Kampf Klinge zu kämpfen hatte, wie noch sein letzter Brief an ihn von 1536 zeigt.109 Die freundschaftlich-gute Erinnerung des Vaters an Klinge wurde anscheinend seinem gleichnamigen ältesten Sohn Georg Witzel (dem Jüngeren) 102 Siehe Rickauer, Rechtfertigung und Heil 18 Anm. 92; Bücker, Der Franziskaner Konrad Klinge 50; Kleineidam, Universitas studii II, 312; III, 173. 103 Siehe zu ihm Henze, Barbara: Witzel, Georg, kath. Reformtheologe [1501–1573]. In: LThK3 10, 1263f. 104 Siehe Rickauer, Rechtfertigung und Heil 18 Anm. 93. Hier der Titel der Schrift von Raida (Reith), Balthasar: Widder das lester und lügen büchlin Agricole Phagi, genant Georg Witzel. Antwort Balthasar Raida parherr zu Hirsfeld. Vorrede Martini Luther. Wittenberg 1533. Nachdruck: Schriften zur Georg-Witzel-Forschung 2 (1976) 19–64. Zu Klinge, ebd. 55. 105 Vgl. Rickauer, Rechtfertigung und Heil 18 Anm. 95. Siehe Selge, Kurt Viktor: Ein Magdeburger Flugblatt. Flacius Illyricus und die franziskanische Sonderfrömmigkeit im Streit um das Interim. In: Communio Viatorum 25 (1982) 219–226. Flacius spottet in seinem offenen Brief an „D. Klingen Munch zu Erffurd“ zunächst über der „Muenche zeit oder lehr“ mit ihren „geluebden / Platten / kappen Fran[cisci] Domini[ci] etc. vnd andern unzelichen heiligkeiten“ (ebd. 221). Doch dann greift er Klinge persönlich an: „Nu ist mir angezeigt worden andechtiger Vater im Antichrist vnd Cacolischer Doctor / das jhr nach erzelter nicht so fast die obgenante Cacolische Religion / als Luthers lehr (doch dieselbe mit ewerem Phariseischen Sawrteig fein seuberlich vermenget) lehrt. Ihr Predigt von vergebung der Suende / von der Buss / von Christo / von der gnaden / von guten wercken / vnd dergleichen dingen / davon D. Luther die Apostel / Christus / vnd die Propheten leren / fueret auch offt die wort sententz / vnd lere der Euangelischen lerer / vnd bestetigt ewr meinung mit D. Luther vnd ander dergleichen leren / doch verseuret / wie oben gesagt. Doch sagen etliche verstendige leut das jhr solch nicht der meinung thut / als ob jhr nu auch ein Lutherischer ketzer sein woltet / Sonder / nur darumb / das euch wol bewust das die leut jtzunder leider der massen durch die ketzer verfueret sein / das / wenn jhr viel sagen woltet von den oberzelten heiligkeiten / man ewer nur spotten wuerde / vnd derhalben meinen sie das dieselbige / die aller beste form vnd wise sey das gemeine volck zu betriegen vnd zuuerkeren. Es sagen auch dieselbigen / da jhr in diesem meisterstueck stracks dem Interim / vnd den andern Cacolischen leren / vnd frommen wolffen nachfolget / die jhre wolffes zene vnter einem Schaffskleide verbergen / auff das sie deste leichter die Schaffe zu sich locken vnd fressen“ (ebd. 221f.). 106 Siehe Bücker, Konrad Klinge Führer 286. 107 Siehe Rickauer, Rechtfertigung und Heil 18 Anm. 86, 87; vor allem Beumer, Beispiel katholischer Zusammenarbeit 380f. 108 Siehe den Text des Briefes, auch übersetzt, bei Beumer, Beispiel katholischer Zusammenarbeit 382f. Anm. 36. 109 Siehe ebd. 381f. Anm. 34; Rickauer, Rechtfertigung und Heil 18 Anm. 97.

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weitergereicht. Wenn auch die näheren Umstände, die zu dessen Edition von Klinges Werken führten, nicht bekannt sind, so rühmte der jüngere Witzel doch in einem Widmungsgedicht zu den „Loci communes“ Klinges „engelgleiches Leben“110, seine Kraft und Mühe zur Bekehrung der Menschen111 und sein bis in die Nächte reichendes Beten, Studium und Meditieren.112 In dieser geradezu hagiographisch verklärten Form ging die Erinnerung des Vaters ein in die Edition von Klinges Werken, die der Sohn kaum ohne den Beifall des Vaters und vielleicht seine Mitwirkung in Angriff genommen hätte.113 Unbedingte Treue zu einer Vorlage ist freilich damals bei einer solchen Edition nicht zu erwarten, ja gelegentliche Interpolationen sind sogar nachweisbar.114 Doch der jüngere Witzel hat sein Material nicht allzu geglättet, sodass die Entwicklung des Denkens von einer mehr irenischen zu einer mehr kontroversen Position noch erkennbar blieb, nicht nur in Klinges Lehre von der Rechtfertigung115, sondern auch in der Eucharistielehre.116 In dieser Form haben Klinges Werke, die seit 1559 zuerst in Köln,117 dann zum Teil in Paris herauskamen,118 eine große Nachfrage gefunden.119 Am 1. Oktober 1569 empfahl noch der bayerische Herzog in einem Mandat seines Kanzlers Leonhard von Eck zur Säuberung der Klosterbibliotheken Klinges Werke. Doch kurz zuvor am 13. März 1569 meinte bereits der Jesuit Jacobus Pisanus, Professor zu Ingolstadt, in einem Brief an Petrus Canisius, Klinge müsse verboten werden, und zwar das Buch, „das zu einem großen Teil aus Philipp Melanchton hergenommen ist“120. Vermutlich sind damit die „Loci communes Theologici“ gemeint, die an Melanchthons Hauptwerk anklingen.121 Am 8. August 1580 schrieb Petrus Canisius schließlich an den Herzog von Bayern Wilhelm V.: „Ich kann und darf hier nicht verschweigen: einige Schriftsteller dieser Zeit bezeichnet man als katholisch und schätzt ihre Schriften hoch und rühmt sie gemeinhin als katholisch, die nicht wahrhaft und ganz katholisch sind. Ich spreche von Georg Witzel, Konrad Klinge [...].“ 122 110 Siehe Bücker, Konrad Klinge Führer 286 Anm. 43. 111 Ebd. 287 Anm. 48. 112 Ebd. Anm. 50. 113 Dazu und zur Person von Georg Witzel dem Jüngeren vgl. Beumer, Beispiel katholischer Zusammenarbeit 383 bes. Anm. 41. 114 Siehe Rickauer, Rechtfertigung und Heil 21 Anm. 122. 115 Siehe besonders die Zusammenfassung bei Rickauer, Rechtfertigung und Heil 268–273. Die Akzeptationslehre übernahm aber Klinge nicht unmittelbar von Duns Scotus (ebd. 271), sondern eher von Gabriel Biel, den er öfter ausdrücklich zitierte. Siehe ebd. 134f. Anm. 660, 661. 116 Siehe Kleineidam, Universitas studii III, 175f. 117 Siehe oben Anm. 72. 118 1567 erschienen in Paris Klinges „Loci communes Theologici (Erweiterte Ausgabe)“. 119 Die erweiterte Ausgabe der „Loci communes theologici“ kam zuerst in Köln 1562 und 1565 heraus, sie wurde dort noch 1588 nachgedruckt. Klinges „Catechismus catholicus“ erschien dort noch einmal 1570. Müller / Schmies / Loefke, Franziskaner in Thüringen Kat.-Nr. 56. 120 Dazu und insgesamt Kleineidam, Universitas studii III, 179 bes. Anm. 640; Rickauer, Rechtfertigung und Heil 21f. 121 Vgl. Peters, Christian: Loci communes rerum theologicarum seu hypotyposes theologicae [...], Philipp Melanchton, entst. 1520/21. Erstausgabe Wittenberg 1521. In: Lexikon der theologischen Werke. Stuttgart 2003, 478–480. 122 Siehe Canisius, Petrus: Epistolae et acta. Hg. von Otto Braunsberger, Bd. 6 (nr. 2063). Freiburg 1896, 548–557: „Ubi nec tacere possum nec debeo, scriptores quidam huius temporis Catholicos nominari, eorumque libros in precio haberi, et Catholico nomine vulgo celebrari, sed qui revera et integre Catholici non sunt. Loquor de Georgio Wicelio, Conrado Clingio [...].“ Nach Kleineidam, Universitas studii III, 179 Anm. 847.

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1583 wurden Klinges Werke zunächst vom spanischen Generalinquisitor Quiroza verboten. Dann setzte sie Papst Sixtus V. 1590 auf den „Index librorum prohibitorum“, in das „Verzeichnis der verbotenen Bücher“, ebenso Klemens VIII. 1596 mit dem Zusatz, „bis sie gereinigt werden“.123 Mit seinem Freund Georg Witzel teilte Konrad Klinge das Geschick jener auf Verständigung bedachten Theologen, die sich zwar als Gegner der Reformation profilierten, aber nach dem Konzil von Trient bei der weiteren Verschärfung der konfessionellen Auseinandersetzung nicht mehr in den neuen Geist der Gegenreformation passten. Klinge ging mit einem von der Heiligen Schrift geprägten Denken auf die Anliegen der Reformation ein, ohne freilich je die Tradition und Einheit der angestammten Kirche preisgeben zu wollen. Er verteidigte sowohl Freiheit wie Bindung der Ordensberufung für sich und für die Seinen als authentische Christusnachfolge. Das unternahm er unter sehr schwierigen Bedingungen auf so überzeugende Weise, dass sein Denken vielen beispielhaft und hilfreich erschien. Aber die zunehmende Verhärtung der Fronten, die bereits sein Leben belastete und seinen Ordensbrüdern in Erfurt keine Chance mehr gab, führte dann schließlich in der römischkatholischen Kirche, für die er gekämpft hatte, zum Verbot seiner Werke. Der Versuch von Franziskanern observanter Prägung und von Franziskaner-Minoriten, im 17. Jahrhundert die große Tradition ihres Ordens in Erfurt und die Erinnerung an Klinge zu beleben, scheiterte an den internen Auseinandersetzungen, aber vor allem daran, dass ein neuer Geist die Zeit bestimmte.124 Klinge selbst war es nicht gelungen, sein Engagement und sein Denken dem einfachen Volk nahe zu bringen, es in dessen Sprache und Bildung zu übersetzen. Der volkspädagogischen Anstrengung und Übermacht der Reformatoren konnten daher nur ein neues Engagement und neue Kräfte auf katholischer Seite begegnen, wie sie in die Gegenreformation zunächst und vor allem die Jesuiten einbrachten. Dennoch bleibt Klinges Bemühen um Vermittlung und Verständigung in einer Zeit der Konfrontation wichtig, ja kann in einer günstigeren Zeit ökumenischer Verständigung und Zusammenarbeit beispielhaft erscheinen und vielleicht neu anregend wirken.125

5.3. Andreas Scheunemann Noch weniger als bei Konrad Klinge weiß man bei Andreas Scheunemann über seine Herkunft und Jugend. Im Universitätsmatrikel von Frankfurt/Oder erscheint sein Name unter den Studenten aus der Mark Brandenburg („Marchitice nationis“) im Jahre 1518 mit den

123 Vgl. dazu Kleineidam, Unversitas studii III, 179; Rickauer, Rechtfertigung und Heil 22. 124 Vgl. Haselbeck, Gallus: Registrum Thuringiae Franciscanae. Regesten zur Geschichte der Thüringischen Franziskanerprovinz 1633–1874, Bd. 2. Fulda 1940, 224–248 (zu Erfurt). 1628 wurde das Erfurter Barfüßerkloster durch den Fuldaer Guardian Heinrich Wüste in Besitz genommen und sogar vom Rat der Stadt der 1556 beim Tod Klinges versprochene Schutz erneut eingefordert. Als aber die Schweden im 30-jährigen Krieg Erfurt einnahmen, mussten die Brüder mehrmals aus der Stadt weichen. Nach der ‚Mainzer Reduktion‘ von 1664 verhinderten dann die Konkurrenz mit den Minoriten, aber vor allem die Dominanz der Jesuiten eine Neuansiedlung. 125 Das müsste freilich in Einzelstudien zu Klinges Werken weiter verdeutlicht werden, für die Rickauer, Rechtfertigung und Heil. Die Vermittlung von Glaube und Heilshandeln [...] bei Konrad Klinge, angefertigt als Erfurter Dissertation von 1985, hoffentlich ein ermutigender Anfang ist.

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Worten: „frater Andreas Scheunemann conventus Francofordie ordinis Minorum“126. Sein Heimatkonvent war also in Frankfurt/Oder. So mag er dort oder in der Nähe noch vor der Jahrhundertwende zur Welt gekommen und dann um 1515 bei den Minderbrüdern eingetreten sein in den alten, um 1253 oder 1269/70 gegründeten Konvent. Das Kloster in der Oderstadt gehörte schon vor 1469 zu jener strengeren Richtung der ,martinianischen‘ Reform, die in der Saxonia dem „Visitator regiminis“ unterstellt war.127 Doch nach der Gründung der Universität in Frankfurt 1506 durch die Markgrafen von Brandenburg und besonders Kurfürst Joachim I. wurde der Konvent zu einem der bevorzugten Studienorte der Ordensprovinz.128 Das war in erster Linie eine ordenspolitische Entscheidung des damaligen Provinzials Ludwig Henning (1507/15), der den neugegründeten Universitäten Wittenberg und Frankfurt/Oder bei der Bildung und Weiterbildung seiner Brüder mehr Elan und Reformwille zutraute als dem bisherigen studium generale zu Erfurt. Auf seine Veranlassung wechselte 1507 Johannes Schambach als baccalaureus formatus von Erfurt nach Frankfurt, um in Anwesenheit Hennings dort zum doctor theologiae promoviert zu werden.129 An der neuen Universität vertraten die Franziskaner die „via Scoti“, die klassische und neubelebte Lehre ihres maßgebenden Ordenstheologen Johannes Duns Scotus. Nach dem Rücktritt als Provinzialminister kehrte Ludwig Henning 1515 als theologischer Lehrer an die Universität zurück, aber nicht mehr nach Wittenberg, wo er zuvor gelehrt hatte, sondern nach Frankfurt/Oder.130 Das Lehrbuch des neuen Scotismus von Antonius Sirecti, das Henning bereits als Wittenberger Professor 1505 mit Hinzufügungen seines Paduaner Lehrers Mauritius Hibernicus zu Leipzig drucken ließ: „Formalitates moderniores de mente clarissimi doctoris Scoti“, wurde zu Frankfurt/Oder 1508 und 1514 nachgedruckt.131 So konnte Henning dort mehr Interesse für seine Lehrtätigkeit erwarten, die ihn anscheinend bis zu einem päpstlichen Erkundungsauftrag für das Heilige Land 1521 beschäftigte.132 Wenn Andreas Scheunemann 1518 mit dem Studium an der Universität beauftragt wurde, dann um in Frankfurt die scotistische Tradition weiterzuführen, und mit seiner späteren Promotion zum Doktor der Theologie war er dazu in der Lage.133 Theologisch profiliert hat sich Scheunemann in seiner Auseinandersetzung mit der Reformation erst, als er zunächst für das Provinzkapitel der nach der Provinzteilung nur noch nördlichen Saxonia St. Johannis Baptistae in Lübeck 1527 Disputationsthesen aufstellte, die vom Lektor seines Frankfurter Heimatkonvents Jakob Spilner verteidigt werden sollten.134 126 Siehe: Aeltere Universitäts-Matrikeln. I: Universität Frankfurt a. O. Hg. von Ernst Friedlaender, Bd. 1. Leipzig 1887 (Publicationen aus den Königlich-Preußischen Staatsarchiven, 32) 49. 127 Vgl. Schmies / Rakemann, Spuren 193; Heimann, Heinz-Dieter / Neitmann, Klaus / Schich, Winfried (Hg.): Brandenburgisches Klosterbuch. Handbuch der Klöster, Stifte und Kommenden bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, 2 Bde. Berlin – Brandenburg 2007, hier I, 451–459. 128 Vgl. Höhle, Michael: Universität und Reformation. Die Universität Frankfurt (Oder) von 1506–1550. Köln – Weimar – Wien 2002 (Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte, 25) 138–142; ders.: Die Franziskaner in Frankfurt (Oder) zwischen Universitätsgründung und Reformation. In: Wichmann-Jahrbuch des Diözesangeschichts-Vereins Berlin NF 10 – 48./49. Jahrgang (2008/2009) 2009, 64–100. 129 Ebd. 138f.; vgl. auch Schmies, Ludwig Henning 99; Höhle, Franziskaner in Frankfurt (Oder) 73 Anm. 46. 130 Siehe dazu insgesamt Schmies, Ludwig Henning 95–101. 131 Siehe Höhle, Universität und Reformation 141f. 132 Siehe Schmies, Ludwig Henning 100f. 133 Am Rande des Matrikeleintrags von 1518 (vgl. oben Anm. 126) wird später zusätzlich angemerkt: „pauper, doctor theologie“. Vgl. auch Höhle, Franziskaner in Frankfurt (Oder) 77. 134 Sie sind vor Ort auf einem Einblattdruck in der Stadtbibliothek Lübeck überliefert worden. Vgl. Curtius, Carl: Thesen zu einer Disputation im St. Katharinenkloster zu Lübeck. In: Zeitschrift des Vereins für

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Auf diesem Kapitel wurde Scheunemann zum Provinzialminister der sächsischen Nordprovinz gewählt135, in welcher Eigenschaft er mit seinen Vorgängern Gerhard Funck (1521/24) und Eberhard Runge (1524/27) das Klarissenkloster zu Ribnitz besuchte, um die Schwestern und die Brüder dort im überlieferten Glauben zu bestärken.136 Die für Lübeck aufgestellten Thesen brachte Scheunemann 1529 zu Frankfurt /Oder mit anderen Thesenreihen in einem kleinen Buch heraus, das sich noch ausführlicher mit dem Thema der Lübecker Thesen beschäftigte: „Über die Gnade und die freie Entscheidung des Menschen.“ 137 Hier wandte er sich deutlicher gegen die „Erwürger (iugulatores) der freien Entscheidung“, über die Scheunemann im Vorwort schrieb: „Jetzt ersteht wiederum und wiederholt sich viel grimmiger und unmenschlicher ein Zweikampf über die Freiheit des Willens und die Entscheidung der Vernunft, wobei die Erwürger der freien Entscheidung behaupten, es gebe im Menschen keine freie Entscheidung, ja das sei nur eine Sache bloß des Titels, und sie halten es für ein Ergebnis platonischer Lehrmeinungen.“ 138 Damit sollten die lutherischen Gegner deutlicher markiert werden, während die Thesen von Lübeck noch eher versteckt von ‚pikardischen‘, also radikal hussitischen, Einflüssen sprachen.139 Nach der originalen Einleitung dieser Thesen, wie sie sich im überlieferten Einblattdruck findet, präsidierte Andreas Scheunemann als „Professor der heiligen Theologie“ und als „Guardian des Konventes zu Frankfurt diesseits der Oder“ der Kapitelsdisputation vom 31. August 1527 im Franziskanerkloster zu Lübeck, während Bruder Jakob Spilner als Lektor

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Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 12 (1910) 69–79, bes. 70–73. Vgl. auch Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 52 Anm. 2; Höhle, Universität und Reformation 276–282; ders., Franziskaner in Frankfurt (Oder) 77. Siehe Lemmens, Leonhard: Die Provinzialminister der alten Sächsischen Franziskanerprovinz. In: Beiträge zur Geschichte der Sächsischen Franziskanerprovinz vom Heiligen Kreuze 3 (1909) 12. Siehe Die Chroniken 154f. zum 8. September 1527: „ume salicheit der seelen unde bestendigheit im gloven der hilligen christlicken kerken“. Der Titel insgesamt lautet: „De gratia et libero // hominis arbitrio: In // eiusdem iugulatores orthodoxum iuditium // cuiuis candido orthodoxoque lectori diui-//nas prescrutanti litteras pernecessarium. Sub-//nexis aliquot disputatis, in scholis Franc-//fordianis et capitularibus congre-//gationibus Provintie Saxonie Sancti Ioannis Baptiste ad amussim vsque elaboratis // Per R. P. Andream // Scheunemann Mi-//noritam sacre // theologie // doctorem, // euisdem prouintie Ministrum editum. // Anno Domini M.D.XXIX.“ Das Exemplar der Universitätsbibliothek Halle (AB 155016 [5]), das in einer Kopie vorliegt, bringt – nach dem Titelblatt – einen Holzschnitt, auf dem die Christusvision und Stigmatisation des heiligen Franziskus sehr dekorativ dargestellt sind und somit die franziskanische Provenienz des Drucks eigens betont wurde. Siehe ebd. A 2r: „Nunc vero multo atrotius: inhumaniusque rursus consurgit ac revocatur de voluntatis libertate: rationisque arbitrio duellum: asserentibus liberi arbitrii iugulatoribus: nullum in homine liberum esse arbitrium: verum rem tantummodo fore de solo titulo, atque illud ex Platonicis censent erupisse disciplinis.“ Vgl. dazu Luther, Heidelberger Disputation 1518, Ex Theologia nr. 13: „Liberum arbitrium post peccatum res et de solo titulo“, LWA 5, 378,21; WA 1, 354,5. Siehe These 5 bei Curtius, Thesen 71: „Errant profecto, qui Picardicis neniis involuti, liberum arbitrium post peccatum rem causantur esse de solo titulo, et qui Stoycis disciplinis imbuti omnia de necessitate evenire affirmant.“ Siehe ebenso in: „Probleuma de libero arbitrio Lubece disputatum Sub anno domini M.D. XXVII. Vltima Augusti [V]“ bei Scheunemann, De gratia, C 5rv. – In Lübeck war es bereits 1527 ratsam, nicht offen gegen die reformatorische Bewegung anzugehen. Siehe dazu Höhle, Universität und Reformation 276 Anm. 288; ders., Franziskaner in Frankfurt (Oder) 84. Zur weiteren reformatorischen Entwicklung in Lübeck vgl. Brecht, Luther II, 333. Als 1530 Johannes Bugenhagen dorthin berufen wurde und die Reformation vollends durchführte (ebd. 412), brachte das schon 1531 die Umwandlung des dortigen Franziskanerklosters St. Katharinen in eine reformatorische Schule mit sich (siehe Schmies / Rakeman, Spuren 273).

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der Theologie die Thesen erläutern soll.140 Spilner, der hier in der Schüler-Rolle erscheint, der die Thesen seines Professors zu vertreten hat, kann aber als Lehrer seines Ordens nicht unbedeutend gewesen sein, da er bereits 1516 in einem Brief an die Fürstin Margarete von Anhalt für Grüße dankte, die sie ihm durch den damaligen Provinzialminister der Saxonia Hermann Nedewolt (1515/18) übermitteln ließ.141 Die Thesen, die von Scheunemann „kaum zufällig“ aufgestellt wurden, wurden bei Höhle bereits ausführlich erörtert und gewürdigt.142 Sie reagierten auf die Diskussion um die Entscheidungsfreiheit, die seit Luthers Heidelberger Disputation 1518 aufgeflammt war und die 1525 Erasmus von Rotterdam gegen die reformatorische Theologie in Stellung gebracht hatte. Von dem irenischen und humanistischen Interesse, das Erasmus bewog, vermittelnd und klärend in den Streit einzugreifen,143 war aber bei Scheunemann kaum etwas zu spüren. Er wollte dezidiert die tradierte scholastische Lehre von der trotz des Sündenfalls bleibenden menschlichen Entscheidungsfreiheit und Mitwirkung im Heilsgeschehen verteidigen. In der letzten These bezog sich Scheunemann ausdrücklich auf den scholastischen Grundsatz: „Wer tut, was an ihm ist, dem verweigert Gott die Gnade nicht.“144 Ihn hatte ja Luther selbst noch in seinen „Psalmenscholien“ 1513/15 im Anschluss an Gabriel Biel145 vertreten: „Daher sagen die Lehrer zurecht, dass dem Menschen, der tut, was an ihm ist, Gott unfehlbar die Gnade gibt. Kann er auch nicht sich voll entsprechend (de condigno) für die Gnade bereiten, so doch gut angemessen (de congruo) wegen dieser Verheißung und des Bundes der Barmherzigkeit.“ 146 140 Siehe bei Curtius, Thesen 70: „Praeside eximio ac Reverendo P. F. Andrea Schewneman ordinis Minorum: Sacrae Theologiae professore, Conventus Franckfordensis cis Oderam Gwardiano. Frater Jacobus Spilner ejusdem ordinis et facultatis lector, Sub annotatam questionem cum suis assertionibus versabit. In Conventu fratrum dicti ordinis Imperialis et inclyte civitatis Lubecensis tempore capitularis congregationis. Anno domini M.D. XXVII. Ultima Augusti celebrande ad horam XII.“ Die Zahl XII ist handschriftlich hinzugefügt. Vermutlich wurde sie in das aus Frankfurt / Oder mitgebrachte Druckblatt erst eingefügt, als der genaue Zeitpunkt der Disputation feststand. 141 Vgl. Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 52 Anm. 2; 86 Anm. 2. 142 Siehe Höhle, Universität und Reformation 276–282; ders., Franziskaner in Frankfurt (Oder) 83–89. 143 Siehe Erasmus von Rotterdam: De libero arbitrio diatribe sive collatio. Übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Winfried Lesowsky. In: Erasmus, Desiderius von Rotterdam: Ausgewählte Schriften. Hg. von Werner Welzig, Bd. 4. Sonderausgabe Darmstadt 1995, 1–195 beziehungsweise Einleitung VI–XXII. 144 „Facienti quod est in se, Deus non denegat gratiam.“ Dieser Grundsatz fand sich spätmittelalterlich in verschiedenen Formulierungen. 145 Vgl. Gabriel Biel, II. Sent. d. 27 q. 1 a. 2 concl.: „Anima obicis remotione ac bono motu in deum ex arbitrii libertate elicito primam gratiam mereri potest de congruo. Probatur quia actum facientis quod est in se est, deus acceptat ad tribuendum gratiam primam, non ex debito iustitiae, sed ex sua liberalitate. Sed anima removendo obicem, cessando ab actu et consensu peccati et eliciendo bonum motum in deum tanquam in suum principium et finem facit quod in se est. Ergo actum remotionis obicis et bonum motum in deum acceptat deus de sua liberalitate ad infundendum gratiam.“ Siehe dazu Oberman, Heiko Augustinus: Spätscholastik und Reformation, Bd. 1: Herbst der Mittelalterlichen Theologie. Zürich 1965, 163; Ruhstorfer, Karlheinz: Sola Gratia – Der Streit um die Gnade. In: Zeitschrift für Katholische Theologie 126 (2004) 257–268, 261 Anm. 8. 146 Siehe Luther, Psalmenscholien zu Ps 113,1: „Hinc recte dicunt Doctores, quod homini facienti quod in se est, deus infallibiliter dat gratiam, et licet non de condigno sese possit ad gratiam praeparare, quia est incomparabilis, tamen bene de congruo propter promissionem istam dei et pactum misericordie“ (LWA 5, 194,24 – 195,3; WA 4, 262,4–7 Nota 1). Luther bezog sich dabei auf Jesu Erhörungszusage für das Bittgebet in Mt 7,7f.

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Seit Beginn seiner neuen Theologie in der Auslegung des Römerbriefs wandte sich Luther jedoch entschieden gegen dieses Axiom: „Daher ist völlig absurd und eine heftige Unterstützung des pelagianischen Irrtums jene gebräuchliche Sentenz: ‚Wer tut, was an ihm ist, dem gießt Gott unfehlbar die Gnade ein‘, wenn man mit ‚tun, was an ihm ist‘ meint, irgendwas zu machen oder zu können. Denn daher ist die ganze Kirche beinahe unterwühlt, nämlich durch das Vertrauen auf diesen Satz. Ein jeder sündigt einstweilen in Sicherheit, da das ‚Tun, was an ihm ist‘ allezeit in seiner Entscheidung stehe, also auch die Gnade. Also gehen sie ohne Furcht, weil sie zu ihrer Zeit tun werden, was an ihnen ist, und die Gnade haben werden.“ 147 Eine ähnliche Argumentation hat Scheunemann vor Augen, wenn es bei ihm in der letzten These heißt: „Der Mensch, seinen natürlichen Kräften überlassen, verdient eigentlich und einfachhin aus freier Entscheidung allein gar nichts, weder in voll entsprechender (de condigno), noch angemessener Weise (de congruo). Im uneigentlichen Sinn jedoch verdient er durch eine umsonst gegebene Gnade, wie man sagt, angemessen (de congruo) die rechtfertigende Gnade und durch allgemeine Berücksichtigung eine zeitliche Belohnung. Er tut ja entweder (wie die Scholastiker sagen), was an ihm ist, oder er tut ein generell gutes Werk. Das geschieht nicht wegen der Güte des Werkes, die bei Gott nichts bedeutet, sondern wegen der Freigebigkeit der göttlichen Majestät, die nichts Gutes unbelohnt lässt, selbst was nur dessen Anschein vor sich her trägt. Daher sieht man die Angemessenheit des Verdienstes nicht in Beziehung auf das Werk der freien Entscheidung, sondern in Bezug auf die göttlichen Güte.“ 148 147 Siehe Luther, Römerbriefvorlesung zu Röm 14: „Ideo absurdissima est et Pelagiano errori vehementer patrona sententia usitata, qua dicitur: ‚Facienti, quod in se est, infallibiliter Deus infundit gratiam‘, intelligendo per ‚facere, quod in se est‘, aliquid facere vel posse. Inde enim tota Ecclesia pene subversa est, videlicet huius verbi fiducia. Unusquisque interim secure peccat, cum omni tempore in arbitrio suo sit facere, quod in se est, ergo et gratia. Ergo sine timore eunt, sc. suo tempore facturi, quod in eis est, et gratiam habituri“ (LWA 5, 299,3–10; WA 56, 503,1–8). Vgl. auch Luthers Disputatio contra scholasticam theologiam 1517, These 33: „Falsum et illud est, quod facere quod est in se sit removere obstacula gratiae“ (LWA 5, 323,3–4; WA 1, 225,35–36) und seine Heidelberger Disputation 1518, Ex Theologia nr. 16: „Homo putans, se ad gratiam velle pervenire faciendo quod est in se, peccatum addit peccato, ut duplo reus fiat“ (LWA 5, 378,27–28; WA 1, 354,11–12). 148 Siehe Curtius, Thesen 73: „18. Homo enim suis derelictus naturalibus ex solo libero arbitrio, neque de congruo neque de condigno simpliciter et proprie quicquam meretur. Mereri tamen per gratiam gratis datam, secundum quid, de congruo dicitur gratiam justificantem et per generalem respectum temporalem remunerationem, dum vel facit (ut Scolastici dicunt) quod in se est, vel dum opus facit ex genere bonum, non ob operis bonitatem, quae apud deum nulla est, sed ob divinae majestatis benignitatem, quae nullum bonum etiam quod spetiem [!] solummodo prae se fert irremuneratum praeterit. Meriti igitur congruitas non penes opus liberi arbitrii, sed penes divinam bonitatem aestimatur.“ Vgl. auch Scheunemann, De gratia, D 1rv. Scheunemann bezog sich bis in den Wortlaut auf das Werk des süddeutschen Ordensbruders Schatzgeyer, der sich 1522 um die Versöhnung der gegensätzlichen Standpunkte zwischen scholastischen und reformatorischen Theologen bemühte. Vgl. Schatzgeyer, Scrutinium scripturae sacrae: „Indago octava. Liberum arbitrium potest virtute naturali, cooperante generali Dei liberalitate, aliquod opus bonum facere, per quod mereri potest aliquam retributionem, non ob bonitatem operis, sed propter divinae bonitatis immensitatem, quod vel speciem habet bonitatis non relinquit irremuneratum, etiam si sit solum bonum ex genere. […] Dei bonitas exuberantissima nullum bonum, quod vel speciem bonitatis prae se fert, irremuneratum praeteriit; munere quidem temporali, quem spirituali secundum aeternam suam sapientiam indignum iudicat, aut spirituali (si de electis est) visitans eum aliquo dono gratiae, ut ad salutem accedat. […] Potest autem tale opus dici meritum de congruo ad aliquam gratiam recipiendam saltem gratis datam, qua ulterius provehatur ad salutem, sic quod ibi congruitas non accipiatur ex operis bonitate, sed ex divinae bonitatis immensitate;

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Nicht auf seine eigenen natürlichen Kräfte, besonders auf seine freie Willensentscheidung, kann der Mensch sich verlassen, wenn es um seine Rechtfertigung vor Gott oder um göttlichen Lohn für sein Gutestun geht. Denn das bedeutet nichts, wenn ihm nicht eine ganz unverdiente göttliche Gnade oder generell die göttliche Freigebigkeit, die nichts Gutes unbelohnt lässt, zu Hilfe kommen.149 Ähnlich wie Luther in seiner frühen Theologie wollte Scheunemann das scholastische Axiom retten, ohne aber wie Luther das Tun des Menschen, das Gottes Gnade erlangt, nur im vertrauensvollen Gebet zu sehen. Damit erhielt das menschliche Werk insgesamt bei Scheunemann ein eigenes Gewicht, selbst wenn Gottes Güte allein sein gutes Gelingen und besonders seine Heilsbedeutung zustande bringt. Das gilt erst recht für ein „Werk, das aus der Gnade hervorgebracht wurde“. Von ihm kann man sagen: „es verdiene voll entsprechend (ex condigno) reichere Gnade und Herrlichkeit, nicht wegen des Gutseins des Werkes, wie es aus freier Entscheidung hervorgeht, sondern wegen der abgrundtiefen Freigebigkeit der neu schaffenden Gnade, aus der es sein Gutsein empfängt“.150 Im natürlichen wie im gnadenhaften Wirken des Menschen blieb für Scheunemann die freie Entscheidung gegeben, wobei die Freiheit der Entscheidung und damit die Verdienstlichkeit zum Heil erst in der rechtfertigenden Gnade ihre eigentliche Würde und Höhe erreichen, „weil es der Gnade eigen ist, dass sie neu schafft, Leben spendet, erleuchtet, angleicht, angenehm macht und die Zuneigung erhöht“ 151. So wird weder die Gnade die freie Willensentscheidung behindern, noch die Gnade Gottes durch die Mitwirkung der freien Entscheidung des Menschen irgendwie beeinträchtigt werden.152 Dass Scheunemann hier mit der kirchlichen Tradition zu einer anderen Sicht als Martin Luther kam, hatte etwas mit seinem franziskanischen Bild vom schöpferischen Gott zu tun: „Ohne Unrecht gegenüber dem Schöpfer übt ja jedwedes Geschöpf durch die Gnade der Schöpfung oder allgemeinen Einfluss seine eigentümlichen Tätigkeiten aus. Ebenso geschieht es ohne Missachtung des Schöpfers, wenn die freie Willensentscheidung des Menschen, der die Gnade der Neuschöpfung zuvorkam und half, ihre eigentümlichen spontanen und freien Tätigkeiten hervorbringt.“ 153 nam et congruum iudicatur, ut qui facit, quod potest, in genere boni adiuvetur, ut plus possit. Et hoc vocatur apud theologos, facere quod in se est“ (Ed. Schmidt 17–18). 149 Auf diese Möglichkeit kam schon Duns Scotus zu sprechen. Siehe Duns Scotus, Johannes: Reportata Parisiensia ad II. Sent. d. 28 q. unica: „liberum arbitrium non potest diu stare, quin peccabit novo peccato, vel quin Deus ex liberalitate dabit sibi gratiam, si disponat se quantum in se est. […] licet existens in peccato non potest ex se vitare omne peccatum, tamen potest se disponere, et tunc Deus dabit gratiam, unde possit“ (Opera omnia, Ed. Vivès XXIII, 440–441). Obwohl das spätere scotistische Scholion 3 (ebd. 410) bereits auf die Nähe zum Grundsatz: „Facienti quod est in se, Deus non denegat gratiam“ hinwies, ließ Scotus selbst hier noch mehrere Möglichkeiten offen. 150 Siehe in der vorletzten 17. These bei Curtius, Thesen 73: „opus ex gratia profectum dicatur ex condigno uberiorem mereri gratiam et gloriam, non ob operis, ut a libero prodit arbitrio, bonitatem, sed ob recreantis gratie, unde bonitatem accipit, abyssalem largitatem“. Vgl. auch Scheunemann, De gratia, D 1r. 151 Ebd.: „Quoniam peculiare est gratiae, ut recreet, vivificet, illuminet, assimilet, acceptum reddat et affectum sustollat.“ 152 Siehe These 16, ebd. 72: „Nullum quoque libero arbitrio fit praejudicium, quod gratiae in operibus rectis primas tribuatur, Sicut neque gratiae, quod voluntas ei cooperatur, quicquam decerpitur.“ 153 Siehe Curtius, Thesen 72: „16. Quemadmodum praeter iniuriam conditoris unaquaeque creatura per gratiam creationis seu generalem influxum operationes proprias exercet, Sic citra creatoris despectum hominis liberum

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Das Wirken des Schöpfer-Gottes ist immer Gnade, gerade weil er in der Schöpfung seine Geschöpfe zu ihren eigentümlichen Tätigkeiten begabt, ermächtigt und freisetzt, aber erst recht, weil er in der Neuschöpfung der freien Willensentscheidung des Menschen vorweg entgegenkommt und die ihr eigentümlichen spontanen und freien Tätigkeiten ermöglicht. Die Abwertung der freien Willensentscheidung in reformatorischer Theologie,154 besonders aber in Luthers Konzeption von einem geradezu nötigenden Gott,155 konnte daher Scheunemann nicht überzeugen.156 Denn für ihn war diese Auffassung unkatholisch. Dabei berief er sich aber nicht auf die kirchliche Verurteilung eines entsprechenden Satzes von Wyclif auf dem Konzil von Konstanz 1415, die Luther ja nicht ernst genommen hatte.157 Scheunemann verwies auf einen angeblichen Satz Augustins: „Wer nämlich (sagt Augustinus) den freien Willensentscheid leugnet, den darf man nicht für einen Katholiken halten.“158 Damit bezog sich Scheunemann auf eine Augustinus fälschlich zugeschriebene Schrift, die aber im Mittelalter einflussreich war.159 Diese geschichtlich fragwürdige Argumentation geriet durch einen auch sachlich fragwürdigen Hinweis auf eine angeblich stoische Herkunft von Luthers und Wyclifs Vorstellung absoluter Notwendigkeit des Weltgeschehens erst recht ins Zwielicht.160 Denn wer nach Scheunemann den unterschiedlichen Grad von verdienstlichem menschlichem Handeln (de condigno oder de congruo) nicht anerkennt, konnte „in die Häresie

arbitrium a gratia recreationis praeventum et adjutum proprias spontaneas et liberas elicit operationes.“ Vgl. Scheunemann, De gratia, D 1r. 154 Vgl. Luther, Heidelberger Disputation, Ex Theologia nr. 13: „Liberum arbitrium post peccatum res est de solo titulo, et dum facit quod in se est, peccat mortaliter“ (LWA 5, 378,21–22; WA 1, 354,5–6). Dieser Gedanke wurde später von Luther selbst, von Melanchthon und Karlstadt weiterentwickelt. 155 Nachdem Luthers Heidelberger 13. theologische These von Papst Leo X. in der Bannandrohungsbulle verurteilt wurde (DH 1486), verschärfte sie Luther in der Assertio omnium articulorum M. Lutheri per bullam Leonis X. novissimam damnatorum, indem er eine in Konstanz verurteilte These Wyclifs (DH 1177) von der göttlichen, absoluten Notwendigkeit allen Geschehens aufgriff (WA 7, 146,4–8). Vgl. Höhle, Universität und Reformation 277 Anm. 294. Siehe dazu auch Erasmus, Diatribe II b 8 (Ausgewählte Schriften 4, 88–91). 156 Siehe Curtius, Thesen 71: „5. Errant profecto, qui Picardicis neniis involuti, liberum arbitrium post peccatum rem causantur de solo titulo, et qui Stoycis disciplinis imbuti omnia de necessitate evenire affirmant, et qui internos affectus prorsus negant in nostra esse potestate, quique illius penitus tollunt activitatem.“ Hier spielt Scheunemann nicht nur auf Luther an, sondern auch auf Melanchthon (Höhle, Universität und Reformation 277 Anm. 294, 296) und Karlstadt. Das wird später noch deutlicher. Siehe Scheunemannn, De gratia, C 2v–3r. 157 Siehe Luther, Assertio art. 36: „Male enim dixi, quod liberum arbitrium ante gratiam sit res de solo titulo, sed simpliciter debui dicere. Liberum arbitrium est figmentum in rebus seu titulus sine re, quia nulli in manu quippiam cogitare mali aut boni, sed omnia, ut Vuiclevi articulus Constantiae condemnatus recte docet, de necessitate absoluta eveniunt“ (WA 7, 146,4–8). Vgl. dazu den verurteilten Satz Wyclifs: „Omnia de necessitate absoluta eveniunt.“ Siehe DH 1177. 158 Curtius, Thesen 71: „Negans enim (inquit Augustinus) liberum arbitrium pro catholico censendus non est.“ Vgl. Scheunemann, De gratia, C 7rv. 159 Später wird Scheunemann diesen angeblichen Satz Augustins am Rande auf: „Au. Hyponosticon li. iii“ zurückführen (siehe Scheunemann, De gratia, A 2r). Er kommt also aus der pseudo-augustinischen Schrift Hypomnesticon contra Pelagianos et Coelestinianos vulgo Libri Hyponosticon: „Est igitur liberum arbitrium, quod quisquis esse negaverit catholicus non est: et quisquis sic esse dixerit, quod sine Deo bonum opus, id est, ad eius sanctum propositum pertinet, nec incipere, nec perficere possit, catholicus est“ (PL 45, 1031). Auf Aussagen dieser antipelagianischen Schrift aus dem Umkreis Augustins bezog sich Scheunemann eher selektiv, indem er ihm genehme Gedanken aufgegriffen hat. Siehe auch Höhle, Universität und Reformation 277 Anm. 293; ders., Franziskaner in Frankfurt (Oder) 85 Anm. 128. 160 Diese Vorstellung wurde freilich auch bei Johannes Eck und Konrad Wimpina auf die griechische Stoa zurückgeführt. Siehe Höhle, Universität und Reformation 277 Anm. 295.

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einer stoischen, um nicht zu sagen: dummdreisten, absoluten Notwendigkeit fallen“.161 Diese Vorstellung entstammte jedoch dem mittelalterlichen Averroismus,162 hatte aber kaum etwas mit der Frage nach der Verdienstlichkeit menschlichen Handelns zu tun. Ohne Freiheit lässt sich zwar kaum von einem Wert oder gar einer Würde menschlichen Handelns sprechen. Aber in welchem Maße Gott in seinem Gnadenerweis oder Heilshandeln Wert und Würde menschlichen Handelns einbezieht oder gar anrechnet, das ist eine andere Frage. So kann ja die Frage nach der Verdienstlichkeit von menschlichem Werk theologisch unterschiedlich beantwortet werden, obwohl Wert und Würde menschlichen Handelns, seine frei gewollte Güte oder Bosheit vor Gott und für das Heil des Menschen nicht einfach gleichgültig sein können.163 Wenn Scheunemann die menschliche Entscheidungsfreiheit so wichtig nahm, ging es ihm nicht so sehr um die Verdienstlichkeit menschlichen Handelns, sondern viel mehr um ein grundlegendes Vertrauen in das Heilshandeln Gottes, in Gottes Gnade, in die Schöpfung und Neuschöpfung. Was Adam vom gnädigsten Gott ursprünglich an Güte, Vollkommenheit und Gerechtigkeit gegeben war, hat er durch den Sündenfall verloren, und zwar in freier Zustimmung zum Bösen.164 Aber dieses Verderben zum Bösen betraf nicht die menschliche Natur selbst, sondern nur ihre moralische Beschaffenheit, sodass nichts von dem verloren ging, „was zur Integrität und Natur oder Substanz des Menschen gehört, sondern nur was sie wohlgestaltet und ansehnlich macht, Licht und Ansehen der Tugenden“.165 Wenn also Scheunemann, in Anlehnung an eine antipelagianische Schrift des Prosper von Aquitanien, die grundlegende Unversehrtheit der menschlichen Natur selbst nach dem Sündenfall betonte, bezog er sich wie Prosper auf den Schöpfer-Gott. Sein schöpferisches 161 Siehe Curtius, Thesen 73 (zu These 17): „Cave ergo, dum meritum negas secerni in condigni et congruitatis, haeresim incidas Stoyce, ne dicam stolide, absolutae necessitatis.“ Vgl. Scheunemann, De gratia, D 1r: „absolute necessitatis“. 162 Vgl. die Verurteilung averroistischer Thesen 1277 durch den Pariser Bischof Stephan Tempier bei Denifle, Heinrich (Ed.): Chartularium Universitatis Parisiensis, Bd. 1 (n. 473). Paris 1889, 543–555, bes. 545: „Error 21: Quod nihil fit a casu, sed omnia ex necessitate eveniunt; et quod omnia futura, que erunt, de necessitate erunt, et que non erunt, impossibile est esse, et quod nihil fit contingenter, considerando omnes causae.“ Diese eher naturphilosophische These wird in einem bestimmten Gottesbild verankert. Siehe ebd. 546: „Error 53: Quod Deus neccesse est facere, quidquid immediate fit ab eo.“ Das wirkt sich dann auch anthropologisch aus in der Leugnung echter Willensfreiheit. Siehe ebd. 552: „Error 163: Quod voluntas necessario sequitur, quod firmiter creditum est a ratione, et quod non potest abstinere ab eo, quod ratio dictat. Haec autem necessitatio non est coactio, sed natura voluntatis.“ 163 Weniger an die scholastische Tradition gebunden als Scheunemann, kam etwa Konrad Klinge in seiner Auseinandersetzung mit reformatorischen Theologien (mit der Theologie Luthers, der Theologie des frühen und späteren Melanchthon) zu unterschiedlichen Lösungsversuchen in der Frage der Verdienstlichkeit menschlicher Werke. Vgl. dazu abschließend Rickauer, Rechtfertigung und Heil 264–266. Doch für Klinge sind jedenfalls deren Wert und Würde nicht gleichgültig vor Gott und für den Empfang des Heils. 164 Siehe Curtius, Thesen 70 (zur 1. These). 165 Siehe ebd. (These 1): „malus, non natura sed morum qualitate est effectus“; (These 2): „neque quae de integritate atque natura seu de substantia sunt hominis, sed quae ipsam decoram formosamque efficiunt, ut est lumen decusque virtutum, per inobedientiae crimen fraude invidentis sunt ablata“. Siehe dazu eine Passage bei Prosper von Aquitanien: De gratia Dei et libero arbitrio c. 12 n. 4: „Naturae quippe humanae, cuius creator est Deus, etiam post praevaricationem, manet substantia, manet forma, manent vita et sensus et ratio, ceteraque corporis et animi bona, quae etiam malis vitiosisque non desunt, sed non in his habet veri boni perceptionem; quae mortalem vitam honestare possunt, aeternam autem conferre non possunt“ (PL 51, 246A). Darauf bezieht sich Scheunemann ausdrücklich in seiner späteren Stellungnahme (vgl. Scheunemann, De gratia, B 2r).

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Wirken bleibt als „gratia creationis“ (Schöpfungsgnade) oder – scholastisch formuliert – als „generalis influxus“ (allgemeiner Einfluss) dem Menschen erhalten. Diese Überzeugung entfaltete der franziskanische Theologe in seinen Thesen166, wobei Scheunemanns franziskanische Schöpfungsfrömmigkeit sich mit einem Gedanken verband, der schon bei Petrus Lombardus erschien.167 Durch die grundlegende Schöpfungsgnade konnte sich nach Scheunemann bei allen Völkern sogar eine gewisse natürliche und natürlich wertvolle Sittlichkeit und Rechtsordnung entfalten, die aber ohne besondere Gnade Gottes nicht zum Heil und ewigen Leben führt.168 Bei diesen Überlegungen zu einer schon vor und unabhängig von der neuschaffenden Heilsgnade geltenden Sitten- und Rechtsordnung der Völker wird man an Ockhams Überlegungen zum „ius gentium“, zum Völkerrecht, erinnert, das schon infolge natürlicher Anlage und geschichtlicher Entfaltung sinnvolle und gültige Gesetze und Ordnungen, sowie Rechte und Freiheiten begründet.169 Dabei wahrte Scheunemann das antipelagianische Anliegen, nach dem weder Natur, noch Gesetz, noch Lehre ohne die Heilsgnade und ohne den Dienst des wahren Gottes von sich aus zur wahren Tugend, zum gottgefälligen Werk und zur ewigen Seligkeit gelangen können.170 Wie schon das Verhältnis von schöpferischer Gnade zur rettenden, neuschöpferischen Gnade in Scheunemanns Thesen implizit durch Bernhard von Clairvaux mitbestimmt war,171 so nun explizit das Verhältnis der rettenden, neuschaffenden Gnade zum freien Willensentscheid des Menschen.172 Die retten 166 Siehe schon These 16 (oben Anm. 153) und ebenso die Thesen 9, 10, 12 und 13, bei Curtius, Thesen 71f. Siehe auch Scheunemann, De gratia, C 7v–8v. 167 Siehe bei Lombardus, Petrus: Sententiarum libri Tom. I. (lb. 2. d. 24 c. 1). Grottaferrata 1971 (Spicilegium Bonaventurianum, 4/1) 451f. Petrus Lombardus behandelte dort die Behauptung über den gefallenen Menschen: „Poterat quidem per illud auxilium gratiae creationis resistere malum, sed non perficere bonum“ (451,3–4). Während aber der Lombarde diesen Gedanken eher kursorisch und kritisch einführte, wurde er beim Franziskaner Scheunemann zur tragenden Grundlage seiner Argumentation. 168 Siehe Curtius, Thesen 71: „9. Quando dividebat altissimus gentes et filios Adam, ut vias suas ingrederentur, dimisit, gratiam creationis et bonitatis suae dona, qua solem oriri facit super bonos et malos, generalem quoque providentiae curam non subtraxit, qua adjuti legalia praecepta ex elementorum obsequiis ac testimoniis, ut sint inexcusabiles, didicerunt.“ Vgl. dazu Deut 32,8; Mt 5,45; Röm 1,20. Siehe weiter ebd.: „10. Tametsi plerique sola creationis gratia seu generali (ut ajunt) influxu adjuti, cupiditates suas justitiae atque honestatis legibus temperarunt, praesentemque vitam decenter ornarunt, ut ethnici multum orando, hypocritae frequenter jejunando et eleemosinas largiendo, nihil tamen supra mercedem temporalis gloriae acceperunt, aeternae enim beatitudinis praemium non sunt consequuti [!].“ Vgl. dazu Mt 6,2. 7. Siehe auch Scheunemann, De gratia, C 7v–8r. 169 Vgl. Schmidt, Martin Anton: Kirche und Staat bei Wilhelm von Ockham. In: Theologische Zeitschrift 7 (1951) 265–284; Kölmel, Wilhelm: Das Naturrecht bei Wilhelm von Ockham. In: FrS 35 (1953) 35–85; Schlageter, Die Autorität des kirchlichen Amtes und die evangelische Freiheit 183–213. 170 Siehe dazu die entsprechenden Thesen 6–8 bei Curtius, Thesen 71. Siehe auch Scheunemann, De gratia, C 7v. Scheunemann bezog sich dabei auf eine antipelagianische, pseudo-ambrosianische Schrift „De vocatione gentium“, die nun Prosper von Aquitanien zugeschrieben wird (vgl. PL 51, 635). Vgl. Höhle, Reformation und Universität 278 Anm. 297. Diese Schrift sollte Scheunemann in seiner späteren eingehenderen Darlegung ausdrücklich und wörtlich zitieren (vgl. Scheunemann, De gratia, B 3r). 171 Siehe Bernhard von Clairvaux: Liber de gratia et libero arbitrio c. 6 §. 16: „Velle vero simpliciter, ipsum est quod vel proficit, vel deficit. Porro ipsum ut esset, creans gratia fecit; ut proficiat, salvans gratia facit; ut deficiat, ipsum se deicit. Itaque liberum arbitrium nos facit volentes, gratia benevolos“ (SC 393, 280). Darauf kommt Scheunemann später ausdrücklich zurück (vgl. Scheunemann, De gratia. B 6r). 172 Siehe These 15 bei Curtius, Thesen 72: „15. Gratia salvans atque recreans, ut Bernhardus inquit, sic cum libero voluntatis operatur arbitrio, ut illud praeveniat et deinceps sibi cooperetur, et ita ut id quod a gratia coeptum est, pariter ab utroque perfitiatur [!], ut mixtim non singillatim, simul non vicissim per singulos profectus opertur, non partim gratia partim liberum arbitrium, sed totum singula opere individuo peragunt, totum

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de und neuschaffende Gnade wirkt daher so mit dem freien Willensentscheid zusammen, dass sie ihm zuvorkommt, alles gute Wollen zuerst in der Gnade seinen Anfang nimmt und daher in ihrem Zusammenwirken jedes gute Werk ganz aus Gnade und ganz aus der guten, begnadeten Freiheitsentscheidung des Willens hervorgeht. Obwohl Scheunemann die scholastischen Denkweisen zu Gnade und Freiheitsentscheidung, zu Gnade und guten, verdienstlichen Werken zu verteidigen suchte, griff er in seinen Thesen noch nicht namentlich auf scholastische Autoren zurück. In seiner späteren ausführlicheren Schrift „De gratia et libero hominis arbitrio“ (Von der Gnade und des Menschen freien Willensentscheid)173 zitierte zwar Scheunemann kurz den „Magister sententiarum“174, nämlich Petrus Lombardus, sowie den „diuus pater Bonauentura“175, um Bonaventura als dem maßgebenden Lehrer des Ordens Reverenz zu erweisen. Eine tragende Bedeutung für seine eigene Argumentation scheinen diese beiden Zitate der Schultradition jedoch nicht zu haben. Wichtiger war für Scheunemann die Auseinandersetzung mit Pelagius, die schon in den Thesen anklang,176 aber nun ausführlicher reflektiert und zitiert wurde.177 Aus der quidem hoc et totum illa“ (vgl. Scheunemann, De gratia, C 8v). Siehe dazu Bernhard, Liber de gratia c. 14 §. 47 (SC 393) 348; vgl. Höhle, Universität und Reformation 278 Anm. 398. 173 Zum vollständigen Titel der Schrift siehe oben Anm. 137. Zum Schluss wird angemerkt: „Excussum Francfordie cis Oderam in Coenobio fratrum Minorum. Anno domini M D XXIX. (Gedruckt zu Frankfurt diesseits der Oder im Kloster der Minderbrüder. Im Jahr des Herrn 1529).“ Die Schrift wurde also erst 2 Jahre nach der Lübecker Disputation von 1527 gedruckt. Auf eine Druckerei im Frankfurter Kloster weist auch der schöne Holzschnitt mit der Stigmatisation des Franziskus hin, der dem Titelblatt folgt. Eine andere Druckwerkstatt wird jedenfalls nicht genannt. Höhle schreibt aber dazu: „Das mit den angefügten vier Thesenreihen 35 Blatt umfassende Buch wurde 1529 vermutlich zu Frankfurt durch Johann Hanau gedruckt.“ Siehe Höhle, Franziskaner in Frankfurt (Oder) 90. Wie Höhle diesen Drucker vermuten kann, erklärte er aber leider nicht. 174 Siehe Scheunemann, De gratia, A 2r. Hier zitierte Scheunemann kurz eine Definition des freien Willens bei Petrus Lombardus, Sententiarum lb. 2 d. 14 c. 3 n. 1 (Spicilegium Bonaventurianum, 4/1) 452f., wobei am Rande die Fundstelle des Zitates angegeben wird: „Ma. se. li. II. d. xxiiii.“ Vgl. Höhle, Franziskaner in Frankfurt (Oder) 90 Anm. 152. 175 Siehe Scheunemann, De gratia, A 8rv. Dabei ging es um eine inhaltliche Umschreibung des freien Willensentscheids: „liberum arbitrium secundum rem nil aliud est quam intellectus et voluntas, licet ab eis discrepet secundum rationem“. Vgl. dazu Bonaventura: Commentarius in II. Sent. d. 25 p. 1 q. 2 (Opera omnia – Ed. Quaracchi 2, 596). 176 Siehe dort die Anklänge an antipelagianische Schriften, oben Anm. 158f.; 165; 170. Siehe besonders die direkt gegen Pelagius gerichtete These 8 bei Curtius, Thesen 71: „8. Caeterum quemadmodum lex jubere novit, non liberare; sic doctrina docere, non spiritum dare, neutra enim est gratia, quae juvare novit; sed neque gratia est natura, ut impie Pelagius hallucinatur, sed qua salvatur natura et juvatur voluntas, si haud quaquam juvaret, si sat esset voluntas“ (vgl. auch Scheunemann, De gratia, C 7v). 177 Schon in der Einleitung seiner Schrift kam Scheunemann auf die Auseinandersetzung mit den Pelagianern zu sprechen. Siehe Scheunemann, De gratia, A 2r: „R. P. Andree Scheuneman Minorite: de Gratia et libero arbitrio iuditium. De sanctarum origine voluntatum: fidei charitatis principiis: quondam inter orthodoxos et Pelagianos atrox fidei ortum est bellum: hereticis affirmantibus: liberum voluntatis arbitrium exordium praebere voluntatibus sanctis: orthodoxis ex aduerso ex scripturarum fundamento asserentibus: initium sanctarum cogitationum atque voluntatum ex dei prouenire gratia: qua Christiani sumus.“ Die in den Thesen nur impliziten oder angedeuteten Zitate aus antipelagianischen Schriften (von Prosper beziehungsweise von Ps.-Augustinus) wurden nun ausdrücklich und ausführlich, wenn auch selektiv, herangezogen (vgl. Scheunemann, De gratia, A 2r, B 2r, B 4r, B 6v, C 1rv). Denn sie sollten nun eher im Kampf gegen die reformatorischen Bestreiter des freien Willensentscheids dienen. So spielte der authentische Augustinus in Scheunemanns Argumentation nur am Rande eine Rolle (vgl. Scheunemann, De gratia, B 5v, C 5r). Hier berief sich Scheunemann für seine Bestimmung des Verhältnisses von „gratia creans“ zur „gratia recreans et saluans“ auf Augustinus, Aurelius: Sermo 176 (PL 38, 952) und des Verhältnisses von göttlicher Gnade zu menschlichem Verdienst auf Augustinus, Aurelius: Epistola 194 (CSEL 57, 190s).

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mittelalterlichen Tradition griff er hier, noch mehr als in den Thesen178, maßgebend und ausdrücklich auf Bernhard von Clairvaux zurück.179 Besonders bemerkenswert und eigenartig ist in Scheunemanns Schrift, dass sie sich öfter auf die pseudo-klementinische Erzählung der „Recognitiones“ bezog.180 Obwohl die Authentizität dieses Textes schon damals nicht unumstritten war181, führte Scheunemann den Verfasser, angeblich Klemens I. von Rom, den ‚Kollegen der Apostel‘ 182, als Zeugen einer Auseinandersetzung an, in der angeblich bereits der Apostel Petrus gegen den Magier Simon die Freiheit der Willensentscheidung verteidigte.183 Damit wollte Scheunemann die reformatorische Behauptung widerlegen, das Konzept einer freien Entscheidung sei dem Evangelium fremd und komme aus der platonischen oder aristotelischen Philosophie.184 Und so konnte er argumentieren: „Aber ich verwundere mich gar sehr, woher Petrus, der erste und hauptsächliche Verkünder des Evangeliums nach Christus sowie Hirte der Kirche das Wörtchen ‚freie Entscheidung‘ gelernt haben soll, da ihm die Schule und Lehre Platons völlig unbekannt war. Das Dörfchen Galiläas Betsaida wusste ja nichts von der Kampfbahn Platons, es hatte vielmehr im Fischerhandwerk seine Stärke. Dennoch – wie Klemens im dritten Buch der Rekognitionen berichtet – disputierte er gelehrt und gebildet gegen den Magier Simon über die freie Entscheidung. Hat also Petrus Wissen und Lehre bezüglich der freien Entscheidung aus den peripatetischen [aristotelischen] oder platonischen Schulen entnommen? Hat sich auch die ungelehrte Menge Ungebildeter in Kollegien oder Studien der Universitäten aufgehalten, woher sie die Begründung der freien Entscheidung gelernt haben könnte? Fragt man sie nämlich, bekennen sie, eine freie Willensentscheidung zu haben und von daher frei zu handeln. Die freie Entscheidung bekennen also Gelehrte und Ungelehrte, ausgenommen die Häretiker, die in allem gegen Christus und die Kirche angehen. Sie bekennen auch Klemens, der Kollege der Apostel, Irenäus, Tertullian und nach ihnen Cyprian, Ambrosius, Hieronymus, Augustinus, Hilarius sowie der gesamte, sehr bewährte Kreis der kirchlichen und scholastischen Lehrer.“ 185 178 Siehe oben Anm. 171f. 179 Vgl. bei Scheunemann, De gratia, B 6r, C 2r. Auch sprach Scheunemann nicht mehr so oft von „gratia creationis“ wie etwa in den Thesen (oben Anm. 153; 168), sondern nun eher mit Bernhard (oben Anm. 171) von „gratia creans“ (siehe Scheunemann, De gratia, B 1rv, B 5v–6r, B 8v). 180 Siehe Scheunemann, De gratia, A 2r, A 5rv, A 8v, C 4r. Vgl. dazu Höhle, Franziskaner in Frankfurt (Oder) 90f. 181 Vgl. im Vorwort des Editors Johannes Sichardus zur 2. Druckausgabe von [Pseudo-]Clemens, Recognitiones. Basel 1526, *4. 182 Siehe Scheunemann, De gratia, A 2r, A 8v: „apostolorum collega“. 183 Siehe ebd. A 5rv. 184 Diese Behauptung wurde von Scheunemann Melanchthon zugeschrieben (siehe ebd. C 2v: „eius vocabula ex Platonicis et Aristotelicis erupisse scholis“ und am Rande: „Melanc.“). Vgl. ohne Namensnennung ebd. A 8v. 185 Siehe ebd. A 8v: „Sed demiror, vnde Petrus primus et praecipuus post Christum euangelii praeco, ecclesieque pastor: liberi arbitrii voculam didicerit: quando Platonis scholam ac disciplinam omnino ignorauerit neque enim Platonis palestram Bethsaida Galilee viculus agnouit quippe quam arte piscatoria pollebat, attamen vt Clemens in tertio recognitionum libro refert, docte et erudite adversus Simonem magum de libero arbitrio definiens disputauit. Nunquid Petrus liberi arbitrii scientiam ac disciplinam e Peripateticorum aut Platonicorum scholis hauserit? Nunquid et indocta rusticorum cohors vniuersitatum collegia studiaue vnde liberi arbitrii rationem didicerit perlustrauerit? Nam interrogati, liberum voluntatis arbitrium se habere eodemque libere agere profitentur. Liberum ergo arbitrium docti et indocti profitentur haereticis demptis qui Christo et ecclesie in omnibus aduersantur. Confitetur illud Clemens apostolorum collega Ireneus Tertullianus et post illos Ciprianus Ambrosius Hieronimus Augustinus Hilarius et vniuersus ecclesiasticorum

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Die Art und Weise, wie sich Scheunemann auf eine damals schon umstrittene Schrift der Pseudoklementinen berief und damit die apostolisch-petrinische Autorität der überlieferten Lehre über die freie Willensentscheidung sicherstellen wollte, ist fragwürdig. Doch er möchte den von ihm verausgesetzten Konsens der apostolischen Väter, der kirchlichen und scholastischen Lehrer, ja sogar der ungebildeten Leute, soweit wie möglich im ursprünglichen Zeugnis des Evangeliums verankern.186 Das hat auch seinen guten Grund, da die christliche Betonung der Freiheit der Willensentscheidung in der Antike und im Mittelalter aus der Abwehr nezessitaristischer und deterministischer Philosophien stammt.187 Wie weit die Freiheit der Entscheidung reicht, stand damit nicht einfach fest; denn sie kann nicht von sich aus Gutes erreichen, wie Scheunemann unter Berufung auf den Römerbrief (Röm 7,15–22) schließlich klarmachte: „Kein Mensch darf also, ohne Gefahr und Kennzeichen von Irrlehre, die Freiheit der Entscheidung bezweifeln, aber man muss sorgfältig aus den sicheren und sehr erprobten Vätern der Kirche erforschen, welche Tätigkeiten der Mensch durch die freie Willensentscheidung verwirklichen könnte. Denn nicht das, was wir wollen, machen wir tatsächlich, da Paulus sagt: ‚das Wollen ist bei mir vorhanden, aber ich vermag nicht, das Wollen zu verwirklichen‘.“ 188 Um trotz des paulinischen Textes die Freiheit des Menschen grundsätzlich behaupten zu können, unterschied Scheunemann eine dreifache Verwirklichung von Freiheit, die „Freiheit der Natur“ (libertas naturae), die „Freiheit der Gnade“ (libertas gratiae) und die „Freiheit der Herrlichkeit“ (libertas gloriae). In der „Freiheit der Natur“ kann auch der sündige Mensch ein Stück weit über sein Handeln verfügen, ohne freilich sein ewiges Leben damit erreichen zu können. Zur gottgefälligen „Freiheit der Gnade“ sind wir durch Christus befreit, so dass die zum ewigen Leben dienlichen Werke möglich werden, die aus Gott und seiner Gnade ihren Ursprung haben. Die höchste „Freiheit der Herrlichkeit“ wird den Heiligen in der himmlischen Heimat geschenkt, so dass sie Gott erkennen und sehen können, wie er ist. Was Scheunemann hier in eher formalem, weniger inhaltlichem Anschluss an Bernhard von scolasticorumque doctorum probatissimus coetus.“ Vgl. dazu [Pseudo-]Clemens: Recognitiones III, 20–26. In: Die Pseudoklementinen. II. Rekognitionen in Rufins Übersetzung. Hg. von Bernhard Rehm. Berlin 1965 (Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte, 51) 112–116. In seinen Zitaten daraus bezieht sich Scheunemann vielleicht auf die 2. Druckausgabe des Johannes Sichardus (Basel 1526), von der er nur unwesentlich abweicht. 186 Wie Scheunemann sein Verständnis und seine Auslegung der Heiligen Schrift nahe an den Ursprung (z. B. an das Evangelium Jesu Christi) zurückführen will, erinnert an Ockhams Hermeneutik. Vgl. Schlageter, Hermeneutik der Heiligen Schrift 230–283, bes. 274ff. 187 Das stand schon hinter der Abwehr gnostischer Vorstellungen in den pseudoklementinischen Rekognitionen. Das kennzeichnete aber besonders den Kampf franziskanischer Theologie gegen eine bestimmte Aristotelesrezeption. Vgl. dazu Schlageter, Johannes: Die Auseinandersetzung zwischen griechischem und biblischem Menschenbild im franziskanischen Freiheitsverständnis des Petrus Johannis Olivi. In: WiWei 60 (1997) 65–86; Honnefelder, Ludger: Die zwei Quellen scotischen Denkens. Franziskanische Spiritualität und aristotelische Wissenschaft. In: Lackner, Franz (Hg.): Zwischen Weisheit und Wissenschaft. Johannes Duns Scotus im Gespräch. Kevelaer 2003 (Franziskanische Forschungen, 45) 9–23. 188 Siehe Scheunemann, De gratia, B 8v – C 1r: „Nulli ergo omnino hominum, absque periculo et hereseos nota fas est diffidere arbitrii esse libertatem, sed sollicite ex incolumnis [!], et probatissimis ecclesie patribus exquirere, quales operationes homo per liberum voluntatis arbitrium perficere possit. Non enim quicquid volumus, euestigio facimus Paulo dicente. ‚Velle adiacet mihi perficere autem bonum non inuenio‘.“ Vgl. Röm 7,18.

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Clairvaux189 und vor allem mit Hilfe von Texten Prospers von Aquitanien190 entfaltete, fand sich dann inhaltlich weitgehend übereinstimmend in der erweiterten Ausgabe von Konrad Klinges „Loci communes“191. Diese Fassung, die nach dem Tod Klinges zuerst in Köln 1562, dann in Paris 1567 gedruckt wurde, war aber in ihrem Freiheitskonzept nicht von Scheunemanns Text beeinflusst. Beide Franziskanertheologen stimmten überein aufgrund der gemeinsamen Quelle ihres Freiheitsverständnisses, nämlich der „Assertionum M. Lutheri confutatio“ des englischen Bischofs und späteren Märtyrers John Fisher, die 1523 in Antwerpen und 1525 in Köln gedruckt wurde.192 Von zeitgenössischen Kontroverstheologen oder auch von früheren scholastischen Theologen mag Scheunemann noch anderes übernommen haben, aber nirgendwo zitierte er sie mit Namen. Er wollte sich in seiner Schrift eher auf die Bibel und dann auf die „sicheren und sehr erprobten Väter der Kirche“ 193 stützen. Insgesamt freilich blieben Scheunemanns Bibelauslegung und Väterverständnis sehr in die scholastische Tradition eingebunden, mit besonderer Orientierung an franziskanischer Theologie, wobei er scotistische wie ockhamistische Gedanken ohne enge Schulbindung eher selektiv aufgreift. Diese Traditionsbindung macht ihn weniger als Konrad Klinge fähig und bereit, auf das Anliegen des reformatorischen Freiheitsverständnisses einzugehen. Scheunemanns Thesen hat der führende Frankfurter Kontroverstheologe Konrad Wimpina bereits 1528 in sein Werk „Sectarum errorum […] anacephalaeoseos […] Librorum partes tres“ aufgenommen, und ihnen, ohne Scheunemann beim Namen zu nennen, eine weitere Verbreitung gesichert.194 Scheunemanns umfangreichere Schrift „De gratia et libero hominis arbitrio“ scheint dagegen wenig Beachtung gefunden zu haben.195 Im Anhang dieser Schrift hat Scheunemann neben seinen Lübecker Thesen196 drei weitere Thesenreihen publiziert, die sich mit den Heilszeichen des Alten und Neuen Bundes197, mit Priestertum, Opfer und Ordensgelübden198 sowie mit Sünde, Glauben und guten Werken199 beschäftigten. Von besonderem Interesse ist Scheunemanns Sicht der Ordensgelübde,200 189 Auch Bernhard unterschied eine solch dreifache Freiheit, nämlich „der Natur“, „der Gnade“ und „der Herr­ lichkeit“, gab aber vor allem der „Freiheit der Natur“ inhaltlich eine andere Bedeutung, weil damit primär die ursprüngliche geschöpfliche Freiheit gemeint ist. Vgl. besonders Bernhard, Liber de gratia III §. 7 (SC 393) 258–262. 190 Vgl. Prosper, De gratia c. 13 n. 3; c. 18 n. 3 (PL 51, 248BC; 261C – 262B). Siehe Scheunemann, De gratia, C 1rv. Vgl. dazu Höhle, Franziskaner in Frankfurt (Oder) 91 Anm. 156. 191 Vgl. Rickauer, Rechtfertigung und Heil 161f. 192 Ebd. 162 Anm. 796. 193 Siehe oben Anm. 185. 194 Vgl. Höhle, Universität und Reformation 279 Anm. 302, 282 Anm. 315; ders.: Franziskaner in Frankfurt (Oder) 89 Anm. 146. Zu Konrad Wimpina (von Wimpfen) siehe auch Smolinsky, Heribert: Wimpina (eigent­ lich: Koch), Konrad. In: LThK3 10, 1222. 195 Michael Höhle war sie bei seiner Arbeit über die Frankfurter Universität noch unbekannt. Doch ihm und dem damaligen Institut für Franziskanische Geschichte (Münster) verdanke ich den Hinweis auf das Exemplar in der Universitäts- und Landesbibliothek Halle (Signatur: AB 15016 [5]) sowie eine Kopie dieses Exemplars. Vgl. dazu nun Höhle, Franziskaner in Frankfurt (Oder) 90 Anm. 149. 196 Siehe schon oben Anm. 134; 137; 143. Siehe auch Scheunemann, De gratia, C 6v – D 1v. 197 Ebd. D 1v–5r. Vgl. Höhle, Franziskaner in Frankfurt (Oder) 92f. 198 Ebd. D 5v – E 1v. Vgl. Höhle, Franziskaner in Frankfurt (Oder) 93f. 199 Ebd. E 1v–3v. Vgl. Höhle, Franziskaner in Frankfurt (Oder) 94f. 200 Scheunemann behandelt die Ordensgelübde im Zusammenhang mit der Frage nach dem Priestertum und Opfer des Neuen Bundes: „Alia de sacerdotio, sacrificio, atque monachorum votis in disputationem missa quaestio. An externum et visibile (vt neoterici inquiunt) christianorum sacerdotium quo vnicum toti salu-

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weil sie sein franziskanisches Selbstverständnis betraf und sich zudem mit seinem Konzept von freier Entscheidung berührte. Wenn Scheunemann allgemein die „Versprechen und Gelübde aller Mönche“ zur Debatte stellte, vermutlich im Rahmen der Frankfurter theologischen Fakultät, so kam doch sein franziskanisches Verständnis von Christusnachfolge zum Ausdruck. Das zeigt in dieser Thesenreihe die These 18, in der er sich dem Thema des Ordenslebens zuwandte: „Unser Erlöser wollte allein sein ganzes Handeln als unsere Unterweisung und hinterließ es als Beispiel für alle im Glauben Begründeten, damit sie seinen heilbringenden Fußspuren folgten. Daher lehrt und hielt er wahrhaft Keuschheit, Armut, Gehorsam und das evangelische Leben, sodass jedweder Mensch, der sich ganz in Christi Gehorsam übergeben will, in Freiheit das Gott darbringen könnte, was in ihn die Rechte des Allerhöchsten gepflanzt hat, und zwar auch durch das Versprechen eines Gelübdes. Denn so versprach auch mit einem Schwur Gottes Sohn lange vor den Propheten und Vätern, sich selbst für uns zu geben und darzubringen, damit in ihm und nicht in einem anderen alle Völker Segen empfingen.“ 201 Die alleinige Orientierung des Glaubenslebens an das Werk Jesu Christi selbst, im Nachgehen seiner Fußspuren durch ein evangelisches Leben der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams brachte hier ein franziskanisches Verständnis von Christusnachfolge zum Ausdruck, zu der nach diesem Verständnis jeder Christenmensch berufen ist. Was immer jemandem von Gott selbst gegeben ist als seine Gabe, sein Charisma, damit kann er sich völlig und frei in die Christusnachfolge einbringen. Doch gerade die Möglichkeit, das in einem Gelübde zu tun, entsprach für Scheunemann in besonderer Konsequenz der von Ewigkeit versprochenen Hingabebereitschaft des Gottessohnes.202 Diese Entsprechung zur Hingabe Jesu Christi für uns stand deshalb im Mittelpunkt von Scheunemanns Deutung des Christen- und Ordenslebens: „Der eingeborene Sohn Gottes, der um unseres Heiles willen vom Herzen des Vaters in den Leib der Jungfrau Mutter hinabsteigen wollte, hat denen, die ihn lieben, viel mehr versprochen, als jemals irgendein vernunftbegabtes Geschöpf ihm wiederum versprechen könnte. So hat er es eben nicht geboten, sondern der Entscheidung des Menschen überlassen. Daher ist es wahrhaft angemessen und auch in Übereinstimmung mit der Vernunft, außer es wäre einer blinder als Maulwürfe: das, was ein Mensch von Gott empfangen hat, nämlich Keuschheit und Gehorsam sowie äußere Güter, darf er als immerwährendes Opfer Gott darbringen, auch durch das Versprechen eines Gelübdes. Das legt die Lehre Christi nahe: ‚Wenn du vollkommen sein willst, geh hin, verkaufe

tiferum mundo, quottidie in dei offertur ecclesia sacrifitium, diuinitus sit institutum. Anque Monachorum omnium promissa et vota, preter fidem fiant, vti pickardicis delirat neniis“ (Scheunemann, De gratia, D 5v). Vgl. auch Höhle, Franziskaner in Frankfurt (Oder) 93f. 201 Siehe ebd. D 8v – E 1r: „Cum redemptor noster omnem et solam suam actionem, nostram voluit instructionem, exemplumque omnibus in fide fundatis reliquit vt illius salutifera sequerentur vestigia, profecto castitatem, paupertatem, obedientiam, ac vitam euangelicam sic docuit, obseruauitque, vt quiuis homo se totum in obsequium Christi mancipare volens, ea que in se dextera plantauit altissimi libere deo offerre, etiam per voti promissionem valeret, sicut semetipsum dei filius pro nobis daturum oblaturumque longe ante patribus et prophetis, etiam iureiurando promisit: vt in se et non in alio omnes benedictionem sortirentur gentes.“ 202 Scheunemann dachte hier an christologisch gedeutete Stellen des AT wie Ps 40,7–9. Siehe auch Hebr 10,5–10.

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alles, was du hast, und gib es den Armen, dann komm und folge mir nach‘ nach dem Beispiel der Apostel und vieler Glaubender.“ 203 Da kein Mensch voll und ganz dem entsprechen kann, was Gottes Sohn in seiner Menschwerdung zum Heil der Menschen verheißen und getan hat, bleibt die Antwort darauf zu guter Letzt der freien Entscheidung des Menschen überlassen. Er kann und darf dabei weit über das Gebotene hinausgehen, wenn Gott ihm dazu seine Gaben, seine Charismen gibt. Dass sich jemand in Keuschheit und Gehorsam sowie im Verschenken der äußeren Güter auch durch ein freies Gelübde als immerwährendes Opfer darbringt, ist deswegen durchaus vernunftgemäß, entspricht der zentralen Weisung Jesu zur Nachfolge sowie dem Beispiel der Apostel und vieler Glaubender. Insofern es dem entspricht, was Gott selbst in seiner Gnadengabe ermöglicht hat, geht es nicht über die Kraft des glaubenden Menschen: „Daher darf man die nicht hören, die aus pickardischer Torheit plappern, die Versprechen und Gelübde einzelner Ordensleute geschähen außerhalb des Glaubens und der Autorität der Schrift. Denn das, was sie selbst im Gelübde Gott versprechen und darbringen, hat Christus verkündigt und gelebt sowie zugleich mit dem Gelübde in unsere Kraft und Fähigkeit gegeben. Da die Gelübde der Alten Urkunde, etwa der Nazaräer, nicht außerhalb des Glaubens geschahen, wer kann dann dartun, die Gelübde des Neuen Bundes geschähen außerhalb des Glaubens? Es sei denn jemand, der sich an pickardischen Zauberformeln ergötzt! Sonst hätten Paulus, alle Apostel und viele Glaubende in der Urkirche außerhalb des Glaubens gehandelt, die nach der Überzeugung Cyprians, Augustins und Rhabans durch ein Gelübde alles verlassen haben.“ 204 Die Darlegungen Luthers vor allem seiner Schrift De votis monasticis wurden hier angesprochen,205 aber nicht wirklich ernst genommen. Denn die Kraft und Fähigkeit von Menschen, so weit reichende Versprechungen und Gelübde zu halten, schätzte Scheunemann sehr hoch, wenn nicht zu hoch ein. Weil er darin Gottes Gnadengabe beziehungsweise Christi Verheißung und Weisung selbst am Werke sah, schienen sie ihm hinreichend im Glauben begründet, ohne dass für Scheunemann die oft erwiesene Überschätzung und Überforderung menschlicher Kräfte und Fähigkeiten zum Problem wurde. Diese Erfahrung, die Luther zu seiner radikalen Infragestellung der traditionellen Theologie und Praxis der Ordensgelübde trieb, konnte Scheunemann nicht wahrnehmen. Denn sein Vertrauen auf die von Gott gegebene und zugemutete Kraft freier Entscheidung scheint immer noch unerschüttert, weil es nach 203 Scheunemann, De gratia, E 1r: „Si igitur vnigenitus dei filius: qui ob nostram salutem de sinu patris in aluum virginis dignatus est matris, multo maiora diligentibus se promisit, quam vnquam aliqua rationalis creatura illi vicissim promittere poterit, licet id haud praeceperit: sed in hominis arbitrio reliquerit: congruum profecto est: et rationis consentaneum, nisi talpis foret cecior vt id quod a deo receperit homo castitatem scilicet et obedientiam: atque bona externa, deo in iuge sacrificium offerat, etiam per voti promisssionem, doctrina Christi id insinuante. ‚Si vis perfectus esse vade et vende omnia que habes et da pauperibus, et veni sequere me‘, exemplo apostolorum et multorum credentium.“ Vgl. dazu Mt 19,21. 204 Ebd. E 1rv: „Non itaque audiendi sunt hii qui Pickardica stoliditate singulorum monachorum promissa et vota: praeter fidem et scripture auctoritatem fieri garriunt. Cum ea que ab ipsis voto deo promittuntur atque offeruntur a Christo sunt predicata et observata: atque in nostra simul cum voto relicta potestate. Denique cum vota veteris instrumenti: etiam Nazareorum non fuere praeter fidem facta quis arguet vota noui testamenti praeter fidem fieri, nisi is qui Pickardicis oblectetur neniis alioquin Paulus: apostolique omnes, et in primitiua ecclesia multi credentes preter fidem fecissent, qui vt Cypriano, Augustino, et Rabano placet: per votum omnia reliquerunt.“ Vgl. auch Höhle, Franziskaner in Frankfurt (Oder) 94. 205 Siehe oben Kap. 2, Anm. 50–65.

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ihm im biblischen Zeugnis und in der Überlieferung der Väter begründet ist. Menschliche Freiheitsentscheidung und göttliche Gnadengabe, menschliches Versprechen und die Verheißung Christi werden so in letzter Konsequenz miteinander eins, wobei für Scheunemann freilich die grundlegende Initiative aller gläubigen Hingabe von Gott ausgeht in der Hingabe des Gottessohnes selbst. Insofern konnte er stets von Gnadengabe sprechen, ja vielleicht von einem freien Charisma der Nachfolge gerade im Ordensleben, weil es ihm von Grund auf und bis zum Letzten ganz um Gottes Verfügung, um seine freigebige Gnade geht. Wie lange Scheunemann in Frankfurt/Oder seine theologische Position gehalten hat, ja ob in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts überhaupt noch ein Franziskaner an der Universität tätig war, ist bisher so wenig bekannt wie Scheunemanns Todesdatum. Als Stadt und Universität von Kurfürst Joachim II. von Brandenburg allmählich zur Reformation hinübergeführt wurden, scheint immerhin ein franziskanischer Prediger namens Kaspar Schultze oder Kremer Widerstand geleistet zu haben, dem der Kurfürst 1539 schließlich das Predigen verbot.206 Das Franziskanerkloster wurde von Joachim II. ab 1541 zuerst der Stadt als Hospital zugedacht, dann ab 1543 der Universität zu ihrem Bedarf überlassen, die 1545 eine Druckerei dort einrichten ließ. Doch noch bis 1550 sind offenbar etliche Brüder mit Pensionen von Seiten des Kurfürsten dort verblieben, weil der Guardian Franziskus Schmidich am 28. November 1550 eine entsprechende Zahlung quittierte.207 Die letzte Nachricht aus einem zum Aussterben bestimmten und dem Aussterben nahen Konvent!

5.4. Michael Hillebrant An der Universität Frankfurt / Oder studierte ein weiterer profilierte Reformationsgegner, der schlesische Franziskaner Michael Hillebrant (wie er sich selbst schrieb) beziehungsweise Hildebrand, der 1520 hier immatrikuliert wurde.208 In den Konvent zu Schweidnitz, südlich von Breslau, einem Kloster der ‚martinianischen‘ Reformrichtung, das bereits seit 1249 urkundlich bezeugt ist,209 war Michael Hillebrant eingetreten und dort wohl ordensintern als Lektor der Theologie tätig, bis er zum Weiterstudium nach Frankfurt geschickt wurde. Lange hat er hier nicht studiert, aber offenbar das Bakkalaureat in Theologie erlangt.210 Bereits im 206 Vgl. Höhle, Universität und Reformation 145 Anm. 962; ders., Franziskaner in Frankfurt (Oder) 95 Anm. 162. 207 Vgl. zum Ganzen Höhle, Universität und Reformation 468–470, bes. 470 Anm. 436; ders., Franziskaner in Frankfurt (Oder) 96–100. 208 Siehe: Aeltere Universitäts-Matrikeln. I: Universität Frankfurt a. O. Bd. 1, 58: „frater Michael Hildebrandus de Schvenitz, lector theologie, ordinis Minorum“. Vgl. auch Höhle, Franziskaner in Frankfurt (Oder) 79 Anm. 92. 209 Vgl. dazu Teichmann, Die Franziskanerklöster 186. Es war kein Observantenkloster, wie gelegentlich geschrieben wird. Vgl. Soffner, Johann: Der Minorit Fr. Michael Hillebrant. Ein Beitrag zur schlesischen Reformationsgeschichte. Breslau 1885, 2 Anm. 2; 13. Das Kloster hatte sich jedoch 1484/88 der ‚martinianischen‘ Reformrichtung in der Saxonia zugewandt. 210 Denn als Hillebrandt im Spätherbst 1541 an der Jagellonischen Universität Krakau immatrikuliert wurde, wird er mit folgenden Worten in die Matrikel eingetragen: „A. D. 1541 commutatione hiemali inter auditores philosophiae Frater Michael Hillebrant ordinis minorum de observantia de conventu Suidnicensi, Baccalaureus S[acrae] T[heologiae] formatus.“ Siehe Soffner, Der Minorit Hillebrant 82 Anm. 1. Das muss nicht auf die Zugehörigkeit zur Observanzbewegung im eigentlichen Sinn gedeutet werden.

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Herbst 1523 war Hillebrant als Guardian im Konvent Neiße zu finden, wo er sich der Entscheidung des Generalkapitels von Burgos 1523 widersetzte, sich mit anderen schlesischen Brüdern der observant geprägten böhmischen Provinz anzuschließen.211 Bei Hillebrant hatte dieser Widerstand, der ihm vorübergehend die Exkommunikation einbrachte, kaum etwas mit reformatorischen Neigungen zu tun.212 Es war eher die Prägung seiner Herkunft, die ihn dann von Neiße wieder nach Schweidnitz in sein ‚martinianisch‘ reformiertes Heimatkloster führte. Dort trat Hillebrant als Guardian und Prediger, seit 1535 auch als Schriftsteller gegen die Reformation auf.213 Zwölf seiner meist deutschen, antireformatorischen Schriften sind erhalten, von denen acht zunächst in Dresden und Leipzig erschienen, die letzten aber nach dem Tod Herzog Georgs des Bärtigen und dem Übergang des albertinischen Sachsen zur Reformation in Krakau gedruckt wurden.214 Vor allem das Interesse am Druck seiner Schriften trieb Hillebrant zu Allerheiligen 1541 aus dem von der reformatorischen Entwicklung bedrängten Schweidnitz nach Krakau. Dort wollte und konnte er bereits 1542 den ihm besonders von dem Kontroverstheologen Johannes Cochläus nahegelegten Grad eines theologischen Doktors erreichen, wie er in einem entsprechenden Brief an den befreundeten kaiserlichen 211 Vgl. dazu Höhle, Universität und Reformation 144f.; dazu auch Teichmann, Die Franziskanerklöster 156–158; siehe auch Soffner, Der Minorit Hillebrant 3–5. 212 Solche Neigungen einiger Brüder sollen den Breslauer Bischof Jakob von Salza, den Landesherrn von Neiße, dazu gebracht haben, die eher ‚martinianisch‘ reformierten Brüder des alten Saxonia-Konvents St. Magdalena in Neiße den später dorthin gekommenen böhmischen Observanten zu unterstellen. Siehe Teichmann, Die Franziskanerklöster 157; Soffner, Der Minorit Hillebrant 8. 213 Siehe Höhle, Universität und Reformation 145; ders., Franziskaner in Frankfurt (Oder) 79. Vgl. dazu Soffner, Der Minorit Hillebrant 13–15. Hillebrant war auch im weiteren Umkreis als Prediger geschätzt. Jedenfalls bat 1538 der Rat der Stadt Görlitz den damaligen Provinzialminister der ‚martinianisch‘ geprägten obersächsischen beziehungsweise thüringischen Provinz Benedikt von Löwenberg, anlässlich eines Besuches König Ferdinands „Michael Hillebrande“ nach Görlitz zu schicken. Siehe Haselbeck, Urkundenbuch I/2. Heft. Fulda 1930, 219 (n. 29). Hillebrant gehörte also noch zu dieser Provinz. 214 Siehe Höhle, Universitat und Reformation 145; Soffner, Der Minorit Hillebrant 19–78: 1. Von heuptstucken, so ein christlich wesen und gemeine selikeit belangen. Dresden (Wolfgang Stöckel) 1534; 2. Von den letzten fehrlichen gezeitten aus gottlicher Schrifft. Dresden (Wolfgang Stöckel) 1535; 3. Von der Einigen, warhafftigen, heyligen, christlichen Kirchen. Dresden (Wolfgang Stöckel) 1536; 4. Trostliche Ermanung an die Glaubigen zur Bestendickeit in dießen bößen Zeitenn. o. O. u. J.; 5. Warhafftige ursach aller strafen und übels, so uns in diesem Jammertal widerfaren, und wardurch wir demselbigen entfliehen können. Dresden (Wolfgang Stöckel) o. J.; 6. Warer und christlicher Unterricht aus göttlicher Schrift, wider den ertichten und vorfürerischen Catechismum Ambrosii Moibani, vormeinten Pfarher zu S. Elizabet zu Breslau. Leipzig (Nikolaus Wolrab) 1538; 7. Das ware und christlich Mandat Jesu Christi unsers Herrren und Seligmachers, nemlich Gehet hin in die ganze welt und prediget das Evangelium aller Creatur. Mr. Ult. Wider das falsch und gottlos Mandat Ambrosii Moibani vormeinten Pfarherrn zu Breßlau. Dresden (Wolfgang Stöckel) o. J.; 8. Epistola Fr. Michaelis Hillebrandi ordinis mino[rum]. Reg[ularis]. obser[vantiae]. Ad Reverendissimum in Christo patrem et dominum D. Balthasarem Episcopum Vratislaviensem adversus Ambrosium Moibanum praetensum divae Elizabet Ecclesiae in Vratislavia parochum blaphemantem atque damnantem salubres Ecclesiae orthodoxae ceremonias, praesertim benedictiones ac consecrationes. Krakau 1542; 9. Apologey oder schutzrede wider die Secten, so zu unseren gezeiten erstanden. o. O. u. J. [Krakau 1542]; 10. Die rechte christliche weiße wider den türcken zustreyten, aus göttlicher schrift. Krakau 1542; 11. Exhortatio ad consacerdotes Michaelis Hildebrandi doctoris. Krakau 1545. Nicht alle diese Schriften erscheinen in dem für Deutschland maßgebenden bibliographischen Werk für diese Zeit: Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts [VD 16]. Hg. von der Bayerischen Staatsbibliothek München in Zusammenarbeit mit der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, bearbeitet von Irmgard Bezzel. Bd. 9, H 3668–3673. Dort wird aber unter H 3670 zusätzlich verzeichnet: 12. Von der Rechtfertigung besonder der wercke. Ein warer christlicher Undericht. Dresden (Wolfgang Stöckel) 1536.

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Theologen und späteren Wiener Bischof Friedrich Nausea berichtete.215 Dennoch fühlte Hillebrant sich offenbar Schweidnitz weiter sehr verbunden, dessen Franziskanerkloster er aus seinem väterlichen Erbe gefördert und das er zu einer vorläufigen Blüte gebracht216, wo er ohne Entgelt und letztlich ohne dauerhaften Erfolg gegen die reformatorische Entwicklung gekämpft hatte.217 Infolge seiner Schweidnitzer Erfahrungen ging es Hillebrant weniger um intellektuell-theologische Auseinandersetzungen mit der Reformation, sondern eher um die Abwehr von deren nach seiner Überzeugung verheerenden Folgen für die Pastoral der Kirche sowie für Glauben und Leben der einfachen Menschen. Bei Soffner sind Hillebrants Schriften wenigstens kurz charakterisiert. Obwohl der Franziskaner und Prediger sich besonders über die gegenwärtige reformatorische Entwicklung Sorge machte,218 sollte der Theologe am Ende doch auch die Missstände unter seinen Amtsbrüdern geißeln. Denn sie hatten nach ihm die reformatorische Entwicklung mitverschuldet.219 In Hillebrants Auseinandersetzung mit der Reformation, besonders dann mit dem in Wittenberg promovierten reformatorischen Pfarrer von St. Elisabeth in Breslau, Ambrosius Moiban, fehlen freilich nicht ganz intensivere theologische Überlegungen, in denen Hillebrant die traditionelle Lehre der Kirche uneingeschränkt verteidigte. Grundlegend war allerdings für Hillebrant die katholische Konzeption der Kirche selbst: „Die Erste heylsame lehre. Es ist vnder den Artickeln unsers heyligen glaubens eine selige heylsame lehre / das nhur ein einige warhaffte heylige kirche sey / in eynikeit des leybes und geistes mit Christo yhren heupte voreinigt vnd vorbunden / außerhalb welcher / kein heyl noch selikeit ist. Dann bey dißer ist allein der geist der warheit / der sie nicht irren lesst. Diße hat allein das rechtschaffen lauther wort Gottes / sampt seinem rechten 215 Siehe den Brief vom 16. April 1542, bei Soffner, Der Minorit Hillebrant 82f. Zu Friedrich Nausea (1491/96– 1552), Kontroverstheologe und Bischof von Wien, vgl. Immenkötter, Herbert: Nausea, Friedrich. In: LThK3 7, 705f. 216 So erinnert Hillebrant sich in einem letzten Brief an Friedrich Nausea vom 29. Oktober 1548 aus Groß Glogau. Siehe Soffner, Der Minorit Hillebrant 83f. 217 Vgl. dazu im Brief an Friedrich Nausea vom 8. Juli 1542 und im letzten Brief von 1548, bei Soffner, ebd. 83f. 218 Das war ja gemeint mit „den letzten fehrlichen gezeitten“, die Hillebrant in Anlehnung an 2 Tim 4,3–4 durch Abkehr von der Wahrheit, durch falsche Lehrer und Lehren als Zeiten höchster Gefahr von Verderbnis und von Unheil sieht. Vgl. Hillebrant, Von den letzten fehrlichen gezeitten, A 2r–3v, bes. 3v: „Denn zu welcher zeit seyen soviel schedliche vnd vorterbliche Secten außerhalb Christlicher einikeit erstanden / deren eine itzliche die heylsamen lehren Christi vnd seiner kirchen verlassen / vnd nach ihrem eignen gefallen frembde lehrer gesucht vnd aufgeworffen / die ihnen nicht allein die ohren mit fabeln vnd suessen reden krawen / sonder auch mit vorterblichen vnd Gottlosen lehren von der eynikeit des geistlichen leibs Christi abgeschnitten / in abgrundt der hellen fuehren.“ Vgl. auch Soffner, Der Minorit Hillebrant 25–31, wo Hillebrants Sicht in den zeitgenössischen Kontext gestellt wird. 219 Hillebrant, Exhortatio ad consacerdotes Michaelis Hillebrandi doctoris; siehe dazu Soffner, Der Minorit Hillebrant 74–78, bes. 75: „Am Ende des zweiten Artikels fragt er [Hillebrant]: ‚Ubi enim spectatae vitae integritas? ubi celibatus decor? ubi continentiae sobrietas? ubi prudentiae spiritalis circumspectio? ubi gravitatis honestas? ubi doctrinae scientia? ubi scripturae sacrae frequens lectio? Pudet hic singula vitiorum dedecora commemorare, luxum videlicet, ebrietates, inhonesta concubinarum commertia [!] et cetera id genus vitiorum, ex quibus aliisque cujuslibet conscientiae satis perspicuum existimo, quantum hic deificus ordo a suae puritatis principio degenerarit, et quae sit ratio, quod praesertim hisce discriminosis diebus ferme universis ostentui sit ac ludibrio.“ Aus diesem „Trug“ und „Gespött“, zu dem der geistliche Stand selbst „beinahe allen“ Anlass gab, entstand die reformatorische Entwicklung, worin Hillebrant nur „häretisch verderbliche Irrtümer“ und „schismatische Abweichungen“ erkennen konnte. Siehe ebd.: „Nonne grex ejus, plurimorum negligentia, pestiferis haeresum erroribus in praeceps actus est? et schismaticis dissidiis misere dispersus? Nonne perversa sua conversatione multos offenderint oberrareque fecerint?“

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vorstandt vnd auslegung. In yr ist allein gnad / vergebung der / sunde / auffschliessung des hymels. Sie hat allein alle schwerheiten vnd fragen / So zwischen Christlichem volcke entspringen / zuerkennen / zueroerttern vnd zuentscheiden.“ 220 Diese eine wahre christliche Kirche umfasst für Hillebrant die allgemeinen Konzilien, wie er am Rande anmerkte. So hielt er die traditionelle Lehre bezüglich der guten Werke fest; denn sie entspringen ja aus der Gnade Christi und sind Wirkung des Glaubens an ihn: „die do lehren vnd schreiben / das alle vnsere guthe werck heucheley / ja lauther sunden seyen / vnd das wir mit dem besten wercke sundigen / auch kein vordienst haben / die seyen schmeher und lesterer der gnade Christi und vorleucker seines glaubens / ja Christi selbst“.221 Deshalb betonte er weiter im Text, dass die Entscheidungsfreiheit nach dem Sündenfall nicht ganz verloren gegangen ist: „Das die freyheit vnsers willens nach dem fall vns nit gantz benomen ist / denn aus seinen eignen krefften vormag er arges zuwuercken / vnd neben der gnaden Gottes / guthes vnd vordienstlichs zur ewigen selikeit.“ 222 Anders als Scheunemann scheint Hillebrant „aus eigenen Kräften“ nichts Gutes zu erwarten. Doch er meint damit wie Scheunemann nur den Menschen, der ganz außerhalb der Gnade Gottes ist und deswegen nichts für sein Heil tun kann.223 Denn mit der Gnade Gottes, die hier nicht näher umschrieben wird, „vermag er“ „Gutes und Verdienstliches zur ewigen Seligkeit“ „zu wirken“. So hält Hillebrant unbedingt am Sinn und der Verbindlichkeit freier Ordensgelübde fest: „Es ist auch ein heylsame lehre / das die Gluebde / so Gott aus freyem willen gethan / zuhalten seyen. Welches nicht allein Goettliche / sonder auch menschliche Recht bezeugen / und darzu vieler heyligen Exempel vormanen / welche von der zeit der Aposteln biss auff vns reichen. Derhalben sundigen alle schwerlich / die do Gotte vnd allen seinen heyligen Eydbruechig werden / vnd aus den Cloestern lauffen. Dorzu die wider ihre eigne pflicht (als Priester) weiber nemen. Vnd es sey denn das sie buß thun / vnd sich widerumb dorein begeben doraus sie muttwillig gefallen / so muessen sie sampt ihren rathgebern vnd mithelffern ewiglich vordammet sein.“ 224 Die einmütige Tradition der Kirche und selbst rein menschliches Recht klagten die als „eidbrüchig“ an, die ihren Gelübden oder der Zölibatspflicht, die sie „aus freiem Willen“ auf sich genommen haben, untreu geworden sind. Das wollen die Gegner der Kirche nicht wahrhaben. Doch bei ihnen gab es keine Wahrheit; denn die falschen Lehrer und ihre „Sekten“ sind sich nur gegen die wahre Kirche eins: „Dann wieviel sindt itzundt / die von der eynigen kirchen / yhrer mutter / abgewichen: sie gantz verlassen / ja schmehen nu vnd lestern? Seyen nicht Lutheraner / seyen nicht Zwinglianer / Carolstadianer Oecolampianer / Butzerianer / Blarianer / und dergleichen viel andere? Vber das seindt nicht auch mancherley Widerteuffer? Wehr kan alle diese verterbliche Secten erzelen? Die sach redt selbs / bedarff kein argument / ihre eigne 2 20 Siehe Hillebrant, Von den letzten fehrlichen gezeitten, A 3v–4r. 221 Ebd. 4r: „Die vierde [Lehre]“. 222 Ebd. „Die XVI. [Lehre]“. 223 Vgl. dazu oben Anm. 148; 186. 224 Hillebrant, Von den letzten fehrlichen gezeitten, B 3r.

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schrifften geben gezeugnues / vnd stimmen keiner vnder inen allen gentzlich mit der alten heyligen Christlichen kirchen / allein das sei in ihrem eignen zerspaltenen irrthumb / mit aller krafft eintrechtig wider die streben / toben vnd wuetten.“ 225 Offenbar sah Hillebrant bei all diesem „Toben und Wüten“ dennoch die zentrale und verbindende Lehre der Reformation von der Rechtfertigung allein aus dem Glauben: „Es gefellet euch außdermassen wol / vnd krawet euch die ohren linde vnd sanffte / das euch ewere Ecclesiasten vnd Bischoffe (wie sie sich denn gemeiniglich nennen) predigen / das Euangelion ist eine guthe bottschafft und newe maehr von Christo dem rechten David / und das er sunde / todt / Teuffel vnd helle uberwunden hab / und vns gantz frey gemacht / duerffen hinfort vns nichts befahren / nichts mehr thun / mit keiner harttikeit des lebens / vns beschwaeren noch in keiner christlichen zuechtigung vben / es gillt alles nichts / fuerdert nichts zum ewigen leben / sonder der bloß glaub richts alles aus. So wir nhur gleuben an Christum / vnd / das er allein fuer vns genug gethan habe / kein sund mag uns schaden oder verdammen / wo wir allein nicht gewissen darueber nehmen / moegen frey singen / springen / froelich sein vnd alle wollust vnd freude uben.“ 226 Doch dieser Lehre, die die für die „Ohren linde und sanfte“ Botschaft bringt, das „Euangelion“ der Freiheit von aller beschwerlichen „Härte des Lebens“ und von aller „christlichen Züchtigung“, vermochte Hillebrant nichts Gutes zuzutrauen, weil sie nach ihm der Sünde und dem Verderben Vorschub leistete: „Das ist ein Meisterstuck des vorterbnues der alten Schlangen des Teuffels.“ Das zeigt sich nach ihm besonders in dem von den reformatorischen Obrigkeiten geförderten oder gar erzwungenen Austritt aus den Klöstern: „ir denn gehertziget / euch anmasst vnd warlich keinen vleis sparet / das ir die Gott geheyligten menschen so der schalckhafftigen wellt kaum newlich entflogen / widerumb / nicht allein mit gaben und geschencken / sonder auch mit drohung / aus den Cloestern locket […]. Also schweift yhr itzt zu dem Closter / itzt zu jhenem / vnd werfft an die hacken ewers gifftigen rathschlages / auff das yhr doch irgent einen unbestendigen (wiewol das meyste geschehen) heraus ziehen moechtet. Vnd wo es geschiet / Ey / wie ein wunn und freude ist do vnd jubiliren / als hette einer tausent Mann nidergelegt. Da wirdt ein Collation nach der andern gehalten / da mus alles gnug sein vnd solten weib und kind not leiden. Aber es werdt nicht lang / und wirdt der arme mensch in zweyerlei wege ein kind der hellen. In dem / das er seinen Eyd und gluebd bricht vnd sich in ein schendtlich leben ergibet. Dann yhr erleubt / ratet und helfft yhnen wider alle Recht / das sie (welchs von anbeginn des Christenthumbs nit gewest) in die fleischliche Ehe tretten / die doch vor Gott vnd aller welt keine ist / noch wirdt nhu vnd zu ewigen zeitten. Was mher? Yhr gebt yhnen in Landen vnd Steten aempter Vnd solche aempter dovon Christus seine Juenger geruffen.“ 227 Nicht nur weil für ihn die traditionelle Auffassung des Ordenslebens unbedingt verbindlich ist, sondern weil ihn die fragwürdigen Methoden, die Ordensleute aus den Klöstern abzuwerben, anwiderten, konnte Hillebrant die sich häufenden Ordensaustritte selbst der „Unbeständigen“ nur als höchst verderblich werten. Dass solche Unbeständigkeit die traditionelle Auffassung und Bindung des Ordenslebens in Frage stellen könnte, kam bei Hillebrant nicht in den Blick. 225 Ebd. B 3r. 226 Ebd. C 1rv. 227 Ebd. E 4rv.

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Etwas differenzierter argumentierte Hillebrant in seiner Schrift gegen den „Katechismus“ des Breslauer reformatorischen Pfarrers Ambrosius Moiban, die er 1538 in einer Vorrede dem Breslauer Bischof Jakob von Salza widmete.228 Sie ließ zwar kein gutes Haar an Moiban und seinem Unternehmen, aber sie ging wenigstens etwas ernsthafter auf die von Moiban vorgelegten Auffassungen ein. Jedem Satz Moibans setzte Hillebrant seine Sicht entgegen: „Moiban. Man sagt von manchem / Das ist ein fromer Muench / denn er helt seinen Regel vnd Orden. Hillebrant. Es hat Moibanus / halte ich / der Muenche Regel / die er hie sonderlich zum exempel furstellet / freylich nicht viel gelesen / Denn er meynet sie lauten allein auf die kappen / Chorgehen vnd fasten / vnd wenn ein Muench solchs halte vnd thue / so lasse ihm der Prior daran genuegen / vnd halte ihn fur einen fromen bruder. Die Sache helt sich aber viel anders / Denn alle die Regel vnd Orden / so von gemeyner kirchen angenomen vnd approbiert / sein zum foerdersten auff die liebe Gottes vnd des nehsten gegruendet / Darzu vermanen / reytzen vnd treyben sie / wo sie anders lauter vnd reyn nach ihrer institution gehalten werden.“ 229 Nach Hillebrant schien Moiban zu meinen, die äußerlichen Übungen des Ordensleben wie das Tragen des Ordenskleides („kappen“), das Chorgebet und Fasten seien das Wesentliche in den Ordensregeln und machten so von sich aus den „frommen Mönch“ aus. Das entsprach aber nicht ihrem eigentlichen Sinn, den Moiban nach Hillebrant infolge einer bloß oberflächlichen Lektüre der Regeln nicht verstanden hat. Denn da die Regeln „von der allgemeinen Kirche angenommen und approbiert“ wurden, ging es ihnen zuerst und im Wesentlichen um die Liebe zu Gott und zum Nächsten, also um das Wesen des christlichen Lebens überhaupt. Dass sie zu dieser Liebe „mahnen, reizen und treiben“, galt jedenfalls dort, wo sie „lauter und rein nach ihrer Einsetzung gehalten werden“. Vielleicht wollte Hillebrant damit andeuten und insofern auf Moibans Kritik ein Stück weit eingehen, dass es da und dort eine bloß äußerliche Regel-Observanz geben könnte. Das sagte er freilich nicht ausdrücklich. Aber Hillebrant, der aus der ‚martinianischen‘ Reformrichtung der Saxonia und des Franziskanerklosters in Schweidnitz stammte, nannte sich wohl nur deswegen in seiner Vorrede „Minderbrüderordens regulierter Observanz“230, weil er die Ordensregel in ihrem eigentlichen und wesentlichen Sinn, also „lauter und rein nach ihrer Einsetzung“ halten möchte. Auf Einzelheiten seines

228 Siehe Hillebrant, Warer und christlicher Unterricht, A 2r: „Dem hochwirdigen in Gott vater vnd herrn herrn Jacoben Bischoffen zu Breslaw vnd beyder Schlesien obersten Landesheuptman meinem gnedigen herrn / entpiete ich bruder Michel Hillebrant minor Ordens regulierter observantz und prediger im Closter unser lieben Frawen zu Schweidnitz / Gnediger Fuerste vnd Herre / Es ist nicht viel lenger denn fur eim jar ein Catechismus oder unterrichtbuechlein Christlichen wandels in E. F. G. Bistumb herfuer gekrochen / durch D. Ambrosium Moibanum vermeynten Pfarrer zu S. Elizabeth zu Breslaw zubereyt / vnd durch die Wittenbergische werchleute ausgeschmidt und poliert / wie den solches sein anfang mit sich brenget / Aber sie hetten gewis diese muhe und arbeit wol sparen moegen / oder ja den zum wenigstens in winckel / do er zuvor geuebet bleiben lassen./ Denn so balt er mir (wiewol zu spat) zubesichtigen uberhendigt / hatte ich nicht ruhe /sondern stale mir unter andern occupationen so viele weile abe / bis das ich ihn nach vermoegen mit dem richtscheite goettlicher warheit vnd Christlicher regel probieret hette.“ 229 Ebd. F 3rv. 230 Vgl. oben Anm. 228: „bruder Michel Hillebrant minor Ordens regulierter observantz“. Das muss nicht als Zugehörigkeit zur Observanzbewegung im engeren Sinn verstanden werden. Siehe oben Anm. 209f.; 213. Möglicherweise saßen aber im Sturm der Zeit die Brüder verschiedener franziskanischen Fraktionen endlich ‚in einem Boot‘.

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Regelverständnisses ging Hillebrant hier nicht ein. Moiban hatte jedoch die Orden überhaupt aus den christlichen Ständen und Berufen verbannen wollen: „Die Secten der Muenchen und der gleichen / weil sie wider Gott erticht seyn / wollen wir hier ausgeschlossen haben / Sintemal sie keinen goettlichen befehl haben / darauff ein jeglicher Christlicher beruff gegruendet sol werden.“ 231 Daraufhin musste Hillebrant sein Verständnis von Ordensleben und Ordensregel noch näher erläutern: „Die Secten (wie du sie schmelich nennest Moibane / Ich las darbey / denn auch die Christen also genant) der Muenche vnd Nonnen etc. seyn nicht widder Gott erticht / sonder aus eingebung des heyligen geystes / Gott zu lobe vnd den menschen zur seligkeit eingesetzt. Sie seyn auch nicht wilde pflantzen der menschen / wie du sie in der auslegung unverschempt urteylest / sonder von Gott dem hymelischen vater zu allen guten fruechten gepflantzt / wie den ihre Regel ausweist / wo sie anders darnach leben / Sie seyn zudem nicht widder die schrifft (wie du felschlich durch den Apostel anzeigest / denn er nicht von Muenchen / sonder von allen Christen / so unordentlich leben / sagt) sonder haben ihren festen grundt in beyden Testamenten.“ 232 Dass Moiban die Gemeinschaften der Ordensleute als „Sekten“ ausgrenzen möchte, konnte sich gegen jede missliebige Minderheit richten wie früher auch einmal gegen die Christen. Die Herkunft der Orden „aus der Eingebung des Heiligen Geistes Gott zu Lobe und den Menschen zur Seligkeit“ stellte Hillebrant Moibans Behauptung ihrer Gottwidrigkeit nur entgegen. Doch dass sie nicht „wilde Pflanzen der Menschen“ sind, „sondern von Gott, dem himmlischen Vater, zu allen guten Früchten gepflanzt“, erwies nach Hillebrant ihre „Regel, wo sie wirklich danach leben“. Die von Moiban behauptete Schriftwidrigkeit der „Mönche“ stützte sich nach Hillebrant „fälschlich“ auf Texte des Apostels Paulus, die sich gegen das unordentliche Leben von Christen überhaupt und nicht speziell gegen Ordensleute richten.233 Dass die Orden auf das Fundament des Alten und Neuen Testaments gegründet sind, führte Hillebrant nicht näher aus, sondern berief sich dabei pauschal auf Väter der Kirche wie Chrysostomus, Basilius, Hieronymus, Augustinus, Ambrosius und Bernhard von Clairvaux. Die Argumente zeitgenössischer Theologen wollte er nicht anführen, doch waren sie ihm wichtig: „Ich wil deren geschweigen / die in kurtzvorschienen jaren / grosse buecher von der geystlichen stande oder orden geschrieben / Diese alle vnd andere viel / bezeugen und bestetigen durch helle goettliche schrifft vnd exempel eintrechtig / das Muenchisch vnd Nonnisch leben / sey ein seliger standt.“ 234 Vielleicht dachte er dabei auch an das 1525 erschienene „Collectaniolum de religiosorum origine“ seines Ordensbruders, des Kustos von Meißen in seiner obersächsischen beziehungsweise thüringischen Provinz Jakob Schwederich,235 das im Folgenden noch besprochen wird. Entscheidend war für Hillebrant jedenfalls das Ergebnis gerade der franziskanischen Apologie: „Was ist die Regel des heyligen Francisci / wie er im anfang vnd ende schreyet / anders denn das Euangelium Jesu Christi? Daruemb ist auch nicht von noethen / was in sonderheit vnd 231 So nach Hillebrant, Warer und christlicher Unterricht, M 3r. 232 Ebd. M 3rv. 233 Vgl. dazu etwa 2 Thess 3,6–15. 234 Hillebrant, Warer und christlicher Unterricht, M 3v. 235 Siehe schon oben Kap. 1, Anm. 109.

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auffs newe davon zu schreiben / sie haben mich dieser muehe vnd arbeit entlediget.“236 Die zeitgenössische franziskanische Apologie hatte also für Hillebrant hinreichend erwiesen, dass „die Regel des heiligen Franziskus“ im Eigentlichen und Wesentlichen nichts anderes ist als „das Euangelium Jesu Christi“. Weil sich der Franziskaner derart gut gerüstet glaubte, gab er die von Moiban erhobenen Vorwürfe gegen das Ordensleben diesem reformatorischen Pfarrer selbst zurück: „Diesem nach / so fellestu selbst in das erschreckliche urteyl Gottes / vnd wirst gericht von ihm / als einer der in einem ertichten widder Gott stande sitzt / vnd als eine wilde pflantze etc. Denn mit welchem urteyl (sagt aller richter) ihr richtet / werdet ihr gericht werden. Darumb diesen Artikel zu beschliessen / sintemal du so hefftig in deinem Catechismo wider die Muencherey und Nonnerey tobest Moibane / vnd schleust sie gar aus vom reiche Gottes / so sey dir das frey angeboten / fur ein ordentliche unverdechtige Christliche Richter / Du bist ein beweibter laye / vnd administrierst pfarrampt / vnd ich bin ein grawer Muench / vnd halte mich nach vermoegen meiner Regel im kloster / Welcher nu vnter vns beyden seinen standt / darinn er sitzt / am stercksten vnd krefftigsten vertedigen kan / dem sol der ander weichen / oder auch (wo dirs gefellet) mit gebuerlicher peen gestrafft werden.“ 237 Wenn auch das letzte Urteil über die Vorwürfe beider Seiten nach Hillebrant letzlich Gott zusteht, so war sich Hillebant seiner Sache so sicher, dass er mit seinem Leben als „grauer Mönch“ auch „vor einem ordentlichen, unverdächtigen christlichen Richter“ besser bestehen könnte als Moiban, der als „ein beweibter Laie“ das „Pfarramt“ verwaltet. Ein solcher Richter blieb ein bloßes Postulat; denn die Anerkennung beider Seiten für eine entsprechende Instanz war nicht zu erwarten. Doch hätte Hillebrant im einigermaßen sicheren Krakau nach 1542 seine anerkannte und geschätzte pastorale Tätigkeit an der deutschen Kirche St. Heinrich festhalten können. Aber wie sein letzter Brief als Prediger in Groß Glogau vom 29. Oktober 1548 zeigt, fühlte er sich schließlich seiner schlesischen Heimat mit ihrer pastoralen Not verpflichtet.238 Besonders aber hoffte Hillebrant, seinen heimatlichen Konvent Schweidnitz zur früheren Blüte und Observanz zurückführen zu können, wo inzwischen kaum drei Brüder in fragwürdiger Lebensweise verblieben waren. Dabei setzte er nicht nur auf die Liebe vieler, die ihm dort trotz mangelnder Anerkennung als ‚Prophet in seiner Heimatstadt‘ immer noch geblieben ist, sondern vor allem auf die Fürsorge und Macht des Habsburgers und deutschen Königs Ferdinand.239 Dieses bewegende Zeugnis großer Erwartungen war das letzte 236 Hillebrant, Warer und christlicher Unterricht, M 3v. 237 Ebd. M 3v–4r. Vgl. dazu Mt 7,2. 238 Siehe diesen Brief Hillebrants an Friedrich Nausea, bei Soffner, Der Minorit Hillebrant 83f., bes. 84: „Primum est, summa concionatorum penuria. Messis enim multa, operarii vero fideles pauci in hac provincia: plures in me oculos defixos tenent, quos deserere grave videtur.“ Vgl. dazu Lk 10,2. 239 Vgl. insgesamt ebd. 84: „Alterum, conventus est Schwidnicensis ordinis nostri. Si quidem is per fratres nostros pro majori parte a fundamento gloriose aedificatus est magno sudore, ad cujus subsidium ego ipse bonam haereditatis partem contuli, qui aliquando etiam sub jugo meo supra quinquaginta fratres in omni regulari disciplina fovit ac nutrivit; et nunc in tam angustum redactus, ut vix tres, qua observatione autem taceo, alat. Unde quibusdam haud incommodum videtur, ut hoc ipsum Serenissimae Regiae Majestati suggererem, et acceptis tum cura, tum potestate, eundum [!] rursus pristinae observationi restituerem. Quo libentius facerem, quo patriae firmius obstringor. Sed illius dicti memor, Prophetam nonnisi in patria sua absque honore esse, revocor, uti per sex fere annos ibidem praedicans expertus sum. Multi nihilo secius peculiari me prosequebantur amore.“ Vgl. dazu Mk 6,4parr.

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Lebenszeichen, das von Hillebrant erhalten ist. Wann er danach starb, ist unbekannt. Doch sollte eine Notiz des Totenbuchs von Kamenz auf ihn zutreffen, ist er an einem 8. März dort gestorben.240 Hillebrants große Erwartungen, die sich auf ein machtvolles Eingreifen König Ferdinands in Schlesien und wohl auch auf ein entsprechendes kirchliches Engagement von Hillebrants Briefpartner Bischof Friedrich Nausea richteten, blieben damals unerfüllt.241 Der Franziskanerkonvent zu Schweidnitz, dem Hillebrants besondere Zuneigung und Sorge galt, erlosch 1561 mit dem Tod des letzten Bruders Thomas Resener. Erst 1628 konnten böhmische Minoriten wieder den Konvent beleben.242

5.5. Kaspar Meckenlör Sehr wenig ließ sich bisher über Leben und Geschichte von Kaspar Meckenlör ausfindig machen, der 1531 als Guardian des observant geprägten Franziskanerklosters Arnstadt / Thüringen und so als Mitglied der Saxonia sanctae Crucis mit einer Schrift gegen den Mansfelder reformatorischen Prediger Michael Cölius hervortrat.243 Seinen Streit mit Michael Cölius hat bereits Otto Clemen in einem kleinen Beitrag dargestellt.244 Auf Kaspar Meckenlör kommt schließlich Dominikus Göcking kurz zu sprechen, als er den in einem Brieffragment von 1529 genannten „Pater Kaspar“ identifizieren möchte.245 Bei Kaspar Meckenlör jedenfalls scheinen es nur die von ihm verfassten beziehungsweise herausgegebenen Schriften zu sein, die über sein Leben, sein Denken und Wirken genauer Auskunft geben.246 In seiner ersten Schrift, in der er vor allem gegen das „sola scriptura“ und 240 Dort heißt es ohne Jahresangabe: „Mart. 8. Ob. Hildebrandus de Swydenitz“. Siehe Soffner, Der Minorit Hillebrant 18 Anm. 2. 241 Zum damaligen Kontext dieser Erwartungen im Leben Hillebrants und in der schlesischen Geschichte vgl. ebd. 17f.; 55–61; 85–88. 242 Siehe dazu Teichmann, Die Franziskanerklöster 187. 243 Die Annahme der Reformation durch den Rat und Teile der Bürgerschaft in Arnstadt seit 1522 brachte für die Franziskaner dort schwere Auseinandersetzungen mit sich und führte zu einem Hilferuf des Eisenacher Guardians Raimund Alman für den Arnstädter Konvent. Siehe Doelle, Ferdinand: Siebenhundert Jahre sächsische Provinz. In: Vita Seraphica. Anregungen und Mitteilungen aus der Sächsischen Franzikanerprovinz 11 (1930) 75–90, bes. 78f. 1531 soll sogar der Vizeguardian von Arnstadt Konrad Molitoris (Müller) von Lutheranern bei einer Reise ermordet worden sein. Vgl. dazu auch insgesamt Doelle, Ferdinand: Zum Jubiläum der sächsischen Provinz. 1230 bis 1930. In: FrS 17 (1930) 1–11, bes. 8. Ob diese Nachricht, für die Doelle keine Quelle angibt, sich auf Arnstadt bezog, ist fraglich. Meckenlör hätte doch eine solche Gewalttat in seiner damaligen antireformatorischen Polemik kaum unerwähnt gelassen. 244 Siehe Clemen, Otto: Kaspar Meckenlör gegen Michael Cölius. In: Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte in der Provinz Sachsen 7 (1910) 194–196. Vgl. aber schon vorher Paulus, Nikolaus: Katholische Schriftsteller aus der Reformationszeit (Nachtrag). In: Der Katholik 73 (1893) II 213–223, der sehr kurz auf „Meckenlör, Caspar, Franziskanerguardian in Arnstädt [!]“ einging (ebd. 218). 245 Siehe Göcking, Dominikus: P. Kaspar Sager OFM. In: WiWei 60 (1997) 231–256. Weil aus jener Zeit zwei Franziskanerpatres der Saxonia S. Crucis mit dem Vornamen „Kaspar“ bekannt sind, erwähnte Göcking in dieser anregenden und umfassenden Darstellung Kaspar Sagers auch Kaspar Meckenlör (siehe besonders 232f.). Dabei sieht er in Meckenlör nicht den einmal erwähnten „Pater Kaspar“ (vgl. ebd. 233 Anm. 12). Dazu und ausführlicher zum Streit Meckenlörs mit Michael Cölius vgl. Schlageter, Johannes: Die Auseinandersetzung des Franziskaners Kaspar Meckenlör mit dem Mansfelder reformatorischen Prediger Michael Cölius (1530/31). In: WiWei 68 (2005) 1–33. 246 Siehe zunächst Meckenlör, Kaspar: Ab auch alle schri=//fft lerne Christum alleyn erken//nen vnd glewben / ahne alle volgung. Christ=//licher werck ader gotseligen wandels / vnd // ab man dormit etwas bey Gott

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„sola fide“ reformatorischer Theologie und Predigt kämpfte, antwortete Meckenlör allerdings bereits auf die Darstellung einer Disputation auf Schloß Mansfeld, die sein Disputationsgegner, der reformatorische Prediger Michael Cölius (Celius) 1530 herausgab.247 Die Auseinandersetzung, die da begonnen hatte, wurde bei den Kontrahenten unterschiedlich dargestellt. Einig waren sie sich nur darin, dass gegensätzlichen Predigten von reformatorischer und von altgläubiger Seite in der Osterzeit 1530 auf Schloss Mansfeld eine Disputation folgte zwischen Cölius und drei Franziskanern, nämlich vor allem mit Meckenlör aus Arnstadt, aber auch mit zwei nicht namentlich genannten Brüdern aus Arnstadt und Halle. Diese unmittelbare Konfrontation wurde erst möglich, weil zu Mansfeld sich die zwei Grafen Gebhard und Albrecht seit 1525 der Reformation zuwandten, aber die drei Grafen Günther, Ernst und Hoier „in dem alten bewährten und stets unverrückten wahren christlichen Glauben beharren“ wollten.248 Deshalb verhinderten sie nach Möglichkeit die Einführung reformatorischer Gottesdienste in der Stiftskirche auf Schloss Mansfeld sowie in den gemeinschaftlich regierten Orten Eisleben, Hettstedt und Mansfeld. Besonders Graf Hoier organisierte gegen den reformatorischen Hofprediger des Grafen Albrecht, Michael Cölius, der auf Schloss Mansfeld wohnte und wirkte, regelrechte Gegenpredigten katholischer Theologen, wie des Dominikaners Johannes Mensing und des Franziskaners Konrad Klinge.249 So kamen in der Osterzeit 1530 die drei Franziskaner aus Arnstadt und Halle nach Mansfeld, von denen besonders Meckenlör gegen die reformatorischen Predigten von Michael Cölius auftrat. So berichtete er selbst in seiner Vorrede „an die wolgeborene Edele Herren Ernst vnd Hoyer Grauen vnd Herren tzu Mansfelt vnd Helderunge meinen gnedigen Herren“: „Szo ich von E[uer] G[naden] geforderth gegen Mansfelt. Aldo. was Gotlich dynst vnd Christliche warheyd belangte / noch meynem cleynen vormogen zu Gottes ehre vnd ware liebe außzurichten / vnd also doselbst / wenigk tage beharrrende / etliche Sermon des predigers zu horeth / Mercket ich alß dann / wie gar vnvorschampt vnd vnchristlich mit vilfeltiger abweyß vnd yrthumb das heylige Christi Euangelium vnnd wort Gottes geschwecht vnd vorfelscht wurdt durch den itzt genanten vorfurerischen prediger. Der halben auß tzwangk Gotlicher lieb vnd warheyt ich weiter nicht dulden vnd schweygen konde solch vorfurerisch predigen vnd lernen […] Ist nu E. G. sampt allen andern auch der schrift vorstendigen. So yn meyner prediget gewest gantz wyßlich / wie ich seyn yrrierlangen ader // vordynen kan Antwort vnd ablegung wider et=//liche yrrige stuck. Michels Hoely falschen Pre=//digers zu Manßfelt. Durch Caspar // Meckenloer. Guardian zu Arn=//stadt im Barfußen Closter // Jungst außgangen // Im .31. Jar [Leipzig: Valentin Schumann 1531]. Bei diesem Werk darf dankenswerterweise die Kopie eines Exemplars der Bayerischen Staatsbibliothek München benützt werden (Polem. 3133). Das in VD 16, Bd. 13 (M 1789) genannte Exemplar der Herzog-August-Bibliothek zu Wolfenbüttel 88.3. Quod. (8) wurde aus konservatorischen Gründen leider nicht kopiert. 247 Siehe Cölius, Michael: Wie man Christum / ynn der schrift sol // suechen vnd erkennen / Von // gutten wercken vnd dem Ge=//setz / widder einen Grawen // Muench / Michael Coe=//lius prediger zu // Mansfelt. Vbersehen durch Er Johan Bugenhagen Pomer. Wittenberg [Nickel Schirlentz] 1530. Zitiert nach der Kopie eines Exemplars der Herzog-August-Bibliothek zu Wolfenbüttel: H 40 Helmst. Kapsel 2 (1). Vgl. dazu VD 16 Bd. 4: C 1861, 130. Siehe dazu Köhler, Flugschriften Fiche 610 Nr. 1569. Zur Gestalt von Michael Cölius (Celius, Cälius) vgl. die näheren Angaben bei Schlageter, Die Auseinandersetzung des Franziskaners Kaspar Meckenlör 8 Anm. 19. 248 Zitiert nach Clemen, Kaspar Meckenlör 194. 249 Siehe ebd. 194. Zu Johannes Mensing vgl. Smolinsky, Heribert: Mensing, Johannes, OP. In: LThK3 7, 137f. Zum Auftreten Konrad Klinges in Mansfeld, vgl. oben Anm. 93.

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sche artickel mit bewerter schrift als vil yn kurz zu thun moglich gewest angezeigent vnd clar geweist habe / das auch die welche nit hohen verstand ghabt / sehen vnd erkennen mochten daz die selbigen seine irrigen stuck falsch vnd wider die schrift sein musten. Vnd derhalben auch / etlich yn mit vnwillen angeredt / daz er bey mir seyne predigeten (so sie recht) mit eynner vnderredung ader disputation erhielt vnd vorfochte.“ 250 Dass Meckenlör sein entscheidender Kontrahent war, deutete auch Cölius an, obwohl er ihn nicht beim Namen nannte und behauptete, er habe es in der folgenden Disputation doch mit allen drei Franziskaner-Observanten zu tun gehabt: „Hab mir auch anders nie furgenomen / denn des orts do mich Gott hingesand / das Euangelium von seinem Son zu predigen / stille vnd jnn der geheim jnn meinem beruff zu halten. Aber es hat sich itzund so zugetragen / das auff die Osterliche zeit / drey grawe Obseruanten Muenche / einer von Hall / vnd zwene von Arnstad / auff dem schlos Mansfelt gewest sein / vnter welchen der eine fast allezeit die ander stunde nach mir geprediget / vnd was ich aus dem Euangelio Christlich geleret / hat er mir das selbige / als Ketzerisch vnd fur luegen vnvorschampt gescholten / Also das ich von etlichen fromen Christen bin angeredt / vnd jnn einer vnterredung mich mit jhm vmb jhrentwillen hab begeben / Ich hette aber verhoffet von der schrifft mit jhm zu handeln / so ware da nichts anders denn spot vnd schimpffwort / Ich meinete meine rede stunde gegen einem / so waren jhrer drey / vnd hat es nicht viel besser / denn do Job mit seinen fruenden / die nur fleischlich gesinnet waren / disputiret / Denn wie feste sie mit stricken vmbgürtet waren / wolt doch einem jtzlichen der bauch fur grosser kunst bersten / das ich selten zu wort / vnd viel weniger ausreden konde / Sie hatten jhre sache dahin gerichtet / wo sie mit warheit vnd der schrifft nicht obsiegeten / wie die pflegen so boese sache haben / das sie doch mit schreien / spot / vnd vnnuetzem geschwetz gewoennen / Darauff denn etliche zuhoerer / dem heyligen Euangelio nicht fast gewegen [! gewogen?] / achtung geben / haben die sache nicht alleine bey denen zu Mansfelt / sondern auch an viel umliegende oerter getragen / die Muenche sein mir vberlegen gewesen / vnd meine sache sey verloren.“ 251 Weil in der Atmosphäre des Mansfelder Schlosses, die damals der Reformation eher ungünstig war, Cölius die Disputation offenkundig nicht siegreich beenden konnte, schob er die Überzahl und Polemik seiner Gegner als Grund für sein schlechtes Abschneiden vor. Das konnte Meckenlör in seiner Antwort nicht gelten lassen: „Czu einem solchen loeßen vnd schwachen schrifftkempffer bedurft ich der andern hulff gar nichtes / vnd wolt ir auch noch nit bedorffen / so ich auch mit im vnd seyner arth gleychen .xx. ader .30. disputiren solt. Wie wol eyner von meynem teyl / bey zweymal zur sachen redete / das war doch ane noth / Vnd were mir lieber gewest / er hette gantz stille geschwigen.“ 252 Die schwache Vorstellung in der Disputation, die hier Meckenlör Cölius vorwarf, meinte freilich nach Meckenlör nicht, dass der reformatorische Prediger nicht genug zu Wort kam: „Er muste doch (wie andern wyßlich) zu merern mal eyn lange zeyt haben seynen deutzschen Talmuth / vnd seynes kopffs ertichte außlegung / zu ertzelen wie dann sun 250 Siehe insgesamt Meckenlör, Ab auch alle schrift, A 2v–3r. 251 Siehe Cölius, Wie man Christum ynn der schrifft, A 2rv. 252 Siehe Meckenlör, Ab auch alle schrift, A 4v.

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derlich geschach do er die Epistel zun Romern alß wie von wort zu wort sich understunde außzulegen / vnd ging ym gleich ab / wie der kue daz lautten schlahen.“ 253 Trotz aller Polemik, die in Meckenlörs Antwort im Bewusstsein seiner Überlegenheit noch schärfer ausfiel als bei Cölius, ging es in der Disputation und geht es in der folgenden schriftlichen Auseinandersetzung doch um zentrale Inhalte christlichen Glaubens, wobei freilich kaum einer einen ernsthaften Zugang fand zur Auffassung des Anderen. Meckenlör betonte mit der franziskanisch-scholastischen Tradition die von Gott aus reiner Güte verheißene und akzeptierte Verdienstlichkeit der in Kraft göttlicher Gnade geschehenen guten Werke. Das leugnete Cölius, weil er sie reformatorisch als reines Gnadengeschenk verstand. Ein möglicher differenzierter Konsens in der Rechtfertigungslehre, der heute erreicht scheint, war damals noch nicht in Sicht. Denn schon im existentiellen Verständnis der jeweiligen Berufung, erst recht aber im Verständnis des Christusglaubens aufgrund der Heiligen Schrift gab es einen kaum zu überbrückenden Dissens. In der reformatorischen Bewegung, so sah es Cölius, „ist itzund […] so gar eine reiche vnd fruchtbare zeit / von gelerten vnd hochvorstendigen leutten die von Gottes gnaden die welt mit schrifft vnd Christlicher lere vnterweisen“.254 In diesem charismatischen Aufbruch wusste er sich am rechten Ort, „da mich Gott hingesandt, das Euangelium von seinem Sohn zu predigen“.255 Freilich sah Cölius sich selbst nicht als einen von jenen „gelehrten und hochverständigen Leuten“, sondern dort, wo sich die Reformation noch nicht ganz durchgesetzt hatte, möchte er sich in aller Stille und Heimlichkeit in seinem „beruff “ erhalten. Deshalb suchte Cölius in der Auseinandersetzung bald Rückhalt und Rückversicherung bei dem reformatorischen Wittenberger Pfarrer und Gelehrten Johannes Bugenhagen aus Pommern („Pomer“), obwohl das nur im Titel der Schrift erwähnt, aber inhaltlich nicht ausgewiesen wurde. Clemen merkt an: „Cölius […] scheint eine ziemlich klägliche Rolle gespielt zu haben. Er war gebunden an einen eisernen Bestand weniger lutherisch-paulinischer Gedanken, über die er aber nicht frei verfügte, sondern die ihm sozusagen in unförmigen Klumpen, zu bestimmten Ideenkomplexen zusammengeschweißt, zur Hand waren.“ 256 Doch konnte Cölius später, mehr oder minder unterstützt von Bugenhagen, in seiner Schrift ohne allzu viel Polemik das zentrale reformatorische Verständnis von Heiliger Schrift mit ihrem Zentrum im Evangelium Jesu Christi und die Lehre von der Rechtfertigung allein durch den Glauben aus Gottes Gnade herausarbeiten. Meckenlör dagegen hat, wie Clemen meinte, „Cölius mit dessen eigenen Waffen, mit Schriftstellen bekämpft, die ihm in Menge zur 253 Ebd. A 4v. Später gab Meckenlör freilich zu, dass „einer der Herren“ eine solche detaillierte Auslegung des Römerbriefes aus dem „deutschen Talmud“, wohl aus Luthers verdeutschten Neuen Testament, schließlich unterbunden hatte: „Do wolt der prediger mit vil vergeblichen worten die Episteln außlegen fast schir vor wort zu worth / auff das er auch klug moechte gesehen werden / vnd stund ym an wie dem esel das singen / vnnd derhalben sagt eyner der herren / Ey herr hat yhr doch eynen rechten grund in eyner summa gehort wol yhr nhu alle Capittel außlegen werdt es fast lang. Nhu sprach der prediger / ßo mus man die werck der gnade gottes zuachten vnd nicht vns. Antwort / die werck / welche wir thum [! tun] nach der beruffung zum glauben mit der gnade gottes wyl gott vns zu rechne auß libe vnd guettickeit / Wie sie ganz vnser weren / vnd derhalben vorheischt er vns alle gutte werck zu betzalen nicht der werck halben alleyn /sundern auß seyner freundlicher vnd milder vorheyschung / denn die werck an yhn selbst weren solches grossen lhones nicht werth.“ Vgl. dazu 1 Kor 11,19; Joh 10,1–10. Die zu Ende angeführte Anwort Meckenlörs erinnerte an das, was bereits Scheunemann zu guten Werken sagte. Vgl. vor allem oben Anm. 148. 254 Vgl. Cölius, Wie man Christum ynn der schrifft, A 2r. 255 Siehe oben Anm. 251. 256 Siehe Clemen, Kaspar Meckenlör 195.

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Verfügung standen und mit denen er geschickt zu operieren wusste.“ 257 Ähnlich wie Cölius an sein reformatorisches Vorverständnis gebunden war, agierte freilich Meckenlör bei aller offensichtlichen Versiertheit in der Heiligen Schrift in seiner schriftlichen Antwort zunächst ganz aus seinem kirchlichen, asketisch traditionellen Selbstverständnis. Das führte, wohl aus persönlichem Temperament, zu polemischer Abwertung der reformatorischen Gegenpartei: „Erstlich fehet er an schreybende / das sust alß vil gelarthe leut seindt / daz man seins schreybens nicht bedarff. (Antwort) S. Paul sagt Es mussen ketzereye seyn / auff das dy do bewert werden vnther euch / Denn so sich mehr dy ketzer mit yrem schreyben / vnd boßen fruchten an den tag geben / yhe mehr der frommen bewerten Chrysten / gute frucht vnd larh erkant vnd befestiget werdt. Vnd yo besser man sich hutten kann vor der ketzer grewel / vnd des vnchristlichen yrtummes / so er offentlich erkandt werde. Weyther sagt der prediger / wy er von Gott gesandt / daz euangelium zu predigen. (Antwort) Der nicht dar zu geruffen wie Aaron. Sonder steiget anderßwo eyn / denn durch dy thur vnd mit auffrurischer prediget zu strewhet dy schaff / wie eyn wolff / von dem geyst der warheyt glaubens vnd eynickeyt / Christlicher kyrchen / er ist nicht eyn gesanther prediger von Gott Sonder eyn diep vnd eyn moerder etc. So nun der prediger recht bekennen will / weyß er wol wy er des halben vormals von der oberkeyt vortryeben sey. Vnd auch ytzt / wy eyn Priapistischer pfaff wyder gebrauch aller Aposteln Bischoffen vnd Pristern heyliger kyrchen eyn weip genommen / vnd teglich noch wyder ordnung gbrauch vnd eynickeyt Christlicher kyrchen geprediget.“ 258 Die Spaltungen und Parteiungen in der korinthischen Gemeinde, auf die Meckenlör mit dem Pauluswort 1 Kor 11,19 anspielte,259 hatten freilich nichts mit späterer Ketzerproblematik zu tun, die er im Übrigen bedenkenlos auf die Auseinandersetzungen seiner Zeit bezog. Dass die einheitliche Ordnung der mittelalterlichen Kirche in der Reformation zerbrach, wurde als sehr traumatisches Ereignis erfahren, was in etwa Meckenlörs Polemik erklärte. Diesem dramatischen Konflikt möchte Meckenlör für die Bewährung der „frommen Christen“ und ihrer „guten Frucht und Lehre“ sogar verheißungsvolle Seiten abgewinnen. Eine Erwartung, die im unüberwindbaren Dissens sich allenfalls als Überwältigung der einen oder der anderen Seite verwirklichen konnte! Wenn Meckenlör den Zölibatsbruch in der Verehelichung des reformatorischen Predigers Cölius als ‚Priapismus‘, als sexuelle Maßlosigkeit, kennzeichnet, ließ sich diese übertriebene Polemik gegen die Verletzung des kirchlichen Brauchs priesterlicher Ehelosigkeit, der zudem fälschlich bis auf die Apostel zurückgeführt wurde, nur noch schwer verstehen. Es zeigte sich da, wie Meckenlör das Zerbrechen von „Ordnung, Gebrauch und Einigkeit christlicher Kirchen“ kaum ertragen konnte, besonders allerdings in der gegensätzlichen Predigt des Evangeliums Jesu Christi. Die Prediger der anderen Seite wurden dabei, wie damals leider allgemein üblich, nicht als von Gott gesandt anerkannt, sondern mit Bildern der johanneischen Hirtenrede als Seiteneinsteiger ohne Legitimation

257 Ebd. 258 Siehe Meckenlör, Ab auch alle schrifft, A 4r. Vgl. 1 Kor 11,19; Joh 10,1. 7–10. Meckenlör erinnerte hier wohl daran, dass Cölius aus Pensau / Böhmen weichen musste. Siehe dazu Cölius, Michael: Wie der Probst // zu Prage vnd Meyssen die // Euangelischen prediger ligen heyst / vnd Got=//tis Wortt ver=//volget. Wittenberg 1524. In: Köhler, Flugschriften Fiche 1127 Nr. 2880. 259 Am Rand von A 4r verweist Meckenlör auf „I. Chor. XIII. II.“ Gemeint sein können freilich nur 1 Kor 11,18f. beziehungsweise 1 Kor 1,10.

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hingestellt, als Diebe und Mörder, die das wahre Evangelium nicht predigen, sondern es den Menschen wegnehmen und sie damit um das wahre, ewige Leben bringen. Cölius hatte durch sein undifferenziertes Verständnis der Heiligen Schrift als alleiniger Lehre von Jesus Christus es zunächst Meckenlör als gutem Kenner der Bibel leicht gemacht, auf die Vielfalt biblischer Texte hinzuweisen und auf die lange Heilsgeschichte, die nicht immer nur von Jesus Christus handelt. Meckenlör gab aber zu, dass Cölius in seiner schriftlichen Erklärung schon differenzierter spricht. So führte er den ersten Artikel des Cölius an: „Alle Schrift leret nicht anderst denn alleyn Christum erkennen“, und schrieb dazu: „Dießen Artickel habe ich wie eynen vorfurischen vnd wider die schrift gehandelten / angefochten die weil er nit anderst / Denn wy ytzt abgemelt vonn prediger in der predigt vnd disputation war fur gepracht. So yn aber der vnvorstendige prediger nach solcher weyse vorbracht wie war vnd recht erhalten vnd vorfechten vnd derhalben von mir wy eyn vnwarhafftiger vnd schrifftfelscher vberwunden / hat er den selbigen nhu yn seynem schreyben durch andere wort vorgebracht / zu gesetzt vnd abgenummen […] auf daz er doch mit solcher weiße alß war vnd gut mocht von ym erhalten werden vnd schreibet also. Welchen menschen / Got den vorstandt eroffnet / daz er Christum yn der heyligen schrifft findet vnd kennet der hat der gantzen schrifft erkentnis denn vmb Christus willen ist sie alleyn gestellet. Wye wol nach solchem laut besser vorstandt seyn mag denn wie erstlich vorgebracht vnd oben angezeychent / So ist er doch auch also nit ganz lauter vnd ane yrthum / wy hernach grundlich beweyßet vnd erkleret werden sall.“ 260 Erst aber nachdem Meckenlör den für Cölius unrühmlichen Verlauf der Disputation über diesen ersten Artikel geschildert hatte,261 ließ er sich auf den von Cölius korrigierten Worlaut ein: „Nhu ists keynem vnwislich / das vielen frommen gerechthen menschen Got den vorstandt geoffnet hat das sie Cristum ynn ader durch die schrifft vnd tzu zeyten aus Gottes eyngebunge Christum gefunden vnd erkanth haben / wie denn nemlich die drey klugen ader koenige / Welche Christum / auch durch antzeichunge etlicher schrifft gesucht gefunden vnd erkant haben. Matth. am 2. Nhu mus man den tieff synnigen prediger fragen. Haben sie der halben als balde die buecher Moisi die Propheten vnd Salomonis vnd ander buecher konnen gelesen vnd verstehen? Ich mein yho nicht das er das mit warheit beweysen kunde. […] Wie vill wolde ich der gleichen auß der schrifft antzeichen die Christum erkant haben vnd doch aller schrifft vorstandt nith gehabt haben / denn so man als balde alle schrifft versteet / wenn man Christum erkennet. Wo dannen kompt es denn daz noch bis auff den heutigen tag / vil grunde vnd stuecke seint in der heyligen schrifft die wenig schrifft vorstehen konnen / vnd derhalben auch 260 Siehe Meckenlör, ebd. A 4v. Vgl. dazu den beinahe gleichen Wortlaut des angeblich von Cölius korrigierten 1. Artickels bei Cölius, Wie man Christum ynn der schrift, A 3v: „Welchem menschen Gott den verstand eroeff­net / das er Christum jnn der heiligen schrifft findet vnd kennet / der hat der gantzen schrifft erkenntnis / denn umb Christus willen ist sie alleine gestellet.“ 261 Siehe Meckenlör, Ab auch alle schrifft, B 2r – C 2r. Er polemisierte dabei gegen die Berufung des Cölius auf „seyne deutzsche kammer“ (B 3r) beziehungsweise „seynen deutschen Talmuth“ (B 3v), gegen eine Abhängigkeit des reformatorischen Predigers von deutscher lutherischer Lehre und Schriftübersetzung. So wies er auch darauf hin, dass Cölius in Gen 3,15 im Deutschen die maskuline Form („der“) statt wie im Lateinischen die feminine Form („ipsa“) hat (B 2r). Zu Unrecht meinte Meckenlör, das ginge auf ein Femininum im Hebräischen zurück. So konnte er diese Stelle weiterhin auf Maria hin auslegen. Meckenlör möchte freilich deswegen „keyn krig halten“. Vgl. dazu besonders Schlageter, Die Auseinandersetzung des Franziskaners Kaspar Meckenlör 10–12 Anm. 26–28.

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also vil yrthums sich begeben hatt. Wie das S. Peter yn der andern am .5. betzeuget / Vnser liber bruder Paulus (sagt er) hatt etlich ding geschriben / Wolche schweer tzuvorstehen seindt welche vorwerren die vngelerthen vnd leycht fertigen / wie sie auch thun den andern schrifften / zu yrem eygen verdamnis. Hetten sie Christum erkennet (wie der prediger fur gibet) so wer do vorstandt gewest aller schrifft / vnd wer solch yrthum nicht erwachsen. Aus welchem man merck / wie feyn der boeßgelarthe alber prediger die schrifft vorstehet. Es mus ein zeychen seyn / das er wider Christum noch die schrifft kennet oder verstehet. Ach das man doch solchen vnvorstendigen mag stat vnd raum geben zu predigen / Sehet euch fur lieben herrn / das yhr durch solche nicht vorfuret werdet es gilt auff sehens. Darff man die schrifft also in viel stuecken mit offentlichen schreyben felschen ßo werden sie auch das freylich mit heymlichen tuecken thuen. Das wer woll recht gesagt. So ymand Christum erkennet / vnd findet ist yhm besser vnd seliger / denn das er alle schrifft vorstunde ahne erkennung Christi / yha so er auch sonst die gantze welt erlangen moechte.“ 262 Wenn für Meckenlör auch die Erkenntnis Christi zentral und entscheidend ist auf dem Weg zur Seligkeit, sie bedeutete für ihn noch kein umfassendes Verständnis der Heiligen Schrift selbst, für das er offenbar ein intensiveres Studium der Heiligen Schrift in allen ihren Teilen voraussetzte. Das hatte freilich auch Cölius nicht geleugnet, aber er insistierte auf der Mitte der Heiligen Schrift in Christus und auf der Hinführung zu Christus in der ganzen Heiligen Schrift, schon in Gesetz und Propheten des Alten Testamentes: „Vnd das ist die meinung meiner wort gewesen / die leute auff Christum zufueren / vnd das sie jhn jnn der heiligen schrifft mit vleis suechen.“263 „Darumb ich einem itzlichen Christen radten wolde / Ja vleissig jnn der gantzen heiligen schrifft auffachtung zuhaben / wie alle ding sich darinnen auf Christum reimen / vnd die zwene Cherubim / das ist das alte vnd newe Testament auf diesen einigen gnaden stul alleine sehen vnd achtung geben / Vnd als denn kann man sich jhr hoechlich bessern / vnd also lesen sie die Christen. Die andern aber so dis ends nicht warnemen / vnd Christum darinnen nicht suechen / noch achten / sondern lesen die Biblia dahin als andere historien / wie Liuius vnd Salustius schreiben / konnen sich daran wenig bessern / ja sie ergern sich auch bald vnd ehe daran / denn auch an Heidenischen historien / vnd geredt jhn das heilige Gottes wort zum anstos vnd ergernis.“ 264 Cölius nahm das entscheidende pastorale und existentielle Anliegen der reformatorischen Bewegung auf, die Christen so weit wie möglich zum Lesen der Heiligen Schrift zu ermuntern, allerdings maßgebend in einem auf Jesus Christus konzentrierten geistlichen Verständnis des Gotteswortes: „Wie solte sich ein fleischlicher mensch nicht ergern / wenn er list wie Juda der Ertzuater / mit seines sons weib Thamar gehuret habe / vnd da Dauid den ehebruch begangen habe mit Batsabe dem weib des Vrie / Ich will der hohen lied Salomonis schweigen / welche die Juden jhren kindern fur zwentzig iaren verbietten zu lesen / darumb das sie Christum 262 Ebd. C 2v–3r. Vgl. dazu Mt 2,1–12, besonders 5f.; 2 Petr 3,15f. 263 Siehe Cölius, Wie man Christum ynn der schrifft, A 4r. 264 Ebd. B 1v. Die beiden Cherubim, die nach Ex 37,7–10 einander zugewandt auf der Deckplatte der Bundeslade dargestellt waren, bedeuteten nach christlicher Auslegungstradition Altes und Neues Testament in ihrer gegenseitigen Zuordnung und in ihrem Bezug auf das Zentrum der Heilsbotschaft.

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darinnen nicht kennen / Aber wer Christum durch den glauben / darinnen kennet vnd findet / dem ist es eine hertzliche freude / vnd sihet wie sich Christus der armen sunder erbarmet vnd annimpt / schemet sich nicht jnn die anzal seiner voreltern sie lassen zu setzen vnd schreiben / Darum der heilige Mattheus vier weiber anzeigt in Christi linien / alle fur der welt vnd fleischlichen augen vnechtig / daran sich fleisch vnd blut ergert / aber ein Christglewbiger sich hoechlichen troestet / denn er sihet darinnen das Christum kommen sey vmb der sunder willen jhn zu helffen / vnd eiuert vmb vnsere seele / als ein frommer breutigam vmb seine geliebte braut.“ 265 Auf dieses geistliche Verständnis des Gotteswortes bei Cölius ging Meckenlör in seiner Antwort nicht ernsthaft ein, vielleicht weil ihm an einem intensiveren Umgang mit der Heiligen Schrift bei seinen Lesern weniger gelegen war. Kannte er überhaupt noch jenes geistliche Verständnis des Gotteswortes und die entsprechende geistliche Auslegung der Heiligen Schrift, wie sie schon einmal bei Lehrern seines eigenen Ordens heimisch war?266 Meckenlör sprach jedenfalls nicht davon. Meckenlör ging es vor allem darum, die traditionelle Lehre und besonders die moralisch-asketische Wegweisung in der Bibel aufzuzeigen: „Ich verhof mich / das yder in der schrift erfaren vnnd der warheyt gunstig / aus obgemelter meyner schrift in eyner Summa vnd beschlus gantz wol mercken kann / das heylige schrift / gesetz / propheten vnd historien vns nicht alleyn weysen Christum zuerkennen oder gleuben. Sondern das man auch Christo volge mit leben creutz tragen leyden vnd streyth wyder fleysch teuffel vnd werlt Christum vber alle ding liebe / seyne gebot halde / vnd nicht alleyn hoere ader erkenne das wort Gottes […] Sonder wie ein cluger hoere / erkenne vnd lerne Christum vnd seinem wort volge vnd thu darnach / das ist meyn grundt vnd meynunge / vnd das man nicht allein bleybe ynn blossen glawben adder erkentnis Christi etc.“ 267 Meckenlör verstand also die Erkenntnis Christi, die Cölius so zentral betonte, als eher intellektuell-theoretische Glaubenserkenntnis, gesondert von der Liebe und Nachfolge Christi in der Lebenspraxis des Kreuztragens, des Leidens und des Kampfes gegen den „Teufel, das Fleisch und die Welt“. Für das reformatorische Glaubensverständnis ergab sich diese Lebenspraxis als Gnadengeschenk aus dem existentiellen Christusglauben, ja in einer das Leben zum Guten verändernden Erkenntnis Christi in der Heiligen Schrift. Das wurde in der Schrift von Cölius deutlich. Aber Meckenlör konnte das wegen der reformatorischen Distanz zur ‚Werkheiligkeit‘, die Cölius sehr betonte268, nicht wahrnehmen. Meckenlör 265 Ebd. B 1v–2r. Vgl. dazu Gen 38,12–30; 2 Sam 11,1–27; Mt 1,1–17, besonders 1,3. 5f. 266 Vgl. dazu etwa Petrus Johannis Olivi, Expositio in Canticum Canticorum. Kritische Edition von Olivis Hoheliedkommentar mit Einführung und Übersetzung von Johannes Schlageter. Grottaferrata 1999 (Collectio Oliviana, 2) 33–41. 267 Siehe Meckenlör, Ab auch alle schrifft, D 2v–3r. Vgl. dazu Mt 7,21–27. 268 Siehe Cölius, Wie man Christum ynn der schrifft, C 1rv: „Also auch der Muench / wo der einen spruch mit dem anderen koend vergleichen / so wuerd er nicht den wercken zumessen / vergebung der sunde / nach verdienst der seligkeit / welche wir haben alleine durch Christum / Denn wie hart er auff seinen spruechen von wercken leith / die er doch nicht verstehet / so ist doch widderumb geschrieben, Esa. 64. Wir sind alle sampt die wie die vnreinen / vnd all vnser gerechtigkeit ist wie ein vnfletig kleid […] Ja Christus sagt selbs Luc. 17. Wenn jhr alles gethan hat das jhr thun sollet / so saget / wir sind vnnuetze knechte. So nu alle vnser gerechtigkeit oder froemmickeit / lauts der schrifft / vnrein ist / alle gute werck sunde / vnd durffen vns nicht darauff verlassen / sondern mussen sie furchten / denn es ist jnn jhn verterbnis / die weil wir nach vnnuetze knechte sind / wie sollten wir denn mit dem vnflat vns reinigen / mit sund die sunde ablegen vnd buessen

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leugnete die zentrale Bedeutung Christi im Heilsgeschehen nicht, die sich nach ihm aber bei den Christgläubigen erst in der Christusnachfolge zeigte und bewährte. Aber gerade das verstand Cölius als teuflische Abkehr von der einzigen Heilsvermittlung in Jesus Christus. Nach ihm ging es daher nicht bloß rhetorisch gegen das reformatorische „solus Christus“. Christi einzigartige Heilsbedeutung wurde geleugnet: „Es ist aber dem teufell jnn dieser sache nicht zuthun umb das wort / ALLEINE / sondern darumb ist es / das er Christum nicht kan leiden / thut jhm wehe das die leute zu seinem erkenntnis gefurt werden / Er ist der weg / die warheit vnd thoer / da durch man eingehet zum ewigen leben / Johan. 10. vnd 14. so wil er jhn weck stossen vnd jnn einen winckel setzen / Auff das er raum habe seine eigene weise vnd wege jnn gleisnerey zuerfinden / die menschen von Christo abzufueren / vnd auff jhre werck / freien willen / menschliche gedanken vnd meinung zu leiten / Da siehet man den wolff bey den oren / wie schoen er sich auch mit dem schefflin deckt / vnd gilt hie auffmerckens / vnd das man der trewen warnung Christi wol warnneme / do er sagt Matthei 7. Huettet euch fur den falschen Propheten / die zu euch komen jnn schaffs kleidern / inwendig aber sind es reissend welffe / Also verhoffe ich gantz meine wort bestehen / das die schrift darumb geben sey / das man Christum darinnen sueche / denn sie ist die krippe vnd windeln darein Christus geleget ist / wer seiner begert / mag jhn darinnen suechen / wer auch die schrifft anders handelt / der ist ein dieb vnd moeder Johan. am zehenden / feilet der thuer / vnd bricht durch die fenster.“ 269 Wer mit der Heiligen Schrift anders umging, als es sein, des Cölius, reformatorisches Vorverständnis gebot, der hat nicht wirklich einen Zugang durch die einzige Tür, die Christus ist, und wird zum Dieb und Mörder, weil er die Wahrheit der Schrift wegnimmt und den Zugang zum ewigen Leben unmöglich macht. In dieser Verketzerung, ja Verteufelung eines jeweils anderen Glaubensverständnisses stimmte hier Cölius erstaunlich überein mit Mecken­lör.270 Man wandte die entsprechenden biblischen Negativ-Bilder unbedenklich auf den jeweiligen Gegner an, ohne anscheinend ernsthaft zu überlegen, ob sie den Anderen wirklich trafen. In der ganzen Auseinandersetzung gingen die beiden Gegner nur dort aufeinander ein, wo sie Verunglimpfungen des Anderen polemisch zurückwiesen. Cölius hatte dazu nicht so viele Möglichkeiten, weil ihm die gegnerische Argumentation nur mündlich vorlag. So meinte er nur: „Wenn man Gottes Gnade durch Christum preiset / so schreien von stund an die werckheiligen vnd sagen / Man lere wie man nichts guttes thun doerffe / Ja sie sprechen auch wir verbietten gute werck / wie der vnbedachte Muench offentlich auff der Cantzel gelogen hat. Aber sant Paul zun Rom. am 3. fellet ein vrteil vber sie vnd spricht / sie werden billich verdammet / Christen thun gutte werck / denn sie wissen wie Paulus zun Ephe. am 2. schreibt / das sie Gottes werck geschaffen sind jnn Christo Jhesu zu gutten wercken / zu welchen Gott sie bereittet hat / das sei darinnen sollen wandeln / vnd das sie Chritus darumb gereiniget vnd jhm selbs ein volck zum eigentumb gemacht / das auch mit dem das verterbet vnd zu fürchten ist / viel verdienen? Darumb mussen wir viel einen andern haben / der vns von sunden los mache / vnd zur seligkeit helffe denn vnsere gutten werck / Als nemlich / Jhesum Christum dem Heiland.“ Vgl. Jes 64,5; Lk 17,10. 269 Ebd. B 3v–4r. Vgl. dazu Joh 10,1–10; 14,6; Mt 7,15. 270 Siehe oben Anm. 258.

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eiuerig sein sol zu gutten wercken. Thun sie aber nicht wie die heuchler vnd gleisner vmb eigens nutz willen odder verdienst / Sondern zum ersten darumb / das sie durch jhr leben Gottes namen eherwirdigen vnd preisen […] Zum andern / das sie da durch jhres glaubens vnd beruffs gewis werden / denn so wir vns der Sacrament trosten / vnd halten sie fur sigel vnsers glaubens / […] Also auch die gutten werck / zeigen vns an den glauben / nicht vmb der werck willen / sonder vmb des befelhs / vnd der verheissunge halben / so Gott daran hat gehangen.“ 271 Es ist freilich fraglich, ob sich die Verurteilung, die Paulus in Röm 3,8 den Verleumdern seiner Lehre androht, so einfach auf die Bedenken gegen die reformatorische Distanzierung von ‚Werkheiligkeit‘ bezogen werden kann. Jedoch räumte hier Cölius manche Bedenken aus dem Weg, die gegen die scheinbare Abwertung von guten Werken im reformatorischen Verständnis von „sola fide“ und „sola gratia“ entstehen konnten. Meckenlör ging auf diese differenzierte Darstellung nur polemisch ein, aber nicht, weil er bei den guten Werken nur als „Heuchler und Gleisner um eigenen Nutzen oder Verdienst“ besorgt war. Die ihm aufgegebene und überkommene kirchliche Lehre von der Verdienstlichkeit guter Werke wollte er jedoch gegen ein Zerrbild der gegnerischen Auffassung verteidigen: „so kommet er nhu mit falscher list vnd zwifeltigem hertzen vnd wechselt den wolfs balck in ein schaff cleydt vnd gibet schoenen geistlichen schein fur vnd saget / nhu widder seyn eygen luegen spruch oben berurt / das man gutte werck sal thun denn die schrifft weyset vns do hin / vnd erstlichen das Gott dardurch gepreyset werde / ist das nu nicht ein zwifaldige lahr vnd wider den selbigen luegen prediger / denn er zuuor geleret hat / das alle vnser gutte werck sund seint [...]. War ists vnd hat auch kein warer vnd rechter Christ nie anderst geleret / den das man gute werck thun sal / das die andern solche sehen vnd des gleychen thun vnd Gott preysen dadurch / So man sie aber darumb thete / das man von dem menschen eygen nutz ader lob suchen wolt / vnd nicht Gott / als denn nehmen wir das lohn von dem menschen vnd nicht von Gott.“ 272 Dass die Abwertung der guten Werke nur insofern galt, als sie gegen das unbedingte Vertrauen auf Gott und sein rechtfertigendes Tun in Christus ausgespielt wurden, konnte Meckenlör nicht wahrnehmen, und so sah er nur ‚Zweideutigkeit‘ und „Lügen“, wo eine andere Sicht des Glaubens und ein differenziertes Glaubensurteil gegeben ist: „Summa summarum / solt ich yhm alle seyne yrthumbs stuck hier fur brengen vnd yhn besser lerne (denn der selbigen noch viel seint) ich must fast ein groß buch machen / vnd wurde vordrißlich zulesen / vnnd derhalben will ich yhn in die luegen schul / Zu dem luegen Doctor Pommern weysen das er vollendt auch bacculatus werde in den luegen ab er deren nicht gnug konde / zu eynem lugen meister.“ 273 Die reformatorische Theologie, wie sie aus Wittenberg kam, erschien in der Sicht Meckenlörs nur als eine Schule von Irrtum und Lüge, von der nichts Gutes zu erwarten war und in der Cölius mit seiner angeblichen Verfälschung des Glaubens und aller Wahrheit gut und gern akademische Karriere machen könnte. 271 Siehe Coelius, Wie man Christum ynn der schrifft, C 4v – D 1v. Vgl. Röm 3,8; Eph 2,10. 272 Siehe Meckenlör, Ab auch alle schrifft, G 4v – H 1r. 273 Ebd. H 3v. „Doctor Pommer“, der theologische Lehrer und Stadtpfarrer Johannes Bugenhagen zu Wittenberg, erschien als Repräsentant der dortigen reformatorischen „Lügenschule“, weil er auf dem Titelblatt namentlich als Gewährsmann des Cölius genannt wurde (vgl. oben Anm. 247).

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Manchmal freilich antwortete bei Meckenlör einfach grobe Polemik auf die etwas simple Polemik des Cölius: „meynet er / das er fast ein wolgescherfften lasterpfeyl in mich schiessen will / ab er also das hertz vnd grundt meyner ehr / sampt anderer vieler frommer ordens leuth moecht ablauffen vnd zu bodem stossen / weys sunst nichts fur zu brengen / denn das wir holtzne schue tragen / vnd das sol ein zeychen sein das wir vnreyne thier seindt / die weyl die selbigen hotzschuche nicht gespalten sint etc. […] Also meynet er wy er vns grossen hon vnd vnehr beweist hatt vnd hat nicht gemarckt vnd gesehen / das er domit Christum vnd seine Aposteln gehoenet vnd gelesterth hatt / So sie auch barfus gegangen ader ßockelin getragen haben / hette er aber zuuor sein bueffisches kleydt angesehen vnd als den erkant wy vngleych solchs den Aposteln gewest ist. Denn sie yho nicht wy er solche außgeschnitten buffen vnnd lottherschu getragen haben / Sie haben auch nicht solche reutthers roeck mit x. ader xvi. falten getragen / wy er vnd seyner Secten frawen vnd hurenpfaffen. Ich will auch nicht gleuben / das sie solche thewre mardern storcksnester auff dem heubt getragen haben wy die selbigen Baals vnd Priapistischen pfaffen / Sie haben auch nicht wie sie / huren (ader wy sie von yhnen genant werden) Ehliche weyber gehabt / Haben auch nicht .50. ader hundert guelden genomen von yhren predigten / wie die selbigen bauchs pfaffen vnd ist kein settung da / noch wollen sie die rechten apostolischen yha wol apostaten sein / vnnd sind yhnen also gleych ym leben / cleidern vnd lahr / wy der teuffel vnserm Herrn Gott / Nhu ist mirs lieber ich sein Christo vnd seynen aposteln gleychformich mit meinen holtzschuchen / denn das ich solchen lottherpuffen mich solt nach kleyden / vnd der halben hat er mir darmit kein vnehr / sonder ehre gethan.“ 274 Meckenlör war sich mit seiner Bettelarmut, mit seinen Holzschuhen und seinem Barfußgehen der größeren „Gleichförmigkeit“ mit Jesus Christus und den Aposteln ganz sicher. Daher konnte er die reformatorischen Prediger wegen ihrer damals modischen Kleidung, ihrer Ehefrauen und ihrer Honorarforderungen zu Jesus Christus und den Seinen in einen Gegensatz bringen und wegen ihrer Abkehr von bisheriger klerikaler Ordnung „als Frauen- und Hurenpfaffen“, als „Baalspfaffen“ und „Priapisten“ beschimpfen. Eine gewisse ‚Verbürgerlichung‘ der reformatorischen Theologen und Prediger diente ihm als Erweis, dass sie sich von Jesus Christus und den Seinen abgewandt haben. Aber eine solche Angleichung an das städtische Bürgertum gab es auch bei den Franziskanern, und die observante Reformbewegung versuchte eher restaurativ in äußerlicher Anlehnung an die Verhältnisse am Anfang des Christentums und des eigenen Ordens dem entgegenzutreten, nicht immer und unbedingt ein Ausweis konsequenterer Jesusnachfolge. Diese freilich wollte Meckenlör existentiell ganz ernstnehmen: „Das er aber auch entzu knopfft mit grosser Christi vnnd der warheit lesterung vnd wider alle billickeyt / das wir Christi leyden mit vnsern fussen vnd schuen in kott tretten / auff das die werck erhaben werden […] Ich stelle aber hie zuerkennen vnd zu richten allen schrifft verstendigen vnd rechten Christen / Ab das auch Christi leyden sey mit fussen 274 Ebd. I 1v–2r. Die „Unreinheit“, wie sie in Dtn 14,6 von Tieren ohne gespaltene Klauen ausgesagt wird, bezog Cölius auf die observanten Franziskaner mit ihren Holzschuhen, die „weder Gelenk noch Fugen haben“. Siehe Cölius, Wie man Christum ynn der schrifft, E 1r. Meckenlör selbst verwies dagegen für die in seiner Sicht exemplarischen Kleidung der Apostel auf die Texte zur Aussendung der zwölf Jünger (Mt 10,9f.; Mk 6,8f.; Lk 9,3).

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getretten vnd yhn beseyd setzen / So man Christi leyden vnd sterben also glaubet vnd helt / das wir nicht allein mit blossem glauben ane werck bleyben / Sondern nach seyner selbst warnung Math. 16. Luce 9. vnser Creutz nemen vnd yhm volgen […] Denn man yha besser preysset vnd erhoehet Christi leyden mit glauben / liebe / vnd wercken / denn so man allein trawet auff blossen glauben.“ 275 Die Werke konsequenter Jesusnachfolge nach dem Beispiel der Apostel machte Meckenlör daher in seiner eigenen Lebensform geltend: „Ich sage aber das ich mich des gar nicht scheme / tzu leren predigen / denn ich weis hie Christi beuell zu solcher weys den Aposteln vnd rechten predigern gescheen / vnd sie der massen geleret vnd geprediget haben. Ich will derhalben keynen garmarkt [!Jahrmarkt?] halten gutte werck zuuorkeuffen / also wenig als dy Aposteln Christi / werck kremer zuachten seyn / das sie gutthe werck zu thun / vnd sund zulassen geprediget haben. Werdt mir aber etwas dar von (wy einem arbeyter ym wort Christi) gereycht / wil ich das mit dancksagung Gottes vnd frommer menschen annehmen. So ich aber auß notturfft wy ein armer Christi / welcher nach gebrauch vnd weyse / der heyligen Aposteln / vnd erst Christi gleubigen hette alles vorlassen aus Gottes liebe / vnd wolth der massen arm sein / vnnd wurdt ymandt vmb Gottes willen bitthen stewer hulff mir vnd den andern in gleychen armut / gestellet / zu reychen vnd zu thun / Hab ich des gutthen grund auß heyliger schrifft / vnd nach dem exempel / des heyligen Pauls zu thun / Welcher auch fur dy armen Christi zu Jerusalem von den Chorinthern / Philippern / vnd vil andern das almusen gebettelt hat. Wie 1. Chor. 8. vnd 16. Philip. 4. Hebr. 13. Vnd sunst gutthen gefug zu betteln / auß heiliger schrifft vnd gebrauch der kirchen Gottes krefftig gnug zeygen wolt / wo des schreibens nicht tzu vil were.“ 276 Maßgebend war also eine Lebensform, die sich in Werken vorzeigbar an Jesus Christus und seinen Aposteln orientierte. Dadurch vor allem sah Meckenlör seine konsequente Nachfolge Jesu Christi als „rechter Prediger“ und „Armer Christi“ erwiesen. Um einen Markt oder Verkauf von guten Werken ging es ihm dabei nicht, das leugnete er wohl zu Recht. Aber die von der Reformation gerügten Missbräuche, dass religiöse Leistungen beziehungsweise manchmal auch nur ihr äußerer Anschein hochgespielt und honoriert wurden, kamen nicht in den Blick. Die entsprechende Berufung auf das Wort Christi (Mt 10,10; Lk 10,7), dass der „Arbeiter im Wort Christi“ seinen Unterhalt oder Lohn annehmen darf, wurde deshalb in diesem Zusammenhang nicht kritisch reflektiert. In der Auseinandersetzung mit dem reformatorischen Prediger Cölius, ja mit der ganzen Wittenberger Reformation, setzte Meckenlör so besonders auf die Überzeugungskraft des äußeren Auftretens der einfachen und in der Lebensführung bescheidenen Prediger aus den Bettelorden. Wo den Franziskanern die Obrigkeit und vielleicht auch das einfache Volk noch einigermaßen gewogen waren, wie etwa damals in Mansfeld und auch in Leipzig, konnte eine solche Präsentation des eigenen Lebens, Denkens und Predigens noch Wirkung zeigen, 275 Siehe Meckenlör, Ab auch alle schrifft, I 2rv. Vgl. dazu Mt 16,24f.; Lk 9,23f. Zum entsprechenden Vorwurf des Cölius, vgl. Cölius, Wie man Christus ynn der schrifft, E 1r. 276 Siehe Meckenlör, Ab auch alle schrifft, L 1rv. Vgl. 1 Kor 16,1–4; 2 Kor 8,1–14; Phil 4,10–18; Hebr 13,1–3. 16. 23. Die Schrifttexte meinen nicht unbedingt, was gezeigt werden sollte. Meckenlör hatte eher die traditionellen franziskanischen Argumente für eine Bettelarmut im Geiste Christi im Blick. Aber er brachte sie hier nicht, vielleicht weil sie sich aus der Heiligen Schrift doch nicht so selbstverständlich aufzeigen ließen.

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obwohl sie Probleme und Missstände der eigenen Seite unkritisch ausblendete. Meckenlör griff deswegen ohne Bedenken die äußere Lebensführung der reformatorischen Gegner an. Aber waren die rechten Früchte eines Lebens nach dem Evangelium so einfach und eher äußerlich von den schlechten Früchten zu unterscheiden? Eine solche Argumentation war nicht unbedingt überzeugend. Wo die Reformation sich durchsetzte, erschien sie jedenfalls den meisten als eine durchaus evangelische und christliche, ja modernere Form kirchlichen und geistlichen Lebens. Das Franziskanerkloster zu Arnstadt selbst ließ sich ja nur bis 1538 verteidigen. Als Meckenlör in deutscher Übersetzung John Fishers „Assertionum M. Lutheri confutatio“ 1536 aus Leipzig aus verbreiten konnte,277 nannte er sich in seiner „Vorred“ noch „Guardian zu Arnstadt“, woher dieses Vorwort auf den 12. April 1536 datiert ist.278 Der „Vorred“ des Übersetzers Meckenlör folgte dann eine Inhaltsangabe der 41 Artikel Luthers: „Gemeyner Innhalt der XLI. yrrigen Artickeln“279 sowie eine doppelte „Vorred“ von John Fishers „Confutatio“.280 Nach der Übersetzung dieser „Confutatio“ wurde zum Schluss noch ein Schreiben Papst Pauls III. übersetzt, gerichtet an den „Römischen vnd zu Vngarn vnd Behem König“ Ferdinand von Habsburg, in dem der Papst ihn aufforderte, mit seinem Bruder Kaiser Karl V. gegen den inzwischen vom Papst gebannten und seines Amtes entsetzten englischen König Heinrich VIII. vorzugehen.281 Offensichtlich wollte Meckenlör seine deutsche Ausgabe der bereits 1523 277 Die Schrift von John Fisher „Assertionum Martini Lutheri confutatio per reverendum patrem Joannem Roffensem Episcopum Academiae Cantabrigiensis Cancellarium etc.“ [Antwerpen 1523; Köln 1525] brachte Meckenlör damit deutsch heraus unter dem Titel: „Gründtliche wider=//legung vnd ableynung der // XLI. Artickeln Mart. Luthers / Durch den ho=//chwirdigen herrn (seliger gedechtnuss) Jo//hann / Weyland Bischoff tzu Roffa in // Engelland / mit Goetlicher schrifft // vnd gezeucknuss der alten hey=//ligen Vaeter auff sterckst // vnd klaerst verfasset // vnd bekrefftiget. // Des Bischoffs Roffensis Buch verteutscht // durch Casparn Meckenlor [!]. // M. D. XXX. VI. [Leipzig: Melchior Lotter d. Ä. 1536]. Zitiert nach der Kopie eines Exemplars der Bayerischen Staatsbibliothek München (4o Polem. 2536). Vgl. auch VD 16, Bd. 7: F 1222, 16. Dieses Exemplar trägt auf der Titelseite oben den Vermerk des vorherigen Besitzers „Conv[entus] Schongavi Carmel[itarum] Disc[alceatorum]“, also des „Konventes der unbeschuhten Karmeliten zu Schongau“, und vermutlich auf dem Spiegel vorne den Vermerk: „Nota bene: Tractatus iste Joannis Fischeri [!] Episcopi Roffensis De orthodoxa fide contra nefarium Lutherum est valde utilis […].“ Zwei oder drei weiterere Worte sind überschrieben und in der Kopie kaum leserlich! Wie ebenfalls gelegentliche Randbemerkungen und Unterstreichungen zeigen, wurde die „Confutatio“ von John Fisher und wohl auch Meckenlörs Übersetzung in der späteren Auseinandersetzung mit der Reformation also durchaus geschätzt. Vgl. dazu insgesamt Schlageter, Johannes: Kaspar Meckenlörs Übersetzung und Bearbeitung von John Fishers Assertionum Martini Lutheri confutatio. In: WiWei 70 (2007) 81–119. 278 Siehe Fisher / Meckenlör, Gruendtliche widerlegung, A 3v: „Geben zu Arnstat 12. Aprilis / Im 1536. jar. Bruder Caspar Meckenlor / Guardian zu Arnstat.“ 279 Ebd. A 4r – B 1r. 280 Ebd. B 1r–4v; B 4v – C 3r. Im ersten Teil seiner „Vorrede“ bezog sich Fisher nur auf die Schrift Luthers „Assertio omnium articulorum Martini Lutheri per bullam Leonis X. damnatorum“ beziehungsweise in deutscher Ausgabe „Grund und Ursach aller Artikel D. Martin Luthers, so durch römische Bulle unrechtlich verdammt sind“ (beide 1521). Im zweiten Teil erklärte Fisher, dass er auf Luthers De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium (1520) nicht antwortete, weil König Heinrich VIII. eine Gegenschrift dazu herausgab. Gemeint war damit die „Asssertio septem sacramentorum“ (1521), für die König Heinrich VIII. von Papst Leo X. den Titel „Defensor fidei“ erhielt. Vgl. Weiss, Dieter J.: Heinrich VIII. In: LThK3 4, 1383f. 281 Vgl. in Fisher / Meckenlör, Gruendtliche widerlegung, Nn 3r–4v. Dieses Schreiben ist datiert „Vnseres Bapstumbs im Ersten Jar“ (ebd. Nn 4v), also 1535, weil die Hinrichtung von John Fisher vom 22. Juni 1535 bereits erwähnt wird. Vgl. dazu Ganzer, Klaus: Paul III. In: LThK3 7, 1520–1522; Becht, Michael: Fisher, John. In: LThK3 3, 1310f. Siehe dazu auch Rouschausse, Jean: John Fisher Évêque de Rochester. Sa vie et ses œuvres. Lille 1971.

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erstmals erschienenen „Confutatio“ auf den neuesten Stand bringen, wie er in seiner „Vorred“ auch Gestalt und Geschick des eigentlichen Autors John Fisher bis hin zu seinem Zeugentod würdigte. Gewidmet war Meckenlörs Übersetzung in der „Vorred“: „Dem Durchlauchten vnd Hochgebornen Fursten vnd Herrn / Herrn Geoergen Hertzogen zu Sachsen / Landtgrauen in Turingen / vnd Marggrauen zu Meyssen / Meynem Gnedigen Herrn.“282 Herzog Georg dem Bärtigen aus dem Albertinischen Sachsen, dem bewährten Garanten der alten Kirche in seinem Bereich, wollte Meckenlör wie allen Lesern den 1535 hingerichteten John Fisher als exemplarischen Zeugen des katholischen Glaubens vor Augen führen: „Solchs hab ich E[euer] F[ürstlichen] G[naden] nicht wissen zu bergen / auff das E. F. G. vnd meniglich jeder / wer dis buch lisst / dest bessern glauben gebe des heyligen Mans schrifften / die er mit seym blut vnd heyligem leben biss in den tod bezeugt hat / on alle arge bewegnuss oder fleischliche neygung / als do sind / zorn / hass / neyd etc. So er sich auch wider den hefftigsten vnd bittersten lesterer aller Scheltwort vnd zornred enthalten hat. E. F. G. wollens genediglich im besten versteen vnd annemen.“ 283 Die eher unpolemische Art, in der Fisher sich mit dem polemischen Luther auseinandersetzte, wertete Meckenlör als Zeichen seiner Glaubwürdigkeit und Heiligkeit. Sie wurden nach Meckenlör auch in Fishers persönlichem Leben sichtbar: „Wie denn auch dieser from heylig vnd hochgelert Bischoff / dermassen gelebt vnd geschryben hat / das er den alten heyligen Vaetern nit vnbillig mag zugezelt werden: weyl er gar vil anderst geschickt was in leer vnd leben / dann yztund vil Bischoffe vnd andre geystlihe Prelaten angesehen werden.“ 284 Dass sich der „fromme, heilige und hochgelehrte Bischof “ John Fisher von vielen anderen Bischöfen und Prälaten unterschied, war die deutlichste Kritik, die bei Meckenlör bezüglich der Kirche seiner Zeit zu finden ist. Hier wusste er sich offenbar im Einklang mit seinem fürstlichen Adressaten. Dieser Unterschied zum übrigen Klerus wurde besonders hervorgehoben: „Denn so viel die leer betrifft, ist dieser Man von jugend auff fleissig vnd scharpffsinnig gewest / vnd der massen in natürlichen kuensten vnd in Goetlicher Schrifft erfarn / darzu in Hebreischem vnd Greckischem / neben dem Lateinischen vnd Englischem gezung bekandt vnd wol beredt: Daz er nit allein wider die ketzer vnd yrtume / so zu vnsern zeitten entstanden seind / vil grosse vnd herliche buecher geschryben hat / Sonder auch mit Predigen so trefflich vnd emsig gewest / das er jerlich durch all sein Bistumb in allen kirchen (so er nach der weise der alten heyligen Bischoffen selbs visitirt vnd besichtiget die Kirchen seines Sprengels) selbs prediget / vnd ist der hohen Schul zu Cantabrigia oberster Cantzler gewest / darin er auch des willens / Drey collegia zu stifften / darin man prediger solt auffziehen vnd gemeynem volck zu gutt in goetlicher Schrifft geschickt vnd gesprech machen.“ 285 Die humanistische Bildung des jungen Gelehrten John Fisher wurde erwähnt, jedoch als Voraussetzung für die theologische und vor allem pastorale Wirksamkeit des späteren 282 Siehe Fisher / Meckenlör, Gründtliche widerlegung, A 2r. 283 Ebd. A 3v. 284 Ebd. A 2v. 285 Ebd. A 2v–3r. Die Aktivität von Fisher gegen die Reformation wird ebenfalls lobend hervorgehoben. Vgl. dazu schon 1521: „The sermon of Johan the bysschop of Rochester made agayn the pernicyous doctryn of Martin luuther.“ In: Mayor, John E. B. (Ed.): The English Works of John Fisher Bischop of Rochester, Part I. London 1876, 310–350.

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Bischofs von Rochester und Kanzlers der Universität Cambridge gewürdigt. Das erscheint geradezu als ‚Bischofsspiegel‘, als Modell, wie ein guter Bischof „nach Weise der alten, heiligen Bischöfe“ sein sollte: „Als vil aber ein from tugentlich vnd recht geystlich leben betrifft / hat dieser Man das hoechst lob von allen die yn gesehen oder gekant haben. So gar emsig ist er gewest in aller gotselikeit vnd gutem exempel / In fasten / beten / wachen / studiren / in andacht vnd beschaulikeyt gegen Gott / In almuesen vnd myldikeyt gegen den armen / das er nicht alleyn vil armer leut teglich selbs speyset vnd trencket / / sonder auch vilen Studenten vnd gelerten leuten nicht allein in Engelland / sonder auch in Teutsch / Welsch vnd andern landen reychliche stewr vnd huelff heymlich zu yrer underhaldung vbersendet hat / Nicht daz er hette so gross einkomens gehabt vor andern bischoffen / sonder daz er ym selbs so vil destmehr hat abbrochen / vnd andern mitgeteylt / doher er auch duerres leybs vnd ein lang hager man gewesen ist.“ 286 Meckenlörs Lobpreisung des „heiligen“ John Fisher, für die er keine Quelle angibt, die aber zutreffend erscheint, diente besonders dazu, die Wirkung der von Meckenlör übersetzten Schrift gegen Luther bei seinen deutschen Adressaten noch zu steigern. Nachdem er auf den Abfall Heinrichs VIII. von der alten Kirche zu sprechen kam, schreibt Meckenlör: „Auff das aber bey vns Teutschen menigklich erkenne / wie vnbillich er handele in solchem abfall / hab ich des frommen heyligen vnd hochgelarten Bischoffs von Roffa buch / welchs er Erstlich wider XLI. Artickeln des Luthers ym Latein hat lassen aussgeen / jns tewtsch gezogen (so vil der hauptsachen vnd grundtlichem verstand von noeten ist) furnemlich zu gut vnd christlicher vnderweysung den frommen leyen / welche das latein nicht versteen. Denn sie yren alten vngezweyfelten glauben / wider all newe Secten / fein darauss moegen stercken / vnd wider alle der ketzern anfechtung beuestigen / So sie werden lesen vnd befinden / das vnser alter glaub in all disen stucken (welche ytzt von newen Secten werden geaendert oder gar abgethan) ist auffs aller sterckst vnd klaerst gegruendet vnd verfasset in der heyligen schrifft (wer sie recht versteen wil) vnd in der ausslegung der alten heyligen Veter / welche des heyligen geysts gnad / einsprechung / vnd inwonung in yrer leer vnd tugentlichem leben Tausentmal besser / dann Luther mit all seynem anhangk / bezeugt haben.“ 287 Wie Fisher selbst blieb Meckenlör fest überzeugt, dass „unser alter Glaube“ gut begründet ist in der Heiligen Schrift und der Überlieferung der Väter. Dabei meinte er freilich mit Überlieferung der Väter das traditionelle Verständnis der Heiligen Schrift und des kirchlichen Glaubens insgesamt. Eine kritische Unterscheidung zwischen dem ‚Wort Gottes‘, der zentralen Botschaft der Bibel, und der fragwürdigen späteren Tradition der Kirche, wie das in der Reformation versucht wurde, erschien da von vornherein als ketzerisch, wurde auch nicht diskutiert. Es sollten nur die Anhänger des alten Glaubens und besonders die „Laien“ in ihrer Überzeugung bestätigt und befestigt werden. Meckenlör führte daher manches Ungereimte des reformatorischen Geschehens vor, ohne die persönlichen Beschimpfungen,

286 Vgl. Fisher / Meckenlör, Gruendtliche widerlegung, A 3rv. Zu frühen Lebensbeschreibungen über John Fisher, vgl. Ortroy, François van (Ed.): Vie du bienheureux martyr Jean Fisher, évêque de Rochester: texte anglais et traduction latine du XVIième siècle. Bruxelles 1893. 287 Ebd. A 2v.

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die in seiner Schrift gegen Cölius üblich waren.288 Nur der „wuetterich“ Heinrich VIII. mit seinem blutigen Vorgehen gegen alle seine Gegner kam schlecht weg, jedoch mehr im Stil einer Tatsachenbeschreibung. Heinrich VIII. wird zuletzt besonders angekreidet: „ist er auch vom Bapst vnd von gemeyner kirchen abgefallen / vnd hat sich selbst auff­ geworffen fur das oberste geystlich haupt der kirchen in Engelland / vnd kreucht nu durch Bottschafft zum Luther gen Wittenberg / den er zuuor vil jar / als den aergsten ketzer / mit Schrifften offentlich geschmehet / vnd seine anhenger mit dem schwerdt verfolget hat“.289 Obwohl auch Luther mit Heinrich VIII. schließlich nicht viel Glück hatte,290 konnte so Meckenlör dessen blutige Exzesse mit dem reformatorischen Geschehen in Beziehung bringen, ohne allerdings Heinrichs früheres gewaltsames Vorgehen gegen die Reformation irgendwie zu beanstanden. Insgesamt wirkt Meckenlörs „Vorred“ gemäßigt. Er scheint zudem in seiner Angleichung an die damals von Luthers Bibelübersetzung geprägte, frühneuhochdeutsche Sprache Fortschritte gemacht zu haben. Doch um das, wie Meckenlörs Übersetzungsleistung überhaupt, zu würdigen, wäre eine eingehende Analyse erforderlich im philologischen und theologischen Vergleich mit dem ursprünglichen Text seiner Vorlagen, besonders der „Confutatio“ von John Fisher. Diese schwierige Analyse ist an dieser Stelle nicht möglich. Wie lange Meckenlör in Arnstadt an seiner Übersetzung gearbeitet hat, wurde von ihm nicht vermerkt. Ob er bei der Aufhebung des Klosters 1538 noch dort weilte291, ist nicht bekannt, ebensowenig wie sein Todesdatum und der größte Teil seines Lebens. Vielleicht wurde er deshalb noch nicht eingehend dargestellt. Doch gerade Meckenlörs Übersetzung und Verbreitung von Fishers „Confutatio“ erscheint von Bedeutung, obwohl sie vermutlich ihre Wirkung erst in der Gegenreformation und außerhalb ihres ursprünglichen Entstehungsbereichs entfalten konnte.

5.6. Kaspar Sager Auch von Kaspar Sager, der ebenfalls der observant geprägten Saxonia S. Crucis angehörte und sie von 1535 bis 1538 als Provinzialminister leitete, ist anscheinend weder Geburts- noch Todesdatum ausfindig zu machen.292 In Leipzig wie in Annaberg trat er besonders ab 1539 dem Übergang zur Reformation entgegen, den der neue Landesherr im albertinischen Sachsen, Herzog Heinrich, betrieb. So wollte Sager die drohende Aufhebung der dortigen

288 Siehe etwa oben Anm. 258; 274. 289 Siehe ingesamt ebd. A 2rv. 290 Zur Gesandschaft des Friedrich Myconius nach England, die der Einführung der Reformation dienen sollte, vgl. etwa oben Kap. 3, Anm. 194. 291 Das Bestehen des Konvents in Arnstadt bis 1538 war dem Zögern der regierenden Schwarzenburger Grafen zuzuschreiben, gegen die von ihnen lange geförderten Franziskaner vorzugehen. Erst als nach dem Tod Heinrichs XXXII. von Schwarzenburg 1538 der Oberlehensherr Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen zeitweise die Regierungsgeschäfte in der Grafschaft übernahm, ließ er die Franziskaner zu Arnstadt vor die Wahl stellen, die Reformation anzunehmen oder das Kloster zu verlassen. Die Franziskaner entschieden sich, an einen unbekannten Ort wegzuziehen. Vgl. Einicke, Zwanzig Jahre II, 87f. 292 Siehe besonders Göcking, P. Kaspar Sager 231–256. Vgl. auch Schlageter, Johannes: Sager(us), Kaspar. In: LThK3 8, 1428f.

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Franziskanerklöster verhindern.293 Die theologisch-erbaulichen Schriften, die er 1534 und 1535 herausgab, richteten sich aber nicht ausdrücklich gegen die reformatorische Bewegung. Sie wollten eher in geistlicher Vertiefung und Erneuerung dem überkommenen Glauben dienen.294 Die intensive innerlich-geistliche Ausrichtung, wie sie ein franziskanischer Brief an Myconius für „Pater Kaspar“ bezeugt,295 stimmte zwar gut mit dem Inhalt von Sagers Schriften überein. Aber Sagers öffentliches Auftreten lange nach dem Wirken des Observantenoberen Heinrich Kuene (Kone), des angeblichen „Schülers“ von „Pater Kaspar“, macht es doch sehr unwahrscheinlich, dass Sager mit dieser umstrittenen Gestalt der Vergangenheit zu identifizieren ist.296 Wohl erst auf dem Provinzkapitel der Saxonia S. Crucis von 1532, auf dem Augustin von Alveldt als Provinzialminister zurücktrat und ihm Suederus Vastmar im Amt folgte, dürfte Sager Guardian von Leipzig geworden sein. Denn an diesen Dienst erinnerte er in Titeln und Widmungen seiner Schriften von 1534.297 Sagers erste Schrift: „Qui Deum optimum maximum spiritu et veritate adoratum oporteat“298 betonte bereits in der Vorrede an den Bürgermeister von Leipzig, Ägidius Morch299, den katholischen und rechtgläubigen Charakter des „im Geist und in der Wahrheit“ vollzogenen Gebetes, das gefördert werden soll.300 Für Sager erhält das Gebet „im Geist“ wie erst recht das „in der Wahrheit“ seinen guten Sinn, „wenn jenes aus einer freundschaftlicheren Zuneigung, dieses in katholischer Wahrhaftigkeit erwächst“. Diese rechte, sinnvolle Begründung des Gebetes nennt er „unser aller Aufgabe, insofern wir das, was Gott, dem Besten, Größten genehmer ist, im Bitten eines rechtgläubigen Gebetes darzubringen haben“.301 Sager schien in diesem Zusammenhang dem Bürgermeister 293 Vgl. Schmies / Rakemann, Spuren 293. 294 So sah es schon Sagers Zeitgenosse Henning Pyrgallus, der in seinem Encomium aliquot virorum illustrium, hac lugubri tempestate catholicas veritates asserentium schrieb: „Dehinc Sagerus adest vir consultissimus ille, – Cordigeri princeps ordinis ecce pater, – Nixibus intendens nocturnis atque diurnis, – Quo redeat priscus religionis honor.“ Zitiert nach Göcking, P. Kaspar Sager 237 Anm. 28. 295 Vgl. Schlageter, Die Auseinandersetzung des Franziskaners Kaspar Meckenlör Anm. 5. 296 Vgl. ebd. Anm. 15. 297 Vgl. etwa Sagers handschriftliche Widmungen von Exemplaren beider Schriften an die Äbtissin des Klarissenklosters zu Nürnberg, Katharina Pirckheimer, bei Göcking, P. Kaspar Sager 338f. Anm. 30f. und 35. Auch im Titel der 2. Schrift erscheint Sagers Dienst als „Guardian von Leipzig“, bei Göcking, ebd. 239 Anm. 34f. 298 In heutiger lateinischer Schreibweise und in freier deutscher Übersetzung des etwas komplizierten Lateins Sagers: „Wer Gott, den Besten und Größten, in Geist und Wahrheit anzubeten hat.“ Vgl. dazu Göcking, ebd. 237 Anm. 29; VD 16 S 1288. 299 Siehe zu Ägidius Morch beziehungsweise Mohr Göcking, P. Kaspar Sager 338 Anm. 32. Die Vorrede beginnt mit dem Gruß: „Frater Gasparus Sagerus Ab obseruationibus Franciscanis Lipsiae Guardianus D. Egidio Morch Consuli Lipsiaco Mecenati suo quam maximo S. D.“ Siehe dazu Sager, Kaspar: Qui Deum optimum maximum spiritu et veritate adoratum oporteat. Leipzig (Melchior Lotther) 1534, A 2r. Der seltsame Ausdruck „Ab obseruationibus Franciscanis Lipsiae“ lässt sich wohl frei übersetzen: „von der franziskanischen Observanz zu Leipzig“. Die mäzenatische Förderung seiner Arbeit durch Morch wurde mehrfach betont, so auch in der abschließenden Bemerkung des Drucks: „Ex officina Melchioris Lottheri. Impensa et aere Domini Egidii Morch Clarissimi Consulis Lipsiae.“ Siehe Sager, Qui Deum optimum, C 5r. 300 Es ging um Joh 4,23f., das Herrenwort, das Sager auslegen und entfalten wollte. 301 Siehe insgesamt Sager, Qui Deum optimum, A 2v: „fatiunde orationis spiritu et veritate habeo rationem: quando illud e amitiori adfectu, hoc synceritate catholica proveniat, quae est opera iure optimo omnium nostrum, quatenus quod gratius Deo optimo maximo, fusa prece orthodoxae orationis satagamus reddere“. Sager bezieht sich am Rande auf Jes 59 und Mt 15. Vermutlich meinte er damit Texte, die die drohende Perversion des Verhältnisses zu Gott im Blick haben (Jes 59,1–4; Mt 15,7–9). Solcher Perversion entgeht ein Gebet im „Geist“ von „freundschaftlicher Zuneigung“ und in der „Wahrheit“, nämlich in „katholischer Wahrhaftigkeit“.

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sogar eine greifbare Erneuerung des katholischen Ordenslebens in Aussicht zu stellen.302 Sonst wurde nichts angesprochen, was man als gegen die Reformation gerichtet verstehen könnte. Ebenso wenig kümmerte sich Sager um die Auseinandersetzung mit der Reformation in seiner nächsten Schrift über das Vater-Unser, die er bereits am Ende der ersten angekündigt hatte.303 Diese Hauptschrift Sagers, die ebenfalls 1534 und nun bei Michael Blum in Leipzig gedruckt wurde, trägt den Titel: „Habita dominicae precis, quod Pater noster dicitur, ratio secundum divinas literas dumtaxat“ 304 Sager bezeichnete sich hier als „Marchanicum“, als jemand aus der Mark Brandenburg, der diese Schrift in seiner Einleitung seinem Landsmann, dem Mainzer Kurfürst und Erzbischof Albrecht von Brandenburg, widmete.305 Das war freilich ein deutliches Signal, dass er nichts im Sinn hatte mit der reformatorischen Bewegung, die diesen Kirchenfürsten öfter angriff. Wenn Sager bei seiner auf elf Kapitel ausgedehnten Darstellung von Sinn und Vorzügen des Vater-Unser-Gebetes lediglich die Heilige Schrift heranzog,306 dann ging er freilich insofern auf die reformatorische Herausforderung ein, als sie ihm diese Argumentation allein aus der Heiligen Schrift nahelegte. Deutlicher von der Auseinandersetzung mit der Reformation geprägt war Sagers letzte Schrift: „Pia iuxta ac perbrevis dominicae orationis ennarratio simul atque Oratio de primo et maximo mandato, quae Charitatis est.“ 307 Diese Schrift wurde 1535 bei Melchior Novesia­nus (von Neuß) in Köln gedruckt.308 Vielleicht konnte man in Köln, das auf dem Titelblatt „O felix Colonia“ (O glückliches Köln) gepriesen wird, noch einfacher eine Schrift herausbringen, die in einer gewissen kritischen Distanz zur Reformation stand. Jedenfalls widmete Sager, der sich „von der franziskanischen Observanz, Saxone von der Mark [Brandenburg]“ nennt,309 seine Schrift dem Kölner Juristen Johannes Rinck, „seinem unvergleichlichen Mäzenaten“.310 Mit Rinck kam offenbar Sager durch dortige Brüder und Schwestern in Beziehung, die dessen echte Frömmigkeit und erwiesenen Wohltaten priesen. Obwohl er bei seinem Besuch Rinck nicht persönlich zu Hause antraf, durfte Sager in dessen glanzvollem Haus verweilen. Dabei konnte er etwas erleben, was jedes Lob für Rincks alleinige wohltätige Humanität noch übertraf. „Denn was immer nächst Frömmigkeit wie Freigebigkeit man erhoffen konnte, sahen wir durch Deine edle und so ganz und gar ehrbare Gemahlin vor Augen gestellt.“311 Wenn Sager das tags 302 Siehe insgesamt ebd. 2r: „profecto is genius pectori meo insitus est ut animus meus seipso sit propensior optimis quibusque viris quantumvis percipias monachismum elevari“. 303 Siehe ebd. C 5v: „Qui cuncta facit opifera gratiae manu: ipse de dominica Oratione in calamum transfundam.“ Vgl. auch Göcking, P. Kaspar Sager 239. 304 In heutiger lateinischer Schreibweise und in freier deutscher Übersetzung: „Begründung des Herrengebetes, das Vater-Unser heißt, lediglich aus der Göttlichen Schrift.“ Vgl. dazu Göcking, P. Kaspar Sager 239; VD 16 S 1285. 305 Siehe Göcking, ebd. 239 Anm. 36. 306 Siehe ebd. 240. 307 Siehe ebd. 240 Anm. 39. Frei übersetzt: „Eine fromme und daneben sehr kurze Darlegung des Herrengebetes, und zugleich eine Rede über das erste und größte Gebot der Liebe.“ Vgl. dazu VD 16 S 1287. 308 Siehe Sager, Kaspar: Pia iuxta ac perbrevis dominicae orationis enarratio, simul atque Oratio de primo ac maximo mandato, quae Charitas est. Köln 1535, A 1r: „Coloniae apud Melchiorem Nouesianum. Anno M.D.XXXV.“ 309 Ebd. A 1v: „Caspar Sagerus ab obseruatione Franciscana, Saxo Marchanicus“. In freier deutscher Übersetzung! 310 Siehe insgesamt ebd.: „Clarissimo et gravissimo viro, Domino Iohanni Rinckio Iuris utriusque doctori, Mecenati suo incomparabili“. 311 Siehe insgesamt ebd. A 1v–2r: „Hinc est quod ipse praesto velim quamlibet incognitus tuae dignitati nuncupatum iri quod coram cernis ne aestimer germanae pietati excidisse, si que in immerentes collata beneficia tua aliquo

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darauf am 5. März 1535 schrieb, und zwar im Haus franziskanischer Schwestern, wo er zu Gast war,312 dann hatte er von Rinck bereits die Unterstützung seiner geplanten Veröffentlichung erhalten. Während der erste Teil dieser Veröffentlichung nur kurz seine Vater-Unser-Schrift zusammenfasste313, behandelte der zweite Teil in einer eigenen, selbständigen Arbeit das Liebesgebot als das erste und höchste Gebot.314 In einer langen Vorrede entschuldigte Sager sein Wagnis, „unter so vielen und so bedeutenden Männern von höchster Bildung“ zu sprechen,315 was auf die Herkunft des Textes aus einer Rede vor einem akademischen Publikum hinweist. Dabei ging es ihm besonders um das Verhältnis von Glaube und Liebe: „Wie es mir nach meinen kleinen Maß erlaubt sein mag, sage ich, wollen wir die Vollkommenheit der Liebe so in den Blick nehmen, dass wir dadurch keineswegs dem Abtrag tun wollen, was dem Glauben seinen großen Namen gibt. Der Glaube ist stark in seiner Vollkommenheit allein, was einzugestehen ist, da er zuerst den Menschen in Christus einpflanzt, ihn dann vielem Bösen entreißt und mit etlichen Gnadengaben beschenkt, wie man es häufig den Büchern des Neuen Testamentes entnehmen kann. Wie oft wird wiederholt: ‚Dein Glaube hat dich heil gemacht‘ und in der Apostelgeschichte: ‚Durch den Glauben reinigend ihre Herzen‘. Wahrhaft dem Glauben bleibt seine Erhabenheit und es bleibt der Liebe die ihre. So sollst du verstehen, nicht ohne Ordnung sind die von Gott her gegebenen Gaben. Wenn er [der Glaube] Gabe wie Werk der höchsten Gottheit ist, darf man nicht weniger die Liebe so beschreiben. Dem einen bleibt seine Würde unversehrt, durch ihn selbst verdienen wir, den Gliedern des Heilandes zugerechnet und so Kinder Gottes genannt zu werden, jener fällt es zu, dass sie die lebensspendende Kraft in sich enthält, ohne die die Zierde des Glaubens fast in die Nähe der Schande gerät. Nach Jakobus erwächst aus dem Glauben, der erloschen bleibt ohne die Kraft der Liebe, die Schande des Todes. Und nach dem Galaterbrief ist jener Glaube, der in der Liebe wirksam ist, immer noch kraftvoll. Zudem bringt die Kraft der Liebe, die wir Gott mit ganzen Herzen widmen und ebenso unseren Nächsten liebend geben so wie zuerst

nomine non agnouero. Ignorare haudquaqam possum quae de tuapte dignatione nostrates praedicauerint, quando ex hesterna, quod aiunt, tabula splendissimis aedibus tuis me haerere fuerit. Tametsi domi tuae abfueris, videre nihilominus erat, quod argumenta praedicantium beneficam tuam solius humanitatem superabat vniuersa. Nam quicquid et pietati et munificentiae proximum sperare fuisset, cernebamus per nobilem adeoque honestissimam coniugem tuam poni sub oculos.“ Dabei scheint mir das Wort „tabula“ nicht auf ein „Gemälde“ zu deuten, wie Göcking übersetzt, sondern meint im Zusammenhang „ex hesterna quod aiunt, tabula“ eher „aufgrund einer gestrigen Schrift, wie sie sagen“. Dem Haus Rinck verbunden waren die Franziskaner der observant geprägten Kölner Provinz Nikolaus Ferber von Herborn und Johannes Heller von Korbach, die bereits als Gegner der Reformation besonders von Franz Lambert und Friedrich Myconius begegnet sind (oben Anm. Kap. 3, 107–117; 184–193). Siehe dazu Göcking, P. Kaspar Sager 40f., bes. Anm. 41. 312 Sager, Pia iuxta ac perbrevis ennarratio, A 2r: „Ex aedibus quibus modo diversamur Franciscanae sodalitatis nostratium sororum, tertio nonas Martias sequimillesimo trigesimo quinto.“ Gemeint war ein franziskanischer Schwesternkonvent in Köln oder Umgebung, in dem Sager auf seiner Reise in den Westen Deutschlands Unterkunft gefunden hat. 313 Vgl. auch Göcking, P. Kaspar Sager 241. 314 Es wird auch mit seinem eigenen Titel eingeleitet; siehe Sager, Pia iuxta ac perbrevis enarratio, B 1r: „Oratio de primo et maximo mandato, quae charitas est, per Venerandum Patrem Casparem Sagerum Saxonem Observantinum monastices Franciscanorum habita.“ Hier nennt er sich also „einen observanten Saxonen vom Orden der Franziskaner“. 315 Siehe ebd. B 1r–2v, bes. B 1v: „inter tot, tantosque summe eruditionis grauissimos quosque viros“.

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uns selbst, viel Zierde der Vollkommenheit hervor. Offenbar derart, dass sie das so gar nicht mit dem Glauben gemeinsam hat!“ 316 Ohne es ausdrücklich zu sagen, ging Sager damit auf kritische Distanz zum „sola fide“ (allein aus dem Glauben) der reformatorischen Theologie. Für ihn kam es letztendlich auf die Liebe an, in der der Glaube erst zu seiner vollen Kraft und Wirksamkeit gelangt. Der Verweis auf den Jakobusbrief, den Luther in diesem Zusammenhang nicht gelten lassen wollte, machte das noch zusätzlich deutlich. Im Anschluss an das Hohelied der Liebe in 1 Kor 13 konnte Sager sogar ein „sola charitate“ behaupten, insofern allein die Liebe uns Gott wohlgefällig macht: „Allein fürwahr, allein die Liebe und ihr Gebot sind die ersten, durch wie wir wohlgefällig gemacht werden, sooft wir jener schreckenerregenden Majestät wohlgefällig erfunden werden. Es schauen die Augen des Herrn auf die Zuneigung des liebenden Geistes so sehr, dass sie von den gemachten Dingen eher nichts sehen. Zu Recht wird daher als erstes Gebot die Liebe genannt. Denn sie schenkt jedem das Wohlgefälligsein, was dem Blick Gottes gefällt. Denn man nennt in einer legitimen Redeweise das Erste, was allein in allen und vor allem bei dem höchsten Richter als erstrebenswert anzusehen ist.“ 317 Der von der franziskanischen Theologie immer wieder betonte Primat der Liebe kam so deutlich zum Ausdruck, dass der Gegensatz zur reformatorischen Theologie unverkennbar ist. Denn das besonders betonte „sola charitate“ Sagers wurde erst recht verständlich von diesem Gegensatz her. Ein Zusammenfallen der Gegensätze kam trotz Sagers Festhalten an dem Eigenwert des Glaubens nicht in Betracht. Denn er sah seine Sicht gerade durch Paulus legitimiert: „Die Liebe verhält sich wie die Wurzel eines Baumes, wenn er in einer guten Wurzel bleibt, wird er grün, blüht und bringt Frucht, so fördert die Liebe alles zum Besseren. Denn nichts ist, was nicht durch sie überall zum Guten gereicht. Was immer geschieht, nützt, aber allein durch die Liebe, ohne die kein Ding sein legitimes Ziel erreicht. Ja, keine Sache vollzieht sich gemäß ihrer Begabung, wenn sie die Vernunft hätte und die Liebe vernachlässigte. So sagt der gottgemäße Paulus: ‚Weder das Beschnittensein gilt etwas noch das Unbeschnittensein, sondern der Glaube, der durch die Liebe wirksam wird.‘ Und wiederum sagt er selbst anderswo: ‚Alles von euch soll in Liebe geschehen.‘ 316 Siehe ebd. B 2v: „Sic inquam vtvt per meum modulum licuerit charitatis perfectionem visuri sumus, quatenus neutique velimus quicquid est magni nominis fidei detractum. Fides sua solius perfectione pollet, id quod in confesso est, cumprimis hominem Christo inserit, insertum multis malis eximit, donatque nullis non charismatum donis, quomodo non rarenter est percipere ex Noui testamenti libris: quoties ingeminatur: ‚fides tua te saluum fecit‘, et in Actis: ‚Fide purificans corda ipsorum‘. Verum fidei sua maiestas manet manetque charitati sua, vt non confusanea deitus collata dona esse intelligas, quando et donum et opus summi numinis sit, non secius atque charitas ipsa describitur esse. Alteri sane honos suus integer manet, isti qua meremur membris saluatoris adnumerari, adeoque esse filij dei, illi hec sors contingit vt viuificatricem vim sibi insparsam teneat, sine qua fidei insigne dedecori pene proximum est. Iuxta Iacobum fide extincta manente sine charitatis virtute mortis approbrium [! opprobrium] nascitur. Et in Galatis ea quae dilectione operatur fides admodum valet. Praeterea virtus quae charitas est quam deum pectore omni prosequimur iuxta et proximos nostros adamamus eque primo ac nosmetipsos, multum perfectionis insigne prae se fert, et plane eiusmodi quod non est cum fide adeo commune sibi.“ Vgl. dazu Lk 17,19; 18,42; Apg 15,9; Jak 2,14–26; Gal 5,6. 317 Siehe ebd. C 2r: „Sola sane, sola charitas, eiusque mandatum, prima sunt quibus gratificantur quotquot grati illi tremende maiestati inueniuntur. Conspicantur oculi domini adfectum amantis animi tantum quantum rebus factis potius nihil vident, Merito exinde primum charitas mandatum inscribitur, quae donat esse grata, quaecunque sub aspectibus diuinis perplacent. Nam primum legitimo dicendi modo nuncupatur, quod solum in omnibus et prae vniuersis desyderari apud summum iudicem cernitur.“

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Die Dienste der einzelnen Dinge haben ihre Kraft und Gnade, wenn sie in der Kraft der Liebe um Gottes willen getan werden. Wie man jemand, der sein Werk tut im Antrieb der Liebe zu ihm, den Namen dessen gibt, der es zu Recht bewirkt hat, so bewirkt die Liebe, die sich in irgendeiner Arbeit irgendeines Christen auswirkt, dass jedes Glied des Menschen ihren eigentlichen Dienst tut. Seinen Mund erfüllt sie mit dem Lob des Herrn, die Hand reicht sie dem Bedürftigen und gibt jede wohltätige Gabe, sie lässt die Füße ausschreiten zu Gunsten des Nächsten, ja alles, was im Menschen ist, drängt sie, sich zu verausgaben, um dem Heil des anderen zu dienen.“ 318 Nach Sager erhält daher der christliche Glaube erst in der Liebe seine volle Lebenskraft und Tatkraft. Erst in der „Liebe um Gottes willen“ wirkt der Mensch zu seinem Heil und zum Heil der Anderen. In ihrer Energie und Dynamik bringt daher die Liebe den Menschen mit allen seinen Kräften, Sinnen und Gliedern zur eigentlichen, göttlichen Bestimmung, zu ihrem, der Liebe, eigentlichen Dienst. Das alles kann der Glaube nicht, wenn er für sich allein genommen wird. Die Einheit von Glaube und Liebe, die die reformatorische Theologie voraussetzte, übersah freilich auch Sager nicht: „Denn wenn jemand etwas Widriges erduldet um Gottes willen, wird er durch die Liebe getrieben, dass er erduldet. Wenn er etwas glaubt, bringt er dem Glauben entgegen, den er durch die Liebe lieb gewinnt.“ 319 Glaube blieb aber für Sager doch mehr sachbezogen als die personbezogene Liebe. Er hat sich für diesen Sprachgebrauch gerade auf Paulus in 1 Kor 13,2 und vor allem 13,7 berufen.320 Die bleibende persönliche Einigung mit Gott geschieht allein in der Liebe, was Sager wieder mit Paulus begründete: „ohne Schwierigkeit können wir sagen, das Gebot der göttlichen Liebe sei das Größte, das uns als Liebende Gottes teilhaft macht, ja geeint (sage ich), damit wir durch Teilhabe der Gnade das werden, was er selbst durch die Natur seiner Gottheit ist. Da wir Gott selbst anhängen, sind wir ein Geist mit ihm, wie Paulus den Korinthern bezeugt: ‚Wer Gott anhängt, ist ein Geist mit ihm.‘ Diese Einigung gewährt weder der Glaube, noch ist sie das Verdienst irgendeiner Tugend. Denn mit dem Glauben glauben wir meist, ohne zu lieben. Aber wenn wir in echter Liebe zu Gott erstarken, können wir nur mit ihm eins werden. Das ist das Größte, dass der Mensch ein Geist sei mit dem höchsten Schöpfer.“ 321

318 Siehe ebd. C 3rv: „Charitas equidem se habet ceu radix arboris: quae si bona radice perstiterit, frondet, floret profertque fructum: ita charitas ipsa promouet in melius omnia, vt nihil sit quod non per eam reperiatur esse vndequaque commodo. Prosunt, quaecunque fiunt: sed sola charitate, citra quam nulla res sortitur legitimum finem suum, neque aliqua rerum fungitur munere suo si habuerit rationem et neglexerit charitatem, dicente Diuo Paulo: ‚Neque circumcisio aliquid valet neque praeputium, sed fides que per dilectionem operatur.‘ Et rursum per eundem alias dictum est: ‚Omnia vestra in charitate fiant.‘ Munia singularum rerum vim suam et gratiam habent si virtute charitatis propter deum exercentur. Sicut qui facit opus impulsu amoris ipsius, adsequitur nomen legitimi factoris: ita charitas quauis opera cuiusuis Christiani exercita, facit fungi quodlibet hominis ipsius membrum officio proprio. Os ipsum laude domini replet, inopi manum porrigit, quoduis munus beneficentiae praestat, donat extendere pedes in obsequium proximi, iubetque quicquid in homine est expendi in gratiam salutis alienae.“ Vgl. dazu Gal 5,6; 1 Kor 16,14. 319 Siehe ebd.C 3v: „Nam si patirur quis quid aduersi propter deum amore adigitur, vt patiatur: si quid credit, fidem impendit ei quem charitate adamatur [!].“ 320 Siehe besonders ebd. C 3v–4r. 321 Siehe ebd. C 5r: „non difficile fatebimur, charitatis diuinae preceptum maximum esse, quod nos amantes dei participes efficit, vnitos (inquam) vt quod ipse est per diuinitatis naturam, nos fimus per participium gratiae, adhaerentes ipsi deo simus vnus cum eo spiritus, teste Paulo in Korinthijs: ‚Qui adheret deo vnus spiritus est.‘ Hanc vnionem neque fides praestat, neque vllius meritum virtutis habet: quia fide credimus plerumque

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Wenn Sager so weitgehend den Glauben von der Liebe unterscheidet, dann war das freilich nicht paulinisch, sondern entsprang einer kritischen Distanzierung von der reformatorischen Theologie. Mit ihr verbindet ihn freilich, dass Sager in der Einigung mit Gott kein „Verdienst irgendeiner Tugend“ sah, nur die „Teilhabe der Gnade“, was er jedoch nicht weiter entfaltete. Bei aller Distanz zur reformatorischen Theologie vermied Sager auch in dieser Schrift über das Liebesgebot die ausdrückliche Auseinandersetzung. Darin unterschied er sich von Nikolaus Ferber von Herborn, der die Drucklegung von Sagers Schrift vielleicht durch seine Beziehung zum Kölner Mäzen Rinck gefördert hat.322 Mit Nikolaus Herborn war Sager schon seit dem Kapitel der Saxonia S. Crucis von 1532 bekannt, das Herborn als damaliger Generalkommisar der ultramontanen, also außeritalienischen, Familie des Ordens geleitet hatte.323 Freilich musste Sager nicht erst durch Herborn zu seiner kritischen Distanzierung von der Reformation veranlasst werden. Denn schon 1529/30 ist Sager in Annaberg gegen reformatorische Tendenzen vorgegangen.324 Auch als Guardian in Leipzig trug er die antireformatorische Politik Herzog Georgs offenbar mit.325 Nach dem Tode des bisherigen Provinzials Suederus Vastmar am 13 Februar 1535 wurde Sager zunächst als kommissarischer Leiter der Saxonia S. Crucis zum Generalkapitel zu Nizza entsandt, dort als Generaldefinitor in die Leitung des Gesamtordens berufen. Nach seiner Rückkehr in die Heimatprovinz wurde er Provinzialminister.326 Von da an ist nichts mehr von einer schriftstellerischen Tätigkeit Sagers bekannt, aber er konnte noch den damaligen Guardian von Schwerin und späteren Provinzialminister Heinrich König (Regius) zur Herausgabe seines Werkes „Biblia alphabetica“ ermutigen.327 Dieses Werk kam ebenfalls 1535 in Köln bei Melchior von Neuß heraus, wo Nikolaus Herborn seine Drucklegung förderte.328 In den folgenden Jahren seines Amtes als Provinzialministers engagierte sich Kaspar Sager an der Seite des Erzbischofs von Bremen, Christoph von Braunschweig-Lüneburg, für das kommende Konzil, das eigentlich 1537 in Mantua beginnen sollte.329 Obwohl der Termin immer wieder verschoben wurde, reiste Sager als Delegat des Bremer Erzbischofs nach Italien und traf schließlich in Rom mit Papst Paul III. zusammen. In einem Breve an den Erzbischof lobt der Papst „Bildung und Bescheidenheit“ Sagers und bittet, diesen weiter als Delegaten zu verwenden, wenn einmal das Konzil wirklich zusammentreten sollte.330 Was Sager aus seiner Ordensprovinz zu berichten wusste, hat auf Paul III. einen tiefen Eindruck gemacht, wie aus einem lobenden und ermutigenden Schreiben des Papstes an alle Schwestern und Brüder des heiligen Franziskus in der observanten Saxonia hervorgeht.331 Weitgehend erfolglos bemühte sich Sager als Provinzialminister um eine Reform des Klarissenklosters in Eger, weil in diesem ‚reichen‘ Kloster die Schwestern non amantes: sed charitate germana in deum habita pollentes, non possumus non vniri cum eo: id quod maximum est, vt homo vnus spiritus sit cum opifice summo“. Vgl. dazu 1 Kor 6,17. 322 Siehe oben Anm. 310f. 323 Siehe Göcking, P. Kaspar Sager 234 Anm. 14. 324 Siehe ebd. 231f. Anm. 1f. 325 Ebd. 234–237. 326 Ebd. 242. 327 Ebd. 242f., bes. Anm. 49. 328 Ebd. 243 Anm. 14. 329 Ebd. 243–245. 330 Ebd. 245f. Anm. 63. Vgl. auch ein entsprechendes Breve Pauls III. an den Ordensgeneral Vincentius Lunello, ebd. 246 Anm. 64f. 331 Ebd. 246f. Anm. 66.

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und besonders deren Äbtissin Ursula Schlick zu keiner Veränderung ihrer Lebensform bereit waren. Wie weit die Vorwürfe, die die benachbarten Franziskaner in Eger und Chemnitz wegen der mangelnden Ordenszucht der Schwestern vorbrachten, berechtigt waren, lässt sich kaum sagen. Jedenfalls waren die Schwestern nicht bereit, sich den Vorstellungen der Brüder und ihres Provinzials zu fügen. Erst nachdem das Provinzkapitel zu Brandenburg 1538 als neuen Provinzialminister Johannes Datoris gewählt und als neuen Guardian von Eger Ulrich Boller eingesetzt hatte, kam es zu einer von beiden Seiten ausgehandelten und unterschriebenen Übereinkunft.332 Sager wurde bei diesem Kapitel erneut Guardian von Leipzig. Denn als 1540 bei der Einführung der Reformation durch den Landesherrn Herzog Heinrich von Sachsen über die Aufhebung des Leipziger Franziskanerklosters verhandelt wurde, war Kaspar Sager dort Guardian und bemühte sich bei Katharina von Mecklenburg, der Gemahlin des Herzogs, um dessen Weiterbestehen.333 Als nach dem Tod von Herzog Heinrich 1541 dessen Sohn Moritz von Sachsen schließlich die Leiziger Franziskaner vor die Wahl stellte, entweder ihr Ordenskleid abzulegen und sich der Reformation anzuschließen oder das Kloster zu verlassen, zogen die letzten Brüder im Juli 1542 ab nach Halle. Guardian war zu dieser Zeit bereits Urban Walther, und von Kaspar Sager ist nicht nehr die Rede. Vermutlich war er noch vor diesem Auszug gestorben.334 Sagers eher irenische Art, auf die Herausforderungen der Reformation zu antworten, blieb angesichts der zunehmenden Konfrontation letzlich hilflos. Doch hat er jedenfalls durch seine Kontakte weit über seine Provinz hinaus der katholischen Erneuerung, die dann mit dem Konzil von Trient in Gang kommen sollte, ein Stück weit den Weg bereitet.

5.7. Jakob Schwederich Jakob Schwederich, im Vergleich zu Sager eher ein polemischer Verteidiger der Tradition von Orden und Kirche, ist schon mehrfach begegnet. Als Doktor der Theologie, promoviert 1518 an der Universität Erfurt,335 beteiligte sich Schwederich führend an der sogenannten ‚Franziskanerdisputation‘ anlässlich des Provinzkapitels der ‚martinianisch‘ orientierten Saxonia S. Johannis Baptistae am 3./4. Oktober 1519 zu Wittenberg.336 Ihm vor allem ist anscheinend die sehr traditionelle Formulierung der entsprechenden Disputationsthesen über die Bedeutung des hl. Franziskus, von dessen Stigmata und von dessen Orden zuzuschreiben. Daran erinnerte auch Johannes Briesmann, der 1523 noch als Franziskaner seine Hinwendung zur Reformation gegen Angriffe Jakob Schwederichs verteidigt.337 In dieser Schrift „Unterricht 332 Vgl. insgesamt ebd. 247–253. Von Ulrich Boller war bereits die Rede (siehe oben Kap. 4, Anm. 265f.; 279–282; 341f.). Er wurde später (1551/55) selbst Provinzialminister der Saxonia S. Crucis. 333 Vgl. Göcking, P. Kaspar Sager 253f. bes. Anm. 94f. 334 Vgl. insgesamt ebd. 255f. 335 Schwederich (lat. Suedericus) stammte aus Übigau bei Herzberg, trat in den Torgauer Franziskanerkonvent ein und wurde 1502 in Merseburg zum Priester geweiht. Als er danach zum Weiterstudium bestimmt wurde, studierte er zunächst ab dem Wintersemester 1503/04 in Wittenberg. Bereits Lektor der Theologie im Erfurter Konvent, vollendete er ab 1515 seinen Studiengang an der Universität Erfurt. Siehe dazu Hammer, Militia Franciscana II, 62f. Anm. 9. 336 Siehe oben Kap. 1, Anm. 79; 109. Vgl. auch Hammer, Militia Franciscana II, 62–70. 337 Siehe oben Kap. 3, Anm. 8.

Jakob Schwederich

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vnd ermanung an die Christlich gemeyn zu Cottbus“ polemisierte Briesmann gegen „Bruder Jacob Schwederich von Ibigaw“ 338. Denn von Schwederich schrieb er, dass dieser „alle lere vnd prediget / die durch mich / als einen diener des worttes / vnnd die andern / ym Closter bey euch / das vergangene iar durch geschehen / vnverschemet offentlich am nehisten Christag auff der Cantzel widderuffen / ia verfurerisch vnnd ketzerisch gescholten / vnd verdamnet hatt / nit on groß ergniß vieler vnter euch / die noch schwach ym glauben sind / vnd widderumb seyn menschen thant vnnd altvettelische fabeln / vnter euch aufs new aufftzurichten beflyssen / Wie wol er / als ich hoerr / nichts anders großs tzum ersten artickel seyner prediget gefueret hatt / denn alleyn das er Doctor Martinum Luther / vnnd mich / mit sampt andern die dem Euangelio anhengig / schelcke vnd bufen / ketzer vnd abtrunnigen (nach der selben mortschreyer gewonheyt) auffs lesterlichste gescholten hat / das auch viel vnter euch / solch schmehung vnnd lesterung / ya offentliche luegen / entlich tzu hoeren beschweret / die tzehr darueber vergossen haben.“ 339 Die schweren Angriffe Schwederichs gegen die reformatorische Bewegung, die durch Briesmann und „die andern im Kloster bei euch“ in Cottbus vorangekommen war, haben also einigen Erfolg gehabt. Denn Schwederich konnte sich hier bei seinem Vorgehen gegen die Neuerung auf die weltliche und geistliche Obrigkeit stützen, ja seine theologische Kompetenz und sein Amt als Kustos ins Feld führen: „Vnnd das yhe seyn Bepstische ia kindische narrweyß trewm / vnnd getichte / hertter durch ewr hertz dringen mochten / hatt er sich ewrs Landesfursten befelhs halben geruemet / vnnd daneben auff den Bischoff von Meyssen beruffen / dartzu auch seyn tzart Doctorat erfur geruckt / als muest derhalben seyn lere gantz recht seyn / Vnnd hatt seyn ampt als eyn Custos vber sieben cloester ym land zu Meyssen / fur euch / auff dem predigstul / auffgebloßen / Wie wol das siebendt / nemlich / das tzu Seuselitz / ßo vill vntertenickeyt yhm tzuleysten schuldig / als myr der Senat tzu Venedigen pflichtig ist.“ 340 Schwederich war also 1522 bereits Kustos der Franziskanerkustodie Meißen. Ihm war das Klarissenkloster zu Seußlitz zwar nicht unterstellt, zählte jedoch zu seinem Gebiet.341 Das Kloster Seußlitz unterstand eigentlich dem Provinzialminister, damals wohl dem Provinzial der obersächsischen Provinz, Petrus Fontinus (von Borna).342 Er war mit Schwederich bei der Wittenberger ‚Franziskanerdisputation‘ 1519 aufgetreten, trat aber nach dem Provinzkapitel 1524, bei dem er nicht wieder zum Provinzial gewählt wurde, zur Reformation über

338 Vgl. Briesmann, Unterricht vnd ermanung, A 2r. 339 Siehe ebd. A 2rv. 340 Ebd. A 2v. 341 Vgl. das Verzeichnis der sieben Klöster der Kustodie Meißen „nach dem ältesten Provinciale [Provinzverzeichnis] des Orden“, bei Haselbeck, Urkundenbuch I/1 (nr. 3), 4f. Siehe auch Eubel, Conrad: Provinciale Ordinis Fratrum Minorum vetustissimum. Quaracchi 1892, 28f. 342 Bei der illegalen Teilung der Saxonia S. Johannis Baptistae 1521 unterzeichnete der damalige minister der gesamten Provinz, Benedikt von Löwenberg, den Teilungsbeschluss auf dem Provinzkapitel zu Neubrandenburg. Schwederich gehörte nicht zu den Unterzeichnern, aber sein Vorgänger als „custos Myssnensis“, Georg Lange. Vgl. dazu Haselbeck, Urkundenbuch I/1 (nr. 2), 2ff. Zum neuen Provinzialminister der obersächsischen Provinz war der Wittenberger Franziskanertheologe Petrus Fontinus (von Borna) gewählt worden. Dessen Wahl wurde 1523 auf dem Generalkapitel von Burgos annulliert, er wurde aber zum Kommissar des Generalministers für die nun neu benannte Thüringische Provinz ernannt, bis ein neuer Provinzialminister gewählt werde. Vgl. Haselbeck, Urkundenbuch I/1 (nr. 5), 6ff.

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und wurde 1525 reformatorischer Prediger in der Breslauer Neustadt.343 Bei der damaligen großen Anziehungskraft der reformatorischen Bewegung, die auch viele Franziskaner mit sich riss, war es nur mit Hilfe der Obrigkeit möglich, zumindest zeitweise mit Erfolg dagegen anzugehen. Das zeigt gerade Schwederichs Auftreten in Cottbus. So blieb das Kloster der alten Kirche und dem Orden erhalten, bis dort der Landesherr Hans von Küstrin, Markgraf der Neumark, 1537 mit weltlicher Macht die Reformation durchsetzte.344 Keinen Erfolg hatte Schwederich 1525 bei seinem Einsatz in Torgau, wo er mit provozierenden Bemerkungen den Untergang des dortigen Klosters eher noch beschleunigte. Aber in den Zusammenhang seines entschiedenen Kampfes gegen die Reformation gehört die Schrift, mit der Schwederich sich theologisch besonders profilierte: „Des Theologen Jakob Schwederich kleines Sammelwerk über den Ursprung der Ordensleute, ihre Verbreitung durch die ganze Welt und ihre Unterscheidung vom übrigen Volk durch Kleidung, Zeichen und Ritus. Auch über das Verbrechen und die Bestrafung der Abtrünnigen und von deren Helfershelfern, aus Unterschiedlichem von da und dort zusammengetragen. 1525 im Monat März.“ 345 Kurz nach dem Klostersturm zu Torgau, am 5. März 1525, widmete Schwederich sein „kleines Sammelwerk“ dem damaligen Bischof von Meißen, Johann von Schleinitz.346 Dabei schreibt er: „Hochwürdigster Bischof, den Ermahnungen deiner Paternität, wodurch du mich öfters zur genauen Beobachtung und Befestigung des heiligen Ordenslebens angespornt hast, will ich wirksamer nachkommen. Daher habe ich ein kleines Sammelwerk aus Verschiedenem in eins zusammengebracht. Es enthält elf Artikel, die das heilige Ordensleben gründlich erörtern und das, was bei ihm notwendig, nützlich und zugleich unterschiedlich ist.“ 347 Was Schwederich in den elf Artikeln behandeln will, stellt er in einem Inhaltsverzeichnis zu Beginn des Werkes vor: „1. Was religiöses Leben ist, woher es seinen Namen hat, und wer als religiös gelten darf. 2. Von der Gründung eines besonderen religiösen Lebens im Stand der Natur. 3. Von den besonderen Religiosen unter dem geschriebenen Gesetz. 4. Von der Gründung eines besonderen religiösen Lebens in der ursprünglichen Kirche Christi, und dass es 343 Vgl. Hammer, Militia Franciscana II, 70–72; Haselbeck, Urkundenbuch I/3 (Anhang), 304. 344 Siehe Teichmann, Die Franziskanerklöster 78f. 345 Siehe Schwederich, Jakob: Jacobi Suederici Theologi collectaniolum de religiosorum origine / et eorundem per mundum multiplicatione ac a ceteris vulgaribus per habitus / signa et ritus discrimine. De apostatarum quoque et eis cooperantium piaculo simul ac punitione ex diversis hinc inde comportatum. M.D. XXV. Mense Martio. Dresden [Emser-Presse] 1525. Hier zitiert nach dem Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München 4o H. mon. 617o, A 1r. Vgl. auch Hammer, Militia Franciscana II, 67f. Anm. 21. Siehe dazu besonders Smolinsky, Augustin von Alveldt 369–373. 346 Schwederich, Collectaniolum, A 1v–2r: „Reuerendissimo in Christo patri ac Domino / Domino Joanni de Sleynitz Diuina prouidentia Ecclesiae Misznensis Episcopo dignissimo Frater Jacobus Suedericus Theologiae professor, Custos fratrum Minorum Misznensis custodiae Salutem et Reuerentiam. […] Foelicissime valeat P[aternitas], T[ua], R[euerenda], Cui me cum fratribus custodiae mihi concreditae sinceriter commendo, Dresde in Monosterio [!] nostro, quinto Nonas Marcij Anno restitutae salutis. M. D. XXV.“ Zum Einsatz Schwederichs in Torgau vgl. insgesamt oben Kap. 4, Anm. 16–23; 33–37. Zum Klostersturm dort vom 28. Februar – 1. März 1525, vgl. oben Kap. 4, Anm. 19–21. 347 Ebd. A 1v: „Volens praesul Reuerendissime paternitatis tuae adhortatibus quibus me sepius ad exactam sacre religionis obseruantiam atque munimen incitasti, efficaciter acquiescere Collectaniolum quoddam undecim articulos religionem sacram ac ea quae circa ipsam necessaria sunt atque proficua simul et discriminosa disserentes continens, ex diversis in unum collegi.“

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nicht bloß von einem Menschen gemacht, sondern von Christus gegründet ist. 5. Dass vom Lebenswandel der seligen Jungfrau und der Apostel im Abendmahlsaal dann die Schule des Ordenslebens ins Kloster überführt worden ist. 6. Welcher von den Aposteln oder Jüngern die Ordensleute einsetzte, die in der Urkirche im Tempel zu Jerusalem verweilten, und durch welchen Beschluss sie sich über die drei Weltteile ausbreiteten. 7. Dass infolge göttlicher Autorität die heiligen Väter jedes Ordens dafür sorgten, Nachfolger zu hinterlassen. 8. Dass lobenswert die Ordensleute eine vom Volk unterschiedene Kleidung gebrauchen, und von der besonderen Kleidung der Ordensleute, wie sie in der alten Kirche anerkannt wurde. 9. Dass es dem Ordensmann nicht erlaubt ist, sein Ordensgelübde aufzugeben, da er nur als Ordensmann gerettet werden kann. 10. Dass es ein großes Verbrechen ist, den Eintritt in einen Orden zu hindern oder den Austritt aus ihm zu betreiben. 11. Dass man die Verächter der Ordensleute, ihre Gegner, schwer zu bestrafen pflegt.“ 348 In einem zunächst allgemeineren Sinn redet Schwederich von „religio“ (religiöses Leben) und „religiosus“ (religiös), aber bald geht es nur noch um „religio“ beziehungsweise „religiosi“ in einem besonderen Sinn, was wohl mit „Ordensleben“ beziehungsweise „Ordensleute“ zu übersetzen ist. Für vor- und urchristliche religiöse Lebensformen mag das heute problematisch erscheinen. Schwederich möchte aber zeigen, dass so etwas wie Ordensleben tief in der Natur und der Geschichte der Menschen begründet ist. Wenn er das im Naturzustand, unter dem Gesetz des Alten Bundes und in der Urkirche zu rekonstruieren versuchte, dann stützte sich Schwederich nach eigener Aussage auf Ausführungen anderer Autoren, besonders aber des Thomas Netter Waldensis (ca. 1372–1430), eines englischen Karmeliten, der gegen Lollarden und Hussiten das Ordensleben verteidigte: „In dem aber gebrauche ich durchaus nicht meine Lehrmeinung, sondern die von anderen, wie an der jeweiligen Stelle angezeigt wird, vor allem aber die des Thomas Waldensis, der wahrhaftig diese Sache erforschte.“ 349 Einen besonderen Anspruch auf eigenes Wissen oder einen glanzvollen Schreibstil erhob Schwederich also nicht; denn er verfolgte ein eher praktisches Interesse: „daraus, vertraue ich, kann jeder katholische Mensch leicht erkennen, was wahre Befolger eines heiligen Ordenslebens erhoffen dürfen, was auch dessen Deserteure zu fürchten bekommen, damit so belebende Hoffnung die Guten mehr zum Fortschritt im 348 Ebd. A 3r: „Primus. Religio quid sit, vnde dicatur, quis censendus religiosus. Secundus. De fundatione Religionis peculiaris in statu nature. Tertius. De Religiosis particularibus sub lege scripta degentibus. Quartus. De fundatione Religionis peculiaris in primitiua ecclesia Christi, et quod non sit a puro homine facticia, sed a Christo fundata. Quintus. Quia a conversatione B. virginis et apostolorum in cenaculo, traducta est deinceps scola religionis in monasterio. Sextus. Quis apostolorum vel discipulorum instituit religiosos in primitiua ecclesia in templo Hierosolymis commorantes, et quo pacto per tres mundi partes sint multplicati. Septimus. Quod diuina autoritate moniti sancti patres curauerunt cuiusque religionis relinquere successores. Octavus. Quod laudabiliter vtuntur Religiosi separato habitu a vulgaribus, et de habitu singulari religiosorum in veteri ecclesia approbato. Nonus. Quod non licet Religioso religionis votum dimittere quod vouit, quia nisi religiosus, saluus esse non potest. Decimus. Quod grande piaculum sit impedire religionis ingressum, aut eius procurare egressum. Undecimus. Quod Religiosorum subsannatores et eorum aduersarii, soleaut [! soleant] grauiter puniri.“ 349 Siehe die Praefatio in Schwederich, Collectaniolum, A 2v: „In his autem non mea prorsus sed aliorum vtar sententiam, quemadmodum locorum assignatio indicabit, signanter vero Thomae Vualdensis qui sincerus huius rei extitit indagator.“ Siehe dazu Walsh, Katherine: Thomas Netter. In: LThK3 9, 1533f. Schwederich bezieht sich auf die Schrift von Thomas Netter Waldensis: Doctrinale Antiquitatum Fidei Catholicae Ecclesiae (3 Bde). Venedig 1757/59 Nachdruck Farnsborough 1967.

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Guten des Ordenslebens anlockt und die Furcht, womit jemand vom Bösen abschreckt, die Schlechten abhält vom Übel kämpferischer Gegnerschaft, insofern heilsam das Böse gemieden wird und Gutes geschieht. Und das führte ich freilich in einem einfachen Stil aus; denn für einfache Menschen habe ich das zusammengebracht.“ 350 Schwederich erwartete nicht, dass seine Darlegungen auf Verächter des Ordenslebens besonders großen Eindruck machen. Sie sind eher für die eigenen Leute gedacht, „zu meiner und der einfachen Leute, die dem Ordensleben fromm zugetan sind, Bildung und Tröstung“ und „zur Erquickung der Seelen“ 351. Das schien dem Theologen notwendig „in diesen ganz gefährlichen Zeiten, wo das Ordensleben vielen zum Ekel wird und von sehr vielen verlassen und verspottet wird“ 352. Obwohl also polemische Schärfe nicht fehlte, besonders gegen die abtrünnigen Ordensleute, an ihrer Spitze Martin Luther,353 unternahm Schwederich insgesamt kaum den Versuch einer kritischen Auseinandersetzung mit ihnen. Er hoffte eher auf ein göttliches Eingreifen, wodurch die treuen Ordensleute ihre Fehler bessern und schließlich aus grausamer Unterdrückung errettet werden: „Durch Christi Milde und seine besondere Hilfe (er will ja, dass alle Menschen gerettet werden) werden die Ordensleute, die in ihrem guten Vorhaben ausharren, ihre vielfachen Fehler erkennen und sie bessern. Und obgleich sie bereits durch ihre Nachlässigkeit in die Hand grausamer Herren überliefert wurden, werden sie schließlich dennoch (was auch ich zu erleben hoffe) nach Art der Ägypter zum Herrn umkehren, und er wird ihnen gnädig sein und sie retten, gemäß der Weissagung des Propheten. Zu dieser Hoffnung bewegt mich meist sehr das äußerst überhebliche Drohwort jenes Hauptfeindes jedes Ordenslebens, das bereits durch Gottes Güte zur ganz offenkundigen Lüge wurde: ‚Wenn nämlich in zwei Jahren irgendein Kloster in ganz Deutschland verbliebe, wolle er sich mit einem Balken den Kopf abschlagen lassen.‘ Zu Recht wurde dieser Satz von einem solch Wagemutigen auf sich selbst hin geweissagt. Denn er sieht den Splitter im Auges des Bruders, den Balken in seinem Auge sieht er nicht. Daher wird den hohen Balken, den er gegen das ganze christliche Ordensleben bereiten ließ und mit aller Anstrengung aufgerichtet hat, er selbst als erster wie ein anderer Haman erfahren.“354 350 Siehe die Widmung von Schwederich, Collectaniolum, A 1v: „quo quemlibet catholicum hominem confido facile posse dinoscere, quid veris sacrae religionis obseruatoribus sit sperandum, quid eius quoque desertoribus veniat metuendum, vt sic spes quae non confundit, bonos amplius ad religionis bonum alliciat, et timor quo declinat omnis a malo, retrahat malos ab impugnationis malo, quatenus sic salubriter malum euitetur, et fiat bonum. Et hoc quidem simplici executus sum stilo, nam pro simplicibus id ipsum compegi“. 351 Siehe die Praefatio in Schwederich, Collectaniolum, A 2v: „pro mea simpliciumque hominum religioni pie affectorum qualicumque et eruditione et consolatione [...] ad animarum refrigerium“. 352 Ebd. A 2v: „periculosissimis temporibus istis, quibus religio multis in tedium vertitur et a plerisque deseritur et irridetur“. 353 Ihn meinte wohl Schwederich mit dem „Hauptfeind jedes heiligen Ordenslebens“ in Deutschland, den er mit dem Judenfeind Haman aus dem Buch Ester vergleicht. Siehe im „Articulus sextus“ ebd. I 2v. 354 Siehe ebd. I 2v: „Sic superueniente Christi clementia et eius singulari subsidio (qui vult omnes homines saluos fieri) recognoscere religiosi in bono proposito perseuerantes. Multifarios suos defectus et emendabunt illos. Et quamquam iam suis negligentijs, tradantur in manus crudelium dominorum. Finaliter tamen (quod et experiendum me spero) reuertentur more Egyptiorum ad dominum, et placabit eis et saluabit eos. Ad quod sperandum non parum multum me solatur praesumptuosissimum illud cuiusdam religionis sacrae capitalis inimici comminatorium verbum, iam dei pietate in apertissimum mendacium conuersum, Videlicet quod si in biennio remaneret aliquod monasterium in tota Alemania, velit sibi caput trabe amputari. Digna profecto sententia tanto audaculo in seipsum praesagiose prolata, qui videns festucam in oculo fratris, et trabem quae

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Eine vermeintliche Prophetie Luthers wurde einfach mit einer Gegenprophetie beantwortet. Schwederich wusste zwar, dass das damalige Leben der Ordensleute der Kritik und der Besserung bedurfte. Aber er versuchte keine Auseinandersetzung mit der reformatorischen Kritik am traditionellen Verständnis des Ordenslebens. Dieses Verständnis setzte er einfach unbefragt voraus. Das zeigt sich bei Schwederichs Sicht der Grundlegung seines eigenen Ordens, die Schwederich im siebten Artikel behandelte und die hier vor allem interessiert.355 In seinen Ausführungen über die Ordensgründer stellte er zunächst Augustinus, Basilius den Großen, Benedikt von Nursia, Dominikus und Franziskus besonders heraus,356 aber behandelte nur Basilius, Augustinus, Benedikt und Franziskus eingehender. Bezeichnend ist Schwederichs Überleitung zu Franziskus: „Letzter und vierter in der Reihe, aber nicht der geringste Stifter von Ordensleuten, war der heilige und seraphische Vater Franziskus, des Ordens der Minoriten erster und hauptsächlicher Gründer.“357 Dabei folgte Schwederich in seiner Darstellung der Gründungsgeschichte der im Orden offiziellen Legende Bonaventuras bis zur Niederschrift der Ur-Regel.358 Aber da es Schwederich besonders darauf ankam, die von Christus selbst bestätigte Autorität der Regula bullata zu zeigen, ging er mehr als Bonaventura ein auf die Regelentwicklung von einer mit Worten des Evangeliums erweiterten ersten Fassung359 bis hin zu ihrer zusammengefassten Form in der endgültigen Regel.360 Darüber hinaus unterstrich er mit mehreren Erweiterungen von Bonaventuras Erzählung den Offenbarungsursprung dieser endgültigen Regel, die Bestätigung dafür durch die Wundmale und durch einen besonderen Zuspruch Christi.361 Der spürbare Einfluss von De Conformitate des Bartholomäus von Pisa steigerte sich dabei bis zur wörtlichen Übernahme ganzer Passagen.362 Ingesamt wurde wie bei Bartholomäus die Abfassung und Verkündigung der Regel verglichen mit der Gesetzgebung durch Mose und der Verkündigung des „evangelischen Gesetzes, von dem diese

in oculo proprio est non considerans, trabem excelsam quam contra totam Christianam religionem parari iussit, et omnibus conatibus erexit, ipse velut alter Aman primus eam sentiet.“ Vgl. dazu 1 Tim 2,4; Jes 19,4. 22; Mt 7,3; Est 7,9–10 Vg. Unter „monasterium“ in „Lateinisches Sachregister I-N“ zur Weimarer Lutherausgabe (WA 66, 501f.) ist das angebliche Lutherwort nicht zu finden. 355 Siehe im „Articulus septimus“, ebd. K 3r – L 2v. 356 Ebd. K 1v: „Et quemadmodum Augustinus in Aphrica suae religionis (qua sub Apostolorum institutione vixerat) reliquit regulam et successores. Ita Basilius magnus in Asia et Grecia, Benedictus in Europa et occidente, Dominicus in Hispania, Franciscus in Italia.“ 357 Ebd. K 3r: „Postremus vero et quartus in ordine religiosorum institutor non minimus fuit Sanctus et seraphicus Pater Franciscus ordinis minorum fundator primus et princeps.“ 358 Franziskus hörte und befolgte buchstäblich Jesu Aussendungsbefehl an seine Jünger, schrieb für die zwölf ersten Brüder die Ur-Regel. Siehe Schwederich, Collectaniolum, K 3rv. Vgl. besonders Bonaventura, Legenda Maior c. 3, 1. 8 (Opera omnia, VIII, 510a. 511b). LM III/1,2–4. In: Franziskus-Quellen 702. 359 Damit ist offenbar die Regula Non Bullata in der Fassung von 1221 gemeint. 360 Siehe Schwederich, Collectaniolum, K 3v. Bei diesem Konzept der Regel-Entwicklung folgte Schwederich bereits Bartholomaeus de Pisa, De Conformitate, fructus IX.b: Franciscus regulator nr. 1 (AF IV, 370–371). 361 Siehe Schwederich, Collectaniolum, K 3v; vgl. De Conformitate AF IV, 428 Nota 6. Zur entsprechenden Erzählung vgl. bereits Compilatio Assisiensis cap. 17; Speculum perfectionis, cap. 1. In: Fontes Franciscani 1495f.; 1849f. Siehe dazu Per 17,1–16; SP 1,1–10. In: Franziskus-Quellen 1104f.; 1222f. 362 Ein angebliches Gespräch von Franziskus mit Papst Honorius III., bei dem er auf dem Ursprung der gesamten Regel in Christus bestand, zitierte Schwederich beinahe wörtlich aus Bartholomaeus de Pisa, De Conformitate (vgl. Collectaniolum, K 4r mit De Conformitate AF IV, 373,6–10).

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Regel stammt“, durch Christus selbst in der Bergpredigt.363 Wörtlich übernahm Schwederich die bedeutsamen Schlussfolgerungen des Pisaners zur Minderbrüder-Regel: „Keiner darf deswegen sie [die Regel] herabsetzen als nicht zu beobachten, wie es sehr viele tun, denn Christus, der alles kennt und der weiß, wieviel ein Mensch vermag, er ordnete sie an und wollte sie so. Keiner darf sie der Falschheit für verdächtig halten oder für unfähig, den Menschen zur Vollkommenheit zu führen; denn Christus als der Vollkommenheit Haupt hat sie zusammengestellt und befohlen. Niemand darf sie verwerfen, sondern man muss mit höchster Verehrung zu ihr sich neigen, in Anbetracht ihres Autors, nämlich Christi, ihres Eröffners Franziskus und ihres Schreibers, Bruder Leo, des Gefährten des gottgemäßen Vaters. Keiner darf überdies zweifeln, sie sei von Christus; denn vor den Ministern und Brüdern hat Christus ausgesagt, er habe sie gemacht, und der selige Franziskus habe in ihr nichts von sich aus gesetzt.“ 364 Ausdrücklich erwähnte Schwederich Bartholomäus von Pisa „aus diesem Orden, einen gelehrten Magister der Theologie“ 365, als er die Erfolgsgeschichte des Ordens anführte, besonders seine „über dreihundert“ Heiligen, davon „etliche auch in unserer Provinz“ und „in dieser Kustodie von Meißen“.366 In diesem Zusammenhang sprach Schwederich kurz vom „Orden der heiligen Klara, der ersten Tochter des heiligen Franziskus, in Christus durch das Ordensleben eigens hervorgebracht“, und vom „dritten Orden mit dem Namen von der Buße“.367 Und er fasste zusammen: „Das hier über Regeln und Orden des heiligen Franziskus erwähnt zu haben, genügt für die einfachen Leute, die eine aufrichtige Zuneigung haben zum gottgemäßen Vater. Durch ihn hielt Gott es für wert, so viele und so große Tugendübungen und Zeugnisse evangelischer Vollkommenheit erkennen zu geben für das Heil des Menschengeschlechtes und zur Nachahmung der Fußspuren Christi. Ihn hat er auch durch vielfältige Wunder erwiesen als jeder Verehrung wert und als ganz sicher, wenn man die Beispiele seines Tugendlebens nachahmen will.“ 368 363 Vgl. insgesamt Collectaniolum, K 4r mit De Conformitate AF IV, 372,27–34. 364 Siehe Schwederich, Collectaniolum, K 4r: „Nullus ob id eam debet infamare vt inobseruabilem, quemadmodum faciunt plerique, quia Christus qui omnia nouit et quantum potest homo nouit, ipsam ordinauit, et sic esse voluit. Nullus eam suspectam habere velut falsam aut hominem non valentem deducere ad perfectionem, quia Christus perfectionis caput ipsam composuit et dictauit. Nullus debet eam abijcere, sed reuerentia summa ad ipsam affici, considerato auctore, scilicet Christo, reseratore Francisco et scriptore, scilicet Leone, socio diui patris. Nullus insuper debet dubitare eam non esse a Christo, quia coram ministris et fratribus Christus se eam fecisse asseruit et beatum Franciscum nihil in ea de suo posuisse.“ Siehe dazu Bartholomaeus de Pisa, De Conformitate ebd. AF IV, 372,38–40 – 373,1–5. Schwederich ließ nur den Zeugen Bonitius von Bologna weg und erklärte die Beziehung Br. Leos zu Franziskus. Denn die vorhergehende Geschichte einer Christusoffenbarung vor den Ministern und Brüdern wurde bei ihm nur andeutet, nicht erzählt. Vgl. dazu ebd. AF IV, 372,1–23. 365 Siehe Schwederich, Collectaniolum, K 4v: „Videat V[erandum] P[atrem] Bartholomeum de Pisis praefati ordinis Magistrum in Theologia“. 366 Ebd. K 4v – L 1r. 367 Vgl. ebd. L 1r: „ordo S. Clarae filiae S. Francisci in Christo per religionem speciatim generatae“; „ordo tertius de poenitentia nuncupatus“. 368 Ebd. L 1r: „Haec obiter de regulis et ordinibus S. Francisci pro simplicibus sufficiat commemorasse, quibus sincera est affectio ad diuum patrem, per quem deus tot et tanta virtutum exercitia et Euangelicae perfectionis documenta dignatus est pro humani generis salute ad Christi vestigia imitanda ostendere, quem et multifariis miraculis indicauit omni veneratione dignum et virtutum vitae ipsius exempla imitari esse tutissimum.“ Der Ausdruck „ad Christi vestigia imitanda“ erinnert an die Thesen 4 und 8 der Disputationes minoritice

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Schwederich hatte aber bereits erlebt, wie wenig dieses erbauliche Franziskusbild „für die einfachen Leute“ mit „Zuneigung zum gottgemäßen Vater“ noch bei denen ankam, die damals den Orden verließen. Sie stellten ja mit der reformatorischen Theologie das Modell von Vollkommenheit in Frage, das sich mit Franziskus traditionell verband. Ihnen möchte er überhaupt kein Gehör geben: „Und nicht zu hören sind hier die ganz nichtigen Männer und Söhne Belials, verfluchte Söhne, die die Zeugnisse über den heiligen Vater, angenommen zur vollkommenen Nachahmung Christi, schändlich verwarfen, und zwar wie Ehebrüchige zum Zeichen ewiger Verdammnis ohne Scheu und Gottesfurcht, ohne auf Gewissensbedenken zu achten und ohne Rücksicht auf ihre Profess. ‚Da sie den rechten Weg verließen und dem Weg Balaams folgten, haben sie sich verirrt‘ und scheuen sich nicht, den heiligen Vater, der im Himmel mit Christus herrscht, mit vielfältigen und unerhörten Lästerungen anzugreifen. Sie versuchen von seiner Nachahmung und Verehrung nicht nur die anderen abzubringen, sondern auch mit höchster Anstrengung selbst mit Gewalt daran zu hindern.“ 369 Da Schwederich mit solchen Brüdern keine Diskussion mehr führen wollte, konnte er für sie nur noch die Fürbitte des heiligen Franziskus erbitten,370 damit sie doch wieder umkehren. Oder er musste sie bei Unbußfertigkeit der verdienten Strafe überlassen.371 Damit reagierte Schwederich freilich auf die Gewalt der Gegner, der treue Brüder gerade in Deutschland bereits ausgesetzt waren. Nach anderen Verfolgungen von Ordensleuten in der Kirchengeschichte, wobei Schwederich zuletzt die Angriffe der Anhänger Wyclifs in England und des Hus in Böhmen nannte, kam er nämlich auf die jüngste Zeit in Deutschland zu sprechen: „Und dass derart sakrilegische Untaten, unerhörte Schandtaten, Diebereien, Raubzüge, die bereits in Deutschland gegen Priester und Ordensleute feindselig unternommen wurden, ist – meine ich – niemand verborgen. So öffentlich sind diese Dinge, über die auch das Gerücht hin und her fliegt, und zwar kein leeres, dass ich es für ganz und gar unmöglich halte, jemand kenne sie nicht. Zudem gibt es auch so schlimme Rasereien, die bar aller christlichen Mäßigung gegen die Ordensleute unternommen wurden, dass sie tatsächlich die ganze Welt zu Recht gegen deren Urheber aufbringen könnten. Ich könnte diese hier auch namentlich mit den von ihnen verübten Schurkereien offen beschreiben und täte das sogar, hätte ich nicht die Guten im Blick, die noch in einigen Gemeinden sich aufhalten, denen ganz gehörig die anmaßende Raserei der Bösen missfällt. Auch in Wittenberg 1519, die wahrscheinlich ebenfalls so von Schwederich formuliert wurden. Siehe oben Kap. 1, Anm 85, 89f., 109. 369 Ebd. L 1rv: „Nec audiendi sunt hic viri vanissimi et filii Belial, filii maledictionis, qui sancti patris documenta ad perfectam Christi imitationem perficiendam assumpta (velut adulteri in signum eternae reprobationis, omni postponita verecundia, abiecto dei timore, spreto conscientiae scrupulo, professionis suae immemores) obprobriose abiecerunt. Et ‚derelinquentes viam rectam errauerunt secuti viam Balaam‘, sanctum patrem cum Christo in coelo regnantem multifariis et inauditis blasphemiis non verentur impetere, et ab eius imitatione et veneratione alios non modo retrahere, sed et summis conatibus nituntur etiam vi quadam impedire.“ Vgl. 2 Kor 6,15: Belial [EÜ Beliar], als Widersacher Gottes und Christi. Vgl. auch 2 Petr 2,15 Vg.: mit diesem Vulgata-Text bezieht sich Schwederich auf „Balaam“[EÜ Bileam], der zunächst Israel verfluchen sollte. Vgl. zu ihm Num 22,5–24,25. – Schwederichs Schilderung und Deutung der bösen Gegner wird noch länger fortgesetzt. Siehe ebd. L 1v–2v. 370 Ebd. L 2v. 371 Das entfaltet er vor allem zum Schluss im „Articulus undecimus“. Siehe Schwederich, Collectaniolum, Q 4v – R 4r: Quod religiosorum subsannatores et eorum aduersarij soleant grauiter puniri.

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hoffe ich: die über solche Leute die Schwertgewalt haben zur Bestrafung der Bösen, gehen (dem Versprechen ihrer Schwertweihe gemäß) so mit ihnen ins Gericht, dass man ihre Herrschaftsgebiete Reiche nennt und nicht Räuberbanden. Sollte das aber nicht geschehen, braucht man nichts mehr über sie zu mutmaßen, sondern entsprechend diesen bösen Taten müssen solche Leute als Genossen und Gefährten der Bösen gelten, die deswegen eine noch schwerere Bestrafung verdienen. So ließ ja der Herr durch Mose die Nachlässigkeit der Oberen mit der Strafe des Marterholzes ahnden.“ 372 Wegen Übergriffen gegen Franziskanerklöster wie Wittenberg, Zwickau und Altenburg in Kursachsen hatte sich ja bereits am 24. August 1524 das Provinzkapitel der obersächsischen beziehungsweise thüringischen Provinz in Dresden an Kurfürst Friedrich den Weisen gewandt.373 Von diesem Kapitel autorisiert, an dem er selbst teilgenommen hatte, kam dann Schwederich mit anderen Verantwortlichen am 20. Januar 1525 nach Torgau, um den Kurfürsten beziehungsweise dessen Räte um Beistand anzurufen.374 Wie bekannt, blieb das letztlich ohne Erfolg, sondern verschlimmerte eher die Situation für das Franziskanerkloster in Torgau, das vorher noch weniger bedroht war.375 Weil seine Erfahrung mit dem Kurfürsten Friedrich dem Weisen und noch mehr mit dessem Konregenten, Bruder und Nachfolger Johann von Sachsen Schwederich kaum noch Hoffnung gab, versuchte er, beim Ende des Franziskanerklosters in Torgau 1527 nur noch über den Herrscher des albertinischen Sachsen, Herzog Georg den Bärtigen, für den Fortbestand des Klosters zu intervenieren. Aber auch das war vergebens.376 Die Herrscher Kursachsens galten vielleicht Schwederich bereits als „Genossen und Gefährten der Bösen“. Überhaupt musste Schwederich seine Hoffnung, die mit dem weltlichen Schwert Betrauten könnten mit der Strafgewalt gegen die Gegner des Ordenslebens den Fortbestand der Klöster sichern, für sein Gebiet mehr und mehr aufgeben. Nachdem etwa der Freiberger Franziskaner Lorenz Sörer im Sinne der Reformation gepredigt und dort im Herbst 1524 Glaubensstreitigkeiten ausgelöst hatte,377 verhinderte 1525 der Mitregent im albertinischen Sachsen, Herzog Georgs Bruder Herzog Heinrich von Sachsen, gegen den Willen Herzog Ge-

372 Siehe ebd. R 1v–2r: „Atque huiusmodi sacrilega facinora, inauditae abominationes, furta, latrocinia, in sacerdotes et religiosos iam in Alemania attemptata sint, neminem puta latere. Quippe quae ita in propatulo sunt, de quibus et rumor hinc inde prouolat et quidem non inanis, prorsus non possibile credo, ea quempiam ignorare. Sunt praeterea et quedam tantae vesaniae facta, et citra omnem Christianam modestiam contra religiosos attemptata, quae profecto totum mundum possent merito aduersos huiusmodi auctores excitare, quos et hic nominatim possem cum eorum perpetratis malicijs aperte depingere, et facerem equidem nisi bonos adhuc in communitatibus quibuslibet degentes attenderem, quibus non parum multum displicet peruersorum praesumptuosa vesania. Spero etiam eos qui super tales gladium ferunt ad vindictam malorum ita se in his (iuxta sacramenti eorum promissionem) exhibituros, vt eorum dominia nominentur regna et non latrocinia. Si autem secus factum fuerit, non opus erit quippiam de eis coniectari, sed secundum eorum opera tales censebuntur malorum esse participes et socij, atque ob id maiori animaduersione digni, quemadmodum et dominus per Moysen iussit superiorum negligentiam patibuli paena mulctari.“ Zur Schwertgewalt vgl. Röm 13,4; zur Bestrafung der Oberen bei Mose vgl. Num 25,1–5, bes. 4. 373 Vgl. oben Kap. 4, Anm. 4f. Siehe auch Doelle, Wittenberger Franziskanerkloster und Reformation 304. 374 Vgl. oben Kap. 4, Anm. 6; 16. Siehe Doelle, Wittenberger Franziskanerkloster und Reformation 307. 375 Vgl. oben Kap. 4, Anm. 16–23. 376 Vgl. oben Kap. 4, Anm. 36f. 377 Vgl. Hammer, Militia Franciscana II, 68 Anm. 24. Zu Sörer vgl. auch Haselbeck, Urkundenbuch I/3, 156 Anm. 1; 157–159.

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orgs die Ausweisung Sörers.378 Obwohl Herzog Heinrich schon die reformatorische Bewegung begünstigte, wollte er mäßigend auf Lorenz Sörer einwirken, wie das in Herzog Heinrichs Auftrag 1526 sein Kanzler Georg von Rothschitz unter nahm.379 Der friedliche Übergang zur Reformation, den Herzog Heinrich so betrieb,380 wurde seit 1537 in seinem Herrschaftsgebiet derart forciert, dass den Ordensleuten der Übertritt zur Reformation nahegelegt wurde.381 Jene Brüder, die dieser Mahnung nicht folgten und „von ihrem Irrtum nicht absahen“, wurden am 10. Juni 1537 vertrieben und gingen anscheinend nach Meißen.382 Damit kam wieder Schwederich als „Kustos und beauftragter Minister“ ins Spiel.383 An ihn wandten sich in einem Brief vom 15. Juni 1537 die im Kloster verbliebenen und zur Reformation übergegangenen Brüder Johannes Kunigesdorff, Matthäus Judicis und Johannes Kucheler, um Schwederich gemäß dem Anliegen ihres Herrn Heinrich von Sachsen zu bewegen, dass er „solch reine lehr gotlichs worts auch annemen“ möge.384 Schwederich konnte sich in seiner Antwort über diesen Brief nur verwundern, weil die Brüder den Gehorsam und die Verpflichtung Gott und ihrem Guardian gegenüber vergessen hätten, vor allem aber „das ihr nun allererst solltet erfaren haben, das wir durch die gnade gottes selig werden“. Er meinte dazu: „das es aber dieselbige alleine tuen solen und uns nichts darbei und darzu zu tun solt sein auferlegt, das hab ich noch 378 Vgl. Haselbeck, Urkundenbuch I/3, 157f.; 162f. 379 Vgl. ebd. 162 Anm.; 163–166. Sörer scheint dann bald nach Reichenbach und Zwickau in Kursachsen weitergezogen zu sein, wo er 1531 wegen seines Verhaltens in der Ehe Probleme mit dem Rat bekam (vgl. ebd. 156 Anm. 1). 380 Schon um 1530 war wieder von Predigten eines Dominikaners wie eines Franziskaners in Freiberg gegen das Papsttum die Rede, wobei sich aber die reformatorischen Neigungen am Hof Herzog Heinrichs besonders im Umkreis seiner Frau Katharina noch nicht durchsetzen konnten. Vgl. Haselbeck, Urkundenbuch I/3, 11 Anm. 1. Siehe besonders Bräuer. Siegfried: „Teufelsköpfin“ und „Klette an Christus“. Katharina – evangelische Landesherrin in Sachsen (1487–1561). In: Frauen fo(e)rdern Reformation. Wittenberger Sonntagsvorlesungen. Hg. vom Evangelisches Predigerseminar – Peter Freybe. Wittenberg 2004, 29–57, bes. 34–36. 381 Die Visitationsartikel Herzog Heinrichs vom 26. Mai 1537 sind noch vorsichtig formuliert (Haselbeck, Urkundenbuch I/3, 168f.). Aber sein Brief an Herzog Georg vom selben Tag machte deutlich, dass er „mit den schleunigsten und stillsten Wegen und Mitteln“ den Übergang zur Augsburger Konfession betrieb. Siehe ebd. 169 Anm. 1. Zum Einsatz seiner Frau Katharina ab 1536 für ihren reformatorisch gesinnten Hofprediger Jakob Schenk und zur von Herzog Heinrich erlaubten ersten öffentlichen Feier des Abendmahls unter beiden Gestalten im Freiberger Dom (Januar 1537), vgl. Bräuer, „Teufelsköpfin“ und „Klette an Christus“ 37f. 382 Siehe „Annales“ des Freiberger Bürgermeisters Laurentius Fleischer, bei Haselbeck, Urkundenbuch I/3, 169. 383 Offenbar hatte damals mit Billigung Schwederichs jemand von den Freiberger Franziskanern Bücher seines Klosters mit nach Meißen gebracht. Denn in einem aus dem Meißener Kloster stammenden Buch gibt es den Vermerk: „Iste liber debet manere Misnae, quousque conventus Fribergensis redeat ad fidem Catholicae ecclesiae. Ordinatum per custodem et commissarium ministrum Jacobum Suedericum 1537 in die Decollationis S. Joannis Baptistae.“ Siehe Haselbeck, Urkundenbuch I/3, 169 Anm. 2. 384 Siehe insgesamt ebd. 170f.; gedruckt bereits bei Doelle, Ferdinand: Briefmappe I. Münster 1912 (RGST, 21/22) 40. Beim ‚christlichen Anliegen‘ Herzog Heinrichs wird betont, „das s[eine] f[ürstliche] gn[aden] gottes wort wolten zufallen und dasselbige lassen rein und lauter predigen, sunderlich, das der mensch allein durch gottes gnade on seine vordinst selig werde, und den priestern der ehestand frei sein mochte, und den leien auch das heilsame blut neben den hailigen leichnam zu raichen nachgelassen werde“ (ebd. 171). Weiteres könne er den Artikeln entnehmen, die dem Bischof von Meißen durch die Weltpriester zu Freiberg zugeschickt worden seien (ebd. 170f.). Die Brüder fühlen sich offenbar noch dem Orden zugehörig, da sie mit „Ew[er] Erw[ürden] willige diener“ und „fr[ater]“, das heißt Bruder, unterschreiben. Herzog Heinrichs Visitationsartikel schrieben ja zu den Ordensleuten: „Die nach zur verkundigunge gottis wortes oder in andere wege in der kirchen zu handtreychung der sakrament, zu besuchung der kranken, mithaltung der christlichen mess etc. zu gebrauchen, die sall man auch treulich fördern“ (ebd. 168). Das ließ zunächst noch Raum für ein klösterliches Leben.

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in keiner schrift gelesen“ 385. Ganz deutlich wies Schwederich hier das reformatorische „sola gratia“ (allein aus Gnade) zurück und bestand auf der gebotenen Mitwirkung der Menschen. Über den Ehestand der Priester und die Kelchkommunion der Laien mitzureden, das meinte er, entspräche nicht ihrer Berufung und sei auch „der altherkummenden christlicher kirchen entkegen“ 386. Sie waren deshalb von Kirche und Orden abgefallen und hatten nach Schwederich kein Recht auf das Freiberger Franziskanerkloster mit allem, was dazu gehört. Wenn es ihm weltliche Macht erlaubte, müsste er es neu besetzen und „alleine aus forcht und befarnis grossers ergernis“ musste er „uff diesmal nicht mit geringer beschwering meiner gewissen“ darauf verzichten.387 Damit kündigte sich aber die Zukunft an. Denn der Tod Herzog Georgs und die Übernahme der Regierung im ganzen albertinischen Sachsen durch Herzog Heinrich 1539 werden die Aktionsmöglichkeiten Schwederichs weiter einschränken. Das zeigten dann die Artikel für die reformatorische Kirchenvisitation für das Land Meißen, die unmittelbar die Kustodie und den Konvent Meißen betrafen. Sie forderten die Anpassung der Ordensleute an die reformatorische Kirchenordnung und verboten jede weitere Aufnahme von Kandidaten und die Ablegung von Gelübden.388 Die Franziskaner in Meißen und mit ihnen Schwederich leisteten Widerstand und beriefen sich dabei auf eine Anweisung des Bischofs von Meißen.389 Im Oktober 1539 klagten die im Kloster verbliebenen Brüder über ihre große Armut, weil die bisherige Förderung ausblieb und sie sich neue Einkommensquellen etwa als Handwerker nicht mehr erschließen konnten. Sie baten darum den Herzog Heinrich, ihnen das zum Leben Notwendige zu verschaffen. Unterzeichnet ist der Antrag: „Ew[er] F[ürstlichen] gn[aden] arme underthane ordensbrudere des closters S. Francisci zu Meissen“ 390. Herzog Heinrich ging auf diesen Antrag ein, indem er dem Rat von Meißen Einkünfte des Franziskanerklosters übergab und ihn beauftragte, für den Lebensunterhalt der Brüder zu sorgen. Offenbar hatten sich die Brüder in Meißen an die neuen Verhältnisse angepasst.391 Zu dieser Zeit war vermutlich Schwederich nicht mehr dort im Kloster.392 Denn Ende 1540 wandte er sich, vielleicht aus Bautzen, an eine fürstliche Persönlichkeit, der er Einfluss auf Kaiser Karl V. zutraute.393 Schon anfangs erwähnte Schwederich eine „supplication“ (Fürbitte), 385 Zu dieser Antwort Schwederichs insgesamt, siehe Haselbeck, Urkundenbuch I/3, 172f., bes. 173; vgl. auch Doelle, Briefmappe I, 43. Siehe ebenfalls Hammer, Militia franciscana II, 68. 386 Siehe Haselbeck, Urkundenbuch I/3, 173. Ob Schwederich damit ihre franziskanische Berufung überhaupt oder eventuell den Laienstand dieser Brüder ansprach, ergibt sich nicht klar aus dem Kontext. In jedem Fall entsprach ein solches Diskussionsverbot Schwederichs sonstiger Haltung, weil er ja auf die hier angesprochenen Fragen zu Priesterehe und Laienkelch nicht wirklich eingehen wollte. Der Verweis auf die althergebrachte kirchliche Tradition genügte ihm da. 387 Siehe ebd. 173. 388 Siehe ebd. 120ff. Siehe auch Doelle, Ferdinand: Aus den letzten Tage der Franziskaner im Meißen. In: FrS 1 (1914) 65–76, hier 70f. 389 Siehe Haselbeck, Urkundenbuch I/3, 122f. Es scheint sich bei diesem Widerstand ein Franziskaner Andreas Ungar, der als „spitzfindiger Sophist“ bezeichnet wird, besonders hervorgetan zu haben (ebd. 123f.). Weitere Nachrichten darüber haben sich nicht erhalten. 390 Siehe insgesamt ebd. 127f. 391 Siehe ebd. 128f. 392 Nach einem Görlitzer Bericht kamen 1539 drei neue Mönche aus Meißen ins Görlitzer Franziskanerkloster, unter ihnen ein „Doctor Theologiae“, „harrete aber nicht lange in Görlitz“. Das dürfte Schwederich gewesen sein. Siehe Haselbeck, Urkundenbuch I/2, 220f. (n. 34). 393 Siehe Haselbeck, Urkundenbuch I/3, 133–136. Vgl. Doelle, Aus den letzten Tagen 68–76. Siehe auch Hammer, Militia Franciscana 69 Anm. 28.

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die er bereits an denselben Adressaten eingesandt hatte, die „mein gross elend und verfolgung angezeigt, die mir und meinen brüdern ist widerfaren in der vortreybung aus etlichen clostern und landen, darumb das wir nicht haben wolt annemen die Lutherisse secten“394. Als Antwort darauf hatte Schwederich „merklichen trost und rat funden nicht allein mit worten, sunder auch mit der tat in erhaldung meiner leiplichen notdurft, darin ich spure hoen und grossen vorstand, angeborene gutikeit, christlich, bestendich, herzlich gemüt zu der wahrhaftigen religion, welchs nicht kann gescheen on sunderlich gotlich gnad“ 395. Diese Rühmung der guten Eigenschaften des fürstlichen Adressaten, „hohen und großen Verstand, angeborene Güte, christliche, beständige, herzliche Neigung zur wahrhaftigen Religion“, könnte eine ‚captatio benevolentiae‘ sein, womit die weitere Unterstützung erlangt werden sollte. Doch für Schwederich in seiner und seiner Brüder bedrängten Lage musste jedes freundliche Entgegenkommen einer hilfreichen hohen Persönlichkeit als Geschenk Gottes erscheinen „nicht […] ohne besondere göttliche Gnade“. Das erinnerte an jenes göttliche Eingreifen, das Schwederich schon in seinem Collectaniolum beschworen hatte.396 So vertraute nun Schwederich, dass der Adressat „mein anligende Not vor die kays[erliche] M[ajestä]t, unsern allergnedigsten herrn“ bringen würde, um Kaiser Karl V. zu unterrichten, „wie es uns armen, alten, hochgeangesten, vortrybenen brüdern ergangen und noch tegelich ergeet von den Lutherissen“397. Es ging also nicht nur um äußere leibliche Bedrängnis, sondern die Adjektive, mit denen Schwederich sich und seine Brüder beschrieb, die „armen, alten, hochverängstigten, vertriebenen“, deuteten auch auf eine innere geistliche Bedrängnis hin. Die Brüder sahen sich in die Enge getrieben, aus der sie sich infolge von Armut und Überalterung nicht mehr selbst befreien konnten und so kaum noch einen Ausweg fanden. Der Kaiser aber als „der obirst monarch des h[eiligen] Rom[ischen] reychs und der ganzen christenheit uns wolle mitteilen beschutzung und beschirmung, uben gerechtikeyt und gericht, und uns arme brüder nicht so grausam wider got, recht und billikeyt ganz unchristlich lassen verwolgen“. Schwederich scheint Kaiser Karl V. zugetraut zu haben, dass er schließlich einen rettenden Ausweg schaffen kann aus der Bedrängnis und Verfolgung der Brüder. Die bisherige Erfahrung mit der Hilflosigkeit kaiserlicher Machtpolitik gegenüber der landesherrlichen Unterstützung und Durchsetzung der Reformation konnte ihn freilich nicht sehr ermutigt haben. Vertrauen auf die von Gott gegebene Autorität und Schwertgewalt aber motivierte weiterhin Schwederich bei seiner Bitte an den Kaiser. Theologisch ähnlich wie in seinem Collectaniolum formulierte er seine Hoffnung auf die Schwertgewalt: „dieweil ihr M[ajestät]t von got darzu verordent ist und das swert nicht vorgeblich tregt, sonder ist gottes diener und hat zu nehmen rach und zu strafen die, welche boses thun“ 398. Ein Einsatz kaiserlicher Schwertgewalt gegen die reformatorische Entwicklung musste freilich zum Krieg führen und konnte schließlich sogar die blutige Unterdrückung der reformatorischen Gegenpartei mit sich bringen. Wie wenig freilich selbst bei einem militärischen Einsatz gegen reformatorische Fürsten und Obrigkeiten religiös und theologisch zu erreichen war, zeigte dann bereits 1547 der Schmalkaldische Krieg. Im 394 Siehe Haselbeck, Urkundenbuch I/3, 133. 395 Ebd. 396 Vgl. oben Anm. 354. 397 Siehe Haselbeck, Urkundenbuch I/3, 133. 398 Siehe insgesamt ebd. Vgl. dazu Röm 13,1–4; Schwederich, Collectaniolum, R 2r (oben Anm. 372).

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Augenblick ging es Schwederich freilich darum, dass dem Vorgehen des reformatorischen Landesherrn Herzog Heinrich im albertinischen Sachsen Einhalt geboten würde. Denn nur dieses Vorgehen seit dem 15. Juli 1537 schilderte er in seinem Bittbrief eingehend.399 Zum Schluss schrieb er aber noch etwas allgemeiner: „es haben die prediger in obgenanten furstentumer und steten die brüder so hoch ge­ smehet und gelestert auf der canzel, das sie nicht haben konnen sicher sein ihres lebens fur dem gemeinen pöfel und seind also die armen und das mererteil alde brüder so hoch geangst worden, das sei ein teil fur gammer [! Jammer] und betrubnis gestorben“ 400. Und das erscheint wie eine abschließende Beschreibung des Sterbens der Kustodie Meißen und sogar der ganzen obersächsischen beziehungsweise thüringischen Franziskanerprovinz. Unterzeichnet wurde dieser Brief daher noch: „ew[er] f[ürstlichen] gn[aden] ganz williger Jacobus Sudericus doctor, barfusser, vortribener custos zu Meissen, commissarius des provincialministers in Doringen und Slesien“. Schwederich konnte also als Kustos von Meißen nichts mehr ausrichten. Doch als Kommissar des Provinzialministers Benedikt von Löwenberg401 war er vielleicht noch in Thüringen und Schlesien tätig. Viel kann da nicht mehr zu tun gewesen sein. Am 17. Mai 1540 nannte der Provinzialminister Benedikt von Löwenberg dem Rat von Bautzen als seinen Kommissar „den patrem Jacobum doctorem, der itzt im closter zu Bautzen“402, womit Schwederichs Aufenthalt in der Oberlausitz bezeugt ist. In der Oberlausitz blieb er anscheinend, als nach dem Tod des Provinzialministers Benedikt von Löwenberg um 1543 kein Nachfolger mehr gewählt wurde403 und Schwederich als Vizeminister beziehungsweise „vicarius ministri“ auftrat.404 Als er die „Provinzen von Thüringen und Schlesien“ als ihm anvertrautes Gebiet beim Namen nannte, meinte er damit die Gegenden, in denen es damals noch Franziskaner gab, aber kaum einen funktionierenden Verband der früheren obersächsischen beziehungsweise thüringischen Ordensprovinz. Schwederichs Wirkungsfeld hat sich so verengt, dass er den beschaulichen Dienst als Beichtvater der Zisterzienserinnen in Marienstern / Oberlausitz ausüben konnte, deren Kloster dann allerdings die schwierigen Zeiten zu Beginn der Reformation überlebte. Schwederich selbst wurde ein letztes Mal als ‚Vizeminister‘ erwähnt, als das Stiftskapitel zu Bautzen ihn um 1554 bat, die Ernennung eines Lektors und Predigers zum Guardian im dortigen Franziskanerkloster rückgängig zu machen, weil dieser im notwendigen Predigtamt besser den Anhängern „der alden warhaftigen religion“ in „itziger geferlicher und vorgifter tzeit“ dienen könnte.405 Bald darauf muss Schwederich 399 Siehe Haselbeck, Urkundenbuch I/3, 133–136. 400 Ebd. 136. 401 Benedikt von Löwenberg, der bis 1521 Provinzialminister der noch ungeteilten Saxonia S. Johannis Baptistae gewesen war, wurde am 28. Oktober 1524 anstelle des kommissarischen Leiters der obersächsischen beziehungsweise thüringischen Provinz Petrus Fontinus (von Borna) zum Provinzialminister gewählt. Siehe Haselbeck, Gallus: Zum Jubelfest der Thüringischen Ordensprovinz. In: FrS 10 (1923) 113–126, hier 117–119; Hammer, Militia Franciscana II, 69 Anm. 29. 402 Siehe Haselbeck, Urkundenbuch I/2, 128 (n. 27). 403 Siehe Haselbeck, Jubelfest 118f. 404 Siehe einen Vertrag zwischen dem Franziskanerkloster Löbau bei Bautzen und dieser Stadt vom 12. September 1553, den Schwederich zusammen mit dem dortigen Guardian Bartholomäus Lewe unterschrieb und in dem er sich „Jacobus Schwedericus, doctor, vicarius ministri, commissarius der Provincien Doringen und Schlesygen, itzo Beichtiger zu Marienstern“ nannte. Vgl. Haselbeck, Urkundenbuch I/2, 276–278 (n. 8), bes. 277. 405 Siehe ebd. 154–156 (n. 73). Die Aufschrift dieses stark vermoderten Dokuments, vielleicht einer Abschrift, aus dem Stiftsarchiv zu Bautzen, lautet: „Dem wolwirdigen und hochgelarten herrn Jacobo Schwederico, ordinis

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gestorben sein. Jedenfalls wurde er in Urkunden der Franziskanerklöster in der Oberlausitz nicht mehr genannt, obwohl sie erst einige Jahre später aufhörten als solche zu existieren.406 In dem Kloster zu Erfurt, das als letztes der obersächsischen beziehungsweise thüringischen Provinz untergeht,407 findet sich – soweit bisher bekannt ist – in den Urkunden der letzten Jahrzehnte Schwederichs Name ebenfalls nicht mehr.

5.8. Bernhard Dappen Bernhard Dappen führte in Jüterbog als lector des Konvents die erste Auseinandersetzung der Franziskaner mit der reformatorischen Theologie an und teilte dem zuständigen Bischof von Brandenburg die ärgerlichen „Artikel“ der reformatorischen Prediger Franz Günther und Thomas Müntzer mit.408 Mit den anderen Brüdern zu Jüterbog gehörte er in dieser Zeit, nämlich im Frühjahr 1519, zur 1518 neu gegründeten, observant geprägten Saxonia S. Crucis. Sonst wurde der weitere Lebensweg Dappens erst nach und nach bekannt, als eine Handschrift der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel (Cod. Guelf. 1095 Helmst.) zu ihm in Beziehung gebracht und schließlich als Autograph Dappens und persönliche Wiedergabe etlicher seiner Schriften identifiziert wurde.409 Die biographischen Notizen in einigen dieser Werke waren freilich bereits vorher für die Lebensgeschichte Dappens ausgewertet worden.410 So wusste man, dass Dappen oder Doppen, wie er sich in seinem Autograph nennt, in Dorsten geboren wurde, dass er 1526 in Leipzig predigte und einen kleinen Traktat über die sieben Sakramente verfasste; denn bei der Abschrift seiner Predigt in Leipzig vor dem Klerus der Stadt und beim Sakramenten-Traktat hat er seinen Namen („Doppenn“) beziehungsweise

Francisci viceministro etc., unserem besondern guten freund und gonner“ (ebd. 156). 406 Das Franziskanerkloster Bautzen übergab am 30. Januar 1562 der letzte Franziskaner Michael Polman dem Stifskapitel zu Bautzen solange, bis „es jemals zutreffen sollte, das aus göttlicher Güte dieses Kloster durch geeignete Personen wieder errichtet und herzustellt und ein Konvent von religiösen und katholischen Brüdern dieses Ordens dort wiederum versammelt wird“. Siehe dazu Haselbeck, Urkundenbuch I/2, 182–186 (n. 99). Auch im Franziskanerkloster Löbau scheint 1560 nur noch ein Bruder verblieben zu sein, da er den Zisterzienserinnen im Kloster Marienthal an der Neiße ein rotes Chorgewand geschenkt hatte und die Äbtissin nun infolge eines Wunsches des Landesherrn Kaiser Ferdinands weitere Paramente des Franziskanerklosters übernehmen durfte. Siehe Haselbeck, Urkundenbuch I/2, 280ff. (n. 15f.). Die letzten Wertgegenstände aus den Franziskanerklöstern Löbau, Zittau und Görlitz („dorinnen schier kein geistliche personen mehr vorhanden“) wurden auf Befehl Kaiser Ferdinands am 11. August 1562 dem Stiftskapitel Bautzen überantwortet. Siehe Haselbeck, Urkundenbuch I/2, 227f. (n. 42f.). 407 Siehe oben Anm. 99. 408 Siehe oben Kap. 1, Anm. 29–47. 409 Das gelang nach Vorarbeit Otto von Heinemanns vollständig erst Smolinsky. Siehe dazu: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Beschrieben von Otto von Heinemann. Erste Abteilung. Die Helmstedter Handschriften III. Wolfenbüttel 1888, 51f. (n. 1202); besonders aber Smolinsky, Augustin von Alveldt 166-169. Vorher hatte Lemmens aus diesem Kodex ein Schreiben Alveldts (fol. 246r) veröffentlicht (Lemmens, P. Augustin 101; Niedersächsische Franziskanerklöster 43), und später wurde eine Wiedergabe der Regula bullata darin (fol. 246–297) entdeckt. Vgl. Esser, Kajetan / Oliger, Remy: La tradition manuscrite des opuscules de Saint François d’ Assise. Préliminaire de l’ édition critique. Rome 1972, 100. 410 So von Lemmens, Niedersächsische Franziskanerklöster 41; Wallenborn, Luther und die Franziskaner 39f.; Bensing / Trillitzsch, Bernhard Dappens Articuli 121.

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auch seine Herkunft („Dorstensis“) angegeben.411 Er war zur Zeit seiner Predigt in Leipzig am Gründonnerstag 1526 Lektor im dortigen Konvent.412 Auch eine Inhaltsangabe zu den 1506 in Basel erschienenen „Opera omnia“ des Kirchenvaters Augustinus, die 1530 im Franziskanerkloster zu Stadthagen abgeschlossen wurde, stammt von Dappen.413 In seinem Kodex hat er freilich Texte abgeschrieben, deren Herkunft im Einzelnen noch zu eruieren war.414 Smolinsky hat über eine bloße Inhaltsangabe hinaus diese Texte genauer untersucht und sehr plausibel gemacht, dass sie weitgehend von Dappen selbst verfasst wurden415, abgesehen jedoch von einem abschließenden Brief und Kommentar des Franziskaners Augustin von Alveldt zur Minderbrüder-Regel.416 Aus Smolinskys Ergebnissen, die nicht im Detail referiert werden sollen, wurde Dappens große und immer wieder sichtbare Vorliebe für den Kirchenvater Augustinus deutlich417 wie auch sein bemerkenswertes Interesse an kanonistischen und zivilrechtlichen Argumenten.418 Manchmal übernahm Dappen auch Gedanken aus Werken seines Mitbruders Augustins von Alveldt,419 ohne freilich in der Auseinandersetzung mit der reformatorischen Theologie sein eigenes Profil ganz einzubüßen.420 Das wird bei der inhaltlichen Betrachtung und Analyse noch deutlicher.421 Dappen war zwar in den Jahren, in denen er seine Texte verfasste und sein Manuskript zusammenstellte und schrieb, eng mit Augustin von Alveldt verbunden, der in Leipzig sein Vorgänger als Lektor im Konvent422 und später 1529/32 sein Provinzialminister gewesen ist. Doch gerade in seiner Auseinander­setzung mit der reformatorischen Theologie entwickelte er auch eigene Überlegungen. Wie schon früher Augustin von Alveldt423 bemühte sich Dappen um die Verteidigung des klöster­lichen Lebens, er versuchte aber nun dabei eine intensivere geschichtliche Begründung ähnlich wie etwa Jakob Schwederich.

411 Siehe Smolinsky, Augustin von Alveldt 169 Anm. 11. Vgl. hier das Zitat aus Wallenborn, Luther und die Franziskaner 39f. 412 Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol 157r: „Collatio Latina habita per me fratrem Bernhardum doppenn Ordinis Minorum Coram clero Inclite Civitatis Lipszensis in Cena domini Anno 1526. Eo nempe tempore fungebar lectoris officio in conventu nostro.“ Vgl. Smolinsky, Augustin von Alveldt 168f. Anm. 9 und 12. 413 Das ergibt sich aus den Schlussworten des Index: „Finis in conventu Stadthagensi Anno domini 1530 per me fratrem Bernhardum Doppenn Durstensem“ (Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 68v). Siehe auch Smolinsky, Augustin von Alveldt 170 Anm. 15. 414 Vgl. die Übersicht ebd. 167f. 415 Siehe ebd. 170–190. Smolinsky will freilich die Verfasserfrage nicht definitiv entscheiden. Doch alles spricht dafür, dass Dappen selbst die Erarbeitung der meisten dieser Texte und Schriften zuzuschreiben ist. 416 Siehe ebd. 168; 170. Die Texte Alveldts, die auf das Jahr 1532 datiert sind, finden sich im Wolfenbütteler Codex am Ende, siehe Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 246–297. 417 Siehe Smolinsky, Augustin von Alveldt 170; 173. 418 Ebd. 170; 177. 419 Ebd. 174–176. 420 So spricht Dappen die „heresis Luderana“ beziehungsweise die „Luderanorum secta“ immer wieder mit ähnlichen Worten und Argumenten an. Vgl. ebd. 171; 177. 421 Siehe ebd. 178–190. 422 Alveldt war wohl spätestens ab 1519 „lector publicus“ der Theologie im Konvent zu Leipzig (vgl. oben Kap. 1, Anm. 221f.). Da er bereits 1524 Guardian zu Halle war (Smolinsky, Augustin von Alveldt 22), könnte schon zu dieser Zeit Dappen sein Nachfolger im Lektorenamt zu Leipzig geworden sein, das Dappen jedenfalls noch 1526 ausübte (oben Anm. 312). 423 Zu Alveldts Weimarer Disputation mit Johannes Lang und Ägidius Mechler vgl. oben Kap. 2, Anm. 30–33.

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Bereits in Dappens „Sermon über die Verehrung der Heiligen und ihrer Bilder“424 gab es einen Exkurs über den Ordensstand, der gegen die reformatorische Theologie aus der Heiligen Schrift die besondere Christusähnlichkeit der Ordensleute und ihrer Lebensform nachzuweisen versuchte: „Er [Christus] wollte lieber eines anderen Willen tun als den seinen. Daher ‚wurde er gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz‘ [Phil 2, 8]. Da wir also erkennen, dass Christus auf solche Weise auf Erden gelebt hat, aus welchem Grund darf es keine Menschen geben, die mit Unterstützung und Hilfe der Gnade ihn darin nachahmen? Die Ordensleute, die in ihren Klöstern nach der Ordnung leben, kreuzigen daher ihr Fleisch mit seinen Lastern und Begierden, indem sie mit dem Apostel Paulus sagen: ‚Mir sei es fern, mich zu rühmen, außer im Kreuz unseres Herrn Jesus Christus, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt‘ [Gal 6,14]. Denn durch die freiwillige Armut kreuzigen sie die zeitlichen Güter, durch die Keuschheit den Leib und durch den Gehorsam die Seele selbst, indem sie sich Gott als lebendige, heilige, gottgefällige Opfergabe darbringen, Röm 12[,1]. Diese Lebensweise nahm bereits in der Urkirche bei den Christgläubigen ihren Anfang. Denn es steht geschrieben, Apg 4. Kapitel [4,32]: ‚Die Schar der Gläubigen war ein Herz und eine Seele.‘ Siehe das klösterliche Leben und Lieben! Wahrhaft eine große Liebe ist es, zuerst das Reich Gottes zu suchen und seine Gerechtigkeit, Mt. 6[,33]. ‚Einmütig und mit einer Stimme sollt ihr den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus verherrlichen‘, Röm 15[,6]. Und ‚keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum‘ [Apg 4,32]. Siehe der gleiche Besitz an Dingen! Bald entstehen Eintracht und Frieden, wo Mein und Dein verbannt werden. Daher sagt auch der Heiland, Mt. 5[,40]: ‚Wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel.‘ Wo aber Mein und Dein herrschen, da entstehen Streitereien. ‚Denn alle, die Grundstücke oder Häuser besaßen, verkauften ihren Besitz, brachten den Erlös und legten ihn den Aposteln zu Füßen‘ [Apg 4,34]. Siehe die gerechte und gleiche Verteilung der Dinge und die klösterliche Ausschaltung der Habgier! […] Auch ‚Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel‘, Apg. 2[,46], ‚in der Halle Salomos‘, Apg. 5[,12]. Siehe das erste klösterliche Haus, nämlich in der Halle des Salomo, des wahren friedensstiftenden Königs. Also ‚selig die Frieden stiften, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden‘, Mt. 5[,9]. ‚Sie hielten fest an der Lehre der Apostel und an der Gemeinschaft des Brotbrechens und am Gebet.‘ [Apg 2,42 Vg.] Siehe das in Zeremonien ganz gerechte Ordensleben! Denn das klöster­liche Leben muss gehorsam sein der Lehre der Apostel, nämlich dem Evangelium, das sie lehrten, sowie den Entscheidungen und Überlieferungen der Ältesten.“ 425 424 Vgl. Dappen, Bernhard: Sermo de veneratione sanctorum et eorundem ymaginum, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 1r–34r. Siehe auch Smolinsky, Augustin von Alveldt 182f. Geschrieben wurde dieser „Sermo“ um 1530, da er in demselben Jahr in Dappens „Sermo de Cantico Salue Regina“ erwähnt wird. Vgl. dazu Smolinsky, ebd. 171. 425 Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 13v–14r: „Etiam alterius maluit facere voluntatem quam suam. Vnde factus est obediens usque ad mortem, mortem autem crucis. Cum igitur agnoscamus Christum taliter in terris conuersatum, Qua ratione non deberent esse homines in hijs ipsum imitantes, gratia dei suffulti atque adiuti? Religiosi igitur in monasterijs suis ordinarie viuentes, carnem suam cum vitijs et concupiscentijs crucifigunt dicentes cum Apostolo Paulo: Mihi autem absit gloriari nisi in cruce domini nostri Jhesu Christi per quem mihi mundus crucifixus est et ego mundo. Per voluntariam enim paupertatem crucifigunt bona temporalia, Per castitatem corpus et per obedientiam ipsam animam, offerentes se deo hostiam viuentem, sanctam, deo

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Dappen hatte ähnlich wie Schwederich keine Bedenken, Beschreibungen urchristlichen Lebens, besonders in der Jerusalemer Urgemeinde, unmittelbar auf das traditionelle klöster­liche Leben zu übertragen. Das macht auch eine Randbemerkung deutlich, in der es heißt: „Fundament für die Ordensleute.“426 Entscheidender war allerdings für Dappen die paulinische Konzeption der Nachahmung Christi, besonders des Gekreuzigten, die er aus dem Philipperbrief und Galaterbrief zitierte und die er ohne Bedenken auf die klösterliche Askese übertrug. Darin wie in seiner Begründung einer friedensstiftenden Eigentumslosigkeit und Gütergemeinschaft knüpfte Dappen über die Anhaltspunkte bei Paulus und in der Apostelgeschichte hinaus an die franziskanische Ordenstheologie seit Bonaventura an. Maßgebend blieb aber im Grunde für ihn das Evangelium Jesu Christi, das er als die Lehre der Apostel verstand und weiter interpretierte. Das richtete sich insgesamt gegen die neueren „Pseudo-Apostel, die mit ihren heimtückischen Machenschaften sich als Apostel Christi darstellen und die Gläubigen täuschen“ 427. Damit reihte sich Dappen erneut in die Reihe jener Franziskaner ein, die sich besonders mit der reformatorischen Bestreitung ihrer klösterlich-traditionellen Lebensform als wenig evangeliumsgemäß auseinandersetzen. Das stand im Grunde schon hinter den „Artikeln“, mit denen Dappen in Jüterbog reformatorische Kritik zusammenfasste.428 Seit der Wittenberger ‚Franziskanerdisputation‘ von 1519 und seit Alveldts Weimarer Disputation von 1522 verbanden die Franziskaner wie jetzt erneut Dappen mit ihrem Eintreten für die Evangeliums­nähe ihrer klösterlichen Lebensform ihr traditionelles ordensspezifisches Verständnis des Evangeliums. Doch gerade Dappen bemühte sich besonders um eine umfangreiche Herleitung seiner Grundgedanken zum Ordensleben aus der Heiligen Schrift, wenn er sie auch in einer eher „monastischen“ Weise verstand und interpretierte. Augustin von Alveldt wird ihm dann in seinem Brief und Kommentar zur Minderbrüderregel auf eine andere, mehr differenzierte

placentem. Ro. 12. Qui viuendi modus etiam in primitiua Ecclesia a Christicolis sumpsit exordium. Scriptum est enim Actu. 4. ca. Multitudinis credentium erat cor vnum et anima vna. Ecce monastica concors voluntas et pietas. Magna reuera pietas primum querere regnum dei et iustitiam eius Mathei. 6. Vnanimes igitur vno voce honorificetis deum et patrem domini nostri Jhesu Christi. Roma. 15. Nec quisquam eorum que possidebat aliquid suum esse dicebant. Ecce equalis rerum possessio. Concordia enim et pax mox oriuntur Vbi meum et tuum relegantur. Vnde et saluator docuit Mathei 5. Qui vult tecum in iudicio contendere et tunicam tuam tollere dimitte ei et pallium. Vbi vero meum et tuum regnant, ibi frequenter iurgia. Quotquot autem agrorum possessores erant aut domorum, vendentes afferebant precia eorum que vendebant et ponebant ante pedes Apostolorum Ecce Justa rerum et equalis distributio et cupiditatis monastica eliminatio. […] Quottidie quoque perdurantes vnanimiter in templo Actu. 2. in porticu Salomonis Actu. 5. Ecce monastica domus prima in porticum videlicet Salomonis veri pacifici regis. Beati ergo pacifici quia filii dei vocabuntur, Mathei 5. Erant autem perseruerantes in doctrina Apostolorum et communicatione fractionis panis et orationibus. Ecce ceremoniarum iustissima religio. Monastica enim vita doctrine Apostolorum videlicet Euangelii quod docebant et Seniorum decretis atque traditionibus debet esse subiecta.“ 426 Ebd. fol. 13v: „fundamentum religiosorum“. 427 Vgl. schon im Anfang ebd. fol. 2r: „Ea de re ne fideles morte Jhesu deo patri reconciliati a pseudo Apostolis qui operarii sunt subdoli, transfigurantes se in Apostolos Christi, decipiantur et circumferantur omni vento doctrine in nequitia hominum, hac hora dei fauente gratia subiectum plano sermone propositum.“ Dabei vermag Dappen etwa bei der Bilderfeindlichkeit durchaus den Underschied zwischen den reformatorischen Theologen zu erkennen. Vgl. ebd. fol. 23r: „Sed demum modernis temporibus hec heresis per Luderanos est resuscitata, non per ipsum Ludder Quia Carolstadium ymagines destruentem ex Saxonia curauit proscribi. Sed per alios secte sue adherentes. Sed deo fauente in fine eandem reportabant mercedem qualem et superiores etc.“ 428 Siehe oben Kap. 1, Anm. 30; 37; 43.

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und mehr franziskanische Weise folgen.429 Ganz ähnlich wie in diesem Exkurs in der Predigt zur Heiligen- und Bilderverehrung argumentierte Dappen in seinem „Sermon über das klösterliche Leben“, der ganz diesem Thema gewidmet war und den Dappen selbst auf das Jahr 1531 datierte.430 Er ging nun ausdrücklich von den Angriffen der reformatorischen Theologie gegen das traditionell-klösterliche Leben aus: „Mit offenem Maul verkünden ja die Prediger der lutherischen Häresie, die den Ordensstand bekämpfen, wie ich von glaubwürdigen Leuten berichtet bekommen habe, er habe keineswegs in Gott eine Grundlage.“ 431 Dieses Urteil der reformatorischen Prediger und Theologen über den Ordensstand sollte freilich 1531 für Dappen nicht mehr neu und überraschend sein. Denn spätestens seit Luthers Schrift De votis monasticis von 1521/22 erschien für die reformatorische Theologie und ihre Sicht des christlichen Lebens der Ordensstand in seinem traditionell-kirchlichen Verständnis als widergöttlich.432 Aber vielleicht verfasste und hielt Dappen diesen Sermon an einem Ort, an dem die reformatorische Bewegung erst in ihrer ganzen Tragweite für das kirchlich-christliche Leben ankam. Eine eingehendere Auseinandersetzung mit reformatorischer Theologie ist jedoch in Dappens Sermon nicht zu erkennen, er bekräftigte nur erneut die traditionellen Argumente für den Ordensstand, den er hier, ähnlich wie Schwederich, sogar im Alten Testament und erst recht in verschiedenen neutestamentlich bezeugten Lebensformen vorgebildet sah.433 Entscheidend wurde für Dappen letztlich die traditionelle Unterscheidung von Geboten und Räten in den Evangelien, wobei die Räte in besonderer Weise dem Ordensstand zugeordnet wurden: „Zuletzt: Es überliefert Christus einiges im evangelischen Gesetz, was den Ordensstand betrifft. Das sind die evangelischen Räte, die die Ordensleute mit der Unterstützung von Gottes Gnade zu halten beschlossen haben, nämlich die freiwillige Armut, die unbefleckte Keuschheit und den wahren Gehorsam. So ‚bringen sie sich Gott als lebendige, heilige gottgefällige Opfergabe dar‘ [vgl. Röm 12,1]. Indem sie niemals der Sinnenlust leben, dem Reichtum und dem Eigenwillen, insofern verzichten sie insgesamt auf das Andere, nämlich auf die Sorge um die zeitlichen Dinge und die Zuneigung zu ihnen, nichts fördert und vollendet ihren Sinn als nur das Ordensleben. Von der freiwilligen Armut handelt Matthäus 19, wo einer an Christus herantritt und sagt: ‚Meister, was soll ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?‘ [Mt 19,16]. Und weiter: ‚Eines fehlt dir. Geh hin verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben. Dann komm und folge mir nach‘ [Mk 10,21; Lk 18,22]. Von der Ehelosigkeit Matthäus 19[,12]: ‚Manche haben sich selbst zur Ehe unfähig gemacht um des Himmelreiches willen. Wer das erfassen kann, der erfasse es.‘ […] Vom Gehorsam aber Matthäus 16[,24 Vg.]: ‚Wenn jemand mir nachkommen will, verleugne er sich 4 29 Vgl. Smolinsky, Augustin von Alveldt 190–203. Darüber wird später noch eingehender zu sprechen sein. 430 Vgl. Dappen, Bernhard: Sermo de Monastica vita sive religione, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 133v–148v. Siehe Smolinky, Augustin von Alveldt 186 Anm. 109f. 431 Siehe Dappen, Sermo de Monastica vita, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 133v: „Patulo nempe rictu Heresis luderane Concionatores: religiosorum statum impugnantes, vti quorumdam fide dignorum accepi relatu, proclamunt ipsum minime in deum habere fundamentum.“ 432 Vgl. oben Kap. 2, Anm. 50–67. 433 Siehe Dappen, Sermo de Monastica vita, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 133v–141v. Vgl. in Schwederichs Collectaniolum die Articuli 3–6, oben Anm. 348.

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selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.‘ Und er fügt hinzu: ‚täglich‘, Lukas 9[,23] und Markus 8[,34]. Denn das Evangelium reiht aneinander Gebote und Räte. Wenn es Gebote überliefert, spricht es unbedingt, indem es den Übertretern ewige Strafen androht. ‚Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist‘, sagt er, ‚als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen‘ [Mt 5,20]. ‚Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen. Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, um sie zu begehren, der hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen‘ [Mt 5,27 Vg.]. […] Die Räte sind völlig anders überliefert. Den Rat der Armut braucht man unfreiwillig eher nicht zu halten. Keine Strafe drohte er dem an, der den Rat nicht hält, noch legte er ihn unabdingbar auf, sondern er wollte ihn in die Entscheidung des Menschen gestellt haben. Denn er sagt nicht unbedingt: Wenn du nicht verkaufst, was du hast, und es den Armen gibst, kommst du nicht in das Himmelreich. Sondern er gebraucht eine Bedingung: ‚Wenn du vollkommen sein willst‘, sagt er, ‚geh hin, verkaufe, was du hast, und gib es den Armen, dann komm mir zu folgen‘ [vgl. Mt 19,21]. Als er die Enthaltsamkeit anriet, sagte er: ‚Es gibt Eunuchen, die sich verschnitten haben um des Himmelsreiches willen. Wer das erfassen kann, der erfasse es‘ [Mt 19,12]. Auch über den Gehorsam: ‚Wer mir nachkommen will, verleugne sich selbst‘ usw. [Mt 16,24 Vg.]. Dadurch dass er sagt: ‚Wer das erfassen kann, erfasse es‘ und ‚Wer kommen will‘, was dasselbe meint wie vollkommen sein, möchte er ganz deutlich erklären, was weder mit Heilsnotwendigkeit gesagt wird, noch als Gebot gelehrt, noch in der Absicht zu gebieten. Sonst könnten die nicht gerettet werden, die zeitliche Güter haben, die in der Ehe leben oder sich nicht selbst verleugnen. Doch von mehreren, die in Überfülle Reichtum hatten wie Abraham usw., liest man, sie hätten Gott gefallen.“ 434 434 Siehe Dappen, Sermo de Monastica vita, Cod. Guelf. 1096 Helmst., fol. 141v–142r: „Postremo sunt quedam a Christo tradita in lege Euangelica statum religiosorum concernentia, qualia sunt consilia Euangelica que religiosi voto mediante dei gracia suffulti seruare decreuerunt Voluntarium videlicet paupertatem Castitatem illibatam et Obedientiam veram, ut sic se offerant deo hostiam viuentem sanctam deo placentem. Viuere numquam voluptati, diuitijs et proprie voluntati, per hoc abrenuntiant in uniuersum alia, temporalium enim rerum curam et affectum, nihil ita horum animum expedit et absoluit ut religionum vita. De voluntaria paupertate habetur Mathei 19., ubi quidam accedens ad Christum dixit: Magister quid faciam ut habeam vitam eternam. Et infra: Unum tibi deest: Vade quecumque habes, vende et da pauperibus et habebis thesaurum in celo. Et veni et sequere me etc. De celibatu Mathei 19. Sunt eunuchi qui se castrauerunt propter regnum celorum. Qui potest capere capiat. […] De obedientia autem Mathei 16. Si quis vult venire post me, abneget semetipsum et tollat crucem suam et sequatur me. Et addit huic: cottidie, Luce 9. et Marci 8. Hec reuera non precipit sed consuluit relinquendum ea in arbitrio hominum. Euangelium enim in precepta et consilia sertum est. Cum in precepta traderet, absolute loquebatur penas eternas transgressoribus comminando. Nisi abundauerit inquit iustitia vestra plus quam scribarum et phariseorum, non intrabitis in regnum celorum. Audistis quia dictum est antiquis non mechaberis. Ego autem dico vobis, quia omnis qui viderit mulierem ad concupiscendum eam, iam mechatus est eam in corde suo. […] Consilia longe aliter tradita sunt. Consilium paupertatis propensius non inuoluntarie seruanti usui est, neque penam non seruantibus incriminatus est aliquam neque incessanter imposuit, sed in hominis arbitrium situm esse voluit. Non enim dixit absolute: Nisi que habes vendideris erogauerisque egenis, non intrabitis in regnum celorum, sed conditioni usus est: Si – inquit – perfectus esse volueris, vade et vende omnia que habes et da pauperibus et veni sequere me. Continentiam consulens ait: Qui potest capere capiat. De obedientia quoque: Si quis vult venire post me, abnegat semetipsum etc. Per hoc quod dicit: Qui capere capiat. Et si quis vult venire quod idem est quod perfectum esse clarissimum censeat non de necessitate salutis dicta esse nec precepta nec precipiendi animo edocta. Alioquin habentes temporalia bona vel matrimonio existentes aut non abnegantes semetipsos salvari non possent, cum tamen legantur cumplures diuitijs abundantes deo placuisse vt Abraham etc.“ Die

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Dappen fasste also die traditionelle Lehre von den evangelischen Räten zusammen, ohne auf die Einwände dagegen einzugehen, die die reformatorische Theologie – auch infolge negativer Erfahrungen mit dem damaligen traditionellen Ordensleben – dagegen ins Feld führte. Angesichts der Bestreitung des göttlichen Ursprungs des Ordenslebens durch die reformatorische Theologie und Predigt wollte er freilich die evangelischen Räte gerade in der Heiligen Schrift begründen. Für Dappen sind die evangelischen Räte Christi maßgebend in Leben und Tradition der Kirche eingegangen. Sie in diesem traditionell-kirchlichen Verständnis als Lebensform zu übernehmen und zu halten, dazu hatten sich die anerkannten Orden der Kirche freiwillig verpflichtet. So konnte Dappen seine Hörer schließlich fragen: „Sind also darin kaum zu beachten, was wir Räte nennen, von ihm, den Jesaja als ‚Ratgeber‘ oder Boten des großen Ratsschlusses beschreibt [Jes 9,8], der heiligen Kirche hinterlassen, die die anerkannten Orden zu halten, beschlossen hatten usw.?“435 In direkter Konfrontation mit dem lutherischen Gegner stellte Dappen dann die für sein Verständnis des Ordenslebens zentrale Nachahmung des Lebens Jesu Christi heraus: „O schlimmstes Verderben stiftender Lutheraner, das klösterliche Leben ist in der Heiligen Schrift, und nicht auf Sand oder menschliche Erfindung gegründet, sondern auf den festesten Grundstein Christus Jesus, der ‚Weg,Wahrheit und Leben‘ [Joh 14,6] ist. ‚Wer ihm folgt, wandelt nicht in Finsternis‘ [Joh 8,12]. Arm war nämlich der, der sagte: ‚Die Füchse haben ihre Höhlen, die Vögel des Himmels ihre Nester, der Menschensohn aber hat keinen Ort, wohin er sein Haupt legen kann.‘ [Mt 8,20 Vg.]. Keusch, weil er von der Jungfrau [geboren] sehr keusch lebte! Weder befahl er, noch verbot er, noch riet er, eine Frau zu heiraten, sondern eher riet er zur Ehelosigkeit, indem er sagte: ‚Eunuchen, die sich zur Ehe unfähig gemacht haben um [des Himmelreiches] willen.‘ [Mt 19,11] Auch wollte er lieber den Willen eines anderen wissen, weshalb sein Leben lang er dem Vater ‚gehorsam wurde bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz‘ [Phil 2,8].“ 436 Es folgen nun beinahe wörtlich die Gedanken über das Ordensleben, vor allem über die Nachahmung des Gekreuzigten, die Dappen bereits in seinen „Sermon von der Verehrung der Heiligen und ihrer Bilder“ einbrachte.437 Die Reihenfolge, in der die einzelnen Texte in Dappens Manuskript erscheinen, stimmt zwar nicht mit der Reihenfolge überein, in der sie zeitlich nacheinander verfasst wurden.438 Doch wahrscheinlich wurden diese Gedanken von im Text oder am Rande angegebenen Schriftzitate stimmen nicht immer mit dem Vulgata-Text überein. So fehlt etwa in Mk 8,34 das „cottidie“ (täglich). An den hier ausgelassenen Stellen bringt Dappen noch weitere Schriftzitate, etwa zum Rat der Ehelosigkeit ausführliche Zitate aus 1 Kor 7,25f. 38–40. 435 Ebd. fol. 142r: „Sunt igitur in hanc parum attendenda que consilia dicimus ab eo quem Esaias Consiliarius siue magni consilii angelum describit, Ecclesie sancte relicta que religiones approbate habent seruare, decreuerant etc.?“ 436 Ebd. fol. 145rv: „O luderane pestilentissime monasticam vitam in sacris literis et non super arenam vel hominum adinventionem fundatum, immo super lapidem firmissimum Christum Ihesum qui via, veritas et vita est, quem qui sequitur in tenebris non ambulat. Pauper enim fuit, quia inquit vulpes foveas habent et volucres celi nidos, filius autem hominis, ubi caput suum reclinet. Castus quia et de virgine castissime viuens, qui nec precepit nec prohibuit neque consuluit uxorem ducere, sed potius celibatum dicens de illo: Eunuchi qui se castrauerunt propter . Etiam alterius maluit scire voluntatem, quare suam vitam factus est patri obediens usque ad mortem, mortem autem crucis.“ 437 Vgl. oben Anm. 424f. 438 Das zeigt schon der Überblick über die einzelnen Texte der Handschrift bei Smolinsky, Augustin von Alveldt 167f.

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Dappen um 1530 im „Sermon von der Verehrung der Heiligen und ihrer Bilder“ zum ersten Mal entwickelt. Jedenfalls zeigt deren Wiederholung, wie wichtig diese Überlegungen für Dappens Auseinandersetzung mit der Reformation waren. Bei den vielen Themen, die er sonst in seinem Manuskript aufgriff, erscheint wohl gerade hier die existentielle Grundlage und der eigentliche Kern seines Widerstandes gegen die reformatorische Bestreitung der Tradition von Kirche und Orden. Dabei ist die franziskanische Sicht des Ordenslebens, besonders der Ordensarmut, zwar gelegentlich bei Dappen zu erkennen, aber sie wird nicht wie vorher bei Schwederich und erst recht später bei Alveldt breiter entfaltet. Vorher bei Alveldt diente der johanneische Gedanke der gottfeindlichen Welt dazu, um das weltabgeschiedene klösterliche Leben zu verherrlichen und zu verteidigen.439 Aber Dappen begann, die kritische, ja oft feindselige Distanz zum Ordensleben von Seiten der reformatorischen Bewegung mit Hilfe dieses Gedankens zu deuten: „Unausweichlich ist es also: Entweder die Sekte der Lutheraner ist von dieser Welt, oder die Ordensleute, die die Lutheraner als Papisten lästern. Aber es ist klar: Wer ein klösterliches Leben führt, ist nicht von dieser Welt, weil er nicht mit ihr übereinstimmen will und um der Liebe Christi willen schwerste Verfolgungen aushält […] Aber bezeugen nicht die Taten der Lutheraner, dass sie von dieser Welt sind? Ja, das sind sie, das bekennen sie mit dem Mund […] Denn Tag für Tag lästern sie den Weg der Tugend, verdammen die guten Werke und lehren, dass man allein durch den Glauben gerettet werden könne. Christus jedoch sagt, der Menschensohn werde einem jeden vergelten nach seinen Werken.“ 440 In einer bemerkenswerten Wendung wurde für Dappen gerade das reformatorische „sola fide“ (allein aus dem Glauben) der Rechtfertigungsbotschaft zum Kennzeichen der gottfeindlichen Welt. Denn darin sah er im Grunde eine Gegnerschaft nicht nur gegen das Ordensleben, sondern gegen alles tugendhafte Leben, ja gegen alles menschlich-christlich wertvolle Handeln begründet. Dem Grundanliegen der reformatorischen Rechtfertigungslehre konnte Dappen damit nicht auf die Spur kommen, bei der ja der an Christus Glaubende aus gottwidriger Leistungsgesetzlichkeit dieser Welt befreit werden sollte. Dieses verbreitete Missverständnis entwickelte sich bei Dappen, aber wohl nicht nur bei ihm, aus der Erfahrung, dass die reformatorische Botschaft damals oft Folgen zeitigte, die das christliche Ethos nicht nur traditioneller Ordensleute zu bedrohen schienen.441 Insgesamt ging es Dappen allerdings um die traditionelle Lebensordnung in Kirche und Gesellschaft, die er durch die Reformation gefährdet sah. Das versuchte er vor allem in seinem „Sermon über die Beobachtung der kirchlichen Bestimmungen“ zu zeigen, der auf

439 Vgl. schon oben Kap. 2, Anm. 33; 40. 440 Siehe Dappen, Sermo de Monastica vita, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 148r: „Necesse est ergo: Vel sectam luderanorum esse de hoc mundo, Vel religiosos quos luderani blasphemo voce papistas vocant. Sed clarum est quod sub monastica vita degentes non sunt de hoc mundo, quia ei consentire nolunt, sed ob amorem Christi persecutiones sustinent grauissimas [...] Sed numquid Luderanorum opera testantur eos esse de hoc mundo, reuera sit Confitentur enim ore [...] Per eos nempe via virtutis blasphematur cottidie, opera bona damnantes, sola fide homines saluari posse docentes, cum tamen Christus dicit quod filius hominis redditurus sit unicuique iuxta opera sua.“ Dappen bezieht sich hier am Rand auf Mt 16[,27]. 441 Das lässt Dappens weitere Polemik gegen die „Luderanorum opera“ erkennen. Vgl. ebd. fol. 148v.

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1532 datiert ist.442 Nach ihm war eine unangefochtene Autorität und Tradition in der Kirche unerlässlich. Er brachte dagegen zunächst einen verbreiteten Einwand: „Die Apostel freilich, in denen der Heilige Geist sprach (sie waren ja erfüllt vom Heiligen Geist), sie konnten die göttlichen Gebote erklären und, wo nötig, neue hinzufügen. Aber nicht so die Hirten der Kirchen! Denn sie hatten weder die reiche Fülle des Heiligen Geistes noch die Heiligkeit wie die Apostel, sondern degenerierten in vielem von jener Vorzüglichkeit der Tugenden. Darum muss man nicht glauben, ihnen sei Christus beigestanden oder der Heilige Geist gegenwärtig gewesen oder habe ihre Konzilien geleitet usw.“ 443 Dappen meinte dazu: „Alles angenommen, was man hier annimmt, muss man doch verneinen, was man daraus folgert und vorbringt. Wie nämlich an Stelle des seligen Petrus zu ihrer Zeit manch andere Päpste folgten, die mit ihm den gleichen Frieden erlangten, so wurden auch an Stelle der Apostel die Bischöfe der Kirche nachgewählt, die dieselbe Autorität hatten, zu lehren und die Herde des Herrn zu leiten, obwohl den späteren Vorstehern der Kirchen eine geringere Heiligkeit und Vortrefflichkeit der Lehre oder Gnade des Heiligen Geistes zukam. Das nimmt gewiss nicht die Autorität weg, die Kirche zu leiten. Denn sie ist nicht gegründet auf die Heiligkeit des Lebens, die Vorzüglichkeit der Lehre oder Überfülle des Heiligen Geistes, sondern auf die akzeptierte Jurisdiktion und die Bischofsweihe, die im schlechten Vorgesetzten nicht geringer ist als im guten.“ 444 Dappen gab zu, dass den späteren „Vorstehern“ der Kirche nicht dieselbe pneumatische und charismatische Begabung zukommt wie den Aposteln. Aber die Lehrautorität und die Leitungsvollmacht werden dadurch der Kirche nicht genommen, sondern sind auf die späteren Päpste und Bischöfe als Nachfolger der Apostel übergangen. Der besondere Rang der Apostel als Urzeugen der Offenbarung wurde dabei nicht eigens erwähnt. Dappen betonte maßgebend die Autorität zu lehren und die Vollmacht zu leiten, die ungeachtet der geminderten Qualitäten von Leben und Lehre, ja sogar trotz geringerer Gnadengaben des Heiligen Geistes weitergehen. Beide Vollmachten sind unabdingbar mit der apostolischen Sukzession der Bischöfe verbunden. Denn die Lehrautorität unterliegt keinen anderen Bedingungen als die Leitungsvollmacht, ist daher selbst in schlechten Amtsträgern gegeben, wenn sie nur 442 Siehe Dappen, Bernhard: Sermo de ecclesiasticorum constitutionum obseruantia, ebd. fol. 119v–132r. Vgl. dazu Smolinsky, Augustin von Alveldt 167 (n); 172; 185. 443 Siehe Dappen, Sermo de constitutionum obseruantia, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 125v: „Apostoli nempe in quibus Christus et Spiritus sanctus loquebantur (quia repleti Spiritu Sancto) interpretari potuerunt diuina precepta nouaque ubi opus erat addere. Sed pastores ecclesiarum non sic, cum non habebant Spiritus Sancti exuberanciam neque vite sanctitatem vt Apostoli, sed ab illa virtutum excellencia multum degenerauerunt. Quare ne illis Christus astitisse vel Spiritus Sanctus affuisse credendus est, neque illorum direxisse Concilia etc.“ Vgl. dazu Apg 2,4. 444 Siehe ebd. fol. 125v–126r: „Admissis omnibus que hic assumuntur, negandum tamen est omne quod ex eo colligitur et infertur. Quia sicut in loco beati Petri successerunt alij suo quique tempore pontifices summi parem cum illi pacem sortiti, ita et in locum Apostolorum suffecti sunt Ecclesiarum Episcopi eandem habentes docendi auctoritatem docendi [! Wiederholung] ac regendi dominicum gregem, quamuis in posterioribus ecclesie prelatis minor sit sanctitatis ac doctrine prestancia Vel Spiritus Sancti gracia, id certe non adimit auctoritatem gubernande Ecclesie. Quoniam hec potestas nequaquam fundatur in sanctitate vite eminentia doctrine, aut Spiritus Sancti exuberancia, sed in accepta Jurisdictione atque ordine pontificali qui non minor est in malo quam in bono prelato.“

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Jurisdiktion und Bischofsweihe haben. Das aber wurde in der Reformation problematisch, ja schon vorher in Frage gestellt.445 Weshalb Dappen die Lehrautorität der Bischöfe besonders in den Konzilien verteidigte, sagte er schließlich ganz deutlich: „Nimm weg die Autorität der Konzilien und alles in der Kirche wird zweideutig, zweifelhaft und unsicher. Denn bald kehren alle verurteilten Häresien zurück. Und wenn du mit der Schrift gegen sie kämpfst, verwerfen sie bereits ohne Rücksicht auf die Autorität der Kirche die Schrift, die sie wollen. Mit diesem Freibrief verwerfen nun die schlimmstes Verderben bringenden Lutheraner den Jakobusbrief, die Makkabäerbücher und die Apokalypse. Und da sie die Autorität der Konzilien verwerfen, gibt es keinen Weg mehr, Glaubenszweifel zu entscheiden usw.“ 446 Dass man reformatorisch kanonische Bücher nun nicht mehr gelten ließ, sagte Dappen auch an anderer Stelle.447 Doch es wurde für ihn jetzt zum Kennzeichen und zur Argumentationshilfe, wie die reformatorische Kritik an der Autorität der Kirche, des kirchlichen Amtes und besonders der Konzilien all dem, worum es im Glauben geht, den sicheren Boden entzog. Das aber erschütterte nicht nur die Grundlagen der Kirche, sondern auch die der Gesellschaft. Das wurde nach Dappen bereits im Bauernaufstand sichtbar, den er als Folge der reformatorischen Lehre von der evangelischen Freiheit sah: „Es mögen also die Lutheraner den Finger auf ihren Mund legen, die unter dem Vorwand der evangelischen Freiheit die Untertanen zum Kampfe reizen und ermutigen. So waren Müntzer und Karlstadt die Verführer des Volkes, die sich in ihrem verdammenswerten Aufstand gegen die Herren erhoben usw.“ 448 Dappen prangerte in der reformatorischen Lehre die Bedrohung an selbst für die gesellschaftlich-weltliche Herrschaftsordnung. Deshalb empfahl er den ‚Lutheranern‘ zu schweigen, obwohl Luther selbst sogar jede Auflehnung gegen die Herren als fleischliches Missverständnis der evangelischen Freiheit und den gewaltsamen Aufstand der Bauern als blutig zu ahndendes Verbrechen gebrandmarkt hatte.449 Für Dappen waren eben kirchliche und weltlich-gesellschaftliche Ordnung eng miteinander verbunden, wie sie selbst Luther in seiner Zeit nur theologisch voneinander zu unterscheiden wusste.450 In der Situation Dappens und seiner Ordensbrüder, in der ihnen die Reformation nach und nach überall den Boden unter ihren Füßen entzog und ihnen als Ordensleuten kein Existenzrecht mehr zubilligte, war die unbedingte Verteidigung der Tradition und der überkommenen Ordnung von Kirche und Welt eine ganz verständliche Reaktion. Da fehlte einfach die Kraft zu einem differenzierteren Urteil. Wie lange Dappen noch gelebt hat nach seiner letzten Schrift, die von 1532 datiert, 445 Vgl. dazu Schlageter, Die Autorität des kirchlichen Amtes 183–213. 446 Siehe Dappen, Sermo de constitutionum obseruantia, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 127v: „Tollatur Conciliorum auctoritas et omnia in Ecclesia erunt ambigua dubia et incerta. Nam omnes mox redibunt hereses Conciliorum auctoritate damnate. Et si Scripturis contra eos pugnabis iam seclusa auctoritate Ecclesie reijiciunt scripturam quam volent. Licuit modo Luderani pestilentissimi reijciunt Epistolam sancti Jacobi, Machabeorum libros etiam Apocalipsim. Et si auctoritatem Conciliorum reijecerint non est via, dubia decidende in fide etc.“ 447 Vgl. etwa Smolinky, Augustin von Alveldt 171 Anm. 21. 448 So in Dapppens unvollständigem „Sermo de libertate christiana“, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 149v–156r, hier 153r: „Imponant igitur Luderani digitum ori suo, qui subditorum corda prouocant et animant, sub specie libertatis euangelice quales fuerunt Muntzer et Carolstat populi seductores qui se contra dominos in suum damnabile exterminium erexerunt etc.“ 449 Vgl. Schlageter, Die Autorität des kirchlichen Amtes 209–211, bes. Anm. 85f. 450 Vgl. ebd. 209 Anm. 82.

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und nach seiner Abschrift von Alveldts Brief und Kommentar zur Minderbrüder-Regel, die wohl aus demselben Jahr stammt, ist unbekannt. Jedenfalls ist für den Zeitraum danach bisher keine Nachricht über ihn zu finden.

5.9. Augustin von Alveldt Wie Bernhard Dappen war Augustin von Alveldt Observant und Mitglied der 1518 neu entstandenen, observant geprägten Franziskanerprovinz Saxonia S. Crucis. Ihr ordensinterner Bildungsweg mag deshalb ganz ähnlich verlaufen sein, da sie beide 1519 als Lektor in ihren Konventen Jüterbog beziehungsweise Leipzig für die Bildung und Weiterbildung ihrer Brüder zuständig waren und der Weg zu solcher Qualifikation bei observantisch geprägten Franziskanern abseits der damaligen Universitäten nach ordensinternem Reglement verlief.451 Da Alveldt allerdings mit seinen Vorlesungen über den Bereich des eigenen Klosters in die Öffentlichkeit der großen Universitäts- und Handelsstadt Leipzig hinauswirken sollte,452 war ihm 1519 ein viel bedeutsamerer Auftrag anvertraut als dem Lektor und Prediger Dappen im kleineren Jüterbog. Trotz Alveldts sehr betonter Demutshaltung und trotz der Verachtung der reformatorischen Universitätstheologen, der er ausgesetzt war, scheute er sich nicht, frühzeitig den Kampf gegen die Reformation, besonders gegen ihren Initiator Martin Luther selbst, aufzunehmen und weiterzuführen. Das ist bereits ausgiebig behandelt worden.453 In die Auseinandersetzung um die reformatorische Bewegung in Magdeburg, in die seine Brüder dort bald verstrickt wurden, griff Alveldt 1523 mit seiner Rede an den Klerus der Stadt über die wahre und falsche Kirche ein.454 Zu dieser Zeit war er bereits Guardian in Halle,455 hatte sich aber als Kämpfer gegen die Reformation einen Namen gemacht. Da diese für Alveldts Kirchenverständnis wichtige Rede ebenfalls von Smolinsky eingehend untersucht wurde,456 muss diese Analyse hier nicht wiederholt werden. Die Konfrontation war jedenfalls inzwischen so weit fortgeschritten, dass nur noch der erbitterte Kampf möglich schien. Das zeigen weitere Schriften aus Alveldts Zeit als Guardian zu Halle bis 1529. In ihnen verteidigte er reformatorisch bestrittene traditionelle Frömmigkeitsformen, so etwa Heiligsprechung und Heiligenverehrung am Beispiel des damals heiliggesprochenen Benno von Meißen457 wie die 451 Vgl. dazu insgesamt Schlageter, Franziskanische Bildung und Tradition 335–347. 452 Vgl. ebd. 346; 350. 453 Siehe zunächst Alveldts Auseinandersetzung mit Luthers Ansichten zum Papsttum, oben Kap. 1, Anm. 218–277. Vgl. dazu Smolinsky, Augustin von Alveldt 50–87. Bald darauf bekämpfte Alveldt die neue Sakramentenlehre Luthers, besonders die Verteidigung der Kommunion unter beiden Gestalten sowie Luthers Auffassungen von der Beichte und der Ehe. Siehe oben Kap. 1, Anm. 281; 285f.; 293. Vgl. dazu Smolinsky, Augustin von Alveldt 105–143. Auch als der Streit um das Ordensleben eine größere Breitenwirkung erreichte, schaltete sich Alveldt frühzeitig ein, nämlich mit seiner Weimarer Disputation. Siehe oben Kap. 2, Anm. 30–33. Vgl. Smolinsky, Augustin von Alveldt 145f. 454 Siehe oben Kap. 4, Anm. 92–95. 455 Siehe Smolinsky, Augustin von Alveldt 22. 456 Siehe ebd. 87–105. 457 So bei Alveldt: „Wyder den wittenbergischen abtgot Martin Luther“, eine Replik auf Luther Schrift: „Wider den neuen Abgott und alten Teufel, der zu Meißen soll erhoben werden.“ Siehe zum Text selbst Alveldt, Augustin von: Wyder den wittenbergischen abtgot Martin Luther. Dresden 1524: Ed. von Käthe Büschgens. Münster 1926 (Corpus Catholicorum, 11) 4–47; Köhler, Flugschriften Fiche 1026 Nr. 2587. Vgl. Smolinsky, Augustin von Alveldt 144–150.

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Marienfrömmigkeit am Beispiel der marianischen Antiphonen „Salve Regina“ und „Regina coeli“458. Nur handschriftlich überliefert wurde eine Schrift, überschrieben „Loci Communes Alveldiani“, in der sich Alveldt in einer gewissen Anlehnung an Melanchthons „Loci communes rerum theologicarum“459 mit damaligen theologischen Kontroverspunkten beschäftigte, auf die er mit Hilfe der Heiligen Schrift eine katholische, traditionstreue Antwort suchte.460 Dass diese Schrift auf Alveldt zurückgeht, ergibt sich vor allem aus teilweise wörtlichen Anklängen an einen Brief vom 13. März 1529, in dem Alveldt der Fürstin Margarete von Anhalt verschiedene Fragen zur Gnadenlehre erklärte.461 Dort schrieb etwa Alveldt: „Die Vorherbestimmung ist nichts anderes als die beharrliche Eintracht zweier Willen, des göttlichen und des menschlichen, und die Verwerfung die beharrliche Zwietracht eben dieser Willen.“ 462 In den „Loci Communes Alveldiani“ 463 behandelte Alveldt allerdings nicht nur diese und andere Fragen der Gnadenlehre, sondern ein breiteres Spektrum umstrittener Fragen, die vom Priestersein jedes Christen bis zum Läuterungsort (purgatorium) nach dem Tode reich 458 Vgl. ebd. 151–156. Siehe auch zum Text Alveldt, Augustin von: Eyn vorklerunge aus heller Wahrheit ob das ‚Salue Regina Misericordie‘ eyn christlicher Lobgesang sey. Leipzig 1527, 1528: Ed. von Leonhard Lemmens. Münster 1926 (Corpus Catholicorum, 11) 49–88; Köhler, Flugschriften Fiche 780 Nr. 1961. 459 Vgl. Peters, Christian: Loci communes rerum theologicarum […], Philipp Melanchton. In: Lexikon der theologischen Werke. Stuttgart 2003, 478–280. Von welcher der verschiedenen Ausgaben dieser verbreiteten und oft neu bearbeiteten Schrift Melanchthons sich Alveldt zu seinem eigenen Unternehmen anregen ließ, muss aber noch offen bleiben. 460 Die „Loci Communes Alveldiani“ finden sich in der Handschrift „Georg Hs. 113 4o“, fol. 0r–64r, heute: Anhaltinische Landesbücherei Dessau-Roßlau Hauptbibliothek. Die Handschrift wurde bereits kurz beschrieben von Koch, Ernst: Handschriftliche Überlieferungen aus der Reformationszeit in der Stadtbibliothek Dessau. In: Archiv für Reformationsgeschichte 78 (1987) 321–345, hier 340. Besonders aufmerksam machte auf diesen Text Alveldts Smolinsky, Heribert: Aspekte altgläubiger Theologie im albertinischen Sachsen der Reformationszeit bis 1542. In: Herbergen der Christenheit. Jahrbuch für deutsche Kirchengeschichte 18 (1993/94) 29–43, hier 32 Anm. 9. Vgl. auch Schlageter, Johannes: Kontroverstheologische „Loci Communes“ des Franziskaners Augustin von Alveldt. In: WiWei 74 (2011) 16–54. 461 Vgl. Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 41–43. Die Söhne der Fürstin Margarete von Anhalt gingen nach dem Tod ihrer Mutter 1530 zur Reformation über. Fürst Georg III. von Anhalt (1507–1553), obwohl ursprünglich katholischer Geistlicher und sogar Domprobst zu Magdeburg, wurde 1534 zum Reformator von Anhalt-Dessau, 1544 zum lutherischen Bischof-Koadjutor von Merseburg. Zu Georg III. von Anhalt, dem Gottseligen, vgl. BBKL 2, 210f. In der von ihm stammenden Büchersammlung wurden die „Loci Communes Alveldiani“ später tradiert. Es bedürfte einer eigenen Untersuchung, um die Überlieferung dieses Textes genauer zu klären. Aber angesichts der bereits erkennbaren Fehlschreibungen und Missverständnisse dieser Überlieferung in der einzigen bisher vorliegenden, vermutlich relativ späten Abschrift dürfte es zeitraubend und schwierig werden, eine Textfassung zur rekonstruieren, die dem ursprünglichen Text Alveldts nahe kommt. 462 Vgl. Lemmens, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen 43: „Predestinatio nil aliud est nisi duarum voluntatum divine et humane perseverans concordia. Et reprobatio: earundem voluntatem [?voluntatum!] perseverans discordia.“ Vgl. dazu Alveldt, Loci Communes, fol. 2rv: „Predestinatio aliud esse non potest et est quam duarum voluntatum concordia, nempe diuina et humana, atque ex opposito reprobatio aliud non est quam duarum voluntatum discordia.“ 463 Auf einem noch ungezählten Blatt recto (also fol. 0r) der Handschrift steht der Titel der Schrift „Loci Communes Alveldiani“ mit einer Bemerkung zu ihrer Methode: „Optimus modus soluendi per distinctiones [Die beste Weise, (Fragen) zu lösen durch Unterscheidungen]“ sowie mit einem Zitat aus einem Brief Cyprians von Karthago an Cornelius von Rom, das Alveldt der Ausgabe von Cyprians Briefen durch Erasmus von Rotterdam (Basel 1520) entnahm. Dieses Zitat erklärte das Entstehen von Irrlehren und Kirchenspaltungen aus dem Ungehorsam gegenüber dem „Priester Gottes“, nämlich dem rechtmäßigen Bischof. Vgl. Cyprianus, Caelius: Epistolarium. Epistola 59 nr. V/1. In: Opera Pars III/2, Ed. G. F. Diercks. Turnhout 1996 (Corpus

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ten.464 Nach scholastischer Manier stellte Alveldt zu Beginn seiner jeweiligen Erörterungen zunächst die traditionelle theologische Sicht in Frage (Questio) mit einer kurzen reformatorischen Begründung, brachte dann Gegenargumente (Repugnantia) und schloss mit seiner „Lösung“ (solutio). Das Besondere ist, dass Alveldt seine Argumentation, gerade in den Gegenargumenten und in der Lösung, allein aus der Heiligen Schrift zu führen versuchte. Diese Erörterungen konnten noch nicht genauer analysiert werden, da die Textüberlieferung der vorliegenden, wohl Mitte des 16. Jahrhunderts erstellten Abschrift von Alveldts „Loci Communes“ erst hinreichend geklärt werden muss. Als es bei der Diskussion um den Läuterungsort („11. De purgatorio“) um den Kanon der Heiligen Schrift selbst ging, führte Alveldt für den tradierten biblischen Kanon ein Konzil von Nizäa und einen entsprechenden Text des Augustinus an. Denn es stand hier die Frage an, ob die Makkabäerbücher, obwohl man das in Wittenberg bestritten hatte, zum Kanon der Heiligen Schrift gehörten. Diese Frage zum Kanon der Heiligen Schrift gibt bereits einen guten Eindruck von Alveldts Argumentation. Alveldt berief sich für die traditionelle Lehre vom Läuterungsort auf 2 Makk 12,39–45, wo Judas der Makkabäer für jene in der Schlacht Getöteten beten ließ, die sich mit heidnischen Amuletten verfehlt hatten und nun von ihren Sünden befreit werden sollten.465 Doch dagegen gab es einen reformatorischen Einspruch: „Dem stehen die Lutheraner entgegen. Wir nehmen die Makkabäerbücher nicht an, sagen sie, da sie nicht aus dem Kanon der Juden stammen. Dazu: Also stammt das ganze Neue Testament nicht aus dem Kanon der Juden. Gehört es daher nicht zum Kanon der Kirche der Christen? Ganz abwegig! Die katholische und apostolische Kirche, die in die Autorität des Kanons die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes aufnahm, indem sie andere Schriftsteller verwarf, eben diese hat in den Kanon der Heiligen Schrift die Makkabäerbücher aufgenommen. Das erweist jenes heilige Konzil von Nizäa, das anordnete, die Geschichte der Makkabäer um den Oktoberanfang im Tempel Gottes aufzulegen.466 Und Augustinus bezeugt im 18. Buch ‚Über die Gottesstadt‘ Kapitel 36,467 die Makkabäerbücher gehören zu den kanonischen Schriften, die die Kirche aufnahm. Aber die Lutheraner sagen: Unsere Kirche von Wittenberg mit ihrem Kirchenmann Martin Luther nahm die Makkabäerbücher nicht auf. Dazu: Die Kirche der Manichäer nahm weder die Bücher des Mose, noch die Propheten, noch Matthäus, noch Lukas, noch die Apostelgeschichte auf. Gehören sie deshalb nicht zum Kanon? Ganz abwegig! Sie sollen Teil haben an der im Geiste universalen katholischen Kirche, da als Teilkirche die häretische Kirche von Wittenberg nicht universal ist. Sie hat auch Christianorum Series Latina, 3c) 344,129–132. Siehe hier die Text-Varianten der Ausgabe des Erasmus von Rotterdam, die bei Alveldt ebenfalls auftauchten. 464 Auf dem ungezählten Blatt der Handschrift folgt verso (also fol. 0v) die Aufzählung der behandelten 11 Kontroverspunkte: „Index questionum. 1. Omnia ex necessitate eveniunt. 2. Omnis christianus est sacerdos. 3. Soli deo corde est confitendum. 4. Sola fides iustificat. 5. Non est liberum arbitrium. 6. Liber est homo christianus. 7. De ieiunio. 8. Omne opus bonum peccatum est. 9. Papa an caput ecclesie. 10. Missa est sacrificium. 11. De purgatorio.“ In diesem „Index“ ist nicht zu erkennen, dass bei jedem der genannten Punkte die traditionelle katholische Lehre zunächst in Frage gestellt wird. 465 Vgl. Alveldt, Loci Communes, fol. 57rv. 466 Auf welche Konzilstradition von Nizäa sich Alveldt hier bezog, konnte nicht geklärt werden. Zur Anerkennung der Makkabäerbücher als kanonischer Schrift vgl. DH nr. 179 (‚Decretum Damasi‘), nr. 186 (3. Synode von Karthago 397); nr. 1502 (Konzil von Trient 1546). 467 Vgl. Augustinus, Aurelius: De Civitate Dei lib. 18, cap. 36 (CSEL 40/2, 326,1–6).

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kein universales Konzil gehalten, von dem alles im Christentum anzuordnen ist durch gemeinsame Übereinstimmung aller Gläubigen. Also hat sie einen falschen Kanon, so dass sie häretisch, widerspenstig und mutwillig ist. Die katholische und apostolische Kirche aber verlässt jene Heiligen Schriften nicht, die sie in den Kanon aufgenommen hat.“ 468 So sehr also Alveldt Wert legte auf die Heilige Schrift, maßgebend war und blieb für ihn die universale Kirche, die die kanonische Autorität der biblischen Schriften erst festgelegt und deren gültiges traditionelles Verständnis definiert hat. Das lässt sich in den Erörterungen seiner „Loci Communes“ erkennen, so sehr sich Alveldt anscheinend auf Gedankengänge der reformatorischen Gegenseite einzulassen versuchte. 1529 wurde Alveldt zum Provinzialminister der Saxonia S. Crucis gewählt, und er konnte in den bedrängenden Jahren seines Amtes die literarische Tätigkeit gegen die Reformation kaum fortsetzen.469 Während dieser Zeit kämpfte Alveldt für die bedrohten Klöster seiner Provinz. In diesen Zusammenhang gehörte seine Schrift an den damaligen Bürgermeister zu Chemnitz, Hieronymus Schütz, in der er zusammen mit einer Erklärung des Bußpsalms „Miserere mei“ (Ps. 51 beziehungsweise 50 Vg.) die tradierte Form des Begräbnisses verständlich machen und verteidigen wollte.470 Von besonderem Interesse für die theologische Begegnung von Franziskanern mit der Reformation sind jedoch die letzten Schriften Alveldts, die er nach Ende seiner Amtszeit als Provinzialminister ab 1532 verfasste und die erst Smolinsky eingehend besprochen hat.471 Denn was Alveldt 1532 zur Minderbrüder-Regel und 1535 zu einer Klarissen-Regel schrieb, verteidigte gegen die reformatorische Kritik, konzentrierter und theologisch eingehender als irgendeine andere franziskanische Schrift aus der Saxonia, die franziskanische Lebensform in ihrer grundlegenden Ausprägung. Mit einem Brief, den bereits Lemmens ediert hat, wandte sich Alveldt an seine Brüder: „Augustin von Alveldt den Brüdern der Kirche der Minderen Heil.“472 Mit dieser eigentümlichen Anrede wollte Alveldt gewiss nicht die Minderbrüder als eine gesonderte Kirche behaupten. Er meinte wohl, dass sie Kirche, rechtgläubige 468 Alveldt, Loci Communes, fol. 58r–59r: „Obstant hic Luterani: Non accipimus, inquiunt, libros Machabeorum, cum non sunt de canone Iudeorum. Ad quod: Ergo totum Testamentum Nouum non est de canone Iudeorum. Numquid ob id de canone ecclesie christianorum non est? Absit! Ecclesia catholica et apostolica que in canonis auctoritatem quatuor Euangelistas Matheum, Marcum, Lucam et Iohannem suscepit, ceteris scribentibus abiectis, hec eadem in Canone Sanctarum Scripturarum libros Machabeorum suscepit. Probat illud sacrum concilium Nicenum, quod subordinauit historiam Machabeorum in templo dei imponendam circa kalendas Octobris. Et Augustinus 18. Ciuitate dei capite 36. libros Machabeorum esse de canonicis scripturis que ecclesia suscepit, contestatur. Sed dicunt Lutherani: Ecclesia nostra Wittenbergensis cum ecclesiastico suo Martino Luthero non suscepit libros Machabeorum. Ad hoc: Ecclesia Manicheorum non suscepit libros Moysi, non Prophetas, non Matheum, non Lucam, non Acta apostolica. Numquid propterea non sunt de canone? Absit! Que participanda ecclesie catholice Spiritu vniuersalis, cum ecclesia particularis heretica Ecclesia Wittenbergensis vniuersalis non est. Neque concilium vniuersale celebrauit, in quo cuncte subordinande sit in Christianismo per consensum communem omnium fidelium. Habet ergo canonem falsum, vt sit heretica, rebellis et proterua. Catholica autem et apostolica ecclesia non desereret scripturas illas sacras, quas in canone suscepit.“ 469 Vgl. Lemmens, P. Augustin 91–94. 470 Vgl. Smolinsky, Augustin von Alveldt 157–166; Lemmens, P. Augustin 94–98. 471 Siehe Smolinsky, Augustin von Alveldt 190–220. 472 „Augustinus Alueldianus fratribus Ecclesie Minorum Salutem.“ So nach der Handschrift Dappens in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 246r. Ediert wurde der Brief nach dieser Handschrift zuerst von Lemmens, Niedersächsische Franziskanerklöster 43 Anm. 2; ders., P. Augustin 104.

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Gemeinschaft sind gerade in der Treue zu ihrer kirchlich anerkannten Regel. In seinem Brief betonte Alveldt vor allem den evangeliumsgemäßen Gehalt der Regel, den er seinen Brüdern vor allem aufzeigen wollte und der Franziskus selbst zu verdanken ist.473 Es geht um die „Bruchstücke des Evangeliums“, „die ihr hier seht, aus denen der liebenswerte Vater, der heilige Franziskus, vom Lehramt des Heiligen Geistes belehrt, wie aus vernachlässigten Brosamen, die Regel machte, wahrhaft Brot des Evangeliums, Brot der Wahrheit, des Lebens, der Gerechtigkeit und der Lehre.“ 474 An der Stellung zur Regel sollte sich daher das künftige Heils- und Unheilsgeschick zumindest der Brüder entscheiden. Denn sie hatte Alveldt vor allem im Blick, wenn er schrieb: „Wenn jemand es [dieses Brot] annimmt, isst und im Leben bewahrt, wird er in Ewigkeit nicht sterben, sondern wie das sehr gute Erdreich dreißigfache, sechzigfache oder hundertfache Frucht bringen. Wer aber im Verkosten dieses Brotes darüber murren und es wegwerfen sollte wie ein wählerischer Reicher, der wird nicht nur leer weggeschickt, sondern mit der Lepra des Fluches und der Ungerechtigheit verstoßen. So ist auch das Erdreich, das öfters vom Regen getränkt wurde, aber Disteln und Dornen hervorbringt, vom Fluch bedroht, und sein Ende ist die Vernichtung durch Feuer.“ 475 Weil Alveldt von der grundlegenden Identität von Regel und Evangelium überzeugt war, konnte er ihren evangeliumsgemäßen Gehalt als „Brot des Lebens“ geradezu mit Jesus Christus, mit dem Wort Gottes selbst, gleichsetzen. Das ist eine metaphorische, ja hyperbolische Redeweise, die aber als pastorale Ermutigung, Ermahnung und Warnung für seine Brüder verständlich ist. Obwohl Alveldt in der Zeit der frühen Reformation die Distanzierung etlicher Brüder von ihrer franziskanischen Regel und Lebensform erlebte und sie mit im Blick hat, so traute er es seinen verbliebenen Brüdern als seinen eigentlichen Adressaten doch zu, dass sie ihren Gelübden treu bleiben: „Ich vertraue aber auf euch, geliebteste Brüder: Ihr werdet die Gelübde, die euere Lippen versprochen haben, dem Herrn, euerem Gott erfüllen. Er selbst nämlich, der in Euch das Wollen begann, wird euch auch zweifellos das Vollbringen

473 Damit wies Alveldt schon auf den folgenden Kommentar hin, in dem gerade der evangeliumsgemäße Gehalt der Minderbrüder-Regel, genauer der Regula bullata, behandelt wurde. Vgl. dazu Smolinsky, Augustin von Alveldt 190f. Die Verfassserschaft Alveldts auch bezüglich des Kommentars zur Minderbrüder-Regel wird bei Smolinsky überzeugend nachgewiesen, ebd. 191–194. 474 Siehe insgesamt Alveldt, Augustin von: Augustinus Alueldianus fratribus Ecclesie Minorum, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 246r: „Obsecro vos fratres per misericordiam dei et mansuetudinem domini nostri Jhesu Christi, Fragmenta colligite Euangelii que hic cernitis, e quibus dulcis pater sanctus Franciscus spiritus sancti edoctus magisterio, tanquam ex neglectis micis, regulam confecit vere panem Euangelicum panem veritatis, vite, iusticie atque doctrine.“ 475 Ebd.: „Quem si quis acceperit et manducauerit et viuendo obseruauerit, non morietur in eternum, sed sicut terra optima, alium centesimum [! tricesimum (Vg.)], alium sexagesimum, alium centesimum referet fructum. Qui vero panem hunc gustando murmurat spreueritque velud [!] diues fastidiosus, non solum dimittitur inanis, sed maledictionis et iniquitatis lepra profunditur, quemadmodum terra sepius ymbre perfusa, tribulos et ramnos proferens maledicto proxima, cuius consummatio in combustionem.“ Am Rande wird verwiesen auf Mk 4,8; Lk 8,8 sowie auf Hebr 6,7f. Diese Verweise auf den Vulgata-Text der Heiligen Schrift meinten aber nicht immer wörtliche Zitate, sondern oft freie Anknüpfungen an den Schrifttext. Beim Gleichnis vom Sämann wäre sogar eher als auf Lk 8,8 auf Mt 13,23 angespielt. Die Anspielung auf Lk 2,53 („et divites dimisit inanes“) wurde gar nicht angezeigt. Vielleicht stammten diese Hinweise am Rand ursprünglich gar nicht alle von Alveldt, sondern wurden vom Abschreiber Dappen teilweise später hinzugefügt.

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geben.“ 476 Alveldts Vertrauen richtete sich also eigentlich nicht auf seine Brüder, sondern auf Gott selbst, der das von ihm Begonnene zur Vollendung bringen wird. Die Frage, weshalb die zur Reformation übergegangenen Brüder die Gnadengabe Gottes nicht so sehen und erleben konnten, stellte sich für Alveldt anscheinend nicht. Vermutlich sah er darin allein die Schuld dieser Brüder, wie er das schon andeutete. Sie haben zwar das „Brot des Evangeliums“ in ihrer Ordensregel verkostet, aber es wie ein übersättigter Reicher murrend weggeworfen. Konkret dürfte Alveldt besonders jene ehemaligen Brüder im Sinn haben, die sich ausdrücklich mit der Minderbrüder-Regel auseinandergesetzt haben, wie François Lambert und Johann Eberlin.477 Es ist freilich weniger die differenziertere Stellungnahme Lamberts zur MinderbrüderRegel als vielmehr die eher grobe Abrechnung Eberlins mit seiner früheren Lebensform, auf die sich Alveldt dann in seiner „Frage“ zur „Regel der Minderbrüder“ bezog: „Ob die Regel der Minderbrüder das Evangelium Christi ist, und auf welche Weise: ob eher aus dem Evangelium genommen oder im Evangelium enthalten; und wo?“ 478 Denn eben diese Identität von Evangelium und Regel hatte Eberlin schlechthin abgestritten.479 Gegen einen solchen Angriff richten sich Alveldts Überlegungen zur Regula bullata seines Ordens: „Wer die Wahrheit des Lebens, der Lehre und der Gerechtigkeit sucht und liebt, kann überhaupt nicht bestreiten, die Regel der Minderbrüder wäre das Evangelium Christi, miteinbegriffen in dessen Evangelium und aus ihm genommen. Die Widersacher und Verleumder aber, die einem verkehrten Sinn ausgeliefert sind, scheuen sich nicht, eine offenkundige, deutlich angezeigte Wahrheit zu verleugnen, oder sie leugnen wenigstens böswillig, sie zu sehen oder zu verstehen. Gegen ihre Unsinnigkeit und gottwidrige Torheit will ich die aufgeworfene Frage diskutieren. ‚Nicht möchte ich den Toren entsprechend ihrer Torheit antworten, damit ich ihnen nicht gleich werde. Und trotzdem möchte ich den Toren entsprechend ihrer Torheit antworten, damit sie sich nicht weise vorkommen‘, damit so auch die betrügerischen Lippen verstummen und die hasserfüllten Reden verschwinden.“ 480 476 Siehe ebd.: „Confido autem de vobis fratres charissimi, quod vota que distinxerunt labia vestra reddetis domino deo vestro, qui enim incepit in vobis velle, ipse dubio procul dabit etiam perficere.“ Am Rande wird hier auf Ps 65 verwiesen, gemeint ist Ps 65,13f. Vg. beziehungsweise Ps 66,13f. EÜ. Auch hier handelte es sich um eine Anknüpfung an das, was der Beter des Psalmes von sich selbst sagt: „reddam tibi vota mea quae distinxerunt labia mea“. 477 Auf sie verwies auch Smolinsky, Augustin von Alveldt 194 Anm. 158. Zu Lamberts und Eberlins reformatorischem Verständnis der Regula Bullata, vgl. oben Kap. 3, Anm. 66–90; 122–124. Siehe auch Schlageter, Die geschichtlichen Quellen zu Franziskus und Klara 403–410. 478 Siehe ingesamt Alveldt, Augustin von: Questio Utrum Regula fratrum Minorum sit Euangelium Christi, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 246v: „Questio. Utrum Regula Fratrum Minorum sit Euangelium Christi, et quomodo: an potius ex euangelio desumpta, vel in Euangelio contenta, Et Vbi.“ Die Zeichensetzung folgt eher heutigen Formen als denen von Dappens Autograph, die mit den geläufigen Schreibprogrammen nicht einfach zu reproduzieren sind und zudem nicht selten fragwürdig erscheinen. 479 Vgl. Smolinsky, Augustin von Alveldt 194 Anm. 158. 480 Siehe Alveldt, Questio Utrum Regula, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 246v. Alveldts „Solutio questionis“, sein „Lösungsansatz“ beginnt: „Qui veritatem vite, doctrine, iustitieque, querunt et diligunt, ambigere nequaquam possunt Minorum fratrum Regulam Euangelium fore Christi, comprehensumque in eius Euangelio, et ex eo desumptum. Obtrectatores vero et criminatores qui reprobum dati sunt sensum, etiam apertam digito ostensam veritatem, negare non verentur vel saltem maliciose se videre dissimilant vel intelligere. Ob illorum igitur insaniam et impietatem stultam discutere questionem motam volo, non ut respondeam stultis iuxta

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Die böswillige Bestreitung des evangeliumsgemäßen Gehalts der Regel bringt also Alveldt dazu, auf die aufgeworfene Frage einzugehen. Weil er in solcher Bestreitung nur „Unsinnigkeit und gottwidrige Torheit“ am Werk sah, wollte Alveldt mit den Widersachern nicht von gleich zu gleich diskutieren, sondern will ihnen nur ihre Torheit nachweisen, um sie zum Verstummen zu bringen. Im Hinweis auf den scheinbar widersprüchlichen Rat aus Spr 26,4f. sah er die Gegner nicht als Gesprächspartner, auf deren Argumente ernsthaft einzugehen wäre, sondern als Leute, die man nur in ihrem Abfall von der „Wahrheit des Lebens, der Lehre und der Gerechtigkeit“ bloßstellen und als gottwidrige Toren aus dem Gespräch ausschließen kann. Das prägte hier von Anfang an Alveldts Methode und Stil einer Abrechnung, die jedoch selbst wahrheitsgemäß und vernünftig argumentieren möchte, um so ihr Ziel zu erreichen, nämlich die Bekräftigung der überkommenen Lebensform. Der grundlegende Wahrheitsmaßstab blieb für Alveldt die traditionelle Lehre seiner Kirche und seines Ordens, in der Art und Weise, wie darin das Evangelium Jesu Christi verstanden wurde. Denn es durfte sich nicht um eine Identität von Regel und Evangelium in bloßen Buchstaben („litteraliter“), Worten („verbaliter“) oder Sätzen („sententialiter“) handeln. Den Lösungsansatz, dem Alveldt letztlich selbst folgen wollte, kennzeichnete er als eine weitere Weise, diese Identität zu verstehen: „Auf eine vierte Weise ist es zuletzt katholisch und gottgemäß, nämlich wahrheitsgemäß („veraciter“): „Die Regel der Minderbrüder ist ja der Wahrheit entsprechend im Evangelium begründet, das ist überaus bekannt. Alles Wahre nämlich passt zusammen oder stimmt überein mit dem Wahren. Was aber keine Wahrheit hat, hat überhaupt keine Übereinstimmung. So ist das Evangelium des Matthäus in Markus, Lukas und Johannes; das Evangelium des Markus ist in Matthäus, Lukas und Johannes; das Evangelium des Lukas ist in Matthäus, Markus und Johannes; das Evangelium des Johannes in Matthäus, Markus und Lukas. In Bezug auf die Wahrheit nämlich, die sie von Christus zu schreiben im Sinn hatten, obwohl der eine mehr oder ein anderer weniger schrieb oder andere Worte und Sätze gebrauchte! Als der heilige Vater Franziskus Christus nachahmen wollte, stellte er so seine Regel zur Beobachtung des heiligen Evangeliums Christi zusammen, die entsprechend der ganz offenkundigen Wahrheit im Evangelium der vier Evangelisten begründet und enthalten ist. Mögen auch noch so sehr die ganz verderblichen Lutheraner sich wie Unsinnige dagegen wehren: ‚Die Wahrheit des Herrn bleibt in Ewigkeit‘, Ps. 116.“ 481 Die wesentliche Identität in der Wahrheit des Evangeliums Christi bei allem, was die vier Evangelisten von Jesus Christus zu schreiben im Sinn hatten, konnte Alveldt als gemeinsame Überzeugung seinen Gegnern entgegenhalten. Doch seine weitere These, die Minderbrüderstultitiam illorum, ne similis eis efficiar. Et nihilosetius respondeam stultis iuxta stultitiam eorum, ne sibi sapientes esse videantur, ac sic muta fiant labia dolosa, odiique sermones euanescant.“ Verweis am Rande auf Spr 26[,4f]! 481 Siehe insgesamt ebd. fol. 248r: „Quartum postremo catholicum est et pium, videlicet veraciter, hoc est, Regulam Minorum fratrum secundum veritatem in Euangelio Christi esse fundatam, notissimum est. Omne nempe verum quadrat seu consonat vero. Quod autem veritate caret, consonantiam minime habet. Quemadmodum igitur Euangelium Mathei in Marco, Luca et Johanne, Et Euangelium Marci in Matheo, Luca et Johanne, Et Euangelium Luce in Matheo, Marco et Johanne, Et Euangelium Johannis in Matheo, Luca et Marco est quo ad veritatem, quam de Christo scribere intenderunt, cum alius minus, alius aut magis scripserint aut aliis vocibus vsus sit vel sententiis, Sic sanctus pater Franciscus imitari volens Christum collegit Regulam ad obseruandum sacrum Christi Euangelium que secundum notissimam veritatem in Euangelio quattuor Euangelistarum est fundata et contenta, quantumlibet Luderani pestilentissimi vt insani recalcitrent. Veritas enim domini manet in eternum, Ps. 116.“ Übersetzt ist hier nach Ps 116,2 Vg. Vgl. dazu die etwas andere Version in Ps 117,2 EÜ.

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Regel sei genauso – trotz unterschiedlicher Redeweisen – mit dem einen Evangelium Christi bei den vier Evangelisten identisch, war eine für die Gegner keineswegs einleuchtende Behauptung. Diese mangelnde Einsicht musste Alveldt als unsinnige Abwehr einer nach ihm bekannten Wahrheit kennzeichnen. Weil ihm das vor aller Argumentation feststand, konnte er die Vorstellung seines Lösungsansatzes so abschließen: „Damit aber die trügerischen Lippen derer verstummen, die gegen den Gerechten, nämlich Franziskus, Unrecht reden in Hochmut und Verachtung, die mit hasserfüllten Reden den Kleinen Ärgernis geben, habe ich diese kurze Arbeit auf mich genommen. Sie leitet die Regel der Minderbrüder aus dem Evangelium Christi her, nicht dem Wortlaut nach, was dumm ist, nicht dem Buchstaben nach, was kindisch ist, nicht dem Satz nach, was ich als gottwidrig erwiesen habe, sondern in Bezug auf seine ganz unversehrte und völlig ungetrübte Wahrheit, was wahrhaft katholisch ist. Damit das klarer wird, führe ich zuerst Christus ins Licht, der das Evangelium verkündet, dann Franziskus, der nachahmt, zuletzt die Wahrheit, die alles zusammenfügt usw.“482 Die Wahrheit des Evangeliums Christi, die für Alveldt in der Regel seines Ordens unverkürzt und authentisch zum Ausdruck kommt, sie wollte er in seiner Arbeit jedenfalls ans Licht bringen. Denn dazu forderte ihn die reformatorische Kritik an Franziskus und seiner Lebensform heraus. Gerade in der Gestalt von Eberlins Abrechnung mit seiner früheren franziskanischen Lebensform schien sie ja kaum noch etwas Gutes an Franziskus und seiner Regel übrig zu lassen, schon gar nicht eine Entsprechung mit dem Evangelium Jesu Christi. Gegen eine solch undifferenzierte, grobschlächtige Kritik konnte Alveldt leichter seine wenig differenzierte Gleichsetzung von Evangelium Jesu Christi und Minderbrüder-Regel vorbringen. Ließe er die differenzierteren Äußerungen etwa von Luther selbst und von Lambert zu Wort kommen, müsste er sich ernsthafter damit auseinandersetzen. Aber darum ging es Alveldt gar nicht. Für den Hausgebrauch seiner Brüder genügte es, die Gegner einfach abzuschmettern sowie den verkündigenden Christus mit seiner Nachahmung durch Franziskus so zusammenzubringen, dass in dieser Zusammenfügung die eine und selbe Wahrheit des Evangeliums Christi zu erkennen war. Weil Alveldt das in einleuchtender Klarheit in seinem Werk verwirklicht sah, sprach er mit einer großen Selbstsicherheit und Sendungsgewissheit. Der Wahrheit Christi eher angemessen war nach Alveldts Wort „an den Leser“ sogar der „einfache und unausgefeilte Stil“ seiner eigenen Darlegungen: „Ich bitte dich schließlich inständig, aufrichtiger Leser. Der einfache und unausgefeilte Stil werde dir nicht zum Abscheu! Denn Christus, Gottes Weisheit und Gottes Kraft für die Berufenen selbst, Juden und Griechen, wurde in Windeln gewickelt in eine Krippe gelegt, wahrhaft ein verborgener Gott, der zur Torheit machte die Weisheit und Klugheit 482 Ebd. fol. 248rv: „Vt autem muta fiant labia dolosa que loquuntur aduersus iustum videlicet Franciscum iniquitatem in superbia et abusione qui sermonibus odii pusillos scandalizant, hunc breuem assumpsi laborem, traducendi fratrum Minorum regulam ex Euangelio Christi, non vocaliter quod stolidum est, nec litteraliter quod pueriliter est, neque sententialiter, quod impium comprobaui, sed quo ad eius integerrimam sincerissimamque veritatem, quod catholicum est. Quod vt fuit clarius Inprimis Christum euangelizantem in lucem adducam, Deinde Franciscum imitantem, Postremo veritatem omnia quadrantem etc.“ Vgl. Ps 30,19 Vg.; Ps 31,19 EÜ. – Zumindest in dem Wort „quadrantem“ erinnert dieses Konzept Alveldts an Kaspar Schatzgeyers frühere und sehr ausführliche Verteidigung des Ordenslebens sowie des franziskanischen Lebens gegen Lambert und Eberlin in seiner Schrift De vita christiana et monastici instituti ad eam optima quadratura (Augsburg ca. 1525; Köhler, Flugschriften Fiche 1795/97 Nr. 4603).

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dieser Welt, dem es jedoch gefiel, durch die Torheit der Verkündigung die Glaubenden zu retten.“ 483 Darin glaubte sich Alveldt ganz im Einklang mit der Heiligen Schrift, was er noch mit einem Zitat aus Lactantius unterstreicht: „Wir sehen ja auch die Heilige Schrift in einem einfachen Stil überliefert. Denn es ist nicht Gottes Sache zu argumentieren, sondern Wahres zu verkündigen, nach Lactantius, im 2. Buch ‚Über das höchste Gut‘.“ 484 Ähnlich wie vorher die Franziskaner zu Magdeburg in ihrer Darstellung der franziskanischen Lebensform anhand der Regula bullata,485 entfaltete Alveldt in einem Vorwort zu seiner Regelerklärung seine Leitgedanken zum Ordensleben überhaupt. Es entspricht Jesus Christus, da er in seinem Leben und in seiner Lehre die Missachtung der Welt geboten hat, soweit sie unter der Macht des Bösen steht: „Christus, Gottes und der Jungfrau Mariens Sohn, wahrhaft Gott und Mensch, gesandt vom Vater der Lichter, kam in diese Welt, damit die Welt durch ihn gerettet werde. Daher stellte er eine nachahmenswerte Heerschar auf gegen die verdammenswerte Bosheit dieser Welt. Wie sie unter der Macht des Bösen steht, da alles in der Welt ja Begierde des Fleisches, Begierde der Augen oder Hochmut des Lebens ist, so begann Christus zu tun und zu lehren, er lebte und lehrte die Missachtung der Welt und von allem in ihr. Denn durch seine äußerste Armut lehnte er ab ihren Stolz, nämlich Reichtum, Ehre und Herrlichkeit. Durch seine Keuschheit floh er die sehr gefeierten Ergötzungen der Welt, auch des Fleisches Unzucht und deren Wollust. Er verleugnete auch seinen rechten und heiligen Willen. Denn er sagte: Ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu tun, um gehorsam zu sein bis zum Tod am Kreuz, gegen den Hochmut der Welt und deren abscheuliche Überhebung. O Christenmensch, der du den Christennamen von Christus entliehst, aber dessen Leben nicht nachahmst, zu welchem Herrn magst du dich bekennen? Wer nämlich sagt, er bleibe in Christus, muss auch dessen Weg gehen, wie Er ihn gegangen ist.“ 486 483 Siehe insgesamt Alveldt, Questio Utrum Regula, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 248v: „Ad lectorem. Obsecro demum, mi candide lector, ne tibi sordescat stilus simplex et inpolitus, quia Christus, Dei sapientia et dei virtus ipsis vocatis Iudeis et Grecis, pannis inuolutus reclinabatur in presepio, vere deus absconditus, qui stultum fecit huius mundi sapientiam et prudentiam, tamen per stultitiam predicationis placuit saluos facere credentes.” Alveldt knüpfte hier ziemlich willkürlich an Schriftstellen an, auf die am Rande hingewiesen wird. Vgl. 1 Kor 1,21. 24; Lk 2,7; Jes 45,15. 484 Siehe ebd fol. 248v–249r.: „Nam et ipsam scripturam sacram simplici stilo traditam cernimus. Quia dei non est argumentari, sed verum pronuntiare iuxta sententiam Lactancii li. 2. De summo bono.“ Solche „Bücher vom höchsten Gut“ finden sich nicht unter den Lactantius zugeschriebenen Werken. Vgl. Heck, Eberhard: Lactantius. In: LThK3 6, 583f. Die Sentenz stammte aber aus dem 3. Buch: „De falsa sapientia“ (III. 1,11–12) in: Lactantius, Lucius Caelius Firmianus: Diuinae Institutiones (CSEL 19, 17,4–11; PL 6, 550B–551A), wie aus dem Zusammenhang deutlich wird: „nec enim decebat, ut cum deus ad hominem loqueretur, argumentis adsereret suas uoces, tamquam aliter fides ei non haberetur: sed ut oportuit locutus est tamquam rerum omnium maximus iudex, cuius est non argumentari, sed pronuntiare. uerum ipse, ut deus: nos autem cum ad res singulas testimonia diuinae uocis habeamus, profecto monstrabimus quanto certioribus argumentis possint uera defendi, cum etiam falsa sic defendantur, ut uera soleant uideri.“ Das jetzt kursiv Hervorgehobene entspricht der von Alveldt zitierten Sentenz. 485 Siehe oben Kap. 4, besonders Anm. 102; 108–165. 486 Siehe insgesamt Alveldt, Questio Utrum Regula, Cod. Guelf. 1095 Helmst., 249r: „Prefatio in regulam. Christus dei filius et virginis Marie vere Deus et homo missus a patre luminum venit in hunc mundum, vt

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Wie schon in Alveldts Weimarer Disputation von 1522 war für ihn hier entscheidend das johanneische Verständnis von Welt, sofern sie unter der Macht des Bösen steht.487 Dort wurde das schon auf das Ordensleben ausgerichtet.488 Hier brachte Alveldt Christi „Missachtung“ einer vom Bösen beherrschten Welt eher als Herausforderung für jedes christliche Leben ins Spiel. Eine Schlüsselstelle ist dabei 1 Joh 6,19, wo die aus Gott Stammenden in Kontrast gesetzt werden zur vom Bösen beherrschten Welt.489 Das galt also nach Alveldt für alle Christen, richtete sich aber – ähnlich wie schon bei Dappen – besonders gegen die reformatorische Theologie und Predigt: „Überhebe dich nicht in eitlen Hoffnungen und rühme dich nicht eines geheuchelten Glaubens. Wenn Christus dich zum Glauben rief, damit du von ihm den Christennamen hast, und dir die ewige Freude versprach, auf die du hoffst, wird doch gewiss diese Verheißung nur ihre Wirkung erreichen, wenn du ihm folgst.“ 490 Die besondere Anwendung dieser Überlegungen auf das Ordensleben wurde bei Alveldt erst durch einen originellen und überraschenden Gedankengang erreicht. Anders als Dappen, der den Kontrast zwischen „weltabsagenden“ Ordensleuten und „weltverhafteten“ Reformationsanhängern bloß zur Polemik nutzte,491 versuchte Alveldt die konsequentere Christusnachfolge im Ordensleben als Musterform von christlichem Leben überhaupt herauszustellen, im Gegensatz nämlich zu jedweder Infragestellung des Ordenslebens: „Wer immer du bist, der du das Ordensleben verabscheust und als abergläubisch die Regel in christlicher Ordensgemeinschaft, bei Gott antworte mir bitte. Wo und wann gebot, riet oder lehrte Christus, dass ein Christenmensch Reichtum haben dürfe oder Üppigkeit, Besitz oder Felder? Oder mit welchem Recht in zeitlichen Dingen Mein und Dein verteidigen? Darüber hinaus aufgrund welcher Gerechtigkeit nimmt man beim

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mundus saluaretur per ipsum. Vnde erexit militiam imitabilem contra ipsius mundi maliciam damnabilem. Vt quemadmodum in maligno positus est, quippe cum omne quod in mundo est, aut concupiscentia carnis aut concupiscentia oculorum sit aut superbia vite, Sic Christus cepit facere et docere, vixit et docuit contemnere mundum et vniuersa que sunt in eo. Sua enim extrema paupertate mundi declinauit fastum, diuitias videlicet, honorem et gloriam. Sua vero castitate celeberrima oblectamenta fugit mundi, carnis quoque luxuriam eiusque voluptatem. Abnegauit suam voluntatem rectam et sanctam, quia non veni, inquit, facere voluntatem meam, vt obediens esset vsque ad mortem crucis contra mundi superbiam eiusque insolentiam detestandam. O igitur homo christiane, qui nomen christianum a Christo mutuasti, tamen vitam ipsius non imitaris, quem dominum profiteris? Qui enim dicit se in Christo manere, debet, sicut et ipse ambulauit, et ipse ambulare.“ Am Rande werden entsprechende Stellen der Hl. Schrift in dieser Reihenfolge angegeben: Joh 3,17; 1 Joh 5,19; 1 Joh 2,16; Apg 1,1; Joh 6,38; Phil 2,8; 1 Joh 2,6. Alveldt zitierte auch hier die Vulgata sehr frei beziehungsweise knüpfte nur an bestimmte Schriftstellen seine eigenen Gedanken an. Siehe dort Alveldts These 7, oben Kap. 2, Anm. 33. Siehe oben Kap. 2, Anm. 40. Vgl. 1 Joh 6,19 Vg.: „Scimus quoniam ex Deo sumus: et mundus totus in maligno positus est.“ Siehe Alveldt, Questio Utrum Regula, Cod. Guelf. 1095 Helmst., 249rv: „Noli vanis extolli spebus fideque gloriari ficta. Certe si Christus te ad fidem vocauit, vt ab eo christianum habes nomen tibique gaudia que speres promisit eterna, hec tamen promissio, nisi eum sequaris, minime sortietur effectum.“ Siehe dazu die Hinweise am Rande auf Jak 2 und Joh 10. Allerdings spricht Jak 2,17. 20 von „fides mortua“, nicht „ficta“. Und Joh 10,3f. 27 ist vom Ruf des guten Hirten und dem Nachgehen seiner Schafe die Rede. Aber weil es Alveldt um die Praxis des Glaubens ging, nannte er die reformatorischen Theologen, die nach seiner Überzeugung den Glauben nur mit dem Munde und im Reden, aber nicht in der Tat bekennen, bereits in der Vorstellung seines Lösungsansatzes „fidelogiste“ (Glaubenssprüchler) und „vocularum cultores“ (Wörtchenverehrer). Siehe dazu ebd. fol 247v. Vgl. oben Anm. 440.

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Besitz von Dingen ein Rechtsverfahren in Anspruch? Dafür nämlich wirst du aus dem Evangelium überhaupt keine schlüssige Lösung vorbringen. Und was sollen wir für den Erbärmlichen tun, der nur annimmt, was man ihm bis auf die Nagelprobe genau aus dem Evangelium aufzeigt? Wahrhaftig, so wie er in Gottes Wort keine Deutung (Glossa) zuließ, so auch ich. Wir wollen also bloß die Schrift annehmen und werden sehen, ob sie für dich oder für das Ordensleben der Minderbrüder spricht.“ 492 Es fiel nun Alveldt nicht schwer, aus den Evangelien eine ganze Reihe von Herrenworten anzuführen, die weniger für ein Leben mit Besitz, Reichtum und Genuss des irdischen Lebens sprechen als vielmehr für den Verzicht darauf und für eine konsequente Christusnachfolge. Worte, die ursprünglich im Zusammenhang mit der Wanderexistenz und der Ansage des Gottesreichs bei Jesus und seinen Weggefährten stehen, passten nach Alveldt also eher auf das Ordensleben der Minderbrüder als auf das Leben jener, die nichts vom Ordensleben hielten. Damit wollte Alveldt einerseits die Berufung der reformatorischen Theologie und Predigt auf die Heilige Schrift allein („sola scriptura“) als fragwürdig erweisen oder gar „ad absurdum führen“.493 Andererseits wollte er Leben und Regel der Minderbrüder als legitime Weiterführung der ursprünglichen Intention und Nachfolge Jesu Christi erweisen, die nach ihm „buchstäblich“ in der Urgemeinde weiterging: „Kein Wunder, dass die Urkirche das alles buchstäblich befolgte! Wovon wir in der Apostelgeschichte im zweiten Kapitel lesen [...].“ 494 Dem Vorbild Jesu und der Urgemeinde folgte das Ordensleben besonders der Minderbrüder: „Siehe Form und Regel christlichen Lebens und Beispiels zur Nachahmung, auf welche Weise Christus gebot, riet und lehrte, um seine Auserwählten zur Missachtung der Welt hinzuführen. Nenn also, wer immer du bist, der du das Ordensleben lästerst, nenn mir, sage ich, eine einzige Gegend, Stadt oder Burg, ja wenigstens ein einziges Haus, wo niemand Mein und Dein sagt, wo alles gemeinsam ist, wo kein Bedürftiger ist, wo jedem zugeteilt wird, was er braucht, wo ein Herz und eine Seele ist, wo sie Tag für Tag im Tempel verweilen. Und ich werde dir sehr gern zustimmen, dass Klöster für Männer und Frauen überflüssig wären. Wenn du aber solche nicht nennen könntest, wie du sie in Wahrheit nicht nennen wirst, warum, bitte, verabscheust du das Ordensleben, das 492 Siehe Alveldt, Questio Utrum Regula, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 249v: „Quisquis igitur vitam detestaris Monasticam eiusque tanquam superstitiosam in Christiana religione regulam: per deum adiuratus responde, queso, michi. Vbi et quando Christus precepit, consuluit vel docuit, vt christiano liceret homini, diuitias habere vel delicias, possessiones vel agros? Aut quo iure in rebus temporariis defendere meum et tuum? Insuper qua iustitia in rerum possessione assumitur iurisactio, vt quisque sua vel repetat in iudicio vel defendat? Nempe nequaquam harum ex Euangelio proferes solutionem. Et quid faciemus misero, qui nihil suscipit nisi ad vnguem ex Euangelio ostendatur eidem? Reuera sicut ipse in diuinis non habere decreuit glossam oraculis, sic et ego. Scripuram igitur nudam accipiamus et videbimus, an tibi, an monastice fratrum Minorum vite suffragetur.“ Vgl. dazu Smolinsky, Augustin von Alveldt 196f. 493 So Smolinsky, ebd. 196! Alveldt wollte aber nur zeigen, dass die wörtliche Berufung auf das Evangelium Jesu Christi allein beziehungsweise allein auf die Lebensform Jesu und seiner Weggefährten für eine in der Welt angesiedelte Existenz von Christen nicht ausreicht. Das hätte sogar Luther zugegeben, der immer auf ein „geistliches“ Verständnis solcher Texte Wert legte. 494 Siehe Alveldt, Questio Utrum Regula, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 250r: „Hec nimirum omnia Ecclesie primitiue Christiani ad litteram de facto seruauerunt. De quibus actorum legimus secundo […].“ Es folgen nun die entsprechenden Texte zur Gütergemeinschaft und gegenseitigen Liebe in der Jerusalemer Urgemeinde, zunächst nach Apg 2,44ff., dann nach Apg 4,32–35. Einen Unterschied zwischen der Wanderarmut Jesu in den synoptischen Evangelien und der sesshaften Gütergemeinschaft der Urgemeinde nach der Apostelgeschichte zeigte Alveldt hier noch nicht an.

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sich wahrhaft als christliches Leben erweist und als Nachahmung der ursprünglichen Kirche Christi? Worauf, o Wunder, zielt deine Verhöhnung, wenn du die Minderbrüder Papisten nennst und als solche bewertest? Gewiss, ich schäme mich dieses Namens nicht, da er der Wahrheit und der apostolischen Nachfolge entspricht.“ 495 Die Lehre Jesu Christi, die nach einem Hinweis am Rand Alveldt vor allem in der Bergpredigt Jesu in Mt 5–7 fand, zielte für ihn auf „Missachtung der Welt“. Damit wurde die neue Wertung und Ausrichtung menschlichen Lebens, die dort als die „größere Gerechtigkeit“ des Gottesreiches gelehrt wird,496 mit dem asketischen Motiv eines klösterlichen Lebens identifiziert, das zur herrschenden Wert- und Lebensordnung auf Distanz ging. Die Modellgemeinschaft, die die Apostelgeschichte in der Jerusalemer Urgemeinde darstellte, steht für Alveldt ebenfalls in Distanz zur herrschenden Wert- und Lebensordnung der gegenwärtigen christlichen Gesellschaft, wo weder im Großen noch im Kleinen diese Modellgemeinschaft verwirklicht ist. Weil das so ist, muss es das Ordensleben geben, das in „Klöstern für Männer und Frauen“ sich „wahrhaft“ als Modell christlichen Lebens erweist. Ob nach Alveldt konkretes klösterliches Leben unwahrhaft von diesem Modell abweichen konnte und daher kritisch bewertet werden durfte, das wurde von ihm nicht behandelt. Zu sehr ging es ihm um die Abwehr reformatorischer Kritik am Ordensleben, als dass Alveldt hier eigene Fehler oder gar gravierende Missstände zugeben könnte. Es stellte sich für ihn eher die Frage, ob nicht in gegenwärtiger christlicher Gesellschaft nichtchristliche Wert- und Lebensordnung weitergeht: „Siehe, du Christenmensch, du bist nicht mehr aufgrund der Verheißung zeitlicher Dinge als Jude anzusehen, noch infolge des Besitzes weltlichen Vermögens als Heide, sondern du bist berufen zur Missachtung aller Dinge und der Welt und, wenn du in Treue ausharrst, erwählt zum himmlischen Reich. Woher also dein Vermögen? Aufgrund welcher Autorität bist du reich an Gold und Silber? Mit welchem Recht sagst du Mein und Dein? Oder streitest und verteidigst vor Gericht? Nicht aufgrund des Evangeliums Christi, nicht infolge des Beispiels Christi oder seiner Apostel!“ 497 Dass freilich Alveldt mit diesen Fragen nicht einfachhin alle gegenwärtig geltenden Wertund Lebensordnungen in Frage stellen wollte, sondern nur den evangelischen Anspruch lutherischen, reformatorischen Lebens, machte er ganz klar:

495 Siehe ebd. 250r: „Ecce forma et regula vite christiane imitationisque exemplum, quemadmodum precepit Christus, consuluit et docuit, vt electos suos ad mundi induceret contemptum. Da igitur, quisquis es, qui vitam blasphemas monasticam. Da, inquam, vel unam regionem, aut ciuitatem vel castrum aut saltem domum unam, vbi nemo dicat meum et tuum, vbi omnia sunt communia, vbi egens nullus, vbi diuidebatur cuique prout opus habet, vbi cor unum, anima una sit, vbi cottidie in templo perseuerant, et ego liberrime consentiam, virorum vel mulierum superflua fore monasteria. Quid si non dederis, quemadmodum in veritate non dabis, cur, obsecro, monasticam detestaris vitam, que reuera vita probatur esse christiana, Ecclesieque primitiue imitatrix. Quorsum mirum tua pergit insultatio, quando fratres Minores papistas censes appellandos? Certe nomen non erubesco, quid veritatis et apostolice successionis est.“ 496 Vgl. Mt 5,20; 6,33. 497 Siehe Alveldt, Questio Utrum Regula, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 251r: „Ecce homo christiane, iam ex promissione temporalium Iudeus censendus non es, neque ex mundalium opum possessione gentilis, sed ad rerum omnium contemptumque mundi vocatus es et, si fidelis perseueraris, ad celeste regnum electus. Vnde ergo tibi opes? Qua auctoritate diues es auri et argenti? Quo iure profers meum et tuum? Vel in iudicio contendes et defendes? Non ex Euangelio Christi, neque Christi vel apostolorum eius exemplo!“

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„Du wirst sagen: Verdammst du also die Christen, die Besitz haben, die das Ihre verteidigen oder zurückfordern? Das sei ferne. Nicht sie verdamme ich, sondern der Lutheraner Unsinnigkeit, törichte Gottwidrigkeit und perverse Bosheit will ich zunichte machen. Sie wollen ja alles bis auf die Nagelprobe genau aus dem Neuen Testament erwiesen haben, können jedoch den Reichtum und Besitz der Christen nicht aus dem Evangelium erweisen. Mit welchem Recht verteidigt man also den Besitz? Ich antworte: Aufgrund der Autorität der Kirche, der Päpste und Kaiser, die Dekrete, Dekretale, Edikte, Gesetze, Rechte, Bestimmungen und Plebiszite bekräftigt haben, damit Christen, die nicht infolge des Beispiels Christi und der Apostel das Ihre verlassen können und wollen, mit gerechtem Titel Besitz hätten sowie Mein und Dein verteidigten, damit man darüber hinaus den Frieden und die Einmütigkeit unter den Christen bestärkte. Ist also Papist ein schmählicher Name, wie manche töricht meinen? Wer sich nämlich weigert, Papist zu sein, erweist sich entweder als Ketzer, als Dieb oder als Räuber und Entführer [...].“ 498 Selbst wenn also die gesellschaftlich geltende Wert- und Lebensordnung nichtchristlichen und damit weltlichen Ursprungs sein sollte, wie ja auch Luther in seiner Zwei-Reiche-Lehre meinte, nach Alveldt ist für den Christen entscheidend ihre kirchliche Anerkennung und Sanktion, die nach ihm letztlich durch Päpste und Kaiser „bekräftigt“ wurde. In der entsprechenden Rechtsentwicklung könnte freilich auch das „Volk“ eine Rolle spielen („Plebiszite“). Christen, die nicht dem Beispiel Christi und der Apostel folgen und auf allen Besitz verzichten können oder wollen, dürfen also nur aufgrund solch kirchlichen, menschlichen Rechtes in gerechter Weise etwas besitzen beziehungsweise ihren Besitz verteidigen oder von anderen zurückverlangen, was nach Alveldt aber dem Evangelium selbst widersprach. Deshalb konnte sich Alveldt über die damals vor allem am kursächsischen Hof verbreitete Sitte lustig machen, auf einem Stück Papier oder auf dem Ärmel das reformatorische Motto vorzuzeigen: „Das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit.“499 Denn die konkrete Wert- und Lebensordnung der Reformation entsprach nach Alveldt nicht dem „Wort des Herrn“. Ernsthafter setzte sich Alveldt mit dem reformatorischen Verständnis der Kreuzesnachfolge auseinander: „Aber es sagen die Gottwidrigen, die sich bemühen, die Missachtung der Welt, das Kreuz Christi von Armut, Keuschheit und Gehorsam aus den Herzen der Gläubigen zu reißen und Christi Heerschar so aufzuheben, dass man nicht länger für Christus Jesus kämpft, sondern für Fleisch, Teufel und Welt. Sie sagen: Dieses Kreuz des Evangeliums ist nichts anderes, als das Schlimme in der Welt zu erdulden und die Schwächen des Leibes geduldig zu ertragen. Lösung: O Stimme der Schlange, voller Lug und Trug! O Fallstrick des Teufels, der viele in ihrer Verkehrtheit erdrosselt, die töricht sich belügen 498 Siehe ebd. fol. 251v: „Sed dices: Ergo Christianos possessiones habentes suaque defendentes vel repetentes damnas? Absit! Non enim eos damno, sed Lutheranorum insaniam et stultam impietatem maliciamque per­ uersa [!] confundere volo, qui omnia ad unguem ex nouo testamento probari volunt, qui tamen Christianorum diuitias et possessiones ex Euangelio nequeunt probare. Quo ergo iure possessiones defendunt? Respondeo: auctoritate Ecclesie, summorum pontificum et imperatorum qui decreta, decretales, edicta, leges, iura, statuta plebiscitaque sanxerunt, vt Christiani qui Christi apostolorumque exemplo sua relinquentes non valentes vel nolentes, iusto res temporales possiderent titulo et meum tuumque defenderent, pax insuper et concordia in Christianis nutriretur. Nonne igitur papista ignominosum nomen est, vt nonnulli opinantur insipienter? Quia qui papista esse renuit, aut hereticus, fur, latro raptorque conprobatur […].“ Alveldts Verurteilung der Anti-Papisten wird im Weiteren mit Jud 8 und 2 Petr 2,1–3 unterstrichen. 499 Siehe ebd. fol. 251rv. Vgl. dazu 1 Petr 1,25 Vg. Der Spott über diese nach Alveldt „pharisäische“ Sitte findet sich öfters bei ihm, aber nicht nur bei ihm. Vgl. dazu Smolinsky, Augustin von Alveldt 193 Anm. 150; 215 Anm. 73.

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und ungeheuer Gott lästern. Christus hat gewiss nicht gesagt: wer täglich das Schlimme in der Welt erduldet oder geduldig die Schwächen des Leibes erträgt, sondern: ‚wer nicht täglich sein Kreuz trägt’. Damit deutet er hin auf ein spontanes Handeln (actio), nicht auf ein Erleiden (passio). Weiter: Bedeutete dieses Kreuz das Schlimme in der Welt, wie könnte dann Christus in sich selbst bestehen, in dem er nämlich das tägliche Tragen des Kreuzes gebot, obwohl er selbst sehr viele von diesem Kreuz, das heißt: vom Schlimmen in der Welt und von den Nöten des Leibes, gütig befreite. Damit hätte er sie seiner unwert gemacht und unwert, dass sie ferner seine Jünger werden könnten. Weg mit solch einer Lästerung und abscheulichen Lüge gegen den Sohn Gottes […]!“ 500 Die asketische Lebensform, die Alveldt damit als das von den Jüngern Jesu geforderte Tragen des Kreuzes Christi in Armut, Keuschheit und Gehorsam verteidigte, galt freilich nach Alveldt in einem weiteren geistlichen Sinn für alle Christen, obwohl sie im engeren Sinn nur von Ordensleuten und besonders von den Minderbrüdern verwirklicht wird. Smolinsky hat das im Einzelnen dargestellt.501 An der für den observanten Franziskaner Alveldt besonders wichtigen Frage von Armut und Besitz wurde das vor allem deutlich: „Wir bekennen also frei, dieses Kreuz ist nichts anderes als die Missachtung der Welt, mit der wir kämpfen, um in freiwilliger Armut die Habgier der Welt, die Götzendienst ist, zu überwinden. In der Umarmung der Keuschheit kehren wir uns ab von der Unzucht, damit die Glieder Christi nicht Glieder einer Hure werden. Und im Gehorsam, der Verleugnung des Eigenwillens, sagen wir uns los von dem Hochmut der Welt, weil Gott den Hochmütigen immer widersteht. Dieser wahrhafte Kampf, der aus der Missachtung der Welt entspringt, muss nicht nur bei den Klosterleuten sein, sondern in der ganzen christlichen Glaubensgemeinschaft, weil keinem Menschen der Missbrauch gestattet wird. Denn jeder Christ gebraucht zeitliche Dinge gerecht aufgrund eines dreifachen Titels, nämlich aufgrund des kirchlichen Rechts oder eines gemeinsamen Rechts nach Art der Urkirche oder als einfacher tatsächlicher Gebrauch. Da wird zwar der Gebrauch gestattet, aber auf Besitz und Rechtshandlung verzichtet, wie Christus und die heiligen Apostel es mit den zeitlichen Dingen hielten. Der Missbrauch wird aber immer verurteilt, wie man es liest bei dem Reichen, der seine Scheuern erweitern wollte, bei dem anderen, dem Prasser, bei Judas Iskariot, der ein Dieb war, bei Hananias und Saphira. Daher sagt Christus: ‚Nehmt euch in acht, dass euere Herzen nicht beschwert werden in Rausch, Trunkenheit und den Sorgen des Lebens.‘ Und diesen Satz unterstreicht Paulus: 500 Siehe ebd. fol. 252rv: „Sed dicunt impii qui contemptum mundi, Crucem Christi, Paupertatis, Castitatis Obedientieque ex cordibus fidelium eradicare moliuntur sicque militiam tollere Christi, ne amplius Christo Iesu militetur, sed carni, diabolo militetur et mundo. Dicuntque: Crux ista Euangelica nihil aliud est, quam mundi pati mala, infirmitatesque corporis tolerare patienter. Solutio. O vox serpentina, omni fallacia plena! O laqueus diaboli, quo multi strangulantur peruersi, stolide mentiuntur, enormiter blasphemant! Certe Christus non dixit: Qui cottidie mundi patitur mala, vel patienter corporis tolerat infirmitates, sed qui non tollit cottidie crucem suam, quo spontaneam significat actionem, non passionem. Porro si crux ista mala significaret mundi, quomodo Christus constaret sibi ipsi, quippe qui preciperet cottidie tollere crucem, cum et ipse plurimos a cruce ista, hoc est, a mundi malis corporumque angustiis liberaret benigne. Quo facto eosdem indignos se et vt amplius sui forent discipuli reddidisset. Ex electis ergo fecit reprobos. Absit talis blasphemia detestabileque in filium dei mendacium […].“ Vgl. dazu Mt 16,24; Lk 9,23, auf die am Rande hingewiesen wird. Vom Gedankengang her scheint aber Alveldt eher Mt 10,38 beziehungsweise Lk 14,27 im Blick zu haben. 501 Siehe Smolinsky, Augustin von Alveldt 198f.; vgl. auch Lohse, Mönchtum und Reformation 365.

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‚Die Sorge des Fleisches‘, sagt er, ‚dürft ihr in Begierden nicht betreiben.‘ Sicher werden ja die Berauschten, die Trunkenbolde, die Diebe, die Räuber, die Wucherer das Reich Gottes nicht besitzen. Denn jeder Christ muss arm sein dem Geiste nach, damit er die zeitlichen Dinge aus freiem Willen nicht schlecht gebraucht, sondern so wie es sich gehört, wie es erlaubt ist und aufbaut. Sonst wird er dem Gericht Gottes nicht entgehen, da es doch ‚furchtbar ist, in die Hand des lebendigen Gottes zu fallen‘, Hebr 10. Kapitel.“ 502 Die konsequenteste Armut, nämlich die Christi und der Apostel, deutete Alveldt hier mit der franziskanischen Tradition als „einfachen tatsächlichen Gebrauch“ („simplex usus facti“) zeitlicher Dinge. Dabei ging er zurück auf die Lehre Bonaventuras und die Entscheidung von Papst Nikolaus III. „Exiit qui seminat“ (1279), ohne von der anders lautenden Entscheidung von Papst Johannes XXII. „Cum inter nonnullos“ (1323) Notiz zu nehmen.503 Freilich könnte man in Alveldts Formulierung „gebraucht gerecht“ beziehungsweise wörtlich „besitzt gerecht den Gebrauch“ ein Eingehen auf das Anliegen von Johannes XXII. sehen, die Armut Christi und der Apostel innerhalb der gesellschaftlichen Rechtsordnung zu umschreiben. Aber dem steht entgegen, was Alveldt über den Kontrast des Evangeliums zur herrschenden Wert- und Lebensordnung gesagt hat.504 Alveldt betonte grundlegend die für alle Christen verpflichtende geistliche Armut, die jedoch unterschiedliche Weisen zulässt, mit den Dingen dieser Welt umzugehen. Damit ging er vielleicht auf das Anliegen Luthers ein, freilich ohne dessen Kritik an der angeblich geheuchelten Ordensarmut, besonders der Minderbrüder zu teilen.505 Im Gegenteil, gerade die Armut der Minderbrüder konnte Alveldt mit der älteren franziskanischen Tradition, indem er hinter Johannes XXII. zurückging, mit der Armut Christi und seiner Apostel identifizieren.506 502 Siehe Alveldt, Questio Utrum Regula, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 252v–253r: „Confiteamur ergo libere, Crucem istam nihil aliud quam contemptum esse mundi quo militamus, vt in voluntaria paupertate mundi vincamus auaritiam que est idolorum seruitus, in amplectenda castitate seculi declinemus luxuriam, ne membra Christi membra fiant meretricis, atque in obedientia, que proprie voluntatis abnegatio est, alienamus mundi superbiam, eo quod deus superbis semper resistit. Hec reuera militia que oritur ex mundi contemptu non solum in claustralibus, sed in tota religione debet esse Christiana, cum nulli hominum rerum abusus concedatur. Omnis nempe Christianus temporalium rerum vsum titulo triplici possidet iuste, iure videlicet ecclesiastico vel communi more primitiue Ecclesie, vel vsus simplicis facti, in quo conceditur vsus, sed possessio negatur atque iurisactio, qualem Christus apostolique sancti in rebus habuerunt temporalibus. In hiis, inquam, tribus titulis rerum admittitur vsus. Abusus vero semper damnabilis iudicatur, vt colligit ex diuite horreum ampliare volentem, Et in alio videlicet Epulone atque in Iuda Iscariothe, qui fur erat, in Anania et Saphira. Vnde Christus dicit: Attendite vobis, ne forte grauentur corda vestra in crapula et ebrietate et curis huius vite. Cui sententie subscribit Paulus: Curam carnis, inquit, ne feceritis in desideriis. Certum est enim, quod crapulosi, ebriosi, fures, raptores, vsurarii regnum dei non possidebunt. Oportet enim quemlibet Christianum pauperem esse spiritu, hoc est, vt non abutatur voluntarie rebus temporariis, sed pro ut decet, licet, edificat. Alioquin iudicio non effugit dei, cum tamen horrendum sit incidere in manus dei viuentis, Hebreo 10. capitulo.“ Neben ausdrücklichen Schriftzitaten gibt es auch zahlreiche Anspielungen, die meist ebenfalls am Rande angezeigt sind. Vgl. in der Reihenfolge des Textes Eph 5,5; 1 Kor 6,15; Mt 16,24; Jak 4,6 beziehungsweise 1 Petr 5,5; Lk 15,16–21; 16,9–31; Joh 12,6; Apg 5,1–11; Lk 21,34; 1 Kor 6,10; Mt 5,3; Hebr 10,31. Die deutsche Übersetzung hier bezieht sich auf den Vulgata-Text der Bibel, den Alveldt im Blick hatte. 503 Vgl. Smolinsky, Augustin von Alveldt 198 Anm. 184; siehe auch Schlageter, Johannes: Armutsstreit. In: LThK3 1, 1014f. 504 Siehe oben Anm. 488. 505 Siehe oben Kap. 2, Anm. 59. 506 Vgl. dazu auch Alveldts Ausführungen zum Geldverbot der Regula bullata, nach Smolinsky, Augustin von Alveldt 201f. Anm. 290–295.

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Alveldts Erklärung der Minderbrüder-Regel, die er gegen die Angriffe Eberlins Satz für Satz zu verteidigen suchte, kann hier nicht in ihren Einzelheiten wiedergegeben werden. Was bereits Alveldts ausführliches „Vorwort“ erkennen ließ, gilt auch für seinen Regel-Kommentar, wie die Übersicht bei Smolinsky deutlich macht.507 Alveldt kannte zwar die reformatorische Kritik und versuchte, darauf zu antworten. Aber er ließ sich auf deren Argumente nicht wirklich ein, sondern wies sie einfach zurück, indem er das traditionelle franziskanische Regelverständnis dagegensetzte. Wie Alveldt seine Methode angedeutet hatte,508 zitierte er zuerst passende Worte des Evangeliums,509 dann den Text der Franziskus-Regel, zu dem sie nach seiner Meinung passen,510 dann die Wahrheit, die alles zusammenfügt.511 Eine Wahrheit, die Alveldts eher traditionelle Sicht des Zusammenhangs von Evangelium und Regel war! Nur einige Beispiele sollen das verdeutlichen: „Christus verkündigt das Evangelium: ‚Wer mir nachfolgt, wandelt nicht in Finsternis, sondern hat das Licht des Lebens.‘ ‚Lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen.‘ ‚Amen, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, kommt ihr nicht in das Himmelreich.‘ ‚Denn jeder, der sich erniedrigt, wird erhöht; und wer sich erhöht, wird erniedrigt.‘ Franziskus ahmt nach: ‚Regel und Leben der Minderen Brüder ist dies.‘ Die Wahrheit fügt zusammen: Jesus Christus nachfolgen, ist Regel und Leben. Von Christus die Sanftmut, die Demut lernen und sich selbst erniedrigen, das gehört sich für einen vollkommenen Minderbruder. Paulus sagt ja: ‚Brüder, seid nicht Kinder an Einsicht, sondern in der Bosheit seid Kinder, vollkommen aber an Einsicht.‘ Ja, du siehst den Unterschied im Wortlaut, aber die eine unversehrte Wahrheit! Halte mir nicht die Uneinsichtigen und Schlechten entgegen! Denn auch in der Schule Christi gab es Judas, einen Teufel nach Johannes im 6., einen Dieb nach Johannes im 13., einen Verräter nach Matthäus im 26. [Kapitel], in der Sache auch einen Mörder nach der Apostelgeschichte. In der Urkirche findest du die abscheulichen Eigentümler Hananias und Saphira nach der Apostelgeschichte im 5., und den gottesräuberischen Magier Simon nach der Apostelgeschichte im 8. [Kapitel]. Aber du magst fragen, weshalb der heilige Vater Franziskus seine Brüder die Minderen nennt. Darauf ich! Christus sagt: ‚Der Knecht ist nicht größer als sein Herr.‘ Wenn also nicht ein Größerer, dann ein Minderer. Dieser Name steht allerdings nicht weniger allen Christen zu, weil andere ihn aber beiseite lassen, lieben ihn er und die Seinen. Und es dürfte nicht verboten sein, wenn sich jemand einen Minderen nennen möchte.“ 512 507 Siehe Smolinsky, Augustin von Alveldt 199–203. 508 Siehe oben Anm. 473. 509 Vgl. ebd.: „Christum evangelizantem.“ 510 Ebd.: „Franciscum imitantem.“ 511 Ebd.: „veritatem omnia quadrantem.“ 512 Siehe Alveldt, Questio Utrum Regula, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 255v: „Christus evangelizat: Qui sequitur me, non ambulat in tenebris, sed habebit lumen vite. Discite a me, quia mitis sum et humilis corde. Amen dico vobis: nisi conuersi fueritis et efficamini ut paruuli, non intrabitis in regna celorum. Quia omnis qui se exaltat, humiliabitur, et qui se humiliat, exaltabitur. Franciscus imitatur: Regula et vita Minorum fratrum hec est. Veritas quadrat: Sequi Christum est regula et vita, Discere a Christo mititatem, humilitatem Et converti fierique paruulus et seipsum humiliare perfecti fratris Minoris est. Ait enim Paulus: Fratres nolite fieri pueri sensibus, sed malitia paruuli estote, sensibus autem perfecti. Ecce cernis diuersitatem vocum, sed unam sinceram veritatem. Non obijcias michi disculos aut malos. Nam et schola Christi habuit Judam diabolum, Joha. 6., furem, Joha. 13., preditorem, Mathei 26. rem et homicidam acto. In primitiua quoque ecclesia habes

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Es waren also bestimmte Stichworte der Regula Bullata, denen Alveldt Herrenworte aus den Evangelien assoziierte, hier aus ihrer Einleitung die Worte „Regel und Leben“ (Regula et vita) und „der Minderen“ (Minorum).513 Dabei konnte Alveldt durch das Zitat aus Joh 8,12 „Regel und Leben“ in Beziehung bringen mit jenem im Evangelium verheißenen Leben, das sein Licht empfängt in der Nachfolge Jesu. Ein durch die Minderbrüder-Regel geregeltes Leben war für ihn also ein lichtvolles Leben, weil Alveldt es von vornherein als Leben der Jesus-Nachfolge verstand. Er unterstützte dieses Vorverständnis, indem er das Leben „der Minderen“ verband mit Jesu Einladung, von seiner Sanftmut und Demut zu lernen (Mt 11,29), sowie mit Jesu Verheißung für solche, die wie die Kinder werden (Mt 18,3) und die sich selbst erniedrigen (Lk 18,14). Die Richtung, in die bereits die Auswahl dieser Herrenworte wies, wollte Alveldt schließlich durch die Wahrheit, die alles zusammenfügt, genauer und ausführlicher bestimmen. Denn einerseits sah er nun das Kindsein im Anschluss an 1 Kor 14,20 nicht als einen Mangel an Einsicht, sondern als eine Art Unschuld, die durchaus mit vollkommener Einsicht einhergehen kann. Andererseits meinte das Lernen der Demut Jesu, nicht nur bei Jesus Christus in die Schule zu gehen, sondern sich ihm als dem Lehrer und Meister ganz unterzuordnen. Von daher konnte Alveldt das Idealbild des vollkommenen Minderbruders in klaren Kontrast bringen zu der Tatsache, dass in seinem Orden Uneinsichtige und Böse wie schon in der Jüngerschaft Jesu und in der Urkirche diesem Idealbild zuwider leben. Wie auch sonst war hier für Alveldt die franziskanische Berufung der „minderen“ Brüder nur eine Verwirklichung dessen, was sich eigentlich für alle Christen gehört, aber was eben Franziskus und die Seinen im Unterschied zu Anderen aus besonderer Liebe erwählt haben. Das erinnert an die eine Deutung Luthers für die Entscheidung des Franziskus, das Evangelium sich zu eigen zu machen: Sie sei zu verstehen wegen der verbreiteten Verachtung des Evangeliums in der Welt.514 Alveldt konnte so die Beobachtung des Evangeliums Jesu Christi, die die Regula Bullata versprach, als den letztlich für alle Christen entscheidenden Vollzug des Evangeliums im Tun verstehen: „Christus verkündet das Evangelium: ‚Jeder, der sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich bekennen vor meinem Vater im Himmel.‘ ‚Was ruft ihr mich: Herr, Herr, und tut nicht, was ich euch sage? Ich will euch zeigen, wem ein Mensch gleicht, der zu mir kommt und meine Worte hört und danach handelt. Er gleicht einem Mann, der ein Haus baute und dabei die Erde tief aushob und das Fundament auf einen Felsen stellte. Als nun ein Hochwasser kam und die Flutwelle gegen das Haus prallte, konnte sie es nicht erschüttern, weil es auf Fels gebaut war‘, bei Lukas 6, g. Franziskus ahmt nach: ‚Nämlich unseres Herrn heiliges Evangelium zu halten.‘ Die Wahrheit fügt detestabiles proprietarios Ananiam et Saphiram, Actu. 5, et sacrilegum Simonem magum. Actu. 8. Sed queres cur Sanctus pater Franciscus appellauit fratres suos minores. Ad quod ego; Christus ait: Amen, Amen, dico vobis: Non est seruus maior domino suo. Si non maior, ergo minor, tametsi non minus esset nomen istud omnibus christianis, sed quia ab aliis negligitur, ideo ab ipso et suis diligitur. Nec prohibeatur, si quispiam Minor vocari desiderat.“ Hervorhebungen in der Handschrift! Vgl. dazu am Rande Joh 8,12; Mt 11,29; 18,3; Lk 18,14; 1 Kor 14,20; Joh 13,16; 1 Tim 3,1. Ausdrücklich bezog sich der Text als abschreckendes Beispiel in der „Schule Christi“ auf Joh 6,71; Joh 13 (! siehe aber Joh 11,6); Mt 26,14; Apg 1,16–19 und in der „Urkirche“ auf Hananias und Saphira Apg 5,1–11 und den Magier Simon Apg 8,9–13. 18–24. 513 Siehe Regula Bullata 1,1. In: Esser / Grau, Opuscula 366; Franziskus-Schriften 94. 514 Siehe oben Kap. 2, Anm. 57.

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zusammen: Christus bekennen will der heiliger Vater Franziskus vor den Menschen, nicht allein mit dem Mund, sondern in der Tat, ja vielmehr in der Wahrheit des Lebens. Daher wollte der weise Mann, als er sein Haus, sein und der Seinen Leben in die Tiefe baute, das Fundament auf den Felsen stellen. ‚Der Fels aber war Christus.‘ ‚Wenn so auch mit dem Herzen geglaubt wird zur Gerechtigkeit, mit dem Mund aber das Bekenntnis zum Heil geschieht‘, ‚besteht das Reich Gottes doch nicht im Reden, sondern in der Kraft‘. ‚Und nicht die Hörer des Gesetzes sind vor Gott gerecht, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt.‘ Deswegen steht vornedran: ‚Das Evangelium unseres Herrn Jesus Christus beobachten‘, nicht nur lesen, nicht nur im Munde führen, nicht auf dem Ärmel tragen, nicht auf einem Zettel haben, sondern tun, halten, ja das Evangelium unseres Herrn Jesus Christus im Vollzug erfüllen.“ 515 Besonders wichtig wurde offenbar für Alveldt Lukas 6,46–48. Denn darauf weist er im Text selbst ausdrücklich hin (mit „Luce 6. g“), wofür am Rande auch noch die Parallele bei Mt 7,21. 24f. angeführt wird.516 Denn damit kommt es dem verkündigenden Jesus Christus selbst nicht auf das bloße, mündliche Bekenntnis zu ihm an, sondern auf das Handeln, mit dem seine Worte in die Tat umgesetzt werden. Darum aber ging es nach Alveldt dem Franziskus, wenn er für sich und die Seinen das „Observare“, das „Halten, Beobachten“, des Evangeliums Jesu Christi in Anspruch nahm.517 Durch eine etwas willkürliche freie Zitierung und Zusammenstellung von Schriftworten wollte Alveldt damit die einzig wahre Orientierung am Evangelium Jesu Christi herausarbeiten. Wie bei Franziskus musste es dabei um die „Tat“, um die „Wahrheit des Lebens“ gehen. Denn nur damit ist ein Leben, eine Lebensgemeinschaft auf den „Fels“ gebaut, der nach 1 Kor 10,4 Christus selbst ist. Das Zitat aus Röm 10,10 wird bei Alveldt deshalb in einen Konditionalsatz verwandelt und seine Verben entsprechend in den Konjunktiv gesetzt: Mag sich also jemand auch mit dem Glauben des Herzens auf die Gerechtigkeit und mit dem Bekenntnis des Mundes auf das Heil ausrichten, das Reich Gottes, die Vollendung, wird nur erreicht in der „Kraft“, im tatkräftigen Erfüllen der Weisungen des Evangeliums. Mit Röm 2,13 unterstreicht Alveldt noch, dass für ihn das „Tun“ des Evangeliums wie das Tun des „Gesetzes“ letzlich allein gerecht macht. Damit kann er sich kritisch von dem 515 Siehe Alveldt, Questio Utrum Regula, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 256r: „Christus euangelizat: Omnis qui confitebitur coram hominibus, confitebor et ego eum coram patri meo qui in celis est. Quid autem vocate me: domine, domine, et non facite que dico? Omnis enim qui venit ad me, et audit sermones meos et facit eos, ostendam vobis, cui similis sit. Similis est homini edificanti domum qui fodit in altum, et posuit fundamentum supra petram, inundatione autem facta, illisum est flumen domui illi et non potuit eum mouere. fundata enim erat super petram, Luce 6. g. Franciscus imitatur: Scilicet Domini nostri sanctum Euangelium obseruare. Veritas quadrat: Confitere vult Christum Sanctus pater Franciscus coram hominibus non solum ore, sed opere, ymmo etiam veritate vite. Ideo voluit homo sapiens, domum suam, vitam suam et suorum in altum edificans, posuit fundamentum supra [petram]. Petra autem erat Christus. Tametsi corde credatur ad iustitiam, ore autem confessio fiat ad salutem, tamen non in sermone est regnum dei, sed in virtute. Neque auditores legis iusti sunt apud deum, sed factores legis iustificabuntur. Ob id adversus est: Sanctum Euangelium domini nostri Iesu Christi obseruare, non solum legere, nec in ore gerere, non in manica portare, neque in cedite habere, sed facere, sed obseruare, sed executione adimplere Euangelium domini nostri Jhesu Christi.“ Hervorhebungen in der Handschrift! Vgl. die Hinweise im Text und am Rande auf Mt 10,32; Lk 6,46–48; Mt 7,21. 24f.; 1 Kor 10,4; Röm 10,10; 1 Kor 4,20; Röm 2,13. Da es damals noch keine Verszählung gab, wurde etwa bei dem Lukaszitat mit dem Buchstaben „g“ des Alphabets auf den ungefähren Platz im angeführten Kapitel hingewiesen. 516 Das ist wohl mit der Angabe am Rande „Mathei 6.“ gemeint. 517 Vgl. dazu Regula Bullata 1,1. In: Esser / Grau, Opuscula 366; Franziskus-Schriften 94.

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reformatorischen Verständnis des Evangeliums absetzen, das nach ihm über ein bloßes Lesen beziehungsweise rituelles Bekenntnis des Evangeliums, des Herrenwortes nicht hinauskommt. Mit 1 Kor 4,20 kann deshalb Alveldt eine paulinische Polemik aufgreifen gegen Leute, die sich mit Worten wichtig tun: „nicht in Worten erweist sich die Herrschaft Gottes, sondern in der Kraft“. Alveldt hatte dabei wohl nicht jenes Argument Luthers vor Augen, in dem Luther noch Franziskus wie anderen heiligen Vätern zugestand, das Reich Gottes nicht in ihren fragwürdigen, ja irrigen Worten zu haben, sondern in der Kraft ihres Lebens.518 Luther ging es weder um fragwürdiges Menschenwort noch um bloßes Menschenwerk, wie es freilich selbst in einem ritualisierten Bekenntnis zum Evangelium geschehen kann, sondern um die Kraft des Lebens, die von Gott im Glauben an Sein Wort geschenkt wird. In der Sache war Alveldt trotz seines gesetzlichen Verständnisses des Evangeliums Jesu Christi von Luther vielleicht nicht einmal so weit entfernt, wie er selbst annahm. Weniger mit Luther, als mit seinem ehemaligen Bruder Johann Eberlin setzte sich Alveldt in seinen Ausführungen zur Minderbrüder-Regel auseinander. Das zeigte sich etwa in der Diskussion um den Lebensunterhalt durch Arbeit beziehungsweise durch Betteln, weil Eberlin schon bald das Betteln der Brüder in besonderer Weise angegriffen hatte.519 Zur Verteidigung des Bettelns schreibt Alveldt: „Doch die dem Evangelium dienen, können auch vom Evangelium leben. Lies umfassender den Apostel Paulus, 1. Kor 9. Aber du wirst entgegnen: Nicht alle Minderbrüder säen das Wort Gottes, indem sie das Evangelium predigen, also dürfen auch nicht alle zu Recht Zeitliches ernten. Ich sage: Die Wahrheit des Lebens predigen, ist seliger, als die Wahrheit der Lehre predigen. Denn das Wort Gottes gut predigen und schlecht leben, nützt kaum oder gar nicht. Möge es ihm nicht skandalös im Weg stehen! Aber christlich leben und ein nüchternes, gerechtes Leben ans Licht bringen, auch wenn man mit Worten nicht predigt, was schadet das? Wirklich gar nichts, vielmehr erbaut es; denn das heilige Leben predigt.“ 520 Dass allerdings mit diesem nüchternen, gerechten Leben Arbeit für den Lebensunterhalt verbunden ist, will Alveldt nicht leugnen: „Ich finde nichts, was du, Pamphilus, hier siehst, um die Regel anzugreifen, außer dass Franziskus ermahnte, demütig die Speise oder den Lohn der Arbeit zu empfangen oder friedfertig auszuteilen für sich und seine Brüder. Aber du wirst sagen: er [Christus] spricht von der Arbeit der Predigt [...] Doch wer bist du, dass du die Worte Christi allein auf die Prediger umdrehen willst und nicht auf jede liebevolle Arbeit! Liest du nicht, Petrus und weitere Apostel hätten nach der Berufung zum Apostolat beim Fischfang gearbeitet? Ob dann die Arbeiter der Speise und ihres Lohnes nicht wert sind? Das wäre abwegig! Franziskus bestimmt oder beschreibt die Arbeit nicht, sondern dass sie mit Hingabe 518 Siehe oben Kap. 2, Anm. 59. 519 Vgl. Schlageter, Die geschichtlichen Quellen zu Franziskus und Klara 393–397. 520 Alveldt, Utrum regula, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 280v: „Attamen qui Euangelio seruiunt, de euangelio licite viuere possunt; lege conpletius Paulum apostolum, 1. Corinth. 9. Sed obiicies: Non omnes fratres Minores dei verbum seminant euangelium predicando, igitur nec omnes debite temporalia metunt. Dico: Predicare veritatem vite beatius est quam predicare veritatem doctrine. Bene nempe predicare verbum dei et male viuere, parum aut nihil prodest. Vtinam non scandalose obesset! Christiane vero viuere et vitam sobriam, iustam in lucem ponere, etiam si verbis non predicat, quid nocet? Reuera nihil, ymmo plurimum edificat, quia vita predicat sancta.“ Vgl. dazu 1 Kor 9,7–14.

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und Treue geschehen soll und dass Habsucht und Gier nach Geld oder Münzen nicht beabsichtigt sein dürfen.“ 521 Die konkreten Vorwürfe Eberlins gegen das Betteln der Brüder brachte Alveldt jedoch kaum zur Sprache. So ging er auf dessen frühere reformerische Anregung nicht ein, für den eigenen Lebensunterhalt zuerst einmal durch Arbeit zu sorgen.522 Immerhin stimmten Alveldt wie Eberlin überein, dass die Predigt als eine Arbeit zu sehen ist, die ihres Lohnes würdig ist. Deutlicher wurde der Bezug auf Eberlins Ausführungen zur Regel der Minderbrüder an einer anderen Stelle. Zu Regula Bullata 10,7: „die die Schrift nicht kennen, sollen sich nicht sorgen, die Schrift zu lernen“ 523 meinte ja Eberlin: „Das die ungeleerten brueder nit sollen sich fleyssen geleert zuo werden. Dyser punct wirt so fleissyg gehallten im orden, das man auch geschickt junger verderbt und versombt am leernen, das ich auch von jnen klag aller welt.“ 524 Darauf antwortete Alveldt direkt: „Warum schimpfst du also verleumderisch, Franziskus und ebenso seine Brüder wollten die Schrift nicht lernen. Er wollte nämlich, dass die, die die Schrift nicht kennen, reinen Herzens zu Gott beten, damit sie den Geist des Herrn und sein heiliges Tun aufnähmen und nach der Verheißung Christi der Heilige Geist sie alle Wahrheit lehrte und sie einen Mund und eine Weisheit hätten, denen alle Widersacher nicht widerstehen könnten.“ 525 Alveldt begründete und rechtfertigte hier nicht das Studium der Heiligen Schrift. Er setzte es einfach voraus. Doch für jene, die die Heilige Schrift nicht kennen, betonte er die Chance, betend sich dem Wirken des Heiligen Geistes, seiner Wahrheit und Weisheit zu öffnen. Denn die Wahrheit, die in der Heiligen Schrift gegeben ist, kann vom Heiligen Geist selbst unmittelbar, wirkkräftig und unüberwindbar gelehrt werden. Alveldt verteidigte damit 521 Ebd. fol. 277v–278r: „Non inuenio, quid hic, Pamphile, videas quo insultes regule, nisi quod Franciscus admonuerit, humiliter cibum vel laboris mercedem recipere et pacificam distributionem pro se et suis fratribus. Sed dices: loquitur de labore predicandi [...] Attamen quis es qui Christi verba retorquere moliris ad solos predicatores et non ad alium pium laborem. Numquid non legis Petrum et ceteros apostolos, postquam fuerant ad apostolatum vocati laborasse in piscatura? An tunc operarii non erant digni cibo et mercede sua. Absit! Porro Franciscus non determinat vel exprimit laborem. Sed vt deuote et fideliter fiat et auaritia pecuniarumque seu denariorum cupiditas excludatur ab intentione.“ Vgl. am Rande des Textes die Hinweise auf Joh 21,3; Mt 10,10; Lk 10,7. Ingesamt bezieht sich Alveldt hier auf Regula Bullata 5,3–4. In: Esser / Grau, Opuscula 268: „De mercede vero laboris pro se et suis fratribus corporis necessaria recipiant praeter denarios vel pecuniam et hoc humiliter, sicut decet servos Dei et paupertatis sanctissimae sectatores.“ Vgl. Franziskus-Schriften 97f. 522 Alveldt scheint hier den entsprechenden Text aus Eberlins IX. Bundsgenoss, der bei Pamphilus Gengenbach in Basel zuerst anonym gedruckt wurde, vor Augen zu haben. Vgl. dazu Schlageter, Die Quellen zu Franziskus und Klara 393ff. Das könnte jedenfalls erklären, weshalb er den Gegner „Pamphilus“ nennt. Zu Pamphilus Gengenbach vgl. auch BBKL 2, 203. 523 Siehe Regula Bullata 10,8: „non curent nescientes litteras litteras discere“ (Esser / Grau, Opuscula 370). Vgl. dazu Franziskus-Schriften 101 Anm. 35f. 524 Siehe Eberlin, Sämtliche Schriften 3, 54. 525 Siehe Alveldt, Utrum regula, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 290v: „Quid igitur criminose suggillas, Franciscum perinde ac suos fratres nollet [!] discere litteras. […] Voluit enim litterarum nescios puro ad deum corde orare, vt spiritum dei et actionem eius sanctam susciperent ac iuxta Christi promissum Spiritus sanctus eos doceret omnem veritatem vt haberent os et sapientiam, quibus vniuersi aduersarij non possunt resistere.“ Vgl. am Rande die Hinweise auf Joh 16,12 und Lk 21,15. Siehe dazu insgesamt Regula Bullata 10,8–9: „attendant, quod super omnia desiderare debent habere spiritum Domini et sanctam eius operationem, orare semper ad Deum puro corde et habere humilitatem, patientiam in persecutione et infirmitate“ (Esser / Grau, Opuscula 370; Franziskus-Schriften 101). Das bezog sich freilich nicht allein auf die, die die Schrift nicht kennen.

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einen wichtigen Gedanken der franziskanischen Observanz, dass nicht gelehrte Bildung die höchste Priorität im franziskanischen Leben haben darf.526 So konnte Alveldt den wahren Sinn des Regeltextes so erklären: „O ein Mann großen Glaubens und Vertrauens in die göttliche Vorsehung! ‚Was bei Menschen erhaben ist, wird vor Gott zum Abscheu.‘ ‚Wo ist ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein Erforscher dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Torheit gemacht? Seht auf euere Berufung, Brüder, weil nicht viele Weise dem Fleisch nach!‘ Was aber töricht ist der Welt, hat Gott erwählt, um die Weisen zu beschämen, damit kein Fleisch sich rühme vor seinem Angesicht. Denn ‚Wissenschaft bläht auf, Liebe aber baut auf ‘. ‚In vieler Weisheit viel Ärger, und wer das Wissen mehrt, mehrt auch die Mühe.‘ Viele sehen wir nämlich, die wissenschaftlich gebildet sind, ohne Furcht und zugleich Liebe Gott gegenüber, aber keinen ohne Wissen bei denen, die Gott fürchten und lieben. ‚Weise sind sie, um Böses zu tun, Gutes aber wussten sie nicht zu tun.‘ Deswegen könnte man etwas ungewöhnlich fragen: Kommt die Wissenschaft aus Sinn und Verstehen, oder kommen Sinn und Verstehen eher aus der Wissenschaft? Nur einer, der im Geist befangen ist, kann bestreiten, dass Wissenschaft eher aus Sinn und Verstehen kommt als umgekehrt. Ich bekenne aber freimütig: Der unversehrte Sinn sowie das heile und kraftvolle Verstehen, die brauchen die Wissenschaft nicht. Viel mehr noch kann, wer den Heiligen Geist in sich hat und seine Salbung, die ihn über alles belehrt, die reine Wahrheit erkennen, auch wenn ihm die Wissenschaft fehlt.“ 527 Dass nach Lk 16,18 und 1 Kor 1,20–29 der übliche Maßstab der Menschen und der Welt bei Gott nicht mehr gilt, brachte für Alveldt auch eine andere als die übliche Wertung menschlicher Weisheit und Wissenschaft mit sich. Denn Weisheit und Wissenschaft können, zumindest von Gott und den wahren Werten her gesehen, sich zum Bösen hin auswirken, wie Alveldt mit 1 Kor 8,1; Koh 1,18 und Jer 4,22 unterstrich. Damit möchte Alveldt Wissenschaft und Weisheit nicht einfach verwerfen, weil die, „die Gott fürchten und lieben“, Wissen haben, eine andere Wissenschaft und Weisheit. Sie kommt aus „Sinn und Verstehen“, ja wird nach 1 Joh 2,27 letztlich als „reine Wahrheit“ durch Belehrung des Heiligen Geistes und in seiner Salbung geschenkt. Damit waren nicht mehr nur menschliche Weisheit und Wissenschaft gemeint, sondern gerade bei der Heiligen Schrift ein „unversehrter Sinn“ sowie ein „heiles und kraftvolles Verstehen“, die bloß menschliche Wissenschaft nicht mehr brauchen. Das Studium 526 Siehe dazu Schlageter, Franziskanische Tradition und Bildung 340–345; 362f. 527 Siehe Alveldt, Utrum regula, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 290rv: „O magne fidei et confidentie virum in prouidencia diuina! Quia quod apud homines altum est, abhominatio est apud deum. Vbi sapiens? Vbi scriba? Vbi inquisitor huius seculi? Nonne stultam fecit deus sapientiam huius mundi? Videte ergo vocationem vestram, fratres, quia non multi sapientes secundum carnem, sed que stulta sunt mundi elegit deus, vt sapientes confundat, et non glorietur omnis caro in conspectu eius. Scientia enim inflat, charitas vero edificat. Quia in multa sapientia, multa indignatio; et qui addit scientiam, addit et laborem. Multis siquidem videmus literatos absque timore dei pariter et amore, sed timentes et amantes deum sine scientia nullum. Sapientes sunt, vt faciunt mala, bene autem facere nescierunt. Ob eas res non vulgariter hic inquiri posset, an litere ex sensibus et intellectu, an satius intellectus et sensus ex literis oriuntur. Nemo ambigere potest nisi forsitan mente captus, quin e sensibus et intellectu litere proficiscantur magis quam viceuersa. At ego ingenue fateor: Qui sensus incolumis atque sanus integerque intellectus, is profecto literis non eget, multo amplius qui Spiritum sanctum in se habet eiusque unctionem, que docet de omnibus, puram veritatem cognoscere potest, etiam si literis careat.“ Vgl. dazu die Hinweise am Rande auf Lk 16,15; 1 Kor 1,20. 26f. 29; 1 Kor 8,1; Koh 1,18; Jer 4,22; 1 Joh 2,27.

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der Heiligen Schrift wurde dadurch bei Alveldt keineswegs ausgeschlossen.528 Dem Studium sollten aber Glauben und Vertrauen auf Gottes Vorsehung zugrunde liegen, und es musste begleitet sein vom demütigen Verlangen und Gebet, die das Wirken und die Belehrung des Heiligen Geistes im Sinn haben, wie das nach observanter Tradition Franziskus in seiner Regel allen Brüdern nahelegte.529 Während Alveldt die Erklärung der Minderbrüder-Regel am 25. August 1532 abschloss,530 griff er die hier behandelte Thematik 1533/1534 in seiner Erklärung der Klarissen-Regel Urbans IV. von neuem und ausführlicher auf.531 Die Darlegungen zu dieser Regel-Erklärung Alveldts bei Smolinsky müssen hier ebenfalls vorausgesetzt werden. Doch einige Gedanken, die für das Selbstverständnis der franziskanischen Brüder und Schwestern angesichts der reformatorischen Herausforderung besonders wichtig erscheinen, werden eigens behandelt.532 So setzte sich Alveldt hier – nun deutlicher als bei seiner Erklärung der Minderbrüder-Regel – für das Studium der Heiligen Schrift ein: „Ja, vernehmt mich nun, Brüder und Schwestern, wie schimpflich es sein mag für einen Christenmenschen, nichts zu wissen, viel schimpflicher noch für einen klösterlichen Menschen. Denn jeder Ignorant ist schlecht. Daher sagt Paulus: ‚Wer nicht erkennt, wird nicht erkannt werden‘, 1 Kor 14. Was um Gottes willen werden jene Esels-Schwestern antworten, die das Studium der Schrift beschimpfen und herabziehen, weil sie unwissend und wie übertünchte Gräber vollauf sich damit beschäftigen, alle müssten Ignoranten sein? Sie wollen nämlich niemanden sehen und ertragen, der gelehrter ist als sie, um nicht selbst ruhmlos, ungelehrt und aus der Art geschlagen zu erscheinen. [...] Woher kommen denn Gebet, Meditation und Beschauung? Etwa nicht aus der Heiligen Schrift? Woraus entspringen Glaube, Hoffnung und Liebe? Nicht gerade aus dem Worte Gottes? Was aber nützt dir die Heilige Schrift oder das Wort Gottes, wenn du nichts weißt und

528 Das wird sich vor allem in seiner Erklärung zur Klarissen-Regel zeigen. Vgl. schon Schlageter, Franziskanische Tradition und Bildung 347 Anm. 38. 529 Vgl. dazu besonders Schlageter, Franziskanische Tradition und Bildung 341f. Anm. 21. 530 Siehe Alveldt, Utrum regula, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 297v: „Finis .1.5.32. Dominica post festum Sancti Bartholomei [Ende. 1532. Am Sonntag nach dem Fest des heiligen Bartholomäus].“ Das war der 25. August 1532. 531 Siehe dazu Smolinsky, Augustin von Alveldt 204–220. Begonnen wurde die Schrift 1533, wie am Anfang unter der Überschrift angegeben ist. Beendet wurde sie 1534, anscheinend am Fest des Papstes Gregor: „Gregorii pape“. Das dürfte der Festtag Papst Gregors I. des Großen (damals 12. März) sein. Wenn vor der Jahreszahl jeweils „August.“ steht, so handelt es sich wohl um eine Abkürzung von „Augustinus“, also des Vornamens von Alveldt, da jeweils nach der Jahreszahl „Alveld.“ angemerkt ist, wohl eine Abkürzung des latinisierten „Alveldianus“, also „von Alveldt“. 532 Maßgebend dafür ist die lateinische Fassung dieser Regelerklärung, wie sie sich in der Handschrift des Bayerischen Nationalmuseums München, Ms. 3751, fol. 1–405 (Duodez-Format) findet. Diese Handschrift wurde bei der Sichtung von Handschriften dieses Museums als Wiedergabe von Alveldts Regelerklärung identifiziert. Siehe Smolinsky, Augustin von Alveldt 204 Anm. 1 und 4. Vgl. dazu Lehmann, Paul: Mittelalterliche Handschriften des Bayerischen Nationalmuseums zu München. In: Sitzungsberichte der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil. philolog. und histor. Klasse 4, München 1916; Spettmann, Hieronymus: Mittelalterliche Franziskanerhandschriften des Bayerischen Nationalmuseums zu München. In: FrS 4 (1917) 209–211; Lemmens, Leonhard: Zur Biographie des P. Augustin von Alfeld. In: FrS 5 (1918) 131–134; Oliger, Livarius: Zu Augustins von Alfeld Regelerklärung des Klarissenordens. In: FrS 5 (1918) 220–222; Lehmann, Paul: Nochmals Augustin von Alfeld. In: FrS 7 (1920) 78f.

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nichts lernen willst, darüber hinaus das Studium, das darin lernen könnte, verwirfst und und die im Lernen vorankommen, verfolgst?“533 Alveldt verteidigte hier eingehend das Studium der Heiligen Schrift, indem er an 1 Kor 14,22 anknüpft. Denn er sah sich hier nicht mit einem reformatorischen Angriff auf die angebliche Verachtung des Schriftstudiums in der Minderbrüder-Regel konfrontiert, dem er dort mit dem Hinweis auf eine tiefere vom Heiligen Geist geschenkte Einsicht begegnen wollte. Hier führte Alveldt eine ordensinterne Auseinandersetzung, in der eine für die Ordenszucht eifernde Partei offenbar mit Hilfe eines observanten Visitators die studierenden Schwestern diskredidieren wollte: „Doch als der Visitator kommt, da meinen sie, sehr heftig für die Ordenszucht zu eifern: Wenn nämlich das Studium der Wissenschaft und Weisheit unter den Schwestern sich hebt, geht das Ordensleben zugrunde, schwindet die Ehrbarkeit der Sitten, wird die Strenge der Disziplin ganz und gar erlahmen. Das sinnen sie aus, geben sie vor, verschreien und lügen sie vor dem Visitator, um ihn zu mahnen und zu belästigen, damit er den Schwestern die Schrift nicht erlaube. Und es meint der Visitator, weil diese Anklägerinnen so eifernd seien, dass sie auch die heilige Zucht liebten. Und da sie vor den Übrigen als heiliger erscheinen, glaubt er ihnen und verbietet das Studium. Er rät, dass sie in der Einfalt bleiben, nicht in der der Tauben und der Schlangen, wie sie Christus gebietet, bei Matthäus im 10., sondern in der Einfalt des Esels und des Unwissens. In ihr wollten sich jene bewegen, die nicht wagten, am Sabbat den Feinden zu widerstehen, weil sie ungelehrt und unwissend waren und die Kraft des Gesetzes nicht kannten, nach Makkabäer 2. So schreien auch diese Anklägerinnen der studierenden Schwestern und Anschwärzerinnen des Studiums: heilige Regel, Regel, Regel; der Väter Bestimmungen, Bestimmungen, Bestimmungen. Da sie jedoch die Kraft der Regel und die Wahrheit der Bestimmungen nicht kennen, rühmen sie sich nur in der Oberfläche des Gesetzes wie die Juden und wie ein Bauer sich groß tut über die Buchstaben des Alphabets, beide in ihrer Verwirrung. O blinder Neid! O verderbliche Heuchelei! O abscheulicher Hass! O hochmütige Ignoranz! O stupide Frömmigkeit! O Heiligkeit, ein Greuel für Gott und Menschen! Höre, blutdürstige Bestie!“ 534 533 Siehe Alveldt, Augustin von: Regula diue Virginis re et nomine Clare: An debeat dici euangelica, an potius superstitiosa. Bayerisches Nationalmuseum München, Ms. 3751, fol. 1-405, hier fol. 245: „Eya nunc fratres et sorores cernitis me, quam turpe sit ignorare in homine christiano, multo turpius in claustrali homine. Omnis enim ignorans malus est. Ideo ait Paulus: Si quis ignorat, ignorabitur I. Cor. 14. Quid, obsecro, respondebunt ille sorores asine, que obloquuntur et detrahunt studio litterarum, et cum ipse sunt ignare et velut parietes dealbati satagunt, ut omnes sint ignorantes. Nolunt enim videre nec tolerare doctiores se, ne ipse videantur inglorie, indocte, degeneres [...] Vnde tibi oracio, meditacio, contemplacio? Nonne ex scripturis sacris? Vnde oritur fides, spes et charitas? Numquid non ex verbo dei? Quid autem tibi prodest diuina scriptura seu verbum dei si ignorans es nec discere vis, insuper et studium, quod eam scire possis, spernis et que gliscunt discere, persequeris?“ Siehe dazu 1 Kor 14,22. 534 Siehe Alveldt, Regula Clare, ebd. fol. 245: „At cum visitator venerit, tunc vehementissime putant se pro disciplina zelare, quia si studium sciencie et sapiencie inter sorores erigatur, perit monastica vita, morum honestas deficiet, et rigor discipline prorsus torpebit, componunt, fingunt, infamant, mentiuntur coram visitatore, ut moneant eum et molestant, ne studium concedebat litterarum sororibus. Et putat visitator, quia zelose sint iste delatrices, et quod diligant sanctam disciplinam, cum pre ceteris sanctiores appareant, credit illis, et prohibet studium, consulit, ut maneant in simplicitate, non columbina et serpentina, sicut Christus precepit, Math. 10., sed in simplicitate asinina et ignara, in qua moti voluerunt isti, qui resistere hostibus non audebant in sabbato, quia fuerunt indocti et ignari et nescierunt vim legis, Mach. 2. Sic et iste delatrices

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Vermutlich spielte Alveldt hier auf eine bestimmte Visitation an, die bei den Adressaten von Alveldts Text im Klarissenkloster zu Eger den Provinzialministern der observant geprägten Saxonia S. Crucis übertragen war.535 Dass Alveldt selbst der getäuschte Visitator war, scheint aber eher unwahrscheinlich. Alveldt zeigte ja für ein solches Einschreiten gegen das Studium der Schwestern keinerlei Verständnis, wie er auch nur die Argumente der gegnerischen Schwesternpartei bekämpfte: „Aber vielleicht sagst du: mir missfällt nicht das Studium der Schwestern, dass sie gelehrt werden, sondern es missfällt deren Nachlässsigkeit, Missbrauch, Übertreibung, Neugierde und Überhebung. Darauf ich: O guter Gott! Sind also die Ungelehrten, Ungebildeten, die in der Schrift Unkundigen nicht nachlässig, missbräuchlich, übermütig und neugierig, nicht überheblich, hochmütig und ehrgeizig? O widergöttliche Feindschaft! So neige dein Herz bösen Worten zu, um in Sünden dich mit Entschuldigungen zu entschuldigen, Ps 140.“ 536 Offensichtlich hatte sich einer von Alveldts Brüdern in diesen Streit der Schwestern einbeziehen und von den angeblichen Eiferinnen für die Ordenszucht gegen das Studium instrumentalisieren lassen. Doch nun ergreift Alveldt leidenschaftlich Partei für die am Studium der Heiligen Schrift interessierten Schwestern. Damit dürfte noch nicht jene Auseinandersetzung begonnen haben, die nach 1535 Kaspar Sager, der zweite Nachfolger Alveldts als Provinzialminister, mit dem Klarissenkloster zu Eger und mit seiner Äbtissin Ursula Schlick zu führen hatte. Aber dabei ging es ebenfalls um Anschuldigungen wegen mangelnder Ordenszucht und um Versuche Kaspar Sagers, das Kloster zu reformieren.537 Dass freilich Ursula Schlick die von Urban IV. 1263 erweiterte und besonders bezüglich der Ordensarmut gemilderte Fassung der Klarissen-Regel538 besonders schätzte, wurde in Alveldts Erklärung dieser Regel sororum studiosarum et studii excriminatrices clamant: sancta Regula, Regula, Regula; patrum statuta, statuta, statuta, cum virtutem Regule ac statutorum veritatem ignorent, sed velut iudei in superficie legis gloriantur, et sicut Rusticus super litteris alphabeti se iactitat, uterque in confusione sua. O ceca invidia! O pestilens hipocrisis! O detestabile odium! O superba ignorancia! O stupida religio! O sanctitas abominabilis deo et hominibus! Audi cruenta bestia!” Vgl. dazu Mt 10,16; 1 Makk 2,29–41. 535 Zum Klarissenkloster in Eger sowie zu Alveldts Beziehung zu ihm und seiner Äbtissin Ursula Schlick vgl. Smolinsky, Augustin von Alveldt 204 Anm. 1; 205f. Anm. 7–12. Ursula Schlick wurde in einer Vereinbarung des Klosters mit der Stadt Eger von 1534 als „gräfin zu Passan, zur Weißen Kirchen, Elbogen etc.“ bezeichnet, war also adeliger Herkunft. Vgl. dazu Gradl, Heinrich (Hg.): Die Chroniken der Stadt Eger. Prag 1884, 371. 536 Siehe Alveldt, Regula Clare, fol. 245 beziehungsweise 243: „Sed forsitan dicis: non displicet mihi sororum studium, ut docte fiant, sed earum negligencia, abusus, insolencia, curiositas et elatio displicet. Ad quod ego: O bone deus, ergo que indocte, inerudite, ignare litterarum, non sunt negligentes, abutentes, insolentes, curiose, elate, superbe, Ambitiose. O impia emulatio! Sic decline cor tuum in verba malicie ad excusandas excusaciones in peccatis, Ps. 140.“ Vgl. dazu Ps 140,4 Vg., mit anderem Wortlaut als Ps 141,4 EÜ. 537 Vgl. insgesamt Göcking, P. Kaspar Sager 247–253. Das Klarissenkloster zu Eger war zwar 1463/65 wie das Franziskanerkloster dort im Sinne der Observanzbewegung reformiert worden, blieb aber bei der UrbanRegel und war deshalb begütert. Schon daher konnte es zu Konflikten kommen mit Brüdern, die strengere Auffassungen hatten von einem franziskanisch-asketischen Leben. Alveldt ging zudem in seiner RegelErklärung bereits von einem reformatorischen Einfluss auf die Egerer Klarissen aus, der vielleicht zu einer freieren Gestaltung des gemeinsamen Lebens geführt hatte. Freilich erst 1564 fand die Reformation offiziell Eingang in die Stadt Eger, was aber nicht zur Aufhebung der Konvente der Franziskaner und Klarissen führte. Siehe besonders Gradl, Chroniken Eger 82 Anm. 2. 538 Zur Klara-Regel und zu dieser späteren Version der Klarissenregel, in der Urban IV. den Klarissen ein gemeinsames Eigentum an ihren Gütern zugestand, vgl. etwa Schweizer, Lebensform einer armen Schwester 159–177. Abgedruckt ist die päpstliche Bulle mit der Klarissenregel Urbans IV. in: Bullarium Franciscanum, Tom. 2, Ed. Sbaralea. Roma 1761 (n. 98), 509–521. Vgl. auch die neuere deutsche Übersetzung: Regel für die Klarissen bestätigt von Papst Urban IV. 1263. Hg. von der Föderation der deutschen Klarissen unter der

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deutlich. Indem Alveldt nämlich das Gemeineigentum des Klosters in Eger unter der Regel Urbans IV. mit der Gütergemeinschaft der Urkirche gleichsetzte, schrieb er: „Das klösterliche Leben gottgeweihter Frauen begann nicht mit der seligen Jungfrau Klara. Sondern bald nach Empfang des Heiligen Geistes am Pfingsttag, Apostelgeschichte 2., begann die Ordnung klösterlichen Lebens, die man Regel nennen kann, weil sie die Missachtung der Welt regelt. Unter dieser Regel wurden achttausend Menschen vereint, die für Christus in einem klösterlichen Leben streiten sollten gegen der Welt Unzucht, Habgier und Hoffart. Ich weiß doch wohl, dass diese Regel mehreren gefällt, vor allem dir, edle Jungfrau und meine Herrin Ursula. Daher habe ich beschlossen, diese Regel hier einzureihen, insofern sie in der Apostelgeschichte sich zeigt und dem Evangelium Jesu Christi entnommen wird.“ 539 Diese Begründung klösterlichen Lebens im Gemeinschaftsleben der Urkirche fügte dem, was Alveldt bereits in seiner Erklärung der Minderbrüder-Regel zur Begründung klöster­lichen Lebens ausgeführt hat540, hinzu, dass das gemeinschaftlich begüterte Leben der Egerer Klarissen speziell mit dem Leben in der Urkirche identifiziert wird. Beim Vergleich der so­genannten ersten Klarissenregel, nämlich der authentischen Regel der heiligen Klara von Assisi (1253), mit der zweiten Klarissenregel, nämlich der Papst Urbans IV. (1263), gab Alveldt sogar der Regel Urbans IV. den Vorzug, ganz in Einklang mit der Äbtissin Ursula Schlick: „die ganz heilige Jungfrau Klara, trunkenen Geistes, voller Glut für den König Christus, der einst für uns arm wurde und jetzt im Himmel glorreich über alle herrscht, erwählte ja in Glut und Eifer der Liebe den äußersten Grad der Armut, nämlich überhaupt nichts zu haben unter eigener Herrschaft oder auch in Gemeinschaft, weder ein Haus, noch einen Ort, noch irgendeine Sache. Und wie eine Fremde und Pilgerin wollte sie sein in dieser Welt, indem sie mit ihren Schwestern voll Vertrauen und ohne Scheu um Almosen ging, wie man im achten Kapitel der ersten Regel deutlich sieht. Wenn auch die Glut und der Eifer der äußersten Armut in der heiligen Jungfrau Klara und in den Schwestern jener Zeit sich sehr empfehlen mag, wäre sie dennoch in vielen Gegenden nicht nachzuahmen nach allgemeinem Gesetz, sodass sie beim Erlahmen des Eifers und beim Erkalten der Glut dem weiblichen Geschlecht eine Gelegenheit würde zum Fall und eine Ursache des Verderbens. Weil das der Herr Papst Urban IV. im siebten Jahr nach dem Tod der heiligen Klara klug bedachte, brachte er den Orden der heiligen Klara zurück zur kirchlichen Regel der Urkirche, indem er die Armut in Bezug auf Dinge, die man gemeinschaftlich

geistlichen Sorge des Franziskanerordens. Kevelaer 1989. Vgl. zugleich die zur Überwindung der Reformation und zur Erneuerung des Ordenslebens herausgegebene deutsche Fassung der Urban-Regel bei Strasser, Hieronymus (Hg): Regel welche Bapst Vrbanus der Vierte diß Namens den Schwestern S. Clara Ordens fürgeschriben vnnd geben. Sambt den General Satzungen. Wien 1621, mit einer bedeutsamen „Vorrede“ und den „General Satzungen“ von 1593. Diese Ausgabe des oberdeutschen Franziskaners und ‚Generalkommissars‘ Strasser war auch für die Klöster in Böhmen bestimmt. 539 Siehe Alveldt, Regula Clare, fol. 28f.: „Monastica vita sanctimonialium non cepit ab beata virgine Clara. Sed mox dato spiritu sancto in die penthecostes, Actorum 2., cepit ordo monastice vite, que Regula appellari potest, quia regulat mundi contemptum. Sub hac regula congregati sunt octo milia hominum Christo militaturi In monastica vita contra mundi luxuriam, Auariciam, Superbiam. Scio equidem pluribus hec Regula placebit, maxime tibi, o virgo ingenua et domina mea Vrsula, ideo decreui eandem hic inserere, prout in actis apostolicis ostenditur et ex christi euangelio colligitur.“ Vgl. dazu Apg 2,1–41. 44–47. 540 Vgl. oben etwa Anm. 492–495; 502.

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besitzt, abänderte. Das nennt man nun die zweite Regel der seligen Klara, in der die Klausur des Klosters fester ist, als sie es in der ersten Regel war.“ 541 Dieser Bevorzugung der Urban-Regel wurde noch deutlicher ausgesprochen, als Alveldt, wohl in impliziter Auseinandersetzung mit Johann Eberlins Angriff, auf die verschiedenen Regeln bei den Klarissen einging,542 die Entwicklung von der Klara-Regel zur Urban-Regel näher beschrieb und mit der Regelentwicklung bei den Minderbrüdern verglich: „Aber diese erste Regel der heiligen Klara konnte man nicht in allen Gegenden halten, obwohl sie in Glut und berauschten Geistes erstellt war. Doch als die Glut abkühlte und die Liebe erkaltete, wurde diese Regel für sehr viele Anlass zum Verderben und zum Ärgernis. Deswegen erfolgten viele Zugeständnisse und Abmilderungen, die sie Privilegien nennen, sodass sie von der Absicht der erleuchteten Jungfrau Klara abirrten. Als das Papst Urban IV. sah, der durch rechtsgültige Beratung Regeln zu verwerfen und zu bestätigen hat, bestimmte er im Jahr des Herrn 1263 dem ersten seines Pontifikates eine andere Regel für die geweihten Jungfrauen der heiligen Klara. Sie bestätigte er bei Orvieto am 18. Oktober im dritten Jahr seines Pontifikates und ließ sie öffentlich verbreiten. Diese zweite Regel ist viel reifer, klüger und zum Einhalten passender begründet und angeordnet als die erste. So hat auch der heilige Franziskus zwei Regeln der Minderbrüder angeordnet. Deren erste mit 23 Kapiteln hat Papst Innozenz III. bestätigt und bekräftigt. Aber sie war nicht bis zu dem Grade gebührend und reif angeordnet, wie es nötig war, daher wurde sie gestrichen. Die zweite aber, die er später verfasste und Papst Honorius III. im Jahre Christi 1225 am Lateran im achten Jahr seines Pontifikates bekräftigte und veröffentlichte, diese Regel halten nun die Minderbrüder. Offenkundig lebten die Minderbrüder unter der ersten Regel über 17 Jahre mehr aus der Glut und im Rausch des Geistes als aus der Beherzigung der Regel. Das sage ich, damit nicht jemand leichtfertig meint, nach der ersten Regel der heiligen Klara sei die zweite untergeordnet, die eher ausgereift, einzuhalten und heilig ist.“ 543 541 Siehe Alveldt, Regula Clare, fol. 27f.: „quia sanctissima Virgo Clara spiritu ebria, Ardens vehementer pauperem regem Christum olim pro nobis factum, licet nunc gloriosum super omnes regnantem, In amoris ardore et feruore paupertatis extremum elegit gradum, nempe nihil penitus habere sub dominio proprio Aut etiam in communi, nec domum, nec locum, neque rem aliquam, et tanquam aduena et perigrina esse voluit in hoc mundo, itura pro elemosynis confidenter absque verecundia cum suis sororibus, vt in capitulo 8 prime Regule cernitur aperte, Tametsi feruor et Ardor paupertatis extreme plurimum in sacra virgine Clara commendatur ac in suis sororibus tunc temporis, Tamen in multis regionibus non esset imitabilis salua communi lege, quin etiam tepescente feruore ac frigescente Ardore sexui feminino esset occasio ruine et causa perdicionis. Quod pontifex maximus dominus Vrbanus 4. prudenter considerans Anno septimo post mortem diue Clare reuexit ordinem Sancte Clare in Ecclesiasticam Regulam primitiue Ecclesie modificando paupertatem in rebus que possidentur in communi, que nunc vocatur Regula secunda beate Clare. In qua firmior est Clausura monasterii quam in prima Regula fuit.“ Die Armutskonzeption in der authentischen Regel der heiligen Klara, auf die Alveldt hier verweist, steht im 8. Kapitel dieser Regel. Siehe insgesamt Grau / Schlosser, Leben und Schriften Klaras 238–292. Im Text der Klara-Regel (8. Kapitel) heißt es freilich nicht: „um Almosen gehen“, sondern: „um Almosen schicken“ (ebd. 270f.). Die Schwestern mussten also dazu nicht ihr Kloster verlassen, sondern schickten etwa die ihnen dienenden Brüder. Vgl. auch Schweizer, Lebensform einer armen Schwester 167. Bereits Klara hatte das Verständnis der „höchsten Armut“, das sie grundsätzlich aus dem 6. Kapitel der Regula Bullata der Minderbrüder übernahm (Esser / Grau, Opuscula 368f.; Franziskus-Schriften 98), den eigenen spezifisch fraulichen Verhältnissen angepasst. 542 Siehe Schlageter, Die Quellen zu Franziskus und Klara 393–396, bes. Anm. 63; 411–413. 543 Siehe Alveldt, Regula Clare. Epistola, fol. 5: „Sed quia hec Regula prima diue Clare non poterat in omni Regione obseruari licet ex feruore et ebrio spiritu fuerit congesta, tamen feruore tepescente ac charitate

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Mit den Jahreszahlen ging Alveldt beziehungsweise die Kopie seiner Schrift nicht so genau um. So wurde die Regula Bullata der Minderbrüder zwar im achten Jahr des Pontifikates des Papstes Honorius III. bestätigt, aber das war am 29. November 1223.544 Dies erfolgte nach gängiger Auffassung 14 Jahre nach der mündlichen Bestätigung der ersten Lebensform der Brüder durch Innozenz III. (1209). Allerdings hat Papst Urban IV. seine Neufassung der Klarissenregel, die er vielleicht bereits im 1. Jahr seines Pontifikats 1261 auszuarbeiten begann, erst am 18. Oktober 1263, im dritten Jahr seines Pontifikates, veröffentlicht.545 Alveldt ging es freilich kaum um genaue Datierungen. Denn nach ihm musste der charismatische Anfang der franziskanischen Brüder- und Schwesterngemeinschaft, der in authentischen Regeln, nämlich der Regula non Bullata der Minderbrüder und der Klara-Regel, so begeistert zum Ausdruck kommt, zu Recht einer festeren, mehr gereifteren, besser einzuhaltenden, institutionellen Form weichen. Das war hier Alveldts Hauptanliegen, obwohl anders als die Regula Bullata der Minderbrüder, die noch in Zusammenarbeit mit Franziskus selbst entstand, die UrbanRegel erst nach dem Tod der heiligen Klara und ohne ihre Mitwirkung entwickelt wurde. Jedenfalls wollte Alveldt die spätere ausgereiftere, geordnetere und lebenskräftigere Gestalt der Tradition der „Glut“ und dem „Rausch“ des charismatischen, geistlichen Ursprungs vorziehen. Denn maßgebend für ihn wurde weniger der Wortlaut der verschiedenen Regeln,546 sondern die wesentliche Wahrheit des Evangeliums, die darin zum Ausdruck kam, aber sich im evangeliumsgemäßen Leben der Brüder und Schwestern in Übereinstimmung mit frigescente fuit Regula ista pluribus occasio ruine et scandali, ob id multe fiebant condescensiones et relaxaciones quas priuilegia appellant, ita ut ab intentione preclare virginis Clare aberrarent. Quod summus pontifex Vrbanus iiij cernens velut pastor bonus ac Christi vicarius cuius est reprobare et approbare Regulas per concilium Canonicum Anno domini 1263 Anno pontificatus sui primo Aliam Regulam Sacris virginibus Sancte Clare ordinauit, Quam apud Veterem Vrbem Quintodecimo Kalendas nouembris Anno pontificatus sui tercio confirmauit et publice diuulgari iussit. Que quidem Regula secunda multo maturius, discrecius, et ad obseruandum aptior condita et ordinata est quam prima. Sicut et diuus pater Franciscus duas Regulas fratrum minorum ordinauit quarum prima in viginti tria capitula distinctam pontifex maximus Dominus Innocencius iij approbauit et confirmauit, Sed non usque adeo fuit debite et mature ordinata ut oportuit, ideo obliterata est. Secunda vero quam postea fecit, Et dominus honorius papa iij Anno Christi 1225 Rome apud Lateranensem Ecclesiam Anno pontificatus sui octauo confirmauit et publice in scriptis diuulgauit, Quam regulam nunc fratres minores obseruant. Claret igitur quod fratres minores sub prima regula vixerunt vltra decem septem Anni magis ex feruore et ebrietate spiritus quam ex consideratione Regule. Hoc dico ne quis opinetur leuitatis causa post Regulam primam diue virginis Clare secundam subordinatam esse que magis matura, obseruabilis et sancta est.“ 544 Vgl. den Schluss des Schreibens von Papst Honorius III.: „Datum Laterani tertio Kalendas decembris, Pontificatus nostri anno octavo“, bei Esser / Grau, Opuscula 371. 545 Vgl. Oliger, Livarius: De origine Regularum Ordinis S. Clarae. In: AFH 5 (1912) 181–209; 413–447. 546 So kann Alveldt z. B. die 5 Regeln des Basilius, Augustinus und Benedikt, des Franziskus und der Klara von der einen Wahrheit her verstehen. Siehe Alveldt, Regula Clare, fol. 63–64: „[...] una veritas, nempe Contemptus mundi, imitatio Christi [...] diuersis verbis, diuersis sententiis. Si quis amator est veritatis proculdubio considerat has quinque Regulas tanquam quinque signa que vnam Rem vnaque veritatem demonstrant, nempe contemptum mundi, Imitationemque christi In paupertate, In Castitate, in abnegacione proprie voluntatis, In euitacione scandali. Qui autem Amator est mundi et vocularum cultor, ac strepitus verborum obseruator, faciliter invenit, quod in his quinque regulis calumnietur, Ac sic detrahet monastice vite eamque turpiter obloquitur et blasphemat. Quis enim illi consulere potest qui veritatem non querit? Nemo potest persuadere Auaro paupertatem, luxurioso Castitatem, Superbo humilem obedienciam, Vagabundo Clausuram, quin declinet cor suum in verba malicie ad exusandas excusaciones in peccatis.“ Daher verteidigte ja Alveldt gegen reformatorische Kritik weniger Worte und Sätze der Regeln als die von ihm dort entdeckte Wahrheit. Vgl. Smolinsky, Augustin von Alveldt 194f.; Schlageter, Die Quellen zu Franziskus und Klara 419.

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Papsttum und Kirche bewahrheitet. Wenn Alveldt das in seiner Regel-Erklärung darstellte, folgte er dem Wunsch der Äbtissin Ursula Schlick des Klarissenklosters zu Eger, den er im Eingangsbrief seiner Schrift so beschrieb: „Der adeligen und gnädigen Gräfin, der ehrwürdigen und gottgeweihten Ordensjungfrau, der gnädigen Frau Mutter, Frau Ursula Schlick, der liebenswerten Äbtissin des Ordens der heiligen Jungfrau Klara zu Eger wünscht Augustin von Alveldt vom Orden der Minderen, Knecht Jesu Christi, die Fülle des Heils. Oft und viel drängtest du mich mit lechzendem Geist, edle Tochter und Braut Jesu Christi, dass ich Deiner Klugheit die Regel der heiligen Klara, die ihr, du mit deinen lieben Schwestern, Gott Christus, euerem Bräutigam, gelobt habt, in ihrem evangelischen Verständnis erklären sollte. Denn du wolltest dich nicht beim Hindurchgang gleichsam zwischen den Dornbüschen der Unwissenheit und den Klippen des Zweifels vielfältig in deinem Gewissen verletzen und dir dort einen Punkt zum Überschreiten denken, wo vielleicht keiner ist. Und die Grundlegung der Regel wollte das aktive Leben der Tugend im äußeren Menschen und das Leben der Beschauung ewiger Wahrheit und Weisheit im inneren Menschen einführen, sodass euer klösterliches Leben das Haus wäre, in dem man Christus aufnimmt, wo Martha dient und Maria zu den Füßen Jesu sitzt. Ihr aber, du und deine Schwestern, ergreift dort den Fallstrick der Übertretung und das Netz der Ängstlichkeit, und das Haus eueres Lebens wird anrüchig, finster und gefährlich. Wegen der Liebe und Ehre Christi, der ich mich verdanke, und wegen Deiner Liebe, durch die ich dir verpflichtet bin, kann ich keineswegs verweigern, was du willst und aufträgst. Deswegen will ich versuchen, ob ich irgendwie mit Hilfe deiner Gebete zu Gott deinen Wünschen gehorchen kann. Vor allem soll euer heiliger Orden in seiner Stärke bewahrt bleiben, die Schulung der Tugendkräfte wachsen. Dann werden die trügerischen Lippen der Widergöttlichen verstummen, die ungescheut das klösterliche Leben herabsetzen und dem Heiligen Geist Widerstand leisten. Und für dich und deine Schwestern wird herrlicher der Sieg, den durch Jesus Christus ihr über Welt, Fleisch und Teufel haben möchtet.“ 547 Die innere Bedrohung des Ordenslebens im Klarissenkloster zu Eger wurde sehr dramatisch dargestellt, weil ihm in der Sicht Alveldts und auch der Äbtissin Ursula Schlick das rechte Verständnis dieses Lebens vom Evangelium her weitgehend fehlte. Denn nur ein solch evan 547 Siehe Alveldt, Regula Clare. Epistola, fol. 1–2: „Nobili Ac gratiose Comiti, Venerabili et Religiose Virgini consecrate Christo, Gratiose matri domine domine Ursule Slickin, Amabili Abbatisse ordinis diue virginis Clare in Egra, Augustinus Alvedianus ordinis minorum Seruus Jesu Christi optat salutem plurimam In Virginis filio. Sepe et multum Anhelo spiritu pulsasti me generosa Christi Jesu filia et sponsa ut tue prudencie Regulam Sancte Clare quam tu cum tuis sororibus dilectis deo Christo vestro sponso vouistis Ad intellectum euangelicum declararem, ne velut inter spineta ignorancie scopulosque dubitationis transiens multipharie in conscientia tua sauciarere dum ibi transgressionis punctum fingas vbi nullum forte est. Et vbi Regule conditor vitam virtutis Actiuam in extrario homine et vitam eterne veritatis ac sapientie contemplatiuam in homine intrario intendebat introducere vt esset vita vestra monastica domus in qua Christus suscipitur vbi Martha ministrat Et Maria ad pedes Jesu sedet – ibi tu et sorores tue preuaricationis laqueum ac Rethe scrupulositatis accipitis Fitque domus vite vestre famosa, tenebrosa, periculosa. Et quia Christi Amore et honore quo debitor sum ac tua dilectione qua tibi devincior negare neutiquam possum que vis et iubes, ob id experiar si quo modo tuis votis parere queam, tuis precibus ad deum fusis adiutus, presertim ut Sacra Religio vestra in vigore conseruetur, Disciplina virtutum augeatur, Muta fiant labia dolosa impiorum qui monastice vite detrahere ac spiritui sancto repugnare non verentur, Et tibi sororibusque tuis triumphus quem de mundo, Carne, diabolo habere cupitis per Jesum Christum gloriosior fiat.“ Die langen lateinischen Satzperioden versucht die deutsche Übersetzung etwas aufzulösen.

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geliumsgemäßes Verständnis der Ordensregel kann den rechten Weg zeigen zwischen dem „Fallstrick der Übertretung“ und dem „Netz der Ängstlichkeit“. Deswegen vor allem wurde eine entsprechende Erklärung der Ordensregel dringend angefordert. Dass es aber auch bereits eine äußere Bedrohung des Ordenslebens gab, das zeigen „die trügerischen Lippen der Widergöttlichen“, die „das Ordensleben herabsetzen“. Alveldt sollte später diese Gegner des Ordenslebens beim Namen nennen. Denn ähnlich wie schon in seiner Erklärung der Minderbrüder-Regel sieht er die „Lutheraner und andere Häretiker“ zu sehr an Worten und zu wenig an der Wahrheit des Evangeliums orientiert: „Aber, o liebenswerte Jungfrau und kluge Tochter Ursula, bei den neulichen Lutheranern und anderen Häretikern ist es ja üblich, dass sie alles bis aufs Wort aus dem Evangelium haben möchten, sonst wollen sie keine Wahrheit annehmen. Deswegen will ich um deiner lerneifrigen Klugheit und anderer Jungfrauen Unterrichtung willen kurz abschweifen und zeigen, wie ganz gefährlich und widergöttlich man den Klang der Worte oder Reden beobachtet, aber die Wahrheit vernachlässigt. Frau Ursula, höre geduldig zu, ich will inzwischen mit dem Feind der Wahrheit kämpfen: Wer immer du bist, der du verlangst, dass ich die Regel der heiligen Klara, die Papst Urban IV. angeordnet und bestätigt hat, dir aus dem Evangelium bis aufs Wort nachweise! Du wendest dich ja dem Klang der Worte zu, den du in der Regel der seligen Klara erwägst und den du als Klang im Evangelium keineswegs finden kannst. Das ist allerdings auch nicht notwendig.“ 548 Wie in seiner Erklärung der Minderbrüder-Regel fand Alveldt selbst in den Evangelien keine Übereinstimmung im Wortlaut, auch nicht in den konkreten Aussagen, sodass es nur auf den letztlich gemeinten Sinn ankommt, im Grunde auf die eine maßgebende Wahrheit, die alles zusammenfügt. Bei der ersten Frage, ob die Klarissenregel Urbans IV. aus dem Evangelium Jesu Christi herkam, konnte also Alveldt antworten, dass sie nicht dem Wortlaut nach, aber in ihrem Wahrheitsgehalt dem Evangelium Jesu Christi entstammte. Weil es im Grunde nur um die Wahrheit des Evangeliums ging, sind nach Alveldt die Intention der heiligen Klara und das, was Urban in seiner Regel daraus machte, beide wesentlich eins in der evangelischen Wahrheit. Darauf kam Alveldt in seiner zweiten Frage zur Klarissenregel zu sprechen: „Ob diese Regel, die der römische Papst Urban IV. gab, der Intention und dem Willen der heiligen Klara entspricht? Lösung: Es war und musste sein der glorreichen Jungfrau Klara Intention und Willen, dass sie diese ganz vom Bösen beherrschte Welt verschmähte und gegen sie eine Heerschar ‚wie ein Heerlager‘ ordnete, um durch Keuschheit die Begierlichkeit und Unzucht der Welt zu fliehen und im Zaum zu halten, um durch freiwillige Armut die abscheuliche Habgier der Welt zu zertreten, um durch Verleugnung des Eigenwillens, nämlich den wahren Gehorsam, die für Gott hassenswerte Hoffart zu 548 Siehe Alveldt, Regula Clare. Questio prima, fol. 2: „Sed quia o virgo dulcis et filia prudens Vrsula consuetum est apud nupios lutheranos aliosque hereticos ut omnia velint ad verbum habere ex euangelio Alioqui nolunt recipere veritatem ullam, Ob id propter tuam studiosam prudentiam et aliarum virginum eruditionem volo hoc paulisper digredi et ostendere quam periculosissimum et impiissimum sit strepitum verborum seu sermonum obseruare, veritate neglecta. O Domina Vrsula patienti animo ausculta: ego interim cum hoste veritatis digladiabor. Tu quisquis es qui petis Regulam Sancte Clare quam pontifex Vrbanus iiij ordinauit et confirmauit, vt tibi ex euangelio Christi ad verbum ostendam, et quia ad strepitum verborum quem in Regula diue Clare consyderas, te conuertis quem strepitum inuenire in Euangelio minime potes nec id quidem necessarium est.“

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überwinden und durch Klausur die Ursache für das Verderben und die Gelegenheit zum Ärgernis zu vermeiden. Denn Christus droht: ‚Weh dem, durch den das Ärgernis kommt‘, bei Matthäus 18., bei Lukas 17. Diese Intention und diesen Willen der hell leuchtenden Jungfrau Klara wandelte der Herr Papst Urban IV. weder ab, noch machte er ihn anders, sondern erklärte ihn, ordnete ihn an und bestätigte ihn. Denn eine vollkommene und unversehrte Missachtung der Welt ergibt sich aus den vieren: aus Keuschheit, freiwilliger Armut, Verleugnung des Eigenwillens und aus dem Vermeiden oder Fliehen von Ärgernis und Verderben.“ 549 Maßgebend blieb die Vorstellung einer asketischen Missachtung einer vom Bösen beherrschten Welt, für die Alveldt zwar in 1 Joh 2,15ff.; 5,18f. Anhaltpunkte fand, die er aber im Sinne einer traditionellen Ordenstheologie ausgebaut hat. Mit diesem Vorverständnis fiel es Alveldt nicht schwer, diese für ihn zentrale Lehre des Evangeliums Jesu Christi sowohl bei Klara selbst wie auch in der Regelversion Urbans IV. wiederzufinden; denn nicht nur das Leben in Keuschheit, freiwilliger Armut und Verleugnung des Eigenwillens kann er so als Ausdrucksformen der Missachtung der Welt erklären, sondern erst recht die Klausur, die in der Regel Urbans IV. die Klarissen noch stärker von der Welt abschloss als in der Klara-Regel.550 Eine intensivere Begründung für eine Abweichung von der Klara-Regel lieferte Alveldt dann dort, wo er die Bestimmungen der Urban-Regel zum Gemeineigentum der Klarissen erklären musste: „alles Frühere wurde gemäß der Intention und dem Willen der heiligen Jungfrau Klara geregelt oder angeordnet. Aber das 21. Kapitel hat der Papst aufgesetzt am Willen der heiligen Klara vorbei. Sie wollte ja nichts besitzen weder im Besonderen noch in Gemeinschaft, sondern bei den Dingen nur den Gebrauch haben. Doch er hat diesen armen Gebrauch der Dinge abgewandelt in der Form gemeinsamen Besitzes nach der Weise der Urkirche, ausgenommen freilich das Einzeleigentum. Der kluge Hirte der Kirche erwog wohl viele Gefahren des Leibes wie auch der Seele, die den gottgeweihten Jungfrauen drohen, wenn solch herumschweifende Bettelei anhielte, besonders in jenen Gegenden, wo ein solch tägliches Betteln ungewohnt ist wie in Deutschland, wo man kaum jenen gibt, die Tag für Tag in hierarchischem Handeln dem Volk dienen. Deswegen hat der Papst den Schwestern der heiligen Klara gestattet, gemeinsam zeitliche Güter zu haben, damit sie davon ohne Betteln lebten.“ 551 549 Siehe Alveldt, Regula Clare. Questio 2, fol. 26f.: „Vtrum Regula ista quam dedit Romanus pontifex Vrbanus iiij Sit secundum intencionem et voluntatem diue virginis Clare? Solutio. Gloriose virginis Clare voluntas et intencio fuit et esse debuit, vt mundum istum totum In maligno positum sperneret, Et contra eum miliciam velut castrorum aciem ordinaret, Vt per Castitatem fugeret et refrenaret mundi concupiscenciam seu luxuriam, Per voluntariam paupertatem calcaret detestabilem Auariciam mundi, Per abnegationem proprie voluntatis que est vera obediencia expugnaret deo odibilem superbiam, Atque per Clausuram euitaret causam ruine et scandali occasionem. Nam Christus minatur: ‚Ve illi per quem scandalum venit‘, Math. 18., Luce 17. Hanc intencionem et voluntatem preclare virginis Clare dominus Vrbanus papa 4 non mutauit neque alterauit, sed declarauit, approbauit, ordinauit, confirmauit. Quia perfectus et integer mundi contemptus ex quatuor colligitur: Ex castitate, paupertate, proprie voluntatis abnegacione, Ac euitacione seu fuga scandali et ruine.“ Bei ‚velut castrorum aciem ordinare‘ spielt Alveldt an auf ein Bild für die ‚Braut‘ in Hld 6,10d Vg. Im Übrigen bezog er sich im Text auf Mt 18,7 und Lk 17,1. 550 Vgl. dazu oben Anm. 541: „In qua firmior est Clausura monasterii quam in prima Regula fuit.“ 551 Siehe Alveldt, Regula Clare. Declaratio ad c. 21, fol. 339: „priora omnia secundum voluntatem et intencionem diue virginis Clare Regulata sunt seu ordinata. Capitulum vero vicesimum primum preter voluntatem Sancte Clare que nihil vel in speciali vel in communi voluit possidere, sed tantum in rebus usum habere Positum est a summo pontifice qui modificauit hunc pauperem rerum usum in forma possessionis in communi more

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Eine „herumschweifende Bettelei“ der Schwestern war jedoch in der Klara-Regel gar nicht vorgesehen. Wenn neben dem Arbeitsentgelt Almosen für den Lebensunterhalt notwendig waren und nicht spontan gegeben wurden, schickte man im Allgemeinen bestimmte franziskanische Brüder, die den Schwestern das Betteln abnahmen.552 Vielleicht ging es Urban IV., wie früher Kardinal Hugolin (später Gregor IX.), eher darum, dieses Angewiesensein der Schwestern auf die Fürsorge der Brüder einzuschränken und die Klarissenklöster durch Gemeineigentum von den Brüdern unabhängiger zu machen.553 Denn je strenger der Kontakt zur Außenwelt durch die Klausur unterbunden wurde, desto mehr musste der Lebensunterhalt der Schwestern intern gesichert werden.554 Alveldt aber sah Klara und ihre ersten Schwestern noch auf ständiger Wanderschaft, um so ihren täglichen Unterhalt zu erbitten, ein Bild, das eher dem Leben vieler franziskanischen Brüder zur Zeit Alveldts entsprach. Alveldt deutete ja an, dass das Betteln der Brüder trotz der priesterlichen Dienste, die sie leisten, in manchen Gegenden besonders in Deutschland nicht den anderswo gewohnten Erfolg hatte. Daraus ergab sich Alveldts Tendenz, das Gemeineigentum als eigenständige wirtschaftliche Absicherung bei Klarissenklöstern wie in Eger zu verteidigen und als eine kluge pastorale Konzession Urbans IV. zu würdigen. Für die Auseinandersetzung mit der Reformation wurde allerdings wichtiger die 4. Frage, die Alveldt sich eingangs zur Klarissenregel stellte: „Ob das klösterliche Leben vollkommener ist und anders als das christliche Leben?“ 555 Grundsätzlich und wesentlich sind klösterliches wie christliches Leben eins in der einen katholischen und apostolischen Kirche, wie Alveldt unter Hinweis auf den Epheser- und Kolosserbrief betonte: „Denn klösterliches Leben glaubt, hofft und liebt nicht anders, hat weder eine andere Taufe, noch einen anderen Herrn Gott oder einen anderen Geist als das christliche Leben. Das sage ich, weil es manche verworfenen Menschen gibt, Liebhaber der Welt, deren Leben weder klösterlich noch christlich, sondern irreligiös und antichristlich ist. Sie sagen bösartig, dass die Orden eines gottgeweihten klösterlichen Lebens Sekten des Verderbens sind, indem sie sich nicht scheuen, den Heiligen Geist zu lästern, der die Urkirche zum klösterlichen Leben inspirierte, wie man aus der Apostelgeschichte hinlänglich erweist. Darüber hinaus lästern sie Jesus Christus, den Sohn Gottes, der die Missachtung der Welt predigte, der in Armut, Keuschheit, Gehorsam, nämlich in Verleugnung des Eigenwillens, lebte, der zu seiner Nachahmung einlud, indem er sagt: ‚Wer mir nachfolgt, geht nicht in Finsternis, sondern hat das Licht des Lebens‘, bei Johannes 8. Und was ist das klösterliche Leben anders als Missachtung der Welt und Nachahmung Christi.“ 556 primitiue ecclesie, exclusa nihilominus singulari proprietate. Prudens quippe pastor ecclesie consyderans multa pericula tam corporis quam anime sacris virginibus imminere, si talis vagabunda mendicitas maneret, maxime in his regionibus, vbi ista mendicitas quottidiana insolita est quemadmodum in Alemania, vbi vix datur illis qui in dies In actu ierarchico populo seruiunt. Ob id pontifex maximus concessit sororibus Sancte Clare bona temporalia habere communia, ut inde viuerent sine mendicacione.“ 552 Deswegen steht in der Klara-Regel nicht „um Almosen gehen“, sondern „um Almosen schicken“ (Regula Clarae 8,1). Siehe Grau / Schlosser, Leben und Schriften Klaras 271f. Vgl. oben Anm. 532. 553 Vgl. dazu Holzapfel, Handbuch 641 Anm. 3. 554 Diese Entwicklung wurde bis zu Urban IV. immer deutlicher. Vgl. ebd. 647–650. 555 Siehe Alveldt, Regula Clare. Questio 4, fol. 47: „An vita monastica perfectior sit Et Aliud quam vita christiana?“ 556 Ebd. 48f.: „Non enim vita monastica aliud credit, sperat, diligit, nec aliud baptisma, nec alium dominum deum Aut alium spiritum habet quam vita christiana. Hoc dico, quia sunt nonnulli homines reprobi, Amatores mundi, quorum vita neque monastica neque christiana, sed irreligiosa et antichristiana est, qui dicunt mali-

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Doch Alveldt selbst hat gespürt, dass die erneute polemische Behauptung der eigenen Position nicht ausreichen könnte. So greift er die Frage noch einmal auf: „Gleichwohl wurde gefragt, ob das klösterliche Leben vollkommener ist als das christliche Leben. Ich sage: Das christliche Leben ist zweifach. Das eine bleibt im Besitz der Dinge. […] Dieses christlichen Lebens Vollkommenheit besteht darin, die Gebote zu halten, sich den Werken der Barmherzigkeit zu widmen, ‚nüchtern, fromm und gerecht in dieser Welt zu leben‘. […] Ein anderes christliches Leben gibt es, womit man die Welt völlig missachtet. […] Das ist letztlich das gottgeweihte Ordensleben, das reiner lebt, seltener fällt, schneller aufsteht, behutsamer einhergeht, sicherer zur Ruhe kommt, häufiger in Anspruch genommen, rascher geläutert wird, vertrauensvoller stirbt, reichlicher belohnt wird. Daher ist es viel vollkommener als das andere christliche Leben, das äußerst gefährdet ist, weil es mannigfache Gelegenheiten und Ursachen hat, zu Fall zu kommen.“ 557 Die Intensivierung und Steigerung christlichen Lebens, die Alveldt mit der höheren Vollkommenheit des Ordenslebens meinte, musste sich freilich als glaubwürdig und überzeugend herausstellen. Fundiert werden sollte solch konsequent christliches Leben zwar durch die umfassende asketische Missachtung der Welt, die nach Alveldt bereits Jesus Christus gepredigt und durch Armut, Keuschheit und Gehorsam vorgelebt hat. Aber diese asketische Konzeption von Nachahmung Christi musste in die Tat umgesetzt werden, um überzeugend zu sein. Und das ist anscheinend zur damaligen Zeit zu wenig geglückt. Wo man in der Tat eine solche höhere Vollkommenheit in Anspruch nehmen konnte, stellte sich erst recht die Frage, ob es sich um eine tiefe, innere Glaubensbeziehung zu Jesus Christus oder nur um äußere Werkgerechtigkeit handelt. Nicht an Verfallserscheinungen klösterlichen Lebens, sondern gerade an dieser zentralen Frage entzündete sich die Kritik der Reformation am Ordensleben. Das sah auch Alveldt. Er gab jedoch darauf zum Schluss eine eher polemisch abwehrende Antwort: „Aber es wendet hier jemand aus dem unheiligen Volk der Lutheraner ein: die Klosterleute, nämlich Mönche und Nonnen, haben nicht den rechten Glauben und vertrauen auf ihre eigenen Werke. Von daher haben sie den Namen, dass sie als Heilige angesehen und genannt werden möchten, jedoch nicht aus dem Glauben, sondern aus ihren Werken. Darauf ich: […] Sag mir bitte um der Güte Gottes willen: Wie ist es möglich, dass die Klosterleute keinen Glauben haben? Sie sind doch Christen, durch die Taufe Christus eingegliedert und haben beinahe von der Wiege an den Glauben gelernt. Es ist nach jedem vernünftigen Grund unmöglich, dass ein klösterlicher Mensch keinen Glauben ciose, quod ordines sacre religionis monastice sunt secte perdicionis, non verentes blasphemare in spiritum sanctum qui inspirauit primitiue ecclesie, ut monastice viueret, sicut ex actis apostolicis affatim colligitur. Insuper blasphemant in Jesum Christum filium dei qui contemptum mundi predicauit, qui in paupertate, Castitate, Obediencia, Hoc est: Abnegacione proprie voluntatis vixit, qui ad se imitandum invitauit dicens: Qui sequitur me, non ambulat in tenebris, sed habebit lumen vitae, Joh. 8. Et quid aliud est monastica vita quam contemptus mundi et imitatio Christi.“ Vgl. dazu Joh 8,12. 557 Ebd. fol. 51f.: „Verumtamen quesitum est An monastica vita sit perfectior quam vita christiana. Dico: Christiana vita duplex est. Una que manet in possessionibus rerum. [...] Huius vite christiane perfectio est implere mandata dei, vacare operibus misericordie, ‚sobrie, pie, Juste viuere in hoc seculo‘. [...] Altera vita christiana est quo penitus mundum contemnit. [...] Hec postremo est religio sacra que viuit purius, Cadit rarius, Surgit velocius, incedit caucius, Quiescit securius, irrogatur frequencius, purgatur cicius, Moritur confidencius, premiatur copiosius. Et ideo multo perfectior est quam prima vita christiana que plurimum periclitatur, quia varias occasiones et causas ruendi habet.“ Vgl. die Anspielung auf Tit 2,12.

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hat, der infolge der Liebe Gottes die Welt missachtet und flieht. Wer hat jemals gewagt, eine so gottwidrige, törichte, frevelhafte Erfindung zu erdichten, außer allein der abtrünnige Luther, ein Mann ohne Nutzen, der gottesräuberisch von einer Abtrünnigen einen üblen Gebrauch macht. Damit bemäntelte er eifrig, wenn auch fälschlich seine buhlerische Unzucht. Aber man muss hier die Sache sozusagen genauer auf den Punkt bringen. Deswegen frage ich hier Luther mit seiner ganzen Schule: Von welchem Glauben sprechen sie, da sie die Klosterleute anklagen, keinen Glauben zu haben? Zudem bei welchen Werken beschuldigen sie die Klosterleute, dass sie in diese ihr Vertrauen setzen? Denn Luther, der scheußliche Drache, die gewundene Schlange, weist schwierige Wege. Wahrlich er versucht, sich durch die Löcher der Zweideutigkeiten zu schlängeln. Zerstören wir also diese Löcher, damit sein Gift offenkundig wird. Die Heilige Schrift nimmt eine zweifache Welt an, wie nun genügend deutlich ist, also auch einen zweifachen Glauben.“ 558 Den langen Beweisgang hier zu wiederholen, erscheint unnötig. Der Glaube, wie ihn Luther und die Seinen verstanden, gehörte nach Alveldt zur vom Bösen beherrschten Welt, während Glaube und Werke der Ordensleute, ja aller rechtgläubigen Christen zur von Gott geschaffenen, von Gott geliebten Welt gehören. Das Fazit, zu dem Alveldt am Ende seiner Schrift kam, ist dann nicht weiter verwunderlich: „Es sage nun Luther mit seinen Anhängern, aus welcher Welt von diesen beiden oben genannten er stammt und die Seinen, dann wird man sehr deutlich sehen, welchen Glauben und welche Werke er und die Seinen haben. Und wenn sie aus der Welt stammten, die Gott so sehr geliebt hat, dass er seinen einziggeborenen Sohn hingab, dann könnten weder er noch die Seinen falsch und verkehrt über Ordens- oder Klosterleute aussagen und reden. Wenn sie aber aus der vom Bösen beherrschten Welt stammen, dann darf sich niemand wundern, wenn sie die Klosterleute hassen. Denn dieser Welt ist es zu eigen, die Wahrheit zu leugnen, keck zu lügen, zu verführen, zu verlachen, zu verleumden, Skandale zu produzieren, zu verraten oder anzuschwärzen, zu lästern und auf die schändlichste Weise zu leben. Aber der ‚Allerhöchste ist geduldig in seiner Vergeltung‘, Sir 5.“ 559 558 Siehe Alveldt, Regula Clare. Declaratio ad c. 22, fol. 394–396: „Sed obicit hic Aliquis de gente lutheranorum non sancta dicens: Claustrales nempe Monachi et Monache non habent rectam fidem et confidunt in operibus suis propriis; vnde nomen habent ut velint videri et appellari sancti, non utique ex fide, sed ex operibus suis. Ad quod ego: [...] Dic, obsecro, per mansuetudinem dei adiuratus, quomodo possibile est, ut claustrales non habeant fidem, cum sint christiani in baptismate christo iniciati et ferme a cunabulis fidem didicerunt? Impossibile est per omnem rationem vt homo claustralis ex Amore dei mundum contemnens et fugiens fidem non habeat. Quis unquam tam impium, stolidum, nepharium fingere ausus fuit comentum nisi solus Lutherus Apostata, vir invtilis, abutens apostatrice ut sacrilegus, ut sue fornicacionis Adulterine palliacionem studiose, licet false composuit. Sed oportet hic exactius, ut dicitur, rem acu tangere. Ob id interrogo hic Lutherum cum tota schola sua, ut dicant, de qua fide loquantur, cum accusant claustrales, quod fidem non habeant Insuper de quibus operibus incusent eosdem claustrales, quod in eis confidenciam habeant. Enimuero Lutherus draco teter serpens tortuosus difficiles vias ostendit. Verum ipse per foramina equiuocacionum repere studet. Obstruamus ergo foramina illa, vt patefiat venenum eius. Scriptura diuina ponit duplicem mundum, ut nunc satis est, Ergo duplicem fidem.“ 559 Ebd. fol. 404f.: „Dicat nunc Lutherus cum suis asseclis, de quo mundo e duobus supradictis ipse sit et sui, tunc apertissime videbit, qualem fidem et qualia opera ipse et sui habent. Et tunc si sunt de mundo quem deus sic dilexit, ut unigenitum filium suum daret, nec ipse nec sui possunt male et peruerse indicare ac loqui de monasticis seu claustralibus personis. Si autem sunt de mundo in maligno posito, tunc nemo mirari debet, si Lutherus et sui discipuli odio habent claustrales, cum proprium istius mundi sit negare veritatem, Mentiri

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5. Profilierte theologische Gegner der Reformation

Die beiden „Welten“, die nach Alveldt einander entgegengesetzt sind, bestimmen also, welchen Wert und welche Bedeutung jeweils Glauben und Werke haben. Bei denen, die nach Alveldt der von Gott geliebten Welt entstammen, besonders bei Ordensleuten, musste das ganz anders sein als bei denen, die der vom Bösen beherrschten Welt entstammen. Während Alveldt daher bei Ordensleuten und rechtgläubigen Christen grundsätzlich alles im besten Licht Gottes sah, musste geradezu zwangsläufig bei ihren reformatorischen Gegnern alles im Argen liegen, alles im Grunde vom Bösen beherrscht sein. Eine solche Verteufelung der Gegner mag befremden, aber sie fand sich leider damals auf beiden Seiten. Wichtiger als diese sehr zeitbedingte Sicht der Gegenpartei waren den Leserinnen und Lesern dieser Erklärung zur Klarissenregel Urbans IV. offenbar Alveldts Erläuterungen zum Text der Regel selbst. Das zeigen die beiden deutschen Fassungen, die 1535 offenbar noch von Alveldt selbst für den Konvent in Eger angefertigt wurden. Darin kürzte Alveldt seinen Text erheblich, ließ vor allem die meisten Angriffe auf die reformatorische Gegenpartei sowie manch weitschweifige Exkurse aus und brachte den Regeltext Urbans IV. stärker zur Geltung. In dieser Form diente diese deutsche Version den Klarissen zu Eger wohl als Tischlektüre bei den Mahlzeiten, bis 1782 der Konvent aufhoben wurde, und die beiden Handschriften in die Prager Universitätsbibliothek überstellt wurden. Diese Verdeutschung und Kürzung von Alveldts lateinischem Kommentar fand sich auch in einem Druck, den der Franziskaner Theodor Dinger 1704 in Eger besorgte und der noch 1729 neu aufgelegt wurde.560 Alveldts Erklärung zum Text der Klarissenregel Urbans IV. selbst griff auf die Methode zurück, die er bereits bei seiner Erklärung des Textes der Regula Bullata der Minderbrüder angewandt hatte.561 Er führte unter der Überschrift „Christus euangelizat“ zunächst passende Texte aus den Evangelien an. Dann folgten unter der Überschrift „Clara imitatur“ beziehungsweise „Urbanus papa imitatur“ Worte oder Sätze aus der Klarissenregel. Schließlich formulierte Alveldt unter der Überschrift „Veritas quadrat“ den für ihn maßgebenden Sinn, der Evangelientexte und Regeltext nach ihm in Wahrheit verbindet.562 Die theologische und evangeliumsgemäße Prüfung wie Erklärung der Klarissenregel, die Alveldt hier vorlegte, wollte und sollte vor allem dem konkreten Leben der Schwestern dienen, wie er das zu Anfang zum Ausdruck brachte563 und wie das besonders seine Stellungnahme zur Frage des Schriftstudiums deutlich gemacht hat.564 Wie differenziert Alveldt das Leben der Christen außerhalb der Orden, das Leben der Schwestern in Gütergemeinschaft und das Leben der Minderbrüder ohne Eigentum sehen konnte, soll nur noch an seiner Sicht der Kreuzesnachfolge gezeigt werden: „Dieses Kreuzes Marter ist dreifach. Die eine meint: Reichtum und Besitz der Dinge nicht missbrauchen, sondern darin hungern, dürsten, frieren und für sich selbst notleidend audacter, seducere, deridere, criminari, scandalisare, traducere seu infamare, blasphemare flagiciosissime viuere, Sed ‚altissimus paciens redditor est‘.“ Vgl. dazu Sir 5,4 (Ecclesiasticus 5,4 Vg.). Siehe die ganz ähnliche Polemik bei Dappen, oben Anm. 440. 560 Vgl. dazu ingesamt Smolinsky, Augustin von Alveldt 204f. Anm. 5–6; 207f. Anm. 18–21. 561 Siehe dazu oben Anm. 482; 509–511. 562 Zur eigentlichen Erklärung des Textes der Urban-Regel vgl. Alveldt, Regula Clare 65–405. Sie beginnt mit den Worten, ebd. fol. 65: „Incipit Regula diue virginis Clare Cum theologica et Euangelica probacione Ac declaracione. Christus euangelizat.“ 563 Vgl. oben Anm. 547. 564 Vgl. oben Anm. 533–536.

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sein, aber freigebig für die Armen. Ist das keine Marter? So jemand sammelt tatsächlich für sich keine Schätze auf Erden, sondern ist reich in Gott, nach Lukas 12. […]. So sollte der Christenmensch leben in den Dingen, die er als sein Eigentum besitzt. Wenn er aber nicht so lebt, soll er sehen, ob er ein unnützer Heide oder ein treuloser Jude ist. Wer nämlich nicht ‚nüchtern, fromm und gerecht in dieser Welt lebt‘, kann nicht den Namen eines Christen tragen, sein Leben ist nach jedem vernünftigen Grund antichristlich. Die andere Marter meint: gemeinsam in Speise, Trank und Kleidung leben, Mein und Dein weder sagen noch wollen, sondern alles gemeinsam haben nicht zu irgendeinem Überfluss, sondern zur Notwendigkeit und Ehrbarkeit, indem man ‚der Gottwidrigkeit und den weltlichen Begierden absagt, um nüchtern, fromm und gerecht in dieser Welt zu leben‘, wie Paulus bei Titus 2. ermahnt. So war das Leben in der Urkirche, nach Apostelgeschichte 2. und 4. [Kapitel], wie ich oben genügend gesagt habe. So soll das klösterliche Leben sein, und wäre es doch so! Meinst du, es sei keine große Marter, nichts zu eigen zu haben und die Begierlichkeit des Geistes zu überwinden? Das bestreitet niemand. Die dritte Marter meint: überhaupt nichts besitzen, weder gemeinsam, noch einzeln, sondern fremde einem zugestandene Dinge gebrauchen, aber nicht missbrauchen. Dieses Leben beschrieb Christus. […] Was wird dir, Prediger des Evangeliums, hier zugestanden: Dass du zeitliche Dinge besitzest? Kein lustvolles Leben, keine habgierige Begierde, kein ehrgeiziger Hochmut, kein anfechtbarer und skandalöser Lebenswandel, sondern dass du ‚nüchtern, fromm und gerecht lebst‘, um mit der Wahrheit des Lebens und der Lehre das Volk zu belehren und zu Christus zu ziehen. Ein solches Leben erneuerte in der Kirche der selige Vater Franziskus durch seine evangelische Regel. Wer sie befolgt, wird zweifellos haben, wovon er lebt, denn ‚der Arbeiter ist seines Lohnes wert‘.“ 565 Jede Form christlichen Lebens war für Alveldt als Kreuzesnachfolge zu verstehen. Daher steht für ihn jede dieser Lebensformen in Beziehung zu Tit 2,12. Denn ein nüchternes, frommes und gerechtes Leben wird von allen Christen gefordert, wenn es auch von allen in unterschiedlicher Weise realisiert wird. Bei der Beschreibung klösterlichen Lebens mit Gemeineigentum machte Alveldt zudem deutlich, dass der von ihm beschriebene Standard 565 Siehe Alveldt, Regula Clare, fol. 104–107: „Huius crucis triplex cruciatus est, unus diuiciarum ac rerum possessionem non abuti, sed in illis esurire, sitire, algere, et egenum esse sibiipsi, largum autem pauperibus. Nonne cruciatus est? Talis profecto non sibi thesaurizat in terris, sed est diues in deo, Luce 12. [...] Sic deberet viuere homo christianus in rebus propriis quas possidet. Si autem non ita viuit, videat, An invtilis ethnicus gentilis, An perfidus Judeus sit. Qui enim ‚sobrie, pie, juste‘ in propriis rebus non viuit, christiani nomen habere potest, sed vita illius Antichristiana est ad omnem rationem. Alius cruciatus est In communi viuere in cibo, potu, vestitu, nec dicere nec velle meum ac tuum, sed habere omnia in communi, non ad vllam superfluitatem, sed solum ad necessitatem et honestatem, ‚Abnegando impietatem et secularia desideria, sobrie, iuste, pie viuendo in hoc seculo‘, Vt Paulus adhortatur Titi 2. Talis vita fuit in ecclesia primitiua, Actorum 2. et 4. de qua superius satis dixi. Talis debet esse monastica vita, et utinam esset! Putas, non magnus cruciatus sit nihil habere proprium, Animi cupiditatem devincere? Nemo ambigit. Tercius cruciatus est penitus nihil possidere, vel in communi vel in singulari, sed alienis rebus sibi concessis uti, non abuti. Qualem vitam Christus descripsit […] Quid tibi, o euangelice predicator, hic conceditur ut in rebus temporalibus possideas? Non libidinosa vita, non auara cupiditas, Non ambitiosa superbia, Non criminosa et scandalosa conuersacio, sed ‚sobrie, pie, iuste viuas‘, ut per veritatem vite et doctrine populum doceas et ad christum trahas. Talem vitam renouauit in ecclesia beatus pater Franciscus per suam Regulam Euangelicam. Quicumque eam obseruat proculdubio habet, unde viuat, quia dignus est operarius cibo suo et mercede sua.“ Vgl. dazu Lk 12,21; Tit 2,12 und Lk 10,7. Bei der Beschreibung des Lebens Christi und seiner Apostel bezog sich Alveldt auf die Aussendungsreden Jesu Mt 10,5–42; Mk 6,8–11; Lk 9,3–5; 10,2–16.

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5. Profilierte theologische Gegner der Reformation

nicht immer erreicht wird, sondern oft zu wünschen übrig lässt. Vielleicht dachte er dabei konkret an seine Adressatinnen im Klarissenkloster zu Eger. Eine genauere Untersuchung der lateinischen Version und ein Vergleich mit den deutschen Versionen von Alveldts Kommentar zur Klarissenregel könnte das vermutlich noch deutlicher machen, aber das kann hier nicht geleistet werden. Jedenfalls hat Alveldt mit seinem letzten Werk dem Leben der Schwestern in Eger und der im dortigen Klarissenkloster schon früh begonnenen Abwehr reformatorischer Ideen566 einen hochgeschätzten Dienst erwiesen. Nach seinem Tod, der wohl nicht lange nach der letzten Erwähnung von Alveldts Leben und Arbeit 1535 eintrat, ist Alveldts Lebenswerk nicht ganz in Vergessenheit geraten. Das zeigt neben dem erwähnten Druck der deutschen Version von Alveldts Kommentar zur Klarissenregel die Weitergabe einer Handschrift der lateinischen Version an das Klarissenkloster Bamberg567, der einzigen Handschrift, die anscheinend erhalten blieb. Doch Alveldts Wirkung blieb insgesamt begrenzt. Denn er zählte in seiner Zeit nicht zu den bekannteren Kontroverstheologen. Und selbst im Raum der alten Saxonia fand Alveldt, deren bedeutendster franziskanische Gegner der Reformation, bereits nach 1532 offenbar nur wenige Möglichkeiten zu wirken und zu publizieren. Denn seine „Loci Communes“ wurden nur handschriftlich überliefert. Auch sein Kommentar zur Minderbrüder-Regel kam nicht mehr zum Druck, und seine Arbeit über die Klarissenregel bewegte sich in Eger schon am Rand der damaligen Saxonia S. Crucis. Der Franziskaner-Konvent zu Eger und mit ihm das Klarissenkloster dort wurden schließlich 1603 der observant geprägten Straßburger Provinz (Alemania, Argentina) zugeordnet,568 die die Zeit der Reformation besser überstehen konnte als die Saxonia.

566 Vgl. Smolinsky, Augustin von Alveldt 219 Anm. 106. Charitas Pirckheimer, die als Äbtissin der Klarissen von Nürnberg der Reformation Widerstand leistete, hat antireformatorische Schriften etwa von Hieronymus Emser, aber vielleicht auch frühere von Alveldt bereits 1522 von der Äbtissin des Klosters Eger erhalten. 567 Auf dem Spiegel des Einbandes findet man einen kaum leserlichen, weil später gestrichenen Eigentumsvermerk, von dem zu entziffern ist: „Klosters der Klarissen zu Bamperg“ und auf dem Titelblatt (a) steht: „In daß beichtshauß St. Clare gehörig Bamberg“ (in späterer deutscher Schrift). Zur Beschreibung der Handschrift, vgl. Smolinsky, Augustin von Alveldt 204–207 Anm. 2,13–16. 568 Siehe Schmies / Rakemann, Spuren 329. Danach verblieb der Saxonia nur noch der Konvent Halberstadt, der dann eine Zeit lang zur kölnischen Provinz gerechnet wurde.

6. Ein abschließendes reformatorisches Urteil über die Franziskaner und über Franziskus? Erasmus Alber und der franziskanische Alcoran Als eine Generalabrechung mit der franziskanischen Lebensform und ihrer damals maßgebenden Franziskustradition stellte sich eine weitverbreitete Schrift des Erasmus Alber dar: „Der Barfuser Muenche Eulenspiegel vnd Alcoran. Mit einer Vorrede D. Martini Luther.“1 Reblin schrieb zum „Franziskusbild des Erasmus Alber (1500-1553)“: „War das Verhältnis Luthers und seiner Zeitgenossen zu Franziskus von einer Art kritischer Sympathie bestimmt, so beginnt um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts eine völlig neue Phase der FranziskusRezeption. Die Wende vollzieht sich, als Erasmus Alber, ein um 1500 in Hessen geborener Schüler Luthers, der seit 1541 in Neubrandenburg [!Brandenburg(-Neustadt)] als Pfarrer wirkte, bei einer im Auftrag des Kurfürsten [Joachim II. von Brandenburg] durchgeführten Visitation des dortigen Franziskaner-Klosters u. a. den ‚Liber Conformitatum‘ entdeckt, jene 1510 wieder aufgelegte mittelalterliche Legendensammlung, die das Leben des Franziskus in Parallele zum Leben Jesu darstellt, dabei freilich Franziskus so hoch über alle Grenzen des Menschlichen erhebt, daß er stellenweise zum zweiten Christus zu werden droht.“2 Von „kritischer Sympathie“ mit Franziskus war freilich schon bei Johann Eberlin von Günzburg kaum etwas zu spüren.3 Die „Wende“, von der Reblin spricht, muss man eher auf die „Verteufelung“ des Franziskus beziehen, die erst bei Alber so deutlich zum Ausdruck kam. Diese „Verteufelung“ findet man übrigens nicht in der sonst kritischen Wertung des Franziskus in Luthers „Vorrede“ zu Albers Schrift.4 Luther schrieb zu den Legenden über Franziskus und Benedikt: „Zu der zeit, da ich solche S. Francisci lügenden las / Auch S. Benedikt / Ergert ich mich fast seer daran / das diese hohe heiligsten Veter / noch so tieff in dem fleisch steckten / Das S. Franciscus von Weibsbilden angefochten / in den schnee trat vnd machte Schneeballen / die hies er sein weib vnd kinder / vnd sprach / O Francisce / Sihe / da hastu weib vnd kind / die mustu erneeren mit arbeit vnd sorgen / so wird dich der kuetzel vnd brunst vergehen. Vnd S. Benedict vertreibt seine gedancken von der schoenen Metzen damit / das er sich nackt in dorn puesche vnd nesseln legt / vnd zu reis sein fleisch / bis aufs blut rinnen etc. Ich dachte / Solche hohe geistliche leute / sollten solche jugentliche Brunst oder fleischliche anfechtunge nicht haben! Aber ich muste schweigen vnd gleuben. 1 Zum ersten Mal gedruckt 1542 bei Hans Luft zu Wittenberg. Schon 1542 wurde das Buch von Alber selbst ins Lateinische übersetzt. Weitere Übersetzungen folgten, ins Englische 1550, ins Französische 1556, ins Niederländische 1589 (alle mit mehreren Bearbeitungen und Auflagen). Siehe dazu die Ausführungen der Editoren bei Bartholomaeus de Pisa, De Conformitate. In: AF V, XCV. Vgl. auch Reblin, Freund oder Feind 71–78; 315. Vgl. auch oben Kap. 1, Anm. 18. 2 Siehe Reblin, Freund oder Feind 71. Zur Person des Erasmus Alber vgl. Stupperich, Reformatorenlexikon 20f.; Smolinsky, Heribert: Alber (Alberus), Erasmus. In: LThK3 1, 325: Alber, geboren um 1500 wohl zu Bruchenbrücken/Wetterau, Studium in Wittenberg, 1528 Pfarrer in Sprendlingen (Dreieich), wurde erst 1552 Prediger und Superintendent in Neubrandenburg / Mecklenburg, wo er 1553 starb. Zur Einführung der Reformation in Brandenburg (-Neustadt) wurde er dorthin 1541 von Kurfürst Joachim II. von Brandenburg berufen. 3 Vgl. besonders oben Kap. 3, Anm. 123. Vgl. dazu auch Schlageter, Die geschichtlichen Quellen zu Franziskus und Klara 408–410. 4 Siehe Alber, Der Barfuser Muenche Alcoran 2–6.

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6. Ein abschließendes reformatorisches Urteil über die Franziskaner

Itzt aber wolt ich raten (weil wir nu thueren vrteilen vber solche grosse Heiligen) das S. Franciscus nicht die schnee ballen weib vnd kinder hette genennet / Sonder ehelich worden were / da er sich fand als ein juengling in seines vaters Adam kranckheit / so hart gefangen / das er auch den schnee (der jm wenig geholfen hat) muste anruffen. Also solt S. Benedict auch sich in die Nesseln vnd dornen des ehelichen lebens gelegt haben / das hette besser die haut gerissen vnd geholffen / vnd hetten die beide nicht so viel jamers gestifftet. Denn zum schnee vnd dornen des weltlichen oder Kirchen regiments / waren sie beide viel zu geringe / als vngelerte vnd vnerfarne leute. Haben also mit ihrem kinder vnd narren werck / die welt erfuellet / Christum vnd sein Reich verfinstert. Sind sie selig geworden (als ich hoffen will / denn Gott ist reich an Barmherzigkeit) so sollen auch wir nicht verzweiueln.“ 5 Indem sich Luther auf „lügenden“ berief, die er jedoch offensichtlich jetzt wie früher ernstnahm, konnte er nun den asketischen Umgang von Benedikt und Franziskus mit ihren sexuellen Begierden als wenig sinnvoll beurteilen. Besser und hilfreicher wäre es nach ihm gewesen, die beiden hätten die Beschwerden des ehelichen Lebens auf sich genommen. Aber weil sie als „ungelehrte und unerfahrene Leute“ nicht kompetent waren für eine weltliche oder kirchliche Führung, haben sie mit ihrem persönlichen asketischen Irrweg andere angesteckt und „mit ihrem Kinder- und Narrenwerk die Welt erfüllt“. Luther wollte aber anscheinend Benedikt und Franziskus ihre Heiligkeit nicht ganz absprechen; denn wie für sich und seine Leser hoffte er auch für sie auf Gottes reiche Barmherzigkeit. Luther führte damit eine Linie weiter, auf der er zwar Franziskus mehr und mehr seinen Irrweg und die Anstiftung zu einem falschen, allzu äußerlichen Verständnis des Evangeliums vorwarf, aber ihn persönlich doch weitgehend entschuldigte.6 An dem ‚Liber conformitatum‘ des Bartholomäus von Pisa ließ freilich auch Luther kein gutes Haar. Als besonders abschreckendes Beispiel für des „Bapstumbs grewel“ blieb es für ihn weiter wichtig. Denn er meinte, dass „sich die Papisten nach dieser zeit putzen vnd schmuecken wollten / Als hetten sie nie kein wasser betruebt / Wie sie sich in zwey oder drey jaren daher verstanden haben / auch auff den Reichstagen“.7 Luther befürchtete, man könnte den „Papisten“ auf den Leim gehen, die ihre Missstände schon nicht mehr wahrhaben wollten. Um das zu verhindern, möchte er sein Exemplar des ‚Liber conformitatum‘ behalten: „Denn ich solch gedruckt Buch / liber Conformitatum genennet (darin solchs alles stehet / zusamen gefasset aus der großen Lügenden S. Francisci vnd andern mehr buechern) noch heutigen tages hab / vnd behalte auff vnser nachkommen.“8 Offenbar besaß Luther selbst ein Exemplar des „Liber Conformitatum“, das 1510 beziehungsweise 1513 in Mailand gedruckt und weit verbreitet wurde. Er erkannte darin die wichtigste Quelle des Bartholomäus von Pisa, nämlich die Legenda maior des Bonaventura, sowie den Charakter des „Liber Conformitatum“ als Legendensammlung aus mehreren Quellen.

5 Siehe ebd. 5f. (alte Pagination: Vorrede * 4rv). Luther bezog sich hier auf die sehr verbreitete „Legenda aurea“ des Jacobus de Voragine. Siehe Jacobus de Voragine: Legenda aurea vulgo Historia Lombardica dicta, recensuit Johann Georg Theodor Graesse. Leipzig 1901; c. 48: De s. Benedicto (ebd. 204–213, bes. 205); c. 144: De s. Francisco (ebd. 662–674, bes. 666). 6 Siehe oben Kap. 2, Anm. 57–59; Kap. 3, 142. Vgl. auch Reblin, Freund oder Feind 38f., 45f.; Schlageter, Die geschichtlichen Quellen zu Franziskus und Klara 391f. 7 Siehe Alber, Der Barfuser Muenche Alcoran 2 (alte Pagination: Vorrede * 2r). 8 Ebd.

6. Ein abschließendes reformatorisches Urteil über die Franziskaner

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Erasmus Alber begründete zuerst in seinem Vorwort „an den Christlichen Leser“ mit Beispielen aus dem Alten Testament, dass Richter und Könige sich um die Reinheit des Gottes­ wortes und um ein ehrbares Leben ihrer Untertanen kümmern sollen.9 Und er fährt fort: „Diesem / der Gottesfurchtigen Könige / Exempel / hat man zu vnsern zeiten auch in Deudscher nation (Gott Lob) nach zufolgen angefangen vnd soelchs zum ersten / im hochlöblichem Churfurstumb zu Sachsen / in welchem vnser lieber Herr Gott / die Herrligkeit seines Heiligen Euangelij hat zum ersten scheinen lassen / nicht allein in gantz Deudsch land / Sonder auch in viel andern Lendern. Es lest auch M[ein] Gnedigster H[err] der Churfuerst zu Brandenburg / in S[einer] C[hur] F[uerstlichen] G[naden] Landen mit Hoechstem Vleis visitiern / Vnangesehen / das die Papisten vorgeben / es gebuere nicht Weltlicher Oberkeit / Kirchenordnung auffzurichten / Sonder dem Aller heiligisten Vater dem Bapst vnd Bischouen etc. Denn sollten die Schaffe nicht ehe vor den Wolffen friede haben / bis das die Wolffe den Schaffen zu gut ein Reformation auffrichteten / so wer der Schaffe vermeinter zukunftiger Friede / ein ewiges Wuergen.“ 10 Weil Gott „die Herrlichkeit seines Heiligen Euangelii“ in Kursachsen „hat zum Ersten scheinen lassen“, wurde für Alber das dortige landesherrliche Kirchenregiment, das mit Visitationen die Reformation landesweit durchgesetzt hat, maßgebend. Weil zudem Papst und Bischöfe zu Wölfen wurden, die die Schafe „würgen“, mussten in diesem Notstand die reformationswilligen weltlichen Obrigkeiten zu Gunsten der Reformation handeln. Alber begnügte sich theologisch mit der Argumentation aus dem Alten Testament. Maßgebend wurde jedoch eher die konkrete Situation im Ursprungsland der Reformation, wo – wie später in der Mark Brandenburg – die Reformation gegen die Verweigerung von Papst und Bischöfen durchgesetzt werden musste. Da es für Alber in der Reformation aber um die „Herrlichkeit“ des Evangeliums ging, konnte deren Verweigerung nur ewiges Verderben mit sich bringen. Umgekehrt sah Alber wie bei den guten Königen des Alten Testaments so bei den reformationswilligen Fürsten „Glück und Heil gegeben“: „Also wird auch vnser HERR Gott / gewislich die Euangelische Churfuersten / Fuersten  / vnd Herrn die es Treulich meinen / vnd nicht vnter dem schein des Euangelij das jre suchen / behueten vnd Sieg geben wider jre Feinde, beide Papisten vnd Tuercken etc.“ 11 Vom Evangelium Jesu Christi her waren solche Siegesverheißungen für mögliche Konfessionsund Religionskriege kaum zu begründen. Dass Alber sie aber im Alten Testament zu finden meinte, wie das in ähnlich bedrohlichen Situationen öfters geschah, ist zwar verständlich. Aber solche Verheißungen enttäuschten, wenn sie nicht eintrafen wie etwa beim ‚Schmalkaldischen Krieg‘ von 1547. Die Bedingung, die Obrigkeiten müssen es „treulich meinen und nicht unter dem Schein des Evangeliums das Ihre suchen“, konnte ja nicht als Kriterium für äußeren, politischen Erfolg stehen, wie gerade die Geschichte dieses Krieges und ähnlicher religiös motivierter Auseinandersetzungen zeigt. Das für die Reformation ursprünglich zentrale Evangelium von der Rechtfertigung allein aus Gnade und allein durch den Glauben verwandelte sich anscheinend in eine politische Ideologie und Siegesgewissheit, die besonders in der Auseinandersetzung mit Andersdenkenden, den „Feinden“, durchgesetzt werden musste.

9 Siehe ebd. 7f. (alte Pagination: Vorwort 0, * 1r). 10 Siehe ebd. 8f. (alte Pagination: Vorwort * 1rv). 11 Siehe insgesamt ebd. 9 (alte Pagination: Vorwort * 1v).

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Das blieb nicht ohne Folgen für den Umgang mit Gegnern der Reformation. Dies wurde in Albers Bericht über die reformatorische Visitation in Brandenburg deutlich: „Wie nu M[ein] G[nediger] H[err] zu Brandenburg durch die Visitatoren / dieser beider Stedte Brandenburg Reten / haben befehlen lassen / ein auff sehens zu haben / das oeffentliche Hurerey vnd falsche Gottes dienst zu treiben / niemand gestat werde / Thumbpfaffen vnd Muenche dahin zu halten / das sie zur Predigt vnd Lectiones gehen. Dem nach / haben etliche vom Rat der Altenstad / jren Pastor M[agister] Johannem Sifridum / vnd mich sampt andern Kirchen dienern / mit sich genomen / Vnd das Barfuser Kloster visitiert / vnd den Muenchen S[einer] C[hur] F[uerstlichen] G[naden] ernstliche meinung vorgehalten. Sie sind ja aber so Verstockt als Jueden vnd Tuercken / Vnd gedencken jren tollen Franciscum mit nicht zu verlassen / Denn sie haben jn so hoch / nemlich an Lucifers Stat gesetzt / das sie sich noch keins falls versehen / vnd hoffen jmmerdar auff Keiser vnd Bapst / wie die Jueden / auff ihren vermeinten Messiam. Es sagt einer vnter jnen / alle Teuffel sollten jn hinweg fueren / Wo nicht jre Regel von Gott were. Dar auff sagt einer des Rats / Der Teufel wirft nicht ein Eie nach dem Sperling / das ist / der Teufel ist nicht so nerricht / das er den Muench so flugs hinwegfuere / denn er fuerchtet / die andern Muenche wuerden vber solchem Wunderwerck / jren irthumb erkennen / vnd sich bekeren / Aber also / behielt er seine Schaffe beieinander in seinem Hellischen Pferch.“12 Der bisherige traditionelle Gottesdienst wird also mit öffentlicher Unzucht gleichgesetzt und verboten. Der Domklerus und die Ordensleute mussten stattdessen die reformatorische Predigt und entsprechende Vorlesungen besuchen. Offenbar folgten die Brüder des Franziskanerklosters in Brandenburg-Altstadt den Anweisungen des Kurfürsten Joachims II., die ihnen der dortige Magistrat überbrachte, nicht ohne weiteres.13 Im Widerstand, der sich daraus entwickelte, erhielt die reformatorische Kirchenvisitation, die Alber mit anderen reformatorischen Geistlichen verantwortete, ihre besondere Schärfe. Alber sah die Brüder „verstockt wie Juden und Türken“, nur weil sie ihren wahnsinnigen („tollen“) Franziskus, das heißt wohl ihre franziskanische Lebensform, nicht verlassen wollten und ihre Regel letztlich von Gott herleiteten. Dadurch kam der Teufel mit ins Spiel. Denn ein besonders widerständiger Bruder sieht die göttliche Herkunft der Minderbrüder-Regel erwiesen, wenn ihn nicht buchstäblich der Teufel holt. Doch gerade das Ausbleiben eines solch teuflischen Wunders 12 Siehe ebd. 9f. (alte Pagination: Vorwort * 1v–2r). 13 Das Franziskanerkloster in Brandenburg-Altstadt (um 1250 aus Ziesar hierher verlegt) hatte sich als erstes Kloster der Saxonia bereits 1428 der Observanzbewegung angeschlossen. Der dortige Studienkonvent unterhielt eine bedeutende Bibliothek. Teile von ihr sind in die spätere königlich-preußische Bibliothek zu Berlin eingegangen, vgl. Schmitt, Anneliese: Die ehemalige Franziskanerbibliothek zu Brandenburg an der Havel. Rekonstruktion – Geschichte – Gegenwart. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 60 (2006) 1–175. Seit der Einführung der Reformation 1539 bis etwa 1570 leisteten die Brüder dort, die seit 1518 zur observantisch geprägten Saxonia S. Crucis gehörten, dagegen Widerstand. Der letzte Guardian dort, Ludolf Nortzel, wurde später mehrfach Leiter dieser Ordensprovinz, zuletzt 1562/67. Vgl. dazu Weigel, Petra / Ertl, Thomas / Cante, Marcus: Brandeburg/Havel – Franziskaner. In: Heimann / Neitmann / Schich: Brandenburgisches Klosterbuch I, 278–288; Teichmann, Die Franziskanerklöster 53; Abb, Gustav: Das Franziskaner-(Barfüsser-) Mönchskloster in Brandenburg (Altstadt). In: Germania Sacra I: Das Bistum Brandenburg I. Bearbeitet von Gustav Abb / Gottfried Wentz. Berlin 1929, 363–371; Creutz, Ursula: Bibliographie der ehemaligen Klöster und Stifte im Bereich des Bistums Berlin, des bischöflichen Amtes Schwerin und angrenzender Gebiete. Leipzig 21988 (Studien zur Katholischen Bistums- und Klostergeschichte, 26) 56–59.

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deutete Alber umgekehrt als Hinweis, dass der Teufel seine Schafe „in seinem höllischen Pferch“ halten wollte. Beide Seiten sahen den Teufel am Werk, was nach Alber die franziskanische Deutung des Franziskus als neuen Luzifers14 und die angeblich jüdisch-messianische Hoffnung der Brandenburger Brüder auf Kaiser und Papst zeigten. Dass freilich die Brüder in ihrer bedrängten Lage nach menschlicher Hilfe von außen Ausschau hielten, kann man verstehen, selbst wenn solche politischen Erwartungen, wie vorher anderswo, nicht mehr realistisch waren. Dass sich Alber nun mit den Franziskanern auseinandersetzte, ergab sich aus einem für ihn erschreckenden Fund, den er im Brandenburger Kloster machte: „Wir funden auch Buecher in jrem Refectorio (Es war da kein Bibel) darin solch Erschreckliche Gotteslesterung stehen / dergleichen vnser keiner nie zuuor gehoeret / hatten auch nicht gedacht / das jemand solch toll vnsinnig / vnd Leichtfertig ding erdencken noch gleuben solt. Ich hab aber aus vielen Legenden / mehr denn funff hundert stueck auffgezeichnet vnd verdeudscht / Vnd das meisten gezogen aus eim Buch / welchs sie nennen / ‚Librum Conformitatum‘, vnd das ist der Barfuser Alcoran / schier so dick als ein halbe Bibel / auff das man sehe was fur ein Regiment der Satan vnter den Muenchen gefueret / vnd das die Kloester nichts denn Mordgruben / vnd rechte Hinnomtal sind. Dis ist ein so koestlich Buch / das ein jglicher Christen / daraus seinen glauben stercken kann / Vnd ich zweiuele nicht / wenn ein einfeltiger Papist diese grewel lesen wird / er wird nicht lange Papistisch noch Muenchisch bleiben.“ 15 Das angebliche Fehlen der Bibel, das heißt der Heiligen Schrift, konnte sich nur auf die Deutsche Bibel Martin Luthers beziehen.16 Aber um die Bibel ging es Alber hier gar nicht. Er suchte und fand Munition gegen die Brüder und ihre Ordenstradition. Da kam ihm der „Liber Conformitatum“ gerade recht. Denn in dieser Sammlung von Legenden fand er eine anfechtbare Sicht von Franziskus und seinem Orden, die er einerseits für gotteslästerlich hielt, deswegen der Name „Alcoran“ nach dem islamischen Koran, andererseits für lächerlich, deswegen der Name „Eulenspiegel“ nach dem verbreiteten Volksbuch. Wichtig wurde dabei die Tendenz, mit der Alber sein neu entdecktes Material las und deutete. Er wollte das „Regiment Satans unter den Menschen“ zeigen, die Klöster als Orte des Todes und Zugang zur Hölle darstellen. Er meinte mit dieser Lesart und Deutung nicht nur die Christen, das heißt wohl die Anhänger der Reformation, in seiner und ihrer Sicht des Glaubens zu bestärken, sondern auch einen „einfältigen Papisten“ vom Vertrauen auf Papst und Mönche abzubringen. So offensichtlich schienen Alber die „Greuel“, die er gefunden hatte und nun darstellte, dass

14 Das stützte sich auf eine Vision eines Franziskusgefährten, von der bereits Thomas von Celano in seiner 2. Vita berichtete, die Bonaventura in seine „Legenda Maior“ übernahm und die später weiter ausgemalt wurde. Nach dieser Vision eines Bruders Pazifikus soll für Franziskus der Thron eines gefallenen Engels, später mit Luzifer identifiziert, bereitstehen. Vgl. dazu etwa Clasen, Sophronius: Franziskus Engel des sechsten Siegels. Sein Leben nach den Schriften des hl. Bonaventura. Werl 1962 (Franziskanische Quellenschriften, 7) 158 Anm. 505; 173 Anm. 535f.; 495f.; 535f. 15 Siehe Alber, Der Barfuser Muenche Alcoran 10f. (alte Pagination: Vorwort 2rv). 16 Im Franziskanerkloster zu Brandenburg gab es freilich mehrere Exemplare lateinischer Bibeln. Vgl. dazu Schmitt, Franziskanerbibliothek (passim); Abb, Gustav: Die ehemalige Franziskanerbibliothek in Brandenburg/Havel. In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 39 (1922) 475f., 496ff.; 40 (1923) 173; ders., Das Franziskanermönchskloster in Brandenburg 364–367; Creutz, Bibliographie 57.

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jemand, der nicht verstockt und vom Teufel beherrscht ist, sich nach ihm nur mit Grausen davon abwenden konnte. Die sehr fragwürdige Art, wie Bartholomäus von Pisa Franziskus mit Jesus Christus verglich, musste freilich mit der Brille eines „Ultralutheraners“ betrachtet, geradezu pervers erscheinen. Denn Alber wollte die fragwürdige „Gleichförmigkeit“ der Geschichte Jesu Christi mit Franziskus, die der Pisaner mit Legenden unterschiedlicher Provenienz sowie von unterschiedlichem historischen und spirituellen Wert ausmalte, von vorherein ohne nähere kritische Prüfung als satanische Machenschaft entlarven.17 Offenbar hat aber diese Darstellung in der protestantischen Theologiegeschichte lange Zeit wie ein „Dauerschock“ gewirkt, der das Bild des Franziskus für viele ganz verdunkelte.18 Albers Darstellung hatte jedoch leider eine Grundlage in dem überzogenen Franziskusbild des Pisaners, sodass bereits vor Erasmus Alber um 1525 ein Franziskaner wie der bedeutende Kontroverstheologe Kaspar Schatzgeyer den „Liber Conformitatum“ in Frage stellte.19 Erst mit der neuzeitlichen Erforschung der Quellen zu Franziskus wurde jedoch eine kritische Sichtung des unterschiedlichen Materials in diesem Buch möglich, obgleich eine entschiedene Abkehr von der dort vertretenen Franziskus-Ideologie den Franziskanern immer noch schwer fiel.20 Eine eingehendere Übersicht über Albers „Der Barfusser Alcoran“ ist hier nicht möglich.21 Nur um den dadurch ausgelösten „Dauerschock“ verständlich zu machen, sei noch auf wichtigere Passagen aufmerksam gemacht. Vor allem ging es Alber um die Wunder, die von Bartholomäus von Pisa wiedergegeben wurden: „Wenn der wunder werck / in der Barfuser Alcoran geschrieben / alle geschehen weren / so moechte Franciscus sampt seinen Bruedern / Christo vnd seinen Aposteln wol trotz bieten. Denn Christus hat nur einmal aus Wasser Wein gemacht / Franciscus aber drey mal. Christus ward nur einmal transfigurirt / Franciscus aber zwentzigmal. Christus hat ein kleine zeit schmerzen seiner wunden erlidden / Franciscus aber hat seiner Fuenff Wunden zwey gantzer jar / nicht on geringe schmerzen getragen. Franciscus vnd seine Brueder haben mehr denn tausent Todten aufferweckt / mehr denn Tausent Blinden sehend gemacht / mehr denn Tausent Teuffel von den Besessenen ausgetrieben / mehr 17 Siehe Reblin, Freund oder Feind 73–78. 18 Siehe besonders ebd. 74; 77f. 19 Siehe ebd. 76 Anm. 2. Schatzgeyer distanzierte sich davon in einem gegen Lambert von Avignon gerichteten Abschnitt seiner Schrift: De vita christiana et monastici instituti ad eam optima quadratura, wo er gegen Lamberts vermuteten Rückgriff auf De Conformitate (siehe oben Kap. 3, Anm. 88) schreibt: „imposuit ordini minoritico assertiones false quas ex libro quodam conformitatum nuncupato apud ipsos quoque minores apogripho iudicato et habito hausit, ut irridendi improperandi calumniandi carpat ansam […] Dicet quispiam, utique a nonnullis praedicta uulgantur minoribus, unde non immerito eis inculcantur. Responsio, tu ergo totum ordinem ob nonnullorum siue indiscretionem, siue insipientiam, praecipitabis in ruinam, si hoc licet.“ In: Köhler, Flugschriften Fiche 1795/97 Nr. 4603, bes. Fiche 1797 (L 5r). Siehe auch Selge, Ein Magdeburger Flugblatt 224 Anm. 8. 20 Vgl. dazu vor allem die kritische Edition von Bartholomaeus de Pisa, De Conformitate, sowie die Wertung seiner Quellen und Wirkungsgeschichte. In: AF IV–V. Quaracchi 1906–1912. Hier findet sich in der Einleitung zu AF V eine ausführliche kritische Stellungnahme zu Albers Darstellung (AF V, XC–XCV), die allerdings kein Verständnis zeigt für das reformatorische Anliegen von Erasmus Alber wie auch die Übertreibungen im Franziskusbild bei Bartholomäus von Pisa herunterspielt. 21 Siehe die kurze Übersicht bei Reblin, Freund oder Feind 73–76. Vgl. auch Schlageter, Johannes: Bartholomäus von Pisa (de Rinonico). OFM. In: LThK3 2, 44. Er wird oft mit seinem gleichnamigen Landsmann Bartholomäus von Pisa (de Albisi) verwechselt. So auch bei Reblin, Freund und Feind 72.

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denn Tausent Lamen, beide Mensch vnd Vihe / Kuehe / Kelber / Sew vnd Schafe gerad gemacht. In Summa: Christus hat nie nichts gethan / Franciscus hats jm nach gethan / Vnd viel mehr gethan.“ 22 Damit wollte Alber bewusst übertreiben. Er vermehrte die beim Pisaner erzählten Wunder ins Ungemessene; denn er möchte ja zeigen, dass Franziskus nicht nur Christus gleich, sondern letztlich über Christus gesetzt werden sollte. So fuhr er fort: „Der halben man in der Barfuser Alcoran offt geschrieben find / Franciscus sey Christus gleich / Denn das er vber Christus sey / wolten sie wol gern sagen / aber der Teuffel besorget immer / er machs zu grob / Offt versucht ers / vnd schweifft umbher / vnd wolt so gern Christo nach seiner Maiestat greiffen. Das schemet er sich aber nicht / oeffentlich zurhuemen / Franciscus sey mehr denn die Aposteln / alle Heiligen / alle Engel. Vnter weilen vergist er seiner eigen rede / Vnd setzt Franciscum vnter Johannem den Teuffer vnd Johannem den Euangelisten / etc.“ 23 Für Alber musste in all dem der Teufel am Werk sein. So konnten die unterschiedlichen Bilder von Franziskus, die die vom Pisaner gesammelten Quellen bieten, nur auf eine mehr oder weniger durchsichtige List des Teufels zurückgehen. Deswegen lehnte Alber auch die erzählten Wunder nicht durchweg ab, da sie für ihn jedenfalls als Teufelswerk zu erklären waren: „Vnd ich gleube wol / das der wunder werck / in irem Alcoran geschrieben / etliche geschehen sind / weils S. Paulus verkündiget hat / des widerChrists zu kunfft werde geschehen nach der wirckung des Satanas mit allerley Luegenhafftigen Krefften / vnd Zeichen vnd Wundern / vnd mit allerley verfuerung zur vngerechtigkeit vnter denen die verloren werden / dafur das sie die Liebe fur warheit nicht haben angenomen / das sie selig wuerden. Darumb (spricht er) wird jnen Gott krefftige jrthumb senden / das sie gleuben der Luegen / auff das gerichtet werden alle die der Warheit nicht gleuben / sondern lust haben an der vngerechtigkeit / etc.“ 24 Damit erklärte Alber alle die wunderbaren Geschichten, die sich um Franziskus ranken, mit der Macht des Teufels, die zur Zeit des Antichrists die, die verloren gehen, betrügen und zum Irrtum verführen. So wurden die erzählten Wunder um Franziskus und seine Brüder geradezu zum Hinweis, dass der Antichrist, nämlich in der Gestalt des Papsttums, gekommen ist. Zur Stigmatisation des Franziskus schrieb Alber dann: „Wenn Franciscus die Funff Wunden empfangen hette / so were es gewislich ein Teuffels gespenst gewest / Aber da fur halt ich eigentlich / vnd wer jren Alcoran gar auslieset / wirds also befinden / das die Muenche solchs nach Francisci Tod erticht haben / jren orden zu commendiren / nach Lucifers art / die in allen Muenchsorden gewaltiglich regiert.“ 25 Gerade die legendenhafte Darstellung, die sich schon früh um dieses Geschehen bildete, ließ den Verdacht auf eine bloße spätere Fiktion zur Empfehlung des eigenen Ordens aufkommen, wie sie ja legendär nicht selten entstanden ist. Aber selbst ein wirkliches Geschehen der Stigmatisation machte Alber keine Schwierigkeiten, weil er es als Wirkung, als „Gespenst“ des Teufels verstehen konnte.

22 23 24 25

Siehe Alber, Der Barfuser Alcoran 11f. (alte Pagination: Vorwort * 2v–3r). Siehe ebd. 12 (alte Pagination: Vorwort * 3r). Siehe ebd. 12f. (alte Pagination: Vorwort * 3rv). Vgl. dazu 2 Thess 2,9–12. Siehe ebd. 13 (alte Pagination: Vorwort * 3v).

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Als 4. Punkt unter den 525 Punkten aus der franziskanischen Tradition, die Alber keineswegs nur aus dem „Liber Conformitatum“ und auch nicht in der dort gegebenen Reihenfolge anführt, nannte er: „Es ist kein Orden auff erden / der im Euangelio gegruendet sey / on der Barfusser“ und zitierte dazu auf Latein: „Allein Franciscus mit den Seinen hat die Regel im Evangelium gegründet, in einer geistlichen Weise und Form.“ 26 Die Antwort darauf lag in der Linie der reformatorischen Theologie, ließ aber nicht einmal, wie bei Luther und Lambert noch, ein echtes Anliegen in diesem Anspruch gelten: „Es werden nicht alein aller Heuchler vnd Muench orden verdampt (Welchs wir wol leiden moegen) sondern auch alle Christliche Stende / vnd der gantz Christlich Glaub / der so viel hundert jar gestanden hat / ehe man wuste / was Franciscus fur ein thier were / Welchs Orden nicht viel vber 300. jar alt ist. So sind nu fur seiner zukunfft alle menschen verlorn / weil allein sein Orden fur sich das Euangelium hat. […] Also hat Franciscus sampt seiner Rotte allein das Euangelium / vnd vns armen suender nichts gelassen / Doch haben sie so viel guter werck vbrig / das sie vns ein teil zu kauff geben vnd in jrer kappen begraben lassen / Ist das nicht ein schoener weg zum ewigen leben?“ 27 Noch mehr als Luther verstand Alber den Anspruch, nach der Weise des Evangeliums zu leben, als exklusiven Anspruch. So konnte er freilich leicht missverstanden werden, wenn er auch ordenstheologisch gemeint war, um die eigene besondere Lebensform – so weit wie möglich – aus dem Evangelium herzuleiten. Aber in solcher Ordenstheologie wurde eine geistliche Identifikation mit dem Evangelium Jesu Christi, die auf eine konsequente JesusNachfolge zielte und als solche immer auf dem Prüfstand steht, zum Besitzanspruch eines bestimmten Ordens, der sich schon vom Evangelium und selbst von seinem Ursprung in Franziskus entfernt hatte. Alber wies ja ironisch darauf hin, wie man den Verehrern und Wohltätern nicht selten für eine reiche Gabe die Teilhabe an den guten Werken des Ordens, ein Begräbnis im Ordensgewand und so angeblich einen bequemen Weg zum Himmel anbot. Albers Verurteilung des Franziskusbildes, das er bei Bartholomäus von Pisa und in der damaligen Ordenstradition fand und das wegen seiner kultischen Überhöhung zu Recht Kritik auf sich zog, traf freilich nicht nur den Orden der Franziskaner. Er wollte Franziskus selbst treffen, der für ihn mit dem Teufel im Bunde war, nicht nur wahnwitzig und dämonisch besessen, sondern regelrecht ein Instrument Satans.28 Die Hartnäckigkeit, mit der Franziskaner besonders observanter Prägung der Reformation widerstanden, führte also schließlich zum Hass auf ihren gepriesenen Heiligen und Gründer: „Für den Fortgang der Franziskus-Rezeption ist der ‚Alcoran‘ insofern von besonderer Wichtigkeit, als er die von Luther geübte Unterscheidung zwischen Franziskus und den Franziskanern aufgibt. Im ‚Alcoran‘ gerät Franziskus selbst in die Schußlinie protestantischer Polemik. […] Franziskus – mit der Hölle im Bunde, Konsorte des Teufels, Antichrist! Damit sind die Stichworte gegeben, 26 Siehe insgesamt ebd. 18 (alte Pagination: Text A 2r). Zum entsprechenden lateinischen Zitat: „Solus Franciscus cum suis habet Regulam in Euangelio fundatam, spirituali modo et forma“, vgl. Bartholomaeus de Pisa, De Conformitate. Prologus secundus: „solus ipse [Franciscus] cum suis habet regulam in evangelio fundatam speciali modo et forma (Ed. Quaracchi IV, 7)“. Alber las also „spirituali“ statt „speciali“, vielleicht weil das eher seiner Anschauung entsprach. Diese „Übernahme des evangelischen Lebens in allem“ ist für Bartholomäus hier nur eines der Zeichen der besonderen Christusliebe des Franziskus, als deren erstes er die Hinwendung zu den Armen und Kranken nannte. 27 Siehe Alber, Der Barfuser Alcoran 18 (alte Pagination A 2r). 28 Vgl. besonders Reblin, Freund oder Feind 78.

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die die Geschichte der protestantischen Deutung der Gestalt des Franziskus in der Folgezeit bestimmen werden.“29 Das zeigte sich zuerst bei Matthias Flacius Illyricus, der beeinflusst durch Erasmus Alber die Franziskusdarstellung bei Bartholomäus von Pisa gegen Konrad Klinges anscheinend konziliante Verteidigung des „Interim“ (1549/51) ins Feld führte.30 Flacius übernahm in einem Flugblatt die „Vergleichung Francisci mit Christo ex libro conformitatum / das ist aus der Barfusser Bibel abgedruckt“, wobei er ein Bild aus dem Mailänder Druck des „Liber Conformitatum“ von 1510 leicht abwandelte.31 Damit sollte dem Franziskaner Klinge zu Hohn und Spott ein extremes Beispiel der Lehre, zu der er sich immer noch bekannte, vorgeführt werden: „damit jhr nicht so gar ewer leer vergesset / vnd zum ketzer wuerdet / schicke ich allhie euch / mit ewern andechtigen zuhoerern eine schoene figur / aus ewer Bibel genomen / Darin mit kurzen worten / vnd sehr klerlich ewer seligmacher dermassen mit Christo vergleichet / vnd vereinigt wird / das schier kein vnterscheid zwischen jhnen bleibt / Ausgenommen / das Christus nicht das Heilige kleid getragen hat.“ 32 Dass Franziskus angeblich als „Seligmacher“ mit Christus identifiziert wurde, machte ihn für Flacius zum Antichrist, und Klinge, der an Franziskus und dessen „Heiligem Kleid“ festhielt, wurde von Flacius trotz, ja wegen seiner Vermittlungsbemühungen als „Erwirdiger Vater im Antichrist“ angeredet.33 Das negative protestantische Franziskusbild wurde schließlich in evangelischer Frömmigkeit und Geschichtsschreibung überwunden. Eine besondere Bedeutung kam dabei Gerhard Tersteegen (1697–1769) zu, der aufgrund seiner asketisch-mystischen Neigung Heilige der katholischen Tradition, unter ihnen auch Franziskus, wiederentdeckte und sie dem Pietismus in seinen „Auserlesenen Lebensbeschreibungen heiliger Seelen“ nahe brachte.34 Einen neuen Zugang zu Franziskus eröffnete dann die romantische Entdeckung des Mittelalters, besonders nachdem sie ihre erste schwärmerische Phase überwunden hatte und besonders in der protestantischen Theologie und Geschichtsschreibung eine einfühlsamere und objektivere Betrachtung des Heiligen von Assisi eröffnete.35 Im Idealismus seit Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) erschien Franziskus mehr und mehr als Vorläufer der Reformation, der der erstarrten Kirche seiner Zeit eine evangelische und kritische Alternative gegenüberstellte. Von diesem Bild sind die Franziskusdarstellungen im weiteren 19. bis zum 20. Jahrhundert stark geprägt.36 Die Franziskusforschung selbst brachten in diesem Zeitraum vor allem die Protestanten Paul Sabatier (1858–1928), Walter Goetz (1867–1958) und Heinrich Boehmer

29 Siehe ebd. 30 Das passte insgesamt in das rein negative Franziskusbild von Matthias Flacius Illyricus, vgl. ebd. 79–84. Zu seiner Auseinandersetzung mit Konrad Klinge, siehe Selge, Ein Magdeburger Flugblatt 219–226, bes. 221–226. Siehe auch oben Kap. 5, Anm. 105. 31 Siehe die Abbildung mit Untertitel bei Selge, Ein Magdeburger Flugblatt 220f. 32 Ebd. 222. 33 Ebd. 221. 34 Sie erschienen zwischen 1733 und 1753 und wurden mehrfach neu aufgelegt und herausgegeben. Siehe insgesamt dazu Reblin, Freund und Feind 114–120. 35 Protestantische Theologen und Historiker wie Johann Wilhelm Neander (1789–1850), Friedrich Emmanuel Hurter (1787–1865), Friedrich Böhrunger (1812–1879), Heinrich Eduard Schneider (1794–1893) und besonders Karl August von Hase (1800–1890) sind hier zu nennen. Siehe Reblin, Freund und Feind 168–190. 36 Siehe ebd. 191–255

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(1869–1927) entscheidend voran,37 die mit ihren Quellenstudien im Bereich des franziskanischen Ordens wirksam wurden. Damit wurde Franziskus mehr und mehr gemeinsam neu entdeckt, ja er wurde erneut zum Bruder aller, die sich von der Kraft des Evangeliums anstecken lassen.38 Die Franziskaner selbst konnten aus ihrer Abwehrhaltung gegenüber der protestantischen Darstellung des Franziskus heraustreten, sich historisch-kritisch ihrem Ursprung in Franziskus nähern und neue, aktuelle Perspektiven für ihr Franziskusverständnis wie für das Selbstverständnis ihrer Bruderschaft gewinnen. Was Reblin am Ende seines Buches über Franziskus schrieb, darin kann heute ein Franziskaner durchaus seinen Bruder Franziskus wiederfinden und sich mit ihm erneut auf den Weg begeben: „Gefährte auf der Suche nach einer besseren, menschlicheren, Gott gemäßeren Welt – eine Gestalt der Hoffnung.“ 39

37 Ebd. 217–227; 249–255. 38 Das zeigen gerade auch protestantische Franziskusdarstellungen und Franziskusdeutungen des 20. Jahrhunderts bei all ihrer Unterschiedlichkeit, in denen konfessionelle und religiöse Grenzziehungen kaum noch eine Rolle spielen. Siehe Reblin, Freund und Feind 258–310, unter der Überschrift: „Freiheit – Gehorsam – Widerstand. Themen der protestantischen Franziskus-Rezeption im zwanzigsten Jahrhundert.“ 39 Siehe ebd. 313.

7. Schluss und Ausblick Der Blick über die Grenzen des Reformationszeitalters hinaus bis in die heutige Zeit führt heraus aus den Fronten der Vergangenheit. Das ermutigt, die Gegensätze, die sich in der theologischen Begegnung von Franziskanern in der Saxonia mit der frühen Reformation aufbauen, nicht für unüberbrückbar anzusehen. Gewiss, die Franziskaner, die ihrer Ordensberufung die Treue hielten, mussten gerade in der Saxonia beziehungsweise in den aus der ihr entstehenden Ordensprovinzen nach und nach den politischen Mächten weichen, die die Reformation in ihren Gebieten durchsetzten und keinen Raum mehr ließen für das Leben und Wirken einer Ordensgemeinschaft. Das macht diese Geschichte für Franziskaner nicht gerade erfreulich. Denn bei allem Einsatz für ihre Lebensform, den viele Franziskaner zeigten, konnten sie ihr Anliegen nicht mehr über die neu entstehenden konfessionellen Grenzen hinweg verständlich machen. Ja, sie versuchten es gar nicht, soweit sie der traditionellen Sicht ihres Ordens und ihres Gründers verhaftet blieben und bleiben wollten. Damit stellten sich diese Franziskaner bald auf die Seite der entschiedenen Reformationsgegner, deren Wirkungsgeschichte in jene katholisch-konfessionelle Bewegung einmündete, die man ‚Gegenreformation‘ oder ins Positive gewendet ‚katholische Reform‘, allgemein aber ‚konfessionelle Konsolidierung‘ nennt. Die Franziskaner im Bereich der alten Saxonia konnten aber die neue Bewegung in der katholischen Kirche nicht mehr entscheidend mitprägen, weil inzwischen kaum noch Brüder und Konvente übrig waren.1 Auf die Seite der Reformation stellten sich dagegen Franziskaner, die zunächst noch in ihrer ursprünglichen Berufung einen neuen Weg suchten, aber in der zunehmenden Konfrontation sich für die neu entstehende reformatorische Konfessionskirche entschieden beziehungsweise entscheiden mussten, wenn sie weiterhin einen geistlichen Dienst ausüben wollten. Ansätze zu einem neuen Verständnis franziskanischen Lebens, wie sie sich besonders bei François Lambert von Avignon fanden, konnten damit längerfristig nicht wirksam werden. Wer auf der Seite der katholischen Tradition versuchte, die Grenzen so lange wie möglich offen zu halten, etwa Konrad Klinge in Erfurt, geriet selbst in Gefahr, von beiden Seiten missverstanden und missachtet zu werden, sodass er sich immer mehr gegen die reformatorische Seite abgrenzte. Das Geschick der Brüder in der frühen Reformationszeit sollte jedoch nicht länger zur Aufrechterhaltung der Konfrontation dienen, wie das in der Geschichtsschreibung des Ordens in vergangenen Zeiten öfter geschah. Bei der zunehmenden Verständigung der christlichen Kirchen scheint es franziskanisch sinnvoll, in der Besinnung auf den Ursprung in Franziskus das gemeinsame, konfessionsübergreifende und alles christliche Leben grundlegende Evangelium Jesu Christi von Gottes Erbarmen und Güte neu zu entdecken und fruchtbar werden zu lassen. In dem Maße, wie das geschenkt wird, können die Gegensätze der Vergangenheit hoffentlich zu unterschiedlichen Perspektiven für die eine ökumenische Zukunft der Christenheit werden. In der Hoffnung darauf sollten in dieser Darstellung einer leidvollen 1 Siehe dazu Johannes Tetteborn (um 1545/50 bis 1626), der als Provinzkommissar der Saxonia S. Crucis (1603–1626) den allein verbliebenen Konvent Halberstadt für den Orden bewahren konnte, aber es nicht mehr erlebte, wie seine Provinz infolge eines Generalkapitelsbeschlusses von 1627 mit Hilfe der Kölnischen Ordensprovinz neu belebt wurde. Vgl. dazu Loefke, Christian: Johannes Tetteborn. Provinzkommissar von (1596) 1603 bis 1626. In: Berg, Management und Minoritas 145–169.

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7. Schluss und Ausblick

Konfrontation die Gegensätze zwar nicht verschwiegen, aber auch nicht verschärft werden. Denn in den Gegensätzen der Vergangenheit werden die unterschiedlichen Perspektiven sichtbar, die bereits jetzt und hoffentlich in Zukunft noch mehr den Blick weiten für die ganze Weite christlicher Berufung vom Evangelium Jesu Christi her. Vielleicht werden dann verstärkt franziskanisch orientierte Gemeinschaften in anderen Kirchen entstehen. Und in der katholischen Kirche werden Franziskaner noch länger als Konrad Klinge die Grenzen zu anderen Kirchen offen halten, um einer größeren, ökumenischen Verständigung in der einen Wahrheit des Evangeliums zu dienen. Diese grenzüberschreitende Wahrheitsfindung könnte sich an Grundgedanken eines Forschungsprojekts „Dogma und dramatische Geschichte“ orientieren, dem sich Raymund Schwager widmen wollte.2 Diese Grundgedanken fasst Ralf Miggelbrink in einem „Literaturbericht“ so zusammen: „Wahrheitsfindung ereignet sich in der Geschichte als dramatischer Prozeß, der nur da zu einem wirklich heilvollen Teilabschluß kommt, wo die Wahrheit des jeweiligen Gegners in der abschließenden Konsensformel repräsentiert wird.“3 Wie dramatisch der Prozess der Wahrheitsfindung in der Geschichte sein konnte, oft sogar von einem geradezu tragischen Unverständnis begleitet war trotz der Berufung auf die eine Wahrheit, die Jesus Christus ist, das zeigte die vielfältige Begegnung von Franziskanern in der Saxonia mit der frühen Reformation. Denn jede Seite dieser Begegnung beziehungsweise jede konfessionelle Partei, die dabei schließlich entstand, sah die eine gemeinsame Wahrheit des Evangeliums nur in ihrer Perspektive. Die Gegensätze, ja die auf Vernichtung des Anderen zielenden Rivalitäten, die die Begegnung oft leidvoll und unerträglich lieblos gestalteten, werden nur zur Versöhnung finden, wenn sie sich in das Heilsdrama Jesu Christi selbst einbeziehen lassen. Eine letzte Versöhnung aller Gegensätze und aller Gegner ist zwar nicht von der Geschichte zu erwarten, sondern nur in Gottes endgültigem Gericht und in der vollendeten Gerechtigkeit seines Reiches zu erhoffen. Doch das Heilsdrama Jesu Christi hat ja seine geschichtliche Dimension. In dieser Dimension kann es „zu einem wirklich heilvollen Teilabschluß“ kommen, wenn die „Wahrheit“ der jeweiligen Gegensätze und Gegner in einen differenzierten Konsens eingeht. Das ist die Aufgabe aller, die die Geschichte der Christenheit mitgestalten, wobei das Vertrauen auf die erlösende und versöhnende Kraft des Heilsdramas Jesu Christi grundlegend und ganz allein Geschenk seines Geistes ist.

2 Zurückgegriffen wurde damit auf die Dissertation von Schwager, Raymund: Das dramatische Kirchenverständnis bei Ignatius von Loyola. Historisch-pastoraltheologische Studie über die Stellung der Kirche in den Exerzitien und im Leben des Ignatius. Zürich 1970. Bekannter sind freilich die späteren Arbeiten, mit denen Schwager religionsgeschichtliche Überlegungen von René Girard für die systematische Theologie fruchtbar machte, besonders Schwager, Raymund: Jesus im Heilsdrama. Entwurf einer biblischen Erlösungslehre. Innsbruck 1980, 21996; ders.: Der wunderbare Tausch. Zur Geschichte und Deutung der Erlösungslehre. München 1986. 3 Siehe Miggelbrink, Ralf: Mimetische Theorie, Dramatische Theologie, Forschungsprojekt: „Religion – Gewalt – Kommunikation – Weltordnung“. Ein Literaturbericht. In: Theologische Revue 100 (2004) 179–188 bes. 179 Anm. 4.

Quellen- und Literaturverzeichnis 8. Quellen1 8.1. Ungedruckte Quellen Alveldt, Augustin von: Loci Communes Alveldiani. Anhaltische Landesbücherei DessauRoßlau Hauptbibliothek, Cod. Georg Hs. 113 4o, fol. 0r–64r. Alveldt, Augustin von: Augustinus Alueldianus fratribus Ecclesie Minorum. Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 246r [siehe auch Lemmens, Niedersächsische Franziskanerklöster 43 Anm. 2; ders., P. Augustin 104]. Alveldt, Augustin von: Questio Utrum Regula fratrum Minorum sit Euangelium Christi. Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 246v–297v. Alveldt, Augustin von: Regula diue Virginis re et nomine Clare: An debeat dici euangelica. Bayerisches Nationalmuseum München, Ms. 3751, fol. 1–405. Dappen, Bernhard: Collatio Latina habita per me fratrem Bernhardum doppenn Ordinis Minorum Coram clero Inclite Ciuitatis Lipszensis in Cena domini Anno 1526. HerzogAugust-Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol 157r–168v. Dappen, Bernhard: Sermo de veneratione sanctorum et ymaginum eorundem. HerzogAugust-Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 1r–84r. Dappen, Bernhard: Sermo de Cantico Salue Regina. Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 95r–109r. Dappen, Bernhard: Sermo de Monastica vita siue religione. Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 133v–148v. Dappen, Bernhard: Sermo de ecclesiasticorum constitutionum obseruantia. Herzog-AugustBibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 119v–132r. Dappen, Bernhard: Sermo de libertate christiana. Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1095 Helmst., fol. 149v–156r. Myconius, Friedrich: Chronica collata a D. Friderico Myconio, seniore, episcopo Gothanae ecclesiae [Autograph], Forschungs- und Landesbibliothek Gotha, Chart. B 153.

8.2. Gedruckte Quellen Aeltere Universitäts-Matrikeln. I: Universität Frankfurt a. O. Hg. von Ernst Friedlaender, Bd. 1. Leipzig 1887 (Publicationen aus Königlich-Preußischen Staatsarchiven, 32). Alber, Erasmus: Der Barfuser Muenche Eulenspiegel und Alcoran. Mit einer Vorrede D. Martini Luthers. Wittenberg 1542.

1 Abkürzungen im Allgemeinen nach dem „Lexikon für Theologie und Kirche“, 3. Auflage [LThK3]. Abkür­ zungsverzeichnis! Doch die frühere Zeitschrift „Franziskanische Studien“ wird mit der Abkürzung „FrS“ wiedergegeben. Die Polygraphie der Quellen wird, soweit nicht anders vermerkt, übernommen. Allerdings werden in den frühneuhochdeutschen Quellen die hochgestellten Buchstaben (z. B. e oder o) in den Umlauten/ Diphtongen nach unten gerückt (z. B. ue, uo).

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis 1 C – Thomas von Celano, Erste Lebensbeschreibung oder Vita des hl. Franziskus 3 C – Thomas von Celano, Das Mirakelbuch AF – Analecta Franciscana AFH – Archivum Franciscanum Historicum ARG – Archiv für Reformationsgeschichte BBKL – Biographisch-Bibliographische Kirchenlexikon BullFr – Bullarium Franciscanum CSEL – Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum

DH – Denzinger / Hünermann, Enchiridion symbolorum EÜ - Einheitsübersetzung FrS – Franziskanische Studien JulOff – Julian von Speyer, Das Reimoffizium zum Fest des hl. Franziskus LexMA - Lexikon des Mittelalters LThK3 – Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Auflage LWA – Luthers Werke in Auswahl NF – Neue Folge

382

Abkürzungsverzeichnis

ND – Neudruck PL – Patrologia Latina RGST – Reformationsgeschichtliche Studien und Texte SC – Sources chrétiennes VD 16 – Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts

Vg – Vulgata VIEG – Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte WA – Luther, Sämtliche Werke. Weimarer Ausgabe WiWei – Wissenschaft und Weisheit ZKG - Zeitschrift für Kirchengeschichte

Ortsregister A

C

Alfeld / Hildesheim 47 Altenburg / Gera (Thüringen) 157, 162–164, 224, 298 Ammensleben OSB-Abtei / Magdeburg 190 Annaberg [St. Annaberg] / Sachsen 69, 72, 77, 138–142, 146, 159, 165f., 223, 283, 289 Antwerpen 257 Arnstadt / Thüringen 268f., 280, 283 Assisi / Umbrien 32, 120, 357 Augsburg 138f., 207, 213, 242, 299 Auxerre / Frankreich 92 Avignon 112f., 354, 359

Cambridge / England 282 Carpi / Italien 78, 114 Celle / Niedersachsen 190–195 Chemnitz / Sachsen 223, 290, 316 Coburg / Unterfranken 8 Cottbus / Niederlausitz (Brandenburg) 30, 101–103, 153, 291f.

B Bad Langensalza [Salza, Langensalza] / Thüringen 173, 214f., 222–224 Bamberg 348 Basel 108–110, 112f., 115, 132, 304, 332 Bautzen / Oberlausitz 300, 302f. Bern 112 Betsaida / Gennesaret 255 Bitterfeld / Sachsen-Anhalt 8, 9 Bozen / Südtirol 207 Brandenburg / Havel 78, 290, 303, 352f. Brandenburg-Altstadt 352 Brandenburg-Neustadt 349 Braunsberg / Ostpreußen 225f., 228, 231 Braunschweig 193 Bremen 78, 195, 289 Breslau / Schlesien 78, 227, 260–262, 265 Breslau-Neustadt 292 Bruchenbrücken / Wetterau 349 Brühl / Köln 127, 129, 147 Buchholz / Annaberg (Sachsen) 141, 146 Burg [Burgel] / Sachsen-Anhalt 139f. Burgos / Spanien 151, 229, 261, 291

D Damgarten / Mecklenburg 196 Danzig / Preußen 204, 225–231 Dessau / Anhalt 314 Dorpat / Livland [Tartu / Estland] 225 Dorsten / Westfalen 21, 303f. Dresden 47, 151, 156, 215, 229, 261, 298 Düsseldorf 147f.

E Eger / Böhmen 153, 157, 223, 289f., 336f., 340, 343, 346, 348 Eisenach / Thüringen 9, 113, 140, 214, 217, 268 Eisleben / Mansfelder Land 269 England 283 Erfurt 3, 7, 63, 81, 83, 123f., 147, 232–235, 237–243, 245f., 290, 303

F Feldkirch / Vorarlberg 7, 32, 54, 76 Fellin / Livland 225 Frankenberg / Eder 131 Frankfurt / Oder 101, 226, 232, 233, 245, 246, 247, 254, 257, 258, 260 Freiberg / Sachsen 298, 299, 300 Fulda 123, 245

384

Register

G

K

Gardschütz / Altenburg 164 Gleichen / Thüringen 146 Görlitz / Neiße 261, 300, 303 Göttingen / Niedersachsen 24, 195 Goldberg / Schlesien 78, 227 Gotha / Thüringen 138–140, 146, 214 Gräfenhainichen / Wittenberg 151 Grone bei Göttingen 195 Groß Glogau / Schlesien 262, 267 Günzburg / Donau 95

Kamenz / Schlesien 268 Karlsruhe 209 Karlstadt 234 Karthago / Nordafrika 314,f. Kemberg / Wittenberg 7, 76 Köln 123, 127, 129, 147, 236, 244, 257, 285f., 289 Königsberg / Ostpreußen 107, 225 Kokenhusen / Livland 225 Konstanz / Bodensee 50, 251 Kopenhagen / Dänemark 129 Krakau / Polen 260f., 267 Kronach / Unterfranken 223 Kujawien 231 Kulm / Weichsel 225

H Halberstadt / Sachsen-Anhalt 78, 190, 348, 359 Halle / Saale 171, 214, 247, 257, 269, 290, 304, 313 Hamburg 169, 195–197 Hammelburg / Franken 241f. Hasenpoth / Livland 225 Henneberg / Thüringen 206, 209, 214 Herborn / Nassau 123, 127, 286, 289 Hermannsfelder See / Meiningen 206 Herrenberg / Tübingen 134 Herrenbreitungen OSB-Abtei / Werra 213 Hersfeld / Hessen 243 Herzberg / Elster 28, 31, 122, 153, 290 Hettstedt / Mansfelder Land 269 Hildesheim 47 Homberg / Efze (Hessen) 123f., 126f., 129, 148 Horb / Neckar 134

I Ichtershausen / Gotha 146 Ingolstadt 17, 244

J Jerusalem 38, 279, 293, 306, 323f. Jüterbog / Brandenburg 8, 11–22, 26, 46, 63, 66, 303, 306, 313

L Lauenburg / Ostpreußen 225 Lausanne / Genfer See 112 Leiden / Niederlande 24, 280 Leipzig 8, 16f., 20f., 45–49, 52, 54–56, 59, 62f., 65, 68, 72, 78, 139f., 147, 151f., 158, 166, 195, 215, 222f., 225, 227, 234, 243, 246, 261, 279, 283–285, 289f., 303f., 313 Lemsal / Livland 225 Lichtenfels / Main 138, 141 Livland / Region im Baltikum (heute Estland / Lettland) 57f., 225 Löbau / Oberlausitz 302f. Löbau / Ostpreußen 225 Lübeck 27, 78, 195f., 199, 246f., 254, 257 Lüneburg / Niedersachsen 190, 195, 197, 226 Lyon [Lugdunum] / Rhone 135, 227

M Magdeburg / Elbe 7, 56, 74, 78, 164–169, 171–173, 180, 182–184, 188–191, 193, 195, 223–225, 227, 313f., 321 Mailand [Milano] / Italien 27, 350 Mainz / Rhein 113, 165, 234, 241, 245, 285

Ortsregister Mansfeld / Sachsen-Anhalt 241, 268–270, 279 Mantua / Italien 289 Marburg / Hessen 101, 108f., 123, 126, 129, 131 Marienstern OCist-Abtei / Oberlausitz 302 Marienthal OCist-Abtei / Neiße 303 Mark Brandenburg 245, 285, 351 Meiningen / Werra 205–209, 224 Meißen / Sachsen 78, 102, 152f., 156, 214, 227, 266, 281, 291f., 296, 299f., 302, 313 Merseburg / Sachsen-Anhalt 7, 47f., 55, 290, 314 Metz 123 Miltenberg / Main 143 Mühlberg / Gotha 240 Mühlhausen / Thüringen 160, 221, 223 München 103, 116, 269, 280, 292, 334 Münnerstadt / Unterfranken 206 Münster / Westfalen 1, 171, 257 Muldenstein / Bitterfeld 8, 208, 222

N Naumburg / Saale 47 Naumburg-Zeitz, Bistum 157–160 Neiße / Schlesien 261 Neubrandenburg / Mecklenburg 77, 227, 234, 291, 349 Neuenburg / Weichsel 228 Neumarkt / Löbau (Preußen) 225 Nimbschen-Mariathron OCist-Abtei / Grimma (Sachsen) 153 Nizäa (Nikaia), Konzilsstadt 315 Nizza / Frankreich 289 Nordhausen / Thüringen 7, 232 Northeim / Göttingen 205 Nürnberg 7, 69, 209, 241, 284, 348

P Padova [Padua] / Italien 246 Paris 33, 234, 244, 252, 257 Pensau / Böhmen 272

385

Pisa / Italien 296, 354f. Prag 346

Q Quedlinburg / Sachsen-Anhalt 94

R Reichenbach / Sachsen 299 Ribnitz / Damgarten (Ostsee) 196–198, 200–204, 224, 247 Riga / Livland (Lettland) 225, 227 Rochester / England 281f. Rom [Roma] 10, 47, 52, 59–61, 75, 127, 183, 207, 289, 339 Ronneburg / Gera 221 Rostock / Mecklenburg 195, 197, 203f. Rottenburg / Neckar 134

S Saalfeld / Ostpreußen 225 Salurn / Bozen 207 Schleusingen / Thüringer Wald 205–210, 213f., 223–225, 238 Schmalkalden / Thüringer Wald 206, 213 Schongau / Bayern 280 Schweidnitz / Schlesien 260–262, 265, 267f. Schwerin / Mecklenburg 198, 204, 289 Schwerstedt / Weimar 222 Seußlitz OSCl-Abtei / Riesa (Sachsen) 291 Sommerfeld / Brandenburg 156f. Speyer 123, 126, 173 Sprendlingen / Dreieich 349 Stadthagen / Hannover 304 Staffelstein / Main 138 Steinlausigk / Muldenstein bei Bitterfeld 8–12, 208, 222, 224 Sternberg / Mecklenburg 204 Stettin / Oder 78, 227 Stralsund / Vorpommern 196, 198–200 Straßburg [Strasbourg] / Elsass 108, 110, 112, 115f., 123, 125, 134, 226, 348

386

Register

T Thorn / Preußen 225, 229 Thüringen 1, 78 Tilsit / Ostpreußen 225 Torgau / Elbe 8, 151–153, 155–157, 164, 224, 290, 292, 298 Tübingen / Neckar 48, 134, 226

U Übigau / Herzberg 30, 290 Uppsala / Schweden 226

V Venedig [Venezia] 291 Veßra OPraem-Kloster (Thüringen) 213

Wesenberg / Preußen 225 Wien 262 Wimpfen 257 Winsen an der Luhe 190, 194f. Wismar / Vorpommern 29f. Wittenberg 3, 7f., 10–13, 15–18, 21–25, 28– 30, 32, 39, 42, 44–46, 59, 63, 69f., 75–78, 101–103, 108–110, 112f., 115, 117, 122f., 129, 131f., 134, 148, 151–153, 159, 164f., 190, 196, 202, 209, 224–229, 233–235, 242, 246, 265, 271, 277, 279, 283, 290f., 297f., 306, 315f., 349 Wolfenbüttel 21, 207, 235, 238, 240, 269, 303f., 316 Worms 75, 234 Würzburg 205–209

Z

W Wachsenburg / Thüringen 146 Wartenburg / Preußen 225 Wehlau / Preußen 225, 228 Weimar 78f., 81, 84, 138f., 141, 155, 158f., 191, 214–224, 235, 295, 304, 306, 313, 322

Ziesar / Brandenburg 352 Zittau / Oberlausitz 303 Zürich 53, 112, 115 Zwickau / Sachsen 22, 77, 140f., 157–164, 168, 191, 224, 298f.

Personenregister A Aaron 51, 55, 272 Abern, Urban, früher OFM1 156f., 224 1 Die angefügten Kurz-Bezeichnungen zu den franziskanischen Ordensgemeinschaften sind bei den ganz oder weitgehend verselbständigten Gemeinschaften wie den FranziskanerObservanten, den Franziskaner-Konventualen und den Kapuzinern wie üblich (OFMObs, OFMConv, OFMCap). Die Kurz-Bezeichnung OFM gilt für alle Franziskaner-Minderbrüder, die nicht zu diesen verselbständigten Gemeinschaften des Ersten Ordens gehören oder gehörten und deshalb nicht in verschiedene Richtungen getrennt werden sollen. Doch wurde eine Anregung aufgenommen, die Minderbrüder des 13. und 14. Jahrhunderts, in

Abraham 308 denen noch eine weitgehend ungebrochene Einheit des Ersten Ordens bestand, mit OMin als Träger des frühen und gemeinsamen franziskanischen Erbes zu kennzeichnen. Beim Zweiten franziskanischclarianischen Orden, den so genannten Klarissen, wird nicht zwischen so genannten „reichen“ und „armen“ Klarissen unterschieden, sondern für alle die übliche gemeinsame Abkürzung OSCl [Ordo Sanctae Clarae] gebraucht. Weil die Trennung von den bisherigen Ordens­ gemeinschaften nicht immer so eindeutig ist und war vor allem in den turbulenten Zeiten der frühen deutschen Reformation wie z. B. im Fall von Urban Abern, mag die Bezeichnung: früher OFM (und so ähnlich bei anderen Orden), problematisch erscheinen, doch gibt sie zumindest

Personenregister Adam, erster Mensch 108, 174f., 177f., 252f., 350 Adelheid von Stenderen OSCl 47, 200 Adolph von Anhalt, Bischof von Merseburg 7, 47 Agnes von Rom, Martyrin 93 Alber [Alberus], Erasmus 9, 349, 351–357 Albrecht VII. von Mecklenburg, Herzog 198, 200 Albrecht der Beherzte von Sachsen, Herzog 215 Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Mainz, Magdeburg, Halberstadt 143, 165, 241, 285 Albrecht von Mansfeld, Graf 269 Albrecht von Meuselbach 222 Alexander IV., Papst 72 Alman, Raimund, OFM 223, 268 Alveldt, Augustin von, OFM 46–66, 68, 71f., 77, 79–84, 104, 129, 165–168, 179, 191, 195, 215, 225, 235, 284, 303f., 306, 310, 313–348 Amberg, Johannes, OFM 16, 20 Ambrosius von Mailand 7, 39, 255f. Amsdorf, Nikolaus von 9f., 32 Andres, Stephan 27 Anna von Brandenburg, Herzogin von Mecklenburg 198, 200 Anna von Mecklenburg, Landgräfin von Hessen 108 Apollo, christlicher Lehrer in Korinth 36f. Aristoteles 23f., 38, 255f. Asarja 120 Athanasius von Alexandrien 39, 42f. Augustinus [Pseudo-] 4f., 17–20, 23f., 33, 39, 44, 46, 50, 192, 251, 254f., 266, 295, 304, 315f., 339

B Balaam [Bileam], Seher 297

einen Hinweis auf eine oft langjährige Herkunft und Zugehörigkeit.

387

Balthasar von Promnitz, Bischof von Breslau 261 Barjesus, Magier 163 Barthel, Johann, OFM 214 Bartholomäus de Rinonico von Pisa, OMin 9, 27f., 30, 133, 295f., 350, 354, 356f. Bartscherer, Agnes 154 Basilius der Große von Cäsarea 266, 295, 339 Batsabe, Frau des Urias und Davids, Mutter Salomos 274 Belial [Beliar], Widersacher Gottes und Christi 50, 104, 297 Benedikt von Nursia 99, 236, 295, 339, 349f. Benno von Meißen, Bischof 313 Bernardi, Bartholomäus (aus Feldkirch / Vorarlberg) 7, 76 Bernhard von Clairvaux 5, 39, 50, 87, 91f., 136, 253, 255–257, 266 Bernhardi, Johannes (aus Feldkirch / Vorarlberg) 54–59 Biel, Gabriel 233, 244, 248 Bimlich, Konrad 127 Blum, Michael 285 Boehmer, Heinrich 357 Böhrunger, Friedrich 357 Boller, Ulrich, OFM 210, 214, 223, 225, 290 Bomhower, Antonius, OFM 227 Bonaventura von Bagnoregio, OMin 14, 27–30, 35f., 45, 55, 70, 106f., 127f., 186, 254, 295, 306, 327, 350, 353 Bonitius von Bologna 296 Borawska, Teresa 227 Braun, Günter 154 Brecht, Martin 5, 8, 47f. Briesmann, Johannes, früher OFM 30, 101–107, 112, 122, 151, 153, 290f. Bruen, Peter, OFM 204 Budde, Henning, OFM 199 Bugenhagen, Johannes 130, 242, 247, 269, 271, 277 Busch, Matthäus 141

388

Register

C

E

Caesar, Gaius Iulius 88 Canisius, Petrus, SJ 244 Caspar, Jacob 208 Christoph von Braunschweig-Lüneburg, Erzbischof von Bremen 289 Chrysostomus, Johannes 33, 266 Cicero, Marcus Tullius 50, 56 Claii, Nicasius (aus Herzberg) 28, 31 Clemen, Otto 268, 271 Clemens [Pseudo-] 117, 119, 255 Cochläus, Johannes 194, 222, 261 Cocte, Anemond 116 Cölius (Celius), Michael 268–279, 283 Cornelius, Bischof von Rom 314 Cranach, Lukas (der Ältere) 156 Cruse, Gottschalk 193 Cyklop, Wolf 191–193 Cyprianus, Caelius, Bischof von Karthago 39, 255, 259, 314

Eber, Paul 139 Eberlin, Johann von Günzburg, früher OFM 95, 112, 132–138, 151, 182, 318, 320, 328, 331f., 338, 349 Eck, Johannes 17, 20f., 45, 47, 65, 70, 72, 75, 234, 251 Eck, Leonhard von 21, 244 Eckardi, Jodokus 233 Eidten, Bernd von 230 Elia, Prophet 96, 163 Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg, Gräfin von Henneberg-Schleusingen (Mutter) 209, 214 Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg, Gräfin von Henneberg-Schleusingen (Tochter) 209 Emser, Hieronymus 47, 65, 191f., 194, 348 Erasmus, Desiderius von Rotterdam 43–45, 49, 61, 82, 95, 132, 234, 248, 314f. Ernst von Braunschweig-Lüneburg, Herzog 190, 191, 193, 194 Ernst von Mansfeld, Graf 269 Ernst von Sachsen, Kurfürst 215

D Daniel, Prophet 120 Dappen, Bernhard, OFM 13–15, 21, 63, 303–307, 309–313, 316–318, 322, 346 Datoris [Gebhart], Johannes, OFM 221, 290 David, König von Juda und Israel 264, 274 Dinger, Theodor, OFM 346 Doelle, Ferdinand, OFM 154f., 158, 161, 268 Dölsch, Johannes (aus Feldkirch / Vorarlberg) 7, 32 Dominikus von Caleruega 99, 236, 295 Dorothea von Mecklenburg, OSCl, Äbtissin von Ribnitz 198, 201, 204 Draco, Johannes 234 Drzewicki, Matthias, Bischof von Kujawien 231 Dungersheim, Hieronymus von Ochsenfurt 47 Duns Scotus, Johannes, OMin 70, 233, 244, 246, 250

F Faber, Johannes 194 Fabri, Eberhard, OFM 223 Ferdinand von Habsburg, Erzherzog, später König und Kaiser 155, 261, 267f., 280, 303 Fisher, John, Bischof von Rochester 194, 257, 280–283 Flacius Illyricus, Matthias 10, 243, 357 Fleck, Johannes, früher OFM 8–10, 224 Fleischer, Laurentius, Bürgermeister in Freiberg 299 Fontinus (von Borna), Petrus, früher OFM 22–24, 29, 42, 45, 229, 291, 302 Forchheim, Johannes, OFM 69 Forster, Johann 209–214 Franz von Braunschweig-Lüneburg, Herzog 190

Personenregister Franziskus de Mayronnes, OMin 70 Franziskus von Assisi 6, 9, 16, 21–23, 25–37, 44f., 48, 82, 87–92, 98f., 106, 116–122, 129, 132–137, 161, 172, 179, 182, 186, 188f., 197, 216, 236, 239, 254, 267, 289f., 295–297, 317, 319f., 328–332, 334, 338f., 347, 349f., 352–359 Freund, Caspar 207 Friedrich III., Erzbischof von Magdeburg 164, 172 Friedrich der Fromme von BraunschweigLüneburg, Herzog 190 Friedrich der Sanftmütige von Sachsen, Kurfürst 214f. Friedrich der Weise von Sachsen, Kurfürst 11, 21, 69, 75, 78, 101, 139, 151–153, 155f., 158f., 162–164, 215, 221, 226f., 298 Friese, Siegmund 240 Fritzhans, Johannes, früher OFM 56–59, 71–74, 165–170, 176, 188, 224 Fuhrer, Jakob, früher OFM 22f., 25, 29, 31 Funck, Gerhard, OFM 198, 247

G Gastel, Jörg 141, 221 Gebhard von Mansfeld, Graf 269 Gelbhaar, Gregorius 134 Georg Ernst von Henneberg-Schleusingen, Graf 209, 213f. Georg III. von Anhalt, Reformator 314 Georg der Bärtige von Sachsen, Herzog 10, 140, 146, 156f., 215, 222f., 261, 281, 289, 298–300 Georg von Bautzen, früher OFM 159 Gerhard von Abbeville 33 Gericke, Veit, früher OFM 151f. Gerson, Johannes 132 Girard, René 360 Göcking, Dominikus, OFM 268, 286 Goetz, Walter 357 Gregor I. der Große, Papst 32f., 39, 334 Gregor IX., Papst, früher Kardinal Hugolin von Ostia 343

389

Gregor von Nazianz 39 Grever, Johannes, OFM 169, 171f., 176, 178, 225 Grone, Andreas (Conrad Fricke), OFM 78, 83, 169, 171, 173, 195, 223 Grop, Gottschalk, früher OESA 110 Gropper, Jakob 15 Günther von Mansfeld, Graf 269 Günther, Franz 7, 12–14, 17, 20, 303 Gutwasser, Georg, OFM 242

H Hadrian VI., Papst 166 Hahn, Linhart, OFM 206 Hamm, Bernd 5 Hammer, Gerhard 24, 26f. Hananias 326, 328f. Hananja 120 Hanau, Johann 254 Hans von Küstrin, Markgraf der Neumark 292 Hase, Karl August von 357 Haselbeck, Gallus, OFM 158 Hausmann, Nikolaus 158–161 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 357 Heinemann, Otto von 303 Heinrich V. von Mecklenburg, Herzog 29, 198, 203f. Heinrich VIII. von England, König 149, 280, 282f. Heinrich XXXII. von Schwarzenburg, Graf 283 Heinrich der Löwe von Mecklenburg, Herzog 196 Heinrich von Sachsen, Herzog 223, 283, 290, 298–300, 302 Heller von Korbach, Johann, OFM 147– 149, 286 Helt, Konrad, OESA 12, 77 Hennekin, Johann 204 Henning, Ludwig, OFM 27, 197f., 225f., 233, 246

390

Register

Herborn, Nicolaus Ferber von, OFM 123f., 126–129, 147f. Hermann I. von Lobdeburg, Bischof von Würzburg 205 Hermann, Jacobus 207 Hesse, Johannes, OFM 190 Hibernicus, Mauritius, OFM 246 Hieronymus von Prag 132 Hieronymus von Strido 39f., 42–44, 46, 130, 255, 266 Hilarius von Poitiers 255 Hillebrant, Michael, OFM 260–268 Hilten, Johannes (Johannes Herwich von Ilten), OFMObs 9, 140 Hiskija, König von Juda 163 Höhle, Michael 248, 254 Hoier von Mansfeld, Graf 241, 269 Holzapfel, Heribert, OFM 78 Honemann, Volker 171 Honorius III., Papst 178, 295, 338f. Horn, Jakob von 233 Hugo von Sankt Viktor 33 Huls, Dietrich (von Stade), OFM, Weihbischof von Schwerin 198 Hurter, Friedrich Emmanuel 357 Hus, Jan [Johannes] 21, 50–52, 132, 297

I Ignatius von Antiochien 39 Innozenz III., Papst 12, 338f. Innozenz IV., Papst 135 Irenäus von Lyon 255 Iserman, Jakob 205 Isolani, Isidoro, OP 65

J Jacobus de Voragine, OP 350 Jakobus, Apostel 286 Jakob von Salza, Bischof von Breslau 261, 265 Jesaja, Prophet 309

Joachim I. von Brandenburg, Markgraf, Kurfürst 246 Joachim II. von Brandenburg, Markgraf, Kurfürst 198, 260, 349, 352 Johanna, Frau des Chuzas, Jüngerin Jesu 185f. Johannes XXII., Papst 327 Johannes der Täufer 33, 355 Johannes von Capestrano, OFMObs 11, 214 Johannes von Wesel 132 Johannes, Evangelist 105, 219, 315, 319, 328, 343, 355 Johann Friedrich von Sachsen, Kurfürst 139, 147, 155, 215f., 223, 242, 283 Johann von Jülich-Berg und Cleve, Herzog 147, 216, 219 Johann von Sachsen, Herzog, Kurfürst 123, 139f., 146, 152, 154–159, 164, 215, 217f., 220–222, 298 Johann von Schleinitz, Bischof von Meißen 292 Jonas, Justus 10, 101, 130f., 242 Joschafat [Josaphat], König von Juda 148 Joschija, König von Juda 163 Judas Iskariot, Verräter 53, 136, 326, 328 Judas, Stammvater 274, 315 Judicis, Matthäus, früher OFM 299 Julian Apostata, Kaiser 19, 54 Julian von Speyer, OMin 27 Julius II., Papst 197

K Karlstadt, Andreas Bodenstein von 7, 17, 20, 34–39, 45–47, 69–74, 76f., 101, 110, 121, 171, 221, 228, 234, 251, 312 Karl V. von Habsburg, Kaiser 207, 280, 300f. Katharina von Bora, früher OCist, Frau von Martin Luther 153 Katharina von Mecklenburg, Ehefrau Herzog Heinrichs von Sachsen 290, 299 Kauxdorf, Andreas 165 Kelsos (Celsus) 54

Personenregister Kempe, Stephan, früher OFM 195, 197 Kestner, Johann 139 Klara [Clara, Claire] von Assisi 121, 133–135, 296, 337–343 Klemens V., Papst 116, 118 Klemens VIII., Papst 245 Klemens von Rom 39, 255 Klinge, Konrad, OFM 78, 80, 210f., 232–234, 236–245, 252, 257, 269, 357, 360 Kobloch, Johann (der Ältere) 116 König [Regius], Heinrich, OFM 289 Köppe, Erasmus, Bürgermeister von Torgau 153f. Köstlin, Julius 8 Konrad III. von Thüngen, Bischof von Würzburg 207 Konstantin der Große, Kaiser 47 Koppe, Leonhard 153 Korte, Valentin, früher OFM 203 Kraft, Adam 123 Kroger, Achim 201 Kucheler, Johannes, früher OFM 299 Küchenmeister, Sebastian 29, 32 Kunigesdorff, Johannes, früher OFM 299

L Lactantius, Lucius Caelius Firmianus 321 Lakmann, Nikolaus, OFM 206 Lambert, François, früher OFM 112–133, 137f., 148, 151, 182, 188, 286, 318, 320, 354, 356 Lange, Georg, OFM 78, 291 Lange, Paul, OSB 47, 48 Lang, Johannes, früher OESA 22–24, 76, 79–84, 122, 215, 234f., 240, 304 Laue, Johannes 221 Lemmens, Leonhard, OFM 80, 195, 222, 303, 316 Leo X., Papst 11, 75, 78f., 187, 226, 251, 280 Leo von Assisi, Gefährte des Franziskus 122, 296 Leppin, Volker 5 Leuther, Martin, OFM 228

391

Lewe, Bartholomäus, OFM 302 Lichetto, Francesco, OFM, Generalminister 77 Linck [Link], Wenzeslaus, früher OESA 162 Lindner, Johann (von Pirna) 156 Livius, Titus 50, 274 Loersfelt, Johannes 124 Löwenberg, Benedikt von, OFM 16, 77f., 231, 261, 291, 302 Lombardus, Petrus 24, 253f. Lonicer, Johannes, früher OESA 52–54, 56, 58f., 63f. Lorenz von Truchseß 222 Lotter, Melchior (der Ältere) 20 Lotter, Melchior (der Jüngere) 152 Ludowici, Adrianus, OFM 101 Ludwig von Anhalt, OFMObs 7, 164, 171 Lufft, Hans 165 Lukas, Evangelist 308, 315, 319, 329f., 342, 347 Lunello, Vincentius, OFM, Ordensgeneral 289 Luther, Martin, früher OESA 1, 3–5, 7–12, 15–26, 29, 31–35, 37f., 42–54, 58–68, 70, 72f., 75–79, 81–96, 98f., 101–111, 114–117, 119, 122f., 130, 132, 136–139, 143, 151–153, 157f., 161f., 165–169, 171, 185, 188, 191–193, 196–199, 202f., 215–217, 219, 222, 224, 226, 228, 233–237, 240–243, 248–252, 259, 271, 280–283, 287, 291, 294f., 312f., 315f., 320, 323, 325, 327, 329, 331, 345, 349f., 353, 356 Luther, Wichmann, OP 97, 233 Lutz, Andreas 17

M Machyssen, Johannes, OFM 226 Magnus von Mecklenburg 204 Maler, Matthes 147, 234 Margareta von Sachsen, 2. Frau Herzog Johanns 215

392

Register

Margarete von Anhalt, Fürstin 10f., 208, 248, 314 Margarete von Henneberg-Schleusingen, Gräfin 208 Margaretha von Sachsen, Schwester Kurfürst Johanns 222 Maria (von Betanien) 181, 340 Maria von Magdala, Jüngerin Jesu 185f. Markus, Evangelist 308, 315, 319 Marquardi, Heinrich, OFM 83, 191 Marta (von Betanien) 180, 340 Matern, Aufständischer in Danzig 228 Mathesius, Johannes (der Ältere) 8f. Matthäus, Evangelist 110, 119, 307, 315, 319, 328, 335, 342 Maximilian von Habsburg, Kaiser 138 Mechler, Ägidius, früher OFM 80, 215, 235f., 240, 304 Meckenlör, Kaspar, OFM 268–283 Medigen, Christoph, früher OFM 229 Meinhard von Ammensleben, OSB, Abt 190 Melanchthon [Schwarzerdt], Philipp 11, 24, 30f., 38–41, 43, 45f., 54, 56, 75f., 79, 83, 123, 130, 236f., 242, 244, 251f., 255, 314 Menius, Justus 238–240 Mensing, Johannes, OP 194, 269 Merten, Untervogt zu Ribnitz 201 Miggelbrink, Ralf 360 Miller, Johann 20 Miltitz, Karl von 46f., 157 Mirisch, Melchior, früher OESA 165, 169 Mischael 120 Moiban, Ambrosius 261f., 265–267 Molitoris [Müller], Konrad OFM 268 Morch, Ägidius, Bürgermeister von Leipzig 284 Moritz von Sachsen, Kurfürst 290 Mose 41, 51, 295, 298, 315 Mühlpfort, Hieronymus, Bürgermeister von Zwickau 161 Müller, Gerhard 113 Müntzer, Thomas 13f., 20, 77, 157f., 160, 221, 303, 312

Myconius [Mecum], Friedrich, früher OFM 130f., 138–149, 151, 159, 166, 215f., 224, 242, 283f., 286

N Nausea, Friedrich, Bischof von Wien 262, 267f. Neander, Wilhelm 357 Nedewolt, Hermann, OFM 232f., 248 Never [Niver-Nivert], Heinrich, früher OFM 29f. Nicolaus de Tudeschis, Erzbischof von Palermo [Panormitanus] 20 Nikolaus III., Papst 82, 116, 327 Nikolaus von Orbellis [d’Orbelles, Dorbellus], OFMObs 70 Nortzel, Ludolf, OFM 352 Novesianus [von Neuß], Melchior 285 Nuborn, Heinrich, OMin 205

O Oldenburg, Heinrich 165 Oldendorpe, Magdalena, OSCl 202 Orestes 50 Origenes 39 Otto von Braunschweig-Lüneburg, Herzog 190, 193 Ovidius Naso, Publius 56

P Pake, Joachim, OFM 199 Park, Chong Soo 1 Paul III., Papst 280, 289 Paulus, Apostel 3f., 17, 29, 31f., 34–37, 40–43, 46, 56–58, 80–82, 85, 93, 99, 109, 237, 256, 259, 266, 272, 274, 276f., 279, 287f., 305f., 326, 328, 331, 334, 347, 355 Pelagius, Iulianus 249, 254 Pellikan [eigentlich: Kürsner], Konrad, früher OFM 52f., 95, 109f., 113, 115

Personenregister Petrus, Apostel 36f., 40, 42f., 46, 49–51, 57f., 62, 93, 166, 179, 186, 255, 311, 331 Philipp I. von Hessen, Landgraf 108, 123, 126, 129, 237 Pirckheimer, Katharina, OSCl, Äbtissin von St. Claren Nürnberg 284, 348 Pisanus, Jacobus, SJ 244 Plate, Stefan, OFM (von Lübeck) 199 Platon 247, 255 Polman, Michael, OFM 303 Polykarp von Smyrna, Bischof 39 Poppo von Henneberg-Schleusingen, Graf 209, 214 Porphyrios von Tyrus 54 Prierias, Silvester, OP 65 Prosper von Aquitanien 252–254, 257 Pusch, Hermann 207 Pyrgallus, Henning 243, 284

Q Quandt, Theophil, OFM 226–229 Quentell, Petrus 126 Quiñones, Francisco de, OFM, Generalminister 115, 171 Quiroza, spanischer Generalinquisitor 245

R Rakemann, Kirsten 227 Reblin, Klaus 7, 89, 349, 358 Reinfelt, Johannes, OFM 11, 208 Resch, Paul 154 Resener, Thomas, OFM 268 Reuchlin, Johannes 11, 22 Rhabanus Maurus, OSB 259 Rhau-Grunenberg, Johannes 69, 101 Riedesel, Johann 220f. Rietz, Henryk 227 Rinck, Johannes 285f., 289 Rollaw, Johann, OFM 231 Rosshirt, Christoph 209–211, 213 Rothschitz, Georg von 299 Rottendörfer, Nikolaus, früher OFM 234

393

Ruesswurm, Wilhelm 207 Runge, Eberhard, OFM 200, 247

S Sabatier, Paul 357 Sager, Kaspar, OFM 268, 283–290, 336 Salustius Crispus, Gaius 274 Salomo, König von Israel 125, 273f., 305f. Schambach, Johannes, OFM 246 Scharf, Hermann, OFM 232 Schatzgeyer, Kaspar, OFM 95–99, 103–107, 109, 137, 194, 249, 320, 354 Schenk, Jakob 299 Schertzer, Vitus, OFM 215 Scheunemann, Andreas, OFM 245–260, 263, 271 Scheurl, Christoph 226 Scheurl, Hieronymus 69 Schilling, Jakobus, OFM 242 Schirlentz, Nickel 108, 269 Schlick, Ursula, OSCl, Äbtissin in Eger 290, 336f., 340f. Schmidich, Franziskus, OFM 260 Schmidt, Jacob 126 Schmies, Bernd 227 Schneider, Eberlin 153f. Schneider, Heinrich Eduard 357 Schreyter, Nikolaus (aus Coburg) 8 Schütz, Hieronymus, Bürgermeister von Chemnitz 316 Schultze (? Kremer), Kaspar, OFM 260 Schumann, Peter 141 Schumann, Valentin 166, 269 Schurf, Hieronymus 131 Schwager, Raymund 360 Schwan, Daniel 108, 110 Schwan, Johannes, früher OFM 101, 108–114, 116, 122, 138, 151 Schwederich, Jakob, OFM 23, 29f., 102, 153–157, 233, 266, 290–304, 306f., 310 Scriptoris, Paulus [Paul Schreiber], OFMObs 48, 226

394

Register

Scultetus, Hieronymus, Bischof von Brandenburg 15, 17 Segen, Ludwig von, OFM 206 Severcz, Jan 24 Seyler, Franz, OFM 69–72 Sichardus, Johannes 256 Sifrid, Johannes 352 Silvester, Papst 50 Simon, Magier 197, 255, 328f. Sirecti, Antonius, OFM 246 Sixtus V., Papst 245 Slaggert, Lambrecht, OFM 196–204 Smolinsky, Heribert 51, 303f., 313, 317, 326, 328, 334 Soffner, Johann 262 Sonnenberg, Andreas, OFM 226 Sörer, Lorenz, früher OFM 298f. Spalatin [von Spalt; eigentlich: Burckhardt], Georg 16, 23, 69, 75, 78f., 85, 104, 157, 190 Spilner, Jakob, OFM 246, 247, 248 Staupitz, Johann von, OESA später OSB 3, 5, 22, 225f. Stein, Wolfgang 215–220, 222 Steiner, Heinrich 127 Stöckel, Wolfgang 261 Strasser, Hieronymus, OFM 337 Strauß, Jacob, früher OP 217f. Stürmer, Wolfgang 110, 235 Studenitz, Dietrich von, OMin 196 Stupperich, Robert 102 Susanna, Jüngerin Jesu 185f. Svenichen, Alexander, OFM 78, 225–232, 234 Svenichen, Laurentius, OFM 225 Svenichen, Lukas 225 Sybille von Kleve, Herzogin von Sachsen 147 Sylvius Egranus [von Eger], Johannes 157

T Tamar (Thamar), Frau in der Ahnenreihe Jesu 274

Tammenhayn, Peter, OFM 156 Taske, Heinrich 200 Tempier, Stephan, Bischof von Paris 252 Tersteegen, Gerhard 357 Tertullian von Karthago 255 Tetteborn, Johannes, OFM 359 Tetzel, Johann, OP 8 Teufel, Matthias (von Nordheim), OFM 191 Tham, Valentin, früher OFM 152 Thomas de Vio von Gaeta [Cajetan], OP, Kardinal 46 Thomas Netter Waldensis, OCarm 293 Thomas von Aquin, OP 14, 22, 24, 41f. Thomas von Celano, OMin 28, 353 Tiburtius von Weißenfels, OFM 158 Tischer, Georg, früher OFM 157 Trutfetter, Jodokus 233f. Tulich, Hermann 65f.

U Ungar, Andreas, OFM 300 Urban IV., Papst 334, 336–339, 341–343, 346 Urija (Vrie), Hethiter, Mann der Batseba 274 Ursula von Mecklenburg, OSCl, Äbtissin von Ribnitz 198, 204f. Usingen, Bartholomäus Arnoldi von, OESA 233–235, 240

V Vastmar, Suederus, OFM 284, 289 Vogel, Lukas, früher OFM 208 Voigt, Johann, früher OFM 139–141, 159, 215f., 220f., 224

W Walther, Urban, OFM 221, 290 Weidensee, Eberhard 169, 187f., 190 Weidner, Andreas 138 Weiß, Thomas, früher OFM 223 Westermann, Johannes, früher OESA 110

Personenregister Wethenkamp [Wenthenkamp], Berthold, OFM 193f. Wilhelm II. von Hessen, Landgraf 108 Wilhelm III. der Tapfere von Sachsen, Landgraf von Thüringen 207, 214, 222 Wilhelm III. von Henneberg-Schleusingen, Graf 207 Wilhelm IV. von Hennebert-Schleusingen, Graf 207–211, 213f. Wilhelm V. von Bayern, Herzog 244 Wilhelm von Ockham, OMin 20, 51, 233 Wilhelm von Saint-Amour 33, 35, 72, 128 Wimpina, Konrad 251, 257 Winther, Franz, OFM 229

395

Witterstedt (oder: Willerstedt), Nikolaus, OFM 223 Witzel, Georg (der Ältere) 243, 245 Witzel, Georg (der Jüngere) 240, 243f. Wolrab, Nikolaus 261 Wüste, Heinrich, OFM 245 Wyclif, John 50–52, 251, 297

Z Zelislawski, Johannes, OFM 226 Zwilling, Gabriel, früher OESA 12, 77, 153–156 Zwingli, Huldrych (Ulrich) 53, 112, 115