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German Pages 768 Year 2004
Institutionenwandel in Regierung und Verwaltung
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 950
Institutionenwandel in Regierung und Verwaltung Festschrift für Klaus König zum 70. Geburtstag
Herausgegeben von Arthur Benz Heinrich Siedentopf Karl-Peter Sommermann
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11004-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort der Herausgeber Klaus König hat seine Abschieds Vorlesung1 vom 11. Dezember 2002 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer in der Form eines Reiseberichts über eine vieljährige Studienfahrt in Sachen VerwaltungsWissenschaft gestaltet. Den Hörer und Leser beeindruckt dieser Reisebericht durch die Zahl und die Qualität der Institutionen, die Klaus König anläuft, durch die Perspektiven und Vergleiche, die der Reisende sich erschließt und die er in seinen vielfältigen Publikationen weitergibt, durch die persönlichen und fachlichen Kontakte, die im Rahmen einer internationalen, akademischen Gemeinschaft entstehen und fruchtbar gemacht werden. Der Reisebericht erhält eine nostalgische Note, nicht nur dadurch, dass der Autor auf seinen wissenschaftlichen Weg zurückschaut, sondern auch dadurch, dass er von der Zukunft „eher die kontemplative Seite des Wissenschaftlerlebens" erwartet. Klaus König ist aber viel zu sehr ein Gestalter der Zukunft, als dass er sich auf bloße Kontemplation reduzieren ließe. In unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft zu seiner Abschiedsvorlesung fand am 29./30. November 2002 ein Symposium „Verwaltungswissenschaften und Verwaltungswissenschaft" 2 statt, das Klaus König als dem früheren Geschäftsfuhrenden Direktor des Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung bei der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer gewidmet war. Ausgangspunkt dieses Symposiums war die 1970 erschienene Habilitationsschrift von Klaus König „Erkenntnisinteressen der Verwaltungswissenschaft", die nach den eigenen Worten des Autors den Anspruch formuliert, „eine erkenntnistheoretisch-methodische Vorstellung von dem Umfang einer die Verwaltungsrechtslehre überschreitenden, umfassenden Verwaltungswissenschaft zu ermitteln". Der Ertrag des Symposiums in der Gegenüberstellung von multidisziplinären und interdisziplinären Verwaltungswissenschaften einerseits und der disziplinären oder transdisziplinären Verwaltungswissenschaft andererseits kann nicht in wenigen Sätzen bewertet werden. Für das Gespräch zwischen den Disziplinen war die Realpräsenz von Vertretern dieser Disziplinen in dem Sym-
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K. König, Rückkehr von der Studienfahrt - Verwaltungswissenschaft als Reisebericht, Speyerer Vorträge Heft 70, Speyer 2002. 2 J. Ziekow (Hrsg.), Verwaltungswissenschaften und Verwaltungswissenschaft, Forschungssymposium anlässlich der Emeritierung von Univ.-Prof. Dr. Dr. Klaus König, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Band 159, Berlin 2003.
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Vorwort
posium offensichtlich förderlich. Klaus König bewährte sich wieder einmal als Grenzgänger und Brückenbauer. Auf diesem Symposium hielt er die Emeritierung eines Professors zwar nicht fur den geeigneten „Zeitpunkt, einen Forschungsplan vorzulegen". Nach dieser grundsätzlich zutreffenden Formulierung jedoch präsentierte Klaus König zehn Leitsätze zu dem „transdisziplinären Projekt einer integrativen VerwaltungsWissenschaft", die geeignet scheinen, die akademische Gemeinschaft mit besonderem Interesse an dem Forschungsgegenstand „Regierung und Verwaltung" noch für einige Generationen beschäftigt zu halten. Klaus König ist ein Freund intensiver, durchaus auch kontroverser Kommunikation und Diskussion. Diese Festschrift ist ein Gesprächsangebot an ihn aus den - sehr unterschiedlichen - Federn seiner Freunde. Dieses Angebot lebt nicht aus einer modischen Begrifflichkeit. Nach dem Sommersemester 1961 in Speyer und dem Besuch des sozialanthropologischen Seminars von Arnold Gehlen bekennt Klaus König: „Seitdem bin ich Institutionalist". Unter dem Titel „Institutionenwandel in Regierung und Verwaltung" haben die Herausgeber dieser Festschrift eine große Anzahl an Autoren aus verschiedenen Ländern und Disziplinen versammeln können. Diese Beiträge aus dem Kreis der Freunde und Kollegen sind das Gesprächsangebot an Klaus König, ausgehend von teilweise langjähriger Freundschaft und persönlicher wie professioneller Kooperation. Beachtlich erscheint die Vielfalt der Ansätze und Ergebnisse. Darin wird der besondere Reiz dieser Festschrift bestehen. Im Interesse dieses Gesprächs über „Institutionenwandel in Regierung und Verwaltung" haben die Herausgeber die besonderen Mühen der Herausgabe eines solchen Bandes gern auf sich genommen. Besonderer Dank gilt dem Verlag Duncker & Humblot, Berlin, in der Person von Prof. Dr. jur. h. c. Norbert Simon. Bei der Vorbereitung dieser Festschrift sind die Hilfe und der Einsatz von unseren Mitarbeiterinnen Frau Bukowski, Frau Dennhardt, Frau Mauska und Frau Puhr dankend hervorzuheben. Speyer, im Januar 2004 Arthur
Benz
Heinrich
Siedentopf
Karl-Peter
Sommermann
Inhaltsverzeichnis
I. Institutionentheorie und vergleichende Institutionenforschung Helmut Klages Institutionenentwicklung als Modernisierungsthema
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Arthur Benz Institutionentheorie und Institutionenpolitik
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Dieter Grunow Institutionenbildung aus systemtheoretischer Sicht
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Erk Volkmar Heyen Amt und Rationalität, Legitimität und Kontrolle: Grundbegriffe historisch komparativer Verwaltungsanalyse Karl-Peter
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Sommermann
Institutionengeschichte und Institutionenvergleich
61
Klaus Lüder Zur Erklärung von Reformprozessen in Verwaltungen, dargestellt am Beispiel von Rechnungswesen-Innovationen
75
Seppo Tiihonen Public Administration as a Basic Institution of Governing and Governance
89
Heinrich Siedentopf Die Deutsche Sektion des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften - Kooperation, Vergleich, Beratung
103
II. Institutionen und öffentliche Aufgaben Helmut Brede Subsidiaritätsprinzip und Marktöffnung in Deutschland
117
Gérard Marcou Öffentlich-rechtliche Aspekte der Regulierung in Deutschland und Frankreich
127
Vili
Inhaltsverzeichnis
Dieter Schimanke Von der Arbeitslosenversicherung zur modernen Dienstleistungsagentur
151
Waldemar Schreckenberger Staat und öffentliche Kultur
167
I I I . Institutionen, informale Strukturen und Entscheidungsprozesse Hans Peter Bull „Vernunft" gegen „Recht"? Zum Rationalitätsbegriff der Planungs- und Entscheidungslehre
179
Rudolf Fisch und Dieter Beck Ein sozialpsychologischer Bezugsrahmen für die gute Gestaltung politischadministrativer Entscheidungsprozesse
201
Hermann Hill Renaissance einer rationalen Politikgestaltung
217
Günter Püttner Das Beauftragtenwesen in der öffentlichen Verwaltung
231
Mariano Baena del Alcàzar The Elite Power in Spain (1939-1992)
239
IV. Institutionenbildung durch Recht Gerd Roellecke Institution und Recht Sabino Cassese The Transformations of Administrative Law from the 19 th to the 21 st Century
253
267
Jacques Ziller Public Administration, Networks and Law
279
Gunnar Folke Schuppert Koordination durch Struktursteuerung als Funktionsmodus des Gewährleistungsstaates
287
Willi Blümel Allgemeine Verwaltungsvorschriften, allgemeine Weisungen und allgemeine Rundschreiben in der Staatspraxis der Bundesauftragsverwaltung
295
Jan Ziekow Institutionen unter Konkurrenzdruck: Das Beispiel des öffentlich-rechtlichen Vertrages
303
Inhaltsverzeichnis V. Parlament und Regierung Wolfgang Zeh Aktuelle Entwicklungen der Rolle des Bundestages im parlamentarischen Regierungssystem
317
Gerhart Holzinger Die Bedeutung des Bundesministeriengesetzes für die Entwicklung der Ministerialorganisation in Österreich
331
Klaus-Eckart Gebauer Verfassungsergänzende Vereinbarungen zwischen Parlament und Regierung
341
Matthias Niedobitek Die Landesregierung in den Verfassungen der deutschen Länder
355
Hans Herbert von Arnim Systemwechsel durch Direktwahl des Ministerpräsidenten?
371
Rudolf Morsey Politische Entscheidungshilfe für Bundeskanzler Adenauer: Die Rolle von Staatssekretär Hans Globke
387
Axel Murswieck Die nationale Regierungszentrale in Frankreich im Vergleich zum Deutschen Bundeskanzleramt
397
Arthur Β. Gunlicks Plebiszitäre Demokratie in den USA Eung Kyuk Park und Jae-gak Jeong Die Entwicklung der kommunalen Demokratie und ihre strukturelle Ordnung in Korea
407
423
VI. Verwaltungsreform James P. Pfiffner Traditional Public Administration versus the New Public Management: Accountability versus Efficiency
443
Geert Bouckaert Institutionalising Monitoring and Measurement Systems in the Public Sector
455
Ignace Snellen (Post-)Modemisierung von Staat und öffentlicher Verwaltung: Die Suche nach Rationalität in der Verwaltungswissenschaft
467
Inhaltsverzeichnis Heinrich Reinermann Vom Sein und Sollen der Verwaltungsinformation
481
Heinz Schäffer Verwaltungsinnovation durch E-Government Hans-Werner Laubinger Elektronisches Verwaltungsverfahren und elektronischer Verwaltungsakt zwei (fast) neue Institute des Verwaltungsrechts
495
517
Franz St re hl Universitätsreform und -entwicklung - internationale Trends und das Beispiel Österreich 2002
539
Walter J. M. Kickert Reorganisations at the Ministries of Justice, of Agriculture, Nature and Fishery, and of Public Health, Welfare and Sport
557
V I I . Transformation und Entwicklung Hellmut Wollmann Transformation der Regierungs- und Verwaltungsstrukturen in postkommunistischen Ländern: Zwischen „(Re)Politisierung" und „Entpolitisierung"
575
Werner Jann Entwicklungen der Ministerialverwaltung in Mittel- und Osteuropa - organisationstheoretische Zugänge und Hypothesen
593
Christoph Reichard New Public Management als Reformdoktrin für Entwicklungsverwaltungen Harald Fuhr The World Bank's Assistance to Public Sector Reform in Latin AmericaExperiences and New Challenges
613
631
Carl Bohret Strategische Politik durch Institutionenbildung - am Beispiel des Stauferkaisers Friedrich 11.(1194-1250)
647
V I I I . Institutionenbildung im Europäisierungs- und Internationalisierungsprozess Demetrios Argyriades Institutional Reinforcement for Human Resources Development
661
Dieter Duwendag Globalisierungseffekte: „Race to the Bottom" oder „Race to the Top"?
685
Inhaltsverzeichnis Hartmut Elsenhans Die Behinderung der Institutionenbildung durch Renten: Die Herausforderung der derzeitigen Globalisierung
697
Siegfried Magiera Die Arbeit des europäischen Verfassungskonvents und der Parlamentarismus
713
Bibliographie von Klaus König
729
Tabellarischer Lebenslauf von Klaus König
749
Autorenverzeichnis
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I. Institutionentheorie und vergleichende Institutionenforschung
Institutionenentwicklung als Modernisierungsthema Von Helmut Klages, Heidelberg
I. Eine kulturanthropologische Perspektive der Institutionenentwicklung Wenn in diesem Text zunächst sehr ausführlich von „Institutionenentwicklung" und erst wesentlich später von „Modernisierung" die Rede ist, so weist dies auf die Perspektive hin, unter der die beiden Begriffe in Verbindung gebracht werden. Kurz gesagt soll der heute oft recht voraussetzungslos gebrauchte „Modernisierungs"Begriff als ein kontextabhängiger Begriff behandelt werden, dessen Verwendung eine Vielzahl unterschwelliger Bezüge ins Spiel bringt, die nachfolgend einem Reflexionsversuch unterworfen werden. Die Absicht ist dabei, die „Modernisierung" als einen - allerdings höchst aktuellen Anwendungsfall eines durchgängigen Grundthemas individualmenschlicher und gesellschaftlicher Entwicklung wahrnehmbar und fokussierbar werden zu lassen. In Verbindung damit soll darauf bestanden werden, dass mit „Institutionenentwicklung" etwas anderes gemeint ist als bloße „Institutionenveränderung". Vielmehr soll dieser Begriff mit Blick auf gesamtgeschichtliche Zusammenhänge in einem evolutionären Kontext verortet und in einen entwicklungstheoretischen Zusammenhang gestellt werden. Bei diesem Begriffsverständnis öffnet sich der Zugang zu einem weiten Bereich von Theoriepositionen, die allerdings nachfolgend nicht im Einzelnen behandelt werden sollen. Vielmehr wird - mit bewusster Selektivität und ohne weitere Rechtfertigung - ein „kulturanthropologischer" Zugang gewählt, der u.a. Ansätze von Arnold Gehlen, Bronislaw Malinowski und Helmut Schelsky, d. h. also von Klassikern dieses Wissenschaftsbereichs aufgreift und an einigen Punkten weiterdenkt. 1 Ausgangpunkt ist hierbei die sehr allgemeine Erkenntnis, dass der Mensch ein Wesen ist, das von Natur aus relativ instinktentbunden ist und somit - als 1 Vgl. hierzu u.a. A. Gehlen, Urmensch und Spätkultur, Bonn 1956, ders., Anthropologische Forschung, Reinbek b. Hamburg 1961 (= rowohlts deutsche enzyklopädie; Bd. 138), B. Malinowksi, Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur und andere Schriften, Frankfurt/Main 1975, H. Schelsky, Zur soziologischen Theorie der Institution, in: ders. (Hrsg.), Zur Theorie der Institution, Gütersloh 1970, S. 9 ff.
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Helmut Klages
ein „unfestgelegtes" Wesen - darauf angewiesen ist, aus der chaotischen Gesamtfülle der Welt selbsttätig „Umwelten" herauszuschneiden und Handlungsketten aufzubauen, die Überlebensfähigkeit gewährleisten. Hierbei ist vorauszusetzen, dass der Mensch, dem diese in der Natur einmalige Chance zukommt, von Haus aus eine Bedürftigkeit besitzt, der zunächst noch keine feststehenden Befriedigungsmöglichkeiten zugeordnet sind, die aber ihrerseits zunächst noch relativ unbestimmt und ungeformt ist, auch wenn sich elementare Bedürfnisthemen wie die Bewältigimg von Hunger, Durst, Hitze, Kälte, Krankheit und plötzlich hereinbrechenden Gefahren unmittelbar nahe legen. Einer vorherrschenden Auffassung der Kulturanthropologie zufolge wird der Mensch in seinen frühesten entwicklungsgeschichtlichen Phasen eher von einem relativ unbestimmten Handlungsdruck angetrieben, der auf ontogenetischer Ebene seine Wiederholung in den völlig richtungsoffenen oder nur grob strukturierten Suchbewegungen des Säuglings findet. Es rechnet aber zur Grundverfassung des Menschen, dass er lernen kann, seine Existenz zu „stabilisieren", d. h. aus der Fülle ambivalenter Selbst- und Fremderfahrungen beim anfänglich chaotischen Zusammenstoß mit einer widerständigen und gefahrvollen Welt signifikante Fälle gelungener Bedürfniserfüllungen herauszufiltern und auf Dauer zu stellen. Es gehört in diesen Zusammenhang, dass solchen signifikanten Fällen eine normative, d. h. der Turbulenz des Tuns und Lassens unter dem Diktat des unbestimmten Handlungsdrucks entzogene Qualität zugeschrieben wird. Dem kulturanthropologischen Verständnis zufolge vollzieht sich in diesem Prozess die Geburt von „Institutionen". Diese weisen von allem Anfang an zwei Aspekte auf, die in einem engen Entsprechungsverhältnis stehen: einerseits die normative „Feststellung" von Bedürfnissen, die es wert sind, knappe Handlungsenergie auf sich zu konzentrieren; andererseits aber auch die Stabilisierung von Handlungskonstellationen und fordernden Bedingungen, welche die Bedürfniserfüllung garantieren. Der Mensch erreicht auf diese Weise eine zweifache, nach innen und nach außen wirkende Entlastung" von dem relativ unbestimmten Bedürfnis- und Handlungsdruck, der ihn zunächst beherrscht: Einerseits werden die Bedürfhisse selbst definierbar und damit als Objekte eines zweckgerichteten Tuns erfassbar und handhabbar. Andererseits geraten sie, indem dieses Tun praktiziert wird, in eine Situation der „Hintergrunds erföUung": Es muss nun nicht mehr die gesamte verfügbare Energie darauf verwendet werden, sich mit unscharfen Bedürfnissen in Reaktion auf unbestimmten Handlungsdruck im Umgang mit einer irritierenden Umwelt unter Einsatz des kräfteverschleißenden Prinzips von Versuch und Irrtum auseinander zu setzen. Vielmehr können Routinen und die mit ihnen verbundenen Gewöhnungs-, Habitualisierungs- und Ökonomisierungseffekte Platz greifen. Durch die Entwicklung einer „institutionalisierten" Handlungsfähigkeit „befreit" sich der Mensch somit von der anfänglichen Verstrickung in einen unbestimmten Bedürfnisdruck und die mit ihm verbundene „Unbehaustheit" in einer fremden und diffus bedrohlichen Umgebung.
Institutionenentwicklung als Modernisierungsthema
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I I . Evolutionäre Ansatzpunkte der Institutionenentwicklung Der evolutionäre Aspekt dieses Vorgangs besteht nicht etwa nur darin, dass der Mensch diese Leistung mit zunehmender Sicherheit und Bewusstheit auf immer weitere Bedürfnisbereiche ausdehnt.2 Vielmehr wächst dem Menschen mit der „Hintergrundserfüllung" von Bedürfhissen eine Chance zu, in der hierbei (wieder) frei werdenden Antriebsenergie über einen Spielraum von Handlungspotenzial zu verfugen, das er für weiterführende Entwicklungen nutzen kann. In Verbindung mit der gelungenen Institutionenbildung wächst dem Menschen, mit anderen Worten, ein relativ unfestgelegter und somit definitions fähiger „Antriebsüberschuss" zu, der ein nach Verwendungen suchendes kreatives Potenzial verkörpert, das in vielfältigen Formen wirksam werden kann. Entscheidend ist, dass hierbei weitere Institutionenentwicklungen erfolgen, die neuerliche Entlastungen von dem Verwendungsdruck ermöglichen, der auch diesem Potenzial innewohnt. Da auch die weiteren Institutionenentwicklungen zu Hintergrundserfüllungen führen, wiederholt sich die Entstehung von Antriebsüberschuss. Dieser beruht dann zwar auf einer anderen, in der Regel spezifischeren Ausgangsgrundlage und wird deshalb auch nicht mehr genau dasselbe Maß von Unfestgelegtheit aufweisen. Nichtsdestoweniger verkörpert aber auch er wiederum einen relativ offenen Spielraum fur neue Entwicklungen. Stellt man in modellhafiter Abstraktion auf die Beschreibung nachverfolgbarer Stränge der erkennbar werdenden Entwicklungsdynamik ab, dann kann man eine Mehrzahl von Vektoren unterscheiden, die nachfolgend exemplarisch, d. h. ohne Vollständigkeits- und Systematisierungsanspruch, skizziert werden: Von besonderer Bedeutung ist von allem Anfang an der Aufbau elementarer sozialer Institutionen, deren Entlastungswirkung groß und vielfältig ist und die deshalb auch im Hinblick auf die Hervorbringung von Antriebsüberschuss besonders produktiv sind. In dem entwicklungsgeschichtlich herausragenden Fall der Familie bestehen die grundlegenden Entlastungswirkungen u. a. darin, dass die Befriedigung des Sexualbedürfnisses der Zufälligkeit enthoben, grundlegende Möglichkeiten der Arbeitsteilung erschlossen und die Bedingungen der biologischen Reproduktion gestaltbar, voraussehbar und absicherbar gemacht 2 Die kulturanthropologische Perspektive setzt sich an diesem Punkt grundsätzlich von theoretischen Ansätzen ab, die von der Existenz katalogartig erfassbarer und ggf. hierarchisch gruppierbarer Triebe, Instinkte, oder Grundbedürfhisse ausgehen, die dem Menschen von Natur aus zugeordnet werden können, oder die, weiter gefasst, der genetischen Übermittlung unterliegen. Der an dieser Stelle vertretenen Position zufolge geht es keineswegs darum, genetisch abgesicherte Verhaltensdeterminanten, die inzwischen von der „evolutionären Psychologie" ausreichend unter Beweis gestellt wurden, gänzlich abzustreiten. Vielmehr geht es - wesentlich zurückhaltender - um die Ablehnung einer vornehmlich auf derartige Determinanten gestützten, kulturelle Mechanismen dagegen ins zweite Glied verweisenden oder gänzlich außer Acht lassenden Erklärung zentraler Evolutionssachverhalte.
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Helmut Klages
werden. A l l dies ist allerdings keinesfalls uno actu, sondern nur über mehrere Wellen aufeinander folgender Institutionengründungen erreichbar, die aus sich heraus immer wieder neue Problemlagen, gleichzeitig aber auch immer wieder frei verfügbare Antriebsüberschüsse entstehen lassen, deren Energiepotenzial u.a. für die produktive Bearbeitung dieser Problemlagen verwendet werden kann. Ein zweiter Entwicklungsstrang wird beim Blick auf die evolutionäre Basistatsache erkennbar, dass die mit der Definierung und Artikulierung von Bedürfnissen und Erfullungsvorkehrungen verbundenen Handlungsnormierungen zunehmend zu Antriebsdisziplinierungen im Rahmen eines allmählich entstehenden und zum Gegenstand von Einwirkungshandlungen werdenden Personsystems und zum Aufbau individueller Kompetenzen, wie auch zu Regelungen fuhren, die deren Sicherstellung bezwecken. Auch hier kommt es nachfolgend zu vielfältigen Institutionenentwicklungen, deren Überschussproduktion sehr hoch ist, selbst wenn ihr Rationalitätsgehalt zunächst begrenzt sein mag. So lässt sich davon ausgehen, dass schon der Umgang mit „primitiven' 4 Waffen und Werkzeugen, wie z. B. der Steinaxt fast unendliche, Jahrtausende ausfüllende Anlässe für sozial normierte Anstrengungen, für die Erzielung von Umgangssicherheit und für die Herausstellung von Bestleistungen mit sich brachte. Weiter lässt sich aber z. B. auch nachvollziehen, dass die mit diesem Umgang verbundene Herausforderung körperlicher Kräfte bereits vorhandene Tendenzen zu einer funktional begründeten Geschlechtertrennung als einer fundamentalen Form sozialer Differenzierung verstärkte und die Entstehung von KriegerKlassen oder -Kasten und sozialer Hierarchien begünstigte, welche die Entstehung entsprechender sozialer Umgangsregeln und, damit verbunden, weiterführender Institutionen mit sich brachte. Der hier sichtbar werdende ohnehin komplexe Zusammenhang gewinnt naturgemäß noch weiter an Komplexität, wenn man z. B. die ihrerseits über lange Sequenzen von Institutionenentwicklungen, wie auch über damit verbundene Potenzialentstehungen und Potenzialnutzungen hinweg erfolgende Entfaltung der Waffentechnik einbezieht (vgl. den Slogan „Von der Streitaxt bis zur Atombombe"). Ein zusätzlicher Entwicklungsstrang öffnet sich z. B. bei dem Blick auf die evolutionäre Basistatsache, dass die Bedingungen des Eintritts existenzbedrohender oder -fördernder Ereignisse, die zunächst als gänzlich unverfügbar und zufällig erlebt werden, verfugbar und kalkulierbar gemacht werden, so dass sich geregelte Handlungspraktiken entwickeln können, die eine diesbezügliche Wirksamkeit versprechen. Es ist wichtig, sich vor Augen zu fuhren, dass ein universeller früher Schritt in diese Richtung die Entwicklung magisch-religiöser Praktiken war. Man versteht, wenn man dies einsieht, dass die Evolution menschlicher Fähigkeiten nicht ausschließlich als ein unmittelbar sachhaltiger Fortschrittsprozess angesehen werden kann, wie manche Aufklärungsdenker des 18. Jh. meinten, sondern indirekte Zugangswege und „sekundäre Rationalisie-
Institutionenentwicklung als Modernisierungsthema
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rungen" einschließt. Auch dieser Entwicklungsstrang verknüpft sich mit der nachfolgenden Entstehung weiterer Institutionen, die ihren entwicklungsgeschichtlichen Kern in meist streng normierten Gemeinschaftsritualen fanden. Bezieht man ein, dass sich dieser Strang gewöhnlich mit dem Aufbau spezifischer Handlungskompetenzen, mit der sozialen Ausdifferenzierung von Priesterkasten oder -klassen und mit der Entwicklung entsprechender Umgangsregeln verbindet, dann kann man auch hier dicht gefugte Institutionalisierungssequenzen feststellen. Unabsehbar viele zusätzliche Verkettungen von Problementstehungen, Instutionenentwicklungen, Potenzialerzeugungen und Potenzialnutzungen eröffnen sich natürlich dann, wenn man die Entwicklungsgeschichte der Religionen bis zur Entstehung des Monotheismus verfolgt. Es wird dann aber auch erkennbar, dass sich der funktionale Bezug der Religion (gewissermaßen ihr kulturanthropologisch erschließbarer „Leistungscharakter") in diesem langen Prozess teils erweitert, teils aber auch verschiebt. Zwar vermag auch die monotheistische Religiosität durchaus noch gemeinschaftsbezogene Stabilisierungsleistungen zu erbringen (vgl. den Terminus „Das christliche Mittelalter", oder den Gemäldetitel„Das Gebet vor der Schlacht") Im Zentrum stehen aber inzwischen andere Leistungen, die mehr die Binnenstabilisierung der individuellen Person betreffen. Ein letzter Entwicklungsstrang, der hier behandelt werden soll, betrifft die ebenfalls elementare evolutionäre Basistatsache der Stabilisierung der Nutzung natürlicher Ressourcen, welche die Welt als Lebensraum bietet. Folgt man den im 18. Jh. entstandenen älteren Evolutionslehren (die aber durch die Forschung im Wesentlichen bestätigt werden), dann war der Mensch über Jahrhunderttaüsende hinweg ein nomadisierender „Jäger und Sammler". Die natürlichen Ressourcen wurden, mit anderen Worten, so genutzt, wie sie sich zufällig anboten. Derjenige Strang der Institutionenentwicklung, der sich mit dem Stichwort „Jagd" erschließen lässt, öffnet den Ausblick auf eine lange währende Geschichte zunehmender Stabilisierung. Entwicklungsgeschichtlich sehr viel bedeutungsvoller war allerdings der Übergang zur Bodenbebauung, weil er die „Verbauerung" des Menschen, lies: den Übergang zur Sesshaftigkeit mit sich brachte. Dieser Vorgang, der heute gewöhnlich als „neolithische Revolution" angesprochen wird, war nicht nur in sich selbst ein hochkomplexer, über lange Sequenzen von Institutionenentwicklungen verlaufender Stabilisierungsprozess. Er brachte per Saldo auch riesige Überschussproduktionen mit sich, welche das Potenzial für gewaltige Umwälzungsprozesse lieferten, die in ihren späteren Stadien der Entstehung der modernen Gesellschaft das „mittelalterliche" Fundament lieferten (einschließlich der Entstehung fortgeschrittenerer Formen sozialer Differenzierung, der Stadtentstehung, der Entstehung von Märkten, der Entstehung des Geldes, etc.).
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Helmut Klages
I I I . Interdependenz, Komplexitätswachstum und langfristige „Richtung" in der Institutionenentwicklung Wenngleich diese Darstellung einiger Vektoren der Institutionenentwicklung nur exemplarisch gemeint ist, liefert sie dennoch genügend Material, um weiterführende Erkenntnisse zu ermöglichen. Eine erste weiterführende Erkenntnis bietet sich an, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sich diese Vektoren nur im Wege der gedanklichen Abstraktion sauber voneinander trennen lassen. Im entwicklungsgeschichtlichen Realprozess sind sie interdependent, d. h. mehr oder weniger eng miteinander verzahnt. So erlaubt die Entstehung der Stadt nicht nur enorme Fortentwicklungen der sozialen Differenzierung. Sie bringt vielmehr ζ. B. auch Chancen für technische Entwicklungen mit sich, die auf dem „flachen Land" unmöglich waren. Gleichzeitig erzwingt und erschließt sie Möglichkeiten der Absicherung gegenüber äußeren Gefahren, die sie zu natürlichen Fluchträumen bei feindlichen Angriffen werden lässt. Solche fast beliebig fortschreibbaren Verzahnungen lassen eine zusätzliche Dimension der Komplexität des Gesamtprozesses der Institutionenentwicklung sichtbar werden, die bei der getrennten Behandlung seiner einzelnen Aspekte zunächst verborgen bleibt. Ähnlich verhält es sich aber, wenn man die innerhalb der einzelnen Aspekte oder aufgrund ihrer Verzahnungen stattfindenden Prozesse im Detail nachverfolgt. Man kann dann ζ. B. erkennen, dass die aus Institutionenentwicklungen resultierenden Überschussproduktionen nicht etwa nur nach dem Prinzip einer streng selektiven Bestenauswahl genutzt werden, sondern vielmehr Nutzungen höchst unterschiedlicher Natur nach sich ziehen, die ggf. auch in andersartige Entwicklungsvektoren diffundieren können. So lässt sich z. B. mit A. Gehlen die Behauptung aufstellen, dass die mit der magischen Bewältigung diffus wahrgenommener, auf das Wirken von „Mächten" zurückgeführter Bedrohungen in Verbindung stehenden Höhlenzeichnungen wesentliche Ausgangspunkte für die nachfolgende Kunstentwicklung darstellen. Diese konnten erst von einem viel späteren Punkt an ästhetische Bedürfnisse befriedigen, da diese ihrerseits Produkte des Wechselspiels von Institutionenentwicklungen und Überschussentstehungen darstellten, d. h. ursprünglich weder vorhanden waren noch vorhergesehen werden konnten. Ein zeitlich näher liegendes Beispiel liefert die Entwicklung der modernen Großstadt, die u.a. die Entstehung von Verkehrsmitteln wie ζ. B. des Fahrrads mit sich brachte, das u.a. weit jenseits seiner eigentlichen Entstehungsursache zu einem Sportgerät im Bereich einer „Freizeit" zu werden vermochte, die ihrerseits ein Evolutionsprodukt war. Mit anderen Worten können institutionalisierte Problemlösungen verborgene „Multifunktionalitäten" enthalten, die nachfolgend als freie Potenziale entdeckt und - ggf. zunächst in „spielerischer" Weise - erschlossen werden können. Solche Möglichkeiten bieten sich naturgemäß vor allem dann an, wenn die mit der ursprünglichen Zweckbestimmung verbundene soziale Normierung wie beim Fahrrad keinen Nutzungszwang vorschreibt, sondern nur eine individuell wählbare Chance definiert. Noch weiter in die Gegen-
Institutionenentwicklung als Modernisierungsthema
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wart führen die sog. ,,Hindsight"-Studien, mit denen die Wurzeln von Wissenschaftsanwendungen verfolgt werden. Es erweist sich hierbei, dass grundlagenwissenschaftliche Erkenntnisse, die zunächst ohne Anwendungsabsicht und gewissermaßen als frei verfügbares „Überschusspotenzial" entstanden waren, nachfolgend in die allerverschiedensten Anwendungsbereiche integriert werden konnten. Führt man sich solche Weiterungsmöglichkeiten im Gesamtzusammenhang vor Augen, dann bietet sich eine zweite weiterfuhrende Erkenntnis an. Es stellt sich dann nämlich unwillkürlich der Eindruck ein, dass die ins Auge springende Komplexität der Prozesse der Institutionenentwicklung im Gesamtrahmen des geschichtlichen Ablaufes betrachtet immer weiter zunehmen muss. In der Tat stellt die Diagnose zunehmender Komplexität eines der am besten gesicherten Ergebnisse der auf die Gesellschaft gerichteten Evolutionsforschung dar. Allerdings ist damit noch nichts über eine bestimmte Richtung des Evolutionsprozesses ausgesagt. Im Gegenteil müsste, wenn es bei der Diagnose eines Komplexitätswachstums bleiben sollte, eher von einer grundsätzlichen Richtungslosigkeit des Gesamtprozesses ausgegangen werden, da sich dieses Wachstum ja als ein „generelles", unterschiedslos für alle EntwicklungsVektoren geltendes Merkmal beobachten lässt. Genau an diesem Punkt setzt allerdings allen Widerständen zum Trotz die immer wieder durchschlagende Neigung der Evolutionstheorie und -forschung ein, die Beobachtung eines dem Gesamtprozess der menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklungsgeschichte innewohnenden Komplexitätswachstums mit Beobachtungen über einen Richtungspfeil zu verbinden, der in diesem Wachstum zur Geltung gelangt. Die Ansätze hierzu sind vielfältig und können an dieser Stelle nur umrisshaft angedeutet werden. Wesentlich ist die Unterscheidung von „finalistischen" Ansätzen, die der Evolution eine präexistente ,Absicht" unterstellen und Ansätzen, die diesbezüglich zurückhaltender sind und ζ. B. von der Annahme von „Tendenzen", „Trends" oder „Trajektorien" ausgehen, d. h. von Prozessrichtungen, die sich im Verlauf von Entwicklungen einstellen, ohne bereits in deren Ausgangsbedingungen mitenthalten sein zu müssen. Die kulturanthropologische Deutung kann zu der letzteren Gruppe von Positionen gerechnet werden. Bei der ihr folgenden Erklärung eines Richtungspfeils in der menschlichen und gesellschaftlichen Gesamtentwicklung kann an der vorstehenden Darstellung von Vektoren der Institutionenentwicklung unmittelbar angeknüpft werden. Diese enthält typischerweise Aussagen über Verkettungen von Entwicklungsprozessen, die sich als Grundlagen für die Bildung von Hypothesen über Sequenzen von Entwicklungsstufen oder -phasen eignen, die eine innere Logik aufweisen. Solche Verkettungen können kurz sein, u.U. aber auch Zeiträume überspannen, welche vom gedachten Uranfang der Gesellschaftsentwicklung bis in die Gegenwart reichen. Im letzteren Fall lassen sich
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Helmut Klages
ohne allzu große Mühe evolutionäre ,yAspekttheorien ii formulieren, die zwar mehr oder weniger deutlich von der Fülle des entwicklungsgeschichtlichen Gesamtgeschehens abstrahieren, denen der gelungene Sprung auf das Terrain der Richtungsaussage aber dennoch nicht abgesprochen werden kann. Eine solche Aspekttheorie, die in der Soziologie seit längerem eine prominente Rolle spielt und in der Sozialtheorie N. Luhmanns kulminiert, betrifft die „soziale Differenzierung", die in einigen der vorstehend angesprochenen Vektoren in Erscheinung tritt. Die soziale Differenzierung nimmt im gesellschaftsgeschichtlichen Ablauf ganz offensichtlich nicht nur quantitativ zu, sondern durchläuft mit einer unabweisbaren Logik auch qualitative Wandlungen, von denen das gesellschaftliche Geschehen an einer Unzahl von Punkten geformt und beeinflusst wird. Eine weitere Aspekttheorie, die weit über die Soziologie hinaus Aufmerksamkeit und Akzeptanz gefunden hat, findet sich in Max Webers Aussagen über eine fortschreitende Rationalisierung" der okzidentalen Gesellschafts- und Kulturentwicklung, von der sich ebenfalls weit reichende Aussagen über qualitative Wandlungen im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang und über die sich in Verbindung hiermit wandelnde Situation und Verfassung des Menschen ableiten lassen. Ein dritter ebenfalls sehr einflussreicher Ansatz findet sich ζ. B. in den Forschungen von Norbert Elias über einen Prozess der „ Zivilisation " gesellschaftlicher Verhaltensweisen.
IV. Ein übergreifendes Deutungsschema der Institutionenentwicklung Ungeachtet der Tatsache, dass diese und andere Aspekttheorien der gesellschaftlichen Entwicklung das Stadium der wissenschaftlichen Diskussion und Überprüfung noch keineswegs abschließend durchlaufen haben, kann ihnen allen ein hoher Erkenntnis- und Aussagewert zugeschrieben werden. Sie machen erstens - jenseits von Naivitäten, die der älteren Evolutionstheorie anhafteten sehr deutlich sichtbar, dass der gesellschaftlichen Entwicklung Richtungstendenzen innewohnen, die mit der Tendenz einer fortschreitenden Komplexität zusammengedacht werden müssen. Sie machen zweitens sichtbar, dass in den übergreifenden Prozesszusammenhängen, von denen die Rede ist, Veränderungen „des Menschen" und „der Gesellschaft" stattfinden, die ineinander verzahnt sind. Sie lassen sich endlich, wie an dieser Stelle nur behauptet werden kann, im Sinne derjenigen kulturanthropologischen Theorie der Institutionenentwicklung interpretieren, von der vorstehend ausgegangen wurde. Wenden wir uns dieser Theorie selbst zu und fragen wir, ob und wie sie zu der Frage eines Richtungspfeils in der gesellschaftlichen Gesamtentwicklung Stellung bezieht, dann können wir unschwer fündig werden. Wir finden, darüber hinaus, hier einen Ansatz vor, der über das Niveau einer Aspekttheorie hinausstrebt, indem er verschiedene der vorstehend behandelten Einzelvektoren in ein
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übergreifendes Deutungsschema integriert, das von einem Gesamtbild des Menschen als eines instinktentbundenen und somit „unfestgestellten", jedoch zur Institutionenentwicklung fähigen Bedürfniswesens ausgeht. In einem nur sehr knapp ausgearbeiteten Theorieansatz H. Schelskys, in welchem vielfältige Einflüsse der Wissenschaftsentwicklung bis zur Mitte des 20. Jh. zusammenlaufen, kommt diese Intention mit programmatischer Deutlichkeit zum Ausdruck. Schelsky, der sich mit demonstrativer Betonung auf den englischen Sozialphilosophen Herbert Spencer bezieht, um den wissenschaftsgeschichtlichen Tiefgang seines Ansatzes deutlich zu machen, bekennt sich unter Verweis auf Bronislaw Malinowski unmissverständlich zu der Absicht , Antworten auf die Probleme des sozialen Wandels und der Geschichtlichkeit der Institutionen" suchen zu wollen. 3 Der Grundansatz besteht dabei in der Konstruktion eines „systematischen Zusammenhangs", demzufolge sich die „Grundbeziehungen zwischen Bedürfnissen und Institutionen" in die Form eines Mehrstufenmodells bringen lassen. An dessen Basis findet sich eine erste Schicht zunächst noch relativ ungeformter menschlicher Bedürfhisse (vgl. oben), deren Stabilisierung und Hintergrundserfüllung durch „Institutionen 1. Grades" geleistet wird. Aus diesen heraus entwickeln sich „neuartige Folgebedürfnisse, sozusagen abgeleitete Bedürfhisse 1. Grades", die ihre Stabilisierung in „Institutionen 2. Grades" finden, die ihrerseits wiederum „abgeleitete Bedürfnisse 2. Grades" nach sich ziehen, u. s. w. Schelsky lässt bei seiner nur hingeworfenen Darstellung den oben angesprochenen Zusammenhang zwischen Institutionalisierung, Stabilisierung, Hintergrundserfullung, Überschuss-/Potenzialentstehung und Potenzialnutzung außer Betracht, der aber hinzugedacht werden muss, wenn das Schema verständlich sein soll. Im Ganzen genommen entwirft das Schema das Bild eines „hierarchischen" Aufbaus der Kultur in einem zusammenhängenden entwicklungsgeschichtlichen Ablauf, der sich in einem doppelten Sinn als Evolution verstehen lässt: Einerseits vollzieht sich in diesem Ablauf die Entwicklung der gesellschaftlichen „ Objektivationen " sozialer, kultureller, wirtschaftlicher und technischer Natur, andererseits aber auch - und zwar unmittelbar damit gekoppelt die Entwicklung des Menschen selbst, der diese Objektivationen handelnd hervorbringt, genauer gesagt die Entwicklung seines personalen Aufbaus einschließlich seiner Psyche, Bewusstheit und Subjekthafitigkeit. Natürlich lässt sich abkürzend sagen, dass sich diesem Schema zufolge der Mensch „handelnd" selbst produziert. Das eigentlich Gemeinte wird aber - jenseits möglicher Missverständnisse - erst in der vollen und unreduzierten Formulierung des vorgenannten Zusammenhangs sichtbar.
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H. Schelsky, a. a. O., S. 19.
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V. Die Bedeutung von „Übergängen" in der Institutionenentwicklung Erst im genaueren Nachvollzug dieses Zusammenhangs wird aber auch etwas erkennbar, was sich insbesondere bei der Anwendung des Schemas auf die gegenwärtigen Gesellschafts- und Kulturverhältnisse als entscheidend wichtig erweist, dass nämlich zwischen die Entstehung von Bedürfnisenergien in der Form von Überschusspotenzialen und ihre Institutionalisierung Übergänge eingelagert sein können, die allerdings in dem graphischen Schema, das Schelsky selbst anbietet, nur als Leerräume in Erscheinung treten, die von unbenannten Linien mit Pfeilsymbolen durchzogen sind. Diese Übergänge lassen sich zunächst rein historiographisch als entwicklungsgeschichtliche Zeiträume begreifen. Indem dies geschieht, wird aber gleichzeitig auch sichtbar, dass es im evolutionsgeschichtlich begriffenen Entwicklungsablauf nicht nur „Zäsuren", sondern in Verbindung damit auch mehr oder weniger lange Zeitspannen gibt, die durch Unentschiedenheiten und Ungewissheiten bestimmt sind, konkret: durch einen hinsichtlich seines Ausgangs zunächst unabsehbaren Kampf um Vorrangpositionen bei der Wahl zwischen sich anbietenden Möglichkeiten, wie auch durch Ungleichgewichte im Verhältnis zwischen bisherigen, nicht mehr ausreichenden und neuen, aber noch nicht vorhandenen, oder noch nicht ausformulierten und schon gar nicht durchsetzungsstarken und legitimierten Institutionalisierungen. Bei der realsoziologisch reflektierten Evolutionsanalyse, die hier gefordert ist, wird es unvermeidlich, den normativen Anspruch in den Blick zu nehmen, der von „etablierten" Institutionen ausgeht. Es legt sich dies insbesondere dort nahe, wo sich diese Institutionen mit vorher schon vorhandenen, aus älteren Entwicklungsschichten stammenden Institutionen ins Benehmen gesetzt hatten, so dass eine homogene Kultursignatur entstanden war, der die entwicklungsgeschichtlichen Kanten abgeschliffen waren. Bei realistischer Betrachtung ist davon auszugehen, dass die Entstehung von Überschusspotenzialen, die aus vorhandenen Institutionen herauswachsen und von ihnen wegstreben, wie auch die Entwicklung neuer Institutionen, die sie aufnehmen und stabilisieren können, unter bestimmten Bedingungen sehr schwere Konflikte mit sich bringen können - es sei denn, dass dieser Prozess selbst institutionalisiert ist, was aber typischerweise nicht der Fall ist. Aus der Perspektive vorhandener Institutionen stellen gesellschaftliche Bedürfnisentwicklungen, die innovativ sind und somit zu „neuen Ufern" streben, u. U. gefährliche und umstürzlerische Abweichungen und Fehlentwicklungen dar, die es um der Aufrechterhaltung der „Ordnung" willen zu verhindern gilt. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn von solchen Entwicklungen Änderungs- und Anpassungsforderungen in Richtung etablierter Institutionen ausgehen, zumal in solchen Fällen bisher vorhandene institutionelle Gesamtgleichgewichtslagen verloren gehen, die ggf. mühselig ersetzt und neu eintariert werden müssen. Vorhandene Institutionen werden sich, mit
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anderen Worten, immer dann gegen innovative Bedürfhislagen und gegen Bemühungen um ihre Institutionalisierungen zur Wehr setzen, wenn sie sich dadurch in ihrem Bestand gefährdet sehen. In Reaktion auf solche „konservativen" oder „reaktionären" Tendenzen, die sie aus ihrer Perspektive erleben, werden sich die neuen Bedürfhislagen und Institutionalisierungsansätze in derartigen Fällen umgekehrt mehr oder weniger aggressiv als „fortschrittlich", „emanzipativ", „aufgeklärt" oder „revolutionär" interpretieren. Wendet man sich mit dieser realsoziologisch reflektierten Perspektive im Kopf der gesellschaftlichen Entwicklungsgeschichte zu, dann findet man ein reiches Material, das allerdings bislang noch kaum in der erforderlichen Weise aufgearbeitet ist. So lässt sich feststellen, dass die einige Jahrtausende beanspruchende „neolithische Revolution" in einigen Teilen der Welt tief reichende Problemlagen mit sich brachte, die zum Untergang ganzer Kulturen führten. Man kann dies ζ. B. an der Mayakultur studieren, die zu einem relativ späten Zeitpunkt plötzlich verschwand, weil offenbar das Problem nicht bewältigt werden konnte, von den über lange Zeit hinweg verteidigten Göttern der vorangegangenen Migrationsperiode zu den mit der Sesshaftwerdung aufdämmernden Agrargöttern überzugehen, oder jene in letztere zu transformieren. Es lässt sich mutmaßen, dass hierdurch eine fundamentale evolutionäre Instabilität entstand, die darin zur Kultur zerstörenden Kraft wurde, dass das Eintreten von Trockenheiten oder sonstigen Naturkatastrophen, welche die Agrarwirtschaft gefährdeten, von einer in sich gespaltenen Priesterschaft als Rache der Götter interpretiert wurde, die angeblich die Aufgabe der Städte als Opfer forderten. 4
VI. Institutionenentwicklung und Modernisierung - Das Trauma der bürokratischen Organisation Es gehört zu den Grenzen der Gründungsväter der modernen Kulturanthropologie, dass sie die Ubiquität und Normalität der Instabilität in den mit dem evolutionären Prozess verbundenen Übergangsperioden nicht erkannten, sondern sie vielmehr als Sonderphänomen der heutigen Zeit interpretierten und ihre Analyse exklusiv als kultur- und gesellschaftskritische Gegenwartsanalyse betrieben. Insbesondere bei Arnold Gehlen lässt sich nachverfolgen, dass er die Existenz früherer Übergangsperioden überspringt und das Vorhandensein typischer Probleme solcher Perioden, die er in der Gegenwartsgesellschaft beobachtet, entwicklungsgeschichtlich erst- und einmaligen Problemen und Gefahren der Modernisierung im „technischen Zeitalter" zuschreibt. Seiner Diag-
4 Vgl. hierzu H. Klages, Erkenntnispotenziale der Kulturanthropologie Arnold Gehlens, in: ders. u. H. Quaritsch (Hrsg.), Zur geisteswissenschaftlichen Bedeutung Arnold Gehlens, Berlin 1994, S. 605 ff.
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nose zufolge ist die gesellschafits- und kulturgeschichtliche Gesamtentwicklung in der modernen Gegenwart an einem Punkt angelangt, an welchem das produktive Wechselspiel zwischen der Entwicklung der „Objektivationen" und der subjektiv-menschlichen Entwicklung, das der vorangegangenen Geschichte ihre durchgängige Triebkraft vermittelte, ausläuft und einer gegenseitigen Entfremdung und Blockierung Platz macht, so dass die Evolution im positiv verstehbaren Sinn des Wortes endet und ein durch „Kristallisationen" gekennzeichnetes „post-histoire" von unabsehbarer Dauer anbricht. Gehlen selbst bringt in diese pessimistische Diagnose verschiedenartige Annahmen und Beobachtungen über die Kultur- und Gesellschaftsverhältnisse der Moderne ein, die hier nicht im Einzelnen untersucht werden können. Die wohl wirksamste Negatiworstellung von der Beschaffenheit der modernen Welt, die sich bei ihm auffinden lässt, kann unschwer mit den eminent einflussreichen Auffassungen Max Webers über den Verlauf des okzidentalen „Rationalisierungs"-Prozesses und dessen Ausmünden in die scheinbar „unentrinnbare" Vorherrschaft der "bürokratischen Organisation" in Verbindung gebracht werden. Max Weber selbst sparte nicht an dramatisierenden Bildern, um die welterschütternde, alle bisherigen Vorstellungen über die Zukunft der Menschheit schlechterdings über den Haufen werfende Bedeutung dieser von ihm angenommenen Umwälzung zu kennzeichnen. Der Kerngedanke dieser Interpretation ist, dass der immer spezialisierter, immer verzweigter und immer störungsanfälliger werdende Funktionszusammenhang der modernen Lebensverhältnisse eine Organisationsform des menschlichen Zusammenwirkens erzwingt, der die Berechenbarkeits- , Stetigkeits- und Verlässlichkeitseigenschaften, gleichzeitig aber auch die Unpersönlichkeitsmerkmale einer Maschine eignen. „Eine leblose Maschine", so lesen wir bei Max Weber, „ist geronnener Geist. Nur dass sie dies ist, gibt ihr die Macht, die Menschen in ihren Dienst zu zwingen und den Alltag ihres Arbeitslebens so beherrschend zu bestimmen, wie es tatsächlich in der Fabrik der Fall ist. Geronnener Geist ist auch jene lebende Maschine, welche die bürokratische Organisation mit ihrer Spezialisierung der geschulten Facharbeit, ihrer Abgrenzung der Kompetenzen, ihren Reglements und hierarchisch abgestuften Gehorsamsverhältnissen darstellt. Im Verein mit der toten Maschine ist sie an der Arbeit, das Gehäuse jener Hörigkeit der Zukunft herzustellen, in welche vielleicht dereinst die Menschen sich, wie die Fellachen im altägyptischen Staat, ohnmächtig zu fügen gezwungen sein werden." 5 Ähnliche Feststellungen, die sich auf die um sich greifende und tendenziell universelle Präsenz rational organisierter, nach dem Modell der bürokratischen Organisation begreifbarer Funktionsmechanismen in der modernen Lebenswelt
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M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Halbband, Tübingen 1956 (4., neu herausgegebene Auflage), S. 843.
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beziehen, finden sich auch bei Gehlen. Das eigentlich Entscheidende ist für ihn allerdings, dass sich die überlegene Zweckmäßigkeit dieser Mechanismen mit einer gänzlichen Sterilität und Impotenz im Hinblick auf die Absorbierung, Stabilisierung und Institutionalisierung der Bedürfhislagen der in Entwicklung befindlichen und auf weitere Entwicklung angewiesenen menschlichen Subjektivität verbindet. Diese Vorstellung führt ihn hinsichtlich der Folgen der angenommenen Durchrationalisierung der Institutionen für das menschliche Innenleben zu anderen Vorstellungen als Weber. Dieser nimmt an, dass sich die mechanistischen Eigenschaften der bürokratischen Organisation auf der psychologischen Ebene in entsprechenden Internalisierungsanforderungen an den Menschen niederschlagen, so dass die „bürokratische Persönlichkeit" (Robert K. Merton) zum Leittypus der Moderne wird. Gehlen geht demgegenüber davon aus, dass der in Gang befindliche Subjektivierungsprozess des Personensystems an der glatten Oberfläche der rationalen Apparaturen abprallt und auf sich selbst zurückgeworfen, d. h. selbstreferentiell wird, wie man heute sagen würde. Während bei Weber die bürokratische Organisation das „stählerne Gehäuse" ist, in welchem der moderne Mensch gefangen ist, ist dies bei Gehlen dessen eigene Subjektivität als eine durch den evolutionären Prozess erzeugte Überschussqualität, die keine Institutionalisierungschancen außerhalb ihrer selbst mehr findet und die deshalb in sich selbst zu rotieren beginnt, wobei sie unaufhaltsam degeneriert. Der Mensch gerät dabei, wie Gehlen annimmt, in eine Situation „dauernd wacher Bewußtheit", eines „chronischen Alarmzustandes", der „Verunsicherung des Realitätserlebnisses", der Verformung der „kollektivseelischen Qualitäten" in Richtung des „Imaginären, des Phantastischen, ja Unreellen" und der „triebhaften Mitteilungsbedürftigkeit". 6 Nach Gehlens Auffassung ergeben sich fur den modernen Menschen allenfalls noch quasi-institutionelle Außenhalte in der Konsumsphäre, für deren Nutzung er in einem zunehmenden Maße in Anspruch genommen wird, wodurch aber wiederum - i n Form luxurierender und tendenziell maßlos werdender hedonistischer Bedürfnisse - Degeneration erzeugt wird.
V I I . Die unabgeschlossene Institutionenentwicklung in der Gegenwart - „anthropozentrische" Modernisierung als evolutionär fundierte Perspektive Weder Webers noch Gehlens Vorstellungen von der modernen Lebenswirklichkeit als eines abschließenden Stadiums menschlicher und gesellschaftlicher Evolution werden von den aktuell ermittelbaren empirischen Tatsachen bestätigt. Wie auch manchen anderen ihrer Zeitgenossen ist ihnen gemeinsam, dass 6 Vgl. insb. A. Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter, Hamburg 1957 (= rowohlts deutsche enzyklopädie, Bd. 53, 1. Aufl. 1957), S. 53 f.
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sie unter dem Bann zeitweilig vorherrschender Erscheinungsformen der Modernisierungsentwicklung standen, die inzwischen jedoch längst historisch und obsolet zu werden beginnen. Dies trifft insbesondere fur die Vorstellung einer mechanistisch begreifbaren Rationalisierung zu, die sich heute als ein Trauma enthüllt, das von einer „intermediären Technologie"7 hervorgerufen wurde. An die Stelle eines „stählernen Gehäuses", das den Menschen einerseits als ,»Rädchen im Getriebe" in sich hineinsaugt, das ihm andererseits aber jenseits eines platten Konsumismus keine Anhaltspunkte für eine produktive personale Weiterentwicklung bietet, ist eine sozio-ökonomische und technisch-organisatorische Lebenswelt getreten, die zunehmende „Individualisierungsschübe" (Ulrich Beck) auslöst und die den Menschen herausfordert, bis hart an die Grenzen seiner Möglichkeiten hin Fähigkeiten zur Flexibilität, Eigeninitiative und Eigenverantwortung wie auch eine Fülle von Merkmalen der „Persönlichkeitsstärke" zu entwickeln. Die Auswirkungen dieser Lebenswelt auf das menschliche Innenleben werden von einer Wertewandelsforschung erfasst, welche sichtbar macht, dass die Evolution menschlicher Subjektivität aus der Sphäre der „Objektivationen" nach wie vor starke Anstöße enthält, die eher zu- als abzunehmen scheinen.8 Ein in wachsendem Maße freiheitsbedürftiger menschlicher „Eigensinn", der sich mit einer handlungsaktiv und kompetenzbetont auf die Welt gerichteten Mitgestaltungsbeanspruchung verbindet, lässt sich direkt als eine aus vielfältigen Quellen fließende „Überschussproduktion" aktueller Entwicklungen in der Objektivationsshäre begreifen. Für diese Überschussproduktion scheint umgekehrt eine wachsende Aufnahme- und Absorptionsfähigkeit zu bestehen. Nimmt man die moderne Managementlehre als Indiz, dann kann man den gut ausgebildeten, hochmotivierten, initiativefreudigen und eigenverantwortlich handelnden Menschen, der die Fähigkeit zur Entwicklung eines auf Selbstentfaltung abzielenden, gleichzeitig aber auch realistisch auf das gesellschaftliche Chancen- und Rollenangebot bezogenen Selbstkonzepts besitzt, als den durch die moderne Lebenswelt hervorgebrachten, gleichzeitig aber wiederum auch von ihr geforderten Zieltypus aktueller Menschenentwicklung betrachten. Grundsätzlich gesehen ermangelt diesem Zieltypus die Tragik der Vergeblichkeit, weil die Strukturen der Lebenswelt auch da, wo sie noch ältere Menschenbilder widerspiegeln, zunehmend fließend und gestaltungsoffen und damit auch für die Aufnahme neuer Leitthemen zugänglich werden. Sie alle können sich dem Diktat einer zum allgemeinen Handlungsprogramm werdenden Modernisierung eines weiterentwickelten Typs nicht mehr entziehen. Die Vorstellung einer „anthropozentrischen" Gestaltung der Strukturen verliert damit zunehmend den Geruch des Utopischen, der ihr noch vor kurzem anzuhaften schien. Einem sich individualisierenden, auf Selbstentfaltung programmierten Men7
Vgl. R. Blauner, Alienation and Freedom, Chicago 1964. Vgl. u.a. H. Klages, Der blockierte Mensch. Zukunftsaufgaben gesellschaftlicher und organisatorischer Gestaltung, Frankfurt/Main 2002, S. 28 ff. 8
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sehen wachsen ständig zunehmende Realisationschancen zu. Richtig begriffen scheinen diese Strukturen zunehmend darauf angelegt zu sein, dieses Evolutionsergebnis in sich aufzunehmen, um ihm Institutionalisierungschancen, wie auch damit verbundene Stabilisierungen und Hintergrundserfullungen anzubieten. Allerdings wird angesichts dessen die Vorstellung von Blockierungen der menschlichen Evolution, die Gehlen entwickelt, nicht ohne weiteres obsolet. Wendet man das Instrumentarium der realsoziologisch reflektierten Evolutionsanalyse auf die gegenwärtige Gesellschaftsentwicklung an, dann wird diese vielmehr genau in dem oben definierten Sinn als ein „Übergang" erkennbar, der von Unentschiedenheiten und Ungewissheiten bestimmt ist, d. h. durch einen hinsichtlich seines Ausgangs noch unabsehbaren Kampf um Vorrangpositionen bei der Wahl zwischen sich anbietenden Möglichkeiten, wie auch durch Ungleichgewichte zwischen bisherigen und neuartigen, hinsichtlich ihrer Durchsetzung noch nicht zum vollen Erfolg und Abschluss gelangten Institutionenentwicklungen, welche die bisherigen relativieren oder sogar verdrängen müssen. Die hier aktuell bestehenden Probleme werden ζ. B. in einem ideologischen Dauerfeldzug erkennbar, der gegen den gesellschaftlichen Wertewandel unternommen wird, welcher als ein „Werteverfall" missverstanden und denunziert wird. Sie werden aber auch in den heftigen Auseinandersetzungen erkennbar, die überall dort aufflammen, wo die zum Diskussionsthema gewordene Modernisierung als ein Programm des Institutionenumbaus zur Debatte steht. Es lassen sich hier einerseits strikt betriebswirtschaftliche Positionen erkennen, in denen eine „entmenschende" Effizienzorientierung (Max Weber) zur Geltung gelangt, die der „anthropozentrischen" Entwicklungsperspektive ablehnend gegenübersteht, weil diese scheinbar der Pragmatik ermangelt. Es lässt sich andererseits jedoch auch eine „konservative" Position erkennen, die aus einem anderen Grund anti-anthropozentrisch eingestellt ist, indem sie davon ausgeht, dass die zum Umbau anstehende entwicklungsältere Institutionenschicht die eigentlich tragfähige und fortdauernd verbindliche ist, wobei Vorstellungen von einer unaufhebbaren Bedeutsamkeit und legitimen Beharrungskraft etablierter „Kulturen" Hilfestellung zu leisten vermögen. Es erweist sich in solchen Symptomen, dass die Fortsetzung der menschlichen und gesellschaftlichen Evolution in der Gegenwart ebenso wenig „garantiert" ist, wie sie dies in der Vergangenheit war. Insbesondere in einer fortgeschrittenen Gesellschaft, in welcher der Modernisierungsprozess zunehmend „reflexiv", d. h. hinsichtlich seiner Beeinflussbarkeit in alternative Richtungen bewusstseinsfähig wird, erscheint hierfür vielmehr die klare und entschiedene gedanklich-analytische Orientierung an einer den Evolutionsprozess im Ganzen in den Blick nehmenden Gesamtperspektive der Institutionenentwicklung erforderlich.
Institutionentheorie und Institutionenpolitik Von Arthur Benz, Hagen
I. Zum Begriff Institutionenpolitik Institutionen sind in einer Gesellschaft anerkannte, auf Dauer gestellte Regelsysteme. Sie sollen das Verhalten von Individuen lenken und mit dem Verhalten anderer Individuen koordinieren, um auf diese Weise kollektives Handeln möglich zu machen. Im anhaltenden Fluss der Ereignisse sorgen Institutionen also für Ordnung, Orientierung, Koordination und Stabilität und sie entlasten dadurch Akteure von ständigem Rechtfertigungs- und Entscheidungsdruck.1 Institutionen sind ihrerseits durch Handeln von Menschen geschaffen und beruhen auf Entscheidungen. In der Regel resultieren sie nicht aus Handlungen von Individuen, sondern aus kollektiven Prozessen unter Beteiligung einer Vielzahl von Akteuren. Gesellschaftliche Institutionen wie die Familie, der Markt oder der Staat sind in einem lange dauernden evolutionären Prozess und ohne ein „Institutionendesign" entstanden. In der Sozialwissenschaft spricht man in diesem Fall von der Emergenz von Institutionen. Politische und administrative Institutionen im modernen Staat sind dagegen in der Regel Ergebnis von bewussten und nachvollziehbaren Einrichtungsentscheidungen, die am Ende von politischen Prozessen getroffen werden. Ihre aktuelle Gestalt ergibt sich ferner meistens aus Reformen ursprünglicher Institutionen. In beiden Fällen können wir von einer Institutionenpolitik sprechen.2 Die Stabilität von Institutionen beruht vor allem auf formalen Regeln. Die Ordnungs-, Orientierungs- und Koordinationswirkung von Institutionen hängt 1 Der Institutionenbegriff wird je nach theoretischem Kontext und je nach Gegenstand von Untersuchungen unterschiedlich definiert (vgl. G. Göhler (Hrsg.), Grundfragen der Theorie politischer Institutionen, Opladen 1987; R. Schmalz- Β runs, Ansätze und Perspektiven der Institutionentheorie, Wiesbaden 1989; aus ökonomischer Sicht: D. C. North, Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge 1990). Der hier verwendete Begriff ist bewusst relativ abstrakt und allgemein gehalten, betont aber den politischen und dynamischen Aspekt von Institutionen, wie dies in politikwissenschaftlichen, zum Teil auch in organisationssoziologischen Arbeiten geschieht. 2 J. J. Hesse/A. Benz, Institutional Policy: An International Comparison, in: Yearbook on Government and Public Administration, Band 1, Baden-Baden 1989, S. 377403 (380).
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aber auch von der Regelauslegung und -anwendung der Akteure in der Institution ab. Darüber hinaus gehören zur Realität von Institutionen auch informale Regeln und soziale Normen, also so genannte „standard operation procedures", Gewohnheiten, Entscheidungsstile und normative Selbstbeschreibungen der organisierten Realität, auf die sich zusammenarbeitende Akteure geeinigt haben.3 Auch diese sind Ergebnis politischer Prozesse, da sie auf Vereinbarungen der Akteure beruhen, die damit ihre Interessendivergenzen überwinden. 4 Im Unterschied zu formalen Regeln sind sie flexibel, allerdings nur im Rahmen eines vorgegebenen Entwicklungspfads. 5 Institutionen sind also auch außerhalb von Reformprozessen nur relativ stabil und sie unterliegen in der Regelanwendung und in der Neuverhandlung von Interaktionsmustern und standardisierten Verfahrensweisen immer wieder Veränderungsprozessen. Auch diese sind zur Institutionenpolitik zu rechnen. Während Institutionsgründungen und -reformen die Makroebene, die „Gestalt" einer Institution betreffen, können wir die zuletzt genannte Ausprägung von durch Politik herbeigeführten Veränderungen als Mikropolitik 6 der Institution bezeichnen. Im Folgenden soll, illustriert anhand von Beispielen aus dem Bereich der Staatsorganisation und der öffentlichen Verwaltung 7, die These begründet werden, dass Institutionspolitik zur Realität jeder Institution gehört und ihre Funktionsweise und Effektivität bestimmt. Sie variiert nach den sie vorantreibenden Faktoren und den Gegenständen, und sie zeigt sich in unterschiedlichen Veränderungsmustern. Das Verständnis dieser Prozesse ist wichtig, wenn man Institutionen gestalten und reformieren will. Dies haben Verfechter einer Verwaltungsmodernisierung nach dem New Public Management-Modell überwiegend ignoriert. Die „Governance"-Perspektive, die Klaus König 8 in seinen neueren Publikationen aufgegriffen hat, vermag die technokratische Rationalität der 3
Vgl. P. A. Hall, Governing the Economy, New York 1986; J. G. March/H. A. Simon, Organizations, New York 1958; J. G. March/J. P. Olsen, Rediscovering Institutions, New York 1989; F. W. Scharpf, Games Real Actors Play, Boulder/Col. 1997, S. 38. 4 B. Rothstein, Political Institutions: An Overview, in: R. E. Goodin/H.-D. Klingemann (Hrsg.), A New Handbook of Political Science, Oxford 1995, S. 146. 5 Darauf verweist der „historische Institutionalismus"; vgl. S. Steinmo/K. Thelen/ F. Longstreth (Hrsg.), Structuring Politics. Historical Institutionalism in a Comparative Perspective, New York 1992. 6 W. Küpper/G. Ortmann (Hrsg.), Mikropolitik, Opladen 1988. 7 Ich spreche deshalb im Folgenden zum Teil auch von Organisationen, wenn die konkrete Funktionseinheit gemeint ist, während der Begriff Institution die Aufmerksamkeit auf die anerkannten Regelsysteme bezieht (vgl. auch North, Institutions (Anm. 1), S. 5). Die Unterscheidung zwischen Organisation und Institution ist allerdings nicht trennscharf. 8 Κ König, Öffentliches Management und Governance als Verwaltungskonzepte, in: DÖV 2001, S. 617-625; Κ König u. a., Governance als entwicklungs- und transformationspolitisches Konzept, Baden-Baden 2002.
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Verwaltungsmodernisierung zu überwinden und die Bedeutung der Institutionenpolitik in dem hier skizzierten Doppelcharakter als Makro- und Mikropolitik zu berücksichtigen.
I I . Faktoren der Institutionenpolitik Politik wird von Akteuren (Personen oder organisierte Personengruppen) gemacht, die ihre Interessen verwirklichen wollen, die dazu Macht einsetzen und dies durch Ideen (oder Ideologien) rechtfertigen. Das gilt auch fur die Institutionenpolitik. Mikro- und makropolitische Prozesse weisen allerdings im Hinblick auf diese Faktoren Unterschiede auf, und aus diesen Differenzen resultieren besondere Schwierigkeiten der Veränderung von Institutionen bzw. deren spezifische Eigendynamik. Akteure der Institutionenpolitik sind diejenigen, die an Veränderungen interessiert sind sowie diejenigen, die von ihr positiv oder negativ betroffen sind. In der öffentlichen Verwaltung werden Reformen durch die politische Führung angestoßen und vorangetrieben. Betroffen sind die Mitarbeiter der jeweiligen Organisationen oder auch Akteure außerhalb der zu reformierenden Verwaltung, etwa Adressaten oder andere öffentliche oder private Organisationen. Der Differenzierung zwischen Reformern und Betroffenen entspricht in der Regel der Konflikt zwischen Reformbefürwortern und Reformgegnern. Die Einführung des „Neuen Steuerungsmodells" in Kommunen etwa spaltete die politische Führung, weil die leitende Exekutive in der Regel dafür war, während die Gemeinderäte einen Machtverlust befürchteten. Divergierende Interessen vertraten auch die Mitarbeiter in der Verwaltung auf den unterschiedlichen Hierarchieebenen. In mikropolitischen Prozessen sind die Interessenkonflikte oft noch komplizierter und weniger eindeutig bestimmbar. Akteure sind hier gleichzeitig Agenten und Betroffene von institutionellen Veränderungen mit der Folge, dass ihre Motive und Ziele oft ambivalent sind. Die daraus resultierende Unsicherheit kann die Umsetzung von Reformen erheblich beeinträchtigen, da mikropolitische Prozesse von der politischen Führung nicht oder nur bedingt gesteuert werden können, jedoch die Anpassung der realen Strukturen und der emergenten Regeln eine wichtige Bedingung für den Reformerfolg darstellt. „Reaktive Anpassungen"9 sind daher nicht selten. Makro- wie mikropolitische Prozesse des Institutionenwandels werden zudem durch die Verteilung von Macht und Ressourcen unter Akteuren beeinflusst. Reformer müssen selbstverständlich über die legitime Macht verfügen, formale Regeln ändern zu können. Diese Macht kann aber wirksam konterka9 J. J. Hesse/ A. Benz, Die Modernisierung der Staatsorganisation, Baden-Baden 1990, S. 67.
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riert werden durch betroffene Akteure, die zwar selten über Gestaltungskompetenzen, oft aber über Blockademacht verfugen. Ihre „Gegenmacht" in Reformprozessen beruht einerseits auf ihrem Vorsprung an Informationen über die konkrete Funktionsweise der betroffenen Institution, andererseits auf ihrer Fähigkeit, Leistungen zu verweigern oder zu vermeiden, ihre Arbeitsweisen zu ändern. Sowohl der strategische Umgang mit Informationen als auch subtile Formen der Blockade (etwa Dienst nach Vorschrift) sind in der öffentlichen Verwaltung bekannte Phänomene. Besonders anfällig für Blockaden sind Institutionenreformen, die bestehende Kompetenzen- und Ressourcenverteilungen verändern, weil sie oft Machtkämpfe zwischen Gewinnern und Verlierern auslösen. Diese können das Arbeitsklima und faktische Regeln der Zusammenarbeit zerstören und dadurch die Funktionsfähigkeit der Institution untergraben. Der Einsatz von Reformpromotoren oder die Bildung von „advocacy coalitions" 10 kann dies nicht verhindern, solange keine allgemein überzeugenden Normen vorhanden sind, welche die mit Reformen verbundenen Umverteilungen rechtfertigen. Damit ist auf die Bedeutung von Leitideen, d.h. allgemeine Ziele und Begründungen für Veränderungen, verwiesen, die nicht nur institutionspolitischen Prozessen die Richtung weisen, sondern Veränderungen legitimieren. In der Literatur zur Transformation von Organisationen wird darauf hingewiesen, dass grundlegende Reformen durch neue Paradigmen oder Modelle geleitet sein müssen.11 Das Modell des „New Public Management" bot offensichtlich eine solche Leitidee der Verwaltungsmodernisierung und signalisierte einen Paradigmenwandel. Die Erfahrungen mit dessen Umsetzung zeigen allerdings, dass solche Ideen auch auf der Ebene der Mikropolitik verankert werden müssen. Auch diese wird durch gemeinsame kognitive und normative Orientierungen der Akteure beeinflusst, von denen es abhängt, ob Mitglieder in die Institution integriert sind oder nicht. Es ist oft dieser „Geist einer Organisation" 1 2 , der über den Erfolg von Reformen entscheidet. Institutionenpolitiken können eher auf Ideen oder eher auf Macht gestützt sein. Macht trifft regelmäßig auf Gegenmacht, stößt also schnell an Grenzen. Ideen wiederum müssen mit der Realität der Mikropolitik einer Institution so-
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P. A. Sabotier, Knowledge, Policy-Oriented Learning and Policy Chance: An Advocacy Coalition Framework, in: Knowledge: Creation, Diffusion, Utilization 1987, S. 649-692. 11 Z.B. A. Benz, Föderalismus als dynamisches System, Opladen 1985, S. 93-98; C. R. Hinings/R. Greenwood, The Dynamics of Strategie Change, Oxford 1988; A. Levy/U . Merry, Organizational Transformation, New York 1986. 12 F W. Scharpf, Grenzen der institutionellen Reform, in: Th. Ellwein u.a. (Hrsg.), Jahrbuch für Staats- und Verwaltungswissenschaft, Band 1, Baden-Baden 1997, S. 111151 (135 ff.).
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wie mit den Problemwahrnehmungen und Bedürfnissen der Betroffenen kompatibel sein. Widersprüche zwischen Ideen und Machtstrukturen führen zur Destabilisierung, die entweder durch weitergehenden Institutionenwandel überwunden wird oder zur Desintegration der Institution führt.
I I I . Gegenstände und Reichweite der Institutionenpolitik Welche Faktoren die Institutionenpolitik letztlich entscheidend prägen, hängt davon ab, welche Elemente der institutionellen Ordnung auf ihre Agenda kommen und wie weit beabsichtigte Veränderungen reichen. Generell gesprochen hat Institutionenpolitik mit den Regeln zu tun, die eine Institution ausmachen. Diese Regeln betreffen unterschiedliche Aspekte der Ordnungsstruktur und der Interaktionen zwischen Akteuren 13 , deren Veränderung mehr oder weniger große Schwierigkeiten erzeugt. Besonders relevant ist hierbei die Unterscheidung von Binnen- und Außenbeziehungen einer Organisation. Die Außenbeziehungen werden geregelt durch funktionale und/oder territoriale Kompetenzgrenzen und Regeln der Mitgliedschaft, die Binnenstrukturen durch die Verteilung von Aufgaben und Ressourcen auf Organisationseinheiten oder Stellen sowie durch Regeln der Entscheidungsfindung und Kooperation zwischen den Akteuren. Änderungen von Kompetenzen wirken sich auf das Verhältnis einer Organisation zu anderen Organisationen oder auf die mit der betroffenen Organisation interagierenden Personen(gruppen) aus. Damit sind in institutionenpolitische Prozesse nicht nur interne, sondern auch externe Akteure involviert, die relevanten Machtstrukturen sind wesentlich komplexer als bei Reformen von Binnenstrukturen. Institutionenpolitik wird zu einer interorganisatorischen, ja teilweise gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Macht. Normalerweise setzen sich in diesen Prozessen Vertreter von Institutionen durch, die aufgrund rechtlicher Regeln oder faktischer Macht überlegen sind. Das kann am Beispiel von Zentralisierungs- und Dezentralisierungsprozessen in Staaten oder Verwaltungsorganisationen gut illustriert werden: In diesen hierarchischen Ordnungen herrscht eine Tendenz zur Kompetenzzentralisierung, während Dezentralisierungsprozesse dann wahrscheinlich sind, wenn sich die Zentralinstanz entlasten will oder wenn aufgrund von situativen Bedingungen oder anerkannten Leitideen dezentrale Institutionen im Vorteil sind. 14 In verflochtenen Interorganisationsgefügen können sich auch Koalitionen zwischen Akteuren unterschiedlicher Organisationen bilden, die von der wechselseitigen Beteiligung an der
13 E. Ostrom , A Method for Institutional Analysis, in: F.-X. Kaufmann/G. Majone/V. Ostrom (Hrsg.), Guidance and Control in the Public Sector, Berlin 1986, S. 459-475. 14 Hesse/Benz, Staatsorganisation (Anm. 9), S. 203 ff.
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Kompetenzausiibung profitieren. Die Regierungen des Bundes und der Länder bilden im deutschen Bundesstaat eine solche Koalition, weshalb die im Bundesrat beteiligten Länderregierungen eine schrittweise Ausdehnung der Bundeskompetenzen in der Gesetzgebung nicht verhinderten, andererseits einen Abbau der Gemeinschaftsaufgaben nicht zulassen. Änderungen territorialer Grenzen zwischen gleichberechtigten Gebietskörperschaften werden in aller Regel durch gegensätzliche Interessen und durch die Vetomacht der verlierenden Einheit blockiert. Die Neugliederung der Länder ist daran letztlich gescheitert. Hier sind es vor allem die Mitglieder, d.h. die Bürger der Länder, die Widerstand gegen Grenzänderungen leisten, während bei der Fusion von Verwaltungen oft die Führungsgremien Vetomacht einsetzen.15 Änderungen von Mitgliedschaftsregeln sind verglichen mit Kompetenzänderungen weniger problematisch, da von ihnen nicht zwingend andere Institutionen betroffen sind, es sei denn, es liegen Inkompatibilitäten vor. Gleichwohl entscheiden auch hier primär die Interessenkonstellationen und Machtverhältnisse zwischen internen und externen Akteuren oder Akteursgruppen über den Verlauf und Erfolg von Institutionenpolitik. In diesem Fall sind die Machtverhältnisse meistens asymmetrisch zu Lasten derer, die Zugang zur Mitgliedschaft anstreben. Ein Extremfall von Machtasymmetrie stellt sich bei der Entscheidung über Regeln der Staatsbürgerschaft, die ein Merkmal der Institution Staat betreffen und deren Modifikation daher als Gegenstand der Institutionenpolitik eines Staates zu betrachten ist. Die Entscheidung über seine Mitgliedschaft trifft ein Staat souverän und diejenigen, die er dabei ausschließt, haben keinerlei Beteiligungsrechte oder Chancen, sich zu einer einflussreichen Gruppe zu organisieren. Das Beispiel der Staatsbürgerschaft zeigt aber, dass Mitgliedschaftsregeln auch intern umstritten sein können. Ausschließlich interne Konflikte lösen Änderungen der Aufgaben- und Ressourcenverteilung in Institutionen aus. Im Prozess der Institutionenpolitik sind in diesem Fall redistributive Entscheidungen zu treffen, gegen die sich die Verlierer wehren. Rechtfertigungen von solchen Entscheidungen durch eine anerkannte Leitidee werden oft in mikropolitischen Anpassungsprozessen in Frage gestellt, die nicht im Lichte öffentlicher Diskussionen verlaufen, sondern durch Strategien und Taktiken einzelner Akteure ausgelöst und determiniert sind. Bei Änderungen von Entscheidungsregeln sind Verlierer und Gewinner ebenfalls meistens eindeutig zu identifizieren, wenngleich es, wie etwa die Entscheidungsregeln im Ministerrat der EU zeigen, zum Teil einer gewissen mathematischen Kompetenz bedarf, um Folgen von Veränderungen zu erkennen. Entschärft werden die Konflikte hier, wenn zwischen institutionenpolitischen Entscheidungen und ihren Wirkungen eine zeitliche Differenz liegt, also Reformen 15 Die Konflikte um die Reform der Landeszentralbanken stellen ein anschauliches Beispiel hierfür dar.
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erst für neu zusammengesetzte Gremien gelten. Auch in diesem Fall kommen Blockaden von Reformen häufig vor, weil die Betroffenen an der Politik beteiligt sind und ihre Vetomacht einsetzen können. Änderungen von Arbeitsstrukturen einer Institution betreffen die emergenten Regeln der Interaktion zwischen den Akteuren. Sie sind nicht Gegenstand von Reformen, sondern resultieren ausschließlich aus mikropolitischen Prozessen innerhalb der Institution. Es gibt auch Fälle, in denen dabei die Außenbeziehungen tangiert sind, etwa wenn eine Verwaltung von einer hoheitlichen Behörde in Richtung eines Dienstleistungsbetriebs transformiert werden soll. Der Erfolg einer solchen Politik hängt nicht nur von einem politischen Programm oder der Schulung von Mitarbeitern ab, sondern auch von den Verhaltensänderungen der potentiellen„Kunden" der Verwaltung, die kaum zu steuern sind. Je nach Gegenstand stellen sich in der Institutionenpolitik also unterschiedliche Schwierigkeiten. Diese sind umso größer, je mehr Gegenstände gleichzeitig in Angriff genommen werden und je ambitionierter die Ziele sind. Umfassende Reformen sind schwieriger als partielle Korrekturen institutioneller Regeln. Revolutionäre Änderungen rufen größere Widerstände hervor als inkrementelle Anpassungen des Status quo. Weit reichende Reformprogramme können zwar bestehende Institutionen destabilisieren und sie für Veränderungen zugänglich machen, sie enden aber auch mit hoher Wahrscheinlichkeit in teilweiser oder völliger Blockade, wenn Makro- und Mikropolitik in Widerspruch zueinander geraten. 16 Diese Erkenntnisse sind alles andere als neu. Es ist daher erstaunlich, dass so viele professionelle Verwaltungsberater im jüngsten Prozess der Verwaltungsmodernisierung sie nicht beachtet haben.
16 Anders ist dies, wenn bestehende Institutionen durch externe Herausforderungen zerstört wurden oder wenn Institutionen nach dem Umbruch einer Staats- und Gesellschaftsordnung neu geschaffen werden müssen. Dieser eher seltene Fall konnte in Ostdeutschland nach der deutschen Einheit beobachtet werden. Auch hier wurden die überwiegend aus Westdeutschland transferierten Institutionen aber in mikropolitischen Prozessen an die spezifischen Bedingungen der neuen Länder angepasst. Vgl. z.B. R. Czada y The Treuhandanstalt and the Transition from Socialism to Capitalism, in: Α. Benz/K. H. Götz (Hrsg.), A New German Public Sector? London 1996, S. 93-117; A. Eisen/H. Wollmann (Hrsg.), Institutionenbildung in Ostdeutschland, 1996; W. Seibel , Verwaltungsaufbau in den neuen Bundesländern, Berlin 1996; W Seibel/A. Benz/ H Mäding (Hrsg.), Verwaltungsreform und Verwaltungspolitik im Prozeß der deutschen Einigung, Baden-Baden 1993; H. Wollmann u.a., Transformation der politischadministrativen Strukturen in Ostdeutschland, Opladen 1997. Zur Bilanz der Forschung H. Wollmann, Verwaltung in der deutschen Vereinigung, in: K. König (Hrsg.), Deutsche Verwaltung an der Wende zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 33-58.
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IV. Verlaufsmuster von Institutionenpolitik und institutionellem Wandel Mit der Unterscheidung von institutionenpolitischen Prozessen unterschiedlicher Zielrichtung und Reichweite und der Differenzierung von Makro- und Mikroprozessen wurden bereits wichtige Analysekategorien genannt, mit denen Varianten der Institutionenpolitik typisiert werden können. Im Folgenden sollen diese in ihrem Zusammenhang betrachtet und typische Verlaufsmuster skizziert werden. Einer anerkannten Theorie zufolge unterliegen institutionelle Reformen einem zyklischen Verlauf. 17 Nach einer Phase des Aufschwungs von Reformaktivitäten, die zum Teil in kollektive „Reformeuphorie" übergehen kann, jedenfalls aber bestehende Strukturen erschüttert, folgt demnach die Ernüchterung und eine Phase der Restabilisierung, wenn sich Widerstände gegen Veränderungen formiert haben, wenn Reformbefürworter und Promotoren an Durchsetzungskraft verlieren oder wenn Leitideen angesichts wachsender Kritik an Überzeugungskraft verlieren. Dieses Modell des Reformverlaufs ist plausibel, allerdings können daraus noch keine differenzierten Erkenntnisse über konkrete Ausprägungen und die Folgen der Zyklizität abgeleitet werden. Diese kommen in den Blick, wenn wir das Zusammenspiel der Makro- und Mikropolitik betrachten. Auf beiden Ebenen lassen sich die genannten zyklischen Entwicklungen feststellen. Der Erfolg von Institutionenpolitik hängt davon ab, ob diese wechselseitig den institutionellen Wandel in der erwünschten Richtung vorantreiben oder ob sie in einander entgegengesetzter Weise wirken. Reformen der Gestalt einer Institution zeichnen sich durch die genannten Aufschwungs- und Abschwungsphasen aus. Sie resultieren aus der Legitimation stiftenden und mobilisierenden Wirkung von neuen Ideen sowie aus der Tatsache, dass Widerstände von Reformgegnern mit Verzögerung auf Reformanstöße zum Tragen kommen. Auch die bekannten Aufmerksamkeitszyklen der Öffentlichkeit tragen hierzu bei. Ferner werden die Kosten von Reformen für die Betroffenen erst erkennbar oder kalkulierbar, wenn allgemeine Reformziele in konkrete Pläne und Maßnahmen umgesetzt sind. Ob dieser Reformzyklus eine positive Entwicklung darstellt oder ob er negative Folgen auslöst, hängt weniger von Reformwiderständen oder von den „Reformenergien" von Befürwortern ab, sondern vom Verlauf der Anpassungsprozesse in der Mikropolitik einer Organisation. Wie weit auch immer die durch Reformen ausgelöste Innovation reicht, sie verändert die realen Wirkungen von Regeln nur, wenn die Akteure ihr Verhalten, ihre Routinen und ihre eingespiel-
17
S. Ruß-Mohl, Reformkonjunkturen und politisch-administratives Krisenmanagement, Opladen 1981.
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ten Interaktionsformen an geänderte Formalstrukturen anpassen. Dass und wie dieses Zusammenwirken von Reform und mikropolitischer Anpassung funktionieren kann, lässt sich am Beispiel der Institutionenreform in der Region Stuttgart gut illustrieren. 18 Hier wurde 1994 durch ein Landesgesetz der bestehende Regionalverband erneuert, wobei eine direkt gewählte Regionalversammlung geschaffen wurde, die im Vergleich mit der früheren Verbandsversammlung des Regionalverbands erweiterte Kompetenzen erhielt. Die Stärkung der regionalen Institutionen diente dem Ziel, die Zusammenarbeit von Vertretern der Kommunen, der Region, der Wirtschaft und von Verbänden zu verbessern. Dies gelang im Schatten des neuen, mit erweiterten Eingriffsbefugnissen gegen Kommunen ausgestatteten Regionalparlaments, weil die Verantwortlichen in der Verbandsverwaltung die Potentiale der Neuorganisation erkannten und ihre Praxis der Regionalplanung in Richtung eines Managements regionaler Kooperationsformen und regionaler Leitprojekte veränderten. Dass diese Anpassung rasch und erfolgreich gelang, erklärt sich durch personelle Veränderungen auf der Leitungsebene wie durch die Tatsache, dass eine kleine Verbandsverwaltung nicht durch bürokratische Routinen belastet ist. Die Parallelität der Reformpolitik und der Mikropolitik in der neuen Institution, die in diesem Beispiel deutlich wird, ist allerdings eher selten und hängt von günstigen Bedingungen ab. Nicht selten unterlaufen mikropolitische Prozesse neue Regeln einer reformierten Institution. Sie zielen dann auf die Subversion von Reformpolitik und enden, wenn diese Strategie erfolgreich ist, in der faktischen Aufrechterhaltung des Status quo. Die Institution kann auf diese Weise durchaus zu einem neuen Gleichgewicht gelangen. Das ist allerdings nur bei Reformen von geringer Reichweite zu erwarten und bei umfassenden Transformationen unwahrscheinlich. Das Wechselspiel von Reform und Subversion ist in der Bürokratietheorie mit dem „bürokratischen Teufelskreis" 19 beschrieben worden. Dieser entsteht, wenn informelle Beziehungen zwischen Akteuren durch formale Regeln unterbunden werden sollen, diese Regeln aber durch neue informelle Beziehungen unterlaufen werden. Bekannte Beispiele für Subversion bieten auch Einrichtungen von Stabsstellen oder Arbeitsgruppen in der funktional differenzierten Verwaltung, die von bestehenden Referaten oder Abteilungen oft nicht mit den erforderlichen Informationen versorgt und damit faktisch lahm gelegt werden. Subversive Prozesse stabilisieren den Status quo nur kurzfristig, mittelfristig lösen sie eigendynamische Veränderungen aus. In diesen Prozessen können Verhaltensweisen schrittweise an neue Regeln angepasst werden. Es ist aber
18 A. Frenzel, Stadtregionale Entwicklungssteuerung im Standortwettbewerb, Halle: Diss. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 1998; F. Iwer u.a., Strukturwandel und regionale Kooperation. Angebotsorientierte Strukturpolitik in der Region Stuttgart, Marburg 2002, S. 65-92. 19 M. Crozier, Le phénomène bureaucratique, Paris 1963, S. 247.
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auch möglich, dass sie eine Erosion der Institution bewirken. Letzteres ist zu erwarten, wenn subversive Aktivitäten sich in einer Institution ausbreiten oder verstärken und wenn gleichzeitig die Reformpolitik relativ weit reichende Veränderungen beabsichtigt hat, die den Interessen wichtiger Gruppen von Akteuren entgegenlaufen. Erosionsprozesse haben in aller Regel desintegrative Wirkungen, welche die Funktionsweise einer Institution beeinträchtigen und ihren Bestand gefährden, da Akteure mit Protest oder Abwanderung reagieren. Letzten Endes kann dieser Prozess mit der formalen Auflösung enden, die entweder schlicht das Ende einer Institution bedeuten oder aber mit der Errichtung einer neuen Institution im Zuge eines weiteren Reformprozesses verbunden sein kann. Wenn nach einer Gebietsreform die politischen Eliten der fusionierten Einheiten nicht kooperieren und die Entscheidungsfähigkeit durch strukturell angelegte Konflikte beeinträchtigt wird, kann, wie der Fall der hessischen Stadt „Lahnstadt" (ein durch Landesgesetz erzwungener Zusammenschluss der Städte Gießen und Wetzlar) zeigt, die Revision einer Reform unvermeidlich werden. Erosionsprozesse zeigen sich auch in Regionalverbänden in Verdichtungsräumen, die kommunale Eigeninteressen nicht integrieren konnten und deswegen zum Teil durch neue Institutionen abgelöst wurden. positive Entwicklung
Makropolitik
Mikropolitik
negative
Status quo
·•
Entwicklung
[REFORM
[ANPASSUNG]^
[SUBVERSION!
•
[EROSION]
Verlaufsmuster von Institutionenpolitik
Wir können demnach drei typische Verlaufsformen von Institutionenpolitik mit jeweils besonderer Eigendynamik unterscheiden: Eine positive Entwicklungsdynamik in Richtung der Ziele der Institutionenpolitik ergibt sich, wenn Reformen mikropolitische Anpassungen der emergenten Interaktionsstrukturen auslösen. -
Institutionen verharren tendenziell in einem instabilen Status quo, wenn Reformen durch Subversion unterlaufen werden. Die Spannungen, welche diesen Zustand kennzeichnen, können in zwei Richtungen durch institutionenpolitische Entwicklungen aufgelöst werden: Subversive Mikropo-
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litik kann entweder neue Regeln induzieren, oder sie löst Erosionstendenzen aus, wenn neu eingeführte Regeln dauerhaft unterlaufen werden. -
Erosionsprozesse sind hinsichtlich des Bestands einer Institution negativ, aber sie enden nicht immer in deren Zerstörung. In der Regel münden sie in makropolitische Prozesse, in denen über die Institution entschieden wird. Entweder kommt es zu neuen Reformen, oder eine Institution wird definitiv aufgelöst.
V. Institutionenpolitik als Bedingung für leistungsfähige Institutionen Wie Institutionen funktionieren und, ob bzw. in welchem Maße sie die erwarteten Leistungen erfüllen, hängt nicht nur von der Eignung von Regeln ab, welche die Gestalt einer Institution ausmachen, sondern auch von der Fähigkeit der Institution zur Selbststeuerung. Einerseits müssen Regeln geändert werden, wenn neue Anforderungen auftreten oder sich Leistungserwartungen ändern, andererseits müssen Verhaltensweisen und Interaktionen der Akteure, die für die Regelanwendung verantwortlich sind und sie beeinflussen, ständig gegen die Dominanz schädlicher Eigeninteressen geschützt werden. Deswegen gehört Institutionenpolitik zu den Voraussetzungen einer funktionsfähigen Institution, und zwar sowohl als Reformpolitik (Makropolitik) wie als Mikropolitik. Ausgehend von diesen Überlegungen erweist sich ein Konzept von Verwaltungsmodernisierung als problematisch, das auf umfassende Reformen in Orientierung an einem Modell einer neuen Verwaltung gerichtet ist, ohne den Umsetzungsprozess zu berücksichtigen. 20 Die Vertreter von New Public Management in der Verwaltung ignorierten zum Beispiel bei der Übertragung dieser normativen Theorie auf die Kommunalverwaltung weitgehend die mikropolitischen Strukturen und Prozesse, beachteten allenfalls den problematischen Umgang mit Haushaltsregeln (überhöhte Bedarfsanmeldungen, inkrementelle Veränderungen, „Dezemberfieber"). Ausgehend von einer Defizitanalyse, die auf der ökonomischen Theorie des Bürokratieversagens beruhte, stülpten sie der komplexen Verwaltungswirklichkeit ein umfassendes Reformkonzept über, dem viele Aspekte der kommunalen Mikropolitik entgegenstanden. Im Widerspruch zum Modell der funktionalen Gewaltenteilung zwischen Rat und Verwaltung steht etwa die Tatsache, dass Gemeinderäte ihre Wiederwahl zu sichern suchen, indem sie sich um Einzelbelange von Bürgern oder Gruppen kümmern und deswegen kaum daran interessiert sind, sich auf strategische Steuerung und Zie-
20 Vgl. dazu H. Wollmann, Verwaltungspolitische Reformdiskurse und -Verläufe im internationalen Vergleich, in: K. König (Hrsg.), Deutsche Verwaltung an der Wende zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 489-524.
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le zu konzentrieren und der Verwaltung das operative Geschäft zu überlassen. Übersehen wurde auch, dass durch größere Autonomie von Facheinheiten die Querschnittskoordination wesentlich konfliktanfälliger wurde. Es wurde auch nicht beachtet, dass die Verwaltungsmodernisierung nichts an der Abhängigkeit der Kommunen vom Staat veränderte, ja mit ihrer Betonung von Wirtschaftlichkeit und weniger „Staat" wurden Sparpolitiken zum Paradigma erhoben, die angesichts der mikropolitischen Machtverhältnisse in den intergouvernementalen Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zum Nachteil der kommunalen Ebene ausfielen. Im Verhältnis zwischen Verwaltung und Adressaten traf die Idee einer vertragsähnlichen Verwaltungs-Kunden-Beziehung auf reale Machtstrukturen, die organisierte Interessen gegenüber individuellen Klienten begünstigten. Diese ungleichen Machtverhältnisse wurden durch Einführung der Tausch- und Vertragsidee verfestigt. Die Idee der „Bürgerkommune", die inzwischen verbreitet wird, bleibt Ideologie, wenn sie nicht auf eine kritische Analyse der kommunalpolitischen Machtstrukturen gestützt wird. 21 Die einseitige Betonung von ökonomisch definierter Effizienz wurde immer wieder kritisiert. Besonders prononciert äußerte sich dabei Klaus König. 22 Er gehört auch zu denen, die inzwischen dem betriebswirtschaftlichen Leitmodell der Verwaltungsmodernisierung eine institutionenpolitische Perspektive entgegenstellen, die auf dem Governance-Konzept beruht, ohne dieses zu einer Theorie oder einem neuen Modell zu stilisieren. 23 In analytischer Hinsicht erfasst dieses Konzept das Zusammenspiel von formalen Regelsystemen und informalen, aus den Interaktionen der Akteure hervorgegangenen Normen, also sowohl die Gegenstände der Makropolitik einer Institution als auch der mikropolitischen Anpassungsprozesse. In normativer Hinsicht postuliert es kein Idealmodell, sondern auf die jeweiligen Bedingungen konkreter Verwaltungssysteme angepasste und mehr endogen (durch Selbststeuerung) als exogen (durch Institutionentransfer) verwirklichte Formen von „Good Governance". Der Governance-Begriff verweist auf die Steuerung und Koordinierung in komplexen Regelsystemen sowie auf Interaktionen zwischen Individuen und Organisationen. Er blendet die Wirkung des institutionellen Kontexts und dessen Wandel ebenso wenig aus wie die Frage nach der Macht und der Legitimation. 24 Er lenkt
21
Vgl. dazuJ. Bogumil, Modernisierung lokaler Politik, Baden-Baden 2001. Κ König/J. Beck, Modernisierung in Staat und Verwaltung, Baden-Baden 1997. 23 Vgl. König, Verwaltungskonzepte (Anm. 8); König u. a., Governance (Anm. 8); W. Jann, Der Wandel verwaltungspolitischer Leitbilder, in: K. König (Hrsg.), Deutsche Verwaltung an der Wende zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 279-303, R. W. A. Rhodes, Governance and Public Administration, in: Jon Pierre (Hrsg.), Debating Governance, Oxford 2000, S. 54-90. 24 Vgl. Α. Benz, Governance - Modebegriff oder nützliches sozialwissenschaftliches Konzept?, in: A. Benz (Hrsg.), Governance - Regieren in komplexen Regelsystemen, Opladen 2004 (i. Vorb.). 22
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„die Aufmerksamkeit zum einen (wieder) auf die institutionellen Grundlagen von Organisationen ... (formale und informelle Regeln und Werte) zum anderen auf deren Umweltbeziehungen, also auf die Verbindungslinien zu Bürger- und Zivilgesellschaft, zu Unternehmen und Marktwirtschaft, zu Politik und Demokratie." 25 Alle diese Aspekte sind in einer Institutionenpolitik relevant, welche die Leistungsfähigkeit von Staat, Regierung und Verwaltung zu verbessern und zu stabilisieren verspricht. Institutionenpolitik im hier vorgestellten Verständnis kann somit als dynamische Komponente von Governance aufgefasst werden, als Steuerung und Selbststeuerung der Regelentstehung und Regelanwendung in Institutionen. Eine Theorie der Institutionen muss, zumindest wenn sie fur die Bereiche von Staat, Verwaltung, Verbänden und Unternehmen anwendbar sein soll, diese Komponente beinhalten.
25
Jann, Leitbilder (Anm. 23), S. 302 f.
Institutionenbildung aus systemtheoretischer Sicht Von Dieter Grunow, Duisburg
I. Einführung Die Themenwahl bedarf einleitend einer kurzen Begründung, weil die neuere, durch Niklas Luhmann geprägte Systemtheorie den Begriff der Institution weitgehend ausgeblendet hat.1 Dies ist insofern verwunderlich, als der Begriff hier allerdings in der dynamisierten Form der Institutionalisierung - in den frühen Schriften 2 eine nicht unwichtige Rolle spielte. Bei dieser Feststellung ist allerdings zu beachten, dass die spätere Theorieentwicklung nicht nur inhaltlich andere Akzente (differenztheoretisch, autopoietisch) setzt, sondern insgesamt eine höhere Abstraktionsebene wählt. Dabei wurde zudem den Makrophänomenen (gesellschaftliche Funktionssysteme) mehr Beachtung geschenkt als den Mesophänomenen (Organisation). Es wäre allerdings unangemessen zu behaupten, das Thema „Institution" wäre einfach aus dem Blick geraten. Vielmehr ist Rehberg3 zuzustimmen, wenn er betont, dass der Begriff für Luhmann zu wenig Trennschärfe aufweist und keine „Theoriefähigkeit" mehr besitzt. Dies ist fur einen Theoretiker, der sich regelmäßig der Neudefinition begrifflicher , Altbestände" widmet, ein hartes Urteil. Es verweist auf zwei Aspekte, die im Rahmen dieses Beitrages behandelt werden: Zum einen geht es um die Kritik an der „Tradition" institutionentheoretischer Argumentation (Teil I), die zu viele inakzeptable ,Altlasten" transportiert; zum anderen geht es aber auch um die Anerkennung der herausragenden Bedeutung der darin zum Ausdruck gebrachten Sachverhalte fur die soziologische Theorie - und insbesondere auch ftir die Systemtheorie (Teile I I und III). Der Gang der Argumentation sei hier vorab zusammengefasst:
1 So findet sich der Begriff weder in der kürzlich erschienenen Einfuhrung (N. Luhmann, Einfuhrung in die Systemtheorie, Heidelberg 2003) noch im Luhmann-Lexikon (D. Krause, Luhmann-Lexikon, 3.Auflage, Stuttgart 2001). 2 Vgl. N. Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin 1964; ders., Institutionalisierung - Funktion und Mechanismus in sozialen Systemen, in: H. Schelsky (Hrsg.), Zur Theorie der Institution, Düsseldorf 1970, S. 27-41. 3 K.-S. Rehberg, Institutionen als symbolische Ordnungen, in: G. Göhler (Hrsg.), Die Eigenart der Institutionen, Baden-Baden 1994, S. 47-84.
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Neben der Vielzahl der Beiträge im Umkreis eines „neuen Institutionalismus" vermag die Systemtheorie durchaus einen eigenständigen Beitrag zu dem Thema Institutionalisierung zu leisten. Ebenso wie beim neuen Institutionalismus erfolgt der Zugang zur Institutionalisierung über Werte, Kultur und Organisation. Die dabei eingenommene Perspektive konzentriert sich auf die Prozessdimension und versucht, dualistische Konzepte und normativ statische Konzepte zu überwinden. Es wird eine abstraktere Analyseebene gewählt, die jedoch einen neuen Blick eröffnet, der gleichermaßen Relevanz für die Theorieentwicklung und für eine praxisbezogene Betrachtung liefert. Gerade für den Gegenstand Verwaltung scheint eine wissenschaftstheoretisch informierte, das Verhältnis von Theorie und Praxis selbst zum Gegenstand machende Theorieperspektive angezeigt. Grundlegend für die Systemtheorie ist der dezisionistische Einstieg mit der Unterscheidung zwischen System und Umwelt. Die „entspannte Unbekümmertheit des eigenen Anfangens" (Wirtz) ist jedoch auch das Ergebnis einer Kritik der klassischen Institutionentheorie und eine Anforderung, die sich für die Analyse von Gegenwartsgesellschaften stellt (Teil I). Durch den analytischen Blick auf die Umweltbeziehung wird das Mikro-Makro-Problem, das sich im Horizont aktueller Zeitdiagnosen verschärft (Mayntz), für die Theorieentwicklung zugänglich gemacht und zugleich ein für moderne Gesellschaften adäquater wissenschaftstheoretischer Standpunkt eingenommen, der sich der Grenzen der eigenen Beobachtungsperspektive bewusst ist. Soziale Ordnung ist demnach ein rekursiver Prozess, der durch das Verhältnis von Operation und Struktur immer wieder reproduziert wird (Teil II). Auf dieser allgemeinen (gesellschaftstheoretischen) Ebene wird die Bedeutung von Organisationen für den Institutionalisierungsprozess verortet. Ihre intermediäre Funktion begründet den zentralen Stellenwert, der ihnen in der Organisationsgesellschaft zukommt. Diese Betrachtung ermöglich im Gegensatz zum neuen Institutionalismus, die Bedeutung von Organisationen nicht nur gegenständlich, sondern gesellschaftlich zu thematisieren. Die Einheit von Inklusion und Exklusion eröffnet einen Blick auf die gegenwärtigen Paradoxien gesellschaftlicher Modernisierung (Honneth). Die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Verwaltungswissenschaft gehen weit über den vielfach zitierten Abschied von einer Gesellschaft mit Steuerungszentrum hinaus4 (Teil III). An die Stelle einer Debatte eindimensionaler Rationalitätskonzepte (z.B. alte versus neue Steuerungsmodelle) müssten vielmehr die Voraussetzungen für eine Anschlussfähigkeit unterschiedlicher Rationalitätskriterien treten.
4 Man bekommt leicht den Eindruck, dass dies das Einzige ist, was die Politikwissenschaft von der Systemtheorie gelernt hat.
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Ein Blick auf die ältere Systemtheorie vermag die dadurch gewonnenen Erkenntnisse - auch jenseits der Makrotheorie - zu nutzen. Der Opportunismus der Verwaltung erscheint aus dieser Perspektive nicht als Ausdruck einer unzureichenden Praxis oder als Ergebnis „scheiternder Organisationen"; sie stellt fur Verwaltungsorganisationen vielmehr eine Überlebensnotwendigkeit dar, um Komplexität zu reduzieren und differenzierte Problemlösungen zu ermöglichen. Die verschiedenen Analyseaspekte werden im Folgenden näher erläutert wobei in der gebotenen Kürze auf eine Übersicht über die systemtheoretische Theorie-Architektur verzichtet werden muss.
I I . Zur Kritik der Institutionentheorie alter und neuerer Ausprägung Rehberg resümiert die Kritik Luhmanns am Institutionen-Begriff folgendermaßen: „Der Begriff könne - sagt er zur Abschreckung - den Eindruck erwecken, ,dass etwas Höheres, Sinnreicheres, vielleicht auch Geheimnisvolleres im Spiel sei' (...). ,Institutionen' erscheinen aus dieser Sichtweise auch begrifflich als etwas ,Alteuropäisches 4 und durch die ,Moderne' Überholtes". 5 Ist dieser Zusammenhang zutreffend, dann müssen zwei Argumente der Kritik unterschieden werden: die Unzeitgemäßheit von Institutionentheorie und die „theorietechnisch" unergiebige Verwendung des Begriffes/Konzeptes. Beide Formen von Argumenten sind keineswegs nur auf systemtheoretisch-begriffliche Vorentscheidungen gegründet. Die „Neuentdeckung" von Institution und Institutionalisierung muss begründen, warum das Thema zwischenzeitlich unbeachtet blieb - bzw. als „überholt" galt. Die Neuformulierung von Theoriebeiträgen muss zeigen, dass sie nicht nur alten Wein in neue Schläuche gießt. Insofern ist Luhmanns Kritik nur eine von vielen, die Anlass zur Beachtung gibt - und sei es nur in der Form der Kritik von Kritik. Auf der Suche nach der Kritik wird man am ehesten auf der Ebene von konkreteren Analysen, und zwar vor allem auf der Organisationsebene fundig - vor allem in einem der letzten Bücher Luhmanns über „Organisation und Entscheidung". Hinweise auf das Konzept der Institution finden sich dort in der Regel bei der Beschreibung der Theoriegeschichte: „Die Kritik an der Kontingenztheorie ..., hat zu dem so genannten „institutionellen" Ansatz der Organisationstheorie geführt - gleichzeitig mit einem entsprechenden Wiederaufgreifen des Begriffs der Institution in der politischen Wissenschaft, in der Wissenschaftstheorie, in der Rechtstheorie. Gemeint sind relativ dauerhaft gegebene, änderungsresistente Verhaltensprämissen, auf die das Handeln sich stützen kann und das weitere Analysen erspart. (...) Betont wird zu Recht, dass Übereinstimmungen von 5
Rehberg, Institutionen (Anm. 3), S. 52.
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Systemen und Umwelten nicht allein durch technische Erfordernisse oder durch Tauschbeziehungen zu erklären seien. Eine begriffliche Ausarbeitung ist (wie typisch für Rückgriffe auf alte Theoriebestände, auch zum Beispiel für nahe stehende Bemühungen um Wiedereinführung von „Kultur" oder „Ethik") nicht gelungen, und alle Erläuterungen machen es nur noch schlimmer. Gegenbegriff zu Institution ist teils Technik, teils instrumenteller Rationalismus, teils Beschränkung auf die Sichtweisen individueller Akteure, teils zu starke Isolierung der Organisation gegen die „Werte" und die kulturellen und semantischen Wirklichkeitskonstruktionen der sie umfassenden Gesellschaft. Es scheint eine Art Pendelbewegung vorzuliegen, die nach „disembedding" nun wieder „embeddedness" betont. Die Wissenschaftslage, in der dieser neue Institutionalismus entstanden ist, lässt das Desiderat verständlich erscheinen; aber die Einbeziehung weiterer Phänomene rechtfertigt es nicht, darin eine neue „Theorie" zu sehen."6 In späteren Passagen bezieht sich Luhmann kritisch auf die Unbrauchbarkeit von trivialen Maschinen als Referenzmodelle für Organisationen und sieht sich dabei durchaus in Übereinstimmung mit der „institutionellen Theorie" - ohne jedoch deren Erklärungsansatz zu akzeptieren: „Wenn eine Trivialmaschine sich in eine nicht-triviale Maschine verwandelt oder wenn ein Trivialmodell nur auf nicht-triviale Weise realisiert werden kann, ändere sich also der Funktionssinn der formalen Struktur, auch wenn ihre formale Präsentation (Ämter, Entscheidungsprogramme, Verknüpfungsregeln) dieselbe bleibt. Und damit verbreitere sich auch der Bereich dessen, was an Umweltvorgaben relevant ist. Die Organisation suche auch für ihre „Organisationskultur" und für den Glauben an den Mythos ihrer eigenen Rationalität Bestätigung in der Umwelt. (...) Ob Begriffe wie Institution oder Kultur hier Erhellendes beizutragen vermögen, können wir getrost offen lassen. Was die „institutionelle Theorie" sichtbar macht, ist jedenfalls, paradoxerweise, gerade eine Konsequenz des Zusammenhangs von operativer Schließung, selbstreferenzieller Historisierung, Nicht-Trivialität und Intransparenz. Auch wenn dann die Mythen, mit denen das System diese Probleme löst, in die Umwelt hinein projiziert werden, bleibt es dabei, dass das System nicht in seiner Umwelt operieren kann und dass, längerfristig gesehen, sich ein „structural drift" ergibt, der entscheidet, ob und wie lange noch das System „richtig liegt". Anders als Institutionentheoretiker es nahe legen würden, kann
6
N. Luhmann, Organisation und Entscheidung. Opladen 2000, S. 35 f. Die „Pendelbewegung" lässt sich mit vielen Beispielen aus wissenschaftlichen Diskursen belegen: z.B., die „Angemessenheitslogik" in politisch-administrativen Entscheidungsprozessen, die der utilitaristischen „Wirkungslogik" gegenübergestellt wird {March/Olsen)\ oder die Gegenüberstellung von „Implementationslogik" und „Legitimationslogik" bei Brunsson. Vgl. zusammenfassend: R. Hasse/G. Krücken, Neo-Institutionalismus, Bielefeld 1999, S. 25 ff.
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man deshalb nicht davon ausgehen, dass das System die institutionellen Muster seiner Umwelt richtig kopiert." 7 Aus den Kommentierungen wird indirekt auch deutlich, welche Fragen der institutionentheoretische Ansatz aus Luhmanns Sicht nicht beantworten kann:8 „Er bezieht sich auf das Problem des Verhältnisses von Organisationen und Gesellschaft (also nicht nur Organisation und Umwelt) ... Aber er täuscht eine Lösung nur vor, denn weder werden die Begriffe Kultur und Institution trennscharf definiert, so dass man sehen kann, was sie ausschließen, noch lässt die Analyse sich durch eine klare Vorstellung des Problems leiten." Um das Gesellschaftssystem als Ordnungsfaktor zu begreifen, muss nach Luhmann der Zusammenhang zwischen Institutionen bzw. Kultur und Werten stärker herausgearbeitet werden. „Die Frage bleibt offen, wie Systeme damit zurechtkommen, dass bei allen offenen Entscheidungen immer auch gegensätzliche Werte mobilisiert werden können. Das gilt in dem Maße mehr, als es zur „Institutionalisierung" von, man könnte sagen: „transversalen" Werten kommt - etwa „Umwelt" oder „Frauen" - , die eine Art Querschnittfunktion im Wertekosmos übernehmen und Konflikte, aber auch Assoziationen, mit vielen anderen Werten geradezu suchen." Die Argumente lassen zumindest die beiden oben erwähnten Formen der Kritik erkennen. Der Begriff der Institution bzw. Institutionalisierung ist „überholt", weil die klassischen Erscheinungsformen - wie z.B. die hierarchische Struktur von Gesellschaft (Weber) - nicht (mehr) prägend sind. Auch die anthropologischen Prämissen - z.B. im Sinne des „Mängelwesens" (Gehlen) - erscheinen nicht zeitgemäß. Vor allem aber ist es die ontologisch-normative Begriffskonstruktion, die Luhmanns Kritik begründet. Im Hinblick auf die theorietechnischen Aspekte fällt die Kritik (system-)theoriespezifischer aus: Es wird anerkannt, dass sich die neueren Ansätze von den ontologischen Verankerungen entfernen und somit auch die Wechselwirkungen zwischen Verfestigung/Verstetigung sozialer Prozesse einerseits und ihrer Verflüssigung/Kontingenz andererseits gleichermaßen analysieren wollen. Hierfür lassen sich verschiedene Beispiele zitieren: Die Gegenüberstellung von Sozial- und Systemintegration (Habermas), von Kampf und Konsens (Honneth), von individuellen Kapazitäten und institutionellen Selektionsleistungen (Offe), das Strukturationskonzept (Giddens). Diese Formulierungen können jedoch unter differenztheoretischer Perspektive nicht überzeugen, da sie nicht die Einheit der Unterscheidung thematisieren - also die Tatsache, dass es sich um zwei Seiten derselben Sache handelt. Dadurch fehlt die Möglichkeit, fur beide Seiten einen einheitlichen Theoriezusammenhang zu konstruieren, um damit (u.a.) die
7 8
Luhmann, Organisation (Anm. 6), S. 77 f. Ebd., S. 414.
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Übergänge von der einen zur anderen Seite zu erfassen: z.B. die Steigerung von Konfliktoptionen durch Konsens oder die Verwandlung von Zwang in Einverständnis. Vor vergleichbaren Fragestellungen steht auch der so genannte akteurszentrierte Institutionalismus (Scharpf), indem er Institutionen als sozial und kulturell sanktionierte Regelsysteme auffasst, die die den Akteuren offenstehenden Handlungen strukturieren aber auch Variationen ermöglichen. Die Strategie, Pfadabhängigkeit und Veränderbarkeit von Institutionen zugleich zu behandeln, d.h. sie quasi als abhängige und unabhängige Variablen einzuführen, ist zwar pragmatisch plausibel, aber theoretisch wenig überzeugend. Daran ändert auch der Rückgriff auf die Spieltheorie oder Netzwerktheorie wenig.9 Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass die Argumentation von Luhmann - zumindest was die Mängel der begrifflichen Altbestände und die Anforderung an die Neuformulierung betrifft - teilweise gleich oder zumindest ähnlich ausfällt wie bei den Autoren des Neo-Institutionalismus. Notwendig erscheint vor diesem Hintergrund ein Ansatz, der die Verfestigungen und Kontingenzen sozialer Prozesse aus einem Zusammenhang expliziert und sich nicht wieder auf die eine oder andere Perspektive festlegen lässt. So fällt Rehberg nach einer zutreffenden Beschreibung dieser Diskussionsentwicklung wieder zurück in alte Positionen, indem er die Nutzung des Institutionen-Begriffs durch Sachverhalte legitimiert, die im Grunde gar nicht bestritten werden: „... nach wie vor gibt es bindend umschriebene Geltungszusammenhänge und relativ feste Normierungssysteme, kulturell verpflichtende Codierungen von Handlungsmöglichkeiten und bei aller Pluralisierung kognitiver Muster und ästhetischer Alltagskategorien doch sehr enge Grenzen der Abweichungsgrade des Verhaltens." 10 Die Frage ist vielmehr, wie eine theoretische Rekonstruktion dieser Phänomene unter „modernen" Bedingungen erfolgen kann. 11 Die Position Luhmanns ist klar: Das Thema/Problem ist viel zu wichtig für eine soziologische Theorie, um es den Schwächen des Institutionen-Begriffs bzw. neo-institutionalistischer Konzepte auszusetzen.
9 Dadurch entsteht das Problem, dass der neue Institutionalismus gesellschaftliche Entwicklungen nicht mehr thematisieren kann. Die Politikwissenschaft kapselt sich von der soziologischen Gegenwartsanalyse ab (aktuelle Beispiele: New Economy, Individualisierung, Ökonomisierung etc.). 10 Rehberg, Institutionen (Anm. 3), S. 55. 11 Die von ihm vorgeschlagene Analyse institutioneller Mechanismen liefert wichtige Überlegungen zu den Konstitutionsbedingungen, ist aber weit von einem Theorieentwurf entfernt; dies könnte gerade durch das Festhalten am Institutionen-Begriff bedingt sein.
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I I I . Der systemtheoretische Zugang: die Rekonstruktion hochunwahrscheinlicher und gleichwohl stabiler Operationsfolgen Betrachtet man die Zeitdiagnosen, die sich auf die zu untersuchenden Phänomene beziehen, dann sind es zunächst einmal die Veränderungen, die im Vordergrund stehen - ein plausibler Vorgang. Zugleich fällt auf, dass sie auf verschiedenen Aggregationsebenen angesiedelt sind: auf individueller, organisatorischer und globaler Ebene: Individualisierung, Flexibilisierung, Auflösung von Gewissheiten, Entgrenzung, Globalisierung etc. Die theoretische Rekonstruktion hat sich also nicht nur dem Wechselspiel von „Verflüssigung" und „Verstetigung" sozialer Prozesse zuzuwenden, sondern auch der Verknüpfimg der o.a. Ebenen Beachtung zu schenken - ohne sie mit einem Kunstgriff 12 einzuebnen. Der Zuspitzung des Mikro-Makro Problems ist Rechnung zu tragen, womit ein Bedeutungszuwachs von Organisation als intermediärer Ebene einhergeht. Diese Ausgangslage wird systemtheoretisch gewissermaßen zur Prämisse der Theorieentwicklung gemacht - und nicht zum Objekt der Kommentierung „aus Sicht" der Systemtheorie. Hervorzuheben sind m.E. vier Begriffe und Theoriebestandteile: Funktionale Differenzierung; Operation; Struktur; Beobachtung. Die funktionale Differenzierung ist der in „modernen" Gesellschaften dominierende Differenzierungstyp - ohne andere Formen (segmentäre D.; stratifikatorische D.) aufzulösen. Kennzeichen ist die funktionale Gleichheit ungleicher Systeme. Die Systeme operieren autopoietisch, d.h. sie verknüpfen operative Geschlossenheit und kognitive Offenheit. Die Dominanz dieser Differenzierungsform ergibt sich aus einer überlegenen Leistungsfähigkeit durch Komplexitätsreduktion und Kontingenzverarbeitung. Damit werden wichtige Aspekte der o.a. Zeitdiagnose eingefangen: das fehlende Steuerungs-„Zentrum" der Gesellschaft; die Tatsache, dass Systeme nur mit einer je spezifischen Perspektive operieren können; die Begrenzung systemspezifischer Funktionserfullung kann nicht im System, sondern nur durch andere Systeme bzw. deren Beobachtung geleistet werden 13 ; die Verankerung von Personen (als soziale Adressen fur Kommunikation) kann nur durch multiple Inklusionen in mehrere/viele/alle Funktionssysteme erfolgen. Diese Aspekte werden systemtheoretisch vor allem als Paradoxien gesellschaftlicher Entwicklung eingeführt.
12 Wie z.B. beim methodologischen Individualismus. Im Neo-Institutionalismus wird auf unterschiedliche Ebenen Bezug genommen: z.B. Organisation, Organisationsnetze oder auch „world polity" - die jedoch theoretisch nicht hinreichend miteinander verknüpft sind. 13 Im Sinne der traditionellen Betrachtung von Institutionen ist kritisch zu fragen, ob es sich jenseits der (funktions-)systemspezifischen Begrenzungen auch um übergreifende Werte, Präferenzordnungen o.ä. handeln kann.
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Im Hinblick auf die basalen Bausteine von sozialen Systemen wird die Flüchtigkeit und Dynamik ins Zentrum gerückt: Soziale Systeme bestehen aus Folgen von Operationen (hier Kommunikationen). Operationen sind Ereignisse, d.h. augenblickliche Unterscheidungshandlungen, die aneinander anknüpfen, also rekursiv organisiert sind. Operationen machen die Zeitlichkeit der Prozesse sichtbar, indem sie auf vergangene Operationen verweisen und zukünftige in den Blick nehmen. Die Zukunfts-Offenheit ist allerdings nicht umfassend, sondern kontingent und selektiv: Die Verknüpfung von Operationen erfolgt im Rahmen von Strukturen, d.h. von im jeweiligen Augenblick gewählten Optionen, die durch Erwartungen begrenzt sind. In diesem Sinne sind autopoietische Systeme nicht chaotisch, sondern stnikturdetenmniert. Ein rein blindes Operieren der autopoietischen Sozialsysteme wird durch die Operation der Beobachtung verhindert. Sie ist die Einheit der Differenz von Unterscheidung und Bezeichnung, denn jede Operation unterscheidet etwas und wählt eine Seite der Unterscheidung aus. In der Beobachtung, die sich stets als System (Folge von B.-Operationen) darstellt, können Operationen (B. 1. Ordnung) oder Beobachtungen (B. 2. Ordnung) zum Gegenstand gemacht werden. In der Beobachtung 2. Ordnung lässt sich der blinde Fleck der Beobachtung 1. Ordnung beobachten. Diese Beobachtungsverhältnisse sind nicht hierarchisch, sondern zirkulär zu sehen. Das bedeutet letztlich, dass jedes Beobachten blinde Flecken hat, dass jedes Beobachtungsergebnis abhängig ist von der Position des beobachtenden Systems, und dass es keine umfassende Beobachtung allen Beobachtens gibt. Dieses gilt eben auch für beobachtende Wissenschaftler. Mit diesen Kategorien sind nur einige Ausgangsaspekte der systemtheoretischen Analyse beschrieben, nicht aber die spezifischen Probleme kommentiert, die sich mit dem Thema „Institutionalisierung" verbinden. Wie schon oben angedeutet geht es auch dabei zunächst um Grundlegendes: das Verhältnis von Operation und Struktur, von System und Umwelt und von Offenheit und Geschlossenheit. Die Differenz von System und Umwelt ist bereits eine erste Teilantwort auf die Frage nach der Herstellung sozialer Ordnung. Soziale Ordnung ist als Problem nicht aus der Welt zu schaffen - also durch „Institutionen" nicht ein für allemal lösbar; andererseits wird sie immer wieder hergestellt, d.h. erweist sich als dauerhaft lösbar. Entscheidend ist aber, dass jede konkrete Ordnung kontingent selektiv ist: Sie ist auch anders möglich. Die Kontur der realisierten Ordnung ist nur beobachtbar vor dem Hintergrund nicht realisierter aber möglicher anderer Ordnungen. Dabei handelt es sich um eine Beobachtung zweiter Ordnung. Insofern ist soziale Ordnung weder „natürlich" noch „notwendig". Sie wird durch sich wiederholende Folgen von Operationen erzeugt. Ein System ist ein selbstreferenzieller und zirkulär geschlossener Zusammenhang von Operationen (hier: Kommunikationen). Autopoietische Systeme operieren einerseits geschlossen, indem sie ihre basalen Einheiten durch sich selbst reproduzieren. Andererseits sind Beobachtungsoperationen möglich (hier 2. Ordnung), durch die die Unterscheidung System - Umwelt erfolgt und Um-
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weltvorgänge wahrgenommen und ggf. in systeminterne Operationen umgesetzt werden können. System und Umwelt(systeme) können sich wechselseitig irritieren, aber nicht „durchgreifend" in sie einwirken; sie können sich allerdings gegebenenfalls wechselseitig zerstören. 14 Alle diese theorietechnischen Bemühungen lassen sich als Versuch lesen, einseitige pauschale Zurechnungen (z.B. von der Systemumwelt auf das System) zu vermeiden oder aus der Theorie nicht entwickelbare „Gegebenheiten" (z.B. Normen, Erwartungen - die „irgendwie da sind") einzuführen. Dies kann am Beispiel von Strukturbildung noch einmal illustriert werden: „Für unser Thema heißt das, dass auch Strukturen nur real sind, wenn sie benutzt werden. Es gibt da nicht mehr diese Ebene, die gleichsam wie eine Ideenwelt oder etwas seinsmäßig Invariantes oberhalb der laufenden Geschehnisse Stabilität aus Eigenem heraus hat. Es gibt als Realität nur das Operieren selber. Die Frage ist dann, wie eine Operation zu einer anderen, nächsten kommt, und darin liegt die Funktion von Strukturen (...) Dann kann man sagen, dass Strukturen ein im System benutztes Abbild der rekursiven Vernetzungen der Operationen sind. Eine Operation greift auf Vergangenes zurück und auf Zukünftiges vor. Man überlegt sich in einer bestimmten Situation, was gelaufen ist, was jetzt dazu passt, hat ein selektives Gedächtnis und entsprechend Vorstellungen darüber, was man eigentlich erreichen will oder was bewirkt werden soll. Das bedeutet, dass wir die Frage haben, wie Rekursionen, also Vorgriffe und Rückgriffe, als konstitutive Elemente der Identität einer einzelnen Operation gehandhabt werden." 15 In diesem Zusammenhang verwendet Luhmann die Begriffe Kondensierung als Verdichtung von Ereignisfolgen und Konfirmierung). Kondensierung und Konfirmierung bleiben prekär - vor allem wenn als Ausweitung der Geltung von kondensierten Ereignissen (auf andere Situationen man die komplexen Umweltbedingungen sowie die wechselnden Adressaten (Personen) von Kommunikationen betrachtet. Eine erfahrungsbasierte Verstetigung von operativen Kommunikationsanschlüssen bliebe hoch unwahrscheinlich, eine dauerhafte Strukturbildung (im o.a. Sinne!) nicht zu erwarten. 16 Deshalb spielen Organisationen eine wichtige Rolle bei der Sichtbarmachung von Kommunikationen und ihren Kanalisierungen. Die operativ-kommunikativen Elemente von Organisationen sind Entscheidungen. In ihnen wird nicht nur die Operation, sondern werden auch die ausge14
Dies gilt vor allem für diejenigen Umweltsysteme, die im Sinne struktureller Koppelung eine zwingende Voraussetzung sozialer Systeme sind: biologische Systeme (Leben) und psychische Systeme (Bewusstsein). 15 Luhmann, Einführung (Anm. 1), S. 328 f. 16 Außer in einfachen überschaubaren Sozialsystemen mit gleichen Personen und typischen Alltagsroutinen.
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schlossenen Möglichkeiten sichtbar gemacht. Organisationen verfügen nicht über binäre Codes wie die Funktionssysteme (z.B. Wahrheit/Unwahrheit im Wissenschaftssystem), sondern operieren mit der Unterscheidung zwischen Entscheidungen und Entscheidungsprämissen. Damit wird über sachliche und zeitliche Verkoppelungen von Entscheidungen entschieden: vor allem im Hinblick auf Entscheidungsprogramme, Stellen, Kommunikationswege und Personen. Mit diesen Entscheidungen über Entscheidungsprämissen dienen Organisationen der Absorption von Unsicherheit innerhalb von Funktionssystemen und können dabei zum Teil die Systemgrenzen unterlaufen. 17 Die Zwecke von Organisationen lassen sich nicht mehr als Aufgabenerfüllung darstellen, sondern werden als Sicherung von Entscheidungsfähigkeit bzw. zur Zukunftsbezogenheit von Entscheidungen (als Entscheidungsprämissen) konstruiert. Die Entscheidung über Entscheidungsprämissen ist dabei nicht einfach als „Verfestigung" von Entscheidungsprozessen zu sehen. Einerseits reduzieren sie zwar die im Entscheidungsvorgang zu beachtenden Sachverhalte und lassen parallel laufende Entscheidungsprozesse zu; andererseits werden die (restriktiven) Bedingungen der Entscheidungen mit kommuniziert und dadurch offener für alternative Entscheidungen bzw. Änderungen von Entscheidungsprämissen. Dies ist insofern produktiv, als für Organisationen ebenfalls die Offenheit gegenüber ihrer Umwelt konstitutiv ist; eine (Rück-)Entwicklung zur trivialen Maschine würde ihre Leistungsfähigkeit reduzieren oder gar vernichten. Ein Sonderproblem stellen unentscheidbare Entscheidungsprämissen dar: 18 „Selbstverständlich werden auch unentscheidbare Entscheidungsprämissen in der Organisation produziert, und selbstverständlich geschieht auch diese angesichts von Entscheidungen. Wie sonst könnte eine Struktur entstehen? Aber sie werden nicht auf bestimmte Entscheidungen zugerechnet, und sie zielen auch nicht darauf ab, bestimmte Entscheidungen vorzubereiten oder auszuführen. Man kann deshalb nicht markieren, wie sie entstanden sind. Sie gelten, weil sie immer schon gegolten haben (wenn man hier überhaupt von ,Geltung' sprechen will). Es fehlt ihnen deshalb die ,Positivität4 und damit die Regel, dass alles, was durch Entscheidung eingeführt wurde, auch durch Entscheidung geändert werden kann." In konzeptuell zugespitzter Form handelt es sich um Werte, die Anhaltspunkte für die Kommunikationen und Entscheidungen liefern, ohne sie zu ihrem Gegenstand zu machen. Mit Werten wird auf die systemeigene Geschichte Bezug genommen. Dadurch entsteht eine Diversifikation von Organisationsexemplaren - gegebenenfalls auch bei gleichartigen Umweltbedingungen. „Der hier vorge-
17 Entscheidungen können zwischen Systemen kommuniziert werden; dies betrifft vor allem die Unterscheidung von Inklusion und Exklusion. 18 Sie stehen für den geläufigeren Begriff der „Organisationskultur": Luhmann, Organisation (Anm. 6), S. 242.
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stellte Begriff der Organisationskultur dürfte sich vor allem dazu eignen, gewisse Trägheitseffekte zu erklären, die bei tief greifenden organisatorischen Änderungen auftreten, vor allem bei der heute modischen Privatisierung bisher staatlich-bürokratisch (was oft heißt: parteibürokratisch geführten) Unternehmen; ferner bei Unternehmensübernahmen, internationalen Zusammenschlüssen von Unternehmen mit , lokalen1 Kulturen und ähnlichen, derzeit häufigen, eher finanztechnisch motivierten Maßnahmen. Ein privatisiertes Staatsunternehmen kann mit neuen Direktiven überschüttet werden; aber die Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten, von denen man in der internen Kommunikation ausgeht, werden sich nicht auf diesem Wege umstellen lassen. Eher ist es wahrscheinlich, dass sie aus solchen Anlässen bewusst und eine Art Oppositionskultur bilden. Das mag zu stärker expliziter Kommunikation bisher stillschweigend praktizierter Entscheidungsprämissen fuhren und auf diese Weise Konflikte und Änderungen anregen; aber damit allein ist nicht garantiert, dass die Änderungen auf der Linie der neuen Machthaber liegt." 19 Nimmt man den traditionellen Begriff der Institutionalisierung als Orientierung für Theorieerfordernisse, so ist die Betrachtung organisierter Sozialsysteme mit ihren intern ordnenden Funktionen noch nicht ausreichend; es geht um Werte, Normen, generalisierte Symbole, die über die Systemgrenzen hinweg wirken sollen. Mit anderen Worten, es muss nach der Einheit der Differenz von Organisation und Gesellschaft gefragt werden. Gesellschaft ist als umfassendes System aller sinnhaften Kommunikationen konzipiert. Somit kann es Organisationen nur innerhalb des Gesellschaftssystems geben. Die Beziehungen zwischen Organisation und Gesellschaft sind doppelter Natur: zum einen vollziehen Organisationen Gesellschaft, zum anderen gibt es in ihrer Umwelt Kommunikation (Gesellschaft). Das umfassende Sozialsystem (z.B. Funktionssysteme der Gesellschaft) erzeugt immer schon Wirklichkeitskonstruktionen (z.B. allgemeine Werte), die von Organisationen beobachtet werden - dies aber auf der Grundlage einer eigenen Operationsweise und besonderer Semantiken. „Ungeachtet aller gesellschaftlichen ... Vorgaben handeln Organisationen also bei ihren jeweils eigenen Wirklichkeitskonstruktionen auf eigenes Risiko." 20 Die Systemgrenze der Organisation kann durch Kommunikation überschritten werden - obwohl sie auf der Basis ihrer Entscheidungen operativ geschlossen ist. „Will man die nach außen gerichtete Kommunikation sozialer Einheiten auf Dauer stellen und in Systeme rekursiver Rück- und Vorgriffe einfügen, muss man Organisationen bilden. Organisationen sind zur Kommunikation in eigener Sache befähigt, weil sie auch über solche Kommunikationen noch ent-
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Ebd., S. 247. Ebd., S. 217.
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scheiden und solche Entscheidungen als Entscheidungsprämissen für weiteres Entscheiden in Kraft setzen können." 21 Bei alledem bleibt das Problem der Unsicherheitsabsorption zu bewältigen: Ist die Offenheit (Irritierbarkeit) der Organisation groß genug, um die eigene Weltkonstruktion anhand anderer eigener Operationen (Beobachtungen) zu kontrollieren und die Unsicherheiten in Entscheidungen abzuarbeiten? Dabei basieren die Entscheidungen - wie oben erläutert - immer auf früheren Entscheidungen und Entscheidungsprämissen, d.h. dass man sich in „geschichtlichen" Situationen befindet, in denen die Organisationsgeschichte in Frage gestellt - aber weder wiederholt noch ungeschehen gemacht (allenfalls „vergessen") werden kann. „Viel von dem, was als Bürokratie' kritisiert wird, scheint damit zusammenzuhängen, dass die Organisationen an ihren eigenen Weltannahmen stärker und länger festhalten, als dies für externe Beobachter verständlich ist. Man kann diese Annahme zu der Hypothese ausbauen, dass Organisationen ihren selbst geschaffenen Sicherheiten besonders dann trauen, wenn hohe Unsicherheiten zu bewältigen waren und man nicht sieht, wie dies anders geschehen könnte, als es geschehen ist." 22 In der modernen Gesellschaft kann also das Vorhandensein und die Leistung von Organisationen bei der Koppelung von Kommunikationen, bei der Sicherung von kommunikativer Anschlussfähigkeit vorausgesetzt werden, aber gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktionen können nicht bestimmen, wie das geschieht. „Das kann nur in der Gesellschaft durch die Organisationssysteme entschieden werden, und dadurch ist für ein ausreichendes Maß an NichtKoordination, an organisierter Anarchie gesorgt." 23 Ein Teil dieser ,Anarchie" wird durch die Tatsache bewirkt, dass in Organisationen die Exklusion (aller Nicht-Mitglieder) dominiert, in der Gesellschaft aber die Inklusion (möglichst aller Gesellschaftsmitglieder). „Die paradoxe Einheit dieser Differenz wird so aufgelöst, dass die Gesellschaft in ihren Funktionssystemen für Inklusion aller optiert, die Organisationen dagegen für Exklusion aller. Die Gesellschaft hält Exklusionen für menschenunwürdig und für funktional nutzlos, ohne sie verhindern zu können. Die Organisationen gehen von Exklusionen aus, um eine Entscheidungskontrolle über Mitgliedschaft und damit ihre eigene Autonomie einrichten zu können. Trotzdem operieren die Organisationen als Vollzug von Gesellschaft in der Gesellschaft." 24 Gegen einen Trend der gesellschaftlichen Homogenisierung wirken Organisationen auch in der Funktion als „Interdependenzunterbrecher". Sie bewirken, dass im Rahmen der funktionalen Differenzierung nicht alle Operationen mit allen anderen variieren. Durch lose Koppelung
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Ebd., S. 388. Ebd., S. 217: Als Beispiele werden Konkurrenz-Situationen und überstandene gravierende Risiko-Situationen genannt. 23 Ebd., S. 389. 24 Ebd., S. 392. 22
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können komplexe Systeme ihre eigene Umweltoffenheit steigern und trotzdem ausreichende Stabilität erreichen.
IV. Schlussbemerkungen Zu einem Fazit können die vorangegangenen Ausführungen schwerlich gefuhrt werden. Es ging darum in groben Zügen zu zeigen, dass „Institutionalisierung" als Ermöglichung operativer Anschlussfähigkeit von Kommunikationen oder Entscheidungen (in organisierten Sozialsystemen) ein zentrales Thema der Systemtheorie darstellt. Die Theoriefähigkeit bisher üblicher Begriffs-/Konzeptnutzungen wird dagegen in Frage gestellt. Diese Skepsis lässt sich sogar mit dem Themenspektrum in diesem Sammelband begründen: Es zeigt die offenbar unbegrenzbare Begriffsverwendung. Die Vielfalt lässt sich m.E. dadurch erklären, dass viele Beiträge eher an Fragen der (organisatorischen) Gestaltungspraxw in Verwaltung und Politik ansetzen. Das Verhältnis von Praxis und Theorie muss aber selbst ein Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtung (2. und 3. Ordnung) sein. Die Theorie behandelt Praxis als Gegenstand der Theorie - z.B. als Operation in bestimmten organisierten Sozialsystemen. Zugleich fragt sie nach den Wirkungen der Theorie auf die Praxis. In jedem Fall bleibt die Autopoiesis von wissenschaftlichen Operationen zu wahren: „Es ist nicht einzusehen, weshalb die Theorie ..., sich bemühen müsste, für Praktiker verständlich zu sein. Weshalb sollte sie die damit verbundenen Einschränkungen akzeptieren?" 25 Schließlich verweist Luhmann auf die Notwendigkeit, im Verhältnis zwischen Theorie und Praxis (bzw. zwischen „cognition" und „action") von einer „losen Koppelung" auszugehen. Gleichwohl kann die Koppelung weiter oder enger ausfallen - je nachdem auf welches Niveau der Detaillierung und/oder der empirischen Fundierung sich die Theorie einlässt. Um solche »Annäherungen" zu illustrieren sollen abschließend zwei Beispiele aufgegriffen werden. Die ersten Überlegungen betreffen das Konzept der Rationalität, das in vielen von der Praxis inspirierten Ausführungen zur „Institutionenbildung" eine Rolle spielt. In Anknüpfung an die oben beschriebenen theoretischen Grundlegungen ergeben sich folgende Konsequenzen für das Rationalitätskonzept: 1) in Abhängigkeit von den gewählten Unterscheidungen gelangt man zu unterschiedlichen Rationalitätskonzepten: Zweckrationalität, Wertrationalität, Systemrationalität; 2) ein Abstützen auf externe Ordnung oder von außen vorgeschriebene Einschränkungen verliert an Plausibilität; 3) die Schwächen, die auf der Folie traditioneller Rationalitätskonzepte darstellbar sind, fuhren zu einem „Staunen darüber, wie die Organisationen sich selbst aushalten und wie sie ihre 25
Ebd., S. 474.
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eigene Entscheidungsfähigkeit erhalten können, ohne dies durch rationales Entscheiden garantieren zu können"; 26 4) die theoretische Bearbeitung der Beobachtungen führt dazu, die Theorie prinzipiell „von Prinzipien auf Paradoxien" 27 umzustellen; 5) dies ergibt eine Umstellung auf einen anderen Begriff der Rationalität, mit dem man „zeitbeständige Richtigkeitsvorstellungen nach dem Motto ,einmal richtig 4 - ,immer richtig' aufgeben muss"; 28 die Herausforderungen bestehen also in der Temporalisierung der Komplexität und in der Verarbeitung der wachsenden Diskrepanz zwischen Operation und Beobachtung durch das Wechselspiel („Oszillieren") von Selbst- und Fremdreferenz. Wie eng oder weit man die „lose Koppelung" zwischen Theorie und Praxis mit Blick auf das Rationalitätskonzept auch immer sieht: Es zeigen sich beachtenswerte Alternativen zur Beschränkung auf die Klage über wachsende Rationalitätsverluste und zu dem Prinzip: „Je weiter wir uns von dem Ziel entfernten, desto größer wurden unsere (vergeblichen) Anstrengungen, es zu erreichen." Das zweite Beispiel greift auf einen frühen Beitrag von Luhmann zurück. 29 In diesem Zusammenhang werden öffentliche Verwaltungen als soziale Systeme eingeführt, deren Entscheidungen für andere Funktionssysteme der Gesellschaft verbindliche Wirkungen haben.30 Dabei wird die o.a. Unterscheidung zwischen Entscheidungen und Entscheidungsprämissen getroffen; zu Letzteren gehören Entscheidungsprogramme, deren Leistungen ambivalent sind: sie absorbieren Ungewissheit, können aber nicht alle zukünftigen Fakten und Wertemuster abstrakt (vorab) einbinden. „... je mehr Werte für ein System relevant werden, desto weniger wird es möglich, sie in eine dauerhafte und transitive Ordnung zu bringen, die allgemein gültige und durchgehende Vorrangrelationen festlegt; desto notwendiger wird es, sich an laufend wechselnden Präferenzen zu orientieren und sich das legitimieren zu lassen. Die Vernunft einer Entscheidung beruht dann nicht auf richtiger Einsicht in eine natürliche oder moralische Rangordnung unter Werten, sondern auf einem situationsbezogenen Vergleich von Möglichkeiten der Verbesserung oder Verschlechterung einer Lage in Bezug auf unvergleichbare Werte. Und die Identität eines Wertes findet ihren Halt dann nicht durch eine hierarchische Stelle im Wertsystem, sondern gerade durch
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Ebd., S. 450. Ebd., S. 460. Paradoxie bedeutet, dass etwas gilt und zugleich nicht gilt: „ein System ist immer noch das, was es ist, aber nur deshalb, weil es seine eigene Differenz zu dem ist, was es nicht ist" (Krause, Luhmann-Lexikon [Anm. 1], S. 182). 28 Luhmann, Organisation (Anm. 6), S. 464. 29 N. Luhmann, Opportunismus und Programmatik in der öffentlichen Verwaltung, in: ders., Politische Planung, Opladen 1971, S. 165-180. Damit soll auch gezeigt werden, wie instruktiv ein solcher Rückgriff auf die Zeit vor der autopoietischen Ausrichtung der Systemtheorie sein kann. 3 E b d . , S. 1 . 27
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die Variabilität der Werterfüllungen, die sicherstellen, dass er im Wechsel von Verzichten und Bevorzugungen immer wieder einmal an die Reihe kommt." 31 Die Orientierung an solchen Präferenzverschiebungen wird als Opportunismus bezeichnet. Weil die öffentliche Verwaltung in einer außerordentlich wertkomplexen Umwelt agiert, ist sie besonders auf opportunistische Entscheidungsstrategien angewiesen: „Opportunismus ist eine sehr voraussetzungsvolle Form von Rationalität, eine Art von Systemrationalität, die alle Vereinfachungen bloßer Zweckrationalität oder der Wertrationalität hinter sich lässt. Die Bedingungen seiner Möglichkeit findet man daher nicht in programmatischen Sinnvorgaben, sondern in den Systemstrukturen, die einen laufenden Wechsel der Präferenzen erfordern und eine Reduktion so hoher Komplexität ermöglichen." 32 Die funktionale und strukturelle Differenzierung von Politik und Verwaltung liefert keine strikte Abgrenzung zwischen opportunistischen und programmbezogenen Entscheidungsmustern - wie Luhmann am Beispiel der Planung zeigt. 33 In ähnlicher Weise lässt sich zeigen, dass die „opportunistische Entscheidungslast" selbst bei Konditionalprogrammen nicht entfällt: Dort wird sie nur konzentriert/zentralisiert, während sie bei Zweckprogrammen auf der gesamten Entscheidungskette verteilt werden kann. „ M a n kann deshalb nicht so schlicht urteilen: je mehr Programmierung desto weniger Opportunismus. Sondern es scheint, dass die Programmatik einer Verwaltung ihren Opportunismus strukturiert und ihm dadurch zu höherer Komplexität und Differenziertheit der Entscheidungsgesichtspunkte verhilft. Das Problem ist dann weniger, dass ein Wechsel der Bewertungen nicht möglich wäre, sondern dass man die Stellen, die über ihn entscheiden können, kommunikativ nicht rasch genug erreichen und überzeugen kann." 34 Im weiteren Verlauf der Argumentation wird die Notwendigkeit begründet, im Hinblick auf den Opportunismus im Verwaltungshandeln zwischen Eingriffsentscheidungen und Leistungsentscheidungen zu differenzieren. Vor allem Letztere werden unter den Bedingungen der Mittelknappheit 35 zu einem Einfallstor für opportunistische Verwaltungsentscheidungen, denen man weder mit dem Hinweis auf Gemeinwohlziele noch durch qualifiziertes Verwaltungsmangement begegnen kann. Das Ungenügen der Praktiken ist systemtheoretisch zu reformulieren. Opportunistische Praxis benötigt „Gesichtspunkte, nach denen sie auch den Wechsel der Präferenzen noch organisieren und selbst höchste
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Ebd., S. 166. Ebd., S. 167. Ebd., S. 170 ff. Ebd., S. 174. Im günstigsten Fall noch als Nullsummenspiel zu interpretieren!
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Werte, wenn nicht negieren, so doch erwarten lassen kann."... „Vielmehr muss die Verwaltung dazu ansetzen, ihre Wirklichkeit als soziales System von einander unabhängiger Problemlösungen zu begreifen, die prinzipiell kontingent und in Abhängigkeit von vorgewählten Strukturen auch praktisch mit mehr oder weniger weittragenden Folgen variabel sind." 36 Diese Ausführungen lassen sich m.E. nahtlos auf die aktuelle Situation der Exekutive in Deutschland beziehen - ganz ungeachtet der Tatsache, dass sie vor 30 Jahren formuliert wurden.
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Ebd., S. 177 f.
Amt und Rationalität, Legitimität und Kontrolle: Grundbegriffe historisch-komparativer Verwaltungsanalyse Von Erk Volkmar Heyen, Greifswald
I. Verwaltungswissenschaft als „Amtswissenschaft" Für eine historisch-komparative Perspektive der Verwaltungsanalyse ist der Leitbegriff heutiger Verwaltungswissenschaft, der Begriff der öffentlichen Verwaltung, ein problematischer Begriff. Denn er wird gemeinhin eng mit dem Begriff des gewaltenteilenden Staates verbunden, und darin liegen einschränkende Vorgaben, an die man sich zwar gewöhnt hat, die aber keineswegs selbstverständlich sind und die bei manchen Fragestellungen das Untersuchungsfeld unangemessen verkürzen. Faßt man den Staat begrifflich nicht nur anhand von Land, Volk und Herrschaft, sondern sieht man ihn auch durch Souveränität nach innen und außen sowie durch einen professionalisierten öffentlichen Dienst bestimmt, so ist er eine verhältnismäßig junge und noch dazu wesentlich europäische Form politischer Ordnung. Der Staat in diesem engeren, eigentlichen Sinne bildet sich erst im Laufe der frühen Neuzeit aus, in manchen Regionen Europas sogar erst im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts. Weder die griechische Polis noch die altrömische Republik und auch nicht das Heilige Römische Reich Deutscher Nation oder die Europäische Union sind Staaten in einem solchen Sinne. Und doch verfügen sie anerkanntermaßen über Elemente öffentlicher Verwaltung. Als mißlich erweist sich auch der Bezug auf die Gewaltenteilung. Denn niemand wird bestreiten wollen, daß auch Staaten, die - wie z.B. absolutistische oder totalitäre - ihrem Selbstverständnis nach nicht auf Gewaltenteilung, son-
Der Beitrag knüpft an Gedanken an, die zunächst einem verwaltungshistorisch interessierten Publikum vorgetragen worden sind. Vgl. E. V. Heyen, Zum Amtsbegriff als Kernelement des Begriffs der öffentlichen Verwaltung. Überlegungen aus Anlaß eines Leidener Forschungsprojektes, in: Jahrbuch fur europäische Verwaltungsgeschichte (JEV), 12 (2000), S. 265-279; ders., Amtsrationalität und Malerei: ästhetische Kommunikation als Aspekt europäischer Verwaltungsgeschichte, in: JEV, 14 (2002), S. 337354. Zur Bedeutung der Verwaltungsgeschichte fur die Verwaltungswissenschaft vgl. femer ders., There are Many Paths Leading to Administrative History, and Some Lead Through Europe, in: Administrative Theory & Praxis, 22 (2000), S. 719-731.
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dem auf Gewalteneinheit ausgelegt sind, sehr wohl und sogar in besonders beeindruckendem Umfang Elemente öffentlicher Verwaltung aufweisen. Weitere Schwierigkeiten ergeben sich daraus, daß in gewaltenteilenden Staaten die Gewaltenteilung nicht stets demselben Muster folgt und dadurch die Verwaltung, als eine der hier relevanten Gewalten, in ihrem Begriff Schwankungen unterliegt. So finden sich, was die Abgrenzung zu Legislative und Judikative betrifft, in manchen dieser Staaten Verquickungen von Verwaltungsfunktionen mit Rechtssetzungs- bzw. Rechtsprechungsfunktionen, die in anderen Staaten als Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip angesehen und insoweit vom Verwaltungsbegriff nicht umfaßt würden. Ähnliches gilt, innerhalb der Exekutive, hinsichtlich der Abgrenzung der Verwaltung gegenüber Regierung und Politik, die durchaus unterschiedlich erfolgen kann, je nachdem, welches Maß an Argumentations- und Handlungsspielräumen für die Zugehörigkeit zum Bereich von Regierung und Politik verlangt wird. A l l diese Differenzierungen verdienen Aufmerksamkeit und sollten nicht durch begriffliche Vorentscheidungen aus dem Blick geraten. Für eine möglichst unvoreingenommene historisch-komparative Perspektive der Verwaltungsanalyse halte ich daher einen allgemeineren begrifflichen Referenzpunkt für angemessen, ohne damit natürlich die Entbehrlichkeit eines Begriffs der öffentlichen Verwaltung oder eines Staatsbegriffs behaupten zu wollen. Ich sehe diesen Referenzpunkt im Begriff des Amtes, denn dieser öffnet sich, wie noch zu zeigen sein wird, für die ganze - vergangene, gegenwärtige und wohl auch zukünftige - Varianzbreite politisch-administrativer Phänomene. Verwaltungsgeschichte wäre demnach wesentlich Amtsgeschichte: Geschichte eines auf Ämter bezogenen Denkens und Handelns von Amtswaltern und Amtsbetroffenen. Von daher läge es nahe, Verwaltungswissenschaft als „Amtswissenschaft" zu bezeichnen. Dies ist zwar nicht üblich, entspräche aber der durchaus gebräuchlichen Redewendung „ein Amt verwalten", in welcher „verwalten" nicht eine fur sich stehende Tätigkeit beschreibt, sondern als ein transitives, einen Zielpunkt benötigendes Verb auftritt. Damit wäre zugleich eine Offenheit zurückgewonnen, die es erlaubte, z.B. auch die Justiz in ihrer Rechtsprechungstätigkeit als eine Form der Amtsverwaltung anzusehen und dementsprechend in verwaltungswissenschaftliche Untersuchungen - etwa über Techniken der Tatsachenfeststellung oder die Nutzung von Spielräumen der Normtextauslegung und Sachverhaltssubsumtion - einzubeziehen. Was aber soll „Amt" heißen? Und was läßt sich von diesem Begriff ausgehend und in Verbindung mit ihm für eine historisch-komparative Verwaltungsanalyse gewinnen? Darauf sei in zwei Schritten näher eingegangen. Zunächst wird der hier benutzte Amtsbegriff bestimmt und mit einem Rationalitätsbegriff gekoppelt (II). Sodann wird diesem Begriffspaar ein weiteres an die Seite gestellt (Legitimität und Kontrolle), mit dessen Hilfe die empirische Dynamik der mit den Begriffen des Amtes und der Rationalität erschließbaren politisch-
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administrativen Phänomene in den Blick kommt (III). Diese Darlegungen zeichnen nur einen ersten begrifflichen Anfang; weitere Grundbegriffe historisch-komparativer Verwaltungsanalyse, wie z.B. Organisation und Kommunikation, auf die hier nur beiläufig eingegangen wird, bedürften ebenfalls genauerer Fassung. Die Gedankenführung ist recht abstrakt und teilweise ungewohnt, auch für ein gegenüber historisch-komparativen Fragestellungen aufgeschlossenes verwaltungswissenschaftliches Publikum. Daher wird abschließend versucht, einen Aspekt der Kontrollproblematik etwas zu veranschaulichen, und zwar anhand eines Beispiels aus der deutschen Umwelt- und Naturschutzverwaltung der Gegenwart (IV).
I I . Amt und Rationalität 1. Amt Mit „Amt" (oder, um einen für andere europäische Sprachen leichter zugänglichen terminologischen Bezugspunkt zu geben: „officium") möchte ich einen Zusammenhang von Aufgaben (Handlungszielen) und Befugnissen (Handlungsmitteln) bezeichnen, der im Blick auf wiederkehrende Handlungslagen eines Gemeinwesens normativ konturiert ist und durch das Handeln eines Amtswalters die Wirklichkeit dieses Gemeinwesens zu formen beansprucht. Das Amt ist demnach eine zeit- und personenübergreifende Handlungsstruktur; insoweit fällt es unter den Begriff der Institution. Kennzeichnend für das Amt ist die durch ihren Bezug auf das Gemeinwesen bestimmte Teleologie dieser Handlungsstruktur. Das Organisationsmoment, das im Amtsbegriff als Konnotation mitschwingt, tritt gegenüber dieser Teleologie zurück. Organisation ist oft, aber nicht zwingend mit Amtsbildung verbunden; sie tritt auf, wenn und insoweit Amtsbildung mit Arbeitsdifferenzierung und -teilung einhergeht und die Zuordnung von sächlichen und persönlichen Mitteln erfordert. Daß das Organisationsmoment bedeutungsdominant werden kann, zeigt sich daran, daß man mit „Amt" auch eine Behörde, also eine Organisation, und die dazugehörigen Räumlichkeiten zu bezeichnen pflegt. Was aber bedeutet „Gemeinwesen"? In unserer rechtlich geprägten politisch-administrativen Sprache hat man sich angewöhnt, dem Gemeinwesen im allgemeinen und dem Staat im besonderen Subjektqualität beizulegen. Für eine solche Vorstellung gibt es gute Gründe; gerade der Jurist wird darauf nicht verzichten wollen. In der hier gegebenen Definition des Amtsbegriffs klingt sie ebenfalls an, wenn von „Handlungslagen eines Gemeinwesens" gesprochen wird. Sie ermöglicht willkommene gedankliche Abkürzungen im Bereich der Zuordnung von Handlungen und deren Folgen, doch verfuhrt sie auch zu zweifelhaften Verdinglichungen. Letztlich weisen ja doch alle im vorliegenden Zusammenhang in Betracht kommenden Handlungs- und Folgenzuordnungen auf
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Menschen hin. „Gemeinwesen" soll hier daher, wie „Amt" auch, eine zeit- und personenübergreifende Handlungsstruktur bezeichnen, allerdings - und hier liegt die Besonderheit - eine Handlungsstruktur, die normativ und faktisch kollektive Identität stiftet. Dabei kann dahingestellt bleiben, in welcher Hinsicht dies geschieht; Sicherheit des Lebens ist insoweit gewiß ein wichtiger Aspekt, doch kann diese Sicherheit in ihren Dimensionen sehr unterschiedlich begriffen werden. Ob es zu einer normativen und faktischen Stiftung kollektiver Identität kommt, zeigt sich u.a. an der Bildung von Ämtern und der Einsetzung von Amtswaltern, deren Handlungen dem Gemeinwesen Wirklichkeit geben. Unter einen solchen Begriff des Gemeinwesens fallen nicht nur Staaten im engeren Sinne, sondern auch die griechische Polis, die altrömische Republik, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und die Europäische Union. Außerdem können Städte, Religionsgemeinschaften und andere Korporationen Gemeinwesen sein und darüber hinaus manches, was heutzutage üblicherweise - unter dem Eindruck eines westlichen Rechts- und Politikverständnisses nicht mit dem Staat, sondern mit der Gesellschaft, nicht mit dem Öffentlichen, sondern mit dem Privaten assoziiert wird. Die sich manchem Leser hier vielleicht aufdrängende Frage, ob dann nicht auch etwa ein großes internationales Wirtschaftsunternehmen oder eine in den Weiten Nordamerikas siedelnde Bewegung von Anhängern einer alternativen Lebensform ein Gemeinwesen darstellen könnten, sollte nicht vorschnell als Hinweis auf die Unzulänglichkeit der gegebenen Definition verstanden werden. Denn eine solche Frage verdient keine Antwort a priori, sondern eine den Phänomenen sich aufschließende Antwort, mithin die empirische Untersuchung, ob und in welchem Umfang - dem hier gegebenen Begriff des Gemeinwesens entsprechend - eine zeit- und personenübergreifende Handlungsstruktur erkennbar ist, die normativ und faktisch kollektive Identität stiftet. Für eine historisch-komparative Perspektive der Verwaltungsanalyse liegt in dieser Öffnung des Blicks eine Stärke der vorgenommenen Begriffsbildung: Sie hypostasiert keine festen Grenzen, sondern versetzt statt dessen in die Lage, den Prozeß der Grenzziehungen bzw. Grenzaufhebungen zu studieren, ja sie erzwingt geradezu Aufmerksamkeit für die Prozesse der Bildung und Auflösung von Gemeinwesen, Aufmerksamkeit für spannungsreiche Überlagerungen, konstruierte Verzahnungen und fließende Übergänge. Um welche Aufgaben (Handlungsziele) und Befugnisse (Handlungsmittel) es bei Ämtern im einzelnen geht, kann hier offenbleiben. Es ist dies eine empirische Frage, und die Antwort wird variieren nach Zeit und Raum, wie auch die (Herrschafts-)Typologie, die sich entwerfen ließe. Was in dem einen Gemeinwesen jedermann überlassen bleibt, ist in einem anderen auf vielfältige Weise Ämtern zugeordnet (z.B. Religionsausübung, Wasser- und Brotversorgung). Dagegen bedarf hier näherer Betrachtung, was in der gegebenen Definition des Amtsbegriffs die „normative Konturierung" (d.h. die Festlegung der Maßstäbe für die Wahrnehmung von Amtsaufgaben und -befugnissen) genannt wird.
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Festgehalten zu werden verdient zunächst, daß es - begriffsanalytisch gesehen ein Amt ohne einen ihm eigenen Handlungsmaßstab, sei dieser auch noch so allgemein und schwach entwickelt, nicht gibt. Das Amt nimmt insofern also nie reine Macht in Anspruch, sondern immer nur eine - durch maßstabsspezifische Ausrichtung auf das Gemeinwesen - gemäßigte Macht. Wo eine solche normative Konturierung gänzlich fehlt, wäre es unangemessen, überhaupt von einem Amt zu sprechen. Sehr treffend kommt dieser dem Amtsbegriff innewohnende Maßstabsbezug dadurch zum Ausdruck, daß man zu sagen pflegt, ein Amt sei „anvertraut". Man könnte auch sagen, das Amt sei darauf ausgerichtet, das Wohl des Gemeinwesens - wie immer es bestimmt sein mag - zu wahren und zu fordern, wobei „Gemeinwesen" in diesem Fall nicht allein eine zeit- und personenübergreifende, kollektive Identität stiftende Handlungsstruktur meint, sondern auch die Menschen, die durch sie in ihrer Identität miteinander verbunden sind. Da in Handlungsmaßstäben auch kognitive Elemente der Weltsicht und des Weltwissens eingebaut sein können (wie man insbesondere an Rechtsnormen sehen kann, die z.B. Wissen von Gesetzen der Baustatik oder von Tier- und Pflanzenarten enthalten können), soll im folgenden statt von „normativer Konturierung" eines Amtes von seiner „Rationalität" die Rede sein, denn mit diesem Ausdruck verbinden sich sowohl kognitive als auch normative Bedeutungsmomente. Allerdings ergibt sich daraus zugleich ein Nachteil. In einem politischadministrativen Zusammenhang assoziiert man nämlich mit „Rationalität" gemeinhin okzidental-neuzeitliche Strukturen, und damit scheint die durch den Amtsbegriff gewonnene Weite der Untersuchungsperspektive wieder eingeengt worden zu sein. Leider sehe ich keinen neutraleren Ausdruck, der ebenso griffig wäre wie „Rationalität" (in Verbindung mit „Amt" weist „Ordnung" zu sehr auf Organisation und bleibt „Struktur" zu blaß). So kann ich nur betonen, daß, wie sogleich deutlich werden wird, der Rationalitätsbegriff hier keineswegs im Sinne irgendeines, womöglich noch etatistischen, Rationalismus verstanden wird, sondern die gesamte, alle Arten von Gemeinwesen berücksichtigende Bandbreite von Amtshandlungsmaßstäben erfaßt.
2. Rationalität
Rationalität charakterisiert eine Orientierungsleistung. Die menschliche Handlungsorientierung ist nur zu einem kleinen Teil durch Instinkte determiniert; im übrigen muß sie erarbeitet werden, kollektiv und individuell. Sie entwickelt sich auf der Grundlage von Bewußtsein und Aufmerksamkeit, von Beobachtungen und Erfahrungen, von Wünschen und Befürchtungen, von Meinungen und Absichten, von Erwägungen und Entscheidungen. In dem Maße, in dem sich diese Grundlage und was darauf aufbaut strukturiert, gewinnt die Orientierung an Rationalität.
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Strukturbildung zur Handlungsorientierung geschieht vornehmlich durch Begründung und Argumentation, d.h. durch die Entwicklung einer Kompetenz, Warum-Fragen zu stellen und sie mit Weil-Antworten zu verknüpfen. Begründungen können sehr unterschiedlich geartet sein. Gemeinhin werden sie nicht in der Vereinzelung des Individuums, sondern in einem kollektiven Kommunikationsraum entwickelt, in dem sich ihr Geltungsanspruch und ihre Überzeugungskraft zu bewähren haben. In dem Maße, in dem sich Begründungen und Argumentationen strukturieren, gewinnen sie an Rationalität. Eine Form der Strukturierung von Begründungen und Argumentationen ist deren Nutzung zur Gewinnung von Handlungsregeln, also Regeln, die unmittelbar sagen, was - allgemein oder unter bestimmten Umständen - zu tun und zu lassen ist (Regeln gibt es natürlich auch schon in den Begründungen und Argumentationen selbst, etwa Sprachverwendungsregeln und Schlußregeln). Der Charakter solcher Handlungsregeln variiert je nach Leitkriterium beträchtlich; es gibt religiöse, rechtliche, wirtschaftliche, technische, wissenschaftliche, moralische, ästhetische u.a. Allen gemeinsam ist jedoch, daß sie Zufall, Laune und Willkür einschränken und auf diese Weise zu einer gewissen Disziplinierung des Handelns führen. Im Vergleich zur Rationalität individueller Handlungsorientierung zeigt Amtsrationalität sowohl Abblendungen als auch Erweiterungen, vor allem aber auch Verschärfungen, also die Profilierung bestimmter Rationalitätslinien. Alle Besonderheiten ergeben sich daraus, daß die Amtsrationalität auf die das jeweilige Amt kennzeichnenden Aufgaben und Befugnisse, die für das Gemeinwesen wahrgenommen werden, ausgerichtet ist. Welche Rationalitätslinien auftreten, ist eine Frage der Empirie. Der hier für eine allgemeine historisch-komparative Perspektive der Verwaltungsanalyse entwickelte Rationalitätsbegriff schließt insoweit nichts aus und formuliert auch keine Präferenzen. So kommen bei Amtshandlungen z.B. durchaus auch ästhetische Maßstäbe in Betracht, und zwar sowohl bei den Zielen (z.B. im Städte- und Landschaftsbau) als auch bei den Mitteln (z.B. im Auftreten von Amtswaltern gegenüber dem Amtspublikum, sei es in der Form der Architektur der Gebäude, in denen man sich begegnet, sei es in der Form von Kleidung und Sprache). Man darf nicht damit rechnen, daß die im Ämtergefüge eines bestimmten Gemeinwesens auffindbaren Rationalitätslinien stets eindeutiger Natur sind und eine Einheit bilden. Es gibt Vagheiten, Fragmentierungen, Widersprüchlichkeiten. Ausdrückliche normative Regeln werden begleitet von stillschweigend sich einstellenden faktischen Regelmäßigkeiten (Dispositionen, Tendenzen, Mustern), die anders motiviert sind, den ausdrücklichen normativen Regeln nicht entsprechen müssen und diese daher auf die eine oder andere Weise zu beeinflussen imstande sind. Das Normative und das Normale stehen insofern in einem steten Spannungsverhältnis zueinander. Wenngleich also Konsistenzerwartungen nur ansatz- und ausschnittweise erfüllt werden, so gibt es jedoch immer eine gewisse Kohärenz, nämlich jenes Maß an Kohärenz, das für Anschlußfä-
Amt und Rationalität, Legitimität und Kontrolle
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higkeit der Amtshandlungen bei Amtswaltern und Amtsbetroffenen sorgt und das Gemeinwesen zusammenhält (freilich ist es vielleicht nur, um es in einem Bild zu sagen, die Kohärenz von Patchwork). Was bestimmt die Bildung und Veränderung von Ämtern und Amtsrationalitäten? Sie gewinnen ihre Gestalt in einem fortwährenden Kommunikationsprozeß. An ihm partizipieren viele, mögen sie nun normativ in besonderer Weise dazu berufen sein oder nicht, zu den Amtswaltern gehören oder zu den Amtsbetroffenen. Dieser Kommunikationsprozeß ist sicherlich auch und nicht zuletzt ein Machtprozeß, aber es ist ein kulturell ausgeformter Machtprozeß. Die Verbindung von Macht- und Kulturaspekten in der Kommunikation über Ämter und Amtsrationalitäten zeigt sich in der Frage nach deren Legitimität und Kontrolle.
I I I . Legitimität und Kontrolle 1. Legitimität
„Legitimität" qualifiziert Handlungen und Institutionen in positiver Weise bezüglich ihres Rechtfertigungs- und Akzeptanzniveaus, oder anders ausgedrückt: Werden Handlungen und Institutionen als „legitim" bezeichnet, so kommt darin zum Ausdruck, daß sie ausreichend begründet und daher anerkennungswürdig erscheinen. Im vorliegenden Zusammenhang läßt sich die Legitimitätsfrage zunächst ganz grundsätzlich stellen, nämlich hinsichtlich des Gemeinwesens insgesamt, seines Bestandes und Charakters. Dieser Problematik soll hier nicht weiter nachgegangen werden. Sodann kann die Legitimitätsfrage aber auch den Ämtern und Amtsrationalitäten gelten, und zwar in formeller Hinsicht der Rechtfertigung des Verfahrens der Amts- bzw. Amtsrationalitätsbildung und in materieller Hinsicht der Rechtfertigung der Sache selbst, also der amtskennzeichnenden Aufgaben und Befugnisse bzw. der für deren Wahrnehmung maßgeblichen kognitiven und normativen Kriterien. Schließlich läßt sich die Legitimitätsfrage stellen in Hinblick auf das Verfahren der Einsetzung von Amtswaltern (formaler Aspekt) und die Handlungen dieser Amtswalter (materieller Aspekt). Legitimitätsfragen haben die politisch-administrative Geschichte geprägt. Sie sind sozusagen der Stachel im Fleische der Machtverhältnisse, denn sie werden ja nicht nur von den Amtswaltern selbst zur eigenen Vergewisserung gestellt, sondern auch und nicht zuletzt von den Amtsbetroffenen. Damit eröffnet sich ein möglicher Konflikt zwischen Amtswaltern und Amtsbetroffenen um die Definitionsmacht über die Kriterien der Legitimität und um die Einschätzungsmacht über die Anwendung dieser Kriterien auf die tatsächlichen Verhältnisse. Daher mündet die Legitimitätsfrage in eine andere Frage, die sich ebenfalls sowohl Amtswalter als auch Amtsbetroffene stellen können, nämlich die Kon-
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trollfrage: Wie ist die Legitimität von Ämtern, Amtsrationalitäten, Amtswaltern und Amtshandlungen zu sichern? Dieser Frage sei insbesondere hinsichtlich des Zusammenhangs von Amtsrationalität und Amtshandlung weiter nachgegangen.
2. Kontrolle
Unter „Kontrolle" wird hier, einem weiten Begriffsverständnis folgend, jede Form der Sicherung der Beachtung von Handlungsmaßstäben verstanden. Das Sicherungsproblem ist grundsätzlicher Art und ergibt sich daraus, daß Handlungsmaßstäbe auch dann, wenn sie zu konkreten Handlungsregeln ausgeformt worden sind, nicht zu determinieren, sondern nur zu orientieren vermögen. Auf die Sicherung von Amtsrationalität bezogen heißt dies, daß sie nicht als ein rein technisches Problem zu begreifen ist, sondern immer auch als ein menschliches: ein Problem von Urteilskraft und Charakterstärke. Kontrolle der Amtsrationalität geschieht entweder prospektiv, auf die Zukunft gerichtet, oder retrospektiv, auf die Vergangenheit gerichtet. Bei prospektiver Kontrolle ließe sich auch von „Steuerung" („gubernatio") sprechen; mittelbar kann die retrospektive Kontrolle ebenfalls der Steuerung dienen. Prospektive Kontrolle erfolgt z.B. dadurch, daß der Amtswalter bereits zum Zeitpunkt der Amtsübernahme die für die sichere Handhabung der Amtsrationalität erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten nachweisen muß. Der Nachweis wird zur Voraussetzung einer ordentlichen Einsetzung ins Amt und erscheint damit als ein Element formaler Legitimität, zielt aber letztlich weiter, nämlich auf die Handhabung der Amtsrationalität im Amt und damit auf die materielle Legitimität. Dieser Sicherungsmechanismus hat im Laufe der europäischen Geschichte seit der frühen Neuzeit eine immer größere Bedeutung erlangt. Vom Erfordernis der Hochschulausbildung für Juristen, Ärzte, Ingenieure und Ökonomen gingen prägende Rückwirkungen auf das Ämtergefüge und dessen Rationalitätslinien aus. Während Amtsübernahmen allein aufgrund von Vererbung, Kauf oder Verlosung heutzutage in europäischen Staaten kaum noch anzutreffen sind, behauptet sich die Amtsübernahme durch Wahl auch ohne besondere Ausbildungsanforderungen durchaus, was auf die Rationalität und Legitimität dieser Ämter ein eigentümliches Licht wirft. Prospektive Kontrolle kann aber auch dadurch erfolgen, daß Amtsrationalität in situationsgerechte Handlungsregeln umgesetzt wird. Diese können einen rechtlichen Charakter haben, aber auch einen ganz anderen und z.B. dem religiösen oder dem ökonomischen Denken zuzurechnen sein. Haben sie Rechtscharakter, so kann ein zusätzliches Element prospektiver Kontrolle darin liegen, daß ihre Befolgung präventiv durch Androhung straf- oder disziplinarrechtlicher Sanktionen für den Fall der Nichtbefolgung gesichert ist. Gegenüber Handlungsregeln, die sich unmittelbar auf die das Gemeinwesen kennzeichnenden Ziele beziehen und deren Beachtung dem Amtshandeln die eigentliche Legi-
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timität verschafft („gutes Regiment" in der Terminologie der frühen Neuzeit, „good governance" in der Terminologie unserer Tage), haben mit der Zeit solche Handlungsregeln beträchtlich an Gewicht gewonnen, die nur mittelbar auf jene Grundziele des Gemeinwesens ausgerichtet sind, indem sie deren Erreichung erleichtern, z.B. die an Effektivitäts- und Effizienzmaßstäben orientierten Handlungsregeln heutiger Managementlehren. Retrospektive Kontrolle geschieht vor allem im Rahmen einer allgemeinen Ämterhierarchie (z.B. als Fach- oder Dienstaufsicht mit ihrer Ausrichtung auf die Amtshandlung bzw. den Amtswalter) oder durch besondere Kontrollinstitutionen außerhalb solcher Hierarchie (z.B. Parlamente, Gerichte, Rechnungshöfe). In historisch-komparativer Perspektive ist es nun interessant zu fragen, ob und in welchem Umfang in Gemeinwesen, deren Ämtergefüge ähnliche Rationalitätslinien aufweisen, sich auch ähnliche Systeme prospektiver und retrospektiver Kontrolle entwickelt haben und warum bzw. warum nicht. Scheinen für einzelne Rationalitätslinien angemessene Kontrollsysteme überhaupt zu fehlen, stellt sich die Frage, worauf dies zurückzuführen ist. Es könnte sein, daß die Beachtung einer Rationalitätslinie im Amtshandeln als vollkommen selbstverständlich und insoweit nicht kontrollbedürftig angesehen wird. Die Kontrolle könnte aber auch in verdeckter Form im Rahmen der Kontrolle einer anderen Rationalitätslinie erfolgen. Schließlich wäre zu erwägen, ob nicht ein Kontrollmangel darauf hindeutet, daß eine Rationalitätslinie dem ersten Eindruck zum Trotz keine große tatsächliche, sondern nur eine symbolisch-rhetorische Bedeutung beigemessen wird. Ein geringes explizites Kontrollniveau könnte als Indikator dafür angesehen werden, daß einer Rationalitätslinie für die Legitimität des Amtes bzw. des Gemeinwesens nur eine verhältnismäßig geringe Relevanz beigemessen wird. Von Interesse ist auch das Verhältnis zwischen den prospektiven und den retrospektiven Elementen eines Kontrollsystems. Die retrospektive Kontrolle setzt gemeinhin bei Elementen an, die bereits die prospektive Kontrolle bestimmen (so z.B. die retrospektive gerichtliche Kontrolle bei den bereits prospektiv wirksamen Rechtsnormen). Bei weitem nicht alles, was prospektiv als Steuerungsmittel eingesetzt wird, erfährt jedoch auch retrospektiv eine Überprüfung in Hinblick darauf, ob und in welchem Umfang die beabsichtigten Steuerungseffekte tatsächlich eingetreten sind. Die Ausbildung retrospektiver Kontrolle ist insoweit ein Zeichen für die besondere Relevanz der kontrollierten Rationalitätslinie und trägt dazu bei, die prospektive Kontrolle zu schärfen. Umgekehrt deutet eine Diskrepanz zwischen der Stärke prospektiver Kontrolle und der Schwäche retrospektiver Kontrolle auf eine stark eingeschränkte Relevanz der kontrollierten Rationalitätslinie.
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Solche Fragen lassen sich natürlich auch im Blick auf die Gegenwart stellen, und dafür sei abschließend, wie bereits einleitend bemerkt, ein anschauliches Beispiel aus der deutschen Umwelt- und Naturschutzverwaltung angeführt.
IV. Ein Beispiel Die Ausbalancierung von Anspruch und Wirklichkeit durch Etablierung angemessener Amtskontrollsysteme ist in Deutschland, aber nicht nur hier, vor allem hinsichtlich zweier Rationalitätslinien ein vertrauter Gedanke: Rechtlichkeit und Wirtschaftlichkeit. Beide Rationalitätslinien haben sich im Laufe der Amtsgeschichte als besonders relevante Kontrollbereiche herausgestellt, wie man nicht nur an der Entwicklung besonderer Kontrollämter, sondern auch an der Entwicklung einschlägiger Wissenschaften und Professionen erkennen kann. Bemerkenswerterweise stehen Rechtlichkeit und Wirtschaftlichkeit - sieht man von den Kontrollämtern ab, die ganz auf die Wahrung dieser Rationalitätslinien ausgerichtet sind - nicht im Zentrum des Amtshandelns, vielmehr gehören sie nur zu dessen Rahmen. Beim Straßenbau z.B. geht es primär um den zweckmäßigen und qualitätsvollen Bau von Straßen und nur sekundär um Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit. Beide Rationalitätslinien erscheinen als Mittel und nicht als Ziel. Sie sind daher im Einzelfall quasi natürlicherweise gefährdet, bei der Verfolgung des Kernanliegens des jeweiligen Amtshandelns als zweitrangig angesehen und deswegen erforderlichenfalls vernachlässigt zu werden. Ihre Bedeutung erschließt sich erst über die Einzelfälle hinaus; sie haben typischerweise Querschnittsbedeutung. Daher bedürfen sie eines Schutzes, der verhindert, daß sie in der Abwägung der Umstände des Einzelfalls untergehen, und das heißt: eines Schutzes durch unabhängige Institutionen, die sich nur mit der Beachtung dieser besonderen Rationalitätslinien im Amtshandeln befassen, eben der Gerichte und Rechnungshöfe. Ein anderes Beispiel für solche hochgradig spezialisierten, unabhängigen Kontrollinstitutionen ist die Europäische Zentralbank (früher die Deutsche Bundesbank), die im wesentlichen die ökonomische Rationalitätslinie der Preisstabilität im Blick hat und diese daher, im Gegensatz zu den Regierungen, aus dem Gewirr konkurrierender politischer Rationalitätslinien herauszuhalten imstande ist. Aber nicht alle Rationalitätslinien des deutschen Ämtergefüges weisen dieses Kontrollniveau auf, obwohl manche von ihnen sogar Verfassungsrang haben. Das gilt auch für die Umweltfreundlichkeit, wie sie in Art. 20 a des Grundgesetzes formuliert ist: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung." Es besteht kein Zweifel, daß in der Bundesrepublik Deutschland, nicht zuletzt im Vergleich zu anderen Ländern, ein hohes Maß an prospektiver Kontrolle für solche Umweltfreundlichkeit eingerichtet worden ist. Der bloße Umfang schon
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der Gesetzgebung im Bereich des Umwelt- und Naturschutzrechts zeugt davon. Schaut man sich allerdings das System der retrospektiven Kontrolle an, so fällt das Urteil anders aus. Sicherlich, man könnte zunächst einwenden, daß doch die Umweltfreundlichkeit (eine durch vielfältige, untereinander spannungsreiche naturwissenschaftliche, sozialwissenschaftliche, politische u.a. Gesichtspunkte stark oszillierende Rationalitätslinie) über das Umwelt- und Naturschutzrecht durch die retrospektive Kontrolle der Gerichte gesichert ist. Die Gerichte sichern jedoch unmittelbar nur die Rationalitätslinie der Rechtlichkeit. Nur insoweit das Recht andere Rationalitätslinien in sich aufnimmt (was es allerdings in großem Umfang tut), sichert es mittelbar auch sie. Andere Rationalitätslinien sind daher schon vom Grundsatz her immer nur partiell im Recht geschützt, wie namentlich das Beispiel der Wirtschaftlichkeit des Amtshandelns lehrt (gerade deswegen ist es ja zur Einfuhrung spezialisierter Kontrollsysteme, nämlich der Rechnungshöfe, gekommen). Sodann könnte man darauf hinweisen, daß die Umweltfreundlichkeit auch im Rahmen der retrospektiven Kontrolle der Rationalitätslinie der Wissenschaftlichkeit gesichert wird. In der Tat gibt es gerade im Bereich des Umweltund Naturschutzes zahlreiche staatliche Einrichtungen, die im Grunde Forschungsinstitute sind und sich weithin auf Wissenschaftlichkeit konzentrieren können; zu erwähnen ist hier auch die Arbeit der Sachverständigengremien, die das Amtshandeln beratend begleiten. Allerdings setzt diese Art der retrospektiven Kontrolle kaum bei den Einzelentscheidungen der Amtswalter an. Eine empfindliche Kontrollücke ergibt sich insbesondere bei den sog. Abwägungsentscheidungen. Die Abwägung erfolgt, vereinfacht gesprochen, zwischen Umwelt- und Naturschutzbelangen einerseits und anderen öffentlichen (namentlich wirtschaftlichen) Belangen andererseits. Der Gesetzgeber stellt jedoch keine Abwägungskriterien bereit, und die Rechtsprechung scheut sich bislang, sie zu entwickeln. Unter diesen Umständen erbringt die retrospektive Kontrolle der Rechtlichkeit nur verhältnismäßig wenig. Den Amtswaltern wird ein Abwägungsspielraum zuerkannt, in dem zur prospektiven Kontrolle gehörige und teilweise mit großem Aufwand ausformulierte, die Umweltfreundlichkeit konkretisierende Maßstäbe plötzlich irrelevant werden können und sozusagen wie von einem Zauberstab berührt verschwinden. Das Ergebnis steht allerdings zu Zeitaufwand und Kostenträchtigkeit allzuoft in keinem angemessenen Verhältnis und frustriert letztlich alle Beteiligten. Wenn dies aber so ist, dann fragt sich, warum diese Abwägungsentscheidungen nicht einer auf ihren Umgang mit der Rationalitätslinie der Umweltfreundlichkeit konzentrierten retrospektiven Kontrolle unterworfen werden. Ist es nicht an der Zeit, der - durch Art. 20 a GG als Staatszielbestimmung herausgestellten - Umweltfreundlichkeit ein System retrospektiver Kontrolle zu gönnen, wie es die Wirtschaftlichkeit in den Rechnungshöfen seit langem schon
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kennt? Anders ausgedrückt: Braucht die Umweltfreundlichkeit zu ihrem Schutz nicht so etwas wie unabhängige „Umwelthöfe" oder ein funktionales Äquivalent? Immerhin haben die Berichte der Rechnungshöfe in Sachen Wirtschaftlichkeit doch heilsame Wirkungen, sicherlich bei weitem nicht so klare und einschneidende, wie sie der Justiz mit ihrer Kassationskrafit gegeben sind, aber doch durchaus beachtliche. Darüber genauer nachzudenken, ist hier nicht der Ort. Es ging hier nicht um einen Reformvorschlag, sondern nur um einen Denkanstoß zur Veranschaulichung einer Kontrollproblematik, wie sie sich in einer historisch-komparativen Perspektive der Verwaltungsanalyse stellt.
Institutionengeschichte und Institutionenvergleich Von Karl-Peter Sommermann
I. Fragestellung Der Institutionenwandel wird von mehreren wissenschaftlichen Disziplinen beobachtet und analysiert. Sie tun dies naturgemäß aus verschiedenen Perspektiven. Dabei ist auch das begriffliche Vorverständnis dessen, was „Institution" bedeutet, fur Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler nicht ohne weiteres identisch. Ein sehr weites Verständnis legt, anknüpfend an Gustav Schmoller 1 , die Wirtschaftstheorie zugrunde. Sie versteht Institutionen als Verhaltensregeln für menschliche Interaktionen, so daß Institutionen nur den strukturellen Rahmen für die sichtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Organisationen bilden 2 . Demgegenüber sind Institutionen nach verbreitetem rechtswissenschaftlichen und teilweise auch politikwissenschaftlichen Sprachgebrauch 3 enger als regelgebundene Handlungsgesamtheiten zu begreifen; auch hier werden freilich die handelnden Akteure (Personen) als solche nicht einbezogen, wenngleich deren regelbildender Einfluß beobachtet wird. Dies kommt etwa in den französischen Lehrbüchern zu den „institutions politiques" zum Ausdruck 4.
1
Vgl. nur Gustav Schmoller, Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Erster Teil, 4.-6. Aufl., Leipzig 1901, S. 61. 2 Siehe insbesondere Douglass C. North, Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge u.a. 1990, S. 3 f f ; vgl. im übrigen die bei Rudolf Richter/Eirik G. Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 2. Aufl., Tübingen 1999, S. 7 f., wiedergegebenen Definitionen. Die Weltbank knüpft an den Begriff der Institutionenökonomik an, vollzieht aber nicht die kategoriale Differenzierung zwischen „Institution" und „Organisation" nach, vgl. nur die Definition im Weltentwicklungsbericht 2003 „Nachhaltige Entwicklung in einer dynamischen Welt - Institutionen, Wachstum und Lebensqualität verbessern", Bonn 2003, S. 43: „... Institutionen ... sind die Regeln und Organisationen einschließlich informeller Normen, die menschliches Verhalten koordinieren." 3 In der Rechtswissenschaft legen jedenfalls die Staatsrechtler meist nicht mehr das römisch-rechtliche Institutionen Verständnis zugrunde, vgl. aber Dick W.P. Ruiter, Legal Institutions, Dordrecht/Boston/London 2001, S. 71 ff. 4 Vgl. etwa Charles Debbasch/Jacques Β our don/'Jean-Marie Ρ ontier/Jean-Claude Ricci , Droit constitutionnel et institutions politiques, 4. Aufl., Paris 2001. Unterschieden wird teilweise noch im Anschluß an Hauriou zwischen „institutions organismes" (oder „institutions corps") einerseits und „institutions mécanismes" (oder „institutions cho-
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Karl-Peter Sommermann
Dort ist der „idealistisch-naturrechtliche" 5 Institutionenbegriff Haurious, der die Gründungsidee in den Mittelpunkt stellte6, einem eher technisch-positivistischen Verständnis gewichen. Im Hinblick auf die Europäische Union bezeichnet der Ausdruck „europäische Institutionen" in Übereinstimmung mit der englischen und französischen Wortwahl 7 insbesondere die Organe der Union, mit anderen Worten das, was auf nationaler Ebene den Kern der „Staatsorganisation" ausmacht. Im Entwurf eines Verfassungsvertrags fur die Europäische Union 8 ist auch im deutschen Text hinsichtlich der Hauptorgane der Union von dem „institutionellen Rahmen" die Rede9. Eine integrative Verwaltungswissenschaft, wie sie Klaus König bereits in seiner Habilitationsschrift postuliert und den mit öffentlicher Verwaltung befaßten Wissenschaftsdisziplinen aufgegeben hat 10 , ist auf eine international und transdisziplinär anschlußfähige Terminologie angewiesen, die zugleich dem Untersuchungsgegenstand angemessen ist. Bislang lag hier freilich nicht ein zentrales Problem. In der Staats- und Verwaltungswissenschaft kann rasch ein Grundkonsens darüber erzielt werden, was Staats- bzw. Verwaltungsinstitutionen sind. Jedenfalls zählen zu ihnen alle normativ geprägten Organisations- und Handlungsstrukturen, die der Erfüllung der Aufgaben des Staates bzw. der Verwaltung dienen. Gemeint sein kann dabei sowohl die abstrakte Idee als auch die konkrete Ausformung einer Institution. In diesem Sinne verwendet auch Klaus König namentlich bei der Untersuchung von Prozessen des Institutionentransfers den Begriff „Staats- und Verwaltungsinstitutionen" 11. Das Phänomen des Institutionentransfers ist Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen. Zum einen wirft dieses Phänomen die Frage nach Entstehung und Legitimität staatlicher Institutionen auf (II. und III.); zum anderen rückt angesichts der Tatsache, daß dabei unterschiedliche Verwaltungssysteme betroffen sind, die Frage in den Vordergrund, welche Rolle der Institutionen-
ses") andererseits, vgl. Marcel Prélot/Jean Boulouis, Institutions politiques et droit constitutionnel, 6. Aufl., Paris 1972, S. 39 ff. (Ziff. 26). 5 Zu dieser Einordnung Gert Riechers, Die Normen- und Sozialtheorie des Rechts bei und nach Georges Gurvitch, Berlin 2003, S. 165. 6 Vgl. Maurice Hauriou, Précis de droit constitutionnel, Paris 1923, S. 76 ff. 7 Der Fünfte Teil des EG-Vertrags ist in der deutschen Fassung mit „Die Organe der Gemeinschaft" überschrieben; in der englischen Fassung lautet sie „Institutions of the Community'1, in der französischen Fassung „Les institutions de la Communauté*'. 8 ABl. 2003 Nr. C 169. S. 1 ff. 9 Überschrift des ersten Kapitels von Titel IV in Teil I. 10 Klaus König, Erkenntnisinteressen der Verwaltungswissenschaft, Berlin 1970. 11 Klaus König, Verwaltungsstaat im Übergang. Transformation, Entwicklung, Modernisierung, Baden-Baden 1999, S. 77; ders., Theorien öffentlicher Verwaltung, in: Jan Ziekow (Hrsg.), Verwaltungswissenschaften und Verwaltungswissenschaft, Berlin 2003, S. 153, 190.
Institutionengeschichte und Institutionenvergleich
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vergleich für eine rationale Gestaltung von Institutionenbildung und -entwicklung spielen kann und welcher Stellenwert dem Vergleich in der Verwaltungswissenschaft einzuräumen ist ( I V . und V.).
I I . Entstehung von Staats- und Verwaltungsinstitutionen Das den Institutionen als „ H o r t der Stabilität" 1 2 immanente Element der Dauer 1 3 legt eine evolutionistische Deutung ihrer Entstehungsgeschichte nahe. Häufig werden zentrale Institutionen eines Gemeinwesens als emergente Erscheinungen i m Strom der Geschichte wahrgenommen. Die Genese von Institutionen w i r d demgemäß weit in die Vergangenheit zurückverfolgt, bis sie sich i m Dunkel quellenmäßig nicht belegbarer Entstehungsgründe verliert 1 4 . Der historische Rahmen erweitert sich dabei in dem Maße, in dem die konkretinstitutionelle Betrachtungsweise zugunsten einer funktionalen oder ideengeschichtlichen 1 5 verlassen wird. Unter den für die Kontrolle der Verwaltung zuständigen Institutionen w i r d so etwa die Vorgeschichte des Bundesrechnungshofes in seiner funktionellen Dimension (Rechnungsprüfung) bis ins Mittelalter 1 6 , global sogar bis weit in die A n t i k e 1 7 zurückverfolgt, in seiner institutionellen Ausprägung in Deutschland jedenfalls bis zu dem i m Jahre 1707 errichteten
12 Gerhard Göhler, Wie verändern sich Institutionen? Revolutionärer und schleichender Institutionenwandel, in: ders. (Hrsg.), Institutionenwandel, Opladen 1997, S. 21. Von den Institutionen als „ausschlaggebendem Stabilisierungsgefuge" sprach bereits Arnold Gehlen, siehe ders., Urmensch und Spätkultur, 5. Aufl., Wiesbaden 1986, S. 42. 13 Vgl. bereits Hauriou (Anm. 6), S. 76, 82 f., der die Bedingungen für die Dauerhaftigkeit einer Einrichtung als eines von vier Konstitutionsmerkmalen behandelt. 14 Wegen einer Institutionengeschichte, die nicht die Genese gegenwärtiger Institutionen zum Ausgangspunkt nimmt, vgl. Albert Rigaudière , Introduction historique à l'étude du droit et des institutions, Paris 2001, und Antoine Leca, La République européenne. Introduction à l'histoire des institutions publiques et des droits communs de l'Europe, Bd. 1 (L'unité perdue - 476-1806), Aix-Marseille 2000, der freilich gemeineuropäische Wurzeln der bestehenden Institutionen offenlegen will. Chronologisch auch die sechsbändige, von Kurt G.A. Jeserich, Hans Pohl und Georg-Christoph von Unruh hrsg. „Deutsche Verwaltungsgeschichte", Stuttgart 1983 ff.; vgl. ferner Wolf gang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999. 15 Jüngstes Beipiel einer ideengeschichtlichen Betrachtung der Entstehung des Staates: Klaus Roth, Genealogie des Staates. Prämissen des neuzeitlichen Politikdenkens, Berlin 2003. 16 Klaus Grupp, Die Stellung der Rechnungshöfe in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der historischen Entwicklung der Rechungsprüfung, Berlin 1972, S. 17. 17 Vgl. Kyrill-A. Schwarz, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, Bd. III, München 2001, Art. 114 Abs. 2 Rdnr. 61 (mit Fn. 90).
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sächsischen „Ober-Rechen-Rath" 18. Stellt man die Einrichtungen der Rechnungskontrolle funktionell zugleich in die Tradition von Einrichtungen der Rechtmäßigkeitsprüfung - zur Anschauung kann die chilenische Contraloria General dienen, die im Rahmen ihrer Rechnungsprüfung auch in Zeiten der Diktatur jedenfalls im „unpolitischen" Bereich Funktionen einer Verwaltungsgerichtsbarkeit wahrnahm 19 - , so verändert man zugleich die Perspektive der Institutionengeschichte. Ein anderes Beispiel einer traditionsreichen Einrichtung der Verwaltungskontrolle bildet die Institution eines Staatsrates. Als Vorbild gilt weithin der französische Staatsrat, der im Jahre 1799 durch die Konsularverfassung des Jahres V I I I errichtet wurde 20 und seitdem seine Zusammensetzung und Funktion mehrfach verändert hat. Seine Vorgeschichte wird auf die mittelalterliche Einrichtung der „Curia Regis" zurückgeführt, aus der sich später der „Conseil du Roi" herausbildete 21. Diese und ähnliche Einrichtungen der Monarchie werden auch in denjenigen Ländern als Vorläufer angesehen, die erst unter dem Einfluß des französischen Vorbildes einen Staatsrat errichteten. Außerhalb Europas übernahm beispielsweise der im Jahre 1874 in Anlehnung an das französische Staatsorgan geschaffene thailändische Staatsrat die Funktion eines Kronrates 22. Erst 1979 wurde ihm die Befugnis übertragen, auch über Individualbeschwerden zu befinden. Der in Frankreich bereits im Jahre 1872 erfolgte Ausbau des Staatsrats zu einer Verwaltungsgerichtsbarkeit in Form einer justice déléguée blieb indes aus. Statt dessen löste man sich mit der Verfassung von 199723 schließlich vom französischen Vorbild und errichtete unter Rückgriff auf andere ausländische Vorbilder, darunter nicht zuletzt das deutsche, bald darauf eine organisatorisch getrennte Verwaltungsgerichtsbarkeit, so daß der Staatsrat auf seine beratende, gesetzesvorbereitende Funktion zurückgeführt wurde.
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Grupp (Anm. 16), S. 17 ff.; Schwarz (Anm. 17), Rdnr. 62. Vgl. Alan Angell, La descentralización in Chile, in: Instituciones y Desarollo 1999, No. 3 (Beitrag im Internet verfügbar unter http://www.ngov.org/revista/?p=3). 20 Siehe dort Art. 52: „Sous la direction des consuls, un Conseil d'Etat est chargé de rédiger les projets de lois et les règlements d'administration publique, et de résoudre les difficultés qui s'élèvent en matière administrative." Der Text der Verfassung ist abgedruckt bei Jacques Godechot , Les Constitutions de la France depuis 1789, Paris 1979, S. 151 ff. 21 Vgl. die historische Darstellung auf der Website des Conseil d'Etat (http://www.conseil-etat.fr ) unter dem Stichwort „Histoire et patrimoine". 22 Vgl. Pensri Wongsaree, Gesetzliche Regelung und Praxis des verwaltungsrechtlichen Vertrages. Ein Vergleich zwischen dem deutschen und thailändischen Verwaltungsvertragsrecht, Frankfurt a.M. 2004, S. 23 ff. 23 Ein Überblick über die Verfassungsentwicklung in Thailand findet sich in: Office of the Administrative Courts (Ed.), Constitution of the Kingdom of Thailand, Bangkok 2001, S. 5-68. 19
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Die historische Betrachtung von Institutionen darf nicht die Tatsache verdrängen, daß jedenfalls im modernen Staat die Institutionenbildung auf einer Entscheidung von Hoheitsträgern beruht, nicht selten im Rahmen eines übergreifenden „institutional engineering" 24. Der Eindruck einer organischen Herausbildung der staatlichen und administrativen Institutionen entsteht häufig nur im historischen Rückblick. Betrachtet man die einzelnen Verwaltungssysteme für sich, so scheinen die grundlegenden Änderungen der institutionellen Ordnungen vornehmlich durch institutionelle Neuschöpfungen, häufig orientiert an ausländischen Vorbildern, bewirkt worden zu sein. Einmal ins Leben gerufen, führen die Institutionen ihr Eigenleben; im Falle des sogenannten Institutionentransfers unterscheidet sich dieses im jeweiligen kulturellen und institutionellen Kontext mehr oder weniger deutlich von dem der als Vorbild dienenden Institution. Der Ausdruck „Institutionentransfer" selbst kann stets nur als Metapher für an Vorbildern orientierte Institutionenbildung dienen, die unabhängig von der Nähe der formalen Organisationsstrukturen und Verfahrensregeln wegen der unterschiedlichen Wirkungsbedingungen keinesfalls zu einer Deckungsgleichheit, sondern allenfalls zu näherer oder weiterer Verwandtschaft der Institutionen führt. In Europa gingen die grundlegenden institutionellen Veränderungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit drei, jeweils unterschiedliche Staatengruppen betreffenden Wellen der Verfassunggebung einher. Die Staatsleitungsorgane (Verfassungsorgane) waren davon naturgemäß stärker betroffen als die Verwaltungsinstitutionen. Zur ersten Welle von Verfassungen gehören namentlich die französische Verfassung von 1946, die italienische Verfassung von 1947 und das Bonner Grundgesetz von 1949; die beiden letztgenannten Verfassungen markieren einen grundlegenden Neubeginn nach dem Zusammenbruch des faschistischen bzw. nationalsozialistischen Regimes. Die institutionelle Neuordnung knüpfte nicht nur an frühere Organisationsstrukturen an und entwickelte diese weiter, sondern stützte sich zugleich auf die Schaffung neuer Institutionen. Für die Stabilität der neuen Verfassungsordnung von besonderer Bedeutung war in Italien und Deutschland die Einfuhrung einer Verfassungsgerichtsbarkeit 25. Die zweite Welle einer Verfassunggebung mit grundlegendem Institutionenumbau war in den siebziger Jahren zu beobachten und betraf die südeuropäischen Länder Griechenland, Portugal und Spanien, nachdem diese die Diktatur überwunden hatten. Die beiden iberischen Staaten nahmen in ihr verfassungsrechtliches Institutionengefüge neben Verfassungsgerichtsbarkeiten auch Ombudsman-Einrichtungen auf, die insbesondere die Stellung des Bürgers
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Vgl. dazu Johann P. Olsen, Reforming European Institutions of Governance, in: Journal of Common Market Studies Bd. 40 (2002), S. 581, 584 ff. 25 Vgl. zu Italien nur Jörg Luther, Die italienische Verfassungsgerichtsbarkeit. Geschichte, Prozeßrecht, Rechtsprechung, Baden-Baden 1990.
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im Verhältnis zur öffentlichen Verwaltung stärken sollten 26 . In der Rückschau kann man sagen, daß durch die Kontrolle, die diese Petitionseinrichtungen ausübten, ein institutioneller Wandel der inneren Verwaltung mitbewirkt wurde. Eine dritte, in den neunziger Jahren sich ausbreitende Welle erfaßte die osteuropäischen Transformationsländer. Auf Verfassungsebene wurden in erheblichem Maße die verfassungsstaatlichen Errungenschaften der Europaratsstaaten rezipiert. Auch hier wie im Bereich der Verwaltungsinstitutionen im engeren Sinne fand weniger eine Neukonstruktion der institutionellen Ordnung anhand abstrakter Modelle statt als vielmehr eine auf eigene Erfahrungen und konkrete ausländische Vorbilder gestützte Institutionenbildung27. Den komplexen Transformationsprozess von einer sozialistischen Kaderverwaltung zu einer klassisch-europäischen Verwaltung hat Klaus König von Anfang an analysiert und in mehreren Fällen wissenschaftlich begleitet28. Der Institutionentransfer wirft die Frage auf, wie sich Institutionen, die in einem anderen Gemeinwesen gewachsen sind und sich dort bewährt haben, in dem neuen Kontext behaupten können.
I I I . Rationale versus traditionale Legitimität von Institutionen Wer das Institutionengefüge eines Staates als Ausprägung der individuellen Kultur und Geschichte einer Nation begreift, wird einem Institutionentransfer grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen. Unbestreitbar lassen sich viele Fälle benennen, in denen die rezipierte Institution wegen des Fehlens der notwendigen sozialen und politischen Kontextbedingungen oder einer mangelnden Adaption an die bestehende Systemrationalität in der neuen Ordnung ein Fremdkörper blieb. Namentlich die Institutionengeschichte der Entwicklungsländer liefert reiches Anschaungsmaterial. Als Beispiel aus dem Kreis der näheren Beobachtungen des Verfassers sei nur die Errichtung einer Verfassungsgerichtsbarkeit in Peru auf der Grundlage der stark durch die neue spanische Ver-
26
Vgl. die Nachweise unten in Anm. 35 u. 36. Vgl. für Mittel- und Osteuropa Darina Malovà/Tim H aught on, Making Institutions in Central und Eastern Europe, and the Impact of Europe, in: West European Politics Bd. 25 (2002), Nr. 2 (Special Issue on „The Enlarged European Union", hrsg. von Peter Mair u. Jan Zielonka). S. 101 -120. 28 Vgl. nur Klaus König, Zur Transformation einer real-sozialistischen Verwaltung in eine klassisch europäische Verwaltung, Speyer 1991; ders., „Rule of Law" und Gouvernanz in der entwicklungs- und transformationspolitischen Zusammenarbeit, in: D. Murswieck/U. Storost/H. A. Wolff (Hrsg.), Staat - Souveränität - Verfassung: Festschrift für Helmut Quaritsch zum 70. Geburtstag, Berlin 2000, S. 123-140. 27
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fassung beeinflußten peruanischen Verfassung von 1979 genannt. Die Verfassungsgerichtsbarkeit erfüllte in keiner Weise die in sie gesetzten Erwartungen 29. Damit sind zugleich die Substrukturen angesprochen, die gleichsam den Humus für die darauf wachsenden Institutionen bilden, und ohne deren Veränderung letztlich auch ein Institutionenwandel nicht möglich ist. Die aus den Substrukturen hervorgegangenen Institutionen, die die Lebenswelt der Bürger prägen, genießen in deren Augen meist durch ihre unvordenkliche Existenz und Verwurzelung in der Geschichte des Landes Legitimität. In Anlehnung an die von Max Weber unterschiedenen Legitimitätsarten 30 kann man insoweit von traditionaler Legitimität sprechen. Im Falle des Institutionentransfers fehlt den neuen Institutionen zunächst diese traditionale Legitimität, es sei denn, man leitete sie aus einer gemeinsamen überstaatlichen Institutionenkultur her. Fehlt die traditionale Legitimität, kann sich die neue Institution jedenfalls in einer offenen Gesellschaft allein durch ihre Rationalität rechtfertigen. Diese erwächst ihr nicht allein daraus, daß sie durch (demokratisch) legitimierte Staatsorgane in einem rechtmäßigen Verfahren errichtet wurde, sondern auch - in sozial wissenschaftlicher Perspektive: in erster Linie - aus ihrer Funktionalität im (neuen) Institutionengefüge. Erfüllt sie ihre Funktion im Sinne der überkommenen oder geänderten Systemrationalität, so wird sie prägender Bestandteil der neuen Ordnung. Unabhängig vom Fall des Institutionentransfers spielt die rationale Legitimität von Institutionen in einer säkularisierten, pluralistischen Umwelt eine immer größere Rolle. Traditional legitimierte Institutionen werden heute leichter in Frage gestellt als in Zeiten, die bei langsamerem Entwicklungstempo stärker auf traditionale Regelbindung vertrauten. Die durch ein Volksbegehren veranlaßte Abschaffung des bayerischen Senats nach über 50 Jahren seines Bestehens31 sowie die Neuorganisation der Mittelinstanz in der rheinland-pfälzischen Landesverwaltung (Abschaffung der Bezirksregierungen) im Zuge eines Programms der Verwaltungsmodernisierung bilden hierfür Beispiele. Der Institu-
29 Karl-Peter Sommermann, Verfassungsrecht und Verfassungskontrolle in Peru, in: JöR N.F. Bd. 36 (1987), S. 597, 622 ff., 639 f. Gelungen erscheint demgegenüber beispielsweise der Aufbau einer Verfassungsgerichtsbarkeit nach westlichem Muster in den baltischen Staaten, dazu Thomas Schmitz, Die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen in den baltischen Staaten, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften (ZSE) Bd. 1 (2003), S. 555, 574 ff. 30 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl., Tübingen 1980, Kap. III § 2 (S. 124). 31 Vgl. zur Funktionaliätsfrage unter dem Gesichtspunkt, ob der Senat unverzichtbar zu den in der „Ewigkeitsklausel" des Art. 75 Abs. 1 der bayerischen Verfassung angesprochenen „demokratischen Grundgedanken" gehört, die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 17.9.1999, VerfGHE BY 52, 104; abgedruckt auch in: BayVBl. 1999, S. 719 ff., und DÖV 2000, S. 28 ff.
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tionenwandel und die wachsende Offenheit fur neue Institutionenbildung werden nicht zuletzt durch internationale und interkulturelle Vermittlungsstrukturen, wie sie durch gemeinsame völkerrechtliche Leitprinzipien, internationale Organisationen und medialen Austausch gebildet werden, begünstigt. In Zeiten einer Ökonomisierung der Staats- und Verwaltungskultur 32 trägt die ökonomische Analyse zur Öffnung neuer institutioneller Entwicklungskorridore bei. Neue Legitimationsprobleme können hier freilich entstehen, wenn die (vermeintliche) Zweckrationalität einer persistenten Wertrationalität zuwiderläuft 33. Inwieweit die Veränderung der institutionellen Oberflächenstruktur die durch gesellschaftliche Werthaltungen und Konventionen, politische Traditionen und administrative Abläufe geprägten Substrukturen mit verändert, erschließt sich im Einzelfall nur einer eingehenden, zu den Tiefendimensionen eines Staatsund Verwaltungssystems vordringenden Analyse. Trotz der großen Bedeutung rationaler Legitimität von Institutionen besteht in der Regel gleichwohl das Bedürfnis, den neuen Institutionen das Dekorum traditionaler Legitimation zuteil werden zu lassen. Da sich jedenfalls in Europa durch Herrschaftsverflechtung und Ideentransfer und -austausch in unterschiedlichen Phasen der Geschichte immer wieder verwandte politische Strukturen und Institutionen herausgebildet haben, lassen sich auch beim Institutionentransfer meist in der eigenen Tradition Anknüpfungspunkte finden. In diesem Sinne verweist man hinsichtlich der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit, die neben der rationalen längst eine traditionale „bundesdeutsche" Legitimität genießt, gern auf Wurzeln in der Frankfurter Paulskirchenverfassung 34 oder versuchte man, bei der Einführung eines Ombudsmannes in Spanien, eine eigenständige Traditionslinie ins Mittelalter zu ziehen35. Die Diskussion um den spanischen Ombudsman bietet des weiteren ein Beispiel, wie man die traditionale Legitimität, die sich in einem anderen Kontext entwickelt hat, zu internalisieren sucht: Ein Autor, der durch vergleichende Arbeiten die Durchsetzung der Ombudsman-Idee in Spanien wesentlich gefordert hat, verkündete zu der neuen Institution des „Defensor del Pueblo", daß man im Vergleich zu anderen Ländern, welche die skandinavische Ombudsman-Idee rezipiert hätten, die dort zutage
32
Vgl. Jens Harms/Christoph Reichard (Hrsg.), Die Ökonomisierung des öffentlichen Sektors: Instrumente und Trends, Baden-Baden 2003. 33 Zur Unterscheidung von Zweck- und Wertrationalität siehe Weber (Anm. 30), S. 12 f.; Jens Greve , Handlungserklärung und die zwei Rationalitäten? Neuere Ansätze zur Integration von Wert- und Zweckrationalität in ein Handlungsmodell, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Bd. 55 (2003), S. 621-653. 34 Vgl. nur Andreas Voßkuhle, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, Bd. III, München 2001, Art. 93 Rdnr. 5. 35 Vgl. die Nachweise bei Karl-Peter Sommermann, Der Defensor del Pueblo: ein spanischer Ombudsman, in: AöR Bd. 110 (1985), S. 267, 269 Fn. 5.
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tretende Tendenz einer Denaturierung des Konzepts durchbrochen habe36. Als Beispiel für die Überlebensfähigkeit und Stärke traditionaler institutioneller Prägungen und ihre Behauptung selbst nach einer Phase der Unterdrückung und anschließenden Umbruchs mag die Neugestaltung des deutschen Föderalismus dienen. Dem von den Alliierten geforderten Umbau in einen dezentralen föderalen Staat, der sich insoweit am nordamerikanischen Föderalismus orientieren sollte, trug der deutsche Verfassunggeber letztlich zugunsten eines Aufgreifens deutscher Traditionslinien nur bedingt Rechnung und schuf damit die Voraussetzung für die Weiterentwicklung des für Deutschland charakteristischen unitarischen Bundesstaats37. Das Kontinuitätsbewußtsein ist in der Institutionenkultur der Staaten und ihrer Verwaltungen indes unterschiedlich stark ausgeprägt. Daher darf man vermuten, daß bei Reformüberlegungen dem Gesichtspunkt der traditionalen Legitimation, auch was die Anerkennung der „Vernünftigkeit der Tradition" 38 anbetrifft, ein unterschiedliches Gewicht zukommt. In Staaten mit einem eher ungebrochenen Verhältnis zur eigenen Geschichte stellen sich auch die Institutionen in der Regel traditionsbewußter dar als in Staaten mit tiefgreifenden historischen Zäsuren. Als symptomatisch für den unterschiedlichen Stellenwert des traditionalen Elements in den staatlichen Institutionen Frankreichs und Deutschlands dürften die Ausführlichkeit bzw. Knappheit der Angaben zur Institutionengeschichte auf den Websites des Conseil d'Etat einerseits 39 und des Bundesverwaltungsgerichts andererseits 40 anzusehen sein 41 .
36
Alvaro Gil-Robles y Gil-Delgado, El control parlamentario de la Administración (El Ombudsman), 2. Aufl., Madrid 1981, S. 239. 37 Näher dazu Hans Boldt, Die Wiederaufnahme der föderativen deutschen Tradition im Parlamentarischen Rat 1948/49, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften (ZSE) Bd. 1 (2003), S. 505 ff. 38 Vgl. H. C. F. Mansilla , Lo razonable de la tradición. Una revision critica de algunos principios premodernos, in: Revista de Estudios Politicos (Nueva Epoca) 2001, Nr. 113, S. 9, 37 ff. 39 Internetadresse http://www.conseil-etat.fr ; siehe dort das Stichwort „Histoire et patrimoine". 40 Internetadresse „http://www.bverwg.de"; siehe dort das Stichwort „Errichtung". 41 Die Funktionen des Bundesverwaltungsgerichts sind freilich nicht ohne weiteres mit denen des Conseil d'Etat zu vergleichen. Diesem kommt neben seiner Funktion eines obersten Verwaltungsgerichts insbesondere auch eine Beratungsfunktion gegenüber der Regierung bei der Rechtsetzung zu.
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IV. Institutionenvergleich als Rationalisierungsmittel bei Institutionenbildung und Institutionenentwicklung Institutionen nehmen nicht nur wiederkehrende (strukturelle) Aufgaben einer Gesellschaft wahr; sie strukturieren auch die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit. In diesem Sinne können sie als „verhaltensregulierende und Erwartungssicherheit erzeugende soziale Regelsysteme"42 verstanden werden. Erfolgreiche Institutionenbildung in Staat und Verwaltung setzt voraus, daß die kompetenzielle und organisatorische Ausgestaltung der Institutionen funktionsadäquat sind. Um die Funktionsadäquanz sicherzustellen, kann man bei der Konzeption der Institution zum einen an theoretische Erkenntnisse anknüpfen, die sich aus einer Verallgemeinerung von Ergebnissen der Analyse institutioneller Wirkmechanismen ergeben, zum anderen an verwandte Einrichtungen, über die ausreichende empirische Befunde vorliegen. Hier kommen sowohl verwandte Institutionen der eigenen Geschichte als auch parallele oder vorbildhafte Institutionen des Auslandes in Betracht. Der Vergleich eröffnet den Zugang zu einem großen Reservoir an „gespeicherter Erfahrungsweisheit" (Martin Kriele). Es wäre freilich naiv anzunehmen, eine Institution, die im Kontext des Landes A eine bestimmte Funktion hervorragend erfüllt, würde bei Übernahme ihrer Strukturen in Land Β notwendig ebenso erfolgreich arbeiten. Für einen derartigen Analogieschluß reicht es auch nicht zu fragen, ob die beiden Länder derselben Kategorie von Gesellschaftssystemen angehören. Gegenüber solchen Ansätzen eines „grand theorizing", wie es in den fünfziger und sechziger Jahren in der vergleichenden Politikwissenschaft verbreitet war, wendet sich eine neuere Strömung des Neoinstitutionalismus, die sich „historischer Institutionalismus" (historical institutionalism) nennt43. Sie sucht tragfähige Antworten auf die Frage nach der Vergleichbarkeit institutioneller Ordnungen auf einer mittleren Ebene, welche die Beziehungen und Interaktionen zwischen einer Vielzahl von Variablen abbildet. Sie wendet sich damit zugleich gegen vergleichende Analysen, die die bestehenden institutionellen Konfigurationen zu einem bestimmten Zeitpunkt (statisch) erfaßt und so deterministischen Schlußfolgerungen Vorschub leistet 44 . Die Erkenntnisse des historischen Institutionalismus sind im Kern keineswegs neu. Hinsichtlich der Gesetze und implizit der Institutionen hat bereits Montesquieu deren Abhängigkeit von der physischen Umwelt wie den jeweili42 Roland Czada, Institutionelle Theorien der Politik, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 1: Politische Theorien (hrsg. von D. Nohlen u. R.-O. Schultze), München 1995, S. 205. 43 Siehe Kathleen Thelen/Sven Steinmo, Historical Institutionalism in Comparative Politics, in: Sven Steinmo/Kathleen Thelen/Frank Longstreth (Hrsg.), Structuring Politics. Historical Institutionalism in Comparative Analysis, Cambridge 2002, S. 1 ff.
44
Ebd., S. 10 ff.
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gen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Faktoren und deren Wechselwirkungen untereinander betont 45 . Später hat etwa Georg Jellinek in seinen methodischen Überlegungen zur Staatslehre die dem Staat und allen Institutionen eigene Dynamik hervorgehoben. Er unterschied dabei zwischen Institutionenentwicklung, von der nur im Falle einer Ausdifferenzierung und Zweckerweiterung die Rede sein könne, und einer bloßen Institutionenänderung, die vorliege, „wenn eine Einrichtung im Laufe der Geschichte ihren Zweck wechselt"46. Dem zu erwartenden Vorwurf, daß die Typenbildung im sozialwissenschaftlichen Teil seiner Staatslehre die Wirklichkeit nicht widerspiegelten und nicht erklären könne, ist er von vornherein dadurch begegnet, daß er dem „Typus" lediglich Bedeutung als heuristisches Prinzip beilegte47. Daß ferner aus der Beobachtung der Institutionen niemals feststehende Gesetzlichkeiten hergeleitet werden können, folgte für ihn notwendig aus den unterschiedlichen Untersuchungsgegenständen der Sozialwissenschaft im Vergleich zur Naturwissenschaft 48. Daher stand für ihn fest 49 : „Jeder Staat, jedes Staatsorgan, jeder Vorgang im Staat ist zunächst etwas völlig Individuelles." Aus der individualisierenden Betrachtungsweise haben zu Recht weder Montesquieu noch Jellinek den Schluß gezogen, daß auf generalisierende Aussagen über Institutionen verzichtet werden sollte. Ebenso kann bei der Institutionenbildung, insbesondere auch im Falle des Institutionentransfers, die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges dadurch erhöht werden, daß in der konzeptionellen Phase im Wege des Vergleichs der institutionellen Ordnungen die gemeinsamen und verschiedenen Voraussetzungen herausgearbeitet werden 50. Daß dabei auf die bestehenden Interaktionsbeziehungen und -regeln besonders zu achten ist, betont der historische Institutionalismus zu Recht. Welche Gesichtspunkte beim Vergleich zu beachten sind, ist im übrigen Gegenstand einer mittlerweile umfangreichen komparatistischen Literatur. Für den Institutionenvergleich ist insbesondere auf das einschlägige Schrifttum der vergleichenden Verwaltungs-, Politik-, Rechts- und Geschichtswissenschaft zu verweisen 51.
45 Montesquieu, De l'esprit des lois. Genève 1748, Livre I chap. 3, enthalten in: Montesquieu, Oeuvres complètes (hrsg. von R. Caillois), Bd. 2, Paris 1951, S. 237 f. 46 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, Berlin 1900, S. 40. Gehlen (Anm. 12), S. 36, passim, sprach später von „Zwecktransformation". 47 Jellinek (vorige Anm.), S. 38. 48 Ebd., S. 25 ff. 49 Ebd., S. 30. 50 Wegen einer Typologie der öffentlichen Verwaltung vgl. Klaus König , On the Typology of Public Administration, in: International Review of Administrative Sciences Bd. 69 (2003), S. 449-462. 51 Aus dem deutschsprachigen Schrifttum vgl. nur (jeweils mit weiteren Nachweisen auch aus dem ausländischen Schrifttum): Roman Schnur, Über vergleichende Verwaltungswissenschaft. in: VerwArch. Bd. 52 (1961), S. 1-24; Heinrich Siedentopf Verglei-
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Karl-Peter Sommermann B l i c k t man in die Praxis des Institutionentransfers, so zeigen sich erstaunli-
che Erfolge. Daß dieser gerade in Europa jedenfalls in den „Oberflächenstrukturen" zu einer erheblichen Annäherung geführt hat, liegt freilich auch an gemeinsamen überstaatlichen Determinanten. I m Kreis der Staaten der Europäischen U n i o n gehen Anpassungszwänge nicht nur vom materiellen und prozeduralen Europäischen Gemeinschafitsrecht aus 5 2 , sondern auch von der supranationalen institutionellen Ordnung, die letztlich anschlußfähige Institutionen in den M i t gliedstaaten selbst fordert. Wenn etwa auf Drängen von Mitgliedstaaten mit dezentralen Strukturen in der Europäischen Union die Einrichtung eines Ausschusses der Regionen durchgesetzt wurde 5 3 , so entsteht damit zwar nicht eine rechtliche Verpflichtung auf das Leitbild des „Regionalismus" 5 4 ; das regionale Interessen repräsentierende Organ kann indes durch seine bloße Existenz und die dahinter stehende Subsidiaritätsidee Regionalisierungstendenzen, wie sie z.B. in England i m Zuge der „Devolution" institutionelle Gestalt gewannen 5 5 , begünstigen 5 6 . In dem größeren Kreis der Europaratsstaaten ist es vor allem die Europäische Menschenrechtskonvention, die - von dem ihr zugeordneten Rechtsprechungsorgan dynamisch als „lebendiges Instrument" interpretiert 5 7 - gleichermaßen chende Verwaltungswissenschaft: Wissenschaft oder Kunst?, in: Die Verwaltung Bd. 28 (1992), S. 427-435; Klaus von Beyme, Der Vergleich in der Politikwissenschaft, München/Zürich 1988; Dirk Berg-Schlosser, Vergleichende europäische Politikwissenschaft - Ansätze einer Bestandsaufnahme, in: Politische Vierteljahresschrift Bd. 39 (1998), S. 829-840; Christian Starck, Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, JZ 1997, S. 1021-1030; Georgios Trantas, Die Anwendung der Rechtsvergleichung bei der Untersuchung des öffentlichen Rechts, Dresden 1998; Karl-Peter Sommermann, Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Fortentwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts in Europa, DÖV 1999, S. 1017-1029; ders., Funktionen und Methoden der Grundrechtsvergleichung, in: D. Merten/H.-J. Papier, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. 1, Heidelberg 2004, § 16, S. 631-678 (insbes. S. 659 ff.); Heinz-Gerhard Haupt/Jürgen Kocka (Hrsg.), Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt a.M./New York 1996. 52 Dazu übergreifend Andreas Voßkuhle, Die Renaissance der „Allgemeinen Staatslehre" im Zeitalter der Europäisierung und Internationalisierung, in: JuS 2004, S. 2, 4 f. 53 Art. 198a-198c EGV i.d.F des Vertrags über die Europäische Union vom 7.2.1992 (BGBl. 1992 II, S. 1253), heute Art. 263-265 EGV. 54 Martin Burgi, in: Rudolf Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, München 2003, Art. 263 Rdnr. 4. 55 Dazu Oliver Dawn, Constitutional Reform in the United Kingdom, Oxford 2003, S. 258-294. 56 Skeptisch Hermann-Josef Blanke, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, EGV, vor Art. 263-265 (2001) Rdnr. 24 mit Nachweis der Stimmen in der Literatur, die prognostizierten, daß die Aktivitäten des Ausschusses der Regionen in den zentralistischen Staaten einen Verfassungswandel auslösen könnten. 57 Siehe nur das Urteil des Gerichtshofes vom 25.4.1978 im Fall „Tyrer", Series A Nr. 26 § 31; deutsche Übersetzung in EuGRZ 1979, 162.
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leistungsfähige Institutionen jedenfalls in der Hinsicht fordert, daß die Menschenrechtsstandards effektiv eingehalten werden 58. Dies betrifft keineswegs nur die nationalen Gerichte, sondern auch und gerade die nationalen Gesetzgeber und Verwaltungen. Umstritten bleibt freilich, inwieweit die zu beobachtenden Konvergenzen tatsächlich zu Änderungen in den Tiefenstrukturen und in der Systemrationalität der verschiedenen institutionellen Ordnungen geführt haben. Hierüber kann man fuglich streiten 59. Tatsache ist aber, daß die funktionellen Konvergenzen nicht nur institutionelle Angleichungen, sondern auch die Kommunikation zwischen den funktionsverwandten nationalen Organe gefördert haben. Dieser Austausch ist durch Vereinigungen der nationalen Parlamente, der Gerichtshöfe, insbesondere der Verfassungsgerichte, der Rechnungshöfe und anderer Organe auch über den Kreis der Mitgliedstaaten hinaus mehr oder weniger stark institutionalisiert und kann zu einem kreativen Wettbewerb und gemeinsamer Orientierung beitragen. In den Institutionen der Europäischen Union wie in den Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte haben diejenigen Staaten, gemessen an der Zahl der Verurteilungen, „Wettbewerbsvorteile", welche effektive Kontrollstrukturen aufgebaut haben. Hier erweisen sich offenbar bestimmte Institutionen als besonders erfolgreich und gleichsam „unausweichlich", wie man beispielsweise an dem Ausbau der Verfassungskontrolle in den Mitgliedstaaten beobachten kann. Sogar England sah sich gezwungen, die jahrhundertealte Tradition der Parlamentssouveränität, die auch den Ausschluß einer gerichtlichen Kontrolle parlamentarischer Rechtsetzungsakte impliziert 60 , zu relativieren. Der Human Rights Act von 199861, der den Obergerichten die Befugnis einer „Declaration of incompatibility" (wenn auch noch nicht die einer Normverwerfung) zuweist 62 , stellt insofern einen wichtigen Schritt hin zu einer wirksamen Kontrolle der Parlamentsgesetze am Maßstab der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention dar 63 .
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Vgl. nur Theodor Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Tübingen 2004, § 6 a (S. 30 ff.). 59 Ein Überwiegen der nationalen Beharrungskräfte sehen bisher etwa Heinrich Siedentopf/Benedikt Speer, Europäischer Verwaltungsraum oder Europäische Verwaltungsgemeinschaft?, in: DÖV 2002, S. 753-763. 60 Frederick F. Ridley , The British Constitution and Constitutional Reform in Britain, in: R. Bieber/P. Widmer (Hrsg.), L'espace constitutionnel européen/Der europäische Verfassungsraum/The European constitutional area, Zürich 1995, S. 37-55; klassisch Albert Venn Dicey, Introduction to the Study of the Law of the Constitution, 9 t h edition, London 1956, Part I (S. 37-180). 61 HMSO, 1998 Chapter 42. 62 Section 4. 63 Der Human Rights Act hat zu umfangreicher Rechtsprechung und Literatur Anlaß gegeben, vgl. nur John Wadham/Helen Mountfield/Anna Edmundson, The Human Rights Act 1998, 3. Aufl., Oxford 2003, m.w.N.
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V. Die Bedeutung des Institutionenvergleichs für die Verwaltungswissenschaft In Zeiten wachsenden Innovationsdrucks auf die staatlichen und administrativen Institutionen kann der Institutionenvergleich die Rationalität der Institutionenentwicklung sowohl unter dem Gesichtspunkt der Vervollständigung des Spektrums möglicher Lösungen als auch durch die Herausarbeitung der gegen einen leichtfertigen Institutionentransfer sprechenden Gesichtspunkte verbessern. Klaus König würde freilich beide Aspekte nicht trennen. Desgleichen hat ihn - um ein Bild Erich Kaufmanns zu verwenden 64 - der „anatomische" niemals ohne den „funktionell-physiologischen" Vergleich der staatlichen Organe interessiert. Häufig hat er sich deshalb gegen eine undifferenzierte Rezeption ökonomisch begründeter Reformkonzepte eines Neuen Management gewandt65. Sowohl die Nichtbeachtung der Unterschiede in Kultur und Substruktur der managerialistischen Verwaltungen einerseits und der legalistischen Verwaltungen andererseits als auch das Übersehen bestehender funktionaler Äquivalente finden in ihm einen scharfen Kritiker. Wohl noch immer ist für die Verwaltungswissenschaft die Aussage zutreffend, daß in Europa belastbare empirisch-vergleichende Untersuchungen für weite Bereichen der Öffentlichen Verwaltung fehlen 66. Doch zuweilen können auch ohne umfangreiche empirische Untersuchungen tragfähige vergleichende Aussagen getroffen werden. Voraussetzung sind neben ausgeprägten Erfahrungen mit den verschiedenen Verwaltungssystemen ein feines Gespür für die Verwaltungskulturen und eine Vertrautheit mit den in ihrem Kontext geführten wissenschaftlichen und politischen Debatten. Diese Merkmale finden sich nur ausnahmsweise in einer Person vereint. Bei Klaus König ist dies der Fall.
64 Zitiert bei Helmut Strebel, Vergleichung und vergleichende Methode im öffentlichen Recht, in: ZaöRV Bd. 24 (1964), S. 405, 413 ff. 65 Aus den zahlreichen Schriften vgl. nur Klaus König, Verwaltungsmodernisierung im internationalen Vergleich - A c h t Thesen-, in: DÖV 1997, S. 265-268; ders./Joachim Beck, Modernisierung von Staat und Verwaltung, Baden-Baden 1997; ders., Zur Managerialisierung und Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltung, Speyer
2000.
66 Hans-Ulrich Derlien, Observations on the State of Comparative Administration Research in Europe - Rather Comparable than Comparative, in: Governance Bd. 5 (1992), S. 279-311. Vor diesem Hintergrund gewinnen die vorhandenen Studien um so größere Bedeutung; grundlegend aus der Speyerer Forschung zur Implementation des Gemeinschaftsrechts in den EG-Mitgliedstaaten Heinrich Siedentopf/Jacques Ziller (Hrsg.), Making European Policies Work / L'Europe des administrations?, 2 Bände, London/Brüssel 1988, und zum öffentlichen Rechnungswesen im internationalen Vergleich die Studien von Klaus Lüder, vgl. insbesondere die Speyerer Forschungsberichte Bände 73, 76, 89, 97, 125, 143, 159 (Speyer 1989 ff.).
Z u r Erklärung von Reformprozessen in Verwaltungen, dargestellt am Beispiel von Rechnungswesen-Innovationen Von Klaus Lüder, Speyer
I. Rechnungswesen-Innovationen und Kontextbedingungen International vergleichende Verwaltungsforschung ist nicht in erster Linie auf das Erkennen und Beschreiben nationaler Unterschiede von Verwaltungsinstitutionen, von Verwaltungsinstrumenten und des Verwaltungshandelns gerichtet, sondern vor allem auf die Analyse dieser Unterschiede. Dabei kommen nicht zuletzt die unterschiedlichen politisch-rechtlich-administrativen Arrangements, aber auch Unterschiede in Machtkonstellationen und Verhaltensmustern als Determinanten (Kontextvariablen) in den Blick. „Die Umsetzung der internationalen Modernisierungsagenda... zeigt..., wie stark auch situative Rahmenbedingungen - der sozioökonomische Kontext, die Existenz von Reformpromotoren, die Organisation des Reformprozesses - von Einfluss sind". 1 Dies trifft auch für die wissenschaftliche Beschäftigung mit den seit Ende der 1980er Jahre angelaufenen Reformen des öffentlichen Rechnungswesens in einer Vielzahl von Industrieländern zu. Bei diesen Reformen geht es um die Ablösung des traditionellen zahlungsorientierten Rechnungswesens - in Deutschland in der Variante der Kameralistik - durch ein an das kaufmännische Rechnungswesen angenähertes, sog. doppisches Rechnungswesen (auch ressourcenorientiertes Rechnungswesen). Zu beobachten waren und sind bei diesen Reformen bei aller Übereinstimmung im Grundsätzlichen, deutliche Unterschiede nicht nur in den Details des Reformkonzeptes, sondern beispielsweise auch im Implementationsverfahren, in der Implementationsgeschwindigkeit und in den auftretenden Implementationswiderständen. Dies löste die Frage aus, ob die unterschiedlichen nationalen Ausprägungen der Kontextvariablen einen Beitrag zur Erklärung der beobachtbaren Unterschiede im Reformprozess leisten können. Auf der Basis empirisch vergleichender Studien über den RechnungswesenReformprozess in den USA, Kanada, Großbritannien, Schweden, Dänemark, 1 K. König/N. Füchtner, „Schlanker Staat" - eine Agenda der Verwaltungsmodernisierung im Bund, Baden-Baden 2000, S. 366.
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Klaus Lüder
Frankreich und Deutschland wurde vom Verfasser 1990 ein erstes Erklärungsmodell vorgelegt und getestet.2 Dieses unter der Bezeichnung „Contingency Model" bekannt gewordene Modell wurde in der englischsprachigen Literatur breit diskutiert, mehrfach modifiziert und erweitert. 3 Mit dem im folgenden beschriebenen Modell wird der Versuch unternommen, sowohl diese Diskussionsergebnisse, Modifizierungen und Erweiterungen zu berücksichtigen als auch eigene Erfahrungen und Erkenntnisse einzuarbeiten, die insbesondere aus Forschungsaufenthalten in Kanada, in Japan und in Australien resultieren. Die Elemente der in diesem Zusammenhang beschriebenen Variablen-Cluster sind Beispiele für beobachtete Determinanten des Reform-Prozesses, sie sind aber nicht als vollständige und abschließende Aufzählungen der Kontextvariablen zu verstehen.
Π . Ein Modell zur Erklärung des Reformprozesses in Abhängigkeit von den Kontextvariablen (Reformprozessmodell) Zur Realisierung von Verwaltungsreformen allgemein ebenso wie zur Realisierung von Reformen des Haushalts- und Rechnungswesens bedarf es einer ganzen Reihe von Bedingungen und Gegebenheiten.4 Zunächst müssen Auslöser (Stimuli) für die Einleitung eines Reformprozesses vorhanden sein. Auslöser für Reformen des Haushalts- und Rechnungswesens sind z.B. finanzielle und ökonomische Krisensituationen, Finanzskandale öffentlicher Einrichtungen, aber auch dominierende Doktrinen (z.B. „Überlegenheit des kaufmännischen Rechnungswesens", „Ein gutes Rechnungswesen muss IPSAS-kompatibel sein") und Erfordernisse aus der Umsetzung von Verwaltungsreformkonzepten (z.B. NPM). Stimuli und Stellungnahmen von Reformtreibern (Fachpromotoren) wie Kommissionen, Verbänden, Berufsgruppen, Wissenschaftler-Zirkeln, aber auch Rechnungsprüfungsbehörden und Beratern liefern in der Regel die Motive für
2 Vgl. K. Liider/C. Hinzmann/B. Kampmann/R. Otte, Vergleichende Analyse öffentlicher Rechnungssysteme - Konzeptionelle Grundlagen für das staatliche Rechnungswesen mit besonderer Berücksichtigung der Bundesrepublik Deutschland, Speyerer Forschungsberichte Nr. 97, Speyer 1991 und K. Lüder, A Contingency Model of Governmental Accounting Innovations in the Political-Administrative Environment, in: J. L. Chan/J. M. Patton (Hrsg.) Research in Governmental and Nonprofit Accounting, Vol. 7, Greenwich, CT 1992, S. 99. 3 Vgl. zusammenfassend Κ. Lüder, Research in Comparative Governmental Accounting over the last Decade - Achievements and Problems, in: V. Montesinos/J. M. Vela (Hrsg.), Innovations in Governmental Accounting, Boston u.a. 2002, S. 1 ff. 4 Vgl. auch R. Laughlin/J . Ρ allot, Trends, Patterns and Influencing Factors: Some Reflections in: O. Olson/J. Guthrie/C. Humphrey (Hrsg.), Global Warning, Oslo 1998, S. 376 ff.
Zur Erklärung von Reformprozessen in Verwaltungen
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politische Akteure, Reformen in Angriff zu nehmen. Bei weitgehender Einheitlichkeit der von den Reformtreibern vertretenen konzeptionellen Vorstellungen kann man von der Existenz einer „epistemic community" 5 , einer Glaubensgemeinschaft, sprechen. Ihr Vorhandensein stärkt den Einfluss der Reformtreiber gegenüber den politischen Akteuren, sowohl was die Inangriffnahme der Reform überhaupt als auch was das Reformkonzept betrifft. Eine zentrale Stellung in einem Verwaltungsreformprozess nehmen politische Promotoren der Reform-Ideen ein. Sie sind Machtpromotoren 6, die Reformkonzepte der Reformtreiber aufgreifen oder die Reformkonzepte auf der Basis eigener Grundsatzvorstellungen entwickeln lassen und die deren Umsetzung betreiben. Schlüsselfiguren in diesem Sinne sind bei der Reform des öffentlichen Rechnungswesens der zuständige Fachminister (Finanzminister für das staatliche Rechnungswesen, Innenminister für das kommunale Rechnungswesen) und der Regierungschef. Deren professionelle, weniger deren politische Sozialisierung bestimmt nicht zuletzt die Präferenz für ein bestimmtes Reformkonzept und macht in Deutschland u.a. den endgültigen Abschied von der Kameralistik so schwer. Weniger häufig als Angehörige der Gubernative treten Parlamentarier als politische Promotoren im Rechnungswesen-Reformprozess auf. Ein Grund dafür ist wohl darin zu sehen, dass Parlamentarier nur ausnahmsweise oder nur unter bestimmten konstitutionellen Voraussetzungen die Funktion von Machtpromotoren wahrnehmen können. Die institutionellen Arrangements bilden den rechtlich-politisch-administrativen Rahmen für das Verwaltungshandeln. Sie fördern oder behindern eine Reform - sie lösen sie aber in der Regel weder aus noch können sie eine Reform verhindern. Die institutionellen Arrangements beeinflussen im Wesentlichen die Ausrichtung einer Reform, den Implementationsprozess und die Implementationsgeschwindigkeit. In diesem Zusammenhang spielen z.B. das Rechtssystem einschließlich des Wahlrechts, der Staatsaufbau, die Verwaltungsstruktur, die Fachkompetenz der Mitarbeiter sowie die politische Kultur und die Verwaltungskultur eine Rolle. Die Rechtssysteme lassen sich grob klassifizieren in das Civil-Law-System (römisch-germanisches Recht) und in das Common-Law-System (englisches Recht). Verbunden damit sind unterschiedliche Typen von Staatsführungssystemen: Während im vom römischen Recht geprägten „Rechtsstaats"-Modell die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns im Vordergrund steht, gewinnt das Verwaltungshandeln seine Rechtfertigung im vom englischen Recht geprägten 5
Vgl. Laughlin/P allot, Trends (Anm. 4), S. 385 unter Bezugnahme auf P. M. Haas, Introduction: Epistemic Communities and International Policy Coordination, in: International Organization 46, 1992 (1), S. 1 ff. 6 Vgl. E. Witte, Organisation für Innovationsentscheidungen - Das Promotorenmodell, Göttingen 1973.
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„Public Interest"-Modell vornehmlich aus dem öffentlichen Interesse.7 Es erscheint plausibel zu erwarten, dass das flexiblere „Public Interest"-Modell für Verwaltungsreformen, die auf eine (stärkere) Managerialisierung und Öffentlichkeitsorientierung abzielen, förderlicher ist, als das „Rechtsstaats"-Modell.8 Eine die Vorteilhaftigkeit des „Public Interest u-Modells für Verwaltungsreformen verstärkende Wirkung kann bei Koppelung mit Mehrheitswahlrecht vermutet werden: „... the sweeping changes ... are less and less feasible the further one moves away from ... single party ... or bare majority governments". 9 Der Staatsaufbau lässt sich kennzeichnen durch die Kategorien „unitarisch/föderal", „Einkammersystem/Zweikammersystem" sowie durch die Machtverteilung zwischen Wahlvolk, Regierung und direkt gewählten Staatsorganen. Die Kombination „unitarisch"/ „Einkammersystem" mit asymmetrischer Machtverteilung zwischen den Staatsorganen zugunsten der Regierung scheint der Durchsetzung von regierungsinduzierten Reformen „von oben nach unten" besonders förderlich zu sein. 10 Die Induzierung von Reformen durch das Parlament und andere Staatsorgane wird hingegen erleichtert durch eher symmetrische Machtverteilung und daraus resultierender Konkurrenz zwischen den Staatsorganen sowie durch ausgeprägte direktdemokratische Elemente. Die Verwaltungsstruktur lässt sich kennzeichnen durch Merkmale wie „zentralisiert/dezentralisiert", „organisatorische Bündelung/Aufsplittung der Kompetenzen für das Finanzwesen" und „Vorhandensein/Nichtvorhandensein von Zentralbehörden mit starker Positionsmacht" im Bereich des Finanzwesens auf allen organisatorischen Ebenen. Für die Durchsetzung von RechnungswesenReformen innerhalb der Verwaltung dürfte eine Verwaltungsstruktur förderlich sein, die über Zentralbehörden verfügt, die nicht nur die Funktionen eines Fachpromoters wahrnehmen können, sondern die aufgrund ihrer formalen Machtposition auch in der Lage sind, gegenüber den Fachbehörden als Machtpromotoren zu fungieren. Gleiches gilt für das Verhältnis von Zentraleinheiten und Facheinheiten innerhalb von Behörden. Die durch Ausbildung und Fortbildung bestimmte Fachkompetenz der Beamten und Angestellten im Allgemeinen und der Mitarbeiter im Finanzwesen im Besonderen ist von wesentlicher Bedeutung für die Wahl der Implementationsstrategie, für die Dauer des Implementationsprozesses und für seine Kosten. Die Implementation des Reformkonzeptes erfordert spezifische Kenntnisse beim dafür zuständigen Personal. Fehlen diese Kenntnisse und kann dieser Mangel auch durch Fortbildung kurzfristig nicht behoben werden, dann verlän-
7
Vgl. C. Pollit/G. Bouckaert, Public Management Reform, Oxford 2000, S. 52 ff. Vgl. auch Κ König, Speyerer Vorträge, Heft 70, Speyer 2002, S. 6. 9 Pollit/Bouckaert, Public Management Reform (Anm. 7), S. 47. 10 In diesem Sinne auch König/Füchtner, Schlanker Staat (Anm. 1), S. 17. 8
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gert dies nicht nur den Reformprozess, sondern es verstärkt auch die Reformwiderstände und gefährdet damit den Reformerfolg. Als nationale kulturelle Eigenschaften (soziale Kultur, politische Kultur, Verwaltungskultur) können die Offenheit/Abgeschlossenheit gesellschaftlicher und politischer Prozesse, das Risikoverhalten von Bürgern und Staat (Risikofreude/Risikoaversion), die Bedeutung der Bürgerorientierung des Staates und die Neigung zu Individualismus oder Kollektivismus gelten.11 Von der Kombination „Offenheit/Risikofreude/Bürgerorientierung/Individualismus" kann ein besonders günstiges Reformklima erwartet werden. Nicht unwesentlich für die Durchsetzbarkeit von Reformen ist auch die Einstellung von Stakeholdern im Reformprozess. Stakeholder sind nicht als Reformtreiber oder politische Promotoren hervorgetretene Institutionen oder Gruppen, die von der Reform betroffen sind. Dazu gehören i. d. R. die Öffentlichkeit, der Gesetzgeber und die Verwaltung. Der Einfluss der einzelnen Stakeholder auf Inhalt und Ablauf einer Reform ist durchaus unterschiedlich. Ein Stakeholder nimmt eine Schlüsselstellung im Reformprozess ein, wenn er über eine (formale oder faktische) Machtposition im Entscheidungsprozess verfügt, die es ihm erlaubt, ein Reformvorhaben besonders zu befördern oder zu blockieren. 12 Es wird davon ausgegangen, dass die Einstellung der Stakeholder zur Reform bestimmt wird durch das Reformkonzept, das sie zu „Gewinnern" oder „Verlierern" der Reform macht, durch die Implementationsstrategie und durch die eigenen Einflussmöglichkeiten auf die Reform, dass sie aber auch von den politischen Reformpromotoren beeinflusst werden kann. Eine erfolgreiche Reform setzt voraus, dass es den politischen Promotoren gelingt, einflussreiche, opponierende Stakeholder mindestens zum Stillhalten zu bewegen. Gegebenenfalls erfordert dies auch Abstriche am Reformkonzept. Nicht unwesentlich für Erfolg oder Misserfolg einer Reform ist auch die Implementations strategie. Sie lässt sich kennzeichnen durch die Merkmale „autoritär/partizipativ", „zentral angeleitet und unterstützt oder nicht", „einphasig/mehrphasig", „mit/ohne Pilotprojekte", „mit/ohne systematische Mitarbeiterschulung" und „Zeitdauer des Umsetzungsprozesses". In der folgenden Abbildung sind die Überlegungen zum Reformprozess und Reformkontext sowie die Abhängigkeiten zwischen einzelnen Prozess- und
11
Vgl. dazu z.B. G. Hofstede, Culture's Consequences, Abridged Edition, Newbury Park/USA u.a. 1984, S. 122 u. S. 158; Pollit/Bouckaert, Public Management Reform (Anm. 7), S. 52 ff. 12 Vgl. auch C. Nemitz, Erfolgsfaktoren für eine Reform politischer Systeme, Speyerer Forschungsberichte Nr. 208, Speyer 2000, S. 131 f.
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Kontextelementen zusammengefasst. In dieses Reformprozessmodell ist das Kontingenzmodell eingebaut.13
Reformprozessmodell
Mithilfe des Kontingenzmodells lässt sich der Reformkontext (institutionelle Arrangements) beschreiben, das Zustandekommen des Ergebnisses eines Reformprozesses (Innovation im öffentlichen Rechnungswesen) kann damit aber nur unvollständig erklärt werden - nämlich nur im Hinblick auf den möglichen
13 Vgl. Lüder , Contingency Model (Anm. Model Reconsidered: Experiences from Italy, Schedler (Hrsg.), Perspectives on Performance counting, Bern/Stuttgart/Wien 1994, S. 1 ff.; hier S. 18.
2), S. 99 ff.; Lüder , The Japan and Spain, in: E. Measurement and Public Lüder , Research (Anm.
Contingency Buschor/K. Sector Ac3), S. 1 ff.,
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Einfluss der institutionellen Variablen. Das Reformprozessmodell stellt insofern eine Erweiterung dar, als neben den institutionellen Arrangements auch die Prozessakteure (Reformtreiber, politische Promotoren, Stakeholder) und deren Verhaltensweisen berücksichtigt werden. Die durchgezogenen Pfeile in der Abbildung kennzeichnen Wirkungsbeziehungen, während die gestrichelten Pfeile Einflussmöglichkeiten von Personen, Gruppen oder Institutionen im Reformprozess repräsentieren. Durch strichpunktierte Pfeile kenntlich gemacht sind Rückkopplungen des Ergebnisses (einer Phase) des Reformprozesses zu den politischen Reformpromotoren, den Reformtreibern und den Stakeholdern. Die Rückkopplungen können eine weitere Runde im Reformprozess auslösen - der Reformprozess kann also mehrphasig sein. Eine weitere Runde im Reformprozess kann von vornherein geplant gewesen sein, weil eine sequentielle Implementation einzelner Komponenten des Gesamtkonzeptes vorgesehen war. Sie kann aber auch durch Erfahrungen oder geänderte Zielvorstellungen ausgelöst werden, die Modifikationen des ursprünglichen Reformansatzes notwendig erscheinen lassen.
I I I . Reform des Haushalts- und Rechnungswesens in Australien, dargestellt anhand des Reformprozessmodells Das im vorhergehenden Abschnitt beschriebene Prozessmodell wird im Folgenden zur Erklärung der Reform des Haushalts- und Rechnungswesens australischer staatlicher Gebietskörperschaften herangezogen. Eine Vereinfachung und Vergröberung komplexer empirischer Sachverhalte ist dabei ebenso unumgänglich wie die Vernachlässigung von Detailunterschieden zwischen den Reformprozessen in den einzelnen Gebietskörperschaften. Letzteres erscheint deshalb vertretbar, weil alle Gebietskörperschaften in etwa dem gleichen Reformpfad folgen (Details des Reformprozesses in New South Wales und seiner Rahmenbedingungen enthält die Fallstudie von Christensen). 14
1. Stimuli
Stimuli für die Reform des öffentlichen Sektors wie für die Reform des Haushalts- und Rechnungswesens der staatlichen Gebietskörperschaften in Australien waren
14 M. Christensen, Accrual Accounting in the public sector: the case of the New South Wales government, in: Accounting History 7, 2002 (2), S. 93. ff., hier insbesondere S. 106 ff.
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eine tatsächliche oder vermeintliche Zerrüttung der Staatsfinanzen durch fortlaufende Budgetdefizite in der Vergangenheit und als Folge die Ansammlung einer „zu hohen" Staatsverschuldung (so z.B. in New South Wales und Victoria) und künftiger finanzieller Belastungen, insbesondere für die Altersversorgung des öffentlichen Dienstes und für die Erneuerung der Infrastruktur (so z.B. in South Australia),
-
eine tatsächlich oder vermeintlich mangelnde Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit der Verwaltung (dies gilt für alle Gebietskörperschaften),
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Finanzskandale wie der Zusammenbruch der Staatsbank in South Australia und
-
ein aus der Finanzsituation und dem Finanzskandal resultierendes Bedürfnis nach Verbesserung der Informationen über Finanzgebaren und Finanzlage der öffentlichen Hand.
Während man die erste und weitgehend auch die zweite Reformphase, die eine Verbesserung des finanziellen Rechnungswesens und der Rechenschaftslegung (accrual financial accounting and reporting) zum Ziel hatten, noch als eigenständige Reform qualifizieren kann, ist die Reform des Haushalts- und Rechnungswesens spätestens ab ihrer dritten Phase (output based accrual budgeting, accrual management accounting) eine „Sekundärreform", d.h. ihr Auslöser war wesentlich das verfolgte Konzept der Reform des öffentlichen Sektors und der Verwaltungsreform.
2. Politische Reformpromotoren
Die politischen Promotoren waren in allen Fällen Regierungsmitglieder, wobei dem Premierminister und dem Treasurer Schlüsselfunktionen im Reformprozess zukamen. Soweit es um Reformen des öffentlichen Sektors und um Verwaltungsreformen ging, war der Premierminister die treibende politische Kraft. Der Einsatz seiner persönlichen und amtlichen Autorität war entscheidend für das Ingangkommen der Reform (so Greiner in New South Wales, Kennett in Victoria, Howard im Commonwealth). Das Finanzministerium diente als „Konzeptionsschmiede" und war damit Fachpromoter für die das Finanz-, Haushalts- und Rechnungswesen betreffenden Teile der Reform. Reformtreiber hatten entscheidenden Einfluss auf das Konzept (so der Public Sector Accounting Standards Board auf das „Accrual Financial Reporting"-Konzept und die Audit Commissions auf das „Accrual-Based Output Budgeting"-Konzept). Soweit sich die Reform auf Rechnungswesen und Rechnungslegung beschränkte, war der Treasurer auch Machtpromoter.
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3. Reformtreiber
Als „Treiber 1' der Reform des Haushalts- und Rechnungswesens in Australien lassen sich identifizieren: -
Die durch die Regierungen bei Amtsantritt eingesetzten , Audit Commissions": Sie alle empfahlen u.a. grundlegende Reformen des Haushaltsund Rechnungswesens. Beispielhaft seien hier Empfehlungen der Victorian Audit Commission genannt: „development of a forward estimates system", „provision of more extensive information regarding the full costs of government programs", „implementation of a system of accrual accounting to measure the full cost of providing services", „budgeting and reporting to parliament, on a whole-of-government basis and by individual departments, should be based on accrual accounting".15
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Der Public Sector Accounting Standards Board: Der 1983 ins Leben gerufene PSASB ist zunächst durch grundlegende Arbeiten seines Stabes bei der Australian Accounting Research Foundation (AARF) zum öffentlichen Rechnungswesen und seit Anfang der neunziger Jahre auch durch Erlass von Accounting Standards fur den öffentlichen Sektor hervorgetreten (insbesondere AAS 25, 27, 29, 31). Diese berufsständische Organisation setzte sich seit ihrer Gründung für eine der kaufmännischen Rechnungslegung weitgehend entsprechende Rechnungslegung der öffentlichen Hand ein. Äußerer Ausdruck dieser Position war die Auflösung des PSASB zum 31.12.1999 und die Übertragung seiner Funktion auf den ab dem 1.1.2000 für die Standardisierung der Rechnungslegung sowohl von Unternehmen als auch von öffentlicher Hand zuständigen Australian Accounting Standards Board (AASB).
-
Die Auditors General des Commonwealth und der Gliedstaaten: Die Arbeiten von AARF und PSASB veranlassten die Rechnungsprüfungsbehörden, daraus schon im Vorgriff auf spätere gesetzliche Regelungen Maßstäbe für die Prüfung der Rechnungslegung der Gebietskörperschaften abzuleiten. Die entsprechende Beanstandungen enthaltenden Prüfungsfeststellungen haben wesentlich dazu beigetragen, die Regierungen zur Übernahme der PSASB-Standards in ihr Regelwerk für die Rechnungslegung zu veranlassen und damit die Umstellung der Rechnungslegung und der finanziellen Rechnungssysteme in Richtung „accrual" voranzutreiben.
1 Vgl. L. English/J. Guthrie, Public Sector Management in the State of Victoria 1992-1999: Genesis of the Transformation, Paper presented at the 3rd IPMN Conference, Sydney 4.-6. März 2000, Typoskript, S. 8.
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Die Beratungsunternehmen: Auch die Beratungsunternehmen haben während des letzten Jahrzehnts aus wohlverstandenem kommerziellem Interesse intensiv fur die Durchführung von Verwaltungsreformen allgemein und von Reformen des Haushalts- und Rechnungswesens speziell geworben. Das Fehlen ausreichender Expertise im öffentlichen Dienst und die Grundtendenz der Regierungen zum „contracting out" eröffneten den Beratern ein interessantes Betätigungsfeld.
Sofern sich die Reformtreiber zu den gleichen Reformelementen äußern (accounting, reporting, budgeting), vertreten sie grundsätzlich gleiche Positionen. Man kann deshalb von der Existenz einer „Glaubensgemeinschaft" ausgehen.
4. Institutionelle Arrangements
Zu den politischen, administrativen und gesellschaftlichen Strukturmerkmalen die für die Implementation von Reformen im Haushalts- und Rechnungswesen in Australien von Bedeutung sind, gehören der Staatsaufbau, das Wahlrecht, die Verwaltungsstruktur, der öffentliche Dienst, das Haushaltsrecht und die kulturelle Einstellung zu Reformen. -
Staatsaufbau: Der föderale Staatsaufbau mit der Möglichkeit für die einzelnen Gebietskörperschaften, Reformen auch ohne vorherige, gebietskörperschaftsübergreifende Abstimmung voranzutreiben, ebenso wie eine gewisse „Reformkonkurrenz" und die Möglichkeit des „Lernens voneinander" sind der Einleitung von Reformen vermutlich förderlich gewesen.
-
Wahlrecht: Das in Australien übliche Mehrheitswahlrecht fuhrt häufiger als das Verhältniswahlrecht oder gemischte Systeme zu Einparteienregierungen mit relativ starker Machtposition der Regierung. Dies erleichtert die Inangriffnahme auch politisch sensibler Reformen. Soweit die Reformen des Haushalts- und Rechnungswesens allerdings überwiegend technischer Natur sind, spielt das Wahlrecht eine nachgeordnete oder keine Rolle. Verwaltungsstruktur: Innerhalb der Verwaltung besitzen Zentralbehörden, insbesondere das Finance Department und weniger ausgeprägt das Premier's Department, eine ausgeprägte formale Machtposition. Sie können eine Reform entscheidend voranbringen. Die Treasurer als politische Promotoren haben die Reform des Haushalts- und Rechnungswesens mit Hilfe interner Instruktionen und zunächst zu einem erheblichen Maße „am Parlament vorbei" betrieben. Ihre formal starke Stellung im Budgetprozess erlaubte es auch, dies gegen Widerstände der Fachbehörden zu tun.
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Öffentlicher Dienst: Struktur und insbesondere fachliche Qualifikation des öffentlichen Dienstes scheinen einem Vorankommen von Reformen des Haushalts- und Rechnungswesens eher hinderlich zu sein. Dieser Engpass wurde im Wesentlichen durch Einsatz von Beratern zu beseitigen versucht, was aber nur eine Übergangslösung sein kann. Längerfristig wird die mangelnde Qualifikation des öffentlichen Dienstes den Reformerfolg vermutlich nicht verhindern, wohl aber den Implementationszeitraum verlängern.
-
Haushaltsrecht: Wie bereits oben festgestellt, wurden die Reformen des Haushalts- und Rechnungswesens zunächst ohne oder mit nur geringfügigen Rechtsänderungen umgesetzt. Andererseits dürften Rechtsänderungen beim gegebenen Wahlrecht und fehlendem Erfordernis der gebietskörperschaftsübergreifenden Abstimmung verhältnismäßig leicht durchsetzbar sein. Das Haushaltsrecht war damit kein Reformengpass.
-
Kulturelle Einstellung zu Reformen: Zur Charakterisierung der gesellschaftlichen, der politischen und der administrativen Kultur - soweit es die Reformfreudigkeit oder Reformaversion betrifft - sollen hier die Hofstede'sehen Indices für Individualität/Kollektivität und Risikofreude/Risikoaversion herangezogen werden. Für Australien liegen beide Indices über dem Durchschnitt, der Individualitätsindex sogar deutlich. 16 Daraus lässt sich folgern, dass die kulturelle Einstellung Reformen eher förderlich ist.
5. Stakeholder
Stakeholder im Reformprozess sind nicht als politische Promotoren, Fachpromotoren oder Reformtreiber hervorgetretene, von der Reform begünstigte oder betroffene Gruppen oder Institutionen. In Bezug auf die Reform des Haushalts» und Rechnungswesens in Australien scheinen dies insbesondere die Öffentlichkeit, die Parlamente und die Fachministerien und Fachbehörden zu sein. -
16
Öffentlichkeit: Die Öffentlichkeit hat an den Reformen insoweit Anteil genommen, als sie Regierungen ins Amt gewählt hat, die die Reformen in ihr Wahlprogramm aufgenommen hatten, und als sie Regierungen abgewählt hat, mit deren Reformen sie mindestens nicht zur Gänze einverstanden war. Beispiel für eine solche Abwahl ist die Kennett-Regierung in Victoria, die neben anderen Dingen auch an ihren Vorhaben zur Reform der staatlichen Rechnungsprüfung (Beschneidung der Kompetenzen des Auditor's General) gescheitert sein soll. Reformen des Haus-
Vgl. Hofstede, Culture's Consequences (Anm. 11), S. 122 u. S. 158.
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halts- und Rechnungswesens als solchen steht die Öffentlichkeit allerdings wohl eher uninteressiert gegenüber. -
Parlamente: Die Parlamente haben sich in den Reformen erstaunlich zurückhaltend gezeigt, selbst dann, wenn ureigenste Rechte (Budgetrecht) betroffen waren. Mindestens bei den Mitgliedern der Regierungsparteien schien ein uneingeschränktes Vertrauen in die Vorhaben der Regierung bestanden zu haben und noch zu bestehen. Soweit sich Haushaltsausschüsse in die Diskussion eingeschaltet haben (z.B. das Estimates Review Committee in Victoria) haben sie eine relativ einheitliche und nicht von der Regierungsposition abweichende Auffassung vertreten. Dies lässt vermuten, dass hinsichtlich der Reform des Haushalts- und Rechnungswesens mindestens keine grundsätzlichen Auffassungsunterschiede zwischen den Parlamentsfraktionen bestanden.
-
Fachministerien und Fachbehörden: Die Akzeptanz von Reformen des Haushalts- und Rechnungswesens durch die Fachbehörden und die Umsetzung der Treasury-Konzepte ist von erheblicher Bedeutung für den nachhaltigen Reformerfolg. Hier gab es - zwar nicht im Grundsätzlichen, aber im Detail - erhebliche Widerstände. Die Fachbehörden hielten die Konzepte für nicht ausgereift, unvollständig, nicht ausreichend praktikabel, und sie warfen der Treasury Wirklichkeitsferne und unzureichende Unterstützung bei der Umsetzung vor. Die Fachbehörden hatten vermutlich nicht die Position, die Reform aufgrund der konzeptionellen Mängel und der Implementationsmängel scheitern zu lassen. Gleichwohl können sie die Implementationsgeschwindigkeit (erheblich) vermindern und/oder wesentliche Reformelemente einfach nicht realisieren. So berichtet James Guthrie beispielsweise über Untersuchungsergebnisse zur Reform der departmental financial reports Mitte der neunziger Jahre: „In general, the findings were that many agencies maintain their cash-based systems and use adjustments at the end of the accounting period to construct general-purpose financial reports". 17
6. Implementationsstrategie
Die von den Regierungen verfolgte Implementationsstrategie lässt sich kennzeichnen als zentral gesteuert, mit Umsetzungsspielräumen für die Fachbehörden und kurzen Umsetzungsfristen ohne vorbereitende Pilotprojekte. Umsetzungsspielräume bestanden insbesondere hinsichtlich der technischen Ausgestaltung des Haushalts- und Rechnungssystems und hinsichtlich der eingesetzten 17 J. Guthrie, Application of Accrual Accounting in the Australian Public Sector Rhetoric or Reality, in: FAM 14, 1998 (1), S. 1 ff., hier S. 8.
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IT-Systeme. Für eine solche Strategie sind die institutionellen Arrangements eher günstig, während es keinen nennenswerten Einfluss von Stakeholdern auf die Strategieauswahl gab.
7. Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass - wie nicht anders zu erwarten die Bedingungen für eine Reform des Haushalts- und Rechnungswesens in Australien günstig sind: Die politischen Reformpromotoren sitzen im Zentrum der politischen Macht, es gibt einflussreiche Reformtreiber, die institutionellen Arrangements sind überwiegend reformfördernd und gleiches gilt für die Einstellung der Stakeholder. Indizien für eine begrenzte Implementationsgeschwindigkeit sind die Qualifikation des öffentlichen Dienstes, die Umsetzungsprobleme und die daraus resultierenden Widerstände der Fachbehörden sowie dvtechnische Anpassungsprobleme. All dies wird vermutlich den endgültigen Erfolg der Reform nicht gefährden, die Umsetzung allerdings (deutlich) verzögern. Während man die Reform des finanziellen Rechnungssystems und der Rechnungslegung (accrual financial accounting and reporting) als gesichert ansehen kann, ist nicht auszuschließen, dass aufgrund zunehmender Erfahrungen mit der ressourcenorientierten Outputbudgetierung und der Kosten- und Leistungsrechnung noch konzeptionelle Modifikationen erfolgen.
IV. Schlussbemerkung Modelle vom Typ des Reformprozessmodells haben in der empirischen vergleichenden Verwaltungswissenschaft zunächst die Funktion, einen Beschreibungsrahmen für den Kontext von gleichartigen Verwaltungsreformen in verschiedenen Ländern zu liefern. Die Akzeptanz eines solchen Analyserahmens durch die fachwissenschaftliche Gemeinschaft bietet die Möglichkeit, die Forschung in dem Sinne zu individualisieren, dass verschiedene Forscher Einzelstudien durchführen, man aber dennoch vergleichbare Ergebnisse und damit die Basis für Einzelprozesse übergreifende Vergleichsstudien erhält. In diesem Sinne hat sich mindestens das Vorgängermodell des Reformprozessmodells - das Kontingenzmodell - als fruchtbar erwiesen. 18 Während die Eignung des Modells zur Beschreibung der reformprozessrelevanten Umwelt aufgrund der vorliegenden Einzelstudien als gesichert gelten
18 Ein Überblick über die Anwendung des Kontingenzmodells zur Beschreibung von Rechnungswesen-Reformprozessen in verschiedenen Ländern findet sich in Lüder, Research (Anm. 3), S. 4 f.
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kann, basieren Aussagen über seine Erklärungskraft bisher ausschließlich auf „weichen" Informationen. Ein erstes Indiz ist sicherlich die Eignung des Modells zur Beschreibung der Determinanten des Reformprozesses - daraus ist mindestens zu schließen, dass die erklärenden Variablen relevant sind. Darüber hinaus interessieren natürlich die Einflussrichtung (positiv/negativ) und die Einflussstärke. Dazu liegen bisher nur auf Fallstudienmaterial basierende, nichtquantitative Aussagen vor, die allerdings überwiegend hypothetischen Charakter haben und die sicher z.T. auch als „informierte Spekulation" zu gelten haben. Von Mark Christensen wurde darüber hinaus der Versuch unternommen, für eine Variante des Modells Einfluss-Hypothesen zu formulieren und sie mit Hilfe einer Fallstudie zu überprüfen, die sich der historischen Analyse bedient.19 Die Datengrundlage bildeten „interviews of elite decision-makers and reviews of documentary sources. The documentary sources included working party reports and minutes, annual reports, politician's and senior bureaucrat's speeches, policy statements, and reports of and submissions to various bodies of inquiry" 20 . Obgleich der Verfasser als eines seiner Ergebnisse feststellt: „Collectively these results demonstrate the usefulness of the Revised Contingency Model" 2 1 , kann diese Aussage wohl nur dann über den Einzelfall hinausgehende Gültigkeit beanspruchen, wenn sie durch weitere Untersuchungen ähnlicher Art bestätigt wird. Ob statistische Tests des Modells angezeigt sind, ist bei seiner Komplexität eher fraglich. Deshalb und weil die Literatur voll davon ist, muss aber vor unkritischen Anwendungen statistischer Methoden gewarnt werden, die zwar methodisch aufwendig, deren Ergebnisse jedoch nicht selten trivial oder empirisch irrelevant sind. Wesentliche Schwachstellen vieler statistischer Analysen sind zu kleine Stichproben oder Grundgesamtheiten, unzureichende Repräsentation empirischer Sachverhalte durch (statistische) Variablen, datengesteuerte anstelle problemgesteuerter Analyse und Interpretation von statistischen Zusammenhängen als Kausalzusammenhänge. Für die Erforschung der Zusammenhänge zwischen Kontextbedingungen und Reform des Haushalts- und Rechnungswesens erscheinen deshalb systematische Untersuchungen vom Typ „Fallstudie" in der absehbaren Zukunft fruchtbarer als statistische Analysen.
19 20 21
Vgl. Christensen, Accrual Accounting (Anm. 14). Christensen, Accrual Accounting (Anm. 14), S. 102. Christensen, Accrual Accounting (Anm. 14), S. 113.
Public Administration as a Basic Institution of Governing and Governance By Seppo Tiihonen, Helsinki
I. Introduction The twentieth century has witnessed the triumph of liberal democracy and market economy, because the socialist system, which offered a competitive model for it, failed. The socialist system suppressed freedom in markets and in society, which in a liberal system balance the power of the state. This has not put an end to political, theoretical and ideological discussions of the tasks of the state and politics in general. The collapse of communism has enhanced ideological criticism towards a too encompassing state control in market economies, as well as towards theoretical and paternalist guardianship of the state over citizens on economic growth and their welfare. Students of economics, sociology and political science have been active in developing arguments which emphasize the importance and independence of the market vis-à-vis society. Business management theories have transformed the science of public administration into the science of public management. Model discussion of different political and economic systems has transformed into a model discussion of different governing models of market economy. One of these is the „Welfare state", which emphasizes the role of the state in economic growth and social development. The term governance is connected with these discussions in many ways. In the 1990s the term appeared quite suddenly in both practical and theoretical discussions of politics and governing. The traditional term governing has in practice wiped out from textbooks and political speeches. However, this terminological change is not necessarily reflecting real changes in governing processes, but is influenced by theoretical discourses in economics, sociology, political science, business management and administrative sciences. The term is used in practical discourses of corporate governance and global governance, development policies and international politics. Even though the term governance has specific definitions, many of the discourses are connected with the role of the state and in the governing questions. The focus of this article is the effects of the discourse of governance on the role of the state and public administration in governing a country. The hypothesis is that many of the discourses of governance are connected with the criticism against state and present European governing regime of lib-
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Seppo Tiihonen
eral democracy, which is known in Europe as welfare state. Their purpose is to redefine the basic propositions o f the present governing model and to minimize the task o f the state. I n this article attention is directed to the conceptions o f public administration in the discourse o f governance.
I I . Discourse of governance regime The term governance (steering a ship by a rudder [gubernaculum])
is old as
such, but its present use is modern. The governance discourse is not uniform, but rather a collection o f heterogeneous discourses w i t h an ever-increasing number o f texts written on the topic. It has several theoretical backgrounds from economics (institutional economics, Douglas North 1 , Oliver Williamson 2 ), political science (James March and Johan P. Olsen 3 ), business management (corporate governance, Oliver E. Williamson 4 ), public management (Klaus König, 5 Jan K o o i m a n 6 [so called Dutch school 7 ], Walter Kickert, 8 R . A . W . Rhodes, 9 P. Guy Peters, 10 Donald E. K e t t l 1 1 ) , international politics and global governance
1
D. C. North, Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge 1990. 2 Ο. E. Williamson, The Mechanisms of Governance, New York 1996. 3 J. G. March/J. P. Olsen, Rediscovering Institutions. The Institutional Basis of Politics, New York 1989; J. G. March/J. P. Olsen, Democratic Governance, New York 1995. 4 Williamson , Mechanisms (note 2). 5 K. König, Good Governance - as Steering and Value Concept for the Modern Administrative State, in: J. Corkeiy (ed.), Governance: Concepts and Applications, Brussels 1999, pp. 467-494; K. König, Zum Governance-Begriff, in: Κ. König/M. Adams (Eds.), Governance als entwicklungspolitischer Ansatz: Forschungssymposium vom 29. bis 30. September 2000, Speyer 2000, pp. 1-16. 6 J. Kooiman, Social-Political Governance: Introduction, in: J. Kooiman (ed.), Modern Governance. New Government-Society Interactions, London 1993, pp. 1-18; J. Kooiman, Governance and Governability: Using Complexity, Dynamics and Diversity, in: op cit, pp. 35-49. 7 R. Sibeon, Governance and the Policy Process in Contemporary Europe, in: Public Management Review 2, 2000, pp. 292-299. 8 W. Kickert , Complexity, Governance and Conceptual Explorations of Public Network Management, in: A. Kooiman (ed.), Modern Governance (note 6). 9 R. A. W. Rhodes, Understanding Governance. Policy Networks, Governance, Reflexivity and Accountability, Buckingham 2001; R. A. W. Rhodes, Conclusion: Interpreting British Government: the Governance Narrative, in: R. A. W. Rhodes (ed.), Transforming British Government. Vol. I: Changing Institutions, London 2000. 10 B. G. Peters, Models of Governance for the 1990s, in: D. F. Kettl/H. B. Milward (eds.), The State of Public Management, London 1996. 11 D. E. Kettl, The Global Management Revolution: A Report on the Transformation of Governance, Washington, DC 2000.
Public Administration as a Basic Institution of Governing and Governance
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(James Rosenau 1 2 and Prakash and H a r t 1 3 ) , sociology (David H e l d 1 4 , Anthony Giddens 1 5 , Nicholas Rose 1 6 ), development policies (the W o r l d B a n k 1 7 , I M F 1 8 , Goran H y d e n 1 9 and Adrian L e f t w i c h 2 0 ) and politics (the T h i r d Way discourse o f Tony B l a i r 2 1 ) . Because researchers have analyzed different discourses o f governance, I refer mainly to some comparative studies. Pierre and Peters 22 regard governance as an umbrella concept for a wide variety o f phenomena. They list several ways to use the term. First o f all, it is used as a structure - as hierarchies, as markets, as networks, as communities. Secondly, it can be seen as a dynamic outcome o f processes. It is a process when it is seen as steering and coordination. Thirdly, governance is used as an analytical framework in intellectual terms. 2 3 Their own interpretation is based on a state-centric approach, which criticizes all statecritical approaches o f governing. 2 4 According to Rhodes the term governance is used as 1) a minimal state, 2) a corporate governance, 3) a new public management, 4) good governance (the discourse o f the W o r l d Bank), 5) a socio-cybernetic system and 6) selforganizing networks. 2 5 A l l these models represent different regime types. The
12 J\ N. Rosenau, Governance, Order, and Change in World Politics, in: J. N. Rosenau/E.-O. Czempiel (eds.), Governance without Government: Order and Change in World Politics, Cambridge 1992. 13 A. Prakash/J. A. Hart feds.), Globalization and Governance, New York 1999. 14 D. Held, Democracy and the Global Order from the Modem State to Cosmopolitan Governance, Stanford 1995. 15 A. Giddens, Modernity and Self-identity, London 1991. 16 N. Rose, Governing Liberty, in: R. V. Ericson/N. Stehr (eds.), Governing Modem Societies, London 2000, pp. 141-176. 17 World Bank, Governance and Development, Washington DC, 1992; World Bank : Governance. The World Bank's Experience, Washington DC 1994; World Bank, World Development Report 1997. The State in a Changing World, New York 1997. 18 IMF, Good Governance, The IMFs Role, Washington, DC 1997. 19 G. Hyden , Governance and Study of Politics, in: G. Hyden/M. Bratton, Governance and Politics in Africa, Boulder, Col. 1992, pp. 1-26; G. Hyden, Civil Society, Social Capital, and Development: Dissection of a Complex Discourse, in: Studies in Comparative International Development 32, 1997; G. Hyden, Operationalizing Governance for Sustainable Development, in: J. E. Jreisat, Governance and Developing Countries, Köln 2000. 20 A. Leftwich, Governance, the State and the Politics of Development, in: Development and Change 25, 1994; A. Leftwich, States of Development. On the Primacy of Politics in Development, London 2000. 21 A. Giddens, The Third Way. The Renewal of Social Democracy, London 1999. 22 J. Pierre/B. Guy Peters, Governance, Politics and the State, New York 2000. 23 Pierre/Peters, Governance (note 22), pp. 14-24. 24 Pierre/Peters, Governance (note 22), pp. 194-200. 25 Rhodes, Understanding Governance (note 9), pp. 46-60.
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core question in all of these discourses concerns the role of the state. It does not concern only the role of the state in the political field but in all policy sectors as well. Rhodes supports a network-conception of governance. Rhodes' definition is worth of notice, because it is based on practices in the UK, which has been a model of public sector reforms for many OECD countries. He stresses the notion of minimal state in governance and the interpretation of governance as a socio-cybernetic system and self-organizing networks. The shared characteristics of new governance conception are: 1) interdependence between organizations, 2) continuing interaction between network members, 3) game-like interactions, rooted in trust and regulated by rules of the game negotiated and agreed by network participants and 4) a significant degree of autonomy from the state.26 Leftwich has distilled three levels of meaning for governance. These include 1) system, or regime-level governance, which is wider than government. This refers to a system of political and socio-economic relations governed by agreed rules or a regime; 2) good governance as participatory politics and (sometimes) democratic government, and 3) good governance as managerial/administrative efficiency and probity. 27 He personally emphasizes the political and democratic nature of governance. Is it possible to find general reasons for such a sudden birth of the discourse of governance? Intuitively, the explanations can be put in four groups: 1) strong interest to get rid of present forms of state-centered governing regimes by reforming present practices and discourses, because international competition, development democracy and autonomy of individuals demand it; 2) continuous need to reform present governing forms in the pressure of new global governance models and national governance practices; 3) the will to shift focus from political governing towards technical, technocratic and professional engineering, and 4) the will to keep up with the times and adopt new words, phrases and terms without serious ideas of radical reforms. Everybody wants to keep up with trendy proverbs. An analysis of Pierre and Peters, Rhodes and Leftwich gives support for all these interpretations. According to Pierre and Peters, the major reasons for the birth of the discourse are the financial crisis of the state, ideological shift towards the market and globalization, failure of the state, emergence of the New Public Management, social change and increasing complexities, new sources of governance (especially on the global and regional level) and the legacy of traditional political accountability.28 Basically, the discourse of governance concerns 26 27 28
Rhodes, Understanding Governance (note 9), p. 53. Leftwich , States of Development (note 20), pp. 118-123. Pierre/Peters, Governance (note 22,), pp. 50-69.
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the role of the state in governing nations on global, international, national, regional and local level and the arrangement of relations between social and economic actors in the governance process. The discourse of governance represents a process of change from the present state-centered governing model towards a more inclusive, reflective and participatory authority. Leftwich criticizes official discourse on governance (for example in the OECD, in the World Bank and in national governments), because it concentrates on administrative questions. According to him it relies on naïve interpretations, which does not see that success in instituting and sustaining results are ultimately and irreducibly a function of politics as expressed through the capacity of states to establish and maintain such principles and processes.29 Because most official actors believe in technocratic solutions, they do not stress political questions, even i f new discourses have political implications. For the World Bank, which is one of the main actors and reformers in the field, the Bank's Articles of Agreement explicitly prohibit the Bank from interfering in the political affairs of its members and from being influenced by the political character of its members. 30 The Bank cannot even search for solutions to economic development and social progress from political questions. However, this cannot dictate the content of definitions, even i f it limits the policy sphere of the World Bank. Leftwich's analysis of present governance discourses supports the interpretation that present governance concepts try to transform the political governing to technocratic engineering and transform present state-centered model to simple and naïve networking and a up-down process. Arguments above have shown that the term governing is disappearing from practical and even from academic discourses and it is displaced by the term governance. The discussion of governance enforces the designers of future governing models to go beyond business as usual and to concentrate on the fundamental questions of governing.
I I I . Regimes of governing and governance The nineteenth century term governing is connected to the ruling of a modern state vis-à-vis to a patrimonial state, which was reigned by the sovereign. The term refers to the ruling according to rational principles, which are intrinsic to it. Governing refers to conducting the affairs of the population and the organizations and institutions that it encompasses in the interests of the whole. Governing signifies the responsibility of the government and state agencies. It is a per29
Leftwich, States of Development (note 20), pp. 123-124. See /. Shihata, Complementary reform: Essays on legal, judicial and other institutional reforms supported by the World Bank, The Hague 1997, p. 14 and pp. 67-96. 30
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vasive complex and a heterogeneous set of activities. 31 For Nicolas Rose, who has analyzed governing process from the perspective of Michel Foucault, governing is neither a concept nor a theory, but a perspective that brings into view a heterogeneous field of more or less calculated attempts to shape the conduct of persons, populations, and things towards desired ends. It addresses an array of lines of thought, of will, of inventions, of programs and failures of acts and counteracts. A l l governing is not formally rationalized as macroeconomic management, or social policies, but receives its expression in practical rationalities within particular types of practice - for example in police work. 32 Pierre and Peters have summarized the conventional view of governing in four points. They are 1) state centrism - state as an undisputed locus of power, 2) institutional insulation and homogeneity - the Weberian view of government, 3) state sovereignty and superiority - the powers and capabilities of the state are absolute rather than relative, contextual and negotiable and 4) constitutional issues and arrangements - political rules of the game do not develop organically. 33 In this article, the term governing refers to a set of principles, norms, rules and decision-making procedures around which actors' expectations converge at a certain time. Governing regime refers to the use of these principles and norms, which are applied at a certain time in governing the country. Every regime of rule has certain defined characteristic features and properties. Relations between society, economy and international systems determine the general nature of the governing regime. Most important of these are 1) basic principles for the use of political power, as well as structures of authority and hierarchy, 2) rules for the conduct of public functions, 3) principles for the selection, monitoring and replacement of leaders, and 4) basic principles for division of labor between the state, market, society and the citizens. They define 1) how citizens and market actors participate in governing and how accountability is arranged, 2) transparency and openness of the governing system and 3) its legitimacy bases, for example rational calculation, trust, tradition or force. All major discourses of modern governance try to reform at least some of these principles. The discourses reflect the changing values of the citizens (individualization and criticism against state control of privacy) and the incremental break of traditional governing practices. Structural differentiations of society, pluralization of life styles and fragmentation of states have enhanced the erosion of social values. The discourse maintains that these changes have transformed or set pressure to transform a hierarchically organized socio-
31 B. Hindess , Divide and Govern, in: R.V. Ericson/N. Stehr (eds.), Governing Modern Societies, London 2000, pp. 119-120. 32 Rose, Governing Liberty (note 16), pp. 142-144. 33 Pierre/Peters, Governance, Politics and the State (note 22), pp. 79-83.
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political system towards a lateral multi-actor system. Participatory demands and the growing sense of civic responsibility will challenge present up-down authority structures as well. 3 4 Theoretical discourses of governance have produced long lists of characteristics for a modern governance regime. However, these do not yet form a comprehensive governance regime, but indicate a birth of a new regime type. Based on different signals, first weakly articulated propositions of new governance regime can be drafted. It does not have a coherent theoretical background, but mostly support from different national government practices. Its main elements are 1. State, market and society form the three pillars of governance. 2. Markets, states and society are integrated into international and transnational activities and developing global governance arrangements. 3. Responsibility of exploitation of the fruits and minimizing the risks of globalization is on the national level. 4. The present socio-political system is characterized by differentiation, growing autonomy of market actors, individualistic attitudes of citizens, citizens' awareness of their constitutional rights and participatory revolution of civil society. 5. Governance of markets and society is collaborative in nature and aims at common problem-solving. 6. The state's role in governance of market and society is to support their self-government and provide an enabling environment for success. As a source of public power and the executor of public authority, the state defines their institutions after consultation with major actors, and monitors their effective functioning. 7. The state has the responsibility to design, monitor and implement a consistent set of national policies. 8. The state supports the building of social capital. 9. The state protects privacy and individualism and fosters a manifold of social structures. 10. Transparency, accountability, trust and networking are major principles of coordination. 11. Economic growth and success is based more and more on knowledge.
34 See for a discussion of recent changes A. Giddens (ed.), Sociology. Introductory Readings, Cambridge 2001 (Rev. ed.).
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12. Growth of knowledge and good governance in all levels of society and markets dominates progress and sustainable development. 13. Politics is based more on ethics than on political ideologies. 14. Rights and responsibilities are in proportion to each other. These features suggest an interactive and network-based governance regime, which challenges many of the present forms of the state centered up-down governing regime. Bob Jessop calls this change to a tendency towards heterarcy, which emphasizes self-organization, multilateral negotiations, partnerships and networks. 35 In an idealized case all market actors and non-governmental organizations will work together in a problem-solving oriented way in order to reach an agreement of their basic interests. They form a network of free communication. The new political governance model creates conditions for the increased autonomy of the markets and society, because political processes are multipolar in nature. It is worth considering the possible dangers of such a development. Perhaps the biggest threat is that unlimited multipolar and lateral power structures will transfer the present concentration of political power of the state into the hands of well organized private interests and leads to the rule of monopolies and oligarchs without adequate political control. The danger of unlimited concentration of power is possible and even probable, if not dealt with - it can thus violate democracy. The concentration of power can be prevented through the traditional system of checks and balances, through legitimacy of political governance and with an intelligent division of labor between different actors of society and markets. The government should preserve its unipolar position as a central authority of orchestring the governance process and persuade economic, social and political actors constructively to adjust their self-governance into the frame of the general governance regime. The organization of the state should be such that it prevents the concentration of power. Even though I am critical to extreme ideas of lateral and heterarchic sociopolitical systems, which do not prevent the concentration of power, I defend steps towards new public-private partnerships and moderate self-steering of social and economic organizations and a transfer of public regulation functions to the markets and society. The new discourse of governance aims at a balanced equilibrium of state, market and society and a growing self-governance of eco-
35 See B. Jessop, The Rise of Governance and the Risks of Failure: the Case of Economic Development. In: UNESCO, ISSJ, No 155/1998, pp. 29-45. See also A. Dunshire , Tipping the Balance: Autopoiesis and Governance, in: Administration and Society 28, 1996, pp. 299-334.
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nomic and social organizations. 36 Because regime change is always a long-term process, there are no quick results, and we should not abandon the reform ideas when they face their first failures and malpractices.
IV. Challenges of governance for public administration Public administration has been one of the major actors in the traditional governing regime. It has represented permanence and professional expertise in executive power and has safeguarded the rule of law and defended general will and public interest. A major question of this article is: Will the new regime of governance change the present conception of public administration and if so, how? There are no easy answers, because the present discourse of governance has not specified the implications of the new regime to public administration and experiences are scattered. The New Public Management-agenda from the 1980s and 1990s was borne on different backgrounds long before the birth of the regime of governance and it does not offer answers. In most countries public administration is based on at least the following three principles: 1) public administration is under political control, 2) separation of power maintains the traditional equilibrium among the three branches of government (legislative, executive and judiciary power) and 3) professional and technical skills of civil servants are defined to insure rationality in public administration, in policy formulation and in policy implementation.37 These principles are valid and their validity has not been questioned. The discourse of governance is setting forth a fourth principle: 4) public administration should abide by its tasks and not interfere in such functions which do not belong to its territory. Adaptation of a new regime of governance can have deep impacts on the relations between administration, society and markets, if the regime will be implemented in its most radical way. If networking, deregulation and the up-down nature of governance will become a reality, the role of representative institutions in governing will decrease and markets and society will receive more freedom and governance responsibilities. In addition, the new governance regime can reduce the accountability of public administration to elected representatives, because networking and corporatist interest representation in administration undermine present steering and accountability mechanisms. All such arrangements, which reduce political control of public administration, should be 36 A. Dunsire, Modes of Governance, in: J. Kooiman (ed.), Modem Governance (note 6). 37 /. Sharkansky, Public Administration. Agencies, Policies, and Politics, San Francisco 1982, pp. 39-45.
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studied carefully, because serving public interest 38 is the basic reason for all public tasks. I f this connection and accountability of public functions will disappear, it is justified to ask why to preserve such tasks in the public domain at all. Regime change from governing to governance, which neutralizes public interest as the dominant factor of public administration, cannot be done through administrative practices without relevant constitutional reforms. It can neither be a result of theoretical discourses nor incremental administrative practice. Klaus König has raised similar doubts of New Public Management ideas, because they have touched the sensitive question of democracy. 39 In most countries the principles of organization and decision-making practices of public administration are defined in legislation. It holds the implementation of general will accountable and under control, protects individual privacy against state control and safeguards equity in administrative decision-making. Are these principles relevant in future governance as well? They are of vital importance in all strategic functions of the state. From administrative history we know that deregulated administration, networking and managerial freedoms have boosted corruption, graft, and bribes and opened doors for the most powerful to push their own interests at the expense of less organized interests. The bases for these fears have not changed. Democracy is the major argument in defense of regulated implementation of the general will. 4 0 Democratic theory has supposed that certain structural and functional organization forms of public administration are guarantees against maladministration. A l l students of public administration do not share the view. For example Vincent Ostrom says that „bureaucratic structures are necessary but not sufficient structures for productive and responsive public service economy. Particular types of public goods and services may be jointly provided by the coordinated actions of a multiplicity of enterprises transcending the limits of particular governmental jurisdictions. Some of these multi-organizational arrangements may take on characteristics analogous to industries composed of many different government agencies."41 Herbert Simon, who regards efficiency
38 See for a discussion of public interest B. Bozeman, Public Management and Policy Analysis, New York 1979, pp. 73-80. 39 Κ . König, Zur Managerialisierung und Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltung, Speyer 2000; Κ König, On the Critique of New Public Management, Speyer 1996. 40 See C. J. Friedrich, Constitutional Government and Democracy, Boston, Mass. 1941; C. J. Friedrich , Public Policy and the Nature of Administrative Responsibility, in: C. J. Friedrich/E. S. Mason (eds.), Public Policy, Cambridge, M A 1940, pp. 3-24; Κ König, Verwaltete Regierung: Studien zur Regierungslehre, München 2002. 41 V. Ostrom, The Intellectual Crisis in American Public Administration, Alabama 1974 (rev. ed.), pp. 19-20.
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as the dictating principle in public administration, has a similar message. The nature of the tasks and its major functioning principles dictate the choice that produces the largest results from the given application of resources. 42 The Finnish government has tried to solve conflicting demands of one the hand efficiency and flexibility and on the other hand safeguarding the general will by modernizing the conceptions of public administration and by abandoning the unitary administrative organization model. 43 The government emphasizes that the nature and basic values of public functions should define the organization and management solutions in the public sector. Major public tasks are broken into three main segments. They are 1) administrative and governance functions involving the exercise of public power, 2) public service functions that do not involve the exercise of public power, 3) public business and production functions. The exercise of public power belongs to the responsibility of public authorities that are responsible to provide policy advice to the government. Public enterprises and companies are responsible for the government's business and commercial tasks. Different functions should not be managed, steered, financed and regulated in a unitary but in differentiated way, because their values are not similar. Each of these functions has their own organization, steering, financing, accountability, control and personnel principles. This differentiated governance model is based on the idea that even if future socio-political systems will not be as hierarchical as present ones, the state will preserve its traditional responsibilities in governing and steering the nation. In the new governance regime the state does not want to bear old top-down governing responsibilities and produce all present public services and business functions. In contrast it wants to act as a supervisor of smoothly and efficiently functioning markets and society. It defines, develops and strengthens their internal institutions and enhances capacities of market actors and civil society for self-governance. The state will receive new coaching, promoting, monitoring and institution- and capacity-building tasks, which will be used via persuasion, negotiation and institutional safeguards, not through power. Responsibility of these tasks belongs for the government of the country, and public administration acts as initiator, coordinator and enforcer of public goods and the general will. Public administration - not organizations responsible of public services and public business functions - must have strategic energy and authority to secure authoritative implementation of governance decisions. 42 H. A. Simon, Administrative Behavior, New York 1947, referred to in Ostrom, The Intellectual Crisis in American Public Administration (note 41), p. 42. 43 Government Decision-in principle on Reforms in Central and Regional Government. Ministry of Finance. Finland, Helsinki 1993 (http://www.ktm.fi/stateownership/ ), (visited 12/12/2001). See for a discussion of it S. Tiihonen, Towards a New Kind of State Sector, in: J. Selovuori (ed.), Power and Bureaucracy in Finland, Helsinki 1999, pp. 227-236.
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The basic idea in the above mentioned governance regime is to differentiate the management of public functions and to create conditions for more flexible and indirect governance practices. Public administration should not interfere in the production of public services and public business functions. Its major tasks is to help the government in strategic policy formulation and choice of policy outcomes. Public administration will preserve its sovereign and superior position as the guardian of order and public good and the promoter of economic growth and well-being for the citizens.44 It has a strategic position as a neutral and professional participant in conflicts of interest acting in an orderly and nonviolent fashion. It does not have goals of it own, but tries to maintain a system equilibrium and stability. 45 Monitoring of economic and social development of the nation, delivery of comparative information about competitiveness of businesses, enhancing efficiency and effectiveness in markets, cohesion in society and effectiveness of policies are important new governance tasks of public administration. Joseph Stiglitz has emphasized that in order to fulfill these tasks in the best way, the processes of governance have to be open and transparent. 46 It increases trust on governance and on its efficiency. New governance methods and instruments, which support capacity building for self-governance in markets and society, are based more on information, norms and values than on governing by force, rules and direct top-down hierarchical leadership. 47 The purpose of such institutional governance mechanisms is to enhance self-governance in markets and society and to promote mentality of mutual trust and consensus. Transparency and openness are important prerequisites in this strategy. Openness is a demanding principle, because it reveals possible betrayals of trust and inefficiencies in governance. I f trust on public authorities or trust between population groups and social partners is destroyed, le-
44 Pierre/Peters, Governance, Politics and the State (note 22), pp. 81-83 are afraid that the state will lose its central position in the regime of governance. 45 L C. Gawthrop, Administrative Politics and Social Change, New York 1971, p. 43. 46 J. Stiglitz, Transparency in Government, in: The Right to Tell, Washington DC 2002, pp. 27-44. 47 See for a discussion of modern policy instruments in L. M. Salamon (ed.), The Tools of Government. A Guide to the New Governance, Oxford 2002, and Safeguarding the public interest, The Netherlands Scientific Council for Government Policy, The Hague 2001. http://www.wrr.nl/HTML-EN/BasisPU-EN.html (visited 18.11.2002). Analysis of traditional tools of instruments in: M. J. Trebilcock et al., The Choice of Governing Instrument, Ottawa 1982.
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gitimacy of the governance regime collapses more easily than in traditional topdown governing. Government intervention is the only possibility after that. 48 The new governance regime is more demanding than the old hierarchical governing regime. Governance of markets and society requires from public administration firm mastery of policy politics and the capacity to design policy regimes and to find new kind of policy instruments. It is not losing its responsibilities to master rules of political governing, which are composed of political process and policy process. Even if civil servants are not experts of political processes, they have to know well the rules of the game and power relations of partisan politics as well. Political processes are more important in ministerial administrations than at the lower levels of administration. Ministerial civil servants have to abide by them and to know the rules, but not to interfere with them. It is common that top-level administrators participate in the policy processes as mediators, as a link between the private interest groups, political actors in legislative committees and in government. Gawthrop says: „Quite frequently the extent to which political conflicts are contained within the rules of the game depends on the success of the administrator in finding the common ground of agreement on which all other participants are willing to gather. It is the administrator who frequently is in the best position to exert a positive control over conflict situations, and within the pluralist framework, the manner in which conflict is ultimately controlled represents a factor that is critically related to the maintenance of system stability and order." 49 The major fields of expertise of public administration are public policy and governance processes of state, markets and civil society. In most countries policy principles have developed slowly and in an incremental way. Revolutions and comprehensive policy reforms are seldom, while updating the rules of the game is a permanent task. Major phases of updating present regimes and design of new regimes are 1) rule-making, 2) institution design and 3) organization design. Updating of governance regimes leads in most cases into new policy politics. Globalization and ever changing rules of open market competition of the companies sets pressure for reform and renewal of governance methods. The findings of our discussion of new governance can be summarized in five points. First, the new governance regime will set higher quality requirements for public administration and civil servants. Political governance will not be delegated to markets and non-governmental organizations, even though self48 In the USA scandals of Enron have shown, that Enron manipulated deregulated energy markets on its own advantage. It abused accounting standards and corporate governance frameworks. Enron promoted through party financing its economic interests in government. 49 See of this Gawthrop, Administrative Politics and Social Change (note 45), pp. 42-44.
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governance of markets and society will increase. When openness and transparency in governance increases, markets and society will evaluate its quality and results all the time. Second, the instruments of governance will not belong to the sole authority of administration but are a result of integrated and open networking and negotiation. Third, when public administration will get rid of business and service functions which do not belong to the core of public interest, public administration will concentrate on strategic management and governance functions of the nation. Fourth, qualifications of civil servants will be broadened from administrative expertise and mastery of the logic of political and policy process to institutions of markets and society. Fifth, step from governing to governance regime is a slow process.
Die Deutsche Sektion des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften Kooperation, Vergleich, Beratung Von Heinrich Siedentopf, Speyer
Klaus König hat in seiner Abschiedsvorlesung vom 11. Dezember 2002 seine berufliche und persönliche Entwicklung mit einer Reise durch die Landschaften der Verwaltungswissenschaft und der Verwaltungspraxis verglichen. Für diese Reisen war die Deutsche Hochschule fur Verwaltungswissenschaften Speyer so etwas wie der Stammhafen, von dem aus er seine Exkursionen vorbereiten und auswerten konnte, zu dem er auch nach Ausflügen in die Politik wieder zurückkehren konnte. In seiner Abschiedsvorlesung, aber auch in seinen bibliographischen Angaben werden die Erträge und Publikationen unter den Stichworten Verwaltungsmodernisierung, Globalisierung und Internationalisierung der öffentlichen Verwaltung präsentiert. In der deutschen Wissenschaftsgemeinschaft mit Bezug auf die öffentliche Verwaltung werden Exkursionen und Auslandsaufenthalte hin und wieder mit kritischen Augen betrachtet und auf nachträgliche Rechtfertigungen durch Publikationen abgesucht. An solchen Publikationen besteht in der Bibliographie von Klaus König gewiss kein Mangel. Außerdem sollte man sich erinnern, dass der Autor des Parkinson'sehen Gesetzes1 diese fundamentale Interpretationsregel für Entwicklungsrichtungen der öffentlichen Verwaltung während eines Forschungs- und Lehraufenthaltes in Singapur entwickelt, publiziert und seinen dortigen Studenten gewidmet hat. Im Ausland sind sich Klaus König und der Verfasser dieser Zeilen häufig begegnet, auch wenn wir uns in Speyer gerade wieder einmal wegen Terminschwierigkeiten verfehlt hatten. Dieser Beitrag soll eine Institution nationaler und internationaler Kooperation darstellen, die Deutsche Sektion des Internationalen Instituts fur Verwaltungswissenschaften.
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C. N. Parkinson, Parkinson's Law, New York 1957.
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I. Lectures im HAS Das Internationale Institut für Verwaltungswissenschafiten (Institut International des Sciences Administratives = USA, International Institute of Administrative Sciences = ILAS) mit Sitz in Brüssel ist die älteste Einrichtung für wissenschaftliche Veranstaltungen, Forschung und Information im Bereich der öffentlichen Verwaltung. Das ILAS wurde nach vorbereitenden, internationalen Kongressen zu Problemen des Verwaltungsrechts und der Verwaltungsmethoden im Jahre 1930 in Madrid gegründet. Nach Art. 4 der Statuten2 ist es das Ziel des Instituts, die Entwicklung der VerwaltungsWissenschaften zu fordern, die Organisation und die Funktionsweise der Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung zu verbessern, die Arbeitsmethoden und -techniken der Verwaltung zu vervollkommnen und zum Fortschritt der internationalen Verwaltung beizutragen. Mitglieder des Instituts können Staaten - zur Zeit etwa 46 - , internationale Organisationen wie die Europäische Kommission, die Weltbank und die OECD, nationale Sektionen des ILAS - zur Zeit etwa 50 - und individuelle oder kollektive Mitglieder sein. Diese Mitgliedschaften schaffen in dem IIAS ein einzigartiges Netzwerk der Experten für die Wissenschaft und Praxis der öffentlichen Verwaltung, ein Netzwerk, das auf eine internationale Kooperation, auf Vergleich und auf Beratung angelegt ist und das die Ergebnisse seiner Arbeit in Konferenzen, Kongressen, Symposien und Seminaren offen legt. Im Jahre 2002 übernahm das ILAS aus der angelsächsischen Universitätstradition eine neue Form für die Ehrung hervorragender und verdienter Mitglieder ihrer Gemeinschaft durch spezielle, wissenschaftlich orientierte Lectures. Diese erste Ehrung galt dem früheren Generaldirektor (1979-81) und Präsidenten (1992-95) Guy Braibant, Mitglied des französischen Conseil d'Etat. Unter dem eher blassen Titel „The past and future of public administration" 3 präsentierte Braibant die verschiedenen, kontroversen Einflüsse und Erwartungen, denen die öffentliche Verwaltung in den Industriestaaten wie auch in den Entwicklungsländern heute ausgesetzt ist: Tradition und Beharrungsvermögen ebenso wie Anpassung und Modernisierung, wachsender Umfang wie Ausgliederung, Transparenz und Teilhabe an der öffentlichen Verwaltung. Zu Wort kam in dieser Lecture ein eindrucksvoller Repräsentant der französischen Verwaltungskultur und zugleich einer der Autoren der Europäischen Charta für Menschenrechte mit dem in Art. 43 enthaltenen Anspruch des Bürgers auf eine „gute Verwaltung". Der Zusammenfassung seiner Lecture wird man sicherlich zustimmen können: eine Verständigung über die grundlegenden Verwaltungsprin-
2 Statutes, Rules and Regulations of the International Institute of Administrative Sciences, adopted on 16 July 1997 by the Council of Administration. 3 G. Braibant , The past and the future of public administration, in: International Review of Administrative Sciences 2002, S. 333 ff.
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zipien wird dringender in einer Zeit, in der die internationale, grenzüberschreitende Kooperation zwischen den nationalstaatlichen und den supranationalen Verwaltungen immer intensiver wird und sich dabei verwaltungskulturelle Spezifika verstärkt auswirken. Kooperation setzt auch die Kenntnis des Partners voraus. Dies gilt insbesondere für die Erweiterung der EU. Im Jahre 2003 wurde Klaus König eingeladen, seine Lecture in Brüssel vor einem internationalen, sachverständigen Publikum zu geben. Mit dieser Einladung sollten seine verwaltungswissenschafitlichen und -praktischen Leistungen im IIAS und seine Projekte und Veranstaltungen, ganz direkt und praktisch sein langjähriges Mitwirken in dem Exekutiv-Komitee des IIAS, zuletzt als Vizepräsident für West-Europa, gewürdigt werden. Über mehrere Jahre hinweg hat Klaus König die inhaltlichen Debatten im Exekutiv-Komitee und die Verfahrens· und haushaltsbezogenen Kontroversen in diesem Gremium beeinflusst und mitgestaltet. Zugleich war Klaus König auch mehrere Jahre lang Vizepräsident der Deutschen Sektion des IIAS. Er konnte dadurch zu einer Abstimmung der Programme und Projekte auf beiden Ebenen beitragen. Er konnte dabei seine internationalen und interdisziplinären Orientierungen einbringen, seine über den europäischen Raum hinausgehenden Personenkenntnisse und Erfahrungen in internationalen Verwaltungsprojekten und sein Interesse an der Typisierung und Typologie von Verwaltungsphänomenen. In seiner Brüsseler Vorlesung vom 26. März 2003 hat Klaus König diese Methode der Typologie 4 genutzt, um Kategorien der öffentlichen Verwaltung gegenüberzustellen. Zu Recht verweist er dabei darauf, dass er seit langem ein wissenschaftliches Interesse an der typologischen Erfassung öffentlicher Verwaltungen verfolgt. Hat er doch Differenzierungen wie civic culture administration in den USA und Großbritannien einerseits und classical bureaucracy in Frankreich und Deutschland beschrieben und den deutschen Verwaltungswissenschaftlern zugänglich gemacht. Wenn wir bisher die organisatorische und rechtliche Kontinuität der Verwaltung in den europäischen Nationalstaaten festgestellt haben, so sind im Rahmen der europäischen Integration doch auch jetzt starke Momente der Konvergenz und des Leistungsvergleichs zu erkennen. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich - wie der Verfasser dieses Beitrages in der Speyer-Maastricht-Studie von 19885 - mit der Implementation des Gemeinschaftsrechts in den Staaten der EU befasst. Kurz vor der Erweiterung der EU stellt sich nicht nur im Blick auf die Beitrittskandidaten die Frage ganz konkret, welche inhaltlichen Implikationen der Begriff des European Administrative Space in der Praxis hat. Die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer hat mit der Deutschen Sektion des IIAS dazu im Herbst 2002 eine Tagung durchgeführt.
4 Κ . König , On the typology of public administration, Second "Braibant Lecture", IIAS, Brüssel 2003. 5 Η. Siedentopf und / Ziller, Ed., Making European Policies Work, Brüssel 1988.
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Klaus König hat diese Fragestellung auf einer noch höheren Plattform behandelt, auf der Ebene der Vereinten Nationen und der Weltbank und im Rahmen des Weltentwicklungsberichtes 1997 „Der Staat in einer sich ändernden Welt". Er hat auch zu Recht erkannt, dass diese Perspektiven in einen entsprechenden Ausbau der Weiterbildung der öffentlichen Bediensteten aufgenommen werden müssen. Dies ist für ihn die eigentliche Modernisierung des Staates und der Verwaltung, für die er die Anforderungen und die Bausteine aus der Vielgestaltigkeit seiner Berufsabschnitte ableitet. Dabei gelingt es ihm, den reichen Schatz seiner Erfahrungen anschaulich und überzeugend auszubreiten und Vergleiche und Querverbindungen überraschender Art herzustellen.
I I . Strukturen der Deutschen Sektion Dieser Beitrag hat das Ziel, die Arbeit der Deutschen Sektion vorzustellen, in der der Verfasser - selbst Präsident der Deutschen Sektion in den Jahren 1992 bis 1996 - mit Klaus König tätig sein durfte und in der wir ein freundschaftliches und fachliches Prinzip der Arbeitsteilung und Kooperation praktiziert haben, sowohl in der Deutschen Sektion als auch in dem ILAS selbst. Zunächst sollen die Arbeitsweise der Deutschen Sektion und ihre Organisation vorgestellt werden, und zwar sowohl in ihrer Wirkungsweise nach innen, d. h. als eine Plattform der Begegnung von Wissenschaft und Praxis, von Verwaltung des Bundes, der Länder und der Kommunen als auch in der Kooperation mit ausländischen oder internationalen Verwaltungen. Als herausragende Beispiele sind hier zu referieren die sog. Drei-Länder-Tagungen, die in regelmäßigen Abständen die Teilnehmer aus den deutschsprechenden Ländern (Deutschland, Österreich und Schweiz) zusammenführen. Die letzte Tagimg dieser Art fand im September 2003 in Berlin zu dem Thema „Migration als verwaltungspolitische Herausforderung" statt. Daneben hat die Deutsche Sektion aber auch bilaterale, deutsch-französische oder deutsch-chinesische Tagungen durchgeführt und schon frühzeitig mit Vertretern aus Verwaltung und Wissenschaft in einen Dialog geführt. Prof. Dr. Gerhart Holzinger hat 2002 über „Das Internationale Verwaltungswissenschaftliche Institut und die Verwaltungswissenschaft in Österreich" in der Festschrift für Walter Barfuss berichtet. 6 In diesem Beitrag werden minutiös und umfassend die Entstehung und die Wirkung der verwaltungswissenschaftlichen Projekte zusammen mit den Initiativen und den Unterstützungen der österreichischen Regierung dargestellt. Zu Recht wird der Höhepunkt dieser Ent6 G. Holzinger, Das Internationale Verwaltungswissenschaftliche Institut und die Verwaltungswissenschaft in Österreich, in: Ein Leben in Praxis und Wissenschaft, Festschrift Walter Barfuss, Wien 2002, S. 95-111.
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wicklung und der Kooperation mit dem IIAS in dem XXIII. Internationalen Kongress im Juli 1992 in der Hofburg in Wien gesehen. Unter dem wenig anschaulichen Generalthema „Öffentliche Verwaltung in den 90er Jahren: Trends und Neuerungen" konnte das Gastgeberland Vertreter aus 78 Staaten und von 14 internationalen Organisationen begrüßen. Ähnlich wie bei dem XIX. Internationalen Kongress 1983 in Berlin war dies auch ein Anlass für ausführliche Publikationen und mehrsprachige Sammelbände zur Verwaltung des Gastgeberlandes. Organisatorische Parallelitäten zwischen Österreich und Deutschland lassen sich schnell feststellen: der Zusammenschluss von Verwaltungswissenschaftlern und -praktikern besteht in der Rechtsform eines Vereins und dieser ist zugleich die nationale Sektion des IIAS. Der Name des Vereins in Österreich wurde 1988 durch eine Satutenänderung umformuliert in „Österreichische Verwaltungswissenschaftliche Gesellschaft". Der Vereinszweck ist deckungsgleich mit dem Auftrag der Deutschen Sektion: Der Verein bezweckt nach § 2 der Statuten von 1988, „der österreichischen Verwaltung durch wissenschaftliche Forschungen auf den Gebieten des Verwaltungsrechts, der Verwaltungslehre und der Verwaltungspolitik sowie durch Vermittlung von Kenntnissen ausländischer und supranationaler Verwaltungseinrichtungen neue Impulse zu geben." Für die Deutsche Sektion liegt bisher eine entsprechende Darstellung der Organisation und Aufgaben nicht vor. Der Anlass dieser Festschrift für Klaus König sollte einen vergleichbaren Überblick und Aufriss der Deutschen Sektion und ihrer Arbeit in den letzten Jahren rechtfertigen. Der Deutschen Sektion wird manchmal der Vorwurf gemacht, über ihre Aktivitäten auf nationaler wie internationaler Ebene nicht ausreichend zu berichten und damit auch die Teilnahmechancen tatsächlich auf einen Kernbestand an Mitgliedern zu begrenzen. Dem steht allerdings die Tatsache entgegen, dass generell für die Deutsche Sektion und speziell für einzelne Projekte nationalen oder internationalen Zuschnitts immer wieder zur Interessenanmeldung und Mitwirkung eingeladen wird. Auch die Mechanismen für die Übertragung bestimmter Funktionen sollten Beweglichkeit und Veränderung ermöglichen. Dazu ist in der Darstellung der Organisation von ILAS und Deutscher Sektion noch einiges zu sagen. Die Deutsche Sektion hat eine nationale und zugleich eine internationale Funktion. Das lässt sich sowohl in der personellen Zusammensetzung der Mitglieder und des Vorstandes als auch in den Arbeitsfeldern erkennen. Die Deutsche Sektion wird insbesondere in ihren internationalen Aufgaben, in ihrer Präsenz bei den internationalen Aktivitäten des ILAS durch die Bundesregierung, speziell durch das Bundesministerium des Innern unterstützt. Das gilt für die Finanzierung der Aktivitäten und Projekte wie auch für die Erstellung der nationalen Berichte und die Bereitstellung von Daten und Informationen für den internationalen Vergleich. Der Bundesminister des Innern bestimmt den Generalsekretär der Deutschen Sektion. Dieser vertritt die Bundesregierung im Ver-
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waltungsrat des IIAS. Das fuhrt auch zu einer erfreulichen Kontinuität in der Person des Generalsekretärs, erwähnt seien die langen Amtszeiten der letzten Generalsekretäre Dr. Hans-Joachim von Oertzen, Dr. Dietmar Seiler und Dr. Christoph Hauschild. Der Vorstand, der jeweils auf zwei Jahre von der Mitgliederversammlung der Deutschen Sektion gewählt wird, besteht aus einem Präsidenten bzw. einer Präsidentin sowie einem/einer Vizepräsidenten/in. Abwechselnd wird die eine bzw. die andere Funktion von einem Verwaltungswissenschaftler bzw. einem Verwaltungspraktiker wahrgenommen. Die letzten Präsidenten Bürgermeister Weichmann, Oberbürgermeister Hans Reschke, Prof. Joseph K. Kaiser, Staatssekretär Franz Kroppenstedt, Prof. Heinrich Siedentopf, Oberbürgermeisterin Beate Weber und Prof. Hans Peter Bull zeigen an, wie dieser Wechsel umgesetzt wurde. Jeder Vorsitzende konnte trotz der kurzen Zeit von i. d. R. zwei Jahren auch eigene Schwerpunkte realisieren. Die Mitglieder der Deutschen Sektion teilen sich auf in eine Fachgruppe Verwaltungswissenschaft und eine Fachgruppe Verwaltungspraxis, ohne dass dies erhebliche inhaltliche Unterschiede zur Folge hätte, da die Projekte und Veranstaltungen in der Regel gemeinsam und konsensual beraten und vorbereitet werden. Weitere wichtige Strukturen für den Vorstand der Deutschen Sektion ergeben sich aus funktionalen Vorgaben für einige Sitze in diesem Gremium, die zum Teil ohne Wahl besetzt werden. Dies gilt etwa für den Vertreter des Bundesministeriums des Innern und für den Vertreter des Bundesrechnungshofes. Die zwei Vertreter der obersten Landesbehörden, ein Vertreter der Kommunalverwaltung und ein Vertreter der Verwaltungsgerichtsbarkeit werden durch ihre Verwaltungsebene benannt und in der Mitgliederversammlung regelmäßig gewählt. Bisher hat diese ,3estellungspraxis" eine erhebliche, personelle Kontinuität sichergestellt. Dies ist eine nicht zu unterschätzende Perspektive für eine Aufgabe, die vor allem Arbeit und Pflichten mit sich bringt. Für Neuaufnahmen in die Mitgliederschaft werden Voraussetzungen hinsichtlich der beruflichen, praktischen oder wissenschaftlichen Erfahrung geltend gemacht, nicht zuletzt auch die Voraussetzung der Sprachenkenntnis. Hinsichtlich der fachlichen Ausrichtung der Mitglieder reflektieren diese auch die tatsächliche fachliche Orientierung im öffentlichen Dienst, insbesondere im allgemeinen, nicht-technischen Verwaltungsdienst, aber auch die Befassung der Rechts- und Verwaltungswissenschaft mit Themen der öffentlichen Verwaltung. In den letzten Jahren ist eine Ausweitung der neuen Mitglieder in Richtung auf Wirtschafts- und Sozialwissenschaften erfolgt, die sich auch in den Themen der Veranstaltungen niederschlägt. Eine erfreuliche und erstaunliche Offenheit gegenüber diesen Disziplinen und Fragestellungen lassen aber schon frühere Aktivitäten erkennen, ζ. B. für die Tagung 1978 in Mannheim mit dem Thema „Das Dilemma des öffentlichen
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Dienstes - Anspruch, Erwartungen, Realitäten", die unter der Leitung von Prof. Eberhard Laux stattfand. 7 In den Referaten waren neben Juristen Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler, Politikwissenschaftler und Praktiker der Hamburger Verwaltung sowie ein Vorstandsmitglied der Volkswagen AG und aus der Vergleichenden Verwaltungswissenschaft ein englischer Wissenschaftler beteiligt. Diese Tagung war ein Beispiel der Kooperation und des Vergleichs, der fachlichen und methodischen Offenheit, die die Deutsche Sektion zu einer Plattform der problembezogenen, multidisziplinären Kommunikation gemacht haben. Die Deutsche Sektion hat kein inhaltliches oder fachliches Monopol auf verwaltungsbezogene Projekte oder Veranstaltungen; sie ist bereit und interessiert daran, mit anderen Einrichtungen bei übereinstimmenden Interessen auch zusammenzuarbeiten. Das gilt ζ. B. für Veranstaltungen mit dem Forschungsinstitut der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer ebenso wie für die Universität Potsdam oder die Bundesakademie für öffentliche Verwaltung oder das Hamburger Seminar für Verwaltungslehre. Die Deutsche Sektion macht von ihren personellen Kontakten und Möglichkeiten Gebrauch, nicht zuletzt auch von ihren finanziellen Möglichkeiten. Zu den regelmäßigen, grenzüberschreitenden Tagungsprojekten gehört die Mitwirkung der Deutschen Sektion an den Drei-Länder-Tagungen der Deutsch sprechenden Ländersektionen Deutschland - Österreich - Schweiz. Nicht nur ist für diese Tagungen der finanzielle Aufwand erheblich geringer und die Themenfindung erheblich einfacher. Der Kontakt und die Tagungen beziehen sich manchmal auch auf Gegenstände, die im Rahmen der europäischen Integration eine direkte, praktische Relevanz haben. Die Texte und Ergebnisse dieser Tagungen werden regelmäßig kurzfristig veröffentlicht. Im Rahmen der Öffnung Chinas in einigen Verwaltungsthemen gegenüber der westlichen Welt in den 90er Jahren kam ein Kontakt zwischen der Deutschen Sektion und der Chinesischen Gesellschaft für öffentliche Verwaltung zu stände. Das I. Chinesisch-Deutsche Verwaltungskolloquium 8 fand im Oktober 1996 in Peking statt und konnte erste fachliche Kontakte und Aussprachen herstellen. Allerdings ist es nicht ganz einfach, die „Nachhaltigkeit" solcher Kontakte sicherzustellen; so bleibt die Kommunikation in einem bestimmten Grad abhängig von der fachlichen und politischen Großwetterlage und ihren Veränderungen in beiden beteiligen Ländern. Immerhin wurde ein damals überzeugender fachlicher Beginn einer Kommunikation realisiert. Auch im Verhältnis der deutschen zu der chinesischen Verwaltungswissenschaft gilt es zu beachten, 7
E. Laux, Das Dilemma des öffentlichen Dienstes, Schriften der Deutschen Sektion des Internationalen Instituts fur Verwaltungswissenschaften, Band 4, Baden-Baden 1978. 8 H. Siedentopf, Hrsg., Öffnung und Kooperation, 1. Chinesisch-Deutsches Verwaltungskolloquium, Schriften der Deutschen Sektion, Band 23, Baden-Baden 1997.
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dass eine Vielzahl von Kontakten besteht und dass dazu auch individuelle und institutionelle Kontakte durch die politischen Stiftungen geschaffen werden, die erhebliche Bewegungsmöglichkeiten in finanzieller Hinsicht vorweisen und deshalb auch für die ausländische Seite ein attraktiver Partner sein können. Die Deutsche Sektion ist wegen ihrer funktionalen Verknüpfung und der Finanzierung durch Bund, Länder und Gemeinden nicht als eine nur wissenschaftliche Gesellschaft für öffentliche Verwaltung zu verstehen - wie etwa die Österreichische Gesellschaft nach ihrer Umstrukturierung. Eine vergleichbare Umstrukturierung drängt sich für Deutschland nicht gerade auf. Gesicherte Kontinuität ist heute ein wichtiges Gut.
H L IIAS: Organisation, Arbeitsweise Das IIAS ist eine erstaunliche Mischung von Staaten, internationalen Organisationen, aber auch von individuellen Wissenschaftlern und Forschungseinrichtungen. Verständlicher Weise haben die Mitgliedstaaten schon auf Grund ihrer Mitgliedsbeiträge den entscheidenden Einfluss. Dies gilt auch für die Staaten, in denen die jeweiligen Veranstaltungen wie die wissenschaftlichen Konferenzen und die Kongresse ausgerichtet werden. Die alle drei Jahre stattfindenden weltweiten Internationalen Kongresse des ILAS sind ein Event der Regierungsebene und werden mit der entsprechenden Tendenz der Selbstdarstellung des gastgebenden Staates und mit erheblichem diplomatischen Einsatz der einzelnen Regierungen durchgeführt. Die weltweite Athen-Konferenz fand 2001 unter dem Thema „Governance and Public Administration in the 21 st Century - New Trends and New Techniques" statt. Vage Tagungstitel sind eine Besonderheit nicht nur dieser internationalen Organisation. Die nächste specialised Conference im November 2002 hatte einen in gleicher Weise technikbezogenen, abstrakten Titel gewählt: "Towards Quality Governance for Sustainable Growth and Development". Der Veranstaltungsort Neu-Delhi war ebenso politisch bewusst gewählt worden wie für das Jahr 2003 die Regionalkonferenz in Jaounde/Cameroon mit dem kritischen Thema "Shared Governance: Combating Poverty and Exclusion". Die letzten 10 bis 15 Jahre waren von einem erheblichen Bedeutungszuwachs der Repräsentanten der Entwicklungsländer - sowohl in den Arbeitsthemen als auch in der Besetzung der Führungspositionen in der Präsidentschaft, aber auch als General-Berichterstatter und Arbeitskreis-Berichterstatter geprägt. In Delhi 2002 war die südafrikanische Ministerin für Öffentlichen Dienst und Verwaltung, Frau Fraser-Moleketi, eine effiziente Generalberichterstatterin. In ihrem Einführungsbericht stellt sie sich als Afrikanerin und Politikerin vor. Das Konferenzthema gleicht dem Thema des World Summit on Sustainable Development bis in die Begrifflichkeit. Die eigentlichen Diskussionen werden durch die vier Arbeitsgruppen geführt. Deshalb ist der Wettbewerb um die Mitgestaltung
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dieser Arbeitsgruppen eigentlich entscheidend für die inhaltlichen Ergebnisse. Ist es ein Zufall, dass unter der Forderung nach Multidisziplinarität der Überlegungen das Recht nicht aufscheint? In Cameroon 2003 hat diese Funktion als General-Berichterstatterin die Präsidentin des Canadian Centre for Management Development, Jocelyne Bourgon. Der gegenwärtige Präsident des IIAS, Atangana Mebara, ist hoher Verwaltungsbeamter, Staatssekretär des Staatschefs von Cameroon. Einige Mitgliedstaaten tun sich schwer, in dem IIAS das Gewicht und die Chance der Kooperation und Beratung zu erkennen. Für die Entsendung von deutschen Führungskräften und Experten die erforderlichen Mittel aufzuwenden und abzusichern, fällt auch der Bundesregierung nicht leicht, zum Teil aus Gründen mangelnder Abstimmung und unklarer Prioritätenbildung in einer Vielzahl von interessierten Organisationen. Das Interesse an deutscher Verwaltung und ihren Prinzipien ist in dem ILAS und den Mitgliedstaaten groß, wird aber durch Sprachschwierigkeiten begrenzt. Aus dem berechtigten Interesse einer wachsenden Zahl von Wissenschaftlern, insbesondere aus Europa, und Praktikern, insbesondere aus den Verwaltungsschulen und Trainingseinrichtungen bildeten sich bereits vor einigen Jahren zwei spezielle Initiativen, die inhaltlich in der Bestimmung und Behandlung ihrer Themen frei sind: -
Die Internationale Vereinigung der Schulen und Institute für Öffentliche Verwaltung (International Association of Schools and Institutes of Public Administration/IASLA) wollte mit ihrer Gründung 1971 in Rom eine eigene Plattform für den Erfahrungsaustausch im Aus- und Weiterbildungsbereich errichten. Heute gehören dieser Vereinigung, die nicht auf Europa begrenzt ist, 170 Institutionen in 70 Staaten an. Prof. Heinrich Reinermann war viele Jahre lang ein verdienstvoller Vorsitzender des LASIA.
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Die European Group of Public Administration (EGPA) wurde 1974 in Speyer als eine regionale Vereinigung von Verwaltungswissenschaftlern innerhalb des Instituts gegründet, mit dem Ziel, einen spezifisch europäisch orientierten Gedankenaustausch mit multidisziplinärem Ansatz zu organisieren, der insbesondere jüngeren Wissenschaftlern geöffnet sein sollte. Prof. Werner Jann hat vor einem Jahr den Vorsitz der EGPA übernommen.
Das Organisationsschema des IIAS ist nicht nur durch die großen, westlichen Mitgliedstaaten und über deren Vertreter im Verwaltungsrat, der Generalversammlung und dem Exekutiv-Komitee bestimmt. Die Generalversammlung besteht aus den offiziellen Delegierten der Mitgliedstaaten, der internationalen Organisationen sowie der nationalen Sektionen. Sie treten jedes dritte Jahr anlässlich des Kongresses, der größten Veranstaltung, zusammen und diskutieren die weitere Orientierung des ILAS.
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IV. Arbeitsfelder der Deutschen Sektion An den Veröffentlichungen der Deutschen Sektion lassen sich die Arbeitsfelder und Fragestellungen mit anschaulichen Produktionen, mit den Referaten aus den Tagungen und den Kooperationsveranstaltungen wie den verwaltungspolitischen Sonderseminaren der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer ablesen. Diese Tagungsbände erscheinen ab 1976 in den Schriften der Deutschen Sektion des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften zunächst im Eigenverlag und dann ab Band 8, 1983 bei der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden. Ersichtlich hat dieser Wechsel damit zu tun, dass die Deutsche Sektion in der Vorbereitung des XIX. Internationalen Kongresses für Verwaltungswissenschaften im September 1983 in Berlin eine breit angelegte Information über „Verwaltung und Verwaltungswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland" anbieten wollte. Daraus sind u. a. entstanden: 1. ein Sonderheft 2/1983 der „Revue Internationale des Sciences Administratives" in französischer und englischer Fassung 2. der Band 8 der Schriften der Deutschen Sektion in deutscher Fassung 3. der Sammelband „Öffentliche Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland" 1981, herausgegeben von Klaus König, Hans Joachim von Oertzen und Frido Wagener in deutscher sowie in englischer und französischer Sprache. Die Deutsche Sektion hat die Chance des Internationalen Kongresses 1983 in Berlin genutzt, um eine Bestandsaufnahme und Analyse der Verwaltung in der Bundesrepublik einem internationalen Publikum vorzustellen. Inzwischen ist der Sammelband9 unter der Herausgeberschaft von Klaus König und Heinrich Siedentopf erheblich umgestaltet und auf über 40 Autoren erweitert worden und in deutscher sowie englischer Sprache vorgelegt worden. Die Zugänglichkeit von Informationen über die deutsche Verwaltung, die wegen ihrer Vielfalt und regionalen Unterschiedlichkeit immer ein etwas sperriger Gegenstand bleiben wird, hat durch diese Veröffentlichungen erheblich gewonnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Deutsche Sektion des IIAS am 20. Januar 1956 in Bonn unter dem Präsidenten Prof. Erich Kaufmann neu gegründet. In der Festrede zu dem Thema „Die Bedeutung der VerwaltungsWissenschaften für die Staats- und Gesellschaftsordnung" beklagte Prof. Hans Peters 10 , dass der Neubeginn sich noch vielfach der Ordnungsaspekte des 9
K. König/H. Siedentopf, Hrsg., Öffentliche Verwaltung in Deutschland, BadenBaden 1996/97. 10 H. Peters, Die Bedeutung der Verwaltungswissenshaften für die Staats- und Gesellschaftsordnung, in: DVB1. 1956, S. 529-536.
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19. Jahrhunderts bediene und sich bisher kaum mit neuen Ideen beschäftigt habe: „Wie wäre es sonst möglich, dass man die staats- und verwaltungsorganisatorischen Prinzipien, die in den verschiedensten Widerstandskreisen während der nationalsozialistischen Ära erarbeitet worden sind, bis zum heutigen Tage fast überall unbekümmert beiseite geschoben und meist ,einfach' auf die Ordnung vor 1933 zurückgegriffen hat." Zugleich wird eine internationale Orientierung der Verwaltungswissenschaften bei allen Verwaltungsreformmaßnahmen eingefordert, eine Abstimmung der Themen auf der nationalen wie der internationalen Ebene, so dass ein Thema wie „Verwaltung und Publikum" nicht primär unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes, sondern unter dem des Vertrauensverhältnisses zwischen Bürger und Verwaltung abzuhandeln ist. Unter diesem relativ offenen Auftrag haben Generationen von Verwaltungswissenschaftlern in der Deutschen Sektion die Aufgaben der Kooperation, des Vergleichs und der Beratung wahrgenommen.
I I . Institutionen und öffentliche Aufgaben
Subsidiaritätsprinzip und Marktöffnung in Deutschland Von Helmut Brede, Göttingen
I. Einleitung Selbst altehrwürdige Konzepte sind von Zeit zu Zeit unter die Lupe zu nehmen. Dies soll im Folgenden mit dem Subsidiaritätsprinzip geschehen. Es galt in Deutschland stets als Fundamentalprinzip für die Rollenverteilung zwischen öffentlicher und privater Wirtschaft. Ob es jedoch heute noch diese Funktion hat, wird sich zeigen. Seit einiger Zeit wirkt sich eine geänderte Wettbewerbsordnung in Europa auch auf die öffentliche Wirtschaft aus. Dementsprechend ist zu fragen, welche Konsequenzen sich aus dem Zusammentreffen von Subsidiaritätsprinzip und zunehmendem Wettbewerb in Europa für die öffentlichen Unternehmen, insbesondere für die kommunalwirtschaftlichen, ergeben. Dabei dürfen nicht nur die bereits sichtbaren Vor- und Nachteile für die Bürger betrachtet werden, sondern es ist das Augenmerk gegebenenfalls auch auf Gefahrenpotentiale zu lenken. Sollte es tatsächlich Gefahrenpotentiale für die Bürger geben, heißt es nach vorbeugenden Maßnahmen Ausschau zu halten. Damit hat sich bereits das Vorgehen in der folgenden Untersuchung abgezeichnet. Nach einer Klarstellung, wie hier das Subsidiaritätsprinzip zu verstehen ist, werden die Auswirkungen des Europäischen Wettbewerbsrechts und der Wettbewerbspolitik skizziert, soweit sie für die Geltung des Subsidiaritätsprinzips Bedeutung haben, und am Ende sind Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Fragestellung soll schrittweise zugespitzt werden. Zuspitzung hilft, Fragen zu klären. Geht es anfänglich noch um eine breite Darstellung dessen, was Subsidiaritätsprinzip und Wettbewerb für die öffentliche Wirtschaft bedeuten bzw. was sie bewirken, dreht es sich gegen Ende nur noch um eventuell vorhandene Gefahrenpotentiale für die Bürger. Dramatisierung ist durchaus nicht beabsichtigt. Mit der Zuspitzung, d. h. in letzter Konsequenz mit der Beschränkung auf potentielle Gefahren für Leib und Leben, soll nur deutlich werden, dass unter der Oberfläche des harmlos erscheinenden Themas eine ernste Problematik lauert, deren sich Wissenschaft und Politik intensiver als bisher annehmen müssen.
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I I . Die Interpretation des Subsidiaritätsprinzips Ursprünge des Subsidiaritätsgedankens sind bereits bei Aristoteles 1 auszumachen, und spätestens seit Thomas von Aquin gehört das Subsidiaritätsprinzip zur christlichen Soziallehre. Es wurde unter dem Einfluss von Oswald von NellBreuning in die Enzyklika Pius' X I „Quadragesimo anno" von 19312 aufgenommen und avancierte zum Leitgedanken der katholischen Soziallehre. In der Enzyklika finden sich alle wesentlichen Ingredienzen späterer Formulierungen, auch derjenigen, die - als letzter Schritt in der Entwicklung - Bestandteil des Amsterdamer Vertrags der Europäischen Union 3 geworden sind: Grenzziehung zwischen individueller und gesellschaftlicher Aufgabenerfüllung und Unterstützung des Schwächeren durch den Stärkeren 4 oder, wie es auch formuliert wurde, Bewahrung des Rechts der „kleinen Lebenskreise" 5. Außerhalb der katholischen Soziallehre spielt das Subsidiaritätsprinzip eine zunehmende Rolle im staatlichen, im kommunalen und - wie schon angedeutet - im supranationalen Bereich. Darunter befindet sich auch eine finanzwissenschaftliche Interpretation, welche den Finanzausgleich begründet. Sie ist hier jedoch ebenso ohne Belang wie die supranationale Ausprägung, die sich in Art. 5 des Amsterdamer Vertrags 6 findet. Dort wurde eine Art „Vorfahrtsregei" für die Gemeinschaft und die Mitgliedsstaaten geschaffen. 7 Auch dies soll außer Betracht bleiben. Stattdessen konzentrieren sich die Überlegungen auf die Aussagen des Subsidiaritätsprinzips zum Verhältnis zwischen der öffentlichen Sphäre und der Privatwirtschaft, so wie es im § 65 BHO/LHO 8 und im Gemeinderecht geregelt 1
O. Höffe, Subsidiarität als staatsphilosophisches Prinzip?, in: A. Riklin/G. Batliner (Hrsg.), Subsidiarität, Baden-Baden 1994, S. 19-46, hier S. 31-33. 2 T. Döring, Subsidiaritätsprinzip, in: WiSt, 23. Jg., 1994, S. 243-246, hier S. 243. 3 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) vom 7. Februar 1992 in der Fassung der Bek. vom 28. April 1999 (BGBl. 1999 II S. 416). 4 Döring, Subsidiaritätsprinzip (Anm. 2), S. 243 f.; J. Genosko, Der wechselnde Einfluß des Subsidiaritätsprinzips auf die wirtschafts- und sozialpolitische Praxis in der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 201, 1986, S. 404-421, hier S. 405. 5 Ο. v. Nell-Breuning, Das Subsidiaritätsprinzip, in: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, 27. Jg., 1976, H. 1, S. 6-17, wieder abgedruckt in: J. Münder/D. Kreft (Hrsg.), Subsidiarität heute, Münster 1990, S. 173-184, hier S. 176 f. 6 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Anm. 3). 7 Näheres bei: H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip. Strukturprinzip einer europäischen Union, Berlin 1993; D. Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 2., durchges. Aufl., Berlin 1994; R. Hrbek (Hrsg.), Die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips in der Europäischen Union: Erfahrungen und Perspektiven, Baden-Baden 1995; J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 2. Aufl., Berlin 2001. 8 Bundeshaushaltsordnung (BHO) vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1284), zuletzt geändert durch Art. 3 Gesetz zur Änderung von Vorschriften über parlamentarische
Subsidiaritätsprinzip und Marktöffhung in Deutschland
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ist: Danach soll sich der Bund [das Land] „an der Gründung eines Unternehmens in einer Rechtsform des privaten Rechts oder an einem bestehenden Unternehmen nur beteiligen, wenn ... ein wichtiges Interesse des Bundes [Landes] vorliegt und sich der vom Bund [Land] angestrebte Zweck nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise erreichen läßt" Im Gemeinderecht finden sich analoge Bestimmungen (beispielhaft sei auch auf § 108 der Niedersächsischen Gemeindeordnung9 verwiesen). Die Ausprägungen des Subsidiaritätsprinzips auf nationaler Ebene bedeuten einen gewissen Schutz der Privatwirtschaft vor dem tatsächlich oder vermeintlich mächtigeren Staat durch klare Grenzziehung. Gleichzeitig bewirkt das Subsidiaritätsprinzip einen gewissen Schutz des Staates vor dem Verlangen der Privatwirtschaft, er solle sich in bestimmten Fällen wirtschaftlicher Betätigung enthalten.
I I I . Das Subsidiaritätsprinzip im Lichte des neuen Wettbewerbsrechts und der Wettbewerbspolitik in Europa Liberalisierung und Deregulierung auf allen Märkten sind zu den beherrschenden Merkmalen des Wettbewerbsrechts und der Wettbewerbspolitik in der Europäischen Union geworden. In dem hier interessierenden Zusammenhang finden sie ihren Ausdruck in Art. 86 EG-Vertrag, mit dem wettbewerbliche Schutzzonen für bestimmte Bereiche der öffentlichen Wirtschaft beseitigt wurden. Seitdem gelten für alle Unternehmen, „die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind" - und das sind fast alle Unternehmen mit Kapitalbeteiligungen der öffentlichen Hand in Deutschland (hier kurz „staatliche Unternehmen" genannt) - die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags 10. Mit anderen Worten, aus wettbewerbsrechtlicher Sicht ist der Unterschied zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Unternehmen beseitigt. Die Auswirkungen der Marktöfihung im öffentlichen Bereich verspüren die Verbraucher täglich, etwa wenn sie billiger telefonieren als bisher. Zumeist empfinden sie die Auswirkungen als positiv. Aber im Hintergrund gibt es Erscheinungen, die Besorgnis erwecken.
Gremien vom 17. Juni 1999 (BGBl. I S. 1334); gleichlautend z.B.: Niedersächsische Landeshaushaltsordnung (LHO) in der Fassung vom 30. April 2001 (Nds. GVB1. Nr. 12/2001 S. 276), geändert am 18. Dezember 2001 (Nds. GVB1. Nr. 35/2001 S. 806). 9 Niedersächsische Gemeindeordnung (NGO) in der Fassung vom 22. August 1996 (Nds. GVB1. S. 382); zuletzt geändert durch Art. 14 des Gesetzes vom 20. November 2001 (Nds. GVB1. S. 701). 10 Art. 86 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Anm. 3).
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Der zunehmende Wettbewerb, namentlich der Fortfall von schienen- und leitungsgebundenen Monopolstellungen, fuhrt dazu, dass viele staatliche Unternehmen das Feld räumen und den Markt privaten Wettbewerbern überlassen müssen. Nun kann sich auf Geschäftsfeldern, die die öffentliche Hand bisher besetzt hielt, der effizienter Wirtschaftende durchsetzen. Wenn dies auch noch keine „allgemeine Rangerhöhung der ökonomischen Effizienz gegenüber den Maßstäben von Humanität, Demokratie [und] Rechtsstaatlichkeit" bedeutet, vor der Klaus König mit Recht gewarnt hat, 11 so geht der öffentlichen Hand doch das Instrument verloren, mit dem sie bisher politische Ziele, ζ. B. Verkehrs- und Versorgungskonzepte in den Städten und Gemeinden, unmittelbar durchsetzen konnte. Außerdem vermindern sich ihre Einnahmen.12 Da die Städte und Gemeinden nur dann wirtschaftlich tätig werden dürfen, wenn Private keine höhere Effizienz entfalten, kann sich die öffentliche Hand keine neuen, zusätzlichen, Einnahmequellen erschließen, 13 und es gehen mit den Einnahmenverlusten Macht und Einfluss verloren. Im Extremfall kann das Wegbrechen von Einnahmen zur Folge haben, dass die öffentliche Hand bei schweren Versorgungsmängeln nicht mehr die Kraft besitzt, mit eigenem Dienstleistungsangebot aufzuwarten oder eine notleidende Branche bzw. Region finanziell zu unterstützen. Wie schwer es fällt, etwa einem ruinierten Eisenbahnwesen wieder aufzuhelfen, konnte man in den USA und kann man zur Zeit in Großbritannien beobachten. Einen weiteren Anschauungsunterricht bot die Infrastruktur der DDR, deren Mängel erst in einem 10-jährigen Prozess beseitigt werden konnten. Schließlich sei daran erinnert, wie dringlich im Jahr 2002 private Spenden benötigt wurden, um die öffentlichen Mittel zur Beseitigung der Hochwasserschäden zu ergänzen. Im Zusammenhang mit der Liberalisierung in Europa darf außerdem nicht der Gegensatz zwischen rein erwerbswirtschaftlichen und gemeinwohlorientierten Zielen aus den Augen gelassen werden. Es kann der private Unternehmer zwar durch vertragliche Vereinbarungen oder ähnliche Instrumente auf die Beachtung gemeinwohlorientierter Interessen verpflichtet werden, doch wird er zu Recht immer die eigenen - erwerbswirtschaftlichen - Ziele höher bewerten. Das kann zu Streckenstilllegungen im Schienenverkehr, Einschränkungen im Post-
11 Κ König, Zur postindustriellen Verwaltung, in: V. J. Kreyher/C. Bohret (Hrsg.), Gesellschaft im Übergang, Baden-Baden 1995, S. 221-234, wieder abgedruckt in: K. König, Zur Kritik eines neuen öffentlichen Managements. Speyerer Forschungsberichte 155, Speyer 1995, S. 1-20, hier S. 19 f. 12 Die in vesti ven Staatsausgaben sanken in den letzten zehn Jahren seit 1991 um 5 Mrd. Euro. Vgl. Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft, Nr. 25, vom 20.06.2002, S. 1. 13 G. Ambrosius, Kommunale Selbstverwaltung im Zeichen des Subsidiaritätsprinzips in Europa, in: H. Brede (Hrsg.), Wettbewerb in Europa und die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, Baden-Baden 2000/2001, S. 55-64, hier S. 61.
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dienst, Stromausfällen, erhöhter Unfallträchtigkeit der Eisenbahn und reduzierten Öffnungszeiten öffentlicher Freizeiteinrichtungen fuhren, um nur einige Beispiele zu nennen. Öffentlichen Anbietern solcher Leistungen hingegen darf bis zum Beweis des Gegenteils unterstellt werden, dass sie keine erwerbswirtschaftlichen Ziele gemeinwohlorientierten vorziehen und nicht sämtliche effizienzsteigernden Entscheidungsspielräume zum Nachteil der Leistungsnehmer ausnutzen. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass öffentliche Unternehmen heute häufig dazu neigen, das Korsett gemeinwohlorientierter Ziele abzustreifen und dasselbe Verhalten wie rein erwerbswirtschaftliche Unternehmen der Privatwirtschaft an den Tag zu legen. Wir halten fest: Nicht das Subsidiaritätsprinzip allein oder die neuen Wettbewerbsbedingungen allein bescheren Gefahren, sondern erst deren Zusammentreffen. Die Fesseln des Subsidiaritätsprinzips haben nun ein viel größeres Gewicht für die öffentliche Hand gewonnen als ehedem. Das Subsidiaritätsprinzip erlaubt der öffentlichen Hand, wie gesagt, nicht, den Verlust von Geschäftsfeldern, die sie im Zuge der Marktöffhung der Privatwirtschaft überlassen muss, durch neu eroberte Geschäftsfelder wettzumachen. Die staatlichen Unternehmen sind also gleichsam in die Zange von Subsidiaritätsprinzip und Wettbewerbspolitik geraten. Sieht man noch den Unterschied zwischen der prinzipiellen Gemeinwohlorientierung der öffentlichen Hand und der erwerbswirtschaftlichen Orientierung der Privatwirtschaft, sind Gefahren für das Gemeinwohl nicht von der Hand zu weisen.
IV. Konsequenzen des Zusammentreffens von Subsidiaritätsprinzip und neuer Wettbewerbsordnung Bei Erörterung möglicher Konsequenzen soll nur der infrastrukturelle Kernbereich ins Visier genommen werden, d. h. das Eisenbahnwesen, die Luftverkehrseinrichtungen, der Krankenhaussektor und die Versorgungswirtschaft. Der übrige zur öffentlichen Wirtschaft (i. w. S.) zählende Bereich, der infrastrukturelle Randbereich mit den Kultur- und Bildungseinrichtungen, Post und Telekommunikation, öffentlicher Nahverkehr, Entsorgungswirtschaft, öffentlichen Kreditinstituten und Fernstraßen, bleibt ausgeklammert. Im Weiteren soll es nur noch darum gehen, lebenswichtige Interessen, insbesondere die Sicherheitsbedürfhisse der Bevölkerung, zu gewährleisten. 14
14 Schuppert spricht von einer „Gewährleistungsverantwortung" des Staates. G. F. Schuppert, Jenseits von Privatisierung und „schlankem" Staat. Vorüberlegungen zu einem Konzept von Staatsentlastung durch Verantwortungsteilung, in: Ch. Gusy (Hrsg.), Privatisierung von Staatsaufgaben: Kriterien - G r e n z e n - Folgen, Baden-Baden 1998, S. 72-115, hier S. 81.
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In den Wirtschaftswissenschaften lebt die Suche nach Problemlösungen bekanntlich vor allem vom Aufgreifen und Weiterentwickeln bekannter Lösungskonzepte. So wird auch hier verfahren. Im Weiteren sollten sieben - durchaus konventionelle - Maßnahmen, Ideen, Konzepte diskutiert werden: (1)
rahmensetzende Anreizpolitik
(2)
Vortritt für öffentliche Unternehmen im Rahmen eines geänderten Subsidiaritätsprinzips
(3)
Einschränkung des Europäischen Rechts zugunsten öffentlicher Unternehmen
(4)
vertragliche Vereinbarungen
(5)
gesetzliche Vorgaben
(6)
behördliche Regulierung bzw. Verbändevereinbarungen
(7)
Kapitalbeteiligungen der öffentlichen Hand
Zu (1): In der Idee einer Anreizpolitik findet sich das Postulat des Subsidiaritätsprinzips wieder, Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren. 15 Die Idee wird hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Es ist abwegig, sich Anreizsysteme vorzustellen, die auf die Vermeidung von Katastrophen oder Versorgungskrisen zielen. Zu (2): Denkbar ist ferner, staatliche Unternehmen mit einem Vortrittsrecht auszustatten. Das heißt, private Unternehmen besäßen nur dann die Möglichkeit, sich auf den betreffenden Geschäftsfeldern zu betätigen, wenn es ihnen der Staat oder die Kommune ausdrücklich erlaubte. Das Subsidiaritätsprinzip bekäme freilich einen anderen Sinn. Nicht die öffentliche Hand träte subsidiär zur Privatwirtschaft auf, sondern umgekehrt würde der Privatwirtschaft die Möglichkeit zur Unterstützung der öffentlichen Hand geboten. Hinter der Idee steht die Hypothese, dass die öffentliche Hand in Unternehmen, an denen sie kapitalmäßig beteiligt ist, direkt steuernd eingreifen kann (vorausgesetzt, die Kapitalbeteiligung reicht zum maßgeblichen Einfluss aus) und dass direkte Einflussnahme einen höheren positiven Gemeinwohleffekt zeigt als jede andere Form der Einflussnahme. Unterstellt, die Hypothese sei richtig, was wäre damit anzufangen? Der Gedanke hätte keine Chance der Verwirklichung. Alle politisch maßgeblichen Kräfte folgen derzeit dem Postulat „Weniger Staat, mehr privat". Und die Wissenschaft vertritt weithin eine ähnliche These, nämlich, „daß man den einzelnen [Bürgern] als einzelnen nicht alles anvertrauen kann ... daß man [aber] dem Staat (fast) alles zutrauen muß." Guy Kirsch, der die These formuliert hat, 15
Döring, Subsidiaritätsprinzip (Anm. 2), S. 244.
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fährt fort: „Entsprechend sind Institutionen der öffentlichen Daseinsvorsorge immer verdächtig; sie müssen also nicht nur ihre Unschuld, sondern auch ihre Daseinsberechtigung immer von neuem beweisen."16 Zu (3): Ebenso illusionär wäre die Forderung, den Amsterdamer Vertrag so zu ändern, dass wieder wettbewerbliche Schutzzonen um bestimmte Bereiche der Wirtschaft zulässig würden. Niemand erhebt diese Forderung. Und das ist auch zu begrüßen; es war ja ζ. B. im Telekommunikationssektor zu erfahren, welch positive Wirkungen Wettbewerb in Bereichen entfalten kann, die vorher als träge und innovationsfeindlich galten. Es werden also auch künftig öffentliche Aufgaben unter dem unveränderten Subsidiaritätsprinzip, aber im Wettbewerb zu erfüllen sein. Zu (4): Eine herkömmliche Methode, Unternehmen zur Erfüllung von Pflichten im Sinne des Gemeinwohls anzuhalten, ist die vertragliche Vereinbarung. Konzessionsverträge, zum Beispiel, enthalten stets gemeinwohlorientierte Klauseln. Indes - Sicherheitsbedingungen, die zu beachten wären, werden praktisch nie vertraglich vereinbart. Anscheinend wird das Vertragsrecht für nicht ausreichend gehalten, um etwa Passagiere im Eisenbahn- oder Luftverkehr vor Gefahren für Leib und Leben oder Krankenhauspatienten vor Gefahren unzureichender Hygiene oder die Bevölkerung vor verunreinigtem Trinkwasser zu schützen. Also sind auch vertragliche Vereinbarungen als für dieses Thema ungeeignet zur Seite zu legen. Zu (5): Erst gesetzliche Vorgaben, eine Form der „öffentlichen Bindung" 17 , können für einen gewissen Schutz sorgen. Das lehren Erfahrungen, die in den genannten Branchen mit gesetzlich vorgegebenen Sicherheitsstandards gewonnen wurden. So gibt es beispielsweise Normgrenzwerte für den Nitratgehalt in Trinkwasser, für den Abstand von Flugzeugen auf Luftverkehrsstraßen und für die Stärke von Radreifen des Eisenbahnwagons. Doch reichen gesetzliche Vorgaben aus? Erinnert sei an einige Eisenbahnkatastrophen und an die kalifornische Stromkrise. Da die schrecklichen Unfälle in Eschede und Bad Münder noch nicht ganz aufgeklärt sind, beziehen wir uns besser allein auf britische Verhältnisse. Großbritannien verfügt nach allem, was wir wissen, über genügende Sicherheitseinrichtungen und -Vorschriften. Aber dann kam bei der Eisenbahn eines Tages kaum geschultes Kontrollpersonal zum Einsatz. Es wird sogar kolportiert, Personal sei in den Pubs rekrutiert und gleich mit der Streckenüberwa-
16 G. Kirsch, Der Staat muß seine Unschuld erst beweisen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. Dezember 2001, S. 15. 17 Dazu: D. Greiling, Öffentliche Trägerschaft oder öffentliche Bindung von Unternehmen?, Baden-Baden 1996.
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chung betraut worden. 18 Dass eine solche Politik der Kostenreduktion nicht gut gehen kann, liegt auf der Hand. In Deutschland könnten die jüngsten Eisenbahnkatastrophen übrigens dieselbe Ursache haben. In Kalifornien sah die Ursache etwas anders aus. Dort hatten die privaten Stromanbieter, veranlasst durch die 1996 eingeleitete Deregulierungspolitik, darauf verzichtet, neue Kraftwerke zu bauen. In ihrer auf die kurze Sicht bestimmten Investitionspolitik befürchteten sie, nicht mehr die Kosten decken zu können. Die Folge war, dass nun Strom teurer eingekauft wurde, als er an die Verbraucher abgegeben werden konnte. Irgendwann musste unter diesen Bedingungen die Versorgung kollabieren. 19 Offenbar können auch Managementfehler, wie ζ. B. unzureichender Personal· und Kapitaleinsatz oder eine zu kurzsichtige Investitionspolitik, Sicherheitsinteressen der Bevölkerung gefährden, zumal es aus praktischen Gründen ausgeschlossen erscheint, Managementfehler generell durch gesetzliche Vorgaben auszuschließen. Dies hebt zwar die Notwendigkeit gesetzlicher Sicherheitsvorschriften u. ä. nicht auf, lässt aber erkennen, dass sie ergänzt und ständig überprüft werden müssen. Zu (6): Eine weitere klassische Antwort auf die Forderung nach Gewährleistung lebenswichtiger Sicherheitsinteressen im infrastrukturellen Bereich liegt in der Einrichtung von Regulierungsbehörden und im Abschluss von Verbändevereinbarungen. Zugunsten von Verbändevereinbarungen wird behauptet, dass die Beteiligten die technischen Bedingungen der jeweiligen Branche am besten kennen. Da auch Verbändevereinbarungen behördlich zu genehmigen seien, werde das öffentliche Interesse in ausreichendem Maße berücksichtigt. Kleinere Branchenmitglieder klagen jedoch, dass die großen mit ihrer Macht und ihrem Einfluss letztlich die Vereinbarungen prägen, und wünschen sich stattdessen die Regulierung durch eine Behörde. Der Nachteil von Regulierungsbehörden liegt in der Neigung zu bürokratischer Steuerung, 20 ja zur Überregulierung. Schon wird behauptet, der Deregulierungsprozess münde in umfangreicherer Regulierung als zuvor. Fazit: Niemals ist ausgeschlossen, dass Regelungsmängel, etwa Mängel im Überwachungssystem, erst im Nachhinein festgestellt werden. Ebenso wenig können genügend Vorkehrungen gegen das Ausnutzen von Lücken im Regelwerk und gegen die Folgen von Misswirtschaft getroffen werden. Wir brauchen also noch Weiteres.
18 ο. K., Fehlende Schrauben an Weichen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. Mai 2002, S. 11. 19 ο. V., Licht aus in L. Α., in Süddeutsche Zeitung vom 29.12.2000, S. Κ. 1. 20 Vgl. ο. K , Post-Regulierung zu bürokratisch, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.11.2002, S. 15.
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Zu (7): Es wäre zu wünschen, dass die öffentliche Hand auch in Zukunft in den sicherheitsrelevanten Fällen Kapitalbeteiligungen hält. So bestünde eine Chance, im Unternehmen selbst Kontroll- und Steuerungsfunktionen wahrzunehmen und dadurch über gesetzliche Normen, Regulierungsbehörden oder Verbändevereinbarungen hinaus direkten Einfluss zu nehmen. Außerdem würde mit öffentlichen Kapitalbeteiligungen eine alte Forderung Peter Eichhorns erfüllt, eine Eingreifreserve des Staates vorzuhalten - eine Reserve, die „präventives Eingreifen bei drohender Gefahr" erlaubt. 21 Es ist allerdings nicht zu übersehen, dass die öffentliche Hand ihre Kapitalbeteiligungen in der Vergangenheit nur selten zu steuerndem Einfluss genutzt hat. Außerdem neigt die öffentliche Hand angesichts der stets angespannten Haushaltslage heutzutage eher dazu, Kapitalbeteiligungen abzubauen als auszubauen. So ist nur von einer gewissen Chance die Rede, die dieses Instrument böte. Erst das Zusammenwirken mehrerer Instrumente (Sicherheitsstandards, Regulierung oder Verbändevereinbarungen und staatliche Kapitalbeteiligungen) würde die Sorge mindern, wir könnten auf besonders wichtigen Gebieten der Infrastruktur unhaltbare Zustände bekommen.
V. Zusammenfassung Das Subsidiaritätsprinzip war lange Zeit für die öffentliche Hand und die Privatwirtschaft eine recht praktikable Richtschnur, wie weit beide Seiten ihre wirtschaftliche Betätigung ausdehnen konnten. Für beide Seiten trat eine deutliche Veränderung mit dem Amsterdamer Vertrag ein, der in allen Bereichen wettbewerbsgeschützte Zonen beseitigte. Das hatte und hat noch immer für die Verbraucher segensreiche Wirkungen. Wettbewerb stellt jedoch keine Einbahnstraße dar, die zwangsläufig zu positiven Effekten führt. So war die Frage berechtigt, ob nicht auch Wirkungen der Marktöffhung auftreten könnten, die lebenswichtige Verbraucherinteressen gefährden. Nach allen Erfahrungen ist eine solche Gefährdung nicht ausgeschlossen. Auch bei uns sind bereits Warnzeichen - zu nennen sind die Namen Eschede und Bad Münder - zu erkennen, so dass Anlass für rechtzeitige Vorsorgemaßnahmen gegeben ist. Als einzige Erfolg versprechende Maßnahmen im Kernbereich der Infrastruktur wurden die Vorgabe von Sicherheitsstandards, die staatliche Regulierung bzw. die Nutzung von Verbändevereinbarungen und die direkte Einflussnahme des Staates aufgrund von Kapitalbeteiligungen erkannt. Diese Maßnahmen sollten jedoch miteinander kombiniert werden.
21 P. Eichhorn, Infrastruktur statt Subsidiarität, in: Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft, 31. Jg., 1982, H. 2, S. 45 f., hier S. 46.
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Die Untersuchung mündet also in der Empfehlung eines aufwendigen Arrangements. Da das Subsidiaritätsprinzip unverändert fortgelten und die Europäische Marktöffhung für die öffentliche Wirtschaft nicht wieder verschwinden wird, scheiden einfache Lösungen aus. Die Sicherheit der Bevölkerung ist jedoch so wichtig, dass man sie nicht mit unzureichenden Schutzmaßnahmen aufs Spiel setzen darf.
Öffentlich-rechtliche Aspekte der Regulierung in Deutschland und Frankreich Von Gérard Marcou, Paris
Seit Jahren hat sich das Wort Regulierung aus der Wirtschaftswissenschaft und anderen Gesellschaftswissenschaften in die Rechtswissenschaft verbreitet. Man findet es jetzt in verschiedenen Gesetztexten. Seine Bedeutung ist dadurch jedoch nicht klar geworden. Es stellt sich insbesondere die Frage, ob man die Regulierung als juristischen Begriff ausgestalten soll oder ob dadurch neue Erscheinungen der Wirtschaftspolitik beschrieben werden, die wiederum zwar neue Regelungen und Institutionen zum Ausdruck bringen, aber keine neuen Rechtsinstitute erfordern. Zweifellos ist es noch zu früh, um auf diese Frage eine endgültige Antwort zu finden. Man kann jedoch am Beispiel Deutschlands und Frankreichs einige Ansätze zu einer Antwort darlegen, der eine kritische Analyse des heutigen Gebrauchs des Wortes Regulierung zugrunde liegt. Man kann feststellen, dass die Regulierung sich auf die Marktöffhung von besonderen Wirtschaftszweigen bzw. Tätigkeiten bezieht, die sich früher unter staatlicher Kontrolle befanden und sich sehr oft als gesetzliche Monopole entwickelt haben, um bestimmte öffentliche Zwecke wahrzunehmen, die unter reinen Marktbedingungen nicht berücksichtigt werden können. Heute hat sich der Gedanke durchgesetzt, dass der Wettbewerb auch in diesen Bereichen höhere Leistungen erbringen könne. Mit Regulierung ist dann auf eine doppelte Funktion hingewiesen: zum einen Marktbedingungen zu schaffen, die bisher nicht existierten, zum anderen die nach wie vor bestehenden öffentlichen Zwecke (oder Teile von ihnen) unter diesen neuen Bedingungen wahrznehmen (I). Damit wird es klar, dass nichtwirtschaftliche öffentliche Dienstleistungen dem Markt nicht untergeordnet werden können bzw. dürfen. Die Beteiligung von Privatbetrieben an einem Auftragsvergabeverfahren ist dabei nicht ausgeschlossen, aber diese Vergabe wird geregelt, nicht reguliert. Die Regulierungsfunktion ist auch sehr oft mit der Errichtung einer neuen Institution, der Regulierungsbehörde, verbunden. Dadurch wird die Regulierung an eine Institution gebunden. Ein Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich zeigt, dass man im öffentlichen Recht einen ähnlichen Regulierungsbegriff annimmt, dessen Erscheinungen sich unterschiedlich auf die Beziehungen zwischen den verschiedenen Ebenen des Staatsaufbaus auswirken, aber auch von diesen bedingt werden. Es ergibt sich daraus, dass die Institutionalisierung der Regulierung unterschiedli-
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chen Mustern gefolgt ist. Insbesondere ist die Regulierungsfunktion in einem gegebenen Bereich unter verschiedenen Institutionen aufgespalten, die mehrere Funktionen ausüben und dazu bei der Durchführung der Regulierungsaufgaben von ihren eigenen Befugnissen Gebrauch machen. Darüber hinaus haben die im Rahmen der Regulierungsfunktion gefassten Entscheidungen die Rechtsnatur von Verwaltungsakten (oder sollten diese Rechtsnatur haben). Sie unterstehen deswegen der gerichtlichen Kontrolle; diese wird in die Regulierungsfunktion einbezogen (II). Obwohl das Herangehen an die Regulierung bestimmte bedeutende Unterschiede in Deutschland und Frankreich aufweist, setzt das Gemeinschaftsrecht gegenüber den Mitgliedstaaten in diesem Bereich, der unmittelbar den Binnenmarkt betrifft, eine gewisse Rechtsharmonisierung voraus. Daraus ergibt sich die Frage, ob diese verschiedenen Wege auf Dauer haltbar sind.
I. Die Regulierung als Funktion im deutschen und französischen öffentlichen Recht Unter den vielen Auffassungen von Regulierung kann man in Frankreich wie in Deutschland im positiven Recht und manchmal in der Literatur eine Tendenz erkennen, die Regulierungsfunktion als Wert- und Interessenausgleich in einer sozialen Marktwirtschaft zu verstehen. Die bedeutenden Unterschiede der beiden Länder im Staatsaufbau spiegeln sich im institutionellen Standort der Regulierungsfunktion und in ihrer Wirkung auf die Selbstverwaltungsaufgaben der örtlichen Gebietskörperschaften wider.
1. Die Regulierung als Wertausgleich
In Frankreich kann man zumindest zwei Tendenzen unter den Autoren unterscheiden, die sich mit dem Begriff Regulierung befasst haben. Der ersten - und am häufigsten vertretenen - Ansicht nach ist die Regulierung als begriffliche Folge des Rückzuges des Staates zu verstehen: Der Staat führt nicht mehr, regelt weniger, aber reguliert die Sektoren, in welchen Marktbedingungen geschaffen werden müssen. Es muss vermieden werden, dass die historischen Monopole ihre Machtposition auf dem Markt weiter behalten können. Die Regulierung kann eine zeitweilige Funktion sein: Wenn Wettbewerb wirklich herrscht, ist Regulierung nicht mehr notwendig. Es genügt, die Beachtung der Wettbewerbsregeln durch die bestehenden Wettbewerbsbehörden zu sichern (Beispiel: Telekommunikation). Nur einige technisch bedingte Funktionen können die Aufrechterhaltung einer Sonderbehörde rechtfertigen (ζ. B. die Sicherheitsbescheinigung für die Flugmaschinen, genauso wie für die Autos; die Überprüfung
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der von den Banken, Versicherungen und Börsenhändlern geforderten Garantien) 1 . In anderen Fällen ergibt sich aus den Besonderheiten des Sektors, dass Marktbedingungen und Wettbewerb nur mit der Regulierung nachhaltig gesichert werden können (so ζ. B. wenn der Wettbewerb auf dem Dienstleistungssektor vom Netzzugang abhängig ist). Auch für Y. Chérot „übernimmt die Regulierung Durchsetzungs- und Anwendungsfunktionen des Regelungsrahmens eines Markts bzw. eines Sektors" 2. Für andere versteht sich aber die Regulierung als ein Ausgleich zwischen Gütern und Werten, die verschiedenen Systemen angehören3. So ist es, wenn auf einem Markt bzw. in einem Sektor Effizienzwerte des Wettbewerbs in der Wirtschaft mit Solidaritäts- bzw. Wohlfahrts- und Freiheitswerten kollidieren, die auf die Grundrechte zurückzuführen sind. Die Regulierung erscheint zwingend, wenn mit der Marktöffnung nicht auf die zuletzt erwähnten Werte verzichtet werden kann oder darf. Nur wenn diese nicht mehr von Marktmechanismen verletzt werden können, kann die Regulierung aufgegeben werden, während es den Wettbewerbsbehörden anheim fällt, die Bedingungen eines lauteren Wettbewerbs zu gewährleisten. Es bedeutet, dass die Regulierung in den meisten der genannten Sektoren eine dauerhafte Funktion ist. In Deutschland wie in Frankreich hat sich das Wort Regulierung erst Ende der 80er Jahre in der juristischen Literatur mit Bezug auf die Liberalisierung der Wirtschaft oder die Privatisierungspolitik entwickelt. Es gibt zur Zeit keine allgemein akzeptierte Bestimmung des Begriffs 4. Die einen verweigern ihm einen präzisen juristischen Inhalt 5 und die anderen nehmen an, dass unter Regulierung verstanden werde, dass der Staat nicht mehr selbst bestimmte dem Gemeinwohl entsprechende Dienstleistungen anbiete, sondern es gewährleiste, dass diese Dienstleistungen von Betrieben auf dem Markt unter Berücksichtigung der ge-
1 M.-A. Frison-Roche , « Le droit de la régulation », Dalloz , chron. n°7, 2001, p. 610; L. Cohen-Tanugi , L'émergence de la notion de régulation, in : Revue de la Concurrence et de la consommation, n°J03, mai-juin, 1998, p. 40; L. Cohen-Tanugi , De la réglementation à la régulation: histoire d'un concept, Problèmes économiques, septembre, 2000, La Documentation française. 2 J.-Y. Cherot , Droit public économique, Economica, 2002. 3 L. Boy , Réflexions sur "le droit de la régulation" (à propos du texte de M.-A. Frison-Roche), Dalloz , chron., 2001, p. 3031; G. Marcou , De l'idée de service public au service d'intérêt général, S. 365-411 (insbesondere p. 409), in: F. Moderne; G. Marcou, (dir.), L'idée de service public dans le droit des Etats de l'Union européenne, L'Harmattan, coll. Logiques juridiques. 2001. 4 A. Voßkuhle, Die Beteiligung Privater an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, in: VVDStRL Bd. 62, 2003. 5 M. Ruffert, Regulierung im System des Verwaltungsrechts - Grundstrukturen des Privatisierungsfolgerechts der Post und Telekommunikation, in: AöR 124, 1999, S. 237281.
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gebenen Gemeinwohlzwecke angeboten werden 6. Mit dieser letzten Auffassung erkennt man den Gedanken des Wertausgleichs an, dessen Wahrnehmung eine Aufgabe des Staates bzw. der öffentlichen Hand im Allgemeinen bleibt. Nach M. Bullinger ist die Regulierung im deutschen Wirtschaftsrecht ein Instrument, um einen liberalisierten Wirtschaftszweig zu steuern und die Erfordernisse des Wettbewerbs mit widersprüchlichen Erfordernissen des Gemeinwohls zu harmonisieren 7. Es wird von M. Bullinger daraufhingewiesen, dass man den Begriff Regulierung umfassender definieren könnte, aber er würde dadurch seine Aussagekraft im Vergleich mit anderen Nebenbegriffen in diesem Bereich verlieren. Das positive Recht scheint diese Bestimmung der Regulierungsfunktion als Wertausgleich zu bestätigen. Dies wird im Medienrecht besonders deutlich: die Maßnahmen zur Kontrolle der Konzentration der Medien, in Frankreich wie in Deutschland, zielen in erster Linie nicht darauf ab, einen Medienmarkt zu errichten bzw. zu erhalten, sondern zu vermeiden, dass durch die Konzentration das Verfassungsgebot eines Pluralismus der Medien verletzt wird. Das ist in Frankreich die Aufgabe des Conseil Supérieur de l'Audiovisuel (geändertes Mediengesetz vom 30. September 1986, Art. 38 ff.), und in Deutschland der jeweiligen Landesmedienanstalt (Rundfunkstaatsvertrag, § 35), und nicht einfach Aufgabe der Wettbewerbsbehörden. Eine solche Feststellung kann man auch in anderen Sektoren machen. Das ist besonders der Fall in Deutschland, wo die Gewährleistungsverantwortung des Bundes in den seiner Gesetzgebungskompetenz unterstehenden Bereichen im Grundgesetz verankert wurde. So liest man im Artikel 87f Absatz 1 GG, dass der Bund „im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen gewährleistet", obwohl diese Dienstleistungen nach Absatz 2 „als privatwirtschaftliche Tätigkeiten erbracht" werden. Ebenso wird im Artikel 87e festgelegt, dass „der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahn des Bundes sowie deren Verkehrsangebot auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird". Durch die Eisenbahnreform wurde den Ländern ab 1. Januar 1996 die Kompetenz für den Schienenpersonennahverkehr übertragen, wobei sie die Verantwortung tragen
6 G. F. Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und „schlankem" Staat: Verantwortungsteilung als Schlüsselbegriff eines sich verändernden Verhältnisses von öffentlichem und privatem Sektor, Baden-Baden, 1999. 7 M. Bullinger, Droit de la régulation, service public et intégration régionale, Beitrag zur Froschungsgruppe der UMR de Droit comparé, Universität Paris 1 (unter der Leitung von G. Marcou und Franck Moderne) (Veröffentlichung Ende 2004).
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sowohl für die Infrastruktur als auch für die Verkehrsleistungen als Aufgabe der Daseinsvorsorge (EneuOG 1993, § 4.1). Das Telekommunikationsgesetz bezieht sich ausdrücklich auf die Regulierung und seine Bestimmungen können auf den vorgeschlagenen Regulierungsbegriff zurückgeführt werden. Zweck des Gesetzes ist, „durch Regulierung im Bereich der Telekommunikation den Wettbewerb zu fördern und flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten sowie eine Frequenzordnung festzulegen 4' (TKG § 2). Die Regulierung ist als eine „hoheitliche Aufgabe" definiert, denn es werden sechs Ziele der Regulierung aufgezählt, die eigentlich dem Gedanken eines Wertausgleichs entsprechen8. Sodann gibt das Gesetz eine Definition der Regulierung: „die Maßnahmen, die zur Erreichung der in § 2 Abs. 2 genannten Ziele ergriffen werden und durch die das Verhalten von Telekommunikationsunternehmen beim Angebot von Telekommunikationsdienstleistungen, von Endeinrichtungen oder von Funkanlagen geregelt werden, sowie die Maßnahmen, die zur Sicherstellung einer effizienten und störungsfreien Nutzung von Frequenzen ergriffen werden" (TKG: §3,13). Es ergibt sich daraus ein Verfassungsgebot, das in der neuen Marktordnung verwirklicht werden muss, welcher die genannten Sektoren jetzt unterstehen. Wie die genannten Ziele und die Marktordnung im gegebenen Sektor zusammengeführt und vereinbar gemacht werden können, ist typisch für die Funktion der Regulierung. Im Unterschied zu der Frage, ob und inwieweit Privatbetriebe mit Aufgaben der Daseinsvorsorge beauftragt werden dürfen bzw. solche Aufgaben auf den Privaten übertragen werden dürfen, sind in der Regulierung keine Kapitalbeteiligung und keine Betriebsführungsverantwortung eingeschlossen; in dieser Hinsicht kümmert sich die Regulierung nur um die Marktbedingungen und die Einhaltung ihrer Angebotspflichten der Betriebe. Einen ähnlichen Ansatz findet man in der neuen französischen Gesetzgebung, allerdings ohne Definitionsversuch des Begriffs Regulierung und nicht auf Verfassungsebene, da im unitarischen Staat kein Abgrenzungsproblem der Gesetzgebungskompetenzen zwischen staatlichen Ebenen besteht. Der Verfassungsrat hat jedoch ausgesagt, dass die Umbildung des öffentlichen Betriebs France Télécom in eine Aktiengesellschaft mit staatlicher Mehrheit kein Verstoß gegen die noch geltende Vorschrift der Präambel der Verfassung von 1946 sei, welche die Nationalisierung jeglichen Betriebes erfordert, der ein nationaler Service Public bzw. ein Monopol de facto geworden ist, d.h. das Gesetz hat France Télécom als Service Public national aufrechterhalten und ihm die Auf8
Zusammenfassend: Wahrung der Interessen der Nutzer, chancengleicher und funktionsfähiger Wettbewerb, Grundversorgung, Förderung von Telekommunikationsdiensten bei öffentlichen Einrichtungen, Sicherstellung von Frequenzen, öffentliche Sicherheit (TKG: § 2).
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gaben des Service Public zugeteilt. Diese Rechtssprechung kann jedoch nur gelten, solange France Télécom ein De-Facto-Monopol ist. Das ist immer weniger der Fall. Oder France Télécom bleibt seiner Tätigkeit nach ein Service Public National. Tatsächlich aber betreffen die auf den Service Public bezogenen Aufgaben einen immer geringeren Teil der Betriebstätigkeit. In dieser Hinsicht entspricht das deutsche Herangehen an die staatliche Verantwortung als Gewährleistung besser den heutigen Bedingungen des Sektors. Jenseits dieser Frage haben die Umsetzungsgesetze zugleich einen doppelten Inhalt. Zum einen geht es um die Errichtung und Organisation des Marktes, damit Wettbewerber mit dem ehemaligen Monopol zumindest für bestimmte Angebote konkurrieren können. Aber zum anderen findet man in diesen Gesetzen eine ausfuhrliche Beschreibung der Aufgaben des Sei-vice Public, während man in der Vergangenheit nur allgemeine Aussagen finden konnte. Einzelheiten findet man in den Konzessionsverträgen bzw. in den zwischen Staat und öffentlichen Betrieben abgeschlossenen Planverträgen. Zum Beispiel Artikel L.35 bis L.35-7 des Code des Postes et Télécommunications sind dem Service Public des Télécommunications gewidmet; dieser geht jenseits des Universaldienstes mit obligatorischen Dienstleistungen, die eine Verpflichtung für France Télécom sind, auf den Markt. Sie dürfen aber auch von anderen Betrieben angeboten werden. Im Gesetz vom 10. Februar 2000 über die Entwicklung und Modernisierung des Service Public der Elektrizität ist der erste Abschnitt dem Service Public gewidmet (art. 1 bis 5). Dort sind die Leitlinien, die Aufgaben und bestimmte Verpflichtungen des Service Public ausführlich dargelegt sowie der Ausgleich der sich daraus ergebenden Lasten. Im Gesetz vom 3. Januar 2003 über die Umsetzung der Erdgasrichtlinie werden im Gegenteil die Marktbedingungen zuerst geregelt und dann die Verpflichtungen des Semice Public sowie die Bedingungen ihrer Verwirklichung. In dieser Gesetzgebung wird allerdings die Aufsicht über die Verwirklichung der Aufgaben des Service Public separat geregelt; dadurch scheint diese Funktion getrennt von der Regulierung zu sein. Das ist aber nicht der Fall; die Befugnisse der Regulierungsbehörden betreffen auch den Sei-vice Public. Darüber hinaus scheinen die Netze immer mehr der Kern des Service Public zu sein, wenn sie nach wie vor die Grundzüge eines natürlichen Monopols tragen; deshalb ist der Netzzugang wichtiger als der Wettbewerb zwischen den Netzbetreibern. Ohne tragfähige Netze könnte sich der Wettbewerb nicht entwickeln. Insofern ist die Regulierung mit dem Service Public eng verbunden. Das gilt natürlich auch für Deutschland, obwohl die Rechtskategorie Service Public hier nicht gebraucht wird und der Begriff Daseinsvorsorge enger gefasst ist, und er auch nur eine sekundäre Funktion im Rechtssystem erfüllt. Die Praxis entspricht jedoch nicht völlig dieser Auffassung. Die Selbstdarstellung der Regulierungsbehörden betont die Aufgabe der Bekämpfung der Machtstellung auf dem Markt, solange ein nachhaltiger Wettbewerb nicht bestehen kann. So lautet die Beschreibung ihrer Funktion durch die Regulierungs-
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behörde für Telekommunikation und Post in Deutschland9; ähnlich wird die Regulierung von der Monopolkommission als Ausgestaltung und Förderung des Marktes dargestellt 10. Im Gegenteil dazu reflektieren die Jahresberichte der französischen Regulierungsbehörden die Gewährleistung der Aufgaben des Service PublicNur eine eingehende vergleichende Analyse der Entscheidungen könnte allerdings beweisen, ob diese Ausführungen wirklich Unterschiede reflektieren. Aber die deutsche Monopolkommission hat ganz klar gegen eine Ausdehnung der Ermessensfreiheit der Mitgliedstaaten Stellung genommen, um Bereiche von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse von den Bestimmungen des Vertrags auszunehmen, und sie berücksichtigt, dass die Bestimmung eines Universaldienstes eine genügende Gewährleistung sei 12 .
2. Institutioneller Standort der Regulierungsfunktion und Auswirkung der Regulierung auf die Selbstverwaltungsaufgaben der örtlichen Gebietskörperschaften
Die Regulierungsfunktion wird vom Staatsaufbau her bedingt, aber sie wirkt auch auf diesen, insbesondere auf die Stellung der örtlichen Gebietskörperschaften und ihrer Aufgaben. In Frankreich wurde die Regulierung von Anfang an als eine zentralstaatliche Funktion aufgefasst. Sie ist schon aus der Entwicklung der so genannten „unabhängigen Verwaltungsbehörden" entstanden, die zuerst zum Schutz der Grundfreiheiten geschaffen wurden. Sicher hat diese Entwicklung die Rezeption des Begriffs Regulierung und neuer Institutionen zur Wahrnehmung dieser Funktion erleichtert. Das Wort wurde zuerst im Namen solcher Institutionen vom Gesetz gebraucht: Autorité de Régulation des Télécommunications , Commission de Régulation de l 'Energie, allerdings ohne dass der Begriff vom Gesetz definiert ist. Im Gegenteil, der Titel des Gesetzes von 1996, das die ART errichtet hat, bezieht sich auf die „Regelung (réglementation ) der Telekommunikation". In Deutschland muss man die föderative Struktur der Republik berücksichtigen; die Regulierung als „hoheitliche Aufgabe" kann auf beide staatlichen Ebenen
9 „Die mit der Regulierung verbundenen Aufgaben weisen eine solche Spezialisierung auf, daß sie nicht mit den Mitteln des allgemeinen Wettbewerbsrechts zu lösen sind. Deshalb ist eine sektorspezifische Regulierung zumindest solange notwendig bis ein funktionsfähiger Wettbewerb in den Märkten der Post und Telekommunikation hergestellt ist", Webseite der RgTP, http://www.regtp.de 10 Monopolkommission, Netzwettbewerb durch Regulierung, 14. Hauptgutachten 2000-2001, veröffentlicht Juli 2002. 11 Zum Beispiel, CRE, Rapport d'activité, Band 1, Juni 2003, S. 71 ff.; ART, Rapport public d'activité, Band 1, 2001, S. 103 ff. 12 Op. cit. § 16 (Kurzfassung).
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verteilt werden. Die Regulierung der Telekommunikation konnte zwar unproblematisch auf Bundesebene auf der Grundlage des Artikels 73.7°GG organisiert werden. Aber der Rundfunk und die Energieversorgung lagen außerhalb der Bundeskompetenz. Doch kommt dem Bund eine umfassende Zuständigkeit für das Recht der Wirtschaft zu, das Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung ist, und dadurch in die Kompetenz des Bundesgesetzgebers auf Grund vom Artikel 72 GG weitgehendst herangezogen worden ist. Es ergibt sich daraus ein gespaltetes Regulierungssystem, an dem die Länder bisher stark beteiligt worden sind. Außerhalb der Telekommunikation ist das Bundeskartellamt die einzige Bundesregulierungsbehörde. Darüber hinaus hat man in Deutschland im Energiesektor eine Selbstregulierung durch Vereinbarungen zwischen Industrieverbänden (Verbraucher und Hersteller), Verbänden von Kommunalenergiebetrieben und Netzbetreibern. Diese Vereinbarungen waren nicht unproblematisch bezüglich des Kartellrechts. Bestimmte Klauseln wurden von den Kartellbehörden aufgehoben 13. Diese Situation wird aber nicht länger andauern. Die EG-Richtlinien vom 7. März 2002 über die Telekommunikation und vom 26. Juni 2003 legen einen neuen zwingenden Rahmen für die Regulierung fest. Jetzt müssen die Mitgliedstaaten unhabhängige Regulierungsbehörden errichten, die dem Muster der jeweiligen Richtlinie entsprechen und deren Sachzuständigkeiten zumindest den Vorgaben der Richtlinie entsprechen. Nach Artikel 23 der Richtlinie 2003/54 (Elektrizität) müssen die Mitgliedstaaten eine oder mehrere Behörden schaffen, die vom Elektrizitätssektor völlig unabhängig sind. Damit bleibt die Möglichkeit, die Regulierung auf Landesebene zu organisieren. Das neue Energiewirtschaftsgesetz vom 20. Mai 2003 bestimmt schon die Befugnisse einer Behörde, die es noch nicht geschaffen hat. Nach dem so genannten Monitoring-Bericht vom 31. August 2003 wird das Modell einer Bundesregulierung im Bereich der Energie vorgeschlagen. Diese Funktion sollte der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post zugewiesen werden 14. Diese Lösung wird aus Zeitgründen gerechtfertigt (Umsetzungstermin: 1. Juli 2004), bringt aber eine gewisse Änderung in den Verhältnissen zwischen Bund und Ländern im Bereich Energie mit sich. Es bleiben allerdings Bereiche, die eine Regulierung voraussetzen, aber in welchen das Muster der unabhängigen Regulierungsbehörde nicht angewandt wurde. Dies ist besonders der Fall im Bereich des Personen- und Güterverkehrs. Der Regulierungsbedarf ergibt sich schon aus der Grundlage einer gemeinsamen Verkehrspolitik im EWG Vertrag (Art. 70-80) und der Ratsverordnung 13 Bericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit an den Deutschen Bundestag über die energiewirtschaftlichen und wettbewerblichen Wirkungen der Verbändevereinbarungen (Monitoring-Bericht), Berlin, 31. August 2003, S. 7-8. 14 Ebd.
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vom 26. Juni 1969 (modifiziert durch Ratsverordnung vom 20. Juni 1991), die den Rahmen eines auszubauenden Verkehrsmarkts vorangetrieben hat: Allgemeine öffentliche Dienstleistungslasten müssen abgeschafft und durch vertragliche und ausgeglichene Dienstleistungsverpflichtungen ersetzt werden. Aber die Rechtsvorschriften und Entscheidungen für die Anwendung dieses Rahmens werden in Frankreich wie in Deutschland von Regierungsbehörden getroffen. Auch die jüngsten Richtlinien zum Eisenbahnverkehr erfordern die Trennung zwischen Infrastrukturen und Verkehrsdienstleistungen (Richtl. 91/440, von Richtl. 2001/12 geändert), und die Unabhängigkeit der Aufsicht gegenüber den Unternehmen. Aber die Aufsicht kann von dem Ministerium ausgeübt werden, wenn die Betreibung des Netzes einer Einrichtung außerhalb des Ministeriums obliegt (Richtl. 2001/14). Die Einordnung der Regulierung in das Rechtssystem wirft in Frankreich und Deutschland zwei Probleme auf. Das erste bezieht sich auf die Trennung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht. Mit dem Rückzug des Staates und der Aufwertung des Wettbewerbs ist manchmal vom Gesetzgeber postuliert worden, dass die Anwendung des Privatrechts besser den Erfordernissen der Regulierung entspreche als die Anwendung des Verwaltungsrechts. Meistens gehören die Rechtsinstrumente der Regulierung jedoch zum Bereich des Verwaltungsrechts. Diese Ansicht hat sicher „die Flucht in das Privatrecht" begünstigt, die man in der gesetzlichen Regelung der gerichtlichen Kontrolle in Frankreich und in geringerem Maße in Deutschland bemerken kann. Das zweite betrifft die Einordnung in das Verwaltungsrecht. Im französischen Verwaltungsrecht gehören die Befugnisse, die in der Regulierungsausübung gebraucht werden, dem Bereich der Polizeimaßnahmen an. Daraus folgt, dass diese Regulierungsakte generell der Rechtsordnung der Polizeimaßnahmen unterstehen. Aber dieser Polizeibegriff existiert im deutschen Verwaltungsrecht nicht im selben Sinne. Im französischen Verwaltungsrecht bestimmt der Zweck der Verwaltungshandlung die Anwendung des Verwaltungsrechts. So unterscheidet man zwischen Service Public und Police. Die Handlungsformen werden zu Mitteln. Im Gegenteil dazu interessiert sich das deutsche Verwaltungsrecht nicht so sehr für den Zweck bzw. die Funktionen der Verwaltungshandlung. Ihm liegt der Verwaltungsakt zugrunde, und die Verwaltungshandlung wird generell durch die Handlungsformen der Verwaltung erfasst 15. Man darf natürlich diesen Unterschied nicht überspitzen; die Literatur hat die Gegenüberstellung zwischen Leistungsverwaltung und Eingriffsverwaltung intensiv kommentiert. Es führt aber zu unterschiedlichen Fragestellungen angesichts der Re-
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Vgl. ζ. Β.: P. Frier, Précis de droit administratif, Paris 2002, und H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl., München 2002.
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gulierung. Für das französische Verwaltungsrecht ist die Regulierung weder Police noch Service Public\ sollte man daher eine dritte Funktion bzw. Zweckbestimmung anerkennen und ausarbeiten? Im deutschen Verwaltungsrecht ist nur die Existenz eines öffentlich-rechtlichen Verhältnisses wichtig, das sich aus einer gegebenen Handlungsform der Verwaltung ergibt. Als Funktion kann die Regulierung sowohl öffentlich-rechtliche als privatrechtliche Verhältnisse zulassen. Infolgedessen sollte das deutsche Verwaltungsrecht weniger empfindlich gegenüber den juristischen Entwicklungen der Regulierung sein als das französische. Eine tiefer gehende Untersuchung in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung wäre nötig, um diese Interpretation zu prüfen 16. Eine andere Auswirkung der Regulierungsfunktion auf den Staatsaufbau betrifft die Kommunen, in Frankreich genauso wie in Deutschland, aber nicht immer in den selben Bereichen. Infolgedessen werden die örtlichen Gebietskörperschaften „reguliert 41, das heißt: von oben und von den staatlichen Behörden. Diese Erscheinung stellt sich unter zwei Aspekten vor: die Einwirkung der Wettbewerbsregeln im Bereich der Daseinsvorsorge und die Übertragung von öffentlichen Aufgaben, die nicht mehr national wahrgenommen werden, auf die Gemeinden und ihre Haushalte. Wie oben hervorgehoben, besteht die Funktion der Regulierung darin, einen Wertausgleich durchzusetzen, und zwar zwischen Marktwettbewerb, Grundrechten und DaseinsvorsorgeAServzce public. Es folgt daraus, dass in einigen Bereichen der Daseinsvorsorge bzw. des Service Public die Regulierung aus der Liberalisierung von Sektoren durch das Gemeinschaftsrecht entsteht. Die Regulierung zielt darauf ab, die Exklusivrechte der Kommunen und ihrer Betriebe abzubauen und die Achtung des Wettbewerbsrechts bei ihnen zu kontrollieren. Diese Entwicklung ist in Deutschland besonders sichtbar. Die Literatur reflektiert, allerdings nicht ohne Überspitzung, die Sorge vor einer Aushöhlung der Selbstverwaltung, deren Aufgaben zum großen Teil zu der Daseinsvorsorge beitragen. So stehen jetzt die kommunalen Sparkassen und die Landesbanken vor einer Untersuchung durch die Kommission: Nur ihre Aufgaben der Daseinsvorsorge können die Gewährträgerhaftung der Kommune bzw. des Landes rechtfertigen, und nur im Verhältnis der Gegenleistung der Daseins Vorsorge. Im Gegenteil kann man nicht aus der Beziehung zur Kommune bzw. zum Land ableiten, dass ihre Tätigkeit insgesamt und pauschal der Daseinsvorsorge zurückzuführen sei. Das Gleiche gilt für die Energieversorgung. Das Bundesverfassungsge-
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Über den Vergleich zwischen den Grundstrukturen des deutschen und des französischen Verwaltungsrechts, s. G. Marcou (Hrsg.), Les mutations du droit de l'administration en Europe. Pluralisme et convergences, L'Harmattan, Paris 1995, L'administration publique en France et en Allemagne. Des systèmes différents, des valeurs communes, in: Revue française d'Administration publique, n°78, April-Juni 1996, S. 357-373.
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rieht 17 und das Bundesverwaltungsgericht 18 haben die Energieversorgung als eine Aufgabe der Daseins Vorsorge anerkannt. Diese Aufgabe muss jedoch heute in einem Wettbewerbsrahmen unter Vorbehalt des Universaldienstes und der Daseinsvorsorge-Verpflichtungen verwirklicht werden; aus der EG Richtlinie ergibt sich die Pflicht fur den Bund, die Regulierung der Energiewirtschaft so zu organisieren, dass die Verbraucher frei ihren Stromlieferant auswählen dürfen. Es bleibt aber im deutschen öffentlichen Recht, dass Aufgaben der Daseinsvorsorge hoheitlicher Verantwortung unterstehen müssen19. In Frankreich sind ähnliche Aufgaben bisher vom Staat direkt oder mittelbar wahrgenommen worden. Das Eindringen von Wettbewerbsregeln in den Selbstverwaltungsbereich wurde doch von der Verwaltungsgerichtsbarkeit selbst gefördert. Der Staatsrat hat 1997 akzeptiert, die Gesetzmäßigkeit eines kommunalen Konzessionsvertrags gegenüber den Artikeln 85 und 86 (heute 81 und 82) EGV und der Gesetzgebung gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu prüfen 20. Damit wurde anerkannt, dass die Verwaltung auch in ihrer eigenen Tätigkeit das Wettbewerbsrecht beachten muss. Später wurde geurteilt, dass es Aufgabe des Verwaltungsgerichts ist, die von der Verwaltungsbehörde herbeigeführte Erwägung zwischen Verwaltungsrechtsregeln und Wettbewerbsrechtsregeln, wenn diese zu beachten sind, zu überprüfen 21. Dieses neue Herangehen der Verwaltungsgerichtsbarkeit hat auch dazu geführt, dass die Rechtsvorschriften zu den öffentlichen Verträgen auch in den vertraglichen Beziehungen zwischen örtlichen Gebietskörperschaften bzw. ihren Verbänden anzuwenden sind 22 . Diese Rechtsprechung wurde vom Gesetz vom 11. Dezember 2001, insbesondere für die ΒeratungsVereinbarungen der staatlichen dekonzentrierten Ämter mit örtlichen Gebietskörperschaften bestätigt. Aus dieser Entwicklung kann man fol-
17 BVerfGE 38, 258, 270-271 (10. Dezember 1974); 91, 186, 206 („KohlepfeimigurteiP4, 11. Oktober 1994). 18 BVerwGE 98, 273, 275 (18. Mai 1995). 19 BVerwGE 106, 64, Beschluss vom 17. Dezember 1997 (6.C2.97). Das Bundesverfassungsgericht hat zwar den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts abgelehnt, weil die Zusammensetzung der Verbandsorgane im Einklang mit den verfassungsmäßigen Erforderungen gegenüber einer Form funktionaler Selbstverwaltung sei, und weil eine genügende Aufsicht gesichert worden sei; insofern und durch diese Prüfung hat es die Erforderlichkeit der öffentlichen Verantwortung gegenüber einer Aufgabe der Daseinsvorsorge anerkannt (BVerfG, 2 BvL 5/98 vom 5. 12.2002, Absatz-Nr. [1 - 192], http://www.bverfg.de/entscheidungen/ls20021205_2bvl000598.html ). 20 CE Sect. 3. Nov. 1997, „Sté Million et Marais", Cahiers juridiques de l'Electricité et du Gaz 1997, p. 441, conci. Stahl; in: Revue Française de Droit administratif 1997, p. 1240. 21 CE Sect; 26. März 1999, Soc. EDA, Actualité juridique Droit administratif 1999, S. 427. 22 CE Sect. 20. Mai 1998, „Communauté de Communes du Piémont du Barr", in: Annuaire des Collectivités locales 1999, GRALE, p. 260.
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gern, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit auch die Regulierungsfunktion wahrnimmt, wenn der Gegenstand der Streitigkeit es erfordert. Darüber hinaus führt die Sektorregulierung zur Übernahme bzw. zur Erweiterung bestimmter Aufgaben von den örtlichen Gebietskörperschaften, insbesondere von den Kommunen. Mit dem vollendeten Übergang der Telekommunikation unter Marktbedingungen, erscheinen neue Disparitäten zwischen den Territorien, was den Stand der Netze anbelangt, als Folge der Markteinschätzung der Telekommunikationsbetriebe. Deshalb haben die Kommunen verlangt und erreicht, örtliche Hochkapazitätsnetze, die für die Wirtschaftsentwicklung ihrer Gebiete notwendig sind, selbst bauen zu dürfen, um sie an Betreiber zu vermieten (Gesetze vom 25. Juni 1999 und vom 17. Juli 2001); aktuell wird eine Gesetzesvorlage beraten, durch die die Kommunen ermächtigt werden sollen, selbst solche Netze zu betreiben und den Zugang an Dienstleistungsanbieter zu verkaufen. Damit werden allerdings von den Kommunen nicht nur eine neue Aufgabe, sondern auch Wirtschaftsrisiken übernommen, die nicht mehr von dem Service Public National getragen werden. Infolgedessen treten die Kommunen in den Kreis der Regulierten: Sie werden örtliche Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse errichten und werden sie unter Aufsicht der Regulierungsbehörde für Telekommunikation betreiben. Eine ähnliche Entwicklung tritt jetzt im Bereich der Elektrizität auf. Mit der Liberalisierung der Elektrizität werden die Kommunen, die zur Zeit Eigentümer der Versorgungsnetze sind, aber sie nicht betreiben, neue Aufgaben übernehmen, die vom Gesetz bestimmt und geregelt werden sollen; die Kommunen werden in dieser Tätigkeit von der Commission de Régulation de Γ Energie reguliert. Aus diesem Überblick wird schon klar, dass die Regulierung als Funktion nicht mit einer Institution identifiziert werden kann; sie wird im Gegenteil von einem institutionellen Komplex wahrgenommen. Ihr Rechtsregime ist deshalb schwer zu charakterisieren.
I I . Institutionelle Struktur und Rechtsordnung der Regulierung Nach den Ländern und den Rechtssystemen kann die Regulierung von unterschiedenen Institutionen und unter differenzierten Rechtsordnungen wahrgenommen werden. Nicht nur eine Institution, sei es eine so genannte Regulierungsbehörde, sondern mehrere sind an der Regulierungsfunktion in einem Bereich beteiligt und jede beteiligte Funktion kann auch andere Funktionen wahrnehmen. Insofern kann man die institutionelle Struktur und die Rechtsordnung der Regulierung in einer vergleichenden Aussicht aus fünf Beziehungen mit zusammenhängenden Fragestellungen analysieren: die politische Legitimation (1); die politische Planung (policy-making) (2); die Marktneutralität (3), die sach-
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verständige Schlichtung von Streitigkeiten und die Verwaltungsbestrafung (4); und die gerichtliche Kontrolle (5). Die Problematik der Unabhängigkeit kann nicht generell behandelt werden, sondern nur in Bezug auf besondere Beziehungen. Dies ist so, weil die Unabhängigkeit nur gegenüber anderen Institutionen und Interessen Sinn haben kann und im Übrigen unter institutionellen Gesichtspunkten umstritten ist. Unter diesen fünf Beziehungen und Differenzierungskriterien kann man viele gemeinsame Züge der Regulierung in Deutschland und Frankreich, aber auch bedeutende Unterschiede feststellen. Bezüglich der Gemeinsamkeiten kann man jedoch ein Regulierungsmodell anerkennen: Dieses Modell ist dadurch charakterisiert, dass die Regulierung eine gemeinsame und geteilte Funktion ist, an der politisch-repräsentative, sachverständige und gerichtliche Komponenten beteiligt sind.
1. Regulierung und Legitimation
Die Regulierung als Funktion wird sehr oft mit einer Institution identifiziert, die sich von den gewöhnlichen Verwaltungsbehörden dadurch unterscheidet, dass sie spezifisch für die Erfüllung der Regulierung errichtet wurde, dass sie ihre Tätigkeit und Befugnisse gemäß dem Marktverhalten und den Marktgesetzmäßigkeiten ausübt, und dass sie vor Eingriffen der politischrepräsentativen Organe geschützt wird. So spricht man von Regulierungsbehörden, und sieht man diese Behörden als die öffentlich-rechtliche Verkörperung der Regulierung. Wenn man aber die Regulierung als eine Funktion im oben vorgeschlagenen Sinne versteht, zeigt eine genauere Einsicht in die Gesetzgebung, dass diese Regulierungsbehörden in zwei Richtungen legitimiert werden müssen: gegenüber den politisch-repräsentativen Organen und gegenüber den wirtschaftlichen Interessenträgern. Beide Richtungen beziehen sich auf Verfassungsgebote: das Demokratieprinzip und das im Wirtschaftsleben zum Ausdruck gebrachte Freiheitsprinzip. Das letzte wird nachher behandelt. Man soll zuerst hervorheben, dass, im Vergleich zu Frankreich, der Begriff solcher selbständiger bzw. unabhängiger Behörden in Deutschland zurückhaltend gebraucht wird. Dieser Unterschied ist gewiss auf die größere Bedeutung zurückzuführen, die in Deutschland der parlamentarischen Verantwortung im Vergleich zu Frankreich beigemessen ist. In seinem Bericht 2001 konnte der Staatsrat schon mehr als 30 so genannte „unabhängige Verwaltungsbehörden zählen. In Deutschland kann man nur einige in den folgenden Bereichen finden: Datenschutz, Telekommunikation, Rundfunk, Wettbewerbsbeschränkungen, allerdings manchmal in Folge des föderativen Staatsaufbaus auf Landesebene multipliziert (Rundfunk, Datenschutz). Während das Bundeskartellamt vom Ge-
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setz als „selbständige Bundesoberbehörde" definiert ist, die dem „Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft" gehört (GWB, § 48), sind in der Regel die Landeskartellbehörden als Abteilungen der Landesministerien für Wirtschaft organisiert; diese Lösung gilt auch für die Börsenaufsicht (es wird nicht von Regulierung gesprochen), die nur auf Landesebene organisiert ist. Gemeinsam ist aber in beiden Ländern der Leitgedanke, dass eine gewisse Verknüpfung mit den politisch-repräsentativen Organen notwendig ist. Das ist schon klar in Deutschland, wenn Regulierungsbehörden dem Geschäftsbereich des zuständigen Ministers gehören (auch für die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post - RgTP: TKG § 66, allerdings nicht als „selbständig" gekennzeichnet). Darüber hinaus werden der Präsident und die beiden VizePräsidenten der RgTP von der Bundesregierung auf Vorschlag des Beirats benannt, und dieser setzt sich aus jeweils 9 Mitgliedern des Bundestags und des Bundesrats zusammen, die wiederum auf Vorschlag der jeweiligen Kammern von der Bundesregierung benannt werden (TKG, §§66 und 67). In Frankreich ist es in der Regel Aufgabe der Präsidenten der beiden Kammern des Parlaments, einige der Mitglieder der Regulierungsbehörden zu benennen: ζ. B. 6 von 9 Mitgliedern des Conseil supérieur de l'Audiovisuel (Gesetz 30. Sept. 1986: Art. 4), 2 von 5 Mitgliedern der Autorité de Régulation des Télécommunications (Code des Postes et Télécommunications: art. L.36-1), 4 von 7 Mitgliedern der Commission de Régulation de l'Energie (Gesetz 10. Februar 2000: art.28). Dagegen werden die allgemeinen Marktaufsichtsbehörden nur aus höheren Beamten bzw. Richtern zusammengesetzt (Bundeskartellamt und Conseil de la Concurrence). Während die Mitglieder dieser Behörden unabhängig sind, ist die politische Legitimation der Behörde durch diese Verfahren gesichert. Der Beteiligung der Regulierungsbehörden an der Normsetzung (RegierungsVorschriften) liegt auch dieser Gedanke zugrunde. In Frankreich hat der Verfassungsrat schon klar gemacht, dass eine unabhängige Behörde nur begrenzt Rechtsvorschriften erlassen konnte: Da die Verfassung dem Premierminister die allgemeine Kompetenz anvertraut, die Rechtsvorschriften der Regierung zur Durchführung der Gesetze zu beschließen, darf der Gesetzgeber eine andere Behörde nur ermächtigen, ihrem Bereich und Inhalt nach begrenzte Durchführungsmaßnahmen zu beschließen23. Zum Beispiel obliegt es der Autorité de Regulation des Télécommunications (ART), gemäß dem Gesetz die sich auf die Telekommunikationsnetzbetreibung beziehenden Rechte und Verpflichtungen und die Zusammenschaltungsbedingungen zu regeln (C.P&T, Art. L.36-6) und den Nummerierungsplan zu verabschieden (Art. L.34-10); die Kompetenz der Commission de Régulation de l'Energie (CRE) ist enger definiert (Gesetz vom 10. Februar 2000, geändert durch Gesetz vom 3. Januar 2003). Die Position der RgTP ist sehr ähnlich: sie kann Anordnungen und an23
CC 89-260 DC, 28. Juli 1989 „COB"; 96-378 DC, 23. Juli 1996 „ART 4 .
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dere Maßnahmen nur treffen, um die Einhaltung der Vorschriften über Fernmeldegeheimnis, Datenschutz und Sicherung zu gewährleisten (TKM, § 91); sie legt Bedingungen fest, die zur Erlangung von Nutzungsrechten an Nummern zu erfüllen sind (§ 43); sie erstellt den Frequenznutzungsplan (§ 46), der in Frankreich einer anderen Behörde obliegt (Agence Neationale des Fréquences: C.P&T, art. L.97-1). Die Zusammenschaltungsbedingungen obliegen im Wesentlichen einer Rechts Verordnung der Bundesregierung (TKG: § 37). Zusammenfassend kann man feststellen, dass es nur darum geht, technisch-wirtschaftliche Regelungen zu beschließen und zu kontrollieren, die durch die Liberalisierung notwendig wurden oder die für den Schutz von Grundfreiheiten von Bedeutung sind (ζ. B. in Frankreich die Regelung der Wahlkampagnen auf den Rundfunk von dem Conseil supérieur de Γ Audiovisuel - CSA).
2. Regulierung und Policy-Making
Diese Feststellungen könnten dazu führen, die Regulierungsfunktion von der Planungsfunktion {policy-making ) klar zu unterscheiden. Diese Planungsfunktion ist Aufgabe von Gesetzgeber und Regierung, während die Regulierung Umsetzung der Planung und der Rechtsvorschriften in einzelnen Fällen bzw. technisch-wirtschaftlichen Festlegungen ist. Umgekehrt soll die Regierung in die Umsetzung in einzelnen Fällen bzw. in die technisch-wirtschaftlichen Festlegungen nicht eingreifen. Diese Gegenüberstellung von Planung und Regulierung wird aber von der Gesetzgebung nicht bestätigt. Es kommt vor, dass die Regulierungsbehörden an der Planung beteiligt sind und dass umgekehrt Einzelfallentscheidungen von der Regierung bzw. vom zuständigen Minister getroffen werden. In Frankreich steht außer Frage, dass die Regulierungsbehörden durch ihre Beratungsfunktion an der Planung beteiligt sind. So berät der CSA die Regierung in internationalen Verhandlungen; er empfiehlt der Regierung Maßnahmen, um den Wettbewerb im Rundfunkbereich zu entwickeln; er schlägt in seinem Jahresbericht an die Regierung und das Parlament die Änderungen von Gesetzen und anderen Rechtsvorschriften vor, die er wegen der technologischen, wirtschaftlichen, und gesellschaftlichen Entwicklungen im Rundfunksektor als erforderlich betrachtet (Gesetz vom 30. September 1986, Art. 9 und 18). Ähnlich übt die ART eine beratende Funktion bei der Regierung, die ihr Gesetzund Verordnungsentwürfe unterbreitet, und in der Vorbereitung der französischen Position in den internationalen Verhandlungen (C.P&T, Art. L.36-5) aus; ihr Jahresbericht enthält auch Vorschläge für der Regierung (Art. L.36-14). Ähnliche Bestimmungen findet man für die CRE im Elektrizitätsgesetz (Art. 32). Die Beteiligung der Regulierungsbehörden in der Planung ist auch in Deutschland festzustellen, allerdings nicht so eindeutig. Im Bereich der Tele-
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kommunikation ist der Beirat „berechtigt, bei der Regulierungsbehörde Maßnahmen zur Umsetzung der Regulierungsziele und zur Sicherstellung des Universaldienstes zu beantragen" (TKM, § 69). Im neuen Energiewirtschafitsgesetz (EnWG, 20. Mai 2003) sind indes ähnliche Bestimmungen vorgesehen, obwohl die RgTP die Aufgaben der Behörde nach diesem Gesetz ausüben sollte (s. oben). Im Bereich des Rundfunks findet man selbständige Behörden, deren Zuständigkeit eine gewisse Planungsverantwortung einschließt: Dies ist der Fall bei der unabhängigen Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) (Rundfunkstaatsvertrag: § 13); das ist umso mehr der Fall bei den Landesmedienanstalten der Länder, die als rechtsfähige und unabhängige Anstalten des öffentlichen Rechts organisiert sind und deren Hauptbeschlussorgan eine Versammlung von Vertretern aus allen geistlichen, edukativen und kulturellen Einrichtungen des Landes mit einigen Landtagsabgeordneten ist (z.B. Niedersächsisches Mediengesetz vom 1. November 2001). Man kann umgekehrt feststellen, zumindest in Frankreich, dass die Regierung bzw. der zuständige Minister Einzelfallentscheidungen und technisch-wirtschaftliche Regelungen nach Maßgabe des Gesetzes treffen darf. Während die Telekommunikationslizenzen in Deutschland von der RgTP erteilt werden (TKG: § 8), werden sie in Frankreich von dem zuständigen Minister nach Ermittlung von der ART erteilt (C.P&T: Art. L.34-1 und L.36-7). Dieser Unterschied wird bald verschwinden, da die neue EG-Richtlinie 20/2002 vom 7. März eine Allgemeingenehmigung eingeführt hat. Er wird aber für andere Einzelfallentscheidungen weiter bestehen. Im Allgemeinen obliegen in Deutschland diese Entscheidungen mit wenigen Ausnahmen der selbständigen Regulierungsbehörde und nicht dem Minister, während in Frankreich die bedeutendsten dem Minister obliegen, allerdings nach Ermittlung von der unabhängigen Regulierungsbehörde. In Frankreich obliegen dem Minister die Genehmigung der öffentlichen Bereitstellung der elektronischen Kommunikationsnetze (Art. L.33-1) sowie die anderen Genehmigungen und der Empfang der Erklärungen, die Feststellung der Nettobeiträge bzw. Beteiligungen der Dienstbetreiber zur Finanzierung des Universaldienstes (Art. L.35-3.II,2°). Im Energiebereich sind die Befugnisse des zuständigen Ministers breiter: ihm obliegen die Genehmigungen für das Betreiben von Produktionsanlagen, die Ausschreibungen im Rahmen der mehrjährigen Investitionsplanungen, Niederlassungsverböte, Geld- und Verwaltungsstrafen in bestimmten Fällen (Gesetz vom 10. Februar 2000, Art. 7, 8, 22, 41). Nur im Bereich des Rundfunks obliegen alle Einzelfallentscheidungen der unabhängigen Regulierungsbehörde - dem CSA. Umgekehrt behalten die Landesminister im Bereich Energiewirtschaft ihre Zuständigkeit im Rahmen des Planfeststellungsverfahren, die ihnen eine bedeutende Rolle für die Bereitstellung neuer Produktionsanlagen bzw. Übertragungslinien zuweist; darüber hinaus obliegt die Klärung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit den Netzzugangsverhandlungen einer Schlichtungsstelle bei dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (EnWG, § 6.2).
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Darüber hinaus werden die höheren Beiräte der öffentlichen Dienstleistung (iService Public) in den Bereichen Post/Telekommunikation und Elektrizität/Gas in Frankreich auch in die Regulierung einbezogen. Die Aufgabe dieser beratenden Gremien, welchen Vertreter der Nutzer, der Belegschaft, des Parlaments und anderer Interessenbereiche angehören, besteht darin, zu prüfen, wie die den Betrieben auferlegten Verpflichtungen, die dem Service Public entsprechen, eingehalten werden; dazu können sie der Regierung Empfehlungen ausrichten und sie werden von dem zuständigen Minister über Gesetzentwürfe bzw. Entwürfe anderer Rechtsvorschriften beraten (C.P&T: Art. D96-1 bis 24; Gesetz 46-628 vom 19. April 1946: Art. 45). Wenn man die Regulierung als Wertausgleich versteht, ist es völlig zutreffend, diese Gremien als Teile der institutionellen Struktur der Regulierung zu begreifen.
3. Regulierung und Marktneutralität
Die Marktneutralität der öffentlichen Hand ist eines der Hauptziele der Regulierung. Es ergibt sich daraus, dass die betroffenen Sektoren früher von öffentlichen Monopolbetrieben organisiert und dominiert waren, die noch heute herrschende Marktspositionen haben; man könnte deshalb einen Interessenkonflikt befürchten, da die öffentliche Hand zugleich Eigentümer des historischen Monopols und Sachwalter des Wettbewerbs in einem neu liberalisierten Sektor ist. Dieses Argument hat in Frankreich dazu geführt, die ART zu schaffen, während in dieser Zeit die EG-Richtlinien die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde gegenüber der Regierung nicht erforderten. Darüber hinaus sind diese Sektoren durch „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse" im Sinne von Artikel 86.2 EWG geprägt, mit denen Unternehmen betraut sind. Die Betrauung ergibt sich notwendigerweise aus einer Entscheidung der öffentlichen Hand; infolgedessen kann auch ein Interessenkonflikt naheliegen. Man könnte zwar diese Darstellung bestreiten: Es ist eine Pflicht der Verwaltungsbehörde, alle ihr vorgelegten Sachen unparteiisch zu behandeln. Die Gleichheit vor dem Gesetz ist ein Verfassungsgebot für alle Verwaltungsbehörden. Insofern wäre die Errichtung von so genannten unabhängigen bzw. selbständigen Verwaltungsbehörden ungerechtfertigt. Bei diesem Einwand wird aber übersehen, dass die Regulierung als Wertausgleich sich aus der Notwendigkeit ausgebildet hat, die „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse" in neu zu schaffenden Marktbedingungen durchzusetzen, d.h. in einem Zusammenhang, worin die öffentliche Hand zugleich als Sachwalter des Wettbewerbs (der auch einen Wettbewerbsrahmen ausgestalten muss) und Gewährträger der genannten Dienstleistungen tätig ist. Daher scheint die institutionelle Gestaltung der unabhängigen Regulierungsbehörde den Erforderungen dieses Zusammenhangs und der Regulierungsfunktion zu entsprechen. Die Regulierungsfunktion kann jedoch nicht mit diesen unabhängigen Behörden gleichgestellt werden; diese institutionelle Gestaltung ist nur eine Antwort auf die angestrebte Markt-
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neutralität der Regulierung, und sie wird deshalb verwendet, um dadurch den Betreibern eine objektive Garantie gegenüber den Entscheidungen zu geben, die ihre Sonderinteresse beeinträchtigen könnten. Es bleiben aber Sektoren, in welchen die Regulierungsfunktion ohne unabhängige Regulierungsbehörde wahrgenommen wird. Das ist im Allgemeinen der Fall im Bereich des Personen- und Güterverkehrs, einschließlich der Eisenbahn, die sehr von den Netzen abhängig ist und deren Liberalisierung (zur Zeit für den Güterverkehr) den Netzzugang voraussetzt. Die Marktneutralität setzt auch die Unabhängigkeit der Regulierung gegenüber den Marktbetreibern voraus, d.h. die Regulierung soll vor jeglicher Einflussnahme von den Regulierten geschützt werden, die sowohl dem Ziel eines „chancengleichen und funktionsfähigen Wettbewerbs" als auch den Gemeinwohlgeboten der Regulierung zuwiderlaufen würde. Deshalb wird eine Zusammenarbeit zwischen der allgemeinzuständigen Wettbewerbsbehörde (dem Wettbewerbsrat) und den jeweiligen sektoralen Regulierungsbehörden in Frankreich vom Gesetz vorgesehen und organisiert. Diese Marktneutralität entspricht dem Inhalt der Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden und wird in der Regel durch eine strenge Inkompatibilitätsordnung gesichert, allerdings auf unterschiedliche Weise in Deutschland und Frankreich. In Deutschland müssen die Mitglieder der Beschlussabteilungen des Bundeskartellamts die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst haben und die Vorsitzenden müssen in der Regel die Befähigung zum Richteramt haben; sie dürfen nicht Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrates eines Unternehmens, eines Kartells oder einer Wirtschaft- oder Berufsvereinigung sein (GWB: § 48); eine solche Inkompatibilität ist aber nicht für die Beschlusskammern der RgTP vorgesehen (TKG: § 73). In Frankreich gibt es keine Voraussetzungen bezüglich des ausgeübten Amtes, jedoch betrifft die Inkompatibilitäts-Ordnung auch Wahlmandate und andere öffentliche Stellen sowie Interessen in Betrieben des Sektors. Das ist der Fall für die Mitglieder des CSA (Gesetz vom 30. September 1986, Art. 5 - die Inkompatibilität wirkt weiter ein Jahr nach dem Ende des Mandats als Mitglied der CSA), der ART (C.P&T: art. L.36-2) und der CRE (Gesetz vom 10. Februar 2000, Art. 28). Die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden gegenüber dem regulierten Sektor wird manchmal mit zwei Argumenten bestritten: Zum einen sei es typisch für die Regulierung Vertreter der Interessen in die Entscheidungsfindung einzubeziehen; zum anderen seien die Regulierungsbehörden zu sehr den Privatinteressen untergeordnet. Das letzte Argument ist hier nicht zu beantworten, da es eine Diskussion der gesellschaftlichen Tatsachen auf der Grundlage einer Untersuchung erfordern würde. Aber das erste Argument, das man am Anfang und vor der Rechtsentwicklung der Regulierung unterstützen konnte, ist im positiven Recht nicht mehr haltbar. Es tritt ganz klar in den jüngsten EGRichtlinien hervor, so in der Richtlinie 2002/21 (Art. 3.2): „Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden; indem
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sie dafür sorgen, dass sie rechtlich und funktional von allen Unternehmen unabhängig sind, die elektronische Kommunikationsnetze, -geräte oder -dienste anbieten"; und in der Richtlinie 54/2003 (Art. 23.1): „Diese Behörden müssen von den Interessen der Elektrizitätswirtschaft vollkommen unabhängig sein". Insofern setzt die Marktneutralität die Institutionalisierung der Regulierung außerhalb der regulierten Interessen voraus. Es gibt zwar eine Abstimmung oder Beratungen zwischen den regulierten Interessen und den Regulierungsbehörden, wie sie übrigens zwischen wirtschaftlichen Interessen und Ministerien existiert. Damit gibt es keine Abweichung von der Marktneutralität, soweit alle genannten Interessenvertreter beteiligt werden und die Beschlussfassung nicht mitbestimmen. Damit wird aber eine Einflussnahme der gesamten regulierten Interessen auf die Regulierung nicht ausgeschlossen; im Gegenteil, die Existenz der Regulierungsbehörde kann die Gruppierung dieser Interesse fordern. So bestehen in Frankreich bei der ART drei beratende Gremien mit Vertretern der Unternehmen des Sektors: der Beirat der Telekommunikationsnetze und -dienste; der Beirat der Radiokommunikationen; der Zusammenschaltungsausschuss24. Ähnliche Gremien bestehen nicht bei der CRE; diese organisiert jedoch zu ihrer eigenen Information oder vor ihren Beschlüssen die Befragung der Marktbetreiber 25. Die Marktneutralität kann denn von Neo-Korporatismus begleitet werden. In Deutschland sind solche Beziehungen zwischen Regulierungsbehörde und Marktbetreibern in der Gesetzgebung nicht vorgesehen; diese Abstimmung bleibt wahrscheinlich in der Verantwortung des zuständigen Ministers und der Verwaltung.
4. Die sachverständige Schlichtung von Streitigkeiten und die Verwaltungsbestrafung
Zu der Regulierung als Funktion gehören auch die sachverständige Schlichtung von Streitigkeiten und die Auferlegung von Verwaltungsstrafen. Die Schlichtung von Streitigkeiten vor einer Verwaltungsbehörde ist an sich nichts Neues. Es erinnert zuerst an das allgemeine Verwaltungsverfahren in Deutschland. Die Gesetze, die eine Regulierung organisieren, errichten Sonderverwaltungsverfahren für Bereiche, die infolgedessen nicht zu dem Anwendungsbereich des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes gehören. Auch sind in der Vergangenheit Verwaltungsstrafen öfter angewandt worden; mit der Errichtung des Rechtsstaats ist die Bestrafung generell der Gerichtsbarkeit übertragen worden. Die Wiederaufnahme dieser früheren Erscheinungen des Verwaltungsstaates ist mit dem Gegenstand der Regulierung eng verbunden. 24 25
ART, Rapport d'activité 2001, Band 2, S. 211 ff. CRE, Rapport d'activité juin 2003, Band 1, S. 85.
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Einige Grundzüge dieser Verfahren als Teil der Regulierung müssen hier hervorgehoben werden. Zuerst gibt es eine Tendenz zur Annäherung mit dem gerichtlichen Verfahren, sowohl in den Schlichtungsverfahren als auch in den Verwaltungsbestrafungsverfahren. Nach dem Bundeskartellamt werden die kartellrechtlichen Entscheidungen in einem justizähnlichen Verfahren von Beschlussabteilungen getroffen. Die Form der Entscheidungen ist auch derjenigen der Verwaltungsgerichtsbarkeit sehr ähnlich. In Frankreich wurde diese Tendenz von der Einschätzung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der Menschenrechte geprägt. Dies hat das Verfahrens gerichtsähnlicher werden lassen. Zweitens bleibt aber die Sachbehandlung unterschiedlich. Obwohl die Entscheidungen eine Rechtswirkung haben, dominiert die Ermittlung der technischen und wirtschaftlichen Tatsachen. Die Mitglieder der Regulierungsbehörde sind bereits Sachverständige oder müssen schnell Sachverständige werden. Infolgedessen haben sie nicht dieselbe Einsicht in die Gutachten oder brauchen einfach kein Gutachten, wie die Richter es brauchen. Das wirkt auch positiv auf die Dauer des Verfahrens. Die Gründe der Entscheidungen sind in der Regel sehr detailliert, und manchmal kann man die Argumente nur verstehen, wenn man den technischen Sachverstand besitzt. Drittens bleibt die Rechtsnatur der Entscheidungen umstritten. Nach dem deutschen Telekommunikationsgesetz werden die Entscheidungen der Beschlusskammern der RgTP durch Verwaltungsakte erlassen (TKG: § 73). Dagegen wird das Verfahren vor dem Bundeskartellamt durch eine Verfügung abgeschlossen (GWB: § 62). Der Begriff der Verfügung ist auch im Zivilrecht geläufig, wo er als ein Rechtsgeschäft definiert werden kann, das unmittelbar Rechte überträgt, belastet, verändert oder aufhebt. Da das Bundeskartellamt eine oberste Bundesbehörde ist, ist dieses Rechtsgeschäft materiell ein Verwaltungsakt (im deutschen Sinne), obwohl eine Beschwerde gegen diese Verfügung vor dem Oberlandesgericht einzubringen ist. Darüber hinaus hat die Beschwerde wie die Anfechtungsklage im ordentlichen Verwaltungsgerichtsverfahren eine aufschiebende Wirkung (§ 64). In Frankreich besteht auch eine solche Unsicherheit. Die Beschwerde gegen die Einzelfallentscheidungen der unabhängigen Regulierungsbehörden werden in der Regel an das Berufungsgericht (Cour d'Appel) Paris gerichtet, während die Klage zur Aufhebung einer Regelung beim Staatsrat zu erheben ist. Es bleibt aber unbestritten, dass die Endentscheidung ein Verwaltungsakt ist. Das ergibt sich aus der Entscheidung des Verfassungsrates vom 23. Januar 1987: die Entscheidungen des Wettbewerbsrates, als Verwaltungsbehörde, sind nach dem angeführten Gesetz vor dem Berufungsgericht Paris anzufechten. Diese begrenzte Anpassung der Kompetenzverteilung zwischen ordentlichen Gerichten und Verwaltungsgerichten zielt auf eine Vereinheitlichung der Wettbewerbsrechtswege vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Interesse einer guten (besseren) Justizverwaltung ab. Dies ist bisher aber nicht erreicht: Nur ein Teil der Wettbewerbsstreitigkeiten ist von dieser Vereinheitli-
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chung betroffen, und ein Teil des Wettbewerbsbeschwerden wird von der Verwaltungsgerichtsbarkeit behandelt. Nach Prof. Truchet sollte man deshalb diese Kompetenzverteilung im Wettbewerbserlass von 1986 aufheben und die Rechtsbehelfe gegen Wettbewerbsentscheidungen wieder an die Verwaltungsgerichtsbarkeit richten 26 . Dieser Stellungnahme kann nur zugestimmt werden. In diesem Bereich haben bisher ideologisches Ermessen gegenüber wissenschaftlichen Einschätzungen vorgeherrscht. Dem Charakter des Verwaltungsakts entspricht auch die Möglichkeit einer inhaltlichen Bestimmung der Entscheidung, die ihre Zweckmäßigkeit und nicht nur ihre Rechtsmäßigkeit einschließt. Dies kommt jedoch in der Regulierung kaum vor. Das einzige Beispiel in Frankreich betrifft die ART. In Zusammenschaltungsstreitigkeiten soll sie die „gerechten (équitables ) Bedingungen, technischer und finanzieller Natur" bestimmen, nach welchen die Zusammenschaltung sichergestellt werden soll (C.P&T: Art. 38-1, al.2); aber diese Vorschrift wird nicht im Elektrizitätsgesetz wieder aufgenommen. In Deutschland dürfen die Regulierungsbehörden nach einem gerichtähnlichen Verfahren und nur auf der Grundlage von Beweisen und Zeugenaussagen entscheiden (s. TKG §§ 73 ff; BWG §§ 56 ff). Das ist auch eine Erscheinung der Vergerichtlichung des Verfahrens vor den Regulierungsbehörden. Aber es ist Aufgabe der Schlichtungsstelle, die wirtschaftlichen und technischen Ansprüche und Tatsachen so abzuwägen, dass ihre Analyse bei Anwendung der einschlägigen Rechtsbestimmungen zu einem rechtsbegründeten Urteil führt.
5. Gerichtliche Kontrolle
Alle Regulierungsentscheidungen, sei es Einzelfallentscheidungen, Verfügungen bzw. Regelungen, unterstehen der gerichtlichen Kontrolle, entweder aus den gesetzlichen Bestimmungen oder aus der Natur der Sache. Falls es um Verwaltungsstrafen geht, besteht auch eine menschenrechtliche Verpflichtung der Staaten nach der Menschenrechtskonvention. Wenn die Regulierung als Wertausgleich zu verstehen ist, kann man erwarten, dass der Richter die angefochtene Entscheidung unter diesem sich aus den gesetzlichen Bestimmungen ergebenden Standpunkt einschätzt und prüft, dass die zuständige Behörde in richtiger Weise die zu beachtenden Werte abgewägt und abgestimmt hat. Insofern nimmt der Richter an der Regulierung teil, nicht in seiner gerichtlichen Funktion insgesamt, sondern indem er in solchen Angelegenheiten entscheidet. 26 D. Truchet , Le mythe de l'unification de la concurrence, in: Les mutations contemporaines du droit public, Mélanges en l'Honneur de B. Jeanneau, Paris 2002, S. 539-553.
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Gérard Marcou
In dieser Hinsicht ist die schon angedeutete Zuweisung der gerichtlichen Kontrolle über Regulierungsentscheidungen an die ordentliche Gerichtsbarkeit nicht eine rein technische Frage, insbesondere nicht in Frankreich. Die Anwendung des Verwaltungsrechts stützt sich auf eine Reihe von Grundsätzen, die selbst einen Ausgleich zwischen dem von der Verwaltung vertretenen allgemeinem Interesse und den anderen geschützten Interessen widerspiegeln. Das ist besonders klar in einigen Bereichen des Verwaltungsrechts, wie beim Wirtschaftsverwaltungsrecht und dem Recht der Services Publics . Auch wenn die Verwaltungsgerichtsbarkeit das Wettbewerbsrecht anwendet, behält sie sich vor, den Ausgleich mit den von dem Verwaltungsrecht geschützten Interessen zu bestimmen. Insofern könnte die Übertragung der gerichtlichen Kontrolle der Regulierungsentscheidungen auf die ordentliche Gerichtsbarkeit (s. oben) das Gleichgewicht zugunsten der privatwirtschaftlichen Interessen auf die Dauer ändern. Drittens kann man erwarten, dass der technisch-wirtschaftliche Sachverstand, von welchem die Schlichtung von Streitigkeiten und die Begründung der Verwaltungsstrafen so stark geprägt ist, auch eine Hinwirkung auf die gerichtliche Kontrolle ausübt. In der Bestimmung und in der Begründung der Regulierungsentscheidungen spielen Ingenieure und Ökonomen in der Regel eine größere Rolle als die Juristen. Insofern sind diese Entscheidungen den Erfordernissen des regulierten Sektors gut angepasst und relativ schnell beschlossen. Aber die Bedeutung der inhaltlichen Fragen kann beim Richter dazu führen, seine Kontrolle nur zurückhaltend auszuüben, weil er den notwendigen Sachverstand nicht besitzt, während bereits durch das Verfahren vor der Regulierungsbehörde die materielle Behandlung der Sache umfassend gewährleistet wurde 27 . Man kann allerdings heute nicht eindeutig dieses Risiko einer Schwächung der gerichtlichen Kontrolle in den neu liberalisierten Sektoren belegen, und schon gar nicht ist dies bei Wettbewerbsstreitigkeiten der Fall. Darüber hinaus könnten die Betreiber in vielen Fällen leichter auf eine Klage vor dem Gericht verzichten, als eine Lösung der Streitigkeit bei Richtern zu suchen. Richter werden von den Betreibern als uninformiert über die Realität der Geschäftsbeziehungen eingeschätzt. Eine solche Entwicklung, wenn sie sich durchsetzen sollte, würde die Rechtsstaatlichkeit der Regulierung in Frage stellen. Am Ende dieser Untersuchung kann man feststellen, dass die Regulierung noch kein klares Rechtsregime besitzt. Möglicherweise kann auch auf ein spezielles Rechtsregime verzichtet werden. Es scheint möglich, schon einen rechtlichen Begriff der Regulierung auf der Grundlage des positiven Rechts zu formulieren und anzuerkennen, dass die Regulierung eine hoheitliche Funktion ist, die in das Rechtssystem eingeordnet werden soll und die im Verwaltungs- und Rechtssystem von mehreren Institutionen getragen wird. Die Konsequenzen, die 27
M. Bullinger, op. cit.
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man aus dieser Einordnung ziehen kann, sind aber nicht eindeutig und gewiss nicht identisch im deutschen und im französischen Verwaltungsrecht. Aber einige Grundzüge scheinen heute konsolidiert. Erstens ist die Flexibilität, die so oft der Regulierung beigemessen wird, mehr ein Teil der Selbstdarstellung als ein Grundzug der Regulierung. Die Regulierung bringt detaillierte Regelungen mit sich, deren Beachtung durch schwere Verwaltungsstrafen sichergestellt wird. Zweitens soll die Unabhängigkeit relativiert werden. Es geht darum, die Unparteilichkeit und die Marktneutralität der Regulierungsentscheidungen zu gewährleisten und nicht darum, dem Modell der selbständigen Regulierungsbehörde zu folgen, soweit dies nicht von EG-Richtlinien vorgeschrieben wird. Drittens ist die Regulierung von der politischen Planung zu unterscheiden, aber nicht zu trennen.
Von der Arbeitslosenversicherung zur modernen Dienstleistungsagentur Von Dieter Schimanke, Großhansdorf
I. Soziale Differenzierung und Sozialversicherung In seinem Aufsatz zur sozialen Differenzierung hat Klaus König 1 auf ein Grundmuster der Verwaltungsentwicklung im Tatsächlichen hingewiesen und zugleich einen analytischen Bezugsrahmen entwickelt. Die soziale Differenzierung, die den Grundtatbestand der gesellschaftlichen Trennung, Aufgliederung und Machtdifferenzierung meint, „ist eine Grundvoraussetzung der heutigen öffentlichen Verwaltung". ~ Die Geschichte der Sozialversicherungen in Deutschland passt in dieses Erklärungs- und Analysemuster. Der Staat stand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor der Herausforderung, Folgeprobleme aus dem Wandel zur Industriegesellschaft aufzunehmen und Lösungen zuzuführen. In inhaltlicher Hinsicht ging es zunächst um die Absicherung der Risiken von Krankheit, Invalidität und Versorgung im Alter, die zuvor in Form von Selbsthilfeeinrichtungen der Arbeiter organisiert worden, aber letztlich nicht hinreichend waren, und anschließend um die Unfallversicherung. In politischer Hinsicht wurde ein Handlungszwang erkannt, der aufkommenden politischen Macht der Arbeitnehmerschaft mit Leistungen des Staates zu begegnen und somit zum Machterhalt des bestehenden politischen Systems beizutragen. Diese neuen Formen öffentlicher Programme der leistenden Verwaltung wurden jedoch nicht als Teil der staatlichen Verwaltung und des allgemeinen Staatshaushalts organisiert, sondern sowohl in der Finanzierung (Umlagesystem über Beiträge) als auch in der Organisation (Sozialversicherungen als eigenständige Körperschaften; Organe der Selbstverwaltung) „ausdifferenziert".
1 K. König, Öffentliche Verwaltung und soziale Differenzierung, in: Verwaltungsarchiv 1973, S. 1-37. 2 König, Soziale Differenzierung (Anm. 1), S. 11, unter Bezug auf T. Parsons, The Structure of Social Action, Glencoe 1949.
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Die später errichteten Säulen vier und fünf der Sozialversicherung sind dem Muster der Kranken-, Renten- und Unfallversicherung gefolgt. Die Arbeitslosenversicherung der 1920er Jahre und die Pflegeversicherung der 1990er Jahre wurden als eigenständige Körperschaften mit Selbstverwaltung und lohnbezogenen Beiträgen errichtet, auch wenn es bei der letzteren alle Varianten der Entdifferenzierung gab: steuerfinanzierte staatliche Leistung oder private Vorsorge im Rahmen einer Kapitalversicherung. Auch nach Einfuhrung der Grundsicherung - eine steuerfinanzierte Leistung, die durch die Kommunalverwaltungen vollzogen wird - wurde diese Debatte erneut gefuhrt, zuletzt in der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme.3 Dabei plädieren Akteure, die lange Jahre in der Sozialpolitik gearbeitet haben, und Vertreter der Gewerkschaften für die Grundprinzipien der Sozialversicherung und einer systemimmanenten Weiterentwicklung, 4 während andere Sachverständige für unterschiedliche Varianten des Systemwechsels eintreten.
I I . Die vierte Säule der Sozialversicherung: Die Arbeitslosenversicherung Die Weimarer Reichsverfassung enthielt einen Verfassungsauftrag zur reichsgesetzlichen Arbeitsvermittlung (Art. 7 Nr. 9 WRV). 1927 wurden dann der „Reichsanstalt für Arbeit" - also dem Vorläufer der Bundesanstalt für Arbeit - die Aufgaben der Berufsberatung, der Arbeitsvermittlung und der Arbeitslosenversicherung übertragen. 5 Das Grundgesetz6 hat die Gesetzgebung (Art. 74 Nr. 12 GG: „ ... Arbeitsvermittlung sowie die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung") und die Verantwortung für die Sozialversicherung weitgehend dem Bund zugeordnet. Darin sind die Verantwortung für einen finanziellen Ausgleich (bei der Renten- und Arbeitslosenversicherung) und die Rechtsaufsicht
3 Vgl. Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme. Bericht der Kommission („Rürup-Kommission"), hrsg. vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Berlin 2003. Vgl. auch jüngst: Bericht der Kommission „Soziale Sicherheit" zur Reform der sozialen Sicherungssysteme („Herzog-Kommission"), hrsg. vom Bundesvorstand der CDU, Berlin 2003. 4 Vgl. insbesondere die abweichenden Voten in dem Bericht der „RürupKommission" (Anm. 3). 5 Vgl. H. Lampert/J. Alihammer, Lehrbuch der Sozialpolitik, 6. Aufl., Berlin 2001, S. 78. 6 Zur Arbeitsverwaltung von 1933 bis 1939, im II. Weltkrieg und bis 1949 vgl. ausführlich H.-W. Schmuhl, Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung in Deutschland 1871-2002, Nürnberg 2003, S. 210 ff.
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eingeschlossen (Art. 87 Abs. 2 GG als Sonderregelung einer Zuständigkeit des Bundes und seines Bundesversicherungsamtes). Der Bund hat zunächst auf der Basis des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAG) die wesentlichen Aufgaben - vornehmlich Arbeitsvermittlung und Leistungen im Falle der Arbeitslosigkeit - festgelegt und im Jahr 1952 die Bundesanstalt für Arbeit (BA) institutionalisiert. 7 Die Beteiligung der öffentlichen Körperschaften an der Selbstverwaltung wurde von den Sozialpartnern in Frage gestellt, letztlich konnten sich die Länder jedoch durchsetzen. Eine Gesetzesnovelle brachte 1957 dem Verwaltungsrat weitere Zuständigkeiten der Normsetzung (Anordnungen), so dass es mit dem Vorstand und dem Verwaltungsrat neben dem Präsidenten letztlich zwei einflussreiche Organe der Selbstverwaltung auf der Zentralebene gab. Der Ausgleich auf dem Arbeitsmarkt (regionaler und sektoraler Arbeitsplatzabbau einerseits und nicht gedeckter Arbeitskräftebedarf andererseits) musste und konnte nur bedingt gesteuert werden. Zuwanderungen aus der DDR bis 1961 und verstärkte Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer in den 1960er Jahren konnten wesentlich die Arbeitskräftelücke schließen. Eine aktive Rolle des Staates im Arbeitsmarkt wurde erst in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre Thema. 1966 forderte der Bundestag die Bundesregierung zu einer AVAVGNovelle auf, in der die Anpassung des Gesetzes an den technischen Fortschritt und die wirtschaftliche Entwicklung berücksichtigt werde, und der Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung schlug eine verstärkte Förderung von Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen vor. 8 Die 7. AVAVG-Novelle folgte bereits teilweise diesen Forderungen, ehe mit dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) 1969 - nach dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 mit den Zielen des „magischen Vierecks", darunter das Ziel der Vollbeschäftigung - eine neue Phase der Arbeitsmarktpolitik eingeleitet wurde. Die Bundesanstalt erhielt neben der Arbeitsvermittlung (Ausgleich auf dem Arbeitsmarkt) und den Transferleistungen der Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe etc.) die zusätzliche Aufgabe, die Arbeits- und Vermittlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten oder zu schaffen. Als Instrumente standen ihr im Wesentlichen Fortbildung und Umschulung sowie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und die entsprechenden Budgets im Haushalt der Bundesanstalt oder in Sonderprogrammen zur Verfügung. Diese Anforderungen aus dem politischen Entscheidungsprozess trafen auf eine Organisation, die als klassische Behörde der Leistungsverwaltung geprägt 7
Gesetz über die Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - Bundesanstaltsgesetz, das am 1.5.1952 in Kraft trat. Zur turbulenten Gesetzgebung in Bundestag und Bundesrat s. Schmuhl (Anm. 6), S. 412 ff. 8 Vgl. C Fischer, Staatliche Arbeitsförderung. Ein Lehrstück deutscher Sozialpolitik, Frankfurt 1981, S. 11.
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war. Die Steuerung erfolgt über fachgesetzliche Rechtsnormen, die Bundeshaushaltsordnung, untergesetzliche Normen und allgemeine Regelungen durch zentrale Dienstanweisungen und Erlasse. Die Bundesanstalt für Arbeit erfüllte alle Merkmale, die die Organisationssoziologie für Großorganisationen herausgearbeitet hat: Zentralisierung, Formalisierung, Standardisierung, Schriftlichkeit. 9 Sie war damit geeignet, durch Recht detailliert vorgegebene Programme (Konditionalprogramme) entsprechend den inhaltlichen Vorgaben umzusetzen sowie gleichmäßigen und umfangreichen Vollzug zu gewährleisten. Für eine stärker zielorientierte Arbeitsmarktpolitik (Finalprogramme) fehlten ihr nicht nur die Strukturen und Instrumente, sondern auch eine entsprechende Orientierung des anders rekrutierten und ausgebildeten Personals. Die mit dem AFG eingeleitete neue Phase der Arbeitsmarktpolitik forderte eine neue geschäftspolitische Orientierung der Bundesanstalt für Arbeit. Aktive Arbeitsmarktpolitik bedeutet, mit anderen Akteuren des Arbeitsmarktes zu kooperieren und sich zu koordinieren - für eine Bundesbehörde mit klassischer Orientierung nach Zuständigkeiten und klaren Verantwortlichkeiten (bis hin zur Budgetverantwortung) ein schwieriger Rollenwechsel, der sich über viele Jahre hinzog und noch nicht abgeschlossen ist. Die BA hat diesen Rollenwechsel bzw. diese Funktionserweiterung zunächst nur punktuell angenommen; handlungsleitend wurde er letztlich erst mit dem Präsidentenwechsel 1993. Die neuen Arrangements wurden zunächst mit den Gebietskörperschaften der Länder und Kommunen erforderlich, die zunehmend - und in sehr unterschiedlicher Form - aktive Arbeitsmarktpolitik betrieben. Dabei ging es diesen Akteuren auch um eine Personengruppe, die nicht zu den Klienten der Arbeitsverwaltung zählten: Sozialhilfeempfänger und andere Personen außerhalb des sogen. Leistungsbezugs nach dem AFG. Das entsprechende Budget dieser Gebietskörperschaften bewegte sich immer im Bereich eines Bruchteils des Haushaltsvolumens eines Landes- oder örtlichen Arbeitsamtes, was u.a. erklärt, dass die Länder und Kommunen ihre Arbeitsmarktprogramme teilweise so anlegten, dass die Teilnehmer über ein sozialversicherungspflichtiges ΒeschäftigungsVerhältnis zu Ansprüchen gegen die Arbeitsverwaltung (auf Arbeitslosengeld, A B M u.ä.) gelangten. Auf regionaler und örtlicher Ebene entstanden zusätzlich unterschiedliche Formen der Abstimmungen über Beschäftigungs- und Qualifizierungsaktivitäten, nicht zuletzt durch das Erfordernis befördert, die regionalen Anmeldungen zu den Fonds der EU (vor allem des Europäischen Sozialfonds, ESF) mit den Sozialpartnern und Kammern abzustimmen. Die BA tat sich mit ihren Denkmustern und Handlungsformen schwer, sich aktiv und offen in diese Abstimmungs- und Konsensformen einzubringen. Mit der zusätzlichen Aufgabe der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die im Laufe der Jahre sowohl bei der beruflichen Umschulung und Qualifizierung als auch 9
Vgl. J. Hage, Theories of Organizations, New York 1980.
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bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) absolut und proportional im Haushalt der BA zunahm, wurden die Aktivitäten der BA verstärkt Gegenstand ordnungspolitischer Auseinandersetzungen. Einmal ging (und geht) es um die Kontroverse, inwieweit aktive Arbeitsmarktpolitik überhaupt in das marktwirtschaftliche System der Bundesrepublik Deutschland passe, zum anderen um Fragen der Effizienz und Effektivität des (hohen) Mitteleinsatzes und schließlich darum, inwieweit Qualifizierung und Beschäftigung aus Beitragsmitteln der Arbeitslosenversicherung finanziert werden sollen bzw. dürfen. Der Problemkreis der Finanzquellen stellte sich auch noch für eine Reihe weiterer Aufgabenfelder. Gesellschaftlich und politisch gewollte Aufgaben wurden in beträchtlichem Umfang der Bundesanstalt übertragen, ohne dass es einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Arbeitslosenversicherung gab und gibt: Auszahlung des Kindergeldes, Sprachforderung von Aussiedlern, Bekämpfung der Schwarzarbeit u.a.m. Bei diesen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben gibt es gute Gründe, sie aus allgemeinen Steuern zu finanzieren. Der im Finanzierungssystem vorgesehene Bundeszuschuss würde dann seinen Charakter einer Defizithaftung zugunsten einer dauerhaften Anteilsfinanzierung des Haushalts der Bundesanstalt durch den Bund abgeben. Vorschläge zu einem regelgebundenen Bundeszuschuss, der antizyklisch zum Konjunktur- und Beschäftigungsverlauf gestaltet sein soll, wurden Anfang der 1990er Jahre von einigen Fachleuten entwickelt und insbesondere von einer Gruppe von Ländern bis zu einem Gesetzentwurf ausgearbeitet, ohne dass sich dafür die notwendigen parlamentarischen Mehrheiten finden ließen.
Π Ι . Arbeitsmarktpolitik in den neuen Bundesländern Die deutsche Einheit stellte an die Bundesanstalt für Arbeit ganz besondere Anforderungen. Mit dem Staatsvertrag zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion wurden die Weichen für die Übernahme des westdeutschen Wirtschaftssystems und arbeitsmarktpolitischen Ansatzes gestellt. Die Volkskammer hat 1990 ein DDR-spezifisches Arbeitsförderungsgesetz beschlossen, das nicht nur eine weitgehende Übernahme des westdeutschen AFG darstellte, sondern auch in der Bonner Ministerialverwaltung geschrieben worden ist. Die Situation des Wirtschafts- und Beschäftigungssektors der DDR bzw. ab Oktober 1990 des sogen. Beitrittsgebietes wäre mit Strukturwandel unzutreffend gekennzeichnet. Es ging und geht vielmehr um einen grundlegenden Strukturumbruch ohne Übergangs- oder Anpassungsphasen. Die verschiedenen Strukturkrisen in den vorangegangenen Jahrzehnten in Westdeutschland (Kohle und Stahl, Werften) waren nicht vergleichbar in Dimension (es waren nur einzelne Wirtschaftssektoren und Regionen betroffen) und Zeit (die Anpassungsprozesse liefen über 10 bis 15 Jahre). Für die Lösung oder Abfederung des Beschäftigungsproblems wurden die arbeitsmarktpolitischen Instrumente in bisher unbekannter Größenordnung eingesetzt. Dies gilt vor allem für die Instrumente der aktiven Arbeits-
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marktpolitik des Arbeitsförderungsgesetzes von 1969. Diese hatten ursprünglich die Funktion, in Konjunkturtälern auftretende und damit zeitlich befristete Arbeitslosigkeit aufzufangen (Beschäftigung in A B M und Qualifizierung, bis der Arbeitsmarkt die konjunkturbedingte mangelnde Aufnahmefähigkeit überwunden hatte). Für die Kombinate, Unternehmen und Betriebe galt der Politikansatz, diese für den Markt und offenen Wettbewerb durch entsprechende Änderungen in der Geschäftsausrichtung und Struktur zu befähigen, sie so schnell und gut wie möglich zu privatisieren oder ihre Tätigkeit zu beenden. Entsprechende Zielvorgaben wurden im Treuhandgesetz festgelegt. Zu dessen Umsetzung wurde eigens eine Großorganisation geschaffen: die Treuhandanstalt mit der Aufgabe, letztlich eine ganze Volkswirtschaft mit über 9.000 Betrieben radikal umzugestalten. In diesem Umstrukturierungsprozess blieb die Beschäftigung der bisherigen Betriebsangehörigen ungelöst bzw. für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht übernommen werden konnten, wurde nach Auffanglösungen gesucht. Dabei ging es in einzelnen Branchen und Betrieben um bis zu 90 % der Belegschaft; insgesamt reduzierte sich die Zahl der Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern von 9,2 Mill, im Saldo um rund 40 % (einschließlich öffentlicher Verwaltung und Institutionen des alten politischen Systems). Dieses Beschäftigungsproblem wurde primär der Arbeitsmarktpolitik zugeordnet. Für die Bundesanstalt bedeutete dies ein Mehrfaches: Erstens musste in den neuen Ländern eine Arbeitsverwaltung aufgebaut werden (mit dem Umfang von über 20.000 Beschäftigten), zweitens mussten die Transferleistungen (Arbeitslosengeld, Konkursausfallgeld, Kurzarbeitergeld usw.) in zunehmender Größenordnung erbracht werden und drittens waren die Programme und Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik mit dem Beschäftigungsabbau zu verbinden. Es ging im Kern um einen „Großen Sozialplan Ost", bei dem die BA (und die Länder und Kommunen) einen Großteil der Verpflichtungen des A r beitgebers" zu übernehmen hatte, für den die Treuhandanstalt (und später die BVS - Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben) sich nur teilweise in der Lage sah, sich einzubringen. Für diese Aufgabe stellte der Gesetzgeber - anders als der Treuhandanstalt - keine neuen Instrumente zur Verfügung. Vielmehr wurden die bekannten Instrumente des AFG, allen voran A B M und Fortbildung und Umschulung, in bisher unbekannten Größenordnungen („MEGA-ABM") eingesetzt. Die Hälfte der Ausgaben des drastisch erhöhten Haushalts der BA ging in die neuen Bundesländer; der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wurde um 2 bzw. 2,5 % auf 6,5 % angehoben. Mit diesen Programmen ging vor Ort die Bildung von Trägerstrukturen einher: bis zu 100 Beschäftigungsgesellschaften wurden aus den Betrieben „ausgegründet" oder eigenständig - häufig von den Kommunen - geschaffen, unter finanzieller Beteiligung der Treuhandanstalt und der Länder, wobei die Bundesanstalt den wesentlichen Teil der Lohn(ersatz)kosten zu tragen hatte. Von Rückbau der Braunkohletagebauflächen über Aufschließung alter Industrieflä-
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chen (Beräumung) bis hin zur sozialen Infrastruktur reichten die Projekte der Beschäfitigungsgesellschafiten. Ein darauf bezogenes gesetzliches Förderinstrument erhielt die Bundesanstalt erst ab dem Jahr 1993 mit dem § 249h AFG, nach dem die BA im Beitrittsgebiet arbeitslose Arbeitnehmer in Projekten zur Verbesserung der Umwelt, der sozialen Dienste oder der Jugendhilfe fördern durfte und tatsächlich in erheblichem Umfang auch praktiziert hat. In einigen Regionen waren die Beschäftigungsgesellschaften mit Abstand der größte Arbeitgeber (teilweise mit mehreren Tausend Beschäftigten) und Auftraggeber für die örtlichen Betriebe. Das Förderinstrumentarium wurde 1997 durch den Gesetzgeber verfeinert (§§ 272 SBG III), 2001 erweitert (§§ 260 ff SGB III - insbesondere §§ 265a „pauschalierte Förderung" und 279a „beschäftigungsschaffende Infrastrukturförderung" des JOBAQTIV-Gesetzes) Für 2003 steht durch Zusammenlegung der einzelnen Instrumente eine Revision an, ohne den Grundgedanken der Verbindung von Beschäftigung und Projekten der Infrastruktur, einschließlich der sozialen und umweltbezogenen Infrastruktur, aufzugeben. Die neue Qualität der zu bewältigenden Aufgaben lässt sich besonders plastisch an der Haushaltskrise der BA Anfang 1993 zeigen: Schien mit dem Präsidentenwechsel Ende Januar der Haushalt noch im Lot zu sein, so musste nach einem knappen Monat bei den A B M eine Überbuchung durch Bewilligungszusagen von rund 4 Mrd. D M festgestellt werden. Dem Bewilligungsstopp der BA folgte ein 2-Mrd-DM-Sonderprogramm der Bundesregierung, das bis zu 90 % in die neuen Bundesländer gehen sollte. Das sich damit mehr als deutlich abzeichnende Führungs- und Steuerungsdefizit der Bundesanstalt wurde von ihr selbst als Problem nicht angemessen aufgegriffen. Versuchen der Selbstverwaltung, Leitungs- und Controllingansätze und -instrumente aus der Privatwirtschaft zu übernehmen, fehlten die notwendigen Promotoren. Erst neun Jahre später erhielt dieses Thema durch einen Bericht des Bundesrechnungshofs zu den Statistiken der Arbeitsvermittlung allgemeine Aufmerksamkeit. 2002 wurde ein wesentlicher Umbau der BA durch politische Entscheidungen von außen eingeleitet. Die Arbeitsmarktpolitik in den neuen Ländern und die BA als wesentlicher Akteur waren durch vier ganz unterschiedliche Problemkreise geprägt. Erstens sollte die Arbeitsmarktpolitik mehrere Millionen Personen auffangen, deren bisheriger Arbeitsplatz weggefallen war. Arbeitsmarktpolitik vermag aber allein, d.h. ohne Struktur-, Wirtschafts-, Steuer- und Haushaltspolitik, zusätzliche Arbeitsplätze von Dauer grundsätzlich nicht zu schaffen, sondern nur im Rahmen einer Beschäftigungspolitik, die die verschiedenen Fachpolitiken integriert. Die Arbeitsmarktpolitik in den neuen Ländern musste diese Lücke füllen, wurde damit zweifellos überfordert und hat aber - über die Transferleistungen und die aktive Arbeitsmarktpolitik - einen wesentlichen Beitrag zum sozialen und politischen Frieden in Ostdeutschland geleistet. Zweitens standen ihr nur die Ansätze der bisherigen westdeutschen Arbeitsförderung (Vermittlung, Lohnersatzleistungen, aktive Arbeitsmarktpolitik) zur Verfügung, die auf die Situation eines
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Landes im prinzipiellen Strukturumbruch nur schwerlich passten. Drittens wurde dieser Teil der deutschen Einheit über einen Haushalt eines Sozialversicherungsträgers und über Sozialversicherungsbeiträge - mit Ausnahme eines begrenzten Bundeszuschusses - finanziert mit der Folge, dass die Programme den Gesetzmäßigkeiten und der Auseinandersetzung eines von den Sozialpartnern getragenen Systems unterlagen. Viertens wurde auch die neue Aufgabe der BA, die Arbeitsförderung in Ostdeutschland, nach den traditionellen Mustern der bürokratischen Steuerung vollzogen. Es gehört zu den Phänomenen des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, dass diese vierfache Problematik nur selten diskutiert, sondern vielmehr die BA über Jahre hinweg für ihre Leistungen im Zuge der deutschen Einheit und für die arbeitlosen oder von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen in Ostdeutschland positiv herausgestellt wurden. Nur gelegentlich wurden Fragen nach der richtigen Finanzierung, der Effizienz und Effektivität, der Führung und Steuerung oder der zielgenauen Ergebnissicherung gestellt. In dieser Situation brach Anfang 2002 die Diskussion um die BA als Dienstleistungsunternehmen und einen grundsätzlichen Reformbedarf über die BA und deren erst im Jahr zuvor wieder bestellten Präsidenten herein.
I V . Änderung der Ziele und Anforderungen an die Arbeitsmarktpolitik und an die Bundesanstalt Die Arbeitsmarktpolitik und die BA haben im Laufe der Jahrzehnte der Bundesrepublik einen mehrfachen Ziel- und Funktionswandel durchlaufen. Standen zu Beginn der Bundesrepublik Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenunterstützung im Vordergrund, verschob sich mit Erreichen der Vollbeschäftigung der Schwerpunkt in Richtung Arbeitsvermittlung und Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer. Auf die erste Wirtschaftskrise 1966/67 folgte eine Zielverschiebung in Richtung auf aktive Arbeitsmarktpolitik, vor allem Beschäftigung und Qualifizierung. Deren Voraussetzung, nämlich die konjunkturbedingte und damit temporäre Unterbeschäftigung, entfiel zunehmend, als seit Beginn der 1980er Jahre auch im Konjunkturaufschwung eine Sockelarbeitslosigkeit bestehen blieb und der Bestand an Langzeitarbeitslosen stetig anwuchs. Auch wenn der Gesetzgeber in den 1980er und 1990er Jahren die - expliziten - Ziele der Arbeitsmarktpolitik zu konzentrieren und einzuschränken versuchte (z.B. Konzentration von A B M auf Problemgruppen, Verlagerung des Schwergewichts auf Ausgleich am Arbeitsmarkt), so blieben weitere - z.T. implizite - Ziele gleichwohl in der Tagespolitik der Bundesanstalt bestehen. Dies manifestierte sich indirekt an den jährlichen Haushaltsansätzen (und der Auseinandersetzung um deren Gewichtung, vor allem hinsichtlich der aktiven Arbeitsmarktpolitik), an den verschiedenen Sonderprogrammen und in besonderer Weise in den neuen Bundesländern. Die expliziten Ziele des AFG, AFRG und SGB I I I konnten hier allenfalls einen Teil der zu lösenden Probleme erfassen. Vielmehr wurden der BA
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durch politische Entscheidungen eine Zielverschiebung und -erweiterung mit auf den Weg gegeben, ohne dass dies im Gesetz seinen Niederschlag fand. Besonders manifestierte sich diese Entwicklung in der Aufgabe der BA, freigesetzte Mitarbeiter in sinnvollen Projekten des sogen, zweiten Arbeitsmarktes ganz oder überwiegend - und für einen Mehrjahreszeitraum - mitzufinanzieren. Die aktive Arbeitsmarktpolitik, einschließlich ihrer besonderen Qualität in den neuen Bundesländern, entwickelte sich zu einer dritten, wichtigen Säule der BA. Die Lohnersatzleistungen (und andere Transferleistungen) und die Arbeitsvermittlung haben ihre Bedeutung und Größenordnung in den letzten Jahrzehnten nicht eingebüßt. Auch nach der - schrittweisen - Aufhebung des Vermittlungsmonopols bleibt die BA der mit Abstand wichtigste Akteur für die Stellenvermittlung mit 2 bis 3 Mill. Vermittlungen im Jahr. Und rund drei Viertel der Ausgaben der BA (bzw. rund 50 % des Haushalts der BA) entfallen auf Lohnersatzleistungen an über 3 Mill. Leistungsbezieher (einschl. Arbeitslosenhilfe, die aus dem Bundeshaushalt direkt finanziert wird). 10 Diesem sehr dynamischen Prozess der quantitativen und qualitativen Veränderungen in der Arbeitsmarktpolitik sind die politischen Entscheidungen und die BA nur partiell und reaktiv gefolgt. Die BA hat viele Kapazitäten und Ressourcen darauf verwenden müssen, die Massenverwaltung bei den Lohnersatzleistungen und der aktiven Arbeitsmarktpolitik mit leistungsfähigen ITSystemen auszurüsten, die dann Basis für ein Management-Informations-System sein könnten. In Einzelfällen musste die BA den Gesetzgeber warnen, dass eine bestimmte Gesetzesänderung mit der derzeitigen EDV nicht zu vollziehen sei (vielmehr müssten mehrere hunderttausend Akten per Hand bearbeitet werden). Auf der anderen Seite hat die BA seit Mitte der 90er Jahre mit dem Konzept Arbeitsamt 2000" einen Ansatz entwickelt, der tief greifend die Binnenstrukturen und -prozesse verändern sollte. Um die vier Organisationsziele der Kundenorientierung, Mitarbeiterorientierung, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit zu erreichen, sind folgende Eckpunkte entwickelt worden: kundenorientierte Teams (d.h. Vermittlung und Leistungen nach SGB I I I aus einer Hand), Dezentralisierung mit Verlagerung von Organisations- und Budgetkompetenzen, Controlling und Ausbau von Selbstinformationseinrichtungen. Überlagert sind diese Modernisierungsansätze allerdings durch zwei dominante Größen mit traditioneller Ausprägung: Recht und Personal.
10 Die Ausgaben im Haushalt der BA verteilen sich im Haushaltsplan 2003 (Gesamtvolumen: 53,16 Mrd. €) wie folgt: 50,1 % für Lohnersatzleistungen u.ä.; 40,5 % für aktive Arbeitsförderung (davon 25,4 % im sogen. Eingliederungstitel); 9,4 % für Verwaltungsausgaben. Bezieher von Arbeitslosengeld im Durchschnitt der letzten Jahre: 1,7 bis 1,8 Mill.; Bezieher von Arbeitslosenhilfe: 1,0 bis 1,4 Mill.
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Die Inhalte der Arbeitsmarktpolitik werden - entsprechend der deutschen bzw. kontinentaleuropäischen Verwaltungstradition - mit dem Medium des Rechtes festgelegt, mit dem auch die BA gesteuert wird und mit dem sie selbst in ihrem Binnenbereich steuert (Satzungen/Anordnungen, Dienstanweisungen, Erlasse etc.). Die gesetzlichen Normen für die BA sind durch die Traditionen des Sozialversicherungsrechts geprägt. Zu dieser Tradition gehört vor allem das Leistungsrecht, das noch 1997 mit dem AFRG seine handwerkliche Vollendung finden sollte: der Versuch, mit detaillierten gesetzlichen Normsetzungen die millionenfachen Entscheidungen zu steuern und Einzelfallgerechtigkeit herzustellen. Wenn in einer parlamentarischen Anhörung im Jahr 2003 der Vorstandsvorsitzende der BA ausführt, dass die vom Gesetzgeber beabsichtigte maßvolle - Reduzierung der 48 Normvorgaben beim Arbeitslosengeld würde die Kapazität von mindestens 3.000 Stellen freisetzen, können die Dysfunktionen bisheriger Steuerungsansätze durch Gesetz kaum plastischer auf den Punkt gebracht werden. Und mit der Öffnung von Entscheidungsspielräumen im Einzelfall dürfte eher der Weg zur Einzelfallgerechtigkeit geebnet sein. Zu den Steuerungsformen durch Recht gehören auch die beiden Dimensionen der Rechts- und der Fachaufsicht. Diese sind ihrerseits gebunden an die rechtsförmig ausgestalteten Programmsätze und unterliegen damit deren Defiziten an Ziel- und Ergebnisorientierung. Eine rechtliche Richtigkeit oder Unrichtigkeit korrespondiert eben nicht mit einer Ergebnisbewertung. Zu den Besonderheiten des Arbeitsförderungsrechts gehört es, dass auch die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik der Logik der klassischen Normsetzung im Sozialrecht folgen: spezifischer, möglichst detaillierter Tatbestand einerseits und möglichst klar definierte und festgelegte Rechtsfolge andererseits. Der gedankliche und problemverknüpfende Weg zu einer beschäftigungspolitisch orientierten Analyse, Bewertung und Entscheidung ist damit verstellt. Mit dieser, auf den Einzelfall und die richtige Rechtsanwendung konzentrierten Orientierung des Gesetzgebers korrespondierte bisher die Rekrutierung, die Fortbildung, der Aufstieg, die Beförderung und die Sozialisation der ganz überwiegenden Zahl der (90.000) Beschäftigten der BA. Generalisten des höheren Dienstes, der eigene gehobene Verwaltungsdienst und eine entsprechend ausgebildete Sachbearbeiterebene garantieren die Arbeits- und Funktionsabläufe einer regelgebunden aufgestellten Großorganisation. Wer diesem mainstream nicht entsprach, nahm einen Karriereknick in Kauf oder verließ die BA. Wenn die Erkenntnis, die sich u.a. auch in Gesetzen niedergeschlagen hat (vgl. den 1997 geänderten § 7 BHO) richtig ist, dass auch der öffentliche Sektor sich zielund ergebnisorientiert auszurichten hat, dann ist der Weg der BA noch weit, über das richtige bzw. richtig qualifizierte Personal für einen derartigen Wechsel zu verfügen.
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V. Die Bundesanstalt für Arbeit im Übergang Aus der Entwicklung in den 90er Jahren lassen sich einige Modernisierungsansätze für und in der BA festmachen: -
eine - zumindest in der gesetzlichen Programmatik - dezentrale Ressourcensteuerung und -Verantwortung (durch das AFRG 1997);
-
eine Flexibilisierung des Budgets in der aktiven Arbeitsmarktpolitik, indem die verschiedenen Ansätze in einen sogen. Eingliederungstitel zusammengeführt und von den örtlichen Arbeitsämtern nach Einschätzung des örtlichen Bedarfs akzentuiert werden können (Umschichtung von A B M zu Fort- und Weiterbildung und umgekehrt; nunmehr auch unter Einbeziehung der Strukturmaßnahmen); immerhin steht ein Viertel des Haushalts der BA für ein solches „regionales Globalbudget" zur Verfügung;
-
eine Binnenmodernisierung von Organisation, Verfahren und Führung durch das Konzept, Arbeitsamt 2000";
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eine Rücknahme der gesetzlichen Detailsteuerung, eine Verstärkung des präventiven Ansatzes und Verbesserung der Ziel- und Ergebnisorientierung sowie vor allem eine Neuausrichtung und Effektivierung der Arbeitsvermittlung durch das JOBAQTIV-Gesetz, das mit Beginn des Wahljahres 2002 in Kraft trat.
Keine zwei Monate später - nach einer längeren Phase der kritischen öffentlichen Auseinandersetzung mit der BA, die mit der intransparenten Datensammlung und Statistik der Arbeitsvermittlung ihren Ausgang nahm - stellte die Bundesregierung bzw. der Bundeskanzler in der Bundespressekonferenz die BA auf den Prüfstand, kündigte zugleich erste Struktur- und Personaländerungen an der Spitze an (hauptamtlicher Vorstand anstelle des hauptamtlichen Präsidenten und Vizepräsidenten und des Vorstandes aus der ehrenamtlichen Selbstverwaltung) und berief eine Expertenkommission mit dem programmatischen Titel „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt". Die Kommission legte im Sommer 2002 ihren Bericht vor, der trotz sehr unterschiedlicher Ausgangspositionen der Mitglieder einstimmig verabschiedet wurde. 11 Das lag nicht nur an der internen Arbeitsweise der Kommission, sondern an der Methode, sich nicht mit Theorien oder stringenten Zielsystemen an die Problematik von Arbeitsmarktpolitik und Reform der BA heranzubegeben, sondern pragmatisch relevante Felder herauszugreifen, vorhandene Konzepte
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Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt. Bericht der Kommission (sogen. „Hartz-Kommission"), o.O., o.J. (hrsg. vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Berlin 2002).
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im In- und Ausland heranzuziehen und dies in ein Handlungskonzept mit 13 Modulen zusammenzuführen. Dabei sind sowohl die Probleme, die Anlass der Einsetzung der Kommission waren, aufgegriffen - nämlich die Verbesserung der Vermittlung durch neue Strukturen (Job-Center, Personal-ServiceAgenturen usw.), als auch neue oder weiterentwickelte Instrumente (Wertpapiere/Gutscheine, „Ich-AG", Förderung älterer Arbeitnehmer usw.) enthalten. Ferner werden schon über Jahre geführte Diskussionen um die weitgehend identischen oder ähnlichen Zielgruppen von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe aufgegriffen und die Zusammenführung der Systeme nachdrücklich unterstützt. Schließlich wird die Verantwortung aller gesellschaftlichen Kräfte angemahnt, das Problem der Arbeitslosigkeit aktiv mit lösen zu helfen (Masterplan, ,,Profis der Nation"). Die Bundesregierung hat die Kommissionsvorschläge nach der Bundestagswahl 2002 zu großen Teilen aufgegriffen und, in mehreren Gesetzesentwürfen aufgeteilt, in das parlamentarische Verfahren eingebracht. Die Bundesregierung verfolgt mit den beiden ersten Gesetzen die folgenden Ziele: 12 Erschließung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten, Verbesserung der Qualität und Schnelligkeit der Arbeitsvermittlung, Neuausrichtung der beruflichen Weiterbildung, Stärkung des Dienstleistungscharakters der BA. Die beiden darauf folgenden Gesetzesentwürfe des Jahres 2003 zielen vor allem auf die weitere Veränderung der Strukturen der Bundesanstalt - zukünftig Bundesagentur für Arbeit - (Aufhebung der Landesarbeitsämter als allgemeine Mittelinstanz, stattdessen Regionalzentren als Kompetenzzentren, Beschränkung der Selbstverwaltung auf Beratungsfunktion) und die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe mit der Leitfunktion der Agenturen für Arbeit (vormals Arbeitsämter) und deren Job-Center.
V I . Die Bundesagentur für Arbeit als Dienstleistungsunternehmen im Feld der Arbeitsmarktpolitik Über die verschiedenen Jahrzehnte und Stadien der Arbeitsförderung hinweg haben sich sowohl die Problemlagen der Arbeitsförderung als auch die quantitativen und qualitativen Anforderungen an die BA mehrfach und grundlegend geändert. Arbeitsmarktpolitik steht in engem Bezug zur Struktur-, Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik sowie weiteren Politikfeldern. 13 Die Arbeitsverwaltung, die als Organisation der Arbeitslosenversicherung begonnen 12
Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit. Vgl. dazu G. Schmid , Wege in eine neue Vollbeschäftigung. Übergangsarbeitsmärkte und aktivierende Arbeitsmarktpolitik, Frankfurt 2002, insbes. S. 381 ff. (Koordinierte Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik). 13
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hat, hat den Charakter eines klassischen Sozialversicherungsträgers zunehmend verloren. Elemente der Sozialversicherung wie die Finanzierung über lohnbezogene Beiträge oder eine Steuerung mittels traditioneller sozialgesetzlicher Normen haben zunehmend ihre Risiken und Dysfunktionen aufgezeigt. Soll die Arbeitsverwaltung ihre drei Hauptfelder (1) Ausgleich auf dem Arbeitsmarkt durch Vermittlung, (2) Transferleistungen bei Arbeitslosigkeit, (3) Erhaltung und Verbesserung der Arbeitsfähigkeit und Qualifizierung durch aktive Arbeitsmarktpolitik (einschließlich Beschäftigung im öffentlich geforderten Arbeitsmarkt in Regionen ohne aufnahmefähigen ersten Arbeitsmarkt) in Zukunft fünktionsgerecht erfüllen, bedarf es einer neuen Ausrichtung und Verortung im politischen und gesellschaftlichen System. Eingebunden in die beschäftigungspolitischen Zielsetzungen der Europäischen Union wird die Arbeitsmarktpolitik stärker mit anderen, für die Beschäftigungspolitik relevanten Politikfeldern zu verzahnen sein. Damit einher geht eine notwendige Intensivierung der horizontalen und vertikalen Informationsund Koordinierungsanforderungen, sowohl zwischen den politischen und administrativen Institutionen als auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Institutionen, soweit diese beschäftigungspolitisch relevant sind. Neben den Sozialpartnern, die bereits über die Selbstverwaltungsorgane eingebunden sind, gehören Wohlfahrtsverbände, regionale und lokale Initiativen, praxisorientierte Wissenschaftseinrichtungen und andere dazu. Im Laufe der Jahrzehnte haben sich nicht nur die allgemeinen Probleme auf dem Arbeitsmarkt und damit die Anforderungen an Arbeitsmarktpolitik, Gesetzgebung und BA wesentlich verändert, sondern im Besonderen sind die Problem- bzw. Zielgruppen andere als in früheren Jahrzehnten. Die stetig wachsende Zahl von Langzeitarbeitslosen und der exponentielle Anstieg der Bezieher von Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt) wegen Arbeitslosigkeit oder geringem Erwerbseinkommen markieren diese Entwicklung. Damit machen die Probleme der fehlenden Arbeitsplätze, der angemessenen Beschäftigung und der Qualifizierung nicht Halt an der traditionellen Grenze der Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. Die Diskussionen und Handlungskonzepte, wie an dieser durch institutionelle Differenzierung geschaffenen Grenze (hier: Arbeitsverwaltung als mittelbare Bundesverwaltung und sozialversicherungsgeprägt, dort: kommunale Sozialverwaltung mit steuerfinanzierter Sozialhilfe als Fürsorgeleistung) nach Problemlagen orientierte Konzepte entwickelt und durchgeführt werden können, durchzieht die Verwaltungspraxis und teilweise die Normsetzung der beiden letzten Jahrzehnte. Z.B. kann bzw. konnte ein Teil der Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik der BA auch für sogen. Nicht-Leistungsbezieher aufgrund einer gesetzlichen Öffnung eingesetzt werden, wurden kommunale Beschäftigungsgesellschaften mit dem Teilziel geschaffen, Sozialhilfeempfängern nach einem Jahr sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung Leistungsansprüche gegen die BA zu verschaffen, haben Modellarbeitsämter und Modellversuche des Bundes (§ 42Id SGB III) die Notwendigkeit und Sinnhaftig-
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keit einer stärkeren Verknüpfung von Arbeitsverwaltung und Sozialhilfeverwaltung belegt und haben die BA und die kommunalen Spitzenverbände schließlich Formen und Inhalte der Kooperation vereinbart. 14 Die weitergehende Vorstellung, die Bezieher von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, soweit sie im erwerbsfähigen Alter und auch tatsächlich für eine Beschäftigung geeignet sind, in die Verantwortung eines Trägers überzuführen, ist sinnvoll und überfällig. Gegen eine Übertragung auf die Kommunalebene und für eine grundsätzliche Zuordnung zur Arbeitsverwaltung, bei Kooperationspflicht der kommunalen Ämter bis hin zu den Wohnungsämtern und der Schuldnerberatung, sprechen die überwiegenden Gesichtspunkte (fachliche Kompetenz, gleichmäßiger Vollzug in der Fläche, Finanzierung aus dem Bundeshaushalt, Überforderung der Kommunen insbesondere in strukturschwachen Regionen usw.). Zugleich wird mit der konzeptionellen und institutionellen Einbeziehung der erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger in die Handlungsprogramme der BA deren Charakter weiter verändert. Sie ist allgemeiner Dienstleister für Arbeitsförderung und agiert in einem offenen System; d.h. die BA und ihre Agenturen vor Ort sind mit den Kommunen und den entsprechenden regionalen und örtlichen Akteuren zu vernetzen. Die Zurückhaltung der BA gegenüber dieser weiteren Aufgabe, vor allem bezüglich der Klientel, die schwer in den Arbeitsmarkt zu integrieren ist, ist nicht überraschend, verändert und erweitert sie doch nicht nur die Anforderungen an die BA in der Einzelfallbetreuung, sondern verlangt von ihr auch, sich aktiver und offener in die regionalen und lokalen Verhandlungs- und Entscheidungssysteme einzubringen (regionale Arbeitsmarktkonferenzen, lokale Bündnisse für Beschäftigung usw.). War schon bisher die einseitige Finanzierung der BA kritisch diskutiert worden (in Jahren ohne Zuschuss des Bundes als gesetzlicher Ausfallgarant erfolgte die Finanzierung allein aus - lohnbezogenen - Sozialversicherungsbeiträgen), so wird sich spätestens mit der Thematik Arbeitslosenhilfe/Sozialhilfe eine Mischfinanzierung der BA (Beiträge, Steuern, ggf. Abgaben) etablieren. Eine weitere Entfernung von der klassischen Sozialversicherung wird es durch die Veränderung des Steuerungssystems geben. Je stärker auf die Ergebnisqualität der BA abgestellt wird, desto mehr sind die eingeübten Formen der Steuerung durch detaillierte Rechtsnormen, durch Dienstanweisungen und Erlasse sowie durch Rechts- und Fachaufsicht abzulösen durch Ansätze von Zielvereinbarungen und Kontraktmanagement, dezentraler Entscheidungsverantwortung verbunden mit einem Managementinformationssystem, Controlling- und Evaluierungssystem. Der Gesetzgeber hat diese Entwicklungslinie aufgegriffen; sie befindet sich aber erst in den Anfängen der situationsgerechten Ausgestaltung. 14
Vgl. Leitfaden für Sozialhilfeträger und Arbeitsämter zur beruflichen Eingliederung Arbeitsloser, hrsg. von der Bundesanstalt für Arbeit und der Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände, Fassung vom Januar 2001, in: Informationen für die Beratungs- und Vermittlungsdienste (ibv) 2001, S. 235 ff.
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Die häufig postulierte Orientierung an Strukturen der Privatunternehmen greift dabei zu kurz. Vor allem verstellt die Vorstellung, die BA einer Aktiengesellschaft nachzubilden, den Blick auf deren besonderen Charakter. Im Gegensatz zur Bundesbahn, Bundespost oder Telecom nimmt die BA auch zukünftig wesentliche öffentliche Aufgaben wahr, die durch die Verantwortung für bisherige Sozialhilfebezieher noch verstärkt wird. Ferner agiert die BA mit der Arbeitsförderung in einem Feld, in dem weitere wichtige Akteure der Arbeitsmarktund Beschäftigungspolitik Verantwortung tragen und die sinnvollerweise eingebunden werden sollten. Aus diesem Gedanken der Legitimation und Absicherung der Entscheidungen der BA folgt, die Selbstverwaltung in der BA beizubehalten und ihr ein Mitgestaltungsrecht einzuräumen - also über die Gründe der Ursprünge der Selbstverwaltung hinaus und auf eine neue Grundlage gestellt. Da nicht alle Akteure in die Selbstverwaltungsorgane einbezogen werden können, ist eine zusätzliche Verortung der BA in lokalen und regionalen Netzwerken sinnvoll, wie es ansatzweise bereits entwickelt ist. Entlang dieser Entwicklungslinien kann die BA zu einer modernen Dienstleistungsagentur für Beschäftigung mutieren. Sie wird dann sowohl im Binnenbereich als auch in ihren Außenbeziehungen qualitativ verändert agieren. Sie ist ein interessantes Beispiel für die wissenschaftliche Debatte um „Good Governance".15 Den Charakter ihrer Einmaligkeit („öffentlicher Dienstleister sui generis") wird die BA allerdings auch in Zukunft behalten.
15 Vgl. K. König, Öffentliches Management und Governance als Verwaltungskonzepte. Zehn Thesen, in: DÖV 2001, S. 617-625.
Staat und öffentliche Kultur Von Waldemar Schreckenberger, Heidelberg
I. Das Werk des Jubilars, Klaus König, zeigt uns eindringlich die vielfältigen internationalen Anstrengungen, auf theoretischem Niveau Probleme der staatlichen Verwaltung zu erörtern. Ein Forschungssymposium, das anlässlich der Emeritierung von Klaus König veranstaltet wurde, gewährte einen anschaulichen Einblick in die schwierige Lage einer Wissenschaft, die versucht, aus der Sicht sehr unterschiedlicher nationaler Disziplinen begriffliche Ordnung fur ein höchst komplexes Forschungsfeld, aber auch wünschenswerte Anleitungen für die Praxis zu vermitteln. Die beiden Handlungsfelder, Wissenschaft und Praxis, zeichnen sich durch eine Vielfalt von Gegenständen und Bezügen aus, die raschen, oft nur schwer deutbaren Veränderungen ausgesetzt sind. Auch ohne theoretische Vorgabe lässt sich aber sagen, dass wir es mit einem Fach zu tun haben, das darauf angewiesen ist, fruchtbare Verbindungen von Theorie und Praxis herzustellen. Hier bietet die Arbeit von Klaus König, in Verbindung mit der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer und dem angegliederten Forschungsinstitut, richtungweisende Perspektiven. Deutliche Indikatoren bietet der Lebensweg von Klaus König. Er verstand es, von der Rechtswissenschaft ausgehend sich den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zuzuwenden. Er suchte aber stets auch die verantwortliche Arbeit in der Praxis, die ihn zuletzt in ein hohes Amt im deutschen Bundeskanzleramt führte. Eine große Herausforderung wurden die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, und nicht zuletzt die unterschiedlichen Entwicklungen in europäischen und außereuropäischen Ländern, die König auch vor Ort in Augenschein nahm. Eine herausragende theoretische Grundlage fand König in den modernen Systemtheorien, die er zu einer eigenen „systemischen" Methodik fortentwickelte. Er ist aber den autopoietischen Verfestigungen des modernen Klassikers der Systemtheorie, Niklas Luhmann, nicht gefolgt. Es gelang ihm, ein gegenstandsbezogenes und relationales Denken auf forderliche Weise zu verbinden. Die Verwaltungswissenschaften haben die Last und den Vorzug, in die Problematik einer grundlegenden Sozialordnung, ihre Dynamik und Gegensätze, eingebunden zu sein. Königs Werk durchzieht ein optimistischer, versöhnlicher
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Geist; er prägt die recht fruchtbare Methodik mit den Schlüsselbegriffen wie „Transformation", „Entwicklung" und „Modernisierung".
II. 1. Das Thema „Staat und öffentliche Kultur" versucht, über die Fachwissenschaften hinaus allgemeine, kategoriale Grundlagen moderner sozialer Ordnungen zu vermitteln. Während der erstere Begriff auf theoretische und ideologische Verhärtungen, im öffentlichen Meinungsklima eher auf Skepsis stößt, ist die allgemeine Vorstellung von Kultur eher freundlicher, wenngleich mehr diffuser Natur. Welche Bedeutung haben sie für die „öffentliche Verwaltung"? Für den Juristen ist es kein Problem, die bevorzugte Sprechweise von der „öffentlichen Verwaltung" als „staatliche" Verwaltung zu verstehen; dies ist anders bei den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, die damit weitergehende soziale Ordnungsvorstellungen verbinden. Die „Kultur" ist gewiss auch ein administrativer Sachverhalt, aber sie ist weit mehr. Sie ist die tiefgreifende zivilisatorische Grundlage des sozialen Zusammenlebens. Sie findet ihren vornehmlichen Ausdruck in allgemeinen Lebensformen, in Wissenschaft, Kunst, Politik und Religion. Sie ist insoweit in hervorragender Weise „öffentliche" Kultur. Beide Begriffe stehen heute nicht gerade im Vordergrund der verwaltungswissenschaftlichen Erörterungen. Es scheint, als sei der rechtliche, normative Aspekt weithin traditionellen Vorstellungen verpflichtet. Die empirischen Fachdisziplinen versprechen sich demgegenüber eine Hilfe eher von der fachübergreifenden Lösung der Probleme einer ausufernden, das gesamte soziale Leben überziehenden Verwaltungsorganisation. Die empirischen Wissenschaften gewinnen ihr Ansehen aus dem hohen Rang der Naturwissenschaften, die auf das moderne Weltbild, seit der europäischen Aufklärung einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf die institutionalisierte Wissenschaft, aber auch auf soziale Anschauungen und auf die allgemeine Öffentlichkeit gewonnen haben. Heute stehen Fragen der administrativen Leistungsfähigkeit und ihrer Kontrolle, eines stärker persönlich verantworteten Arbeitsstils sowie Bemühungen um eine die herkömmlichen Verwaltungsgrenzen überschreitende Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Organisationen im Vordergrund. Einen besonderen Rang gewann in der öffentlichen Diskussion die stärkere Einbeziehung der Bevölkerung in geeignete Verwaltungsplanungen und -abläufe als eine Art der „Demokratisierung" der Gesellschaft. Will eine wissenschaftliche Forschung nicht lediglich in der zufälligen Addition von Arbeitsergebnissen bestehen, so wird sie die Frage nach der Einheit des Gegenstandes und der theoretischen Verträglichkeit ihrer Methoden stellen müssen. Hierauf gibt es je nach der generalisierbaren Forschungsperspektive unterschiedliche Antworten. Es empfiehlt sich daher, eine theoretische Präferenz vorzunehmen. Sie findet ihre Gewichtung in den die Fachgrenzen überschreitenden
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allgemeinen, handlungstheoretischen Grundlagen sozialer Sachverhalte und in der Problemnähe universaler Gesichtspunkte. Die erforderliche Universalität verweist über die Schranken der Fachdisziplinen hinaus auf eine grundlagentheoretische, philosophische Erörterung, die auch apriorische und transeunte Zusammenhänge der Erfahrung der sozialen Wirklichkeit kennt. Die besten Voraussetzungen bietet hierfür der Begriff des „Nationalen Staates" als die geschichtsmächtige Gestaltung einer umfassenden zivilisatorischen Ordnung. Er ist gewiss als Ergebnis der modernen europäischen Welt historisch geprägt. Geschichte meint aber nicht nur eine Abfolge zufälliger Ereignisse; sie ist auch ein Erfahrungsmedium, das allgemeine Perspektiven offen legt, die auf den hohen Rang, aber auch auf die Gefahren einer umfassenden realen Sozialordnung hinweisen. 2. Der nationale Staat ist eine höchst komplexe ideale und reale Wirklichkeit. Sie kann durch fünf Grundkategorien näher bestimmt werden: Bevölkerung, Raum, Zeit, Macht, Recht und Kultur. Fraglich ist allerdings, ob die herkömmliche Staatsvorstellung noch zukunftsfähig ist. Nach schweren historischen Erschütterungen im 19. und 20. Jahrhundert gewinnen die Bestrebungen überstaatlicher Zusammenschlüsse und globaler Verbindungen immer mehr an Gewicht. Ein herausragendes Beispiel für geschichtliche Abhängigkeiten bietet die Europäische Union. Hier treffen nationalstaatliches und konstitutionelles überstaatliches Gemeinschaftsdenken aufeinander. Die Bestrebungen um einen weiteren Ausbau der Union der europäischen Staaten sind im Kern noch immer ein Kampf der Nationalstaaten um die Entwicklung einer allgemeinen, zukunftsfähigen gemeinsamen staatlichen Ordnung. Auch der supranationale Staat wird vermutlich ein erweiterter Nationalstaat sein. Die globalen Entwürfe einer lebensfähigen Weltordnung sind ohne Weltregionen mit föderativen staatlichen Elementen nur schwer vorstellbar. Eine konzeptionelle Hilfe bieten entgegen der öffentlichen Skepsis die geschichtlichen Zusammenhänge. Der Nationalstaat, ein Ergebnis der „modernen" Geschichtsepoche, erscheint zunächst als bloßes Herrschaftsinstrument aufgeklärter Monarchien. Seine Konzeption entspringt nicht nur einem raschen ökonomischen Wachstum, technischen Fortschritten und einem machtpolitischen Konkurrenzdenken. Gewiss spielt die souveräne Herrschaft als Machtund Ordnungsinstrument eine besondere Rolle. Die neue Staatskonzeption ist aber, mit nachmittelalterlichen Übergängen, insbesondere im Humanismus, in erster Linie ein Ergebnis der auf rationales, deduktives Denken gestützten Aufklärung. Schon in der Frühzeit der modernen Staatsvorstellung tritt das „Volk", nach antiken Vorbildern, als legitimierende Basis der Staatsgewalt auf (Th. Hobbes). Der universale Ausgangspunkt ist auf dem Hintergrund christlicher Glaubenstraditionen der sich selbst bestimmende Mensch. Es bedurfte allerdings erst der Französischen Revolution, bis die politische Freiheit als demokratisches Grundprinzip in Europa einen epochalen Rang gewann. Es ist aufs engs-
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te mit dem Begriff der politischen Herrschaft verbunden und bestimmt bis heute die Auseinandersetzung um die angemessene Staats- und Regierungsform. Rascher schritten, vor allem auf dem europäischen Kontinent, wenngleich mit Rückschlägen, die den Einzelnen schützende positive Rechtsordnung und die wissenschaftlichen Methoden der Rechtsfindung voran. Zunehmend fanden auch Fragen der ökonomischen Sicherheit sowie der gesellschaftlichen Kooperation Eingang in die Methodik des positiven Rechts (O. von Gierke). 3. Mit den rasch wachsenden Volkswirtschaften kam eine neue Ebene der sozialen Ordnung zustande: Die Selbstbestimmung des Menschen wurde als individuelle Freiheit im Wettbewerb des ökonomischen Marktes erfahren; sie drängte, besonders im liberalen Parlamentarismus, auch auf demokratische Rechte. Konflikte auf der Ebene der politischen Herrschaft blieben nicht aus. Dazu kommen Forderungen des wirtschaftlichen Ausgleichs sowie die Kritik der egoistischen Ausbeutung des Menschen in einer vom Nützlichkeitsdenken beherrschten, nicht lebbaren Ordnungsform (Kapitalismuskritik). Es entstanden unterschiedliche Grundkonzeptionen, die beide Ebenen des öffentlichen Lebens mit differenzierten Abhängigkeiten im sozialen „Wohlfahrtsstaat" versöhnen sollen. Für ein Kontrastmodell setzen sich die marxistischen Staatsdoktrinen ein, welche die ökonomische „Befreiung" im zerstörerischen Kampf der sozialen Klassen und schließlich in der „sozialistischen Diktatur" suchen. Trotz globaler revolutionärer Bestrebungen blieb der Nationalstaat als Handlungsbasis erhalten. In der europäischen Staatenpraxis sind die sozialistischen Doktrinen weitgehend untergegangen. 4. Eine weitere Ebene der sozialen Ordnung gewannen die modernen Naturwissenschaften. Sie beeinflussten, wie dargelegt, maßgeblich die öffentliche Lebensorientierung und Weltanschauungen, insbesondere durch eine punktualistische Beschränkung des Blickfeldes auf eine kausalgesetzliche Welt der empirisch beobachtbaren oder erschließbaren Gegenstände und durch die methodische Reduktion vorwiegend auf eine Sprache der binären Logik der Bejahung oder Verneinung beschreibbarer Sachverhalte. Ein Gegengewicht versuchten vor allem spätidealistische Strömungen, phänomenologische Richtungen und die sog. Geisteswissenschaften zu bilden (W. Dilthey, E. Husserl). Diese räumten der Sprache als Kulturgestalt, einem weitreichenden Lebens- und Verstehensbegriff und der Idee einer geschichtlich-kulturellen Entwicklung einen maßgeblichen Erkenntnisrang ein. Sie erwarben einen gewissen Einfluss auf die Geschichts- und Sozialwissenschaften, auf philosophische Strömungen und theoretische Grundlagendisziplinen wie Logik und Semiotik. Wichtige Impulse empfing die Kulturszene auch durch nachidealistische existentielle und konfessionelle Bewegungen. Im allgemeinen öffentlichen Meinungsbild konnten die Geisteswissenschaften die Autorität der Naturwissenschaften aber nicht maßgeblich verdrängen.
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III. 1. Wenden wir uns den fünf Grundkategorien des nationalen Staates zu. Sie stehen untereinander in enger Beziehung und vermitteln ein Bild, das auch die öffentliche Verwaltung als Teil der staatlich bestimmten Organisation charakterisiert. Die universalen Begriffe von Raum und Zeit sind als soziale Ordnungsprinzipien handlungs- und geschichtsbezogen. Sie erbringen einen wesentlichen Beitrag zur Vorstellung von der Einheit staatlicher Ordnungen. Die lebenspraktische Grundlage bildet die Bevölkerung, die als „Volk" und als „Gesellschaft" die soziale Einheit bildet. Sie wird vor allem bestimmt durch Fragen historischer Entwicklungen, die auf natürliche und kulturelle Zusammenhänge zurückgehen. Einen herausragenden Ausdruck fanden diese im Begriff vom „Volksgeist", der im Idealismus und Historismus des 19. Jahrhunderts eine Schlüsselrolle spielte (J. G. Herder, G. W. F. Hegel, J. G. Fichte, J. Grimm). Er stiftete im nationalen Wettbewerb zugleich die Grundlage für die soziale Identität. Macht- und Aufklärungsinteressen verbanden sich zu einer geschichtsbewegenden Kraft, die riskanten Ausdeutungen ausgesetzt war. Der Rückzug auf die staatstragenden Eigenschaften der angestammten Bevölkerung erschien im weiteren Verlauf zugleich als Behelf, die zunehmenden, vor allem ökonomisch bestimmten Wanderungsbewegungen zu begrenzen. Heute herrscht Unklarheit: Soziale Offenheit scheint dem Erlebnis der nationalen Selbsterfahrung entgegen zu stehen. Hier berühren wir die elementare Eigenschaft nationaler Kategorien: ihre Grenzfunktion. Der Raum erfährt als „Staatsgebiet" seine einheitsstiftenden und begrenzenden quantitativen Eigenschaften. Er bietet gleichsam das statische Element einer sozialen Ordnung, das Sicherheit nach innen und außen gewährt. Er markiert qualitativ zugleich soziale Entfernungen, die Nähe und Distanz sozialer Ereignisse. Die lokale Distanz wird immer mehr durch elektronische Vermittlungen aufgehoben. Die Grenzfunktion der Zeit kennt ebenfalls quantitative Eigenschaften, wie Daten oder Fristen. Nicht minder bedeutsam ist der qualitative dynamische Faktor, der sich in der Veränderung sozialer Prozesse oder in der Bewegung sozialer Ereignisse findet. Besonderen Erkenntnisrang gewinnt die Zeitdimension als konkreter historischer Erfahrungszusammenhang und als prospektive Zukunftserwartung. Eine kategoriale Grundlage der sozialen Ordnung ist die Vorstellung vom Aufbau und der Erhaltung einer dynamischen, von Handlungsgrenzen bestimmten Einheit. Schwerer fassbar ist die Auflösung, Differenzierung, Überwindung oder Dynamisierung von Handlungsgrenzen, die sich uns immer wieder neu als Aufgabe stellen. Die idealistische Philosophie bot hierfür im Rahmen universaler Systementwürfe den reale Gegensätze überwindenden Begriff der Dialektik (G. W. F. Hegel). Mit dem weitreichenden Einzug in politische Doktrinen, insbesondere des Marxismus, verlor er jedoch an allgemeiner wissenschaftlicher Geltung. Als dialektisches Element ist er aber in der binären Unterscheidung
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von selbstbezogenem Individualismus und sozialem Gemeinschaftsdenken erhalten geblieben. Schon im 19. Jahrhundert gewann der traditionsreiche Systembegriff einen Bedeutungswandel in Ordnungskonzeptionen sozialer Theorien (A. Comte). Er wurde zu einem zentralen methodischen Thema von Natur- und Sozialwissenschaften. Als „soziales System" verbindet er konstruktive und reale Elemente, welche soziale Ordnungen stiften. Der Systembegriff wurde zu einem beliebten Sujet der gehobenen Alltags- und Werbesprache. Das Problem von dynamischen Grenzen und der Offenheit sozialer Handlungseinheiten ist stets gegenwärtig geblieben. Die Grenzbildung ist unentbehrlich fur die soziale Orientierung; sie vermittelt eine gewisse Handlungssicherheit in einer offenen, teils auch widersprüchlichen sozialen Erfahrungswelt. Sie ist allerdings nur von beschränkter Geltung, da sie den Blick auf die weiter reichenden sozialen Zusammenhänge und ihre Dynamik verengt. Die kategorialen Grundlagen sozialer Ordnungen erleichtern aber den grenzüberschreitenden Blick auf das Ganze sozialer Beziehungen, das als universale kultivierte Lebensform und als transeunte Sinnvorgabe erfahren wird. Die Unterscheidung von mehreren sozialen Ebenen erlaubt darüber hinaus eine Differenzierung der sozialen Bezüge, die auf soziale Gegensätze und damit auf Überlebenschancen und -risiken aufmerksam macht. 2. Für konkrete Problemlösungen reichen die kategorialen Grundideen nicht aus. Sie bedürfen notwendig eines pragmatischen Problemdenkens, das situative Erfahrung mit den Leitideen als Topoi sozialer Erkenntnisse verbindet (Th. Viehweg). Dazu gehört besonders die Frage nach der Stabilität und der Lebenseignung, der „Lebbarkeit" sozialer Ordnungen. Sie sucht eine Antwort auf die stete Gegenwart sozialer Gefahren, einer als zerstörlich empfundenen, widersprüchlichen sozialen Welt. Für die Handlungsfähigkeit der staatlichen Ordnung sind eine zureichende Personal- und Finanzausstattung eine unentbehrliche Ressource. Auf der Ebene des wirtschaftlichen Handelns sind maßgebliche Kriterien: individuelles Erwerbsstreben, konkurrierende Leistungssteigerung und konfliktsmindernder Leistungsausgleich (Chancenverteilung, Güter- und Lastenausgleich). Im Vordergrund der politischen Auseinandersetzungen steht die Erfahrung von sozialen Konflikten als Antriebs- und Gefährdungspotential. Es ist die Kategorie der öffentlichen und politischen Macht, die in dieser Ebene einen zentralen Rang einnimmt. Sie bevorzugt antithetische Einstellungen. Macht wird primär als eine soziale Kompetenz und als Mittel der Herrschaft gesehen. Sie ist aufs engste verbunden mit der Vorstellung einer bestandskräftigen, aber stets gefährdeten Verträglichkeit sozialen Zusammenlebens. Dieses Erfahrungsumfeld begünstigt eine antithetische Fragestellung, die ungebundene, willkürliche Herrschaft und geordnete Herrschaft als öffentliche Gewalt unterscheidet.
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Das soziale Gefüge erscheint in einer methodischen Distanz als eine antagonistische Bewegung von Konvergenz und Divergenz, Harmonien und unversöhnlichen Gegensätzen, von optimistischen und pessimistischen Lebenseinstellungen, von Freund und Feind (C. Schmitt). Ein besonderer Kampfplatz ist die Ebene der „öffentlichen Meinung" geworden, in der es um Sprach- und Meinungsherrschaft bis hin zur zivilisatorischen Ausgrenzung durch „soziale Feindbilder" geht. 3. Die drei Gewalten des modernen Rechtsstaats weisen je nach ihrer öffentlichen Aufgabe eigene Formen der Staatsgewalt aus. Das Kernstück dieser Herrschaftsorgane bilden jeweils der besondere Sprachstil der Kommunikation und ihr Verhältnis zur allgemeinen Öffentlichkeit. Sie prägt maßgeblich auch das innere und äußere Bild der Verwaltung, das in dieser Erörterung im Vordergrund steht. Die staatliche Verwaltung ist als vollziehende Behörde in herausragender Weise nicht nur an das Normenwerk von Recht und Kultur gebunden, sondern auch von der öffentlichen Meinung als einer sozialen Kommunikationsund Herrschaftsform abhängig. Die Verwaltung ist auch den sozialen Machteinflüssen von Öffentlichkeit ausgesetzt und nimmt auf diese durch ihre Existenz als Ordnungsgefüge und durch die Verwaltungspraxis ständigen Einfluss. Dazu gehört auch die Suche nach neuen Rollenbildern von Verwaltungen und ihrer Adressaten im sozialen und organisatorischen Umfeld. Allgemein unterschätzt entsprechend einer verengten Sicht der Gewaltentrennung - wird der flexible Handlungsspielraum der Verwaltung, der auch methodisch noch aufgearbeitet werden muss (R. Weimar). In der Verwaltungspraxis spielt, teilweise unterstützt durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit, das situative Denken, heute vorzüglich als „bürgernahes" Verhalten, eine besondere Rolle. Dem bloßen Regelvollzug steht die pragmatische, holistisch an sozialen Leitvorstellungen orientierte „Gesetzesanwendung" gegenüber. Sie mildert die Herrschaft der komplizierten Regelkomplexe. Die möglichst strengen Regeln der Machtausübung der Verwaltung dienen in besonderem Maß der Handlungssicherheit. Sie erfährt eine bedenkliche Einschränkung, wenn die Synthese von abstrakten Normtexten und konkreter, situativer Handlungsorientierung misslingt. Die für die Verwaltung maßgeblichen Regeln des Rechts schaffen durch ihre fachsprachlichen Texte und ihr punktualistisches, jeweils auf begrenzte Erfahrungssegmente gerichtetes Denken ein bisher nicht gelöstes, viel kritisiertes Sprachproblem; dies gilt besonders für den sprachlichen Umgang mit der Bevölkerung (K. Mudersbach). Dem entspricht der Vorschlag, gänzlich auf ein „allgemein verstehbares" Recht zu verzichten (N. Luhmann). Dies bedeutet schließlich für eine demokratische Staatsordnung eine erhebliche Einschränkung der Legitimation und der öffentlichen Machtkontrolle. Sie ist durchaus eine allgemeine Folge systemischen Grenzdenkens. Vergleichbare Probleme treten bezüglich der verwaltungswissenschaftlichen Forschung auf. Sie neigt dazu, ein in Detailbezüge aufgelöstes, nur schwer handhabbares, von der jeweiligen Fachdisziplin vermitteltes Bild der staatlichen Verwaltung vorzustellen.
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Die öffentliche Sprache ist in Texten, Reden und Gestaltungen in kaum zu überschätzender Weise ein Medium des gesellschaftlichen Einflusses und damit der politischen Macht und ihrer Dynamik. Sie ist nur schwer methodisch fassbar. Als eine Form des kultivierten Dialogs, der wechselseitigen Verständigung, gewinnt sie einen herausragenden Rang für eine gesittete Staatsordnung. 4. Mit der Frage nach den kategorialen Bedingungen der Verwaltungspraxis und der Kontrolle der administrativen Macht sind wir bereits in die Grundkategorien von Recht und Kultur als normative und schöpferische Gestaltungsbereiche vorgedrungen. Auch treffen wir einen wechselbezüglichen, binären Code an, der maßgeblich das öffentliche Ordnungsbild prägt: Hier ist vor allem hinzuweisen auf den Dualismus von Staat und Gesellschaft, individueller Person und Gemeinschaft, Freiheit und Gleichheit sowie von Recht und Moral. Dazu kommen binäre Grundsätze der Staatsformen. Die Gegenüberstellung der Begriffe entspringt einer antagonistischen Sicht der sozialen Welt. Sie können Ausdruck normativer gesellschaftlich-ideologischer Gegensätze sein. Im innerstaatlichen Bereich herrscht die Vorstellung einer Ordnung stiftenden Einheit vor, die je nach sachlicher Dimension polare Unterschiede und Differenzierungen kennt. Eine maßgebliche Rolle spielt - gemäß der historischen Entwicklung - das Verhältnis der politischen Macht zu den einzelnen Handlungsfeldern. Es verweist einmal auf die Kompetenz der staatlichen Gewalt, die soziale Freiheitsräume gewährt, begrenzt und schützt. Zum anderen erfasst das antithetische Schema die allgemeine Grundlage von Sozialität als die spannungsreiche Beziehung von Individuum und Gemeinschaft. Im Prinzip des sozialen Rechtsstaats sind beide Grundelemente miteinander verbunden. Im Prinzip des „demokratischen" Staates, der zum Schlüsselwert eines politischen Kulturstils geworden ist, sind beide im „Volk" vereinigt, das sich zugleich jedem totalitären Herrschaftsanspruch entzieht. Einen besonderen Fall bildet der Dualismus von Freiheit und Gleichheit; er erfährt im Verfassungstext des Grundgesetzes mit der Garantie der „Menschenwürde" eine triadische Steigerung der fundamentalen Ordnung. Die kategorialen Elemente sind ohne die Verbindlichkeit als normative Prinzipien nicht zu verstehen. Dies gilt auch für die verschiedenen Ebenen der sozialen Ordnung, wie Wissenschaft, Technik sowie das Kultur- und Wirtschaftsleben. Zu einem besonderen Problemfeld ist der unbegrenzte Fortschrittswille geworden. Die Grundprinzipien legen das unverwechselbare öffentliche Wertgerüst fest. Sie sind wesentliche Kategorien der Staat und Gesellschaft übergreifenden Kultur. In der traditionellen Antithese von Recht und Moral schließen sich diese als Grundnormen gegenseitig nicht aus. Sie bezieht sich nicht primär auf die Verschiedenheit normativer Inhalte, sondern auf das Verhältnis von Norm und öffentlicher Herrschaft. Sie markiert eine Grenze, die der öffentlichen, insbesondere staatlichen Erzwingbarkeit von Normen gesetzt ist. Ganz im Kantschen Sinne stehen im Vordergrund der Rechtsverhältnisse die sozialen ^ußenbezie-
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hungen"; das universale öffentliche Moral- und Ethikverständnis erfasst dagegen alle Aspekte menschlichen Verhaltens. Ein gemeinsames Element ist das Prinzip der Gerechtigkeit, das Maß und Proportionalität sozialen Handelns bestimmt. Das allgemeine Prinzip ist Ausdruck der Wertbindung allen Handelns. Als konkreter Handlungsmaßstab verweist es auf die differenzierende, normleitende Situation und ihre praktischen Perspektiven, die es direktiv gegeneinander abzuwägen gilt.
IV. Die normativen Prinzipien in einer sozialen Ordnung sind wesentlicher Teil der öffentlichen Kultur. Sie sind teils ein selbstverständliches Element der allgemeinen Lebensbedingungen, des sozialen Alltags, teils eine Dimension von öffentlichen Leitbildern und öffentlicher Meinungsmacht. Die öffentliche Kultur ist für die demokratische Staatsordnung und die fundamentalen Ebenen der sozialen Ordnung von höchstem Rang. Sie trägt wesentlich zu ihrer Legitimation bei. Sie ist nicht nur ein Faktor der Interessen- und Machtbegrenzung, sondern ein lebendiges Element politischer Gestaltungskraft. Wesentliche Grundzüge sind Handlungs- und Sprachkompetenz, Verantwortungsbereitschaft, politische Klugheit und Toleranz. Als „kultivierte Streitkultur" prägt sie maßgeblich die öffentliche Auseinandersetzung um verantwortbares Handeln. Sie bedarf der kritischen Ermutigung. Die Pluralität der Wege und Antworten entspringt dem vorherrschenden Kulturverständnis. Es verweist auf die Schwierigkeiten, universale geistige Fundamente zu erschließen, die allgemein akzeptabel erscheinen. Ein Ausweg ist die heute beliebte Zuflucht zu begrenzten, kompromissfähigen Fachethiken, organisiert in Fachkommissionen. Der Staat ist als eine kategoriale Grundordnung eine wesentliche Stütze der öffentlichen Kultur. Die Staatspraxis unterliegt allerdings der steten Gefahr, die ihr gesetzten Grenzen der öffentlichen Kultur zu verletzen. Es ist ein Kernstück des modernen demokratischen Staates, in die Kultur als gesellschaftlicher Lebensgestaltung nicht durch politische Herrschaftsformen, und sei es mit Hilfe von Massenmedien, einzugreifen. Eine kulturelle Leistung erbringt auch die jedermann als Betroffenem zugängliche öffentliche Verwaltung. Sie kann durch einsichtiges und verantwortungsbewusstes, kluges Handeln erheblich zum öffentlichen Ansehen der politischen Ordnung und damit zu ihrer Legitimation beitragen. Trotz aller Dualismen von Ordnungselementen der öffentlichen Herrschaft scheinen hierarchische Führungsorgane und ihre dirigistische Herrschaftsgewalt unverzichtbar zu sein, da sie als Autorität kürzere Entscheidungswege versprechen. Die auf Herrschaftsbegrenzung bedachte Trias der Gewaltentrennung ist weniger eine Antwort auf die Ängste vor der „Dämonie" der Macht als auf die bekannten, schwer beherrschbaren Risiken des persönlichen und institutionellen Machtgebrauchs. Es ist das Verdienst der Verwaltungs Wissenschaften, sich in
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Anlehnung an angelsächsische Entscheidungsmodelle besonders Fragen der administrativen Führungskultur anzunehmen. Mit Vorliebe für technische Vorgaben werden sie als „Netze" von Steuerungsformen vorgestellt. Sie sind Ausdruck eines beziehungsoffenen, effizienten Ordnungsverständnisses, der Entwicklung von einer primär dyadischen Entscheidungsform von „Führung und Unterordnung" zu einem triadischen Entscheidungsstil: Er verbindet mehrere Handlungs- und Entscheidungsebenen zu einer differenzierten und veränderungsfähigen organisatorischen Einheit. Dieser Führungs- und Entscheidungsstil ist in hohem Maß von der Kultivierung der persönlichen Zusammenarbeit abhängig. Staat und Gesellschaft sind in eine Wertewelt eingebunden, die in ihren Grundzügen, trotz aller gesellschaftlicher Kontroversen und internationaler Herrschaftskonflikte, als universale Lebensordnung erfahrbar ist und die auf elementare Zukunftshoffhungen im Gang der Welt vertraut. Sie zeichnet den modernen Staat als eine weltoffene, diskursfähige Kulturnation aus. Sie ist die Grundlage für den „Verwaltungsstaat im Übergang", den Klaus Königs Werk verdienstvoll offen legt.
I I I . Institutionen, informale Strukturen und Entscheidungsprozesse
„Vernunft" gegen „Recht"? Z u m Rationalitätsbegriff der Planungs- und Entscheidungslehre Von Hans Peter Bull, Hamburg
I. Einleitung 1. Was heißt „rational"?
„Rational" ist ein Allerweltswort und zugleich ein Begriff der Sozialphilosophie 1 , der aber gern auch von anderen Wissenschaften benutzt wird, so insbesondere von der Betriebswirtschaftslehre. 2 Auch in der verwaltungswissenschaftlichen und verwaltungsrechtlichen Planungs- und Entscheidungslehre wird er verwendet. 3 Klaus König sprach in seiner Habilitationsschrift über die „Rationalitäten öffentlichen Verwaltens" und die entsprechenden Erwartungen an die Verwaltungswissenschaft. 4 Niklas Luhmann hat in der ersten Phase seiner Theoriebildung „Zweckbegriff und Systemrationalität" als Elemente der systemtheoretischen Handlungslehre bearbeitet5 und später die „formale Rationalität" in den Zusammenhang seiner Gesellschaftstheorie gestellt, ohne weiter auf ihre Funktion bei der Beurteilung von Handlungen einzugehen.6 Die Disziplinen stehen unverbunden nebeneinander: Die Gesellschaftstheorie wird immer abstrakter; sie abstrahiert auch von einer Bewertung der beteiligten
1 Ein klassischer Text dazu ist J. Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie" (1968) in dem ebenso überschriebenen Suhrkamp-Band, 2. Auflage, Frankfurt/M. 1969, S. 48-103. S. a. die grundlegenden Artikel im Historischen Wörterbuch der Philosophie, Band 11, hrsg. von J. Ritter/K. Gründer/G. Gabriel, Basel 2001, Sp. 748 ff. („Vernunft"; „Verstand") sowie Band 8, hrsg. von J. Ritter/K. Gründer, Basel 1992, Sp. 44 ff. („Rationalismus"). 2 Vgl. etwa M. Bitz, Entscheidungstheorie, München 1981, S. V; E. Saliger, Betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie, 2. Auflage, München/Wien 1988, S. 1. 3 Vgl. die Darstellung bei B. Becker, Öffentliche Verwaltung, Percha 1989, § 26, S. 438 ff. 4 Κ König, Erkenntnisinteressen der Verwaltungswissenschaft, Berlin 1970, S. 147 ff. 5 N. Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, Tübingen 1968. 6 N. Luhmann, Organisation und Entscheidung, Opladen 2000, S. 444 ff.
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Interessen7; die Betriebswirtschaftslehre erarbeitet immer mehr formale Modelle einer mit „Effizienz" gleichgesetzten Rationalität8 - aber die Rechtswissenschaft und erst recht die Rechts- und Verwaltungspraxis nimmt davon keine Kenntnis, wie auch umgekehrt sich viele sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Autoren nicht für die Verwertbarkeit ihrer Einsichten in der Praxis interessieren. Allerdings scheinen manche zu meinen, „Rationalität" oder „Effizienz" taugten als neue Maßstäbe zur Bewertung von Entscheidungen und Planungen und könnten die lästige oder „ineffiziente" Beurteilung nach Rechtsnormen ersetzen oder überlagern. Diesen Eindruck vermitteln jedenfalls tendenziell Äußerungen aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaft über das Verhältnis zwischen Juristen und Ökonomen.9 Dass auch Justiz und Verwaltung keineswegs gegen die Vermengung von „Recht" und „Rationalität" gefeit sind, zeigt sich z. B. in dem in vieler Hinsicht exemplarischen Rechtsstreit darüber, ob der Planfeststellungsbeschluss über die Erweiterung des Flugzeugwerkes in HamburgFinkenwerder und die Zuschüttung des ökologisch wertvollen „Mühlenberger Lochs" zum Bau des Großflugzeugs Airbus A3 80 rechtmäßig sei. Die beklagte Freie und Hansestadt Hamburg beruft sich dafür - in Übereinstimmung mit Formulierungen der Judikatur - schlicht auf die Vernunft. In dem Urteil des VG Hamburg vom 27. August 2002 10 ist diese Argumentation wie folgt zusammengefasst: „Nach ihrer [d. h. der Beklagten] Auffassung ist der Planfeststellungsbeschluss rechtmäßig. Das Vorhaben sei gerechtfertigt, da es vernünftigerweise geboten sei. Die Schaffung der Infrastrukturen en Voraussetzungen für den Bau des A3 80 sei geboten, da ein Bedarf für ein solches Flugzeug bestehe. Das Vorhaben halte auch die zwingenden naturschutzrechtlichen Vorschriften ein. Darüber hinaus sei es durch seine besonders positiven Auswirkungen gerechtfertigt. Insbesondere bestünden keine unzumutbaren Fluglärmbelästigungen für die Kläger."
Die Formulierung knüpft an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an, wonach bei Planungen dieser Art zu prüfen ist, „ob das konkrete Vorhaben gemessen an den gesetzlichen Zielen vernünftigerweise geboten ist". 11 Der spezifische Sinn des Satzes geht bei der unkommentierten Wiedergabe ver7
Luhmann, Organisation (Anm. 6), S. 445. Vgl. etwa G. E. Braun, Ziele in öffentlicher Verwaltung und privatem Betrieb, Baden-Baden 1988, S. 65, 67 ff.; H. Mühlenkamp, Kosten-Nutzen-Analyse, München/Wien 1994. 9 Dazu V. Mehde, Neues Steuerungsmodell in der Verwaltung - „Juristenprivileg" in der Kritik, ZRP 1998, S. 394 ff. 10 Az. 15 VG 1383/2002, zitiert nach www.hamburg.de/StadtPol/Gerichte/VG; auch in: NordÖR 2002, 459. Vorentscheidungen in dieser Sache: VG Hamburg, NordÖR 2001, S. 34; OVG Hamburg, NordÖR 2001, S. 135 ff. 11 BVerwGE 56, 110 (S. 118 f.); 72, 282 (S. 284 ff.); 84, 123 (S. 130); BVerwG, DVBl. 2001, 1848(1851). 8
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loren; umso deutlicher wird seine prozesstaktische Appellfunktion: „Vernunft" ist allen Menschen eigen; der Aufruf, vernünftig zu sein, verlangt von den Adressaten, sich der allgemein-menschlichen Werte zu besinnen, die als gemeinsame ausgegeben werden. Die Rechtfertigung durch die erwarteten „positiven Auswirkungen" lässt in dieser Gedankenkette die Belästigungen Betroffener als zumutbar (und Protest dagegen sozusagen als „unvernünftig") erscheinen. Der Rationalitätsbegriff wird hierbei „unter Wert" verwendet.
2. Die Aufgabe der Verwaltungswissenschaft
Es ist nun aber eine wichtige Aufgabe einer Verwaltungswissenschaft, die sich als Entscheidungswissenschaft 12 versteht, sich auch mit den Zielen und Maßstäben des Verwaltungshandelns zu befassen; dabei muss der Rationalitätsbegriff auch in rechtswissenschaftlicher Perspektive eine Rolle spielen. Soweit er - unbestritten - bedeutet, dass das Verhältnis von Zweck und Mittel richtig sein muss, ist er zwar eindeutig, aber bloß formaler Natur. Im Übrigen ist seine Bedeutung in mancher Hinsicht unklar und umstritten, und die Vorgaben der Gesetzgeber sind unzureichend. Das betrifft vor allem Planungen der verschiedensten Art, deren Konfliktpotential bekanntlich groß ist. Im Sinne methodischer Klarheit und der Brauchbarkeit für die angestrebten praktischen Ziele ist dabei zu untersuchen, inwieweit auch „nicht-juristische" Elemente die Qualität der rechtlichen Prüfungen verbessern können. Anders ausgedrückt: Es geht um die Verknüpfung anderer als juristischer „Rationalitäten" 13 mit den rechtlichen Überlegungen im engeren Sinne.
I I . Die verschiedenen Wahrnehmungsweisen von „Rationalität44 1. Die Vieldeutigkeit des Begriffs
Rationalität ist kein Rechtsbegriff. Der Begriff kommt in der Rechtssprache nicht vor. Soweit er nicht umgangssprachlich exzessiv benutzt wird 1 4 , bezieht er
12 W; Thieme, Verwaltungslehre, 4. Auflage, Köln u.a. 1984, S. 10; W. Thieme, Entscheidungen in der öffentlichen Verwaltung, Köln u.a. 1982, S. 1,42 ff.; W. Thieme, Einfuhrung in die Verwaltungswissenschaft, Köln u.a. 1995, S. 4 ff., 139 ff. 13 Von einer nicht weiter explizierten „Autonomie rechtlicher Rationalität" spricht H. Kube, Die Verwaltung 2002, S. 519. 14 Vgl. etwa den Hinweis von Böhling in dem Artikel „Rationalismus" des Historischen Wörterbuchs der Philosophie, Band 8 (Anm. 1), Sp. 48 über die „inflationäre" Verwendung von „Rationalität" als „Kampfbegriff 4 z.B. bei Oswald Spengler.
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sich auf sozialphilosophische Annahmen, die insbesondere in den Wirtschaftswissenschaften zum disziplinären Grundkonsens gehören. Es gibt gleichwohl zahlreiche unterschiedliche Verständnisse von Rationalität oder Vernünftigkeit. 15 Als allgemeinste Merkmale des Rationalitätsbegriffs listet Robert Alexy auf: „Konsistenz, Kohärenz, Begründbarkeit, empirische Wahrheit, Effektivität, Optimierung und Reflexivität", aber er fügt hinzu, dass der eigentliche Streit um verschiedene Konzeptionen der praktischen Rationalität geht. 16 Die wichtigste Unterscheidung ist nach wie vor die von Max Weber entwickelte Dichotomie von „ Zweckrationalität " und „ Wertrationalität ". 1 7 Im ersten Fall ist das Handeln bestimmt durch „Erwartungen des Verhaltens von Gegenständen der Außenwelt und von anderen Menschen und unter Benutzung dieser Erwartungen als Bedingungen 4 oder als ,Mittel' für rational, als Erfolg, erstrebte und abgewogene eigene Zwecke im anderen Fall ist es geprägt durch „bewussten Glauben an den - ethischen, ästhetischen, religiösen oder wie immer sonst zu deutenden - unbedingten Eigenwert eines bestimmten Sichverhaltens rein als solchen und unabhängig vom Erfolg". 18 Man könnte hier auch von formaler und materialer Rationalität sprechen. Beide Formen spiegeln sich auch in juristischen Argumentationen wider (s.u. IV. 2.). Die Diskussion konzentriert sich aber auf die Zweckrationalität und ihre verschiedenen Erscheinungsformen - sonst wäre sie wohl auch kaum eingrenzbar.
2. Lehren vom rationalen Handeln
Im allgemeinen, nicht fachspezifischen Sinne baut die Rationalitätsdiskussion auf einer Grundannahme über menschliches Verhalten auf, aus der sich alle oder fast alle anderen Annahmen ableiten lassen, nämlich der These, dass der Mensch in allen Lebenssituationen seinen Vorteil sucht. Die Wirtschaftstheorie
15
So ist die Rede von 20 „Rationalitätstypen" (H. Lenk, zitiert nach R. Alexy, Eine diskurstheoretische Konzeption der praktischen Vernunft, in: R. Alexy/R. Dreier [Hrsg.], Rechtssystem und praktische Vernunft, ARSP Beiheft 51, Stuttgart 1993, S. 12) oder sogar von 33 „concepts of rationality", die R. C. Solomon zusammengestellt hat (zitiert nach Hist. Wörterbuch der Philosophie, Band 11) (Anm. 1), Sp. 848. 16 Alexy, Rechtssystem (Anm. 15). 17 M Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, §2, Studienausgabe Tübingen 1956, S. 17. Dazu auch B. Becker, Verwaltung (Anm. 3), S. 444. 18 Weber, Wirtschaft (Anm. 17); Hervorhebungen im Original. Vgl. a. H. F. Spinner, Artikel „Rationalismus, Rationalisierung, Modernisierung", in: D. Nohlen/R.-O. Schultze (Hrsg.), Politikwissenschaft, Pipers Wörterbuch zur Politik 1, München 1985, S. 823831, der sich besonders mit Max Webers Rationalismus und den Gegenpositionen Traditionalismus und Irrationalismus befasst.
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hat hier „das Erbe des Utilitarismus" 19 angetreten und das „Nützlichkeitsprinzip" als individuelle Verhaltensmaxime und ethischen Maßstab, aber auch als kollektive Entscheidungsregel ausformuliert. 20 Gedanklicher Ausgangspunkt ist das Modell des „homo oeconomicus", und in diesem Rahmen bedeutet das Konzept der Rationalität, dass , jeder Konsument eine vollständige und transitive Präferenzordnung besitzt". 21 Dieses Modell ist nach herrschender Meinung universell anwendbar, auch auf politische Vorgänge („Public Choice"Theorie). 22 Versteht man diese Grundannahme als empirische Aussage des Sinnes, dass Menschen sich stets und vollständig nutzenmaximierend verhalten, so ist sie evident falsch. 23 Menschen handeln ständig „irrational". Sie handeln „emotional", ja mit Leidenschaft gegen ihre „wohlverstandenen" Interessen. Sie erbringen Opfer, statt nach ihrem Vorteil zu fragen; sie führen Kriege, setzen ihr Leben für Ziele ein, die andere nicht nachvollziehen können.24 Aber die Vorstellung vom „homo oeconomicus" ist gar nicht (mehr) als empirische Feststellung gemeint, sondern als Ausgangsgedanke einer experimentellen Sozialpsychologie, als Denkmodell, aus dem man auf Gesetzmäßigkeiten schließen kann, die sonst wegen der unzähligen Verflechtungen sozialer Handlungsstränge nicht deutlich erkennbar sind. 25 Auch gegen dieses Modell vom rational handelnden Menschen gibt es Einwände, die seine Tauglichkeit mindern könnten. Soll es zu allgemein gültigen Aussagen fuhren, so setzt es voraus, dass die Bestimmung von „Vorteil" („Nutzen") und „Nachteil" („Kosten") im Großen und Ganzen nach denselben Maßstäben vorgenommen wird. Aber welche Art von Vorteil/Nachteil ist denn gemeint - z. B.: nur materielle oder auch immaterielle? Und ist nicht die Einschätzung als vorteilhaft oder nachteilig höchst subjektiv, so dass Dritte sie gar nicht zuverlässig vornehmen können? Anders ausgedrückt: Es ist zweifelhaft, 19 Formulierung von H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, Tübingen 1995/1998, S. 22. 20 Eidenmüller, Effizienz (Anm. 19), S. 23 f., 24 f., 27 f. 21 Eidenmüller, Effizienz (Anm. 19), S. 29. 22 Eidenmüller, Effizienz (Anm. 19), S. 29 m.w.N. 23 So schon Herbert A. Simon, Administrative Behaviour (Untertitel „A Study of Decision Making Process in Administrative Organizations"); zuerst 1945 und 1948, deutsche Übersetzung von Helmut Ridder, Das Verwaltungshandeln. Eine Untersuchung der Entscheidungsvorgänge in Behörden und privaten Unternehmen, 1955, hier zitiert nach der 3. Auflage, 1981, die unter dem Titel „Entscheidungsverhalten in Organisationen" erschienen ist (deutsch von Wolfgang Müller), dort S. 99. Für seinen „wissenschaftlichen Mord am homo oeconomicus" habe Simon den Nobelpreis erhalten, meint E. Witte (zitiert nach Eidenmüller, Effizienz [Anm. 19], S. 29). 24 In Webers (Wirtschaft, Anm. 17) Terminologie liegt hier freilich häufig „wertrationales" Handeln vor. 25 Eidenmüller, Effizienz (Anm. 19), S. 39.
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wie „objektiv" und damit wie realitätsnah (bezogen auf eine Vielzahl von Handelnden) sich die Grundelemente des Nützlichkeitsdenkens bestimmen lassen. Dieses Denken ist freilich so fest in so vielen Köpfen verankert, dass man mit ihm rechnen muss, wann immer über soziale Probleme gesprochen wird. Man sollte nur bedenken, dass ein auf diese Weise konstruiertes Modell von der sozialen Realität ziemlich weit entfernt sein kann, so dass entsprechende Schlussfolgerungen nicht zwingend zur Lösung gegebener Probleme brauchbar sind.
3. Die organisatorische Rationalität als richtige Zweck-Mittel-Relation
Herbert A. Simon und James G. March haben herausgearbeitet, dass in Organisationen Mechanismen wirksam sind, die auf objektiv rationales Handeln abzielen.26 Die Organisation „selektiert die Ziele des Individuums", „bildet seine Fähigkeiten aus" und „versorgt es mit Informationen". So „ermöglicht die Organisation den Individuen", „sich objektiver Rationalität hinreichend anzunähern". 27 Danach ist eine organisatorische Entscheidung richtig (= rational), „wenn sie geeignete Mittel für die Erreichung vorgegebener Ziele auswählt".28 „Rationalität hat mit der Konstruktion von Zweck-Mittel-Ketten zu tun" 29 , und rationales Handeln erfordert stets den Vergleich alternativer Mittel im Hinblick auf die entsprechenden Zwecke, zu denen sie führen werden". 30 Wichtig ist, dass hinter den Zwecken, die in erster Linie angestrebt werden, oft weitere Zwecke („höheren Ranges") stehen, dass es also eine „Hierarchie von Zwecken" gibt. Diese Vorstellung erscheint durchaus realistisch, zumal Simon ausdrücklich betont, dass solche Hierarchien „manchmal schwer erkennbar, unklar, widersprüchlich oder konfliktträchtig" sind. 31 Angemerkt sei schon hier, dass in rechtlicher Betrachtung auch die „vorgegebenen" Ziele oder Zwecke problematisiert werden müssen. Der organisatorischen Rationalität steht die „Systemrationalität" im Sinne von Niklas Luhmann nahe. In kritischer Wendung gegen die Vorstellung, die 26 J. G. March/ Η. Α. Simon, „Organizations", New York 1958; deutsch von A. Krczal unter dem Titel „Organisation und Individuum. Menschliches Verhalten in Organisationen", Wiesbaden 1976. S. aber auch die Kritik an der Reduktion von Organisationen auf Zweckrationalität bei T. Kneissler, Verwaltungen jenseits der Zweckrationalität, Baden-Baden 1996. 27 Simon, Entscheidungsverhalten (Anm. 23), S. 115 f. 28 Simon, Entscheidungsverhalten (Anm. 23), S. 90. 29 Simon, Entscheidungsverhalten (Anm. 23), S. 100. 30 Simon, Entscheidungsverhalten (Anm. 23), S. 102. 31 Simon, Entscheidungsverhalten (Anm. 23), S. 101 mit Beispielen.
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Eigenrationalität oder „innere Handlungslogik" der Verwaltung beziehe sich (nur) auf „die sachgerechte und willkürfreie Konkretisierung und Vollziehung der Systemprogramme" 32 oder auf die „Optimierung der berührten Interessen und eine effektive und effiziente Sozialgestaltung"33, sieht Arno Scherzberg die Eigenrationalität der Verwaltung in der systemtheoretischen Aussage, dass sie wie alle sozialen Systeme an der „Erhaltung ihrer Identität und Stabilisierung ihrer Strukturen gegenüber externen Kontingenzen und internen Störungen" interessiert sind. 34
4. Andere Ansätze
Außer im Rahmen des individuellen oder organisatorischen Nutzenkalküls wird „Rationalität" auch in anderen Bedeutungszusammenhängen benutzt. Von der Wertrationalität war schon die Rede (oben II. 1.). Häufig spricht man aber auch dann von rationalem Verhalten, wenn schlicht Folgerichtigkeit gemeint ist, oder „rational" wird - etwas anspruchsvoller - mit „logisch" gleichgesetzt. In der Rechtswissenschaft entsprechen dem Begriffe wie „allgemeine Denkgesetze . In diesen Zusammenhang gehört auch der Ansatz, den vor allem Wolfgang Hoffmann-Riem propagiert hat, indem er feststellt, eine Entscheidung sei im Sinne des Auftrags der Verwaltung noch nicht „richtig", wenn sie „rechtmäßig" ist. 35 „Eine weitere wichtige Orientierung" sei „die Optimierung bei der Verwirklichung unterschiedlicher Zwecke bzw. bei der Vermeidung nachteiliger (Neben-)Folgen. Dieses Optimierungsziel könne „zum Rechtmäßigkeitsmaßstab werden, aber auch im Zweckmäßigkeitsbereich verbleiben". 36 Unter Einbeziehung weiterer Subkategorien definiert Hoffmann-Riem als Maßstab der „Richtigkeit" des Verwaltungshandelns: „1. Rechtmäßigkeit (Beachtung des Rechts im Sinne der Grenzziehung oder der programmatischen Vorgabe von bindenden Zielen);
32
Thieme, Entscheidungen (Anm. 12), S. 23. W. Hoffmann-Riem, Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts: Vorüberlegungen, in: DVB1. 1994, 1381 (1382 f.) und W. Hoffmann-Riem, Ermöglichung von Flexibilität und Innovationsoffenheit im Verwaltungsrecht, in: W. HoffmannRiem/E. Schmidt-Aßmann/G. F. Schuppert (Hrsg.), Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts, Baden-Baden 1993, S. 115, 132 f., 147. 34 A. Scherzberg, Die Öffentlichkeit der Verwaltung, Baden-Baden 2000, S. 78 f. 35 Hoffmann-Riem, Reform (Anm. 33), 1381 (1382); W. Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, Baden-Baden 1994, S. 27. 36 Hoffmann-Riem (Anm. 35), S. 27. 33
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2. Optimalität (Optimierung bei der Verwirklichung von Zwecken im Rahmen der rechtlichen Vorgaben unter Einschluss der Sicherung einer Folgenverantwortung); 3. Akzeptabilität (Ermöglichung von Akzeptanz nicht nur durch Legalität, d.h. Einhaltung rechtlicher Vorgaben, sondern auch durch die Art und Weise des Entscheidungsprozesses und der Interessenoptimierung)". 37
Auch Simon benutzt den Begriff der „Richtigkeit", aber in anderem Sinne, nämlich nur als Umschreibung der Zweckrationalität. 38 Hoffmann-Riem fasst unter dem übergreifenden Maßstab „Richtigkeit" Elemente zusammen, die bisher teils im Rahmen der Rechtmäßigkeit, teils unter dem Titel „Zweckmäßigkeit" (z. B. politische Opportunität) geprüft werden. Die Auswahl der bestgeeigneten und zulässigen Mittel zur Erreichung des vorgegebenen Zwecks ist Standardgegenstand der verfassungsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die Schaffung von „Akzeptabilität" dürfte im Allgemeinen eine Aufgabe der Politik, nicht der (weisungsgebundenen) Verwaltung sein. Gewiss kann ein betroffenenfreundliches Verfahren die Akzeptanzchancen erhöhen, aber am Ende wird für alle Betroffenen wohl eher das Ergebnis als das Procedere zählen.
I I I . „Rationalität" gegen „Rechtmäßigkeit"? 1. Die Ausgangslage
Rechtswissenschaft und juristische Ausbildung haben zum wesentlichen Ziel, Aussagen am Maßstab der Rechtmäßigkeit zu erarbeiten und einzuüben. Die rechtsanwendende Praxis und die sie kontrollierende Verwaltungsgerichtsbarkeit orientieren sich bei ihren Handlungen (Entscheidungen wie Realakten) der Idee nach ebenfalls an diesem Maßstab. Sind die beiden Ansätze miteinander vereinbar oder stehen sie sich „unversöhnlich" gegenüber? Der Jurist hält die rechtmäßige Entscheidung wohl in aller Regel auch für die „rationale" Lösung eines Konflikts. Wer andererseits „Rationalität" gegen „bloße" Rechtmäßigkeit ausspielt, kann nicht beanspruchen, Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen, die nach Rechtsnormen getroffen werden sollen. 39 Möglicherweise liegt im Rekurs auf höherrangige Rationalität zugleich die Berufung auf ein höheres Recht; dann handelt es sich eben nur um eine Spielart von Rechtmäßigkeit. Regelmäßig aber soll damit wohl in kritischer Absicht ausge37
Hoffmann-Riem (Anm. 35), S. 27 f. Simon, Entscheidungsverhalten (Anm. 23), S. 99. 39 Zur Klarstellung sei bemerkt, dass das BVerwG die Prüfung, ob das konkrete Vorhaben „vernünftigerweise geboten ist", als eine (der Abwägungsentscheidung vorgelagerte und gerichtlich nachprüfbare) Rechtsfrage ansieht (DVB1. 2001, 1848 [1849, 1851]). 38
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drückt werden, dass das Recht „irrationale" (dem Rationalitätsgebot nicht hinreichend genügende) Entscheidungen fordere. Meist wird freilich der Bezug zwischen den beiden Begriffen gar nicht hergestellt, sondern Rationalität isoliert aus sozialwissenschaftlicher, technischer, naturwissenschaftlicher oder ökonomischer Sicht entwickelt. Es liegt jedoch im Interesse der Rechtsanwender, dass klargestellt wird, ob es tatsächlich einen Bereich gibt, in dem rechtmäßige Entscheidungen nicht „rational" genug sind. Soweit dies der Fall ist, muss damit gerechnet werden, dass rechtlich gebotene Entscheidungen nicht genügend Akzeptanz finden. Das muss Juristen, aber auch Politiker interessieren, weil hier möglicherweise rechtspolitische Aufgaben unbearbeitet sind.
2. Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit
Der Grundbegriff „Rechtmäßigkeit" und sein Gegenstück „Rechtswidrigkeit" sind in mehrere Dimensionen aufzugliedern:
a) Form und Inhalt „Formelle" und „materielle" Rechtmäßigkeit sind zwar im Ausgangspunkt rechtlicher Prüfungen gleichwertig, müssen also beide gegeben sein, um eine insgesamt rechtmäßige Handlung annehmen zu können.40 Umgangssprachlich wird demgegenüber oft von „ bloß formaljuristischen" Bedenken gesprochen über die man aus „politischen" Gründen hinweggehen möchte. Abgesehen davon, dass sich diese Redeweise in der Regel gar nicht auf die formale Seite bezieht, wird auf diese Weise die Bedeutung der richtigen Form verringert und die materielle Aussage tendenziell diskreditiert. „Bloße" Verfahrensfehler haben aber auch nach neuerer gesetzlicher Regelung geringere Bedeutung (§§ 45, 46 VwVfG, §§ 214 ff. BauGB). Dies ist nicht angemessen und widerspricht der Funktion von Verfahrensnormen, Konsens oder zumindest überwiegende Akzeptanz bei Entscheidungen herbeizufuhren, für die zu wenig oder zu unklare materielle Maßstäbe zur Verfügung stehen.
40
Hoffmann-Riem hebt die Bedeutung des Entscheidungsprozesses als eines „eigenen Faktors der Entscheidungs(un)richtigkeit" hervor und fasst das materielle und das formelle Element unter dem Begriff der „Sachrichtigkeit" zusammen (Hoffmann-Riem (Anm. 35), S. 21.
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b) Handlungen und Ergebnisse Gegenstand der rechtlichen Beurteilung ist im Normalfall entweder eine Handlung oder ein Zustand. Die Bewertung knüpft entweder an das zurechenbare Verhalten von Personen oder an das Ergebnis (das Produkt, den Erfolg) menschlicher Handlungen an. Soweit Handlungen als rechtmäßig oder rechtswidrig bezeichnet werden, bezieht sich diese Bewertung auf Pflichten der Handelnden, wie sie z. B. bei der Anwendung der Amtshaftungsvorschrift des § 839 BGB eine zentrale Rolle spielen. Rechtswidrigkeit bedeutet hier Pflichtwidrigkeit (Handlungsunrecht). Anders liegt es bei der Bewertung der „Produkte": Der Verwaltungsakt als Ergebnis des Entscheidungsprozesses einer Behörde ist niemals „pflichtwidrig"; seine Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit folgt vielmehr aus seiner Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit der materiellen Rechtsnorm, die durch ihn konkretisiert zur Anwendung gebracht wird. Das gilt nicht nur für Rechtsakte, sondern auch für Realakte. Beiden Handlungsformen geht ein Verfahren voraus, das nach Verfahrensrecht fehlerfrei oder fehlerhaft sein kann. Diese formelle Fehlerhaftigkeit kann ihrerseits gleichzeitig auf einer Pflichtwidrigkeit des Handelnden beruhen, aber auch unabhängig von der Zurechnung zu einer Person vorliegen (z. B. Zuständigkeitsmängel infolge unklarer Normen). Jedenfalls wirkt sich ein Verfahrensfehler auf die Rechtmäßigkeit des Ergebnisses aus, aber häufig in anderer Art und Weise als ein materieller Rechtsfehler.
c) Unrecht und Unglück Von den Fällen rechtswidrigen Verwaltungs/zancfe/ws (der einen wie der anderen Spielart) ist die Gruppe der „unerwünschten" Folgen von Verwaltungshandeln zu unterscheiden. Es gibt Geschehnisse, die der Verwaltung nicht zurechenbar sind oder gewöhnlich nicht zugerechnet werden, insbesondere Naturkatastrophen und andere ungesteuerte oder verunglückte Handlungen, die Schäden verursachen. Sofern in solchen Zusammenhängen von rechtswidrigen „Sonderopfern" gesprochen wird, ist diese Redeweise nicht angemessen. In Wahrheit beruhen solche besonderen Belastungen nicht auf Rechtsverstößen; denn die Natur kennt keine Rechtsnormen, und die ungezielte und auch nicht fahrlässige Verursachung von Schäden kann ebenfalls nicht als rechtswidrig bezeichnet werden. Umgangssprachlich mögen solche Sonderopfer „ungerecht" genannt werden, im rechtlichen Sinne sind sie „Unglück". Das gilt auch für alle Fälle, in denen rechtmäßige (pflichtgemäße) Handlungen von Amtswaltern zu besonderen, von anderen nicht zu erbringenden Opfern einzelner führen. Der rechtmäßige Deichbau wird nicht dadurch rechtswidrig, dass das Wasser sich andere Wege sucht und dadurch Überschwemmungen an anderer Stelle verursacht werden - es sei denn, die Verwaltung habe diese Folge gewollt oder in Kauf genommen. (Hier wird es freilich kompliziert, wenn die Prüfung auf die vorher-
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sehbaren Folgen unsorgfältig war; dann ist schon der Entschluss, den Deich zu bauen, seinerseits rechtswidrig). Anders ausgedrückt: Die Verletzung des Gleichheitssatzes macht aus einem natürlichen Geschehen keinen rechtswidrigen Akt. Das Geschehen muss der Verwaltung zurechenbar und von ihr nach Rechtsnormen bewertbar sein.
3. Entscheidungsspielräume bei der Rechtmäßigkeitsprüfung
Der Maßstab „Rechtmäßigkeit" bietet sichere Orientierung, wenn Tatbestand und Rechtsfolgeaussage des anzuwendenden Gesetzes eindeutig sind. Das ist häufig nicht der Fall. Der Gesetzgeber hat oft bewusst, manchmal unbewusst der Verwaltung die Wahl zwischen mehreren Einschätzungen des Sachverhalts, also der Tatsachen, und die Befugnis zur Anordnung unterschiedlicher Rechtsfolgen überlassen, also ,3eurteilungsspielräume" und „Ermessen" eingeräumt. 41 Wie diese Normen richtig ausgefüllt und angewendet werden sollen, ist zwar ebenfalls Gegenstand von Rechtsnormen, aber diese Normen sind nicht dazu bestimmt, jeweils eine einzig richtige Entscheidung herbeizuführen, vielmehr sind mehrere Ergebnisse rechtmäßig. Innerhalb des rechtlichen Rahmens sind nun weitere Überlegungen notwendig, um eine gewisse Einheitlichkeit der Entscheidungspraxis herzustellen. Das Gesetz selbst verweist hier auf das ZweckMittel-Denken, indem es (in § 40 VwVfG) bestimmt, dass das behördliche Ermessen „entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben" ist. 42 Damit ist die Behörde auf die Verwendung des Maßstabes Rationalität im Sinne angemessener Beziehung des gegebenen Zwecks zu dem auszuwählenden Mittel angewiesen. Spielräume zu solchen Auswahlakten bestehen vor allem im Planungsrecht, weshalb von einer eigenen Rechtsfigur des „Planungsermessens" gesprochen wird. 43
4. Zweckmäßigkeitsprüfung
Erst recht versagt der Maßstab Rechtmäßigkeit, wenn ein Gesetz die Entscheidung nach „Zweckmäßigkeit" erlaubt. So sind nach § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO vor Erhebung der Anfechtungsklage „Rechtmäßigkeit und Zweckmä-
41 Vgl. die einschlägigen Darstellungen in den Lehrbüchern, z.B. Η. P. Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Auflage, Heidelberg 2000, Rn. 365 ff., 399 ff. 42 Die weitere Vorschrift, dass „die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten" sind, ist für die hier anzustellenden Erörterungen nur indirekt insofern erheblich, als hier gerade der gesetzlich nicht durchstrukturierte „Freiraum" der Behörde bestätigt wird. 43 Bull, Verwaltungsrecht (Anm. 41), Rn. 413 i.V.m. 391 ff.
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ßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen". Es liegt auf der Hand, dass hier die „Richtigkeit" oder Angemessenheit des Verwaltungshandelns eben nicht an Rechtsnormen zu messen ist. Die Rechtspraxis und die Kommentarliteratur wissen mit dem Zweckmäßigkeitsbegriff wenig anzufangen. Sicher ist, dass „abstrakte Zweckmäßigkeitserwägungen ohne Einbeziehung des rechtlichen Rahmens kaum fruchtbar sind und in der Regel von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht getrennt werden können". 44 Als Beispiele für Unzweckmäßigkeit sind mangelnde Effektivität oder Effizienz zu nennen, ferner der Fall, dass „sachnähere Alternativen" bestehen.45
I V . D i e S t r u k t u r des Planungsprozesses 1. Betrachtung ex post und ex ante
Üblicherweise betrachtet der Jurist die Entscheidungen der Verwaltung ex post, als Produkt des auf sie hinführenden Prozesses, also in der Perspektive des Richters. Der Prozess selbst findet deutlich weniger Interesse. Das zeigt sich z. B. schon daran, wie oberflächlich - sozusagen „lieblos" - der Gesetzgeber in §§ 9 ff. VwVfG das Verwaltungsverfahren geregelt hat und welch marginale Rolle die Vorschriften über das förmliche Verfahren und das Planungsverfahren in Forschung und Lehre spielen. Die Verwaltung findet ex ante wenig Anleitung im Gesetz. Die wissenschaftliche Literatur hat sich, soweit sie nicht rein dogmatisch vorgeht, vor allem um Konfliktmittlung, Mediation und andere informale Verfahrenselemente gekümmert 46 Diese Betrachtungsweise sollte um andere Aspekte ergänzt werden.
2. Planungspflicht und Planrechtfertigung
Planung ist der Verwaltung für zahlreiche Konstellationen gesetzlich zur Pflicht gemacht worden. So schreibt § 1 Abs. 3 BauGB die Aufstellung von Bauleitplänen vor, „sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist". Für Straßen, Eisenbahnanlagen, technische Anlagen verschiedenster Art, aber auch für den Landschafts- und Naturschutz gel44 F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 3. Auflage, München 1998, § 6 RJI. 60. S.a. R. Klüsener, Die Bedeutung der Zweckmäßigkeit neben der Rechtmäßigkeit in § 68 I 1 VwGO, in: NVwZ 2002, S. 816. 45 Hufen, Verwaltungsprozessrecht (Anm. 44), § 7 Rn. 21 ff. 46 Vgl. dazu u.a. W. Hoffmann-Riem, Konfliktmittler in Verwaltungsverhandlungen, Heidelberg 1989; Hoffmann-Riem!Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, 2 Bände, Baden-Baden 1990; Β. Holznagel, Konfliktlösung durch Verhandlungen, Baden-Baden 1990.
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ten Planungspflichten nach speziellem Bundes- und Landesrecht. 47 Die damit zum Prinzip erhobene Planmäßigkeit der Raumnutzung48 entspricht dem von Alexy 4 9 erläuterten allgemeinen Begriff von Rationalität, indem sie sich gegen die Inkonsistenz der Entscheidung von Fall zu Fall wendet. Soweit nach § la BauGB mit Grund und Boden „sparsam und schonend umgegangen werden" soll und daher nach § 17 UVPG im Bauleitplanverfahren auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen ist, äußert sich eine andere, der Wertrationalität 50 nahestehende Spielart des Rationalitätsgebots, eine Form spezieller Interessenschutzrationalität, die insofern aus dem Rahmen der allgemeinen ZweckMittel-Relation herausfällt, als sie einem bestimmten Zweck einen Vorrang einräumt. Die Rechtsprechung verlangt für bestimmte (vorhabenbezogene) Fachpläne eine zusätzliche „Planrechtfertigung". 51 Das konkrete Vorhaben muss, wie schon gesagt52, um rechtmäßig zu sein, „gemessen an den gesetzlichen Zielen vernünftigerweise geboten" sein.53 An dieser Stelle sind nun schon all diejenigen Überlegungen angebracht, die sich auf das richtige Verhältnis von Zweck und Mittel beziehen. So erweist es sich als folgerichtig, wenn die im AirbusProzess beklagte Stadt Hamburg zunächst ausführt, warum die Maßnahmen „erforderlich" seien - nur dass diese Prüfung nicht konsequent durchgeführt wird; denn die Aussagen über die Marktlage und den Flächenbedarf des Werkes betreffen nicht die ihrerseits nicht überprüfte Behauptung, dass die Produktion gerade an diesem Ort erforderlich sei. Was fehlt, ist die Untersuchung der Alternativen. Es wird zu zeigen sein, dass gerade dies einen unverzichtbaren Schritt einer rechtmäßigen Planung darstellt.
3. Gesetzliche Vorgaben für das W i e der Planung
a) Planung ist nicht konditional, sondern final programmiert 54, aber einige gesetzliche Konditionen müssen erfüllt sein, damit sie rechtmäßig vor sich ge-
47
Vgl. etwa §§ 17 FStrG, 18 AEG, I I a EnWG, 9b AtG, 16 BNatSchG, 36 WHG. Dazu W. Softer in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Kommentar, München 2000, § 1 Rn. 19 ff. 49 S. oben bei Anm. 15. 50 S. oben II. 1. bei Anm. 17/18. 51 BVerwGE 48, 56 (60 f.); 56, 110 (198 ff.), BVerwG, DVB1. 2001, 1848. 52 S. oben zu I. bei Anm. 9. 53 BVerwG, DVB1. 2001, 1848; s. a. VG Hamburg (Anm.10), S. 23 ff. 54 Zu diesem Begriff vgl. insbes. N. Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, Berlin 1966, S. 35 ff. S. aber auch die Begriffskritik von H.-J. Koch, Bauleitplanung, in: H.-J. Koch/R. Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 3. Auflage, Stuttgart 2001, S. 226. 48
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hen kann. So sind Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen (§ 1 Abs. 4 BauGB). Diese der planenden Gemeinde vom Land oder indirekt vom Bund vorgegebenen Ziele der Raumordnung sind „vor die Klammer des Abwägungsprozesses gezogen".55 Sie können und müssen aber u.U. ihrerseits auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden. Die Bebauungspläne sind nach § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB aus den Flächennutzungsplänen zu entwickeln. Hier ist das Konzept einer schrittweise vorzunehmenden (und insofern wiederum rationalen) Konkretisierung der Planungsziele erkennbar. b) Die wichtigste gesetzliche Vorgabe für die Bauleitplanung, die notwendigerweise ebenso für andere Arten von Planung gelten muss, besteht in den Geboten der Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Belange, wie es in § 1 Abs. 5 BauGB vorgeschrieben ist, und der gerechten Abwägung der öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander ( § 1 Abs. 6 BauGB). Der Katalog der Belange bzw. Interessen, der in § 1 Abs. 5 BauGB enthalten ist, könnte auch fehlen; er deckt alle nur denkbaren Aspekte ab und leistet keinen Beitrag zur Festlegung von Prioritäten oder Gewichtungen. Schärfer gesagt, errichtet § 1 Abs. 5 BauGB die äußeren Umrisse, also sozusagen die „Fassade" eines Argumentationsprozesses, dessen Ausgestaltung im vorhinein nicht wirklich determiniert wird und im nachhinein anders erklärt werden muss als durch einen Schluss von der Norm auf die Entscheidung. H.-J. Koch sieht in der Aufzählung des § 1 Abs. 5 BauGB zwar einen positiv zu wertenden Unterschied zu anderen Rechtsnormen, die die Ziele (Zwecke) des Verwaltungshandelns nicht bestimmen, kritisiert aber ebenfalls, dass weder Ausmaß noch Rangfolge der Ziele festgelegt sind. 56 Ohne solche Zielvorgaben blieben jedoch manche Interessen ungeschützt; daher ist eine Bestimmung wie § la BauGB durchaus sinnvoll. Die Rechtsprechung hat stets klargestellt, dass der Auftrag zur Planung immer auch ein großes Maß an Gestaltungsfreiheit impliziert („Planungsermessen"). 57 Das Rangverhältnis zwischen den zu berücksichtigenden Belangen ist nicht abstrakt vorgegeben. Die planende Behörde hat die Planungsziele für den anstehenden Fall zu konkretisieren 58 und die verschiedenen Belange zu gewichten, also in eine Relation zueinander zu bringen. 59
55
Dazu BVerwGE 90, 329 (332) (Naturpark Teutoburger Wald); s. a. BVerfGE 76, 107 (123) (Wilhelmshaven). 56 Koch, Bauleitplanung (Anm. 54), S. 225 f. 57 BVerwGE 34, 301 (304); 56, 110 (116); Koch, Bauleitplanung (Anm. 54), S. 223. 58 BVerwGE 90, 329 (331 f.). 59 Vgl. etwa BVerwGE 75, 214 (254). Th. Würtenberger spricht hier von der „Präferenzautonomie" der Verwaltung, die nicht als Ermächtigung zu Willkür verstanden werden dürfe; Th. Würtenberger, Rechtliche Optimierungsgebote oder Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln?, in: VVDStRL 58, 139 ff. [157].
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c) Aus der jahrzehntelangen richterlichen Kontrolle von Plänen haben die Verwaltungsgerichte neue Normen entwickelt, die als Maßstäbe richtiger Planung angewendet werden, nämlich Abwägungsgrundsätze und Planungsleitsätze. aa) Das Gebot gerechter Abwägung ist verletzt, wenn (1.) gar keine Abwägung stattgefunden hat (Abwägungsausfall) oder (2.) bestimmte Belange, die nach Lage der Dinge in die Abwägung hätten eingestellt werden müssen, nicht einbezogen worden sind (Abwägungsdefizit) oder (3.) die Bedeutung bestimmter Belange verkannt wurde (Fehleinschätzung) oder schließlich wenn (4.) der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wurde, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (Disproportionalität der Abwägung). 60 Hier klingt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz an, der seinerseits dem Rationalitätsprinzip insofern entspricht, als er auf die Relation von Zweck und Mittel abstellt. Der gebotene Ausgleich zwischen den widerstreitenden Belangen macht es erforderlich, die Verhältnismäßigkeit von Zweck und Mittel herzustellen. 61 Das Abwägungsgebot betrifft sowohl den Abwägungsvorgang wie das Abwägungsergebnis 62 - dies entspricht der Unterscheidung von Handlungspflichten und Ergebnisgerechtigkeit (s. o. III. 2. b). bb) Daneben aber sind nach der Judikatur auch solche Gebote zu beachten, die nicht im Wege der Abwägung überwunden werden können: die sog. Planungsleitsätze. Zu ihnen gehören das Verbot, in unmittelbarer Nähe eines Wohngebietes Industrie anzusiedeln63, und wohl auch die Bodenschutzklausel des § la Abs. 1 sowie die ähnliche Vorschrift des § 1 Abs. 5 S. 3 BauGB. Literatur und Verwaltungsgerichte haben sich bemüht, aus den unscharfen Gesetzestexten durch immer feinere Differenzierungen doch noch gewisse Vorrangentscheidungen herauszuarbeiten. Überzeugend sind diese „feinsinnigen Unterscheidungen" nicht, sie sind selbst „mit der juristischen Lupe" kaum noch auszumachen.64 cc) Die Rechtsprechung gewährt der Planfeststellungsbehörde die Befugnis, die „Vorzugswürdigkeit des einen gegenüber dem anderen öffentlichen oder
60 So schon BVerwGE 34, 301 (309) und 45, 309 (314 f.). S. a. Koch, Bauleitplanung (Anm. 54), S. 224; Bull, Verwaltungsrecht (Anm. 41), Rn. 395. 61 Vgl. a. BVerfGE 79, 174 (198). 62 BVerwGE 45, 309 (312 f.); s. dazu a. Koch, Bauleitplanung (Anm. 54), S. 245 ff. 63 BVerwGE 45, 309 (322 ff.). 64 Formulierungen von Koch, Bauleitplanung (Anm. 54), S. 238 und 239; s. a. H.-J. Koch, Rechtsprinzipien im Bauplanungsrecht. Zur normtheoretischen Basis der planerischen Abwägung, in: B. Schilcher/P. Koller/B.-C. Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, Wien 2000, S. 245 (250 ff.) mit der Kritik am Begriffsapparat des BVerwG.
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privaten Belang zu bestimmen".65 Quantifizierbare und damit im engeren Sinne vergleichbare Größen seien hierbei nur selten vorhanden. Gleichwohl verlange die Rechtsordnung „in vielfältiger Weise die Berücksichtigung und die Beachtung von teilweise stark gegenläufigen Belangen". Die Ermächtigung zur planerischen Gestaltung sei aber nur rechtsgebunden gewährt und dürfe nicht „als auf die Beachtung nur allgemeiner planerischer Vernünftigkeit gerichtet verstanden werden". 66 Im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle prüft das BVerwG daher auch, ob Alternativen zu der von der Behörde festgestellten Planung „gleichwertig oder sogar überlegen" sind. 67
V. Wie rational ist die Praxis? Die Darstellung der Planungsrechtsentwicklung hat ergeben, dass sich auf diesem Gebiet eine ganz eigene Methodik und Terminologie entwickelt haben, die kaum Anschluss an die Rationalitätsdiskussion gefunden hat. Das gilt jedoch nicht nur für die rechtswissenschaftliche Entscheidungs- und Planungslehre, sondern allgemein für Theorie und Praxis der politischen und administrativen Instanzen. Fragt man also, welche Rationalität in der dargestellten Praxis von Parlament und Verwaltung, Rechtswissenschaft und Judikatur zum Ausdruck kommt, so ist offensichtlich, dass zwar die Verwaltung zumindest teilweise ein Zweck-MittelDenken praktiziert und z. B. in gewissem Umfang Kosten-Nutzen-Rechnungen anstellt 68 , dass sie dies aber auf fragwürdige Weise tut, nämlich zu ungenau und zu einseitig. Finanzielle Risiken oder Chancen werden mehr oder weniger häufig bedacht, aber eine umfassende Folgenabwägung fehlt oft. Man denke an die unseligen Bürgermeister-Wettbewerbe um ansiedlungswillige Unternehmen, in denen ungerechtfertigte Steuervorausverzichte 69, die Veräußerung von Grundstücken zu Vorzugspreisen und manche anderen unangemessenen Praktiken üblich waren. Dass verlässliche Kosten-Nutzen-Kalküle mangels Berechnung der zu erwartenden Einnahmen nicht angestellt wurden, ist selten moniert worden. Auch sonst pflegen „harte" Gegenrechnungen zu fehlen.
65
BVerwGE 75, 214 (254) - Flughafen München-Erding. BVerwG a.a.O. 67 A.a.O. S. 255 ff. 68 Dies ist auch durch eine Reihe von Rechtsnormen vorgeschrieben, z.B. Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG, § 6 Haushaltsgrundsätzegesetz, § 7 BHO; s.a. Art. 98 und 248 EGVertrag. 69 Vgl. BVerwGE 8, 329, wo ausdrücklich festgestellt wird, dass die Gemeinde nicht individuell geprüft hat, wie sich die Dinge entwickeln werden, weil „sich die Verhältnisse der Klägerin auf fünf Jahre im Voraus nicht übersehen ließen"; dies sei auch gar nicht versucht worden (S. 332). Vgl. a. den Fall BVerwGE 48, 166. 66
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Im eingangs erwähnten Beispielsfall der Airbus-Ansiedlung hat der Landesrechnungshof einmal geprüft, ob die staatliche Investition in Arbeitsplätze usw. „sich rechnet", und offenbar große Zweifel geäußert. Er hat aber nichts bekannt gegeben70, und die Sache scheint trotz der gewaltigen Kosten (ca. 670 Mio. € allein für die Zuschüttung des Mühlenberger Lochs) niemanden mehr zu interessieren. Über die finanziellen Lasten für Hamburg hinaus wäre eine genaue Abwägung der Vor- und Nachteile nötig: Die positiven Erwartungen in Bezug auf Industrieforderung, Arbeitsmarkteinfluss und Forschungsforderung wären gegen zu erwartende Nachteile wie Naturschäden, Fluglärm, Gefahren für die Schifffahrt und für Menschen, Wertminderung von Grundstücken und Landschaftsbeeinträchtigung in Rechnung zu stellen. Eine solche umfassende Abwägung ist in den Entscheidungen des VG und des OVG Hamburg 71 nicht erfolgt und wird wohl auch nicht erfolgen, weil diese Gerichte aus prozessualen Gründen nur Teilaspekte (insbesondere die Frage des zumutbaren Fluglärms) zu behandeln hatten und haben.
VI. Wie kann diese Diskussion für die rechtliche Beurteilung nutzbar gemacht werden? Wendet man das Thema präskriptiv, so ist zu fragen, ob das Denken in „Rationalitäten" nicht wesentlich mehr für Planungen und andere Entscheidungen nutzbar gemacht werden kann. Dazu seien einige Stichworte vorgetragen: 1. Wichtig ist schon, dass die Entscheider nicht allein auffinanzielle KostenNutzen-Rechnungen vertrauen. In die Gesamtrechnung müssen auch immaterielle Nachteile und auch solche, die nicht einzelnen Rechtsträgern entstehen, einbezogen werden. 2. Der Planer, folglich auch der Planungsgesetzgeber und die Planfeststellungsbehörden können den Aspekt des Bestandsschutzes notwendigerweise nicht hochhalten. Planung zielt auf Veränderung und will diese, soweit bestimmte Entwicklungen unausweichlich sind, jedenfalls gestalten, in die richtigen Bahnen lenken. Auch aus diesem Grunde ist die Erarbeitung von Alternativen (vor der Entscheidung!) zwingend erforderlich. 3. Die Abwägungslehre kann trotz der bezeichneten Mängel als „Steinbruch" für rechtstheoretische wie rechtspraktische und verwaltungswissenschaftliche Grundüberlegungen dienen. Von praktischem Nutzen können insbesondere Zweck-Mittel-Betrachtungen sein. Die richtige Bestimmung der Zwecke und ihres Verhältnisses zueinander bildet eine immer wieder gestellte Aufgabe. Zu-
70 71
Bericht im Hamburger Abendblatt vom 3. April 2001. Vgl. oben Anm. 10.
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mindest überall da, wo nach Ermessen entschieden werden soll, ist Raum für entsprechende Rationalitätserwägungen. Sie werden in aller Regel unter dem Titel „Verhältnismäßigkeit (von Zweck und Mittel)" in die juristische Argumentation eingebracht. Daraus folgt aber auch, dass ein Kosten-Nutzen-Kalkül das (nicht immer auf den ersten Blick erkennbare) Gerüst der meisten Ermessensund Zweckmäßigkeitsentscheidungen bildet. Der Begriff des Interesses bildet „in seiner Überschneidung mit dem Begriff des Nutzens (oder Vorteils)" eine ,3nicke" zwischen der juristischen Verhältnismäßigkeitsprüfung (oder „Güterabwägung") und der stärker ökonomischen Nutzen-Kosten-Analyse.72 4. Schwierige Sachkomplexe können bisweilen durch Besinnung auf das Verhältnis der Zwecke zueinander geklärt werden. Koch und Reese haben jüngst ein aktuelles Beispiel dafür geliefert: Die „Bepfandung" von Einwegverpackungen hat den Zweck, die Rücknahme der Behältnisse zu sichern, darüber hinaus aber den übergeordneten Steuerungszweck, die Entwicklung, Herstellung und das Inverkehrbringen mehrfach verwendbarer Erzeugnisse zu fordern und damit die Produktion von Materialien zu vermeiden, die später als Abfall entsorgt werden müssen. Diese „hierarchische Multifunktionalität der Bepfandung" bedeutet, dass die Maßnahme auch dann gerechtfertigt ist, wenn der „dienende Zweck" nicht vollständig erfüllt werden kann, solange nur der übergeordnete Zweck realisiert wird. Dabei hat der Normgeber einen Beurteilungsund Prognosespielraum. Völlige Gewissheit darüber, dass das System „funktionieren" wird, kann nicht verlangt werden - dies eine Folge der Prüfung am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. 73 Die gesetzlichen Planungsziele sind oft viel zu unbestimmt.74 Andererseits steht und fallt die Planrechtfertigung mit der Präzision der Zielformulierung, wie ebenfalls am Beispiel der Sonderlandeplätze für Flugzeugfabriken gezeigt werden kann. Die Ziele müssen konkretisiert werden, und der jeweilige Sachverhalt (das einzelne Planungsvorhaben) muss auf seine Übereinstimmung mit dem Ziel geprüft werden (Frage der „Planrechtfertigung", s. ο. IV. 2.). Das schlechte Gegenbeispiel ist die „freischwebende" Behauptung bestimmter Zwecke oder der Übereinstimmung mit gegebenen Planungszielen. Pauschale Aussagen wie: „Was gut ist für die Wirtschaft, ist gut für die Allgemeinheit" gelten eben nicht, sie sind zu unspezifisch und für die Abwägung konfligierender Interessen ungeeignet.
72 So schon W. Schmidt, Einführung in die Probleme des Verwaltungsrechts, München 1982, S. 56. 73 H.-J. Koch/M. Reese, Fehlt dem Dosenpfand die Ermächtigungsgrundlage? in: NVwZ 2002, 1420(1421 ff.). 74 Kritik an einer undifferenzierten Zielbestimmung beim Entzug von Eigentumspositionen: BVerfGE 74, 264 (287 ff.) - Boxberg.
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Wenig hilfreich ist es auch, wenn die Rechtsprechung bestimmten Belangen Hochrangigkeit oder gar Höchstrangigkeit bescheinigt, ohne doch darzustellen, welche Belange in Relation dazu geringeren Rang haben.75 5. Nicht unwichtig ist auch die Aufdeckung unerkannter oder verborgener Zielvorgaben und faktisch bindender Vorentscheidungen. Keine Entscheidung, die wir treffen, ist völlig frei in dem Sinne, dass sie ausschließlich aus einer Beurteilung der gegenwärtigen Situation abgeleitet wird, immer treffen wir auf vorherige Festlegungen, die nicht mehr geändert werden können und auf denen die neue Entscheidung aufbauen muss. Bei der Planung von Großvorhaben ist dies besonders deutlich: Über einen langen Zeitraum hin entsteht aus einer ersten Idee ein Plan und schließlich ein örtlich fixiertes Vorhaben, und ehe es zu einer förmlichen Abwägung durch die zuständige Behörde kommt, sind schon zahllose politische und andere Instanzen mit der Sache beschäftigt und haben sich eine Meinung gebildet, die ihrerseits als Vorbelastung fur andere wirken kann. Der Abwägungsvorgang wird dadurch „geschmälert", aber „es ginge an der Realität der Planungsvorgänge vorbei", das alles pauschal als gesetzwidrig abtun zu wollen 76 : Andererseits darf das Verfahren nicht „zu einer funktionslosen Förmlichkeit" werden. 77 6. Zu erinnern ist auch an die Grenzen des Mittel-Zweck-Schemas, die schon Simon in aller Klarheit herausgearbeitet hat. 78 „Rationalität" erfordert ein vollständiges Wissen und vollständige Antizipation der Ergebnisse, die sich aus jeder Wahl ergeben. Wegen der unüberwindlich erscheinenden Informationsprobleme ist F. A. von Hayek zu der Überzeugung gekommen, rationale Planung sei unmöglich. 79 Diese Einschätzung traf für die sozialistische Zentral Verwaltungswirtschaft zu, und die ihr zugrunde liegende Erkenntnis stellt auch die (unverzichtbare) Planung von Vorhaben und Flächennutzung im demokratischen Rechtsstaat vor große Schwierigkeiten und mahnt dazu, den Anspruch an Rationalität nicht zu hoch zu treiben. Tatsächlich ist die Kenntnis der zu erwartenden bzw. angestrebten Ergebnisse immer bruchstückhaft. 80 Ihre Bewertung ist besonders schwierig, weil sie in der Zukunft liegen, und nur wenige der möglichen Alternativen kommen den Beurteilern zu Bewusstsein.81
75
Vgl. dazu die Kritik von H. Bethge, Die Demonstrationsfreiheit - ein missverstandenes Grundrecht? in: Zeitschrift für Beamtenrecht 1988, S. 205. 76 BVerwGE 45, 309 (317) - Flachglas-Entscheidung. 77 BVerwGE 45, 309 (318). 78 Simon, Entscheidungsverhalten (Anm. 23), S. 102 f. 79 F. A. v. Hayek , Zur Bewältigung von Unwissenheit, in: F. A. v. Hayek, Die Anmaßung von Wissen, Tübingen 1996, S. 307 ff. (309 f.). 80 Simon, Entscheidungsverhalten (Anm. 23), S. 116. 81 Simon, Entscheidungsverhalten (Anm. 23), S. 116.
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Besonders beachtenswert ist Simons Bemerkung, dass „in realen Situationen eine vollständige Trennung der Mittel von den Zwecken normalerweise unmöglich" ist, „da alternative Mittel meist nicht wertneutral sind". 82 Sie entspricht Werner Thiemes Hinweis auf die „Rückkopplungen zwischen Zielen und Entscheidungsalternativen". 83 Mit Recht nennt er viele Diskussionen über die Frage, ob „die Zwecke die Mittel heiligen", schlicht „nutzlos". Wenn die eingesetzten Mittel ihrerseits rechtlich problematisch sind, weil sie die persönliche Freiheit zu stark einschränken, überschatten sie bald die Bedeutung des eigentlichen Ziels, z. B. Sicherheit zu produzieren. Simon hat seinerzeit den Fall des Prohibitionsgesetzes als Beispiel gewählt. Heute lässt sich dies besonders gut an Beispielen wie der Drogenbekämpfung oder der Entwicklung der polizeilichen Informationsbefugnisse darstellen. Es gilt jedenfalls das Gebot, das Mittel so zu wählen, dass möglichst wenige Drittschäden (im modernen Jargon: „Kollateralschäden") verursacht werden. Juristen haben viel Übung im Umgang mit der Mittel-Zweck-Bewertung, seitdem in allen Rechtsgebieten das Verhältnismäßigkeitsprinzip zur Geltung gebracht werden muss. Seine Aktivierung hat manche Berührungspunkte mit der ökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse. Aber Juristen wissen auch, wie viele Unwägbarkeiten und Subjektivismen auf diesem Wege in die Entscheidungen einfließen können. Die gerichtliche Kontrolle muss hier notwendigerweise zum Teil zurücktreten, denn ohne Beurteilungs- und Prognosespielräume wäre in vielen Bereichen keine effektive Verwaltung mehr möglich. 7. Insgesamt ist die Bilanz nicht sonderlich günstig. Wenn wir nicht mit Bernd Becker eine extrem weite Definition von „Rationalität" zugrunde legen wollen 84 , müssen wir uns offensichtlich damit abfinden, dass rechtliche Entscheidungen nur begrenzt „rationalisierbar" sind. Es ist schon viel erreicht, wenn die Verfahrensweisen der Verwaltung so eingerichtet und eingehalten werden, dass die Chance der umfassenden Interessenberücksichtigung besteht. Nicht als „materielle" Faktoren von „Richtigkeit" oder „Rationalität" der Entscheidungen, sondern als Verfahrensgebote können Transparenz und Partizipation dazu beitragen, dass die Entscheidungsqualität sich bessert, indem z. B. das zu jeder Planung erforderliche Abwägungsmaterial vervollständigt wird. So gelangen wir auf dem Feld der Rechtswissenschaft zu einer parallelen Einsicht wie die Sozialwissenschaft mit ihrem Konzept der „begrenzten Rationalität", das bei March/Simon durch die Gegenüberstellung der „zufriedenstel-
82
Simon, Entscheidungsverhalten (Anm. 23), S. 102. Thieme, Einführung (Anm. 12), S. 141 ff. 84 B. Becker, Öffentliche Verwaltung (Anm. 3), S. 448 (dort werden alle zentralen Rechtsprinzipien des Grundgesetzes als „allgemeine" oder „spezielle Rationalitätsdimensionen" bezeichnet). 83
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lenden" und der (nicht erreichbaren) optimalen Lösung bezeichnet ist. 85 Gunnar Folke Schuppert hat also Recht, wenn er schreibt, die Theorie optimalen Entscheidens habe unter den Bedingungen der gegenwärtigen Verwaltungsorganisation „keine echte Realisierungschance". 86 Das ist aber kein Grund zur Resignation. Sowohl die sozialwissenschaftliche Forschung über Verwaltung wie die juristische Entscheidungslehre können in diesem Rahmen weitergehen und sich um bessere Maßstäbe bemühen.
V I I . Schlussbemerkung: Rationalität - ein Brückenbegriff? Es bleibt die Frage, ob der Maßstab der Rationalität eine Brücke zwischen den Disziplinen darstellt, deren Ausbau zu wünschen wäre. 87 Ohne hier auf die Diskussion über „Schlüssel-" und „Brückenbegriffe" 88 näher eingehen zu können, erscheint mir dies nach allem doch fraglich. Rechtswissenschaft und Rechtspraxis müssen den Rationalitätsbegriff erst für sich anwendbar machen. In den Sozialwissenschaften hat er eine andere Funktion und wird häufig anders verstanden. Wenn auf zwei Inseln verschiedene Sprachen gesprochen werden, muss man beide lernen, auch wenn manche Wörter ähnlich klingen mögen. Helfen kann allenfalls eine gemeinsame Wurzel in Gestalt einer Ursprache, aus der sich die beiden Formen entwickelt haben, oder eine gemeinsame Kunstsprache, die beide überwölbt. Die gemeinsame Wurzel von Sozial- und Rechtswissenschaften mag man in der Philosophie suchen; ein disziplinübergreifendes Esperanto ist bisher nicht vorhanden. Für das bessere gegenseitige Verständnis sind wir also vorerst auf den genauen Vergleich der beiderseitigen Denkweisen angewiesen.
85
March/Simon, Organizations (Anm. 26), S. 140. G. F. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, Baden-Baden 2000, S. 765. 87 Vgl. oben für den Begriff des Interesses den Text bei Anm. 72. 88 Zu den „Schlüsselbegriffen der Perspektivenverklammerung", „interdisziplinären Verbundbegriffen" und „Brückenbegriffen" vgl. G. F. Schuppert in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, Beiheft 2 zu: Die Verwaltung, 1999, S. 103 ff., insbes. 109 ff. m.w.N. 86
Ein sozialpsychologischer Bezugsrahmen für die gute Gestaltung politisch-administrativer Entscheidungsprozesse 1 Von Rudolf Fisch und Dieter Beck, Speyer
I. Schwierige politisch-administrative Entscheidungslagen als Herausforderung für die öffentliche Verwaltung Die öffentliche Verwaltung in Bund, Ländern und Kommunen sieht sich im Rahmen einer pluralistischen Gesellschaft zunehmend mit schwierigen politisch-administrativen Entscheidungslagen konfrontiert, für die es oftmals keine einfachen Lösungen nach klassischen Bearbeitungsroutinen gibt. Ein Beispiel hierfür stellt die Gestaltung von Prozessen der Stadtentwicklung dar, bei denen nicht nur städtebauliche Belange, sondern auch Umweltgesichtspunkte, soziale Strukturen und Beziehungen und nicht zuletzt vielfältige Bürgerinteressen mit berücksichtigt werden sollen. Weitere Beispiele sind umstrittene Großvorhaben, wie ICE- oder Autobahntrassen oder der Ausbau von Flughäfen. Neben diesen Entscheidungslagen der planenden Verwaltung finden sich auch herausfordernde Entscheidungslagen mit hoher Eigendynamik in Krisensituationen, etwa im Bereich der inneren Sicherheit oder im Katastrophenschutz. Viele dieser Aufgaben haben heute grenzüberschreitende Auswirkungen, werden von Instanzen der Europäischen Union mitgesteuert oder beziehen sich gar auf globale Aspekte.2 Im Folgenden geht es um solche ungewöhnlichen und schwierigen politischadministrative Entscheidungslagen. Sie sind unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass es für sie sachbedingt kaum Routinen in der Handhabung gibt. Die Entscheidungsträger sehen sich einer Vielfalt an Fakten gegenüber, deren Wirkmechanismen und Zusammenhänge untereinander es zu berücksichtigen gilt. Oftmals besteht Eigendynamik. Es verändert sich auch dann etwas, wenn nichts getan wird. Je nach den Ereignissen im Umfeld können sich im Laufe der Bearbeitung Prioritäten verschieben oder auch ein großer Zeitdruck zum Handeln entstehen. Hinzu kommt, dass an dem Entscheidungsprozess eine Vielzahl
1
Eine Hommage an den „Prozessdenker 44 Klaus König. Vgl. Κ König, Verwaltung in globaler Sicht, in: K. König (Hrsg.), Verwaltung an der Wende zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 327-352. 2
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von Akteuren und Akteursgruppen mit unterschiedlichen, zum Teil entgegengesetzten Interessen beteiligt sind. Die Gestaltung der Beziehungen zu und zwischen den Akteurgruppen kann somit eine ebenso große Herausforderung darstellen wie die inhaltliche Problemlösung. Dabei geht es sowohl um die inhaltliche Koordination als auch um die Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen und Machtkonstellationen. Somit ist das Ergebnis des Entscheidungsprozesses in aller Regel kaum abzusehen und damit schwer kontrollier- und steuerbar. Die Funktion öffentlicher Entscheidungsträger lässt keine einfachen oder gar einseitigen Entscheidungen zu. Stets ist eine Entscheidungslage möglichst umfassend darzustellen und eine nach verwaltungseigenen Kriterien von Rechtmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Qualität abgewogene Entscheidung zu treffen. Aber in der Wahrnehmung einer aufgeklärten Bürgergesellschaft wird dies allein als noch nicht hinreichend angesehen. Die Akzeptanz von Entscheidungen wird zunehmend wichtiger. So besteht ein primäres Interesse an vorzeigbaren Ergebnissen und beachtlichen, durch Verantwortungsgefühl geprägte Entscheidungen von Politik und Verwaltung. In dieser Hinsicht steht der öffentliche Sektor seit langem in der Kritik. Bei Meinungsumfragen finden sich Vertreter der Politik und Verwaltung seit Jahren am Ende der beruflichen Prestigeskala3 wieder. Ein Aspekt der relativen Geringschätzung dieser Instanzen ist das wahrgenommene ungünstige Verhältnis des finanziellen Aufwands für den Unterhalt des politisch-administrativen Systems zu seiner Fähigkeit, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Vertreter von Politik und Verwaltung haben zwar gelernt, rhetorisch darauf zu reagieren und plausibel wirkende Begründungen zu vermitteln. Bei schwierigen Entscheidungslagen geht es stets aber um diffizile Wechselwirkungen von Qualität und Akzeptanz von Entscheidungen. Diese entziehen sich in aller Regel einem einfachen Plausibilitätskalkül. In diesem Beitrag wird die These vertreten, dass mehr interdisziplinäres Methodenwissen und dessen kritisch-pragmatischer Einsatz bei der Bearbeitung schwieriger politisch-administrativer Aufgabenstellungen Entscheidungsträger und -vorbereiter unterstützen könnten. Jenseits rechtsförmiger Verfahren zur Entscheidungsfindung und -Umsetzung, wie etwa die Vorgaben des Verwaltungsverfahrensgesetzes, wurden in den Sozial-, Politik-, Wirtschafts-, Informations- und Ingenieurwissenschaften seit den 1970er Jahren eine Vielzahl von Methoden zur Entscheidungsunterstützung entwickelt. Diese dienen zunächst der systematisierten inhaltlichen Entscheidungsfindung. Moderne Verfahren erlauben aber auch, die sozialen Beziehungen und Interaktionsprozesse zwischen den Beteiligten zu analysieren und in der Folge zu gestalten. Der Methodeneinsatz kann in die rechtlichen Verfahren integriert werden und sollte so zu Quali3
Das Institut für Demoskopie Allensbach führt regelmäßig solche Befragungen durch. Die letzte Studie stammt vom April 2003.
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tätsgewinnen, größerer Akzeptanz und zu mehr Wirksamkeit von administrativen Entscheidungen führen. Ein Gewinn an Reputation für Politik und Verwaltung wäre der positive Nebeneffekt. Solche Methoden können in den verschiedenen Phasen eines Entscheidungsprozesses, also von der Problemdefinition über die Alternativenentwicklung und -auswahl bis hin zur retrospektiven Evaluation zur systematischen Unterstützung von Entscheidungsträgern eingesetzt werden. Dabei sind sie sowohl für die individuelle als auch insbesondere für die kollektive Entscheidungsfindung in Gremien, Arbeits- und Projektgruppen geeignet. Im Folgenden wird ein sozialpsychologisch geprägter Rahmen für die gute Gestaltung von Entscheidungsprozessen im Sinne von „good governance" dargestellt. Der Gestaltungsrahmen ist zur Orientierung im Umgang mit schwierigen politisch-administrativen Aufgabenstellungen gedacht. Dabei geht es vor allem um die Gestaltung von Prozessen der kollektiven Entscheidungsfindung. Folgende Gesichtspunkte sollten unterschieden werden: -
das Umfeld des Entscheidungsprozesses;
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funktionale Phasen der Entscheidungsfindung;
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die dabei jeweils ablaufenden sozialen Interaktionsprozesse mit den Ebenen der Informationsverarbeitung und des Wissensmanagements, der Art und Weise der formalen Gestaltung des Umgangs der Akteure miteinander und den sozial-emotionalen Beziehungen zwischen diesen;
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Methoden zur Unterstützung des Entscheidungsprozesses, deren psychologische Wirkmechanismen und Einsatzbedingungen.
Insgesamt bedarf es einer gewissen Kunstfertigkeit, einen Entscheidungsprozess so zu gestalten, dass sowohl den Anforderungen an Arbeitsgüte und Effektivität als auch an Akzeptanz des Vorgehens wie der Ergebnisse genüge getan wird. Ohne den Einsatz moderner entscheidungsunterstützender Methoden wird dies kaum zu bewerkstelligen sein.
I I . Ein Bezugsrahmen für die gute Gestaltung von Entscheidungsprozessen bei schwierigen politisch-administrativen Aufgaben Der Entscheidungsprozess wird konzeptualisiert als ein zugleich kognitiver und sozialer Prozess mit verschiedenen funktionalen Phasen, der in einem „sozialen Feld" von Akteurgruppen, deren Wechselbeziehungen und verschiedenen Rahmenbedingungen eingebettet ist. Diese Auffassung geht über das Alltagsverständnis von Entscheiden als der Auswahl von Alternativen hinaus. Der Prozess der Entscheidungsfindung kann dabei durch den Einsatz entsprechender Methoden unterstützt werden.
204
Rudolf Fisch/Dieter Beck
Die Gesichtspunkte des Gestaltungsrahmens gründen auf einem in der Sozialpsychologie entwickelten feldtheoretischen Ansatz.4 Dabei wird auf eine sorgfältige Analyse des Umfeldes und der Rahmenbedingungen Wert gelegt, unter denen ein Entscheidungsprozess abläuft. Hinzu kommt die systematische Analyse der Beziehungen zwischen den beteiligten Akteurgruppen hinsichtlich ihrer Interessenlagen und Einflussmöglichkeiten. Die einzelnen Phasen des Entscheidungsprozesses werden jeweils durch kognitive Prozesse des Wissensmanagements, sozial-emotionale Aspekte der Beziehungsgestaltung und durch die formalen Aspekte des Interaktionsprozesses im Sinne des jeweiligen Procedere geprägt. Entsprechend den funktionalen Erfordernissen der verschiedenen Phasen können jeweils ausgewählte entscheidungsunterstützende Methoden eingesetzt werden. Je nach Methode werden unterschiedliche Gesichtspunkte und Aspekte des Interaktionsprozesses unterstützt. Die verschiedenen Methoden basieren dabei auf unterschiedlichen psychologischen Wirkungsmechanismen und erfordern unterschiedliche Bedingungen für ihren Einsatz. Untersuchungen der Einsatzbedingungen zeigen, dass relevante Entscheidungsträger in der öffentlichen Verwaltung sich ihnen gegenüber bislang eher abstinent verhalten. 5 Der Gestaltungsrahmen ist zusammenfassend in der folgenden Abbildung dargestellt.
Ein Gestaltungsrahmen fur die Bearbeitung schwieriger politisch-administrativer Aufgabenstellungen
4
Vgl. D. Beck, Sozialpsychologie kollektiver Entscheidungen. Ein interaktionsanalytischer Zugang, Wiesbaden 2001. 5 Vgl. R. Fisch/D. Beck, Obersicht ausgewählter Verfahren und Werkzeuge zur Entscheidungsfindung, in: R. Bessoth/H.-J. Schmidt (Hrsg.), Schulleitung. Ein Lernsystem. Band 2: Haushalt/Planung. Lerneinheit 22.01, Neuwied 2002.
Ein sozialpsychologischer Bezugsrahmen
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1. Das Umfeld des Entscheidungsprozesses
Das Umfeld eines Entscheidungsprozesses beeinflusst in hohem Maße die Handlungsmöglichkeiten. So lohnt, insbesondere in der Anfangsphase von Entscheidungsprozessen, eine eigene Analyse des Umfeldes. Ermittelt werden sollten sowohl die verfügbare Infrastruktur und Ressourcen an Finanzen, Wissen und Personal, als auch die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen, ferner die Aufbau- und Ablauforganisation, mit deren Hilfe der Entscheidungsprozess angegangen wird. Weiter gehört dazu eine Analyse der Interessenlagen und Machtverhältnisse bei den beteiligten Akteurgruppen. Die Umfeldanalyse dient primär dazu, ein Bild der Ausgangslage und des Kräftefeldes, in dem man operieren wird, zu gewinnen.
2. Funktionale Phasen der Entscheidungsfindung
In der Entscheidungsforschung wurden aus verschiedenen Fachdisziplinen heraus immer wieder Schemata funktionaler Phasen für den Ablauf von Entscheidungsprozessen formuliert. Ein frühes Beispiel ist der Ansatz des „reflective thinking" 6 mit seiner Fragenabfolge: „Was ist das Problem? Welche Ursachen hat es? Welche Kriterien gibt es für eine Lösung? Welches sind mögliche Lösungen?". Ein anderes Modell stammt aus der Organisationswissenschaft. Simon unterscheidet prägnant zwischen den Phasen „intelligence", „design" und „decision". 7 Bei aller Logik der obigen Phasenabfolge finden reale Entscheidungsprozesse weit weniger systematisch statt. Empirische Untersuchungen8 konnten keine einfache Abfolge aufzeigen. So finden sich Sprünge über Phasen hinweg oder auch iterative Teilprozesse. Aus der Forschung ist auch bekannt, dass menschliches Handeln vielfach vorschnell Lösungen angeht, ohne dass zuvor eine sorgfältige Problemanalyse vorgenommen wurde. 9 Insgesamt zeigen die Untersuchungen aber auch, dass die verschiedenen Phasen im Entscheidungsprozess eine wichtige Funktion erfüllen. Lediglich die Annahme einfacher Abfolgemuster lässt sich empirisch nicht stützen. Ein Phasenschema dient dem reflektierenden Entscheidungsträger als Bezugsrahmen,
6
J. Dewey , How we think, Boston 1910. H. A. Simon, The shape of automation, New York 1965. 8 Ζ. Β. H. Mintzberg/D. Raisinghani/A. Théorêt, The structure of „unstructured decision processes", in: Administrative Science Quarterly 21, 1976, S. 246-275. 9 Vgl. J. Stempfle/P. Badke-Schaub, Kommunikation und Problemlösen in Gruppen: Eine Prozessanalyse, in: Zeitschrift für Gruppendynamik und Organisationsberatung 33, 2002, S. 57-81. 7
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Rudolf Fisch/Dieter Beck
um sich in einem realen Entscheidungsprozess zu orientieren: Beziehen sich beispielsweise die verschiedenen Akteurgruppen auf ein und dieselbe Phase oder verläuft der Prozess asynchron? Ist etwa eine Akteurgruppe schon bei der Alternativenbewertung, während eine andere noch versucht, die Lage genauer zu erfassen? Das Schema hilft auch, Kommunikationsprozesse besser einzuschätzen und zu bewerten. So können Beiträge hinsichtlich ihrer Funktion fur die Entscheidung eingestuft werden. Dadurch kann eine Diskussion besser synchronisiert und gesteuert werden.
a) Ein idealtypisches Abfolgeschema funktionaler der Entscheidungsfindung
Phasen
Dem hier vorgeschlagenen Gestaltungsrahmen liegt ein idealtypisches Phasenschema zugrunde, das aus verschiedenen Disziplinen der Problemlösungs-, Planungs- und Entscheidungsforschung abgeleitet wurde.
aa) Orientierungsphase Die erste Phase dient der Orientierung und umfasst die Teilaspekte Problemerkennung, Umfeldanalyse und Fokussierung. Diese Phase ist von grundlegender Bedeutung für den gesamten Entscheidungsprozess, da an ihrem Ende die Problemstellung geklärt und auch die Zielsetzungen bestimmt sein sollten. Die Problemerkennung spielt in kollektiven Entscheidungsprozessen eine eigene Rolle. Im Idealfall unterhalten Organisationen Frühwarnsysteme, um möglichst schnell auf Problemfelder aufmerksam zu werden. Nur eine von verschiedenen potentiellen Akteuren gemeinsam wahrgenommene Problemlage kommt auf die Agenda für einen kollektiven Entscheidungsprozess. Bei politischadministrativen Problemfeldern kann es sein, dass Probleme von Fachleuten längst erkannt sind, sie aber nicht auf die politische Agenda kommen und so keine Entscheidungsprozesse angestoßen werden. 10 Der nächste logische Teilschritt ist eine sorgfältige Umfeldanalyse: In welchem größeren Zusammenhang steht eine Problemlage? Welche Rahmenbedingungen prägen den Entscheidungsprozess, etwa hinsichtlich Infrastruktur, Ressourcen an Finanzen, Wissen und Personal? Welche Annahmen über Ursachen und Wirkungen sind bekannt? Lässt sich eine Systembeschreibung erstellen? Welche Gestaltungs- und Lenkungsmöglichkeiten bestehen? Welche Akteur10 Vgl. D. Fürst, Planung als politischer Prozess, in: D. Fürst/F. Scholles (Hrsg.), Handbuch Theorien + Methoden der Raum- und Umweltplanung, Dortmund 2001, S. 25-36.
Ein sozialpsychologischer Bezugsrahmen
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gruppen sind beteiligt und betroffen? Welches ist die Konstellation der Interessenlagen? Wie können gegebenenfalls wichtige Akteurgruppen gewonnen und in den Prozess einbezogen werden? Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gilt es zu beachten? Neben einer aktuellen Beschreibung des Problemumfeldes ist meist auch eine Prognose über dessen künftige Entwicklung interessant. Den idealtypischen Abschluss der Orientierungsphase bildet die Fokussierung des Entscheidungsprozesses auf die Aufgabenstellung und die angestrebten Zielsetzungen: Die Aufgaben sollten klar definiert und ebenso klar die zentralen Zielsetzungen für alle Handelnden festgelegt sein. Gegebenenfalls sind auch erste Prioritäten festzusetzen. Gleichzeitig sollten im Rahmen der Fokussierung auch die Kriterien für eine angemessene Entscheidung erarbeitet sein.
bb) Lösungssuche Diese Phase ist gegliedert in Alternativenentwicklung und Alternativenbewertung anhand von in der Orientierungsphase entwickelten Kriterien. Profundes Wissen, Erfahrung und geeignete Strategien der Informationssuche und -Verarbeitung sind natürlich hilfreich. Bei der Alternativenentwicklung sind oft neuartige, nicht-triviale Lösungen gefragt. Es können aber auch die Kriterien in Frage gestellt werden und sich neue Gewichtungen einstellen. Viele Ansätze der Problemlösungs- und Entscheidungsforschung heben auf eine strikte Trennung zwischen Alternativenentwicklung und unmittelbarer Bewertung ab, wenn mehrere Personen darüber beraten. Dadurch sollen der Handlungsspielraum und die Lösungsmöglichkeiten erweitert werden und erst in einem nächsten Teilschritt eine Reduktion der Lösungsansätze durch eine systematische Bewertung erfolgen. Dies läuft aber der Gewohnheit entgegen, auf einen Vorschlag zumeist spontan mit einer Bewertung zu reagieren.
cc) Alternativenauswahl In der Phase der Alternativenauswahl findet eine Festlegung auf die zu realisierende Entscheidung und die Zustimmung durch relevante Entscheidungsträger 11 statt. Der Einsatz von Kriterienlisten und Gewichtungen von Kriterien vermögen den Eindruck rationalen Entscheidens zu vermitteln, was für die Akzeptanzgewinnung wesentlich werden kann.
11
Vgl. Mintzberg/Raisinghani/Théorêt,
unstructured decision processes (Anm. 8).
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In die Phase der Alternativenauswahl gehört gegebenenfalls eine Folgenabschätzung verschiedener Alternativen, deren Ergebnisse die Alternativen in anderem Licht erscheinen lassen.
dd) Maßnahmenplanung Der anschließende Schritt ist die Planung konkreter Maßnahmen für die Umsetzung der getroffenen Entscheidungen. Konkrete Zielsetzungen werden aus der Entscheidung abgeleitet. Für diese soll gelten, dass sie spezifisch, messbar, mit den Beteiligten abgestimmt, realistisch und unter klaren Rahmenbedingungen bezüglich Zeit, Ressourcen und Personal formuliert sein sollten. Bei der Vorhabensteuerung ist es hilfreich, zwischen den Aspekten Struktur-, Ablauf-, Kosten- und Personalplanung zu unterscheiden. Bei der Strukturplanung werden die einzelnen Maßnahmen definiert und die Ablaufplanung setzt diese in konkrete Zeitangaben um. Darüber hinaus ist zu klären, bis wann welche Kosten zu veranschlagen und welcher Personalaufwand zu leisten sind.
ee) Umsetzung Es ist zu unterscheiden zwischen der laufenden Vorhabensteuerung mit ihrer Analyse etwaiger Abweichungen von den Zielen und der sukzessiven Realisierung von Teilzielen. Parallel erfolgt eine Kontrolle von Kosten, Termineinhaltung und Qualität.
ff) Retrospektive Evaluation Die intendierten Wirkungen und Nebenwirkungen der Entscheidung(en) werden anhand von Erfolgskriterien, wie sie in der Orientierungsphase festgelegt wurden, untersucht, um gegebenenfalls nach- oder gegenzusteuern.
b) Stellenwert der Phasen im realen Entscheidungsprozess Für alle hier beschriebenen Phasen und Teilschritte gilt, dass sie abgebrochen werden können. Der Entscheidungsprozess setzt sich in der Praxis dann durch Rückschritte in vorangehende oder Vorgriffe auf folgende Phasen fort. Dabei werden manche Phasen mehrfach durchlaufen. 12 Auch können sich in Be12
Vgl. z. B. Mintzberg/Raisinghani/Théorêt (Anm. 8).
,
unstructured decision processes
Ein sozialpsychologischer Bezugsrahmen
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sprechungen die Beiträge auf ganz verschiedene Phasen beziehen. So diskutieren einige Beteiligte noch über die Problemdefmition, während andere schon Handlungspläne für die Umsetzung einer bestimmten Alternative vorlegen. Typisch ist auch eine unmittelbare Verknüpfung von Alternativenentwicklung und deren Bewertung. Neue Vorschläge werden spontan bewertet. Menschen tendieren dahin, angesichts einer Problemlage schnell Lösungsvorschläge zu entwickeln oder in die Phase möglicher Alternativenauswahl zu springen und konkrete Umsetzungsschritte einzuleiten, ohne dass die zugrunde liegende Problemlage ausreichend geklärt wurde. Dieser Tendenz produktiv entgegen zu wirken, ist eine der Aufgaben professioneller Sitzungsleitung. 3. Entscheidungsfindung als mehrstufiger sozialer Interaktionsprozess
Die funktionalen Phasen repräsentieren vorwiegend die kognitive, inhaltliche Seite des Entscheidungsprozesses. Schwierige Entscheidungsprozesse des hier beschriebenen Typs sind jedoch auch durch eine Vielzahl von beteiligten und betroffenen Akteurgruppen geprägt; sie gestalten den Entscheidungsprozess mit. So ist auf Seiten der Verwaltung angesichts der Organisation nach Ressortzuständigkeiten kein Entscheidungsträger in der Lage, die einzelnen Phasen alleine zu bearbeiten. Dadurch ergibt sich in allen Phasen ein erheblicher Koordinationsbedarf. Dies gilt insbesondere für die Phase der ersten Orientierung. Die Verwaltungsstrukturen und die Erfordernisse eines Entscheidungsprozesses sind dabei nur selten deckungsgleich. Kollektive Entscheidungsprozesse erfordern ein systematisches kooperatives Wissensmanagement, um die verschiedenen Sichtweisen und Interessen zu erfassen, zu bewerten und bei der Entscheidungsfindung zu integrieren. Parallel laufen aber auch sozial-emotionale Prozesse zwischen den Beteiligten ab mit ihrer Eigendynamik von Macht-, Kompetenz- und Sympathiestreben, die es vonseiten der Entscheidungsträger zu berücksichtigen und entsprechend zu steuern gilt. Eine entsprechende formale Situationsgestaltung wird stets auf eine Balance von Aufgabenbearbeitung und sozial-emotionalen Aspekten achten. 4. Überblick über ausgewählte Methoden der Entscheidungsunterstützung
Entscheidungsunterstützende Methoden sind im wörtlichen Sinne als Unterstützung für Entscheidungsvorbereiter und -träger gedacht. Sie sollen zu qualitativ und informationell besser abgesicherten Entscheidungen verhelfen. Bei aller heute verfügbarer Technik und Software gibt es jedoch keine automatisierbare Entscheidung. Die Abwägung, die Entscheidung und die Verantwortung für sie verbleiben stets beim Entscheider. Die Methoden helfen jedoch den Entscheidungsprozess zu strukturieren, umfassende Problemsichten zu entwickeln,
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klare Entscheidungsziele und -kriterien festzulegen und mögliche Entscheidungsfolgen bereits im Vorfeld abzuschätzen. In dieser Hinsicht haben sie die Funktion so genannter Intelligenzverstärker. Der Einsatz dieser entscheidungsunterstützenden Methoden erfordert in der Regel einen zusätzlichen Aufwand und verlangt eine strenge Disziplinierung des Denkens wie der Arbeitsweise. Solcher Disziplin unterwerfen sich unter Handlungsdruck stehende Fach- und Führungskräfte nur sehr ungern. So genannte intuitive oder Bauchentscheidungen verlangen in den Phasen der Entscheidung deutlich weniger Aufwand; er folgt in der Regel später, wenn die mit der Umsetzung Beauftragten nicht weiter wissen. Je nach Verfahren unterstützen die Methoden verschiedene Phasen des Prozesses. Darüber hinaus greifen sie auf verschiedenen Ebenen des Interaktionsprozesses. So gibt es Methoden, die die kognitiven Prozesse des Wissensmanagements unterstützen. Andere Methoden zielen darauf ab, dysfunktionale sozialemotionale Prozesse zu neutralisieren. Sie betonen meist formale Verfahrensweisen und Interaktionsregeln, die die sozialen Interaktionsprozesse in sachliche Bahnen lenken sollen. Im Folgenden wird ein Überblick über ausgewählte Methoden der Entscheidungsunterstützung gegeben und insbesondere zu den funktionalen Phasen in Beziehung gesetzt.13
a) Moderation und Steuerung der sozial-emotionalen Ebene des Interaktionsprozesses Angesichts der Vielzahl notwendiger Besprechungen im Kontext politischadministrativer Entscheidungsprozesse und der Tragweite der dort getroffenen Entscheidungen kommt der Unterstützung aller Beteiligten in einer effektiven Zusammenarbeit eine große Bedeutung zu. Der Einsatz von Besprechungen in ausgewählten Situationen, eine gute Vorbereitung, eine zielgerichtete Gesprächsleitung und eine systematische Nachbereitung können wichtige Beiträge zur Qualität der Ergebnisse und der Entscheidungen leisten. Gleichzeitig lassen sich auch Zeit und Kosten für die jeweiligen Organisationen einsparen. Einschlägig sind Verfahren zur Moderation und Steuerung von Besprechungen. Sie sind abhängig von den Phasen des Entscheidungsprozesses zu sehen. Um ein Maximum an inhaltlicher Auseinandersetzung und an Aufgabenorientierung durch die jeweilige Gruppe zu erreichen, gilt es insbesondere, negative so13
Vgl. Übersichten bei C. Bohret, Entscheidungshilfen für die Regierung, Opladen 1970; C. M. Moore, Group techniques for idea building, Newbury Park 1987; R. Bronner, Planung und Entscheidung, 3. Aufl., München 1999; D. Fürst/F. Scholles (Hrsg.), Handbuch Theorien + Methoden der Raum- und Umweltplanung, Dortmund 2001.
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zial-emotionale Prozesse zu vermeiden und ein ergebnisorientiertes Klima der Auseinandersetzung herzustellen und durchzuhalten, auch angesichts entgegengesetzter Interessenlagen. Dies geschieht zum einen über eine straffe und inhaltlich neutrale Diskussionsleitung, die sich auf die Verfahrensmoderation beschränkt. Gleichzeitig werden alle Beiträge ohne Ansehen der Person akzeptiert und gleichermaßen festgehalten. Diese werden systematisch visualisiert, so dass sie als kollektives Gedächtnis in der Diskussion stets zugänglich sind. 14
b) Verfahren
zur Orientierung
Für die Phase der Orientierung und insbesondere zur Umfeldanalyse bieten sich unterschiedlich aufwändige Verfahren an. Ein einfaches Werkzeug für das individuelle und auch kollektive Wissensmanagement stellt das Mind Mapping dar. 15 Es erlaubt dem einzelnen Entscheider die systematische Sammlung und die graphische Darstellung von Oberkategorien und ihren jeweiligen Unterkategorien zu einem Problemfeld in einer klassischen Baumstruktur. Dabei werden, ausgehend von einer zentralen Problemstellung, Oberkategorien durch Äste und Unterkategorien durch Zweige dargestellt. Der Einsatz des Verfahrens wird durch mittlerweile sehr einfach handhabbare Software-Werkzeuge erheblich unterstützt. Mind Maps können auch in kollektiven Entscheidungssituationen genutzt werden, um eine gemeinsame Problemsicht zu entwickeln. Dann lässt sich eine Vielfalt von Problemaspekten auf einen Blick darstellen. So kann eine gemeinsame Problemzergliederung erarbeitet werden. Mind Mapping lässt sich im Prinzip in allen Phasen einsetzen, wenn es um die Anfertigung von Übersichten geht oder Verfahrensschritte und ihre Teilschritte als einfache Strukturpläne dargestellt werden sollen. Bei der Darstellung von Wirkungszusammenhängen zwischen Problemaspekten stößt das Mind Mapping an seine Grenzen. Zur Erfassung und Abbildung kausaler Zusammenhänge bieten sich komplexere Mapping-Verfahren an, wie das „cognitive mapping". 16 Dabei werden die wichtigsten Problemelemente systematisch erfasst und ihre kausalen Beziehungen zueinander in Form von hierarchisch aufgebauten Karten dargestellt. Für alle Mapping-Verfahren werden Software-Werkzeuge angeboten, mit deren Hilfe zunächst unübersichtliche Wirkungszusammenhänge zwischen einer
14 15 16
Ζ. Β. K. Klebert/E. Schrader/W. Straub, KurzModeration, Hamburg 1985. Vgl. B. Buzan/T. Buzan, Das Mind-Map-Buch, 4. Aufl., Landsberg 1999. C. Eden/F. Ackermann, Making strategy, London 1998.
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Rudolf Fisch/Dieter Beck
Vielzahl von Problemelementen visualisiert und zum Teil auch mit Hilfe graphentheoretischer Verfahren formal analysiert werden können. Das wohl anspruchsvollste Verfahren zur Erfassung und Analyse von Wirkungszusammenhängen stellt der von Vester und Mitarbeitern entwickelte Ansatz des Vernetzten Denkens dar. 17 Dabei werden in verschiedenen Schritten die für eine komplexe Aufgabenstellung relevanten Variablen und ihre wechselseitigen Beeinflussungen in Stärke, Richtung und Zeitverlauf erfasst und mittels einer Software graphisch dargestellt sowie anhand einer Wirkungsmatrix analysiert. Die Feldgraphik der Wirkungsmatrix verortet die Variablen nach dem Grad ihres Einflusses und ihrer Beeinflussbarkeit. So lassen sich die für eine Veränderung kritischen Variablen identifizieren. Das Wirkungsgefüge der Variablen ist auch Ausgangspunkt für computergestützte Simulationen, mit deren Hilfe dynamische „was wäre, wenn"-Analysen durchgeführt werden können. Vernetztes Denken wird unterstützt durch Programmsysteme wie das „Sensititätsmodell Prof. Vester", „Gamma" und „Heraklit". 18 Während sich das vernetzte Denken und das ganzheitliche Problemlösen vor allem auf problem- und entscheidungsrelevante inhaltliche Variablen beziehen, konzentriert sich die stakeholder analysis19 auf die potentiell beteiligten und betroffenen Akteursgruppen. Sie vermittelt Aufschlüsse über Interessenkonstellationen und Machtverhältnisse im Umfeld des Entscheidungsprozesses. Die Delphi-Technik 20 mit ihrer parallelen und iterativen Expertenbefragung durch eine Auswertergruppe ist ein typisches Verfahren für die Orientierungsphase. Dabei geht es inhaltlich um die Abschätzung künftiger Entwicklungen. Die Nutzung des Internets erweitert die bisherigen Möglichkeiten der DelphiTechnik erheblich.
c) Verfahren
zur Lösungssuche
Für die Lösungssuche in kollektiven Entscheidungssituationen lassen sich unter bestimmten Umständen klassische Kreativitätstechniken, wie etwa das Brainstorming 21 oder die Nominelle Gruppentechnik in ihren verschiedenen Va-
17
Ζ. B. F. Vester, Die Kunst vernetzt zu denken, 7. überarb. Aufl., Stuttgart 2001. Vgl. R. Fisch/D. Beck, Entscheidungsfindung in der Administration, in: K.-P. Sommermann/J. Ziekow (Hrsg.), Perspektiven der Verwaltungsforschung, Berlin 2002, S. 103-125. 19 C. Eden/F. Ackermann, Making strategy (Anm. 16). 20 Vgl. A. L. Delbecq/A. H. van de Ven/A. H. Gustavson, Group techniques for program planning, Glenview 1975. 21 A. Osborn, Applied imagination. Principles and procedures of creative problemsolving, 3. Aufl., New York 1963. 18
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rianten, wie etwa das Brainwriting oder Ideawriting 22 einsetzen. Ihre Grundidee besteht darin, die Lösungssuche zunächst unabhängig von einer Bewertung der Qualität der Lösungsvorschläge voranzutreiben, um ein möglichst breites Spektrum an Vorschlägen zu erhalten. Meist wird dazu die Kommunikation zwischen den Beteiligten stark eingeschränkt und auf ein klärendes Nachfragen beschränkt. Ziel der Lösungssuche sollte die Entwicklung mehrerer Alternativen sein. Die erste Lösung ist erfahrungsgemäß nicht immer die beste.
d) Verfahren
zur Alternativenauswahl
Für die Alternativenauswahl wurden insbesondere in den Wirtschaftswissenschaften Verfahren entwickelt, um im Vergleich der Lösungsvorschläge den nach verschiedenen Kriterien besten zu ermitteln. 23 Ein einfaches Verfahren stellt die Entscheidungsmatrix dar. Sie setzt voraus, dass mehrere Alternativen zur Auswahl stehen und dass die Kriterien und deren Gewichtung für eine gute Lösung geklärt wurden. Mit der Entscheidungsmatrix wird jede Alternative nach einer Reihe von Kriterien bewertet und wird ihr entsprechend dem Gewicht des Kriteriums ein Zahlenwert zugeordnet. Diejenige Alternative, die den höchsten Zahlenwert erreicht, entspricht dann dem Entscheidungsvorschlag. Dieses Vorgehen mutet ungeübte Anwender als zu technisch und durch Zahlen bestimmt an. Dabei spiegelt das Ergebnis nur die Einschätzung der Alternativen auf der Grundlage der eigenen Wahl von Kriterien und deren Gewichtung wider. Auch Nominelle Gruppentechniken 24 sehen eine Phase der Alternativenauswahl vor. Ausgehend von den erarbeiteten Informationen bewertet jeder Beteiligte unabhängig von anderen die Alternativen. Die am besten bewertete Alternative wird abschließend diskutiert, so dass hier noch ein Spielraum besteht und nicht nur aufgrund von Zahlen entschieden wird. Ein weiteres Verfahren stellt die Kosten-Nutzen-Analyse dar 25 , wenn es beispielsweise bei Großvorhaben zwischen verschiedenen Planungsvarianten zu entscheiden gilt. Schließlich hilft die Szenario-Technik, 26 wenn es darum geht, alternative zukünftige Entwicklungen abzuschätzen und Grundlagen für mögliche Handlungspläne zu entwickeln. 22
Vgl. Moore, idea building (Anm. 13). Vgl. Bronner, Planung (Anm. 13). 24 Vgl. Moore, idea building (Anm. 13). 25 Ζ. Β. F. Scholles, Die Kosten-Nutzen-Analyse, in: D. Fürst/F. Scholles (Hrsg.), Handbuch Theorien + Methoden der Raum- und Umweltplanung, Dortmund 2001, S. 221-231. 23
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e) Verfahren
zur Maßnahmenplanung und -umsetzung
Für die Maßnahmenplanung und -umsetzung erfolgt eine systematische Unterstützung durch Techniken des Projektmanagements. 27 Kernideen bei der Maßnahmenplanung sind für die Prozessplanung eine klare Zieldefinition, die Erstellung von Struktur- und Ablaufplänen und klare Zeitvorgaben für die einzelnen Aktivitäten. Auf Seiten der Aufbauorganisation gilt es, die entsprechenden Arbeitsstrukturen aufzubauen und Ressourcen zu sichern. Bei der Umsetzung sind stets die Zielgrößen, z. B. der Grad der Zielerreichung oder der Ressourcenverbrauch, mit den Ergebnissen in den jeweiligen Zeitabschnitten zu vergleichen, um gegebenenfalls eingreifen zu können. Die Arbeiten können unterstützt werden durch Mind Mapping bei der Maßnahmenplanung, aber auch durch entsprechende Projektmanagement-Software insbesondere bei der Umsetzung und Prozessbegleitung.
f) Evaluation Im Verlauf oder am Ende der Maßnahmen stellt sich die Frage, inwieweit die ursprüngliche Zielsetzung erreicht wurde und welche Nebenwirkungen sich aufgetan haben. Dazu werden retrospektive Evaluationen durchgeführt. 28 Verfahren der Evaluation sind jedoch auch schon in der Orientierungsphase sehr nützlich. Hier kann prospektiv versucht werden, die Folgen und insbesondere die Nebenwirkungen abzuschätzen. Schließlich kann eine begleitende Evaluation die Arbeit in den übrigen Phasen unterstützen, wenn etwa bei der Alternativenauswahl und der Umsetzung immer wieder auf den Bezug zur Zielsetzung und mögliche negative Nebenwirkungen geachtet wird. Für die verschiedenen Phasen stehen somit zahlreiche, unterschiedlich aufwändige Verfahren zur Verfügung. Dies gilt auch für die in der Entscheidungspraxis eher vernachlässigte Orientierungsphase. Insgesamt ist somit bei schwierigen politisch-administrativen Entscheidungsprozessen ein multimethodaler Zugang angezeigt. Die folgende Übersicht zeigt die Zuordnung der Methoden zu den funktionalen Phasen des Entscheidungsprozesses.
26
Ζ. Β. Κ . Van der Heijden, Scenarios. The art of strategic conversation, Chichester
1996. 27
Vgl. W. Ewert u.a., Handbuch Projektmanagement Öffentliche Dienste, Bremen
1996. 28 Ζ. Β. K. König/F. Bolay, Zur Evaluation eines Verwaltungshilfeprojektes im Nordjemen, in: Verwaltungsarchiv 71, 1980, S. 256-279.
215
Ein sozialpsychologischer Bezugsrahmen
Phase Verfahren
Orientierung Lösungs - Alternativen - Maßnahmen - Umsetzung Evaluation suche auswahl Planung
1 Mind Mapping (Problemzergliederung) 1 Cognitive Mapping (Ursache -Wirkungs -Analysen) Concept Mapping (verschiedene Zusamme η hänge) Vemetztes Denken / Ganzheitliches Problemlösen Stakeholder analysis (Interessen / Einfluss) Delphi -Technik / Szenano -Analyse Brainstorming ι Nominelle Gruppentechniken / Brainwiting / Ideawriting
mm
1
Entscheidungsmatrix
H0IISÌ
Kosten -Nutzen -Analyse , Projektmanagement Evaluation (prospektiv, begleitend, retrospektiv)
:
• :
•
Entscheidungsunterstützende Methoden im Kontext funktionaler Phasen der Entscheidungsfindung
5. Psychologische Wirkungsmechanismen entscheidungsunterstützender Methoden Entscheidungsunterstützenden Methoden liegen verschiedene psychologische Wirkungsmechanismen zugrunde. Deren Ziel ist es, Grenzen des individuellen und insbesondere des kollektiven Umgangs mit Entscheidungslagen zu überwinden. Es war schon immer sehr schwer für den menschlichen Geist, mit Vielfalt umzugehen und ineinander greifende Abläufe zu erfassen und zu verstehen. 29 So fällt es bei Entscheidungsprozessen schwer, etwa die Vernetzung von wirtschaftlichen, politischen und sozialen Zusammenhängen zu erfassen und zu durchschauen. Daher konzentriert man sich lieber auf das Tagesgeschäft oder auf Einzelfragen; Letzteres steht hinter dem Vorgehen der Problemzerlegung oder des ,Abschichtens". Erst ein systematisches Durchdenken und entsprechende Visualisierungstechniken ermöglichen es, „das Ganze" in den Blick zu nehmen und damit möglicherweise neue, ungewöhnliche oder einfach andere Zugänge zu eröffnen, um etwa eine festgefahrene Lage wieder aufzulösen oder kreative Wege bei anstehenden schwierigen Aufgaben zu beschreiten. Die Verfahren unterstützen allesamt das systematische, geordnete Denken. Sie geben dazu meist einen Weg über Verfahrensregeln vor. Aufgrund der hohen Konzentration auf einen Sachverhalt fuhrt dies zu einer hohen Verarbei29
Vgl. D. Dörner, Die Logik des Mißlingens, Reinbek 1989.
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tungstiefe, erfordert jedoch auch ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Zielorientierung im Denken. Zahlreiche Verfahren verwenden Schaubilder zur Ergebnisdarstellung. Inhaltsreiche Bilder erleichtern so den Überblick und die Kommunikation bei der kollektiven Entscheidungsfindung. Die in der Verwaltung wichtige juristische Methodik der Subsumption und der rechtsformigen Verfahren wird durch die hier beschriebenen entscheidungsunterstützenden Verfahren ergänzt. Weil in der Verwaltung in hohem Maße rechtsförmig gedacht und konditional gehandelt wird, besteht die Gefahr, dass ein Sachverhalt überwiegend auf seine rechtlich relevanten Aspekte verkürzt wird. Damit bleibt man in der Regel zwar handlungsfähig, aber Neben- und Folgeprobleme werden leicht ausgeblendet. Insgesamt gelten für entscheidungsunterstützende Verfahren drei psychologische Wirkungsmechanismen: 1.
Techniken der Moderation und des Besprechungsmanagements gestalten Kommunikationsprozesse konstruktiv, damit der sachbezogene Wissensaustausch gewährleistet wird. Dabei wird zugleich versucht, dysfunktionale Statusprobleme zu neutralisieren.
2.
Formen der Visualisierung erlauben es, „das Ganze in den Blick zu nehmen" und so eine Vielzahl von Elementen und Verknüpfungen darzustellen und zu berücksichtigen. Gleichzeitig erleichtern sie die Kommunikation von Vielfalt und Zusammenhängen.
3.
Verfahren des individuellen und kollektiven Wissensmanagements halten zu einer zielgerichteten und konzentrierten Auseinandersetzung mit der Entscheidungsfindung an. In kollektiven Entscheidungssituationen führt dies dazu, dass die Verschiedenheit der Sichtweisen herausgearbeitet und eine gemeinsame Problemsicht entwickelt werden kann.
Entscheidungsunterstützende Methoden dienen nicht nur einer vertieften und umfassenden sachlichen Analyse. Ihr Einsatz hilft auch bei der Gestaltung der sozialen Interaktionsprozesse zwischen den Akteursgruppen. So vermittelt etwa die Analyse des sozialen Feldes ein Bild der Interessen- und Machtunterschieden zwischen den Gruppen. Folgenabschätzungen im Prozessverlauf erlauben es, unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden. Schließlich fuhrt der Einsatz entscheidungsunterstützender Methoden auch zu einer besseren Außendarstellung der Akteure in Politik und Verwaltung sowie ihrer Ergebnisse.
Renaissance einer rationalen Politikgestaltung Von Hermann Hill, Speyer
Ein beherrschendes Thema der Politik- und Verwaltungswissenschaften der 1970er Jahre war der Versuch, die politische Planung rationaler zu gestalten.1 Auch Klaus König hat sich mehrfach mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigt. 2 Neuerdings scheinen die Bemühungen um eine rationale Politikgestaltung vor allem in britischen Regierungseinrichtungen eine Renaissance zu erleben. Der Beitrag versucht, Konzepte und Kritik im Spannungsfeld eines „scientific management", von praktischer Politik und neueren politiktheoretischen Ansätzen zu würdigen und damit in eine weitere Diskussion mit dem Jubilar einzutreten.
I. Die Konzepte Das vom britischen Premierminister Tony Blair und seinem Minister für das Cabinet Office im Parlament im März 1999 vorgelegte Weißbuch „Modernising government" hatte zum Ziel, die Regierung zu modernisieren, ihre Leistungsfähigkeit zu steigern, damit sie bessere Lebensbedingungen für die Menschen schaffen kann. Neben verschiedenen Ansätzen zur Verbesserung der Erbringung öffentlicher Leistungen und der Einbeziehung der Anforderungen des Informationszeitalters enthielt das Weißbuch auch ein Kapitel zur Politikgestaltung. Darin heißt es: „We will be forward looking in developing policies to deliver outcomes that matter, not simply reacting to short-term pressures." Und weiter: „Policy making is the process by which governments translate their po1 C. Bohret, Entscheidungshilfen fur die Regierung, Opladen 1970; H. Reinermann, Programmbudgets in Regierung und Verwaltung, Baden-Baden 1975; vgl. auch G. Schwerdtfeger, Optimale Methodik der Gesetzgebung als Verfassungspflicht, in: R. Stödter/W. Thieme (Hrsg.), Hamburg, Deutschland, Europa. Festschrift fur H.P. Ipsen, Tübingen 1977, S. 173-188; vgl. jüngst auch E.-H. Ritter, Integratives Management und Strategieentwicklung in der staatlichen Verwaltung, in: DÖV 2003, S. 93-105. 2 Zuletzt K. König, Regieren als politisches Management und als öffentliche Governance, in: K.-P. Sommermann/J. Ziekow (Hrsg.), Perspektiven der Verwaltungsforschung, Berlin 2002, S. 201-209.
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Hermann Hill
liticai vision into programmes and actions to deliver 'outcomes' - desired changes in the real world." 3 Man wollte also mit der neuen Politik langfristige Ergebnisse erzielen, die etwas bewirken, etwas verändern, nicht bloß auf kurzfristige Herausforderungen reagieren. Für deutsches Denken etwas unüblich, für den britischen Sprachgebrauch aber (auch mittlerweile im Bereich der Politik) typisch ist dabei die Vorstellung, dass diese Ergebnisse, oder besser Wirkungen, „geliefert" werden können. Schon dies klingt sehr technisch, planbar und unternehmerischem Denken verhaftet. Mag dies bei Verwaltungsprodukten noch möglich sein,4 erscheint es unserer (heutigen) Vorstellung eines Prozesses politischer Gestaltung eher fremd. Die definierte Zielsetzung des Weißbuchs würde dagegen jedem politischen Leitartikler Freude bereiten, nämlich Politik nicht nur als kurzfristige Reaktion zu verstehen, sondern nachhaltig etwas zu bewirken, was wirklich zählt und die Lebensverhältnisse positiv gestaltet und verändert. Etwas schlicht und verkürzt erscheint nach unserem Verständnis der nächste Satz, nach dem Politikgestaltung einfach der Prozess ist, in dem Regierungen ihre politische Vision in Programme und Maßnahmen übersetzen, um damit Wirkungen, nämlich gewünschte Veränderungen in der realen Welt, zu erzielen. Vielleicht liegt angesichts der Komplexität der realen Welt und der Politikgestaltung aber gerade darin die Kunst, schwierige Sachverhalte zu vereinfachen und den Kern des Problems damit zu treffen. So heißt es in diesem Abschnitt später, dass die Regierung willens sein müsse, Politiken zu entwickeln, die tatsächlich die Probleme behandeln - und man mag hinzufugen, sie wirksam lösen. Diese Vorstellung wirksamer Politikgestaltung wird in einem weiteren Grundsatzpapier des Strategie Policy Making Teams im Cabinet Office vom September 1999 zum Thema „Professional Policy Making For The Twenty First Century" aufgegriffen und weiter entwickelt.5 Der Bericht soll ein deskriptives Modell einer professionellen Politikgestaltung liefern. Er soll beschreiben, wie ein idealer Politikgestaltungsprozess aussehen würde, und einen Standard fur professionelle, modernisierte Politikgestaltung setzen. Dabei soll er nur den Politikgestaltungsprozess anleiten, nicht dagegen die politischen Ergebnisse und Wirkungen evaluieren, die bei dem Prozess herauskommen, obwohl die Evaluation der Effektivität der Politik ihrerseits einen Teil des Politikgestaltungsprozesses darstellt.
3
Cabinet Office (Hrsg.), Modernising government, London 1999, Kapitel 2. Kritisch Κ König, Zur Manageralisierung und Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltung, Speyerer Forschungsberichte 209, Speyer 2000. 5 Cabinet Office (Hrsg.), Professional Policy Making For The Twenty First Century, London 1999. 4
Renaissance einer rationalen Politikgestaltung
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In dem Bericht wird akzeptiert, dass es durchaus möglich ist, effektive Politik zu „produzieren", ohne dem Politikgestaltungsprozess zu folgen, der hier beschrieben wird. Die Autoren sind aber der Ansicht, dass die Chance, effektive Politik zu produzieren, in hohem Maße verbessert wird, wenn man diesen Prozess einhält.6 Schon in den Grundbegriffen (Professional Policy Making) wird dabei der manageralistische Ansatz deutlich, dass effektive Politik als Produkt „gemacht" und professionell gemanagt werden kann. Dazu sollen verschiedene Managementtechniken und -instrumente, wie Projektmanagement, genutzt, Methoden wie Peer Review, gemeinsames Training von Ministern und Ministerialangehörigen durchgeführt, ein Wissenspool entwickelt und ein Benchmarking verfahren zwischen der gegenwärtigen Politikgestaltung und den Standards im Papier durchgeführt werden. 7 Die Veränderungen in den Arbeitspraktiken sollen durch die Entwicklung neuer Fähigkeiten und Fertigkeiten (Skills) begleitet werden. Dazu zählen -
Verständnis für den Kontext entwickeln,
-
komplexe Beziehungen mit einer Vielzahl von Schlüsselakteuren managen,
-
gut entwickelte Präsentationstechniken und Fähigkeiten zur Zusammenarbeit, ein breiteres Verständnis der Möglichkeiten der Informationstechnologie und ihrer Möglichkeiten zur Unterstützung des Politikgestaltungsprozesses,
-
Grundkenntnisse in Wirtschaftswissenschaften, Statistik und sonstigen relevanten Disziplinen, um als „intelligenter Kunde" für komplexe Politikinformationen zu agieren,
-
vertraut werden mit Projektmanagementdisziplinen, die Bereitschaft zu experimentieren und zu lernen, Risiken zu managen sowie die Bereitschaft, sich neue Fertigkeiten und neues Wissen während der gesamten Berufskarriere anzueignen.8
Das Modell enthält dazu drei Oberziele, die ein effektiver Politikgestaltungsprozess umfassen soll, nämlich Vision, Effektivität und kontinuierliche Verbesserung. Diese sind wiederum in neun Merkmale bzw. Kompetenzen unterteilt, die ausführlich definiert und mit Beispielen und Vorschlägen für Ansatzpunkte
6 7 8
Cabinet Office, Professional Policy (Anm. 5), Annexe A 3. Cabinet Office , Professional Policy (Anm. 5), Paragraph 1.4. Cabinet Office , Professional Policy (Anm. 5), Paragraph 1.6.
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(Hebel) zur Umsetzung dieser Kompetenzen versehen werden. 9 Zu den neun Merkmalen einer professionellen Politikgestaltung zählen danach: -
Der Blick nach vorne (Forward Looking): Danach sollen Politikgestalter die Wirkungen klar definieren, die die Politik erreichen soll und eine langfristige Perspektive einnehmen, um, gestützt auf statistische Daten und informierte Voraussagen, die wahrscheinlichen Wirkungen ihrer Politik in den nächsten fünf bis zehn Jahren abzuschätzen.
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Der Blick nach außen (Outward Looking): Politikgestalter sollen Einflussfaktoren aus dem nationalen, europäischen und internationalen Bereich und die dortigen Erfahrungen berücksichtigen.
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Innovation und Kreativität (Innovative and Creative): Politikgestalter sollen flexibel und innovativ sein. Sie sollen willens sein, etablierte Wege im Umgang mit Problemen in Frage zu stellen und neue, kreative Ideen zu unterstützen.
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Gesicherte Informationsgrundlage (Evidence-Based): Der Rat bzw. die Entscheidungen von Politikgestaltern sollen auf den besten verfügbaren Informationen aus verschiedenen Quellen, wie etwa Forschung, Expertensachverstand oder dem Wissen von Interessengruppen, beruhen.
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Einbeziehung (Inclusive): Politikgestalter sollen die Wirkung ihrer Politik und die Bedürfnisse all derjenigen berücksichtigen, die direkt oder indirekt von dieser Politik betroffen werden und Schlüsselakteure direkt in den Politikgestaltungsprozess einbeziehen.
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Ganzheitlicher Ansatz (Joined Up): Politikgestalter sollen eine ganzheitliche Perspektive einnehmen und über institutionelle Grenzen hinweg die strategischen Ziele der Regierung beachten.
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Überprüfung (Review): Politikgestalter sollen vorhandene bzw. umgesetzte Politiken ständig überprüfen, um sicherzustellen, dass sie tatsächlich die Probleme betreffen, die sie lösen sollen, ohne unbeabsichtigte Nebenwirkungen zu erzielen.
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Bewertung (Evaluation): Politikgestalter sollen als Teil des Politikgestaltungsprozesses systematisch die Wirksamkeit (Effektivität) ihrer Politik bewerten.
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Erfahrungen nutzen (Learns Lessons): Politikgestalter sollen anhand der Erfahrungen aus der Praxis lernen, was wirkt und was nicht und gute Praktiken verbreiten.
9
Cabinet Office,
Professional Policy (Anm. 5), Annexe A und B.
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Zwei Jahre später, im November 2001, hat das Center for Management and Policy Studies unter dem Titel ,3etter Policy-Making" ein weiteres Papier vorgelegt,10 das auf die neun Merkmale aus dem o.g. Papier „Professional Policy Making" Bezug nimmt und auf einer Umfrage von höheren Verwaltungsbediensteten in allen ministeriellen Einrichtungen basiert. Darin wurden diese „Policy Maker" befragt, was ihrer Meinung nach die wichtigsten Punkte bei der Modernisierung des Politikgestaltungsprozesses sind, welche verstärkenden und behindernden Elemente es dabei gibt und welche Unterstützung sie sich wünschen. In einem zweiten Teil wurden viele Beispiele aus der Praxis der Behörden zur Umsetzung dieser Merkmale dargestellt. Nach den Ergebnissen der Umfrage 11 haben die befragten Politikgestalter die Grundsätze des modernisierten Politikgestaltungsprozesses bereits aufgenommen und handeln in vielen Bereichen danach. Obwohl viele den Prozess als schwierig und teilweise einengend empfanden, fühlten sie sich generell der Modernisierungsagenda verpflichtet und anerkannten die Wichtigkeit eines Wandels. Grundsätzlich schien dabei kein Unterschied zwischen großen und kleinen Einrichtungen zu bestehen. Jedoch hatten kleinere Departements mehr praktische Schwierigkeiten, diese Agenda zu übernehmen. Die meisten Beispiele wurden in der Umfrage zu dem Merkmal der Einbeziehung, insbesondere von Experten, in den Prozess der Politikgestaltung, genannt. Viele Politikgestalter berichteten, dass der Prozess auf sorgfältiger Informationsbeschaffung beruhe. Dabei handelte es sich vor allem um vorhandenes Wissen, aber auch um die Vergabe neuer Forschungsaufträge und die Einbeziehung von Expertensachverstand. Die Umfrage erbrachte nur begrenzte Informationen darüber, wie Politikgestalter nach vorne oder nach außen schauende Ansätze praktizieren oder wie sie innovative Techniken wie Brainstorming, Scenarioplanung und Riskmanagement praktizieren. Relativ wenige Politikgestalter berichteten, dass sie einen überprüfenden oder lernenden Ansatz benutzen.
I I . Die Kritik Das Professional Policy Making-Model des Cabinet Office erfahrt sowohl grundlegende als auch ins Einzelne gehende Kritik in einem Artikel von Wayne
10
//. Bullock/ Ί. Mountford/R. Stanley, Centre for Management and Policy Studies (CMPS), Better Policy-Making, London 1999; vgl. auch National Audit Office (Hrsg.), Modern Policy-Making. Ensuring Policies Deliver Value for Money. Report by the Comptroller and Auditor General, London 2001. 11 CMPS, Better Policy-Making (Anm. 10), Executive Summary, S. 8.
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Parsons. 12 Er wirft den Autoren vor, ihr Modell basiere auf der Philosophie „what works" und sei doch in so vielerlei Hinsicht unfähig, zu demonstrieren, dass das, was es beschreibe, in der Praxis wirklich greife bzw. wirke. Zum zweiten ignoriere es die Tatsache, dass Politik und Demokratie wichtige Dimensionen der Politikgestaltung seien. Schließlich übersehe es den Beitrag, den andere Schulen des strategischen Denkens, die der Politikgestaltung angemessener seien, zur Formulierung eines strategischen Modells leisten könnten. Die Politikgestaltung vollziehe sich nämlich unter Bedingungen von Unwissenheit, Unvorhersehbarkeit, Unsicherheit und Komplexität. Stattdessen sei das Modell rationalen bzw. strategischen Planungsansätzen der 1960er und 1970er Jahre verhaftet, die laut Aaron Wildavsky überall und zu allen Zeiten versagt hätten. Der Bericht sei ein weiterer Beweis für die Übernahme und Eroberung demokratischen Regierens durch Grundsätze privater Unternehmensführung und das Ausmaß, in dem diese Gedanken die aktuelle Diskussion modernen Regierens bestimmten. Parsons kritisiert weiter, 13 dass das „Professional Model" den Unterschied zwischen gewählten und nicht gewählten Politikgestaltern verwische, dass ein guter Prozess nicht notwendigerweise zu effektiven Wirkungen führe und dass Politikgestaltung nicht mit Projektmanagement verglichen werden könne, denn sie habe keinen definitiven Anfang und kein definitives Ende. Bei Projekten sei ein langfristiges und vorausschauendes Denken möglich, aber was bedeute dies für komplexe Politikbereiche? Die Idee, eine kollektive Vereinbarung über die Zukunft zu treffen oder entsprechende Vorstellungen zu teilen und in einen Standard zu bringen, sei geradezu gefährlich. Man müsse sich fragen, welche Art von Vorausschau unter komplexen und turbulenten Bedingungen möglich sei. In dieser Beziehung stelle das Modell, wie manch andere, die falschen Fragen. 14 Die Forderung nach Innovation und Kreativität sei im Rahmen des ChecklistAnsatzes des Modells geradezu widersprüchlich. Innovation sei schwierig zu institutionalisieren. Darüber hinaus sei ein grundlegender Widerspruch in dem Ruf nach kreativer und innovativer Politikgestaltung auf der einen Seite und dem Anwachsen von Audits und Regulierung auf der anderen Seite zu sehen.15 Ein wichtiger Kritikpunkt sei auch, dass das Modell auf der Theorie aufbaue, was zählt ist, was wirkt (what counts is what works). Politische Probleme und Lösungen seien aber ihrer Natur nach in hohem Maße kontextabhängig. Was in
12 W. Parsons , Modernising Policy-making for the Twenty First Century: The Professional Model, in: Public Policy and Administration 16 (3), 2001, S. 93-110. 13 Parsons , Modernising Policy-making (Anm. 12), S. 98 ff. 14 Parsons, Modernising Policy-making (Anm. 12), S. 101. 15 Parsons , Modernising Policy-making (Anm. 12), S. 102.
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dem einen Bereich gelinge, müsse nicht in anderen ebenso wirken. Die Frage müsse daher lauten, was wirke wann, wo, wie und für wen. Der Bericht beziehe insofern zu wenig das kritische Wissen von der „front line" ein. Das Professional Model lege den Fokus im Wesentlichen auf technisches, bürokratisches, wissenschaftliches und Expertenwissen, weniger auf informelles Praktikerwissen vor Ort. „Evidence-Based Policy Making" betreffe insofern exaktes oder explizites Wissen, dagegen sei Praxiswissen häufig implizit und sehr stark in den lokalen Kontext eingebunden. Während technisches oder exaktes Wissen formalisiert und in klarer Form zum Ausdruck gebracht werden könne, verschließe sich das lokale Wissen dem Versuch, auf die Weise organisiert und gemanagt zu werden, wie das die Anhänger des „what works"-Glaubens nahe legten. „What works" sei nicht eine Frage von Fakten oder Beweisen, sondern vor allem von Werten. Evidence-Based Policy sollte sich daher mit dem Prozess des Verstehens von Kontexten und der Erklärung von Werten beschäftigen und nicht einfach „harte Fakten" sammeln. Dies erfordere einen Politikprozess, der offen und demokratisch sei und eher einen Prozess des vorsichtigen Überlegens und Beratens (Deliberation) und öffentlichen Lernens als einer strategischen Steuerung darstelle. 16 Die relativ enge manageralistische und technokratische Konzeption von „evidence or expert driven policy" werde relativ einfach mit einer Verpflichtung zur „Einbeziehung" in die Politikgestaltung verbunden. Jedoch sei dieser Hinweis, andere einzubeziehen, stark von einer Top-Down-Perspektive geprägt. Dieser Ansatz der Einbeziehung habe mehr gemeinsam mit StakeholdingAnsätzen bei der strategischen Unternehmensplanung, als damit, eine sorgfältige Beratung und größere Demokratisierung zu erzielen. Konsultative Einbeziehung werde auf diese Weise eher zu einer Methode, Unsicherheit zu reduzieren und Risiken zu managen, als einen mehr deliberativen Austausch von Ideen und Perspektiven zu ermöglichen. Der Captain von HMS Whitehall behalte auf diese Weise noch das Kommando auf der Brücke. 17 Das Ziel, abteilungs- bzw. ressortübergreifend Koordination und Ganzheitlichkeit bei der Politikgestaltung zu verwirklichen, verharre ebenfalls in dem mechanistischen und militärischen Ton der Modernisierungsagenda. Es gehe davon aus, dass die Regierungsmaschine unverbunden sei und die Zahnräder nicht ineinander griffen. Die Regierung müsse daher verbunden bzw. verdrahtet werden. Das Problem werde jedoch nur darin gesehen, die fragmentierte Maschinerie zusammenzubringen, so dass sie effektiv arbeiten könne. Dies solle durch ergebnisorientierte Politikgestaltung erzielt werden, bei der Ziele, Wirkungen und Leistungen spezifiziert und vereinbart werden können. Was nicht spezifiziert, definiert und gemessen werden könne, könne nicht verbunden und 16 17
Parsons , Modernising Policy-making (Anm. 12), S. 104. Parsons , Modernising Policy-making (Anm. 12), S. 105.
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verknüpft werden. Die Aufgabe, verschiedene Einrichtungen zur Zusammenarbeit zu bewegen, sei jedoch eine Sache des Verhaltens und des Prozesses, weniger der Strukturen. Es gehe weniger um eine angewandte Mechanik, als um die Entwicklung handwerklichen Könnens und Geschicks. Ein wichtiger Aspekt bei der Aufgabe, eine organisationsübergreifende Zusammenarbeit zu erzielen, sei dabei, ein Klima des Vertrauens und der gemeinsamen Problemlösung zu schaffen, was aber bei einem ergebnisorientierten Ansatz der Politikgestaltung problematisch sei. Ebenso seien Innovation und Kreativität - zwei Hauptcharakteristika guten handwerklichen Könnens und Geschicks - schwerlich in einer „what works"-Kultur zu erreichen, in der Fehler aus Maßnahmen resultieren können, die unter dem Druck erlassen werden, Leistung zu erbringen und „zu liefern" (to perform and 'deliver'). 18 Das Merkmal der Evaluation werde in dem Papier als Methode angesehen, Unsicherheit zu reduzieren. Es müsse jedoch betont werden, dass Evaluation deshalb in so geringem Maße bei der Politikgestaltung Anwendung finde, weil gute Evaluation selten, wenn überhaupt, dazu diene, Unsicherheiten und Risiken zu reduzieren, sondern regelmäßig dazu tendiere, die Komplexität, der sich Politikgestalter gegenübersehen, zu erhöhen. Evaluation nach der Methode „what works" sei deshalb weniger ein Mechanismus zum Lernen, wie in dem Papier vorgestellt, sondern ein Mechanismus, um Unsicherheit und Risiken in einem strategischen Politikprozess zu managen. Bei dem professionellen Ansatz zur Evaluation gehe es in erster Linie darum, zu lernen, wie man mit einem differenzierten Instrumentarium von Politikfuhrungsmethoden, ausgestattet mit harten Fakten und expliziten Wissensbestandteilen, steuere. Die Welt außerhalb von Whitehall werde dabei kaum einbezogen, insbesondere die Frage, wie Information an jene gelangt und Feedback von denen erhalten wird, die das Rudern übernehmen, nicht beantwortet. Evaluation im Sinne dieses Modells sei Teil des Prüfungs- und Steuerungssystems, das sichere, dass die Politikkapitäne in Whitehall damit fortfahren können, das Staatsschiff in unsicheren Wassern zu steuern, ohne das Rad an die lokalen Piloten abtreten zu müssen.19 Das Modell enthalte zum Abschluss eine Umsetzungsstrategie mit einem Set von Hebeln für den „Wandel". Die Hebel-Metapher verdeutliche den wesentlichen Charakter der Umsetzungsstrategie, ebenso wie von anderen Teilen des Modells: Der Wandel in der Politikgestaltung solle von der Spitze her gesteuert werden, in eine Richtung, die zentral bestimmt werde. Der Bericht enthalte wenig an Erkenntnissen dazu, dass Wandel (und Strategie) in komplexen, unsicheren und unvorhersehbaren Kontexten wegen seines emergenten, lokalisierten und fragmentierten Charakters sehr stark abweiche von einem Prozess, der mit Hebeln von der Spitze reguliert und gesteuert werden kann. Wenn Politikgestal18 19
Parsons , Modernising Policy-making (Anm. 12), S. 106. Parsons , Modernising Policy-making (Anm. 12), S. 107.
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tung einen Lernprozess darstelle, dann sollte das Ziel eher sein, wie man diesen Lernprozess am besten gestalten kann, als zu versuchen, die Effektivität der Steuerungsmechanismen zu steigern. Wenn man jedoch die Betonung von Outcome' und 'Results' im Rahmen des Konzepts, nach dem die Regierung diese liefern (und schnelle Gewinne machen) müsse, sehe, dann sei ein realer Konflikt erkennbar zwischen Politikgestaltung im Sinne eines langfristigen (dezentralen) Lernprozesses und Politikgestaltung im Sinne eines (zentralisierten) Prozesses, bei dem die Regierung „translate(s) their political vision into programs and actions to deliver outcomes". Lernen erfordere eine Interaktion von Peripherie zu Peripherie, wogegen „delivering outcomes", bestimmt durch das Zentrum, Verordnung und Steuerung erfordere, um die Erreichung einer vorhandenen Strategie zu sichern. 20 Mittlerweile 21 hat vor allem das Merkmal des „Evidence-Based Policy Making" 2 2 im Rahmen des Professional Policy Making-Konzepts in Großbritannien eine breite Aufmerksamkeit erfahren. In diesem Zusammenhang hat Wayne Parsons23 seine Kritik erneuert. Der Evidence-Based Policy Making-Ansatz sei von der Idee bestimmt, dass die Lieferung von Politiken (Policy Delivery) eine Verbesserung des Managements der Politikgestaltung erfordere. Das Professional Model definiere verschiedene Bereiche, die in klare und unterscheidbare Managementaufgaben heruntergebrochen werden könnten. Auf diese Weise werde der Politikgestaltungsprozess als höchst mechanistisches System verstanden, bei dem Politikgestalter nur in den richtigen Fertigkeiten trainiert und mit den angemessenen „Toolkits" versehen werden müssten. Es handele sich dabei um Maßnahmen zur Verbesserung einer instrumenteilen Rationalität. Stattdessen müsse es darum gehen, die kommunikativen Fähigkeiten in Regierung und Gesellschaft insgesamt zu verbessern und den politischen Prozess durch deliberative Verfahren, in denen Werte, Vorstellungen und Argumente demokratisch hinterfragt und in ihrem jeweiligen Kontext angemessen beurteilt werden könnten, zu ermöglichen.
20
Parsons , Modernising Policy-making (Anm. 12), S. 107f. Vgl. schon Κ König, Social Science Knowledge in the Policy of Administrative Reforms, Speyerer Forschungsberichte 7, Speyer 1979. 22 Vgl. etwa H.T.O. Davies/S. M. Nutley/P. Smith (Hrsg.), What Works? Evidencebased policy and practice in public services, Bristol 2000; R. Pawson , Evidence-based Policy: In Search of a Method, in: Evaluation 8, 2002, S. 157-181; R. Pawson , Evidence-based Policy: The Promise of'Realist Synthesis', in: Evaluation 8, 2002, S. 341358; /. Sanderson , Evaluation, Policy Learning and Evidence-Based Policy Making, in: Public Administration, 80, 2002, S. 1-22. 21
23
W. Parsons , From Muddling Through to Muddling Up - Evidence Based Policy Making and the Modernisation of British Government, in: Public Policy and Administration, 17, (3) 2002, S. 43-60.
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In ähnliche Richtung geht die Kritik von Ian Sanderson,24 der ebenfalls in dem Konzept „What matters is what works" einen technokratischen Politikansatz im Sinne einer instrumenteilen Rationalität sieht. Dieses rationaldezisionistische Modell der Politikgestaltung und des politischen Lernens beinhalte eine begrenzte und verzerrte Sicht, wie Evidence in Politik und Praxis gelange. Er verweist auf die legitimatorische Rolle solcher Modelle, die ein Bild von Ordnung, Steuerung und Kontrolle an relevante externe Interessegruppen vermittelten. Das Problem sei, dass die instrumentelle Rationalität dieser Modelle Fragen der Ambiguität auf solche der Unsicherheit reduziere und diese mit nachweisbaren Fakten und Informationen versuche zu bekämpfen. Dabei würden Aspekte eines informalen Wissens und einer praktischen Vernunft außer Acht gelassen. Im Sinne einer Angemessenheit des Handelns müssten daher auch das Praxiswissen und die Nutzererfahrung in unterschiedlichen Kontexten in die Politikgestaltung durch Dialoge und kommunikative Methoden mit einbezogen werden. Seine ursprüngliche Kritik an dem Professional Policy Making-Konzept hatte Wayne Parsons 25 damit zusammengefasst, dass dieses Modell auf einem zutiefst rationalistischen, positivistischen und mechanistischen Ansatz des strategischen Managements beruhe. Wenn sich Politikgestaltung unter Bedingungen der Unwissenheit, Unvorhersehbarkeit, Unsicherheit, des Chaos und der Komplexität vollziehe, was der Bericht in Teilen anerkenne, dann müssten auch neuere Ansätze zum Strategischen Management stärker berücksichtigt werden. Er verweist dabei etwa auf die Arbeit von John Alford zu den Wirkungen des „Öffentlichen" auf die Theorie des strategischen Managements.26 Alford unterscheidet Modelle, die sich mehr auf den Inhalt der Strategie beziehen und solche, die eher den Prozess betreffen. Je öffentlicher eine Organisation sei, desto weniger passe das Prozessmodell einer rationalen Planung, gerichtet auf klar definierte kohärente Ziele. Es möge vielleicht passen für eine autonome Agentur, die Ergebnisse innerhalb eines genau bestimmten Auftrages liefere, aber weniger für eine politische Kerneinheit, die für Ziele verantwortlich sei. In solchen Fällen könnten eher institutionelle Theorien, Chaos- und Komplexitätstheorien oder ein logischer Inkrementalismus angemessen sein. Wenn Ziele oder Werte nicht klar definiert seien, vor allem unter kurzfristiger Perspektive, dann könnte es auf der Grundlage des logischen Inkrementalismus Teil der Aufgabe des Managers sein, Hilfen bei der Entdeckung dieser Ziele anzubieten durch einen Prozess, in dem vorläufige Ziele benannt und Reaktionen
24 /. Sanderson , Making Sense of 'What Works': Evidence Based Policy Making as Instrumental Rationality?, in: Public Policy and Administration, 17 (3) 2002, S. 61-75. 25 W . Parsons , Modernising Policy-making (Anm. 12), S. 108. 26 J. Alford , The implications of 'publicness' for strategic management theory, in: G. Johnson/K. Scholes (Hrsg.), Exploring Public Sector Strategy, Harlow 2001, S. 1-16.
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darauf abgeschätzt würden. Dies sollte nicht bedeuten, dass die Manager keine Vorstellung davon hätten, wohin die Organisation sich entwickeln soll. Jedoch sollten solche Vorstellungen eher Provisorien oder Versuche darstellen, eher Entwürfe als steinerne Tafeln. 27 Auch die Komplexitätstheorie weise in diese Richtung. Sie gehe davon aus, dass viele Themen im öffentlichen Sektor verflochten bzw. versteckt seien, so dass nicht nur die Lösung schwer zu finden, sondern das Problem schwer zu definieren sei. Unter solchen Umständen sei die Aufgabe des Managers nicht so sehr, das Problem zu benennen, die Lösung zu finden und sie für die Umsetzung zu präsentieren, als andere bei der Identifikation und Diskussion anzuleiten. Alford verweist auf Robert Reich, nach dem die Kernverantwortung der gewählten Personen und Ministerialbediensteten, die sich mit öffentlicher Politik beschäftigen, nicht einfach darin liegt, so objektiv wie möglich zu erkennen, was die Menschen für sich wollen, und dann die besten Maßnahmen zu finden und umzusetzen, die diese Wünsche befriedigen. Es gehe vielmehr darum, die Öffentlichkeit mit alternativen Visionen zu versehen, was wünschbar und möglich sei, Diskussionen darüber zu stimulieren, eine Überprüfung der Prämissen und Werte herbeizufuhren und auf diese Weise das Spektrum möglicher Antworten zu erweitern und das Verständnis der Gesellschaft von ihr selbst zu vertiefen. 28 Auf der Grundlage dieser neueren Prozesstheorien beeinträchtige die Komplexität und Turbulenz, denen sich immer mehr öffentliche Organisationen gegenüber sehen, die Relevanz der rationalen Planung. Stattdessen tendiert nach Alford das strategische Management immer mehr zu offenen Ergebnissen und kann daher weniger Gegenstand einer manageralistischen Steuerung sein. Im Ergebnis bedeute daher strategisch zu handeln, sich alternative Visionen vorzustellen und interne und externe Unterstützung für sie zu erzielen sowie eine Gelegenheit, andere dafür zu mobilisieren, darüber nachzudenken, wie diese Visionen aussehen könnten.29
I I I . Zusammenfassende Würdigung Im Rahmen dieses Beitrags kann eine abschließende, zusammenfassende Würdigung von Konzept und Kritik nur kurz ausfallen. Sicherlich ist das vom Cabinet Office entwickelte Modell „Professional Policy Making" sehr stark von einem rationalen, unternehmerischen Managementansatz geprägt, sowie von dem Wunschdenken, es könnten - quasi auf Knopfdruck - die gewünschten Outcomes geliefert werden, sofern nur bestimmte Schritte und Methoden ein27 28 29
Alford, Alford, Alford,
Implications of'publicness' (Anm. 26), S. 12. Implications of'publicness' (Anm. 26), S. 13. Implications of'publicness' (Anm. 26), S. 13.
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gehalten werden. Kritik an diesem Modell scheint insbesondere insofern berechtigt, als ihm ganz offensichtlich eine Vorstellung über den Prozess des politischen Handelns und der politischen Entscheidungsfindung zugrunde liegt, die dessen Komplexität nicht gerecht wird. Eine zentral gesteuerte, an sichtbaren, nachweisbaren Ergebnissen, verbunden mit Hebeln zur mechanischen Bewirkung dieser Ergebnisse, orientierte Vorgehensweise ist sicherlich zu linear und wird weder dem Prozess des Entstehens und Identifizierens politischer Themen und Probleme noch dem Aushandeln und Abstimmen von Lösungsversuchen ausreichend gerecht. Dies gilt erst recht in einem föderalistischen System wie in Deutschland. Auf der anderen Seite geschehen auch politische Diskussionen und politisches Lernen nicht irgendwie von selbst. Moderne Lerntheorien 30 folgen weder einem instruktionistischen noch einem rein konstruktivistischen Modell, vielmehr wird zunehmend eine Anleitung zum Lernen im Sinne von Rahmenorientierungen und Hilfen für erforderlich gehalten. Es geht daher darum, Strukturen und Anleitungen zu schaffen, die entsprechendes politisches Denken und Handeln, insbesondere Lernen, sowohl bei den verantwortlichen Entscheidungsträgern als auch als Grundlage einer aktiven politischen Teilhabe, ermöglichen und fördern. Vor allem in der angelsächsischen Politikwissenschaft gewinnt das Konzept einer „deliberativen Demokratie" zunehmend an Bedeutung.31 Als „Deliberation" wird im Rahmen moderner Demokratietheorien die gründliche und wiederholte Erörterung der öffentlichen Angelegenheiten in der und durch die Öffentlichkeit verstanden. 32 Zunehmend soll diese auch auf elektronischem Wege erfolgen. Voraussetzung für das Gelingen ist dabei aber eine gute Moderation. 33 Auch Deliberation erfordert daher Moderation. Politische Diskussionen und politisches Lernen müssen angeregt und koordiniert werden, wenn ihre Ergebnisse nicht im Sande verlaufen, sondern konkret in den Prozess der politischen Entscheidungsfindung und des politischen Handelns eingebracht werden sollen. 30 H. Mandl/G. Reinmann-Rothmeier/C. Gräsel, Gutachten zur Vorbereitung des Programms „Systematische Einbeziehung von Medien, Informations- und Kommunikationstechnologien in Lehr- und Lernprozesse", Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsförderung, Heft 66, Bonn 1998, S. 17; M. Kerres, Multimediale und telemediale Lern Umgebungen, 2. Aufl., München 2001, S. 74 ff.; A. Back/O. Bendel/D.StollerSchai, Ε-Learning im Unternehmen, Zürich 2001, S. 171. 31 J. Bohman/W. Rehg (Hrsg.), Deliberative Democracy, Cambridge/Massachusetts, London/UK, 1997; J. Elster (Hrsg.), Deliberative Democracy, Cambridge/UK, 1998; vgl. auch K.-H. Ladeur, „Deliberative Demokratie" und „Dritter Weg" - eine neue Sackgasse?, in: Der Staat 2002, S. 3-27. 32 C. Leggewie/C. Bieber, Interaktive Demokratie und Multimediapolitik: Inhalte Akteure - Prozesse, in: S. Friedrichs/T. Hart/O. Schmidt (Hrsg.), Ε-Government. Effizient verwalten - demokratisch regieren, Gütersloh 2002, S. 43-59, hier S. 48. 33 C. Leggewie/C. Bieber, Interaktive Demokratie (Anm. 32), S. 46, 51.
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Vor allem hat aber auch die politische Führung im Rahmen des repräsentativen Systems eine besondere demokratische Verantwortung. Gewählte Mandatsträger sind nicht nur für eine Prozessgestaltung gewählt worden, sondern auch dafür, dass sie bestimmte inhaltliche Ziele verantwortungsvoll umsetzen. Selbstverständlich soll dies nicht mechanistisch oder schematisch geschehen, sondern erfordert auch responsives Handeln und Diskussion mit der Öffentlichkeit während der Amtsperioden. Auch verlangt eben diese Öffentlichkeit von den politischen Entscheidern zunehmend Transparenz, Offenlegung und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsverfahren, und zwar sowohl hinsichtlich ihres Zustandekommens als auch ihrer Begründung. In diesem Kontext ist auch das Bemühen der Europäischen Kommission zu sehen, Grundprinzipien und interne Leitlinien für die Einbeziehung von Expertenwissen in den politischen Entscheidungsprozess festzulegen, die sowohl die Qualität und Effektivität als auch die Offenheit, Neutralität und Glaubwürdigkeit dieses Verfahrens sichern sollen. 34 Jedoch wird die Vorstellung, dass der Einsatz von Expertenwissen politisches Handeln objektivieren könne, problematisch, wenn Expertenkommissionen (wie etwa in Deutschland die sog. „Hartz-Kommission" oder die ,,Rürup-Kommission") zunehmend in verfassungsmäßige Verfahren staatlicher Willensbildung hineinwirken und bestimmenden Einfluss auf die dem Parlament vorbehaltene Sachentscheidung zu gewinnen beginnen.35 Vor diesem Hintergrund stellt das britische Professional Policy MakingKonzept eher eine Sammlung von Ideen und Anregungen, quasi Merkposten dar, die dazu beitragen sollen, etwas mehr Licht in politische Entscheidungsprozesse zu bringen und durch eine Erhöhung von Rationalität und Transparenz das Vertrauen in den Staat und seine Entscheidungsprozesse zu verbessern. Es steht damit in Verbindung mit neueren Konzepten einer „Good Governance", bei denen versucht wird, Prinzipien wie Effektivität, Kohärenz und Verantwortlichkeit mit solchen der Offenheit und Partizipation in Einklang zu bringen. 36
34 Europäische Kommission, On the Collection and use of Expertise by the Commission: Principles and Guidelines. "Improving the knowledge base for better policies". Mitteilung der Kommission vom 11.12.2002, COM (2002) 713 final; vgl. auch die allgemeinen Grundsätze und Mindeststandards fur die Konsultation betroffener Parteien durch die Kommission: Towards a reinforced culture of consultation and dialogue, Mitteilung der Kommission vom 11.12.2002, COM (2002) 704 final. 35 Darauf hat kürzlich der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, eindringlich hingewiesen, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. Januar 2003, S. 8. 36 Europäische Kommission, Europäisches Regieren - Ein Weißbuch, Brüssel 25.7.2001, KOM (2001) 422 endgültig, S. 10, Fn. 1.
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Effektivität und Professionalität staatlicher Entscheidungen sowie deliberative Demokratie müssen demnach kein Gegensatz bleiben. 3 7
37
Zu einem Versuch, strategisches Management und effektive Planung mit neuen demokratischen Formen zusammenzubringen vgl. auch A. Wegener , Die Kriterien zu „Good Governance", in: M. Pröhl (Hrsg.), Good Governance fur Lebensqualität vor Ort, Gütersloh 2002, S. 16 ff.
Das Beauftragtenwesen in der öffentlichen Verwaltung Von Günter Püttner, Tübingen
I. Vorbemerkung Seit einiger Zeit ist ein Wuchern des Beauftragtenwesens in der öffentlichen Verwaltung zu beobachten, und zwar nicht erst in neuerer Zeit. Das Erkenntnisinteresse der VerwaltungsWissenschaft 1 richtet sich seit jeher auch auf solche Institutionen oder Phänomene, die sich von der „normalen" Verwaltung abheben und besonderer Behandlung bedürfen. Auf die Rolle der Verwaltungswissenschaft wird zurückzukommen sein; erst einmal soll es um das Beauftragtenwesen gehen. Michael Fuchs2, dem wir die umfassende Darstellung des Beauftragtenwesens verdanken - nicht zufällig eine Arbeit aus Speyer - , führt in tabellarischer Form bereits 1985 107 verschiedene Beauftragte in den Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen auf. Seitdem hat sich die Zahl der Beauftragten noch erheblich vermehrt; für jedes auftauchende Problem gibt es praktisch einen Beauftragten 3. Niemand kann das Beauftragtenwesen mehr wirklich überblicken, und würde ein Minister in einer Quiz-Sendung befragt, welche Beauftragten es in seinem Bereich gebe, so würde er vermutlich arg versagen. Man wird natürlich fragen, wie es zu dieser Inflation der Beauftragten kommen konnte. Es muss doch einen Grund haben, dass man - trotz der unten noch behandelten Nachteile dieser Institution - immer wieder zu ihr greift und meint, einem bestimmten Problem oder besser Anliegen so am besten Rechnung tragen zu können. Man hat für diese Sache etwas getan, kann etwas vorweisen, ohne dass erkennbar wird, ob in der Sache wirklich etwas passiert. Der Verwaltungswissenschaftler fühlt sich an die vergleichbare Problembewältigung durch Bildung von Kommissionen oder Ausschüssen erinnert, auf die nicht selten ein 1
Vgl. Klaus König, Erkenntnisinteressen der Verwaltungswissenschaft, 1970 (S. 63 ff.), weist in diesem Zusammenhang auf die Verwaltungswissenschaft als Realwissenschaft hin. 2 Michael Fuchs, „Beauftragte" in der öffentlichen Verwaltung, Berlin, 1985. 3 Vgl. Steffen Heitmann, Für jedes Problem ein Beauftragter? - Zum Beauftragtenwesen in der BRD, in: NJW 1996, S. 904 ff.; auch: Peter Gola, Die Beauftragten sind unter uns, MDR 1976, S. 376.
232
Günter Püttner
Problem zunächst einmal abgeschoben wird, um nicht sogleich in Handlungszwang zu geraten. Freilich kann sich bei näherer Betrachtung zeigen, dass es in verschiedenen Fällen sehr sinnvolle und erfolgreiche Beauftragte gibt, die man nicht missen möchte. Jeder Beauftragte muss gesondert gewürdigt werden, was - siebzehn Jahre nach dem Erscheinen der Arbeit von Fuchs - wohl wieder einmal fällig wäre, vielleicht erneut in einer Speyerer Dissertation. Hier können nur einige Hinweise angebracht werden.
I I . Verschiedene Arten von Beauftragten Hinter der Chiffre „Beauftragter" verbergen sich sehr unterschiedliche Realitäten, die es fast unmöglich machen, einen einheitlichen Begriff des Beauftragten zu formulieren. Fuchs (a.a.O. S. 38 f.) weist kurz auf diese „verwirrende Vielzahl unterschiedlicher ... Gebilde" hin, weicht dann aber auf eine gewisse Abstraktionshöhe aus, die freilich eine wirkliche Klärung nicht bringen kann. Also bleibt nur der Weg einer klassifizierenden Aufzählung der Arten der Beauftragten, den Fuchs zumindest in groben Zügen beschreitet (S. 40 ff.). Aber die Unterscheidung von Staatsbeauftragten, Selbstverwaltungsbeauftragten, privaten Beauftragten u.s.w. erbringt nicht besonders viel. Deshalb folgt die schon erwähnte tabellarische Aufzählung der einzelnen Beauftragten. Aus heutiger Sicht dürften zunächst solche „Beauftragte" aus der Betrachtung ausscheiden, die man als „unechte Beauftragte" bezeichnen könnte. So werden beispielsweise in der Fakultät, der der Verfasser angehört, zahlreiche „Beauftragte" bestellt (für Raumfragen, für den Kontakt zu Stiftungen, für den Kontakt zu Partner-Universitäten u.s.w.); dabei handelt es sich in Wahrheit um eine Form der Aufgabenverteilung innerhalb des Kollegiums der Fakultät. Die für echte Beauftragte typisch linienübergreifende Betätigung solcher „Beauftragter" findet nicht statt, und die unten anzusprechenden Probleme gibt es nicht. Außen vor bleiben sollen ferner Beauftragte, die nur auf Zeit aus besonderem Anlass bestellt worden sind, z.B. der Beauftragte für die 100-Jahr-Feier der Behörde oder für erne Konferenz mit erheblichem Vorbereitungsbedarf. Solche Beauftragungen entsprechen einer schlichten Notwendigkeit. Weiterhin ist fraglich, ob man solche Beauftragte ausscheiden soll, die zwar als Beauftragte starten, aber im Laufe der Zeit (regelmäßig gewolltermaßen) zu einer normalen Verwaltungsabteilung oder Spezialbehörde erstarkten. Dieser Vorgang ist beispielsweise bei den Ausländerbeauftragten zu beobachten, die zwar eine linienübergreifende Aktivität nicht ganz vermissen lassen, im Wesentlichen aber bestimmte Aufgaben ausschließlich und mit Handlungsbefugnis nach außen wahrnehmen. Ein Gleiches ist bei nicht wenigen Frauenbeauftragten
Das Beauftragtenwesen in der öffentlichen Verwaltung
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festzustellen, z.B. bei den Universitäts-Frauenbeauftragten, die zwar einerseits an vielen (z.B. Berufungs-)Verfahren mitwirken, aber auch genuine Verwaltungsaufgaben erfüllen (z.B. die Förderstipendien für Frauen verwalten). Finden Staatskommissar4 an der Börse beispielsweise hat das immer so gegolten. Die eigentliche Problematik liegt bei den „echten Beauftragten", die - Stabsstellen vergleichbar - in der angesprochenen Weise linienübergreifend ein bestimmtes Anliegen vertreten oder wahren sollen. Zu dieser Kategorie gehören die weitaus meisten Beauftragten, wobei Datenschutzbeauftragte, Umweltbeauftragte und der Beauftragte für Sprachenpflege beispielhaft genannt seien. Kennzeichnend ist die Wahrnehmung eines Querschnittanliegens oder eines außerhalb der regulären Behördenarbeit liegenden Belangs (so ζ. B. beim Beauftragten für Bürgerrechte in Polen5). Auch im Übrigen kann die Art des zu wahrenden Belangs sehr verschieden sein; es kann um sehr grundsätzliche Dinge gehen wie den Haushalt, den Umweltschutz oder die Frauenbehandlung, aber auch um „kleinere" Belange wie Störfallkontrolle oder Suchtprophylaxe (keine erfundenen Beispiele). Die Art des jeweiligen Belangs wirkt sich natürlich auf die Stellung des Beauftragten aus.
I I I . Die Stellung von Beauftragten im Verwaltungsgefiige Im Folgenden soll aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht einiges zur Stellung der (echten) Beauftragten in der Verwaltung angemerkt werden. Nicht behandelt werden soll die natürlich auch interessante rechtliche Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Bestellung von Beauftragten (generell oder im Einzelfall) und deren Einpassung in den rechtlichen Rahmen der Verwaltungsorganisation. Engagierten Verfassungsrechtlern wird es nicht schwer fallen, verfassungsrechtliche Bedenken an der einen oder anderen Stelle zu entdecken6, aber das mag hier auf sich beruhen. In den verwaltungswissenschaftlichen Stellungnahmen fallen Begriffe wie „Fremdkörper" 7 oder „Isolation" bzw. „zwischen den Stühlen"8 deutlich auf. Offenbar wird ein Unbehagen an der Stellung der Beauftragten innerhalb des Verwaltungsgefüges, das über vergleichbare Vorbehalte gegenüber Stabsstel4
Kommissar ist die frühere Bezeichnung für das, was heute Beauftragter genannt wird, vgl. Fuchs, S. 25 f. 5 Vgl. G. J aster, Erfahrungen mit dem Beauftragten für Bürgerrechte in Polen, in: Die Verwaltung 1992, S. 531 ff. 6 Fuchs, S. 210 ff. erörtert einige Bedenken näher; im Übrigen pflegte Frido Wagener bekanntlich mit Blick auf die Juristen zu sagen: Alles ist verfassungswidrig! 7 So Heitmann, S. 905. 8 So M. Röken, Der „Beauftragte fur den Haushalt" im Spannungsfeld zwischen Finanzierungsnot und Sparsamkeitsgebot, in: DVB1 1982, S. 570 (571/573).
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len 9 spürbar hinausgeht. „Der Beauftragte steht außerhalb der Verwaltung, er ist nicht beliebt, er wird daher auch nicht verwöhnt, weder mit Ressourcen, noch mit effektiven Einflussmöglichkeiten", so der Altmeister der Verwaltungswissenschafit Werner Thieme 10 . Unter einer solchen „Einbindung" leidet natürlich die Effektivität der Arbeit der Beauftragten. Aber wenn man das weiß und trotzdem immer mehr Beauftragte eingesetzt werden, dann drängt sich der Verdacht auf, dass man es gerade so will und einen Belang auf einen Beauftragten abdrängt, damit dieser als Feigenblatt vorzeigbar ist, aber bitte schön die Kreise der Verwaltung nicht ernsthaft stört. Doch nicht immer ist solcher „böser Wille" im Spiel. Vielfach erhofft man sich von einem Beauftragten durchaus effektive und fachlich versierte Arbeit auf einem Gebiet, das der Linie nicht genügend vertraut ist und ohne den Beauftragten voraussichtlich unbearbeitet bliebe. In solchen Fällen kann der Start eines derartigen Beauftragten erfreulich ausfallen, aber gerade wegen seiner Fachkunde und Professionalität wird er über kurz oder lang doch zum Fremdkörper in der Verwaltung. Freilich stellt sich insoweit die Lage bei den einzelnen Beauftragten ziemlich unterschiedlich dar. Fast schon ein Klassiker ist der Beauftragte für den Haushalt (§9 BHO/LHO). Er muss, namentlich in einer Hochschule, immer „seinen Blick auf die Wissenschaftler und den Rechnungshof zugleich" richten11. Gelegentlich muss er die Handelnden vor Fehlern warnen, andererseits sollte er diesen auch mit Ratschlägen zur Seite stehen, wie man die Möglichkeiten des Haushaltsrechts sinnvoll nutzen kann. Das ist im Zeitalter der Drittmittelforschung keine leichte Aufgabe mehr, wie jüngst ein Fall gezeigt hat, wo ein Drittmitteleinwerber gerade noch am Vorwurf der strafbaren Vorteilsannahme vorbeigeschlittert ist. Von ähnlichen Problemen kann der Umweltbeauftragte nicht nur in der privaten Wirtschaft 12 , sondern auch in der Verwaltung und erst recht in öffentlichen Einrichtungen stehen. Kein in seinem Gebiet engagierter Bediensteter oder Vorgesetzter sieht es gerne, wenn sachlich gerechtfertigte Vorhaben oder Verfahren an Belangen des Umweltschutzes scheitern oder sich erheblich verteuern. Der Beauftragte befindet sich wiederum zwischen den Fronten. Die Problematik kann an einem Beispiel aus der Universität verdeutlicht werden. Um das nicht immer einfache Verhältnis zu den Medien zu verbessern, 9
Vgl. G. Püttner, Verwaltungslehre, 3. Aufl. 2000, S. 158 f. Randbemerkung, Die Frauenbeauftragte als verwaltungswissenschaftliches Problem, in: DÖV 1995, S. 329 f. (Thieme urteilt im Folgenden negativer als es oben geschehen ist). 11 Vgl. M. Röken, S. 573. 12 Dazu G. Kaster, Die Rechtstellung des Betriebsbeauftragten fur Umweltschutz, in: GewArch 1998, S. 129 ff. 10
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wird ein Presse- oder Medienbeauftragter eingesetzt, der sich intensiv um die Kontakte zur Presse und zu anderen Medien kümmern soll. „Natürlich" wird dafür nicht jemand ausgewählt, der sich in Forschung und Lehre besonders hervorgetan hat, sondern ein Kenner der Medien, also z.B. eine oder einer, der Journalismus studiert hat und den nötigen Kontakt zu den Medien besitzt. Diesem Beauftragten fällt es leicht, die Medien anzusprechen und die Universität dort zu vertreten. Aber schwer hat er es, in der Universität ein Bein auf die Erde zu bekommen. In der zentralen Verwaltung findet er vielleicht noch einigermaßen gut Kontakt vor allem mit den gehobenen Dienstkräften, die für Gremienarbeit, Forschungsforderung oder Veranstaltungswesen zuständig sind. Im Zweifel sitzt man auf dem gleichen Flur. Aber die eigentliche Arbeit der Universität wird nicht dort geleistet, sondern in den Fakultäten und dort konkret von den einzelnen Professoren und Mitarbeitern. Was hier geschieht, ist von der Zentrale aus und erst recht vom Medienbeauftragten kaum zu überblicken, und die Alltagsarbeit interessiert ja auch die Medien und den Beauftragten wenig. Also wird er die Fakultäten bitten, ihm regelmäßig oder aus gegebenem Anlass über besondere Ereignisse zu berichten. Erne solche Berichtspflicht empfinden die ohnehin überlasteten Fakultäten als ausgesprochen lästig, und sie werden nur das Allernötigste leisten; peinliche Dinge werden natürlich verschwiegen. Kommt es zu spektakulären Ereignissen, werden die Medien versuchen, sich unmittelbar an die Betroffenen zu halten; der Medienbeauftragte, der es ja so genau gar nicht wissen kann, wird übergangen. Und so weiter; es ist hier nicht der Ort, den Faden fortzuspinnen. Festzuhalten ist, dass der Beauftragte selbst wenig Chancen besitzt, seine „Isolation" aufzuheben. Er kann Kontakte suchen, wird aber von den Personen in der Linie immer wieder als lästiger Störenfried empfunden. Es fragt sich deshalb, ob man auf derartige Beauftragte nicht doch besser verzichten sollte; aber man befürchtet, dass dann wieder der Ansprechpartner, der „Zuständige" fehlt, der im Zweifel den Kopf hinhalten muss. Also bleibt es, wie die Praxis bestätigt, bei der Vielzahl der Beauftragten mit ihren Problemen. Eine Verwaltung, die erst einmal geschaffen ist, verschwindet, wie uns Parkinson gelehrt hat, nicht so leicht wieder, selbst wenn die zu erfüllende Aufgabe wegfällt; denn Verwaltung kann sich mit sich selbst beschäftigen, auch ein Beauftragter kann das.
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IV. Verwaltungswissenschaftliche Anmerkungen Es fragt sich nun, welchen Beitrag (oder welche Beiträge) die Verwaltungswissenschaft, falls es sie gibt 13 , oder die Verwaltungswissenschaften zur Bewältigung der Problematik des Beauftragtenwesens leisten können. Die Verwaltungsrechtswissenschaft und die Verwaltungsgeschichte können allenfalls einzelne Anregungen beisteuern; der Blick richtet sich auf die Sozial- und Politikwissenschaft und auf die verwaltungsbezogene Betriebswirtschaftslehre. Vertreter dieser Disziplinen werden im Zweifel nicht fertige Antworten parat haben, sondern dartun, dass die Problematik erst einmal mit Hilfe der einschlägigen Methoden erforscht werden müsse, wozu Zeit und Geld benötigt wird. Selbst von Seiten der sonst so missionarischen Betriebswirtschaftslehre ist im gegebenen Fall keine bessere Antwort zu erwarten. Wer sich, gleich aus welcher Disziplin kommend, allgemein als Verwaltungswissenschaftler (mit Tendenz zum Singular) versteht, wird allerdings so leicht nicht kapitulieren dürfen und wollen. Zwar bieten die Standardwerke und Lehrbücher zur Verwaltungslehre auch keine Rezepte an, die man einfach übernehmen könnte, aber Ansätze findet man hier und dort. Die Schwierigkeit einer bündigen Antwort liegt darin, dass man, wenn man die Nachteile des Beauftragtenwesens nicht aufheben kann, zumindest die eine oder andere Alternative anbieten müsste. Wie könnte z.B. dem Anliegen Umweltschutz oder äußere Sicherheit anders als durch Bestellung eines Beauftragten Nachdruck verliehen werden? Mit Erlassen und Zirkularen erzielt man jeweils nur begrenzte Wirkungen, irgendwie muss es schon eine Person geben, die sich mit einem Anliegen identifiziert. Aber wie soll vermieden werden, dass eine solche Peson zwischen die Stühle gerät? Eine Verwaltungswissenschaft, die für ein praktisches Problem zwar Fragen formulieren, aber keine bündigen Antworten geben kann, gerät sicherlich in den Geruch, praxisfern und „nur" theorieorientiert zu sein. Wer andererseits in den letzten Jahren das Wirken der vielen neuen Beratungsinstitute beobachtet hat, die für Geld immer eine Antwort liefern, ganz gleich, was sie wert ist, der wird der Verwaltungswissenschaft raten müssen, nur wirklich solide, wissenschaftlich fundierte Antworten zu geben und sonst lieber die Verlegenheit um eine Antwort einzugestehen. Vermieden werden sollte aber zu viel theoretisches Beiwerk zu einer solchen (Nicht-)Antwort. Die Theorie kann nicht die Aufgabe haben, eine schlichte Verlegenheit mit geistigen Höhenflügen zu überlagern; sie gerät sonst arg in Misskredit.
13 Die Frage nach der Verwaltungswissenschaft im Singular ist auf dem Kolloquium für Klaus König am 29./30.11.2002 in Speyer ausfuhrlich behandelt worden; darauf kann verwiesen werden.
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An dieser Stelle wäre es reizvoll, darüber nachzudenken, welche Rolle der Theorie in der oder den Verwaltungswissenschaften zukommen sollte, ob sie als Abstraktion von den Einzelfällen oder eigenständig zu entwickeln wäre und welche Inhalte sie hauptsächlich haben müsste. Aber dazu müssen Berufene Stellung nehmen, wenn sie es nicht - wie zu hoffen - in dieser Festschrift eindrucksvoll getan haben.
The Elite Power in Spain (1939-1992) 1 By Mariano Baena del Alcazar, Madrid
I. Introduction The main objective of the research from which this article is drawn is to pose some questions on the foundation of the power structure. For it, we have empirically studied the persons who have exercised it in a western country of certain importance like Spain (Baena, 1999). Certainly, regarding the studied period of time (1939-1992) there are a lot of publications from a political, historical or institutional approach, but, with some exceptions, they have not up to now considered the groups of people that have exercised the political, administrative and economic power, though it is obvious that we can reach conclusions about the reality of the power starting from the study of the people who exercise it. It means nevertheless to carry out again a research on elites, which implies that some risks should be avoided in order not to restrict the study to the composition or the representativity of the governing group (Putnam, 1976; Parry, 1988) or concluding in the exposition of data which could not reveal the plurality of attributes and groups (essential data according to Etzioni-Halevy's research (1992), that possibly overcomes the controversy between elitists (Wright Mills as representing them, 1973) and pluralists (Dahl, 1961). Of course, i f we want to reach scientific conclusions of more depth it is interesting to see i f there are connections among them and if these connections resolve the heterogeneity of the groups and the people into a structural fact. In consequence, in the rigorously empiric research carried out it has been tried to start from solid bases in order to avoid or to diminish those risks. In the first place, a long period of time has been studied (the 52 years that go from 1939 till the end of 1991), which in turn has implied to work on a numerous group of people (24.446) and has allowed to check if the stay in the power in spite of the change of political situations. On the other hand, we have studied the people who have formally exercised the power when holding important po-
1 This text is a revised abstract of the article about the same subject published in "Public Administration" (London), volume 80, number 2, 2002.
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liticai and administrative posts. So this study disregards the groups and the people who have an influence of power or who have power, but are not or have not been in power. Lastly, in order to highlight the most important questions, the study has not limited itself to the political and administrative fields (Parliament, Government and Administration), but has included the economic one (big public and private business) being convinced that it is obvious nowadays the importance and the proximity of the political and economic subsystems. Nevertheless, the study restricts itself just to one country. Though this fact does not allow to extend the conclusions to other countries when not fulfilling the conditions of a comparative study (Bottomore, 1964), it can be possibly of general interest as far as it supposes that the study of the power should move from the people that integrate the elites to the networks of connections among the occupied posts.
I I . The specific circumstances of the Spanish case Even though the study of the Spanish case has some limitation, it should be outlined that changes in the power and in the Spanish society in the studied period justify that a research on elites in that period could reflect a special interest. In fact, the research covers three political periods with different characteristics. The first period (1939-1975) was general Franco's political dictatorship, whose origin is a civil war just before the Second World War. The second period (1975-1982) is a complex political transition that starts like an apparent continuation of the previous situation and gives place quickly to the approval of the Constitution in 1978 and the establishment of a democratic government. The third one (from 1982 to the end of 1991) is a democratic period characterized by the government of a left-wing party, the Spanish Socialist Workers' Party (PSOE), a fact that gives this period its peculiarities. This means that the studied elites are the elites of a dictatorial period, a democratic one and a political transition with very special characteristics. Covering the three periods where formally the access system to the power and its nature are very different offers a good field of study of the elites. Not only the institutions are different, but also the political and economic context. In the first years of the studied time the dictatorship is totalitarian (though becomes authoritarian and paternalistic later) with typical features of fascism. It acts in a poor Spain, impoverished even more by the civil war and the isolation, poverty that in the industrial sector tries to be overcome or diminished by means of fostering the public enterprise. The society, partially absorbed by the State, is week, all the impulses come from the power, which is exercised by the dictator and the members and the one-party used to image effects.
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It is not sought to write a chronicle on the evolution of the régime that went deep from 1939 to 1975. Changes in the international scenario, the treaty signed with the United States in 1953 and the admission to the international organizations plus the facilities given to the foreign investments make that the last years of Franco's régime, in those that a generational change has taken place, are very different. The society, much more developed and rich and open to the other western countries, is prepared for the democratic transition after the dictator's death. This transition supposes a great change, not only for the setting-up of a constitutional and parliamentarian régime and for the recognition of the rights and the existence of a democracy. It goes from the authoritarianism to the social tolerance, from the single party to the pluralism, and from the centralism to the territorial autonomies. The importance of the private companies, strongly linked to the international capital, increases continually. However, although during the transition the parties of the opposition are legalized and become protagonists, this transition is made by a center-right government and the politicians in the power come to a great extent from Franco's régime, though perhaps this is exaggerated in the popular consciousness. The men of the right that cohabit easily with the capital continued in the power, although it is a right that makes a pact with the political, economic and regional forces excluded by the previous régime. For this reason, the government of the Socialist Party (studied in its first ten years, from 1982 until 1992) implies again a great transformation. The peaceful and democratic rotation in the power of the political parties is a fact. Numerous popular aspirations are satisfied. The political class is renewed and comes to a great extent from the periphery. The process of creation of the territorial autonomies is completed. Mainly the access of Spain to the European Economic Community and the entrance in the NATO implies a full integration in the western world and encourage and energize the economic activity. It can be considered that the transformations of this long period suppose that the study of the elites and of their continuity and circulation is of peculiar interest. Certainly, in spite of these changes, it doesn't seem to have transformed the power structure. Under these conditions, checking i f people have stayed in the positions of power can offer results of scientific relevance since a negative conclusion leads to wonder on data or structural facts which are different and more important than the permanence of individual persons and groups.
I I I . The findings 1. The databank and the big figures The results of the investigation have been obtained after elaborating a database on people that have occupied positions of power in the mentioned institu-
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tional fields (Parliament, Govern and Administration, big enterprises), work that has been carried out with the collaboration of both research teams and has occupied many years of the author's academic life. The databank provides information about 24,446 people, which comprise three roughly equally sized groups for the three political phases, despite their different duration. Thus 9,981 people held positions of power during the long Franco dictatorship (1939-75), 11,761 in the seven years of transition and first democratic governments (1975-82), and 9,787 in the ten years of Socialist governments (1982-92) . We can already draw an initial conclusion about the less open nature of the elite under the Franco regime in comparison with the elite of the democratic periods, especially that of the transition and first years of the Constitution, in which the UCD, a coalition of diverse parties, governed. The open nature of the elite was not so great than during the subsequent political period in which the Spanish Socialist Workers' Party (PSOE), a more unified party, was in power. Data were collected on the membership of the top civil corps of Spanish administrators, since an early objective was to confirm the level of bureaucratic membership within the top groups holding posts of power. Of the people studied, 18.2 per cent were civil bureaucrats, although there were considerable variations between institutions and between political periods. The participation of bureaucrats was highest under the Franco regime (35.9 per cent), declining in the transition-UCD period (19.2 per cent) and under the Socialist government (16.9 per cent). The overall percentages were greatly influenced by the much weaker presence of bureaucrats in large public and private enterprises (14.9 per cent under Franco, 6.7% during transition, and 8.9% during the Socialist period). In the other spheres their presence was much greater, and was always over 50 per cent in the government as well as in the administration. Data were obtained on those members of the armed forces in the groups holding power during the Franco period. Appointments by decree to the military ministries themselves were deliberately excluded. Just over 8 per cent of other post-holders were military personnel.
2. Cores and circles It was immediately apparent from the findings that a distinction should be drawn between people who could be said to form part of the elite but only in the most marginal way, i.e. those who obtained a single post just once, and the rest. The first group we describe as being within 'the weak circle'. It comprised 5,983 people during the Franco dictatorship, 8,547 in the transition-UCD period, and 7.278 during the period of Socialist government. The others are a much more powerful group of people. They either occupied several posts within the same sphere (parliament or executive or large business organizations), whom we de-
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scribe as being in 'the strong circle', or obtained posts in two or three different elite groups within the same political period, whom we consider to be 'the core' of the elite. The total number of people in the strong circle and core during each period is much smaller than the number in the weak circle, being 3,998 during the Franco regime, 3,214 during the transition-UCD period and 2,509 during the first ten years of Socialist government. This result confirms, in general terms, what might be considered the basis of elite theory, which is that power in any given political period is in the hands of a small number of people. Nevertheless, there is a substantial difference between the people in the strong circle, people who may be described as the 'regulars' of power, and those in the core. In the three periods studied, the first group comprises 2,833, 2,533 and 2,161 people respectively. The similarity suggests that we are dealing with a group of people who are necessary for the exercise of political and economic power, and whose number provides us with an approximate indication of the size of the real political and economic ruling class. The case of the core is very different. During the Franco regime it was formed by 1,165 people, whilst there were 678 members of this group during the period of transition-UCD, and only 348 in the period of Socialist government. The existence of this core is of considerable theoretical significance, as it provides a clear demonstration of the integration of the elite . Therefore it is advisable to focus attention on this core, since that of each political period is different, and has its own specific characteristics. Moreover, the core implies an association between posts of power in parliament, the executive and the large public corporations and private companies, an association which, while within the same political period, can be either simultaneous or successive in time. The four associations or overlapping memberships in the core are: a member of the legislature appointed to a ministerial or administrative post by decree; a member of the legislature who is a board director; a post-holder appointed by decree who is also the director of a private company; and finally, the holding of all three posts at once, an association which was more common during the Franco regime. The association of the three memberships is not always given using the most powerful Government's posts. Therefore, only one of the five Presidents of the Government of the studied period, Mr. Calvo Sotelo, who followed President Suârez in the post, gathered the three conditions.
3. Posts held by people in the core A detailed analysis was carried out of the posts which most frequently formed part of the associations or overlapping memberships found in the core. The figures for an association including parliamentary membership are always the lowest, though there is a greater degree of association with Congress than with the Senate in the democratic periods.
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The degree of association with the executive is always significant in respect to the formation of the core in each of the three periods. It seems clear that the Government and Administration are the starting point for the creation of networks of power. When we consider the types of posts occupied, those of certain Councils (Council of Crown Land, Council of State) are always very significant as are the posts of certain directors of public-sector bodies. Even more noteworthy is the association with posts in government ministries. Although differences exist between the political periods in terms of which ministries contribute the greatest number of posts to the core, the Ministries of Finance and of Industry and Employment were of outstanding importance in all three periods studied. In the Socialist period they were the only important ministries in this regard. In the two earlier periods two other ministries of more political than economic interest, the Presidency of the Government and the Ministry of the Interior, also contributed a large number of appointments. There was a certain degree of variation in terms of the contribution of the other ministries between the political phases studied. Among the ministries of a more political interest, the presence of the following is noteworthy: the Ministry of Information and Tourism (only during the Franco regime), and the Ministry of Justice and the Ministry of Territorial Administration (only in the transitionUCD period). Among the economic ministries, the contributions of the Ministry of Agriculture and the Ministry of Housing were considerable during the Franco regime, but not during the other periods. Ministerial organization had a significant influence in this finding. In Franco's time the Ministry of Planning, which was later abolished, was of considerable importance. In the transition period the Ministries of Economy and Trade, which were replaced by the Exchequer in the Socialist period, were important, as was the office of the Assistant Minister for European Relations, which later became part of the Foreign Office. Within the large corporations of the public sector, posts in the official bank, the state monopolies (petrol, tobacco and telephone), and the former public holding National Institute of Industry (INI) always made sizeable contributions. In the private sector, the banks, large public works companies, the chemicals industry and the loans sector always played a major role, although varying according to the political period in question. There was a notable degree of participation by people who were directors of more than one private company. This intensity of participation was even greater among those who were directors of many companies in different sectors. Principally, therefore, those who wield power are not those board directors who specialize in a particular sector or branch, but capitalists with a wide variety of investments. The people with maximum participation were those who simultaneously occupied directors' posts in public and private companies, and who were an important part of the core, meaning they also had posts in parliament or the executive or both. There is no doubt that these groups of people are responsible for
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the lack of a clear distinction between the public and private sectors, and between the political and economic subsystems.
I V . The circulation of elites 1. The renewal and the qualifieds groups This study has produced one particularly noteworthy conclusion. Pareto was correct in his assertion that the elite circulates. Of the 9,981 people who made up the elite during the Franco dictatorship, only 3,737 (37.4 per cent) continued in power in the following political period. Of the 11,761 people who formed the elite during the period of transition and UCD government, only 2,821 (19.4 per cent), were still members of this group in the period of Socialist government. Furthermore we have identified two groups of people of considerable interest. First, there are 1,146 people who remained in the groups holding power throughout the three political periods studied. They represented 11.5 per cent in the period of Socialist government. There is a second group of 148 people who, having disappeared from the elite at the beginning of the democratic period, reappeared during the Socialist period. However, the fact that people from both these two groups, and those previously cited, retained their membership of the elite, by no means signifies that they always maintained the same positions. In fact, some passed from the core to the other circles, or vice versa. It is worth emphasising two important points. One is that the phenomenon of maintenance and renewal of elites is far more complex than is often thought, with the group of 148 people just mentioned providing a good example. The other is that the data raise a further question. Was the group of 1,146 people who remained in positions of power throughout the whole period of the study a conspiratorial elite (Meisel, 1975) which maintained its power and the structure of society? This question has to be answered in the negative. In order to have been a conspiratorial elite, these people would have to have remained within the inner core, but the empirical data have shown that a considerable proportion of the 1,146 people were always outside the core, in the weaker or stronger circles (869 members, of whom 684 remained directors of the same company throughout the three periods, and 94 were top civil servants, who each in successive political period obtained a single post of declining importance). Moreover, another 316 circulated between the core and the circles or vice versa. Only 21 were permanent members of the core, and of those, all except five circulated within the core from one post to another. All were appointed to one post by decree and were board directors, although they did not always hold the same appointment or remain in the same company. Although this small group is in itself interesting for having succeeded in remaining on the pinnacle of power, the group as a whole is not of sufficient consistency to be able to ensure the continuity of the power and social relationships. Anyway, although it is an anecdote,
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the reader should be informed that among 21 people there is just one Government's President, the mentioned Mr. Calvo Sotelo. Instead, Presidents Suârez (UCD) and Gonzâlez (PSOE) are not. Mr. Calvo Sotelo and four Ministers of the UCD period continue in the core in the PSOE period and, therefore, among the 21 because they obtained a bench like parliamentarian of the opposition and had economic interests in big companies. As for the Ministers of the PSOE, Mr. Fernandez Ordonez is the only Minister among the 21, who had been Minister of Finance with UCD, later changed of political party and was appointed Minister of Foreign Affairs in the period of the socialist Government. The conclusion which must be drawn is clear. The elite and its circulation may be much of an interesting phenomenon for sociology and political science. The results of this empirical research demonstrate that not only does the elite not pose a threat to democracy, but also the foundations of power and the basis for the maintenance of the social structure cannot be sought within it. Explanations of these issues must be found by a different path (discussed below).
2. The laws governing the circulation of elites The final part of this research report is devoted to the circulation of elites. The empirical study enables some laws or rules governing the phenomenon to be established. They may be described in the following way. First, what is normally called the circulation of the elite refers to the renewal or shake-up of the people in power at a specific time, as a consequence of some change that takes place, normally of a political nature. However, it may also be understood as a process that is made up of different stages in which the people concerned either maintain or lose their positions within the groups holding power. Secondly, the term 'circulation' is extremely ambiguous. On the basis of the empirical study, the use of a more finely differentiated terminology may be proposed. The first point is that it is necessary to distinguish between the term renewal , which consists of the disappearance of a number of people from the groups holding power, and maintenance which implies the continuity within those groups of a certain number of people who were members of the elite prior to the shake-up. Another distinction that seems to be necessary is that between maintenance and permanence , the latter meaning that people who remain do so in the same position, while circulation in its true sense, implies that people maintain their position in the groups holding power, by passing from one group to another, or from one post to another within the same group. Another aspect of this phenomenon is that renewal and maintenance are complex concepts in two senses. On the one hand, as has already been seen, at each change of political regime a group of people disappears (renewal) while others maintain their posts and must coexist with the newcomers to power. However, those who remain in the group in power may have entered it during
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the period in which change occurred, or even during the previous period. It is possible to go backwards and forwards, to disappear from the power groups only to re-enter them at a subsequent stage. This process is complex in another way too. During the change from one period to another, it is possible to obtain a better post, or, using the terminology of our theory, pass from the circles to the core, though the most common scenario is that of a reduction in power. It has been demonstrated that even within maintenance there is a characteristic versatility. Although permanence is numerically more important than circulation within maintenance, it is true to say that people also circulate actively from one situation to another (member of the legislature, appointment by decree, company director), or even from holding two posts in different sectors to another two posts, with the aim of remaining in power. Our empirical research has shown the existence of another interesting law, which is that the general direction of circulation is towards the large corporations and private companies. It is relatively common for people who owed their original presence in the groups holding power through being a member of a political class, to maintain their position among the elite by becoming a member of the board of directors of an important company. Finally, we can propose another general law called the law of gradually declining maintenance. In each period a proportion of the people in power remain in power. The same can be said of each following period, i.e. some people will maintain their positions whilst others disappear or are renewed. Generally speaking, their power decreases at each stage, and this happens successively until people are either renewed or disappear from power because of death, not by the phenomenon of renewal itself. However, this is not an absolute law. It is possible for there to be backwards and forwards movements.
V. The network of associations among posts 1. Renewal of the people and maintenance of relationships As stated above, the issue of the continuity of power, and perhaps that of the social structure, must be explained by following a different path, and it is that which leads us to the final conclusion obtained from this study. Although the people involved may circulate, the associations or inter-relationships that exist among the different powerful posts within the core can still be maintained. This maintenance would occur if the same post in the executive or parliament were successively held by company directors from the same economic sector of the large public corporations or private companies, and therefore the association between the posts would remain the same even i f the postholders were different. This was not just a possibility but a reality during the three political periods studied. Each political situation produced a network of
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these associations that required study using the method or technique of network analysis. In each period there were associations which involved an appointment by decree plus parliamentary membership plus business connection, and a parliamentary membership plus business connection. The business connection might concern public corporations, private companies or both. These networks are a type of social fabric which entail an active interconnection between the political and economic spheres, producing to a high degree the circulation of intellectual energy, given that this interconnection provokes a constant transmission of information.
2. The consequences of the existence of the networks The following consequences could be proposed from the demonstration of the existence of networks. First, associations are the smallest units of the social structure and may, in some way, be compared with or considered parallel to, the smallest atoms of matter. The research interest therefore moves away from the elite and should be directed at the networks of associations. Possibly the reason that some previous research studies did not make progress is that they analyzed the networks of relationships between people and not the associations which exist between posts. In fact it is these associations which provide the explanation for the centrality of what we call the elite. (Centrality is not due to chance, i.e. whether a person happened to occupy two posts in different spheres, but to the posts themselves being associated (Moore, 1979). Our empirical results proved one of our initial hypotheses wrong. According to the hypothesis which was formed when the existence of the core was first demonstrated, a considerable number of the associations should have remained the same during all political periods. The reality is however more complex, and shows that each situation creates its own network of associations. This was demonstrated clearly in our study, as in the three periods studied there were different levels of the various types of networks, even if all of them had certain factors in common. During the Franco dictatorship, of the 256 associations which involved a political or administrative appointment by decree, 159 associated a parliamentary seat plus a public or private directorship with the appointment, 52 a parliamentary seat only and 45 a public or private directorship only, in addition to other associations linking parliamentary seats and companies. During the transition-UCD period, of the 268 associations which involved a political or administrative appointment by decree, 117 associated a parliamentary seat plus a public or private directorship with the appointment, 49 a parliamentary seat only and 102 a public or private directorship only, in addition to other associations linking parliamentary seats and companies. During the Socialist period, of the 169 associations which involved a political or administrative appointment by decree, 31 associated a parliamentary seat plus a public or private directorship with the appointment, 23 a parliamentary seat only and 95 a public
The Elite Power in Spain (1939-1992)
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or private directorship only, in addition to other associations linking parliamentary seats and companies. The networks are not disconnected from each other. The results show both the political system and the political context are decisive, because they give rise to networks whose composition and density are different, although in some ways this conclusion is uninteresting because a network always existed (in each period studied) and this would imply associations between the different institutions. One last point worth mentioning is that the networks of associations in some periods are not distinct or completely different from those of other periods. On the contrary, each period studied maintained part of the network of associations from the preceding period, and another significant part of the network was maintained during all three political periods. The data showed that 243 associations of the Franco regime continued during the transition-UCD period, but that only 49 associations specific to the transition-UCD period were maintained during the Socialist period. There were 86 associations spanning all three periods (Baena, 1999, p. 676 et seq.). For this reason it is advisable to stress that this maintenance of associations of posts is a different question from that of maintenance of people within the power groups, as what we have here are associations between posts which repeat themselves, even i f these associated posts are occupied by different people. The networks of associations within different periods are linked together in a particular way. Progress in research which uses this fact as its starting point could also lead to progress in our knowledge of the foundations of society and of the continuity of power.
VI. Conclusion In present day societies, not to mention those of the past, there exists a plurality of people, described as the elite, who exercise power and come from different social groups. Despite their plurality their number is small, and their power contradicts the social myths about the political equality of people, and government by the masses in democracies. Nevertheless, the elite poses no type of threat to democracy, and its existence is perfectly compatible with the renewal of society's leaders through elections and, furthermore, following some particular laws or rules, its members circulate. However, although the study of the elite may be useful for discovering the configuration of the ruling minority at any given time, it does not assist us in the quest for knowledge about the foundations of power and society. For that purpose, the line of study should move towards the analysis of the associations which exist between spheres of power, especially between political power and economic power, as these subsystems are joined by the associations of posts and people. However, political systems and political situations create their own par-
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ticular networks, w h i c h is why it is o f interest to examine the specific configuration o f each connection and, above all, o f the system which links them, as it is their connection w h i c h permits the continuity o f societies and may provide a guide to the foundations o f the social structure.
References Baena del Alcâzar, M., 1999. Elites y conjuntos de poder en Espana (1939-1992): Un estudio cuantitativo sobre parlementa, gobiemo y administración y gran empresa. Madrid: Tecnos. Bottomore, T. Β1964.
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IV. Institutionenbildung durch Recht
Institution und Recht Von Gerd Roellecke, Mannheim/Karlsruhe
Manche politischen Grundbegriffe dürften die gesellschaftliche Entwicklung gerade dadurch gefördert haben, daß sie nie wirklich geklärt wurden. Ein bekanntes Beispiel ist „Stand", das im Alten Reich unter anderem „Geburtsstand" (ζ. B. Adel) oder „Sitz im Reichstag" (Reichsstand) bedeuten konnte und mit dieser Doppelbedeutung Anpassungen der ständischen Ordnung erleichterte. Heute scheint „Institution" diese Rolle übernommen zu haben. Das Wort meint „dauerhaftes soziales Gebilde" 1 , immerhin etwas weniger als Sozialität überhaupt. In solchen Fällen empfiehlt sich ein kurzer Blick in die Begriffsgeschichte. 2 „Instituere" bedeutet „einsetzen", „einrichten". Deshalb hatte der römische Jurist Gaius sein Kurzlehrbuch für Studienanfänger „Institutionen" genannt (160 n. C.). Er wollte ihre Köpfe „einrichten". Von ihm hat Kaiser Justinian den Titel für den ersten Teil seines Corpus Iuris Civilis übernommen, der zugleich Lehrbuch und Gesetz war: die Institutionen (533 n. C.). 3 Das Corpus Iuris wurde um 1000 n. C. wiederentdeckt, galt schnell als geschriebene Vernunft, war in Deutschland bis zum Erlaß des BGB geltendes Recht und prägt das europäische Rechtsdenken bis heute.4 Im 19. Jahrhundert begann man, grundlegende Rechtsfiguren wie die Ehe oder den Kauf je nach Gewicht „Rechtsinstitute" zu nennen.5 Vorherrschend wurde freilich ein Positivismus, der weniger danach fragte, ob eine Norm „richtig" war, und mehr danach, ob sie „paßte". Die kulturelle Si-
1 H. Schelsky, Vorwort, in: H. Schelsky (Hrsg.), Zur Theorie der Institution, Düsseldorf 1970, S. 8. 2 Ebenso knapper wie instruktiver Überblick bei H. Hofmann, Zum juristischen Begriff der Institution, in: ders., Recht - Politik - Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie, Frankfurt a. M. 1986, S. 206-211. 3 Vgl. Constitutio 'Imperatoriam' § 6. 4 Näher R. Zimmermann, Europa und das römische Recht, AcP 202 (2002), S. 243316. 5 So noch beispielsweise G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., 6. Neudruck, Darmstadt 1959, S. 42 ff.
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cherheit 6, die diesem Positivismus zugrunde lag, wurde durch den Ersten Weltkrieg tief erschüttert. Jetzt bekam „Institut" einen anderen Sinn, der zwar an die Bedeutung „dogmatischer Kern eines Normenkomplexes" anknüpfte, ihm aber so etwas wie Unberührbarkeit und Unveränderlichkeit zusprach.
I. Die Normativität des Eingerichteten (Dogmatik) Den Anfang machte Martin Wolff mit seinem bekannten Aufsatz „Reichsverfassung und Eigentum" 7 , der die Eigentumsgarantie des Art. 153 Abs. 1 Satz 1 W V in zwei Richtungen ausdehnte, einmal durch eine Ausweitung des Enteignungsbegriffes und zum anderen durch „die Zusicherung, daß das Privateigentum als Rechtsinstitut erhalten bleibt". Politisch richtete sich dieser Satz gegen die marxistische Abschaffung des Privateigentums: „Art. 153 ... betont, gegenüber linksradikalen Ideen, daß an den körperlichen Sachgütern ein Privatrecht möglich bleiben soll, das den Namen Eigentum verdient, bei dem also Beschränkungen des Herrschaftsbeliebens Ausnahmen sind". 8 Für Wolff bedeutete Institutsgarantie also: Bindung des Gesetzgebers, wenn man bedenkt, daß 1923 ein Rätesystem eine reale politische Gefahr war, sogar: Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers. In diesem Sinne erhielt „Institut" eine normative Kraft, die das 19. Jahrhundert nicht kannte. Woher die Kraft stammt, erklärt Wolff freilich nicht. Man könnte an das besondere Ansehen, an die alte Tradition oder an die Orientierungsfunktion des Eigentums denken. Aber Belege gibt es dafür keine. Wohl angeregt durch Wolff hat Carl Schmitt9 zwischen Institutsgarantien und institutionellen Garantien unterschieden. Institutionelle Garantien betreffen öffentlich-rechtliche Einrichtungen, Institutsgarantien privat-rechtliche. 10 Nur die Garantie öffentlich-rechtlicher Einrichtungen soll die Wirkung haben, die Martin Wolff der Eigentumsgarantie zugeschrieben hatte. Die Garantie privatrechtlicher Einrichtungen will Schmitt allem Anschein nach der Entscheidungs-
6 Vgl. Jellinek, Staatslehre (Anm. 5), S. 408: „Das ist das Resultat der gesamten Kulturentwicklung, daß im modernen Staat jeder Mensch, der irgendwie der Staatsgewalt Untertan ist, zugleich auch ihm gegenüber Person ist". 7 In: Festgabe der Berliner Juristischen Fakultät fur Wilhelm Kahl, Tübingen 1923, Neudruck Aalen 1981, S. 3-30. 8 Eigentum (Anm. 7), S. 6. 9 Carl Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung (1931), in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954, Berlin 1958, S. 140-173, bes. S. 160 ff. Dort auch ein Wolff- Zitat. 10 C. Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten (1932), in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze (Anm. 9), S. 181-231, bes. S. 213.
Wolff,
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befugnis des Gesetzgebers weiter öffnen. 11 Als Grund fur die Unterscheidung kann man sich „Souveränität" oder „Entscheidungsspielraum" vorstellen, die durch Private nicht eingeschränkt werden sollen. Bei Schmitt steht das nicht. Auch er sagt nicht, woher eine Einrichtung des Verfassungsrechtes - privatoder öffentlich-rechtlich - , die man „Institution" nennt, ihre normative Kraft bezieht, wenn nicht aus dem jederzeit änderbaren Verfassungsgesetz. Trotzdem wird die Schmittsche Unterscheidung bis heute tradiert, besser: mitgeschleppt. Die Begründungsmängel sind nicht nur nicht behoben, sie haben sich durch die Entwicklung der Grundrechtsdogmatik seit Erlaß des Grundgesetzes noch verschärft. 12 Wie verhalten sich die objektivrechtliche Seite oder die Schutz- und Teilhabewirkung der Grundrechte zu den entsprechenden Instituten oder Institutionen? Sofern man in der Literatur etwas darüber erfährt, sind die Auskünfte vage und eher feststellend als argumentativ. 13 Der neueste große Kommentar zum Grundgesetz 14 nennt „institutionelle Garantie" oder „Institutsgarantie" nicht einmal in den Sachverzeichnissen, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: mit Recht. „Institution" bedeutet nichts besonderes (mehr?), ist nur noch ein Name für bestimmte Normen oder Normenkomplexe, wie im 19. Jahrhundert. Das Wort drückt auch keine spezifische Würde (mehr?) aus. Das zeigt der Fall der Ehe, des klassischen Beispiels für eine Institution. In seinem ziemlich verständnislosen Urteil 1 5 zum „Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften" 16 meint das Bundesverfassungsgericht, die gesetzliche Anerkennung eheähnlicher Lebenspartnerschaften beeinträchtige die Ehe als Institution nicht. Das ist nur richtig, wenn man die Homo-Ehe nicht als böse Karikatur der bürgerlichen Ehe versteht, nicht als eine Partnerschaft, die lediglich der freien Entfaltung der beteiligten Persönlichkeiten dient ohne die Absicht, sich an der tatsächlich persönlich belastenden physischen Reproduktion der Gesellschaft zu beteiligen. Als
11 Vgl. C Schmitt, Verfassungslehre, 3. Aufl., Berlin 1957, S. 171 f.; speziell zum Eigentum: ders., Freiheitsrechte (Anm. 9), S. 160 ff. 12 Dazu überzeugend K. Waechter, Einrichtungsgarantien als dogmatische Fossilien, Die Verwaltung 29 (1996), S. 47-72. 13 Vgl. Β. Pieroth/B. Schlink,, Grundrechte. Staatsrecht II, 13. Aufl., Heidelberg 1997, Rn. 70 ff.; Ch. Starch , in: ν. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1,4. Aufl., München 1999, Art. 1 Rn. 171. 14 D. C. Umbach/Th. Clemens (Hrsg.), Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar, Heidelberg 2002. 15 Vom 17. Juli 2002, NJW 2002, S. 2543 ff., 2548, mit Kommentar von G. Roellecke, Kommen Kinder aus der Klinik?, NJW 2002, S. 2539 f. 16 Vom 16. Februar 2001, BGBl. I, S. 266. Dazu treffend P. Kirchhof, Die Familie als Bürgergesellschaft, in: E. J. M. Kroker/B. Dechamps (Hrsg.), Bürgergesellschaft. Was hält unsere Gesellschaft zusammen?, Frankfurt a. M. 2002, S. 15-27, 26.
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Karikatur beschädigt die Homo-Ehe natürlich den Ruf, das Ansehen, die Orientierungsfunktion und die Belastbarkeit der Ehe, eben das Institutionelle. Aber darauf kommt es offenbar nicht mehr an. Kay Waechter 17 hat inzwischen gezeigt, daß auch Einrichtungsgarantien zu überflüssigen dogmatischen Konstruktionen geworden sind. Die Probleme, die sie lösen sollten, könnten heute mit den üblichen Mitteln der Verfassungsdogmatik genauer und besser gelöst werden. Waechter schlägt daher vor, auf die mit „Einrichtungsgarantie" gemeinte Argumentationsfigur ganz zu verzichten. Ob sich dieser Vorschlag durchsetzt, ist allerdings fraglich. Schon in den Kolloquien „Zur Theorie der Institution", die Helmut Schelsky18 Ende der sechziger Jahre in Münster und Rheda veranstaltet hat, sind scharfe Kritiker des „Institutionalismus" aufgetreten und haben gefragt: Was sollen Institutionen neben dem Recht?
I I . Das Objektive am Recht (Theorie) Diese Grundfrage hat zuerst der französische Staatsrechtler Maurice Hauriou (1856-1929) 19 aufgegriffen. Hauriou 20 sah zu seiner Zeit zwei rechtsphilosophische Richtungen am Werk: den Subjektivismus und den Objektivismus. Er verwirft die beiden Richtungen nicht schlechthin, meint aber, sie würden mit der Kontinuität des Rechtes nicht fertig. Der Subjektivismus hebe allein auf den Willen eines Subjektes ab und könne deshalb weder das Phänomen des Gewohnheitsrechtes noch die historische Dauer des Rechtes erklären. Der Objektivismus behaupte, die Rechtsnorm gelte aus sich heraus und präge die sozialen Verhältnisse. Diese Richtung könne die unbestreitbaren „Neugründungen" nicht verständlich machen. „Das eine [Konzept] hat die bewegende Kraft als Dauer aufgefaßt, das andere hat die Dauer als bewegende Kraft aufgefaßt". 21 Dauer und Bewegung finden ihre Einheit in der Gesellschaft. Hauriou geht es also nicht um die Frage, wie das Recht die Gesellschaft „steuert", auch nicht um die Rechtfertigung des Rechtes, sondern darum, wie das Recht in der Gesellschaft verwurzelt ist. Sein Problem ist nicht irgendeine abstrakte Vernünftigkeit oder Richtigkeit des Rechtes - genau genommen zeigt er, daß die deutsche Richtigkeitsfrage die Gesellschaft ausblendet und sich damit selbst vergleichgültigt - , sein Problem ist die Anpassung des Rechtes an die Gesellschaft und ihren Wan-
17
Waechter, Einrichtungsgarantien (Anm. 12), S. 72. Schelsky (Hrsg.), Institutionen (Anm. 1) und darin die Beiträge von J. Taubes (S. 67), E. WolfiS. 77) und H. Steiger (S. 91). 19 Zu Hauriou: R. Schnur, Einfuhrung, in: M. Hauriou, Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze, hrsg. von R. Schnur, Berlin 1965, S. 11 ff. 20 Die Theorie der Institution und der Gründung, in: Hauriou, Theorie (Anm. 19), S. 27 f f , 30, 32 f. 21 Theorie der Institution (Anm. 20), S. 33. 18
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del. Ein Recht, das der Gesellschaft entspricht, kann man natürlich legitim oder richtig nennen. Insofern war Hauriou auch Rechtsphilosoph. Sein eigentliches Anliegen war aber die Beschreibung des Rechtes, die Rechtstheorie. Für ihn hat die Gesellschaft - was immer das ist - den Vorrang vor dem Recht. Deshalb ist das Recht an der Gesellschaft zu messen, nicht die Gesellschaft am Recht, eine Einsicht, die heute durch die Globalisierung immer unabweislicher wird. Verwurzelt sei das Recht durch Institutionen. „Eine Institution ist eine Idee vom Werk oder vom Unternehmen, die in einem sozialen Milieu Verwirklichung und Rechtsbeistand findet". 22 Institutionen in diesem Sinne sind Fußballvereine, Wirtschaftsunternehmen, Universitäten und schließlich der Staat. Auf den Zweck oder die Funktion der Einrichtung kommt es aber nicht an, sondern auf ihre Idee, auf ihre „Philosophie" könnten Manager heute sagen. Deshalb ist der Fußballverein das beste Beispiel fur eine Institution. Er hat keinen Zweck und dient nur der Zeitvernichtung. „Die Idee des zu schaffenden Werkes ... (idée directrice de l'entreprise)" 23 ist das Fußballspiel, aber nicht einfach als Straßengekicke, sondern in ständigem sportlichem Wettbewerb. Damit wird Recht erforderlich. Das Recht bleibt jedoch im Vergleich zum Fußballspiel uninteressante Nebensache, solange es nicht zum Streit kommt. Hauriou schließt mit den Sätzen: „Das eigentlich objektive Element des Rechtssystems ist... die Institution. Zwar enthält sie auch einen subjektiven Kern, der sich in der Erscheinung der Personifizierung entwickelt. Aber das objektive Element besteht in dem corpus der Institution, und dieser corpus allein, mit seiner Leitidee und seiner organisierten Macht, ist in rechtlicher Beziehung der Rechtsnorm weit überlegen. Es sind die Institutionen, welche die Rechtsnormen schaffen, aber nicht die Rechtsnormen, welche die Institutionen schaffen". 24 Eine Darstellung von beeindruckender Klarheit. Aber die letzten Sätze haben schwerwiegende Mißverständnisse hervorgerufen. Gewiß, die Institutionen schaffen die Rechtsnormen, nicht umgekehrt. Wie aber, wenn man die Rechtsnormen als Institutionen verstehen müßte?25 Warum sollte nicht die Idee der Gerechtigkeit die Menschen zum großen Werk des positiven Rechtes beflügeln? Oder zu Amnesty International? Freilich, dann würden die Rechtsnormen als Institutionen die Rechtsnormen - als was?, als solche? - schaffen. Wenn Rechtsnormen Institutionen sein können, verschwindet die Unterscheidung zwischen Rechtsnormen und Institutionen. Die Institution, die das Recht doch mit
22
Theorie der Institution (Anm. 20), S. 34. Theorie der Institution (Anm. 20), S. 36. 24 Theorie der Institution (Anm. 20), S. 65. 25 So P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 3. Aufl., Heidelberg 1982, S. 104 ff. Dazu die berechtigte Kritik von H. Steiger, Institutionalisierung der Freiheit? Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes im Bereich der Grundrechte, in: Schelsky (Hrsg.), Institutionen (Anm. 1), S. 91-125, 106 ff. 23
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Blut und Leben erfüllen sollte, verdorrt wie die Rechtsnorm. Damit bricht die Argumentation Haurious vollständig zusammen. Subjektivismus und Objektivismus sind nur angeschlagen, nicht ausgezählt. Man kann den Irrtum, dem Hauriou erlegen ist, auch genau markieren. Er hat übersehen, daß seine Kritik an der Ungeschichtlichkeit von Subjektivisumus und Objektivismus auch deren Einheit trifft: die individuelle Person. Gleichwohl hat er angenommen, die individuelle Person könne der „Idee des zu schaffenden Werkes" Dauer verleihen. Das Individuum ist aber gerade das Problem. Es hebt Geschichte und Dauer in seiner Subjektivität auf. Deshalb scheinen Institutionen, wenn sie das Recht stabilisieren sollen, nicht im Individuum, sondern im Menschen verankert werden zu müssen.
I I I . Die Kompensation eines Mangels (Philosophie) Genau das hat Arnold Gehlen versucht. Unter dem Titel „Urmensch und Spätkultur" 26 hat er „eine Philosophie der Institutionen - einschließlich der Frage ihrer Ursprünge und Primärformen" vorgelegt. Seme Grundfrage lautet: „Wie ist es einem instinktentbundenen, dabei aber antriebsüberschüssigen, umweltbefreiten und weltoffenen Wesen möglich, sein Dasein zu stabilisieren?" 27 Die Antwort: Das menschliche Wesen muß seine fehlenden Instinkte substituieren, seine Antriebe kontrollieren und seine Umwelt ordnen. Sonst kann es nicht überleben. Da ihm die Natur nicht sagt, wie das geschehen kann, muß es sich verhalten wie jemand, der sich im tiefen Wald verlaufen hat. Es muß an irgendeiner Stelle einen möglichst weit sichtbaren Stab in den Boden stecken. Dann weiß das Wesen wenigstens, daß es dort schon einmal war, wenn es im Kreise läuft. Eine solche Orientierung an selbst gesetzten Zeichen setzt freilich eine Distanz zu sich selbst voraus, die sich auch erst entwickeln muß. Die Distanz zu sich selbst erklärt Gehlen unter anderem mit dem Bemühen des Menschen, die Befriedigung seiner Bedürfnisse durch den Einsatz von Werkzeugen zu verbessern und die Werkzeuge zu optimieren. Diese Bemühungen verlangen immer abstraktere Abstraktionen bis sich schließlich die Abstraktionen zu etwas verselbständigen, das Hauriou eine Idee genannt hat. Die Ideen erschließen die Möglichkeit der Arbeitsteilung, und die Arbeitsteilung entfernt das Produzieren von der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung. Der Arbeitsprozeß verselbständigt sich. Er wird gleichsam entpersonalisiert. Deshalb können Einzelne in ihn eintreten und sich ihm anpassen. Hat der Prozeß die Einzelnen integriert, kommen sie nicht mehr von ihm los. Die Prozesse steuern und orien-
26 27
A. Gehlen, Urmensch und Spätkultur, Bonn 1956, S. 9. Urmensch (Anm. 26), S. 47.
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tieren ihn zugleich. „Vom Staat und vom Recht gilt dasselbe". Das ist die Wirkung von Institutionen: Sie sichern die Existenz des Menschen.28 Gehlens Institutionenlehre galt seinerzeit als Sensation.29 Daß die Befriedigung individueller, existenzieller Bedürfnisse durch Arbeitsteilung zur Kultur gesteigert werden kann und wird, hatten zwar schon Hegel 30 und Marx 31 gelehrt. Aber die Tradition hatte die Bedürfnisbefriedigung immer vom Einzelnen aus, und das bedeutete: als Last gesehen. Hegel meinte, der Mensch könne sich durch Arbeit davon entlasten, Marx erklärte, der Mensch müsse sich durch Revolution davon befreien. Gehlen beobachtet die Bedürfnisbefriedigung nicht vom Standpunkt des Einzelnen, sondern vom Standpunkt der Gesellschaft aus. Deshalb versteht er sie nicht als Last und ihre Folgen nicht als Entfremdung, Ausbeutung oder Ungerechtigkeit, sondern schlicht als Konsequenzen der individuellen und kollektiven Selbsterhaltung. Das Streben nach Selbsterhaltung konnte er natürlich nicht mehr begründen. Selbsterhaltung ist keine philosophische, sondern eine religiöse Frage. Aber wenn der Mensch weiter- und überleben will, meint Gehlen, muß er Institutionen bilden und ihnen gehorchen. Die politischen Einwände gegen Gehlens Darstellung liegen auf der Hand. Wenn auch Recht und Staat Institutionen sind, dann berühren alle Rechtswidrigkeiten und Widerstandshandlungen die Existenz der Menschheit, werden zur Gemeingefahr und dann wird wichtig, wer entscheidet. Gehlen läßt das offen. Auch wir wollen an dieser Stelle nicht weiter bohren und ihm nur in einem Beispiel für die Wirkung von Institutionen nachdrücklich beipflichten, weil es einen bemerkenswerten Unterschied zu Hauriou zeigt: Die Ehe ist nicht eine Folge der Liebe, sondern die Liebe ist eine Folge der Ehe. 32 Die theoretischen Einwände wiegen auch schwerer. Man wird zwar nicht bestreiten können, daß der Mensch in einer von ihm selbst geschaffenen, künstlichen Welt lebt und daß es schrecklich wäre, bräche diese Welt zusammen. Nur, was wäre dann? Sehr viele Menschen müßten sehr viel früher sterben, gewiß. Aber stürben die Menschen aus? Kaum. Für das Leben einiger Millionen Primaten reichte die Natur der Erde völlig aus, hat sie ja auch ausgereicht. Vielleicht könnten die Menschen allein in tropischen oder subtropischen Zonen leben. Das sind jedoch Fragen, die sich Gehlen hätte stellen müssen. Der äußert
28
Vgl. Gehlen, Urmensch (Anm. 26), bes. S. 11 ff. (Werkzeuge), und S. 40 (Arbeitszusammenhang). 29 Vgl. H. Schelsky, Zur soziologischen Theorie der Institution, in: Schelsky (Hrsg.), Institutionen (Anm. 1), S. 9-26, 22. 30 Grundlinien der Philosophie des Rechtes, §§ 190 ff., in: G. W. F. Hegel, Werke in zwanzig Bänden (Suhrkamp), Bd. 7, Frankfurt a. M. 1970, S. 347 ff. 31 K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie, zitiert nach H.-J. Lieber/P. Furth (Hrsg.), Karl Marx, Frühe Schriften, 2. Bd., Darmstadt 1971, S. 16 ff. 32 Vgl. Gehlen, Urmensch (Anm. 26), S. 75, 284.
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sich indessen nicht zur natürlichen Welt des Menschen, genauer, lediglich negativ: , Anthropologisch muß man sich darüber klar sein, daß es eine vorkulturell faßbare menschliche Natur überhaupt nicht gibt". 33 Damit bleibt auch die künstliche Welt unbestimmt. Eigentlich kann man nur sagen: Der Mensch könnte nicht so leben, wie er lebt, wenn er die Gesellschaft nicht so gemacht hätte, wie sie ist. Geriete zum Beispiel das Wissen über die moderne Medizin in Vergessenheit, senkte sich die durchschnittliche Lebenserwartung des Menschen schnell um 20 bis 30 Jahre. Diese Trivialität ist freilich nicht gemeint. Medizinisches Wissen ist instrumentelles Wissen, und instrumentalisieren soll man Institutionen gerade nicht können, weil sie einen „Selbstwert im Dasein" 34 haben. Aber erstens stimmt das historisch nicht. Die Instrumentalisierung und Entheiligung der Ehe beispielsweise wurde offenbar mit dem gutgemeinten Art. 119 Abs. 1 W V : „ D i e Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung". Zweitens verschwindet der „Selbstwert im Dasein" in dem Augenblick, in dem man ihn sieht. Denn dann wird das Dasein zum Gegenüber, von dem man sich distanzieren kann, und verliert seinen Selbstwert. Drittens schließlich können Institutionen wuchern, verfallen oder einander widersprechen. Was wird dann aus dem Menschen? Gibt es eine Institution über den Institutionen? Wir werden sehen, daß diese Frage nicht abwegig ist. Gehlen beantwortet sie nicht, bemerkt aber: „Kulturen entarten immer von innen heraus, sie verfaulen an ihrer eigenen Fruchtbarkeit, und so hat jede ihre eigene unvoraussehbare Verfallsform". 35 Dem muß man beipflichten. Aber wie verhält sich Kultur zu Institutionen und zum Menschen? Ist Kultur mehr oder anderes als die Summe aller Institutionen? Wenn Kultur die Summe aller Institutionen ist und verfallen kann, sind es dann noch die Institutionen, die das Überleben des Menschen ermöglichen? Ginge es nur um anthropologische Wahrscheinlichkeiten, könnte man diese Frage vielleicht mit einigen Vorbehalten bejahen. Es geht indessen um Philosophie, um die Konstruktion eines konsistenten Weltbildes. Und philosophisch läßt es die Unterscheidung zwischen Kultur und Institutionen nicht mehr zu, das Überleben der biologischen Art Homo sapiens mit der Schöpfung von Institutionen zu erklären.
33
Gehlen, Urmensch (Anm. 26), S. 118. Naturwissenschaftlich arbeitende Anthropologen würden das übrigens nicht sagen. Sie beschäftigen sich mit den Menschenaffen, wenn sie Genaueres über die Natürlichkeit des Menschen erfahren wollen; vgl. Ch. Vogel, Trends der Primatenentwicklung, in: ders, Anthropologische Spuren. Zur Natur des Menschen, hrsg. von V. Sommer, Stuttgart 2000, S. 18. 34 Gehlen, Urmensch (Anm. 26), S. 36 und durchgehend. 35 Gehlen, Urmensch (Anm. 26), S. 119.
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IV. Aufweiche Frage antwortet „Institution46? Die Kritik an der philosophischen Deutung von Institutionen erlaubt es immerhin, die grundlegenden Gesichtspunkte zu nennen, mit denen man Institutionen nicht erklären kann: -
Die Natur des Menschen setzt zu hoch an. Sie erklärt zu vieles, möglicherweise auch Institutionen, aber nicht in ihrer Eigenart.
-
Die Kultur als künstliche Welt ist der Gegenbegriff zur Natur und daher gleichfalls zu hoch aggregiert. Man muß zwischen Kultur und Institutionen unterscheiden. 36
-
Das Recht schlechthin, weil gerade der Sinn von Institutionen für das Recht geklärt werden soll. Das geht nicht, ohne zwischen beiden zu unterscheiden.
Wenn man die Bedeutung von Institutionen für das Recht feststellen will, muß man sich allerdings auf den Standpunkt des Rechtes stellen. Eigentlich müßte die Untersuchungsfrage lauten: Was würde dem Recht fehlen, wenn es keine Institutionen gäbe? Da wir aber (noch) nicht wissen, was Institutionen sind oder wie sie funktionieren, können wir auch nicht sagen, was dem Recht fehlte, gäbe es keine Institutionen. Vielmehr ist zu prüfen, ob es im Recht ein Problem gibt, das mit Institutionen gelöst wird. Was ist die Frage, auf die „Institution" die Antwort ist? Diese Frage zu finden, ist nicht einfach. Recht hat scheinbar keinen Platz für Institutionen. Es gilt, funktioniert also. Es ist autonom und der Idee nach lückenlos. Wie sich aus dem Rechtsverweigerungsverbot an die Gerichte ergibt, kann das Recht alle Fälle entscheiden, die an es herangetragen werden. Sonst könnte es auch nicht den allgemeinen Frieden sichern. Schließlich gilt das Recht universal, das heißt, es ist auf die Entscheidung aller Fälle eingerichtet, auch solcher, die noch niemand kennt. Sonst könnten die Gerichte nicht dem Rechtsverweigerungsverbot gehorchen. A u f der anderen Seite bescheren gerade seine Autonomie und seine Universalität dem Recht mindestens drei Probleme: -
Die Anpassung an sich selbst. Recht entwickelt sich, und diese Entwicklung muß stabilisiert werden.
-
Recht muß sich an die Gesellschaft anschließen und sich durchsetzen, also auf Nichtrecht reagieren.
-
Recht ist auf die Gesellschaft angewiesen. Es kostet. Richter müssen bezahlt, Bibliotheken gepflegt und Gebäude unterhalten werden. 37 Wie gelingt das, ohne daß sich das Recht selbst untreu wird?
36 Problematisch daher W Lipp, Art. Institution, EvStL, 3. Aufl., Stuttgart 1987, 1. Bd., Sp. 1344 ff.
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Die Vertreter eines institutionalistischen Rechtspositivismus38 verstehen diese Probleme als Kluft zwischen Realität und Normativität, die sie mit „Institutionen" schließen oder wenigstens überbrücken wollen. Dabei verstehen sie unter „Institution" ungefähr das, was man in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert „Rechtsinstitut" nennt, den dogmatischen Kern eines Normenkomplexes. Nur sprechen sie ihm normative Kraft zu und unterscheiden zwischen institutiven (einrichtenden, bestimmenden), konsequentiellen (folgernden) und terminativen (beendenden) Regeln. 39 Daß die Beendigung rechtlich geordneter Verhältnisse theoretisch bedacht werden muß, ist in der Tat ein herausragend wichtiger Gesichtspunkt, den die anderen Institutionenlehren, soweit ersichtlich, nicht systematisch berücksichtigen. Er ist auch der Grund, aus dem Niklas Luhmann 40 den Institutionalistischen Rechtspositivismus unter dem Titel »juristische Argumentation" diskutiert und ihn als Versuch verstanden hat, juristische Begründungen rechtsimmanent zu beschränken. Das ist natürlich richtig, trifft aber die normativen Intentionen der Institutionalisten nicht ganz. Die Institutionalisten wollen weit mehr, nämlich eine Schwäche des Rechtsposititivismus beheben. Luhmann hat aber auf ein Phänomen aufmerksam gemacht, das in der Tat der archimedische Punkt für die Klärung des Verhältnisses zwischen Institution und Recht sein könnte.
V. Institutionen als Religionsersatz und ihre Bewertung Luhmann hält die Begründung juristischer Entscheidungen, also die Juristische Methode", mit Recht für ein Urproblem der Rechtstheorie, weil sie aus sich heraus weder das „Wie" von Begründungen regulieren, noch ihre Grenzen bestimmen kann. Jeder Grund bedarf wieder der Begründung. „Das Prinzip der modernen Welt fordert", schreibt Hegel 41 , „daß, was jeder anerkennen soll, sich ihm als ein Berechtigtes zeige". Schon wegen der Notwendigkeit einer Entscheidung lassen sich Begründungen aber nicht ins Unendliche fortführen. Irgendwann müssen sie abgebrochen werden. Der Abbruch ist das Problem. Um es zu lösen, habe man bis zum Beginn der Neuzeit auf die Weisheit und den 37 Dazu instruktiv H. Schulze-Fielitz (Hrsg.), Justiz und Justizverwaltung zwischen Ökonomisierungsdruck und Unabhängigkeit, in: Die Verwaltung, Beiheft 5, Berlin 2002. Der Band dokumentiert vor allem, daß das Rechtssystem die Frage seiner Kosten am liebsten verdrängt. 38 Vor allem N. MacCormickJO. Weinberger, Grundlagen des Institutionalistischen Rechtspositivismus, Berlin 1985; darin besonders Weinberger, Einleitung: Ausgangspunkte des Institutionalistischen Rechtspositivismus, S. 11-56, 12 ff. 39 Im einzelnen N. MacCormick, Das Recht als institutionelle Tatsache, in: MacCormick/Weinberger, Grundlagen (Anm. 38), S. 76-107, 80 ff. 40 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1993, S. 355. 41 Rechtsphilosophie (Anm. 30), § 317 Zusatz, S. 485.
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Willen Gottes zurückgegriffen. Heute versuche man, Ähnliches mit dem Begriff der Institution zu erreichen. 42 Auf Einzelheiten kommt es nicht an. Der Gedanke, Religion und Institution als gleichwertige Lösungen für ein Grundproblem des Rechtes betrachten, besticht, obwohl der a-, ja, antireligiöse Impetus der Institutionenlehre nicht zu übersehen ist. Aber mit Gott haben die Institutionen gemeinsam, daß sie nicht unmittelbar geschaut, sondern nur aus ihren Folgen erschlossen werden können. Deshalb ist die gegenseitige Substituierbarkeit plausibel. Genaueren Aufschluß über die Äquivalenz erhält man freilich nur, wenn man - soziologisch, nicht theologisch - klärt, warum die Religion Einschränkungen der juristischen Begründung erklären konnte. Religion ist das gesellschaftliche Subsystem, das grundsätzlich zwischen Immanenz und Transzendenz unterscheidet, weil es die Funktion hat, noch dem eine Form zu geben, was jenseits der Grenzen unseres Denkens liegt. 43 Diese Funktion ist unabweislich zu erfüllen. Die Grenzen sind sieht- und spürbar. Man denke an existenzielle Situationen wie Geburt, Fortpflanzung und Tod. Wenn man nach dem „Warum" der Fortpflanzung fragt, kann man leicht dazu kommen, sie zu unterlassen. Deshalb zwingen Grenzen - nicht im individuellen, sondern - im gesellschaftlichen zu der Frage, was hinter ihnen liegt. Diese Frage muß ebenso beruhigt werden, wie immerwährender Streit (Recht) oder die Vorsorge gegen existenzielle Not (Wirtschaft). Die Jenseitsfrage kann hinter jedem Diesseits auftauchen, auch hinter dem Recht. Nur deshalb ließ sich das Recht religiös rechtfertigen. Historisch gesehen war das natürlich. Künstlich und unnatürlich war, Religion und Recht zu entkoppeln. Es war denn auch nicht das Recht, das auf religiöse Rechtfertigung verzichtet hat. Das wäre viel zu gefährlich gewesen. Recht und Politik haben sich sogar zunächst gegen ihre religiöse Delegitimation gewehrt. 44 Es war die Religion, die sich schließlich der Rechtfertigung des Rechtes und der Politik verweigert hat. Die Entkoppelung begann mit der Unterscheidung zwischen Spiritualien und Temporalien, die den Investiturstreit im Wormser Konkordat von 1122 beigelegt hat. Sie kulminierte in der Zwei-Reiche-Lehre Martin Luthers 45. Und sie wurde auf Dauer gestellt mit dem Augsburgischen Religionsfrieden von 1555.46 Von da an mußte im Recht nach einem Ersatz für die Religion gesucht werden. Man fand ihn zunächst im Naturrecht, genauer: in einem normativen Begriff von Natur, bis die
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Luhmann, Recht (Anm. 40), S. 355, 377. Vgl. N. Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 2000, S. 141. 44 Dazu H. Dreier, Kanonistik und Konfessionalisierung - Marksteine auf dem Weg zum Staat, JZ 2002 S. 1-13, zur historischen Einordnung S. 11. 45 Dazu den Sammelband von H.-H. Schrey (Hrsg.), Reich Gottes und Welt. Die Lehre Luthers von den zwei Reichen, Darmstadt 1969. 46 Im einzelnen G. Roellecke, Ende der christlichen Identität der europäischen Gesellschaften?, in: Kroker/Dechamps, Bürgergesellschaft (Anm. 16), S. 93-105, 102 ff. 43
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Naturwissenschaften diesen Begriff diskreditierten. Die weitere Entwicklung wurde eingangs skizziert. Bis zum Ersten Weltkrieg wurden die großen Institutionen - Ehe, Kirche, Staat - noch kraft des Gewichtes ihrer Traditionen anerkannt. Dann zerstörte der Krieg die traditionelle Ordnung in Europa, nicht nur in Deutschland und Österreich, und zwang die Gesellschaft zu einer genaueren Orientierung an Funktionen. Dadurch wurde sichtbar, daß Recht nichts als Recht, Politik nichts als Politik und Wirtschaft nichts als Wirtschaft ist, daß also die großen Funktionssysteme mit ihren Grenzproblemen allein waren. Besonders der wertbezogenen Überhöhung des Staates ging die Luft aus. Der Sozialstaat instrumentalisierte und trivialisierte den Staat als Hüter von Recht und Freiheit mit erheblichen Folgen für die Opferbereitschaft seiner Bürger. Für Recht und Freiheit kann man sterben, für Umverteilung nicht. Es ist daher kein Zufall, daß der Institutionalismus im Sinne der Beschwörung normativer Kräfte ausgerechnet in dem Augenblick aufkam, in dem die großen Institutionen in Europa zerfielen. Erst wenn die verpflichtende Kraft sachlicher Gründe nicht mehr ausreicht, muß man abstrakte Normativität behaupten. A m deutlichsten zeigt das der Fall der evangelischen Theologie, die eigentlich nicht hätte verstehen dürfen, was mit „Institution" gemeint war. Denn sie kannte den Ursprung aller Normativität: Gottes Wort. „Es ist uns übrig genug in der Bibel geschrieben, wie wir uns in allen Dingen verhalten sollen", meinte Martin Luther 47 . Aber die „diesseitige" Seite der Offenbarung, das heißt, ihre Bindung an einen historischen Ausgangspunkt, verlangte Anpassungen, sei es der Auslegung, sei es der Gesellschaft, die das Wort Gottes zum Gegenstand der distanzierten Beobachtung machen mußten und deshalb nicht mehr mit ihm begründet werden konnten. Trutz Rendtorff 48 hat bewegend dargestellt, wie der Widerspruch zwischen der Ewigkeit des Wortes und der Zeitlichkeit dieser Welt dazu zwingt, die Regeneration des Glaubens unabhängig vom Glauben zu sichern: durch Institutionen, selbstverständlich im Namen des Glaubens, wie Rendtorff unablässig versichert. Paradigma ist die religiöse Kindererziehung. Das Ergebnis irritiert indessen. Wenn Religion zwischen Diesseits und Jenseits unterscheidet, gehören Institutionen dann zum Diesseits oder zum Jenseits? Zum Diesseits natürlich. Aber als was? Als Stützen des Glaubens? Geht das, wenn das Diesseits erlöst werden muß? Kommen die Institutionen dem Wort entgegen? Hat das Wort das nötig? Oder verdirbt es das Wort? Sind Institutionen deshalb nicht möglicherweise - des Teufels?
47 An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (1520), zitiert nach der Reclam-Ausgabe, hrsg. von E. Kähler, Stuttgart 1962, S. 93. 48 Das Problem der Institution in der neueren Christentumsgeschichte, in: Schelsky, Institutionen (Anm. 1), S. 141-153, 149.
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Entsprechend kann man für das Recht überlegen. Wenn die Grundunterscheidung des Rechtes die zwischen Recht und Unrecht ist, werden Institutionen selbstverständlich dem Recht zugeordnet. Institutionen sind immer positiv besetzt, wie übrigens auch Gott. „Ungerechte Institutionen" ist ein Widerspruch in sich oder ein politischer Kampfbegriff. Aber wenn Institutionen immer auf der Seite des Rechtes stehen, was bedeutet das für die Normativität des Rechtes? Stützen Institutionen die Normativität oder zersetzen sie sie? Wahrscheinlich weder das eine noch das andere. Die Diskussion zeigt, daß „Institution" keine Inhalte hat, sondern eine Form ist. So hatte schon Gaius den Begriff aufgefaßt. Notwendig ist eine Form, damit ein Gegenstand beobachtet werden kann, wie der Fall der evangelischen Theologie belegt. Insofern markiert „Institution" nur den Standpunkt dessen, der Recht von außen beobachtet. Eine solche Markierung ist möglich. Ob sie auch zweckmäßig ist, hängt von den Alternativen ab. Im Recht wären Alternativen zum Beispiel „Souveränität" oder „Legitimation". Aber auch diese Begriffe verweisen auf Systemgrenzen. Deshalb kann man auch „Institution" sagen. Hinsichtlich dessen, was hinter den Grenzen liegt oder liegen könnte, wird anscheinend jede Beschreibung monoton.
The Transformations of Administrative Law from the 19 t h to the 21 s t Century By Sabino Cassese, Rom
I. Administrative law, public administration, the science of administrative law This article deals with administrative law and the transformations which have taken place within it: two apparently straightforward subjects which, in fact, require preliminary elucidation. First of all, it is difficult to distinguish administrative law from its objective (public administration) and from the way in which it is studied (the science of administrative law). Multiple reciprocal relations link these diverse elements. The structure of public administration affects the law that concerns it: i f the former is polycentric or fragmented, the latter replicates lower uniformity and unity. On the other hand, norms become known through interpretation, by means of logical reasoning. The science of law, in its turn, relies partly on pre-, vious scholarly acquisitions, so that traditional concepts, such as those of „public body" or „concession", serve the purpose of selecting and ordering the new legal material on which legal scholars base their research. The caveat above illustrates the difficulty of focusing exclusively on the transformations of administrative law and the need to take into account, collaterally, those concerning public administration and the legal science.1
I I . The idea of transformation in administrative law The idea of transformation in administrative law has an unwritten history and, in its own right, has undergone several transformations. In 1913, in a small but highly influential book, Léon Duguit pointed out the ongoing transformation „particulièrement profonde et active" of public law, a 1
Cf. S. Cassese, Le basi del diritto amministrativo, Milan 2000 (5 t h ed.), p. 23, and S. Cassese, Le trasformazioni del Γ organizzazione amministrativa, in: Rivista Trimestrale di Diritto Pubblico, p. 374.
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transformation leading to the „disparition du système impérialiste": „la notion du service public vient remplacer celle de souveraineté".2 Thereby, the notions of law, administrative action, administrative justice and State responsibility were also seen as changing.3 In the preface to the third edition of his textbook published in the year of his death (1923), Otto Mayer writes: „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht": „dies hat man anderwärts schon längst beobachtet".4 Thus, while according to one of the two founding fathers of French administrative law, this branch of law was undergoing a profound transformation in the second half of the 20 th century, a German fellow scholar argued that, during the third decade of the same century, constitutional law was evolving, while administrative law remained unchanged - a phenomenon, Mayer adds, that had also been long observed by others. These statements, both by eminent observers and yet so diverse, require contextualizing and historicizing. Duguit's writing dates from the year before the outbreak of the First World War and reflects the Franco-German hostility of the time. He emphasizes the shift of administrative law from the puissance publigue, originating in the German Herrschaft , to the service public, a typically French concept. Thus, an anti-authoritarian and nationalistic stance underpins Duguit's position. On the other hand, while recalling the tradition, Mayer's view echoes an inner rejection of the Weimar Republic, established a few years earlier, and to which the scholar from Strasbourg had remained extraneous.5 By stating in the preface to his textbook that, unlike the Constitution, administrative law does not change, Mayer insulated the latter from constitutional law, sheltered it from transformations, and advocated its immutability. These two standpoints, that of the transformation and that of stability, have reappeared at later stages, overlapping in different ways. In the second half of the 20 th century, Charles Eisenmann, a French scholar, highly influenced by Austrian culture and Kelsen, and the leader of the generation following that of Duguit and Hauriou, pointed out how the „immensité des transformations qu'a subies...le droit administratif 4 imposed a „nécessaire révolution doctrinale". 6 Along the same lines, the master of the third generation of Italian administrative 2
Cf. L. Duguit , Les transformations du droit public, Paris 1913, reprinted: La mémoire du droit, Paris 1999. 3 Duguit , Les transformations (note 2), pp. IX, X I X and passim. 4 Cf. Ο. Mayer , Deutsches Verwaltungsrecht, Berlin 1924 (3 r d ed.), p. II. 5 Cf. J. M. Woehrling , Otto Mayer, un acteur de la cooperation interculturelle juridique franco-allemande, in: La Revue Administrative 7, 1999, p. 24. 6 Cf. C Eisenmann, Cours de droit administratif (1951-52), Paris 1982,1, p. 142.
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lawyers, Massimo Severo Giannini, often referred to the „riforme di struttura" of the 1930s, and criticized fellow scholars for having let them go unnoticed.7 The opposite view is more diffused both because of the success of Mayer's statement and because of the durability of administrative laws, the stability and resilience of the fundamental doctrines of the jurisprudence, and the conservative action of the legal science, that had been influenced by the Pandektenwissenschaft and its belief in dogma and invariants. The observations above suggest the opportunity to historicize the very idea of the transformation of administrative law and to establish its rhetorical weight. This is not to deny that transformations have taken place, nor to understate the relativity and subjectivity of commentators. Rather, the idea of transformation in administrative law has become increasingly charged with values the importance of which has been emphasized by some authors and dismissed by others for various reasons, mainly ideological and cultural. Hence, a study of these transformations should not be presented in objectivistic terms; rather, it should be accompanied by an analysis of the ways in which transformations have been identified and evaluated, sometimes overestimated, often underestimated, or even allowed to go unnoticed.
I I I . „Unser Verwaltungsrecht ist ein junges Recht" A third preliminary clarification concerns the time period within which transformations are observed. Comparing a starting point with an end point is, in fact, necessary in order to weigh them. In the first half of the 19 th century, Alexis de Tocqueville observed that administrative law was „une science aussi nouvelle et encore aussi contestée".8 At the beginning of the 20 th century, Otto Mayer noted that „unser Verwaltungsrecht ist ein junges Recht".9 As for a starting point, i f it is true that in 1819 a course in administrative law was first held in a French university, the period between 1789 and 1870 is one of „gestation", with the discipline beginning to flourish only as of 1870.10 Thus,
7 Among his other writings, M.S. Giannini , Vita e opere di Guido Zanobini, in: Rivista Trimestrale di Diritto Pubblico, 1965, p. 15. 8 A. de Tocqueville , Rapport sur le livre de Macarel, Cours de droit administratif (1846), in: A. de Tocqueville, Œuvres complètes, IX, Études, économiques, politiques et littéraires, Paris 1866, p. 65. 9 Mayer , Deutsches Verwaltungsrecht (note 4), p. 18. 10 Cf. F. Burdeau , Histoire du droit administratif, Paris 1995, p. 27, who follows on the well known reconstruction by Hauriou.
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the main features of administrative law become established only in the last quarter of the 19 th century, alongside the development of nation states, the end of laissez-faire and the very early beginnings of the welfare state.11 The end point of the time period being observed lies between the last decades of the 20 t h century and the early years of the 21 st : a time when the French cultural area develops the idea of the „crise du droit administrative", 12 due to the slowness of administrative justice, the decaying notion of „service publique", and the division between law scholars and the jurisprudence, while the „neues Verwaltungsrecht" begins to become diffused in the German cultural area. 13 As we move on to examine the beginning and end points mentioned above, given that the developments of interest to the present analysis are not linear, the intermediate stages, accelerations, U-turns, slowing down and steps back will remain hidden.
IV. The original features What were the features of administrative law towards the end of the 19th century? 14 The first characteristic was that of nationality. Administrative law was closely tied to the state and the latter with the territory, that is a space of identity. Advocates of local autonomy had been defeated, and powers had been allocated according to the criterion of centralization, of which administrative law was the fundamental tool. 15 Secondly: „...le caractère dominant du droit administratif, c'est que l'intérêt public fait imposer à l'intérêt privé de nombreux sacrifices. Cela est dans la na11
This is according to the classic interpretation by A.V. Dicey , Diritto e opinione pubblica nell'Inghilterra dell'Ottocento (1905), Italian translation, Bologna 1997. 12 Burdeau , Histoire du droit administratif (note 10), p. 459, though Maurice Hauriou had already spoken of'crisis'. 13 R. Schmidt , Die Reform von Verwaltung und Verwaltungsrecht, in: VerwaltungsArchiv, 2000, p. 168. For a commentary on contemporary administrative law, see the special issues of the journals Actualité Juridique - Droit Administratif, 20 June 1995, and Pouvoirs 46, 1988. Cf. G. Marcou (ed.), Les mutations du droit de l'administration en Europe, Paris 1995. 14 The present article only deals with the main traits of administrative law. It does not examine its contents over more than a century: from State intervention in the economy to the welfare State, to privatization, liberalization, regulation and control over public finances. 15 Cf. C. Pavone (ed.), 900.1 tempi della Storia, Roma 1997, especially L. Paggi , Un secolo spezzato. La politica e le guerre, Roma 1997, p. 81.
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ture des choses" - so writes Aucoc, one of the earliest French scholars of administrative law. 16 Echoing Aucoc, Mayer locates the „bindende Kraft des Verwaltungsrechtssatzes" among the „Grundzüge der Verwaltungsordnung". 17 Thereby, the superiority of the public interest and the binding force of administrative decisions lead towards affirming the supremacy of public administration. The principle of legality developed against the background of the strength of administrative law mentioned above. Initially, it was argued, „all that belongs to the administration is only the subject of administrative regulation"; thus the legislator „must only take care of taxes and general civil laws". 18 Later, the view that the law „se contente de promulguer quelques principes fondamentaux, de conférer des pouvoirs généraux à l'administration et de l'armer de certains droits" was proposed, 19 and later still, the „Herrschaft des Gesetzes" was located among the „Grundzüge der Verwaltungsordnung". 20 The immediately following issue was how the powers conferred upon the administration might be exercised. In fact, as soon as parliaments became representative, they began to use the law as a tool to protect the citizen vis-à-vis public administration. The term „discretionality" was coined to indicate the „possibility of choosing among several solutions, all equally allowed under objective law". 21 Thus, the supremacy of public administration, the principle of legality, and discretionality are interlinked. The third feature is enshrined in the expression „régime administrative", which encompasses the „prérogatives de l'administration" (a term derived from ancient law in which „prerogative" indicated the powers of the sovereign), such as the police and other authoritative functions, which enable administrative powers to penetrate the sphere of civil rights based on the „privilège du préalable". 22 As the public administration was granted powers exceeding those of private citizens, administrative law was regarded as a „special law", different from civil law, born out of a fundamental disparity, unilateral and unique. This diversity led to the search for special kinds of ownership, contracts and responsibility 16 Cf. L. Aucoc, Conférences sur Γ administration et le droit administratif, Paris 1885 (3 r d ed.), p. 27. 17 Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht (note 4), p. 75. 18 Sic Napoléon, quoted in L. Mannari! Β. Sordi , Storia del diritto amministrativo, Bari 2001, p. 253. 19 Cf. A. F. Vivien , Études administratives, Paris 1859 (3 r d ed.), p. 19. 20 Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht (note 4), p. 65. 21 A. Merkl , Allgemeines Verwaltungsrecht, in: Mannari/Sordi, Storia del diritto amministrativo (note 18), p. 368. 22 Cf. M; Hariou , Précis de droit administratif, Paris 1933 (2 n d ed.), and Burdeau , Histoire du droit administratif (note 10), p. 123.
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specific to this branch of law, distinct and separate from civil law provisions. Thereby, administrative law escaped the jurisdiction of the thus-far dominant civil law, and constituted its own system of rules and principles in which a „heavier" law limited the law of contracts and consent. The dichotomy of administrative law versus civil law became established. Once hypostasized, the asserted speciality of administrative law, albeit grounded on a substantial basis of objective law, became generalized and produced distortions. It was said, for instance, that an employment contract with the state was established by means of an imperative act of appointment preceded by a voluntary act of submission by the employee. Fourthly , administrative law was, predominantly, government law. As part of the executive, public administration shared its fundamental traits - unity, centralization and uniformity - and reflected them on to administrative law. Fifthly , alongside the speciality of administrative law came that of administrative courts based on the separation between the executive and judiciary, the administration and the law. 23 Initially, at least in France, the „release from justice" was complete in that Art. 13, part I I of the law 16-24 August 1790, provided that „the judges may in no way disturb the activity of administrative corps"; similarly, civil servants were not subject to civil and criminal tribunals. 24 Later, although still not subject to the jurisdiction of the civil courts, the administration became subject to that of criminal courts as well as special judges. In the latter case, however, litigation would not be aimed at protecting the rights of individuals. Rather, it was pointed out, litigation before these special judges is objective and aims at pursuing justice in the interest of the administration. Thus, the plaintiff becomes an „activator": „.. .on distingue les recours qui tendent au rétablissement de la légalité générale, ou objective, et ceux qui, fondés sur un droit subjectif, tendent au rétablissement d'une situation personnelle méconnue. Dans ce dernier cas, le demandeur invoque son droit; dans le premier, il défend le Droit. Le recours pour excès de pouvoir est le type des recours objectifs, le recours de plein contentieux au sens strict, le type des recours subjectifs". 25
V. The current situation Moving on to the current situation, the following points overview transformations undergone by the five original features examined in this article. 23 24 25
Mannari/Sordi , Storia del diritto amministrativo (note 18), p. 279. Mannari/Sordi , Storia del diritto amministrativo (note 18), p. 257. Cf. J. Rivero/J. Waline , Droit administratif, Paris 1994 (15 th ed.), p. 182.
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Firstly , the State is no longer the anchor of administrative law. We are currently witnessing a crisis of the territoriality of the State and the Europeanization and internationalization of administrative law. The criterion of nationality withdraws, overall, in the face of the dominance acquired by the European Union in several fields, among which that of administrative law. The Europeanization of public administration is a complex phenomenon, which takes different forms: 26 the integration of national administrations with one another as well as with the supranational administration; the Community's conditioning of the activity of national independent regulatory authorities; the ending of the link traditionally tying nationality and fonction publique ; the Community's regulation of some of the main administrative subjects, such as contracts; the establishment of principles of Community law, including those of non discrimination and transparency; the Community-wide diffusion of principles derived from national administrative law, including, amongst others, that of proportionality. The Europeanization of national administrative law renders it instrumental to supranational law and determines a twofold dependency: on the state and on the European Union. Moreover, this phenomenon is accompanied by the emergence of a European administrative law, a development that was previously inconceivable, given the indissoluble tie between the state and administrative law. 27 In its turn, European administrative law is composed of two parts: one derives directly from the Community and comprises Community norms, principles, institutions, acts, procedures, and personnel, while the other, more complex, is born out of the shared legal traditions of the different national administrative laws. Because of the unitary Community law, links begin to be established among the latter, so that national administrative laws undergo a process of reciprocal interpénétration. Thus, top-down harmonization develops alongside reciprocal exchanges and even competition among legal systems.28 However, Europeanization is not the only factor affecting the link between national administrative law and the state in the European area. Equally important is the internationalization of states. In all branches of administrative law, from the police to environmental protection, to financial control, to commerce, some international organizations adopt standards or directives and exercise control.
26 S. Cassese, Le basi costituzionali, in S. Cassese (ed.) Trattato di diritto amministrativo, I, Milan 2000, p. 159. 27 E. Schmidt-Assmann, Allgemeines Verwaltungsrecht in europäischer Perspektive, in: Zeitschrift für öffentliches Recht, 2000, p. 159. 28 S. Cassese, L'arena pubblica. Nuovi paradigmi per lo Stato, in: Rivista Trimestrale di Diritto Pubblico, 2001, p. 601.
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To conclude, the previously exclusive tie between administrative law and the state has been replaced by a plurality of links with diverse legal systems.29 Secondly , the supremacy of administrative law is eroded. At first, it ceases to be a permanent attribute of public administration and administrative law, and becomes a privilege that must be granted by the law on a case-by-case basis. Then, consensus and bilateral relations replace supremacy and unilateral action. Finally, the citizen is no longer subordinated; the law on administrative procedures, the „charter" of public services and, sometimes, even the Constitution enhance his rights vis-à-vis public administration. 30 The transformations described above, however, do not level out all the differences between administrative and civil law. Even within a consensual administration, there persists a fundamental asymmetry between administrative power and the citizens. The process of juridification is ongoing and takes two different forms. On the one hand, the „rule of law" reinforces the principle of legality, so that public administration is made subject to several normative levels (European, constitutional, national) and the law pervades the administration more deeply.31 On the other hand, the administration acts as a judge and its activity is made subject to ad hoc procedures; in its turn, the citizen enjoys the right to access the documents held by public administrations as well as the right to intervene in administrative procedures and to defend himself before administrative authorities. Thirdly , the difference between administrative law and civil law enters a stage of crisis because administrative law develops according to private law schemes.32 This phenomenon has been highlighted by law scholars who have pointed out „l'échec du critère unique" 33 and the „interaction between the two bodies of law". 3 4 It has, then, been studied by historians of administrative law, who refer to the „recul du régime administratif 4 determined by the diffusion of
29 S. Cassese, Crisi e trasformazioni del diritto amministrativo, in: Giornale di Diritto Amministrativo, 1996, p. 872. On the ensuing increased complexity of administrative law: F. Burdeau , La complexité n'est-elle pas inhérente au droit administratif?; and on administrative justice: R. Drago , La tenaille. Réflexions sur l'état du droit administratif, both in: Université de Paris II, Clefs pour le siècle, Paris 2000, respectively at pp. 417 and 436. 30 S. Cassese, Il cittadino e l'amministrazione pubblica, in: Rivista Trimestrale di Diritto Pubblico, 1998, p. 1015. 31 Cassese, Le basi costituzionali (note 26), p. 195. 32 On the dualism: D. Truchet , La structure du droit administratif peut-elle demeurer binaire? A propos des catégories juridiques en droit administratif, in Université de Paris II, Clefs pour le siècle (note 29), p. 444. 33 Cf. P. Weil , Le droit administratif, Paris 1978 (7 t h ed.), p. 67. 34 M. Taggart , The province of administrative law determined?, in: M. Taggart (ed.), The province of administrative law, Oxford 1997, p. 5.
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private sector management of public services (be they services of a commercial and industrial nature or public services quite simply) 35 as well as by the „contraction of the administrative speciality" in favour of an „open and multiform speciality". 36 The phenomenon described above develops under a twofold pressure: that of interests and that of ideologies. The former push administrative law towards the civil law in order to facilitate and remove unnecessary limits to administrative action. The latter operate in the same way as the 19 th century liberal waves which favoured narrowing the scope of special law and the shift of public administration to civil law, perceived as the law that better conforms to liberty. 37 However, the combined drive by these forces does not result in a straightforward replacement of administrative law with civil law. Firstly , it is the form and not the substance of civil law that becomes predominant. The sphere of administrative law is reduced in favour of private law in the sense that legally relevant situations, legal institutions and acts take the form of civil law while remaining dominated by a public entity and, thereby, by the public will. Secondly , the diffusion of various forms of collaboration, cooperation and consensual relations between public authorities and individual citizens does not render their respective positions more symmetric - hence the issue (also well known in civil law) of the coexistence of differentiated positions in relationships that are formally even. Thirdly , the convergence of administrative law and civil law alter the fundamental concepts of administrative law (such as those of „public service" or „public body") so that they stretch, degrade, distort to the extent that they become indefinable. Due to their hybridization, models, types and institutions also multiply. 38 The attenuation of differences does not reduce the dualism of rights, nor does it fulfil the impossible dream of those who disapprove of it: dualism persists, although it takes different forms. 39 Fourthly , an eclipse of government by administrative law may be observed. In the past, administrative law was dominated by national governments. Today, other factors influence it: the EU Commission, primarily, but also the division between politics and administration - determined by the need for impartiality
35
Burdeau , Histoire du droit administratif (note 10), p. 428. Mannori/Sordi , Storia del diritto amministrativo (note 18), p. VII and 524. 37 Eisenmann , Cours de droit administratif (note 6), p. 566. 38 Burdeau , La complexité n'est-elle pas inhérente au droit administratif? (note 29), p. 417. 39 Eisenmann , Cours de droit administratif (note 6), p. 142. 36
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and the multiplication of public tasks - , the multiplication of independent regulatory authorities at the centre, and the development of representative local authorities in the periphery. Administrative law, then, falls within the remit of action of several public administrations that are ordered according to multiorganizational models, do not depend on a single centre, and among which complex relations are established. Although defined as inter-governmental, these relations are in fact inter-administrative. The partial unleashing of public administration from government dominance modifies the principle of legality. In its initial formulation, this principle made the law a bulwark against the executive. More recently, it has become a tool to ensure that the executive remains subject to the directives set by the parliament. However, in parliamentary systems, in which the government holds a parliamentary majority, the law and the principle of legality have also become the means by which the government orientates public administrations. When the latter began to be freed from the government control, the former began to use the law to maintain such control. Fifthly , public administrations are entirely subject to courts that are increasingly less special.40 In fact, administrative courts are entrusted with a panoply of powers that can be exercised vis-à-vis public administrations, whereas before, in adherence with the notion that public administration was only subject to the executive and independent from the judiciary, judges only had limited powers. 41 In this sense, administrative courts are increasingly less special. However, the development of jurisdiction over public administration also poses new challenges. One of them derives from the development, alongside the authoritative administration, of redistributive administration. Administrative law, from „Kollisionsrecht" becomes „Distributionsrecht": 42 a transformation that causes considerable problems for judges, who are better equipped to adjudicate than to distribute.
VI. Features, paradoxes and implications of the transformations of administrative law Societal structures, as well as conceptual frameworks, evolve. Within this evolution, features and paradoxes are as important as the direction of change.
40 Cassese, Crisi e trasformazione del diritto amministrativo (note 29), p. 722. For earlier commentaries: Weil, Le droit administratif (note 33), p. 91; and: Droit administratif. Bilan critique, special issue of: Pouvoirs 46, 1988. 41 Aucoc, Conferences sur Γ administration (note 16), p. 93. 42 Schmidt , Die Reform (note 13), p. 150.
The Transformations of Administrative Law from the 19 th to the 21 st Century
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As for the characteristics of the transformations of administrative law currently under way, two are important: speed and continuity. In the past, changes took centuries; today they take place very quickly. In this regard, while civil law has remained extremely stable, administrative law has undergone increasingly rapid transformations. 43 In the last quarter of the 20 th century, continuity went hand in hand with speed: administrative law lives in a constantly changing picture because „reform", in itself, has become a permanent task of public administrations. Indeed, we witness everywhere the establishment of ministries or departments in charge of reform, modernization, reorganization, etc. 44 Thus, it is more appropriate to refer to the transformations rather than to the transformation of administrative law. These rapid changes also produce several contradictions. Firstly, transformations are not general; they affect individual sectors, fields and areas. Thus, the new administrative law coexists with the old one. This state of affairs creates considerable problems for law scholars. For example, is it correct to state that, today, public administrations may enforce their own acts without needing preliminary judicial avail? Or, would it be more correct to state that they are, in fact, subject to judicial review, given that, by and large, new laws do not entrust them with derogatory powers? The second contradiction derives from the uneasy overlap of the new administrative law with the old constitutional law. How to reconcile the constitutional law principle of ministerial responsibility with the independence of certain regulatory authorities? Similarly, how to reconcile the Community principle of the entitlement of citizens from all over the EU to access the civil service with the constitutional provision that limits that access to national citizens? The third contradiction is determined by opportunistic approaches to transformations. Given that reform and modernization policies are widely diffused and popular, all governments want to pursue them. However, several governments introduce fictitious transformations in order to ensure that, in fact, nothing changes. So radical and continuous transformations of administrative law have important implications for law scholars. Firstly , the legal science must be constantly updated because positive law changes. 43
Along similar lines, but with reference to contemporary civil law, cf. G. Alpa, La cultura delle regole. Storia del diritto civile italiano, Bari 2000, p. 412. 44 S. Cassese, L'età delle riforme amministrative, in: Rivista Trimestrale di Diritto Pubblico, 2001, p. 82.
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Secondly , the administrative law scholar who does not want to confine himself to being a narrator must confront the challenge of a changing law, noting the direction of change without being distracted by the many intricate details of its movement. Thirdly , the science of administrative law must look for a new language that enables it to transcend positive law while reconstructing the superior principles underpinning the laws of movement. Finally , more than ever before, the legal science must not follow the tendency of commentators, as suggested by de Tocqueville to his favourite nephew: „Tous les auteurs qui ont écrit sur cette matière, même les plus célèbres, ont été ou sont encore des esprits peu élevés, qui n'ont pas su juger par eux-mêmes de la valeur et de la bonté des règles qu'ils enseignaient, ni apercevoir au-delà de la science dont ils étaient les commentateurs, la science plus générale et plus grande qui enseigne à quelles conditions les sociétés prospèrent. Il y a, parmi eux, d'habiles commentateurs, des légistes distinguées, des écrivains remarquables; il n'y a pas un publiciste. Ils sont tous engoués de leur science, et se sont figuré qu'il n'y a rien de plus parfait au monde. Garde-toi d'une pareille erreur. [...]. Tout ce que je veux te dire aujourd'hui, c'est d'étudier le droit administratif en préservant avec soin ton esprit de l'engouement et des préjugés de toutes espèces qui remplissent l'esprit des commentateurs de ce droit et de ce qui l'appliquent. Il faut, tout en apprenant ce droit, le juger, voir au-dessus et en dehors de lui ce qui lui manque, et considérer enfin la centralisation comme une machine admirablement agencée dans l'intérêt de ceux qui gouvernent, mais toujours défectueuse et souvent détestable, si on se place au point de vue de l'intérêt général, qui est, après tout, le seul auquel il faille se mettre pour juger les institutions humaines".45
45
Cf. A. de Tocqueville , Œuvres complètes, X I V , Correspondance familiale, Paris 1998, pp. 293-4.
Public Administration, Networks and Law By Jacques Ziller, Florenz
Networks - Netzwerke, réseaux , rete - are fashionable. This is not a reason for blindly taking up the concept in all branches of social sciences. Networks have a well established scientific record in history and sociology and, although with different meanings, in economics, but political scientists and lawyers are still struggling with the concept1. Nor is it a reason for rejecting its use: notwithstanding globalisation and the erosion of sovereignty, the state is surviving with a large number of its traditional features. Public administration as a discipline is faced with the conceptual question of understanding which concept of networks used in the social sciences is more adapted to its needs, together with the more operational question of how networks are managed. This paper tries to address both issues in a rather sketchy way. Its purpose is to propose a number of paths for further reflection. It will start by examining how the concept of networks is being used in legal science, one of the approaches to public administration that is dear to Klaus Koenig, and then it will present a number of elements concerning the management of networks.
I. The concept of networks in legal science: mere fashion, change of paradigm or developing tool? A first approach to the history of the concept of networks in legal science may be presented in a chronological way. In Europe, the concept was first used in the early 1960s in order to conceptualise the law applicable to commercial networks, especially with the development of franchising and other specific devices. For specialists of company and commercial law there were a series of clearly identifiable legal/technical issues to be examined, such as the conformity of franchising or other networking arrangements with competition rules, or
1 Fabrizio Caj aggi/ 'Jacques Ziller , A multidisciplinary approach to networks, EUI Working Documents 2003, http://www.iue.it/PUB/WorkingPapers.shtml (forthcoming).
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their conformity with contract law. What is the nature of these contracts? Do they comply with principles on the validity of contracts? This line of analysis is still active and flourishing - especially due to the impact of European community law - but it is almost totally ignored by specialists of constitutional law and administrative law, who participate in public administration analysis. A second approach, which started in the sixties and really developed in the seventies, has been to consider firms as networks, as opposed to institutions or other concepts linked to the idea of legal personality. Two major lines of influence have contributed to the development of this type of approach. Although some European scholars started this analysis on their own, the main influence came from the United States with analyses of corporate governance, which really developed in the seventies. The roots of the concept of governance - as too many specialists of public administration and political science seem to ignore - are in company law, where the word was first used. Labour lawyers have also had a major influence in this analysis, as they needed to disentangle the issues of contractual relationships and hierarchical/disciplinary relationships within firms. In this line of thought, the concept of network seems less clearly identifiable, and the word is not always being used. The main idea here is to get rid of the kind of black box represented by the entity of an enterprise in order to get hold of the internal relationships within the firm, which would escape classical legal approaches. Although the conceptual issues tend to have more impact than in the case of commercial networks, legal/technical issues are also at the forefront and have to be faced not only by academics but also by practising lawyers and courts. Here again there is a great deal of ignorance on the side of public law and public administration. A third wave started in the eighties, with lawyers and political scientists starting to envisage the European Communities/European Union as network(s). The influence of implementation studies2 and the problems of comitology, which had to be addressed by EC lawyers due to the Council decision of 19873 may be identified as the main sources of this line of research. The conceptual issues have not been tackled quickly and are still quite underdeveloped, as networks are merely used in a descriptive manner 4. The legal/technical considerations are much fewer: apart from the mere descriptive analysis of the comitology decisions, lawyers rarely dig into the questions related to networks. Quite strikingly
2
Heinrich Siedentopf/Jacques Ziller , Making European Policies Work - The Implementation of Community Legislation in the Member States, EIPA-Sage, London 1988. 3 Claus-Dieter Ehlermann , Compétences d'exécution conférées à la Commission. La nouvelle décision-cadre du Conseil, in: Revue du marché commun 1988, pp. 232-239. 4 Henri Oberdorff, \ Les incidences de l'Union européenne et des Communautés européennes sur le système administratif français, in: Revue du droit public 1995, pp. 25-49.
Public Administration, Networks and Law
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the literature on agencies as networks is very scarce5, and neither EU lawyers nor political scientists interested in European studies seem ever to have considered the mechanism of preliminary ruling of article 234 (ex-177) of the EC Treaty as a typical feature of network management. Public lawyers thus started to use the term network without giving it too much thought. The fourth wave of network analysis starts in the nineties and is parallel to the flourishing of another fashionable concept, that of governance. The motto becomes networks(s) v. the State. The main influence is probably that of political science, a discipline that has more difficulties than sociology or history in thinking about the concept of networks. Globalisation and the development of information technologies are another major source of attempts of thinking in networks. A quick overview of the literature 6 shows that the concept is far from being clear. There are important difficulties of identification of what are networks and what are other forms of co-operation. There are very few technical/legal issues specifically linked to the concept of networks, as opposed to the issues generated by the virtual nature of products and services generated by information technologies. The conceptual issues remain somewhat fuzzy in the literature except for very few recent publications7. They might be subsumed under three major headings: -
hierarchy v. network as opposing vertical relations to horizontal ones; this approach remains very unsatisfactory insofar as it tends to ignore the longstanding existence of horizontal relationships within the state and within public administration that were far from being ignored by most classical analysts of public administration 8;
-
public (state) v. private (networks); a big part of the discussion seems to be fostered by old fashioned quarrels that are embedded in academic tradition in those countries where "public lawyers" and "private lawyers" see their disciplines as intrinsically different from one another; strikingly the self-
5 Edoardo Chiti , European Agencies: A Legal Form of Network Management?, in: Alexandra George/Pedro Machado/Jacques Ziller (eds.), Law and Public Management : Network Management, EUI Working Paper Law No. 2001/13, http://www.iue.it/ PUB/WorkingPapers.shtml, pp. 23-28; Edoardo Chiti, Decentralised Integration as a New Model of Joint Exercise of Community Functions? A Legal Analysis of European Agencies, ARENA Working Papers, WP 02/31, http://www.arena.uio.no/; Edoardo Chiti, Le agenzie europee: unità e decentramento nelle amministrazioni comunitarie, Padova 2002. 6 Pedro Machado , The Concept of "Network" in Legal Literature - A Survey, in: Alexandra George/Pedro Machado/Jacques Ziller (eds.), Law and Public Management (note 5), pp. 6-16. 7 François Ost/Michel van de Kerchove , De la pyramide au reseau? Pour une theorie dialectique du droit, Bruxelles 2002. 8 Alexandre Francois Vivien , Etudes administratives, Paris 1845, reprint 1974.
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consciousness of Staatsrechtler as opposed to Privatrechtler in Germany is very similar from that opposing Publicistes and Privatistes in France, but the specific features of French administrative law forces the specialists of administrative law to be as expert in contract, torts and property law as private lawyers, whereas these disciplines are considered as private law by nature in most other European countries like Germany or Italy; -
Legislation (by the State) v. self-regulation (in networks); here again the discussion is too often presented in a caricatured way, which ignores the very subtle gradations in regulatory techniques and regulatory strategies which may be observed as well at national as at EU level 9 .
I I . Network management: some lessons for public administration Too often, networks in public administration are visualised as a spider's web, with a powerful centre. This image and the associated question about the centre of the network are the symptom of some confusion, which often occurs, between loose hierarchical structures and networks. The typical characteristic of a network is that it does not have a centre around which relationships are organised, but, on the contrary, that the relationships between partners in the network - be they even or uneven - are not constrained by a specific line. Here the right image is that of networks of high voltage electricity distribution, which are organised in order to cope with the breakdown of either one or the other electricity plant, or with a rupture in cables. Mixing organisational theory, economics and legal approaches to networks might help understanding what networks are 10. When analysing networks, three variables at least should be taken into account. The first step in conceptualising networks should be to know whether one is dealing with the reason for establishing the network, the binding nature of the network, the existence of a voluntary network or, on the contrary, of a network mandated by legal obligation. A second variable to take into account is that of incentives. I f the network is of a mandatory nature, the incentive structures might be very different in different areas. The structure of incentives affects the co-ordination problem. The question that is crucial to understanding the co-ordination could be framed as: to what extent must mandatory network elements share power, to what extent is the being together a constraint on the development of power? The third variable to take into account is that of the geography of networks. It is not just a question
9 Fabrizio Cafaggi , Regulatory Pluralism: Rethinking Self-regulation in the Regulatory Domain, 2003 (forthcoming). 10 Alexandra George/Pedro Machado/Jacques Ziller (eds.), Law and Public Management (note 5).
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of centre-periphery relationships, but also a question of allocation of power and responsibilities. There is too often an implicit assumption that the geography of the network is being distributed in terms of power of an implicit centre. But power can be allocated unevenly between the nodes of the network, in which case it is much more difficult to set up the incentive structure correctly. This approach shows that there is a strong potential for renewal of legal thinking in public administration, by combining different tools such as contracts, torts and different sanctions, as a complement to the hierarchy which remains a prominent characteristic of the legislative and normative function. Thinking about public management in terms of networks means looking at organisations that can provide services. Therefore, public managers direct their questions to the kind of governance framework within which their organisation or network can operate. How would the rules of the game be defined for the service provider - assuming a government organisation is providing the services? From a public management point of view, operational governance must be ensured. More precisely, rules must be established that allow assessment of whether the organisation is doing what it should (that is, an audit). But an important public management distinction must be taken into account. The adoption of the "rules of the game" is linked to the strategic function. Separate from this is the regulatory function, which refers to the governance process itself (not the operations). Here again, thinking about legal frameworks in a functional sense rather than in a mechanistic top-down execution approach might help renew thinking about how law can help to make public administration reform and public management more efficient. A very interesting case for public administration and public law analysis can be found in some European agencies11 which have been established in order to facilitate the functioning of networks that mix organisations from different countries and with different (public or private) status. Due to the constraints of EU law (ECJ Meroni case [1958] doctrine on delegation) as well as the will of the European Commission to keep its drafting and decision making powers, these agencies are not being given legally binding decision making power. They have thus escaped the scrutiny of lawyers, except for a few cases12, and political
11 Edoardo Chiti , Decentralised Integration as a New Model of Joint Exercise of Community Functions? (note 5); Edoardo Chiti , Le agenzie europee: unità e decentramento nelle amministrazioni comunitarie (note 5). 12 Loïc Azoulay , La régulation juridique d'une administration en réseau: le cas de la Communauté européenne, in : Alexandra George/Pedro Machado/Jacques Ziller (eds.), Law and Public Management (note 5), pp. 17-22; Edoardo Chiti , The Emergence of a Community Administration: The Case of European Agencies, in: Common Market Law Review 2000, pp. 309-343; Edoardo Chiti , European Agencies: A Legal Form of Network Management?, in: Alexandra George/Pedro Machado/Jacques Ziller (eds.), Law and Public Management (note 5), pp. 23-28; Edoardo Chiti , Decentralised Integration
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scientists are finding it difficult to understand their functioning. A management perspective helps to understand the issues better. As an example, the European Agency for the Evaluation of Medicinal Products (EMEA) is part of the system of regulating the pharmaceuticals industry in Europe. It does not perform the whole task, because national agencies become involved in the regulatory function. Although it is connected with drug companies, the professional autonomy of the agency is safeguarded. The EMEA does not take decisions; it tests drugs and gives advice to the European Commission about whether or not they are safe. The Commission is free to accept or disregard the advice provided by the agency. I f the Commission refuses the advice, it is obliged to establish a committee to evaluate the drug (which will probably involve the same people as the agency committee). So the regulatory system has its "rules of the game", without any derogation from the legislative acts in force regulating pharmaceuticals. Law is not absent: the institutional framework and the procedures which set up the "rules of the game" are set up in legally binding EC regulations. The problem is that rather than reinventing specific frameworks for each network, the tendency that is common to government lawyers in most countries and to European Commission and Council officials is to replicate the regulations establishing agencies as i f there was a necessity of applying a standard model, due to unspecified legal principles. As stated previously it is commonly assumed that networks are related to the absence of rigid hierarchies. I f a feature of networks is the flexibility and informality of their processes, public management addresses the crucial question of responsibility. It is therefore essential to define reciprocal responsibilities of the different organisations involved in a network. A normative framework explaining the roles and responsibilities is therefore strongly needed. The problem is, however, that the standard approach used by government lawyers is to build only upon legal competencies as they are provided in the Constitution or in acts of Parliament. A different approach, much more familiar to specialists of contract law and tort law would be required in order to frame the networks in terms of capacity and thus enable an efficient delivery of services. The other crucial issue that is severely neglected in a number of public administrations is the design of accountability. It is vital that the organisations involved in networks achieve the objectives described in, for example, the working plans, and that they simultaneously provide constant information about the activities to either an external (supervisory) organisation or to concerned outside actors. Managing capacities are widely distributed in networks, and it is rare that one can claim that an organisation is managing a network. It is more a as a New Model of Joint Exercise of Community Functions? (note 5); Edoardo Chiti , Le agenzie europee: unità e decentramento nelle amministrazioni comunitarie (note 5).
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case of a centre/periphery, but without being established in a hierarchical framework. The problem is to ensure adequate performance in such an organisational framework. I f there is correspondence between capacities and complexity, good performance tends to be ensured. Part of the effectiveness of the accountability system of an organisation like the EMEA is that it receives constant feedback from the doctors who are prescribing drugs as well as from patients. A common tendency of lawyers is to think about effectiveness in terms of compliance, about compliance in terms of sanctions and about sanctions in terms of penalties. Here again, contract law principles have something to bring to network management insofar as the primary elements that ensure the smooth operation of contracts are systems of monitoring and reciprocity in relationship. A well functioning network minimises the co-ordination load. In order to achieve this aim, one should try to divide the labour between the organisations involved so as to minimise the amount of interdependence. Each has its own job and should avoid interfering with other networks as much as possible. There are areas of overlap and interdependence that can be sorted out through communication, and there are information flows throughout the network without a centre. To ensure this information flow, diverse organisational tools are brought into the network - such as working programmes, which define what is going to happen. Thus, co-ordination is a dispersed function. There is not simply one locus of organisation. I f any organisation in a network attempts to assume power or organise control, it will be strongly opposed. Here again, law has something to do with moulding competencies not that much in a top down approach of declension of the paradigms embedded in the constitution, but much more with a definition of competencies based on competence and capacities. This said, where is the complementarity between public law and public management? Provided that government lawyers transcend their classical role of establishing an authoritative hierarchical framework, law has a fundamental role in designing the accountability framework within the network, while public managers have a fundamental role in the development of the network. For this to happen "public lawyers" need to depart from the view that their only tools are acts of parliament, delegated legislation, discretionary administrative acts or regulated decision making procedures; other legal tools such as contract law and conflict solving systems need to be an integral part of the law of public administration. I f the network concept helps in realising this goal, it will have achieved an important function.
Koordination durch Struktursteuerung als Funktionsmodus des Gewährleistungsstaates Von Gunnar Folke Schuppert, Berlin
I. Arbeitsteilige Gemeinwohlverwirklichung als Kennzeichen des Gewährleistungsstaates Daß die Verantwortung für das Gemeinwohl nicht mehr als in die Alleinzuständigkeit des Staates fallend gedacht werden kann, entspricht allgemeiner Auffassung 1. Im liberalen Verfassungsstaat pluralistischer Prägung ist Gemeinwohlverantwortung prinzipiell teilbar, der Staat (und seine Verwaltung) ist nicht mehr der alleinige, wenn auch nach wie vor ein besonderer, nämlich demokratisch legitimierter Gemeinwohlakteur. Haben wir es also mit einer Vielzahl von Gemeinwohlakteuren zu tun 2 - seien dies gruppennützige Akteure wie die Verbände, Nonprofit-Organisationen des dritten Sektors wie die Wohlfahrtsorganisationen, Wächter des Gemeinwohls wie Greenpeace oder Amnesty International oder auch der einzelne, ζ. B. ehrenamtlich tätige Bürger - so entsteht das „Produkt Gemeinwohl" aus dem Zusammenspiel von einer Vielzahl von Gemeinwohlbeträgen staatlicher, semi-staatlicher und nicht-staatlicher Akteure. Dieser Prozeß arbeitsteiliger Gemeinwohlverwirklichung bedarf nun - soll er nicht der Beliebigkeit der Akteure und ihrer durchaus unterschiedlichen Durchsetzungskrafit überlassen werden - einer irgendwie gearteten Koordination der verschiedenen Gemeinwohlbeiträge, einer Koordination, die die - wie der Strafrechtler sagen würde - spezifischen Tatbeiträge der jeweiligen Akteure deutlich und damit auch zurechenbar macht. Das zentrale Problem moderner Staatlichkeit besteht also darin, wie ein solcher Modus der Koordination beschaffen sein könnte und sollte. Daß dieser Koordinationsmodus nicht länger in einer ausschließlich oder überwiegend hierarchischen Koordination bestehen kann, liegt auf der Hand: der aufgabenin-
1 Siehe R. Mayntz, Interessenverbände und Gemeinwohl - die Verbändestudie der Bertelsmann-Stiftung, in: dieselbe (Hrsg.), Verbände zwischen Mitgliederinteressen und Gemeinwohl, Gütersloh 1992, S. 11-35. 2 G. F. Schuppert, Gemeinwohldefinition im kooperativen Staat, in: H. Münkler/ K. Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht. Konkretisierung und Realisierung öffentlicher Interessen, Berlin 2002, S. 67-98.
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tensive Verwaltungsstaat - gekennzeichnet durch eine strukturelle Asymmetrie von umfassender politischer Verantwortung einerseits und beschränkter Anordnungs- und Regelungsmacht andererseits 3 - ist für die Durchführung seiner Aufgaben in steigendem Umfang auf die Mitwirkung der Regelungsadressaten angewiesen, wie insbesondere die Aufgabenbereiche der Arbeitsmarkt- und der Gesundheitspolitik eindrücklich belegen. Bedarf es also in vielen Bereichen eines konsensualen Arrangements zwischen dem Staat und privaten Akteuren, so liegt als Koordinationsmodus der des Verhandeins nahe4: dieser verhandelnde Staat ist unter der Flagge des kooperativen Staates" in der Literatur ausfuhrlich behandelt worden 5, einschließlich des Phänomens einer kooperativen Rechtserzeugung, Rechtskonkretisierung und Rechtsdurchsetzung6. Die diesem Koordinationsmodus innewohnenden Risiken und Unzuträglichkeiten sind leicht erkennbar: kooperationsspezifische Gefahrdungslagen resultieren aus der tendenziellen Distanzlosigkeit des kooperativen Staates und der nahe liegenden Versuchung, die Einsicht in die Notwendigkeit bestimmter Regelungen auf dem Altar des Konpromisses mit den stärksten organisierten Interessen zu opfern, eine Gefahr, für deren Kennzeichnung wir den Begriff der „corporatistic capture" vorschlagen möchten7. W i l l man also nicht vom Regen der Hierarchie in die Traufe des Korporatismus gelangen, so bedarf es einer dritten Variante der Koordination, eines Koordinationsmodus also zwischen Hierarchie und konsensualem Arrangement. Worum es gehen muß, ist, einerseits Gemeinwohlbeiträge staatlicher und nichtstaatlicher Akteure zu koordinieren, dabei andererseits aber die Eigenrationalitäten des staatlichen wie des privaten Sektors zu wahren, um auf diese Weise aus am individuellen Nutzenkalkül orientierten Handlungsbeiträgen nicht-staatlicher Akteure Gemeinwohlbeiträge Private werden zu lassen. Dieses „Kunststück" zu vollbringen, ist das Anliegen des Gewährleistungsstaates 8, dessen
3 Vgl. dazu D. Grimm, Bedingungen demokratischer Rechtsetzung, in: L. Wingert/K. Günther (Hrsg.), Die Öffentlichkeit der Vernunft und die Vernunft der Öffentlichkeit, Festschrift für Jürgen Habermas, Frankfurt a. M. 2001, S. 489 ff. 4 Siehe dazu F. W. Scharpf Die Handlungsfähigkeit des Staates am Ende des 20. Jahrhunderts, in: B. Kohler-Koch (Hrsg.), Staat und Demokratie in Europa, Opladen 1992, S. 93 ff. 5 Klassisch E.-H. Ritter, Der kooperative Staat. Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft, in: Archiv des Öffentlichen Rechts (AÖR) 104 (1979),S. 389 ff. 6 Nachweise bei G. F. Schuppert, Verwaltungswissenschaft. Verwaltung, Verwaltungsrecht, Verwaltungslehre, Baden-Baden 2000, S. 420 ff. 7 In Anlehnung an den in der angelsächsischen Literatur gängigen Begriff des „clientale capture", mit dem der Vorgang bezeichnet wird, daß die von einer Independent Regulatory Agency zu disziplinierende Klientel den Spieß umdreht und ihrerseits die Verwaltungseinheit für ihre Zwecke instrumentalisiert. 8 G. F. Schuppert, Vom produzierenden zum gewährleistenden Staat, in: K. König/ A.Benz (Hrsg.), Privatisierung und Regulierung, Baden-Baden 1997, S. 539 ff.;
Koordination durch Struktursteuerung
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Funktionslogik darin besteht, die Verwaltungs- und Selbstregelungspotentiale des öffentlichen, privaten und dritten Sektors parallel zu schalten und durch die Institutionalisierung eines strukturellen Rahmens die je spezifischen Beiträge der unterschiedlichen Akteure wie verschiedene Zuflüsse eines Gewässers auf das Mühlrad des Gemeinwohls zu lenken. Aus der Perspektive des seine Gemeinwohlverantwortung nicht preisgeben könnenden Staates gesehen, läßt sich dies so formulieren: Wenn der Staat bestimmte ihm obliegende Aufgaben nicht selbst, d. h. eigenhändig wahrnehmen kann oder will, sich also aus der Erfüllungsverantwortung zurückzieht 9 und statt dessen nicht-staatliche Akteure in die Aufgabenerfullung einbezieht oder sie ihnen überlässt, bleibt er weiter für die Funktionsfähigkeit dieser Art der Problemlösung verantwortlich; dies ist mit dem Begriff der Gewährleistungsverantwortung gemeint10. Staatliche Gewährleistungsverantwortung stellt sich also dar als „eine private Kräfte einbeziehende Steuerungsverantwortung des Staates, die auf die Bereitstellung von bestimmten - insbesondere rechtlichen - Strukturen für die Leistungserbringung durch gesellschaftliche Kräfte gerichtet ist" 11 . Will man zusätzlich die Rolle einer aktiv-fördernden staatlichen Gewährleistungsfunktion und die Selbstregulierungspotentiale der Bürgergesellschaft/Zivilgesellschaft betonen, kann man Zielrichtung und Funktionsweise des Gewährleistungsstaates mit Claudio Franzius wie folgt skizzieren 12: „Sein Ziel ist es, privates Engagement für das Gemeinwohl zu nutzen und zu mehren. Denn öffentliche Aufgaben - das ist eine Binsenweisheit - sind nicht immer Staatsaufgaben. Sie können und sollen auch durch den Bürger erfüllt werden. Modern ist so gesehen ein Staat, der auf die Aktivierung privater Kräfte setzt und die öffentliche Aufgabenerfullung durch die Bereitstellung geeigneter Regelungsstrukturen ermöglicht. Der Gewährleistungsstaat will der Staat der Zivilgesellschaft sein." Wenn wir auf den entscheidenden Gesichtspunkt des Koordinationsmodus zurückkommen, so können wir die folgende Zwischenbilanz ziehen: Während
C. Franzius, Der „Gewährleistungsstaat 44 - ein neues Paradigma der Staatstheorie?, Vortragsmanuskript (20. November 2002). 9 Zum Denken in Verantwortungsstufen siehe Gunnar Polke Schuppert, Die öffentliche Verwaltung im Kooperationsspektrum staatlicher und privater Aufgabenerfullung: Zum Denken in Verantwortungsstufen, in: Die Verwaltung 31 (1998), S. 415-447. 10 W. Hoffmann-Riem, Von der Erfiillungs- zur Gewährleistungsverantwortung - eine Chance für den überforderten Staat, in: derselbe, Modernisierung von Recht und Justiz. Eine Herausforderung des Gewährleistungsstaates, Frankfurt a. M. 2000, S. 24 ff. 11 C. Franzius, Gewährleistung im Recht. Vorüberlegungen zur rechtlichen Strukturierung privater Gemeinwohlbeiträge am Beispiel des Umweltschutzes. Diskussionspapiere zu Staat und Wirtschaft des Europäischen Zentrums für Staatswissenschaften und Staatspraxis, Berlin 36/2002, S. 4. 12 Franzius, Gewährleistungsstaat (Anm. 8), S. 1.
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Gunnar Folke Schuppert
der bestimmende Koordinationsmodus des hoheitlichen Staates das Steuerungsprinzip der Hierarchie ist, der kooperative Staat hingegen sich mit den nichtstaatlichen Akteuren konsensual arrangiert, zielt der Gewährleistungsstaat auf eine Koordination durch Struktursteuerung 13, indem er - im Unterschied zum erfüllenden Interventionsstaat - darauf verzichtet, bestimmte Gemeinwohlziele und den Weg zu ihrer Verwirklichung detailliert vorzuschreiben, sondern statt dessen Organisations-, Verfahrens- und Regelungsstrukturen bereitstellt (Bereitstellungsfunktion des Rechts14), um auf diese Weise staatliche und nichtstaatliche Handlungsbeiträge als Gemeinwohlbeiträge miteinander zu verkoppeln.
I I . Von der Gewährleistungsverantwortung zum Gewährleistungsrecht Besteht der Funktionsmodus des Gewährleistungsstaates in der Koordination von Handlungsbeiträgen staatlicher und nicht-staatlicher Akteure durch Struktursteuerung, d. h. durch die Entwicklung und Bereitstellung von Strukturen arbeitsteiliger Gemeinwohlverwirklichung, so bedarf es - da staatliche Steuerung im Rechtsstaat vor allem Steuerung durch Recht zu sein hat - der Entwicklung und Bereitstellung von rechtlichen Gußformen 15 einer solchen Struktursteuerung , die Organisation, Verfahren und Regulierungsmodi als Ressourcen rechtlicher Steuerung begreift und einsetzt. Insoweit folgt - wie Franzius zutreffend geltend macht - aus der die Steuerungsressourcen des privaten und dritten Sektors aufgreifenden Gewährleistungsverantwortung des Staates „die Aufgabe, ein öffentliches Gewährleistungsrecht zur Bereitstellung rechtlicher Infrastrukturen für das Zusammenspiel von staatlicher Regulierung und gesellschaftlicher Selbstregulierung zu entwickeln" 16 . Dieser nahe liegende Gedanke, daß dem Typus des Gewährleistungsstaates der spezifische Rechtstypus eines Gewährleistungsrechts zu entsprechen hätte17, gewinnt offenbar mehr und mehr an Bo-
13
Zu diesem Begriff Schuppert, Verwaltungswissenschaft (Anm. 6), S. 551 ff. Begriff bei G. F. Schuppert, Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft. Zur Steuerung des Verwaltungshandelns durch Verwaltungsrecht, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann/G. F. Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Grundfragen, Baden-Baden 1993, S. 65 ff., 98f. 15 Begriff bei W. Pauly, Grundlagen einer Handlungsformenlehre im Verwaltungsrecht, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/von Schwanenflügel (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, Stuttgart u.a. 1991, S. 25 ff. 16 Franzius, Gewährleistung im Recht (Anm. 11), S. 7. 17 Näher dazu G. F. Schuppert, Das Konzept der regulierten Selbstregulierung als Bestandteil einer als Regelungswissenschaft verstandenen Rechtswissenschaft, in: Die Verwaltung, Beiheft 4/2001, S. 201-252. 14
Koordination durch Struktursteuerung
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den und hat zu zwei neueren Begriffschöpfungen geführt, die hier kurz vorzustellen sind.
1. Strukturgewährleistungsrecht als Recht des Gewährleistungsstaates In einem neueren Beitrag mit dem Titel „Der Gewährleistungsstaat - ein neues Paradigma der Staatstheorie?" hat Claudio Franzius im Anschluß an Martin Burgi 18 der Entwicklung eines Strukturgewährleistungsrechts das Wort geredet und dazu folgendes ausgeführt 19: „Der Gewährleistungsstaat wird ein ,Strukturgewährleistungsrecht' hervorbringen müssen. Es sind deshalb nicht einfach subjektive Rechtspositionen, sondern hinreichend komplexe Regelungsstrukturen mit dem Ziel zu schaffen, die ,Verantwortungsteilungen' des Gewährleistungsstaates im einfachen Gesetzesrecht abzubilden. Wo Private in staatliche Entscheidungen einbezogen werden, trifft den Verantwortung gebenden Staat eine , Strukturschaffungspflicht' mit der Folge, öffentlich-rechtliche Bindungen auf den privaten Entscheidungsanteil zu erstrecken. Wird demgegenüber der Staat in grundrechtlich geprägten Zusammenhängen tätig, muß sich das Tätigwerden als ,Ausübung von Staatsgewalt' darstellen, um den staatlichen Entscheidungsanteil an den Legitimationsanforderungen des Art. 20 Abs. 2 GG messen zu können." Richtig hieran ist, die Notwendigkeit eines Denkens in Strukturen hervorzuheben. Zu Recht hat Hans-Heinrich Trute darauf aufmerksam gemacht, daß im Gewährleistungsstaat eine andere Art und Funktion von Recht an Bedeutung gewinnt 20 , nämlich an Stelle von zwei- oder allenfalls dreipoligen Rechtsbeziehungen mit mehr oder weniger präzisen Rechtsfolgen das Schaffen von Regelungsstrukturen, in die sich einzuklinken all den Akteuren offen steht, die sich wie etwa beim Öko-Audit - den durch strukturelle Vorgaben bestimmten Spielregeln unterwerfen. Resigning regulatory structures " wäre als eine, wenn nicht die zentrale Aufgabe eines am Leitbild des Gewährleistungsstaates arbeitenden, verwaltungswissenschaftlich inspirierten 21 Verwaltungsrechtswissenschaft. Da 18
M. Burgi, Privat vorbereitete Verwaltungsentscheidungen und staatliche Strukturbeschaffungspflicht. Verwaltungsverfassungsrecht im Koordinationsspektrum zwischen Staat und Gesellschaft, in: Die Verwaltung 33 (2000), S. 183 ff. 19 Franzius, Gewährleistungsstaat (Anm. 8), S. 18. 20 H.-H. Trute, Vom Obrigkeitsstaat zur Kooperation, in: Hendler/Marburger/ Reinhardt/Schröder (Hrsg.), Rückzug des Ordnungsrechts im Umweltschutz, Umweltund Technikrecht, Bd. 48, Berlin 1999, S. 13 ff. 21 Zur Aufgabe der Verwaltungs Wissenschaft, das Reformpotential der Verwaltungsrechtswissenschafit zu erhöhen siehe G. F. Schuppert, Staatswissenschaft, Baden-Baden 2003 (i. E.).
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solche Regelungsstrukturen aber im geltenden Rechtssystem irgendwo ihren Ort haben müssen, hilft es nicht weiter, auf dieser Abstraktionshöhe zu verharren; vielmehr bedarf es konkretisierender Anstrengungen, um erste Gußformen eines Gewährleistungsrechts zunächst als Rohformen zu erstellen und im Anschluß daran zu verfeinern.
2. Gewährleistungsverwaltungsrecht als Recht des Gewährleistungsstaates Erste Bausteine eines von ihm so genannten Gewährleistungsverwaltungsrechts sind inzwischen in einem beeindruckenden Entwurf von Andreas Voßkuhle vorgestellt worden 22 . Zu Recht fordert er die Entwicklung eines Gewährleistungsverwaltungsrechts, da weder das auf Gefahrenabwehr ausgerichtete klassische Ordnungsrecht noch die überkommenen Rechtsinstitute der Leistungsverwaltung „in Hinblick auf eine langfristige Koordination (!) von öffentlichen Aufgaben und privater Interessenverfolgung" eine hinreichende Entwicklungsperspektive böten. In Leitsatz 21 seines St. Galler Staatsrechtslehrervortrages umschreibt er - interessanterweise jetzt wieder auf den Strukturbegriff rekurrierend - wie er sich den Aufbau einer Gewährleistungsstruktur vorstellt, eine Skizzierung, die wir schon deshalb gern zitierten, weil sie genau das etwas anders umschreibt, was wir unter Struktursteuerung verstehen: „Anders als das Ordnungs- und Leistungsrecht zielt das Gewährleistungsverwaltungsrecht nicht auf die am Einzelakt orientierte Regelung eines konkreten Rechtsverhältnisses. Intendiert sind die Verwirklichung eines Gesamtkonzepts und der Aufbau einer permanent wirkenden Gewährleistungsstruktur, die über verfahrensrechtliche Anforderungen, organisatorische Elemente und inhaltliche Vorgaben staatliche und private Aufgabenbeiträge vernetzt." 23 Was nun die einzelnen Bausteine eines Gewährleistungsverwaltungsrechts angeht, so nennt Voßkuhle insgesamt sechs, die wir hier - wie beim Einkochen einer guten Sauce - auf vier reduzieren wollen, nämlich auf die unbedingt erforderlichen Regelungen über -
die Qualifikation und Auswahl privater Akteure
-
die Qualitätssicherung der nicht-staatlichen Aufgabenerfullung durch entsprechende Informations-, Lenkungs- und Kontrollrechte der öffentlichen Verwaltung
22 A. Vosskuhle, Die Beteiligung Privater an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (VVDStRL) 62, 2003, (i. E.). 23 Voßkuhle, Beteiligung Privater (Anm. 22), Leitsatz 21.
Koordination durch Struktursteuerung
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-
periodische Evaluationsverpflichtungen und Verfahren gegenseitigen Lernens sowie
-
effektive staatliche Rückholoptionen für den Fall der Schlechterfüllung von Aufgaben durch nicht-staatliche Akteure.
Darauf, daß dies ein sinnvoller Regelungskatalog ist, wird man sich relativ leicht verständigen können. Auch hier steckt der Teufel im Detail, d. h. in den nächsten Konkretisierungsschritten: Das noch ausstehende Gesellenstück bezüglich eines Gewährleistungsverwaltungsrechts wird sein „to make it work". Ein wesentlicher Beitrag dazu bestünde in der Entwicklung eines u. E. dringend erforderlichen Verwaltungskooperationsrechts.
I I I . Entwicklung eines Verwaltungskooperationsrechts als Bestandteil eines Gewährleistungsverwaltungsrechts Auch an dieser Stelle wollen wir noch einmal auf unsere zentrale These zurückkommen, daß der den Gewährleistungsstaat angemessene Modus der Koordination staatlicher und privater Gemeinwohlbeiträge der Modus der Struktursteuerung ist. Wie eine solche Struktursteuerung funktionieren könnte, läßt sich nun besonders gut an denkbaren Strukturvorgaben für einen Koordinationstyp veranschaulichen, der als Public Private Partnership in aller Munde ist. Wie man leicht zeigen kann, vollzieht sich die angesprochene partnerschaftliche Koordination vor allem in Vertragsform, sei es - dies ist die Mehrzahl durch Abschluß von Gesellschaftsverträgen für gemeinsame Vorhabenträger, sei es - dies ist die zweithäufigste Form - durch Abschluß von zivilrechtlichen Verträgen, wie etwa Betreiberverträgen, sei es - dies ist nur der dritte Platz durch Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages im Sinne von § 54 des Verwaltungsverfahrensgesetzes 24. Struktursteuerung bestünde nun darin, das noch am alten Leitbild des subordinationsrechtlichen Vertrages orientierte Verwaltungsverfahrensgesetz zu ergänzen und in ihm einen Abschnitt „Zusammenarbeit mit Privaten" vorzusehen, in dem für die nach wie vor sich vertraglich vollziehende Handlungskoordination Strukturvorgaben gemacht werden, in deren Rahmen sich alle eine Public Private Partnership begründenden vertraglichen Abmachungen halten müssen. Um dies rechtstechnisch durchzusetzen, könnte in Gestalt eines Modelltyps „Kooperationsvertrag" ein eigener Vertragstypus bereitgestellt werden, der gewisse Mindestanforderungen an eine gemeinwohlorientierte Vertragsgestaltung enthält und so eine allgemeine Struk24
Nachweise dazu bei G. F. Schuppert, Grundzüge eines zu entwickelnden Verwaltungskooperationsrechts. Regelungsbedarf und Handlungsoptionen eines Rechtsrahmens fur Public Private Partnership, rechts- und verwaltungswissenschaftliches Gutachten, erstattet im Auftrag des Bundesministeriums des Innern, Berlin Juni 2001.
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Gunnar Folke Schuppert
tursteuerung mit der Wahrung der notwendigen Flexibilität der vertraglichen Ausgestaltung im einzelnen verbindet. Eine solche Struktursteuerung durch rahmenhafte Verbindlichmachung von Vertragsstrukturen könnte - wie Voßkuhle es sicherlich formulieren würde - „handlungsleitende Kraft besitzen, ohne sachbereichsspezifische Differenzierungen zu versperren" 25. Wir selbst haben dazu in einem für das Bundesministerium des Innern erstellten Gutachten eigene Regelungsvorschläge gemacht, die von der Auswahl der Kooperationspartner über Verfahren der Qualifikationssicherung bis zu Rückholoptionen reichen 26. Leider hat sich der im Bundesministerium des Innern bestehende Beirat Verwaltungsverfahrensrecht gegen eine solche allgemeine Regelung von Kooperationsverhältnissen im Verwaltungsverfahrensgesetz ausgesprochen und damit in vielleicht zu kleinmütiger Weise die Chance verschenkt, an der Konturierung des Gewährleistungsstaates zu arbeiten; sollte dieses Leitbild - wofür manches spricht - weiter an Wirkkraft zunehmen, so eröffnet sich vielleicht im Kontext einer allgemeinen Modernisierung der Rechtsetzung27 die Chance eines zweiten Anlaufs.
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Voßkuhle, Beteiligung Privater (Anm. 22), Leitsatz 25. Schuppert, Grundzüge (Anm. 24); dieses Gutachten ist abrufbar unter http://www.staat-modern.de/projekte/beschreib/pb 1221 b.htm. 27 Siehe dazu Schuppert, Gute Gesetzgebung. Bausteine einer kritischen Gesetzgebungslehre. Rechts- und gesetzgebungswissenschaftliches Gutachten, erstattet für das Bundesministerium der Justiz, Berlin Oktober 2002. 26
Allgemeine Verwaltungsvorschriften, allgemeine Weisungen und allgemeine Rundschreiben in der Staatspraxis der Bundesauftragsverwaltung Von Willi Blümel, Speyer
I. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Nach dem Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2.3.19991 können allgemeine Verwaltungsvorschriften fur den Vollzug der Bundesgesetze durch die Länder im Auftrage des Bundes gemäß Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG ausschließlich von der Bundesregierung als Kollegium mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden. Damit weicht der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich von der in seinem Beschluss vom 15.7.19692 vertretenen Auffassung ab, wonach durch ein mit Zustimmung des Bundesrates ergangenes Gesetz auch ein Bundesminister zum Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften fur den Vollzug von Bundesgesetzen durch die Länder (Art. 84, 85 GG) ermächtigt werden könne3. Die Kehrtwendung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 2.3.1999 hat nicht nur berechtigte Kritik 4 wegen seiner möglichen Auswirkungen auf die gängige - jahrzehntelange - Staatspraxis der gesetzlichen Ermächtigung einzelner Bundesminister zum Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschrif-
1 BVerfGE 100, 249 = DVB1. 1999, 976, 1265 f.: Anm. von E. Bleibtreu = JZ 1999, 991, 993 ff.: Anm. von A. Tschentscher = ZUR 1999, 266, 268 ff.: Anm. von J. Lüdemann. Weitere Besprechung von Th. Koch, Der Erlass von Verwaltungsvorschriften nach Art. 84 Abs. 2, 85 Abs. 2 Satz 1 GG, JURA 2000, 179 ff. 2 BVerfGE 26, 338 (338: LS 3, 395 ff., 399). Vgl. zu dem damaligen Normenkontrollverfahren bereits W. Blümel, Bundesstaatsrechtliche Aspekte der Verwaltungsvorschriften (Zur verfassungswidrigen Praxis im Bereich der Bundesauftragsverwaltung), AöR Bd. 93 (1968), 200 ff. (202 Fn. 8). 3 § 16 Abs. 2 EKrG lautet: „Allgemeine VerwaltungsVorschriften erlässt der Bundesminister für Verkehr mit Zustimmung des Bundesrates." Vgl. dazu Marschall/ Schweinsberg, Eisenbahnkreuzungsgesetz, Kommentar, 5. Aufl., Köln u.a. 2000, § 16 Anm. 3(S. 193). 4 Vgl. von den Nachweisungen oben in Fn. 1 vor allem die Besprechungen von Bleibtreu und Tschentscher.
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Willi Blümel
ten mit Zustimmung des Bundesrates5 - in einer Vielzahl von Bundesgesetzen6 - hervorgerufen. Vielmehr wurden aus ihr auch Folgerungen für die Zulässigkeit allgemeiner Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG und die Praxis allgemeiner Rundschreiben im Bereich der Bundesauftragsverwaltung gezogen, mit denen sich der vorliegende Beitrag beschäftigt.
I I . Allgemeine Weisungen 1. So meinte Sommermann 7 in seinem Vortrag über „Grundfragen der Bundesauftragsverwaltung", dass im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum mehr vertretbar sein werde, Art. 85 Abs. 3 GG so auszulegen, dass unter „Weisungen" auch solche genereller Art zu verstehen seien. Von dieser auch vom Verf. 8 seit längerem vertretenen Auffassung abzuweichen, besteht jedoch kein Anlass. Für die Gegenmeinung, die grundsätzlich nur Einzelweisungen9 - wie nach Art. 84 Abs. 5 Satz 1 GG - für zulässig erachtet 10 , gibt die Begründung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts nichts her 11 . So meint auch Janz12 in seiner jüngst (2003) erschienenen Monographie „Das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG", dass sich im Schrifttum eine vorherrschende Ansicht nach wie vor nicht herausgebildet habe. Höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu sei kaum zu verzeichnen 13. Das Bundesver5 Vgl. dazu näher W. Blümel, Verwaltungszuständigkeit in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 4, 2. Aufl., Heidelberg 1999, § 101, Rnrn. 36, 37, 55 (S. 878 f., 890 m. Fn. 303). 6 Beispiele bei Bleibtreu, DVB1. 1999, 1266; Tschentscher, JZ 1999, 994 (m. Fn. 22 f.); ferner in: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), Berlin 1998, S. 177 f., 483 ff., 486 ff. 7 K.-P. Sommermann, Grundfragen der Bundesauftragsverwaltung, DVB1. 2001, 1549 ff. (1554) = ders., in: Bundesanstalt für Straßenwesen (Hrsg.), Rechtsfragen der Bundesauftragsverwaltung bei Bundesfernstraßen (Referate eines Forschungsseminars der Universität des Saarlandes und des Arbeitsausschusses „Straßenrecht" am 25./26. September 2000), Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Unterreihe „Straßenbau", Heft S. 28, Bergisch-Gladbach 2002, S. 9 ff. (14 f.). 8 Vgl. Blümel (Fn. 2), S. 215 f.; ders. (Fn. 5), Rn. 60 (S. 893 f.). 9 Mit Modifikationen. Vgl. etwa Sommermann, DVB1. 2001, 1554 (m. Fn. 37); dazu schon früher (m.w.N.) Blümel (Fn. 5), Rn. 60 (S. 894 m. Fn. 339 f.). 10 Zum Meinungsstand vgl. z.B. (jeweils m.w.N.) Blümel (Fn. 2), S. 215 f.; ders. (Fn. 5), Rn. 60 (S. 893 f. m. Fn. 337 ff.); Sommermann, DVB1. 2001, 1554 (m. Fn. 36 ff.); Ronellenfitsch (unten Fn. 11), S. 71 (Fn. 35); Janz (vgl. im nachfolgenden Text m. Fn. 12 f.). 11 Ebenso M. Ronellenfitsch, Die Bundesaufsicht in der Bundesrepublik Deutschland - Instrumente und praktische Erfahrungen, in: P. Bußjäger (Hrsg.), Vollzug von Bundesrecht durch die Länder, Wien 2002, S. 63 ff. (70 f. m. Fn. 35). 12 Vgl. N. Janz, Das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG, Berlin 2003, S. 256 f. 13 Janz (Fn. 12), S. 257 verweist zur Zulässigkeit allgemeiner Weisungen auf BGHZ 16, 95 (97). Vgl. dazu bereits Blümel (Fn. 5), Rn. 60 (S. 893 f. Fn. 337).
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fassungsgericht habe sich bisher mit der Frage nicht beschäftigen müssen. Janz14 selbst meint, die Ansicht, Weisungen könnten sich nur auf einen konkreten Einzelfall beziehen, vermöge letztlich nicht zu überzeugen. Auch der Umstand, dass eine Unterscheidung der allgemeinen Weisungen von den allgemeinen VerwaltungsVorschriften nach Art. 85 Abs. 2 GG schwierig sei 15 , könne nicht dazu führen, allgemeine Weisungen deswegen als unzulässig zu betrachten 16 . Immerhin hält Janz17 - unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2.3.199918 - eine Abgrenzung zu den allgemeinen Verwaltungs Vorschriften wegen der Einschaltung des Bundesrates 19 für erforderlich. Im übrigen neueren Schrifttum - sieht man von den aktuellen Kommentierungen des Art. 85 Abs. 3 GG 2 0 ab - kommt Heitsch 21 zu dem kaum überzeugenden Ergebnis, dass allgemeine Weisungen nur bei Eilbedürftigkeit („Gefahr im Verzuge") zulässig seien, der Bundesrat also nicht mehr eingeschaltet werden könne. 2. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass erst neuerdings wieder die Bundesregierung die hier vertretene Auffassung über die Zulässigkeit allgemeiner Weisungen für den Bereich der Steuerauftragsverwaltung in ihrer Antwort vom 18.7.200122 auf eine Kleine Anfrage zur Rechtsnatur von Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF-Schreiben) bestätigt hat. Zwischen Bund und Ländern sei streitig und nie geklärt worden, ob Art. 108 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 85 Abs. 3 GG dem Bund, vertreten durch den Bundesminister der Finanzen, ein Recht zur Erteilung allgemeiner Weisungen gebe24. An das Bundesverfassungsgericht sei diese Frage nicht herangetragen worden 25 . In der Praxis würden seit 1970 BMF-Schreiben herausgegeben,
14
Janz (Fn. 12), S. 258. Vgl. dazu bereits Blümel (Fn. 2), S. 215 (Fn. 82), 241 (m. Fn. 233); ders. (Fn. 5), Rn. 60 (S. 894 m. Fn. 341 ff.). 16 Janz (Fn. 12), S. 259 f.; a.M. z.B. Sommermann (Fn. 7), DVB1. 2001, 1554. 17 Vgl. Janz (Fn. 12), S. 260 (m. Fn. 674), 261 f. 18 Vgl. oben unter I (m. Fn. 1). 19 Vgl. dazu auch Sommermann (Fn. 7), DVB1. 2001, 1554. 20 Vgl. dazu z.B. die Nachweise bei Sommermann (Fn. 7), DVB1. 2001, 1554 (Fn. 37); Ronellenfitsch (Fn. 11), S. 71 (Fn. 35); Janz (Fn. 12), S. 256 f. (Fn. 659, 660). 21 C. Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, Tübingen 2001, S. 279 ff. (281). 22 BT-Drucks. 14/6716. 23 BT-Drucks. 14/6578. 24 BT-Drucks. 14/6716, Einleitung (S. 1). 25 Vgl. Fn. 24. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2.3.1999 (vgl. oben unter I m. Fn. 1) wird auch von der Bundesregierung in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. 15
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die m i t den Ländern abgestimmt seien 2 6 . Der Bundesminister der Finanzen gebe solche Schreiben nur heraus, wenn die Mehrzahl der Länder keine Einwendungen dagegen erhoben habe 2 7 . A u c h die sogenannten Afa-Tabellen 2 8 - welche Veranlassung fur die Kleine Anfrage gaben - würden als BMF-Schreiben ( i m Bundessteuerblatt) veröffentlicht 2 9 . Z u der in Bezug genommenen Vereinbarung v o m 15.1.1970 (betr. das „ V e r fahren z u m Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften außerhalb von Art. 108 Abs. 7 G G " ) 3 0 heißt es i n der A n t w o r t der Bundesregierung: 3 1 „Die Vereinbarung beruht auf einem maßgebenden Schriftwechsel vom Dezember 1969/Januar 1970 zwischen dem damaligen Bundesminister der Finanzen Dr. h.c. Alex Möller und dem damaligen Vorsitzenden der Konferenz der Landesfinanzminister Wertz. Die Finanzministerkonferenz hatte der Vereinbarung in ihrer Sitzung vom 15. Januar 1970 zugestimmt. Die Finanzminister der neuen Länder haben sich der Vereinbarung angeschlossen."32 Die Fragen zur Rechtsnatur der BMF-Schreiben beantwortete die Bundesregierung wie f o l g t : 3 3 „BMF-Schreiben stellen allgemeine Weisungen im Sinne der Artikel 108 Abs. 3 Satz 2, 85 Abs. 3 GG dar. Sie dienen - wie allgemeine Verwaltungsvorschriften nach Artikel 108 Abs. 7 GG - der Vollzugsgleichheit im Bereich der von den Ländern im Auftrag des Bundes verwalteten Steuern." „BMF-Schreiben und allgemeine Verwaltungsvorschriften im Sinne des Artikels 108 Abs. 7 GG sind vom rechtlichen Stellenwert vergleichbar. Sie binden die Steuervollzugsbehörden, nicht dagegen die Gerichte." I m übrigen treffe es z u 3 4 , dass die Berichterstatter des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates anerkannt hätten, dass die Weisungen des Art. 85 Abs. 3 G G auch allgemeine Weisungen umfassten. Die historische Auslegung
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Vgl. Fn. 24. Zu dieser Koordinierungspraxis bei allgemeinen Weisungen vgl. ausführlicher (m.w.N.) Blümel (Fn. 5), Rn. 60 (S. 894 f. m. Fn. 345 ff.). 27 Auf die Frage 4 - „Trifft es zu, dass beim Abstimmungsverfahren über ein BMFSchreiben jedes Land eine Stimme hat, eine Stimmverteilung und Einwohnergewichtung wie im Bundesrat also nicht existiert?" - antwortete die Bundesregierung (BT-Drucks. 14/6716, S. 2): „Ja. Der Grund hierfür liegt darin, dass BMF-Schreiben mit den Ländern unmittelbar abgestimmt werden, nicht mit dem Bundesrat." 28 Afa: Absetzung für Abnutzung. 29 Vgl. Fn. 24; ferner unten im Text (m. Fn. 37). 30 Vgl. dazu kritisch (m.w.N.) C. Starck, Wer ist eigentlich für den Erlaß der AfaTabellen zuständig?, JZ 2001, 132 f. (133 m. Fn. 5). 31 BT-Drucks. 14/6716 (S. 2: zu Frage 2). 32 In der Antwort der Bundesregierung zu Frage 3 - „Welche Rechtsgrundlage berechtigt zu dieser Vereinbarung?" - heißt es (BT-Drucks. 14/6716, S. 2): „Bund und Ländern ist es rechtlich nicht verwehrt, Kooperationsvereinbarungen zu treffen." 33 BT-Drucks. 14/6776 (S. 1: zu Frage 1; S. 4: zu Frage 16). 34 BT-Drucks. 14/6776 (S. 3: zu Frage 14).
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des Art. 85 Abs. 3 GG sei insoweit eindeutig35. Auch der Bundesrechnungshof vertrete die Auffassung, dass Art. 85 Abs. 3 GG die Befugnis zum Erlass allgemeiner Weisungen beinhalte 36 . Auf die entscheidenden Fragen, ob der Bundesregierung verfassungsrechtliche Bedenken in Bezug auf die Herausgabe von BMF-Schreiben bekannt seien und wie sie diese Bedenken beurteile, antwortete die Bundesregierung: 37 „Gegen die grundsätzliche Befugnis zur Herausgabe von BMF-Schreiben, von der in jahrzehntelanger Staatspraxis in bewährter Weise Gebrauch gemacht worden ist, sind keine verfassungsrechtlichen Bedenken ersichtlich. Solche ergeben sich auch - entgegen einer vereinzelten Auffassung im Schrifttum - nicht im Hinblick auf die Verlängerung von Abschreibungszeiten." „Die von einem Einzelnen im Schrifttum erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Erlass bzw. gegen die Änderung von Afa-Tabellen im Wege von BMF-Schreiben fußen maßgeblich auf der Auffassung, das Weisungsrecht des Bundes beschränke sich auf Einzelfälle (vgl. Starck, JZ 2001, S. 132, 133). Nach zutreffender Auffassung stellen die Afa-Tabellen dagegen „Weisungen" im Sinne des Artikels 85 Abs. 3 GG dar, die über Artikel 108 Abs. 3 Satz 2 GG vom Bundesministerium der Finanzen erteilt werden dürfen ..."
An dieser Antwort der Bundesregierung stört natürlich die Feststellung, dass es sich bei den von Starck 38 vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken um eine vereinzelte Auffassung im Schrifttum handeln soll. Das Gegenteil ist richtig 39 . In der Sache selbst bleibt der Verf. 40 jedoch dabei, dass der Begriff „Weisungen" in Art. 85 Abs. 3 GG neben Einzelweisungen auch allgemeine Weisungen umfasst.
I I I . Allgemeine Rundschreiben Der eingangs erwähnte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2.3.199941 hat allerdings Bedeutung für einen anderen Aspekt der Staatspraxis. Der Verf. 42 hat schon wiederholt darauf hingewiesen, dass der Bund (auch)43
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Im Ergebnis ebenso Janz (Fn. 12), S. 259 (m. Fn. 670 f.). BT-Drucks. 14/6776 (S. 3: zu Frage 15). 37 BT-Drucks. 14/6776 (S. 4: zu Fragen 18, 19). 38 Fn. 30. 39 Zum Meinungsstreit vgl. oben im Text (m. Fn. 7 ff., 20 f.). 40 Vgl. oben im Text (m. Fn. 8). 41 Fn. 1. 42 Vgl. Blümel (Fn. 2), AöR Bd. 93 (1968), 200 ff.; ders. (Fn. 5), Rn. 56 (S. 890 f.). 43 Zur Staatspraxis beim Landesvollzug von Bundesgesetzen unter Bundesaufsicht (Art. 84 Abs. 2 GG) vgl. Blümel (Fn. 5), Rn. 39 (S. 879 f.). Nach den Angaben im Handbuch des Bundesrates 2002/2003, Baden-Baden 2003, S. 300, wurden dem Bundesrat in 14 Legislaturperioden (bis 2002) 938 allgemeine 36
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bei der Bundesauftragsverwaltung von der Befugnis zum Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften nur zurückhaltend Gebrauch gemacht hat. So sind bei der Auftragsverwaltung der Bundesfernstraßen in über 50 Jahren nur zwei - inzwischen längst überholte - allgemeine Verwaltungs Vorschriften nach Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG (aus den Jahren 1951 und 1956) erlassen worden 44 . Neue allgemeine Verwaltungsvorschriften sind nicht in Sicht, und zwar deshalb nicht, weil an Stelle dieses Steuerungsmittels seit langem die einvernehmliche Gestaltung der Verwaltung der Bundesfernstraßen durch Bund und Länder getreten ist 4 5 . So werden die notwendigen Anwendungs- und Verfahrensrichtlinien vom Bundesminister fur Verkehr zusammen mit den obersten Straßenbaubehörden in Koordinierungsgremien 46 erarbeitet, als „Allgemeine Rundschreiben" (ARS) 47 im Verkehrsblatt veröffentlicht und den obersten Straßenbaubehörden der Länder zur Einfuhrung als Dienstvorschrift empfohlen, und zwar auch für den Bereich der Landesstraßen 48. Während im Schrifttum diese Praxis gebilligt wird 4 9 , hat der Verf. 50 den weitgehenden Verzicht des Bundes auf das Steuerungsmittel der allgemeinen Verwaltungsvorschriften zugunsten einer „schlichten" Koordinierung bei der Auftragsverwaltung der Bundesfernstraßen mehrfach als verfassungsrechtlich bedenklich bezeichnet. Diese Auffassung kann jedoch nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2.3.199951, worauf Poxleitner/Geyer 52 aus der
Verwaltungsvorschriften zugeleitet und von ihm beraten; lediglich in sieben Fällen wurde die Zustimmung versagt. 44 Vgl. dazu näher Blümel (Fn. 2), AöR Bd. 93 (1968), S. 202 f., 205; ders. (Fn. 5), Rn. 56 (S. 890 m. Fn. 307); S. Rinke, Die Bundesauftragsverwaltung der Bundesfernstraßen aus der Sicht des Bundes, in: Bundesanstalt für Straßenwesen (Fn. 7), S. 18 ff. (21, 25); J. Poxleitner/G. Geyer, Bundesauftrags Verwaltung aus der Sicht eines Bundeslandes, ebenda (Fn. 7), S. 27 ff. (27 f.). 45 Hierzu und zum Folgenden vgl. (m.w.N.) Blümel (Fn. 5), Rn. 56 (S. 890 f.); ferner Rinke (Fn. 44), S. 21, 25; Poxleitner/Geyer (Fn. 44), S. 27 f. 46 Über die Arbeitsgruppen Bund/Länder zu Rechtsfragen der Auftragsverwaltung vgl. Rinke (Fn. 44), S. 20 f. 47 Hierzu sowie zu der jährlichen Zusammenstellung der jeweils geltenden „Allgemeinen Rundschreiben" im Verkehrsblatt vgl. Rinke (Fn. 44), S. 21 (m. Fn. 7). 48 Vgl. z.B. Allgemeines Rundschreiben Straßenbau Nr. 27/2002, Sachgebiet 14.5: Straßenrecht; Planung und Planfeststellung; Planfeststellungsrichtlinien 2002, abgedruckt in: B. Stüer/W. Probstfeid, Die Planfeststellung, München 2003, S. 531 ff. 49 Vgl. dazu (m.w.N.) Blümel (Fn. 5), Rn. 56 (m. Fn. 312); auch Sommermann (Fn. 7), DVB1. 2001, 1554. 50 Vgl. Blümel (Fn. 2), S. 200 (Untertitel), 225 ff., 236, 240 f.; ders. (Fn. 5), Rn. 39 a.E. (S. 880), 56 (S. 891 m. Fn. 313), 59 (S. 893 m. Fn. 331). 51 Vgl. oben unter I (m. Fn. 1). 52 Vgl. Poxleitner/Geyer (Fn. 44), S. 28.
Allgemeine Weisungen und Bundesauftragsverwaltung
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Sicht eines Bundeslandes und Rinke 53 aus der Sicht des Bundes zutreffend aufmerksam gemacht haben, nicht mehr aufrechterhalten werden. In dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts 54 werden die „Leitlinien" gemäß § 7 Abs. 2a Satz 1 Halbsatz 2 AtG 5 5 als einseitige Entschließungen des fur die kerntechnische Sicherheit und am Strahlenschutz zuständigen Bundesministeriums bezeichnet, vor deren Erlass die zuständigen obersten Landesbehörden lediglich anzuhören sind: „Damit fugen sie sich gerade nicht in das Regelwerk konsentierter Vorgaben 56 für die Handhabung des Atomgesetzes ein, die auf Übereinstimmung zwischen den zuständigen Landesbehörden und dem zuständigen Bundesministerium beruhen." 57 Diese Aussage über die Zulässigkeit des Instrumentariums konsentierter Regelungen für den Bereich der auftragsweisen Kernenergieverwaltung (Art. 87c GG, § 24 Abs. 1 Satz 1 AtG) muss auch für alle anderen Fälle der Bundesauftragsverwaltung 58 gelten, also auch für die Auftragsverwaltung der Bundesfernstraßen 59. In der Staatspraxis wird das Dictum des Bundesverfassungsgerichts zur ausschließlichen Zuständigkeit der Bundesregierung als Kollegium in der gleichen Entscheidung60 allerdings zur Folge haben, dass an Stelle des nun wenig praktikablen Verfahrens nach Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG 6 1 das Abstimmungsverfahren in den Koordinierungsgremien noch weiter an Bedeutung gewinnt 62 .
53
Vgl. Rinke (Fn. 44), S. 25. BVerfGE 100, 249 (258 f.). 55 Vgl. dazu W. Blümel, Die atomrechtliche Aufsicht, in: Pelzer (Hrsg.), Schnittpunkte nationalen und internationalen Atomrechts, Baden-Baden 1997, S. 203 ff. (216, Fn. 97 a.E., 222 f.). 56 Zum einschlägigen Vorbringen der Niedersächsischen Landesregierung und der Bundesregierung vgl. BVerfGE 100, 249 (254, 256 f.). Vgl. dazu auch Lüdemann (Fn. 1), ZUR 1999, 268 f.; Koch (Fn. 1), JURA 2000, 182 (m. Fn. 31 ff.); Poxleitner/ Geyer (Fn. 44), S. 28. 57 BVerfGE 100, 249 (259). Auch hier bleibt offen, welche Konsequenzen sich aus dieser Aussage für das angebliche Verbot der Misch Verwaltung von Bund und Ländern ergeben. Vgl. dazu Blümel (Fn. 5), Rn. 56 (S. 891 m. Fn. 315), Rnrn. 120 ff. (S. 935 ff.). 58 Vgl. dazu Blümel (Fn. 5), Rnrn. 46 ff. (S. 884 ff.). 59 Ebenso Poxleitner/Geyer (Fn. 44), S. 28. 60 Vgl. oben unter I (m. Fn. 1). 61 Gleiches gilt für Art. 84 Abs. 2, Art. 108 Abs. 7 GG. 62 Vgl. dazu Bleibtreu (Fn. 1), DVB1. 1999, 1266; Rinke (Fn. 44), S. 25; Poxleitner/ Geyer (Fn. 44), S. 28 (a.E.). Als Kuriosum sei vermerkt, dass in Niedersachsen im Jahre 2002 alle dort zuvor eingeführten „Allgemeinen Rundschreiben Straßenbau" unter Berufung auf die früheren - hier aufgegebenen - verfassungsrechtlichen Bedenken des Verf. aufgehoben wurden; vgl. Nds. MB1. Nr. 28/2002 S. 603, Nr. 31/2002 S. 662. Zur früheren - schon damals unterschiedlichen - Übernahmepraxis der Länder vgl. Blümel (Fn. 2), S. 210 f., 223 (m. Fn. 129), 240 (m. Fn. 224). 54
Institutionen unter Konkurrenzdruck: Das Beispiel des öffentlich-rechtlichen Vertrages Von Jan Ziekow, Speyer
Die Frage der Institutionenbildung und Institutionenentwicklung hat Klaus König immer wieder beschäftigt. Da er als Schüler Carl Hermann Ules die Entstehung und Entwicklung des Verfahrensrechts in Deutschland begleitet hat, liegt es nahe, sich in einer Klaus König zugedachten Festschrift mit dem Schicksal von Institutionen des Verfahrensrechts zu befassen. Begreift man unter Institution ein Regelsystem, das einen bestimmten Ordnungszustand bewirkt, und zeichnet sich die Perpetuierung ihrer Existenz durch die Routinisierung ihrer Verwirklichung aus, so müssen Institutionen gelebt und es muss nach ihnen gelebt werden. 1 Institutionen eröffnen Handlungsoptionen und gewähren Verhaltenssicherheit. Wird nicht nach ihnen gelebt, so verlieren sie ihre Orientierungsfunktion: „Nicht nur ihre blanke ökonomisch-technische Effizienz, sondern auch diese Erfolgsgeschichte und die weiteren Erfolgsunterstellungen entscheiden über die Nutzenkalkulationen der Akteure." 2 Für das Schicksal der Institution ist dies insbesondere dann von Bedeutung, wenn sich die Institution hinsichtlich ihres Nutzwertes in einer Konkurrenzsituation zu anderen Institutionen befindet. Als Paradigma fur die Entwicklung einer Institution unter Konkurrenzbedingungen soll im Folgenden der öffentlich-rechtliche Vertrag, geregelt in den §§54 ff. VwVfG, betrachtet werden.
1 Vgl. R. Jepperson, Institutions, Institutional Effects and Institutionalism, in: W. Powell/P. DiMaggio (Hrsg.), The New Institutionalism in Organizational Analysis, Chicago 1991, S. 143 (145 ff.). 2 D. Jansen, Der neue Institutionalismus, Speyer 2000, S. 13.
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I. Der öffentlich-rechtliche Vertrag als Institution der Verwaltungskooperation Versteht man Institutionen als Ergebnis eines Prozesses der Institutionalisierung einer Leitidee3, so lässt sich der Verwaltungsvertrag als zentrale Institution der kooperativen Verwaltung begreifen. 4 Zentraler Begriff ist insoweit der der Verantwortungsteilung zwischen Staat und Bürgern. Er knüpft an an ein Verständnis der Verantwortung der Verwaltung, das die Verwaltung erstens für das zur Aufgabenerfüllung beitragende zweckbewusste Entscheiden und zweitens für die Ausführung des hierdurch entstandenen Verwirklichungsauftrags in die Pflicht nimmt. 5 Dabei ist zu beachten, dass der vom Grundgesetz verfasste Staat in einer Gesamtverantwortung mit der Gesellschaft zur Erfüllung der zu bewältigenden Aufgaben steht. Insoweit lässt sich von einer Verantwortungsgemeinschaft von Staat und Bürgern sprechen.6 Staatliche Aktivierung durch Verantwortungsteilung beinhaltet daher ein Zweifaches: eine Arbeitsteilung zwischen staatlichen, halbstaatlichen und privaten Akteuren bei der Erledigung von im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben sowie die Organisation von Kooperationsarenen zur Realisierung dieser Arbeitsteilung. 7 Verantwortungsteilung ist nicht statisch auf die einmalige Zuweisung von Aufgaben, sondern dynamisch auf Koordinierung von durch unterschiedliche Handlungsrationalitäten geprägten Rollen angelegt.8 Verantwortungsteilung ist mithin kein Rückzug des Staates von der Aufgabenerfullung, vielmehr ein „Formwandel staatlicher Machtausübung", der durch „das Zusammenwirken, die Kombination von gesellschaftlicher Selbstregelung und politischer Steuerung" bestimmt ist. 9 Modus zur Verwirklichung dieses 3 Vgl. M R. Lepsius, Institutionalisierung und Deinstitutionalisierung von Rationalitätskriterien, in: G. Göhler (Hrsg.), Institutionenwandel, Opladen 1997, S. 57 (58 f.). 4 Vgl. E. Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Berlin/Heidelberg 1998, S. 265. 5 R. Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, München 1990, S. 256 f. 6 Pitschas, Verwaltungsverantwortung (Anm. 5), S. 237 f. 7 W. Hoffmann-Riem, Verantwortungsteilung als Schlüsselbegriff moderner Staatlichkeit, in: P. Kirchhof/M. Lehner u.a. (Hrsg.), Staaten und Steuern, Festschrift für Klaus Vogel zum 70. Geb., Heidelberg 2001, S. 47 (52); H.-H Trute, Verantwortungsteilung als Schlüsselbegriff eines sich verändernden Verhältnisses von öffentlichem und privatem Sektor, in: G. F. Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und „schlankem" Staat, Baden-Baden 1999, S. 13. 8 Trute, Verantwortungsteilung (Anm. 7), S. 13 f. 9 R. Mayntz, Politische Steuerung: Aufstieg, Niedergang und Transformation einer Theorie, in: K. von Beyme/C. Offe (Hrsg.), Politische Theorien in der Ära der Transformation, Opladen 1996, S. 148 (163). Vgl. hierzu noch U. Di Fabio , Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, in: VVDStRL 56 (1997), S. 235 ff.; M. Schmidt-Preuß, Verwaltung und Verwal-
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Formwandels ist die Kooperation zwischen selbstregulativen Potentialen und Steuerungsinstanzen, zwischen Privaten und Verwaltung. Ohne eine solche Kooperation ist eine steuernde Beeinflussung von gesellschaftlicher Selbstregulierung kaum möglich. 10 Verantwortungsteilung im aktivierenden Staat und Kooperation zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren sind unmittelbar aufeinander bezogen. Neben die Steuerung durch hoheitliches Gebot tritt die Steuerung durch Kooperation. 11 Aufgabe des Rechts ist es dabei, das zur Strukturierung dieses Prozesses Erforderliche bereitzustellen. 12 Rainer Pitschas hat zutreffend herausgearbeitet, dass die Weiterentwicklung des öffentlichen Vertragsrechts dem Staat die Möglichkeit zur Rückkopplung der gesellschaftlichen Selbststeuerungskräfte an das Gemeinwohl eröffnet. 13 Wenn es richtig ist, dass Institutionen durch ihre Routinisierung leben, so vermag der öffentlich-rechtliche Vertrag seine Transformationsaufgabe nur zu erfüllen, wenn er im Vergleich mit konkurrierenden Institutionen hierfür gerüstet ist.
I I . Zur Empirie des Verwaltungsvertragsrechts Verlässliche Aussagen zur Konkurrenzsituation des öffentlich-rechtlichen Vertrages lassen sich nur auf der Grundlage eingehender empirischer Untersuchungen zu Einsatzfeldern, zugrundeliegenden Motivationen, Abschlussmodalitäten und inhaltlichen Gestaltungen öffentlich-rechtlicher Verträge treffen, die derzeit nicht vorliegen. Sowohl die von Schiette14 als auch die von Bartscher 15 durchgeführten Erhebungen zeichnen ein Bild, das den Anteil des vertraglichen Handelns an dem gesamten außenwirksamen Tätigwerden der befragten Behörden als quantitativ unbedeutend beschreibt: Über 80 % der von Schiette befragten Behörden schätzen den Anteil des vertraglichen Handelns mit höchs-
tungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, in: VVDStRL 56 (1997), S. 160 ff. 10 H off mann-Riem, Verantwortungsteilung (Anm. 7), S. 50. 11 Vgl. aus der umfangreichen Literatur nur P. Arnold, Kooperatives Handeln der nicht-hoheitlichen Verwaltung, in: N. Dose/R. Voigt (Hrsg.), Kooperatives Recht, Baden-Baden 1995, S. 211 ff.; A. Benz, Kooperative Verwaltung, Baden-Baden 1994; N. Dose, Die verhandelnde Verwaltung, Baden-Baden 1997; H. Rossen, Vollzug und Verhandlung, Tübingen 1999. 12 G. F. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, Baden-Baden 2000, S. 444. 13 R. Pitschas, Verantwortungskooperation zwischen Staat und Bürgergesellschaft, in: K.-P. Sommermann/J. Ziekow (Hrsg.), Perspektiven der Verwaltungsforschung, Berlin 2002, S. 223 (261). 14 V. Schiette , Die Verwaltung als Vertragspartner, Tübingen 2000, S. 241 ff. 15 B. Bartscher, Der Verwaltungs vertrag in der Behördenpraxis, Konstanz 1997.
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tens 10 %. 1 6 Die von Bartscher zusammengestellten Schätzungen geben diesen Anteil zwischen 0,05 % und 10 %, nie über 10 % an. 17 Im Kontrast zu diesen Angaben zur quantitativen Relevanz des öffentlich-rechtlichen Vertrages stehen die ermittelten qualitativen Einschätzungen. Die Erfahrungen der Behörden mit der Wahl der Vertragsform sind deutlich positiv. 18 Aus Verträgen sich ergebende Rechtsstreitigkeiten sind sehr selten.19 Es ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen routinemäßig abgeschlossenen Verträgen und Verträgen zur Bewältigung komplexer oder unklarer Situationen. Der für den Abschluss eines Routinevertrags zu erbringende Verwaltungsaufwand wird als geringer als der beim Erlass eines Verwaltungsakts zu bewältigende angesehen.20 Bei Verträgen in komplexen oder unklaren Situationen ist der Aufwand zwar höher als beim Handeln durch Verwaltungsakt, jedoch liegt hier der besondere Gestaltungsvorteil der Vertragsform. 21 Anhaltspunkte für eine aufgabengerechte Ausgestaltung des Rechts des öffentlich-rechtlichen Vertrages lassen sich vor allem aus einem Vergleich zum Verwaltungshandeln durch Verwaltungsakt einerseits und dem privatrechtlichen Vertrag andererseits gewinnen. Wie § 54 Abs. 2 VwVfG deutlich macht, ist für den tradierten Anwendungsbereich des öffentlich-rechtlichen Vertrages der Verwaltungsakt der primäre „Konkurrent". Eine Verbreiterung der Einsatzbasis der Vertragsform setzt eine Auseinandersetzung mit den Gründen der Präferierung der Handlungsform Verwaltungsakt voraus. Andererseits ist eine Rückkoppelung zum zivilistischen Vertragsrecht vorzunehmen. Hierfür gibt es mehrere Gründe: zum einen den Umstand, dass Verwaltungskooperationen sich häufig in einer Diffusion von öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen Elementen vollziehen 22 , zum anderen die Lockerung der Unterscheidung öffentliches Recht - Privatrecht, schließlich die Notwendigkeit für den Staat, sich in Verwaltungskooperationen den Handlungsrationalitäten der privaten Kooperationspartner zu öffnen.
16
Schiette , Verwaltung (Anm. 14), S. 254. Bartscher, Verwaltungsvertrag (Anm. 15), S. 136, 170, 195. 18 Vgl. Schiette, Verwaltung (Anm. 14), S. 706. 19 Bartscher, Verwaltungsvertrag (Anm. 15), S. 145, 172, 202, 245, 293; Schiette, Verwaltung (Anm. 14), S. 706. 20 Bartscher, Verwaltungsvertrag (Anm. 15), S. 142. 21 Vgl. dazu Schiette , Verwaltung (Anm. 14), S. 703 ff. 22 Vgl. H.-H. Trute, Verzahnungen von öffentlichem und privatem Recht, in: W. Hoffrnann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, Baden-Baden 1996, S. 167 (197 ff.). 17
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I I I . Der Verwaltungsakt als Vergleichsmaßstab Aus den genannten empirischen Ansätzen (ο. II.) ist zunächst die Folgerung abzuleiten, dass die Dominanz des Handelns durch Verwaltungsakt in erster Linie daraus abzuleiten ist, dass die Verwaltung diesbezüglich fundierte RegelRoutinen entwickelt hat. Die Nutzung der Handlungsform Verwaltungsakt entlastet die Verwaltung. Die Verwaltung kennt die Chancen und Risiken des Handelns durch Verwaltungsakt und beherrscht die Mechanismen zu ihrer Steuerung. Ein verstärkter Rückgriff auf vertragliche Formen kann nur erwartet werden, wenn dort die Etablierung entsprechender Regel-Routinen gelingt. Ein Anreiz für die Initiierung derartiger Etablierungsprozesse besteht allerdings nur dann, wenn die Handlungsform Vertrag der Handlungsform Verwaltungsakt aus Sicht der Verwaltung zumindest im Wesentlichen funktional äquivalent ist. Die Vorteile der einseitig hoheitlichen Regelung dürfen nicht derart gravierend sein, dass sie von vornherein den Verzicht auf die Wahl vertraglicher Handlungsoptionen nahe legen. Zum Beleg einer solchen funktionalen Äquivalenz reicht es jedenfalls nicht aus, auf eine größere Flexibilität oder Kooperations- bzw. Akzeptanzpotentiale des öffentlich-rechtlichen Vertrages zu verweisen. Es ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass die Verarbeitungskapazität des Verwaltungsakts groß genug ist, um sowohl komplexen Situationsgestaltungen als auch polygonalen Interessengeflechten gerecht werden zu können.23 Dass es nicht selten einer gewissen Beliebigkeit anheim gegeben ist, ob ein kooperativ gestaltetes Verwaltungsverfahren mit dem Erlass eines Verwaltungsakts, dessen Inhalt zwischen der Verwaltung und den Beteiligten abgesprochen worden ist, oder dem Abschluss eines Vertrages endet, ist ebenfalls bekannt.24 Gleichwertigkeit kann die Handlungsform Vertrag nur erlangen, wenn versucht wird, de lege lata bestehende Nachteile des öffentlich-rechtlichen Vertrages gegenüber dem Verwaltungsakt abzubauen. Die Vorteil-Nachteil-Relationen sind in der Übersicht zusammengefasst:
23 K.-H. Ladeur, Die Zukunft des Verwaltungsakts, in: VerwArch 1995, S. 511 ff.; F. Schock, Der Verwaltungsakt zwischen Stabilität und Flexibilität, in: W. HoffmannRiem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, Baden-Baden 1994, S. 199 ff. 24 Vgl. nur W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsrechtsreform - Ansätze am Beispiel des Umweltschutzes - , in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Baden-Baden 1993, S. 115 (151 ff.).
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ggf. einseitiges
möglichkeiten
„Durchentscheiden"
Form
grds. formfrei
Konsensabhängigkeit grds. Schriftform (§ 57 VwVfG)
(§ 37 Abs. 2 VwVfG) Rechtmäßigkeit
Beachtung der Zuständigkeits-
Beachtung der Zuständigkeitsvor-
und Erlassvoraussetzungen
schriften, des materiellen Rechts sowie der engen Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 55, 56 VwVfG
Wirksamkeit
Differenzierte Reaktionsmöglichkeiten bei Rechtswidrigkeit: Berufen auf Bestandskraft oder Rücknahme nach Ermessen; Nichtigkeit nur in Ausnahmefällen
Starre Unterscheidung zwischen Gültigkeit oder Nichtigkeit; erweiterte Nichtigkeitsgründe in § 59 VwVfG, die unbefristet geltend gemacht werden können
einseitige Lö-
Widerruf nach § 49 VwVfG
nur im Ausnahmefall des § 60 VwVfG
sung Betroffenheit
Nach Ablauf der Anfechtungs-
Unwirksamkeit des Vertrages,
von
frist unbeachtlich
§ 58 VwVfG
Verwaltungsvollstreckung
Klage
Drittinteressen Durchsetzung
Vor- und Nachteile von Verwaltungsakt und öffentlich-rechtlichem Vertrag
Einige der jedenfalls auf den ersten Blick konstatierbaren Nachteile lassen sich zwar durch vertragliche Regelungen abfangen. Jedoch setzt dies die Etablierung entsprechender Regel-Routinen voraus, an deren Entwicklung die Verwaltung möglicherweise gerade durch die Bevorzugung der Handlungsform Verwaltungsakt gehindert wird.
IV. Der privatrechtliche Vertrag als Vergleichsmaßstab Soweit eine Rückkoppelung zum zivilistischen Vertragsrecht in Rede steht, bezieht sie sich auf die Bindungen nur eines Vertragspartners. Die Besonderheit des öffentlich-rechtlichen Vertrages besteht gerade darin, dass mindestens einer der Vertragspartner den Bindungen des öffentlichen Rechts unterliegt und der Vertragsgegenstand dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist. Sofern der Vertrag zwischen Behörde und Bürger geschlossen wird, geht der Bürger seiner Privatautonomie nicht dadurch verlustig, dass sein Vertragspartner die Verwaltung
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ist. 25 Seine privatautonomen Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten sind deshalb fur einen Strukturvergleich unergiebig. Hinsichtlich der vergleichsrelevanten Unterschiede ist deshalb für den öffentlich-rechtlichen Vertrag allein auf die Stellung der Behörde abzuheben.
1. Die Privatautonomie des Bürgers Der Vertragsschluss zwischen Privaten erfolgt in Ausübung von deren Privatautonomie. Privatautonomie meint die Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben, d.h. die Möglichkeit, seine Rechtsverhältnisse selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu regeln. 26 Ein Unterfall der Privatautonomie ist die Vertragsfreiheit. Vertragsfreiheit ist die „Möglichkeit, durch übereinstimmende Willensäußerungen Rechtswirkungen inter partes zu erzeugen". 27 Ihr entscheidendes Merkmal ist der Wille der Kontrahierenden: „Durch diesen Willen entscheidet die Person, ob sie mit einem anderen einen Vertrag abschließen will oder nicht, was für einen Inhalt sie der Abrede geben möchte und in welcher Form sie sich ausdrücken will." 2 8 Vertragsfreiheit konkretisiert sich auf drei Ebenen: der Abschluss-, der Inhalts- und der Formfreiheit. -
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Unter Abschlussfreiheit ist die Befugnis zur eigenverantwortlichen Entscheidung darüber zu verstehen, ob und mit wem ein Vertrag geschlossen werden soll. Dies umschließt sowohl die Freiheit, anderen Personen einen Vertragsschluss antragen zu dürfen, als auch die Möglichkeit, solche Anträge ablehnen zu können, also nicht kontrahieren zu müssen.29 Der durch Ausübung der positiven Abschlussfreiheit hervorgebrachten vertraglichen Bindung kann sich der Vertragschließende nicht ohne weiteres unter Berufung auf seine negative Abschlussfreiheit wieder entziehen. Erforderlich ist vielmehr, dass in einer wertenden Gesamtbetrachtung der negativen Abschlussfreiheit ein Übergewicht über die Bindungsfreiheit zuzuerkennen ist. 30
E. GurliU Verwaltungsvertrag und Gesetz, Tübingen 2000, S. 333; E. SchmidtAßmann/W. Krebs, Rechtsfragen städtebaulicher Verträge, 2. Aufl., Köln 1992, S. 132. 26 H.-U. Erichsen, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI, Heidelberg 1989, § 152 Rn. 58; Ch. Paulus/W. Zenker, Grenzen der Privatautonomie, in: JuS 2001, S. 1. 27 Ch. Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, Tübingen 2000, S. 55 m.w.N. 28 Heinrich, Formale Freiheit (Anm. 27), S. 55 m.w.N. 29 Heinrich, Formale Freiheit (Anm. 27), S. 55 m.w.N. 30 Heinrich, Formale Freiheit (Anm. 27), S. 56 ff. m.w.N.
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Inhaltsfreiheit ist die Möglichkeit, den Inhalt des Vertrages durch die Vertragsparteien beliebig zu gestalten.31 Gleichwohl sieht die Rechtsordnung in bestimmten Fällen eine Kontrolle des Inhalts von Verträgen vor.
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Die Formfreiheit stellt die Form, in der das rechtsgeschäftlich Gewollte zum Ausdruck gebracht wird, in das Belieben der Parteien. Die gesetzliche Statuierung eines Formzwangs bedarf einer besonderen Rechtfertigung. 32
Schon aus verfassungsrechtlicher Perspektive kann die inhaltliche Gestaltungsfreiheit nicht unbeschränkt sein. Rechtlich relevant wird Privatautonomie durch die Zurverfügungstellung von Formen zur Verwirklichung des autonomen Gewollten durch die Rechtsordnung. 33 Grundsätzlich wird die Privatautonomie durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt,34 es sei denn, der Schutz des konkreten Handlungsbereichs erfolgt durch ein anderes Grundrecht. 35 Treten zwei private Rechtssubjekte miteinander in eine rechtsgeschäftliche Beziehung, so genießen die Akte ihrer Selbstbestimmung gleichermaßen grundrechtlichen Schutz.36 Da ohne die Bereitstellung eines zivilrechtlichen Formenkanons die Realisierung der Privatautonomie durch Begründung privater Rechtsverhältnisse jedenfalls an der fehlenden Durchsetzbarkeit entstandener Rechte scheitern würde, ist die Gestaltung der Privatrechtsordnung Ausdruck staatlichen Schutzes der Privatautonomie. 37 Aus der Sicht des Staates sind in Wahrnehmung seiner Schutzpflicht konfligierende, gleichermaßen grundrechtlichen Schutz genießende Interessen zum Ausgleich zu bringen. 38 Inhaltliche Ausgestaltungsmaxime ist die allseitige Optimierung der Selbstbestimmung im Rechtsverkehr. 39 Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber auch Vorsorge dafür zu treffen, dass unvermeidliche Paritätsstörungen nicht in eine Privatautonomie faktisch exkludierende Fremdbestimmung 31
Heinrich, Formale Freiheit (Anm. 27), S. 59 f. m.w.N. Heinrich, Formale Freiheit (Anm. 27), S. 60 ff. m.w.N. 33 Erichsen, Handlungsfreiheit (Anm. 26), Rn. 57; J. Pietzcker, Drittwirkung Schutzpflicht - Eingriff, in: H. Maurer (Hrsg.), Das akzeptierte Grundgesetz. Festschrift für Günter Dürig zum 70. Geb., München 1990, S. 345 (348). 34 BVerfGE 8, S. 274 (328); 72, S. 155 (170); 89, S. 214 (231); BVerfG NJW 2001, S. 957 (958). 35 Erichsen, Handlungsfreiheit (Anm. 26), Rn. 59; W. Höfling, Vertragsfreiheit, Heidelberg 1991, S. 11. 36 C-W. Canaris , Grundrechtswirkungen und Verhältnismäßigkeitsprinzip in der richterlichen Anwendung und Fortbildung des Privatrechts, in: JuS 1989, S. 161 (163). 37 Vgl. BVerfGE 89, S. 214 (231 f.); C.-W. Canaris , Grundrechte und Privatrecht, in: AcP 184 (1984), S. 201 (225 ff.); Höfling, Vertragsfreiheit (Anm. 35), S. 28. 38 BVerfGE 81, S. 242 (255); H. H. Kupp, Vom Wandel der Grundrechte, in: AöR 101 (1976), S. 161 (171). 39 Vgl. BVerfGE 89, S. 214 (232); Erichsen, Handlungsfreiheit (Anm. 26), Rn. 58. 32
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hypertrophieren, jedenfalls soweit es sich um typisierbare, strukturell angelegte Konstellationen handelt.40 Hierfür kann der Gesetzgeber wegen der Vielgestaltigkeit potentiell relevanter Fallgestaltungen auf die Verwendung ausfüllungsbedürftiger Begriffe und von Generalklauseln nicht verzichten. 41 In seinem Urteil vom 6. Februar 2001 hat das Bundesverfassungsgericht diese Grundsätze nochmals zusammengefasst: „Die durch Art. 2 I GG gewährleistete Privatautonomie setzt voraus, dass die Bedingungen der Selbstbestimmung des Einzelnen auch tatsächlich gegeben sind ... Maßgebliches Instrument zur Verwirklichung freien und eigenverantwortlichen Handelns in Beziehung zu anderen ist der Vertrag, mit dem die Vertragspartner selbst bestimmen, wie ihre individuellen Interessen zueinander in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Wechselseitige Bindung und Freiheitsausübung finden so ihre Konkretisierung. Der zum Ausdruck gebrachte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien lässt deshalb in der Regel auf einen durch den Vertrag hergestellten sachgerechten Interessenausgleich schließen, den der Staat grundsätzlich zu respektieren hat ... Ist jedoch auf Grund einer besonders einseitigen Aufbürdung von vertraglichen Lasten und einer erheblich ungleichen Verhandlungsposition der Vertragspartner ersichtlich, dass in einem Vertragsverhältnis ein Partner ein solches Gewicht hat, dass er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann, ist es Aufgabe des Rechts, auf die Wahrung der Grundrechtspositionen beider Vertragspartner hinzuwirken, um zu verhindern, dass sich fur einen Vertragsteil die Selbstbestimmung in eine Fremdbestimmung verkehrt." 42
2. Die fehlende Vertragsfreiheit der Verwaltung Der dargestellte Ableitungszusammenhang von Privatautonomie - Vertragsfreiheit - Abschluss-, Form- und Inhaltsfreiheit mit nur ausnahmsweise bei gravierenden Paritätsstörungen erfolgender Inhaltskontrolle ist auf vertragliches Handeln der Verwaltung von vornherein nicht anwendbar. Dies gilt unabhängig davon, ob der Vertrag dem Regime des öffentlichen oder dem des privaten Rechts zuzuordnen ist. Beim Vertrag ist zwischen Handlung und Regelung zu unterscheiden. Während die Handlung in der Abgabe einer Willenserklärung besteht, stellt der wirksame Vertrag eine Regelung dar. Schließt die Verwaltung einen zivilrechtlichen Vertrag, so werden dabei Rechtsfolgen des Privatrechts, nämlich das Zustandekommen des Vertrages, erzeugt. Das Verwaltungshandeln aber - die Abgabe der Willenserklärung - unterliegt dem öffentlichen Recht. Umgekehrtes gilt für den Privaten, dessen Handeln immer - unabhängig davon, wo die Rechtsfolgen eintreten - nach Privatrecht zu beurteilen ist. Ob der Vertrag selbst Rechtswirkungen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts oder des 40
BVerfGE 81, S. 242 (254 f.); 89, S. 214 (232). BVerfGE 89, S. 214 (233); K. Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, Heidelberg 1988, S. 28. 42 BVerfG NJW 2001, S. 957 (958). 41
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Zivilrechts erzeugt, ist für die Frage der Bindung des Verwaltungshandelns zweitrangig. Öffentliches Recht ist das für das Handeln der Verwaltung geltende Recht. 43 Die Wahl der Handlungsform Vertrag stellt die Verwaltung nicht von den öffentlich-rechtlichen Bindungen frei. Ebensowenig kann der private Vertragspartner der Behörde über diese Bindungen disponieren. Der Umstand, dass sich der Private durch den Vertragsschluss freiwillig in ein (auch) ihn verpflichtendes Rechtsverhältnis zu der Verwaltung begibt, dispensiert diese nicht von der Gesetzesbindung.44 Das für unter Beteiligung der Verwaltung geschlossene Verträge geltende Rechtsregime ist daher von dem für Verträge unter Privaten errichteten strukturell verschieden. Da Privatautonomie einen durch Art. 2 Abs. 1 GG abgeschirmten Bereich selbstbestimmter Willensverwirklichung bezeichnet, kann sie dem Staat und seinen Untergliederungen nicht zukommen.45 Die Verwaltung ist nicht Grundrechtsberechtigter, sondern Adressat der Grundrechtsbindung (Art. 1 Abs. 3 GG). Schließt die Verwaltung einen Vertrag, so manifestiert sie nicht eine - ihr nicht zukommende - Willensfreiheit, sondern erfüllt öffentliche Aufgaben. 46 Dafür stehen ihr zwar auch die durch das Zivilrecht bereitgestellten Rechtsgestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, ohne dass sie jedoch in Wahrnehmung von Privatautonomie agieren könnte. Sie unterliegt vielmehr auch bei vertraglichem Handeln in vollem Umfang der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG). 47 Auf die Vertragsfreiheit in ihren drei Konkretisierungsebenen kann sich die Verwaltung mithin nicht berufen. Eine »Abschlussfreiheit" steht ihr nur insofern zur Verfügung als sie im Rahmen ihr gesetzlich eingeräumter Ermessensspielräume nach Zweckmäßigkeitsüberlegungen darüber zu entscheiden hat, ob sie tätig werden soll (Entschließungsermessen) und in welcher Form dies erfolgen soll (Formenwahlermessen). Bestehen solche Handlungsspielräume nicht, so hat die Verwaltung in Vollziehung der gesetzlichen Vorgaben zu handeln. Entsprechendes gilt für die Inanspruchnahme einer „Formfreiheit": Die Verwaltung hat sich der Formen zu bedienen, die ihr das Gesetz vorgibt. Ebensowenig kann sie eine „Inhaltsfreiheit" im Sinne einer beliebigen Gestaltung des Vertragsinhalts in Anspruch nehmen. Die Möglichkeiten der Verwaltung zur Inhaltsgestaltung werden durch ihre Bindung an das geltende Recht begrenzt. Nur soweit dieses 43
Im Einzelnen H. Ch. Röhl, Verwaltung und Privatrecht - Verwaltungsprivatrecht?, in: VerwArch 1995, S. 531 (534 fï). 44 Gurlit, Verwaltungsvertrag (Anm. 25), S. 333; Schiette , Verwaltung (Anm. 14), S. 82 f. 45 S. nur Gurlit, Verwaltungsvertrag (Anm. 25), S. 333; Schmidt-Aßmann/Krebs, Rechtsfragen (Anm. 25), S. 130. 46 Schiette , Verwaltung (Anm. 14), S. 108; Schmidt-Aßmann/Krebs, Rechtsfragen (Anm. 25), S. 131. 47 Schiette , Verwaltung (Anm. 14), S. 81 f. m.w.N.
Institutionen unter Konkurrenzdruck
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der Verwaltung inhaltliche Handlungsspielräume eröffnet, bestehen Gestaltungsmöglichkeiten. Ein kooperationsorientiertes Verwaltungsrecht muss in erster Linie am Fachrecht ansetzen. Die Standards des materiellen Rechts müssen darauf überprüft werden, inwieweit sie Kooperation unnötig einengen und wie eine Öffnung erreicht werden kann. Ein Stichwort kann in „kooperationsträchtigen" Handlungsfeldern ein weiträumiger Übergang zur Aufgabenprogrammierung sein. Im Übrigen bleibt es dabei, dass die Vertragsgestaltung durch die Verwaltung gesetzesdirigiert ist. 48
3. Übertragbarkeit zivilrechtlicher Wertungen auf das Vertragsrecht der Verwaltung Wegen dieser grundsätzlichen Strukturunterschiede zwischen privatautonomer Vertragsfreiheit und gesetzesdirigierter Wahl der Handlungsform Vertrag ist eine ohne Modifikation erfolgende Unterstellung des vertraglichen Handelns der Verwaltung unter das Vertragsrechtsregime des Zivilrechts nicht möglich. Das Vertragsrecht der Verwaltung (im Sinne eines Handlungsrechts) weist einen Selbstand auf, der einen Rückgriff auf zivilrechtliche Interessenbewertungen verbietet. So lässt sich die für das Problem der gestörten Vertragsparität im Zivilrecht gefundene Lösung nicht ohne weiteres auf den Vertrag zwischen Verwaltung und Privaten übertragen. Anknüpfungspunkt dieser Lösung ist die Autonomie des Willens der Vertragsparteien, welche die grundsätzliche Sachgerechtigkeit des von ihnen gefundenen Interessenausgleichs indiziert. Mangels Anknüpfbarkeit an eine Willensautonomie der Verwaltung entfällt dieses Indiz und mit ihm der Grund für eine nur auf zurückgezogener Linie erfolgende Inhaltskontrolle. Handelt die Verwaltung, kommt es nicht auf subjektive, sondern auf objektive Richtigkeitsgewähr an. 49 Dies schließt nicht aus, dass die normative Ausgestaltung des Vertragsrechts der Verwaltung sich an den im Zivilrecht gefundenen Lösungen orientiert. Doch bedarf es hierfür der Herstellung eines spezifisch öffentlich-rechtlichen Ableitungszusammenhangs. Sektorenübergreifende Äquivalenzen können nur solche der Rechtsfolgen, nicht des Rechtsgrundes sein. Etwas anderes kann nur dort gelten, wo Regelungen allein an das Vorliegen eines Vertrages anknüpfen ohne Rücksicht darauf, ob er in Ausübung von Privatautonomie oder unter Beachtung öffentlich-rechtlicher Bindungen zustande gekommen ist. Ohne eine gegenüber dem zivilistischen Vertragsrecht eigenständige Regelung der funktionalen Unterschiede und Schnittstellen lässt sich ein aufgabengerechtes Vertragsrecht für die öffentliche Verwaltung nicht entwickeln. 48 E. Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverträge im Städtebaurecht, in: W. Lenz (Hrsg.), Festschrift für Konrad Gelzer zum 75. Geb., Düsseldorf 1991, S. 117 (122). 49 Gurlit, Verwaltungsvertrag (Anm. 25), S. 334.
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V. Folgerungen Bezieht man die Erkenntnisse zum Verwaltungsakt und zum privatrechtlichen Vertrag als Vergleichsmaßstab für den öffentlich-rechtlichen Vertrag auf das eingangs geschilderte Problem des Schicksals von Institutionen unter Konkurrenzbedingungen, so bedarf es des Umbaus der Institution des öffentlichrechtlichen Vertrages, soll er seine Qualität als Institutionalisierung der Idee der Verantwortungsteilung durch Kooperation behalten. Dies gilt nicht im Verhältnis zum privatrechtlichen Vertrag. Hier schließen die Strukturunterschiede zwischen öffentlichem Recht und Zivilrecht einen Rückgriff auf zivilrechtliche Interessenbewertungen gerade aus. Eine Konkurrenz besteht wegen der Verschiedenheit des institutionellen Kontextes nicht. Anders fällt der Vergleich mit dem Verwaltungsakt aus. Er ist unmittelbarer institutioneller Konkurrent des öffentlich-rechtlichen Vertrages und besitzt wegen des hohen Grades der Routinisierung seines Einsatzes eine exponierte Orientierungsfunktion. Der Einsatz des öffentlich-rechtlichen Vertrages wird demgegenüber meist nicht als „lohnend" angesehen. Der Grund hierfür liegt nicht zum wenigsten in der Gestaltung der Institution. Solange der öffentlich-rechtliche Vertrag gegenüber dem Verwaltungsakt aus Sicht der Verwaltung gravierende Nachteile aufweist, fehlt es am Anreiz, diese Institution zu leben. Ihr Überleben wird deshalb auch davon abhängen, ob es gelingt, die zu einer Bevorzugung des Verwaltungsaktes führenden Vorteile dieser Handlungsform hinsichtlich Form, Berücksichtigung betroffener Drittinteressen, Fehlerfolgenregime und Durchsetzbarkeit soweit wie möglich einzuholen.50
50 Vorschläge dazu bei J. Ziekow, Public Private Partnership und Verwaltungsverfahrensrecht, in: K.-P. Sommermann/J. Ziekow (Hrsg.), Perspektiven der Verwaltungsforschung, Berlin 2002, S. 269 (279 ff.).
V. Parlament und Regierung
Aktuelle Entwicklungen der Rolle des Bundestages im parlamentarischen Regierungssystem Von Wolfgang Zeh, Berlin
In seinen verwaltungswissenschaftlichen Konzeptionen, besonders aber auch in seinen wechselnden und sich gegenseitig befruchtenden Funktionen in Wissenschaft, Politik und Verwaltung hat Klaus König den Handlungsbedingungen im parlamentarischen Regierungssystem nach dem Grundgesetz große Aufmerksamkeit zugewandt. Überall in seiner Arbeit wird deutlich, dass Regierung nicht in Exekutive aufgeht, Parlament nicht in Gesetzgebung und Politik nicht im Staatshandeln. Was die einzelnen Institutionen und Ebenen durchdringt, gegenseitig spiegelt und miteinander verknüpft, ist die dynamische und oszillierende Substanz der parlamentarischen Regierungsweise. Auch sie geht nicht vollständig im Parlament als Staatsorgan auf; sie hat aber dort ihren Ausgangs- und Rückkeinpunkt, den Fokus der repräsentativen Kommunikation mit der Gesellschaft im Ganzen. Von daher mag ein Blick auf aktuelle Aspekte der öffentlichen Wahrnehmung des Bundestages von Interesse sein.
I. Vermutungen über den Bundestag: Eine kurze Geschichte der Verelendungstheorien Praktisch seit Beginn seiner nunmehr 54 Jahre währenden Existenz war die Arbeit des Bundestages von Bedenken, Zweifeln, phasenweise auch fundamentaler Kritik sowie immer neuen Verlustanalysen und Abstiegsprognosen begleitet. Im zeitgeschichtlichen Längsschnitt lässt sich dabei ein gewisses Profil erkennen, eine Art - wohl eher unbewusster - Reflexion auf allgemeine politische Gestimmtheiten. Zugleich zeigt sich bei den Veränderungen der Begriffe und Schwerpunkte der Abstiegsprognosen, dass ein immer wieder ähnliches Grundmuster vorherrscht, innerhalb dessen die vermuteten Ursachen und Bedingungen einander oft ablösen und ersetzen: Das Parlament erscheint als ein einheitlich gedachter Akteur neben anderen und gegen diese, und dabei sieht er regelmäßig chancenlos aus.
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Es wäre lohnend, diese Begleitmusik und Begleitkritik durch ein halbes Jahrhundert einer eben doch recht erfolgreichen und stabilen Entwicklung des Bundestages einmal näher zu analysieren und aufzuklären; das kann hier indes nicht geleistet werden. Für unseren Blick auf einige aktuelle Aspekte kommt es lediglich auf eine Skizze als Kontrastmittel an, gleichsam eine Tönung des Bildhintergrundes. Im Folgenden werden deshalb die verschiedenen Varianten der Machtverlust-Hypothesen und Abstiegsprognosen kurz angerissen, mit den zur schnellen Kennzeichnung erforderlichen Vereinfachungen und Überspitzungen.
1. Die Technokratie-These Sie setzt relativ bald nach der ersten Konsolidierungsphase der Gesetzgebungs- und Regierungstätigkeit ein und kommt in den sechziger Jahren zu voller Blüte. Sie geht davon aus, dass der Bundestag der zunehmenden fachlichen Schwierigkeit der differenzierten Handlungsfelder zunehmend weniger gewachsen ist, von Sachzwängen umstellt und von den externen Inhabern organisierter Sachkunde zunehmend gelenkt und manipuliert werde. Dieser Eindruck stand auch hinter dem in den sechziger Jahren begonnenen Aufbau wissenschaftlicher Dienste und Fraktionsstäbe für den Bundestag. Zugleich schien er bestätigt durch den Aufbau eines weit verzweigten Systems von Beiräten, Kommissionen und Beratungseinrichtungen der Bundesregierung, die zu einer Größenordnung von mindestens 300 Gremien verschiedener Größe bei den Ministerien geführt hat.
2. Die Exekutivdominanz-These Damit verbunden entwickelte sich die Vorstellung, jedenfalls gegenüber der Ministerialbürokratie mit ihrem „geballten" Sachverstand hätten die als Einzelkämpfer - die ihre Zahl ja nicht vermehren konnten - agierenden Bundestagsabgeordneten zunehmend weniger Argumentations- und Durchsetzungschancen. In der Gesetzgebungsarbeit vor allem der Parlamentsausschüsse bliebe ihnen, von der Durchsetzung marginaler Detailinteressen abgesehen, keine umfassende gestalterische Kompetenz für politische Zielsetzungen. Die Exekutive werde aus diesem Grund immer stärker dominieren über die gesetzgebende Gewalt, indem sie dieser den Inhalt der Gesetze mehr oder weniger vorschreibe oder, soweit dies nicht gelinge, spätestens auf der Vollzugsebene die eigenen Absichten durchsetze. Der Bundestag wurde in einem Machtspiel mit der Regierung gesehen, das er tendenziell verliere, mit betrüblichen Folgen für die „Gewaltenteilung". Vor dem Hintergrund dieser Vorstellungen änderte der Bundestag nach und nach seine Ausschussorganisation in der Weise, dass jedem Ministerium ein
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Parlamentsausschuss mit genau denselben inhaltlichen Zuständigkeiten spiegelbildlich gegenüber gestellt und den Ausschüssen - zusätzlich zur Beratung überwiesener Gesetze und Anträge - die Befugnis verschafft wurde, sich mit allen Gegenständen zu befassen, die in „ihrem" Ministerium behandelt oder geplant werden. Zugleich setzte eine dauerhafte Spezialisierung zahlreicher Abgeordneter auf abgegrenzte Themenfelder ein, die oft zu Mitgliedschaften in ein und demselben Ausschuss über mehrere Wahlperioden hinweg führte. Die auf diese Weise von der Mehrzahl der Abgeordneten aufgegebene gesamthafte Beschäftigung mit parlamentarischen Positionen und Prozeduren ging über auf „Spezialisten für das Generelle" in den Fraktionen.
3. Die Kontrollverlust-These Aus der Perspektive eines aus dem 19. Jahrhundert stammenden Modells von „Gewaltenteilung", das mit dem parlamentarischen Regierungssystem nicht harmonierte, schien der Bundestag zunehmend seine Kontrollkompetenz gegenüber der Regierung zu verlieren. Die Perzeption der parlamentarischen Regierungsweise blieb bei der Teilerkenntnis stehen, dass ja bei einer Bestellung der Regierung durch die Parlamentsmehrheit die Ziele dieser beiden politisch identisch seien; dies mache die Parlamentsmehrheit kontrollunwillig und die Opposition - mangels durchsetzbarer Kompetenzen - kontrollunfähig. Natürlich wurde übersehen, dass die Parlamentsmehrheit gegenüber „ihrer" Regierung aufgrund der Verbindung des eigenen politischen Schicksals mit deren Erfolg sogar ein gesteigertes Kontrollinteresse hat, dies aber in anderen, insbesondere auch weniger öffentlichen Formen verwirklicht als in denen der oppositionellen Konfrontation. Die Vorstellung vom parlamentarischen Kontrollverlust war immerhin begleitet von der Überlegung, es würden dann - durchaus auch angestoßen von der parlamentarischen Opposition - andere Institutionen Kontrollaufgaben gegenüber der Regierung übernehmen und damit die „checks and balances" sichern helfen: Bundesrat und Länder, Bundesverfassungsgericht, zunehmend die Massenmedien.
4. Die Dekadenz-These Auffallend früh, schon in der dritten Wahlperiode des Bundestages im Übergang in die 60er Jahre, tauchte die Wahrnehmung auf, früher sei im Bundestag alles besser gewesen: Unabhängige Persönlichkeiten, fulminante Redner, Charaktere mit Ecken und Kanten, politisches Urgestein und dergleichen mehr, wohingegen „heute" die Szene durch stromlinienförmige Managertypen mit unun-
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terscheidbarer „Ochsentour"-Karriere und taktisch limitiertem Politikverständnis geprägt werde. Diese etwa im Zehn-Jahres-Rhythmus an- und abschwellenden Bekundungen spiegeln eine Art Alterserscheinung in zweifacher Hinsicht: Zum einen das nostalgische Gefühl des Beobachters, für den die Verhältnisse früher einfach schöner und leichter waren; zum anderen aber auch das erfolgreiche Altern einer Institution, in deren Gründungs- und Aufbaujahren andere Verhaltensformen und Herangehensweisen typisch und nützlich gewesen sein mögen als später, wenn die ,,Miihen der Ebene" den Alltag bestimmen.
5. Die Lobbyismus-These Mit verschiedenen Akzentsetzungen wird seit langem vorgebracht, der Bundestag lasse sich auf die Einflussnahme organisierter Interessen nicht nur ein, sondern sei von diesen mehr oder weniger unterwandert, dominiert und gesteuert. Teilweise schwingen mehr personenbezogene Korruptionsvermutungen mit, zum anderen Teil werden gesellschaftswissenschaftliche Großkonzepte zugrunde gelegt (Verbändestaat, staatsmonopolistischer Kapitalismus, Neokorporatismus u.a.). Auch deshalb, so die These, verliere der Bundestag zunehmend seine politische Autonomie oder gebe sie preis, er verfuge über keine „eigene" Gestaltungsmacht im Verhältnis zu den Verbänden.
6. Die Unterdrückungs-These Besonders deutlich in den 80er Jahren tritt die Ansicht hervor, der Bundestag sei ein willfähriges Inszenierungs- und Verkündungsinstrument in den Händen machtvoller Spitzenpolitiker, welche die Führungen der Fraktionen und der hinter diesen stehenden Parteien bei sich vereinigten und den um sein Gewissen ringenden Abgeordneten mit dem Mittel des Fraktionszwangs unter ihrer Fuchtel hielten. Nur bei bestimmten, vorzugsweise ethisch verwurzelten Themen, bei denen die politischen Führungen sich nicht recht schlüssig seien oder es nicht wagten, politische Direktiven auszugeben, werde gelegentlich die Abstimmung „freigegeben", der „Fraktionszwang aufgehoben", was zusätzlich bestätige, dass im alltäglichen Normalfall eben Zwang herrsche. Ein Parlament, das so mit sich umgehen lasse, gebe sich selbst preis und werde in der Bedeutungslosigkeit versinken. Auch hinter dieser These verbergen sich grundlegende Missverständnisse der parlamentarischen Regierungsweise. Vielleicht macht ein Blick auf die lange Entwicklung des britischen Unterhauses deutlich, dass die regelmäßige Geschlossenheit des Abstimmungsverhaltens bei Mehrheit und Opposition eine substantiell freiwillige, den Spielregeln dieses Systems geschuldete ist: Die po-
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litische Erfolgschance der Mehrheitsfraktionen und jedes ihrer Mitglieder ist abhängig vom Erfolg der von dieser Mehrheit ins Amt gebrachten und dort gehaltenen Regierung, die Mehrheitsabgeordneten haften bei der nächsten Wahl für Erfolg oder Misserfolg „ihrer" Regierung; und vice versa hängen die Erfolgschancen der Opposition bei der nächsten Wahl davon ab, dass ihr zugetraut wird, eben dieses Verhalten zu praktizieren, was sie mit ihrem ebenfalls geschlossenen Abstimmungsverhalten entlang ihrer alternativen Vorstellungen zu beglaubigen sucht. Die Medienöffentlichkeit hat diese Verhaltensweise längst approbiert, indem sie die Geschlossenheitserwartung an die politischen Parteien und die parlamentarischen „Lager" unablässig vorantreibt, gelegentlich bis an die Grenze der Hysterie; wer auch nur in einer Fachfrage einige Tage lang innerparteiliche Diskussionen und Kontroversen zulässt, wird als zerrissen und führungslos dargestellt. Daran ändern auch die eigenen, hierzu völlig widersprüchlichen Verurteilungen des „Fraktionszwanges" nichts.
7. Die Obsolenz-These Mit wechselnden Blickrichtungen wird seit langem die Prognose gestellt, das Parlament werde zunehmend weniger gebraucht, es werde seine Aufgaben und Funktionen mehr und mehr einbüßen, weil Macht und Entscheidungsbefugnisse an andere Institutionen übergingen. Dies wird hauptsächlich im Blick auf die Entwicklung der Europäischen Union vorgebracht. Immer mehr Souveränitätsanteile und Regelungsbefugnisse würden an die Union abgetreten mit der Folge, dass die nationale Gesetzgebung sich zunehmend als Vollzug vorgegebener Richtlinien darstelle und sich auf wenige verbleibende originäre Befugnisse verengen werde. Eine ähnliche Erwartung wird von dem Phänomen der Globalisierung und der in diesem Kontext angeblich immer autonomer agierenden wirtschaftlichen Akteure abgeleitet. Die von hier ausgehenden, nicht juristischen, aber ökonomisch unwiderstehlichen Normierungen und Vorgaben machten den Versuch einer autonomen politischen Gestaltung des wirtschaftlichen und zunehmend dann auch sozialen und kulturellen Lebens obsolet, weil von vornherein wirkungslos. Diese Prognose lebt, wie auch einige andere, von einem Parlamentsverständnis, welches um die Gesetzgebungsfunktion zentriert ist. Von daher liegt auch das ergänzende Argument nahe, aktuelle Deregulierungsbemühungen bestätigten die Absicht der Preisgabe der Normierungskompetenz und der damit verbundenen nationalen Gestaltungsmöglichkeiten. Falls die Hauptfunktion des Parlaments im parlamentarischen Regierungssystem indessen auf anderen Feldern gesehen wird - Kommunikation, Vermittlung, Integration, Repräsentation - , lässt sich die Zukunft des Parlamentarismus in einer globalisierten Welt auch ganz anders sehen. Auch dafür liegen weitere Argumente nahe, beispielsweise die zunehmende Tendenz zur Parlamentarisierung ehemals nur exekutiver supranationaler und regionaler Bündnisse und Zusammenschlüsse.
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8. Die Kommissionitis-These Dabei handelt es sich im Grunde nur um eine Variante der früher behandelten Annahme, der von der Exekutive organisierte und mobilisierbare Sachverstand dominiere das Parlament und werfe es auf eine Ratifizierungslage zurück. Wegen der augenblicklichen Aktualität in der Diskussion soll diese Variante aber kurz beleuchtet werden: Sie fasst die öffentlich immer deutlicher wahrnehmbaren Kommissionen, Gremien, Bündnisse und Runden Tische aller Art als ein Arrangement auf, welches die „eigentlich44 zuständigen Entscheidungsprozesse und -gremien des Bundestages unterläuft, ihnen zuvorkommt und sie vorweg nimmt, sowohl im Hinblick auf die öffentliche Aufmerksamkeit als auch in der Mobilisierung hierauf sich richtender Interessenten und Wissensinhaber, mit der unausweichlichen Folge, dass es für „eigene44 Entscheidungen des Parlaments längst zu spät ist, wenn dieses an die Reihe kommt: Es kann nicht diesen ganzen Vorlauf beiseite setzen und selbst von vorn beginnen. Eine parallele Version dieser Vorstellung konzentriert sich auf die politischen Instrumente der Stabilisierung und Fortschreibung von Koalitionen: Koalitionsvereinbarungen, Koalitionsgespräche, „Kränzchen 44 u.ä.; auch von hier gehe eine Vorprägung und Vorfestlegung der parlamentarischen Willensbildung aus, die „dem44 Bundestag in wachsendem Maße die Willensbildung mittels seiner formellen Gremien und Prozeduren durchkreuze.
9. Die Medienmacht-These Eine besonders in den letzten Jahren stark verbreitete Abstiegsprognose ist besonders um die elektronischen Massenmedien zentriert: Diese usurpierten gewissermaßen die klassisch-parlamentarischen Behandlungsformen wie Debatte und Abstimmung durch Diskussionsrunden (Talkshows) und Zuschauervoten (TED-Abfrage) und nähmen damit die wesentlichen Argumentationsmöglichkeiten und Willensbildungsprozesse vorweg, so dass der Bundestag nur noch einen schalen Nachvollzug bieten könne, der inhaltlich nicht mehr viel Neues bringe und, weil zeitlich später, auch niemanden mehr sonderlich interessiere. Die politische Willensbildung zwischen Parlament und politisch orientierter Öffentlichkeit werde ersetzt durch eine Art „Fernsehdemokratie 44.
I I . Aktuelle Aufgaben und Aktionsformen des Bundestages Die Liste der nach unten zeigenden Prognosen und Analysen zum bundesdeutschen Parlamentarismus ließe sich noch einige Zeit fortsetzen, etwa indem die ganze „Politikverdrossenheits 44-Debatte mit angeblicher Machtversessenheit der Politiker, ,Abgehobenheit44 von den „wirklichen 44 Erwartungen der Bürger nebst Wahlverhalten bei Landtagswahlen u.a.m. einbezogen würde. Das ist aber
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wohl nicht nötig, um jedenfalls die folgenden frappierenden Fragen aufzuwerfen: -
Wieso hat der Parlamentarismus in der Bundesrepublik Deutschland angesichts dieser im „Ziel" übereinstimmenden Untergangsprophezeihungen bisher überlebt?
-
Wie verhalten sich diese Prophezeihungen gegenüber der weltweit zunehmenden Parlamentarisierung oder Re-Demokratisierung von zuvor nicht parlamentarisch-demokratisch strukturierten Staaten, einschließlich der Tendenz zur Parlamentarisierung auch supranationaler und regionaler Institutionen und Bündnisse?
Zur Beantwortung solcher Fragen mögen die folgenden Beobachtungen zur Wirklichkeit der Aufgabenstellung und der Arbeitsweise des Bundestages im parlamentarischen Regierungssystem beitragen. Dabei ist es notwendig, einige der hinter den Verfallsprognosen stehenden Prämissen zu beleuchten.
1. Ubiquität statt Standort Ein Parlament wie der Bundestag gelangt zu den ihm zuzurechnenden politischen Entscheidungen auf grundlegend andere Weise als jedes andere Staatsorgan, vollends als jede Behörde. Des Weiteren kann seine Rolle sowohl im parlamentarischen Regierungssystem als auch in der gesellschaftlichen Willensbildung im Ganzen weniger an den von ihm formell „getroffenen" Entscheidungen als vielmehr an jenen - in der Menge weit überwiegenden - Entscheidungsprozessen und Teilentscheidungen gemessen werden, die er auslöst, zu denen er beiträgt, denen er Bedingungen vorgibt oder die seine Kompetenz zur Letztentscheidung in Rechnung stellen. Und schließlich kann, gerade auch aus diesen Gründen, der Bundestag in Aufgaben und Wirkungen nicht verstanden werden, wenn man ihn als „Organ", als einheitliches Instrument auffasst. Das Parlament im parlamentarischen Regierungssystem hat unbeschadet aller staatsrechtlichen Zuordnung im Begriffsspektrum von Staats- und Verfassungsorganen, Institutionen und Kompetenzen keinen ein für allemal festlegbaren Ort, keine „Schublade" über oder unter anderen, in welcher es komplett zu finden wäre; es taucht vielmehr in allen Schubladen auf. Es ist weniger statisch als dynamisch, mehr Prozess als Resultat, in der Willensbildung schärfer profiliert als die Gesellschaft und zugleich weitaus pluralistischer und differenzierter als der Staat, zu dessen Organisationsgefüge es gleichwohl gehört. Um der Substanz dieser hochkomplexen Vorfindbarkeit näher zu kommen, empfiehlt es sich, eine Liste dessen durchzugehen, was das Parlament nicht oder nicht nur, nicht in erster Linie ist. Diese Abgrenzung ex negativo bezieht sich, es sei noch einmal hervorgehoben, auf die Stellung des Parlaments im parla-
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mentarischen Regierungssystem, nicht auf die Volksvertretung in der konstitutionellen Monarchie.
2. Kein Machtkampf mit der Exekutive Der Bundestag ist nicht Konkurrent der Bundesregierung. Er agiert nicht in einem Wettbewerb mit ihr um Anteile an einem vorgegebenen und vorgefundenen Beutestück namens Staatsmacht. Diese Vorstellung mag noch angängig gewesen sein in einer kontinentaleuropäischen Epoche, in der auf dem Weg vom absolutistischen Staat die Landstände, Kammern und Volksvertretungen - nicht Parlamente i m angelsächsischen Sinne - aus den sich wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen und Forderungen heraus sich auf einen Staat zubewegten, der vor ihnen war und der ohne sie komplett war: Die Staatsmacht war dynastisch legitimiert, ihr Sitz waren Monarch mit Beratern, Beamten und Beauftragten, Soldaten und Polizeibehörden. Hier passt noch das Bild, dass die Volksvertretungen darauf auszugehen hatten, Teile dieser Macht zu zerwirken, Kontrolle über sie zu bekommen, sie an sich zu ziehen und auf einen Zustand von Machtteilung und dann Machtbalance hinzuarbeiten. Das B i l d passt nicht mehr in dem Augenblick, in welchem alle Legitimation und alle Handlungsvoraussetzungen für die Ausübung der staatlichen Macht zum Parlament herangezogen sind. Wenn die statische Kompetenzordnung erst in der Legitimationskette von allgemeinen Wahlen und parlamentarischen Besetzungs- und Freigabeakten zum Leben und zur Handlungsfähigkeit erweckt wird, ist die Frage obsolet, wer welche Anteile der Macht „besitzt", weil der Besitz - i m Sinne faktisch verfügbarer Ressourcen - als solcher nichts nützt (oder nur i m Wege des Staatsstreichs nutzbar gemacht werden könnte). Entscheidend ist also, dass das Parlament Macht ausüben lässt, und zwar unter normalen Bedingungen nicht im Sinne eines Gewährenlassens, sondern des Veranlassens. Es erfüllt keine Ansprüche, sondern lässt sie erfüllen; es hilft nicht, sondern lässt helfen; es gibt kein Geld aus, sondern lässt es ausgeben. Das Parlament regiert nicht, auch nicht in Teilen, sondern lässt regieren.
3. Gesetze werden nicht gegeben Das Parlament, der Bundestag, ist nicht Gesetzgeber im Wortsinne. Den Gesetzgeber, der Gesetze „gibt", gibt es nicht. Der Bundestag lässt Gesetze ausarbeiten von der Regierung (es ist seinen Abgeordneten nicht verwehrt, auch selbst Entwürfe zu formulieren, in der Praxis machen sie etwa 15 % der Vorlagen aus), die nach der Einbringung von auf die betreffende Materie jeweils spezialisierten Abgeordneten in Fraktionsgremien und Parlamentsausschüssen in öffentliche Kommunikationsbeziehungen mit zahlreichen Interessen, Wertvor-
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Stellungen und öffentlichen Erwartungen gebracht werden, um so mit diesen abgeglichen, vermischt und integriert zu werden. Das ist ein Kontroll- und Filterungsprozess, den der Bundestag als Vermittler leistet aufgrund der ausschließlich ihm - durch die allgemeinen Wahlen - übertragenen Befugnis zur Repräsentation. Er hat nicht die Aufgabe, in seiner Innenwelt allgemein verbindliche Normen zu ersinnen und sie dem Volk zu „geben", sondern er muss durch Organisation und Aufrechterhaltung des Kommunikationsprozesses dafür sorgen, dass möglichst gerade diejenigen Normen allgemein verbindlich werden, welche in diesem Prozess mit den gesellschaftlichen Wertvorstellungen, Forderungen und Bedingungen sich als am ehesten kompatibel erwiesen haben oder mit diesen in eine akzeptable Übereinstimmung gebracht werden konnten. Dem entspricht es, dass auch die Anlässe und Anstöße zur Gesetzgebung nicht im Bundestag erfunden, sondern aus der in Interessen, Meinungen und Werthaltungen nicht vorab geeinigten, vielmehr tief differenzierten und organisierten Gesellschaft an das Parlament herangebracht werden. Das Parlament hat nicht nur keinen selbst erdachten und autonomen Gesetzgebungsplan, sondern darf auch keinen haben, weil es sonst den skizzierten Kommunikations- und Vermittlungsprozess nicht aufrecht erhalten könnte und in einen Konflikt zwischen „eigenen" und „anderen" legislatorischen Vorstellung geraten würde. Hier ist der Grund zu suchen, warum der scheinbar geringe „Eigenbeitrag" des Bundestages zu den einzelnen Inhalten der Gesetze nicht zu seiner Bedeutungslosigkeit führt, sondern zu den Voraussetzungen seiner Unverzichtbarkeit gehört.
4. Mandatsfreiheit zur Selbstbindung Das Parlament ist kein Rat der Weisen, auch kein Zentralorgan zur Verwirklichung des Gemeinwohls und keine Kommission unabhängiger Sachverständiger. Ein wirkliches Unglück würde es bedeuten, wären die Abgeordneten „unabhängig". Die in Artikel 38 des Grundgesetzes statuierte Mandatsfreiheit geht zurück auf eine Errungenschaft im Zuge der bürgerlichen Revolutionen und hatte den Zweck, die Mitglieder der Volksvertretungen von Zwängen zu emanzipieren, unter die sie von der vorgefundenen und anzugreifenden Staatsgewalt gesetzt werden konnten. In ihren Anfängen standen die Volksvertretungen nicht im Staat, sondern gegen ihn, so dass die Weisungsfreiheit gegenüber Landesherren, Standesherren, Dienstherren und Gerichtsherren - alle nicht von Parlamenten eingesetzt oder wenigstens kontrolliert - essentiell war. Andere parlamentarische Errungenschaften wie Immunität und Indemnität gehören in den selben Zusammenhang. Die Mandatsfreiheit hat im parlamentarischen Regierungssystem ihre Zielrichtung gewandelt und hat einen guten Sinn im Verhältnis zu politisch oder
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wirtschaftlich machtvollen Großorganisationen, besonders auch den Parteien. Aber „unabhängig" darf der Abgeordnete gegenüber diesen und zahllosen anderen gesellschaftlichen Organisationen, Akteuren und Faktoren keinesfalls sein. Ganz besonders darf von ihm nicht gefordert werden, er möge sich seine eigene, unabhängige, unbeeinflusste Meinung bilden und mit dieser seine Entscheidungen in der parlamentarischen Willensbildung bestimmen. Das wäre ein Luxus, für den er nicht gewählt ist. Vielmehr muss in seine Entscheidung ein Höchstmaß an Einfluss eingehen, sie muss die Widersprüche, Zwänge und Aporien aufnehmen, es müssen sich die unbequemen Abhängigkeiten, harten Bedingungen und unvermeidlichen Konsequenzen politischer Willensbildung und Entscheidung in seinen Beiträgen auswirken. Nicht jeder Abgeordnete kann alles aufnehmen und repräsentieren, jeder wird Schwerpunkte setzen, sich konzentrieren und spezialisieren; aber in ihrer Gesamtheit müssen die Parlamentsmitglieder dazu in der Lage sein, weil anders die äußerst verantwortungsvolle Aufgabe nicht erfüllt werden könnte, die Staatswillensbildung mit der gesellschaftlichen Willensbildung zu verflechten und die pluralistische Gesellschaft mit sich selbst im gewaltfreien geistigen Verkehr zu halten. Deshalb kommt es auch auf Weisheit und Sachverstand im landläufigen Sinne nicht an. Wichtiger als eigenes Fachwissen auf dem einen oder anderen Gebiet ist für den Politiker das Wissen darüber, wo Fachkenntnisse mobilisierbar sind, wo sie eingesetzt werden können, mit welchen Interessen sie verknüpft sind und welche Wirksamkeit ihnen im politischen Prozess zugeschrieben werden kann. Es geht um Fähigkeiten zur Organisation von Kommunikation, zum Management von in der Politik und auf die Politik wirkenden Fachwissens, weniger um seinen Besitz. Auch insoweit ist also der Bundestag kein Wettbewerber, nicht mit der Regierung um Sachverstand, nicht mit dem Bundesverfassungsgericht um Weisheit. In einer Wettbewerbskonstellation wären solche Eigenschaften immer nur Mittel zu einem Zweck, nämlich zum Zweck, gegen den Mitbewerber Recht zu bekommen, die bessere, die „richtige" Entscheidung treffen zu können. Politische Entscheidungen sind aber im Grundsatz nicht aus Sachgründen richtig, sondern aus anderen - aus Gründen der Legitimität, der Einhaltung rechtlich vorgeschriebener Verfahren, der Akzeptanz, der Berücksichtigung oder Nichtverletzung von Interessen u.a.m.. Sachwissen bildet ein Element bei der Herstellung richtiger Entscheidungen in diesem Sinne, aber nur eines von vielen und gewiss nicht das wichtigste.
5. Erst Entscheidung, dann Debatte Vieles andere ist der Bundestag ebenfalls nicht, auch wenn es ihm immer wieder zugeschrieben wird. Er ist kein „Debattier-Club", weil die parlamentarische Debatte nicht um ihrer selbst willen und auch nicht zur Erleuchtung der
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Abgeordneten mittels brillanter Argumente in einem „Ringen" um die Entscheidung gefuhrt wird. Die Entscheidungen des Bundestages werden nicht im Plenum herbeidiskutiert, sondern dort in zusammenfassender Weise begründet, nachdem sie in weit komplexeren und weit länger andauernden Prozessen - wie oben in zusammenfassender Form skizziert - ermöglicht und erzeugt worden sind. Der Bundestag ist auch keine „Kammer" der Gesetzgebung, weder eine erste noch eine zweite, weil es keinen Machthaber mehr gibt, der die zu seiner Beratung befugten Vertreter in einer nicht öffentlichen - und nicht allzu häufig tagenden - Versammlung deliberieren lässt. Von all diesem das Gegenteil kennzeichnet das moderne Parlament: regelmäßige Sitzungen, permanente politische Präsenz, größtmögliche Öffentlichkeit und Zugänglichkeit für Interessenten, Partizipanten und Mediatoren. Ein Staatsnotar mit Beglaubigungsstempel oder ein Akklamationsorgan in Ratifizierungslage ist der Bundestag auch nicht. Dafür hat er zuviel beigetragen zu dem, was ihm schließlich vorgelegt wird, zuviel an öffentlicher Diskussion, Widerrede und divergierendem Interessenteneinfluss mobilisiert, zuviel auch an personellen, strukturellen und politischen Vorbedingungen gesetzt und begleitende Kontrolle aktiviert für all die Ansinnen, Vorschläge und Anträge, deren Entscheidbarkeit im vorgeschlagenen Sinne längst herbeigeführt ist, wenn es schließlich zur Letztentscheidung kommt. Das Erkenntnisproblem für diese Zusammenhänge besteht darin, dass der Betrachter fast nichts mehr sieht, wenn er den Zeitpunkt formeller Beschlüsse ins Auge fasst. Man muss die Prozesse begleitend verfolgen, um zu erkennen, wie die Partikel der Entscheidungsbildung in einem vieldimensionalen Raum umeinander wirbeln, zusammenströmen, verdichtet werden bis zum Erreichen jener kritischen Masse, die dann nicht nur als Entscheidungsstadium greifbar wird, sondern zugleich schon weitgehend die Gestalt der möglichen Entscheidung angenommen hat.
I I I . Parlamentarismus als Lebensform der Politik Wenn es so viele herkömmliche Zuschreibungen gibt, die nicht oder nicht ganz erfassen, was das Parlament ist - was ist dann also das Parlament? Die Antwort bleibt bis zu einem gewissen Grade offen; es ist heute dies und morgen das, in zehn Jahren anders und in fünfzig Jahren wahrscheinlich ganz anders. Dies genau ist sein Erfolgsgeheimnis, der Grund, aus dem es allen Untergangsprognosen zum Trotz am Leben bleibt. Der Parlamentarismus hat es vermocht, die Verhaltensformen und Denkweisen des Politischen sich anzuverwandeln. Es durchdringt mit seinen Lebensbedingungen - Meinungsvielfalt, offener Konfliktaustrag, Gleichberechtigung der Akteure, Revidierbarkeit der Entscheidungen, Ablehnung endgültiger Wahrheiten, Reagibilität auf gesellschaftliche Veränderungen, Ermöglichung von Machtwechseln ohne Gewalt u. a. - alle Felder
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des öffentlichen politischen und sozialen Lebens und wird zugleich, diese repräsentierend, von ihnen geprägt. Es ist ein Spiegel, in welchem die Gesellschaft ihr Aussehen kontrollieren kann und der dadurch zugleich ihre Gestalt, ihre Sicht auf sich selbst mit gestaltet. Parlamentarische Denkweisen und Lebensformen haben längst alle wesentlichen staatlichen und gesellschaftlichen Organisationsformen eingefärbt. Das System von Vollversammlung und Ausschussarbeit, die Anwendung parlamentsähnlicher Prozeduren für Wahlen und Abstimmungen, die Akzeptanz oppositioneller Haltungen einschließlich ihrer Vertretung in Vorständen, die Anwendung des Mehrheitsprinzips, die Verabschiedung von Entschließungen oder Planungen im je eigenen Autonomiebereich, die Dokumentation der Meinungsund Willensbildung (auf Ärzte- und Gewerkschaftstagen erstellen Stenographen des Bundestages das Protokoll!) - die Gesellschaft lebt in vieler Hinsicht parlamentarisch. Sie ist mit dem Parlament und seinen Erscheinungsformen weit mehr eins, als es die übliche kritische Reflexion des Zustandes des Parlaments erkennen lässt. Freilich legt dies auch den Gedanken nahe, dass jene von Abstiegsprognosen gekennzeichnete Reflexion in Wahrheit diffuse Ängste bezüglich der gesellschaftlichen Entwicklung selbst an die Oberfläche bringt und an das Parlament adressiert, es gleichsam zum Sammelpunkt eines Unbehagens macht, womit zugleich halb- oder unbewusst seine Repräsentationsfunktion beglaubigt wird. Eine wesentliche Bedingung für diesen engen Zusammenhang ist in der relativen Gewaltfreiheit der Machtauseinandersetzungen in Gesellschaften wie der unseren, in der weitgehenden Verbalisierung, gegeben. In den hier interessierenden historischen Dimensionen ist das nicht selbstverständlich, sondern relativ neu. Auch damit hängt es zusammen, dass hergebrachte Begriffs weiten der scharf von einander abgegrenzten und gegeneinander mit Kompetenzen und Machtanteilen ausgestatteten „Organe" nicht mehr ausreichend erklärungskräftig erscheinen in einer Wirklichkeit von Permeabilität und Osmose der Institutionen. Die immer wieder beliebte Entgegensetzung von Wort und Tat in der Politik („Der Worte sind genug gewechselt ...") ist hinfällig geworden, es sind die Wirkungsketten von Worten, welche zu Ergebnissen führen, die in anderen Epochen der „Tat" direkt zugeschrieben werden konnten. Man mag dies alles als lediglich subtilere, vielleicht raffiniertere Formen der Machtausübung ansehen. Aber auch darin läge gerade das Andere, Besondere am Parlamentarismus. Karl Popper hat von der parlamentarischen Demokratie gesagt, ihr wichtigster Fortschritt sei nicht so sehr, eine repräsentative Regierung zu bilden, sondern sie auch wieder loswerden zu können, ohne dass ein Schuss fällt. Parlamentarismus ist eine zivilisatorische Errungenschaft ersten Ranges, die mit gutem Grund zum Wunschbild so vieler Länder und Völker in der Welt geworden ist. Die repräsentative Demokratie stellt das bisher am weitesten avancierte Modell für die immer wieder neu zu erreichende und zu justierende Verständigung von Gesellschaft und staatlicher Macht dar.
Aktuelle Entwicklungen der Rolle des Bundestages
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Daraus wird schließlich auch erklärbar, warum immer dann, wenn es ernst wird, alle Augen sich wieder auf das Parlament richten. Sobald es um Krieg und Frieden geht, um tief gehende Wertentscheidungen, um ethische Grundlagen des Zusammenlebens, mögen die Kontroversen heftig, die Diskussionsbeiträge zahlreich sein, aber am Ende richtet sich die Erwartung auf das Wort des Parlaments. Keine Talkshow im Fernsehen, keine Meinungsumfrage, keine Expertenkommission und keine Unterschriftenaktion kann dann die Verantwortung übernehmen. Es tritt dann in Einzelentscheidungen zutage, was in der Alltagsarbeit des Parlaments wirkt, aber meist latent bleibt: dass es der einzige Sammelpunkt ist, in dem die Gesellschaft mit sich selbst einig bleiben oder es wieder werden kann.
Die Bedeutung des Bundesministeriengesetzes für die Entwicklung der Ministerialorganisation in Österreich* Von Gerhan Holzinger, Wien
I. Die Organisation der obersten Bundesverwaltung auf Grund der österreichischen Bundesverfassung Art. 69 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) bestimmt: „Mit den obersten Verwaltungsgeschäften des Bundes sind, soweit diese nicht dem Bundespräsidenten übertragen sind, der Bundeskanzler, der Vizekanzler und die übrigen Bundesminister betraut. Sie bilden in ihrer Gesamtheit die Bundesregierung unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers."
Für die Bundesverwaltung gibt es demnach nicht bloß ein oberstes Organ, sondern deren drei: den Bundespräsidenten, die Bundesregierung als Kollegialorgan und die einzelnen Mitglieder der Bundesregierung als Individualorgane. Die Aufgabenbereiche dieser Organe sind in folgender Weise voneinander abgegrenzt: Die Zuständigkeiten des Bundespräsidenten sind durch die Bundesverfassung selbst - im Wesentlichen abschließend - geregelt, wohingegen die Aufgaben der Bundesregierung und ihrer - jeweils ressortzuständigen - einzelnen Mitglieder nur zum geringen Teil bundesverfassungsgesetzlich festgelegt sind, überwiegend ergeben sie sich aus (einfachen) Bundesgesetzen. Die Frage, welche bzw. wie viele Mitglieder der Bundesregierung es im Einzelnen gibt, ist im B-VG nur teilweise geregelt. Abgesehen vom Bundeskanzler und vom Vizekanzler sieht das B-VG ausdrücklich den „Bundesminister für Finanzen" (Art. 51a ff B-VG) und den Bundesminister für Inneres" (Art. 78 a und b B-VG) vor; in einer Reihe weiterer Bestimmungen des B-VG, etwa betreffend das Bundesheer oder das Schulwesen, ist - ohne nähere Spezi-
Der Autor möchte mit diesem Beitrag Klaus König ehren, ihm aber auch danken: zum einen für die kollegiale Unterstützung, die ich durch Klaus König in meiner wissenschaftlichen Arbeit erfahren habe, insbesondere für seine Bereitschaft, in meinem Habilitationsverfahren an der Karl-Franzens-Universität Graz als einer der Gutachter zu fungieren; zum anderen für die vielfache Förderung der Interessen Österreichs und der Österreichischen Verwaltungswissenschaftlichen Gesellschaft im Rahmen des Internationalen Verwaltungswissenschaftlichen Instituts.
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fizierung - auf einen „zuständigen Bundesminister" Bezug genommen.1 Im Übrigen ergibt sich die Antwort auf die eingangs formulierte Frage aus dem noch näher zu erörternden Bundesministeriengesetz sowie letztlich aus den individuellen Bestellungsakten des Bundespräsidenten, dem gemäß Art. 70 B-VG die Ernennung der Mitglieder der Bundesregierung obliegt. Dazu ist vor allem auf Folgendes hinzuweisen: In der Regel wird jeder Bundesminister bei seiner Ernennung durch den Bundespräsidenten mit der Leitung eines (bestimmten) Bundesministeriums betraut; die Leitung des Bundeskanzleramtes obliegt von Verfassungs wegen jedenfalls dem Bundeskanzler (Art. 77 Abs. 3 B-VG). Ausnahmsweise können jedoch der Bundeskanzler und die übrigen Bundesminister auch mit der Leitung eines zweiten Bundesministeriums betraut werden (Art. 77 Abs. 4 B-VG); weiters können in besonderen Fällen Bundesminister bestellt werden, die nicht mit der Leitung eines Bundesministeriums betraut sind (Bundesminister ohne Geschäftsbereich; Art. 78 Abs. 1 B-VG). 2 Schließlich kann der Bundespräsident die sachliche Leitung bestimmter, zum Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes gehörender Angelegenheiten, unbeschadet des Fortbestandes ihrer Zugehörigkeit zum Bundeskanzleramt, eigenen Bundesministern übertragen; diese haben für die betreffenden Angelegenheiten die Stellung eines zuständigen Bundesministers (Kanzleramtsminister; Art. 77 Abs. 3 B-VG). 3 Die Mitglieder der Bundesregierung sind einander rechtlich gleichgestellt. Auch der Bundeskanzler hat gegenüber den anderen Mitgliedern der Bundesregierung weder ein förmliches Weisungsrecht noch eine Richtlinienkompetenz.4 Unbeschadet dessen sind dem Bundeskanzler jedoch von Verfassungs wegen eine Reihe von Aufgaben übertragen, 5 die ihm innerhalb der obersten Organe der Bundesverwaltung eine besondere Rolle zuweisen.6
1 Näher dazu etwa L. Adamovich/B. Funk/G. Holzinger, Österreichisches Staatsrecht, Bd. 2, Wien/New York 1998, S. 162. 2 In der Praxis wird von diesen Möglichkeiten nur selten, und dann bloß übergangsweise, Gebrauch gemacht. 3 In dieser Form sind in der jüngeren Vergangenheit etwa die dem Bundeskanzleramt zugeordneten Angelegenheiten des Gesundheitswesens, des öffentlichen Dienstes, des Föderalismus und der Verwaltungsreform oder der allgemeinen Frauenpolitik geführt worden. 4 Wie sie etwa dem deutschen Bundeskanzler gemäß Art. 65 des Grundgesetzes zukommt. 5 So vor allem das Vorschlagsrecht bei der Ernennung (und Entlassung) der übrigen Mitglieder der Bundesregierung (Art. 70 Abs. 1 B-VG), die Vorsitzführung in der Bundesregierung (Art. 69 Abs. 1 B-VG) oder die Leitung des Bundeskanzleramts (Art. 77 Abs. 3 B-VG) - in dieser Funktion ist er insbesondere für die „Angelegenheiten der allgemeinen Regierungspolitik einschließlich der Koordination [ - grundsätzlich - ] der gesamten Verwaltung des Bundes" zuständig (Abschn. Α Ζ 1 des Teiles 2 der Anlage zu § 2 BMG); daraus ergibt sich auch die Zuständigkeit des Bundeskanzlers zur Teilnahme an den Sitzungen des Europäischen Rates (Art. 4 EUV); dazu näher G. Holzinger, Die Auswirkungen des Beitrittes Österreichs zur Europäischen Union auf die öffentliche
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Dazu kommt regelmäßig die besondere Autorität des Bundeskanzlers als die - dominante politische Persönlichkeit und zumeist auch als Parteichef. In diesem Zusammenhang spielt freilich die jeweilige Zusammensetzung der Regierung (Einparteien- bzw. Alleinregierung oder Koalitionsregierung) eine wesentliche Rolle.
I I . Die bundesverfassungsgesetzlichen Regelungen über die Bundesministerien I m Kontext des mit „Bundesregierung" betitelten 2. Unterabschnittes des Dritten Hauptstückes des B-VG, das von der „Vollziehung des Bundes" handelt, haben die Bundesministerien eine ausdrückliche bundesverfassungsgesetzliche Regelung erfahren. In diesem Rahmen bestimmt Art. 77 Abs. 1 B-VG: „Zur Besorgung der Geschäfte der Bundesverwaltung sind die Bundesministerien und die ihnen unterstellten Ämter berufen."
Auf diese Weise wird die „Monopolstellung" der Bundesministerien als Hilfsorgane der Bundesminister verfassungsrechtlich garantiert: Durch Art. 77 Abs. 1 B-VG wird nämlich ausgeschlossen, dass neben den Bundesministerien andere Dienststellen eingerichtet werden, die unter der Leitung eines Bundesministers als dessen Hilfsapparat tätig werden. Hervorzuheben ist weiters, dass - im Hinblick auf Art. 77 Abs. 3 B-VG, wonach mit der Leitung des Bundeskanzleramtes der Bundeskanzler betraut ist und mit der Leitung der anderen Bundesministerien je ein Bundesminister - die Bundesministerien keine Einrichtungen mit selbständiger Entscheidungsbefugnis (Behörden) sind, sondern bloße Hilfsorgane (administrative Geschäftsapparate) der einzelnen Bundesminister.
I I I . Das Bundesministeriengesetz 1. Allgemeines Besonders bedeutsam für das hier zu behandelnde Thema ist aber eine weitere, die Bundesministerien betreffende Bestimmung des B-VG, nämlich dessen Art. 77 Abs. 2: „Die Zahl der Bundesministerien, ihr Wirkungsbereich und ihre Einrichtung werden durch Bundesgesetz bestimmt."
Verwaltung in Österreich, in: H. Strunz/C. Fohler-Norek/K. Edtstadler, Öffentliche Verwaltung im Wandel, Wien 1996, S. 29,45. 6 Allgemein dazu M. Welan/H. Neisser, Der Bundeskanzler im österreichischen Verfassungsgefuge, Wien 1971.
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Diese Vorschrift behält die nähere Regelung der Ministerialorganisation dem Bundesgesetzgeber vor. Art. 77 Abs. 2 B-VG bedeutet indes nicht, dass die darin vorgesehenen Regelungen in einem einzigen Bundesgesetz getroffen werden müssten. In der Tat war durch lange Zeit hindurch vor allem der Wirkungsbereich der einzelnen Bundesministerien in einer Vielzahl von Rechtsvorschriften aus den verschiedensten Verfassungsepochen geregelt: Neben einer Reihe eigener „Organisations-" oder „Kompetenzgesetze" bestimmten zahlreiche materielle Regelungen in einfachen Bundesgesetzen, insbesondere sogenannte Vollziehungsklauseln, den Wirkungsbereich der einzelnen Bundesministerien. Mit der Erlassung des Bundesministeriengesetzes (BMG) im Jahre 1973 (BGBl. Nr. 389) gelang es schließlich, eine zusammenfassende Regelung der Zahl, der inneren Organisation und des „allgemeinen Wirkungsbereiches" der Bundesministerien zu schaffen. Letzteres bedeutet, dass die konkreten Zuständigkeiten der einzelnen Bundesministerien auch durch das BMG keine abschließende und erschöpfende Regelung erfahren haben. Abgesehen davon, dass jedes spätere (einfache) Bundesgesetz das BMG derogieren kann, enthält nämlich dieses selbst den folgenden Vorbehalt: Gemäß § 2 Abs. 1 BMG umfasst der Wirkungsbereich der einzelnen Bundesministerien nicht nur die im Teil 2 der Anlage zu § 2 BMG aufgezählten Sachgebiete, sondern auch die Geschäfte, die durch bundesverfassungsgesetzliche Vorschriften, allgemeine Entschließungen des Bundespräsidenten, durch besondere bundesgesetzliche Vorschriften oder durch Verordnungen auf Grund des § 15 B M G 7 einzelnen Bundesministerien zur Besorgung zugewiesen sind. Letztlich ergibt sich also erst aus all diesen Vorschriften der konkrete Zuständigkeitsbereich der einzelnen Bundesministerien - in der Terminologie des BMG: deren „besonderer Wirkungsbereich". Den in der Anlage zu § 2 BMG getroffenen Regelungen des „allgemeinen Wirkungsbereiches" der Bundesministerien kommt gegenüber diesen Vorschriften nur subsidiärer Charakter zu: Sie haben etwa Bedeutung für die Zuständigkeit zur Vorbereitung einer Regierungsvorlage; darüber hinaus ergibt sich daraus auch eine gewisse Präzisierung bundesverfassungsgesetzlicher Vorschriften, die auf den „zuständigen Bundesminister" abstellen, ohne diesen im Einzelnen zu bezeichnen. Die Regelungen des BMG über die Zahl der Bundesministerien, deren Bezeichnung und ihren (allgemeinen) Wirkungsbereich sind von Regierungsperiode zu Regierungsperiode vielfach erheblichen Änderungen unterworfen. Dies deshalb, weil zum einen die Ressortverteilung zu den zentralen politischen Fragen jeder Regierungsbildung zählt und daher in besonderem Maße von der Kräfteverteilung zwischen den Regierungsparteien (bei Koalitionen) bzw. in-
7 Mit diesen Verordnungen werden bestimmte, an sich zum Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten ressortierende Geschäfte, die den Verkehr mit dem Ausland betreffen, an andere Bundesministerien delegiert.
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nerhalb der jeweiligen Regierungspartei (bei Alleinregierungen) abhängig ist; zum anderen aber eben deshalb, weil die Ressortverteilung einer bundesgesetzlichen Regelung in Form einer Novelle zum BMG bedarf. Die erwähnten politischen Implikationen fuhren mitunter zu recht inhomogenen Aufgabenkonstellationen einzelner Bundesministerien. 8 Darüber hinaus ist festzustellen, dass auf diese Weise manche Sachaufgabe in kurzen Zeitabständen mehrfach die Ressortzuständigkeit wechselte.9
2. Die Zahl der Bundesministerien Die Zahl der Bundesministerien schwankte in der Zeit nach 1945 von Regierungsperiode zu Regierungsperiode zwischen acht und 14. Gegenwärtig 10 bestehen - auf Grund des § 1 BMG (idF BGBl. Nr. I 2000/16) - zwölf Bundesministerien. Es sind dies: das Bundeskanzleramt; das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten; für Bildung, Wissenschaft und Kultur; für Finanzen; für Inneres; für Justiz; für Landesverteidigung; für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft; für öffentliche Leistung und Sport; für soziale Sicherheit und Generationen; für Verkehr, Innovation und Technologie sowie das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit. Von der Möglichkeit der Bestellung eines Kanzleramtsministers, der Bestellung eines Bundesministers ohne Geschäftsbereich oder der Betrauung eines Bundesministers mit der Leitung zweier Bundesministerien wird derzeit kein Gebrauch gemacht. Das bedeutet, dass die Zahl der Mitglieder der Bundesregierung identisch ist mit der Zahl der Bundesministerien.
8
So etwa in der jüngeren Vergangenheit die zeitweilige Zuordnung des Gesundheitswesens oder der Angelegenheiten der Kunst und der Bundestheater zum Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes oder die Zusammenfassung der Angelegenheiten der Wissenschaft, des Verkehrs und der Kunst zu einem Ressort. 9 So etwa in der jüngeren Vergangenheit die Angelegenheiten des öffentlichen Dienstes, des Gesundheitswesens, des Veterinärwesens oder des Sports. 10 Der Beitrag wurde am 31.1.2003 abgeschlossen, also noch vor der Bildung einer Bundesregierung auf Grund des Ergebnisses der Nationalratswahlen vom 24.11.2002. Auf Grund einer vom Nationalrat am 26.3.2003 beschlossenen BMG-Novelle wurde das (im Jahre 2000 geschaffene) Bundesministerium öffentliche Leistung und Sport wiederum aufgelöst; die von ihm wahrgenommenen Angelegenheiten wurden überwiegend dem Bundeskanzleramt zugewiesen. Neu geschaffen wurde ein Bundesministerium Gesundheit und Frauen (dessen Agenden vorwiegend aus dem Wirkungsberich des bisherigen Bundesministeriums soziale Sicherheit und Generationen - nunmehr: soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz - kommen).
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3. Der Wirkungsbereich der Bundesministerien Das BMG sieht zum einen in § 3 und im Teil 1 der Anlage zu § 2 einen Katalog von Angelegenheiten vor, die jedem Bundesministerium in gleicher Weise zukommen - so etwa: Sekretariatsangelegenheiten des Bundesministers, Repräsentationsangelegenheiten, Personalangelegenheiten, Angelegenheiten der Unterbringung des Bundesministeriums, Haushaltsangelegenheiten u.a.m. Zum anderen regelt Teil 2 der Anlage zu § 2 BMG in detaillierter Weise die den einzelnen Bundesministerien zukommenden spezifischen Aufgaben - zur Illustration etwa: Bundeskanzleramt - u.a. Angelegenheiten der staatlichen Verfassung, Führung der Kanzleigeschäfte der Bundesregierung, Angelegenheiten des Hörfunks und des Fernsehens; Bundesministerium für Finanzen u.a. Angelegenheiten der Finanzverfassung, Angelegenheiten der Bundesfinanzen, Angelegenheiten der Wirtschaftspolitik; Bundesministerium für Justiz u.a. Angelegenheiten des Zivilrechts, Angelegenheiten des gerichtlichen Strafrechts, Angelegenheiten der Konsumentenpolitik.
4. Die innere Organisation der Bundesministerien a) Die Geschäftseinteilung
(Aufbauorganisation)
Gemäß § 7 B M G gliedern sich die Bundesministerien in Sektionen und diese wieder in Abteilungen. Alle zum Wirkungsbereich eines Bundesministeriums gehörenden Geschäfte sind auf die einzelnen Sektionen und Abteilungen aufzuteilen (Universalitätsprinzip). Dabei ist insbesondere darauf zu achten, dass zur Besorgung sachlich zusammengehöriger Geschäfte nur eine einzige Sektion und eine einzige Abteilung führend zuständig ist (Grundsatz der sachlichen Konzentration). In den nachstehend genannten Fällen ist - auf Grund besonderer Regelungen in § 7 B M G - eine von dieser Normalgliederung abweichende Organisation zulässig: Mehrere Abteilungen können zu einer Gruppe zusammengefasst werden, wenn dies im Interesse des besseren Zusammenwirkens notwendig ist. Eine Abteilung kann in Referate gegliedert werden. Zur Koordination aller zum Wirkungsbereich des Bundesministeriums gehörenden Geschäfte sowie zur Beratung und Unterstützung des Bundesministers bei den ihm obliegenden Entscheidungen auf dem Gebiet der allgemeinen Regierungspolitik dürfen Organisationseinheiten außerhalb der Normalgliederung eingerichtet werden; sie werden als „Ministersekretariate", zuweilen auch als „Kabinette" oder ,,Ministerbüros", bezeichnet. Eine von der Normalgliederung abweichende Organisation ist ferner zur Schaffung von Einrichtungen der inneren Revision und für die Besorgung von
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nichthoheitlichen Angelegenheiten (Privatwirtschaftsverwaltung) zulässig, soweit dadurch diese Aufgaben effizienter erfüllt werden können. Weiters können Behördenbibliotheken und Registraturen, Buchhaltungen sowie sonstige Hilfsstellen (z.B. Ein- und Abgangsstellen, Kanzleien, Schreibstellen) auch für den Bereich mehrerer Bundesministerien eingerichtet werden. Die ursprünglich nur für das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten 11 vorgesehene Möglichkeit, mit der Koordination aller zum Wirkungsbereich des BMG gehörenden Geschäfte einen Generalsekretär zu betrauen, ist mit der BMG-Novelle BGBl. I 2000/16 auf sämtliche Bundesministerien ausgedehnt worden. 12 ' 13 Eine von der Normalgliederung abweichende Organisation kann schließlich auch für die im Bundesministerium für Inneres bestehende „Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit" sowie für das Bundesministerium für Landesverteidigung - insoweit dies zur wirkungsvollen Erfüllung der dem Bundesheer obliegenden Aufgaben notwendig ist - vorgesehen werden. 14 Die Zahl der Sektionen und Abteilungen, die allfällige Einrichtung von Gruppen und Referaten sowie die Schaffung sonstiger Einrichtungen und die Aufteilung der Geschäfte auf diese Organisationseinheiten sind vom Bundesminister in einer Geschäftseinteilung des Bundesministeriums festzulegen. Die Geschäftseinteilung ist zur öffentlichen Einsicht aufzulegen, wobei die Zuteilung der Bediensteten zu den einzelnen Organisationseinheiten (Personalverteilung) mindest einmal jährlich auszuweisen ist. Gemäß § 8 BMG kann jeder Bundesminister zur Vorbereitung und Vorberatung von Geschäften aus dem Wirkungsbereich des von ihm geleiteten Bun11 Für dieses Bundesministerium wurde mit dem Bundesgesetz über Aufgaben und Organisation des auswärtigen Dienstes (Statut, BGBl. I 1999/129) eine besondere gesetzliche Regelung über die innere Organisation getroffen. Sie sieht - neben dem Generalsekretär für auswärtige Angelegenheiten, der zugleich Leiter der Sektion „Zentrale Angelegenheiten" und unmittelbarer Vorgesetzter aller anderen Sektionsleiter sowie der Leiter der nachgeordneten Dienststellen (vor allem der Botschaften) ist (§ 2) - insbesondere auch einen General Inspektor als Leiter der inneren Revision vor (§ 3). 12
Davon ist im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft sowie im Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie Gebrauch gemacht worden. 13 In der Normalgliederung sind die Sektionsleiter eines Bundesministeriums einander gleichgeordnet. Auch der Generalsekretär ist - wenn nicht durch besondere gesetzliche Regelung, wie den oben erwähnten § 2 des Statuts, etwas anderes vorgesehen ist den Sektionsleitern gegenüber nicht weisungsbefugt. De facto kommt ihm jedoch, wie schon bisher in vielen Fällen dem Leiter der „Präsidial-" oder „ZentralSektion", eine dominierende Stellung zu. Im Rechtssinn haben die Bundesministerien aber keine beamtete Spitze. 14
Siehe dazu die kürzlich erfolgte Einrichtung eines „Generalstabes" im Bundesministerium für Landesverteidigung.
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desministeriums Kommissionen (Beiräte) einrichten; vor Heranziehung von Bediensteten anderer Bundesministerien ist dabei das Einvernehmen mit den betreffenden Bundesministern herzustellen. Dem die Kommission einrichtenden Bundesminister obliegt es auch, die Zusammensetzung, die Vorsitzführung und die Meinungsbildung der Kommission festzulegen. 15 Gemäß § 9 BMG hat der Bundesminister mit der Leitung der Sektionen, Gruppen und Abteilungen geeignete Bedienstete - in Betracht kommen sowohl Beamte als auch Vertragsbedienstete 16 - zu betrauen und ihre Vertretung bei Verhinderung zu regeln. Zufolge § 10 BMG kann der Bundesminister den leitenden Bediensteten sowie - ausnahmsweise - auch anderen geeigneten Bediensteten im Interesse einer raschen und zweckmäßigen Geschäftsbehandlung bestimmte Gruppen von Angelegenheiten zur selbständigen Behandlung übertragen. In Fällen einer solchen Delegation hat der betreffende Bedienstete diese Angelegenheiten zu erledigen und Geschäftsstücke im Namen des Bundesministers zu unterfertigen (selbstständige Approbations- oder Zeichnungsbefugnis). Das Weisungsrecht der vorgesetzten Organe, insbesondere des Bundesministers, wird davon jedoch nicht berührt. Weiters ist der Bundesminister auch berechtigt, Angelegenheiten, zu deren selbstständiger Behandlung ein Bediensteter ermächtigt wurde, wieder an sich zu ziehen (Evokationsrecht) oder sich die Genehmigung vorzubehalten. 17
b) Die Geschäftsführung
(Ablauforganisation)
Das B M G enthält in den §§3 bis 5 besondere Regelungen über die Geschäftsführung der Bundesministerien. 15 Beispiele für solche Kommissionen sind etwa die Arbeitsgruppe für Integrationsfragen sowie der Bundesseniorenbeirat beim Bundeskanzleramt oder der Beirat für Grundsatzfragen der Gewaltprävention beim Bundesministerium für Inneres. 16 Diese Regelung geht auf die BMG-Novelle BGBl. Nr. I 1999/10 zurück. Bis dahin waren Leitungsfunktionen in den Bundesministerien - grundsätzlich - Beamten vorbehalten. Auf Grund der Neuregelung sind jedoch Vertragsbedienstete, die mit der Leitung einer Sektion (oder einer Botschaft) betraut sind, jedenfalls, Gruppen- und Abteilungsleiter dann, wenn ihnen eine besonders wichtige Aufgabenstellung zukommt (was durch Verordnung des Bundesministers festzulegen ist), auf ihren Antrag in das (öffentlichrechtliche) Beamten-Dienstverhältnis aufzunehmen. 17 In einzelnen Bundesministerien wurden in einer vom jeweiligen Bundesminister erlassenen Geschäftsordnung nähere Regelungen insbesondere zu den §§ 9 und 10 BMG getroffen. Ein vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes ausgearbeiteter Musterentwurf (vom 11.7.1983) einer solchen Geschäftsordnung enthält insbesondere nähere Vorschriften betreffend die Übertragung von Angelegenheiten zur selbständigen Behandlung, die Stellvertretung leitender Bediensteter, die Einrichtungen gemäß § 7 BMG (kein Weisungsrecht gegenüber den übrigen Organisationseinrichtungen des Bundesministeriums) und Grundsätze der Zusammenarbeit.
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Diese haben im Rahmen ihres Wirkungsbereiches insbesondere an der Besorgung der Geschäfte anderer Organe des Bundes und der Länder mitzuwirken, die Bundesregierung bei der Besorgung ihrer Aufgaben zu unterstützen, alle Fragen wahrzunehmen und zusammenfassend zu prüfen, denen vom Standpunkt der Koordinierung und vom Standpunkt der wirtschaftlichen und zweckmäßigen Arbeitsweise der Vollziehung im Bereich des Bundes grundsätzliche Bedeutung zukommt, sowie auch auf die Koordination im BundLänder-Verhältnis Bedacht zu nehmen (§ 3). Weiters haben die Bundesministerien im Rahmen der Dienstaufsicht für eine gesetzmäßige, wirtschaftliche und sparsame Geschäftsführung der nachgeordneten Einrichtungen des Bundes zu sorgen (§4). Allgemeine Vorschriften über das Zusammenwirken (die Koordination) der Bundesministerien in Angelegenheiten, die den Wirkungsbereich mehrerer Bundesministerien berühren, sind im § 5 BMG enthalten. Dabei wird zwischen der führenden Geschäftsbehandlung durch das vorwiegend betroffene Bundesministerium und dem Fall des einvernehmlichen Vorgehens des in erster Linie zuständigen Bundesministeriums mit den sonst beteiligten Bundesministerien unterschieden. Die formale Behandlung der von den Bundesministerien zu besorgenden Geschäfte ist gemäß § 12 BMG von der Bundesregierung in einer für alle Bundesministerien einheitlichen Kanzleiordnung zu regeln. Im Zuge der fortschreitenden Büroautomation (insbesondere der Kommunikation per E-mail) wurde bzw. wird in verschiedenen Bundesministerien, etwa im Bundeskanzleramt oder im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, das ELAK[= elektronischer Akt]-System eingeführt. Dabei ist u.a. das Einscannen einlangender Schriftstücke und die elektronische Registrierung und Bearbeitung der Geschäftsstücke, gegebenenfalls auch die Abfertigung der Erledigung per E-mail vorgesehen.
IV. Resümee Die vorstehenden Ausführungen wollten deutlich machen, dass die Organisation der Ministerialverwaltung - und damit in gewisser Hinsicht auch der Bundesregierung - nach der österreichischen Bundesverfassung in hohem Maße der Determinierung durch den Bundesgesetzgeber unterliegt. Dies ist im internationalen Vergleich bemerkenswert, 18 wenngleich diesem Phänomen in der politischen Realität - in der sich die jeweilige Bundesregierung regelmäßig auf eine (gesetzgebende) Mehrheit im Nationalrat stützen kann - geringere Bedeutung zukommt, als der Blick auf die (Verfassungs-)Rechtslage vermuten ließe.
18
Vgl. demgegenüber etwa die im Besonderen aus Art. 64 des Grundgesetzes abzuleitende „Organisationsgewalt des Bundeskanzlers".
Verfassungsergänzende Vereinbarungen zwischen Parlament u n d Regierung V o n Klaus-Eckart Gebauer, Mainz
I . A u s g a n g s f a l l : F r ü h z e i t i g e U n t e r r i c h t u n g des P a r l a m e n t s als Verfassungsgebot 1. Die Regelung des „Näheren" nach Landesverfassungsrecht durch Gesetz oder durch Vereinbarung? M i t dem neuen A r t i k e l 22 Abs. 1 SchlHVerf. 1 wurde erstmals eine Landesregierung verfassungsrechtlich verpflichtet, den Landtag von sich aus über bestimmte, politisch bedeutsame Vorhaben frühzeitig zu informieren. Der Verfassungstext legt einen Katalog von Unterrichtungsfällen fest. Absatz 3 lautet dann: „Das Nähere regelt ein Gesetz". 2 A u c h i n die Verfassung für RheinlandPfalz ist i n A r t i k e l 89 b - unter Einbeziehung der hier seit Ende der 70er Jahre bestehenden Praxis - eine vergleichbare Unterrichtungspflicht aufgenommen worden, allerdings m i t einer Variante: Das Nähere soll nicht durch Gesetz, sondern zwischen Landtag und Landesregierung durch Vereinbarung geregelt werden. 3 Diese Vereinbarung ist z u m 1. Januar 2001 i n Kraft getreten. 4
1
ÄndG. v. 13.6.1990 (GOVBI., S. 391) Zur Entstehungsgeschichte s. P. Hübner, Art. 22, in: A. von /H. Wuttke/P. Hübner (Hrsg.), Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, Kiel 1995, S. 144 ff. 3 ÄndG. v. 8.3.2000 (GVB1. 2000, S. 65; vgl. F. Edinger, Art. 89 b, in: Ch. Grimm/P. Caesar (Hrsg.), Verfassung für Rheinland-Pfalz, Baden-Baden 2001, S. 536 ff., 541. Der Text lautet: „Artikel 89 b (Unterrichtungspflicht der Landesregierung) (1) Die Landesregierung unterrichtet den Landtag frühzeitig über 1. ihre Gesetzentwürfe, 2. den Gegenstand beabsichtigter Staatsverträge und, soweit es sich um Gegenstände von erheblicher landespolitischer Bedeutung handelt, über 3. Angelegenheiten der Landesplanung, 4. Bundesratsangelegenheiten, 5. Entwürfe von Verwaltungsabkommen, 6. die Zusammenarbeit mit dem Bund, den Ländern, den Regionen, anderen Staaten und zwischenstaatlichen Einrichtungen, 7. Angelegenheiten der Europäischen Union. (2) Die Landesregierung kann die Unterrichtung ablehnen, wenn diese ihre Funktionsfähigkeit oder Eigenverantwortung oder schutzwürdige Interessen Einzelner beeinträchtigen würde. (3) Das Nähere regeln Landtag und Landesregierung durch Vereinbarung. Diese Vereinbarung bezieht auch die Unterrichtung über Entwürfe von Rechtsverordnungen ein." 2
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Klaus-Eckart Gebauer
Verfassungsrechtliche Informationspflichten solcher Art finden sich seit den 90er Jahren auch in weiteren Landesverfassungen. Baden-Württemberg 5 und Saarland6 haben sich - jeweils bezogen auf EU-Angelegenheiten - für eine Regelung der Einzelheiten durch Vereinbarung entschieden. Während diese Umsetzung im Saarland noch aussteht, ist eine Informations Vereinbarung in BadenWürttemberg Ende 1995 unterzeichnet worden. 7 Die schleswig-holsteinische Variante („durch Gesetz") wurde übernommen in Artikel 39 Abs. 3 M W e r f . , Artikel 25 Abs. 3 NdsVerf., Artikel 62 Abs. 3 SachsAVerf. Weder in Schleswig-Holstein noch anderswo war allerdings bis Anfang 2003 ein solches Ausführungsgesetz in Kraft getreten, bis dann im Mai 2003 (parallel mit der verfassungsrechtlichen Grundlage) in Bayern eine solche Regelung beschlossen wurde - mit Weiterverweis auf eine entsprechende Vereinbarung - 8 Eine Unterrichtungspflicht ohne Verfahrenshinweis zur Regelung von Einzelheiten enthalten die Verfassungen von Bremen (Artikel 79), Berlin (Artikel 50), Brandenburg (Artikel 94), Hamburg (Artikel 31), Sachsen (Artikel 50) und Thüringen (Artikel 67 Abs. 4). Keine ausdrücklich verankerte Informations Verpflichtungen dieser Art gibt es in Hessen und Nordrhein-Westfalen. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass Informationspflichten inzwischen in einer Reihe von Geschäftsordnungen, Entschließungen, Briefwechseln oder Richtlinien näher behandelt werden, die hier vorliegende Untersuchung sich aber auf Regelungen „oberhalb" der Β indungsWirkung dieser Gestaltungsinstrumente beschränken wird.
2. Parallelen im Grundgesetz: abgestufte Regelung Vergleichbare Unterrichtungspflichten gibt es auf Bundesebene nur für EUAngelegenheiten. Im Zuge der Grundgesetzänderung von 1992 wurde im neuen Artikel 23 GG eine Verpflichtung sowohl gegenüber dem Bundestag als auch gegenüber dem Bundesrat festgelegt:
4 GVBI. 2000, S. 501; http://www.landtag.rlp.de, unter „Dienste", „Gesetzesbibliothek". 5 Art. 34 a BadWürttVerf. 6 Art. 76 a SaarlVerf. 7 GVBI. 1996, S. 65; K. Engelken, Art. 34 a, in: Ergänzungsband zu Braun, Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart u.a. 1997, S. 54 f. 8 Die Entwicklungen in Bayern (Verfassung/Gesetz/Vereinbarung) sind nach dem vorgegebenen Abgabetermin für die Festschriftbeiträge (31.1.2003) eingetreten; auf sie wird in einem Nachtrag am Ende der Fußnoten kurz eingegangen; auch sonst zeichnet sich ab, dass dieses Thema ab Mitte 2003 an Aktualität zu gewinnen scheint (vgl. Anm. 20, 46).
Verfassungsergänzende Vereinbarungen zwischen Parlament und Regierung
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Artikel 23 Abs. 2: „In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten." Artikel 23 Abs. 3: „Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz."9 Die Absätze 4 bis 6 betreffen die Beteiligung des Bundesrates. Absatz 7 fährt dann fort: „Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf." Das entsprechende Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union 10 enthält seinerseits in § 9 die Vorgabe, Einzelheiten der Unterrichtung und Beteiligung der Länder durch eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern zu konkretisieren. Diese ist vom Bundeskanzler und von den Ministerpräsidenten der 16 Länder am 29. Oktober 1993 unterzeichnet worden. 11
3. Zum Vergleich: sonstige parlamentsbezogene Fallgruppen „interinstitutioneller" Absprachen a) Frühe Vorläufer konsensualer Regelungen zwischen Verfassungsorganen waren Briefwechsel von Regierungschefs und Parlamentspräsidenten, in Rheinland-Pfalz zuerst in der Korrespondenz vom Juli 1977 betreffend Staatsverträge/Verwaltungsabkommen und Bundesratsangelegenheiten.12 Vergleichbare Erklärungen zu Fachministerkonferenzen (1980) und EGAngelegenheiten (1988) schlossen sich an 13 - von Seiten der Regierung allerdings ausdrücklich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Auch der Verfas-
9
Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union v. 12.3.1993, BGBl. I, S. 311 (ZEUGBBG). 10 v. 12.3.1993, BGBl., S. 313 (EUZBLG). 11 Bund-Länder-Vereinbarung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 29.10.1993, Bundesanzeiger 1993, S. 10425; Grundlage waren die Beratungen während der Ministerpräsidentenkonferenz in Mainz vom 27.-29.10.1993. 12 Drucksachen 8/2266; 8/2307; vom Landtagspräsidenten wurde in seinem Schreiben vom 7.7.1977 auf die Empfehlungen der Konferenz der Parlamentspräsidenten der deutschen Länder vom Mai 1976 hingewiesen. 13 Drucksachen 9/946; 11/1148.
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sungsergänzung in Schleswig-Holstein ging eine auf Briefwechsel gestützte Praxis voraus. 14 In Rheinland-Pfalz ist der o.g. Briefwechsel in Artikel 89 b und die UmsetzungsVereinbarung integriert worden. 15 b) In die Vereinbarung zu Artikel 89 b aufgenommen wurden auch Informationspflichten, die zuvor ausschließlich im Rahmen einer Selbstbindung über Geschäftsordnungsvorschriften (zum Beispiel zur frühzeitigen Unterrichtung über Referentenentwürfe 16) und - bereits 1969 - in einer Antwort der Landesregierung auf eine Große Anfrage 17 zugesagt worden waren. Soweit einzelne Verfahrensfragen sowohl in der Geschäftsordnung der Regierung als auch in der Geschäftsordnung des Landtags übereinstimmend geregelt werden, sind dies gleichsam parallel laufende Willenserklärungen, die unterhalb einer gesetzlichen oder vertraglichen Bindungswirkung bleiben 18 , aber geeignet sind, ähnlich wie ein Briefwechsel eine Staatspraxis hinsichtlich der Auslegung und Anwendung von Verfassungsnormen zu verfestigen. Hinzu treten - auch in schriftlicher Form - Einzelabsprachen zwischen Landesregierung und Landtag über die Handhabung von Verfahrensbestimmungen (zum Beispiel Fristen zur eigenen pressemäßigen Verwertung von Antworten der Landesregierung auf Parlamentarische Anfragen, Verlängerung von Beantwortungsfristen anlässlich von Feiertagen oder bei so genannten Sammelanfragen). Erwähnt sei hier auch ein Briefwechsel zwischen dem Präsidenten des Landtags von Rheinland-Pfalz und dem Präsidenten des Landesrechnungshofes aus dem September 2002 zur Handhabung bestimmter Vorschriften des Fraktionsgesetzes, getragen von der beiderseitigen Absicht, eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz 19 möglichst zielgenau umzusetzen (eine soweit ersichtlich erstmalige Kooperationsform im Aktionsbereich von Parlament - Rechnungshof - Verfassungsgericht).
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Vgl. Hübner, Art. 22 (Anm. 2), S. 144; ähnliche Absprachen finden sich auch in anderen Ländern. 15 Siehe Abschnitt V I I Abs. 2 der Vereinbarung (Anm. 4). 16 Vgl. etwa für Rheinland-Pfalz § 13 der Gemeinsamen Geschäftsordnung - GGO vom 11.7.1995. 17 Drucksache VI/1559; s. dazu S. Hölscheidt, Information der Parlamente durch die Regierungen, DÖV 1993, S. 593, 599. 18 Zur Bindungswirkung von Geschäftsordnungen s. P-J. Glauben/F. Edinger, Parlamentarisches Fragerecht in den Landesparlamenten, DÖV 1995, S. 941, 946; JPietzcker, Schichten des Parlamentsrechts: Verfassung, Gesetz und Geschäftsordnung, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin u.a. 1989, S. 336, 342 ff. 19 NVwZ 2003, S. 75 ff.
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c) Kategorien „Interinstitutioneller Zusammenarbeit" entwickeln sich auch auf anderen Ebenen. So hat der Interregionale Parlamentarier-Rat (in dem Abgeordnete aus Lothringen, Luxemburg, Rheinland-Pfalz, Saarland und der Wallonie vertreten sind) Ende 1999 durch Ergänzung seiner Geschäftsordnung (Artikel 13 Abs. 4) beschlossen, dass „die Mitglieder des IPR das Recht (haben), schriftliche Anfragen an die Exekutiven der Mitgliedsregionen zu richten." Damit wurden was insbesondere die Antwortpflicht der Regierungen angeht - grundsätzliche Rechtsfragen aufgeworfen. Es hat den Anschein, dass inzwischen kooperative und von beiden Seiten akzeptierte Lösungsansätze vorliegen. So hat der saarländische Ministerpräsident für das Vorsitzland der im so genannten „Gipfel" zusammengeschlossenen Exekutiven dem amtierenden Präsidenten des IPR mit Schreiben vom 19. April 2002 offensichtlich konsensfähige Vorschläge für das Verfahren bei entsprechenden Anfragen übermittelt (allerdings ohne Präjudizierung hinsichtlich des Status des IPR und unter Hinweis auf die freiwillige Basis entsprechender Antworten). Eine verfassungspolitisch bedeutsame Zusammenarbeit zwischen Parlamenten und Regierungen könnte sich bei der Föderalismusreform entwickeln. Zum Föderalismuskonvent der Landtagspräsidentinnen und -Präsidenten (unter Beteiligung der Landtagsfraktionen) am 31.03.2003 wurde bewusst auch der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz eingeladen - und ein Briefwechsel zwischen den beiderseitigen Konferenzen damit fortgesetzt. Richtungsweisend könnte werden, dass sich inzwischen auf europäischer Ebene sog. „Interinstitutionelle Vereinbarungen" (zwischen Parlament/Rat/ Kommission) zu einem anerkannten Gestaltungsinstrument entwickelt haben.20
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Vgl. die Interinstitutionellen Vereinbarungen vom 25.10.1993 über die Verfahren zur Anwendung des Subsidiaritätsprinzips, vom 20.12.1994 über ein beschleunigtes Arbeitsverfahren für die amtliche Kodifizierung von Rechtstexten, vom 22.12.1998 über gemeinsame Leitlinien für die redaktionelle Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften und vom 28.11.2001 über die systematischere Neufassung von Rechtsakten. Auch hier gibt die Aktualität unseres Themas Anlass zu einem Nachtrag: Unter dem 3.6.2003 ist in Brüssel der Entwurf einer neuen Interinstitutionellen Vereinbarung über „Bessere Rechtsetzung" präsentiert und vom Präsidenten des Europäischen Parlaments auf der Sitzung des Europäischen Rates in Thessaloniki vorgestellt worden; eine Unterzeichnung der drei Präsidenten wird für Herbst 2003 ins Auge gefasst. Bemerkenswert in unserem Zusammenhang sind die konkreten Absprachen zur gegenseitigen Unterrichtung; die Umsetzung soll von der „Hochrangigen Technischen Arbeitsgruppe für Interinstitutionelle Zusammenarbeit" begleitet werden. Nicht ohne Reiz Ziffer 33 dieses Entwurfs: „Die Organe ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um ihren zuständigen Dienststellen geeignete Mittel und Ressourcen zur angemessenen Umsetzung dieser Vereinbarung zur Verfügung zu stellen." Zu I 3c vgl. auch Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Moderner Staat - Moderne Verwaltung, Der Mandelkern-Bericht. Auf dem Weg zu besseren Gesetzen, Berlin 2002, S. 13 f.; zum IPR s. Ch. Grimm, Interregional
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Die Bestandsaufnahme kann an dieser Stelle nicht abschließend sein. Sie versteht sich als Hintergrund fur die nachfolgende Einordnung unterschiedlicher Umsetzungsaufiträge eines Verfassungsgebotes (durch Gesetz oder durch Vereinbarung). Sie soll aber deutlich machen, dass konsensuale Ansätze mit zunehmender Tendenz nachweisbar sind und sich zum Thema „Vereinbarung zwischen Verfassungsorganen" ein über die Regelung in Artikel 89 b RhPfVerf. hinausweisendes Erkenntnisinteresse abzeichnet.
I I . Verfassungsrechtliche Einordnung der unterschiedlichen Gestaltungsaufträge 1. Ausgestaltung gemäß Artikel 22 SchlHVerf. (Gesetz) Informationspflichten der Regierung gegenüber dem Parlament waren - wie erwähnt - auch in Schleswig-Holstein schon Gegenstand von Briefwechseln und Empfehlungen, ehe sie durch das schleswig-holsteinische Änderungsgesetz vom 13. Juni 1990 erstmals Eingang in eine Verfassung fanden. Die Formulierung beruht auf einem Vorschlag der dortigen Enquete-Kommission Verfassungs· und Parlamentsreform. Zur Regelung „des Näheren" durch Gesetz hatte die Enquete-Kommission ausgeführt: „(Die Kommission) hat sich daher darauf beschränkt, Fallgruppen zusammenzustellen und im übrigen vorgesehen, dass die Regelung der Einzelheiten - auch soweit es um das Verfahren geht - in einem einfachen Gesetz erfolgt; geschäftsordnungsrechtliche Vorschriften würden hierzu nicht ausreichen, weil sie die Regierung nicht zu binden vermögen." 21 In der Kommentierung zu Artikel 22 Abs. 3 SchlHVerf finden sich folgende ergänzenden Hinweise: „Die Regelung geht über die bisherigen Vereinbarungen mit der Landesregierung hinaus, in denen sich die Regierung bereit erklärte, dem Landtag auf freiwilliger Grundlage die erbetene Unterrichtung zu gewähren... Die Unterrichtungspflicht ergibt sich jedoch unabhängig von der zukünftigen gesetzlichen Regelung unmittelbar aus der Verfassung und kann auch ohne gesetzliche Konkretisierung erfolgen." Anschließend werden Bauelemente zitiert, die in Anlehnung an eine Entschließung der 70. Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente vom 11. Mai 1992 Inhalt einer gesetzlichen Regelung sein könnten.22
Parlamentarier-Rat (IPR), in: J. Leinen (Hrsg.), Saar-Lor-Lux, Eine Euro-Region mit Zukunft?, St. Ingbert 2001. 21 Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtags (Hrsg.), Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungs- und Parlamentsreform, Baden-Baden 1989, S. 83. 22 Hübner, Art. 23 (Anm. 2), Rn. 2, Rn. 25.
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Artikel 22 Abs. 3 zielt vor diesem Hintergrund darauf ab, Parlament und Regierung unbeschadet des unmittelbar verpflichtenden Verfassungsgebotes ein präzises und in seiner Bindungswirkung oberhalb einer Geschäftsordnungsregelung anzusiedelndes Regelungsinstrument an die Hand zu geben. Das entsprechende Gesetz ist in Schleswig-Holstein bis Anfang 2003 nicht verabschiedet worden; daher ist eine vertiefende Analyse anhand eines Textvergleiches zwischen Verfassung und Umsetzungsnorm nicht möglich. Aufschlussreich ist aber insoweit ein Blick auf die Bundesebene. So wird darauf aufmerksam gemacht, dass nach dem Wortlaut des Ausführungsgesetzes (ZEUBBG) die Bindungswirkung für die Bundesregierung weiter gefasst sei als in Artikel 23 Abs. 3 Satz 2 GG. 23 Hier klingt eine grundsätzliche Thematik an: die Definitionshoheit bei der Regelung des „Näheren" zu einem Verfassungsgebot, das letztlich den Grenzverlauf zwischen gouvernementalem Kernbereich und legislativem Zugriffsrecht absteckt. Das Kollisionsproblem einer vom so genannten „einfachen" Gesetzgeber allein verfügten Verschärfung ist nach Ondolf Rojahn im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung dahin zu lösen, dass eine Bindungwirkung für die Regierung nur in dem von der Verfassung selbst vorgegebenen Rahmen besteht. Dies soll entsprechend auch für das Parallelgesetz über die Unterrichtungspflicht gegenüber dem Bundesrat gelten.24 Parlament und Regierung (wenn sie denn einmal eingesetzt ist) sind gleichermaßen Verfassungsorgan mit eigenen, unmittelbaren Rechten. Wo es also um Kompetenzabgrenzung geht, spricht viel dafür, dass sich eine verfassungsfeste Ermächtigung an den Gesetzgeber, eine über den Ursprungstext hinausgehende Verpflichtung der Regierung zu beschließen, in unserem parlamentarischen Regierungssystem nicht begründen lässt. Aber das Problem muss weiter zugespitzt werden. Denn man kann der Frage nicht aus dem Weg gehen, ob selbst bei einer nicht „überschießenden" Umsetzung tatsächlich einem der beiden Betroffenen die Kompetenz zufallen kann (oder zumindest verfassungspolitisch zufallen soll), die Spielregeln für die Ausgestaltung von Informationsinhalten und -verfahren (einschließlich möglicher Sanktionen) in alleiniger Regie zu bestimmen; denn diese berühren ganz direkt das sensible Feld der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Verfassungsorganen. 25 23
O. Rojahn, Art. 23, in: P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 2, München 1995, Rn. 62 (unter Hinweis auf den nicht einheitlichen Diskussionsstand im Gesetzgebungsverfahren wie in der Literatur). 24 Rojahn, Art. 23 (Anm. 23), Rn. 62, 72; ebenso etwa R. Streinz, Art. 23, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl., München 2003, Rn. 98. 25 Vgl. dazu K.-E. Gebauer, Art. 98, in: Ch. Grimm, P. Caesar (Hrsg.), Verfassung für Rheinland-Pfalz, Baden-Baden 2001, S. 609 ff., insbes. Rn. 11; eine Zuständigkeit des Parlaments, auch gegen den Wüllen der Regierung eine solche Regelung durch Gesetz festzulegen sieht demgegenüber Edinger (Anm. 3), Rn. 16.
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Schon aus Respekt vor dem dokumentierten Willen des Verfassungsgebers in mehreren Bundesländern fällt es schwer, schon die Zulässigkeit einer Regelung solcher Abgrenzungsfragen durch den Gesetzgeber - als nur einem der zwei beteiligten Organe - a priori in Frage zu stellen. Denn zweifellos enthält ein Gesetz (etwa gegenber der in Schleswig-Holstein als Alternative benannten Geschäfitsordnungslösung) ein deutliches Mehr an Verfahrenslegitimation und Rechtsklarheit (schon wegen Artikel 20 Abs. 3 GG). Fühlt sich aber eine Regierung - sei es wegen einzelner Regelungsinhalte oder sogar grundsätzlich wegen der Wahl des Regelungsinstruments „Gesetz" - in originären Kompetenzen eingeschränkt, dann steht ein solches Gesetz auf unsicherem Boden: Das Risiko einer Beanstandung durch das zuständige Landesverfassungsgericht ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. Sieht man schon Bedenken hinsichtlich der materiellen Legitimation selbst bei Vorliegen eines Regelungsauftrages, so muss das umso eindeutiger gelten, wo eine Legislativkompetenz erst über eine Vermutungsregel abzuleiten wäre. Denn auch eine Berufung auf die so genannte Wesentlichkeitstheorie wäre in unserem Fall nicht geeignet, die vorstehend dargelegten Bedenken auszuräumen. Die vom VerfGH NW im so genannten „Justizministerfall" in die Rechtsprechung eingeführte Ausweitung der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts ist schon im Ansatz auf deutlichen Widerspruch gestoßen.26 Das muss auch für den hier vorliegenden Sachverhalt gelten; denn es geht ja anders als im Karlsruher Ausgangsfall - auch hier nicht um eine der Legislative anvertraute Abwägungsentscheidung insbesondere im Grundrechtsbereich, sondern es geht um Kompetenzstrukturen, also um Interorganbeziehungen zwischen zwei verfassungsunmittelbaren staatlichen Organen. Susanne Baer hat in einer politikwissenschaftlichen Abhandlung über „Vermutungen zu Kernbereichen der Regierung und Befugnissen des Parlaments" die These vom „prozeduralen Vorrang" des Parlaments aufgestellt - aufgrund seiner besonderen Orientierung an gemeinwohlorientierter Effizienz. Dies ergebe sich (funktional gedacht) aus dem verfassungsrechtlich fixierten Anfang und der Art des Verfahrens, er speise sich (demokratietheoretisch begründet) aus dem Charakter des die Rechtsetzung legitimierenden Diskurses und bette sich (kulturwissenschaftlich gedacht) in die politische Semiotik dieser Republik. 27 Diese These mag - soweit man der Argumentation von Baer im Ansatz zu folgen bereit ist - auf bestimmte Entscheidungen der Regierung über generelle
26 Urteil v. 9.2.1999, JZ 1999, S. 1109 ff. mit Anmerkung von J. Isensee, S. 1113 ff.; kritisch gegenüber „einfachrechtlicher" Regelungskompetenz - betr. Berichtspflichten K. Waechter, Berichtspflichten der Regierung aus einfachem Gesetzesrecht, ZG 1996, S. 84, 93. 27 S. Baer, Vermutungen zu Kernbereichen der Regierung und Befugnissen des Parlaments, Der Staat (40) 2001, S. 525 ff., 548.
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Verwaltungsstrukturen im Land oder Vergleichbares zutreffen; zweifelhaft ist dagegen schon, ob selbst Baer ihre Vermutungsregelung auf den hier abzuhandelnden Sachverhalt anwenden würde: Es gibt ja einen in ausführlichem Diskurs erarbeiteten Verfassungsauftrag mit einem Katalog von Berichtspflichten, es gibt auch bei dem alternativen Weg einer gemeinsamen Vereinbarung überzeugende Verfahrensrationalität (unter Einbeziehung des Parlaments) und es gibt Publizität. Wenn man überdies noch die These Baers hinzu nimmt, auch im Staatsrecht verdiene Effizienz „sicher mehr Aufmerksamkeit" (wenn auch nicht als rechtliches Kriterium - aber immerhin!) sowie ihren zustimmenden Hinweis auf eine im Grundgesetz angelegte „kooperative Befugnisstruktur" zwischen Parlament und Regierung - dann spricht viel dafür, selbst auf der Grundlage der Baerschen Position davon auszugehen, dass die von ihr entwickelten Maßstäbe nicht (nur) durch Gesetz, sondern mindestens ebenso gut durch eine Vereinbarung als erfüllt angesehen werden können.28
2. Ausgestaltung gemäß Artikel 89 b RhPfLVerf. (Vereinbarung) Die Fassung von Artikel 89 b RhPfLVerf. geht auf Vorschläge der EnqueteKommission Parlamentsreform aus dem Jahre 1999 zurück, die ihrerseits an Empfehlungen einer Enquete-Kommission Verfassungsreform von 1994 anknüpfte. 29 Was den Inhalt der Unterrichtungspflichten betrifft, so orientierte man sich weitgehend an Beschlüssen der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente. 30 In der Debatte zur ersten Lesung des von den Fraktionen von SPD, CDU und F.D.P. eingebrachten Änderungsgesetzes31 wurde die Absicht erkennbar, sich im Wesentlichen an der bisherigen Praxis zu orientieren. 32 Da sich diese an dem in Briefwechseln niedergelegten Konsens zwischen Parlament und Regierung ausgerichtet hatte, lag es nahe, auch für die Regelung „des Näheren" eine möglichst von beiden Seiten getragene Lösung anzustreben. So gehörte dann auch in 28
Baer, Vermutungen (Anm. 27), S. 547; S. 540. Bericht der Enquete-Kommission „Parlamentsreform" des Landtags RheinlandPfalz vom 31.8.1999, Drucksache 13/3500, S. 37 ff; Bericht der Enquete-Kommission, „Verfassungsreform" des Landtags Rheinland-Pfalz vom 16.9.1994, Drucksache 12/5555, S. 79 ff. 30 Edinger, Art. 89 b (Anm. 3), Rn. 2; ders., Vereinbarung über Informationspflicht der Regierung, ZParl 2001, S. 488; siehe auch. ZParl 1992, S. 573 ff. 31 Drucksache 13/5066 v. 10.12.1999; Dokumente zu dieser Verfassungsänderung siehe auch in: Präsident des Landtags Rheinland-Pfalz (Hrsg.), Verfassungsreform. Der Weg zur neuen Landesverfassung vom 18. Mai 2000, Heft 9 der Schriftenreihe des Landtags Rheinland-Pfalz, Mainz 2000. 32 So der Berichterstatter, Abg. Dr. Schiffmann, SPD; Protokoll der 99. Plenarsitzung am 15.12.1999, in: Verfassungsreform (Anm. 31), S. 65. 29
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der Schlussabstimmung Artikel 89 b - einschließlich seines Absatzes 3 - zu jenen Vorschriften, die im Kontext einer umfassenden Novellierung ausdrücklich von allen vier im Landtag vertretenen Fraktionen getragen wurden. 33 Ministerpräsident Kurt Beck unterstrich in der Debatte die Bereitschaft der Landesregierung, „sich in die Vereinbarungsregelung einzubringen, Vorschläge zu unterbreiten und den Dialog zu suchen, damit wir diese Informationsrechte auch für den Alltag handhabbar miteinander ausgestalten". Er schloss die „herzliche Bitte (an), dass wir uns gegenseitig in unserer Handlungsfähigkeit respektieren, damit wir nicht in einer Zeit, in der wir immer wieder zügiger zu Entscheidungen aufgefordert sind ... durch eigene Schwierigkeiten, die wir uns gegenseitig bereiten, in einen Nachteil geraten können ...". 34 Justizminister Herbert Mertin nannte das Instrument einer Vereinbarung „einen geeigneten Weg, um die unterschiedlichen Interessen von Exekutive und Parlament abzugleichen. Der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung und der berechtigte Informationsanspruch des Parlaments müssten ganz konkret in Einklang gebracht werden, damit klar sei, wann und zu welchem Zeitpunkt zu welchen Unterrichtungsgegenständen ... die Unterrichtung zu erfolgen habe". 35 Vor diesem Hintergrund wurde die Umsetzung durch Vereinbarung als Ausdruck interorganfreundlichen Verhaltens bewertet. 36 Dieses Prinzip - sprachlich an den im föderalistischen System bewährten Grundsatz des „bundesfreundlichen Verhaltens" angelehnt - will die Gesamtverantwortung der beiden „politischen" Verfassungsorgane und ihre Pflicht zur Zusammenarbeit betonen - unter Respektierung der verfassungsrechtlich vorgegebenen Kompetenzen und bei Verzicht auf verfassungspolitisch reizvolle, juristisch aber schwer einzuordnende Konstruktionen einer übergelagerten „Gesamtverantwortung" (wie etwa einer Art Staatsleitung zur gesamten Hand). 37 Ein solcher bewusst undogmatischer Ansatz empfahl sich zumal für die rechtliche Ausgangslage in RheinlandPfalz, wo Artikel 77 die verfassungsmäßige Trennung der Gewalten ausdrück-
33 Vgl. Protokoll der 104. Plenarsitzung am 16.2.2000, in: Verfassungsreform (Anm. 30): Abg. Dr. Frey, F.D.P. (S. 100); Abg. Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (S. 106); Abg. Bischel, CDU (S. 125); Abg. Dr. Schiffmann, SPD nahm insoweit auf seine Rede in der ersten Lesung Bezug (S. 90). 34 Verfassungsreform (Anm. 31), S. 117. 35 Verfassungsreform (Anm. 31 ), S. 121. 36 Justizminister Mertin, in: Verfassungsreform (Anm. 31), S. 86; zum Gebot eines kooperationsfreundlichen Verhaltens zwischen Bundestag und Bundesregierung und dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue vgl. u.a. Schulze-Fielitz, Parlamentsbrauch, Gewohnheitsrecht, Observanz, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis (Anm. 18), S. 380 m.w.N.; M. Ruffert, Entformalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdung der Verfassung?, DVB1. 2002, S. 1145, 1153. 37 Vgl. dazu Gebauer, Art. 98 (Anm. 25), Rn. 7 - 10 m.w.N.
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lieh für „unantastbar" erklärt - eine Formulierung, die der Ewigkeitsklausel in Artikel 129 Absatz 2 nahe kommt. 38 Ein intensiver Konsultationsprozess (moderiert von Staatskanzlei und Wissenschaftlichem Dienst des Landtags) führte wenige Monate nach Inkrafittreten des neuen Artikel 89 b zu praktisch zeitgleichen und einstimmigen Beschlüssen in Landesregierung und Landtag: Im Parlament war der Vereinbarungstext als gemeinsamer Antrag der Fraktionen der SPD, CDU, F.D.P. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebracht worden. 39 In der Plenardebatte vom 15. November 2000 wurde der Entwurf erneut als Beispiel „fairen" bzw. „interorganfreundlichen Verhaltens" 40 und Stärkung des Parlamentarismus 41 bezeichnet, aber auch als Regelung, die der Regierung vieles aufgibt und dennoch im Rahmen bleibt - verfassungsrechtlich und im Blick auf die Umsetzung.42 Die Vereinbarung ist nach Unterzeichnung durch Landtagspräsident Christoph Grimm und Ministerpräsident Kurt Beck im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht worden und am 1. Januar 2001 in Kraft getreten. 43 Ihre Abschnitte gliedern sich nach den Vorgaben in Artikel 89 b. Im Einzelnen wurde auf die sich anhand der o.g. Briefwechsel entwickelte Verfassungspraxis, teilweise auch auf die Geschäftsordnung der Landesregierung (zum Beispiel betreffend Referentenentwürfe und Gesetzesfolgenabschätzung) zurückgegriffen. Ein eigenständiges Gewicht ist der Unterrichtung über Entwürfe von Rechtsverordnungen (Abschnitt IV) beizumessen; die entsprechenden Pflichten berühren in besonderem Maße den Eigenbereich der Regierung. Sie sind im Ergebnis nicht Artikel 89 b Absatz 1 unterstellt, sondern in Form eines gesonderten Ergänzungsauftrages in Absatz 3 einbezogen worden. 4 4 Abschnitt IV beginnt wie folgt: „Landtag und Landesregierung als die beiden Organe des Volkswillens werden diese Vereinbarung im Geiste interorganfreundlichen Verhaltens anwenden und auslegen." Beide Seiten bringen zum Ausdruck, sich bestimmter, teilweise gegenläufiger Rolleninteressen, beiderseitiger Obliegenheiten, aber auch objektiv bedingter Restriktionen bei der Umset-
38
Vgl. dazu Gebauer, Art. 98 (Anm. 25), Rn. 9. Drucksache 13/6421 vom 7.11.2000. 40 Protokoll der 120. Plenarsitzung am 15.11.2000 (13. WP), S. 9052 (Abg. Dr. Schiffinann, SPD); S. 9053 (Abg. Bischel, CDU); S. 9054 (Abg. Dr. Frey, F.D.P., wenn auch mit Hinweis auf das „Wortungetüm"); S. 9055 (Abg. Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 41 Protokoll (Anm. 40), S. 9054. 42 Protokoll (Anm. 40), Staatssekretär Rüter (Chef der Staatskanzlei), S. 5055. 43 Vgl. Anm. 4. 44 Vgl. Text in Anm. 3. 39
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zung bewusst zu sein. 45 Mehrere Vermittlungsstufen werden eingebaut, um nach Möglichkeit eine verfassungsgerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden. In der Mitte jeder Legislaturperiode (erstmals im Jahre 2004) prüfen Landtag und Landesregierung, ob aufgrund der konkreten Erfahrungen eine Veränderung dieser Vereinbarung angezeigt scheint. Vor dem Hintergrund eines derart weitreichenden Regelungsgehaltes kann diese verfassungsergänzende Vereinbarung ihrem Rechtscharakter nach als verfassungsrechtlicher Vertrag eingestuft werden.
I I I . Zwischenergebnis Als Ergebnis bleibt im Rahmen dieser Prüfung festzuhalten: Während einer Regelung des „Näheren" durch Gesetz verfassungspolitische, wenn nicht verfassungsrechtliche Bedenken entgegenstehen, erweist sich das Instrument der Vereinbarung als verfassungsnahe Regelungsform. Sie wird dem im Grundgesetz und in den Landesverfassungen angelegten Leitprinzip vom „interorganfreundlichen Verhalten" der beiden politischen Verfassungsorganen gerecht. Der empirische Befund erweist überdies, dass trotz der Verfassungsaufträge, das Nähere „durch Gesetz" zu regeln, ein Ausführungsgesetz noch in keinem Land verabschiedet wurde (auch jetzt in Bayern nur als Zwischenschritt zu einer Vereinbarung* 6). Regelungen, die hinsichtlich ihrer Bindungswirkung über
45
Vgl. ζ. Β. II 1 d; II 4 b; IV 3; V I 2,3 der Vereinbarung (Anm. 4). Nachtrag zum Stand 30.6.2003: Der Bayerische Landtag hat in der Sitzung vom 22.5.2003 einen von allen Fraktionen (CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung des Freistaates Bayern (Drucksache 14/12500) beschlossen. Darin wird u. a. in Art. 55 Nr. 3 der Landesverfassung folgender Satz 2 eingefügt: „Die Unterrichtung des Landtags durch die Staatsregierung bleibt einer Vereinbarung zwischen Landtag und Staatsregierung auf gesetzlicher Grundlage vorbehalten". Die Verfassungsänderung soll - zeitgleich mit der Landtagswahl am 21.9.2003 - dem Volk zur Entscheidung vorgelegt werden und am 1.1.2004 in Kraft treten. Ebenfalls am 22.5.2003 beschlossen wurde der in dem neuen Art. 55 Nr. 3 Satz 2 vorgesehene gesetzliche Zwischenschritt (vgl. Drucksache 14/11731). Neben dem Katalog der Unterrichtungstatbestände enthält Art. 1 dieses Gesetzes insbesondere Aussagen zur „Berücksichtigungspflicht" und zum Schutz des Kernbereichs der Exekutive. Nach Art. 2 sollen dann Landtag und Staatsregierung das Nähere durch Vereinbarung regeln. Zum möglichen Inhalt einer solchen Vereinbarung vgl. Drucksache 14/11738. Auf bestimmte Eigenheiten dieses in Bayern gewählten Verfahrens (Trias aus Verfassung, Gesetz und Vereinbarung; ausformulierter Beschlussantrag der Fraktionen, die Staatsregierung möge eine detailliert vorgelegte „Vereinbarung" abschließen; zeitliche Abfolge der dazugehörigen Anträge) ist ggf. an anderer Stelle einzugehen. Wie inzwischen bekannt wurde, sollen auch etwa im Saarland - über den dort bestehenden Art. 76 a SaarlVerf. (Verfassungsauftrag zum Abschluss einer Vereinbarung betreffend EU46
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die Ebene von Geschäftsordnungen oder so genannten schlichten Parlamentsbeschlüssen hinaus reichen, sind bisher allein über Absprachen erreicht worden: 1995 in Baden-Württemberg (in Europaangelegenheiten),47 1998 in Thüringen zu Artikel 80 Absatz 4 GG 4 8 und in 2000 mit der Vereinbarung zu Artikel 89 b in Rheinland-Pfalz. Laut Statistik der Landtagsverwaltung sind hier seit Inkrafttreten der Vereinbarung 110 Unterrichtungsfälle der unterschiedlichen Kategorien registriert (Stand: 30. Juni 2003). Dieses Zwischenergebnis soll nicht inirage stellen, dass auch in Ländern ohne förmliche Umsetzungsvereinbarung eine Unterrichtung verfassungsgemäß und sachgerecht erfolgen kann; auch über die politische Wirksamkeit im Einzelnen ist damit nichts gesagt. Hier geht es in erster Linie um den Hinweis auf das „systemgerechte" Instrument einer verfassungsergänzenden Vereinbarung vielleicht als Ermutigung für diejenigen, die noch über eine Regelung „des Näheren" zu beraten haben. Dabei dürfte es - in verfassungskonformer Auslegung - nicht unüberwindbar sein, den Weg über eine Vereinbarung auch dort anzusteuern, wo der Verfassungstext an sich von einer Regelung „durch Gesetz" spricht. Es würde dem Leitgedanken „interorganfreundlichen Verhaltens" jedenfalls in hohem Maße entsprechen, wenn - parlamentsrechtlich gesprochen 49 - den klassischen Rechtsquellen von Verfassung, Gesetz und Geschäftsordnung zunehmend auch die verfassungsergänzende Vereinbarung als zukunftsweisende Form der Ausgestaltung von Beziehungen zwischen Parlament und Regierung an die Seite gestellt würde.
Angelegenheiten) hinaus - nunmehr auch allgemeine Unterrichtungspflichten näher geregelt werden. 47 Vgl. Anm. 7. 48 „Verständigung mit der Landesregierung über die Ausübung der beiderseitigen Befugnisse nach Art. 80 Abs. 4 GG" (Drucksache 2/2961). 49 Zur Klassifizierung vgl. Pietzcker (Anm. 18), S. 336 ff.
Die Landesregierung in den Verfassungen der deutschen Länder Von Matthias Niedobitek, Chemnitz
I. Einleitung Der stets aufs Neue beklagte Bedeutungsverlust, den die deutschen Länder im Zuge bundesstaatlicher Entwicklungen, vor allem aber in Folge der europäischen Integration erlitten hätten,1 entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Bedeutungsverlust der Landesparlamente.2 In der Verfassungsentwicklung der Länder ist versucht worden, dieser Entwicklung durch mehr oder weniger umfassende Informationspflichten der Regierung gegenüber dem Parlament entgegenzusteuern. Beispielsweise wurde im Jahr 2001 in die Verfassung des Saarlandes - dem Vorbild des Art. 34a der Verfassung des Landes Baden-Württemberg bis in die Einzelheiten folgend - mit Art. 76a eine Bestimmung aufgenommen, die die Landesregierung verpflichtet, den Landtag so früh wie möglich über alle bedeutsamen Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union zu informieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.3 Ob auch von einem Bedeutungsverlust der Landesregierungen gesprochen werden kann, erscheint demgegenüber zweifelhaft. 4 Denn es sind die Landesregierungen, die sich als „geborene" Adressaten einer Kompensation von Kom1
Vgl. jüngst Chr. Gusy/E. Wagner, Die verfassungsrechtliche Entwicklung in Rheinland-Pfalz von 1996-2001, in: JöR N.F. Bd. 51 (2003), S. 385 (401), wonach die europäische Einigung „die Länder zur ,3. Ebene' der Staatsgewalt herabzonen" werde. 2 Vgl. H.-J. Papier, „Reform an Haupt und Gliedern", in: FAZ Nr. 26 v. 31.1.2003, S. 8. 3 Gesetz Nr. 1478 zur Änderung der Verfassung des Saarlandes vom 5. September 2001, ABl. des Saarlandes 2001, 1630; hierzu P. Krause, Die Verfassungsentwicklung im Saarland seit 1980, in: JöR N.F. Bd. 51 (2003), S. 403 (414). 4 Vgl. insoweit nur die Einschätzung in dem Gesetzentwurf der FDP-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag für ein Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, LT-Drs. 13/2393, Vorblatt S. 1: „Als Gesetzgebungsorgan hat das Landesparlament lange nicht mehr den hohen Stellenwert, der ihm in der Vergangenheit noch zukam. [...] Darüber hinaus ist eine wachsende Verlagerung von Kompetenzen zu verzeichnen. Demgegenüber hat aber die Exekutive - die Landesregierung an Macht dazu gewonnen. Für jeden Kompetenzverlust der Landtage erhielten die Landesregierungen mehr Mitspracherechte bei der Bundesgesetzgebung."
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petenzverlusten der Länder anbieten, nicht die Landesparlamente. 5 Die Landesregierungen wirken, und dies i n ständig wachsendem Maße, über den Bundesrat an der Gesetzgebung und der Verwaltung des Bundes mit, auch soweit es u m Angelegenheiten der Europäischen U n i o n geht (vgl. Art. 50, 23 GG), ohne dass die Landesparlamente hierauf rechtlich bindend Einfluss nehmen könnten. 6 Unter bestimmten Umständen können Mitglieder v o n Landesregierungen sogar für die Bundesrepublik Deutschland die Verhandlungsführung i m Rat der E U übernehmen (vgl. unten, III.). Die Länder sind daher - seit jeher stärker als der B u n d und heute stärker als früher - ,»Regierungsstaaten". 7 Der dominanten Rolle der Landesregierung i m Verfassungsleben der Länder soll i m Folgenden durch einen B l i c k auf das Regierungssystem i n den Ländern, wie es i n den Verfassungen der deutschen Länder 8 ausgeformt ist, Rechnung getragen werden.
I I . Das parlamentarische Regierungssystem in den Ländern A l l e deutschen Länder verfügen über ein parlamentarisches Regierungssystem. 9 Kennzeichnend für ein solches Regierungssystem ist die Abhängigkeit
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Vgl. Krause (Anm. 3), S. 414, zu Art. 23 GG: Dieser Artikel verleihe nur der Landesregierung Befugnisse und lasse den Landtag unbefriedigt. Vgl. ferner etwa E. V. Heyen, Der Bundesrat - Ein Rat der autonomen Kabinette?, in: Der Staat (21 (1982), S. 191 ff. 6 Zum Ganzen vgl. St. Korioth, in: H. von Mangoldt/F. Klein/Chr. Starck, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 2, 4. Aufl., München 2000, Art. 51 Rn. 25, auch mit Hinweisen auf die Gegenmeinung. 7 Vgl. R. Grawert, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, in: NJW 1987, S. 2329 (2333): Die Länder seien, ihren Funktionen gemäß, im Vergleich zum Bund mehr Regierungs- und Verwaltungsstaaten, der Schwerpunkt der Staatsleitung liege im Land bei der Regierung. 8 Die Verfassungen der deutschen Länder werden in den Fußnoten wie folgt abgekürzt: Verfassung des Landes Baden Württemberg: BaWüVerf, Verfassung des Freistaates Bayern: BayVerf, Verfassung von Berlin: BerlVerf, Verfassung des Landes Brandenburg: BrandbgVerf, Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen: BremVerf, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg: HambVerf, Verfassung des Landes Hessen: HessVerf, Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern: MecklVorpVerf, Niedersächsische Verfassung: NiedersVerf, Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen: NordrWestfVerf, Verfassung für Rheinland-Pfalz: RheinlPfVerf, Verfassung des Saarlandes: SaarlVerf, Verfassung des Freistaates Sachsen: SächsVerf, Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt: SachsAnhVerf, Verfassung des Landes Schleswig-Holstein: SchleswHolVerf, Verfassung des Freistaats Thüringen: ThürVerf. 9 Vgl. auch Grawert (Anm. 7), S. 2332; umfassend M. Friedrich, Das Parlamentarische Regierungssystem in den deutschen Bundesländern, JöR N.F. Bd. 30 (1981), S. 197 ff.
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der Regierung vom Vertrauen des Parlaments.10 Diese Abhängigkeit kommt in den Landesverfassungen in verschiedenen Einzelregelungen zum Ausdruck, insbesondere in den Bestimmungen betreffend die Kontrolle der Regierung, die Regierungsbildung oder das Misstrauensvotum Einige Verfassungen treffen hierzu jedoch auch allgemeine Aussagen. So erklärt Art. 57 Abs. 1 der Verfassung von Berlin: „Der Senat bedarf des Vertrauens des Abgeordnetenhauses". Ähnliche Formulierungen enthalten die Verfassung für Rheinland-Pfalz in Art. 99 Abs. 1 und die Verfassung des Saarlandes in Art. 88 Abs. 1. Der Spielraum, über den die Länder bei der Ausgestaltung ihrer Regierungssysteme verfügen, bemisst sich nach Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG. Danach muss die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Sinne des Grundgesetzes entsprechen. Die geforderte Homogenität bezieht sich jedoch nicht, wie der Wortlaut nahe legen könnte, auf die konkrete Ausformung, die die Verfassungsordnung des Bundes im Grundgesetz gefunden hat, sondern auf die möglichen Ausformungen, die - in den Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG - im Wege einer Verfassungsänderung realisiert werden könnten.11 Der Spielraum, den das Grundgesetz den Ländern für die Gestaltung ihrer jeweiligen Verfassungsordnung einräumt, ist daher sehr weit. 12 Dies gilt insbesondere für die Bestimmung der Staatsorganisation,13 die das Bundesverfassungsgericht zum „Hausgut" der Länder zählt, 14 und hier vor allem für den Bereich der gliedstaatlichen Regierungsorganisation, in dem das Landesverfassungsrecht seinen eigentlichen Bedeutungsschwerpunkt hat. 15 Bereits die Frage, ob das Grundgesetz den Ländern überhaupt ein parlamentarisches Regierungssystem vorschreibt, ist umstritten. 16
10 Vgl. nur K.-U. Meyn, in: I. von Münch/Ph. Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 5. Aufl., München 2001, Art. 62 Rn. 2; M. Schröder, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Anm. 6), Art. 63 Rn. 10. 11 So etwa P. J Tettinger, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Anm. 6), Art. 28 Rn. 37; H.-P. Schneider, Verfassungsrecht der Länder - Relikt oder Rezept?, in: DÖV 1987, S. 749 (751); a.A. J. Kersten, Homogenitätsgebot und Landesverfassungsrecht, in: DÖV 1993, S. 896 (898). 12 Vgl. M. Niedobitek, Neuere Entwicklungen im Verfassungsrecht der deutschen Länder, 3. Aufl., Speyer 1995, S. 48 f. 13 Vgl. M. Herdegen, Strukturen und Institute des Verfassungsrechts der Länder, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV, 2. Aufl., Heidelberg 1999, § 97 Rn. 16. 14 BVerfGE 34, 9 (20). 15 Grawert (Anm. 7), S. 2332 f. 16 Dagegen etwa: Meyn (Anm. 10), Art. 62 Rn. 3; Th. Meder, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Stuttgart 1992, Art. 44 Rn. 3; wohl auch Herdegen (Anm. 13), § 97 Rn. 16 („Option für ein parlamentarisches Regierungssystem"); aus der älteren Literatur vor allem E. Menzel, Das parlamentarische System in den deutschen Ländern und die Toleranzgrenze des Art. 28 GG, in: DÖV 1969, S. 765 (767 f.); dafür etwa: Grawert (Anm. 7), S. 2332.
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Diese Frage kann indessen angesichts des oben erhobenen Befundes, wonach alle deutschen Länder über ein parlamentarisches Regierungssystem verfugen, offen bleiben. Fest steht aber, dass auch ein parlamentarisches Regierungssystem, sollte es vom Grundgesetz gefordert sein, den Ländern erheblichen Gestaltungsspielraum einräumt. Eine bestimmte Form ist den Ländern insoweit nicht zwingend vorgeschrieben. 17 In zahlreichen Landesverfassungen wird das parlamentarische Regierungssystem u. a. durch eine ausdrückliche Normierung der Kontroll- und Überwachungsaufgabe des Landesparlaments gegenüber der Landesregierung näher ausgeformt. So bestimmt beispielsweise Art. 27 Abs. 2 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg, dass der Landtag die Ausübung der vollziehenden Gewalt - diese obliegt gemäß Art. 45 Abs. 1 der Regierung - überwacht. Ähnliche Formulierungen enthalten die Verfassungen vieler anderer Länder. 18 Dass jedoch im parlamentarischen Regierungssystem die Aufgabe der Regierungskontrolle strukturell eher von der Opposition wahrgenommen wird (und werden muss),19 erkennen viele Landesverfassungen inzwischen ausdrücklich an, entweder indem sie, wie z.B. Art. 16a Abs. 1 der Verfassung des Freistaates Bayern, allgemein die Bedeutung der Opposition in der parlamentarischen Demokratie betonen oder indem sie, wie z. B. Art. 12 Abs. 1 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein,20 der Opposition sogar die Aufgabe übertragen, Programm und Entscheidungen der Regierung zu kritisieren.
Ι Π . Zusammensetzung der Landesregierung Alle Landesverfassungen definieren die Zusammensetzung - und begrenzen zum Teil die Zahl der Mitglieder 21 - der Landesregierung. Im Kern stimmen sie
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Vgl. BverfGE 9, 268 (281). Vgl. Art. 29 Abs. 1 S. 3 MecklVorpVerf, Art. 7 S. 2 NiedersVerf, Art. 79 Abs. 1 S. 2 RheinlPfVerf, Art. 65 Abs. 3 SaarlVerf, Art. 39 Abs. 2 SächsVerf, Art. 41 Abs. 1 S. 4 SachsAnhVerf, Art. 10 Abs. 1 S. 3 SchleswHolVerf und Art. 48 Abs. 2 ThürVerf. 19 Zum Phänomen der Übernahme der Kontrollaufgabe durch die Opposition vgl. auch A. Janssen/U. Winkelmann, Die Entwicklung des niedersächsischen Verfassungsund Verwaltungsrechts in den Jahren 1990-2002, in: JöR N.F. Bd. 51 (2003), S. 301 (305); J. Dietlein, Die Verfassungsentwicklung in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen 25 Jahren, in: JöR N.F. Bd. 51 (2003), S. 343 (357 f.); ferner H.-J Papier, „Reform an Haupt und Gliedern", in: FAZ Nr. 26 v. 31.1.2003, S. 8. 20 Hierzu vgl. Η. Ρ. Bull, Die Verfassungsentwicklung in Schleswig-Holstein seit 1980, in: JöR N.F. Bd. 51 (2003), S. 489 (499). Kritisch zu entsprechenden Verfassungsbestimmungen St. Haberland, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Opposition nach dem Grundgesetz, Berlin 1995, S. 159 ff. 21 Vgl. Art. 43 Abs. 2 BayVerf: Begrenzung auf insgesamt 18 Regierungsmitglieder; Art. 55 Abs. 2 Beri Verf: Begrenzung auf insgesamt 9 Regierungsmitglieder; kritisch zur 18
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überein: Die Landesregierung - die Bezeichnung (Regierung, Staatsregierung, Landesregierung, Senat) variiert ebenso wie die Bezeichnung ihrer Mitglieder besteht zumindest aus dem Regierungschef und den Ministern. In dieser Regelung erschöpfen sich auch die meisten Landesverfassungen. In fünf Ländern ist der Kreis der (potenziellen) Regierungsmitglieder weiter. Nach Art. 45 Abs. 2 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg können als weitere Mitglieder der Regierung Staatssekretäre und ehrenamtliche Staatsräte ernannt werden, wobei jedoch die Zahl der Staatssekretäre ein Drittel der Zahl der Minister nicht übersteigen darf. Auch die Verfassung des Freistaates Bayern lässt in Art. 43 Abs. 2 neben dem Ministerpräsidenten und den Staatsministern Staatssekretäre als Regierungsmitglieder zu. Eine ähnliche Regelung trifft die Verfassung des Freistaates Sachsen in Art. 59 Abs. 2. Gemäß Art. 107 Abs. 1 der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen können zu weiteren Mitgliedern des Senats Staatsräte gewählt werden, deren Zahl wie in Baden-Württemberg ein Drittel der Zahl der Senatoren nicht übersteigen darf. Neuerdings besteht auch im Saarland die Möglichkeit, Staatssekretäre als weitere Mitglieder der Regierung zu ernennen. Art. 86 der Verfassung des Saarlandes wurde entsprechend geändert. 22 Die Möglichkeit, Regierungsmitglieder zu ernennen, die keine Minister sind, erhöht die Flexibilität der Landesregierung. 23 Solche Regierungsmitglieder können in den Bundesrat entsandt werden, da die Mitgliedschaft im Bundesrat nicht auf den Ministerrang des entsandten Regierungsmitglieds abstellt.24 Teilweise anders verhält es sich demgegenüber mit der in Art. 23 Abs. 6 vorgesehenen Option, die Wahrnehmung der der Bundesrepublik Deutschland als EU-Mitgliedstaat zustehenden Rechte, insbesondere die Verhandlungsfuhrung im Rat der EU, auf einen Vertreter der Länder zu übertragen. Nach § 6 Abs. 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union 25 kann der Bundesrat für Tagungen des Rates (anderes gilt für die Beratungsgremien der Kommission und des Rates) nur ein Mitglied einer Landesregierung im Ministerrang als Vertreter der Länder benennen.
Berliner Regelung D. Wilke, Die Verfassungsentwicklung in Berlin: Vom Ende der Teilung zum Aufstieg zur Bundeshauptstadt, in: JöR N.F. Bd. 51 (2003), S. 193 (241). 22 Gesetz Nr. 1478 zur Änderung der Verfassung des Saarlandes vom 5. September 2001, ABl. des Saarlandes 2001, 1630. 23 Hierzu Krause (Anm. 3), S. 403 (414 f.). 24 Vgl. W Krebs, in: von Münch/Kunig (Anm. 10), Art. 51 Rn. 3. 25 BGBl. 1993 1 313.
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IV. Regierungsbildung Die Abhängigkeit der Regierung vom Vertrauen des Parlaments, die für das parlamentarische Regierungssystem prägend ist, findet vor allem im Verfahren der Regierungsbildung ihren Ausdruck. 26 Allen Landesverfassungen gemeinsam ist insoweit nur die Regelung, dass der Regierungschef vom jeweiligen Parlament gewählt wird. Eine breite Übereinstimmung besteht auch darin, dass die Ernennung der Minister sowie gegebenenfalls der weiteren Regierungsmitglieder Sache des Regierungschefs ist. 27 Als erster der drei Stadtstaaten, die insoweit über eine abweichende Verfassungstradition verfügen, 28 hat sich Hamburg aufgrund einer 1996 durchgeführten Verfassungsreform 29 der in den Flächenstaaten und im Bund bestehenden Regelung angeschlossen. Nur in Berlin und in Bremen ist der Regierungschef noch „primus inter pares", 30 dessen herausgehobene Stellung dadurch zum Ausdruck kommt, dass er vom jeweiligen Landesparlament vorab in einem besonderen Wahlgang gewählt wird, an den sich die Wahl der übrigen Regierungsmitglieder anschließt. Die Verfassung von Berlin garantiert dem Regierenden Bürgermeister in Art. 56 Abs. 2 darüber hinaus das Recht, die übrigen Regierungsmitglieder vorzuschlagen. 31 Aber auch in Berlin wird inzwischen wieder über eine Stärkung der Position des Regierenden Bürgermeisters, nicht zuletzt bei der Regierungsbildung, nachgedacht.32 Danach soll der Regierende Bürgermeister u.a. das Recht erhalten, die Senatoren zu ernennen und zu entlassen.
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Vgl. J. Menzel, Landesverfassungsrecht, Stuttgart u.a. 2002, S. 443. So Art. 46 Abs. 2 BaWüVerf, Art. 45 Bay Verf, Art. 84 BrandbgVerf, Art. 101 Abs. 1 HessVerf, Art. 43 MecklVorpVerf, Art. 29 Abs. 2 NiedersVerf, Art. 52 Abs. 3 NordrWestfVerf, Art. 98 Abs. 2 RheinlPfVerf, Art. 87 Abs. 1 SaarlVerf, Art. 60 SächsVerf, Art. 65 SachsAnhVerf, Art. 26 Abs. 2 SchleswHolVerf, Art. 70 Abs. 4 ThürVerf. 28 Vgl. H.-J. Koch, Die Verfassungsentwicklung in Hamburg, in: JöR N.F. 51 (2003), S. 251 (253): „Abschied von fundamentalen Verfassungstraditionen". 29 Hierzu vgl. W. Thieme, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Hamburg 1998, S. 4 f. 30 Vgl. M. J. Neumann, in: G. Pfennig/M. J. Neumann (Hrsg.), Verfassung von Berlin, Berlin / New York 2000, Art. 56 Rn. 1; H. Neumann, Die Verfassung der Freien Hansestadt Bremen, Stuttgart u.a. 1996, Art. 107 Rn. 17. 31 In Bremen geht die Verfassungspraxis von einem Vorschlagsrecht der Fraktionen aus, vgl. H. Neumann (Anm. 30), Art. 107 Rn. 9. 32 Vgl. Berliner Zeitung v. 7.1.2003: „Mehr Macht für den Regierenden"; im Internet unter: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archi v/.bin/dump.fcgi/2003/0107/ lokales/0111/index.html (Abfrage am 8.5.2003); Berliner Kurier v. 29.9.2002: „SPDFraktionschef: Mehr Macht für Wowereit"; im Internet unter: http://www.berlinonline. de/berliner-kurier/archiv/.bin/dump.fcgi/2002/0929/lokales/0031 /index.html (Abfrage am 8.5.2003). Vgl. ferner das „Positionspapier der Bezirksbürgermeister und -bürgermeisterinnen" - Stand 24. März 2003", unter dem Punkt „Brauchen wir politisch geführte Bezirke?", im Internet unter: http://www.berlin.de/ba-tempelhofschoeneberg/Aktuelles/buergermeister.html (Abfrage am 8.5.2003). 27
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Unter denjenigen Landesverfassungen, die im Prinzip dem Bundesmodell (, jtanzlerprinzip" 33 ) folgen, bestehen zum Teil erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die weitere Beteiligung des Parlaments bei der Regierungsbildung. Eine Gruppe von Landesverfassungen lässt es bei Wahl des Regierungschefs bewenden und versagt dem Landtag jede weitergehende Beteiligung an der Regierungsbildung. 34 Dies gilt zunächst für die Verfassungen des Landes Brandenburg (Art. 84), des Freistaates Sachsen (Art. 60 Abs. 4), des Landes Sachsen-Anhalt (Art. 65 Abs. 3), des Landes Schleswig-Holstein (Art. 26 Abs. 2) und des Freistaates Thüringen (Art. 70 Abs. 4). Zu dieser Gruppe sind aber auch die Verfassungen des Landes Mecklenburg-Vorpommern und des Landes Nordrhein-Westfalen zu zählen, die den Ministerpräsidenten jeweils verpflichten, jede Ernennung von Ministern unverzüglich dem Landtag anzuzeigen (Art. 43 bzw. Art. 52 Abs. 3); denn die Einhaltung dieser Informationspflicht ist für die Wirksamkeit einer Ernennung ohne Bedeutung.35 Die verbleibenden Landesverfassungen knüpfen die Übernahme der Amtsgeschäfte an ein weiteres zustimmendes Votum des Parlaments. Eine Betätigung" erfordern die Verfassung von Baden-Württemberg (Art. 46 Abs. 3), die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg (Art. 34 Abs. 2), die Niedersächsische Verfassung (Art. 29 Abs. 3) und die Verfassung für Rheinland-Pfalz (Art. 98 Abs. 2), eine „Zustimmung" des Landtags verlangen die Verfassung des Freistaates Bayern (Art. 45) und die Verfassung des Saarlandes (Art. 87 Abs. 1). Die Verfassung des Landes Hessen schließlich hebt die inhaltliche Bedeutung, die den erwähnten Akten der „Bestätigung" und der „Zustimmung" zukommt, 36 ausdrücklich hervor, indem sie festlegt, dass die Landesregierung die Geschäfte erst übernehmen kann, nachdem der Landtag ihr durch besonderen Beschluss „das Vertrauen ausgesprochen hat" (Art. 101 Abs. 4). Bei der Regierungsbildung sind etwaige Inkompatibilitäten37 zu beachten. Einige Landesverfassungen statuieren Unvereinbarkeiten, die sich vor allem aus der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland38 und ihrer Einbindung
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Zu den Merkmalen vgl. Κ . König/Th. Knoll, Bundeskanzler, Regierungsfunktionen, Regierungszentrale, in: R. Graf von Westphalen (Hrsg.), Deutsches Regierungssystem, München / Wien 2001, S. 289 290 ff.). 34 Vgl. insoweit Friedrich (Anm. 9), S. 199: Der Regierungschef verfüge unter solchen Verfassungen über „dieselbe rechtliche Freiheit wie ein Bundeskanzler". 35 Vgl. Chr. Dästner, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Köln 1996, Art. 52 Rn. 7. 36 Vgl. etwa zur Niedersächsischen Verfassung L. Hagebölling, Niedersächsische Verfassung, Wiesbaden 1996, Art. 29 Ziff. 4. 37 Zum Begriff, insbesondere zur Abgrenzung von Erwerbsausübungsverboten, vgl. Meyn (Anm. 10), Art. 66 Rn. 1. 38 Vgl. insoweit H. Butzer, Die Rechte des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten bei der Regierungsbildung, in: NWVB1. 1996, S. 208 (209).
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in die Europäische Union rechtfertigen lassen.39 Für die Verhältnisse innerhalb eines Landes bedeutsamer ist die Frage der Zulässigkeit einer gleichzeitigen Mitgliedschaft in Landesregierung und Landesparlament. Insofern entspricht es der Tradition des parlamentarischen Regierungssystems deutscher Prägung, 40 dass die meisten Landesverfassungen die Möglichkeit einer gleichzeitigen Mitgliedschaft in beiden Verfassungsorganen zulassen bzw. voraussetzen.41 Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen verlangt sogar ausdrücklich, dass der Ministerpräsident „aus der Mitte" des Landtags gewählt wird (Art. 52 Abs. 1), d. h. zur Zeit seiner Wahl Abgeordneter des Landtags ist. 42 Die gegenteilige Haltung nehmen die Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen (Art. 108) und die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg (Art. 39 43 ) ein, die eine gleichzeitige Mitgliedschaft in Senat und Bürgerschaft untersagen. Im Zuge der schleswig-holsteinischen Verfassungsreform von 1990 konnte sich die Forderung, eine entsprechende Inkompatibilitätsregelung in der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein zu verankern, nicht durchsetzen. 44 Zweifellos harmoniert die Mitgliedschaft von Regierungsmitgliedern im Landtag „nicht eben optimal" mit der Aufgabe des Landtags, die Regierung zu kontrollieren. 45 Sie erscheint jedoch - auch ohne ausdrückliche Regelung wie in der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen - als mögliche Konsequenz des parlamentarischen Regierungssystems, das insoweit das Gewaltenteilungsprinzip modifiziert. 46
39 Vgl. etwa Art. 64 Abs. 4 NordrWestfVerf: „Ein Mitglied der Landesregierung kann nicht gleichzeitig Mitglied des Bundestags oder der Bundesregierung sein". Andere Landesverfassungen sehen (zusätzlich) die Unvereinbarkeit einer Mitgliedschaft in der Landesregierung mit der Mitgliedschaft im Europäischen Parlament und in der Volksvertretung eines anderen deutschen Landes vor; vgl. z. B. Art. 64 Abs. 2 SachsAnhVerf. 40 Vgl. Chr. Pestalozza, Aus dem Bayerischen Verfassungsleben 1989 bis 2002, JöR N.F. 51 (2003), S. 121 (156): Die „Doppelfunktion entspricht dem in Deutschland Üblichen". 41 Vgl. Meyn (Anm. 10), Art. 63 Rn. 6, Art. 64 Rn. 8. 42 Umstritten ist, ob der Ministerpräsident, einmal gewählt, sein Abgeordnetenmandat aufgeben kann, ohne gleichzeitig das Amt des Ministerpräsidenten zu verlieren. Zum Streitstand vgl. P. J. Tettinger, in: W. Löwer u.a., Kommentar zur Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Stuttgart u.a. 2002, Art. 52 Rn. 22 i.V.m. Fn. 35. 43 Ehemaliger Art. 38a, umnummeriert durch das Neunte Gesetz zur Änderung der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, HmbGVBl. 2001, 106. 44 Vgl. Bull (Anm. 20), S. 496. 45 So Pestalozza (Anm. 40), S. 156. 46 Vgl. Meyn (Anm. 10), Art. 63 Rn. 6.
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V. Ordnung der Geschäftsbereiche Die meisten Landesverfassungen enthalten Vorschriften betreffend die Ordnung der Geschäftsbereiche der Landesregierung. Eine Gesamtschau dieser Bestimmungen verdeutlicht, dass die Festlegung der Geschäftsbereiche keinesfalls zum ,,'Hausgut' der Exekutive" zählt. 47 Zwar gibt es eine ganze Reihe von Landesverfassungen, die, ohne insoweit eine Mitwirkung des jeweiligen Landesparlaments vorzusehen, der Landesregierung oder dem Ministerpräsidenten die Befugnis verleihen, die Geschäftsbereiche der Regierungsmitglieder abzugrenzen.48 Andere Landesverfassungen sehen jedoch eine mehr oder weniger intensive Beteiligung des Landesparlaments bei der Ordnung der Geschäftsbereiche vor. Dies gilt zunächst - als Einwirkung „ex ante" - für die Verfassung des Landes Baden-Württemberg (Art. 45 Abs. 3), die für den Beschluss der Landesregierung über die Geschäftsbereiche ihrer Mitglieder erne „Zustimmung" des Landtags verlangt, und für die Verfassung des Freistaates Bayern (Art. 49), die die Bestimmung von Zahl und Abgrenzung der Geschäftsbereiche durch den Ministerpräsidenten an einen „bestätigenden" Beschluss des Landtages knüpft. Eine intensivere Einwirkung des Landtags - wenn auch „ex post" - gestatten die Verfassung des Landes Hessen (Art. 104 Abs. 2) und die Verfassung für Rheinland-Pfalz (Art. 105 Abs. 2), indem sie die Landesregierung verpflichten, die Beschlüsse über die Zuständigkeit der einzelnen Ministerien unverzüglich dem jeweiligen Landesparlament vorzulegen und auf dessen Verlangen zu ändern oder aufzuheben. Zudem sehen beide Verfassungen einen Vorrang gesetzlicher Regelung der Geschäftsbereiche vor. A m stärksten ist der Einfluss des Landesparlaments auf die Ordnung der Geschäftsbereich in Berlin. Nach Art. 58 Abs. 4 der Verfassung von Berlin werden die Zahl der Geschäftsbereiche sowie ihre Abgrenzung auf Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters vom Abgeordnetenhaus beschlossen. Insoweit hat das ,3erliner Parlament echte Mitwirkungsrechte über die Organisation der Regierung". 49 Soweit die Landesverfassungen keine besonderen Vorschriften über die Verteilung der Zuständigkeit für die Ordnung der Geschäftsbereiche enthalten,50 ist es erforderlich, die übrigen einschlägigen Bestimmungen der jeweiligen Landesverfassung auszulegen. In einem Aufsehen erregenden und bis heute kontrovers diskutierten 51 Urteil vom 9. Februar 199952 hat der Verfassungsgerichtshof 47
Vgl. NWVerfGH, Urt. v. 9.2.1999 - VerfGH 11/98, NJW 1999, 1243 (1244). Vgl. Art. 120 Abs. 1 S. 1 BremVerf, Art. 42 Abs. 2 S. 1 HambVerf, Art. 37 Abs. 2 Nr. 3 NiedersVerf, Art. 91 Abs. 1 S. 2 SaarlVerf, Art. 59 Abs. 3 SächsVerf, Art. 68 Abs. 3 Nr. 3 SachsAnhVerf, Art. 76 Abs. 2 ThürVerf. 49 Neumann, in: Pfennig/Neumann (Anm. 30), Art. 58 Rn. 21. 50 Vgl. BrandbgVerf, MecklVorpVerf, NordrWestfVerf, SchleswHolVerf. 51 Gegen das Urteil vor allem Tettinger (Anm. 42), Art. 52 Rn. 44-55, mit zahlreichen Nachweisen aus dem Schrifttum; im Ergebnis zustimmend dem gegenüber Dietlein 48
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für das Land Nordrhein-Westfalen entschieden, dass die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen die Befugnis, Ministerien zu errichten und ihre Geschäftsbereiche abzugrenzen, nicht dem Ministerpräsidenten zur alleinigen Ausübung zugewiesen habe, dies freilich nur jenseits des Kernbereichs der Organisationsgewalt der Regierung. Die Entscheidung über die Zusammenlegung des Justizministeriums mit dem Innenministerium, die sich mittelbar auf den Bereich der Judikative erstrecke und daher nicht zum Kernbereich der Exekutive gehöre, habe nicht durch Organisationserlass des Ministerpräsidenten erfolgen dürfen, sondern, wegen der „Wesentlichkeit" dieser Maßnahme, die von deren Auswirkungen auf die rechtsprechende Gewalt herrühre, vom Parlament getroffen werden müssen. Unabhängig von der Frage der landesverfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung betreffend die Ordnung der Geschäftsbereiche ergibt sich eine Einschränkung der Organisationsgewalt im Bereich der Regierung zum Teil aus den Landesverfassungen selbst, beispielsweise durch die Festlegung von Höchstzahlen für die Größe der Kabinette53 oder indem die Landesverfassungen die selbständige Existenz bestimmter Ministerien voraussetzen („Pflichtressorts" 54 ). Letzteres betrifft die ausdrückliche Zuweisung bestimmter Aufgaben an den Finanzminister oder den Justizminister in zahlreichen Landesverfassun-
VI. Richtlinienkompetenz - Ressortprinzip Bei der Bestimmung der Richtlinienkompetenz und der Formulierung des Ressortprinzips besteht unter den Landesverfassungen eine weit reichende Uniformität und eine hochgradige Übereinstimmung mit der grundgesetzlichen Regelung. Die verbreitete Formulierung lautet im Kern (mit Abweichungen im Detail): „Der Ministerpräsident bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Minister seinen Ge-
(Anm. 19), S. 353 ff.: Es sei plausibel, diesen staatstragenden Grundsatz (den Grundsatz der Gewaltenteilung) gerade auch im Gefüge der einzelnen staatlichen Organe zu aktualisieren (S. 355). 52 Vgl. Anm. 47. 53 Vgl. Anm. 21 i.V.m. dem Text. 54 Vgl. Meyn (Anm. 10), Art. 65a Rn. 6. 55 Erwähnung des Finanzministers in: Art. 83 Abs. 1 BaWüVerf, Art. 80 Abs. 1 BayVerf, Art. 105 BrandbgVerf, Art. 143 Hess Verf, Art. 63 MecklVorpVerf, Art. 67, 69 NiedersVerf, Art. 85, 86 NordrWestfVerf, Art. 119 RheinlPfVerf, Art. 106, 107 SaarlVerf, Art. 99 SächsVerf, Art. 95, 97 SachsAnhVerf, Art. 52, 55 SchleswHolVerf, Art. 101, 102 ThürVerf; Erwähnung des Justizministers in: Art. 127 HessVerf, Art. 103 RheinlPfVerf, Art. 83 Abs. 4 SachsAnhVerf, Art. 89 Abs. 2 ThürVerf.
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schäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung". 56 Einige Verfassungen betonen, dass die Verantwortung des Regierungschefs dem Landtag gegenüber besteht,57 andere erstrecken diese Aussage ausdrücklich auf die Minister, 58 ohne dass sich diese Erstreckung stets mit dem Verfahren der Regierungsbildung begründen ließe. 59 Insgesamt erscheint es nicht gerechtfertigt, im „Kanzlersystem" die Minister im Hinblick auf die Realisierung der parlamentarischen Verantwortung als durch den Regierungschef „geradezu mediatisiert" zu betrachten. 60 Die Verantwortung besteht richtiger Weise sowohl gegenüber dem Regierungschef als auch - wenn auch in abgeschwächter und nicht wirksam sanktionierter Form - gegenüber dem Landtag. Soweit verschiedene Landesverfassungen die Richtlinienkompetenz ausdrücklich auf die „Regierungspolitik" beziehen, stellt dies keine Verengung gegenüber den anderen Landesverfassungen dar, die als Gegenstandsbereich der Richtlinienkompetenz die „Politik" beschreiben, da auch sie sich in der Sache stets nur auf die Regierungspolitik beziehen kann. 61 Etwas Farbe in das weitgehend einförmige - und durch die Verfassungsreform in Hamburg noch einförmiger gewordene 62 - Bild der Verfassungsbestimmungen betreffend Richtlinienkompetenz und Ressortprinzip bringt nur Berlin. Art. 58 Abs. 2 der Verfassung von Berlin bestimmt, dass die Richtlinien der Regierungspolitik, die vom Regierenden Bürgermeister im Einvernehmen mit dem Senat festgelegt werden müssen, der Billigung des Abgeordnetenhauses bedürfen. Damit räumt die Verfassung von Berlin dem Landesparlament ein Mitwirkungsrecht in Fragen ein, „die eigentlich zum innersten Zuständigkeitsbereich der Exekutive gehören". 63 Die Regelung des Ressortprinzips (Art. 58 Abs. 5) folgt wieder konventionellen Bahnen. Soweit dem gegenüber
56
Art. 49 Abs. 1 BaWüVerf, Art. 47 Abs. 2, 51 Abs. 1 BayVerf, Art. 89 BrandbgVerf, Art. 42 Abs. 1 HambVerf, Art. 102 HessVerf, Art. 46 MecklVorpVerf, Art. 37 NiedersVerf, Art. 55 NordrWestfVerf, Art. 104 RheinlPfVerf, Art. 91 SaarlVerf (unter Ausklammerung der Verantwortung), Art. 63 SächsVerf, Art. 68 SachsAnhVerf, Art. 29 SchleswHolVerf, Art. 76 ThürVerf. 57 Art. 47 Abs. 2 BayVerf, Art. 89 BrandbgVerf, Art. 42 HambVerf, Art. 102 HessVerf, Art. 104 RheinlPfVerf, Art. 76 ThürVerf. 58 Art. 51 Abs. 1 BayVerf, Art. 89 BrandbgVerf, Art. 102 HessVerf, Art. 104 RheinlPfVerf. 59 Zumindest die Verfassung des Landes Brandenburg weicht von diesem Bild ab, da sie bei der Regierungsbildung jenseits der Wahl des Ministerpräsidenten eine Beteiligung des Landtags ausschließt. 60 Nicht überzeugend insoweit Meyn (Anm. 10), Art. 65 Rn. 2, 3. 61 Einleuchtend Meyn (Anm. 10), Art. 65 Rn. 8, aus der Sicht des Grundgesetzes. 62 Vgl. Anm. 29 i.V.m. dem Text; zur früheren Rechtslage vgl. Th. Wieske, Bedarf der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg einer in der Verfassung verankerten Richtlinienkompetenz?, Berlin 1996. 63 Neumann, in: Pfennig/Neumann (Anm. 30), Art. 58 Rn. 19.
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Art. 118 Abs. 1 der Verfassung der Freien Hansestadt Bremen festlegt, dass der Senat die Verwaltung nach den Gesetzen „und den von der Bürgerschaft gegebenen Richtlinien" führt, handelt es sich nicht um eine Regelung der Richtlinienkompetenz im Hinblick auf die Regierungspolitik, da die Bestimmung, wie auch der Verfassungswortlaut zeigt, auf Richtlinien für die „Verwaltung" beschränkt ist. 64
V I I . Beteiligung an der Gesetzgebung Die Landesverfassungen sehen - von der Gesetzesinitiative, über vereinzelte Einspruchsrechte bis zur Ausfertigung und Verkündung von Gesetzen - verschiedene Möglichkeiten einer Beteiligung der Landesregierung an der parlamentarischen Gesetzgebung vor. Die rechtlich und praktisch bedeutsamste Möglichkeit ist zweifellos das Recht der Gesetzesinitiative, ohne welches der Landesregierung ein wichtiges Mittel fehlen würde, die von ihr verfolgte Politik wirksam umzusetzen.65 Alle Landesverfassungen gewähren deshalb der Landesregierung das - formelle - Recht, Gesetzesvorlagen bzw. Gesetzentwürfe einzubringen. 66 Ein - materielles - Gesetzesvorschlagsrecht formulieren die Landesverfassungen ebenso wenig wie das Grundgesetz, ohne jedoch ein solches Recht damit auszuschließen.67 Das Recht der Gesetzesinitiative wird von den Landesregierungen intensiv genutzt. In der Gesetzgebungspraxis lässt sich, verglichen mit den Vorlagen anderer Initiativberechtigter, ein deutliches quantitatives Übergewicht der Regierungsvorlagen beobachten.68 Über das Recht der Gesetzesinitiative hinaus räumen einzelne Landesverfassungen der Landesregierung einen noch weiter reichenden Einfluss auf die Gesetzgebung ein. Die Verfassung des Landes Hessen gibt der Landesregierung in Art. 119 das Recht, gegen ein vom Landtag beschlossenes Gesetz Einspruch zu erheben. Durch die Erhebung des Einspruchs wird das beschlossene Gesetz
64 Zur rechtlichen Bedeutung und zu ihrer praktischen Relevanz vgl. H. Neumann (Anm. 30), Art. 118Rn.2. 65 Vgl. J. Masing, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Anm. 6), Art. 76 Rn. 12. 66 Art. 59 Abs. 1 BaWüVerf, Art. 71 BayVerf, Art. 59 Abs. 2 Beri Verf, Art. 75 BrandbgVerf, Art. 123 Abs. 1 BremVerf, Art. 48 Abs. 1 HambVerf, Art. 117 HessVerf, Art. 55 MecklVorpVerf, Art. 42 Abs. 3 NiedersVerf, Art. 65 NordrWestfVerf, Art. 108 RheinlPfVerf, Art. 98 SaarlVerf, Art. 70 SächsVerf, Art. 77 Abs. 2 SachsAnhVerf, Art. 7 Abs. 1 SchleswHolVerf, Art. 81 Abs. 1 ThürVerf. 67 Vgl. J. Masing, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Anm. 6), Art. 76 Rn. 2, 3. 68 Vgl. nur Krause (Anm. 3), S. 432; ferner - für den Bund - J. Masing, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Anm. 6), Art. 76 Rn. 17, 18, der auch daraufhinweist, dass zusätzlich ein erheblicher Teil der von den Regierungsfraktionen eingebrachten Gesetzesinitiativen „verkappte Regierungsinitiativen" seien.
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wieder in das Entwurfsstadium versetzt. 69 Gegen den Einspruch der Landesregierung kann der Landtag nur mit der Mehrheit der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder entscheiden. Weniger ausgeprägt ist der Einfluss, den die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen der Landesregierung im weiteren Gesetzgebungsverfahren zubilligt. Nach Art. 67 kann die Landesregierung gegen ein vom Landtag beschlossenes - jedoch noch nicht ausgefertigtes und verkündetes70 - Gesetz innerhalb von zwei Wochen Bedenken erheben. Der Landtag hat dann, ohne das gesamte Gesetz erneut zu beschließen, darüber zu entscheiden, ob er den Bedenken Rechnung tragen will. 7 1 In einem früheren Verfahrensstadium greift die Regelung der Niedersächsischen Verfassung ein, die die Landesregierung in Art. 42 Abs. 2 ermächtigt zu verlangen, dass die Schlussabstimmung bis zu 30 Tagen ausgesetzt wird, um dadurch dem Landtag eine Frist „zum Nachdenken" aufzuerlegen. 72 In Hamburg wurde dem gegenüber im Zuge der Verfassungsreform von 1996 das Einspruchsrecht des Senats gegen von der Bürgerschaft beschlossene Gesetze (ex-Art. 50 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg 73 ), das heute zu Recht als „merkwürdiges Senatsprivileg" empfunden wird, 74 beseitigt. In der Mehrzahl der deutschen Ländern schließlich ist die Landesregierung meist der Regierungschef, gegebenenfalls unter Mitwirkung der zuständigen Landesminister, zuweilen aber auch das Kollegium - mit der Ausfertigung und der Verkündung der Gesetze betraut. 75 Einige Landesverfassungen schreiben insoweit jedoch eine mehr oder weniger gewichtige Rolle des jeweiligen Landesparlaments vor. Nach Art. 60 Abs. 2 der Verfassung von Berlin werden die Gesetze vom Präsidenten des Abgeordnetenhauses ausgefertigt und vom Regierungen Bürgermeister verkündet. Eine vergleichbare Lage besteht gemäß Art. 45 Abs. 1 der Verfassung des Landes Niedersachsen. Auch die Verfassungen des Freistaates Sachsen und des Landes Sachsen-Anhalt sehen in Art. 76 Abs. 1 bzw. Art. 82 Abs. 1 die Ausfertigung durch den Landtagspräsidenten vor, knüpfen diese jedoch an eine vorherige Gegenzeichnung; die Verkündung
69 Vgl. Κ R. Hinkel, Verfassung des Landes Hessen, Wiesbaden 1998, Erläuterungen zu Art. 119. 70 Vgl. Dästner (Anm. 35), Erläuterung zu Art. 67. 71 Vgl. Dästner (Anm. 35), Erläuterung zu Art. 67, der auch darauf hinweist, dass die praktische Bedeutung der Bestimmung gering geblieben ist. 72 Vgl. Hagebölling (Anm. 36), Art. 42 Ziff. 2 6. Spiegelstr. 73 Hierzu umfassend Κ David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Stuttgart u.a. 1994, Erläuterungen zu Art. 50. 74 So Koch (Anm. 28), S. 269. 75 Art. 63 Abs. 1 BaWüVerf, Art. 76 Abs. 1 BayVerf, Art. 123 Abs. 3 BremVerf, Art. 52 HambVerf, Art. 120 HessVerf, Art. 58 Abs. 1 MecklVorpVerf, Art. 71 Abs. 1 NordrWestfVerf, Art. 113 Abs. 1 RheinlPfVerf, Art. 102 SaarlVerf, Art. 39 SchleswHolVerf.
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der Gesetze ist dann wieder Sache des Regierungschefs. Die Verfassungen des Landes Brandenburg und des Freistaats Thüringen schließlich legen in Art. 81 Abs. 1 bzw. Art. 85 Abs. 1 die Ausfertigung und Verkündung von Gesetzen vollständig in die Hand des Landtagspräsidenten.
V I I I . Ablösung der Regierung Die das parlamentarische Regierungssystem kennzeichnende Abhängigkeit der Regierung vom Vertrauen des Parlaments schlägt sich in Mechanismen des Landesverfassungsrechts nieder, durch die einem etwaigen Vertrauensverlust Rechnung getragen werden soll. Neben der in einigen Landesverfassungen vorgesehenen Befugnis des Regierungschefs, selbst die Vertrauensfrage zu stellen, 76 enthalten fast alle Landesverfassungen die formelle Möglichkeit des parlamentarischen Misstrauensvotums. Allein die Verfassung des Freistaates Bayern beschränkt sich in Art. 44 Abs. 3 darauf, den Ministerpräsidenten zum Rücktritt zu verpflichten, „wenn die politischen Verhältnisse ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten zwischen ihm und dem Landtag unmöglich machen".77 In der Ausgestaltung und in den Konsequenzen des Misstrauensvotums bestehen zwischen den Landesverfassungen jedoch einige Unterschiede. Die Mehrzahl der Landesverfassungen stimmt prinzipiell mit der grundgesetzlichen Regelung eines „konstruktiven Misstrauensvotums" überein. 78 Danach kann der Landtag dem amtierenden Regierungschef sein Misstrauen nur durch die Wahl eines neuen Regierungschefs aussprechen. Aber auch soweit die übrigen Landesverfassungen ein solchermaßen „konstruktives" Verfahren nicht vorsehen, handelt es sich bei ihren Regelungen nicht um ein „destruktives" Misstrauensvotum. 79 Denn in diesen Fällen wird durch andere Mechanismen einer „destruktiven" Anwendung des Vertrauensentzugs entgegen gewirkt. Art. 57 der Verfassung von Berlin sieht eine bloß retardierte Form des konstruktiven Misstrauensvotums vor, indem er festlegt, dass das Misstrauensvotum seine Wirksamkeit verliert, wenn nicht binnen 21 Tagen eine Neuwahl des Senats insgesamt bzw. einzelner Senatsmitglieder erfolgt. Eine ähnliche, gewissermaßen umgekehrte, 76
Art. 87 BrandbgVerf, Art. 36 Hamb Verf, Art. 51 MecklVorpVerf, Art. 88 Abs. 2 SaarlVerf, Art. 73 SachsAnhVerf, Art. 37 SchleswHolVerf, Art. 74 ThürVerf; in Hessen kann die Vertrauensfrage nicht vom Regierungschef, sondern nur von mindestens einem Sechstel der gesetzlichen Zahl der Abgeordneten gestellt werden (Art. 114 Abs. 2). 77 Vgl. Friedrich (Anm. 9), S. 209, wonach es sich hierbei um die radikalste Lösung bei dem Bemühen handelt, „heterogene Mehrheiten am Sturz der Regierung zu hindern". 78 Art. 54 BaWüVerf, Art. 86 BrandbgVerf, Art. 35 Abs. 3 HambVerf, Art. 50 Abs. 2 MecklVorpVerf, Art. 32 NiedersVerf, Art. 61 NordrWestfVerf, Art. 69 SächsVerf, Art. 72 SachsAnhVerf, Art. 35 SchleswHolVerf, Art. 73 ThürVerf. 79 So zu Recht Friedrich (Anm. 9), S. 209.
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Regelung enthält die Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen in Art. 110. Danach wird der Beschluss, dem Senat oder einzelnen Senatoren das Vertrauen zu entziehen, erst rechtswirksam, wenn die Bürgerschaft einen neuen Senat oder ein neues Senatsmitglied gewählt hat. Einen anderen Weg haben Hessen und Rheinland-Pfalz beschritten. Die Verfassungen beider Länder sehen die automatische Auflösung des Landtags vor, falls es diesem nicht gelingt, binnen zwölf Tagen (Art. 114 Abs. 5 der Verfassung des Landes Hessen80) bzw. vier Wochen (Art. 99 Abs. 5 der Verfassung für Rheinland-Pfalz 81) einer neuen Landesregierung das Vertrauen auszusprechen. Die Verfassung des Saarlandes schließlich scheint in Art. 88 ein destruktives Misstrauensvotum zu normieren. Jedoch ordnet die Verfassung an anderer Stelle (Art. 69) an, dass der Landtag u.a. dann aufgelöst ist, wenn er ,glicht innerhalb von vier Wochen die Bildung einer von seinem Vertrauen getragenen Landesregierung ermöglicht". 82
IX. Ergebnis Nach der vorstehenden Bestandsaufnahme ist resümierend festzustellen, dass der Spielraum, über den die Länder gerade bei der Ausgestaltung ihres Regierungssystems verfügen, 83 nicht annähernd ausgeschöpft wird. 84 Sowohl untereinander als auch im Verhältnis zum Bund besteht eine starke Tendenz zur Angleichung der Regierungssysteme. Die Beseitigimg von Länderspezifika im Bereich der Regierungssysteme hat sich in der neueren Entwicklung des Verfassungsrechts der deutschen Länder fortgesetzt. 85 Dies gilt für den Fortfall der Aufzählung der Ressorts in Art. 49 der Verfassung des Freistaates Bayern, dies gilt ferner für die Annäherung der Stellung des Hamburger Ersten Bürgermeisters an das Kanzlerprinzip - insbesondere durch Stärkung seiner Rolle bei der Regierungsbildung und durch die Zuweisung der Richtlinienkompetenz - , dies gilt des Weiteren für die Abschaffung der „ewigen Regierung", zuerst in SchleswigHolstein 86 und dann in Hamburg, 87 dies gilt schließlich für die Abschaffung des Einspruchsrechts des Hamburger Senats gegen von der Bürgerschaft beschlos-
80
Hierzu vgl. Hinkel (Anm. 69), Erläuterung zu Art. 114. Hierzu vgl. K.-E. Gebauer, in: Chr. Grimm/P. Caesar (Hrsg.), Verfassung für Rheinland-Pfalz, Baden-Baden 2001, Art. 99 Rn. 12. 82 Zur ursprünglichen Verfassungsrechtslage im Saarland, die tatsächlich ein destruktives Misstrauensvotum vorsah, Friedrich (Anm. 9), S. 210 i.V.m. Fn. 50. 83 Vgl. bereits Β. Dennewitz, Das Bonner Grundgesetz und die westdeutschen Länderverfassungen, in: DÖV 1949, S. 341. 84 Zu Recht kritisch insoweit Kersten (Anm. 11), S. 902. 85 Ebenso Menzel (Anm. 26), S. 443. 86 Vgl. Bull (Anm. 20), S. 494. 87 Vgl. Koch (Anm. 28), S. 263. 81
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sene Gesetze. Die gegenwärtigen Initiativen für eine Verfassungsreform in Berlin 8 8 weisen ebenfalls in Richtung einer weiteren Angleichung an die parlamentarischen Regierungssysteme der übrigen Länder und des Bundes. Das Landesverfassungsrecht im Bereich der Regierung wird ärmer. Dies mag man bedauern, jedoch besteht weder eine Pflicht zur Uneinigkeit der Länder 89 noch ist die Vielfalt der Regierungssysteme im Bundesstaat ein Selbstzweck.
88
Vgl. Anm. 32. Vgl. - in anderem Zusammenhang - Tin. Maunz, Pflicht der Länder zur Uneinigkeit?, in: NJW 1962, S. 1641 ff. 89
Systemwechsel durch Direktwahl des Ministerpräsidenten? V o n Hans Herbert von A r n i m , Speyer
I. Befürwortung der Reform im Schrifttum Seit einigen Jahren w i r d i m staatsrechtlichen und politikwissenschaftlichen Schrifttum der Bundesrepublik eine grundlegende Änderung der Landesverfassungen diskutiert. Ihr Kern ist die Einführung der Direktwahl des Ministerpräsidenten. 1 Diese Diskussion mündet i m Fachschrifttum überwiegend i n die verfassungspolitische Befürwortung einer solchen Reform aus. 2 Denn sie würde es ermöglichen, verfassungsrechtlichen Grundsätzen, die bisher z u m T e i l nur noch auf dem Papier stehen, wie der Bürgermitwirkung, der Gewaltenteilung zwischen Regierung und Parlament und dem freien Mandat der Abgeordneten, wieder reales Leben einzuhauchen, der schleichenden Entmachtung der Lan1
H. H. von Arnim, Staat ohne Diener, 1993, S. 323 ff.; ders., Ein demokratischer Urknall, Der Spiegel vom 20.12.1993, S. 35 ff.; ders., Vom schönen Schein der Demokratie, 2000, S. 155 ff.; ders., Das System, 2001, S. 336 ff. Siehe auch die Thesen der „Frankfurter Intervention", in: Recht und Politik 1995, 16 ff. Vgl. schon T. Eschenburg, Verfassung und Verwaltungsaufbau des Südweststaats, 1952, S. 42 f f , 59 ff.; G.-B. Oschatz, Perspektiven des Parteienstaats (Vortragsmanuskript), 1990, S. 20; F. Esterbauer, Demokratiereform - Volkswahl der Regierung und Bundesstaatsreform, Wien 1991. 2 H. H. Rupp, Politische Teilhabe - Politische Kultur, Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1993/2, S. 111 (118);//. Meyer, Thesen zur Trennung von Ministeramt und Abgeordnetenmandat sowie zur Direktwahl des Ministerpräsidenten als Bestandteil einer parlamentarischen Reform in Thüringen, in: Broschüre der SPD-Fraktion im Thüringer Landtag „Parlamentarische Reformen", 1996, S. 65 ff.; H.-H Giesing, Kritische Fragen zum Föderalismus, in: H. H. von Arnim (Hg.), Adäquate Institutionen: Voraussetzungen für „gute" und bürgernahe Politik?, 1999, S. 75; F. Esterbauer, Volkswahl der Regierung?, in: H. H. von Arnim (Hg.), Direkte Demokratie, 2000, S. 161 ff. Bemerkenswert jüngst vor allem die gründlichen Analysen von B.-O. Bryde, Die Reform der Landesverfassungen, in: von Arnim (Hg.), Direkte Demokratie, 2000, S. 153 ff.; F. Decker, Direktwahl des Ministerpräsidenten, Recht und Politik 2001, S. 51 ff.; A. Janssen, Die Reformbedürftigkeit des deutschen Bundesstaates aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: H.-G. Henneke (Hg.), Verantwortungsteilung zwischen Kommunen, Ländern, Bund und EU, 2001, S. 59 (74 ff.), und H. Maurer, Volkswahl des Ministerpräsidenten?, Festschrift für Ekkehart Stein, 2002, S. 143 ff. - Insgesamt eher kritisch H. H. Klein, Direktwahl der Ministerpräsidenten?, Festschrift für Martin Kriele, 1997, S. 573 ff. (586): „ A m Ende überwiegt die Skepsis." Die Einführung der Direktwahl des Ministerpräsidenten wird auch abgelehnt von H. Schneider, Ministerpräsidenten, 2001, S. 102 ff.
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desparlamente entgegenzuwirken und eine bessere Kontrolle der Landesregierungen zu sichern. So kommt der Staatsrechtslehrer Hartmut Maurer in seiner wohlabgewogenen Analyse zum Ergebnis, „dass die besseren Gründe für die Volkswahl sprechen, jedenfalls ein Versuch in diese Richtung in einem Land der Sache wert wäre." 3 Und der Politikwissenschaftler Frank Decker ergänzt: Angesichts der Exekutivlastigkeit der Bundesländer sei die Direktwahl der Ministerpräsidenten „ein ebenso naheliegender wie logischer Schritt." 4 Im Folgenden soll der Stand der Diskussion in ihren Schwerpunkten zusammengefasst und dazu erneut Stellung genommen werden. Das Thema scheint mir besonders gut in die vorliegende Festschrift zu passen, hat Klaus König sich doch gerade mit Fragen der Organisation von Regierungen und Ministerien in Theorie und Praxis intensiv und fruchtbar befasst wie kaum ein anderer. Zugleich möchte ich dem Jubilar auf diese Weise einen kleinen Dank abstatten für die jahrelange kollegiale Zusammenarbeit und viele anregende Fachgespräche.
Π . Vorbild: Reform der Kommunalverfassung Die Diskussion um die Direktwahl des Ministerpräsidenten muss vor dem Hintergrund der einzigen erfolgreichen Verfassungsstrukturreform des vergangenen Jahrzehnts gesehen werden: der Reform der Kommunalverfassungen. Inzwischen werden in allen dreizehn Flächenländern der Bundesrepublik die Bürgermeister nach süddeutschem Vorbild direkt gewählt. Diese Reform, die allerdings nicht überall mit voller Konsequenz durchgeführt wurde, übt eine zweifache Faszination aus: Inhaltlich soll sie mehr politische Handlungsfähigkeit ermöglichen und mehr Bürgernähe erzwingen. 5 Der zweite bemerkenswerte Aspekt dieser Reform war die Art ihrer Durchsetzung gegen große, lange für unüberwindbar gehaltene politische Widerstände. Das „Geheimnis" liegt darin, dass die Reform ganz wesentlich durch Volksbegehren und Volksentscheid oder durch glaubwürdiges Drohen damit durchgesetzt wurde. Dieser Weg erwies sich als besonders geeignet. Denn die große Mehrheit der Bürger will ihre Repräsentanten direkt wählen. Das zeigte das hessische Referendum im Jahre 1991, bei dem sich 82 Prozent der Abstimmenden für die Einführung der Direktwahl der Bürgermeister und Landräte aussprachen. Fortan brauchten reformbereite politische Kräfte nur noch ernsthaft mit einem Volksbegehren zu drohen, um selbst den widerstrebendsten parlamentarischen Mehrheiten Beine zu machen.
3
Maurer, Anm. 2, 158. Decker, Anm. 2, 58. 5 H. H. von Arnim, Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie auf Gemeindeebene, Die Öffentliche Verwaltung 1990, S. 85 ff. 4
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So kamen die Kommunalverfassungsreformen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und vielen anderen Bundesländern zustande.6 Da den Bürgern Volksbegehren und Volksentscheid inzwischen in allen sechzehn Bundesländern eröffnet sind und man in den meisten Bundesländern auf diesem Weg auch die Landesverfassung ändern kann, ist auch die Diskussion um die Direktwahl des Ministerpräsidenten kein akademisches Glasperlenspiel, sondern dürfte auch gegen schier übermächtige Beharrungstendenzen durchaus realisierbar sein. Der frühere Bundespräsident Roman Herzog hat mit Recht bemerkt, dass Reformen regelmäßig an den Hürden der politischen Umsetzung scheitern. Auf Reformen, die Einrichtungen der politischen Willensbildung betreffen, die die politische Klasse also in eigener Sache durchführen müsste, trifft dies erst recht zu. Hier sind Blockaden besonders ausgeprägt, zumal eine solche Reform regelmäßig eine Zweidrittelmehrheit im Landtag verlangt, was das Potential für Blockaden weiter erhöht. Um so wichtiger wird es, dass auf Landesebene mittels der Volksgesetzgebung eine Alternative zur Parlamentsgesetzgebung zur Verfugung steht, die es erlaubt, sinnvolle und für die Bürger attraktive 7 Strukturreformen auch am Parlament und den Eigeninteressen der politischen Klasse vorbei durchzusetzen.8
I I I . Übergang zur Präsidialdemokratie 1. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Die Direktwahl des Ministerpräsidenten wäre eine echte Systemänderung, ein Übergang von der bisherigen parlamentarischen Demokratie zur Präsidialdemokratie auf Landesebene.9 Beide Systeme sind zweifellos vollwertige Demokratien, so dass die Reform nicht an Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG scheitern würde, der Reformen der Landesverfassungen nur innerhalb der demokratischen Grundsätze erlaubt, ebenso wenig an landesverfassungsrechtlichen „Ewig-
6 H. H. von Arnim, Die politische Durchsetzung der Kommunalverfassungsreform der neunziger Jahre, in: DÖV 2002, S. 585 ff. 7 Dass die ganz große Mehrheit der Menschen eine Reform der hier vorgeschlagenen Art wünscht, steht fest: Die TED-Umfrage einer rheinland-pfälzischen Zeitung ergab eine Zustimmungsrate zur Direktwahl des Ministerpräsidenten von 89 Prozent (Trierischer Volksfreund vom 3.3.2000), eine Mehrheit also, die an die 82 Prozent erinnert, die sich im hessischen Referendum von 1991 für die Direktwahl der Bürgermeister und Landräte aussprachen. 8 Dazu Näheres bei von Arnim, Vom schönen Schein der Demokratie, (Anm. 1), S. 220 ff. 9 Näher zu dem Begriff Präsidial- bzw. präsidentielle Demokratie bei Decker, Anm. 2, S. 51 ff., Maurer, a.a.O., S. 145 f.
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keits"bestimmungen.10 Es kann nicht Sinn dieser Bestimmungen sein, diskussionswürdige verfassungspolitische Innovationen von vornherein unmöglich zu machen.11
2. Komplementäränderungen Die Reform kann sich natürlich nicht auf die Einführung der Direktwahl des Ministerpräsidenten beschränken, sondern verlangt eine Reihe von systembedingten Anpassungen auch anderer Verfassungsvorschriften. Das vorgeschlagene Reformmodell hat sechs Eckpunkte: - Der Ministerpräsident wird direkt vom Volk gewählt, nicht wie bisher durch die Mehrheitsparteien beziehungsweise -fraktionen im Parlament. Die Minister sind vom Ministerpräsidenten zu ernennen. Eventuelle Zustimmungsvorbehalte des Parlaments sollten beseitigt werden, sonst würde das parlamentarische System durch die Hintertür teilweise wieder eingeführt. Weitere Fragen der Ausgestaltung mögen hier dahinstehen, so ob die Wahl des Ministerpräsidenten mit absoluter Mehrheit erfolgen soll, also notfalls ein zweiter Wahlgang nötig ist, ob auch eine vorzeitige Abwahl durch das Volks vorgesehen werden soll, oder ob und unter welchen Bedingungen eine Auflösung des Parlaments mit anschließender Neuwahl erfolgen kann. - Regierungsmitglieder dürfen - im Interesse der Gewaltenteilung - nicht gleichzeitig Abgeordnete sein. - Auch das Landtagswahlrecht muss - schon aus Gründen der demokratischen Symmetrie mit dem direktgewählten Ministerpräsidenten - geändert werden im Sinne eines stärkeren Einflusses der Bürger auch auf die Auswahl der Abgeordneten. 12 Die Bürger sollten mit der Zweitstimme nicht nur Parteien, sondern auch einzelne Abgeordnete auswählen können: entweder durch flexible Listen, die der Wähler durch Kumulieren (mehrere Stimmen für einen Kandidaten) und Panaschieren (Wahl von Kandidaten unterschiedlicher Parteien) verändern kann, oder durch Einführung der relativen Mehrheitswahl. 13
10
Überblick bei Maurer, Anm. 2, S. 152 ff. m.w.N. Zustimmend auch Klein, a.a.O., S, 578. 11 So auch Maurer, Anm. 2, S. 155. 12 Zum geringen Einfluss der Wähler auf die Auswahl der Abgeordneten H. H. von Arnim, Wahl ohne Auswahl. Die Parteien und nicht die Bürger bestimmen die Abgeordneten, in: A. Wüst (Hg.), Festschrift für Dieter Roth zum 65. Geburtstag (erscheint im Herbst 2003). Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung dieses Sachverhalts H. H. von Arnim, Wählen wir unsere Abgeordneten unmittelbar?, in: Juristenzeitung 2002, S. 578 ff. 13 von Arnim, Das System, Anm. 1, S. 343 ff., 347 ff.
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- Die Fünfprozentklausel w i r d abgeschafft, damit der politische Wettbewerb wirksam bleibt. Sinn der Klausel ist es ja, Splitterparteien den Eintritt ins Parlament zu verlegen, u m die Bildung der Regierung zu erleichtern. Bei W a h l der Regierungsspitze durch das V o l k entfällt dieser Grund, so dass sich - genau wie auf kommunaler Ebene nach Einführung der Direktwahl der Bürgermeister - 1 4 der gleichheitswidrige Ausschluss kleiner Parteien und ihrer Wähler nicht mehr rechtfertigen lässt. - Der Landtag ist als Teilzeitparlament zu organisieren, damit das Mandat auch für beruflich erfolgreiche Leute attraktiv wird. Beruf und Mandat können dann leichter nebeneinander ausgeübt werden. 1 5 Die Parteiabhängigkeit der Abgeordneten w i r d gemindert und ihre Bürgernähe erhöht. Die straffere eige-
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D. Ehlers, Sperrklauseln im Wahlrecht, in: Jura 1999, S. 660; M. Heinig/ M Morlok, Konkurrenz belebt das Geschäft. Zur Problematik der 5% -Klausel im Kommunalwahlrecht, in: Zeitschrift für Gesetzgebung 2000, S. 371 ff.; H. H. von Arnim, Die Unhaltbarkeit der Fünfprozentklausel bei Kommunal wählen nach der Reform der Kommunalverfassungen, Festschrift für Klaus Vogel zum 70. Geburtstag, 2000, S. 453 ff. 15
Die im Laufe der Zeit zurückgegangenen Aufgaben der Landesparlamente ( H. Eicher, Der Machtverlust der Landesparlamente, 1988) könnten durchaus auch in zeitlich begrenzten Sitzungsperioden erledigt werden (wie in fast allen Einzelstaaten der USA und wie in der Schweiz selbst auf Bundesebene). Die Schere zwischen abnehmenden Aufgaben und zunehmender Bezahlung von Landtagsabgeordneten hat den Direktor des niedersächsischen Landtags zu der Frage veranlasst, wie lange die Abgeordneten ihren zu groß geschneiderten finanziellen Anzug wohl noch vor dem Steuerzahler verbergen könnten (A. Janssen, Der Landtag im Leineschloss-Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven, in: Präsident des Niedersächsischen Landtags, Rückblicke - Ausblicke, 1992, S. 15 [31]). S. Holthoff-Pförtner, als Anwalt Helmut Kohls gleichfalls nicht im Verdacht, die Kritik an der politischen Klasse zu übertreiben, kommt in einer umfassenden Untersuchung über „Landesparlamentarismus und Abgeordnetenentschädigung" (2000, S. 72) zu demselben Ergebnis: Die Bezahlung von Landtagsabgeordneten ist - bei Berücksichtigung von Stellung und Aufgaben der Landesparlamenteebenso „überdimensioniert wie die tatsächliche Ausformung der Mandatstätigkeit als 'full-time-job'". Dass es in den Landesparlamenten durchaus möglich ist, seinen Beruf neben dem Mandat noch fortzuführen, zeigen die Regelungen für öffentliche Bedienstete, die in Baden-Württemberg und mehreren anderen Bundesländern neben ihrem Mandat aktive Beamte oder sonstige öffentliche Bedienstete bleiben können. Wenn zum Beispiel hauptberufliche baden-württembergische Bürgermeister und Oberbürgermeister ihr Amt neben einem Landtagsmandat ausüben, ist - unabhängig von der Frage der Wünschbarkeit solcher Ämterhäufung - doch wohl der Nachweis erbracht, dass das Mandat kein Fulltimejob zu sein braucht. Auch die ansonsten eher zurückhaltende Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Abgeordnetenrechts („Kissel-Kommission") hat in ihrem Bericht vom 3.6.1993, Bundestagsdrucksache 12/5020, S. 10, Zweifel geäußert, „ob die Tätigkeit eines Landtagsabgeordneten generell als so umfassend anzusehen ist, dass sie als Ausübung eines 'Hauptberufs' gewertet werden muss." Für das Teilzeitparlament auf Landesebene trat zum Beispiel auch die so genannte von Hassel-Kommission ein, die die CDU von Rheinland-Pfalz 1989 eingesetzt hatte (und zu deren Mitgliedern der Verfasser gehörte). Ebenso etwa der jetzige Vorsitzende der rheinland-pfälzischen FDP-Fraktion H.-A. Bauckhage, Die Rheinpfalz vom 5.1.1998.
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ne Organisation würde es dem Landtag erleichtern, auch die Verwaltung zu straffen und zu rationalisieren. 16 - Zugleich sollten die Möglichkeiten direktdemokratischer Sachentscheidungen erweitert und zu hohe Hürden für Volksbegehren und Volksentscheid gesenkt werden. 17 Dadurch würde die Bürgernähe der Politik weiter verbessert und zugleich ein zusätzliches Element der Kontrolle - auch des direktgewählten Ministerpräsidenten - eingeführt.
IV. Verfassungspolitische Argumente Für das neue Verfassungsmodell sprechen gute Gründe:
1. Stärkung der demokratischen Rechte der Bürger Die Direktwahl des Ministerpräsidenten würde dem Bürger mehr Einfluss verschaffen und so seine demokratischen Rechte stärken. Durch die Entkoppelung von Parlaments- und Ministerpräsidentenwahl wäre er nicht vor die missliche, weil freiheitseinschränkende Alternative gestellt, einen vielleicht ungeliebten Kandidaten „seiner" Partei zu akzeptieren oder einer eigentlich ungeliebten Partei wegen ihres besseren Kandidaten die Stimme zu geben. Er könnte vielmehr differenzieren und „seinen" Ministerpräsidenten und bei der Parlamentswahl „seine" Partei wählen, wodurch sich seine Wahlmöglichkeit erweitert. Zwar besitzen auch die bisherige Landtagswahlen oft gewisse plebiszitäre Züge, weil die Spitzenkandidaten der beiden großen Parteien im Wahlkampf als zukünftige Ministerpräsidenten herausgestellt werden. Die Wähler sind aber völlig ausgeschaltet, wenn ein Ministerpräsident von seiner Partei und Fraktion während der Legislaturperiode ausgewechselt wird wie kürzlich in Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Thüringen. Die Ministerpräsidenten Milbrath, Steinbrück, Platzeck und Althaus sind Regierungschefs allein von der
16 T. Ellwein, Das Dilemma der Verwaltung, 1994, S. 121: „Die deutschen Landtage könnten 'Politik' bequem in zwei kürzeren Sitzungsperioden im Jahr betreiben. Verwaltung mit Einzelfallentscheidungen, Mittelverteilung, Lobbytätigkeit in den Ministerien gewährleistet dagegen eine Dauertätigkeit mit der entsprechenden Besoldung und Versorgung. Kritik an der Verwaltung richtet sich deshalb in Wahrheit meist gegen die Politik. Der wirksamen Verwaltungsvereinfachung müsste die Politikvereinfachung vorausgehen. Diese Kombination gewährleistet, dass das meiste so bleibt, wie es ist. Es ist keine resignierte Prognose, sondern (meine) fatale Gewissheit: Wir werden uns in Deutschland auch weiterhin eine Verwaltung leisten, die wir uns nicht leisten können. Das Ende davon ist abzusehen." 17 Dazu von Arnim, Vom schönen Schein der Demokratie, Anm. 1, Kapitel 3 mit weiteren Nachweisen.
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Gnade ihrer Parteien. Ihnen fehlt die für kraftvolles Regieren nötige demokratische Legitimation. Zudem müssten die großen Parteien nun auch die Konkurrenz von Kandidaten kleinerer Parteien ernst nehmen und sich in jedem Fall bei der Aufstellung ihrer Kandidaten mehr an den Vorstellungen der Bürger, das heißt „mehr an der Qualität als an den parteiinternen Verdiensten des Kandidaten", 18 orientieren. Die Direktwahl hätte also Rückwirkungen auf die parteiinterne Nominierung der Kandidaten und würde den Kreis der in Betracht Kommenden erheblich erweitern.
2. Exekutivlastigkeit der Länder In den vergangenen Jahrzehnten ist die Gesetzgebung immer mehr auf den Bund übergegangen. Den Ländern ist vor allem die Verwaltung geblieben; die Länder führen regelmäßig sogar die Bundesgesetze aus. Wenn das Schwergewicht der Länder tatsächlich aber bei der Exekutive liegt, ist es nur konsequent, die Spitze der Exekutive auch von den Bürgern direkt wählen und kontrollieren zu lassen.19 Hier besteht wiederum eine Parallele zu den Kommunen, die ja gleichfalls primär mit Verwaltungsfunktionen betraut sind. Der Vergleich bietet sich besonders zu den Großstädten an. Sieht man von der Mitwirkung der Länder im Bundesrat ab, unterscheiden sich die Aufgaben etwa von Hamburg und Bremen nicht grundlegend von Stuttgart oder München, wo die Exekutivspitzen seit langem direkt gewählt werden. 20
3. Regierungsbildung ohne Koalition Koalitionen, wie sie heute fast immer die Regel sind, verwischen die politische Verantwortlichkeit und nehmen den Wählern die Entscheidung, wer die Mehrheit bildet und die Regierung stellt, oft aus der Hand. Denn über Koalitionen entscheiden in der Sache die Führungen der in Frage kommenden Parteien - nach der Wahl. Für die Direktwahl des Regierungschefs bedarf es dagegen keiner Koalition, weil dann das Volk mit Mehrheit bestimmt, wer Ministerpräsident wird und die Regierung bildet. Man stelle sich einmal vor, das Reformmodell hätte es bereits in Hamburg und Berlin gegeben, als dort im September und im Oktober 2001 Wahlen stattfanden. Dann wäre uns die Peinlichkeit er-
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Maurer, Anm. 2, S. 156. So auch Bryde, Anm. 2, S. 154: „Wenn Hauptfunktion nicht die Gesetzgebung, sondern die Verwaltung ist, ist es konsequent, den Bürger an der Bestellung dieser Gewalt unmittelbar zu beteiligen, auch der Exekutive unmittelbare demokratische Legitimation zu verleihen." 20 So auch Decker, Anm. 2, S. 55. 19
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spart geblieben, dass der Hamburger CDU-Spitzenkandidat, Ole von Beust, nun die dortige, etwas wackelige Regierung führt, obwohl seine Partei nur 26 Prozent der Stimmen bekam. Auch in Berlin würde ein direkt gewählter Regierender Bürgermeister über eine ganz andere demokratische Legitimation verfügen als Klaus Wowereit mit seiner SPD/PDS-Koalition. Es ist denn auch kein Zufall, dass im Vorfeld der Berliner Wahl nach der Direktwahl des Regierungschefs gerufen wurde. 21
4. Wiederherstellung der Gewaltenteilung Im parlamentarischen System löst sich der klassische Grundsatz der Gewaltenteilung praktisch weitgehend auf. Die Mehrheit des Parlaments steht politisch auf der Seite der Regierung. Sie sieht ihre Aufgabe nicht mehr darin, die von ihr gewählte und getragene Regierung öffentlich zu kritisieren und zu kontrollieren, sondern sie - im Gegenteil - zu stützen, gegen Kritik zu verteidigen und so an der Macht zu halten. Öffentliche Kritik ist allein noch Sache der Opposition. Die aber ist im Parlament in der Minderheit und kann deshalb keine wirksamen Kontrollmaßnahmen ergreifen. Das Dilemma besteht darin, dass die, die kontrollieren wollen, es nicht können und die, die können, nicht wollen. Im Präsidialsystem ist dies völlig anders. Hier besteht, wie die Verfassungslehre einmütig feststellt, nach wie vor echte Gewaltenteilung.22
5. Wiederherstellung des freien Mandats Auch der Entmündigung der Abgeordneten durch ihre Fraktion würde die Verfassungsreform ein Ende machen. Da die Regierung dann in ihrem Bestand nicht mehr von der Unterstützung der Mehrheitsfraktionen abhängig ist, gewinnen die Parlamentarier an politischer Freiheit; sie können die Regierung wirklich effektiv kontrollieren. Derzeit frustriert der faktische Fraktionszwang, der dem freien Mandat Hohn spricht, viele Abgeordnete, die sich häufig bloß noch als Ratifikationsmaschinen empfinden. Fähige Köpfe mit Ideen und Tatkraft fühlen sich abgestoßen. 21 So zum Beispiel von Hans-Olaf Henkel, Gregor Gysi und Alexander Kaczmarek, dem stellvertretenden Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. 22 Siehe zum Beispiel R. Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, Art. 20 GG, Abschnitt V: „Die Verfassungsentscheidung für die Gewaltenteilung" (1980), Randnummer 28: „Lediglich Präsidialsysteme wie die der USA und die diesen nachgebildeten, in denen das Parlament die vom Präsidenten berufene Regierung von Rechts wegen weder zu bestätigen noch zu stürzen befugt ist, entsprechen einigermaßen dem Bild einer gewaltenteilenden Demokratie, so wie es sich bei unvoreingenommener und historisch unbelasteter Kombination von Demokratie und Gewaltenteilung empfiehlt."
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6. Regieren mit „abweichender Mehrheit" im Landtag? Da das neue System dazu beiträgt, überzogenes parteipolitisches Konfrontationsdenken zugunsten eines eher sachorientierten Diskussionsstils zurückzudrängen, wird es einem Ministerpräsidenten erleichtert, auch dann zu regieren, wenn er einer anderen Partei angehört als die Mehrheit des Landtags.23 Die durch das neue Wahlsystem des Ministerpräsidenten und des Landtags geförderte Sachbezogenheit aller Beteiligten, ihre relative Distanz zur eigenen Partei, erleichtert es dem Ministerpräsidenten, notfalls auch mit wechselnden Mehrheiten zu regieren. Der Einwand, das Regieren werde unmöglich, wenn die Parlamentsmehrheit einer anderen Partei (oder anderen Parteien) angehöre als der Ministerpräsident,24 trifft also in Wahrheit gar nicht zu. Das zeigen schon die Erfahrungen anderer Präsidialdemokratien, zum Beispiel der USA, wo das Regieren unterschiedlicher Parteien im Präsidentenamt und im Kongress („divided government") inzwischen fast die Regel ist. Auch das vorbildliche Funktionieren der süddeutschen Kommunalverfassung, einer Art Präsidialverfassung auf lokaler Ebene, die, wie schon erwähnt, inzwischen auch von allen anderen FlächenBundesländern übernommen worden ist, widerlegt die Befürchtung. Auch hier regiert, wie ebenfalls schon erwähnt, die Exekutivspitze häufig mit einer anders gepolten Mehrheit in der Kommunalvertretung, ohne dass es zu größeren Unzuträglichkeiten kommt. Es wäre nur wichtig, dass auch das Landtagswahlrecht, wie vorgeschlagen, entsprechend dem süddeutschen Kommunalwahlrecht personalisiert wird. Dann würde in der Tendenz weniger der Typus des ,,Parteisoldaten" zum Abgeordneten gewählt als der des wirklichen Repräsentanten. Dadurch würde die Bereitschaft der Abgeordneten, Kompromisse um der Sache willen einzugehen, tendenziell erhöht. Angesichts der geringen Bedeutung der Landesgesetzgebung könnte, sollte es doch zu parteipolitischen Blockaden kommen, äußerstenfalls sogar für einige Zeit auf Landesgesetze verzichtet werden. Das hat Brun-Otto Bryde klar herausgestellt: „Wenn es hart auf hart geht, braucht man auf Landesebene" schon im bisherigen System „eine Mehrheit nur für die Wahl der Regierung" (die in unserem Reformmodell aber gerade durch das Volk erfolgt) „und für die Verab-
23 Der Einfluss des Systems auf den Diskussionsstil wird von Klein, Anm. 2, S. 579, verkannt. 24 So zum Beispiel Ch. Grimm, Radikale Kritik, an der Sache vorbei, Trierischer Volksfreund vom 21./22.10.2000: „Durch eine Direktwahl des Ministerpräsidenten könnte zudem die Konstellation auftreten, dass dieser einer Partei angehört, die im Parlament - auch in Koalition mit einer anderen Fraktion - keine Mehrheit hat. Die Blockade politischer Entscheidungen wäre die mögliche Folge." Bedenken unter dem Gesichtspunkt möglicher Blockaden auch bei Decker, a.a.O., S. 56 f., der aber die oben im Text angeführten Gegenargumente nicht berücksichtigt.
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schiedung des Haushalts, im Übrigen lässt sich in den Ländern für eine gewisse Zeit auch ohne Parlament regieren. Langjährige Minderheitsregierungen im Saarland, in Hamburg und nunmehr auch in Sachsen-Anhalt haben das belegt." 25 Und - das ist gegenüber Bryde noch zu ergänzen - selbst ohne Haushaltsbeschluss des Parlaments lässt sich eine gewisse Zeit durchaus regieren. Denn die Landesverfassungen treffen für diesen Fall durchweg Vorsorge im Wege des so genannten Nothaushaltsrechts (für den Bund: Art. 111 GG).
7. Aufwertung des Landesparlaments Ein weiterer Einwand gegen die Reform besteht in der Behauptung, auf diese Weise würde das Parlament geschwächt.26 Obwohl dieses suggestive Argument bei den Verteidigern des bestehenden Systems besonders beliebt ist, hält es einer Überprüfung in Wahrheit nicht stand. Der Landtag verliert zwar die Kompetenz, den Ministerpräsidenten zu wählen; doch diese Kompetenz ist ohnehin eine rein formalrechtliche. 27 Wer Ministerpräsident wird, bestimmen tatsächlich entweder die Wähler - insofern haben die Landtagswahlen, wie erwähnt, bereits jetzt eine Art plebiszitären Charakter - oder, bei Koalitionsregierungen, einige wenige politische Elefanten, deren Vorentscheidung dann von Fraktionen und Parteien in aller Regel nur noch abgenickt wird. Bei vorzeitigem Ausscheiden von Ministerpräsidenten auf Grund von Skandalen, aus gesundheitlichen Gründen oder gelegentlich auch durch konstruktives Misstrauensvotum pflegt die Vorentscheidung über die Nachfolge erst recht in der Hand kleiner Kungelrunden zu liegen. Im Falle der Direktwahl des Ministerpräsidenten würde das Parlament im Gegenteil aufgewertet. Dem Regierungschef stände ein selbstbewusster Landtag gegenüber. Die Parlamentsmehrheit würde aus ihrer Abhängigkeit von der Regierung befreit. Denn in Wahrheit ist es im parlamentarischen System ja nicht das Parlament, das die Richtung bestimmt und die Regierung kontrolliert, son-
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B.-O. Bryde, Anm. 2. H. Schneider, Landesvater für Standortpolitik, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.2.2000; Ch. Wulff Die Republik gehört auf den Prüfstand, in: Der Tagesspiegel vom 8.5.2000; Ch. Bohr, Vertrauen auf Zeit - es funktioniert, in: Trierischer Volksfreund vom 19.10.2000, Ch. Grimm, a.a.O.; I. Thomas, Schwer verdaulicher Brei, in: Trierischer Volksfreund vom 27.10.2000. Selbst Warnfried Dealing erliegt diesem gängigen Vorurteil: Die Zeit vom 16.3.2000 (Rezension des Buchs „Vom schönen Schein der Demokratie" des Verfassers). 27 Das wird sogar von H.-G. Wehling verkannt: Mehr direkte Demokratie als Antwort auf die Krise des Parteienstaats?, Vortrag bei der Konrad-Adenauer-Stiftung am 9.3.2000, S. 6: „Was bliebe von den Landesparlamenten übrig, wenn ihnen diese Funktion (nämlich 'die Funktion, eine Regierung zu kreieren und am Leben zu halten [oder auch zu stürzen']) auch genommen würde?" 26
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dem es ist umgekehrt die Regierung, die - wie Alexander Solschenizyn treffend bemerkt hat - ihre Fraktion (oder - im Falle der Koalitionsregierung - ihre Fraktionen) unter Kontrolle hält. 28 Die Parlamentsmehrheit und die Masse ihrer Abgeordneten werden so oft zum bloßen Anhängsel der Regierung. Die Regierungschefs schwingen sich geradezu zu „gewählten Diktatoren" (Ralf Dahrendorf) auf, die ihre Parlamente entmachten.29 Eine wirksame öffentliche Kontrolle der Regierung durch das Parlament, das heißt vor allem durch seine Mehrheit, die das Sagen hat, gibt es nicht mehr. Dieser „dem parlamentarischen System immanente Gefolgschaftszwang" würde wegfallen, 30 wenn die Parlamentsmehrheit die Regierung nicht mehr wählen und an der Macht halten müsste, sondern der Regierungschef direkt vom Volk gewählt würde. Die Parlamentsmehrheit (und damit auch das Parlament insgesamt) würde an politischer Freiheit gewinnen und könnte in viel stärkerem Maße als bisher zu einem eigenständigen politischen Machtfaktor werden. Das käme der Gewaltenteilung und der wirksamen Kontrolle der Regierung zugute, die sich dann auch auf grundsätzliche Fragen bezöge. Bisher liegt die „Richtlinienkontrolle" in der Praxis bei der Opposition.31 Dahrendorf geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er feststellt: Wir benötigen „eher mehr als weniger Präsidentialismus in Europa, jedenfalls wenn dies auf die richtige amerikanische Art verstanden wird, bei der Legislative und Exekutive im Sinne der Gewaltenteilung getrennt und gleich mächtig sind." 32 Insofern führen die überkommenen Begriffe völlig in die Irre: In der so genannten parlamentarischen Demokratie ist das Parlament nicht etwa besonders stark. Wegen der machtpolitischen Verkopplung der Parlamentsmehrheit mit der Regierung ist das Parlament vielmehr ausgesprochen schwach, viel schwächer als in der so genannten Präsidialdemokratie, bei der das Volk die Regie-
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H. Hirsch, Die politischen Ideen Alexander Solschenizyns, in: R. Breil/S. Nachtsheim (Hg.), Vernunft und Anschauung, Festschrift für Gerd Wolandt zum 65. Geburtstag, 1993, S. 83 (89): Solschenizyn erkennt das in der parlamentarischen Demokratie normale Verhältnis von Regierung und Parlament mit dem unvoreingenommenen Blick des Außenstehenden als verkehrt: „ ... es ist paradox: Bei dem häufig gewählten System, dass die Regierung auf der Grundlage der Mehrheit im Parlament gebildet wird, hören die Glieder dieser Mehrheit... auf, unabhängige Volksvertreter zu sein, die der Regierung die Stirn bieten, - sondern sie dienen ihr mit allen Kräften und stützen sie, damit sie sich nur um jeden Preis halten kann. Das heißt: Die Glieder der Legislative sind der Exekutive untergeordnet." 29 R. Dahrendorf, Sprachlose Parlamente, in: Süddeutsche Zeitung vom 29.8.2002. 30 So mit Recht Bryde, Anm. 2, 154. 31 H. Schneider, Anm. 26. 32 Dahrendorf, Anm. 29, Dazu auch H. H von Arnim, in: Süddeutsche Zeitung vom 16.9.2002 (Leserbrief). Dahrendorfs Äußerung bezieht sich offenbar auch auf die Regierung von Zentralstaaten, während unser Anliegen sich auf die u. E. sehr viel näher liegende Direktwahl nur des Regierungschefs eines Gliedstaates bezieht.
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rungsspitze direkt wählt und das Parlament in der Regel selbstbewusster und kontrollfreudiger ist als im parlamentarischen System.33
8. Voraussetzung für Föderalismusreform Das neue Verfassungsmodell ist auch Voraussetzung für die derzeit viel diskutierte Reform des Föderalismus, und zwar in zwei Richtungen: Einmal macht es die Länder institutionell fit, wieder mehr Aufgaben im Bereich der Gesetzgebung zu übernehmen. Einige dieser Aufgaben sind den Ländern ja nicht ohne Grund abhanden gekommen. Sie sind nicht etwa nur wegen ungebührlicher Machtgelüste des Bundes auf diesen übergegangen, sondern weil die Länder politisch offensichtlich versagt hatten. Der Übergang der Kompetenz für die Besoldung der Landesbediensteten und die Gestaltung der Grunderwerbsteuer sind dafür klassische Beispiele. 34 Die angestrebte Verfassungsreform, die mehr Handlungsfähigkeit und mehr Bürgernähe schaffen würde, ist, so gesehen, geradezu Vorbedingung für die von fast allen gewünschte Neuverteilung der Gesetzgebungszuständigkeit zwischen Bund und Ländern. 35 Zum zweiten ist die vorgeschlagene Reform auch geeignet, das Blockadeproblem auf Bundesebene zumindest zu mildern. Denn ein direktgewählter Ministerpräsident ist seinen Wählern stärker verantwortlich als seiner Partei und wird sich deshalb im Bundesrat in geringerem Maße zu parteipolitischen Blockaden hinreißen lassen als seine parlamentarisch bestellten Kollegen. 36
V. Sind Systemänderungen per se etwas Schlechtes? Systemänderungen müssen allerdings mit besonderen Widerständen rechnen, die nicht zuletzt auf festgefahrenem Denken und mentalen Blockaden beruhen. Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt hat dieser Richtung eine Stimme gegeben.37 Patzelt betont, dass bestimmte verfassungsrechtliche Grundsätze wie 33
So auch Klein, Anm. 2, S. 577; Bryde, Anm. 2; Decker, Anm. 2,S. 56; Janssen, Anm. 2, S. 74 f.; Maurer, Anm. 2, S. 161. 34 Von Arnim, Vom schönen Schein der Demokratie, Anm. 1, S. 121 ff. 35 von Arnim, ebenda., S. 308. 36 So auch Janssen, Anm. 2, S. 76 f. 37 W. J. Patzelt, Ein latenter Verfassungskonflikt? Die Deutschen und ihr parlamentarisches Regierungssystem, in: Politische Vierteljahresschrift 1998, S. 725 ff.; ders., Politikwissenschaft, Politikverdrossenheit und Aufgaben der politischen Bildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B7-B8/1999, S. 31 ff.; ders., Reformwünsche in Deutschlands latentem Verfassungskonflikt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 28/2000 vom 7.7.2000, S. 3 f.; ders., Verdrossen sind die Ahnungslosen, in: Die Zeit vom 22.2.2001,S. 9.
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Gewaltenteilung, das freie Mandat und manches andere in der bundesrepublikanischen Praxis kaum zu verwirklichen sind. Das trifft, wie wir selbst oben dargelegt haben, zweifellos zu. Patzelt zieht daraus aber eine überraschende, ja geradezu perverse Konsequenz. Statt zu überlegen, wie die Defizite behoben werden können, fordert Patzelt nämlich „Unterricht" und „Schulung", um die Bürger von ihrer „Populartheorie" abzubringen. 38 Er tritt dafür ein, die Bürger durch gezielte politische „Bildung" umzuerziehen und ihnen die mangelnde Realisierbarkeit dieser Grundsätze als scheinbar unausweichliche Notwendigkeit einzubläuen, um einer andernfalls befürchteten Delegitimation des bestehenden Systems entgegenzuwirken. Vor diesem Hintergrund polemisieren Patzelt und andere dann gegen die, die eine grundlegende Systemänderung nach Art der in diesem Beitrag vorgeschlagenen zur Diskussion stellen. In Wahrheit erweist sich bei genauer Betrachtung, dass die mangelnde Realisierung der genannten Verfassungsprinzipien keineswegs unausweichlich, sondern systembedingt ist und deshalb durch Systemänderungen wirksam bekämpft werden könnte.39 Damit verlieren die „Umerzieher" aber ihre Basis, 40 und das wollen sie vermeiden. Sie argumentieren deshalb um so heftiger gegen das Reformmodell. Sie können dies aber nur dadurch tun, dass sie den Systemwechsel per se als etwas ganz Abwegiges und längst Überholtes hinstellen.41 Beurteilt man den Systemwechsel dagegen nach seiner Eignung, die relevanten Verfassungsprinzipien zu realisieren, also dem u.E. allein sinnvollen verfassungspolitischen Maßstab, so erscheint der Systemwechsel in einem ganz anderen und insgesamt positiven Licht. 42
38 Kritisch zu diesem Umerziehungsversuch auch K. Günther, Zur Kritikbedürftigkeit von Werner Patzelts Maßstäben der Kritik an Volksvertretern und Volk, in: Politische Vierteljahresschrift 2000, S. 327 ff. 39 Dies wird im Einzelnen durchgespielt bei von Arnim, Das System, Anm. 1, S. 331 f f , 354 ff. 40 So auch die treffende Kritik an Patzelt durch Ch. Welzel, Volkserziehung oder Institutionenreform? Ein Kommentar zu Werner Patzelts Bürgerschelte in PVS 4/1998, in: Politische Vierteljahresschrift 2000, S. 316 ff. 41 Patzelt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Anm. 37, S. 4: Die Einführung der Direktwahlen des Ministerpräsidenten müsse zu einem „fundamentalen Systemwechsel hin zum präsidentiellen Regierungssystem" fuhren. „Hüten wir uns aber davor, antiquierten Systemvorstellungen nur deshalb zu folgen, weil sie populär sind." 42 Siehe auch Bryde, Anm. 2, S. 154: Reformvorschläge wie die Direktwahl des Ministerpräsidenten erscheinen „zwar wegen ihres Bruchs mit deutschen Traditionen systemtranszendent, eigentlich aber sind sie systemgerecht."
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V I . Parteipolitisch aufgeladene Widerstände Die Stellungnahmen zur Einführung der Direktwahl von Ministerpräsidenten sind auf bemerkenswerte Weise gespalten: Während wissenschaftliche Äußerungen im Gesamtergebnis überwiegend positiv ausfallen, sind Äußerungen aus der politischen Praxis in sehr viel höherem Maße negativ. Zwar haben sich einzelne Ministerpräsidenten wie z.B. Bernhard Vogel und Manfred Stolpe spontan positiv geäußert. In anderen Zusammenhängen aber scheinen zum Teil sehr polemisch gehaltene Ablehnungen zu überwiegen. Dies wurde besonders deutlich, als in Rheinland-Pfalz ein konkreter Vorschlag zur Änderung der Landesverfassung vorgelegt wurde. Hier äußerten sich Spitzenrepräsentanten der SPD, der CDU und der Grünen radikal ablehnend.43 Nur der FDP-Vorsitzende Rainer Brüderle befürwortete den Vorschlag. Die überwiegend negativen Stellungnahmen von Politikern hingen wohl damit zusammen, dass der Reformvorschlag in den Landtagswahlkampf hineingezogen worden war. Er war nämlich von Vertretern der Freien Wählergemeinschaften Rheinland-Pfalz aufgegriffen und zum Gegenstand eines angestrebten Volksbegehrens zur Änderung der rheinlandpfälzischen Landesverfassung gemacht worden. 44 Zugleich wurde aber immer deutlicher, dass die Freien Wähler, die gleichzeitig zur Landtagswahl 2001 angetreten waren, den Reformvorschlag zum programmatischen Vehikel ihrer Wahlkampfstrategie machen und damit vor allem Wählerstimmen gewinnen wollten. In dieser Verknüpfung des Gesetzentwurfs zur Änderung der Landesverfassung mit dem Wahlkampf lag wohl ein wesentlicher Grund für die erbitterten Reaktionen der meisten Landtagsparteien, die fürchteten, bei der Landtagswahl Stimmen an die Freien Wähler zu verlieren. Wie sehr diese das Projekt in der Tat nur um der Landtags wählen willen verfolgten, wurde auch nach den Wahlen deutlich: Nachdem die Freien Wähler nur rund 2 Prozent der Wählerstimmen erlangt und damit nicht in den Landtag gekommen waren, verfolgten sie auch das Projekt einer rheinland-pfälzischen Verfassungsreform nicht weiter und hörten auf, Unterschriften für den Antrag zu sammeln.45
43 Siehe Κ . Beck, Mit Volldampf zurück ins 19. Jahrhundert, in: Rhein-Zeitung vom 2.6.2000 (Erwiderung auf Hans Herbert von Arnim, Das Volk soll den Ministerpräsidenten direkt wählen, in: Rhein-Zeitung vom 25.5.2000), und die Stellungnahme von von Arnim, Für Verfassungsreformen müssen Bürger die Verantwortung ergreifen, in: Rhein-Zeitung vom 13.6.2000. Siehe auch Η. H. von Arnim, „Demokratischer Urknall", in: Trierischer Volksfreund vom 25.5.2000; K. Beck, „Der Urknall ist bloß eine Knallerbse", in: Trierischer Volksfreund vom 7.6.2000; von Arnim, Nicht des Ministerpräsidenten Stil, in: Trierischer Volksfreund vom 10.7.2000. Siehe ferner Ch. Böhr, Vertrauen auf Zeit - es funktioniert, in: Trierischer Volksfreund vom 19.10.2000; Ch. Grimm, Radikale Kritik, an der Sache vorbei, in: Trierischer Volksfreund vom 21./22.10.2000; I. Thomas, Schwer verdaulicher Brei, in: Trierischer Volksfreund vom 27.10.2000. 44 45
Den Gesetzentwurf hatte der Verfasser dieses Beitrags ausgearbeitet. von Arnim, Das System, Anm. 1, S. 370 f.
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Eine ähnliche parteipolitisch motivierte Sperrhaltung hatte sich einige Jahre vorher bereits in Thüringen gezeigt. Dort hatte sich ein Parteitag der SPD für eine grundlegende Verfassungsreform und die Einführung der Direktwahl des Ministerpräsidenten ausgesprochen. Das Projekt sollte von der SPD-Landtagsfraktion weiter verfolgt werden. Diese schaffte sich das ungeliebte Projekt aber dadurch vom Hals, dass sie eine Art Hearing veranstaltete, wobei die Auswahl der Teilnehmer natürlich von ihr selbst vorgenommen wurde. Das hatte zur Folge, dass in dem Hearing die Mehrheit dagegen votierte. 46 So konnte das Projekt erst einmal auf „elegante" Weise politisch begraben werden.
V I I . Ausblick Die Würdigung des Reformvorschlags, dessen Kern die Direktwahl des Ministerpräsidenten ist, fällt insgesamt positiv aus. Dahin geht auch die überwiegende Meinung im wissenschaftlichen Schrifttum. 47 Ablehnende Äußerungen aus der Praxis beruhen hauptsächlich auf momentanen parteipolitischen Erwägungen und sind deshalb nicht überzubewerten. 48 Die Durchsetzung einer entsprechenden Reform könnte durch Volksbegehren und Volksentscheid erfolgen. Die Bürger wollen in ihrer großen Mehrheit ihre Exekutivspitzen direkt wählen. Das wissen wir aus Umfragen und dem Referendum über die Einführung der Direktwahlen von Bürgermeistern und Landräten in Hessen. Auf diese Weise ließe sich also das sachlich Sinnvolle mit dem massenpsychologisch Wirksamen verbinden und eine grundlegende institutionelle Reform verwirklichen. Gelingt dies nur in einem Land, könnte dies wie ein demokratischer „Urknall" wirken und Reformer auch in anderen Ländern und im Bund ermutigen.
46
Siehe Broschüre der SPD-Fraktion im Thüringer Landtag „Parlamentarische Reformen", 1996. 47 Oben Anm. 1 und 2. 48 Siehe vor allem Anm. 35.
Politische Entscheidungshilfe für Bundeskanzler Adenauer: Die Rolle von Staatssekretär Hans Globke V o n R u d o l f Morsey, Speyer
N o c h jüngst hat Hans Peter Mensing 1 auf bemerkenswerte Defizite i n der Adenauer-Forschung hingewiesen. 2 Z u ihnen zählte er den „meistens übersehenen Part" der Berater und Mitarbeiter Adenauers (Herbert Blankenborn, Otto Lenz, Walter Hallstein, Hans Globke) und die „Informationsbeschaffung und Meinungsbildung i m Kanzleramt und i n der Bundesregierung", aber auch die Abhängigkeit des ersten Bundeskanzlers von „anderen Staatsorganen und besonders von den parlamentarischen, partei- und koalitionspolitischen Abstimmungsprozessen", schließlich seine vornehmlich wirtschaftspolitische Beratung durch Hermann Josef Abs und Robert Pferdmenges. Eine Sonderrolle in diesem Umfeld spielten Heinrich von Brentano und Heinrich Krone. 3
1 Mensing hat in der Edition „Adenauer. Rhöndorfer Ausgabe" (Hrsg. R. Morsey und H.-P. Schwarz) bisher 7 Bände von Adenauers Briefen 1945-1959 bearbeitet, Berlin bzw. (ab Bd. 6) Paderborn 1983-2000. Die Edition der Briefe 1961-1963 befindet sich im Druck. Die ferner in der Rhöndorfer Ausgabe erschienenen Editionen „Adenauer im Dritten Reich" (Berlin 1991), Heuss - Adenauer, „Unserem Vaterlande zugute". Der Briefwechsel 1948-1963, sowie Adenauer - Heuss, Unter vier Augen. Gespräche aus den Gründerjahren 1949-1959, Berlin 1989-1997, sind ebenso von H.P. Mensing bearbeitet wie Adenauers Teegespräche 1961-1963, Berlin 1992. 2 „Es ist alles zu sehr auf mich konzentriert." Grundlegung, Grundzüge und Grenzen der „Kanzlerdemokratie" in der Adenauer-Zeit, in: M.-L. Recker u.a. (Hrsg.), Bilanz: 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland, St. Ingbert 2001, S. 41-52; H.-P. Mensing, Ein „Gehirntrust" für Adenauer? Beraterstäbe, Meinungsbildung und Politikstil beim ersten Bundeskanzler, ζ .Zt. im Druck. 3 Aus H. Krone, Tagebücher. Bd. 1: 1945-1961, bearb. von H.-O. Kleinmann, Düsseldorf 1995, geht hervor, wie häufig sich Adenauer mit Krone und Globke gemeinsam beriet und wie oft er eine enge Zusammenarbeit zwischen ihnen anregte. Eine ebenfalls von Kleinmann bearbeitete Fortsetzung der Tagebücher Krones 1961-1966 ist ebd. 2003 erschienen. Der zeitweilige Persönliche Referent des Bundeskanzlers, Franz Josef Bach, hat Krone als „sozusagen geborenen Berater Adenauers" bezeichnet; ähnlich der CSUPolitiker Richard Stücklen, in: H.-P. Schwarz (Hrsg.), Konrad Adenauers Regierungsstil, Bonn 1991, S. 15,85.
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Adenauer war kein Kanzler der „einsamen Entschlüsse"; er hat auf den Rat Anderer gehört 4, allerdings Wert darauf gelegt, dass er in gebührender Form vorgebracht wurde. Der Bundeskanzler kannte aus eigenem, in der zwölfjährigen „Generalpause" (Peter Berglar) seines Lebens (1933-1945) verarbeiteten Erfahrungsreichtum Möglichkeiten und Grenzen politischer Beratung. 5 Da auch die „immer wieder apostrophierten Alleingänge" Adenauers „nahezu ausnahmslos das Ergebnis reiflicher Überlegungen und gründlicher Vorbereitungen" in den jeweils zuständigen Gremien waren, bestand schließlich eine eigene Aufgabe darin, das ihm reichlich zugelieferte Wissen seinerseits zu koordinieren. 6 Es kam vornehmlich aus dem Bundeskanzleramt, das Hans Globke bereits vom September 1949 an faktisch geleitet hat, wenn auch erst seit 1953 als Staatssekretär. Er ist erst mit Adenauer im Oktober 1963, fünf Wochen nach seinem 65. Geburtstag, ausgeschieden. Globke war das Muster eines Behördenchefs: von hoher fachlicher Befähigung und breiter Bildung, mit präsentem Wissen und einem phänomenalen Gedächtnis sowie mit staunenswerter - und vom Bundeskanzler permanent abverlangten- Arbeitskraft ausgestattet, mit ausgedehnten, stets abrufbereiten Personalkenntnissen, von beispielhafter Diskretion und Selbstbeherrschung. Dabei hat sich bereits früh jenes dauerhafte Vertrauensverhältnis zu Adenauer entwickelt, das gleichwohl eine klare Distanz niemals überschritt. 7 Der Staatssekretär des Bundeskanzleramts - erst seit 1964: „Chef des Bundeskanzleramts" 8 - war der weitaus wichtigste und einfluss-
4 Dazu weiterhin unentbehrlich die Beiträge zahlreicher Mitstreiter Globkes in: K. Gotto (Hrsg.), Der Staatssekretär Adenauers. Persönlichkeit und politisches Wirken Hans Globkes, Stuttgart 1980. Ferner Ulrich von Hehl, Hans Globke, in: J. Aretz u.a. (Hrsg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern, Bd. 3, Mainz 1979, S. 247-259. 5 Mensing hat jüngst daran erinnert, dass Adenauer bereits als Oberbürgermeister von Köln (1917-1933) arbeitsteilige Abstimmungsprozesse auch für Politikberatung gekannt habe. „Gehirntrust" (Anm. 2), Ms., S. 12. 6 Mensing, „Gehirntrust" (Anm. 2), Ms., S. 5. Vgl. auch M.-L. Recker. Die „Fokussierung auf Adenauer selbst" habe die Rolle seiner Berater und Mitarbeiter und die alltägliche Regierungsroutine zu sehr ausgeblendet. Adenauer und das Problem der parlamentarischen Demokratie, in: A. Doering-Manteuffel und H.-P. Schwarz (Hrsg.), Adenauer und die deutsche Geschichte, Bonn 2001, S. 112. Demgegenüber hat E. Schmidtke die Referenten des Bundeskanzleramts, „vermittelt durch Globke", allzu pauschal zu „Kanzlerberatern" befördert. Der Bundeskanzler im Spannungsfeld zwischen Kanzlerdemokratie und Parteiendemokratie, Marburg 2001, S. 108 f. 7 Bereits am 14. Juli 1950, im Zusammenhang mit politisch motivierten Angriffen auf Globke, schrieb ihm Adenauer (vom Bürgenstock/Schweiz): „Es drängt mich, Ihnen aber zu sagen, daß Sie mein vollstes Vertrauen besitzen." Stiftung BundeskanzlerAdenauer-Haus in Bad Honnef-Rhöndorf, Nachlass Adenauer (künftig: StBKAH), III/1T. 8 Nach dem entsprechenden Hinweis des Referenten im Bundeskanzleramt und späteren Staatssekretärs im Verteidigungsministerium, Josef Rust, Streifzug mit Hans Globke durch gemeinsame Bonner Jahre, in: Gotto (Hrsg.), Staatssekretär (Anm. 4), S. 76.
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reichste Berater Adenauers. Er wurde zu dessen „erstem Gehilfen im Staate"9, zum eigentlichen „Organisator der Kanzlerdemokratie" und praktisch zum „zweiten Mann im Staate".10 Die Art und Weise allerdings, in der er den ganz überwiegend von ihm erbetenen konkreten Rat gab, ist noch kaum bekannt; denn das geschah vornehmlich im täglichen Gedankenaustausch, auch bei den häufigen nachmittäglichen Spaziergängen mit Adenauer im Park des Palais Schaumburg. Dabei entwickelte und prüfte der Bundeskanzler seine eigenen Vorstellungen und Ideen. Zu den wenigen bisher publizierten Quellen, die es erlauben, in diesen Teil seiner Regierungsführung Einblick zu gewinnen, zählen in erster Linie brieflich erteilte Aufträge Adenauers, mit denen er - nicht zuletzt während seiner Urlaubsaufenthalte im Ausland - Globke überschüttete. Aber auch die darin enthaltenen Fragen, auf die der Bundeskanzler Antworten erwartete, dienten nicht selten wiederum der Vorbereitung späterer Gespräche und hinterließen entsprechend geringe schriftliche Spuren. So soll hier das bisher edierte Briefwerk Adenauers für unser Thema untersucht und mit Beispielen aus dem Nachlass Adenauers ergänzt werden. Die Briefe des Bundeskanzlers für die Jahre 1951-1953 und 1953-1955 enthalten je zwei Schreiben an Globke, die für 1955-1957 sechs und die für 1957-1959 bereits 22. In dem im Druck befindlichen Band der Briefe 1959-1961 sind es insgesamt 30. 11 Der Bundeskanzler erwartete auf seine Fragen, wenngleich er sie nahezu stets in die Form einer Bitte kleidete, sachgerechte und rasche Antworten. Im Folgenden soll die Art und Weise seines „Rates", den er jeweils von Globke erfragte, an Beispielen aufgezeigt werden. Sie lassen, in chronologischer Reihenfolge, die Vielfalt der personal- und sachpolitischen Probleme, quer durch alle Politikbereiche, erkennen, da Globke als „allzuständig" galt. Am 11. April 1950 erwartete der Bundeskanzler von ihm eine Stellungnahme auf die Frage, ob er es „nicht auch für bedenklich" hielte, die „Höhe der Auf9 Franz Josef Bach, Konrad Adenauer und Hans Globke, in: D. Blumenwitz u.a. (Hrsg.), Konrad Adenauer und seine Zeit, Bd. 1, Stuttgart 1976, S. 179. 10 So T. Eschenburg, Spielregeln der Politik, Stuttgart 1987 (Erstveröffentlichung: 1973), S. 218-221. Dazu vgl. H. Osterheide Der Staatssekretär des Bundeskanzleramtes, in: Gotto (Hrsg.), Staatssekretär (Anm. 4), S. 99-126. Osterheide als Nachfolger von Bach (s. Anm. 9) Leiter des Außenpolitischen Büros im Bundeskanzleramt 1960-1969, hat ebd., S. 108, die Formulierung von W. Henkels in der FAZ vom 30. November 1962 („Globke hatte mehr Einsicht in die Verhältnisse und mehr Einfluss auf die Geschehnisse als alle Minister zusammen") als „kaum übertrieben" bezeichnet. Vgl. ferner H. Osterheide „Ich gehe nicht leichten Herzens ...". Adenauers letzte Kanzleijahre - ein dokumentarischer Bericht, Mainz, 2. Aufl. 1987, S. 31 f., 278. H.-P. Schwarz hat für die Zeit ab 1953 von der „uneingeschränkten Ära Globke" gesprochen: Adenauer. Der Staatsmann 1952-1967, Stuttgart 1991, S. 120. 11 Über die Auswahlkriterien für die Aufnahme von Briefen in diese Reihe informiert die jedem Band vorangestellte „Einführung in die Edition".
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wandsentschädigung" - gemeint war vermutlich seine eigene - ,jedesmal durch den Haushaltsplan festsetzen zu lassen": „Wir haben dann jedes Jahr die gleichen Anträge und die gleichen Debatten".12 Am 5. Juni 1950 erbat er eine Ä u ßerung", ob es nicht „nötig" sei, „die Ausarbeitungen des Bundespresseamtes über den Inhalt der Kabinettsitzungen vor der Bekanntgabe in irgend einer Form festzulegen". 13 In beiden Fällen war die Richtung der erwarteten Antworten unschwer erkennbar. A m 23. Juli 1950 übermittelte der Bundeskanzler aus dem schweizerischen Bürgenstock Globke „ganz persönlich und vertraulich" seine Sorge über die unzureichende Arbeit des ,»Flüchtlingsministeriums". Er erbat von ihm Vorschläge, um dieses Ministerium in engere Verbindung zum Wirtschafts- und Wohnungsbauministerium zu bringen. 14 Im Juni 1951 erwartete Adenauer „Gegenvorschläge" zu den vom Auswärtigen Amt vorgelegten, ihm aber zu sehr der „Wilhelmstraße"-Vergangenheit verhafteten Listen für die Besetzung von Spitzenpositionen im Auswärtigen Dienst. 15 Im Mai 1952 unterlag Globke mit seinem Votum gegen die dem Bundeskanzler von der Unionsfraktion abgerungene Streichung des umstrittenen Art. 7/3 (,3indungsklausel" auch eines wiedervereinigten Deutschlands) des Deutschlandvertrags. 16 A m 8. Juli 1953 ärgerte sich Adenauer (in Bühlerhöhe) über das „Toben einzelner unserer Leute gegen die FDP" und erhoffte von Globke einen Rat, „was man dagegen tun" könne. 17 Am 19. April 1955 gelang es Krone und Globke, dem Bundeskanzler die Absicht auszureden, den ersten Botschafter bei der NATO, Blankenborn, nicht Außenminister von Brentano, sondern dem Bundeskanzler unmittelbar zu unterstellen. 18 Am 30. Juni 1955 konnten beide Adenauer davon abbringen, den Personalgutachterausschuss für die Streitkräfte nicht im Freiwilligengesetz zu verankern. 19 Ein von Adenauer aus Mürren (Schweiz) am 29. Juli 1955 Globke übermitteltes Exposé „Zur Genfer Konferenz" enthielt den Auftrag, „in Verfolg unserer Besprechungen" weiter zu überlegen. 20 Ebenfalls „überlegen" sollte sich Globke - so Adenauer am
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StBKAH (Anm. 7), 11.02. StBKAH (Anm. 7), 11.02. 14 StBKAH (Anm. 7), HI/17. 15 Notiz im Tagebuch Lenz 8. Juni 1952. K. Gotto u.a. (Bearb.), Im Zentrum der Macht. Das Tagebuch von Staatssekretär Otto Lenz 1951-1953, Düsseldorf 1989, S. 93. Dazu vgl. H.-J. Döscher, Verschworene Gesellschaft. Das Auswärtige Amt unter Adenauer zwischen Neubeginn und Kontinuität, Berlin 1995, S. 126-129. 16 Nach einer Notiz im Tagebuch Lenz (Anm. 15), S. 338. 17 Druck: N. Jacobs, Der Streit um Dr. Hans Globke in der öffentlichen Meinung der Bundesrepublik Deutschland 1949-1975, Phil. Diss. Bonn 1992, S. 447. 18 Krone, Tagebücher (Anm. 3), S. 171. 19 Krone, Tagebücher (Anm. 3), S. 182, 186. 20 Adenauer, Briefe 1953-1955 (Anm. 1), S. 319. 13
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23. November 1955 aus Mürren - , wie man verhindern könne, dass Kabinettsvorlagen vorzeitig bekannt würden. 21 Am 7. April 1956 gab der Staatssekretär seinerseits dem Kanzler (aus Oberstdorf/Allgäu) den - offensichtlich erfragten - Rat, dass eine „befriedigende Lösung für die Wahl eines neuen Pressechefs" nur in der „Rückkehr" des Vorgängers, Felix von Eckardt, aus New York (bei den Vereinten Nationen) bestehen könne. 22 Fünf Tage später teilte Adenauer (aus Ascona) dem Staatssekretär mit, dass auch der Außenminister mit diesem Vorschlag einverstanden sei. 23 Eckardt wurde nach Bonn zurückgerufen. In dem soeben erwähnten Urlaubsbrief Globkes informierte er den im Tessin weilenden Kanzler auch über die Gefahr, dass die (in Bayern 1954 in die Opposition gedrängte) CSU wieder in die Regierung strebe, „und daß man dafür der SPD eine Koalition auf Bundesebene nach den nächsten Bundestagswahlen in Aussicht stellen möchte". In seiner Antwort vom 12. April 1956 griff Adenauer diese Sorge des Staatssekretärs auf: „Auch darüber müssen wir sprechen." 24 Gleichzeitig wollte er es von Globkes Antwort abhängig machen, ob er, wie im Vorjahr, wiederum („in diesem Wahljahr") an der „Lossprechung von Handwerkslehrlingen" in Essen teilnehmen solle. 25 Mit einer einzelnen, aber besonders gewichtigen Entscheidung Globkes war der Bundeskanzler, weil sie ihn dessen Rat auf Dauer gekostet hätte, nicht einverstanden; denn der Staatssekretär beabsichtigte - was bisher nicht bekannt war - im Spätjahr 1956, für die Bundestagswahl 1957 in Aachen zu kandidieren. Das teilte er am 4. Dezember 1956, nach einer Aufzeichnung vom selben Tage 26 , dem Bundeskanzler mit, der - darüber offensichtlich überrascht - erwidert habe, „daß er nach den Bundestagswahlen noch ein Jahr lang die Regierung fuhren wolle, denn die Bevölkerung werde enttäuscht sein, wenn er zwar den Wahlkampf bestritten habe, sich aber nicht mehr zur Verfügung stelle. Sein Nachfolger werde mich sicher als Staatssekretär übernehmen." Auch gegen eine von Globke als möglich erachtete nachgeordnete Platzierung auf der Landesliste - um gegebenenfalls erst zu einem späteren Zeitpunkt nachzurücken - erhob der Kanzler Bedenken, weil man daraus den „Schluss ziehen werde, dass er nicht an einen Sieg der CDU bei der Wahl glaube und mir deshalb eine andere Position verschaffen wolle." Nach dieser Begründung war für Globke die Absicht einer Bundestagskandidatur erledigt. 21
Adenauer, Briefe 1953-1955 (Anm. 1), S. 97. Jacobs, Globke (Anm. 17), S. 483 f. 23 StBKAH (Anm. 7), III/17. 24 Vgl. Schwarz, Adenauer (Anm. 10), S. 266. 25 StBKAH (Anm. 7), III/17. 26 Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin (künftig: ACDP), Nachlass Globke 59/3. 22
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Auf Adenauers eher rhetorische Frage vom 6. Februar 1958 aus Vence an Globke, „Was will Gerstenmaier eigentlich?" 27 - der einen Friedensvertrag für Deutschland angeregt hatte - , erwartete der über diese Initiative des Bundestagspräsidenten verärgerte Kanzler schwerlich eine Antwort. Umgekehrt umschrieb der Staatssekretär seinen Rat zu einem Memorandum von Verteidigungsminister Strauß über die Stationierungskosten für die Rheinarmee, das er am 11. Februar 1958 dem Bundeskanzler in dessen Urlaubsdomizil übermittelte, mit dem Satz, dass es zwar „viel Richtiges" enthalte, aber die „aus der englischen Haltung entstehenden Schwierigkeiten" nicht genügend in Rechnung gestellt seien.28 Einen Tag später machte Adenauer (aus Vence) den Staatssekretär mit „einigen Gedanken zur Vorbereitung" von dessen Besuch vertraut. Dazu zählte die Überlegung, dass der Bundeskanzler künftig viel stärker als bisher „von weniger wichtigen Fragen befreit werden" müsse, zumal er „naturgemäß mit zunehmendem Alter auch schonungsbedürftiger wird". Für eine „absolute Notwendigkeit" hielt er eine gleichzeitige „sehr starke Entlastung" Globkes, und zwar durch einen eigenen Unterstaatssekretär im Kanzleramt. 29 Zu einer in diesem Zusammenhang vorgesehenen Umorganisation des Bundeskanzleramts kam es jedoch nicht, da der Bundestag die Stelle nicht bewilligte. 30 Am 21. August 1958 lag Adenauer (aus Cadenabbia)31 an Globkes Meinung zu den technischen Vorbereitungen seiner bevorstehenden „Fahrt nach Colombey" - zum ersten Treffen mit de Gaulle - und über den Termin der Ankündigung dieses Besuchs. Ferner sollte sich der Staatssekretär den Vorschlag einer Note an die Sowjetunion - als Antwort auf eine Einmischung Chruschtschows „in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik" - überlegen und sich darüber mit Brentano verständigen. 32 A m 28. August 1958 informierte Adenauer (aus Cadenabbia) Globke über seine Absicht, nach seiner Rückkehr mit ihm über einen jüngst abgegangenen Brief Brentanos an den US-Außenminister Dulles zu sprechen. Weiter sollte der Staatssekretär überlegen, wie man in einer vom Auswärtigen Amt vorgelegten „Liste der Einzuladenden" für einen UNESCO-Empfang - die keinen „guten Querschnitt unserer Wissenschaftler" enthalte - , deren „Durchschnitt verbes-
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Adenauer, Briefe 1957-1959 (Anm. 1), S. 61. StBKAH (Anm. 7), HI/17. 29 Jacobs, Globke (Anm. 17), S. 457 ff.; Mensing, „Es ist alles auf mich konzentriert" (Anm. 2), S. 49 f. 30 Schmidtke, Bundeskanzler (Anm. 6), S. 84. 31 Seit dieser Zeit verbrachte Adenauer seinen Urlaub, in der Regel zweimal im Jahr, nur noch in Cadenabbia. 32 Adenauer, Briefe 1957-1959 (Anm. 1), S. 140 f. 28
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sern" könne. 33 Am 15. April 1959 erwartete der Bundeskanzler (aus Cadenabbia) von Globke einen Rat, „was man tun" solle, um Falschmeldungen über die Stellung der Bundesregierung zum Vorschlag einer militärisch verdünnten Zone in Europa „klarzustellen". 34 Den Anfang April 1959 gefassten Entschluss Adenauers zur Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten unterstützte Globke. 35 Am 15. April 1959 erwartete der Bundeskanzler von ihm einen Vorschlag, um Wirtschaftsminister Erhard, der eine „beängstigende Reklame" für seine Kanzlerkandidatur mache, „abstoppen" zu können. 36 Am 21. Mai 1959 war es Globke, der, vermutlich als Erster, den Bundeskanzler - der inzwischen schwankend geworden war - darauf aufmerksam machte, dass eine etwaige Rücknahme seiner Kandidatur „große Bestürzung und Aufregung" verursachen würde. 37 Am 15. August 1959 übermittelte Adenauer (aus Cadenabbia) Globke eine ,Anzahl von Punkten", die er in Kürze mit US-Präsident Eisenhower in Bonn besprechen wollte, um sie auf „ihre Vollständigkeit zu prüfen" und gegebenenfalls zu ergänzen. 38 A m 7. Januar 1960 erwartete Adenauer Globkes Stellungnahme zu einem Revirement im Auswärtigen Dienst und zu einer Organisation des Bundeskanzleramts, die es ihm selbst und Globke ermögliche, „die Hände bis zur Wahl im Jahre 1961 freizubekommen". 39 Am 28. Mai 1960 erkundigte sich Adenauer (aus Cadenabbia), ob er wegen seiner Besorgnisse über den Kurs der Eisenhower-Regierung „offen" mit dem Gewerkschaftsführer Meany sprechen könne. Gleichzeitig sollte der Staatssekretär „überlegen", ob es nicht möglich sei, „noch einen oder zwei wirklich tüchtige Journalisten zu bekommen"40 für den Bundestagswahlkampf 1961. Am 3. Juni 1960 erhielt der Staatssekretär
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Adenauer, Briefe 1957-1959 (Anm. 1), S. 151 f. Adenauer, Briefe 1957-1959 (Anm. 1), S. 248. 35 ACDP (Anm. 26), 52/2; Bach, Adenauer (Anm. 9), S. 182. 36 Adenauer, Briefe 1957-1959 (Anm. 1), S. 249. 37 21. Mai 1959. Jacobs, Globke (Anm. 17), S. 463. H. Osterheld hat Adenauers Rückzug von der Kandidatur als Beispiel dafür genannt, dass er sich in diesem Fall nicht nach Globkes Rat gerichtet habe. Der Staatssekretär (Anm. 10), S. 104. Zu den offensichtlich seltenen Fällen, in denen Adenauer politisch brisante Schriftstücke mit Globke nicht besprochen hat, gehört sein Briefwechsel (aus Cadenabbia) mit Bundespräsident Heuss vom 9./13./14. April 1959; Adenauer, Briefe 1957-1959 (Anm. 1), S. 235-240, in dem Adenauer nach der Ankündigung seiner Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten die Arbeit von Heuss „zu gering eingeschätzt4' hatte. Vgl. E. Pikart (Hrsg.), Theodor Heuss, Tagebuchbriefe 1955/1963, Tübingen 1970, S. 423, 425. 38 Adenauer, Briefe 1957-1959 (Anm. 1), S. 318. Adenauers Aufstellung ist diesem Brief angefügt, S. 318 f. 39 Adenauer, Briefe 1959-1961 (Anm. 1). Wenige Tage zuvor, am 4. Januar 1960, hatte Krone notiert: „Globke krank. Er ertrinkt in Arbeit." Tagebücher (Anm. 3), S. 2. 40 ACDP (Anm. 26), 52/2. 34
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den Auftrag, mit Krone zu beraten, „wie man unsere Berliner Partei von dieser Hörigkeit gegenüber Brandt befreien" könne. 41 A m 4. Juli 1960 brauchte der Bundeskanzler von dem in Badgastein kurenden Globke dessen „guten Rat in der Krankenkassensache" - einer seit Jahren geplanten Reform der Krankenversicherung - , von deren Ausgang „sehr wohl das Ergebnis" der nächstjährigen Bundestagswahlen abhängen könne. Konkret erfragt waren Namen von „Leuten, die einen Gesetzentwurf machen können". 42 A m 29. August 1960 erwartete Adenauer (aus Cadenabbia) - nach dem Ausscheiden von Vertriebenenminister Theodor Oberländer aus dem Kabinett - einen Vorschlag Globkes für die Besetzung eines eventuell aus dem bisherigen Gesamtdeutschen Ministerium und dem Vertriebenenministerium gebildeten neuen Ressorts: „Wenn Sie einen Besseren als Stingi [CSU-MdB] kennen, nennen Sie ihn mir bitte." 43 Gleichzeitig drängte der Bundeskanzler auf einen Namensvorschlag für den Intendanten der von der Bundesregierung geplanten „Deutschland-Fernsehen GmbH". 4 4 Zwei Tage später übermittelte Adenauer seinen Ärger über jüngste Stellungnahmen von Ministerpräsident Peter Altmeier gegen dieses Fernsehprojekt. Er gedachte zwar, dagegen „nichts mehr zu tun", wollte aber die Entscheidung Globke überlassen. 45 A m 3. September 1960 lag dem Bundeskanzler (aus Cadenabbia) an dessen Ansicht über eine von der Bundesbank vorgeschlagene Erhöhung des Wechselkurses der D M . 4 6 Vier Tage später akzeptierte der Regierungschef die ihm übermittelte Ansicht des Staatssekretärs, die Notstandsgesetzgebung intensiv weiterzuverfolgen. Gleichzeitig erwartete er von ihm einen Rat auf die Frage, ob man nicht bei „nichtgewerbsmäßigem Landesverrat noch eine Mindeststrafe vorsehen" müsse.47 In der Woche darauf war der Bundeskanzler mit einem in seiner Abwesenheit gefassten Berlin-Beschluss des Bundeskabinetts so wenig zufrieden, dass es Krone und Globke Mühe kostete, den „Italienurlauber" von einer sofortigen
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Adenauer, Briefe 1959-1961 (Anm. 1). Adenauer, Briefe 1959-1961 (Anm. 1); Schwarz, Adenauer (Anm. 10), S. 621. 43 ACDP (Anm. 26), 52/2. Am 1. September 1960 riet Globke von einer Zusammenlegung oder personellen Verbindung der beiden Ressorts „im gegenwärtigen Augenblick" ab. Es blieb bei der Trennung der Ministerien, obwohl Adenauer sie (am 5. September 1960 an Globke) für „Unsinn" hielt. Adenauer, Briefe 1959-1961 (Anm. 1). 44 Adenauer, Briefe 1959-1961 (Anm. 1). 45 Adenauer, Briefe 1959-1961 (Anm. 1). 46 Adenauer, Briefe 1959-1961 (Anm. 1). 47 Adenauer, Briefe 1959-1961 (Anm. 1). Am 7. September 1960 antwortete Globke, dass mit Justizminister Schäffer über die Strafrechtsreform „auf der Grundlage" des Kanzlerschreibens „eine völlige Einigung erzielt worden" sei. StBKAH (Anm. 7), III/17. 42
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Rückkehr abzuhalten.48 A m 9. Dezember 1960 beklagte sich Adenauer bei Globke über einen „Mangel in unserer Organisation", der dazu führe, dass er „über die großen Entwicklungen und Zusammenhänge innenpolitisch wie außenpolitisch" nicht umfassend genug informiert werde. Er vermisste eine Art von „Gehirntrust", der diese Arbeit leisten könne, und erwartete von Globke entsprechende Vorschläge. 49 A m 16. März 1961 erbat Adenauer (aus Cadenabbia) auf Grund einer Anregung des Auswärtigen Amtes, zu Beginn des Eichmann-Prozesses über den Rundfunk zu sprechen, eine Stellungnahme Globkes. 50 A m folgenden Tage riet dieser dem Bundeskanzler dazu, der Herausgabe einer von ihm bisher „beanstandeten Briefmarkenserie" zuzustimmen, zumal der entsprechende Plan des Bundespostministers Stücklen bereits in „weiten Kreisen" bekannt sei und ihm die beiden Kirchen zugestimmt hätten.51 Am 22. Juli 1961 erwartete Adenauer (aus Cadenabbia) auch von Globke Vorschläge fur das „offizielle Wahlprogramm" der CDU im laufenden Bundestagswahlkampf. 52 Fünf Tage später lag ihm an dessen Rat über eine Stellungnahme zu einer Rede des US-Präsidenten Kennedy und zum „Regierungsprogramm" des SPD-Kanzlerkandidaten Brandt. 53 Am 30. Juli 1961 übermittelte der Bundeskanzler nach Bonn einen bereits von ihm unterzeichneten Brief an Finanzminister Etzel, den der Staatssekretär weiterleiten sollte, wenn auch er damit „einverstanden" sei. 54 A m 30. August 1961 hielt der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Krone fest, dass „unsere Chefredakteure" dem Bundeskanzler wegen dessen Wahlreden „hart zugesetzt" hätten: „Globke und ich hatten dem Kanzler das schon ein dutzendmal gesagt."55 48 14. September 1960. Krone, Tagebücher (Anm. 3), S. 445. Erwähnt bei D. Kosthorst, Brentano und die deutsche Einheit, Düsseldorf 1993, S. 342. 49 Adenauer, Briefe 1959-1961 (Anm. 1). Dazu vgl. Mensing, „Gehirntrust" (Anm. 2). 50 Adenauer, Briefe 1959-1961 (Anm. 1). Am 10. April 1961 nahm Adenauer in einer Fernsehansprache Stellung. Vgl. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 11. April 1961, S. 641. 51 StBKAH (Anm. 7), III/17. Adenauer erklärte sein Einverständnis. 52 Adenauer, Briefe 1959-1961 (Anm. 1). 53 Adenauer, Briefe 1959-1961 (Anm. 1). 54 StBKAH (Anm. 7), III/17. Nach einem handschriftlichen Vermerk auf diesem Schreiben ist der Brief „unverändert abgegangen". Ebenso verfuhr der Bundeskanzler am 28. März 1962 mit einem Schreiben an Bundesminister Strauß (ebd.). 55 Tagebücher (Anm. 3), S. 527. Nach dem kurz zuvor (13. August 1961) erfolgten Beginn des Mauerbaus in Berlin hat Globke - nach dem Urteil von H. Osterheld - nicht „entschieden genug" darauf insistiert, dass Adenauer umgehend die bedrängte Stadt aufsuchte. Der Staatssekretär (Anm. 10), S. 104. In einem achtseitigen, undatierten Vermerk Globkes über Adenauers Verhalten in der Berlinkrise vom 11. August 1961 - einen Tag nach der Rückkehr aus Cadenabbia - bis zum 12. September 1961 fehlt jeder Hinweis auf seine eigene Einschätzung der Situation. ACDP (Anm. 26), 25/4.
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A m 8. Oktober 1961 notierte Krone, dass es ihn „doch ergriffen" habe, als Adenauer vor einigen Tagen „so menschlich und offen davon sprach, wie er alles mit Globke bespreche und wie er auf ihn und seinen Rat angewiesen" sei. 56 Am 19. März 1962 erkundigte sich Adenauer bei Globke wegen eines Nachfolgers für von Eckardt im Bundespresseamt und für Botschafter Grewe in Washington.57 A m 28. September 1962 informierte Adenauer (aus Cadenabbia) Krone und Globke „streng geheim" über seine „Pflicht", in der ihm als Kanzler verbleibenden Jahresfrist noch konkret erwähnte „Lebensfragen" zu lösen und deswegen von „allen übrigen Arbeiten möglichst verschont" zu bleiben. Beide sollten Maßnahmen überlegen, um Krones neues Sonderministerium oder das Bundeskanzleramt personell zu verstärken, weil „diese beiden Stellen mehr als bisher selbständig entscheiden" sollten. 58 A m 19. November 1962 schlug Globke (aus Badgastein) dem Bundeskanzler im Zuge der „Spiegel-Affäre" vor, Verteidigungsminister Strauß, unter Beibehaltung seines Bundestagsmandats, als Ministerpräsident nach München ziehen zu lassen und Kai Uwe von Hassel (CDU) oder Hermann Höcherl (CSU) zum Verteidigungsminister zu berufen. 59 Adenauer berief Hassel. Die zitierten Beispiele bestätigen und konkretisieren das bereits von kundigen Zeitgenossen übereinstimmend formulierte Urteil über Globke als Adenauers „weitaus wichtigstem Berater", mit dem er „alles besprochen" habe.60 Heinrich Krone hat bei Globkes Ausscheiden 1963 betont, dass er die Politik seit 1949 mehr „mitgeführt habe, als das je bekannt werden wird". 6 1 Adenauer hatte dieses Urteil bereits in seinem Glückwunsch vom 8. September 1958 zum 60. Geburtstag des Staatssekretärs mit einem bei ihm einzigartigen Lob vorweggenommen: „Ohne Sie, ohne unser so harmonisches und treues Zusammenarbeiten hätten wir die Erfolge nicht erreicht, die wir erreicht haben."62 Eine GlobkeBiographie ist ein Desiderat.
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8. Oktober 1961. Tagebücher (Anm. 3), S. 540. StBKAH (Anm. 7), 10.45. 58 Schwarz, Adenauer (Anm. 10), S. 768 f. 59 ACDP (Anm. 26), Nachlass Krone 11/3. 60 So Osterheide Staatssekretär (Anm. 9), S. 101, 105. Krone am 10. September 1963: „Der große Ratgeber des großen Kanzlers. Er diente der Freiheit." Tagebücher 1961-1966 (Anm. 3), S. 221. 61 Der Berater Adenauers, in: Gotto (Hrsg.), Staatssekretär (Anm. 4), S. 17. 62 Briefe 1957-1959 (Anm. 1), S. 158. Vgl. auch die letzte Würdigung Globkes bei Franz Walter und Kay Müller, Die Chefs des Kanzleramtes, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 32 (2002); S. 474-501, hier S. 475-479. 57
Die nationale Regierungszentrale in Frankreich im Vergleich zum Deutschen Bundeskanzleramt Von Axel Murswieck, Heidelberg
I. Einleitung Regierungschefs sind zur Wahrnehmung ihrer Funktionen auf Unterstützung angewiesen. Der Auf- und Ausbau von Regierungszentralen in modernen westlichen Demokratien dokumentiert diesen zunehmenden Bedarf an Unterstützung. Dem Bundeskanzler steht hierfür das Bundeskanzleramt zur Verfügung. Anders als in Deutschland gibt es in Frankreich kein alleiniges Amt, das diese Aufgaben wahrnimmt, sondern mehrere. Hinzu kommt, dass in Frankreich die organisatorischen und funktionalen Anforderungen an die Regierungszentrale im Kontext der exekutiven Dyarchie des französischen Regierungssystems zu betrachten sind.1 Der Premierminister ist Chef der Regierung, und für die Leitung der Regierungsgeschäfte verfügt er verfassungsgemäß über die gesamte Staatsverwaltung. Der französische Staatspräsident hat nur wenig formale Kompetenzen gegenüber dem permanenten Regierungsapparat. Seine verwaltungsmäßige Unterstützung erhält er hauptsächlich über sein eigenes Amt, dem Maison du Président (L'Elysée) ausgestattet mit einem Secrétariat général de la Présidence mit einem Secrétaire général an der Spitze als zentrale Einheit für die administrativen und politischen Führungsaufgaben. Vom Tätigkeitsprofil her lässt sich das Secrétariat général mit dem Cabinet du Premier ministre vergleichen. Etwa 200 Mitarbeiter arbeiten im Elysée. Rechnet man die diversen technischen Dienste hinzu, stehen dem Präsidenten zwischen 700 und 800 Mitarbeiter zur Disposition. Hingegen umfassen die gesamten Dienste des Premierministers um die 5000 Personen.2 Die permanenten programmatischen und operativen Regierungsgeschäfte sind ohne den Premierminister und seinen Regierungsapparat nicht zu erledigen. Das gilt auch für Zeiten übereinstimmender präsidentieller und parlamentarischer Majoritäten. Ohne die Regierungszentrale des Premierministers 1 R. Elgie, French Semi-Presidentialism in Context, in: R. Elgie (Hrsg.), SemiPresidentialism in Europe, New York 1999, S. 75-85. 2 J. Massoty Chef de l'Etat et chef du gouvernement: Dyarchie et hiérarchie, Paris 1993, S. 154 ff.
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kann der Präsident seine Programmziele politisch-administrativ nicht umsetzen. Wie auch immer sich die Machtbalance zwischen Präsident und Premierminister bei unterschiedlichen politischen Konstellationen (etwa in Zeiten der „cohabitation") verschiebt, die Regierungszentrale des Premierministers, wie jede andere Regierungszentrale, hat ein bestimmtes Leistungspotential institutionell vorzuhalten. 3 Ihre Organisation und ihre Funktionen stehen im Folgenden im Mittelpunkt der vergleichenden Betrachtung, ergänzt durch die Verwendung der Kategorien des funktionalen Regierungsbegriffs. 4
I I . L'Hôtel Matignon: Die französische Regierungszentrale Anders als in Deutschland besteht die Regierungszentrale aus 60 verschiedenen eigenständigen unterstützenden Einheiten5 (les services du Premier ministre). Von diesen sind für die politische Koordination der Regierungsarbeit fünf Einheiten von besonderer Bedeutung: -
Das Generalsekretariat der Regierung: SGG - Secrétariat Gouvernement,
-
Das Kabinett des Premierministers: cabinet du Premier Ministre,
-
Das Generalsekretariat für die Europapolitik: SGCI - Secrétariat Général du Comité Interministériel pour les questions de coopération économique européenne,
-
Das Generalsekretariat für die Verteidigungspolitik: SGDN - Secrétariat Général de la Défense Nationale,
-
Informationsamt Gouvernement.
der Regierung: SIG -
Général du
Service d'Information
du
Die ersten drei Einheiten sollen vorgestellt werden. Sie bilden den Kern der Regierungszentrale. Sie haben sich im Laufe der Zeit zu wirkungsvollen politischen und administrativen Stabsstellen („états-majors") entwickelt und lassen 3
K. König, Staatskanzleien. Funktionen und Organisation, Opladen 1993, S. 19. Zur Rolle der Regierungszentrale bei Verschiebungen im Machtverhältnis von Präsident und Premierminister vgl. auch Elgie, French Semi-Presidentialism (Anm. 1) und R. Elgie, Staffing the Summit: France, in: B. G. Peters/R. A. W. Rhodes/V. Wright (Hrsg.), Administering the Summit, Basingstoke 2000, S. 225-244. 4 H.-U. Derlien , Regieren - Notizen zum Schlüsselbegriff der Regierunglehre, in: H.-H. Hartwich/G. Wewer (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik, Opladen 1990, Bd. I, S. 77-88. Ferner Κ König/T. Knoll, Bundeskanzler, Regierungsfunktionen, Regierungszentrale, in: R. Graf von Westphalen (Hrsg.), Deutsches Regierungssystem, München 2001, S. 289-311, insbes. S. 304 ff. 5 Zur Organisation, Funktion und zum Aufbau der Einheiten vgl. auch die Internetseite des Premierministers www.premier-ministre. gouv.fr , Stand Januar 2003.
Die nationale Regierungszentrale in Frankreich und Deutschland
399
sich nicht mehr einfach als die „entourages" der Premierminister umschreiben. Sie sind es, die den Regierungschef mit den notwendigen Ressourcen ausstatten, es ihm ermöglichen, die Regierungsgeschäfte zu leiten - „diriger l'action du gouvernement" (Art. 21 der Verfassung). 6
1. Das Generalsekretariat der Regierung - SGG Die Gründung des SGG geht auf das Jahr 1935 zurück, als der Ruf nach Unterstützungsdiensten für den Regierungschef (damals Président du Conseil) immer dringlicher wurde. 7 Es ist zwar dem Premierminister direkt unterstellt, dient aber der gesamten Regierung. Die Funktionen des SGG sind weder in der Verfassung noch in einem Gesetz festgelegt. Lediglich in einer 1947 erlassenen Geschäftsordnung der Regierung werden einige seiner Aufgaben (u.a. Kabinettsvorbereitung) erwähnt, so dass sich die eigentliche Funktionszuordnung aus der Regierungspraxis ergab. Auch das Bundeskanzleramt wird weder im Grundgesetz noch in der Geschäftsordnung der Bundesregierung hinsichtlich seiner Aufgaben erwähnt. Seine Hauptfunktionen erschließen sich aber aus den drei in Artikel 65 GG genannten Regierungsprinzipien. 8 Nicht verändert hat sich das SGG als Scharnier zwischen Politik und Verwaltung in seinem Verständnis als administrative Einheit. Dieses traditionelle Element kommt auch in der langen, Regierungen überstehenden Amtszeit seiner Leiter - dem Secrétaire Général - zum Ausdruck. So hat der bekannte Generalsekretär Segalat von 1946 bis 1958 21 Regierungschefs gedient. Von 1947 bis heute gab es nur sieben Generalsekretäre. Das SGG ist in jeder Hinsicht Sinnbild für die Permanenz der französischen Ministerialbürokratie. Mit einem moderaten Personalbestand (1935: 25, 2003: 41) agiert das SGG hinter den Kulissen des Regierungsapparates. Vier Funktionen lassen sich unterscheiden. An erster Stelle steht die Organisation der Regierungsarbeit. Es ist in jeder Phase des politisch-administrativen Entscheidungsprozesses eingeschaltet und kontrolliert die Aufgaben- und Ablaufplanung bis hin zur Tagesordnung (in Abstimmung mit dem Präsidentenamt) des Ministerrates (Conseil des ministres). Es begleitet oder leitet sehr oft die verschiedenen interministeriellen Koordinationsprozesse, beginnend mit den sogenannten réunions interministérielles. Bei diesen handelt es sich um erste Abstimmungsprozesse zu Vorlagen und Gesetzesentwürfen der einzelnen Res-
6 P. Avril , Diriger le gouvernement, in: Pouvoirs No. 83, Le Premier Ministre, Paris 1997, S. 31-40 (34). 7 Zur Entstehungsgeschichte vgl. auch M. Long, Les Services Du Premier Ministre, Aix-en-Provence 1981, S. 60 ff. 8 König/Knoll, Bundeskanzler (Anm. 4), S. 307.
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sorts. Die Ergebnisse der Sitzungen werden protokolliert und als verbindliche Entscheidungsgrundlagen fur die nächsten Phasen der interministeriellen Koordination (comités interministériel und conseil interministériels) dem betreffenden Ressort zugeleitet. Über nichts kann in der Regierung entschieden werden, wenn es nicht durch das SGG aktenkundig gemacht wurde - „bleui " wie es im administrativen Fachjargon genannt wird. 9 Das SGG wirkt hier als Urkundenbeamter des staatlichen Entscheidungsprozesses (greffier de la République)} 0 Die ständige Beobachtung und Begleitung der einzelnen Phasen von Entscheidungsprozessen macht das SGG unentbehrlich fur den Premierminister. Neben seinen eigenen Beratern aus seinem Kabinett, die ebenfalls die Sitzungen begleiten, ist das SGG jedoch die einzige Instanz, die den Gesamtüberblick hat und die Kontinuität der Regierungsarbeit sichert. Obwohl stets eine politische Beratungs- und Koordinationsfunktion vom Generalsekretär verneint und abgelehnt wird, kann sein nicht selten maßgeblicher Einfluss auf den Premierminister nicht übersehen werden. Zu betonen bleibt jedoch, dass die unangefochtene Rolle des Amtes als zentrale Koordinationsinstanz nur akzeptiert wird, weil die Grundorientierung einer Trennung von Politik und Verwaltung glaubwürdig eingehalten wird. Die politische Autorität des Premierministers gegenüber dem Regierungsapparat wäre ohne die administrative Autorität des SGG schwer vorstellbar. Über den engeren Bereich der Policy-Koordination hinaus hat das Amt ergänzende Organisationsaufgaben gegenüber dem Parlament und dem Staatsrat (Conseil d'Etat). Gemeinsam mit dem jeweiligen Minister für die Beziehungen zum Parlament sorgt es für den parlamentarischen Ablauf von Regierungsvorlagen. Vor dem Conseil d'Etat , dem alle Gesetzesvorlagen vor Überleitung in das Parlament zur Begutachtung vorzulegen sind, vertritt das SGG den Premierminister. In diesen Zusammenhang fällt auch die zweite Funktion des Amtes, nämlich die einer allgemeinen Rechtsberatung der Regierung. Die dritte bedeutende Funktion bezieht sich auf den Prozess der Regierungsbildung. Im Gegensatz zu den Mitgliedern des cabinet des Premierministers bleiben der Generalsekretär und seine Mitarbeiter bei einem Regierungswechsel im Amt. Das SGG unterstützt die Installation einer neuen Regierung von der Logistik über die Einarbeitung in prozeduale Regelwerke bis hin zur Information über noch anstehende Gesetzes- oder Reformvorhaben. Es gilt als Garant der Kontinuität der Regierungsarbeit bei Regierungswechseln. So ist etwa die rei-
9 Der Ausdruck bezieht sich auf die blaue Farbe (bleu) des Papiers, auf dem Verhandlungsergebnisse und Entscheidungen von interministeriellen Abstimmungen (oder Sitzungen allgemein) festgehalten werden. Vgl. auch G. Carcassonne , Ce que fait Matignon, in: Pouvoirs No. 64, Qui gouverne la France?, Paris 1994, S. 31-44 (34). 10 Zu den Funktionen vgl. auch Documents d'études , Le Gouvernement de la Cinquième République, No. 1, 23 édition, Paris 2002, S. 43 ff.
Die nationale Regierungszentrae in Frankreich und Deutschland
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bungslose Transition bei der Machtübernahme durch Mitterand 1981 auf die zentrale Rolle des SGG und seines damaligen Generalsekretärs Long zurückgeführt worden. Als letzte Funktion des Generalsekretariats ist die Aufsicht und Verwaltungskontrolle über alle Dienste des Premierministers, verbunden mit einer zentralen Rolle bei der Verwaltungsmodernisierung, zu erwähnen. Die Funktionen des Amtes werden durch eine horizontale (Moderation des Parlamentsprozesses bis zur Verkündung im Gesetzblatt) und eine vertikale Organisationsstruktur sichergestellt. Vertikal wird die ressortbezogene Organisationsstruktur des cabinet des Premierministers nachvollzogen, in dem die Basiseinheiten des Amtes sich ebenfalls an den Ressortkompetenzen orientieren. Das Konzept der Spiegelreferate im Bundeskanzleramt findet sich sowohl im cabinet des Premier Ministre als auch im SGG wieder. Wenn viele Einzelaufgaben des SGG (Kabinettssekretariat/Koordination durch Datenblätter/partielle Policy-Beratung/Beteiligung an interministeriellen Koordinationsprozessen) sich auch dem Bundeskanzleramt zuordnen lassen, so hat das letztere jedoch bezüglich der administrativen Ressortkoordination bei den Regierungsaufgaben eine sehr viel schwächere Stellung. Ein die Funktionen des SGG begrenzendes Ressortprinzip kennt die französische Regierungsorganisation nicht. Auch eine ähnliche Rolle bei Regierungsbildungen kann das Bundeskanzleramt nicht wahrnehmen. 1 1
2. Das Cabinet du Premier Ministre Das cabinet des Premierministers wie auch die entsprechenden cabinets ministériels bei den einzelnen Ressortministern gelten als Besonderheit der französischen Regierungsorganisation. Im Unterschied zum SGG handelt es sich bei den cabinets um politische Beratungsgremien zur politischen Unterstützung des Regierungschefs und seiner Minister. Auch die cabinets als politische Beratungsgremien haben tiefe historische Wurzeln, die bis in die III. Republik zurückreichen. 12 Die Zahl der Berater im cabinet des Premierministers hat ständig zugenommen. Lag die Zahl der Mitarbeiter in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts noch bei um die 15, sind heute zwischen 50 und 60 Personen im cabinet beschäftigt.
11
Vgl. auch K. König, Der Regierungsapparat bei der Regierungsbildung nach Wahlen, in: H.-U. Derlien/A. Murswieck (Hrsg.), Regieren nach Wahlen, Opladen 2001, S. 15-38. 12 Vgl. dazu C. Bigaut, Les cabinets ministériels, Paris 1997, S. 48 ff.
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Axel Murswieck 26
Chirac (1974)
21
Pompidou 1 (1962)
16
Barre 1 (1976)
Pompidou 11 (1962)
22
Barre II (1977)
Pompidou III (1966)
22
Pompidou IV (1967)
23
Debré (1959)
Rocard II (1988)
43
30
Cresson (1991)
54
27
Bérégovoy (1992)
38
Barre 111 (1978)
28
Balladur (1993)
27
Mauroy 1(1981)
28
Juppé I (1995)
39
Mauroy 11(1981)
39
Juppé 11 (1995)
38
32
Mauroy 111 (1983)
32
Jospin (1997)
59
30
Couve de Murville (1968) 25 Chaban-Delmas (1969) Messmer I (1972)
27
Fabius (1984)
Messmer 11 (1973)
28
Chirac (1986)
35
Messmer III (1974)
30
Rocard I (1988)
38
1
Raffarin (2002)
58
Quelle: Documents d'études , Le Gouvernement de la Cinquième République, No. 1.23 édition 2002, Paris, S. 48. a
) aus der Intemetseite des Premierministers , Stand Januar 2003.
Anzahl der Mitarbeiter in den Cabinets du Premier Ministre (1959 - 2002)
Fluktuationen in der Mitarbeiterzahl erklären sich u.a. im Fehlen verbindlicher Vorschriften ihrer Begrenzung. Die Premierminister (als auch Minister) haben faktisch ein autonomes Bestellungsrecht, auch wenn seit den achtziger Jahren die Premierminister immer wieder versuchten, durch zahlenmäßige Vorgaben die Aufblähung zu begrenzen. 13 Neben den offiziellen Mitarbeitern gibt es noch offiziöse (clandestins) Mitarbeiter, die außerhalb der Struktur des cabinet stehen und meist enge persönliche Vertraute des Regierungschefs sind und von ihm mit besonderen Aufgaben beauftragt werden. Für die Zusammensetzung der Mitglieder des cabinet des Premierministers war und ist charakteristisch, dass die Mitarbeiter sich vor allem aus der „Hohen Beamtenschaft" (Grands Corps Administratifs) rekrutieren und Absolventen der „Ecole Nationale d'Administration (ENA)", also der Kaderschmiede der Verwaltungselite sind. 14 Mitglieder der Grands Corps werden für das cabinet abgeordnet und kehren nach Ausscheiden in ihre Dienste zurück, von denen sie auch bezahlt werden. Das gilt auch ganz allgemein für sonstige Abordnungen aus den Ministerien. Es lassen sich Verschiebungen in der Zusammensetzung verzeich13 Premierminister Jospin hat beispielsweise 1997 darauf verzichtet, allgemeine Richtwerte für die Mitgliederzahl bei den einzelnen Ministerien festzulegen, da die Erfahrung gezeigt hatte, dass diese nie eingehalten werden. Er führte vertragliche Vereinbarungen mit den einzelnen Ministerien ein (Projet de loi de finances pour 2002: Cabinets ministériels, Note de présentation). 14 Zu den wichtigsten fünf Grands Corps (auf die sich die zitierten Angaben auch beziehen) gehören: Conseil d'Etat, Cour des Comptes, Inspection des Finances, Le corps préfectoral et Le corps diplomatique. Vgl. für eine Überblicksanalyse L. Rouban, Les entourages de l'Elysée et de Matignon: 1974-1997, in: Revue administrative No. 302-304, Paris 1998.
Die nationale Regierungszentrale in Frankreich und Deutschland
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nen. Der Anteil der Grands Corps Administratifs ist von 41,7 % zwischen 1958 und 1974 auf 30% zwischen 1974 und 1997 geschrumpft. Die Anzahl der ENA-Absolventen variiert mit der Parteifärbung der Regierung. Bei Rechtsregierungen liegt deren Anteil jeweils um 50 %, bei Linksregierungen um 30 % bis 40 %. Eine Ausnahme bilden die Leiter («directeurs ) und stellvertretenden Leiter (directeurs-adjoints ) der cabinets in diesem Zeitraum. 52 % der Direktoren und 93 % der Stellvertreter waren ENA-Absolventen. Obwohl Mitglieder des cabinet des Premierministers bei Eintritt nur ganz selten ein politisches Mandat innehaben, lässt sich bei 45 % von ihnen jedoch eine politische Aktivität in ihrer Biographie nachweisen. Schließlich schwankt der Anteil von dem Premierminister über lange Zeit loyal Verbundenen (Fidèles) um 30 %. Das cabinet zeichnet sich in seiner personellen Zusammensetzung durch eine hochgradige administrative und politische Kompetenz aus. Der Direktor ist persönlicher Vertrauter und erster Berater des Premierministers. Er ist Nadelöhr für alle Entscheidungsprozesse. Die Aufgabenverteilung auf der sektoriellen Ebene der conseiller und der stärker operativen Ebene der conseillers techniques orientiert sich an den jeweiligen Ressortaufgaben. Das cabinet lenkt, gestaltet und koordiniert über die institutionalisierten interministeriellen Entscheidungsgremien (réunions-comités-conseils) die Regierungspolitik. Hierzu gehört auch die unter Premierminister Jospin eingeführte montägliche Sitzung der Direktoren der Ministerialkabinette unter Leitung des Direktors des cabinet des Premierministers. Das Kabinettssystem insgesamt hatte auch immer die Stoßrichtung, sich gegenüber der allgemeinen Ministerialverwaltung und vor allem ihren Direktoren durchzusetzen. Die politische Koordinations- und Gestaltungsfähigkeit des cabinet beschränkt sich nicht nur auf den regierungsinternen Bereich, sondern greift auf parlamentarische und interessenpolitische Arenen über. Im Vergleich zum Bundeskanzleramt hat das cabinet eine genuine politische Steuerungsfunktion. Diese faktische Betrachtung sagt natürlich noch nichts über die Effektivität dieser Aufgabenwahrnehmung aus. Da, wie erwähnt, bei jedem Premierministerwechsel auch das gesamte cabinet ausscheidet, muss jedes cabinet erneut seine Unterstützungsaufgabe für den Premierminister organisieren. Dass dies nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann, zeigt der vermehrte Gebrauch von circulaires der Premierminister zu Beginn ihrer Amtszeit, mit denen sie Richtlinien und Verhaltensregeln ihrer Regierungsarbeit festlegen. 15 Das cabinet soll den 15
Das Fehlen einer Geschäftsordnung der Regierung führt immer öfter zum Verfassen derartiger Erlasse. Berühmt geworden ist etwa der Runderlass von Premierminister Rocard von 1988 (Abgedruckt in: Regards sur L'actualité No. 143, Juillet-Août 1988, S. 15 ff.) mit einem Verwaltungskodex für die Regierungsarbeit. Ähnlich ausfuhrlich und mahnend der Runderlass von Premierminister Jospin 1997 (Abgedruckt in: Le Monde, 10. Juin 1997, S. 14), in dem auf die Wichtigkeit der interministeriellen Ausschüsse für die Entscheidungsvorbereitung verwiesen wird und die zentrale Stellung
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persönlichen Führungsanspruch des Premierministers und die Effektivität seiner Regierungsarbeit in Zusammenarbeit mit dem Generalsekretariat sicherstellen.
3. Das Generalsekretariat für die Europapolitik - SGCI In keinem anderen Land außer vielleicht Großbritannien und Dänemark gibt es eine so stark zentralisierte Koordination der Europapolitik wie in Frankreich. 16 Von Bedeutung ist, dass diese Aufgabe nicht in einem eigenständigen Ministerium ressortiert 17, sondern einem eigenständigen Amt mit um die 200 Mitarbeitern übertragen ist, das Teil der Regierungszentrale ist und dem Premierminister direkt untersteht. Auch dieses Amt ist historisch mit seiner Aufgabenstellung gewachsen. Es wurde bereits 1948 errichtet. An der Spitze des SGCI steht ein Generalsekretär, der normalerweise gleichzeitig Mitglied des cabinet des Premierministers ist. Auch in der gegenwärtigen Regierung Raffarin ist die Generalsekretärin als conseillère auprès du Premier ministre pour les affaires européennes Mitglied des cabinet . Dieses doppelte Mandat stärkt die Position des Amtes bei der interministeriellen Koordination der Europapolitik und ist ebenfalls Ausdruck der Scharnierstellung zwischen Politik und Verwaltung, ähnlich wie bei dem SGG. Auch die beigeordneten Generalsekretäre gehören in fast allen Fällen zum Beraterstab des Premierministers. Die Organisation des Amtes orientiert sich ebenfalls an dem Konzept der Spiegelreferate. Die Einheiten, sogenannte secteurs, rekrutieren sich zum größten Teil wie im cabinet aus den Ministerien, von denen sie fur zwei bis drei Jahre abgestellt werden. Die übrigen Mitarbeiter verweilen länger und garantieren die Kontinuität der Aufgabenerledigung. Das Bundeskanzleramt hatte in seiner Geschichte noch nie derartige umfassende Koordinationszuständigkeiten für einzelne PolicyBereiche, auch nicht in der Europapolitik. Die bei der Regierungsbildung 2002 neu geschaffene Europaabteilung im Kanzleramt wird kaum auch nur in die Nähe der Rolle des SGCI gelangen. Auch hier verhindert das Ressortprinzip Ab-
seines Kabinettsdirektors betont wird. Auch zu Beginn der Regierung Raffarin wurde die „cacophonie" beklagt (Le Monde, 13. Juillet 2002, S. 6). 16 Zu Folgendem vgl. A. Cole/H. Drake , The Europeanization of the French polity: continuity, change and adaption, in: Journal of European Public Policy 7 (1), 2000, S. 26-43; C. Lequesne, Paris-Bruxelles, Paris 1993; J.-L. Sauvon , L'administration française et L'Union européenne, Paris 2000. 17 Lediglich zwischen 1981 - 1984 gab es den Versuch, durch ein neu geschaffenes Ministerium für Europäische Angelegenheiten das SGCI diesem Ressort zu unterstellen. 1984 kam es dann wieder in die Regierungszentrale zurück. Das Außenministerium hat stets einen Ministre délégué aux affaires européennes , was auf die Zuständigkeit für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik verweist. Hier hat das SGCI nur einen geringen Einfluss.
Die nationale Regierungszentrale in Frankreich und Deutschland
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weichungen vom traditionellen Pfad der im Kern sich auf die Ablaufkoordinierung begrenzenden Unterstützungsfunktionen des Kanzleramtes. Neben diesen kurz skizzierten drei Kerneinheiten für die politische und administrative Koordination der Regierungspolitik bestehen die erwähnten insgesamt 60 Unterstützungseinheiten sowie gegenwärtig (2002) noch weitere 40 besondere Beratungsgremien beim Premierminister. In der Regierung gab es 2002 insgesamt 636 Beratungsgremien. 18
I I I . Die traditionelle Komponente bei Regierungszentralen Der kurze Vergleich hat gezeigt, dass das L ' Hôtel Matignon nicht nur vom Aufgabenumfang und Personalbestand her als eine sehr viel umfassendere Regierungszentrale erscheint, sondern, um nur eine Kategorie des funktionalen Regierungsbegriffes abschließend hervorzuheben, auf der Ebene des metapolicy-making eindeutig stärkere Kompetenzen als das Bundeskanzleramt aufweist. 19 Bei der Steuerungsfunktion zeigt sich, dass die französische Regierungszentrale sehr viel stärker auch inhaltlich die Fachpolitik der Ministerien mitgestaltet und teilweise über die Ministerien hinweg allein entscheidet. Die Kontrollfunktion wird durch eine besondere Unterstützungseinheit, dem SGG, institutionell kontinuierlich über Regierungswechsel hinweg sichergestellt. Und bei der administrativen und auch politischen Koordination ist die Regierungszentrale durch das SGG und dem cabinet der „Herr" über die interministeriellen Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse. So wie das Bundeskanzleramt hat auch die französische Regierungszentrale einen beträchtlichen personellen und funktionalen Ausbau erlebt. Dieser hat sich aber, wie andeutungsweise gezeigt, im jeweiligen Kontext der nationalen Verwaltungsstrukturen vollzogen. Die nationalen Regierungszentralen als Machtressource prägen daher in unterschiedlicher Weise den Regierungsstil von Bundeskanzlern und Premierministern. 20
18
Projet de loi de finances pour 2003: Liste des commissions et instances consultatives ou délibératives placées directement auprès du Premier ministre ou des ministres. 19 König/Knoll, Bundeskanzler (Anm. 4), S. 309 f. 20 A. Murswieck, Des Kanzlers Macht: Zum Regierungsstil Gerhard Schröders, in: C. Egle/T. Ostheim/R. Zohlnhöfer (Hrsg.), Das rot-grüne Projekt. Eine Bilanz der Regierung Schröder 1998-2002, Wiesbaden 2003.
Plebiszitäre Demokratie in den USA Von Arthur B. Gunlicks, Richmond (Virginia)
I. Einführung In den 90er Jahren gab es in den USA eine immer größere Hinwendung zur plebiszitären Demokratie. Die Verfassungen von 24 Staaten enthalten direktdemokratische Bestimmungen, die nicht nur Volksentscheide, sondern auch Bürgerinitiativen gestatten. Die Wähler dieser vorwiegend in der westlichen Hälfte der USA gelegenen Staaten wurden immer wieder aufgefordert, oft relativ unwichtige, zuweilen aber auch wichtige Entscheidungen zu treffen. 1992 haben Wähler in Colorado entschieden, dass Homosexuellen in Kommunen kein besonderer Schutz der Grundrechte gewährt werden dürfe; 1994 haben Wähler in Kalifornien für einen Verfassungsartikel gestimmt, der gegen Immigranten gerichtet war und es zum Beispiel verbieten sollte, dass illegale Immigranten staatliche Hilfe beziehen oder deren Kinder die Schule besuchen dürfen; zwischen 1992 und 1996 wurden in 21 Staaten die Mandatsperioden nicht nur von Landtagsabgeordneten, sondern auch von Abgeordneten und Senatoren auf Bundesebene begrenzt; 1996 wurde affirmative action (eine im Bundesrecht verankerte Berücksichtigung - Kritiker sagen „Quote" - von Minderheiten und Frauen im Berufsleben und in anderen Bereichen, z.B. bei der Zulassung zu Universitäten) in Kalifornien und 1998 in Washington beendet; 1996 wurde Cannabis fur medizinische Zwecke gegen Verschreibung in Arizona und 1998 in fünf anderen Staaten erlaubt, darunter Kalifornien, obwohl das Bundesrecht das ausdrücklich verbietet. In Kalifornien ist es im Jahre 2003 sogar zur strafrechtlichen Verfolgung eines Anbauers von Cannabis durch den Bund gekommen. Im Jahre 2000 wurde in Arizona zweisprachiger Unterricht untersagt und durch einjährigen intensiven Unterricht in Englisch ersetzt; im selben Jahr wurden in Nebraska und Nevada homosexuelle Ehen verboten; 2002 haben die Wähler von Arizona Cannabis für medizinische Zwecke wieder abgelehnt; in Ohio wurde eine medizinische Behandlung statt Gefängnisstrafe für nicht gewalttätige Drogenabhängige nicht angenommen; in Oregon wurde die Kennzeichnung von genetisch modifizierten Organismen abgelehnt; ebenfalls in Oregon haben die Wähler 2003 gegen eine geringfügige Erhöhung der staatlichen Einkommensteuer gestimmt und dafür die Kürzung der Unterrichtsdauer, die höchsten Universitätsstudiengebühren der USA, die Entlassung von 100 Lan-
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Arthur B. Gunlicks
despolizisten und die Entlassung von vielen Gefangenen hingenommen. Die Schließung der Schulen wurde dadurch etwas gemildert, dass die Lehrer sich bereit erklärten, zwei Wochen ohne Bezahlung zu unterrichten. Auch viele andere Themen tauchten in Volksentscheiden und Bürgerinitiativen auf. Es gab dabei viele „fortschrittliche" Ergebnisse, wie ζ. B. in Oregon die Erlaubnis des Freitodes unter Aufsicht (diese Vorlage wurde allerdings in Michigan abgelehnt).1 In den Jahren 2000 und 2002 gab es jeweils mehr als 200 Bürgerinitiativen und Volksentscheide in den USA. Über die Hälfte der Fragen wurde aber abgelehnt. In den letzten Jahrzehnten wurde eine ganze Reihe von erfolgreichen Vorlagen, wie einige der oben genannten Beispiele, später von Gerichten verworfen. Deswegen hat sich erneut die Frage nach der Handhabung, wenn nicht sogar nach dem Sinn von vielen direktdemokratischen Maßnahmen in den Einzelstaaten gestellt. Gerade weil es auch in Deutschland eine breit angelegte und wachsende Diskussion über direkte Demokratie gibt, ist ein Vergleich mit der Situation in den USA von Interesse. Allerdings sind die historischen und politischen Verhältnisse wie auch die Prozeduren der beiden Länder sehr verschieden, so dass die Erfahrungen des einen Landes nicht ohne weiteres auf das andere übertragbar sind.2 Das Ziel dieses Beitrages ist es, einen Überblick über plebiszitäre Elemente in den USA im Allgemeinen und direkte Demokratie im Sinne von Volksabstimmungen im Besonderen zu geben. Teil I beschäftigt sich mit dem Themenkreis Direktwahl von Amtsträgern, Auswahl der Kandidaten bei Vorwahlen und der direkten Beteiligung der Wähler an politischen Entscheidungen. Teil II beschreibt die Lage der repräsentativen Demokratie auf Bundesebene, Teil III gibt einen Überblick über die Entwicklung der direkten Demokratie in den Staaten und Kommunen, und Teil IV enthält einige Bemerkungen zum Thema und schließt den Beitrag ab.
1 Beispiele aus der Washington Post vom 21. 12. 96, A 2; vom 9. 11. 00, A 48; vom 7. 11. 02, A 39; vom 30. 1. 03, A 3; "New York Times" vom 5.3.2003, A 1. Siehe auch Book of the States, 2000 Edition, Lexington, Council of State Governments, 2002, S. 239-246. Für 1998 siehe D. Broder, Democracy Derailed: Initiative Campaigns and the Power of Money, New York/London 2000. 2 R. Billerbeck, Plebiszitäre Praxis in Kalifornien, in: H.-D. Klingemann und W. Luthardt (Hrsg.), Wohlfahrtsstaat, Sozial struktur und Verfassungsanalyse, Opladen 1993, S. 208-209.
Plebiszitäre Demokratie in den USA
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I I . Plebiszitäre Elemente in den USA 1. Direkt gewählte Amtsinhaber In den USA gab und gibt es plebiszitäre Elemente bei der Wahl der Amtsinhaber, die allerdings auf den drei Ebenen unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Auf Bundesebene werden der Präsident und sein Vizepräsident gemeinsam vom Volk gewählt, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, die aber meist theoretischer Natur sind, allerdings nicht im Jahre 2000. Die Wähler stimmen nicht direkt für die Kandidaten, sondern für ein Wahlmännerkollegium (electoral college), dessen Mitglieder von der Mehrheit der Wähler in den Einzelstaaten gewählt werden und die ihrerseits ihre Stimmen als Block abgeben. (Bei der Präsidentenwahl 2000 hat A l Gore mehr Wählerstimmen erhalten, während George W. Bush mehr Wahlmätttterstimmen gewann.) Die 100 Senatoren und 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses werden unmittelbar gewählt. In den Einzelstaaten hat der Wähler die Möglichkeit, einen Senator und einen Abgeordneten für das Zweikammer-Parlament (außer Nebraska, mit nur einer Kammer) zu wählen. Er kann zusätzlich den Gouverneur, den Vizegouverneur (Lieutenant Governor), und in 43 Staaten den Attorney-General (Staatsanwalt und juristischer Berater des Gouverneurs) wählen. In den meisten Staaten werden auch eine Reihe von Ressortchefs und in zwei Drittel der Staaten die Richter unmittelbar gewählt. Im Unterschied zur Bundesebene erfolgt die Wahl des Gouverneurs und Vizegouverneurs getrennt. Diese Trennung fuhrt öfter zu einer Teilung dieser beiden hohen Ämter zwischen Demokraten und Republikanern. Die Lage kann aber noch komplizierter werden durch die Direktwahl von Ressortchefs in den Bereichen Justiz (Attorney Gen eral),Verwaltung (Secretary of State, dessen Zuständigkeit eine Reihe γοη Verwaltungsaufgaben einschließt), Finanzen (Treasurer) und Rechnungsprüfern (Auditor, Comptroller). In fünf bis 15 der Staaten werden Ressortchefs in den Bereichen Bildung, Landwirtschaft und Versicherungswesen gewählt. Ende der 90er Jahre gab es 514 direkt gewählte Beamte auf der einzelstaatlichen Ebene.3 Auf kommunaler Ebene hat der typische Wähler einen Gemeinderatsvertreter und einen Kreistagsabgeordneten zu wählen, wie auch in vielen Fällen den Bürgermeister. In Virginia, wo es wie in Deutschland eine Trennung von Stadt- und Landkreisen gibt, hat der typische Wähler in den größeren Städten nur einen Gemeinderat, der den Oberstadtdirektor bestimmt, zu wählen. Dazu kommen der Sheriff, kommunale Staatsanwälte, Richter, Mitglieder von Kommissionen, Mitglieder von Sonder- und Zweckverbänden, darunter vor allem Schulaufsichtsbehörden (school boards) und eventuell noch andere Ämter. 3 Vgl. Α. B. Gunlicks, Die Grundzüge der einzelstaatlichen Regierungssysteme, in: W. Jäger und W. Welz (Hrsg.), Regierungssystem der USA: Lehr- und Handbuch, München 1995, S. 466-467.
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Während Wahlen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene in Deutschland jeweils alle vier bis fünf Jahre stattfinden, finden in den USA Präsidentschaftswahlen alle vier, sogenannte Zwischenwahlen für den Kongress alle zwei Jahre statt (wobei alle zwei Jahre ein Drittel des Senats gewählt wird). In 47 Staaten werden die Gouverneure und andere Amtsinhaber der Exekutive alle vier Jahre gewählt, in drei Staaten in Neuengland alle zwei Jahre. Die Mandatsperioden der Senatoren umfassen in 38 Staaten vier Jahre, in zwölf Staaten zwei Jahre, während die Abgeordneten in 46 Staaten alle zwei Jahre gewählt werden. Kommunalwahlen gibt es entweder alle vier oder in noch mehr Fällen alle zwei Jahre.
2. Vorwahlen Die Nominierung der Bewerber als Kandidaten für politische Ämter auf blindes-, einzelstaatlicher und manchmal kommunaler Ebene durch Vorwahlen wird auch oft vor allem in Deutschland als plebiszitär bezeichnet. Eine Vorwahl gibt es natürlich nur, wenn es in derselben Partei zwei oder mehr Bewerber für ein Amt gibt. Je nach den Parteiregeln des Einzelstaates findet dann eine Delegiertenversammlung statt, aus der ein Bewerber als Kandidat hervorgeht; oder es gibt eine Vorwahl, bei der der Kandidat mit den meisten Stimmen der Wählenden nominiert wird. In einigen Staaten dürfen sich nur diejenigen an der Vorwahl beteiligen, die sich als Anhänger der Partei beim Wahlamt eingeschrieben haben (die sogenannte closed primary ); in anderen Staaten dürfen sich grundsätzlich alle registrierten Wähler an allen Vorwahlen beteiligen (open primary ), ob sie Anhänger der Partei sind oder nicht. Im Gegensatz zu der Annahme vieler Deutscher kommt es aber in den open primaries relativ selten vor, dass Anhänger der einen Partei sich an den Vorwahlen der anderen Partei beteiligen, um ein verzerrtes Ergebnis zu erzielen. Das Problem ist vielmehr die geringe Beteiligung der Wähler überhaupt! 4
4 Nur diejenigen, die sich persönlich beim Wahlamt eingeschrieben haben, erhalten die Berechtigung zu wählen. Diese Einschreibung ist seit der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre einfacher gemacht worden. Es gibt aber immer noch bundesweit nur etwa zwei Drittel der Bürger über 18 Jahre, die registriert sind. In der Wahlstatistik wird deshalb zwischen dem Prozentsatz der beteiligten registered voters und der eligible voters unterschieden. Allerdings wird nicht immer klargestellt, ob von der einen oder der anderen Kategorie berichtet wird. Bei Vorwahlen ist der Prozentsatz der beteiligten registered voters der einen oder der anderen Partei meistens relativ gering, d.h. weit weniger als 50 Prozent, von dem Prozentsatz der eligible voters gar nicht zu reden.
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3. Direkte Demokratie Wenn man in den USA von „plebiszitärer" Demokratie spricht, meint man meistens die direkte Demokratie, d.h. die direkte Beteiligung der Wähler an der Politikgestaltung, im Gegensatz zu Deutschland, wo oft die Direktwahl von Kandidaten als „plebiszitär" bezeichnet wird. In diesem Zusammenhang gibt es verschiedene Begriffe, wie initiative, referendum und recall , die sich nicht immer mit ähnlichen Begriffen in Deutschland decken. Die initiative in den USA ist nicht gleichbedeutend mit der in den deutschen Landesverfassungen bekannten „Volksinitiative", bei der die Wähler den Landtag auffordern, sich mit einer gewissen Frage zu beschäftigen. In den USA gibt es zwei Arten der initiative: statutory , also ein Gesetz betreffend, und constitutional , eine Verfassung betreffend. Man unterscheidet außerdem zwischen direkten und indirekten initiatives. Die direkte statutory initiative, die es in 17 Staaten gibt, führt zur direkten Entscheidung der Wähler, falls zuvor genügend Unterschriften gesammelt worden sind. Die indirekte statutory initiative, eher wie die deutsche Volksinitiative, die in neun Staaten üblich ist, wird nach einem gewissen Prozentsatz von Unterschriften zur Entscheidung an das Parlament weitergeleitet; falls dieses nicht handelt, dürfen noch einmal Unterschriften gesammelt werden, und dann kommt es zur Volksentscheidung.5 Drei Staaten haben die direkte wie auch die indirekte statutory initiative. In den meisten Staaten kann der Gouverneur kein Veto gegen eine erfolgreiche direkte statutory initiative einlegen und nur in fünf Staaten kann das Parlament die initiative ändern oder annullieren. Einige Staaten begrenzen die Themen, die von initiatives betroffen werden dürfen, wie z. B. Steuereinnahmen, das Rechtswesen oder die öffentliche Ordnung. In 16 Staaten gibt es die direkte constitutional initiative, ein vom „Volk" initiierter Volksentscheid für eine Änderung der Verfassung. In zwei Staaten gibt es die mittelbare constitutional initiative, wobei das Parlament aufgefordert wird, die Verfassung zu ändern.6 Bei einer constitutional initiative kann weder der Gouverneur noch das Parlament eingreifen. Um auf den Wahlzettel zu kommen, müssen die Petitionen für die statutory und constitutional initiative propositions (Vorlagen) Unterschriften tragen, die zwischen 3 und 15 Prozent der Wählerzahl bei der letzten Gouverneurs- oder allgemeinen Wahl ausmachen. Bei einer normalen Wahlbeteiligung von weniger - manchmal weit weniger - als 50 Prozent der potentiellen Wählerschaft
5 Book of the States, 1996-1997 Edition, Vol. 31, Lexington, Kentucky: Council of State Governments 1996, S. 209. 6 Ebenda, S. 209.
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werden also Unterschriften von etwa 1 bis 3 Prozent der Gesamtwählerschaft benötigt. Der Begriff referendum in den USA hat drei verschiedene Anwendungen. Er bezieht sich in 23 Staaten auf den Mechanismus, mit dem die Wähler durch eine Bürgerpetition einen Volksentscheid (popular referendum) über ein vom Landtag bereits angenommenes Gesetz erzwingen. Um gültig zu sein, benötigen die Petitionen Unterschriften von 3 bis 10 Prozent der Wählerzahl bei der letzten Gouverneurs- oder allgemeinen Wahl. Zweitens können Wähler ebenfalls in 23 Staaten, die aber nicht in jedem Fall mit den obigen Staaten identisch sind, eine Entscheidung über Gesetze treffen, die das einzelstaatliche Parlament von sich aus für einen Volksentscheid auswählt. Und drittens treffen Wähler in 15 Staaten Entscheidungen über Fragen, die auf Grund der Landesverfassung zum Volksentscheid gebracht werden müssen. Typische Beispiele sind staatliche Kreditaufnahmen, meistens für bestimmte Zwecke wie Straßenbau oder Universitätsbauten, eine Erhöhung der staatlichen Defizitbegrenzung oder Steuerfragen.7 Alle Staaten außer Delaware kennen Volksentscheide über Verfassungsänderungen, die das Parlament bewilligt hat. Der recall ist eine Art Vertrauensvotum, d.h. ein Volksentscheid, der darüber entscheidet, ob ein Amtsinhaber abberufen oder im Amt bleiben soll. Er betrifft nur Amtsinaber auf einzelstaatlicher und kommunaler Ebene, nicht auf Bundesebene. Sechzehn Staaten und der District of Columbia (D.C.) erlauben den recall auf staatlicher Ebene. Die Petition für einen recall benötigt eine Unterschriftszahl, die 12 bis 25 Prozent der Wählerzahl bei der letzten Gouverneursoder allgemeinen Wahl ausmacht. Richter werden in sechs Staaten ausgenommen. Es gibt 36 Staaten, die den recall auf kommunaler Ebene haben. Der recall wird selten benutzt, aber es gibt einige wichtige Beispiele von kommunalen Amtsträgern, die abberufen wurden. 8
I I I . Direkte Demokratie auf Bundesebene Direkte Demokratie gibt es im Prinzip nicht auf Bundesebene, und die USA ist einer von etwa fünf demokratischen Staaten, die nie auf nationaler Ebene einen Volksentscheid hatten.9 1787 haben die Verfassungsväter unterschiedliche
7
Τ. H. Neale, Initiative, Referendum, and Recall: Direct Democracy in the United States, Congressional Research Service (18 October 1991), S. 2-3. Die Zahlen bei dieser und bei der obigen Quelle stimmen nicht überein. 8 T. E. Cronin , Direct Democracy: The Politics of Initiative, Referendum and Recall, Cambridge 1989, S. 2-3, 141. 9 D. Butler/A. Ranney (Hrsg.), Referendums around the World: The Growing Use of Direct Democracy, Washington, D. C. 1994, S. 258.
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Schranken gegen die Gefahr einer „Tyrannei" errichtet, egal ob diese von einer Minderheit oder einer Mehrheit der Bevölkerung ausgeht.10 In dem berühmten Federalist Paper Number 10 schrieb James Madison, nur eine republic biete die Möglichkeit, eine faction abzuwehren. Eine faction ist im heutigen Sinne eine Interessengruppe, die das Ziel hat, ihre Belange auf Kosten anderer durchzusetzen. Eine republic sei ein System mit gewählten Repräsentanten. Die Beschäftigung mit verschiedenen Formen der Tyrannei führte die Verfassungsväter auch zu Montesquieu und dem Prinzip der Gewaltenteilung, wonach die Macht einer Gewalt durch die Macht einer anderen Gewalt kontrolliert werde. Da in einer repräsentativen Republik die Legislative besonders stark sei, müsse sie in zwei Kammern geteilt werden, und die Mitglieder müssten unterschiedlich gewählt werden. Hinzu komme der Föderalismus, der die Macht zwischen zwei Ebenen teile. 11 Die amerikanische Verfassung garantiert in Artikel IV, Section 4, auch den Einzelstaaten eine (repräsentative) republikanische Staatsform, eine Bestimmung, die im Verfassungsrecht jedoch nie eine Rolle gespielt hat. 12 Es gibt heute noch Verfassungsjuristen, die die These vertreten, diese Garantie verbiete vielleicht nicht die direkte Demokratie per se in den Staaten, aber sicherlich die Volksentscheide, die in irgendeiner Weise gegen Menschenrechte verstoßen. 13 Auf jeden Fall müssten die Bundesgerichte besonders wachsam gegenüber Volksentscheiden sein.14 Andere Verfassungsexperten meinen, diese Garantie habe keine praktische Bedeutung.15 Obwohl es grundsätzlich keine direkte Demokratie auf Bundesebene gibt, werden doch unter Bauern manchmal referenda gehalten, um zu bestimmen, ob es gewisse Begrenzungen beim Anbau oder Verkauf eines landwirtschaftlichen Produkts geben solle, für die sie Subventionen erhalten. Solche Abstimmungen betreffen nur einen sehr kleinen Bevölkerungsteil und sind deshalb keine gewöhnlichen Volksentscheide.
10 Für eine Diskussion zu den Meinungen von wichtigen Politikern der Zeit vor und während der Verfassunggebung siehe Cronin, Direct Democracy (Anm. 8), S. 12-20, und Broder, Democracy Derailed (Anm. 1), S. 11-17. 11 The Federalist Papers, Numbers 47, 48, and 51. 12 Cronin, Direct Democracy (Anm. 8), S. 34-35. 13 H. Linde , When Initiative Lawmaking is Not 'Republican Government': The Campaign Against Homosexuality, in: Oregon Law Review, Spring 1993, S. 19, 33-35, 41-44. 14 J. N. Eule , Judicial Review of Direct Democracy, in: Yale Law Journal, May 1990, S. 1507. 15 I. C Rothgerber Jr., Conference on Constitutional Law: Guaranteeing a Republican Form of Government, in: University of Colorado Law Review 65, Issue 4 (1994).
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Seit 1907 gibt es gelegentlich Versuche, die direkte Demokratie auf Bundesebene einzuführen. Dafür müsste die Verfassung geändert werden, denn nach Artikel I, Section 1, sind alle legislativen Kompetenzen dem Kongress vorbehalten. 16 A m ernsthaftesten waren die Versuche Ende der 70er Jahre, als Anhörungen im Kongress wegen einer Verfassungsänderung gehalten wurden. 17
IV. Die Enstehung der direkten Demokratie Die Ursprünge der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene im Sinne von Volksabstimmungen gehen weit in die Kolonialzeit zurück, und zwar zu den Gemeindeversammlungen in Neuengland. Auf einzelstaatlicher Ebene hat nur der Kleinstaat Rhode Island eine Volksabstimmung zur Frage der amerikanischen Verfassung veranlasst. In den anderen zwölf Staaten wurde über die Verfassung in direkt gewählten Sonderversammlungen entschieden, und nur die Wähler in Massachusetts und New Hampshire haben über ihre Landesverfassungen abgestimmt. Bis zum Bürgerkrieg 1861-1865 haben alle neuen Staaten und die meisten der ursprünglichen 13 Staaten eine Volksentscheidung für Verfassungen und Verfassungsänderungen eingeführt. Heute gibt es nur in Delaware keine Volksabstimmung über Verfassungsfragen. 18 Wenn man die Kommunen außer Acht lässt und nur die Staaten ins Visier nimmt, sieht man klar, dass auf der einzelstaatlichen Ebene die direkte Demokratie vor allen Dingen in der westlichen Hälfte der USA verbreitet ist. Nur 26 Staaten haben direkte oder indirekte initiatives; davon sind 17 im Westen und sechs im Mittelwesten der USA. Von den 23 Staaten, die ein referendum durch Petition erzwingen dürfen, sind 14 Staaten im Westen, vier im Mittelwesten, drei im Osten und zwei im Süden. Von den 16 Staaten (ohne D.C.) mit dem recall sind neun Staaten im Westen, vier im Mittelwesten und drei im Süden.19 Erst Ende des 19. Jahrhunderts in der Ära des Populismus und dann in der reformfreudigen progressive era zwischen 1890 und 1914 gab es den Versuch, die direkte Demokratie in der Form von initiatives einzuführen. Für die Populisten in den 80er und 90er Jahren waren die Banken, die im Mittelwesten und 16
Phillips v. Payne, 92 U.S. 130(1875). Cronin, Direct Democracy (Anm. 8), S. 172-195. 18 D. Magleby , Direct Legislation in the American States, in: D. Butler und A. Ranney (Hrsg.), Referundums around the World, Washington, D. C., 1994, S. 221; E. C. Lee, The American Experience, 1778-1978, in: A. Ranney (Hrsg.), The Referendum Device, Washington, D.C, 1981, S. 46. 19 Book of the States 31, S. 209, und T. M. Durbin und Μ. Α. Wolfe, Initiative, Referendum and Recall by Citizen Petition, Congressional Research Service, Library of Congress, 1993, S. 2-3. Wie bei Neale (Anm. 7), haben Durbin und Wolfe andere Zahlen als das Book of the States. 17
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Westen vielen Bauern wegen Nichtbezahlung ihrer Kredite das Land wegnahmen, und außerdem Großkapitalisten die Gegner, die mit Mitteln der direkten Demokratie bekämpft werden sollten. Für die Progressiven um die Jahrhundertwende und bis zum Ersten Weltkrieg war es die große Korruption in den Städten und Landtagen, die den Parteien und ihren gewählten Vertretern angelastet wurde. Der aufgebrachte Mittelstand übte in vielen Teilen der USA so viel Druck aus, dass in den Parlamenten wie auch in den Gemeinderäten eine Reihe von Reformen durchgeführt wurden: Den Parteien wurde in den meisten Kommunen verboten, sich an kommunalen Wahlen zu beteiligen, das System der Beamtenrekrutierung wurde reformiert, die unmittelbare Wahl der Senatoren auf Bundesebene wurde eingeführt, ebenso Vorwahlen. Zunächst in South Dakota und dann in einigen anderen Staaten wurde die direkte Demokratie eingeführt. Die progressiven Reformer wollten mit der direkten Demokratie die Macht der Interessengruppen, der Parteien, und der großen Monopolgesellschafiten, vor allem der Eisenbahngesellschaften im Westen, brechen und waren der Meinung, dass die Politiker gerade durch diese Institutionen korrumpiert wurden. Sie wollten auch die Verwaltung frei von Politik machen, weshalb auch zu dieser Zeit das System der Beamtenrekrutierung reformiert und das spoils system abgeschafft wurde. Die meisten Reformer betrachteten jedoch die direkte Demokratie nicht als völligen Ersatz für die repräsentativen Institutionen, sondern als eine komplementäre Institution. 20 Einige Historiker sind nicht so überzeugt, dass die Reformer alle idealistisch waren und nur aus reinen Motiven handelten. Sie meinen, die Progressiven seien hauptsächlich aus dem Mittelstand gekommen und hätten die Tatsache, dass neue Immigranten und Arbeiter durch ihre gewählten Vertreter Einfluss auf die Politik des damaligen politischen Systems erlangt hätten, abgelehnt. Es gab in dieser Zeit schwierige Fragen, die zum Teil ihren Ursprung in tief greifenden gesellschaftlichen Veränderungen hatten. Diese Historiker meinen weiter, die eifrigen Reformer seien zum Teil enttäuscht gewesen, dass sie im normalen politischen Prozess oft auf der Verliererseite gewesen seien, und hätten die Gewinner deshalb als korrupt bezeichnet.21 Andere, darunter Cronin, meinen, dass die Reformer durchaus legitime Klagen gehabt hätten.22 Der erste Staat, in dem initiatives eingeführt wurden, war 1898 South Dakota. Es folgten zwischen 1900 und 1918 noch 18 andere Staaten. Dazu haben
20 D. Magleby , Direct Legislation: Voting on Ballot Propositions in the United States, Baltimore 1984, S. 23; Cronin , Direct Democracy (Anm. 8), S. 43-57; Β. H. Zisk , Money, Media, and the Grassroots: State Ballot Issues and the Electoral Process, Newbury Park 1987, S. 12-14. 21 Magleby , Direct Legislation (Anm. 20), S. 24-25; Cronin, Direct Democracy, S. 57. 22 Cronin, Direct Democracy (Anm. 8), S. 58.
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drei Staaten das Referendum ohne die initiative eingeführt. Erst 1959 kam Alaska hinzu. Florida, Wyoming, Illinois und D.C. folgten zwischen 1968 und 1977; allerdings führten Florida und Illinois nur die constitutional initiative ein. 23 Nach 1978 hat Mississippi auch nur die constitutional initiative eingeführt. Die auffallende Überrepräsentation der Staaten in der westlichen Hälfte der USA erklärt sich dadurch, dass diese Staaten in einem frühen Entwicklungsstadium und deshalb noch offener für neue Ideen waren. Die eifrigsten Befürworter der direkten Demokratie waren auch dort zu Hause.24 Das Instrument des recall gibt es in 15 Staaten. In 36 Staaten gibt es den recall für kommunale Vertreter. Dieses Instrument ist zunächst 1903 in der damals korrupten Stadt Los Angeles eingeführt worden. Später im Jahre 1911 hat der Staat Kalifornien den recall auf staatlicher Ebene übernommen, sogar für Richter. Richter werden nur selten abberufen, aber 1977 wurde ein Richter in Wisconsin abberufen, weil er bei einem Urteil in einem Vergewaltigungsfall gesagt hatte, das Mädchen habe den Überfall durch aufreizende Kleidung selbst provoziert. 25
V. Bemerkungen zum Thema und Schlusswort In den USA wie in allen demokratischen Staaten gibt es viele Anzeichen von Politikverdruss. Ob dieser Verdruss wirklich eine Erscheinung der letzten Jahrzehnte ist oder ob es nicht immer eine gewisse Entfremdung zwischen „dem Volk" und Entscheidungsträgern in allen Staatsformen gegeben hat, ist eine offene Frage. Jedenfalls gibt es in den USA wie in Deutschland viele Bürger, die der Meinung sind, dass direktdemokratische Instrumente die herkömmliche repräsentative Demokratie ergänzen, wenn nicht ersetzen sollten. 26 David Broder schreibt in seinem 2000 erschienen Buch: "The general disdain for politics and politicians is especially fierce when it comes to legislatures (including Congress) and their members. While many voters are prepared to exempt their own representative from the blanket indictment, the pervasive attitude is that our lawmakers are selfish, self-centered partisans, controlled by special interests and constantly on the lookout for ways to line their own pockets and pay off their pals and political sponsors."
23
Ebenda, S. 51. Magleby , Direct Legislation in the American States (Anm. 18), S. 223. Eine kritische Analyse der Anfänge der direktdemokratischen Entwicklungen in den USA bietet T. Goebel, A Government by the People: Direct Democracy in America, 1890-1940, Chapel Hill 2002. 25 Cronin , Direct Democracy (Anm. 8), S. 2-3, 125, 143. 26 Broder , Democracy Derailed (Anm. 1), S. 222, 228-229. 24
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Er bemerkt weiter, dass ein Ausdruck dieser Verachtung die Mandatszeitbegrenzungsbewegung ist. In Deutschland hat diese Meinung ihren Ausdruck auf der kommunalen und Landesebene in der Form von Bürgerinitiativen, Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden gefunden. Man kann auch die Direktwahl von Bürgermeistern als eine generell plebiszitäre Entwicklung ansehen. In den USA hat es seit mehr als 200 Jahren die Gemeindeversammlung in Neuengland und einzelne Beispiele von Volksabstimmungen in den Staaten gegeben, vor allem wenn neue Verfassungen oder Verfassungsänderungen nötig schienen. Seit 100 Jahren gibt es in einigen Staaten verschiedene Formen der direkten Demokratie in Form von Politikgestaltung und Abberufung von gewählten Amtsträgern. Die Direktwahl von Amtsträgern, nicht nur Gouverneuren und Abgeordneten, sondern auch Ressortchefs und Richtern, Schulbehörden und Sheriffs, hat es auf kommunaler und einzelstaatlicher Ebene immer oder schon lange gegeben. Ob der Politikverdruss jedoch in den Staaten der USA mit einer Tradition von Volksabstimmungen geringer ist als in den übrigen Staaten, ist sehr fraglich. Beweise für diese These fehlen jedenfalls. Auf Bundesebene gibt es weder in den USA noch in Deutschland Instrumente der direkten Demokratie, es sei denn, man rechnet die Volksabstimmung bei der Änderung von Ländergrenzen (Artikel 29 GG) in Deutschland oder die Direktwahl des Präsidenten, der Senatoren und Abgeordneten in den USA dazu. Für die amerikanischen Verfassungsväter war eine direkte Beteiligung des Volkes an der Politikgestaltung überhaupt suspekt. Sie haben die Demokratie als repräsentative Demokratie verstanden, wobei das Volk eine Kontrolle über die gewählten Vertreter dadurch ausübt, dass diese sich vor dem Volk in freien, regelmäßigen Wahlen verantworten müssen. Diese Kontrolle war sogar für den Präsidenten wie auch für die Senatoren zunächst nur indirekt. Direktdemokratische Instrumente sind in den USA vor allem zu einer Zeit entstanden, in der es eine durchgreifende Korruption der „Parteiapparate" in einer Reihe von Großstädten und einen Machtmissbrauch in vielen Parlamenten, vor allem im Westen der USA, gab. Es ist natürlich nicht so, dass man heute sagen kann, es existiere überhaupt keine Korruption oder kein Machtmissbrauch mehr, aber es gibt seit Jahrzehnten keine „Parteiapparate", und die Qualität und öffentliche Kontrolle der Parlamente hat sich in den letzten 50 Jahren stark verbessert. Damals wie heute besteht in der Bevölkerung ein weit verbreitetes Missfallen an dem politischen Einfluss der Interessengruppen und vor allem der vielen „Einpunktgruppen", obwohl es natürlich immer „die anderen" Gruppen sind, nicht die einem selbst nahe stehenden Gruppen, die gemeint sind. Das Hauptproblem ist dabei nicht, dass die Politiker nicht zuhören, sondern eher, dass es
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so viele verschiedene Stimmen mit gegenseitigen oder konkurrierenden Forderungen gibt, dass die Politiker davon überwältigt werden. 27 Diesen Einfluss haben direktdemokratische Instrumente nicht vermindert. Es scheint sogar in vielen Fällen so, dass die direkte Demokratie den verschieden Gruppen Tür und Tor geöffnet hat. Der Einfluss der Interessengruppen hängt stark von finanziellen Mitteln ab, denn die Kosten für die Unterschriftensammlungen und später die Wahlkämpfe sind erheblich. In seinem Buch „Democracy Derailed" behandelt David Broder als Hauptthema den Einfluss von Interessengruppen und schwerreichen Individuen auf die Bürgerinitiativen. Sein strenges Urteil lautet: "Though derived from a reform favored by Populists and Progressives as a cure for special-interest influence, this method of lawmaking has become the favored tool of millionaires and interest groups that use their wealth to achieve their own policy goals ..."(S. 1).
Die Wahlbeteiligung in den USA ist im Vergleich zu Europa selbst bei Präsidentschaftswahlen gering 28 ; bei anderen Wahlen, ζ. B. Wahlen, die zwischen den Präsidentschafitswahlen stattfinden, ist die Wahlbeteiligung noch wesentlich geringer. Die Beteiligung an Volksabstimmungen ist mit wenigen Ausnahmen noch geringer. 29 Es kommt in den USA kaum vor, dass sich 50 Prozent der Wählerschaft an einer Volksabstimmung beteiligen, und es kommt auch selten vor, dass 25 Prozent der Wählerschaft die Vorlage befürworten. Mit anderen Worten, es würden so gut wie alle amerikanischen Vorlagen an den vergleichsweise strengen Bestimmungen in Deutschland scheitern. 30 Aus der europäischen Perspektive betrachtet, würden deshalb Fragen zur Legitimität der erfolgreichen Vorlagen in den USA gestellt werden, Fragen, die in den USA kaum vorkommen. Die Befürworter haben geglaubt, dass die direkte Demokratie einen breiteren Kreis der Bürger informieren und aktivieren würde. Tatsache ist aber leider, dass die Bürger bei der Unterschriftensammlung nur sehr dürftige bzw. einseitige Informationen erhalten. 31 Auch im Wahlkampf spielen die Fernseh- und Radiowerbungen, und nicht die ausführlicheren Zeitungsartikel oder Wahlinformationshefte, eine große Rolle. 32 Dass der Informationsinhalt der Werbungen einseitig, emotional, gefärbt, oberflächlich und überhaupt oft fraglich ist, ist oft 27 A. Rosenthal , Sloppy Democracy, in: State Government News 38, No. 1, January 1995, S. 19-22. 28 Nur die Schweiz hat eine vergleichbar niedrige Wahlbeteiligung. 29 D. H. Everson , The Effect of Initiatives on Voter Turnout: A Comparative State Analysis, in: Western Political Quarterly, September 1981, S. 424-425. 30 Vgl. Ο. Jung , Direkte Demokratie als Herausforderung der Repräsentativen Demokratie: Eine Auseinandersetzung mit Werner J. Patzelt, in: German Studies Review, Mai 2002, S. 295-296. 31 Maglehy, Direct Legislation (Anm. 20), S. 64. 32 Cronin, Direct Democracy (Anm. 8), S. 80-82.
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festgestellt worden. 33 Bei Vorlagen, die umstritten sind oder besonderes Interesse erwecken, ist der Informationsstand sicherlich besser. Aber bei weniger diskutierten Fragen, wo es weder bekannte Kandidaten noch Parteipositionen als Wegweiser gibt, wird in einem Informationsvakuum abgestimmt, so dass die Entscheidung zum Wahlroulette wird. 34 Besonders verwirrend ist manchmal die Frage, ob man mit „Ja" stimmen muss, wenn man dagegen ist oder umgekehrt. 35 Wo ein vom Parlament vorgelegtes Referendum zur Verfassungsänderung oder zur Kreditaufnahme zur Wahl steht, wird eher dafür gestimmt; bei den vom Volk initiierten Initiativen wird eher dagegen gestimmt. Wenn es nicht um Themen geht, bei denen viele Wähler einen festgelegten Standpunkt haben, wie ζ. B. Abtreibung oder Todesstrafe, 36 ist die Volksmeinung recht labil und kann leicht von einer Werbekampagne beeinflusst werden. 37 In der Regel lassen sich die Wähler leichter gegen als für eine Vorlage aktivieren. 38 Eine Sorge der amerikanischen Verfassungsväter war nicht nur der Machtmissbrauch der Amtsträger, sondern auch die „Tyrannei" der Mehrheit des Volkes. In einigen Fällen könnte man sagen, dass die Volksmeinung, die bei Volksentscheiden zum Ausdruck kam, sich zum Ziel setzte, die Bürgerrechte von Minderheiten zu verletzen. In diesen Fällen hat entweder ein Gericht auf der einzelstaatlichen Ebene oder ein Bundesgericht einschreiten müssen. Auch in anderen Fällen haben Gerichte Volksentscheidungen verworfen oder abgeschwächt. Die Gerichte spielen eine besonders große Rolle bei Volksabstimmungen, gerade weil sie das einzige Instrument der Kontrolle darstellen. Die gewöhnliche Gewaltenteilung wird bei Volksabstimmungen umgangen, so dass eine eingehende Beratung, Anhörung, Änderungsmöglichkeit und eine gegenseitige institutionelle Kontrolle nicht stattfinden. Außerdem ist die eigentliche Bedeutung und Anwendung der Entscheidung nicht immer klar, wobei die Gerichte die schwierige Aufgabe haben, den eigentlichen Sinn zu entziffern. 39 Und wie steht es mit den Konsequenzen der Volksabstimmungen? Wer ist verantwortlich dafür, dass es ungewollte Konsequenzen gibt? „Das Volk" kann man in der Praxis schwer zur Verantwortung ziehen; man kann es schließlich nicht abwählen. Die Politiker, die so oft schlecht gemacht werden, werden dann 33 JH. Gallagher , Corporate Influence on Initiative Campaigns in Massachusetts and Oregon, 1986-1992, Boston University 1995, S. 186-187. 34 Magleby , Direct Legislation (Anm. 20), S. 167-168, 179. 35 Cronin, Direct Democracy (Anm. 8), S. 70-77. 36 Zisk, Money, Media, and the Grassroots (Anm. 20), S. 109. 37 Magleby, Direct Legislation (Anm. 20), S. 172. 38 Ebenda, S. 165. 39 J. S. Schacter , The Pursuit of 'Popular Intent': Interpretive Dilemmas in Direct Democracy, in: Yale Law Journal, October 1995, S. 107-176 (111); siehe auch Eule , Judicial Review of Direct Democracy (Anm. 14), S. 1519-1520.
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gezwungen, die Verantwortung für eine missratene Politik als Folge einer Volksabstimmung zu übernehmen. Gute Beispiele sind die Wähler in Colorado, die 1999 einer Vorlage zugestimmt haben, die die Steuereinnahmen kürzte, die aber 2000 dafür gestimmt haben, dass Lehrer eine Gehaltserhöhung von 800 Millionen Dollar erhalten und die Klassengrößen reduziert werden sollten. 40 Oder die Wähler in Oregon, die in den letzten Jahren immer wieder (und gerade Anfang 2003) Steuern abgelehnt haben und jetzt zusehen müssen, wie die gewählten Vertreter Schulen schließen, Polizisten entlassen und eine Reihe wichtiger sozialer Dienstleistungen drastisch kürzen müssen.41 Auf der anderen Seite sind die Politiker manchmal nicht ohne Schuld daran, indem sie eine schwierige Entscheidung zur Abstimmung an das Volk weiterleiten und dadurch die repräsentative Demokratie wie auch ihre eigene Autorität unterminieren. In einigen Fällen werden Politiker sogar Initiatoren von Vorlagen, weil sie im normalen politischen Prozess keine Chance sehen oder sich profilieren wollen. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist nicht, dass die direkte Demokratie in den USA ein völliger Misserfolg oder dass sie im Prinzip falsch ist. Es ist aber klar, dass die Befürworter der direkten Demokratie von einem sehr idealisierten Bild ausgehen, dass sie viele empirisch fragliche Thesen aufstellen, dass es viele Probleme gibt, an die sie nie gedacht haben oder die sie ignorieren wollen, und dass sie Erwartungen geweckt haben, die übertrieben und sogar unerfüllbar sind. 42 Das bedeutet nicht, dass ihre Kritik an der repräsentativen Demokratie und dem Parlamentarismus völlig unberechtigt oder falsch ist. Die Politikverdrossenheit gibt es tatsächlich; die Rolle des Geldes ist in den USA offensichtlich; die Wahlbeteiligung, das politische Interesse und das Informationsniveau sind gering; einige Politiker bleiben viel zu lange im Amt und erwecken den Eindruck, sie hätten sich vom Volke abgesetzt; der politische Prozess ist oft undurchsichtig; und eine gewisse politische Romantik in Bezug auf grass roots democracy ist in der amerikanischen Bevölkerung stark verbreitet.
40 Ο. V., They Give, but They Also Take: Voters Muddle States' Finances, in: "New York Times" vom 2.3.2002, Al. 41 Ο. V., A Prescription Plan Hailed as a Model Is a Budget Casualty, in: "New York Times" vom 5.3.2003, A l . 42 Für neue, meist kritische Literatur zum Thema, siehe S. Bowler, T. Donovan, C. J. Tolbert (Hrsg.), Citizens as Legislators: Direct Democracy in the United States, Columbus 1998; D. Smith , Tax Crusaders and the Politics of Direct Democracy, New York 1998; E. R. Gerber , The Populist Paradox: Interest Group Influence and the Promise of Direct Legislation, Princeton 1999; L. J. Sabato/H. R. Ernst/ B. A. Larson (Hrsg.), Dangerous Democracy? The Battle over Ballot Initiatives in America, New York 2001; J. Haskell , Direct Democracy or Representative Government? Dispelling the Populist Myth, Boulder 2001; R. J. Ellis , Democratic Delusions: The Initiative Process in America, Lawrence 2002.
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Der direktdemokratische Prozess ist in Deutschland vielleicht weniger problematisch, weil die Themen, die man zur Volksinitiative bringen kann, begrenzt sind, weil die Quoren höher sind als in den USA, weil die Rassen-Spannungen vergleichsweise gering sind, weil der Vorgang den Landtag nicht völlig umgeht, weil die Parteien im allgemeinen stärker als die Interessengruppen sind, weil die Unterschriftensammlung nicht zur „Industrie" geworden ist, weil die Werbung im Fernsehen nicht die dominante Rolle im Wahlkampf spielt, und weil deshalb die Rolle des großen Geldes eine viel geringere Rolle spielt. 43 Die direkte Demokratie kann als Ventil gesehen werden. Sie kann die politische Agenda nicht nur in den einzelnen Staaten, sondern auch bundesweit beeinflussen, wie jetzt im Hinblick auf die Mandatszeitbegrenzung und illegale Immigranten. Sie ist wie auch die repräsentative Demokratie eine unvollkommene und problematische Entscheidungsform. Sie ist eine andere, vielleicht eine zusätzliche Form der demokratischen Entscheidung. Sie ist nicht die bessere oder „reine" Form.
43 Vgl. den Beitrag von H. Heussner , The Challenge of Direct Democracy, in: A. B. Gunlicks (Hrsg.), German Public Policy and Federalism: Continuing Issues in the PostUnification Era, New York/Oxford 2003 (im Erscheinen).
Die Entwicklung der kommunalen Demokratie und ihre strukturelle Ordnung in Korea Von Eung Kyuk Park und Jae-gak Jeong, Seoul
Im Jahr 2002 war in Korea ein Jahr der Wahlen. A m 13. Juni fanden die dritten Kommunalwahlen seit der Wiedereinführung der kommunalen Selbstverwaltung im Jahr 1991 statt. Am 19. Dezember wurden die 16. Präsidentschaftswahlen abgehalten. Diese beiden Wahlen haben besondere Bedeutung für Korea, weil sie die bisherige Demokratisierung in Korea konsolidiert haben. Die Wahlen wurden in einer fairen Atmosphäre im Vergleich zu den früheren Wahlen durchgeführt. Es entstand eine neue politische Kultur, Ausdruck eines zunehmenden demokratischen Bewusstseins der Bürger. Bei den Kommunalwahlen 2002 wurden 4.415 kommunale parlamentarische Mandate unter insgesamt 10.918 Kandidaten vergeben. Zudem wurden 16 Oberbürgermeister in den größeren Städten und 232 Bürgermeister auf Gemeindeebene gewählt. Auf diese Weise ist die kommunale Autonomie in Korea institutionalisiert. Allerdings hat das Interesse der Bürger an der Kommunalpolitik abgenommen, was seinen Ausdruck in einer mit 48 % äußerst niedrigen Wahlbeteiligung fand. Die Parteien engagierten sich angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen sehr bei den Kommunalwahlen. Daher waren diese Wahlen stark von den Parteien dominiert und die Aus Wahlmöglichkeiten der Bürger sowie ihre Teilnahme an der Kommunalpolitik begrenzt. Außerdem wird noch ein weiterer Faktor für die niedrige Wahlbeteiligung ins Feld geführt. Während des Wahlkampfes fand die Fußball-Weltmeisterschaft statt. Die Begeisterung der Bürger für die Nationalmannschaft war größer als für Kommunalpolitik. Anders als 1997 gab es in der Präsidentschaftswahl mehrere Innovationen im Wahlkampf. Die Regierungspartei führte zum ersten Mal in der Geschichte der Präsidentschaftswahlen in Korea eine innerparteiliche Nominierung des Präsidentschaftskandidaten durch. Dies markiert den Übergang zu einer wirklichen Demokratisierung der Partei. A m 9. März 2002 begannen die Vorwahlen zum Präsidentschaftskandidaten der regierenden MDP (Millennium Democratic Party). Die Wählerschaft rekrutierte sich aus 70.000 Personen, welche aus mehr als zwei Millionen Bewerben ausgewählt wurden und nur zum Teil aus Parteimit-
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gliedern bestanden. Zu Beginn stellten sich sieben Personen zur Wahl, und am 27. April, dem letzten Tag der Vorwahl, wurde Roh Moo-hyun in Seoul offiziell zum Präsidentschaftskandidaten der MDP ernannt. In Korea sind die Unterschiede zwischen den Parteien hinsichtlich ihres Programms nicht sehr groß. Dennoch war der Wahlkampf dieses Mal sehr erbittert und polarisiert. Zum einen war die soziale Herkunft der beiden Kandidaten höchst unterschiedlich. Roh ist der Sohn eines armen Bauern und konnte aufgrund seiner Armut nicht studieren. Dennoch schloss er das juristische Staatsexamen ab und wurde Anwalt. Er engagierte sich besonders für Menschenrechte und war Zeuge der repressiven Herrschaft von Chun Doo-Hwan in der fünften Republik von 1980-1988. Er strebt eine gerechtere Verteilung des Wohlstandes und ein besseres soziales Netz an. Der 67 Jahre alte Oppositionsführer Lee Hoi-chang, der Kandidat der Grand National Party (GNP), stammt dagegen aus der bürgerlichen Elite. Er machte Karriere als Richter und wurde Richter am Obersten Gerichtshof. Er trat zum zweiten Mal nach seiner Niederlage bei der Präsidentschaftswahl 1997 an. Lee Hoi-chang betonte während des Wahlkampfes vor allem seinen Wunsch nach einem Machtwechsel und der Ablösung der Regierung. Roh Moo-hyun, der Kandidat der regierenden MDP rückte die Notwendigkeit der Beendigung der „veralteten politischen Kultur 4 ' in den Mittelpunkt. Die freien und gerechten Wahlen von 2002 beenden die Phase der seit 1987 andauernden demokratischen Transition und konsolidieren die weitere Demokratisierung. Ein politisches System ist konsolidiert, wenn es Machtwechsel zwischen der regierenden und oppositionellen Partei gibt und die jeweiligen Politiker ihre Niederlage anerkennen.1 Dabei akzeptiert der politische Akteur auch die Meinung der Bevölkerung, die Legitimität der Regierung und den Prozess der Machtgewinnung.2 Dies verdeutlicht auch eine institutionelle Konsolidierung der Verfassung und der politischen Institutionen.3 Die Wiedereinführung der kommunalen Selbstverwaltung im Jahr 1991 und die Durchführung von Kommunalwahlen sind ein wichtiges Ergebnis der demokratischen Transition. Die Bevölkerung und die politische Elite halten die lokale Autonomie für ein
1 S. P. Huntington , The Third Wave: Democratization in the Late Twentieth Century, Norman, OK 1991, S. 266. 2 J. J. Linz , Transitions to Democracy, in: Washington Quarterly 13, 1990, S. 143164 (158); J. J. Linz/A. Stephan, The Breakdown of Democratic Regimes, Baltimore 1996, S. 6. 3 W. Merkel, Theorien der Transformation: Die demokratische Konsolidierung postautoritärer Gesellschaften, in: Κ. von Beyme/C. Offe (Hrsg.), Politische Theorien in der Ära der Transformation, Opladen 1996, S. 38. Es ist noch umstritten, welches Regierungssystem - ein parlamentarisches oder ein präsidenzielles - für Korea am besten geeignet ist.
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tragfähiges Modell, das auch in Zukunft weiter existieren soll und lehnen eine Rückkehr zu den alten Zuständen ab. In dieser Arbeit geht es um die Entwicklung der kommunalen Demokratie und ihre strukturelle Ordnung. Kommunalpolitik ist nicht nur Verwaltung, sie ist auch in hohem Maße Politik. Daher soll das Machtverhältnis zwischen Selbstverwaltung und dem kommunalen Parlament untersucht werden.
I. Ein historischer Überblick der kommunalen Autonomie in Korea 1. Die Anfangsphase der kommunalen Selbstverwaltung Die kommunale Autonomie in Korea wurde mit der ersten Verfassung im Jahr 1948 eingeführt und garantiert. Über die kommunale Selbstverwaltung gab es keine großen Diskussionen wie zum Beispiel über die Stellung und Machtbefugnisse des Präsidenten. Die Verfassung enthielt das Bekenntnis zum parlamentarischen System, das jedoch durch die Merkmale des präsidentiellen Systems stark abgeschwächt wurde. 4 Art. 97 der Verfassung bestimmt die Garantie der kommunalen Autonomie, und ein Gesetz über die kommunale Selbstverwaltung wurde bereits nach einem Jahr am 4. Juli 1949 verabschiedet.5 Die Bedeutung des Gesetzes über die kommunale Selbstverwaltung liegt darin, dass die kommunale Autonomie nun auch rechtlich und institutionell verankert wurde. Vor der Verabschiedung dieses Gesetzes existierte keine demokratisch gestaltete kommunale Selbstverwaltung, obwohl es schon einige Formen politischer Beteiligung der Bürger auf kommunaler Ebene gab. Das Gesetzt über die kommunale Selbstverwaltung teilte die Kommunen in zwei Gruppen auf, nämlich die Hauptstadt Seoul und Provinzen als höhere Verwaltung auf der einen Seite sowie Städte und Kommunen als lokale Ebene auf der anderen Seite. Dabei wurde der Bürgermeister der Hauptstadt Seoul und die Provinzgouverneure von den Staatspräsidenten ernannt. Die Bürgermeister der anderen Städte und Kommunen wurden von den lokalen Parlamenten indirekt gewählt. Bevor jedoch die erste Kommunalwahl stattfand, wurde bereits eine erste Novellierung des Gesetzes am 15. Dezember 1949 vorgenommen. 6 Der wichtigste Punkt der Gesetzesänderung war, dass die Bürgermeister der Städte und 4 Der Verfassungsentwurf sah ein parlamentarisches System mit zwei Kammern vor. Daher spielte die Nationalversammlung im Rahmen der ersten Verfassung eine überragende Rolle, obwohl das Amt des Staatspräsidenten nach einer Forderung von Rhee Syungman eingeführt wurde. C. Yu, Die Verfassungskommentar (kor), Seoul 1952, S. 26. 5 Gesetz Nr. 32 6 Gesetz Nr. 73
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Gemeinden ebenfalls durch den Staat ernannt wurden, bevor sich die kommunalen Parlamente konstituierten. Außerdem übernahm die obere Verwaltung die Funktion der lokalen Parlamente. Diese Veränderungen wurden mit Hinweisen auf eine unstabile Verwaltung und die öffentliche Unsicherheit durch die Staatsneugründung in der Nachkolonialzeit gerechtfertigt. Am 25. Juni 1950 brach der Koreakrieg aus, der die institutionelle Entwicklung der Demokratie maßgeblich beeinflusste. Der Krieg erschwerte die freie parlamentarische Arbeit der Opposition. Präsident Rhee sah es als unwahrscheinlich an, dass er durch die Nationalversammlung gewählt werden würde. Deshalb erwog er eine Direktwahl des Staatspräsidenten durch die Bevölkerung und ließ die Kommunalwahl plötzlich während des Krieges durchführen. Die Opposition war gegen die Wahl zu diesem Zeitpunkt, weil sie die Möglichkeit der Manipulation fürchtete. Trotz der Proteste der Oppositionspartei wurden die ersten Wahlen auf der kommunalen Ebene am 25. April 1952 und auf Provinzebene am 10. Mai 1952 abgehalten. Die Wahlbeteiligung lag auf kommunaler Ebene bei 91 % und bei 81 % auf Provinzebene. Bei diesen Wahlen wurden zumeist die Unabhängigen gewählt (42,3 %), die Oppositionspartei gewann dagegen nur 0,2 % der Stimmen. Die gewählten Amtsträger wurden später zu starken Befürwortern der Regierung. Am 12. Juni 1952 wurde ein Kompromiss zwischen Regierung und Opposition im Schatten des Kriegesrechts geschlossen. Dadurch wurde die direkte Wahl des Staatspräsidenten sowie des Vizepräsidenten eingeführt (Art. 53). Wie erwartet, wurde Syman Rhee am 5. August 1952 in direkter Wahl zum Staatspräsidenten auf weitere vier Jahre gewählt. Die erste Kommunalwahl zeigt, dass die kommunale Selbstverwaltung von den Machthabern als ein Instrument zur Machterhaltung missbraucht wurde. 7 Von der kommunalen Selbstverwaltung als „Schule der Demokratie 4' war man daher weit entfernt.
2. Die Diskontinuität der Selbstverwaltung Die erste Republik ging mit der Regierungspartei unter, als diese für die vierte Präsidentschaftswahl am 15. März 1960 einen betrügerischen Wahlkampf führte. Angesichts der offensichtlichen Manipulation kam es zu massiven Demonstrationen, und Präsident Rhee musste zurücktreten. 8 An die Stelle des gestürzten Präsidenten trat eine Übergangsregierung. Die Nationalversammlung
7 8
B. Son, Die kommunale Selbstverwaltung in Korea (kor), Seoul 1985, S. 29-31. J. Oh, Korea, Democracy on Trial, Ithace, New York 1968, S. 63 f.
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bildete einen Ausschuss zur Erarbeitung eines neuen Verfassungsentwurfes, der einen 55 Punkte umfassenden Verfassungsentwurf vorlegte. Die Wiedereinführung des parlamentarischen Systems war ein erstes Merkmal dieses Entwurfs. In Bezug auf die kommunale Selbstverwaltung bestimmte die Verfassung, dass die Bürgermeister von den Bürgern direkt gewählt werden sollten (Art. 97 Abs. 2). Solch eine verfassungsrechtliche Bestimmung des kommunalen Wahlmodus entstand aus der Erfahrung der früheren Regierung, und um eine willkürliche Veränderung der Kommunalwahlen zu erschweren. Die Bevölkerung erwartete eine direkte Wahl der Bürgermeister, weshalb die Regierung eine völlige Demokratisierung der kommunalen Selbstverwaltung plante. Schließlich wurde das Kommunalgesetz am 1. November 1960 verabschiedet.9 Es bildete die Grundlage für eine völlige kommunale Autonomie. Die direkte Wahl der Bürgermeister wurde sowohl auf der Ebene großer Städte als auch kleiner Gemeinden eingeführt. Eine Wahlperiode betrug nach diesem Gesetz vier Jahre. Nach der Verabschiedung des Kommunalgesetzes fanden die Wahlen zum Stadtparlament von Seoul und den Provinzparlamenten statt. Die Wahlbeteiligung betrug 67,4 %. A m 19. Dezember 1960 fand die Wahl der lokalen Mandate auf kommunaler Ebene statt. Die Wahlbeteiligung lag bei 78,9 %. A m 26. Dezember wurde die Bürgermeisterwahl in Gemeinden und am 29. Dezember Oberbürgermeister- und Gouverneurswahlen in Seoul und den Provinzen abgehalten. Die zweite Republik verabschiedete zur Reform der Politik und der Verwaltung eine neue Verfassung und schuf die Rahmenbedingungen zur Wiederherstellung der kommunalen Autonomie. Die Regierung herrschte legitim, konnte aber die massiven sozialen Krisen nicht bewältigen. Sie wurde als zu schwach betrachtet und schließlich von einer Militärregierung abgelöst. Die Militärmachthaber setzten die Verfassung außer Kraft und lösten die lokalen Parlamente am 16. Mai 1961 auf. A m 6. Juni 1961 erließ der Oberste Rat (das Gremium der Junta) ein „Gesetz über außergewöhnliche Maßnahmen zum staatlichen Wiederaufbau". 10 Nach diesen Maßnahmen sollten die Bürgermeister der Hauptstadt Seoul und der Städte mit mehr als 150.000 Einwohnern von der Regierung ernannt werden. Dabei sollten die Bürgermeister von den Kommunen durch die Provinzoberhäupter ernannt werden (Art. 20). Weiterhin wurden am 1. September 1961 die „Maßnahmen über die lokale Autonomie" 11 erlassen, in der „Up" und „Myon" eine Einheit der untersten Verwaltung der Regierung 9
Gesetz Nr. 563. Redaktionskomitee der gerichtlichen Untersuchung der koreanischen Revolution (Hrsg.), Die Geschichte der gerichtlichen Untersuchung der koreanischen Revolution, I (kor), Seoul 1962, S. 941-944. 11 Gesetz Nr. 702. 10
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wurden. Die kommunale Selbstverwaltung auf Gemeindeebene wurde hiermit abgeschafft und nur auf Kreisebene (County: Gun) beibehalten. Diese Umstrukturierung war auch ein Versuch, die Effizienz der Verwaltung zu erhö12
hen. Die Verfassung der dritten Republik bestimmt die Grundlinien der lokalen Autonomie und die konkreten Bestimmungen der Lokalverwaltung. Ein Gesetz über kommunale Selbstverwaltung wurde aus politischen Gründen von den damaligen Machthabern nicht verabschiedet. A m 17. Oktober 1972 wurde zusätzlich der Ausnahmezustand verhängt und die Nationalversammlung aufgelöst. Unter dem Ausnahmezustand wurde auch die Verfassung zugunsten einer starken Machtkonzentration auf den Staatspräsidenten völlig umgestaltet.13 Diese Yusin (Erneuerungs-)Verfassung verkündete in Bezug auf die kommunale Selbstverwaltung, dass die lokalen Parlamente bis zur Wiedervereinigung des Landes suspendiert werden sollten. 14 Die fünfte Republik (1981-1988) garantierte zwar verfassungsrechtlich die lokale Autonomie, aber die ergänzende Bestimmung des Art. 10 sah vor, dass zunächst die kommunalen Finanzmittel ein bestimmtes Niveau erreichen müssen und der Zeitpunkt der Wahl auch durch ein Gesetz geregelt wird. Solche Verfassungsmerkmale verhinderten die Verwirklichung der kommunalen Demokratie sowie die Beteiligung der Bürger an kommunalen Entscheidungsverfahren. Kommunale Selbstverwaltung wurde in diesem Sinne nur durch institutionelle Garantien gewährleistet, aber durch die Militärmachthaber nicht in die Tat umgesetzt.
3. Die Wiedereinführung der kommunalen Selbstverwaltung als Beitrag zur Demokratisierung A m 29. Juni 1987 veröffentlichte der Präsidentschaftskandidat der regierenden Partei, Roh Tae-Woo, eine „Erklärung für die Demokratie" in acht Punkten. Zu dieser Zeit hatte Präsident Chun den Stopp aller Diskussionen über eine Verfassungsreform verfügt. So bestätigte die Regierungspartei die Anwendung der damaligen Verfassung für die anstehende Wahl des Staatspräsidenten. Gleichzeitig nominierte sie Roh als ihren Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen. 12
W. Kan, Die städtische und kommunale Verwaltung (kor), Seoul 1985, S. 93. Entscheidender Punkt der Verfassung war der veränderte Wahlmodus des Staatspräsidenten. Der Staatspräsident wird nicht durch das Volk, sondern von der „Nationalen Konferenz für die Wiedervereinigung" gewählt (Art. 39), und es gab keine Begrenzung der Wiederwahl. Der Präsident hat das Recht, ein Drittel der Mandate der Nationalversammlung zu nominieren (Art. 40). Er hat außerdem das Recht, die Nationalversammlung ohne Begründung aufzulösen (Art. 59). 14 H. C. Hinton, Korea under New Leadership: The Fifth Republic, New York 1983, S. 175 f. 13
Die Entwicklung der kommunalen Demokratie in Korea
429
Da Roh an einem Militärputsch im Jahre 1979 beteiligt war, kam es unter der Bevölkerung zu unerwarteten und heftigen Demonstrationen gegen die Regierung, weil dieser Schritt als Maßnahme zu einer weiteren Verlängerung der Herrschaft ohne demokratischen Machtwechsel verstanden wurde. Die engagierten Demonstrationen ließen den Machthabern jedoch keine andere Wahl, als die Forderungen der Opposition zu akzeptieren. Die Acht-Punkte-Erklärung des Präsidentschaftskandidaten Roh war ein Zugeständnis und somit ein Sieg der Bevölkerung im jahrelangen erbitterten Kampf um Demokratie gegen die autoritäre Militärherrschaft. Der erste Punkt der Erklärung war eine Verfassungsänderung, um die Direktwahl des nächsten Präsidenten zu ermöglichen und damit einen friedlichen Machtwechsel zu gewährleisten. Der sechste Punkt nahm Bezug auf die kommunale Selbstverwaltung und die Einführung von Wahl kommunaler Parlamente (Gemeinderäte), denen später freie Wahlen auf städtischer und Provinzebene folgen sollten. Die neue Verfassung der sechsten Republik sieht die direkte Wahl des Staatspräsidenten vor (Art. 67). Der gewählte Präsident wird danach nur über eine einmalige fünfjährige Amtszeit gewählt. Das Machtverhältnis zwischen Legislative und Exekutive wurde neu koordiniert. Das Recht des Präsidenten, die Nationalversammlung aufzulösen, wurde abgeschafft, und das Untersuchungsrecht der Nationalversammlung (das jährliche Untersuchungsrecht) wurde wieder in die Verfassung aufgenommen. Unter diese neuen Rahmenbedingungen fand die Wahl des Staatspräsidenten am 16. Dezember 1987 statt. 15 Wegen der Zersplitterung der Opposition konnte Roh mit 36,6 % der Stimmen zum Staatspräsidenten gewählt werden. Unter einer ähnlichen Situation fand die Wahl zur Nationalversammlung am 26. April 1988 statt. Es entstand ein Vierparteiensystem, in dem die drei oppositionellen Parteien mit 164 Mandaten die Mehrheit bildeten, während die regierende Partei 125 Mandate bekam. Diese Entwicklung schuf eine neue politische Landschaft. Die regierende Partei fürchtete weiterhin die Einführung der Kommunalwahlen, weil sie um ihre Unbeliebtheit unter Bürgern wusste. Im Jahr 1989 legte der Präsident Roh sein Veto gegen das Kommunalgesetz ein, welches durch die oppositionellen Parteien entworfen wurde. Es sagte aus, dass die Bürgermeisterwahlen vor den Lokalparlamentswahlen durchgeführt werden sollten. Um das Thema Kommunalwahlen wurde ein Machtkampf geführt. Nach einem Kompromiss zwischen den Parteien wurde die Novellierung des Kommu-
15 M. Lee, The Odyssey of Korean Democracy-Korean Politics 1987-1990, New York 1990, S. 45.
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nalgesetzes am 19. Dezember 1989 verabschiedet. Allerdings wurde nach der Fusion der Regierungspartei mit einer der Oppositionsparteien im Jahr 1990 erneut die Durchführung der Kommunalwahlen verschoben, wogegen sofort heftiger Protest von Seiten der Opposition unter der Führung von Kim Dae Jung einsetzte. 1991 fanden erstmals seit 40 Jahren Lokalparlaments wählen statt. Die für das Jahr 1992 geplante Wahl der Bürgermeister wurde verschoben und fand erst 1995 statt.
I I . Institutionelle Struktur der kommunalen Selbstverwaltung Korea besteht aus administrativer Sicht aus neun Provinzen (Do), sechs Metropolen (Kwangyok-si) und der Hauptstadt Seoul, welche eine besondere Stellung hat. In Bezug auf die Struktur der kommunalen Selbstverwaltung werden zwei Typen, das Ein-Organ-System (single-tier-System) und das Multi-OrganSystem (multi-tier-System) unterschieden. Seit 1961 wurde die Stadt Seoul nach dem Ein-Organ-System und die anderen Städte und Provinzen nach dem ZweiOrgan-System verwaltet. Im Jahr 1988 führte auch die Stadt Seoul, die mehr als 11 Millionen Einwohner hat, das Zwei-Organ-System ein. Sie ist nun in eine Zentralregierung und verschiedene Stadtbezirke (kun) aufgeteilt, von denen es momentan 25 gibt. Metropolen (Kwangyok-si) umfassen die Stadtbezirke (kun) und Kreise (kun). Die unterste Einheit fasst städtische Wohngegenden (dong) und ländliche Wohngegenden (ri) zusammen. Wenn die Zahl der Einwohner einer Stadt über eine Million wächst, wird die Stadt in eine autonome Metropole (Kwangyok-si) umgewandelt, von denen es momentan sechs gibt. Insgesamt gab es in Korea im Jahr 2000 69 Städte, 69 städtische Bezirke, 91 Kreise. Die Zahl der Städte wird wegen der fortschreitenden Urbanisierung weiter zunehmen. Städtische Gebiete sind stärker besiedelt als ländliches Gebiet, aber die Fläche ländlicher Gebiete ist insgesamt gesehen größer. Bei der Beziehung zwischen der kommunalen Selbstverwaltung und oberer Kontrollbehörde in einem Zwei-Organ-System herrschen streng hierarchische Verhältnisse, da die obere Selbstverwaltung Prüflings- und Kontrollrechte gegenüber der unteren Selbstverwaltung ausübt. Die Zentralregierung, d.h. das Innenministerium, kontrolliert die neun Provinzen (Do) und sechs Metropolen (Kwangyok-si). Die Hauptstadt steht unter der Kontrolle des Premierministers.
Die Entwicklung der kommunalen Demokratie in Korea
431
1. Das Machtverhältnis zwischen Verwaltung und Rat Das System der kommunalen Selbstverwaltung basiert auf einer Form, in der das „dualistische" Prinzip der Trennung von beschließenden und ausführenden Gemeindeorganen besonders deutlich angelegt ist. Die Bürgermeister und die parlamentarischen Mandatsträger werden jeweils von den Bürgern direkt gewählt. Der Bürgermeister gilt als Repräsentant der Gemeinde und Leiter der Verwaltung, ist aber nicht Vorsitzender des Rates/kommunalen Parlaments. So gesehen ist die koreanische Kommunalverfassung anders aufgebaut als ζ. B. die Süddeutsche Ratsverfassung, in welcher der Bürgermeister drei grundlegende Funktionen besitzt. Er ist Repräsentant der Gemeinde, Leiter der Verwaltung und Vorsitzender des Rates.1 Im Vergleich zu der Norddeutschen Ratsverfassung gibt es keine Höherstellung des Rates über die Verwaltung. 17 Auf der kommunalen Ebene gibt es eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative wie bei der Zentralregierung. Unter dem dualistischen System in Korea haben die Bürgermeister eine stärkere Stellung als der Rat.
2. Die Stellung und die Aufgaben des Bürgermeisters Die Stellung des Bürgermeisters/Verwaltungsleiters wird zunächst dadurch verstärkt, dass er nicht vom kommunalen Parlament/Rat, sondern von der Bevölkerung gewählt wird. Er vertritt die Gemeinden nach außen und unterzeichnet Erklärungen, die die Gemeinde verpflichten (Art. 92 Kommunalgesetz). In einer Gemeinde, in der die traditionelle konfuzianische Kultur verankert ist, genießt der Bürgermeister noch zusätzliches Ansehen. Der Bürgermeister leitet die Kommunalverwaltung und ist verantwortlich für die Geschäfte der Gemeinde. Er führt die Dienstaufsicht über die Beamten und Angestellten. Auch die finanzielle Planung und ihre Durchführung gehören zu seinem Zuständigkeitsbereich. Die Amtszeit des Bürgermeisters beträgt vier Jahre, und er kann maximal dreimal kandidieren. Der Bürgermeister hat zusätzlich eine Funktion als staatliches Organ, weil die Gemeinde eine Doppelfunktion hat: Sie ist Selbstverwaltungskörperschaft und zugleich ausführendes Organ des Staates. Die Gemeinde führt normalerweise die Selbstverwaltungsaufgaben selbstständig durch. Außerdem erledigt
16 H.-G. Wehling, Die Süddeutsche Ratsverfassung in Baden-Württemberg und Bayern, in: G. Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 2: Kommunalverfassung, 2. Auflage, Berlin u. a. 1982, S. 230 ff. 17 H. U. Erichsen (Hrsg.), Kommunalverfassung heute und morgen - Bilanz und Ausblick, Köln u. a. 1989; P. M. Mombaur (Hrsg.), Neue Kommunalverfassung für Nordrhein-Westfalen?, Köln 1998.
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sie für den Staat verschiedene Auftragsangelegenheiten (vgl. Tabelle 1). In diesem Fall steht sie unter der Rechtsaufsicht des Staates, sie wird fachlich sowie nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit beaufsichtigt und unterliegt seinen Weisungen. Gegenüber dem kommunalen Parlament hat der Bürgermeister mehr Rechte. Der Bürgermeister kann außerordentliche Parlamentssitzungen einberufen. Sonst werden die zusätzlichen Parlamentssitzungen nur einberufen, wenn ein Drittel der Parlamentarier dies beschließt (Art. 39 Abs. 2 Kommunalgesetz). Zudem kann der Bürgermeister gegen folgende Entscheidungen der Räte sein Veto einlegen: -
wenn die Entscheidungen oder Maßnahmen des Rates seine Befugnisse überschreiten,
-
wenn eine Entscheidung des Rates einen höheren finanziellen Aufwand umfasst, als die Gemeinde selbst tragen kann,
-
wenn der Rat die obligatorische Ausgabe herabsetzt, welche die Gemeinde zu tragen hat,
-
wenn der Rat die für Katastrophenschutz notwendigen Ausgaben (natural disaster relief expenditure) reduziert (Art. 98, Art. 99 Kommunalgesetz).
In solchen Fällen können die Räte ihre Entscheidung mit Zwei-DrittelMehrheit wieder in Kraft setzen, was sich aber in den meisten Fällen als schwierig gestaltet. Eine weitere Aufgabe des Bürgermeisters ist es, die Angestellten des parlamentarischen Sekretariates nach Empfehlung des Ratsvorsitzenden zu ernennen. Die Vize-Bürgermeister der Stadt Seoul und der großen Städte sowie die Vize-Gouverneure der Provinzen werden nach Antrag der Bürgermeister/Gouverneure durch die Zentralregierung ernannt. 18 Um die Rechte der Bürgermeister zu sichern, wird dieser Ernennungsprozess innerhalb von 30 Tagen abgeschlossen, falls es keine rechtliche Disqualifikation der Kandidaten gibt. Auf Gemeindeebene, d.h. bei Bezirken und Kreisen, ernennen die Bürgermeister die Vize-Bürgermeister selbst. Die Bürgermeisterwahl wurde in der Öffentlichkeit viel diskutiert, und die direkte Wahl des Bürgermeisters durch die Bürger wird auch als Symbol der Demokratisierung der Kommunen betrachtet. Zuvor wurde der Bürgermeister durch die Zentralregierung ernannt, wogegen die Bevölkerung stark protestiert hatte. Die Bevölkerung sieht die Etablierung der lokalen Autonomie als einen
18
Die Vize-Bürgermeister nehmen jeweils administrative und politische Angelegenheiten wahr. Sie stammen zumeist aus dem Beamtenapparat.
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Die Entwicklung der kommunalen Demokratie in Korea
Indikator für die Demokratisierung des Landes und insbesondere die direkte Wahl des Bürgermeisters als einen Hauptpunkt lokaler Demokratie.
3. Kommunales Parlament Das Vorbild des Kommunalparlaments basiert auf der Nationalversammlung. Daher haben die Kommunalparlamente ähnliche Funktionen und Aufgaben. Im dualistischen System jedoch ist das Kommunalparlament im Vergleich zu dem Bürgermeister schwächer gestellt. Das Kommunalgesetz regelt, was das Kommunalparlament beschließen kann (Art. 35. Abs. 1 Kommunalgesetz). -
Beschließung und Aufhebung der Satzungen als örtliches Gesetz,
-
Überprüfung und Beschließung des Haushalts,
-
Billigung der Haushaltsrechnung,
-
Gebührenordnungen,
-
Gründung von Fonds und ihre Verwaltung,
-
Finanzverwaltung,
-
Einrichtung der öffentlichen Anlagen, Verwaltung und Verkäufe,
-
Annahme von Petitionen,
-
Austausch und Zusammenarbeit mit ausländischen Gemeinden.
Außerdem können Kommunalparlamente die Namen der Dörfer oder Straßen ändern (Art. 4 Abs. 3), Wertpapiere ausgeben (Art. 115, Abs. 1) und Etaterhöhungen genehmigen. Was durch den Art.35 Abs.l geregelt wird, ist unerlässlich für das Handeln des kommunalen Parlaments. Aufgrund des Satzungsrechts kann das Kommunalparlament in Angelegenheiten des Bürgermeisters mitwirken, wenn es will. Jedoch ist die Mitwir19
kungsmöglichkeit des Parlaments durch Gesetze des Staates beschränkt. Die kommunale Selbstverwaltung nimmt die durch Gesetzesverpflichtungen auferlegten Aufgaben und die staatlichen Auftragsangelegenheiten wahr. Bei solchen Auftragsangelegenheiten haben die Gemeinden keine Freiheit, weshalb nur ein verhältnismäßig geringer Spielraum für die Gemeinde bleibt. Eigene Initiativen sind damit nahezu ausgeschlossen. Ihr Handlungsspielraum ist nur insoweit gesichert und autonom, als sie über ihre Satzungshoheit die Rechtsgrundlagen ih-
19
B. Kim, Die kommunale Selbstverwaltung Koreas (kor), Seoul 2000, S. 291.
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res Handelns selbst setzen können. Alle örtlichen Satzungen dürfen wiederum nur „im Rahmen der Gesetze" ergehen. Tabelle 1 zeigt die Aufgabenteilung zwischen Zentral- und Lokalregierung. Die Zentralregierung übernimmt 75 % aller öffentlichen Angelegenheiten. Nur 25 % werden von den Lokalregierungen erfüllt. Davon wiederum ist etwa die Hälfte staatliche Auftragsarbeit. Tabelle 1 :
Die Aufgabenteilung zwischen Zentral- und Lokalregierung im Jahr 1993 Bereich
Zentrale Regierung
Lokale Regierung Auftrag
Insges.
Eigene
Verteidigung, Diplomatie,
3.049
267
681
3.997
Recht und Ordnung
(76 %)
(17%)
(100%)
716
Industrie, Finanzen,
6.024
(7%) 1.270
Technologie
(75 %)
(16%)
(9%)
8.010 (100%)
Bildung, Kultur, Wohlfahrt
2.671 (71 %)
383 (10%)
713 (19%)
3.767 (100%)
1.920 (12%)
2.110
15.774
(13%)
(100%)
Insges.
11.744 (75 %)
Quelle: Innenministerium, Untersuchung der Funktionen der Regierung 1994, S. 38-39. Die Zahlen geben die Summen von Aufgaben an, die gemäß den Gesetzen erfüllt werden.
Auch die Entscheidungen des Kommunalparlaments stehen unter der Kontrolle und Aufsicht der Zentralregierung und der höheren Verwaltung. Der Bürgermeister kann vom Kommunalparlament eine wiederholte Prüfung der Beschlüsse verlangen. Bei Entscheidungen von Provinzen und großen Städten kann der Innenminister eine wiederholte Prüfung verlangen. Bei Beschlüssen von Gemeinden und Kreisen übernimmt diese Aufgabe die höhere Verwaltung, nämlich der Provinzen und der großen Städte. Der Entscheidungsspielraum der Kommunalparlamente wird noch zusätzlich durch finanzielle Knappheit begrenzt. 20 Frei verfügbare Finanzmittel sind notwendig für die Entwicklung eigener Pläne und die Durchführung von Initiativen. Alle Kommunen mit Ausnahme der Stadt Seoul leiden an Finanznot.21 Zusätzlich wird ein Mangel an Personal kritisiert. Das meiste Personal arbeitet in der Zentralregierung. Die Konzentration des Personals wird im Vergleich 20 B. Kim, Die Analyse der Beziehung zwischen Bürgermeister und Rat, in: Bericht des „Korea Research Institute for Local Administration", Vol. 48, 1989, S. 178. 21 Κ Kim , Local Autonomy and Local Government Finance in Korea, in: Cho, Chang-hyun/Ronald Meinardus (Hrsg.), Local Autonomy and Local Finance, Center for Local Autonomy Hanyang University, 1996, S. 305 ff.
Die Entwicklung der kommunalen Demokratie in Korea
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zu anderen Ländern deutlich. So sind in Deutschland 30 % aller öffentlichen Bediensteten in Gemeinden und weitere 38 % bei den Ländern tätig, während lediglich 10 % beim Bund arbeiten. 22 Es werden daher mehr kompetente Arbeitskräfte fur die wirkungsvolle Unterstützung der Kommunalverwaltung ein* * 23
gesetzt.
Tabelle 2:
Die Tendenz der finanziellen Selbständigkeit (Anteil der eigenen Einnahmen) 1987
1988
1989
90
91
92
2000
Seoul
97.5
97.3
98.1
98.3
98.3
98.3
94.8
Metropolen
84.4
82.2
89.7
83.1
83.1
97.3
74.5
Provinzen
32.7
36.4
32.1
33.6
45.1
49.0
37.9
Städte
57.8
53.7
68.3
69.2
71.5
74.7
50.6
Kreise
25.9
26.8
27.2
28.5
27.3
29.3
22.0
-
-
-
46.0
50.0
51.2
46.9
57.5
59.3
63.5
64.8
66.4
69.6
59.4
Gemeinden Insges.
Quelle: Innenministerium, Bericht über kommunale Finanzen, 1987-1992, 2000
Tabelle 3:
Beamte in Zentral- und Lokalregierung (in Tausend) Zentralregierung Lokalregierung Insges.
1970
1980
1985
1990
1995
2000
344,2 (83,4 %)
438,5 (74,4 %)
461,9 (70,0 %)
539,9 (67,1 %)
558,5 (62,8 %)
548,1 (64,2 %)
68,7 (16,6%)
150,6 (25,5 %)
198,1 (30,0 %)
(32,9 %)
331,3 (37,2 %)
305,9 (35,8 %)
412,9 (100%)
589,1 (100%)
660,0 (100%)
803,3 (100%)
889,8 (100%)
972,1 (100%)
263,4
Quelle: Innenministerium, Statistisches Jahrbuch, 1996, 2002
4. Kontrolle der Verwaltung durch das Kommunalparlament Die repräsentative Demokratie beruht auf der Beschränkung und gegenseitigen Kontrolle politischer Macht. Kontrollfreie Räume in Bezug auf Verwaltung und ihre Handlungen werden in einem demokratischen Rechtsstaat nicht geduldet. Politische Kontrolle setzt die Gewaltenteilung unterschiedlicher Institutio-
22 23
Statistisches Bundesamt, Jahrbuch 1992, S. 540.
C. Cho, Local Autonomy and Local Personal System in Korea, in: Chang-hyun Cho/Manfred Ziemek, Local Autonomy and Local Personal System, Center for Local Autonomy Hanyang University 1995, S. 403 ff.
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nen, die Möglichkeit der Revision oder die Rücknahme von Entscheidungen voraus. Die Grundlage der Kontrolle bildet politische Verantwortlichkeit. Kontrolle setzt auch Entscheidungsfreiheit und Rechenschaftspflicht voraus. Nach Karl Löwenstein kann man die Kontrolle in Bezug auf die Grundentscheidung (policy determination), die Ausführung (policy execution) und Ergebnisse (policy control) unterscheiden. 24 Dazu kann man noch Rechtmäßigkeit-, Wirtschaftlichkeit-, Richtungs- und Erfolgskontrollen hinzufügen und die Wirksamkeit der Kontrollen betrachten. 25 Auf kommunaler Ebene besitzt die Selbstverwaltung den Spielraum für die Gestaltung der Politik nach eigenen Überlegungen. Außerdem muss die Selbstverwaltung die Auftragsangelegenheiten des Staates korrekt sowie sachgerecht erfüllen und Rechenschaft für ihre Handlungen ablegen. Die Lokalregierung besitzt auch Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten, wobei das Kommunalparlament hierbei eine Hauptrolle spielt. Die kommunalen Parlamente haben wie die Nationalversammlung das Untersuchungsrecht. Rechtsgrundlage der parlamentarischen Untersuchung stellt die Verfassung dar. In den koreanischen Verfassungen von 1948 (Art. 43), 1960 (Art. 43) und 1962 (Art. 57) wurde das Untersuchungsrecht des Parlaments garantiert. Die gegenwärtige Verfassung kennt zwei Arten des Untersuchungsrechts: das „allgemeine" sowie das »jährliche" Untersuchungsrecht. Die jährliche Untersuchung erfolgt in Korea automatisch, so dass die Nationalversammlung ohne besonderen Beschluss des gesamten Parlaments oder des Ausschusses seine Kontrolle gegenüber der Regierung und den staatlichen Behörden ausüben kann. Die jährliche Untersuchung wird zu Beginn der regulären Herbstsitzung unter Teilnahme aller Abgeordneten als Akteure durchgeführt. Die Untersuchungsdauer ist auf maximal 20 Tage begrenzt. Dieses jährliche Untersuchungsrecht ist für Kommunen nach der achten Novellierung des Kommunalgesetzes aus dem Jahre 1989 gesetzlich bestimmt, so dass die parlamentarische Untersuchung gegenüber der Verwaltung jährlich einmal durchgeführt werden muss (Art. 36 Abs. 1 Kommunalgesetz). Alle Mitglieder des Parlaments nehmen an der Untersuchung teil. Es ist zudem auch möglich, ohne bestimmte Parlamentsbeschlüsse spezifische Anliegen zu untersuchen. Die Dauer der Untersuchung ist unterschiedlich geregelt. Bei den Provinzen und den großen Städten dauert sie maximal sieben Tage, und bei den anderen Städten, Kreisen und Gemeinden sind es fünf Tage. Diese Untersuchungszeit 24
K. Löwenstein, Verfassungslehre, Tübingen 1959, S. 31 ff. P. Kevenhörster, Kontrolle der Aufgabenerfullung, in: G. Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunale Wissenschaft und Praxis, Bd. 3, 2. Auflage, Berlin u. a. 1983, S. 445 ff. 25
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wurde nach der Novellierung des Kommunalgesetzes im Jahr 1994 jeweils um zwei Tage verlängert. So wurde das Untersuchungsrecht des Rates verstärkt. Wenn ein Drittel der Parlamentarier es beschließt, kann auch ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden. Vor der Novellierung des kommunalen Gesetzes war der Untersuchungsgegenstand auf den Bereich der Selbstverwaltungsaufgaben beschränkt. Das bedeutet, dass die Gemeindevertretung keine Fachaufsicht über die staatlichen Auftragsangelegenheiten hat. In Bezug auf die Auftragsangelegenheiten üben die Nationalversammlung und die Parlamente von Provinzen und großen Städten das jährliche Untersuchungsrecht gegenüber den unteren Selbstverwaltungen wie Kreisen, Gemeinden und Bezirken aus. Das Kommunalparlament besitzt ein Informationsrecht und kann daher Akteneinsicht verlangen. Die Akteneinsicht dient dem Informationsrecht der Bürger. Ein noch wichtigeres Untersuchungsmittel ist die Vernehmung von Betroffenen bzw. Zeugen (Art. 36 Abs. 4 und 5 Kommunalgesetz). Wenn die Zeugen verweigern, zum Untersuchungsausschuss zu kommen und auszusagen, dann kann das Kommunalparlament auch finanzielle Sanktionen von bis zu 4.000 Euro (5 Millionen Won) verhängen. Aber die Untersuchung des Kommunalparlaments, die durch den Beschluss der Abgeordneten eingesetzt werden kann, ist nur bei Selbstverwaltungsangelegenheiten möglich. Laut Kommunalgesetz (Art. 36 Abs. 3) gehört die Fachaufsicht über die recht- und ordnungsgemäße Erledigung der vom Staat oder der höheren Verwaltung - Provinzen und den größeren Städten - übertragenen Aufgaben sowie die Verwaltungsaufsicht zu den Rechten der Nationalversammlung und den entsprechenden Parlamenten von Provinzen und von großen Städten. Diese gesetzlichen Regelungen stoßen jedoch auf heftige Kritik und den Widerstand der kommunalen Beamten und Parlamentarier. 26 Insbesondere tauchten mehrmals Konflikte auf, als die Nationalversammlung die jährliche Untersuchung in der Stadt Seoul durchführte. Die Beamten der Stadt Seoul haben z.B. im Jahr 2001 ihre Arbeit niedergelegt, um gegen diese Untersuchung durch die Parlamentarier der Nationalversammlung zu protestieren.
26 Die Parlamentarier der Nationalversammlung haben starkes Interesse an der jährlichen Untersuchung auf kommunaler Ebene, weil sie diese als Chance nutzen wollen, ihren Wahlkreis zu pflegen und ihr persönliches Ansehen in den Wahlkreisen zu erhöhen.
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I I I . Die Perspektive der kommunalen Demokratie In Korea ist die lokale Selbstverwaltung sicherlich eine neue politische Einrichtung, die eine Jahrhunderte alte Tradition der konfuzianischen Kultur und zentralisierte Verwaltung ersetzt. Zusätzlich wurden seit der Gründung der Republik nach dem zweiten Weltkrieg durch die Institutionalisierung der lokalen Autonomie und entsprechendes Engagement der Bürger an dem politischen Prozess die autoritären Regime bzw. die Militärherrschaft verhindert. Vor 30 Jahren wurde die Zukunft der Demokratie in Korea noch skeptisch beurteilt. Es wurde die Frage gestellt, ob Korea pluralistische Werte akzeptieren würde. 27 Im 21. Jahrhundert wurde Korea nicht nur ein industrialisiertes Land, sondern auch demokratisch. In den letzten Jahren hat beispielsweise die Zahl der NGOs dramatisch zugenommen und liegt derzeit bei ca. 7.600. Von diesen wurden 56,5 % erst in den 1990er Jahren gegründet. 28 Der Bereich ihrer Aktivitäten dehnte sich vom Schutz der Menschenrechte und Forderung nach mehr Demokratie zu Umweltthemen, sozialen Problemen, Tierschutz und ähnlichen Themen aus. Früher waren die NGOs außerdem in der Stadt Seoul konzentriert, nun sind sie in vielen Kommunen verbreitet. Ein Drittel der NGOs, welche in den 1990er Jahren gegründet wurden, sind in den Kommunen entstanden. Die Entwicklung und die Aktivitäten von zivilen Gruppen sind ein wichtiges soziales Kapital und ein Beitrag zur demokratischen Konsolidierung. 29 In der Kommunalpolitik kann man ein aktives Engagement der NGOs erkennen. Generell jedoch ist die Teilnahme der Bürger und ihre Rolle begrenzt. Letzte Erfahrungen in der Kommunalpolitik bestätigen, dass die Mitwirkung der Bürger bei der direkten Wahl der Bürgermeister und die Teilnahme an der Wahl des Lokalparlaments gering sind. Unter direktdemokratischen Mitbestimmungsrechten der Bürger zählt man die Referenden, also Bürgerbegehren und -entscheide auf kommunaler Ebene. Die Ausübung dieses plebiszitären Entscheidungsrechts ergänzt das Handeln des repräsentativen Kommunalparlaments. Daher sollte nicht nur die Direktwahl des Verwaltungschefs und der politischen Mandate sondern auch die mögliche Abwahl (z.B. des Bürgermeisters) durch Bürgerentscheid zu den direktdemokratischen Entscheidungsrechten des Bürgers gezählt werden. Im Vergleich etwa mit der Tradition der direktdemokratischen Kommunalpolitik in der Schweiz ist die direkte Demokratie in Korea allerdings noch nicht sehr fest verankert.
27
S. P. Hungtion , Political Order in Changing Societies, New Haven 1968, S. viii. S. Kim , Development of Korean NGOs and Governmental Assistance to NGOs, http://fnf-cla.hanyang.ac.kr/english . 29 R. D. Putnam , Making Democracy Work, Princeton 1993; R. D. Putnam , Bowling Alone, New York u. a. 2000. 28
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Allerdings wird derzeit die institutionelle Einführung der Abwahl des Bürgermeisters und von Referenden in Korea stark gefördert. Sonst haben die Bürger nur ein Mitwirkungsrecht am Wahltag und bleiben in der Zwischenzeit Zuschauer. In solch einer Situation fungiert die kommunale Selbstverwaltung während der Wahlperiode als repräsentatives Organ ohne Mitbestimmung der Bürger, die nur bürgerorientierte Verwaltungsdienstleistungen anbietet. Bürgerbeteiligung ist grundsätzlich nötig auf jeder Regierungsebene und bei der politischen Entscheidungsfindung. Sie ermöglicht die breite Teilnahme und das Engagement der Bürger z.B. bei der Problemfindung. Die Beteiligung der Bürger an Entscheidungsprozessen, der Durchführung von Entscheidungen sowie ihrer abschließenden Bewertung ist Voraussetzung für eine erfolgreiche and von der Bevölkerung akzeptierte Kommunalpolitik. Die Bürger brauchen dazu nicht nur ein Zugangsrecht zu Informationen, sondern auch Kenntnisse der kommunalen Angelegenheiten. Auf diese Weise entsteht ein Identitäts- und Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Kommune, und die Bürger lernen auch Eigenverantwortung. Die kommunale Demokratie funktioniert am besten, wenn es enge Beziehungen und wechselseitige Kommunikation zwischen den Institutionen und den Bürgern gibt. In dieser Hinsicht müssen die kommunale Selbstverwaltung und die kommunale Demokratie noch weiter gefördert werden.
VI. Verwaltungsreform
Traditional Public Administration versus the New Public Management: Accountability versus Efficiency By James P. Pfiffher, Fairfax (Virginia)
The development of the classical model of public administration owes much to the administrative tradition of Germany and the articulation of the principles of bureaucracy by Max Weber. The development of modern bureaucracies made possible the industrial revolution and the breakthroughs of modern economies. But at the end of the 20 th century that classical model of public administration was challenged by what has been called the "new public management." This chapter will characterize the "traditional" and the "new public management" approaches to public administration and then compare them on three fundamental questions that every theory of public administration must answer: 1) what shall be done, i.e. policy direction; 2) who shall do it, i.e. personnel management; and 3) how to enforce compliance, i. e. accountability. The conclusion will examine the tension between accountability and efficiency in traditional public administration and the new public management in answering the three fundamental questions posed above.
I. Classical Public Administration The traditional model of public administration rests in important ways on the articulation by Max Weber of the nature of bureaucracy. Weber emphasized control from top to bottom in the form of monocratic hierarchy, that is, a system of control in which policy is set at the top and carried out through a series of offices, with each manager and worker reporting to one superior and held to account by that person. The bureaucratic system is based on a set of rules and regulations flowing from public law; the system of control is rational and legal. The role of the bureaucrat is strictly subordinate to the political superior. Max Weber described the role of the civil servant and the importance of hierarchical control in a bureaucratic system: "To take a stand, to be passionate ... is the politician's element... indeed, exactly the opposite principle of responsibility from that of the civil servant. The honour of the civil servant is vested in his ability to execute conscientiously the order of the supe-
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rior authorities. ... Without this moral discipline and self-denial, in the highest sense, the whole apparatus would fall to pieces."1
While the system which Weber observed in Germany developed over several centuries, there was a parallel development of bureaucracy in other countries during the industrial revolution. 2 This model of bureaucracy was crucial to the development of large scale enterprises, private or public, throughout the developed world. In the United States public administration Woodrow Wilson, later to become president, contributed to the traditional model by arguing for the separation of administration from political policy making. According to Wilson, citing as authority "eminent German writers", "... administration lies outside the proper sphere of politics. Administrative questions are not political questions. Although politics sets the tasks for administration, it should not be suffered to manipulate its offices." 3 Wilson was one of the main proponents of the politicsadministration dichotomy which has been much reviled by later public administration scholars, but which has often been misunderstood. Those who dismiss the concept as obsolete take it as an empirical assertion about how administration works in practice. They observe that in fact, many high level civil servants have an important impact on policy, and thus dismiss the dichotomy. The real importance of the politics-administration dichotomy, however, has to do with its normative implications.4 That is, the principle implied by the dichotomy is that elected officials and their direct appointees have the legal right to make policy decisions for the polity, and it is the duty of career civil servants to carry out those policies in good faith. Thus it is the moral obligation of the dichotomy that is important, not its empirical content. Frederick Taylor made a contribution to the classical model with his time and motion studies and careful analysis of the role of managers and workers. His techniques and managerial practices were adopted widely in the United States and throughout the world in the early 20 th century. Taylor's Principles of Scientific Management , published in 1911, was translated into German, and "Taylorism" was popular with German engineers before and after World War
1 M. Weber, Politics as a vocation, in: H. H. Gerth/C. W. Mills, From Max Weber, New York 1946, p. 95. 2 See the discussion by Κ König, The System and Environment of German Public Administration, in: K. König/H. J. von Oertzen/F. Wagener (eds.), Public Administration in the Federal Republic of Germany, Antwerp, Boston, London, Frankfurt 1983, pp. 1-19. See also the "Preface" in the same volume. 3 W. Wilson, The Study of Administration, in: Political Science Quarterly (June 1887), reprinted in Frederic C. Mosher, Basic Literature of American Public Administration, 1787-1950, New York 1981, p. 74. 4 See H. Heclo, The In-and-Outer System: A Critical Assessment, in: G. C. Mackenzie (ed.), The In-and-Outers, Baltimore 1987, pp. 195-216.
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I. 5 Taylor's principles of management emphasized tight control of work processes and careful planning by managers. Although his management techniques have been used at times to control workers to the point of domination, his original ideas did not necessarily imply the exploitation of workers. The traditional model of public administration spread throughout the industrialized world and ushered in the relative success of modern industrialized economies. Guy Peters summarizes the principles of the traditional model in the following list of its major characteristics: 1) An apolitical civil service; 2) Hierarchy and rules; 3) Permanence and stability; 4) An institutional civil service; 5) Internal regulation; 6) Equality (internally and externally to the organization). 6 Since this traditional model was so successful in aiding the development of modern economies and Weber argued that it was the most efficient mode of organization possible, how could recent critics see it as old, outmoded, and inefficient? The answer is one of context and scale. In his historical context, Weber was comparing bureaucratic organization to charismatic and traditional modes of organization. Clearly, bureaucracy is capable of more efficient organization than these other historical modes of domination. But the broader point is one of scale and time. I f one wants to coordinate the actions of hundreds or thousands of people in any sophisticated endeavor (such as those that governments undertake) there is no realistic alternative to bureaucratic organization. Or i f one wants a large scale enterprise to exist over a long time frame, from years to decades, one must organize it bureaucratically. This does not mean that all elements of every large scale organization must adhere to each of Weber's ideal type criteria, but the general outlines must be there: hierarchy, continuity, files, etc. When contemporary organizations are criticized for being inefficient, the implied comparison is with other contemporary organizations that sometimes work marginally better, not with completely different means of organization. In contemporary times, the most obvious alternative to bureaucracies is a market system; but in market systems large scale enterprises must be largely bureaucratic in order to exist over time (e.g. Fortune 500 companies in the United States). Similarly the exhortations to devolve or decentralize within government does not mean abandoning bureaucracy as a form of organization. It merely means shifting some functions from a large, centralized bureaucracy to smaller or geographically separated bureaucracies.
5 6
R. Kanigal, The One Best Way, New York 1997, pp. 492-495, 526-528. B. G. Peters, The Future of Governing, 2 n d ed., Lawrence 2001, pp. 3-12.
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As Klaus König points out, some aspects of the NPM are not incompatible with traditional public administration: "Yet a distinction must be made as regards this renewal movement between those of its components that are compatible with the bureaucratic administration, even where it has a classical continental European character and those components which extend beyond the modernist, detail differentiations of state and administration. The idea of decentral responsibility for resources, for instance, is perfectly familiar to an organizational scenery featuring federalism, local self-government, departmental responsibility, formal organizations under private law, shifts of functions to external bodies and so on." 7
Thus the point of departure for the "new public management" prescriptions is not non-industrialized economies or non-developed countries. The NPM rather wants to improve fully developed governments at the margins. As we have learned from Russia after the fall of Communism, market capitalism in the absence of a strong system of business law, enforcement of contracts, and a regulatory structure can easily lead to lawlessness and the private use of force to enforce contracts (or to break them). According to World Bank President James D. Wolfensohn, developing economies need: good governance with a system of laws, a justice system that enforces the laws (e.g. a contract system and bankruptcy laws), a financial system with accountable financial institutions, and a just social system.8 Without these prerequisites, economic development is impossible; and these prerequisites depend on a traditional form of public administration (which is not to say that NPM ideas are never relevant to developing countries). One of the main concerns of the traditional model was the accountability of the implementors of public policy to the governing constitutional rulers. I f a system of government has not yet achieved the threshold of accountability, the implementation of NPM techniques is risky and may be counterproductive.
I I . The New Public Management The term new public management encompasses a wide range of techniques and perspectives that are intended to overcome the inefficiencies inherent in the traditional model of public administration. Robert Behn defines the New Public Management as "... the entire collection of tactics and strategies that seek to 7 Κ König, Public Administration - Post-Industrial, Post-Modern, PostBureaucratic, in: European Group of Public Administration, H. van Hassel (ed), New Trends in Public Administration and Public Law, EGPA Yearbook, Annual Conference, Budapest 1996, p. 39. 8 See D. F. Kettl, The Global Public Management Revolution, Washington 2000, p. 59.
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enhance the performance of the public sector ...". 9 The starting point is that the traditional bureaucratic structures that ushered in the industrialized economies of the 20 th century may have been appropriate for that era but have reached a point of diminishing returns. The large size and rigid structures of the traditional system are too cumbersome for the new era of instant communication and an economy in which economic value is based on information and its manipulation rather than industrial production. Production is still important, of course, but it is increasingly based on information systems. Controlling behavior of workers from the top does not allow those closest to service delivery to react quickly enough. Thus the new public management favors decentralized administration, delegation of discretion, contracting for goods and services, and the use of the market mechanisms of competition and customer service to improve performance. It aims to achieve accountability through the measurement of outcomes rather than accounting for inputs. Performance measures will take the place of tight control from the top through rules and regulations. Granting more discretion to managers to manage is necessary; if they are to be held accountable for their performance, they must have the flexibility to use their judgment. In the United States the NPM was embodied in the Clinton Administration's National Performance Review (NPR). The proponents of the NPR contended that the prevailing paradigm of government organization in the U.S. was established during the progressive era at the turn of the century and was a reaction to the negative effects of the spoils system with its lack of competence and susceptibility to governmental corruption. The progressive paradigm of government organization, they argued, was designed during the industrial revolution and was modeled on large scale bureaucracy with hierarchical control from the top to ensure responsiveness to law and adherence to policy. But they argued that with the coming of the information revolution in the late twentieth century, the usefulness of the bureaucratic paradigm had been superseded by the need for more flexible organizations that can operate in a profoundly changed environment of global competition. The governmental reforms of the progressive era had been developed and elaborated so much that the rules and procedures that originally facilitated management came to choke off innovation. The admitted original benefits of large scale organization prevalent throughout the federal government were diminishing and the originally useful reforms had been counterproductive for some time. 10
9
R. D. Behn, Rethinking Democratic Accountability, Washington 2001, p. 26. See J. P. Pfiffner, The National Performance Review in Perspective, in: International Journal of Public Administration, Vol. 20, No. 1 (1997), pp. 41-70. 10
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To Guy Peters the new public management includes a range of reforms that have been tried over the past two decades by governments seeking to improve efficiency. The approaches of the NPM include more participation, flexibility, and deregulation internally, and the use of market mechanisms externally. 11 Perhaps the most dominant theme of the new techniques is the attempt to use market mechanisms to improve performance in the public sector. This includes privatization, in which functions formerly performed by government are given over to private sector or business organizations. In the celebrated case of New Zealand, the government privatized state enterprises in telephone service, oil production, insurance, post office, and air transport. 12 In economies where the governmental sector is smaller and most sectors of the economy are already in private hands, such as the United States, privatization has taken the form of private sector delivery of goods and services that are paid for by the government, referred to as "contracting out." It is argued that businesses act more efficiently than governments because of different incentives and greater flexibility, and so contracting will save the taxpayers money. Donald Kettl summarizes the goal of the new public management approach as aiming to "[r]emedy a pathology of traditional bureaucracy that is hierarchically structured and authority-driven," and "to root out authority-driven hierarchical systems."13 He summarizes the six "core characteristics" of the New public management approach as: productivity, marketization, service orientation, decentralization, a policy orientation, and accountability for results. Thompson and Thompson observe that the new public management approach "borrowed primarily from the literature of business administration, calling for more managerial freedom to use resources, a focus on results rather than inputs, and greater reliance on the private sector for service delivery.
I I I . Contrasting Approaches to Public Administration With respect to Public Administration, each modern state must answer the questions: 1. What shall be done: That is, who shall control policy? 2. Who shall do it: That is, who shall implement policies?
11
E.G. Peters, The Future of Governing, 2 n d ed., Lawrence 2001. D. Kettl, The Global Public Management Revolution (note 8), p. 11. 13 D. Kettl, The Global Public Management Revolution (note 8), p. 30, 33. 14 J. R. Thompson/F. Thompson, The management reform agenda, 2001-2010: a report to the PriceWaterhouseCoopers endowment for the business of government, in: International Public Management Journal, Vol. 4, No. 2 (2001), pp. 151-172, p. 152. 12
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3. How shall compliance be enforced: That is, how shall performance be measured? Each of these questions must be answered by striking a balance between accountability and efficiency. I f emphasis is placed primarily on accountability, tight hierarchical controls will be imposed; only certified officials will take actions for the state; and success will be measured by how faithfully processes are followed. I f emphasis is placed primarily on efficiency, hierarchies will be loosened and discretion delegated; people outside the governmental hierarchies will conduct governmental operations; and the emphasis will be on measuring outcomes rather than monitoring compliance with procedures.
1. Answering the question of what shall be done: That is, policy control In the traditional model of public administration fundamental control lies in the laws enacted by the legislature and their faithful execution by the executive authority. In the words of Klaus König: "In a state upholding the division of powers, the core of public administration lies in its executive function. Bound by the rule of legal regulations, it executes the laws passed by the democratic legislative body. In its hierarchical system of order it follows the instructions issued by the executive's political leaders." 15
Laws are carried out or implemented by executive branch departments or ministries that are structured as strict hierarchies. Accountability is achieved by the control of each level of implementation by the superior level of control. I f a policy is not faithfully carried out, accountability can be assigned by examining each stage of the process to determine who (in which position) is at fault. Accountability and control are the greatest strengths of this type of system; compared to all other systems, it is very reliable. The downside to this traditional model is that it is often relatively slow and cumbersome, and it is subject to the criticism that workers can become so concerned with complying with rules that they can lose sight of the overall goal or mission. The new public management would alleviate the problems caused by tight, hierarchical control by delegating greater flexibility and discretion to lower levels in the production of goods and services. It would delegate implementing discretion to those closest to service delivery. They would have greater control of hiring and firing personnel as well as discretion about how to spend money in the accomplishment of policy goals. I f program implementation is contracted out, management decisions are at the discretion of private sector managers; and 15
K. König, Entrepreneurial Management or Executive Administration: The Perspective of Classical Public Administration, in: W. J. M. Kickert, Public Management and Administrative Reform in Western Europe, Cheltenham 1997, p. 229.
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their decisions are acceptable as long as they legally produce the goods or services under contract. 16
2. Who shall do it? That is, personnel control In traditional public administration the personnel of government are hired through a merit system designed by the government personnel agency and often enacted in law. A merit system is designed to prevent partisan political interference in the implementation of policy. The hallmark of such a system is neutral competence, with competence achieved through a system of hiring the most qualified workers for the positions. Partisan neutrality is achieved through rules that protect workers from partisan political pressure and prevent them from actively participating in partisan political campaigns. The new public management approach would carry out the policies of the state largely with employees who are not directly employed by the government. In the case of privatization, the government would abandon the attempt to provide some services entirely and leave their provision to the private sector. Control would be achieved through the market system; if goods are overpriced, a competitor will spring up to provide them at a lower price in order to make a profit. When the market will not provide some services because there are not enough customers who will pay for them, or not enough will be provided to accomplish the goals of the state, the new public management advocates the contracting by government with private businesses to carry out the purposes of the state. It is argued that private businesses can manage efficiently because they are not encumbered with the rules and regulations of merit systems (e.g. merit competition, classification, appeals of adverse actions, etc.) and they can hire the workers they need in an efficient labor market. The result will be that the government's goals will be accomplished at a cost to the public that competition will keep to a minimum. When government functions are contracted out to private organizations, some contract-imposed constraints may apply. But to impose a set of merit constraints on contractors could very well undermine the flexibility that contracting out is intended to provide and is one of the bases for using contracts in the first place. 17
16 See J. P. Pfiffner, Government Legitimacy and the Role of the Civil Service, in: J. P. Pfiffner and D. A. Brook, The Future of Merit Twenty Years after the Civil Service Reform Act, Washington 2000, pp. 15-38. 17 For an analysis of the applicability of merit principles to personnel systems working under contract to the government, see J. P. Pfiffner, The Public Service Ethic in the
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The conditions for successful contracting include a market for goods and services in which there is competition among many firms and few barriers to entry. The costs that ought to be calculated when governments write contracts, in addition to the cost of production, include the expertise needed to write a precise contract and the cost of overseeing the contractor and inspecting the product.
3. How shall success be measured? That is, inputs, outputs, or outcomes Without the discipline of a market system which is presumed to measure the economic value of goods and services produced in the private sector, it is difficult to place an economic value on goods and service produced by governments. The decision to produce public goods is a political choice made by political authorities. The definition of public goods includes those goods and services that the private sector will not produce (or will not produce enough of), because their production is not profitable enough. The decision about what goods and services this category includes is thus a political judgment. But this leaves the problem of how to measure the economic value of such goods and judge whether they are being produced efficiently. The traditional model of public administration places its major emphasis on accomplishing the mission and accountability for resources. A hallmark of the traditional model is its rhetorical stress on efficiency. But efficiency is very difficult to measure, and perhaps the rhetorical value of efficiency is so high because it is so hard to measure objectively. At a micro-level, of course, efficiency can be judged over time (e.g. more output from the same resources than last year) or compared with a similar unit producing comparable goods. But at higher levels of generality, e.g. at the program level, there are no broadly accepted measures of efficiency. Thus one of the most common measures of government production is that of resources used, that is, inputs. There is a parallel between stages and functions of budgeting as analyzed by Allen Schick and developing approaches of measuring the production of governmental services. Schick argued that "line item budgeting," that is, careful accounting for the inputs used in government programs, was developed between 1915 and 1935.18 It is control oriented, good at preventing financial impropriety, and easy to understand.
New Public Personnel Systems, in: Public Personnel Management, Vol. 28, No. 4 (Winter 1999), pp. 541-555. 18 A. Schick, The road to PPB: The Stages of Budget Reform, in: A. Schick (ed.), Perspectives on Budgeting, 2 n d ed., Washington 1987, pp. 40-63.
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Traditional accounting for governmental programs emphasizes the inputs that are used to accomplish missions, for example, number of personnel, dollar totals, number of vehicles, number of computers, energy consumed, etc. These measures are very good for accountability and for assuring that resources are not being stolen and that they are being used for the purposes for which they were intended. This type of accountability is also easy for overseers to understand, e.g. chief executives, the central budget agency, or legislators. Thus this inputs approach is quite popular and hard to replace with more sophisticated measures of efficiency or productivity. In contrast to the line-item or inputs approach, performance budgeting was developed between 1935 and 1960, and was intended to provide measures for evaluating the performance of certain functions. Rather than a control orientation, it was management oriented, and intended to measure the performance of governmental activities. The focus was on work to be done (activities) rather than the things (inputs) to be used in the work. The activities done were the outputs of the government programs. In contrast to performance measurement, Schick argued that program budgeting, developed since 1960, would focus on outcomes rather than inputs or activities. Outcomes are the societal changes that are the intended purposes of governmental programs, for example, good health, national security, efficient transportation, justice, etc. The problem, of course, is that it is very difficult to measure outcomes, and even if they can be measured, it is extremely difficult to attribute their achievement to any one governmental program. The New Public Management approach rejects measuring inputs and advocates the use of "performance measures" to evaluate programs and management. Accountability for resources is less important than the accomplishment of goals at a given cost. Creative managers should be given the widest flexibility to use the resources at their disposal to accomplish programmatic missions. Their success will be measured by their performance in accomplishing goals rather than in their careful accounting for the resources (inputs) used. This model of performance measurement is quite attractive, as long as valid measures of public purposes can be devised. I f we have good measures, we can choose between contractors by evaluating their measured output, and we can judge government agencies against proposals by contractors on the common measures. Managers can be rewarded based on the achievement of their performance goals. The difficulty lies in choosing the correct indicators that will validly measure what the governmental program is really intended to accomplish. The more precisely the service or good can be objectively specified, the more likely the public will be able to evaluate the product and judge whether it is getting the best value for its payments. In comparing public versus private de-
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livery of goods and services, the costs of production must be evaluated as well as the costs of writing the contract and monitoring its implementation.19 Thus NPM techniques work best when the government wants to purchase goods whose quantity and quality can be easily assessed. The closer the production resembles traditional private sector goods, the easier it is to create performance measures to assure that contracts have been honored. There are some services that can be relatively easily measured, such as janitorial services or medical services. But when it comes to analytical services or unique products, the more difficult the problem of measurement becomes. Even i f precise measurement is impossible, it may still make sense to contract with businesses, for example for advanced weapons systems or computing systems. But social services or analytic services are difficult to measure. The more you move to professional services that call for judgement or products that are unique, the more expertise is necessary to monitor the quality of service and the more costly it is to monitor performance.
IV. Conclusion A tension between accountability and efficiency has marked the contrast of traditional public administration and the new public management. The traditional model tilts toward accountability. Max Weber's answer tilted toward accountability in the form of bureaucracy, with strict hierarchical control from the top. Woodrow Wilson's answer was the politics/administration dichotomy in which civil servants would use efficient techniques to carry out political policy choices. Frederick Taylor's answer was the tight management control of refined manufacturing techniques of scientific management. The new public management favors loosening the strictures of the traditional model to allow for more creativity and flexibility in order to achieve new efficiencies and better customer service. It would give lower level managers more flexibility to use their own information and judgment to make decisions (that is, "let managers manage"). It would encourage managers to take risks and be more entrepreneurial. And it would achieve accountability by measuring outputs rather than by monitoring processes. In states with large public sectors, it encourages privatizing functions, and in states with smaller public sectors it encourages contracting with private organizations for the provision of public goods and services.
19 E. D. Sciar, You Don't Always Get What You Pay for: The Economics of Privatization, Ithaca 2000.
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The tension between traditional public administration and the new public management reflects the fundamental tension between accountability and efficiency that has always characterized public administration, but the balance is in flux. In Anglo-American systems the balance has shifted toward efficiency in the late 20 th century. While much progress has been made, the main political vulnerability of the contracting out movement in the United States is corruption. 20 The U.S. political system has had long experience with the corruption of public officials by the bribery of greedy contractors. I f large scale or high visibility corruption is discovered and attributed to increased contracting, the pendulum will swing back toward accountability. But the advances of the NPM will not be lost entirely, just as the positive contributions of previous management fads were not lost even after their initial formulations had been abandoned.21 A less visible vulnerability of the NPM approach in the U.S. is the gradual eroding of the capacity of the government to oversee competently the production of goods and services. It is difficult for governments to match the higher salaries offered in the business world, even though financial gain is often not the most important incentive for public administrators. But a strong counter weight to any move by the government to take back control of the production of formerly contracted out services will be the political clout of contractors who will lobby the legislature against elimination of contracting programs. Thus new public management approaches can be useful to governments and ought to be seriously considered. But NPM is not a blanket solution to all of the problems of public administration in modern governments.
20 See H. G. Frederickson, The Spirit of Public Administration, San Francisco 1997, Chapter 7. 21 For a discussion of management fads in the U.S., see J P. Pfiffner, The American Tradition of Administrative Reform, in: Y. H. Cho/H. G. Frederickson (eds.), The White House and the Blue House: Government Reform in the United States and Korea, Lanham 1998. For an international analysis of management fads see M. C. Brindle/P. N. Stearns, Facing Up To Management Fads, Westport 2001.
Institutionalising Monitoring and Measurement Systems in the Public Sector By Geert Bouckaert, Leuven
I. A Critical Assessment In the history of public management and public policy reform one of the common denominators has always been to increase the level of information in order to improve the level of decision making and the level of effectiveness (OECD, 2000; Bouckaert, 1994). The general assumption of this sequence is that i f and when we know what to do and how to do something we indeed will to it. Performance based management in all its variations (e. g. the latest generation of so-called evidence based evaluations) is definitely based on a rather naive scheme of thinking which is extremely rational and resulted in many publications on how to measure performance in the public sector (Hatry, 1999; Bouckaert e.a., 2000; Morley e.a., 2001; Liner e.a., 2001; Bouckaert & van Dooren, 2002). At the same time an increasing number of evidence demonstrates the difficulties and perhaps even the impossibility of measuring performance and integrating this information in a functional way in policy and management cycles (Ammons, 2002; Hatry, 2002; Bouckaert & Peters, 2002). However, criticism (Radin, 1998) and counter-evidence have not stopped many of the reform machines. Also, evidence based on comparative data is lacking and evaluations of reforms are a missing link (Polliti and Bouckaert, 2001; Jones and Kettl, 2003). One of the most extreme positions in public management reform was the socalled New Public Management (NPM). Although it was restricted in space (mostly Australia, New Zealand and the UK) and time (mostly the 1990's) it had some influence on reform agendas of other countries. Even i f NPM was mainly an Anglo-Saxon, partly Westminster featured phenomenon which was limited in time and in space, it has been described as "an international phenomenon" (Jones and Kettl, 2003) with a generic narrative capacity (Barzelay, 2001) which fits the NPM normative and rhetorical strategy of a self fulfilling prophecy of a particular public management policy change. Other scholars have put NPM in a broader perspective of general public management reform (Polliti and Bouckaert, 2000; Christensen and Laegreid, 2001) or governance reform (König, 1996; Wollmann, 2003).
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Many countries have followed a more cautious and even a different strategy. Reform results in four main patterns of practice. There is reform as a strategy of maintain, of modernise, of marketise, and of minimise (Polliti and Bouckaert, 2000). In reality there are combined and hybrid strategies which change over time, also depending on the political context. Ultimately, the choice for a reform agenda included implicitly also an ideological choice for a state of law or a market state and was not just the integration of some management techniques as part of a public management policy. Whether a country was more maintain, modernise, marketise, or minimise, all emphasised the importance of performance measurement and management. In reality it seems that a performance based management and its related reform agenda are not so obvious to realise in practice. The official win/win/win rhetoric seems not to be mirrored in reality. The picture that politicians win because they steer on strategic lines, that managers win because they are allowed and able to manage, and that citizens win because they get better service seems more complex, definitely conditional and perhaps even untrue in reality. Many advocates are disappointed about the lack of interest of parliaments in this reform, even if some countries have made serious efforts to increase the levels of accountability and have changed the budgetary procedures to facilitate a contradictory debate between the executive and the legislative, like e. g. in Canada (Improved Reporting to Parliament Project) or in Sweden (VESTA). Implementation is difficult and even subject to obstruction. And executive politicians are loosing an interest i f the potential political yield is not obvious A major question is therefore what is going on in the practice of the reform agenda in general of which the performance issue is a crucial common denominator, and also how we can explain what is going on. One key change has been the creation of autonomous agencies. Autonomous agencies and their guiding centres will use a variety of tools and techniques like, e. g. performance budgeting, accrual accounting, performance evaluation and value for money auditing, personal and institutional performance contracts with rewards and sanctions, target setting, benchmarking and performance monitoring systems. The question on costs and benefits of these re-organisations, and for whom, has never been made explicit. The theoretical framework of the principal-agent relationship helps to understand, to explain, and to predict certain behavioural implications and managerial consequences of these shifts. The new trends do result in some additional problems, like e. g.: -
separating and diverging stages of a policy (development, decision, implementation, evaluation); development by administrations or external thinktanks, decision by the (council of) minister(s), implementation by one or more autonomous agencies or even contracted out, and evaluation by the ministry of finance and national audit office;
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-
lack of co-ordination of different policies across agencies (at the same level or at different levels of government);
-
lack of co-ordination of policies in time (short and long term); and
-
absence of co-ordination of related clusters of activities, and different stages of implementation inside and across agencies.
This may result in sub-optimal positions, which may not be visible because of a lack of a helicopter overview. Contracted benefits at the agency level are explicit and may not be offset by hidden and 'privatised' costs at the societal level. It may result in all possible problems between institutional principals and agents, like e. g. adverse selection, moral hazard, and shirking. Therefore, appropriate mechanisms of monitoring (the outsiders, individual or institutional, observe the behaviour of the manager), and sufficient incentives for bonding (the manager or agency is interested in binding him/herself) will appear to be indispensable. Neo-institutional economic theory reacts against the holistic black box theory of organisations, and integrates property rights and transaction costs into property rights theory, transaction cost theory, and agency theory (Mol, 1993). In the private, competitive and market oriented sector the difference in performance between an owner-controlled company (entrepreneurial) and a manager-controlled company (managerial) with a separation of ownership and control, seems not to be too significant. The reasons for this are four fold (Douma and Schreuder, 1991). There is sufficient pressure from: -
a market for corporate control;
-
a market for managerial labour;
-
a market for the company's products; and
-
performance related pay or bonus.
Public management practices shifting from mono-central traditional administrator controlled bureaucracies to poly-central sets of autonomous and management controlled agencies are supposed to be similar to the above mentioned shift from an entrepreneurial to a managerial company. What may be the expected consequences of this? Until recently, the market was not really available as a co-ordinating mechanism for the public sector. The market of corporate control for public utilities is emerging in many OECD countries (e. g. telecom, postal services, transport). The market for managerial labour is also developing since the model of life-tenured civil servants is changing into a model of contracted managers as, e. g., in the Senior Executive Service (SES) in New Zealand. The market of company products may be more difficult to realise because of indivisibility of public goods. Yet, a
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(quasi-) market of contracting in and out is gaining momentum through (quasi-) contracts with other private and public institutions. Finally, there are experiments of public performance related pay in OECD countries, although they do not look too convincing. The question whether this will be sufficient to guarantee good performance and fair relationships between principal and agent is on different research agendas (Tirole, 1994). In any case, the general assumptions seem to be that more information is better than less, that comparative information is better than non-comparative information, that timely information is better than untimely information, that output and effect information is better than single input information, and that clear and quantitative objectives are better than opaque ones.
I I . New and Renewed Functions Establishing monitoring systems There seem to be three main direction of evolution of measurement in the public sector. Measurement has been becoming more extensive, more intensive, and more external (Bouckaert, 1996; Polliti and Bouckaert, 2000).
1. Measurement is becoming more extensive Extensiveness has itself a number of sub-dimensions. More levels of government and more fields of service delivery and policy are included in the measurement process. Some countries express this in a coverage rate (The Netherlands Court of Audit, 1997). First, more levels of government are now involved in performance management. The level of government triggering more measurement differs across countries. It could be a bottom up approach where local government takes the lead and demonstrates best practice like in some parts of Germany. In federal countries it often is the intermediate level (provinces in Canada, the states and territories in Australia, the Länder in Germany, or the region Flanders in Belgium) that drives the process. In smaller countries it could be the central state which takes the initiative. The interaction of levels of government influences the spread of measurement practice mostly from higher to lower levels. Arrangements supported by subsidies are often accompanied by requirements of performance information, and central government requires information on service delivery (quantity and quality) or effects to demonstrate that fiscal transfers were effective. Also more fields of service delivery and policies are being included. Although there is a hypothetical statement that one could expect first that tangibles
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are covered with measures (e. g. garbage collection), then relational services (e. g. education or senior citizen services), and finally idea-related services (e. g. think tanks or legal staffs). However this seems less the logic of reality. A clearer pattern seems to be that the most powerful functions have been more effective in postponing or deflecting the measurement tide. However, even in the most non-measurable and most incomparable organisations measurement has emerged (Bouckaert, Hoet, Ulens, 2000).
2. Measurement is becoming more intensive More management functions are included in the measurement activities. Financial cycles are changing visibly. Performance budgets are feeding into double bookkeeping systems with cost accounting which are followed by, or perhaps coterminous with, performance audits (GAO, 2002). The personnel function now includes target settings, contracts, evaluations, performance related pay at an individual and a group level. Organizational relations are becoming determined by contracts which have substantial performance clauses. Strategic thinking is translated into strategic plans which are operationalised in business plans with performance criteria involved. Also in the policy cycle with its design, decision making, implementation, and evaluation, performance measurement is a systemic and systematic component.
3. Measurement becomes more external Using performance information is not just an internal matter but also an external matter. Some performance information is provided to legislative institutions. e. g. the Canadian Improved Reporting to Parliament Project or the Government Performance and Results Act in the United States. Other performance measurement projects are directed to the general public as demonstrated in Citizen's Charters in the UK, France and Belgium (Bouckaert, 1995a). Depending on the competitive position of the entity involved, openness can be more institutionalised. It is obvious that in a situation of competitive tendering, Market Type Mechanisms quasi markets or public-private or public-public competition the external use of information will be more specific and restricted. The development of a performance measurement system depends on the purposes and therefore on the use to which it will be put. I f there is only a focus on savings, then a pure input focus could be sufficient. I f there is also a focus on improving performance then linking information on inputs, activities, outputs, and effects is necessary. I f there is also an accountability focus then objectives, expectations, satisfaction, environmental indicators and comparative benchmarking exercises will be necessary. Also information asymmetry is an important (political) variable in making information available, or not, externally.
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a) Integrating performance information
in procedures
Performance oriented policy and management implies that performance is considered as guidance in developing, implementing and evaluating policies and related managerial practices. As a consequence performance data and information should be developed and made available at different levels for different purposes. The impact is political but also has technical aspects. Performance oriented policy and management should focus on actors, implementation and learning strategy, development of the content of a measurement system, objective setting, related and adequate audit systems, and the scope of a performance oriented management system. This article will not develop these issues.
b) Using performance information Performance management can be used for a range of purposes and in a variety of setting. This information could be used in policy cycles (design, decision making, implementation and evaluation) which are also represented in the financial cycle (budget, contracts, accounts, audits); in inter and intra organisational relations, at the same level of government or between different levels; and between the executive and legislative powers.
aa) Inside policy cycles Performance information architectures may influence guidance, control and evaluation systems of governments which then could be consolidated at higher levels (OECD, 1999). In Canada the Performance Reporting and Accountability structure (PRAS) was developed to feed into organizational business plans which then could be consolidated and which further were derived from, and linked back to, strategic plans.
bb) Between organisations Contractual relations between organisations, or between levels of government imply that budgetary envelopes, or project financing requires a counterpart of delivering services and feeding back information on results and performance. At the same level of government this occurs in all countries through performance oriented budgets and contracts with agencies or semi-autonomous bodies. Between levels of government, there has been a general tendency to provide local governments with extra competencies and money or to reconsider existing arrangements in specific policy fields and change input oriented trans-
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fers to performance related transfers. A l l of these relationships require careful monitoring for both financial and policy control purposes.
cc) Between the executive and legislative powers In some countries the link between the two powers was reconsidered in adjusting the budget procedure. Enhancing the use of performance related information for budget decisions and for monitoring and evaluating the executive is a key concern for many parliaments and/or parliamentary commissions. This results in adjusting formats of documents, the standard sets of documents themselves, the procedures of informing, discussing and deciding (timing, information and actors), and competencies of different actors. In Canada the Improved Reporting to Parliament Project (IRPP) had this ambitious agenda. Also in the Netherlands the interaction with Parliament and the Court of Audit had elements of this discussion. In Sweden, the VESTA project is a similar initiative of consolidation of accounts and performance monitoring. In other countries this also results in consolidation project to go beyond individual organisations and to cover policy fields or even a whole government or country (e. g. USA and Canada).
I I I . Some Preliminary Conclusions for a Performance Measurement Policy In practice the implementation of measuring performance is full of skepticism (Ammons, 2002), fallacies (Hatry, 2002), and even resistance (Bouckaert and Peters, 2002). Performance measures are Achilles' heel, and measuring performance is Sisyphus' job. However, from the history of performance measurement systems it is obvious that there is a learning cycle and progress is present (Bouckaert, 1995b; Bouckaert 1996). The study of the history of measurement systems in the public sector could be useful for a future strategy. First, learning from history, e. g. its progress in measuring performance, could result in extra-polating the learning cycle. Could performance measurement become even more intensive, more extensive, and more external? There is still room for a more extensive, i.e. an increased coverage rate in organisations and policy fields. The absorption of performance measures in financial cycles (budgets, accounts, and audits), in policy cycles (design, strategic plans, monitoring of implementation, and evaluation), in personnel functions, and in organisational intra- and inter-action still has potential for intensive expansion. Finally, a growing external dimension is also correlated to a developing accountability.
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Second, just like the accounting adagium "different costs for different purposes", one could state that a system needs different performance measurement systems for different purposes. Three main objectives of performance management include (re-)allocation of resources (of which savings is one specific variant), increase performance of the public sector as such, and enhance accountability. Performance measurement systems will have to cover all these objectives. How to balance costs and benefits of performance measurement? A performance measurement Cost Benefit Analysis is always present, be it more implicitly than explicitly. Listing costs and benefits is not easy. Quantifying performance measurement costs and benefits is even more difficult. One key problem is that in general costs are more immediate, more tangible, and less conditional than benefits which are less immediate, less tangible, and more conditional. Costs precede benefits because one needs to collect data and process this into information before one can collect the benefits of it. Also costs seem to be more tangible than the nature of the benefits which are also and perhaps predominantly intangible. A focus on transparency, accountability, and trust are clear benefits but difficult to match a monetary cost. Finally, costs are incurred almost as a fact of an accounting nature whereas benefits are depending on the functional use of this information in a policy and management cycle. It is important to avoid measurement systems that are not used, that demonstrate failures (because of technical problems, illegitimacy, or dysfunctionality), or that clearly demonstrate a perverse effect (Bouckaert, 1995b). Awareness of transitional problems like, e. g. a temporarily doubling of red tape because of simultaneously reducing ex ante input controls and increasing ex post output and outcome controls, is also a key element. It is equally important to be aware that more information is better than less, that comparative is better than non-comparative information, that timely information is better than untimely information, that output and effect information is better than mere and single input, and that in general clear and quantitative objectives are better than opaque ones. Third, to put these performance measurement strategies in a broader context, i. e. the 60 year old Friedrich/Finer debate, is relevant. The key question is whether there is a need for a system based on subjective elements (e. g., personal accountability based on integrity and trust - Friedrich's position) or for a system based on objective elements (e. g., rule-directed accountability based on compliance and performance measurement systems - Finer's position). According to Friedrich, professionals themselves provide 'fellowship' which regulates the behaviour of fellow practitioners, and their technical and situational knowledge allows them to have a deeper knowledge of the public interest. Pride related arguments of these professionals allow for a subjective accountability mechanism derived from their values.
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According to Finer, the track of objective accountability should be followed since those within agencies are obliged to follow and implement the popular will as expressed by political officials and agency executives. Control could then be linked to performance based elements. How can this dichotomy be resolved? One option is to upgrade both positions. Balk proposes two fundamental positions to orthodox practitioner perception. The first raises subjective agency accountability to a formal level of visibility by providing an applied theoretical rationale. Then the realm of public administration discourse is extended well beyond conventional management philosophical domains so as "to recognize employees as legitimate, proactive actors, citizens with a powerful commitment to the values and actions essential to democratic political institutions" (Balk, 1996). The second option is to choose one position as dominant. Gawthrop contends that there is a need to expand and implement the ethical imperatives for the 21st century through education, values and commitment in order to re-establish and rediscover democracy (Gawthrop, 1998). Education of the citizenry will empower citizens in a governance context and equilibrate bureaucratic values. Values are crucial and should not be replaced by facts and figures but balanced with these. Commitment and engagement imply that public servants know what to do and go beyond what they have to do. A third option is the dominance of Performance Measurement Systems that turn the whole system in to performance based budgets, accounts, audits, contracts, evaluations, etc. The cost of monitoring and compliance is considerable. Principles and agents will try to create disequilibrated information systems. The system would not use trust and integrity at all for its governing (Bouckaert, 1998). A fourth option - balancing the two positions - seems to be desirable. A fair mix of trust and measurement, of integrity and compliance, of subjective and objective approaches is necessary. Upgrading the two positions and combining them seems to be a functional way to make things work. According to Balk "(t)hroughout, professionals as key actors in the network of stakeholders in a democratic society, will develop mutually supportive relationships at the workplace in order to maintain their integrity and strengthen democratic political institutions. They can take the lead by acknowledging that principles of tentative trust and contingent loyalty need not threaten the benefits of, nor the necessity to respond to, appropriate hierarchical direction" (Balk, 1996). This implies that performance based systems should be combined with trust based systems in a dynamic way. Fourth, there will remain tensions or contradictions between the responsibility and the accountability on issues like output vs outcome and organisation vs
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policy. It is often the tension between the civil service and the politicians. Performance measurement may clarify this but will never solve these tensions. Fifth, perhaps it could be useful to apply the neo-institutional principal/agent model not just to the content and substance of the reform agenda and to the object of our research, but to extend this model to those manipulating the machine. The meta-principals are a new class of mandarins that decide on the reforms. Between meta-principals on the one hand, and regular principals and agents which are subject to all the reforms on the other hand, goals of reform as such seem to be very incongruent and information on reforms is also very asymmetrical. Sixth, the impact of introducing performance measurement and performance based management in a Weberian context may lead to a neo-weberian or a postWeberian design of the public sector (Polliti and Bouckaert, 2003). Performance measurement and performance based management is a comprehensive programme of organisational development that affects the whole organisation and its policy cycle. We would contend that the strength or weakness of the performance measurement system and its integration and institutionalization in the managerial and policy systems determines the strength or weakness of the redesigned system. Having a range of new management practices in place with inadequate, or even counter-productive performance measurement and management systems may be worse than no reform at all. It can provide a false sense of security and accomplishment. Performance management therefore becomes the Achilles' Heel of the modernization process itself (Bouckaert and Peters, 2002).
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(Post-)Modernisierung von Staat und öffentlicher Verwaltung: Die Suche nach Rationalität in der Verwaltungswissenschaft Von Ignace Snellen, Rotterdam
I. Einleitung Die Frage, wie Rationalität in und durch die öffentliche Verwaltung bewerkstelligt werden kann, hat meinen verehrten Kollegen Klaus König während seiner gesamten akademischen Laufbahn zu wissenschaftlichen Beiträgen zum verwaltungswissenschaftlichen „body of knowledge" inspiriert. Publikationen wie „Erkenntnisinteressen der Verwaltungswissenschaft" 1, „Referenzen staatlicher Steuerung" 2 und „Prozedurale Rationalität"3 zeugen von seinem Interesse für dieses theoretische und praktische Wissensgebiet. Seine Beschäftigung mit dem Rationalitätsthema ist fest in der deutschen bürokratischen und juristischen Tradition verankert. So bemerkt er: „Given the rule-of-law tradition of the Federal Republic of Germany the rationality of public action is primarily assured by bringing together norms and facts and citing precise authority for each act".4 Die Rationalität, die er in diesem Passus vor Augen hat, richtet sich primär auf die Implementierung von Verwaltungspolitik und gesetzlichen Vorschriften. Aber er weist gleichzeitig darauf hin, dass Rationalität der öffentlichen Verwaltung auch beim Konzipieren von Verwaltungspolitik und beim Entwerfen von Gesetzen und gesetzlichen Maßnahmen erforderlich ist. Ich zitiere: „It must also be stressed that the legislature is confronted with increased demands for rationality as well. (...) It has been pointed out that, as a rule, public administrators themselves draft bills. In this respect, too, an administration described as rational, has to be confronted with the question about the methods it employs".5
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K. König, Erkenntnisinteressen der Verwaltungswissenschaft, Berlin 1970. Κ König/N. Dose, Referenzen staatlicher Steuerung, in: K. König/N. Dose (Hrsg.), Instrumente und Formen staatlichen Handelns, Köln 1993, S. 153 ff. 3 Κ König, Prozedurale Rationalität, in: Verwaltungs-Archiv 86, 1995, S. 1 ff. 4 Κ König u.a. (Hrsg.), Public Administration in the Federal Republic of Germany, Baden-Baden 1983, S. 9. 5 König u.a., Public Administration (Anm. 4), S. 12. 2
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Dem fugt er den Stoßseufzer hinzu: „We have not yet succeeded in finding a procedural structure for the rationalization of administrative action comparable in the degree of intelligence with the procedure of correlating facts to norms". 6 In diesem Essay will ich näher auf das Problem der Rationalität in der öffentlichen Verwaltung und der Verwaltungswissenschaft eingehen. Dieses Problem ist durch die Auswirkungen des Postmodernismus auf die Verwaltungswissenschaft, wodurch die Möglichkeit des Erreichens substanzieller Rationalität in der öffentlichen Verwaltung geleugnet wird, noch gewichtiger geworden.
I I . Postmodernismus versus Modernismus Es ist interessant zu sehen, dass gerade jetzt, da Wissen und Informationsdaten, auch unter Einfluss der sich ständig ausweitenden Informations- und Kommunikationstechnologie, als Wissenstechnologien einen zentralen Platz in der gesellschaftlichen Produktion einnehmen, der Postmodernismus sich als wissenschaftliche Strömung präsentiert, die die Ansprüche des menschlichen Wissens stark relativiert. Der Postmodernismus kehrt sich auch in der Verwaltungswissenschaft gegen die Ansprüche des Modernismus. Illustrativ für das gespannte Verhältnis zwischen Modernismus und Postmodernismus in der Verwaltungswissenschaft ist die Diskussion in den Niederlanden zwischen Hoogerwerf 7, der grauen Eminenz der niederländischen Verwaltungswissenschaftler, und Frissen 8, einem Vertreter der postmodernen verwaltungswissenschaftlichen Generation. Hoogerwerf 9 sieht vier Hauptformen politischer und verwaltungsmäßiger Entwicklung. Diese sind m. E. als Repräsentationen des Modernismus zu betrachten. Es sind dies: 1. Rationalisierung, darunter ist die Zunahme der Zielorientierung, der Effizienz und Zweckmäßigkeit in der staatlichen Politik zu verstehen. Hoogerwerf knüpft dabei an Max Webers These an, dass „zweckrational handelt, wer sein Handeln nach Zweck, Mittel und Nebenerfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke wie die Zwecke gegen die Nebenerfolge wie endlich auch die verschiedenen möglichen Zwecke gegeneinander rational abwiegt". 6
König u.a., Public Administration (Anm. 4), S. 10. Hoogerwerf zieht den Terminus „politische Entwicklung" dem Terminus politische Modernisierung vor, „weil sehr schwer objektiv zu bestimmen ist, was modern ist". 8 P. H. A. Frissen, De Virtuele Staat, Schoonhoven 1996; P.H.A. Frissen, De Lege Staat, Uitgeverij Nieuwezijds, Amsterdam, 1999. 9 A. Hoogerwerf (Hrsg.), Overheidsbeleid, Alphen aan den Rijn, 1982; A. Hoogerwerf Politicologie: begrippen en problemen, Alphen aan den Rijn, 1972. 7
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Die Rationalisierung in der öffentlichen Verwaltung zeigt sich seiner Meinung nach insbesondere im wachsenden Umfang staatlicher Politik, der zunehmenden Bürokratisierung und der um sich greifenden wissenschaftlichen Unterstützung sowohl der staatlichen Politik als auch der Politik von allerhand politisch aktiven Gruppierungen. Dem hält Frissen entgegen, dass die den Modernismus kennzeichnende Rationalisierung offensichtlich an ihre eigenen Grenzen stößt. Die funktionale Rationalität, die den Kern der Rationalisierung ausmacht, ist ein Ziel an sich, faktisch substanzielle Rationalität geworden. Wie Mannheim bereits in den dreißiger Jahren bemerkte: „Fragt man heute nach den Zielen, denen die Analyse zu dienen hätte, dann kann die Frage weder hinsichtlich der Natur noch der Seele oder der Gesellschaft beantwortet werden, es sei denn, wir setzen rein technische, seelische oder soziale Optimalbedingungen, wie z.B. das »reibungsloseste Funktionieren'". 10 2. Demokratisierung als zunehmende Möglichkeiten von vor allem politischen, und später auch gesellschaftlichen Gruppierungen, den Inhalt, Verlauf und die Effekte der staatlichen Politik direkt oder indirekt zu beeinflussen. Höhepunkte in dieser Entwicklung waren u.a. das Aufkommen der politischen Parteien, von Fraktionen im Parlament, von politisch aktiven Gruppierungen, von Beratungsorganen und Ähnlichem. Kennzeichnend fur diese Entwicklungen ist, dass sie von einem Zentrum-Peripherie-Modell der öffentlichen Verwaltung ausgehen. Die Politik bildet die Spitze der Hierarchie der öffentlichen Verwaltung und hat von daher das letzte Wort. Frissen bestreitet dieses Modell und infolgedessen auch den politischen Primat. Er weist auf Krisenerscheinungen wie eine immer geringere Wahlbeteiligung und den Mitgliederschwund bei den politischen Parteien hin. Dem Bild einer öffentlichen Verwaltung als Hierarchie hält er als Pendant zur gesellschaftlichen Fragmentierung das Spiegelbild einer öffentlichen Verwaltung als eines Archipels, einer Inselgruppe entgegen, in der sich weder ein Zentrum noch die Ausdehnung der Peripherie eindeutig lokalisieren lässt. Dies bedeutet auch, dass die hierarchische Steuerung, die für moderne Demokratisierungsformen kennzeichnend ist, Platz für postmoderne horizontale Steuerungsformen in Netzwerken und für Selbststeuerung macht. Die existierende politische Institution ist nicht mehr in der Lage, die Werte von Demokratie, Verantwortung und ,checks and balances' zu realisieren. Die Demokratisierung muss nicht, wie die Modernisten sagen, „vollendet", sondern fundamental anders gestaltet werden. 3. Differenzierung als eine Zunahme der Vielfalt, Spezialisierung und Aufgabenverteilung sowohl innerhalb als zwischen Verwaltungsebenen. Diese
10
K. Mannheim, Ideologie und Utopie, Frankfurt/Main 1952, S. 19.
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Formen der Differenzierung vollziehen den Übergang vom Nachtwächterstaat zum Versorgungsstaat nach. Die Differenzierung spiegelt sich in der Ausbreitung der staatlichen Politik auf allerhand Gesellschafts- und Verwaltungssektoren, in Aktivitäten von Interessengruppen in einzelnen Sektoren und Pluriformität politischer Parteien wider. In starkem Maße folgt die Differenzierung den wissenschaftlichen Spezialisierungen. Dem „Wildwuchs", zu dem die Differenzierung auch geführt hat, wird durch die Suche nach einer besser überlegten Aufgabenverteilung zwischen den unterschiedlichen Staatsorganen entgegengewirkt. Viele staatliche Ausschüsse haben sich mit dem Problem dieser notwendigen Modernisierung auseinandergesetzt. Frissen sieht den Prozess zunehmender Differenzierung, in diesem Fall der Bürokratie, ebenfalls. Der Erneuerungsprozess der Bürokratie, der auf die Anpassung an die zunehmende gesellschaftliche Differenzierung abzielt, verläuft seiner Meinung nach nicht anhand von Kriterien wie Rationalisierung, Straffung und Ähnlichem, sondern von Lokalisierung, Funktionalisierung und Autonomisierung. „Organe der öffentlichen Verwaltung werden einerseits autonomer, andererseits verflechten sie sich in mannigfaltigen Formen vertraglicher Bindung mit anderen - öffentlichen wie privaten - Organisationen und Bürgern... . Diese Umkehrungen der Bürokratie stellen einen Bruch mit der Tradition dar. Sie weisen eine Ähnlichkeit mit dem auf, was andere als postmoderne Entwicklungen in Organisationen umschreiben." 11 4. Integration als eine Zunahme an Verbundenheit, gegenseitiger Abhängigkeit und Bündelung, die mit einer zunehmenden Koordinierung und Zentralisierung der staatlichen Politik einhergeht. Minister tragen immer mehr als Kollektiv Verantwortung; sektorielle, aspektbezogene und integrale Planung sichern die horizontale Integration von Politik; Verwaltungsebenen stimmen ihre Politik immer mehr aufeinander ab; auch international wird immer mehr Politik koordiniert. Dieser Modernisierungsprozess wird jedoch in den letzten Jahren durch eine stärkere Betonung von Vielfalt statt Einheit bedroht. „(D)ie Vorstellungen des Allgemeininteresses, universell gültiger Menschenrechte und der universellen Wahrheit (stehen) unter schwerem Druck." 12 Frissen wertet dies anders. Fragmentierung der Werte, Normen und Interessen ist in einer postmodernen Gesellschaft nicht nur unvermeidlich, sondern auch wünschenswert. Die Leugnung von Unterschieden und von Fragmentierung durch das Führen einer integralen Politik ist gerade unerwünscht, weil sie die Vielfalt vernichtet und zum Ausschluss bestimmter Gruppen fuhrt. Ein solches modernistisches Vorgehen basiert außerdem auf zu Unrecht eingesetzten allgemeingültigen Steuerungskategorien. „Die tumbe Staatsgewalt ist in hoch-
11 12
Frissen, De Lege Staat (Anm. 8), S. 28. A. Hoogerwerf Politiek als Evenwichtskunst, Alphen aan den Rijn, 1995.
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komplexen Gesellschaften kaum effektiv, kann aber eine reiche Vielfalt vernichten." 13 , A u f jeden Fall wird es uns gelingen müssen, über Politik und Verwaltung in nicht-universellen Terminologien und bestimmt ohne universelle Ambitionen zu sprechen." 14 Nach meiner Einschätzung gewinnt die postmoderne Verwaltungswissenschaft an Bedeutung. Die Vorstellung, dass die Qualität staatlicher Politik von der Gültigkeit einer ihr zugrunde liegenden (universell gültigen) Theorie abhängen würde, büßt immer mehr Anhänger ein. Das Verwissenschaftlichungsparadigma der Verwaltungswissenschaft mit der Politikfeld-Theorie und der Verwaltungsinstrumente-Theorie als Kern wird stark relativiert. Das dem zugrunde liegende Aufklärungsideal der Modernisierung hat in der Verwaltungswissenschaft sehr stark an Boden verloren. Ob man dies nun bedauert oder nicht, eine Konsequenz dessen ist schon, dass damit auch der mögliche Beitrag der Verwaltungswissenschaft zur Rationalität der staatlichen Politik fragwürdig geworden ist. Die postmodernistische Definierung der Verwaltungswissenschaft bietet hier keinen Trost. Rorty, der amerikanische postmoderne Philosoph, plädiert fur „die Vermeidung von cruelty" und für ein Gefühl der Solidarität als inhaltliche Füllung seiner postmodernistischen Lebensphilosophie, die er Liberalismus nennt. Frissen plädiert für eine ästhetische Betrachtung von Politik und öffentlicher Verwaltung. In dieser ästhetischen Sicht ist die Anerkennung der Verschiedenheit der bestimmende Ausgangspunkt. Ich selber meine, dass eine Versöhnung von Rationalitäten als Bedingung für eine zivilisierte Gesellschaft den Kern einer postmodernen Verwaltungswissenschaft ausmacht.15
I I I . Verwaltungswissenschaft und Rationalität Das Paradigma der postmodernen Verwaltungswissenschaft ist mehr durch negative Überlegungen als durch positive Spezifizierungen gekennzeichnet. Diese augenscheinlich negative Grundhaltung der postmodernen Verwaltungswissenschaft kann übrigens mit der dominanten Position, die das moderne Denken, auch in der Verwaltungswissenschaft, einnimmt, zusammenhängen. Wenigstens vorläufig distanziert sich die postmoderne Verwaltungswissenschaft vor allem von der traditionellen Verwaltungswissenschaft. Betontermaßen
13
P. H. A. Frissen, De Staat, Amsterdam 2002, S. 249. Frissen, De Staat (Anm. 13), S. 229. 15 I. Snellen , Conciliation of Rationalities: The Essence of Public Administration, in: Administrative Theory & Praxis 24, No 2, 2002, S. 323-346. 14
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basiert sie nicht auf einer (narrativen?) Meta-Geschichte, wie dem Marxismus, der Theorie der Aufklärung oder irgendeinem anderen universellen Wahrheitsanspruch;
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zielt sie nicht auf eine exklusive Rationalität ab, wie Verwissenschaftlichung oder Gleichgewichtsverhältnisse als Folge von Verhältnissen auf einem Markt; ist sie Strömungen in Politik und Verwaltung abgeneigt, die das „Anderssein" unterschätzen und unterbewerten, statt ihnen gerade einen speziellen Platz einzuräumen;
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ist sie übergreifenden Wissenschaftstheorien und generalisierenden politischen Kategorien abgeneigt, die aus dieser Unterschätzung und Unterbewertung hervorgehen.
Es ist also leichter zu sagen, was postmoderne Verwaltungswissenschaft nicht ist, als was sie wohl ist. Eine andere Folge dieser negativen Sicht der postmodernen Verwaltungswissenschaft ist, dass es praktisch unmöglich ist, herauszufinden, ob, und wenn ja welche substanzielle Rationalität sie anstrebt, und ob sie - eventuell trotz ihrer selbst - diese näherbringt. Der Resonanz ihrer Studien und Ratschläge messen manche postmodernen Verwaltungswissenschaftler 16 mehr Bedeutung bei als einer sorgfältig methodologischen Rechtfertigung der Art und Weise, in der diese Ratschläge zustande gekommen sind. Das „anything goes" ist in dieser Hinsicht die Devise, die sie von Feyerabend entleihen. Mit der Frage nach substanzieller oder Wertrationalität in der postmodernen Verwaltungswissenschaft landen wir bei einem Problem, das die gesamte Verwaltungswissenschaft - also auch die traditionelle - angeht. Während die postmoderne Verwaltungswissenschaft die Möglichkeit und das Erstrebenswerte substanzieller Rationalität als Ziel der Verwaltungswissenschaft ausdrücklich verwirft, stellt sich die traditionelle (modernistische) Verwaltungswissenschaft nicht einmal die Frage nach substanzieller Rationalität, weil sie ausschließlich auf funktionale Rationalität ausgerichtet ist. Die Verwaltungswissenschaft sieht es ja als ihre zentrale Aufgabe an, die Zielorientierung, Effizienz und Zweckmäßigkeit von Politik und öffentlicher Verwaltung zu verstärken. Die Wahl der Ziele selbst, auf die sich die öffentliche Verwaltung und die Verwaltungswissenschaft ausrichten, ist der Politik vorbehalten, dabei inspiriert und beraten durch das Recht, die Wirtschaft und die jeweiligen Disziplinen. Zielorientierung, Effizienz und Zweckmäßigkeit können nur durch den Einsatz vieler
16 Vgl. M. van Twist, Verbale Vernieuwing: aantekeningen over de kunst van bestuurskunde, Vuga Uitgeverij, 1995.
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Teilwissenschaften, über deren Kenntnisstand die Verwaltungswissenschaft nicht verfugt, erzielt werden. Die Erkenntnisinteressen der Verwaltungswissenschaft, wie von Klaus König in einer beeindruckenden Studie analysiert, laufen einerseits letztendlich auf das Studium der Struktur und des Funktionierens der öffentlichen Verwaltung hinaus, und andererseits auf die Entwicklung einer „Technologie öffentlichen Verwaltens" 17 , also auf funktionale Rationalität. Wenn gemäß der funktionalen Rationalität gehandelt wird, steht die instrumentelle Dimension des staatlichen Handelns im Mittelpunkt. Wenn gemäß der substanziellen Rationalität gehandelt wird, geht es um die Realisierung des Wert- und Bedeutungsvollen, dann steht also die moralische Dimension im Mittelpunkt. Mannheim hat die These entwickelt, dass die Modernisierung eine Verdrängung der substanziellen Rationalität durch die funktionale Rationalität mit sich bringt. In Bezug auf die moderne Gesellschaft sagt er: „The more modern masssociety is functionally rationalized the more it tends to neutralize substantial morality or to sidetrack it into the ,private 4 sphere. In public matters it seeks to confine itself to universal standards which have nothing more than a functional significance". Und wo es sich um die Rolle des Verwaltungswissenschaftlers handelt, lautet sein Urteil: „...je weiter die Menschen in der Analyse fortschritten, desto mehr schwand das Ziel aus ihrem Gesichtsfeld, so dass ein Forscher heute mit Nietzsche sagen kann ,Ich habe meine Gründe vergessen'". Und weiter: „Der Verwaltungsbürokrat neigt wie jeder Spezialist und Experte dazu, den Zusammenhang zwischen Handlungen und dem Endziel aus der Sicht zu verlieren". 18 Es lassen sich viele Beispiele einer überzogenen funktionalen Rationalität in den Beamtenapparaten anfuhren: Beamtenabteilungen, die Probleme, welche an sich ein multidisziplinäres Vorgehen erfordern, aus behördenpolitischen Gründen für sich behalten, und Behörden, die, ungeachtet der Lage der öffentlichen Finanzen, gegen Jahresende Überschüsse forciert ausgeben. Auch im gesellschaftlichen Leben stößt man immer mehr auf Formen einer überzogenen funktionalen Rationalität. Man denke zum Beispiel an die Wettkämpfe zwischen den Superreichen beim Zusammenraffen von Geldvermögen, um Teile davon anschließend wiederum im Wettstreit über die Frage, wer der größte Philanthrop ist, zu verschenken.
IV. Verwaltungswissenschaft und Wertrationalität Welche Rolle kann und soll die Verwaltungswissenschaft in einer postmodernen Gesellschaft spielen hinsichtlich der Spannung zwischen funktionaler 17 18
König, Erkenntnisinteressen (Anm. 1), S. 112. Mannheim, Ideologie (Anm. 10), S. 19.
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und substanzieller Rationalität? Um diese Frage zu beantworten, soll man sich vergegenwärtigen, dass funktionale Rationalität sich in zweierlei Hinsicht von substanzieller Rationalität unterscheidet. Funktionale Rationalität ist einerseits durch eine einseitige Wahl von Zielen, und durch eine einseitige Wahl von Mitteln, um diese Ziele zu erreichen, gekennzeichnet. Substanzielle Rationalität hingegen zielt auf die gleichzeitige Realisierung von mehreren Werten ab, sowohl hinsichtlich des Inhaltes des Entscheidungsprozesses als auch des Entscheidungsprozesses selbst. Einander gegenüber stehen also nicht nur Zweckorientierung und Werteorientierung, sondern auch nach außen hin abgeschüttete Einseitigkeit und offene Mehrseitigkeit. Für die Verwaltungswissenschaft bedeutet dies, dass sie, im Bewusstsein ihrer eigenen Einschränkungen, sich auf eine solche funktionale oder substanzielle Rationalität verlegen soll, dass substanzielle Rationalität optimale Chancen erhält, sich zu realisieren. Dabei finde ich Klaus König an meiner Seite, der sich mit der Frage des Verhältnisses zwischen substanzieller und prozeduraler Rationalität auseinandergesetzt hat und der sagt: „Freilich verdient die ,prozedurale Rationalität4 unsere Aufmerksamkeit. In entwickelten Gesellschaften greift man auf Rationalisierung und Legitimation durch Verfahren zurück, wenn man in komplexen Entscheidungslagen auf die beschränkten Möglichkeiten inhaltlich richtigen Handelns stößt." Die substanzielle Rationalität, nach der in der öffentlichen Verwaltung mithilfe der Verwaltungswissenschaft gesucht wird, wird immer eine Balance zwischen unterschiedlichen inhaltlichen Wertekatalogen erfordern: einem politischen Wertekatalog der Problemlösung, des Machterhalts und der Sicherung der Integrität der Gesellschaft, einem juristischen Wertekatalog der Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit und Sicherheit vor Willkür; einem wirtschaftlichen Wertekatalog der makro- und mikro-ökonomischen Effizienz und der finanzwirtschaftlichen Nachhaltigkeit und einem technisch- und sozial-wissenschaftlichen Wertekatalog erreichbaren und nachhaltigen Einzelwissens. Nur wenn diese Balance in der öffentlichen Verwaltungspraxis realisiert worden ist, wird den Anforderungen einer zivilisierten Gesellschaft Genüge getan. Eine Verwaltungswissenschaft, die substanzielle Rationalität in der Politik und in der öffentlichen Verwaltung wird fördern können, wird diesen drei Bedingungen ge19
nugen. Sie wird: -
19
bescheiden sein müssen, d. h. nicht andauernd für sich in Anspruch nehmen, substanzielle Rationalität geradewegs realisieren zu können (eine bescheidene Verwaltungs Wissenschaft);
Der Gedankengang, der hier kurz dargelegt wird, stammt aus I. Th. M Snellen , Bestuurskunde en Modernisering, Alphen aan den Rijn 1998.
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in ihren Empfehlungen zu Organisationsstrukturen und politischer Praxis den Unterschied zwischen den jeweiligen Dimensionen von politischer Praxis zur Geltung bringen (eine differenzierende Verwaltungswissenschaft);
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sich, statt Formen einer in sich geschlossenen zweckorientierten Entscheidungsfindung zu entwickeln, auf die Entwicklung offener zielsuchender Formen der Entscheidungsfindung richten müssen (eine zielsuchende Verwaltungs Wissenschaft).
1. Eine bescheidene Verwaltungswissenschaft Der Verwaltungswissenschaftler verfügt von seiner Professionalität her nicht über die inhaltlichen wirtschaftlichen, juristischen oder sektoriellen Kenntnisse, die nötig sind, um substanzielle Rationalität zu realisieren. Der Beitrag des Verwaltungswissenschaftlers besteht nicht darin, dass er sich auf den Stuhl des Juristen, Ökonomen oder des inhaltlich kompetenten Verwaltungsfachmanns setzt. Als „Heilkundiger", der mal eben angeben wird, wie es weitergehen soll, ist er bestenfalls ein Amateur. Aber in einer bescheideneren Rolle als »Geburtshelfer 4 kann er gute Arbeit leisten, indem er der Natur auf die Sprünge hilft. Als Geburtshelfer kommt dem Verwaltungswissenschaftler die Funktion zu, das Beste in und durch die (demokratischen und bürokratischen) Diskussionen in Bezug auf die konkrete Politik hervorzulocken, ohne für sich zu beanspruchen, das letzte Wort darüber zu haben, was dieses „Beste44 wohl beinhaltet. Wie oben angegeben, zielt der Verwaltungswissenschaftler darauf ab, die Chance der Realisierung substanzieller Rationalität durch die Gestaltung von politischen Verfahren und Organisationsstrukturen möglichst groß zu machen. In diesem Sinne ist die Verwaltungswissenschaft mehr als eine Sammlung von Methoden und Techniken. Sie ist vielmehr eine Methodologie, eine Lehre der Rechenschaftslegung des Einsatzes von Methoden und Techniken in Verwaltung und politischer Praxis. Die substanziellen Werte, auf deren Basis Methoden und Techniken für Verwaltung und politische Praxis entwickelt werden, sind nicht einfach und erfordern deshalb eine demokratische Debatte. Das macht die Verwaltungswissenschaft so kompliziert, wenigstens im Vergleich zur relativ einfachen Struktur von Rationalitäten, die das unternehmerische Handeln normieren. Wie bescheiden auch immer, die Verwaltungswissenschaft wird sich von der Dominanz der Politologie emanzipieren müssen, die Pönologie wird sich von der Dominanz des Verwaltungsrechts emanzipieren müssen. Die sektoriellen Verwaltungswissenschaften in der Agrarwirtschaft, dem Gesundheitswesen und der Umwelt werden sich von den jeweiligen sektoriellen Wissenschaften emanzipieren müssen. Nur durch eine solche Emanzipation wird es der Verwaltungswissenschaft gelingen, sich zu einer Methodologie zu entwickeln, die den Quellen der Rationalität der öffentlichen Verwaltung, oder
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besser noch dem Verwalten im öffentlichen Bereich in einer Demokratie gerecht werden wird. Dies ist eine schwere Aufgabe. In einer Bewertungsmethode zum Beispiel werden nacheinander juristische, sektorielle, wirtschaftliche und politologische Urteilsbildung zum Zuge kommen müssen.20 In einem politischen Willensbildungsprozess sollten die genannten Rationalitäten gleichzeitig berücksichtigt werden sowie Gegenstand der politischen und gesellschaftlichen Debatte sein.
2. Eine differenzierende Verwaltungswissenschaft Auffällig ist der Unterschied zwischen den von der Betriebswirtschaft praktizierten Betriebsfuhrungsmodalitäten und der unimodalen Art und Weise, in der in der öffentlichen Verwaltung und der Verwaltungswissenschaft über die Veraltungspraxis gesprochen wird. Üblich ist in der Betriebswirtschaftslehre der Unterschied zwischen strategischer, konditionierender (oder allokativer) und operationaler Betriebsführung. In der strategischen Entscheidungsfindung wird bestimmt, was die Art des gesellschaftlichen Mehrwertes des Unternehmens in der Form von Produktsorten und Arten der Dienstleistungen und von kategorialen oder regionalen Märkten sein wird. Die Umsetzung der gewählten Unternehmensstrategie in operationale Geschäftsführung wird durch das konditionierende Vorgehen erzielt, d.h. durch die Schaffung der finanziellen, organisatorischen und sonstigen Bedingungen, die die Realisierung der Strategie ermöglichen. Für jede dieser Handlungsmodalitäten sind in der Betriebswirtschaftslehre unterschiedliche Geschäftsführungsmethoden entwickelt worden. Für die Verwaltungswissenschaft ist dies nicht der Fall. Daraus geht erneut hervor, dass die Verwaltungswissenschaft sich nicht von den Basisdisziplinen der Politologie, des Rechts, der Ökonomie und der Soziologie befreit hat. Diese Wissenschaften interessieren sich nicht oder kaum fur Differenzierungen von Verwaltung und Politik. Es ist zum Beispiel politologisch schon interessant, ob eine Politik Auswirkungen auf das Ausmaß der Unterstützung fur politische Forderungen und auf deren Art hat. Ob es sich dabei um Strategieformulierung, um konditionierende oder operationale Politik handelt, ist für den Politologen (zu Unrecht übrigens) 21 jedoch kaum interessant. Gleiches gilt für die Rechts- und Wirtschaftswissenschaft und für die Soziologie. Auch diese zeigen kein Interesse für die genannten Differenzierungen der Politik. Durch die Vernachlässigung der
20
/. Th. M. Snellen , Wetsevaluatie tussen recht, beleid en politiek, in: J. H. T. H. Andriessen u.a. (Hrsg), Wetsevaluatie tussen wetenschap en beleid, Tilburg 1987, S. 49-
62.
21 Die allokative Politik ist die am stärksten politisierte Politik-Modalität, weil sie bestimmt „who gets what, when and how". Siehe W. van de Donk, De Arena in Schema, Lelystad 1997, S. 24 ff.
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Politikdifferenzierungen widmet sich die Verwaltungswissenschaft zu wenig dem höchst wichtigen Phänomen, dass ein sektorielles politisches Programm zugleich die Organisationsstrategie von einer oder mehreren Organisationen in der öffentlichen Verwaltung oder im öffentlichen Sektor ist. Das Zustandekommen einer politischen programmatischen Stellungnahme, die in die politische Arena eingebracht wird und die auf die Lösung eines gesellschaftlichen Problems zielt, hat als Spiegelbild eine implizite oder explizite Strategie einer öffentlichen Organisation. Diese Zweigleisigkeit ist charakteristisch fur die öffentliche Verwaltung und die Verwaltungswissenschaft und unterscheidet diese grundlegend von der Betriebsverwaltung und der Betriebswissenschaft. In der Theorie und der Praxis der öffentlichen Verwaltung wurde dieses Charakteristikum noch nicht systematisch beachtet. Die Implikationen daraus gehören m. E. zu den Erkenntnisinteressen der Verwaltungspraxis und der Verwaltungswissenschaft. Der stärker politisch orientierte Diskurs und der stärker unternehmenerisch orientierte Diskurs werden im Hinblick auf die Erkenntnisinteressen stärker integriert geführt werden müssen. Eine weitere Folge der unzureichenden Unterscheidung zwischen den verschiedenen Politik-Modalitäten ist, dass die inkrementellen Formen der politischen Verwaltungspraxis immer noch als die einzig realistischen betrachtet werden, und die rational-synoptischen dagegen als utopisch dargestellt werden. Wenn die Verwaltungswissenschaftler bei Betriebswirtschaftlern in die Lehre gegangen wären, hätten sie erkannt, dass allerhand Zwischenformen zwischen synoptischer und inkrementaler Politik entwickelt worden sind, und dass Lindbloms Unterscheidung in diesem Sinne überholt ist. Die Bedeutung dieser Feststellung liegt darin, dass substanzielle Wertorientierungen in einer inkrementellen Politik-Modalität viel weniger zum Zuge kommen als in einer rational-synoptischen Politik-Modalität. Außerdem kann der Gefahr überzogener synoptischer Schematisierungen vorgebeugt werden, wenn die betriebswirtschaftlichen Methoden strategischer Planung angewandt werden.
3. Eine zielsuchende Verwaltungswissenschaft In den vorigen Abschnitten wurde dargelegt, dass die Verwaltungswissenschaft nicht in der Lage ist, selber substanzielle Rationalität zu konstituieren, sondern dass sie nur versuchen kann, in ihren Prozeduren und Prozessen - als prozedurale Rationalität - die Bedingungen für diese Konstitution einzubauen. Die Betriebswirtschaftslehre tut dies jedoch seit Jahr und Tag. Eingeräumt werden soll, dass diese sich mit einer einfacheren Rationalitäten-Struktur be-
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schäftigt als die Verwaltungswissenschaft. Mikro-ökonomische und wissenschaftliche Rationalität überwiegen in der Wirtschaft bei weitem. Im Vergleich dazu ist die Rationalitäten-Struktur der öffentlichen Verwaltung viel komplizierter. Deshalb ist es auch viel schwieriger, für die öffentliche Verwaltung passende Prozesse und Prozeduren zu entwickeln. Die Prozesse und Prozeduren, durch die in der Wirtschaft substanzielle Rationalität konstituiert wird, finden ihren Platz in der Strategieformulierung und in der strategischen Planung. Wie gesagt, findet darin die Bestimmung der gesellschaftlichen Funktion statt, die das Unternehmen in seinem Umfeld erfüllen soll. Um durch Strategieformulierung substanzielle Rationalität zu konstituieren, ist es unabdingbar, dass der Erwartungshorizont dieser Formulierung offen ist. Das bedeutet für Unternehmen, dass alle Unternehmensfunktionen an der Strategieformulierung beteiligt sind, ohne im Voraus einen unverrückbaren Standpunkt einzunehmen oder eine bevorzugte Stellung zu beanspruchen. Mit anderen Worten, ein Strategieformulierungsprozess soll, um substanzielle Rationalität konstituieren zu können, ein zielsuchender Prozess sein. Die Zielsetzungen und die darin zum Ausdruck kommende substanzielle Rationalität werden nicht am Anfang des Prozesses postuliert, sondern sie gehen aus einer Anzahl von breit aufgefächerten und iterierenden Analyse- und Entscheidungsfindungsrunden hervor. Auch die Strategieformulierung von Staatsorganen, die häufig der Auftakt zu politischen Programmkonzipierungen ist, wird keine substanzielle Rationalität konstituieren können, wenn sie sich bereits am Anfang des Prozesses auf bestimmte Ziele festlegt. Dennoch gibt es verschiedene Gründe, weshalb Strategieentwicklung mit einem offenen Erwartungshorizont im öffentlichen Sektor nicht oder kaum akzeptiert wird. Die Widerstände dagegen ergeben sich unter anderem aus der institutionellen Abschottung, aus der Konkurrenz zwischen Behörden um die ,Problem-Eigentümerschaft l, aus Vorstellungen über den politischen Primat, die beinhalten, dass die Politik als Erste spricht, aus Auffassungen über Politik als das Definieren von Zielen und über die Verwaltungspraxis als deren Ausführung, und - nicht zu vergessen - aus dem Drang kurzfristig denkender Politiker, beim Publikum zu punkten. Das Ergebnis ist, dass Entscheidungsfindungsprozesse im öffentlichen Sektor von Zielen ausgehen, statt zielsuchend zu sein und so zu Zielsetzungen zu gelangen. Solange man nicht systematischer in einem offenen und zielsuchenden Prozess die Ströme von Problemen und Lösungen aufzuzeigen versucht, wird Entscheidungsfindung wie eine zufallige Müllsortierung von Problemen und Lösungen22 erscheinen. In der Ausbildung von Verwaltungswissenschaftlern wird es so dargestellt, als ob solche Willkür in der Entscheidungsfindung nun mal eine Eigentümlichkeit der Politik sei. Verwaltungswissenschaftler könnten sich auch fragen, ob dieser Zu-
22
J. G. March/J. P. Olsen (Hrsg.), Ambiguity and Choice in Organizations, Bergen 1976; J. W. Kingdon, Agendas, Alternatives, and Public Policies, Boston 1984.
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stand vielleicht die Folge der Tatsache ist, dass sie bei der Schaffung passenderer Entscheidungsfindungsmodelle versagt haben.
V. Schluss Gerne schließe ich mich der These von Klaus König an, die da lautet: „Verbesserungen der ,prozeduralen Rationalität4 sind [...] auch bei der Politikformulierung möglich." Er dachte dabei insbesondere an die Einfuhrung eines Prüfungsverfahrens zur Notwendigkeit, Wirksamkeit und Verständlichkeit von Rechtsetzungsvorhaben des Bundes im Jahre 1984.23 Ich hoffe, mit diesem kurzen Essay einen Beitrag zu der Diskussion geleistet zu haben, auf welche Weise durch prozedurale Rationalität die substanzielle Rationalität, sogar in einer postmodernen Gesellschaft, ihrer Verwirklichung einigermaßen näher gebracht werden könnte.
23
König, Erkenntnisinteressen (Anm. 1).
Vom Sein und Sollen der Verwaltungsinformation Von Heinrich Reinermann, Speyer
I. Empirische und normative Wissenschaft 1. Unser Wissen über Strukturen und Funktionen der Welt ist ebenso unvollkommen wie unsere Zufriedenheit mit ihren Zuständen unterschiedlich ist. Unser Wissen über die Welt ist unvollkommen, weil die begrenzten Kapazitäten der Einzelnen selbst bei bestem Willen nur Bruchstücke der Wirklichkeit zu erfassen vermögen 1, weil Erkenntnis darüber hinaus interessengeleitet ist (man wendet sich unter anderem bevorzugt solchen Ausschnitten der Wirklichkeit zu, die - wie die Umwelt des Bergmanns unter Tage - gleichsam im Lichtstrahl der eigenen Kopflampe liegen2) und weil darüber hinaus der Stand wissenschaftlicher Erkenntnis immer ein vorläufiger ist, der jederzeit durch neues Wissen über die Wirklichkeit erweitert oder widerlegt werden kann (so etwa der Kritische Rationalismus3). Das Defizit, dass wir die uns umgebende relevante Wirklichkeit nur höchst unvollkommen erkennen und begreifen, machen wir durch Verhaltensweisen erträglich, die vom „Panzer der Wohlinformiertheit" 4 , mit dem wir uns selbst umgeben, über Vertrauen 5 in arbeitsteilig zustande kommendes, unseren eigenen Horizont übersteigendes Wissen bis zum Glauben an eine Wirklichkeit reichen, die jenseits der verstandesmäßigen Wahrnehmbarkeit liegt. 6
„Ich weiß, dass ich nichts weiß" - so kennzeichnet ja Sokrates die Philosophie als Suche nach der Wahrheit. 2 Vgl. die „Scheinwerfertheorie der Wissenschaft", von K. R. Popper, Alles Leben ist Problemlösen, Darmstadt 1994, S. 175 f. 3 Vgl. K. R. Popper, Die Logik der Forschung, 10. Aufl., Tübingen 2002 sowie H. Albert, Probleme der Theoriebildung, in: derselbe (Hrsg.), Theorie und Realität, Tübingen 1964, S. 3 ff. 4 D. Dörner, Die Logik des Misslingens, 15. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2002. 5 Dazu F. L Seil, Vertrauen: eine ökonomische Kategorie, in: G. Blümle et al. (Hrsg.), Perspektiven einer kulturellen Ökonomik, Münster, Hamburg und London 2003 (in Vorbereitung). 6 Trefflich zum Ausdruck gebracht von M. Claudius in der dritten Strophe seines Abendliedes: „Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen und ist doch
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Unsere Zufriedenheit mit den Zuständen der Welt ist unterschiedlich, je nachdem ob wir uns als Personen und Gruppen von ihnen benachteiligt oder begünstigst fühlen. Strukturen und Funktionen sowie im Gefolge Zustände der Welt verändern zu wollen, erscheint dementsprechend, je nach Betroffensein, als ein zu förderndes oder als ein zu verhinderndes Unterfangen. „Good Governance"7 oder „New Public Management"8 sind solche Ansätze, deren Absichten nicht in einer Erweiterung des Wissens über die Wirklichkeit liegen, sondern gerade in deren Veränderung. Vorangestellte Eigenschaftswörter wie „gut" und „neu" bringen dies zum Ausdruck. 2. Angesichts dieser Lage steht die Wissenschaft vor zwei Aufgaben: Wirklichkeit immer besser verstehen helfen - das Feld empirisch-theoretischer Aussagen über das Sein - und Wirklichkeit immer besser gestalten helfen - das Feld normativ-theoretischer Aussagen über das Sollen. Auf beiden Feldern geht es um die Beziehungen zwischen drei Aspekten: zu beobachtende Phänomene P, diese auslösende Ausgangslagen oder Antecedenzbedingungen A und den Zusammenhang beider erklärende Hypothesen H (bei deren hinreichender Bewährung: Theorien) 9. Ziel einer erklärenden Variante empirisch-theoretischer Wissenschaft ist die Ableitung von Hypothesen, die ein zu beobachtendes Phänomen als Folge einer festgestellten Ausgangslage erkennen. In einer prognostischen Variante ist die empirisch-theoretische Wissenschaft bemüht, aus einer Ausgangslage, verbunden mit geltenden Hypothesen ein zu beobachtendes Phänomen vorauszusagen. Beide Varianten befassen sich also mit dem Sein. Diese, auch Ontik genannte Ebene wird nun allerdings verlassen, wenn wir uns, nach Erklärung und Prognose, einer dritten Beziehung zwischen Ρ, A und H zuwenden, der Gestaltung. Mit dem Bemühen, eine Ausgangslage A zu finden, die als Folge geltender Hypothesen H ein gewünschtes zu beobachtendes Phänomen Ρ erwarten ließe, begeben wir uns auf das Feld normativ-theoretischer Aussagen, der Deontik. Eine nur tautologische Umkehrung empirischer Beziehungen zwischen Ρ, A und H reicht ihr - und dies ist wichtig - nicht aus. Über die existente Wirklichkeit soll ja gerade hinausgegangen, eine bessere ge-
rund und schön. So sind wohl manche Sachen, die wir getrost verlachen, weil unsere Augen sie nicht seh'n." 7 Vgl. K. König, M. Adam, B. Speer und Ch. Theobald, Governance als entwicklungs- und transformationspolitisches Konzept, Berlin 2002. 8 Hierzu K. König und J. Beck, Modernisierung von Staat und Verwaltung - Zum Neuen Öffentlichen Management, Baden-Baden 1997 sowie H. Reinermann, F. F. Ridley und J.-C. Thoenig, Neues Politik- und Verwaltungsmanagement in der kommunalen Praxis - ein internationaler Vergleich, Sankt Augustin 1998. 9 Dazu C. G. Hempel und P. Oppenheim, Studies in the Logic of Explanation, in: H. Feigl et al. (eds), Readings in the Philosophy of Science, New York 1953.
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staltet werden. Ergo ist der Bedingungsrahmen zu verlassen, der die vorfindlichen, nun zu verbessernden Zustände zur Folge hatte. Das zu erreichende Phänomen ist dabei zunächst einmal eine Vision. Sie weitet aber den Blick auf in Betracht kommende, etwa durch wissenschaftlich-technischen Fortschritt neu entstandene Antecedenzbedingungen, die geschaffen werden können und sollten, sofern die zugehörigen Hypothesen erwarten lassen, dass die Vision so Wirklichkeit werden kann. Die Deontik ruft damit zu Interdisziplinarität und zur Optimierung unter den möglichen zu schaffenden Ausgangslagen auf. Die Erkenntnisse der empirisch-theoretischen Wissenschaft sind dabei heranzuziehen, um die Machbarkeit der Vision und gegebenenfalls ihre bestmögliche Umsetzung zu gewährleisten. 10 3. Will man sich also mit existenten, aber als unzureichend empfundenen Zuständen der Welt nicht abfinden, gleichwohl aber utopische Verbesserungsbemühungen vermeiden, muss man beide Wissenschaftsrichtungen bemühen, die empirische und die normative, um beim Ausdenken besserer Welten möglichst viel Wissen über die Wirklichkeit einzubeziehen. Wissenschaft assistiert dabei den legitimierten Akteuren, die über zu verfolgende Visionen entscheiden.
I I . Bessere Verwaltungsinformation ein immer wiederkehrendes Postulat 1. Es ist nun durchaus nicht selbstverständlich, dass diese wissenschaftstheoretischen Zusammenhänge bei den Bemühungen um eine bessere öffentliche Verwaltung, um Verwaltungsreform oder Verwaltungsmodernisierung also, beachtet werden. An prominenter Stelle steht hier der Versuch, die politischen und administrativen Entscheidungsträger mit besseren Informationen zu versorgen geradezu ein Paradebeispiel sowohl für die Notwendigkeit der Zusammenfuhrung normativer und empirischer Erkenntnisse wie für die Missachtung dieses Postulats. Verglichen mit der erfahrbaren Wirklichkeit soll mit diesen Reformansätzen erreicht werden, dass die Entscheidungsträger frühzeitig Informationen über aufziehende Problemlagen nachfragen, geeignete Informationen über Problemlösungen ausarbeiten lassen, die jeweils zu erwartenden Auswirkungen explizit in die Entscheidungsvorbereitung einbeziehen, die Öffentlichkeit in geeigneter Form über ihre Vorhaben informieren und nach deren Umsetzung ihre Entscheidungsprämissen mit Informationen über die tatsächlichen Auswirkun10
Der Rückgriff auf die Biologie würde etwa eine „Vision", eine Schildkröte durch einen brennenden Reifen springen zu lassen, schnell als „Utopie" entlarven, weil - oder, angesichts der gentechnischen Fortschritte besser: solange - die nötigen physischen Antecedenzbedingungen überhaupt nicht geschaffen werden können.
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gen vergleichen (wir bezeichnen diesen Komplex hier kurz als „Verwaltungsinformation"). Dass allerdings immer erneute Ansätze für eine derart verbesserte Informationsversorgung und -nutzung nötig zu sein scheinen - verwiesen sei nur auf die KNA (Kosten-Nutzen-Analyse) in den 1930ern n , auf PPBS (Planning-Programming-Budgeting System)12 in den 1970ern, auf MIS (Management-Informations-Systeme)13 in den 1980ern oder auf NPM (New Public Management)14 in den 1990ern - , deutet daraufhin, dass die zugrundegelegten Visionen einer verbesserten Verwaltungs weit jedenfalls zum Teil utopisch sind, empirischtheoretischem Wissen also nicht hinreichend Beachtung geschenkt wird. Es ist zu vermuten, dass die Verfechter solcher Ansätze über eine nur begrenzte Wirklichkeitswahrnehmung verfügen, dass es mit anderen Worten eine Wirklichkeit gibt, vor der sie - aus Unkenntnis oder in Verfolg eigener Interessen - die Augen verschließen. Sonst müsste es sie stutzig machen, dass die vorgeschlagenen, doch eher plausiblen Informationssysteme in der Verwaltungspraxis nicht wie von ihnen erwartet eingerichtet und genutzt werden. Wären nämlich die Entscheidungsträger auf solche Informationssysteme angewiesen, müssten sie deren Betreibern doch die Informationen gleichsam aus der Hand reißen, ja sie hätten solche Informationssysteme längst selbst in Auftrag gegeben, denn: Information, die man wirklich dringend benötigt, beschafft man sich auch. Schon Warren G. Bennis hatte gerade solch einleuchtenden VerbesserungsVorschlägen Skepsis entgegengebracht, wenn er sagte: „Most organizations possess the knowledge to cure their ills; the rub is tilization". 15 2. Es gibt also auch im Bereich der Verwaltungsinformation mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als manche Verwaltungsreformer sich träumen las-
11 Zu deren häufiger Missachtung etwa W. A. Niskanen, Warum brauchen wir neue Verfahren fur Budgetentscheidungen? in: F. Naschold und W. Väth (Hrsg.), Politische Planungssysteme, Opladen 1973, S. 296-310, hier S. 296. 12 Dazu C. Bohret, Entscheidungshilfen ftir die Regierung, Opladen 1970, B. Rürup, Das Planning-Programming-Budgeting System, Theorie - Praxis - Erfahrungen, in: C.-H. Hansmeyer (Hrsg.), Das rationale Budget, Köln 1971, S. 135 ff. sowie H. Reinermann, Programmbudgets in Regierung und Verwaltung, Baden-Baden 1975. 13 Beispielsweise E. Grochla und N. Szyperski (Hrsg.), Management-Informationssysteme, Wiesbaden 1971, oder P. Mertens, Industrielle Datenverarbeitung 1, Administrations· und Dispositionssysteme, 7. Auflage, Wiesbaden 1988 sowie H. Reinermann (Hrsg.), Führung und Information, Heidelberg 1991. 14 Dazu etwa Ch. Reichard, Internationale Ansätze eines „New Public Management", in: M. Hofmann (Hrsg.), Neue Entwicklungen in der Managementlehre, Heidelberg 1994, S. 135-164 sowie K. Schedler, Ansätze einer wirkungsorientierten Verwaltungsfuhrung, Bern, Stuttgart, Wien 1995. 15 B. G. Bennis, Theory and Method in Applying Behavioral Science to Planned Organizational Change, in: W. G. Bennis, K. D. Benne und R. Chin (eds.), The Planning of Change, 4. Auflage, Fort Worth 1984, S. 62 ff., hier S. 77.
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sen.16 Und deshalb muss man sich bemühen, alle wesentlichen Erkenntnisse heranzuziehen, wenn man eine Ausgangslage A schaffen will, die auf der Grundlage geltender Hypothesen H tatsächlich zu den angestrebten Phänomenen P, hier eine informatorisch verbesserte Entscheidungsfindung im öffentlichen Sektor, führt. Mit den Worten Forresters gilt es, ein in dem Sinne geschlossenes System von Erkenntnissen zu bilden, dass dieses durch „... die Grenze, die die kleinste Anzahl von Komponenten umschließt, innerhalb derer das zu untersuchende dynamische Verhalten erzeugt wird" 17 , definiert ist. Wo dies außer Acht gelassen wird, betreibt man möglicherweise zwar systematisches Denken - allerdings über Nicht-Systeme.
I I I . Objektiver und subjektiver Informationsbedarf 1. Eine Einengung von Reformansätzen auf Teilsysteme findet nun interessanterweise nicht selten gerade dort statt, wo man sich die Etablierung kybernetischer, systemtheoretisch fundierter Verhaltensweisen der politischen und administrativen Entscheidungsträger auf die Fahnen geschrieben hat. Bild 1 zeigt die für eine solche „kybernetische Verwaltungsführung" 18 notwendigen Informationskategorien. Ihre Verfechter konstatieren - und soweit oft genug zu Recht - empirische Defizite in der Bereitstellung und Nutzung solcher Informationen im öffentlichen Sektor, welche die Beschreibung der, durch öffentliche Güter und Leistungen ja zu beeinflussenden, Zustände der Gesellschaft angehen. Die Gründe für dieses Phänomen, die dieses auslösenden Antecedenzbedingungen also, sehen sie weitgehend in bisher nicht gegebenen methodischtechnischen Voraussetzungen, die jetzt aber, etwa auf der Grundlage neuen informationstechnischen Potenzials, geschaffen werden könnten. Daraus werden dann entsprechende Reformprogramme abgeleitet.19
16 Frei nach W. Shakespeare , Hamlet, I. Akt, 5. Szene: „There are more things in heaven and earth, Horatio, than are dreamt of in your philosophy." 17 J. W. Forrester , Grundzüge einer Systemtheorie, Wiesbaden 1972, S. 88. 18 Die Verwaltung wirkt auf das reale Geschehen in der Gesellschaft ein, indem sie auf Soll/Ist-Abweichungen vorgängig (Vorkoppelung) oder nachgängig (Rückkoppelung) reagiert. 19 Vgl. jüngst wieder Ch. Winter, Anforderungen und Voraussetzungen für die Effizienzrevolution in der öffentlichen Verwaltung, in: Verwaltung & Management 2003, S. 21-30.
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Kybernetische Verwaltungsfuhrung (Verwalten als Steuer- und Regelkreis)
2. Dabei wird nun aber ein wesentlicher Ausschnitt der Verwaltungs Wirklichkeit übersehen. Eigentlich ließe sich dies leicht erkennen, wenn man nämlich die Kybernetik nicht auf die Erreichung anzustrebender Gesellschaftszustände, sondern auf die Erreichung persönlicher oder Gruppenziele anwendete. Die Informationskategorien in Bild 1 bleiben davon unbeeinflusst - allerdings dienen sie jetzt subjektiven und partikularen Interessen wie: regierungsfähige Mehrheiten bei Wahlen erreichen, Karrierechancen verbessern oder persönlichen Einfluss und Prestige mehren. Dass solche realen Gegebenheiten der Welt ausgeblendet werden 20 oder auch nicht bekannt sind, ist schon häufig beim 20 Oft erinnert dieses Verhalten an Palmström, dem Ch. Morgenstern in seinem Gedicht „Die unmögliche Tatsache" angesichts des Faktums, dass er an einer Stelle über-
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Versuch der Verwaltungsreform zu sehen gewesen. So hat die durchaus ausgeprägte Existenz einer verhaltensorientierten Organisationstheorie 21 oder einer Bürokratietheorie 22 nicht zu verhindern vermocht, dass die Vertreter des PPBS die dort analysierte Welt des Individual- und Gruppenverhaltens so gut wie nicht zur Kenntnis nahmen.23 Dieses Faktum dürfte seinerseits dazu beitragen, die immer wieder in neuem Gewände daherkommenden Bemühungen um eine verbesserte Versorgung mit und Nutzung von Verwaltungsinformation zu erklären. 3. Will man nicht in diese Falle tappen, muss man folglich die Welt der Verwaltungsinformation präziser in den Blick nehmen, wie Bild 2 dies versucht. Man sieht dann klarer, dass in der Verwaltungspraxis objektiver und subjektiver Informationsbedarf oder -nachfrage sowie das dem gegenüberstehende Informationsangebot keineswegs deckungsgleich sein müssen. Genau genommen existiert schon der sogenannte objektive Informationsbedarf gar nicht, sondern hier handelt es sich um Forderungen seitens Personen und Gruppen, die aus ihrer Sicht wichtige Informationen durch eine öffentliche Institution berücksichtigt sehen möchten; allenfalls handelt sich um einen vermuteten Informationsbedarf, der von den dort tätigen Entscheidungsträgern artikuliert werden müsste. Man spricht deshalb auch richtiger von Informationsbedarf „für", nicht „von" Institutionen.24 Die subjektive Informationsnachfrage wiederum ist in der Regel nur eine Teilmenge des subjektiv empfundenen Informationsbedarfs, schon weil die Zeit meist zu knapp oder die technisch-organisatorische Unterstützung zu schwach ist, um all seinen Informationswünschen nachgehen zu können. Das vorfindliche Informationsangebot schließlich entspricht selten genau der Nachfrage, weil Anbieter zu wenig über den Bedarf der Nutzer wissen, Informationssysteme in solchen Fällen also durch Experten relativ unabhängig von den Aufgaben und Zielen der Nachfrage entwickelt werden (veraltete Statistiken sind ein gängiges Beispiel), oder weil die methodisch-
fahren wurde, wo Autos eigentlich gar nicht verkehren dürften, die Worte in den Mund legt, dass „so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf 1 . 21 Vgl. nur J. G. March und H. A. Simon, Organizations, New York 1958 (inzwischen 2. Auflage, Cambridge 1995) oder R. M. Cyert und J. G. March, A Behavioral Theory of the Firm, Englewood Cliffs, N.J. 1963 (inzwischen 2. Auflage, Cambridge 1999). 22 Bekannte Vertreter sind A. Wìldavsky , The Politics of the Budgetary Process, Boston 1964 (inzwischen 4. Auflage, Boston 1984) sowie W. A. Niskanen , Bureaucracy: Servant or Master?, London 1973. 23 Hierzu ausfuhrlich Reinermann, Programmbudgets (Anm. 12), S. 169-194. 24 Vgl. Cyert und March, A Behavioral (Anm. 21 ), S. 26 ff. sowie W. Kirsch, Entscheidungsprozesse, Band III, Entscheidungen in Organisationen, Wiesbaden 1971, S. 129-135.
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technischen Voraussetzungen zur Nutzung von Informationsbeständen bei Anbietern und Nachfragen divergieren. 25
Bild 2
Der - berechtigte und notwendige - Versuch, politische und administrative Entscheidungsträger besser mit Verwaltungsinformation zu versorgen und zu deren tatsächlicher Nutzung anzuhalten, entspricht so gesehen dem Versuch, die Ellipsen A bis D in Bild 2 zu größerer Überdeckung zu bringen.
IV. Die Informationswirklichkeit politischer und administrativer Entscheidungsträger 1. Die Konzentration auf das Methodisch-Technische der Informationsverarbeitung verfuhrt dazu, wesentliche, ja: ausschlaggebende Teile der Verwaltungswirklichkeit auszublenden. Anders formuliert: Es ist noch sehr die Frage, ob VerbesserungsVorschläge, die allein den „objektiven" Informationsbedarf von und das Informationsangebot fur politische und administrative Entschei-
25 Dass es sich hierbei um eine Lebenserfahrung handelt, bringt J. W. Goethe im ersten Teil des Faust (Vor dem Tore) zum Ausdruck: „Was man nicht weiß, das eben brauchte man, und was man weiß, kann man nicht brauchen".
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dungsträger im Visier haben, mit der ausgeblendeten Realität kompatibel sind. Zweifel daran kommen schon auf, wenn man fragt, warum sich die Entscheidungsträger nicht längst von sich um die Deckung des „objektiven" Informationsbedarfs gekümmert haben, wenn er so wichtig ist. 26 Otto Schlecht, seinerzeit Ministerialdirektor im Bundesministerium für Wirtschaft, wird mit dem an den seinerzeitigen Leiter der Planungsabteilung des Bundeskanzleramts Reimut Jochimsen gerichteten Seufzer zitiert: „Wenn Planung so einfach wäre, hätten wir sie längst selbst eingeführt." Mancher enttäuschend verlaufende Reformversuch, bessere Verwaltungsinformation zu erzeugen und sie dann den Entscheidungen über öffentliche Güter und Leistungen auch zugrunde zu legen, dürfte seine Erklärung darin finden, dass die Verfechter Modelle empfehlen, welche die Entscheidungsträger, die sie zu übernehmen hätten, schon als für sich unpassend verworfen hatten. 2. Was könnten Hintergründe für ein solches Verwerfen sein? Sie sind zum größten Teil in der Natur und das heißt ja: in der Wirklichkeit öffentlichen Entscheidens zu finden. Bevor eine Regierung oder andere Entscheidungsträger überhaupt Entscheidungen aufgrund sachlicher Information - zur Lage der betreffenden Institution und der relevanten Außenwelt sowie zu den Handlungsvarianten und ihren Folgen - treffen können, müssen sie im Amt, das heißt gewählt beziehungsweise nicht abgewählt sein. Wer nicht im Sattel sitzt, kann nirgendwo ankommen, um dort sachlich zu gestalten. Dem entspricht ein zunächst einmal geringes subjektives Interesse an „objektiven" Informationen, und es ist durchaus systemkonform, wenn die Entscheidungsträger Informationsverarbeitung zuallererst aus dem Blickwinkel betreiben, ob sie dem Amt dient oder es gefährdet. 27 Die Machtlogik eines Macchiavelli geht insoweit vor der Formallogik eines Aristoteles. Weiter lässt sich nicht davon absehen, dass Sich-informieren Zeit und Geld kostet. Schon Herbert Simon stellte dazu fest, dass uns deshalb nur eine Strategie des „Satisficing" zwecks Komplexitätsreduktion nach subjektiver Rationalität übrigbleibt. 28 Schon deshalb, aber auch wegen der objektiven Unmöglichkeit, alle Folgewirkungen von Entscheidungen absehen zu können, ist hinreichende Information eher die Ausnahme als die Regel. Deshalb reicht auch „die Notwendigkeit zu entscheiden (..) weiter als die Möglichkeit zu erkennen" 26
Schon 1971, mitten in der MIS-Euphorie, hat E. Witte (Das Informationsverhalten in Informationssystemen, in: E. Grochla und N. Szyperski, Management-Informationssysteme (Anm. 13), S. 835) der These vom angeblich unzureichenden Informationsangebot die von der unzureichenden Informationsnachfrage entgegen gehalten. 27 Das gilt gleichermaßen für die Opposition, wenngleich deren Existenz Verwaltungsinformation auf die Tagesordnung setzen kann (nicht muss), die von der Regierung missachtet wurde. 28 Vgl. H. A. Simon, Administrative Behavior, New York 1947 (inzwischen 3. Auflage, New York 1976).
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(Immanuel Kant) und ist Verantwortungsübernahme durch Politiker gefragt, wenn es notwendig ist, „in Ungewissheit und ohne ganz vollständige Information entscheiden zu müssen"29. Die meisten wollen denn auch lieber durch Politiker als durch Wissenschaftler regiert werden 30. Angesichts ihrer stets zu knappen Informationskapazität müssen Entscheidungsträger bei der Kenntnisnahme von Verwaltungsinformation Prioritäten setzen. Was wichtig ist, entscheiden die artikulierten Forderungen und Unterstützungen31 der maßgeblichen Akteure, nicht die Papierform abstrakter gesellschaftlicher Zustände. Das quietschende Rad bekommt das Öl. Erweist sich das Entscheidungsproblem als kontrovers, so ist für die Beteiligten ein faires Verfahren, insbesondere die Möglichkeit, ihre Gesichtspunkte vortragen zu können, wichtiger als Information über die Folgen der jeweiligen Problemlösungsvarianten, und vor allem: Bei Zustimmung erlischt das Interesse an einer Information über das Ergebnis. Die Zukunftsungewissheit führt darüber hinaus zu einer „Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse" 32, weil die schwierige Konsensherbeiführung sich als unnötige Wolkenschieberei erweist, sollte es, wie alle Erfahrung lehrt, doch wieder anders kommen als geplant. Auch hat man wenig Interesse, der Opposition auch noch eine Abhakliste zur Verfügung zu stellen, anhand derer sie den Entscheidungsträgern dann Versagen vorwerfen könnte. A m besten also, man weckt gar nicht erst schlafende Hunde durch transparente Information über künftige Entwicklungen. Aber auch das Interesse der Entscheidungsträger an Informationen über gesellschaftliche Istzustände hält sich in Grenzen, weil man das Konsenskapital, das in diese investiert wurde, nicht gerne unnötig abschreibt. 3. Alles in allem ist Information kein Rohstoff, der in Datenbanken vorgefunden, durch Computerprogramme veredelt und dann automatisch von den Entscheidungsträgern auch nachgefragt würde. Entscheidungsrelevante Verwaltungsinformation ist das Ergebnis von Interaktion der als wichtig erachteten Personengruppen, auf deren subjektive Wahrnehmungen, Motive und Handlungsbedingungen es zuallererst ankommt. Aus Sicht der jeweiligen Entscheidungsträger ist deren Versorgung mit Information also optimal (im Sinne von angepasst an Ziele und Restriktionen). Wäre dem nicht so, würden sie eben die Erarbeitung zusätzlicher Information selbst in Auftrag geben. Patentrezepte, die 29
N. Luhmann, zitiert nach T. Ellwein, Politik und Planung, Stuttgart et al. 1968,
S. 11. 30
So W. Jann in einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Symposiums „Folgen von Folgenforschung" für Carl Bohret (siehe den von K.-P. Sommermann hrsg. Speyerer Forschungsbericht Nr. 225, Speyer 2002). 31 So D. Easton y A System Analysis of Political Life, New York, London, Sydney 1965. 32 Schon E. v. Böhm-Bawerk, Positive Theorie des Kapitals, Erster Band, 4. Auflage, Jena 1921, S. 320-328.
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nur fordern, wie andere handeln sollten, ohne auf diese Ausgangslage Einfluss zu nehmen, bleiben so wirkungslos wie die sprichwörtliche ermunternde Aufforderung des von einer Australienreise mit einem Straußenei zurückgekehrten Hahns an seinen Hühnerhof, es bei der Aufgabenerledigung doch diesem Vorbild gleichzutun; die genetischen Strukturen, so wie sie nun einmal sind, lassen dies ja gar nicht zu. Nötig ist vielmehr eine systemische Würdigung sämtlicher, ein Phänomen wesentlich verursachender Zusammenhänge, etwa im Sinne Forresters.
V. Anforderungen an normativ-wissenschaftliche Reformvorschläge 1. Damit haben wir nun einen Teil der Wirklichkeit, die die politischen und administrativen Entscheidungsträger umgibt, zur Kenntnis genommen, der von Verfechtern vornehmlich methodisch-technischer Verwaltungsreformen durch bessere Informationsverarbeitung gerne ausgeblendet wird. Da kein Mensch „objektive" Informationsverarbeitung losgelöst von seinen persönlichen Erfahrungen und Ziele betreiben kann 33 , wird erstere aber regelmäßig letzterer unterworfen - manch gut gemeinte Reform 34 scheitert hier an den harten Fakten der Realität und ist deshalb der Kategorie der Utopien zuzuordnen. Begründete Aussicht auf Erfolg und damit auf Einordnung unter die machbaren Vorschläge zur Verbesserung der Verwaltungsfähigkeit bedingt, dass auf alle wesentlichen, ein Systemverhalten konstituierenden Komponenten und Beziehungen entsprechend eingewirkt wird, in unserem Falle eben auch auf die Welt der subjektiven Informationsverarbeitung, wie sie sich in den Köpfen der
33 Schon A. Downs (Eine ökonomische Theorie des Handelns in der Demokratie, in: H. C. Recktenwald (Hrsg.), Nutzen-Kosten-Analyse und Programmbudget, Tübingen 1969, hier S. 50) beklagt „einen fundamentalen Fehler der meisten Ansätze ...: Sie wenden auf das Zustandekommen von Regierungsentscheidungen nicht wirklich das Prinzip der Funktionsteilung an ... (Danach) hat jeder Handelnde ein privates Handlungsmotiv und eine soziale Funktion". Analog R. Mayntz und F. W. Scharpf,\ Der Ansatz des akteurzentrierten Institutionalismus, in: dieselben (Hrsg.), Gesellschaftliche Selbstregulierung und politische Steuerung, S. 39-72, hier S. 52: „Die Reichweite institutioneller Regelungen ist nur selten allumfassend. Für die Nutzung der faktisch verbleibenden Spielräume sind die jeweiligen Handlungsorientierungen der Akteure von ausschlaggebender Bedeutung." 34 Davon zu unterscheiden wären noch unsinniges Wunschdenken und konstruktivistische Scheinwelten. Ein eingängiges Beispiel beschreibt Watzlawick mit dem Mann, der sich auf dem Weg zu seinem Nachbarn, von dem er einen Hammer ausleihen will, gedanklich dermaßen in dessen vermutete Ablehnung seiner Person versteigt, dass er, vor dessen Tür angekommen, nur noch hervorbringen kann: „Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!" P. Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein, 24. Auflage, München und Zürich 2002.
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politischen und administrativen Entscheidungsträger tatsächlich abspielt. Die Eigenheiten des Umgangs mit Information im öffentlichen Sektor oder die Erfahrungstatsache, dass „das Politische sich nicht ökonomisch überlisten lässt" 35 , sollten also kein Anlass sein, die Hände in den Schoß zu legen, zumal sich über die inzwischen dringend gewordene Reformnotwendigkeit der öffentlichen Finanzwirtschaft nahezu alle einig sind. 2. Dies erfordert zuallererst ein Zusammenführen und Anwenden der empirisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse, hier über die Welt der Verwaltungsinformation. Mit Interdisziplinarität muss ernst gemacht werden. Auf dieser Grundlage muss dann - über die natürlich wichtig bleibenden methodisch-technischen Verbesserungsvorschläge für den Umgang mit Verwaltungsinformation hinaus, denen man jedenfalls das Verdienst ständiger Appelle und Mahnungen zuerkennen muss - auf den Bedingungsrahmen Einfluss genommen werden, der die Unzufriedenheit vieler mit der vorfindlichen Realität begründet. Besonders wesentlich dürften hier strukturfünktionale und verhaltensorientierte Ansätze sein, die ein persönliches Interesse an „objektiver" Verwaltungsinformation mehr oder weniger unumgänglich machen. Ist die zu beobachtende Informationsverarbeitung Folge der Rollen, welche die Entscheidungsträger spielen, und nicht Ursache für ihr Verhalten, so muss auf die dieses auslösenden Bedingungen Einfluss genommen werden. Eine Organisation öffentlicher Institutionen nach dem Muster von Verantwortungszentren (Fraktalen) mit integrierter Fach- und Ressourcenverantwortung und mit einer von der verantworteten Verwaltungsqualität abhängigen Kompensation könnte eine Richtung angeben, in die hier zu denken wäre. Eine andere wird mit Maßnahmen aufgezeigt, die auf die demokratischen Wahlen zielen, wie Veränderung und zeitliche Überlappung der zahlreichen Legislaturperioden im föderalen Staat36 oder die Abhebung des Wählereinflusses in unserem Wahlrecht 37 . Auch der Vorschlag des ehemaligen rheinland-pfälzischen Finanzministers Johann Wilhelm Gaddum, alle dritten Lesungen von Gesetzen sollten gemeinsam mit der Verabschiedung des jährlichen Haushaltsgesetzes erfolgen 38, hat den Vorzug, dass er nicht einer Symptomkur das Wort redet, sondern das Übel an der Wurzel packt, macht allerdings zugleich deutlich, dass solche realitätsverändernden Eingriffe wiederum von Entscheidungsträgern vorzunehmen wären. Vorgeschlagene Informationssysteme sind kein Putsch- oder Revolutionsersatz; andererseits würde ihre Einführung aber von den Entscheidungsträgern oft wohl als eine Selbstbin-
35 Κ König, Rückkehr von der Studienreise - Verwaltungswissenschaft als Reisebericht, Speyerer Vorträge, Heft 69, Speyer 2003. 36 Vgl. C. Bohret, Die Zeit des Politikers, Speyerer Vorträge, Heft 14, Speyer 1989. 37 Vgl. Η. Η. v. Arnim, Wahl ohne Auswahl, in: Die Welt, 21. August 2002, S. 9. 38 So J. W. Gaddum, Finanz- und Steuerpolitik im Umbruch, Vortrag in der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer am 23. Juni 1980.
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dung empfunden, wie sie Odysseus nachgesagt wird. 39 Aber erst die Einbeziehung solcher Eingriffe, wie sie im Übrigen auch in der öffentlichen Diskussion über die Reformblockaden in unserer Zeit gefordert werden 40, in Vorschläge zur Herbeiführung einer besseren Verwaltungswirklichkeit macht diese zum Unterfall normativ-wissenschaftlicher Aussagen und vermeidet den immer wieder zu erlebenden, schon im 18. Jahrhundert vom englischen Schriftsteller Samuel Johnson zutreffend so formulierten „Triumph der Hoffnung über die Erfahrung".
39 H. Siebert (Odysseus am Mast der Ökonomie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. April 1997, S. 17) erinnert an dessen Selbstbindung an den Mast seines Schiffes, um so den Verlockungen der Sirenen widerstehen zu können. 40 Vgl. nur W. Hennis, Totenrede des Perikles auf ein blühendes Land, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. September 1997, S. 36, R. Herzog, Aufbruch ins 21. Jahrhundert, in: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, Nr. 33/1997, S. 353-358, hier S. 355 f. oder E. Thode, Internationaler Reformmonitor Was können wir von anderen lernen? In: Aus Politik und Zeitgeschichte Nr. 46/47,
2002.
Verwaltungsinnovation durch Ε-Government Von Heinz Schäffer, Salzburg/Wien
Der Ruf nach Verwaltungsreform ist so alt wie der Bestand der öffentlichen Verwaltungen. Unter „Verwaltungsreform" oder „Verwaltungsmodernisierung" 1 wollen wir alle Maßnahmen verstehen, die das System von Regierung und staatlicher Verwaltung - vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels - weiterentwickeln und zu einer höheren Qualifikation in der Aufgabenerfullung befähigen sollen. Dabei sollen sowohl die Organisation als auch die Tätigkeitsinhalte der staatlichen Vollziehung verändert werden. (So wie sich Kulturen und Gesellschaften im Ablauf der Zeiten veränderten, so entstand und entsteht immer wieder das Bedürfnis, Verwaltungsstrukturen und Verwaltungsabläufe den gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen bzw. ordnend auf diese Veränderungen Einfluss zu nehmen.) Verwaltungsmodernisierung oder Verwaltungsinnovation erweist sich somit als eine immer neue Anpassung der Verwaltung an geänderte Rahmenbedingungen und damit als eine ständige Aufgabe.
I. Die Vision eines E-Government In der Informations- und Wissensgesellschaft hat der Bürger gesteigerte Erwartungen an die Qualität von Dienstleistungen. Er erwartet auch von der Verwaltung den Einsatz leistungsfähiger Netze und darauf aufbauender Dienste. Die ersten derartigen Visionen fanden sich 1993 bei der Clinton/GoreRegierung in den USA und nahezu zeitgleich, wenig später im „BangemannBericht" der EU 1994 sowie in einer Reihe von Staaten, die sich der Verwal-
1
Dieser Ausdruck wird in Deutschland neuerdings bevorzugt, weil Modernisierung in den Sozialwissenschaften den Übergang von hierarchisch-zentralen zu komplexen Steuerungsformen von Staat und Gesellschaft kennzeichnet.
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tungsmodernisierung (durch N e w Public Management und den Einsatz der Informationstechnologie) verschrieben haben. 2 Die Bedeutung des Begriffs Ε-Government ist oft vage und diffus. Er bezeichnet i m Wesentlichen den Einsatz von Informationstechnologie ( I T ) i n E xekutive, Legislative und Judikative. 3 Nach der Speyerer Definition w i r d unter Ε-Government „die A b w i c k l u n g geschäftlicher Prozesse i m Zusammenhang mit Regieren und Verwalten (Government) mit Hilfe von Informations- und K o m munikationstechniken über elektronische Medien" verstanden. 4 Jedenfalls soll Ε-Government wesentlich mehr bieten als Formulare zum Herunterladen. Die eigentliche V i s i o n des Ε-Government ist die papierlose Verwaltung des Bürgers und für den Bürger - eine Verwaltung, i n der fast jeder Informationstransfer vertrauenswürdig und sicher mittels digitaler Dokumente stattfindet. M ü n d l i c h oder mittels Papier soll nur noch i n Ausnahmefällen kommuniziert werden. Die dabei eingesparten Kosten sollen für eine verbesserte Beratungsqualität genutzt werden, wo diese notwendig ist oder v o m Bürger gewünscht wird. Insgesamt soll die Verwaltung wesentlich effektiver und nutzungsfreundlicher werden. 5 Z.B. soll es für den Bürger möglich sein, jederzeit 6
2 Siehe dazu Volker Boehme-Neßler, Electronic Government: Internet und Verwaltung. Visionen, Rechtsprobleme, Perspektiven, NVwZ 2001, S. 375 mit weiteren Nachweisen. 3 Kritisch ist dazu vermerkt worden: Ε-Government „ist ein weites Gebiet mit vielen unterschiedlichen Spielwiesen, auf denen in den letzten Jahren verschiedenste kleinere oder größere Baustellen eröffnet wurden, ohne dass es irgendwo einen überzeugenden Gesamtplan gäbe, wie Ε-Government in Zukunft aussehen sollte." Ja es wird sogar sarkastisch davon gesprochen, es gäbe schon einen neuen Forschungszweig, der sich mit den gescheiterten E-Government-Projekten beschäftigt oder auch mit den Schäden, die erfolgreiche Projekte verursachen (können). Vgl. dazu Reinhard Riedl, Selbstverwaltung papierlos. E-Government - eine Bestandsaufnahme, „Neue Züricher Zeitung14 vom 5./6.10.2002. - Einer kritischen Fortentwicklung dienen e-Government-Konferenzen, die zu einer regelmäßigen Einrichtung zu werden scheinen.
The EGOV Conferences intend to assess the state of the art in Ε-Government and to provide guidance for research & development in this fast-moving field. The annual conferences bring together leading research experts and professionals from all over the globe. EGOV03 in Prague will build on the success of the 1 st EGOV Conference (Aixen-Provence, 2002), which provided an illustrative overview of Ε-Government activities, with nearly 80 contributions and more than 20 European projects funded by the 1ST Programme of the European Commission. The Aix Declaration is an result of the 1st EGOV conference (http://www.uni-oldenburg.de/fb3/lehre/lenk/aixdecla.rtf ). Contributions to the Second EGOV Conference are expected to mirror current developments in e-Government and to provide fresh ideas from a multitude of disciplines. 4 Heinrich Reinermann/Jörn von Lücke, Electronic Government in Deutschland, Speyerer Forschungsberichte Bd. 226, Speyer 2002, S. 1-8. 5 Im OECD-Bericht zum Ε-Government wird u.a. betont, Ε-Government habe das Potential, die Anwendung von Good Govemance-Praktiken hervorragend zu ermöglichen. Vgl. OECD, Project on the Impact of Ε-Government, und Ε-Government: Analy-
Verwaltungsinnovation durch E-Government
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und von jedem Ort der Welt aus Verwaltungstransaktionen zu initiieren, beispielsweise den geänderten Wohnort zu melden, die Steuererklärung abzugeben oder digitale Personaldokumente zu bestellen. In der Praxis freilich gibt es bis heute wenig mehr als experimentelle lokale Dienste, beispielsweise das Bezahlen der Hundesteuer oder das Reservieren von Gräbern bei der Gemeindeverwaltung. Der Staat befindet sich immer mehr im Wandel vom Hoheitsstaat zum Dienstleistungsstaat. In diesem Szenario nimmt das Medium Internet einen zentralen Platz für die Bewältigung neuer Herausforderungen ein. Längst ist es vom reinen Informationsmedium zu einem Transaktionsmedium für die Abwicklung von Geschäftsprozessen - sei es in der Wirtschaft, sei es in der Verwaltung - geworden. Vorbei sind allerdings die Anfangszeiten, als Projekte aus Neugier und Lust am Experimentieren, zwecks Ausloten von Möglichkeiten und aus Wettbewerbsgeist (weil unmittelbare Mitbewerber in der Wirtschaft oder - im benchmarking gesehen - in der Verwaltung „auch etwas im e-business machen"). Mittlerweile ist man vielerorts (besonders in der Wirtschaft) zu der Einsicht gelangt, dass die Umsetzung von solchen Projekten harte Arbeit in Verbindung mit konkreten Kosten/Nutzen-Relationen bedeutet - eine Einsicht, die sich offenbar in dieser harten Form in den Verwaltungen durchaus noch nicht im gleichen Maße durchgesetzt hat.
I I . Bestandsaufnahme - eine Übersicht zum Ist-Stand des E-Government in Österreich und aus europäischer Perspektive 1. Österreich a) Vorbemerkung:
Die EDV als Wegbereiter
einer modernen Verwaltung
Eine schrittweise Nutzung der modernen Informationstechnologie in der Verwaltung begann schon in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. 7 Einerseits wurde die Gehalts- und Pensionsberechnung der Bundesbediensteten, allmäh-
ses framework and methodology, 13-Dec-2001, PUMA (2001) 10 REV 2 und PUMA (2001) 16/ANN/REV 1. 6 Herbert KubicekJMartin Wind, Das 24-Stunden-Rathaus, Der Städtetag 55 (2002) 6, S. 11-14. 7 Siehe schon den problemorientierten Bericht von Heinz Schäffer, Neue Technologien in der öffentlichen Verwaltung Österreichs, Die Öffentliche Verwaltung 1988, S. 149-157. Eine aktuelle Übersicht bietet Rudolf Feik, EDV/ADV und Verwaltungsrecht - ausgewählte Probleme, in: Jahnel/Schramm/Staudegger, Informatikrecht, Wien 2002, S. 223-239.
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Heinz Schäffer
lieh auch die in manchen Bereichen durchaus schwierige Steuervorschreibung mittels EDV - zumindest im Vollzug - automatisiert. Einen Niederschlag im Verwaltungsrecht fand diese Entwicklung insofern, als heute die Kommunikation zwischen den Behörden und dem Einzelnen nicht nur in den traditionellen Formen (persönlich mündlich, schriftlich, telephonisch), sondern dann auch per Telefax und schließlich auch mittels E-Mail für zulässig erklärt wurde. Die Grundlagen dafür wurden im Laufe der Zeit durch verschiedene Vorschriften geschaffen, so insbesondere durch mehrmalige Novellierung des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes, 8 durch die Erlassung einer Telekopie-Verordnung 9 und durch ein eigenes Signaturgesetz 10. Für den Bereich des Steuerrechts regelt inzwischen weitgehende Kommunikationsmöglichkeiten zwischen der Abgabenverwaltung und dem Steuerbürger eine sog. FinanzOnline-Verordnung; 11 sie ermöglicht die automationsunterstützte Datenübertragung für die Akteneinsicht im Abgabenverfahren sowie für bestimmte in einer eigenen Übersicht bezeichnete Anbringen und Erledigungen (diese Liste und damit der Anwendungsbereich ist im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung und im FinanzOnline selbst veröffentlicht). Jüngst hat in Österreich das Verwaltungsreformgesetz 2001 (öBGBl. I 2002/65) spezifische Grundlagen für den elektronischen Rechtsverkehr der Verwaltung mit dem Bürger gebracht: -
Identifizierung der Verfahrensbeteiligten über die einschlägige Zahl im ZMR (Zentralmelderegister);
-
EDV-mäßige Erfassung von Verfahrensunterlagen und Protokollen;
-
Akteneinsicht der Parteien im Wege der EDV.
8
Diese berühmte Kodifikation des Verwaltungsverfahrens von 1925, die auch fur viele andere Staaten später zum Vorbild wurde, ist seither vielfach novelliert worden. Der Text wurde inzwischen zwei Mal wiederverlautbart (d.h. konsolidiert), nämlich mit Kundmachung BGBl. 1950/172 und BGBl. 1991/50, und ist seither schon wieder 16mal abgeändert worden (zuletzt BGBl. I 2002/97). 9 Die Telekopie-Verordnung BGBl. 1991/110 ist mittlerweile (ab 31.12.1998) schon wieder außer Kraft gesetzt (§ 82 [6] AVG), weitergehende Regelungen enthält inzwischen das AVG selbst. Die Verwendung verschiedenster Fernkommunikationsmittel ist überdies in zahlreichen besonderen Verwaltungsvorschriften ausdrücklich für zulässig erklärt oder vorgesehen. 10 SignaturG - SigG BGBl. I 1999/190 i.d.F. I 2000/137, I 2001/32 und 152; in Ergänzung dazu erging eine Signaturverordnung BGBl. II 2000/30. 11 Auf Grund der einschlägigen Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (§§ 86 a, 90 a und 97 [3] Β AO) sowie auf Grund einzelner Steuergesetze regelt eine FinanzOnline-Verordnung (FOnV) die Einreichung von Anbringen, die Akteneinsicht und die Zustellung von Erledigungen in automationsunterstützter Form. Eine erste derartige Verordnung erging mit BGBl. II 1998/71, inzwischen ersetzt durch eine gleichartige FOnV 2002 (BGBl. II 2002/46 i.d.F. II 2002/448).
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Die EDV revolutioniert nun auch das behördliche Zustellwesen: Die Bereithaltung der zuzustellenden Sendung an einer von der Behörde betriebenen technischen Einrichtung entspricht der bisherigen (klassischen) Zustellung. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Empfänger der Behörde mitgeteilt hat, dass er unter seiner elektronischen Adresse nicht erreichbar ist (§ 17a Zustellgesetz i.d.g.F.). b) Bund
Die systematische Einbeziehung der Informations- und Kommunikationstechnologien in das staatliche Handeln, insbesondere in Verwaltungsreformüberlegungen, ist in Österreich bereits seit Jahren in Gange. Auf Bundesebene wurde 1989 mit dem Projekt „Verwaltungsmanagement" ein diesbezüglicher neuer Anlauf genommen. Regierungserklärungen von 1994 und 1996 bezogen sich auf den österreichischen Weg in der Telekommunikation und auf die Informationsgesellschaft, in der wir leben. Ab 1998 wurde der Weg der Verwaltungsmodernisierung mit dem Start eines umfassenden „Verwaltungsinnovationsprogramms (VIT)" mit zahlreichen Schwerpunktprojekten fortgesetzt, darunter eine „Informationstechnik-Offensive der Bundesverwaltung 1998" (von der Bundesregierung beschlossen im März 1998). Unter den politischen Zielen ist vor allem jenes der „Nutzung der neuen Medien für die Interaktion zwischen Verwaltung und Privatsektor" hervorzuheben, zumal es sich unmittelbar auf E-Government bezieht. Dem Konzept der „IT-Offensive" liegt die Absicht zu Grunde, „neue Technologien in der öffentlichen Verwaltung aktiv für -
ein verbessertes Bürgerservice,
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für gezielte Zusammenarbeit mit der Wirtschaft sowie
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für einen schlanken Staat einzusetzen".
Die strategische Ausrichtung des IT-Einsatzes sollte sowohl die verwaltungsinterne Nutzung betreffen (z.B. e-mail, elektronische Aktensysteme) als auch die Außenbeziehungen zu den Bürgern und Unternehmern. Für den Privatsektor sollte der elektronische Zugang zur öffentlichen Verwaltung umfassend und möglichst breit nutzbar gemacht werden, es sollten elektronische Eingaben an Behörden ermöglicht, und das one-stop-Service (Behördenwege zu einem Anliegen an einer Stelle konzentriert) 12 sowie Kiosk-Systeme forciert werden. 1999 wurde zunächst eine E-Government-Studie durchgeführt, um einen Überblick über die Entwicklungen in diesem Bereich im internationalen Kontext zu
12 Der one-stop-Ansatz hat sich auch international als Leitvorstellung etabliert. Vgl. OECD, Information Technology as an Instrument of Public Management Reform, PUMA 98 (14), 1998, p. 11 (www.oecd.org/puma/governance/it/itreform.htm ).
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erhalten und auch eine Bestandsaufnahme der bis dahin bestehenden elektronischen Informationsangebote in Österreich vorzunehmen. Nachdem (beim Europäischen Rat in Lissabon 23./24.März 2000) auf europäischer Ebene das ambitionierte Ziel ausgerufen worden war, die Union innerhalb von zehn Jahren zum dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, und eine verstärkte Nutzung der IuK-Technologien für sämtliche Lebensbereiche beschlossen worden war, hat die österreichische Bundesregierung zur konkreten Umsetzung ein umfassendes Programm unter dem Titel „e-Austria in eEurope" beschlossen und (am 14.4.2000) der Öffentlichkeit präsentiert. 13,14 Im Bereich der Bürgerservices soll gemäß diesem Regierungsprogramm bis 2003 der Zugang zu den wichtigsten grundlegenden Diensten über einen allgemeinen elektronischen Zugang verfügbar sein. Der Großteil der Amtswege (Ausstellung eines Reisepasses, Führerscheins etc.) soll bis 2004 teilweise online abgewickelt, bis 2005 sollen alle Amtswege in elektronischer Form erledigt werden können. Das Prinzip des one-stop-shop soll dabei in der Umsetzung immer Berücksichtigung finden. Im Übrigen soll aber durch öffentliche Terminals weitgehend sichergestellt werden, dass auch Personen, die keinen privaten Internetzugang haben, die neuen Möglichkeiten zu ihrem Vorteil nutzen können. Im Rahmen der Neuausrichtung der IT-Strategie des Bundes wurden ein Informations- und Kommunikationstechnik-Board (IKT Board) und eine Stabsstelle IKT-Strategie des Bundes eingerichtet; letztere besteht aus dem Chief Information Office und der Operative Unit. (Die Operative Unit besteht aus vier Arbeitsgruppen zu den Themen: Online-Dienste, Security, Identification, Wis13 Das Projekt stellte die bereits umgesetzten Aktivitäten und die weiter geplanten Vorhaben bis zum Ende der Legislaturperiode vor und umfasste die Bereiche e-leaming, e-government, e-business, Tourismus, ländlichen Raum, Soziales, Justiz, Kunst und Medien, Technologie und Forschung, Finanzen, Landesverteidigung, Innere und Auswärtige Angelegenheiten. 14 Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass in Österreich im Jahr 2000 (mit der Bundesministeriengesetz-Novelle 2000, BGBl. I 2000/16) die Ministerialorganisation durch Senkung der Zahl der Bundesministerien und sachliche Zusammenfassung von Zuständigkeiten rationalisiert und vereinfacht worden ist. 14 Die allgemeinen Angelegenheiten des Verwaltungsmanagements bilden eine der Kernkompetenzen des bei dieser Gelegenheit neu gebildeten Bundesministeriums für Öffentliche Leistung und Sport (BMöLS). Zu dessen Agenden zählen insbesondere die „Sicherung einer bürgernahen, wirtschaftlichen, sparsamen und zweckmäßigen Verwaltungsorganisation", die „allgemeinen Angelegenheiten der Verwaltungsreform ..." sowie die „Bereitstellung eines ressortübergreifenden elektronischen Bürgerinformationssystems". Die Zuständigkeiten sind im Einzelnen aufgelistet in Anlage 2 (Teil 2, Abschnitt I) des Bundesministeriengesetzes (zuletzt i.d.F. BGBl. I 2002/87). Siehe dazu Heinz Schäffer, Austria/Autriche, Chronik des Verwaltungsrechts. Österreich (1998-2000), European Review of Public Law, vol. 12 (2000), pp. 1053-1082 (ERPL/REDP, vol. 12, no. 3, autumn/automne
2000).
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sensmanagement.) Aufgabe des IKT-Board ist es, übergreifende Aspekte im Bereich der IuK-Technologien zu regeln (sowie die Abstimmung mit Projekten auf Ebene der Länder sowie der Gemeinden und Städte vorzunehmen). Die einzelnen Mitglieder des Board wurden von den Ministerien nominiert, und der Board wird von einem Chief Information Officer (CIO) des Bundes geleitet; dieser ist Ansprechpartner und Bindeglied zu den anderen erwähnten Gebietskörperschaften. Strategievorschläge werden von einer Stabsstelle IKT-Strategie des Bundes ausgearbeitet und dem IKT-Board vorgelegt. Die dort getroffenen Vereinbarungen werden auf Bundesebene von den einzelnen Ministerien umgesetzt. Hinsichtlich des bisher Erreichten ist u.a. auf das Konzept des elektronischen Aktes (ELAK) hinzuweisen (www.bka.gv.at/projekt_elak). Dieses Projekt wird allerdings nicht von allen Ministerien gleichzeitig umgesetzt, sondern in zeitlich abgestufter Reihenfolge. In einigen Ressorts ist der ELAK bereits seit Ende 2002 vorhanden, so z.B. im Außenministerium; die restlichen Ressorts sollen im Laufe des Jahres 2003 folgen). 15 Der beschriebene Ansatz in Österreich ist deshalb besonders interessant, weil er den ambitionierten Versuch darstellt, alle E-Government-Anstrengungen in Österreich zu vereinheitlichen. Zusätzlich zur bundesinternen Organisation gibt es deshalb eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Ziel all dieser Aktivitäten ist die österreichweite Einführung einer homogenen und nicht proprietären EGovernment-Lösung (auf der Grundlage von XML).
c) Bundesländer Relativ weit gediehen ist der Ausbau des E-Government in den Ländern, etwa im Bundesland Salzburg. Derzeit können die 23 gängigsten Formulare aus den Bereichen Gewerbe, Verkehr und Forst online über des Internet eingebracht und damit rascher bearbeitet und erledigt werden als im traditionellen Behördenweg. Bis Ende 2002 wird die Ausweitung auf rund 80 % aller Formulare der Landes- und Bezirksverwaltungen abgeschlossen sein. Seit Mitte Oktober 2002 ist außerdem das Bezahlen von Gebühren für elektronische Anträge (über die Plattform www.bezahlen.at) möglich. Nach Abschluss eines dritten Schrittes im Jahre 2003 wird sich der Bürger im digitalen Netz laufend über den Bearbeitungsstand seines elektronischen Antrages informieren können. Außerdem ist
15 Infolge rechtlicher Probleme bei der Vergabe des öffentlichen Auftrages fur dieses Großprojekt zeichnet sich jüngst eine wesentliche Verzögerung ab. Die Realisierung des ELAK wird mindestens ein Jahr länger dauern und folglich frühestens Ende 2003/2004 erfolgen (vgl. Bericht in: Die Presse vom 13.12.2002, S. 21 „Amtsschimmel tritt beim Ε-Akt auf der Stelle").
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die Einbindung der Salzburger Gemeinden in das Ε-Government des Landes in Vorbereitung (das betrifft vor allem die kleinen Landgemeinden).
d) Städte und Gemeinden 16 1. Die Bundeshauptstadt Wien 17 hat im Jahr 1995 mit der Darstellung von Informationen über das Internet begonnen (das Portal „Wien Online" ist unter der Internetadresse http://www.wien.at/virtuelles_amt) erreichbar. Derzeit stehen dem Bürger in Wien ca. 8.000 Seiten zur Verfügung, die laufend aktualisiert und erweitert werden. Tatsächlich werden pro Monat in Wien ca. fünf Millionen Zugriffe auf dieses Service verzeichnet (besonders beliebt sind die Informationen zum den Themen Wohnen, Flächenwidmung, Rathauskorrespondenz und Baustellenservice). Um die Gefahr einer Zwei-Klassen-Gesellschaft zu verhindern oder besser gesagt: zu mindern, hat die Gemeinde Wien in den vergangenen Jahren etwa 70 Access-Points in den Amtshäusern der Stadt Wien aufgestellt, und zwar hauptsächlich im Eingangsbereich bzw. an Punkten mit hoher Bürgerfrequenz. Diese bürgerfreundlichen Terminals sind nicht nur zur Bedienung per Mausklick geeignet, sondern zum Teil bereits mit Spracheingabe zu bedienen. Sie verfügen außer dem schon erwähnten „Wien Online" über weitere Portale wie z.B. das Arbeitsmarktservice oder den,Amtshelfer" (www.help.gv.at). Für die nächsten drei Jahre ist ein forcierter Ausbau der online-Amtswege geplant. Bisher sind relativ einfache online-Dienste vorhanden (wie z.B. Anforderung einer Wahlkarte, Vormerkung für eine Gemeindewohnung oder Anmeldung eines Hundes). Möglich sind ferner die elektronische Bestellung von Publikationen der Stadt Wien und das Herunterladen von Formularen. 2. Noch weiter gediehen ist das E-Govemment in der Stadt Salzburg. 18 Hier war der Ansatz von vornherein die flächendeckende Einführung des elektronischen Aktes und seiner Öffnung per Internet. Bereits 1998 erfolgte der Erwerb eines Dokumentenmanagement- und workflow-Systems zur Aktenbearbeitung mit spezieller Geschäftsprozessoptimierung im Bauverfahren. Seit Anfang 2000 ist die elektronische Aktenbearbeitung aber nicht nur im Bauverfahren, sondern
16 Dazu z.B. Martin Atzwanger, Digitale Revolution im Gemeindeamt. Das Internet als Kommunikationsmittel der Gemeinde, K O M M U N A L 2002, S. 38-40 und Elisabeth Dearing, Help.gv.at - eine Innovationslokomotive für Städte und Gemeinden, Österreichische Gemeindezeitung 2000/Heft 11, S. 16-19. 17 Sonja Satteiberger-Sochor, Electronic-Government in der Stadt Wien, Österreichische Gemeindezeitung 2000/Heft 11, S. 22-23. 18 Berthold Rauchenwandtner, Beispiel aus der Stadt Salzburg, Österreichische Gemeindezeitung 2000/Heft 11, S. 20-21.
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insgesamt in der Stadtverwaltung im Einsatz. Dieses auch international anerkannte Konzept ermöglicht ein vollständiges elektronisches Arbeiten unter Wahrung der Rechtssicherheit. Die Papierbelege werden heute auf jene Bereiche beschränkt, bei denen eine digitale Signatur oder ein elektronisches Dokument allein noch nicht ausreicht. Auch der Kontakt mit dem Bürger und anderen Behörden wird derzeit überwiegend noch auf Papier abgewickelt, kann aber in der Zukunft ebenfalls auf elektronische Zustellung umgestellt werden. Der Nutzen dieser Modernisierung war beachtlich. Im Bauverfahren konnte die Verfahrensdauer auf ein Drittel der vormals benötigten Zeit gesenkt werden. Mit Hilfe des neuen Systems ist es auch gelungen, den „Schilderwald" von Verkehrszeichen in der gesamten Stadt Salzburg neu zu erfassen und bedeutend zu reduzieren. Die Verkehrszeichen (früher 20.000) konnten insgesamt um 6.000 reduziert werden. Für den Kontakt mit dem Bürger wurde ein eigenes „Verwaltungsgateway" (http://www.stadt-salzburg.at) entwickelt, welches drei Sicherheitsstufen kennt. Kostenlose Dienstleistungen und einfache Amtswege können ohne Registrierung beschritten werden. Sonstige Transaktionen, die rechtliche oder finanzielle Konsequenzen haben, erfordern eine eigene Registrierung; nach Identitätsprüfung erhält der Bürger eine Zugriffsnummer und einen PIN-Code postalisch zugesandt. Bestimmte Amtswege erfordern darüber hinaus ein externes Zertifikat. Zu den bedeutenden Dienstleistungen der Stadt gehört auch ein webbasiertes geographisches Informationssystem (web-GIS), welches für viele Vorgänge in der Kommunalverwaltung von Bedeutung ist, aber gegen Entgelt auch vom Bürger benutzt werden kann. 3. Sonstige Gemeinden: Der Stand der Entwicklung in den Landgemeinden ist unterschiedlich. Hier seien nur einige illustrative Beispiele gegeben. Auf die Einbeziehung der Salzburger Gemeinden in das Netz der Landesverwaltung wurde schon hingewiesen. In Vorarlberg wird das E-Government durch zwei EDV-Gesellschaften vorangetrieben, die überwiegend im Landesbesitz stehen. Zum Stand der Anwendungen kann berichtet werden, dass es bereits einige gut funktionierende Lösungen gibt, wie z.B. Zugriffe auf Sozial-, Wohnungswerberund Bibliotheksdatenbanken, die Meldeabfrage für Meldeauskünfte, das elektronische Gästeblatt u.a.m. Durch die Meldedaten-Ab frage der Bezirkshauptmannschaften bei den (Gemeinden als) Meldeämtern können den Bürgern derzeit bereits etwa 4000 Amtswege pro Monat erspart werden. Auch in Niederösterreich verfügen mittlerweile alle Gemeinden über einen Internet-Zugang und sind damit elektronisch erreichbar. In vielen Gemeinden werden den Bürgern über die Gemeinde-homepage umfassende Informationen über aktuelle Themen, Termine, Veranstaltungen sowie Kundmachungen und Sitzungsinformationen zur Verfügung gestellt. Über eine innovative Internet-Anwendung („RISKommunal") können die Bürger verschiedene Anträge und Meldungen elektronisch abwickeln (z.B. Antrag auf Wahlkarte, Anmeldung zur Volkshochschule,
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Hundeanmeldung, Wasserzählermeldung, Kommunalsteuererklärung etc.). Digitale Ortspläne ergänzen das Serviceangebot. Ein derzeit in Entwicklung befindliches ,3ürgerportal.at" soll den Zugriff zu öffentlichen Informationen ebenso ermöglichen wie eine interaktive Erledigung von Verwaltungsverfahren.
2. Europäische Union Auch auf europäischer Ebene widmet man sich in verschiedenen Initiativen der Einfuhrung und Umsetzung von E-Government. Nach einem ersten Aktionsplan19 von Juni 2000 („e-Europe 2002") hat die Kommission jüngst dem Europäischen Rat von Sevilla am 21./22.Juni 2002 einen Aktionsplan „e-Europe 2005" vorgelegt. 20 Nach der Vorstellung der EU sollen die Verwaltungen der Mitgliedstaaten bis 2005 e-government-tauglich sein. Das bedeutet einerseits, dass die Bürger mit den Behörden rechtswirksam über elektronische Medien kommunizieren können, und andererseits auch die behördeninternen Abläufe elektronisch erfolgen. 21 Zur Umsetzung des erstgenannten Aktionsplans wurde ein benchmarking der Bereitstellung elektronischer Behördendienste für die Bürger und Unternehmen in den Mitgliedstaaten vereinbart. 22 Dazu wurden 20 öffentliche Dienstleistungen festgelegt (acht öffentliche Dienste für die Unternehmen und zwölf für die Bürger), welche zu begutachten und zu messen waren. Die Fortschritte bei der Online-Bereitstellung der öffentlichen Dienste wurden in bisher zwei Erhebungen (von der Unternehmensberatung Cap Gemini Ernst & Young) untersucht, und zwar im November 2001 bzw Juni 2002. 23 In das benchmarking einbezogen waren außer den 15 EU-Mitgliedstaaten auch Island, Norwegen und die Schweiz. Nach der neueren der beiden Studien ergibt sich: Im April 2002 waren insgesamt 555 der öffentlichen Dienstleistungen in den untersuchten Ländern online zugänglich, was einen Zuwachs von 10 % im Vergleich zur vorangegangenen
,9
Zur Informations- und Kommunikationspolitik der Europäischen Kommission siehe insb. Hermann Hill, Verwaltungskommunikation und Verwaltungsverfahren unter europäischem Einfluss, Deutsches Verwaltungsblatt 2002, S. 1316-1327 (1321 ff). 20 Mitteilung der Kommission vom 28.5.2002, KOM (2002) 263 endgültig; vgl. auch http://europa.eu.int/eeurope 21 Um den Wettbewerb in diesem Bereich zu fördern, wurden ab 2001 auch „eEurope Awards for Innovation in eGovernment" begründet; vgl. die Berichte in EIPASCOPE 2002/2, p. 24 und 2002/3, p. 14. 22 Dabei geht es weniger um ein ranking, sondern mehr um ein systematisches qualitatives Monitoring der nationalen und internationalen Entwicklungen. 23 Vgl. zur ersten Studie die Mitteilung der Kommission vom 5.2.2002, KOM (2002) 62 endgültig.
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Erhebung vom Oktober 2001 darstellte. Insgesamt können also europaweit bereits mehr als die Hälfte der Vorgänge zwischen den Bürgern bzw. Unternehmern und dem Staat online abgewickelt oder zumindest unterstützt werden. Überdurchschnittlich gut zu erreichen über Internet ist der Behördenapparat in den skandinavischen Ländern. Während Österreich in einer gemeinschaftsweiten Wirtschaftsanalyse der wichtigsten Standortfaktoren 24 insgesamt eine überdurchschnittliche Internet-Nutzung aufweist, liegt es bei den E-GovernmentDiensten nur im Mittelfeld. (Manche andere Staaten weisen inzwischen deutlich höhere Wachstumsraten auf diesem Sektor auf, wie etwa Belgien und Schweden mit Zuwächsen von rund 20 %). Über ein Viertel der untersuchten behördlichen Leistungen befindet sich bereits auf dem Weg zur vollen Transaktionsfähigkeit und kommt damit über reine Information deutlich hinaus. Unterschiede zeigen sich allerdings bei den verschiedenen Arten öffentlicher Dienste. Insgesamt sind die an Unternehmen gerichtete Dienstleistungen besser ausgebaut (68 %) als die an den Bürger im Allgemeinen (47 %). Dynamischer ist die Entwicklung in dem Bereich, wo es weniger um die Rechte als die Pflichten des Bürgers geht. Die einnahmenorientierten Dienste (Steuern, Sozialbeiträge) sind mit durchschnittlich 79 % am besten entwickelt, danach kommen die Meldedienste (etwa KfzAnmeldung, Unternehmensgründung) sowie soziale Leistungen (Sozialversicherung). Zurückhaltender zeigen sich immer noch die meisten Staaten, wenn es gilt, traditionelle hoheitliche Aufgaben (wie die Ausstellung von Reisepässen und Führerscheinen) über das Internet abzuwickeln (nur 41 %). Als Hauptgründe für die Hindernisse einer schnellen Weiterentwicklung werden insbesondere folgende Gesichtspunkte identifiziert. In der Anfangsphase hat man sich zu sehr auf „quick-wins" (also leicht zu realisierende Dienste) konzentriert und ist im übrigen zu wenig koordiniert vorgegangen. Häufig erschweren komplexe Prozesse und die erforderliche Mitwirkung unterschiedlicher Behörden die Realisierung mancher E-Government-Lösungen. Außerdem ist im deutschsprachigen Raum die Entwicklung sehr stark vom Denken in den Kategorien Rechtssicherheit und technische (IT-)Sicherheit beeinflusst und gebremst worden. Gewiss sah man in der EU das Ε-Government ursprünglich als incentive für die Ankurbelung des europäischen E-Business. Probleme resultieren jedoch zum Teil daraus, dass man zunächst glaubte, E-Business-Konzepte einfach auf das Ε-Government übertragen zu können, und dabei übersah, dass es gravierende Unterschiede zwischen den beiden gibt. Der wichtigste Gesichtspunkt dabei
24 Zur Wettbewerbssituation von Österreich siehe den Bericht in: „Die Presse" vom 22.11.2002, S. 21. Dieser Bericht bildete den Bestandteil einer Artikelserie über Strategien und Wettbewerbsposition der EU-Mitgliedstaaten. Berichte in: „Die Presse" vom 23.10.2001, S. 14; vom 24. 6. 2002, S. 14 und vom 9.11.2002, S. 23; zusammenfassende Übersicht in: „Die Presse" vom 2.12.2002 (Economist).
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ist zweifellos, dass der Bürger nicht nur als „Kunde" gesehen werden kann, denn er ist als „Bürger" eben Träger von Rechten und Pflichten, und dementsprechend hat die Verwaltung nicht nur die Aufgabe, effizient und dienstleistungsorientiert, sondern vor allem auch korrekt zu verwalten.
I I I . Der virtuelle Behördenweg - bisherige Leistungen und Anwendungsfelder des E-Government für den Bürger 25 1. Allgemeine Übersicht Die Informations- und Kommunikationstechniken lassen sich in vielfacher Hinsicht für die Staatstätigkeit nutzen, was auch tatsächlich schon in hohem Maße geschieht. Hingewiesen sei etwa auf die bereits seit längerer Zeit üblichen Computer-Bescheide in massentypischen Verfahren, so insbesondere im Verkehrsstrafrecht (§ 18 (4) AVG, § 47 (2) VStG), und zahlreiche automationsunterstützt geführte öffentliche Register (z.B. EKIS, Zentrales Melderegister, Führerscheinregister, Datenverarbeitungssystem, Grundbuch, Firmenbuch usw.).
a) Information Die Publizität von Rechtsvorschriften und die Öffentlichkeit von Verfahren sind wesentliche Elemente des Rechtsstaats. In der heutigen Informationsgesellschaft ergeben sich diesbezüglich neue Dimensionen. (1) Rechtsinformation: Der Zugang zum Recht wird durch seine Publikation hergestellt. Heute stehen elektronische Medien als zusätzliche, schnell verfügbare Informationsquelle zur Verfügung. Im Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes (RIS), das auch über Internet abrufbar ist (http://www.ris.bka.gv.at), steht ein weitreichendes Informationsangebot zur Verfügung. Online abrufbar sind Rechtstexte, und zwar das Bundes- und Landesrecht in konsolidierter Fassung (sog. „Kunsttexte") sowie
25 Vgl. die detaillierte Darstellung von Doris Hattenberger, Rechtliche Rahmenbedingungen des e-government, in: Potacs/Rondo-Brovetto (Hrsg.), Beiträge zur Reform der Kärntner Landesverwaltung, Wien 2001, S. 119-153 (insb. S. 128 ff.) und Doris Hattenberger, Der virtuelle Behördenweg, Datenschutz und Datensicherheit 25 (2001 )/9, S. 539-545, sowie Wolfgang Steiner, Die elektronische Verfahren sfuhrun g nach dem AVG, in: Plöckinger/Duursma/Helm (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im Internet-Recht (Wien 2002), S. 125-141, und Ewald Wiederin, E-Government und Verwaltungsverfahren srecht, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg.), Internet und Recht. Rechtsfragen von E-Commerce und E-Government, Wien 2002, S. 4372.
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seit der jüngeren Vergangenheit auch der Inhalt der Bundesgesetzblätter und Landesgesetzblätter als solcher (sowohl im htm- als auch im pdf-Format). Die Rechtsgrundlage dafür bietet § 7 (2) des Bundesgesetzes über das Bundesgesetzblatt (BGBL. 1996/660 i.d.F. I 2001/47). Gegenwärtig bildet die Veröffentlichung im Internet nur eine Sekundärinformation; rechtsverbindlich ist derzeit immer noch der gedruckte, im BGBl, kundgemachte Text. Freilich wird gerade in Österreich ernsthaft daran gedacht und gearbeitet, in näherer Zukunft die offizielle Gesetzeskundmachung von der traditionellen „Papierversion" auf eine „elektronische Version" umzustellen.26 Im RIS sind außerdem Entscheidungen der Höchstgerichte (VfGH, VwGH, OGH) sowie auch Entscheidungen einiger anderer wichtiger Behörden abrufbar (z.B. Bundesasylsenat, Umweltbundesamt, Bundes vergabeamt). Des Weiteren stehen Gesetzestexte und Gesetzesmaterialien auf der website des Parlaments zur Verfügung (http://www.parlament.gv.at). Auf diese Weise wird das Gesetzgebungsverfahren umfassend elektronisch dokumentiert. Als Gesetzesmaterialien abrufbar sind die Regierungsvorlagen, die Anträge der Ausschüsse und von Abgeordneten sowie die Stenographischen Protokolle; darüber hinaus sind derzeit auch bereits Ministerialentwürfe, die die Vorstufe der parlamentarischen Beratungen bilden, auf derartige Weise zugänglich. In weiterer Folge ist geplant, den gesamten Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens bis hin zur Drucklegung zu „elektronisieren". (2) Gemäß § 2a Verlautbarungsgesetz (BGBl. 1985/201 i.d.F. BGBl. I 1998/158) ist der Inhalt des Amtsblattes" der „Wiener Zeitung" im Internet bekannt zu geben. Es enthält verschiedene Bekanntmachungen und Ausschreibungen (Edikte, Ausschreibung von Planstellen, von öffentlichen Vergaben etc.). (3) Ferner existiert (über die zuvor erwähnte Normen- und Entscheidungsdokumentationen bzw. das öffentliche Verlautbarungswesen hinaus) eine Informationshilfe über Behörden und Behördenwege. Durch die „Initiative @helfer online" können im Sinne einer Beschleunigung der Abläufe verschiedene , Amtswege" elektronisch vorbereitet und begleitet werden. Für eine Reihe von Lebenssituationen (Pass, Führerschein, Meldung, Geburt etc.) 27 werden nämlich Informationen über die zuständigen Behörden, die erforderlichen Unterlagen, die Höhe der zu entrichtenden Gebühren gegeben (vgl.
26
Der Entwurf eines Kundmachungsgesetzes 2003 infolge des vorzeitigen Endes der 21. Gesetzgebungsperiode des Nationalrats 2002 nicht mehr zur Beratung und Beschlussfassung gelangt. Es ist jedoch zu erwarten, dass in naher Zukunft wieder ein gleichartiger Entwurf dem Parlament zugeleitet werden wird. 27 Vgl. zu diesem Konzept aus KGS/ (Hrsg.), „Lebenslagen": Verwaltungsorganisation aus Bürger- und Kundensicht (Köln, Bericht Nr. 5/2002); ferner die britische kommunale Initiative „Live, Events, Access, Projects" (www.leap.gov.uk).
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http://www.help.gv.at; des Weiteren z.B. http://www.stadt-salzburg.at/index. asp; http://www.wien.gv.at u.v.a. mehr). (4) Schließlich wird das Internet zunehmend immer mehr als Informationsund Kommunikationsmedium nicht nur von den Behörden selbst tatsächlich verwendet, sondern zum Teil ausdrücklich für diese Zwecke vorgeschrieben. -
So sind im Verwaltungsverfahren bei „Großverfahren" die Verhandlungsschrift und bestimmte Schriftstücke - nach Maßgabe der vorhandenen technischen Möglichkeiten - im Internet bereit zu stellen (§ 44e [3] AVG, § 44 f [2] AVG).
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Des Weiteren bestehen fakultative Bekanntmachungspflichten im Internet nach Maßgabe technischer und organisatorischer Möglichkeiten z.B. für Inhalte des Datenverarbeitungsregisters oder für die Verlautbarung von Wahlvorschlägen in den Hochschülerschaftswahlen.
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Unbedingte Pflichten zur Kundmachung im Internet gibt es teilweise ebenfalls schon, so vor allem die verpflichtende Bereitstellung des Archivregisters (nach § 4 Bundesarchivgesetz) bzw. die Zugänglichkeit der Hauptergebnisse der Statistiken (nach § 30 Bundesstatistikgesetz) im Internet.
b) Interaktion und Kommunikation In Einzelfällen ist bereits eine echte Interaktion möglich, wenn - etwa im Bereich der österreichischen Finanzverwaltung - Formulare zum download bereit gestellt sind und ausgefüllt der Behörde rückübermittelt werden können.28 Außerdem ist heute natürlich über E-mail, welches mehr und mehr die herkömmliche Post verdrängt, die Kommunikation des Bürgers mit den Behörden und mit einzelnen Politikern möglich. Neben der individuellen Kommunikation entwickeln sich immer mehr auch Formen der kollektiven Kommunikation über elektronische Diskussionsforen, Chat rooms, oder E-mail-Boxen. Eine andere Chance besteht in der raschen (wenn auch nicht unbedingt vollständigen und vielleicht auch nicht voll repräsentativen) Ermittlung einer Meinung oder Stimmungslage in der Bürgerschaft und in dem Bestehen einer Artikulationsmöglichkeit für sonst nicht oder nicht leicht organisierbare Bürgerinitiativen.
28 Dies wird in naher Zukunft technisch wesentlich einfacher sein. Adobe will das Dokumentenformat PDF zum Standard für elektronische Formulare machen. Mit einer neuen Server-Version von Acrobat können Behörden und Firmen ihre PDF-Formulare mit Funktionen ausstatten, welche das Ausfullen im kostenlosen Reader und die Auswertung der Daten ohne Umweg über Papier erlauben.
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c) Transaktion Die zuvor geschilderten Anwendungsfelder des Ε-Government können sich in Österreich ohne besondere rechtliche Grundlagen entwickeln. Sie können sich insbesondere auf die aus der Verfassung ableitbare Auskunft- und Informationspflicht stützen, die nur in der Verpflichtung zur Wahrung der Amtsverschwiegenheit aus bestimmten in der Verfassung vorgesehenen Gründen ihre Grenze findet (Art 20 [3] B-VG). Die Weiterentwicklung des bisher Erreichten zu einer echten Transaktionsmöglichkeit zwischen Staat und Bürger in beiden Richtungen stellt allerdings hohe Anforderungen sowohl in technischer Hinsicht als auch wegen der Sicherheitserfordernisse und der Datenschutzerfordernisse hohe rechtliche Anforderungen. Die erwähnten Transaktionen im Sinne von »Auslösen, Durchführen und Abwickeln von mehr oder weniger reglementierten Prozessen" befinden sich noch in Entwicklung. Allerdings gibt es bereits einiges an rechtlichen Grundlagen.
2. „Verwaltungsverfahren online"29 Ein echtes „Verwaltungsverfahren online" bedeutet im Idealfall, dass alle (oder möglichst viele) Schritte eines Verwaltungsverfahrens elektronisch abgewickelt werden können. a) Angesichts der traditionellen „Technik-Neutralität" des österreichischen Verwaltungsverfahrens und der jüngsten Novellierungen des AVG ist die Einbringung von Anträgen im Verwaltungsverfahren „in jeder ... technisch möglichen Weise" zulässig und daher etwa auch auf dem Wege der e-mail. Probleme ergeben sich hier allerdings im Zusammenhang mit Unterschriftserfordernissen und dem Fristenlauf. Grundsätzlich bedürfen Anträge im Verfahren nach dem A V G keiner Unterschrift, und nur wenn die Behörde Zweifel an der Identität des Antragstellers hätte, kann sie diesem die Beibringung einer schriftlichen Bestätigung mit eigenhändiger (urschriftlicher) Unterschrift auftragen. Das kann durch Zusendung einer unterschriebenen Original-Papierversion an die Behörde geschehen oder durch Übermittlung einer (nach den Vorschriften des Signaturgesetzes) ausreichenden elektronischen Signatur. Probleme beim Fristenlauf ergaben sich nach der Rechtsprechung in einer Anfangsphase dadurch, dass bei der Übermittlung durch Fax oder auf dem We29
Vgl. dazu insbes. Doris Hattenberger, Der virtuelle Behördenweg (FN 25), und Ewald Wieder in y Ε-Government und Verwaltungsverfahrensrecht, in: Studiengesellschaft fur Wirtschaft und Recht (Hrsg.), Internet und Recht. Rechtsfragen von ECommerce und Ε-Government, Wien 2002, S. 43-72.
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ge von e-mail zweifelhaft sein konnte, ob das Einlangen außerhalb der Amtsstunden, noch am letzten Tage einer Frist als ausreichend zu werten sei. (Hier entwickelte sich eine Divergenz in der Rechtsprechung zwischen den Höchstgerichten, wobei der Verwaltungsgerichtshof eine etwas engere Auffassung vertrat und auf das Einlangen innerhalb der Amtsstunden abstellte, was freilich keineswegs „kundenfreundlich" war.) Inzwischen ist durch eine Neuregelung im A V G (§ 13 (5) Satz 3 AVG) klargestellt, dass bei Einlangen eines Schriftstückes in offener Frist, mag es auch außerhalb der Amtsstunden in die Sphäre der Behörde gelangen, dieses Schriftstück jedenfalls als rechtzeitig eingebracht gilt. b) Derzeit noch nicht umfassend realisiert, aber für die Zukunft anzustreben ist, dass die örtliche Zuständigkeit der Behörden für den Bürger kaum Relevanz haben wird: „Entörtlichung des Verwaltungshandelns". Im Konzept des online-Verwaltungsverfahrens ist das Prinzip des „one-stopshop" (mit seiner Trennung von front-office und back-office) geradezu wesensimanent. Es wird eine Sache der inneren Verwaltungsorganisation sein, Anträge, die aus dem Abfrage- oder Eingabefenster in die Verwaltung gelangen, gleich intern an die richtige Behörde zu leiten. Die Einrichtung von universell zuständigen Einbringungsstellen bedarf allerdings noch entsprechender gesetzlicher Änderungen. In diese Richtung geht in Österreich die jüngste Passgesetznovelle, seit der (nach § 16 [2] und [3] PassG) die Einbringung von Anträgen auf Ausstellung eines Reisepasses bei jeder Bezirksverwaltungsbehörde oder auch beim Bürgermeister zulässig ist. (Früher war ein solcher Antrag nur bei der örtlich zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde des Wohnsitzes zulässig). c) Probleme der online-Akteneinsicht oder des Erfordernisses der Einbringung von Unterlagen „im Original" ließen sich in der Zukunft mit der geplanten Einführung einer „Bürgerkarte" lösen, die nicht nur mit elektronischer Signatur ausgestattet ist und eine Identifikation des Antragstellers ermöglicht, sondern mittels welcher auch weitere gespeicherte Daten (z.B. Geburtsdatum, Meldung, Staatsbürgerschaft etc.) im Bedarfsfall der Behörde elektronisch „vorgelegt" werden könnten (www.bürgerkarte.at). d) Das Ermittlungsverfahren ist nach österreichischem Verwaltungsverfahrensrecht in der Regel nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit gestaltet und daher auch für die Verwendung elektronischer Information und Kommunikation grundsätzlich geeignet. Freilich sind bestimmte Beweismittel ihrer Natur nach nicht dazu geeignet, über Internet benutzt zu werden; denn sowohl bei der Einvernahme von Zeugen wie auch beim Lokalaugenschein kommt es auf den persönlichen Eindruck der entscheidenden Organe an. Wohl aber kommt der elektronische Schriftverkehr für den Urkundenbeweis in Frage, und es ist die elektronische Verfahrensführung in vielen Fällen, die massenhaft zu führen sind oder die auf Grund der (elektronischen) , Aktenlage" - also auf der Basis von vorhandenen oder übermittelbaren Daten - entschieden werden können, geeignet.
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e) Die Erledigung des Verwaltungsverfahrens muss in aller Regel schriftlich erfolgen und ist damit auch für die Kommunikation und Transaktion geeignet. Das Verwaltungsverfahrensrecht trägt dem bereits Rechnung, weil Unterschrift und Beglaubigung von Verwaltungsbescheiden nicht mehr erforderlich sind, wenn die Erledigung automationsunterstützt erstellt wird und weil „schriftliche Erledigungen ... in jeder technisch möglichen Weise übermittelt werden" können (Neufassung des § 18 [4] AVG). Behördliche Erledigungen bedürfen jedoch zu ihrer Wirksamkeit der Mitteilung an den Adressaten. Es kommt sohin auch die Übermittlung online in Frage. Nach der bestehenden neugefassten Rechtslage ist dies allerdings nur zulässig, „wenn die Partei ihr Anbringen in derselben Weise eingebracht und dieser Übermittlungsart nicht ausdrücklich widersprochen hat" (§ 18 [3] Satz 3 AVG). Es genügt also nicht, dass die Partei des Verfahrens diesen Kommunikationsweg in einem früheren Verfahren bereits verwendet hat. Für das Zustellwesen wurden bereits die Vorkehrungen für ein online-Verwaltungsverfahren getroffen. Das Zustellgesetz regelt nicht nur die Übermittlung der Papierversion von Verwaltungsentscheidungen, sondern bestimmt darüber hinaus, dass die modernen Übermittlungsarten ebenfalls als Zustellung „gelten" (Formulierung einer Fiktion). Wesentlich ist in diesem Zusammenhang der Zeitpunkt des Wirksamwerdens einer derartigen Zustellung. Erledigungen, die im Wege automationsunterstützter Datenübertragung oder in einer anderen technisch möglichen Weise übertragen werden, gelten als zugestellt, sobald sie in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sind (§ 26a Zustellgesetz).30 Mit der durch das Verwaltungsreformgesetz 2001 bewirkten Änderung des Zustellgesetzes wurde auch die Grundlage für eine „elektronische Hinterlegung" geschaffen (§ 17 a ZustellG). Es ist vorgesehen, einen Zustellserver einzurichten, der die behördliche Erledigung für den Empfänger bereithält. Dieser wird dann per e-mail verständigt, dass ein elektronisches Schriftstück zur Abholung" bereit steht. Der Zustellserver übernimmt die Funktion der Hinterlegung, nicht jedoch jene eines Zustellnachweises. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass im elektronischen Verkehr mit den Finanzbehörden („FinanzOnline") und den Gerichten („Elektronischer Rechtsverkehr - ERV") 3 1 derartige Übermittlungsstellen bereits seit einiger Zeit funktio-
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Treten Zweifel auf, so hat die Behörde den Zeitpunkt des Einlangens von Amts wegen festzustellen. Im Übrigen gilt - ähnlich wie bei der traditionellen Zustellung - , dass eine Zustellung als nicht bewirkt gilt, „wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter ... wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam." 31 Die Verfahrensautomation in der Justiz (VJ) und ERV als normierte Schnittstelle zur Kommunikation mit den Gerichten sind im Gerichtsorganisationsgesetz geregelt (§§ 89 a - 8 9 k GOG) und stehen daher grundsätzlich in allen Verfahrensarten zur Verfugung. Der Ablauf des ERV ist einer Verordnung des Bundesministers fur Justiz normiert. Einzelheiten dazu bei Klaus Stari , Verfahrensautomation in der Justiz und Elek-
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nieren. Die jeweils festgelegten Übermittlungsstellen haben die Funktion, Protokolle über das Einlangen von Anbringen zu führen und/oder den Eingang einer behördlichen Erledigung im elektronischen Verfugungsbereich des Empfängers zu dokumentieren. f) Der schon zuvor erwähnte Aufbau eines umfassenden Systems „elektronischer Akt" ist als verwaltungsinterne Maßnahme zu verstehen, die keiner besonderen gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Zusammenfassend kann zum österreichischen Verwaltungsverfahren festgehalten werden, dass die Verwaltungsreform 2001 zahlreiche Änderungen gebracht und eine Anpassung an die technische Entwicklung vorgenommen hat, sodass im Verkehr zwischen Behörden und Parteien grundsätzlich von beiden Seiten alle aktuellen Technologien eingesetzt werden können. Eine Verpflichtung zum Einsatz dieser modernen Technologien besteht freilich nicht. Die öffentliche Verwaltung wird ihr Angebot - auch aus verfassungsrechtlichen Gründen (Gleichheitssatz, Rechtsschutz) - immer so auszurichten haben, dass auch „einfache" Kommunikationsformen ausreichen und Anbringen jedenfalls gleich zu behandeln sind, gleichgültig in welcher Form sie bei den Behörden einlangen.
IV. Welche Vor- und Nachteile des E-Government sind bisher sichtbar geworden? 1. Vorteile Effizienzsteigerung und Kostenersparnis durch Neuorganisation und Optimierung der Arbeitsprozesse der Verwaltung sollen dem Bürger indirekt zugute kommen. Zentral ist der Gedanke der Bürger- und Kundenfreundlichkeit. Verwaltung über das Internet soll dazu führen, dass der Umgang mit den Behörden möglichst leicht, einfach und schnell erfolgen kann. Auch die Bürgerberatung soll durch online-Kontakte verbessert werden. Mit Hilfe des Internet kann auch die systematische Erhebung der Bürgerbedürfnisse 32 erleichtert werden. In einer elektronischen Verwaltung sind die Informations- und Mitwirkungsmöglichkeiten größer als in der herkömmlichen Verwaltung. Die stärkere Einbeziehung des Bürgers wird von manchen als ein mögliches Mittel gesehen,
ironischer Rechtsverkehr (ERV), in: Dietmar Jahnel/Alfred Schramm/Elisabeth Staudegger (Hrsg.), Informatikrecht, 2. Aufl., Wien/New York 2002, S. 159-175. 32 Vgl. z.B. Großbritannien mit seinem People's Panel (www.cabinet-office . gov.uk/servicefirst/index/pphone.htm). Dieser (allzu) breite Ansatz ist inzwischen in Großbritannien durch ressortspezifische Anlaufstellen ersetzt worden.
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das demokratische Engagement des Bürgers zu wecken und damit die verbreitete Politikverdrossenheit zu bekämpfen. Gerade auf der kommunalen Ebene kann die Information und Kommunikation wesentlich verbessert werden. Auf der homepage der Gemeinde kann eine Art „elektronisches Verwaltungsamt" (virtual townhall) installiert werden, wo dem Bürger alles um den Gemeinderat (Termine, Anträge, Beschlüsse, Diskussionen, Projekte usw.) sowie die aktuellen Planungen und Entwicklungen (Vorschau und/oder Abschluss von Projekten, Bauvorhaben usw.) mitgeteilt werden können. Denkbar und zum Teil in Entwicklung begriffen sind „elektronische Briefkästen" und Chat-rooms. Dadurch können Bürger ermuntert werden, mit der Verwaltung zu „reden" (Anregungen, Mitteilungen, Beschwerden im kurzen Wege) bzw. an Diskussionsforen zu aktuellen kommunalen Projekten teilzunehmen (z.B. örtliches Entwicklungskonzept, Kulturplan, Verkehrs- und Sozialprojekte). Internet und Multimedia-Instrumente können auch für eine Art von „Verwaltungsmarketing" benutzt werden und damit zur Imagepflege, zur Wirtschaftsforderung und Standortsicherung beitragen.
2. Nachteile und Hindernisse Hier sind verschiedene Faktoren zu nennen, die miteinander zusammenhängen. Ein bedeutendes Hindernis für eine (noch) raschere Entwicklung ist der enorme Investitionsbedarf für den Aufbau und die Aufrechterhaltung voll funktionsfähiger E-Government-Systeme. Solange aber die Dienste nicht wesentlich besser ausgebaut sind, wird E-Government keine höhere Akzeptanz finden. 33 Vielfach wird aber auch zu wenig darüber nachgedacht, worin die Blockaden und Barrieren bestehen, dass eine erwartete Nutzung der informationstechnischen Potentiale bisher nicht eingetreten ist. 34 Neben den technischen und finanziellen Problemen gibt es auch den soziokulturellen Aspekt: Bürgern und Verwaltungsbeamten fehlt vielfach eine ent-
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Internationale Vergleichsstudien zeigen (z.B. eine Studie des World Market Research Centre; untersucht wurden 2288 Internet-Seiten von Regierungen in 196 Staaten), dass die Kommunikation auf den Web-Seiten der Regierungen noch schwach ausgebildet ist. Zwar wird vielfach (73 %) die Möglichkeit geboten, E-mails zu schicken, aber nur jede dritte derartige Web-Seite hat auch eine Suchfunktion und gar nur 8 % geben die Gelegenheit, Kommentare zu hinterlassen. 34 Siehe dazu jetzt ein Forschungsprojekt am Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Heinrich Reinermann/Arne Franz, Voraussetzungen der online-Kommunikation zwischen Verwaltung und Bürgern (ab 2002).
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sprechende Medienkompetenz,35 ein Umstand, der sich erst im Laufe der Zeit langsam, aber voraussichtlich nie gänzlich ändern wird. 3 6 Zum Teil sind Interessenlagen und Erwartungshaltungen der Bürger und der Verwaltung doch verschieden. Der Bürger erwartet, dass Informationssysteme (z.B. zu Themenbereichen wie Arbeit, Bildung, Wohnung, Gesundheit usw) vom öffentlichen Sektor als kostenlose Dienstleistung zur Verfügung gestellt werden - und zwar in hoher Qualität und stets aktuell. Neben der steuerfinanzierten Verwaltung für online-Dienste ein zweites Mal zahlen zu sollen, ist dem Durchschnittsbürger nicht einsichtig. (Manche Bürger - Unternehmer - können in solchen Diensten auch eine unerwünschte Konkurrenz zu ihren eigenen privatwirtschaftlichen Informationssystemen sehen). Die Verwaltung neigt dazu, aus Kostengründen die verwaltungsinternen Rationalisierungen zu forcieren; und für die Politik sind Informationssysteme ein willkommenes Mittel der Selbstdarstellung bzw. zur Kommunikation von erzielten Erfolgen. Schließlich darf nicht übersehen werden, dass das Internet noch lange nicht ein Kommunikationsmittel ist, mit dem die Bürger flächendeckend ausgestattet sind. Es fehlt zumindest bei den einkommensschwächeren Schichten. Die Erreichbarkeit der Behörde vor Ort kann darüber hinaus in Fällen, in denen es nicht nur um vergleichsweise technische Fragen geht, nicht durch eine Datenleitung ersetzt werden. Ansonsten würden jene Bürger ausgegrenzt, die keinen Zugang zum Internet finden, und das sind vornehmlich ältere und weniger wohlhabende Menschen. Die Folgen für diese Bevölkerungsgruppe wären fatal 37 und können nicht erwünscht sein.
3. Welche Fortschritte sind im Einzelnen denkbar bzw. absehbar? Die nächsten Schritte werden sicher bei den Ε-Formularen liegen (ZweiWege-Kommunikation). Daneben arbeitet man jetzt schon an der Einrichtung
35 Das gilt, obwohl sich das Zielpublikum der neuen Medien wesentlich erweitert hat. Galten vor ein paar Jahren noch nur die jüngeren Bevölkerungsschichten als die Interessiertesten, so sind heute durch den Einsatz des Computers in der gesamten Arbeitsund Freizeitwelt eigentlich alle Alters- und Sozialschichten bereits Zielpublikum. 36 In Österreich können nur 15 % der Bevölkerung dem E-Government eine richtige Bedeutung zuordnen, und nur 7 % sind mit der Materie vertraut! Darüber berichtet Ulrich Lenz, Aufgaben der Gemeinde mit E-Government. Kaum jemand in den Gemeinden kennt sie, Kommunal 2002, S. 24 f., unter dem Slogan „Österreich liegt vorne, aber was, bitte, ist E-Government?". 37 Das betont z.B. gegenüber den „Neojosephinisten" in der österreichischen Verwaltung in durchaus realitätsbezogener Sicht Peter Bussjäger, Zwischen Modernisierung und neojosephinistischen Holzwegen. Probleme der Verwaltungsreform in Österreich, Die Verwaltung 35 (2002), S. 223-237.
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von „Bürgerämtern", wo man nach dem Vorbild des „one-stop-shop" alle Behördengänge elektronisch erledigen kann. Bei allen Entwicklungen spielt die Identifizierung der Bürger eine wichtige Rolle. Dafür ist die sogenannte Bürgerkarte vorgesehen, die somit gleichzeitig als elektronischer Ausweis und als elektronische Unterschrift dienen kann. Als weitere Neuerung werden in naher Zukunft wohl elektronische Dokumentensafes entstehen. Darin können persönliche Dokumente (z.B. Geburtsurkunde, Staatsbürgerschaftsnachweis, verschiedene Zeugnisse) elektronisch gespeichert werden. Wenn ein elektronisches Formular bei der Behörde einzureichen ist, dem diese Dokumente beigelegt werden müssen, wird es genügen, der Behörde eine Art Leserecht für die notwendigen Dokumente im Safe zu gestatten. Zusammenfassend wird man daher sagen können: E-Government hat sich als Leitbild etabliert. 38 Der Fortschritt des E-Government wird sich nicht aufhalten lassen. Er wird in einzelnen Bereichen unterschiedlich weit gehen und unterschiedlich schnell kommen. Insgesamt wird sich damit vor allem der Kontakt zwischen Bürgern und Verwaltung deutlich ändern. Allerdings wird auch der heute bekannte klassische Behördenweg - aus vielen Gründen - nicht gänzlich verschwinden. Folglich wird E-Government noch auf längere Sicht ein Zusatzangebot bleiben.
38 Martin Eifert, Electronic Government als gesamtstaatliche Organisationsaufgabe, Zeitschrift für Gesetzgebung 2001, S. 115 f. (128 f.).
Elektronisches Verwaltungsverfahren und elektronischer Verwaltungsakt - zwei^(fast) neue Institute des Verwaltungsrechts* V o n Hans-Werner Laubinger, Mainz
I. Einleitung Es ist vielleicht ein wenig, aber w o h l nicht gar zu sehr übertrieben, wenn man behauptet, daß am 1. Februar 2003 ein neues Zeitalter des Verwaltungsrechts angebrochen ist. A n diesem Tage ist das Dritte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften v o m 21. August 2002 ( B G B l . I S. 3322) i n Kraft getreten 1 . Seine 74 Artikel haben nicht nur die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes - nämlich das Verwaltungsverfahrensgesetz (Art. 1), das Erste und das Zehnte Buch des Sozialgesetzbuchs (Art. 2 und 3) sowie die Abgabenordnung (Art. 4) - geändert, sondern auch zahlreiche weitere Gesetze und Rechts Verordnungen des Bundes (Art. 5 - 7 1 ) . Das Landesrecht ist dadurch nur insoweit betroffen, als die Verwaltungsverfahrensgesetze der Län-
Der Jubilar hat sich m.W. bisher noch nie literarisch mit dem hier behandelten Gegenstand befaßt. Da er sich aber mehrfach mit den Formen des Verwaltungshandelns und mit der Modernisierung der Verwaltung auseinandergesetzt hat (siehe das Schrifttumsverzeichnis, das diesen Band abschließt), hege ich die Hoffnung, daß meine Darlegungen sein Interesse finden werden. 1 Einen Überblick über Entstehungsgeschichte und Inhalt dieses Gesetzes geben u.a. A. Catrein, Anmerkungen zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder, in: NVwZ 2001, S. 413 ff.; T. Groß, Öffentliche Verwaltung im Internet, in: DÖV 2001, S. 159 ff.; A. Roßnagel, Das elektronische Verwaltungsverfahren - Das Dritte Verwaltungsverfahrensänderungsgesetz, in: NJW 2003, S. 469 ff.; A. Schlatmann, Verwaltungsverfahrensrecht und elektronischer Rechtsverkehr, in: L K V 2002, S. 489 ff.; ders., Anmerkungen zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften, in: DVB1. 2002, S. 1005 ff.; H. Schmitz, Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensgesetzes: Konkrete Gesetzgebungspläne und weitere Perspektiven, in: W. HoffmannRiem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, Baden-Baden 2002, S. 135 ff.; ders./A. Schlatmann, Digitale Verwaltung? - Das Dritte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften, in: NVwZ 2002, S. 1281 f f ; S. Storr, Elektronische Kommunikation in der öffentlichen Verwaltung - Die Einfuhrung des elektronischen Verwaltungsakts, in: MMR 2002, S. 579 ff.
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der dynamisch auf das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes verweisen 2. Soweit sie das nicht tun, bedarf es einer Änderung der einschlägigen Landesgesetze durch die Länder selbst, die jedoch sämtlich ihren gesamten Rechtsbestand daraufhin überprüfen müssen, welche Änderungen erforderlich sind, um den Anforderungen der elektronischen Verwaltung gerecht zu werden.3 Das Fundament für das elektronische Verwaltungsverfahren legt der neue § 3a4. Sein Abs. 1 bestimmt, daß die Übermittlung elektronischer Dokumente5 zulässig ist, soweit der Empfänger - das kann ein Bürger oder eine Behörde sein - hierfür einen Zugang eröffnet hat. Die Formulierung dieser Vorschrift könnte zu Mißverständnissen führen. Denn die Übermittlung elektronischer Dokumente war auch schon vor Erlaß der Vorschrift „zulässig". Gemeint ist vielmehr, daß der Empfänger eines solchen Dokuments dessen Inhalt nur dann gegen sich gelten lassen muß, wenn er sich - sei es ausdrücklich, sei es konkludent - bereiterklärt hat, elektronische Dokumente entgegenzunehmen. Niemand soll gezwungen werden, dies zu tun, niemand soll sich elektronische Dokumente aufdrängen lassen müssen. Gemäß § 3a Abs. 2 Satz 1 kann eine durch Rechtsvorschrift (also durch förmliches Gesetz, Rechtsverordnung oder Satzung) angeordnete Schriftform durch die elektronische Form ersetzt werden, soweit nicht durch Rechtsvorschrift etwas anderes bestimmt ist6. Wird die Schriftform durch die elektronische Form ersetzt, ist das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen7.
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Das tun die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder Berlin, Rheinland-Pfalz und Sachsen. 3 Für Rheinland-Pfalz siehe den Regierungsentwurf vom 29. Oktober 2002 zu einem „Landesgesetz zur Förderung der elektronischen Kommunikation im Verwaltungsverfahren", der in 60 Artikeln zahlreiche Gesetze und Rechtsverordnungen ändern soll. 4 Sämtliche im folgenden zitierten Vorschriften sind solche des Verwaltungsverfahrensgesetzes (des Bundes), sofern nichts anderes angegeben ist. 5 Aus naturwissenschaftlich-technischer Sicht betrachtet, ist das elektronische Dokument „eine Folge von elektrischen Impulsen, die mittels eines (Berechnungs-)Programms in lesbare Zeichen umgewandelt werden": A. Catrein, Moderne elektronische Kommunikation und Verwaltungsverfahrensrecht - Welche Anforderungen hat das Verwaltungsverfahrensgesetz zu erfüllen?, in: NWVB1. 2001, S. 50 ff., 52. 6 Eine ähnliche Vorschrift für das bürgerliche Recht enthält seit kurzem § 126 Abs. 3 BGB i.d.F. des Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts ... vom 13. Juli 2001 (BGBl. I S. 1542), das die §§ 126 ff. BGB neu gefaßt hat. Danach kann die schriftliche Form durch die elektronische Form ersetzt werden, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. 7 Ähnlich § 126a Abs. 1 BGB: „Soll die gesetzlich vorgeschriebene schriftliche Form durch die elektronische Form ersetzt werden, so muß der Aussteller der Erklärung dieser seinen Namen hinzufügen und das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen."
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Das Gesetz über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (Signaturgesetz - SigG) vom 16. Mai 2001 (BGBl. I S. 876) sieht vier Signaturarten vor: die einfache elektronische Signatur, die fortgeschrittene elektronische Signatur, die qualifizierte elektronische Signatur sowie die qualifizierte elektronische Signatur mit Anbieter-Akkreditierung 8. Elektronische Signaturen sind nach der Legaldefinition des § 2 Nr. 1 SigG „Daten in elektronischer Form, die anderen elektronischen Daten beigefügt oder logisch mit ihnen verknüpft sind und die zur Authentifizierung dienen44. § 2 Nr. 2 SigG definiert die fortgeschrittenen elektronischen Signaturen als solche elektronischen Signaturen, die -
ausschließlich dem Signaturschlüssel-Inhaber 9 zugeordnet sind,
-
dessen Identifizierung ermöglichen,
-
mit Mitteln erzeugt werden, die der Signaturschlüssel-Inhaber unter seiner alleinigen Kontrolle halten kann, und
-
mit den Daten, auf die sie sich beziehen, so verknüpft sind, daß eine nachträgliche Veränderung der Daten erkannt werden kann.
Unter qualifizierten elektronischen Signaturen versteht das Gesetz (§ 2 Nr. 3 SigG) solche fortgeschrittenen elektronischen Signaturen, die -
auf einem zum Zeitpunkt ihrer Erzeugung gültigen qualifizierten Zertifikat 10 beruhen und
-
mit einer sicheren Signaturerstellungseinheit 11 erzeugt werden.
Qualifizierte Zertifikate werden (nur) von Zertifizierungsdiensteanbietern ausgestellt (§ 2 Nr. 8 SigG). Diese können sich von der zuständigen Behörde akkreditieren lassen. Akkreditierte Zertifizierungsdiensteanbieter erhalten ein Gütezeichen der zuständigen Behörde. Mit diesem wird der Nachweis der umfassend geprüften technischen und administrativen Sicherheit für die auf ihren qualifizierten Zertifikaten beruhenden qualifizierten elektronischen Signaturen zum Ausdruck gebracht: qualifizierte elektronische Signaturen mit AnbieterAkkreditierung(§ 15 Abs. 1 SigG). Die elektronische Signatur soll es dem Empfänger eines elektronischen Dokuments ermöglichen festzustellen, ob dieses tatsächlich von dem angegebenen Absender herrührt (Authentizität, Echtheit) und ob es auf dem Wege vom Ab8 Zu den verschiedenen Signaturarten siehe etwa A. Roßnagel, Die fortgeschrittene elektronische Signatur, in: MMR 2003, S. 164 ff. Zu den Möglichkeiten des Einsatzes der elektronischen Signatur in der öffentlichen Verwaltung eingehend neuestens L. Schreiber, Elektronisches Verwalten, Baden-Baden 2003; zu den Signaturarten dort S. 97 ff. 9 Zu diesem Begriff siehe § 2 Nr. 9 SigG. 10 Was das ist, regelt § 2 Nr. 7 SigG. 11 Definiert durch § 2 Nr. 10 SigG.
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sender zum Empfänger verändert worden ist (Integrität, Unverfälschtheit). Diese Aufgabe erfüllt allerdings nur die qualifizierte elektronische Signatur (mit und ohne Anbieter-Akkreditierung) in befriedigendem Maße. Sowohl zur Überprüfung der Authentizität und Integrität des Dokuments als auch zur Signierung bedarf es einer besonderen Hard- und Software 12, über die bislang die wenigsten Bürger verfugen. Das hindert sie jedoch nicht daran, elektronisch signierte Dokumente zu lesen. Denn die elektronische Signierung hat keine Verschlüsselung des signierten Dokuments zur Folge. Im folgenden soll versucht werden zu skizzieren, wie sich die neuen Regelungen voraussichtlich auf den Ablauf des Verwaltungsverfahrens auswirken werden 13.
I I . Beginn des Verwaltungsverfahrens Das Verwaltungsverfahren beginnt gemäß § 22 von Amts wegen oder auf Antrag.
1. Eröffnung des Verwaltungsverfahrens durch Antrag Sofern nicht anderes bestimmt ist, bedürfen Anträge keiner besonderen Form, wie sich aus § 10 Satz 1 ergibt 14 . Sie können daher - nach Wahl des Antragstellers - mündlich, schriftlich oder auf eine sonstige geeignete Weise, also auch elektronisch, gestellt werden, sofern die Behörde hierfür einen Zugang eröffnet hat. Denn die sog. Generalklausel des § 3a Abs. 1 bestimmt, daß die Übermittlung elektronischer Dokumente zulässig ist, soweit der Empfänger hierfür 12
Eingehend und anschaulich dargestellt von A. Reisen/C. Mrugalla, Digitale Signaturen - Prinzip und Sicherheitsinfrastruktur, sowie von W. Bieser, Das Signaturgesetz Die gesetzliche digitale Signatur unter rechtlichen und praktischen Aspekten, beide Beiträge in dem von S. Erber-Faller herausgegebenen Sammelband Elektronischer Rechtsverkehr, Neuwied/Kriftel 2000, S. 43 ff. bzw. 65 ff. Ferner M. Schmid /, Die elektronische Signatur - Funktionsweise, rechtliche Implikationen, Auswirkungen der EG-Richtlinie, in: CR 2002, S. 508 ff. 13 Ähnliche Versuche unternommen haben - schon vor Inkrafttreten der neuen Regelungen - S. Idecke-Lux in ihrer vorzüglichen Dissertation „Der Einsatz von multimedialen Dokumenten bei der Genehmigung von neuen Anlagen nach dem Bundesimmissionsschutz-Gesetz", Baden-Baden 2000, und G. Britz in ihrer gleichfalls exzellenten Untersuchung „Reaktionen des Verwaltungsverfahrensrechts auf die informationstechnischen Vernetzungen der Verwaltung", in: Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, hrsg. von W. Hoffmann-Riem und E. Schmidt-Aßmann, Baden-Baden 2002, S. 213-276. Einige Teilaspekte behandelt sehr gründlich auch Schreiber (Fn. 8). 14 A. Roßnagel, Die elektronische Signatur im Verwaltungsrecht, in: DÖV 2001, S. 221 ff., 222 und 228; ders. (Fn.l), in: NJW 2003, 469 ff, 472.
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einen Zugang eröffnet hat. Das wird man insbesondere dann annehmen dürfen, wenn die Behörde auf ihrem Briefkopf oder ihrer Homepage eine E-MailAdresse angegeben hat oder wenn sie mit dem Antragsteller bereits früher elektronisch kommuniziert hat 15 . Die elektronische Einreichung des Antrags kann auf unterschiedliche Weise geschehen: Zum einen kann er per E-Mail (mit oder ohne Anhang) übermittelt werden. Zweitens kann der Antrag auf einer Diskette oder einer Compact Disc (CD) gespeichert werden, die der Behörde auf herkömmlichem Wege (Briefpost, Bote) zugestellt wird 16 . Dieser Weg dürfte sich dann empfehlen, wenn dem Antrag umfangreiche Unterlagen in digitalisierter Form beizufügen sind. Außerdem besteht bei dieser Vorgehensweise nicht die Gefahr, daß „im Netz" Daten verloren gehen, verstümmelt oder von Dritten gelesen werden. Drittens besteht die Möglichkeit, daß die Behörde ein Antragsformular „ins Netz stellt", das a) online ausgefüllt und der Behörde übermittelt werden kann oder b) ausgedruckt und dann auf herkömmliche Weise ausgefüllt und per Briefpost der Behörde übersandt werden kann. Verlangt eine Rechtsvorschrift, daß der Antrag schriftlich zu stellen ist, so ist dem elektronischen Dokument eine qualifizierte elektronische Signatur beizufügen (§ 3a Abs. 2). Fraglich ist, ob dies auch dann erforderlich ist, wenn für den Antrag keine bestimmte Form vorgeschrieben ist, er also auch mündlich gestellt werden kann. Wenn sich der Antragsteller bei einer solchen Fallkonstellation gewissermaßen freiwillig - dazu entschließt, den Antrag schriftlich zu stellen, so muß er ihn eigenhändig unterzeichnen; denn nach h. M. bedürfen schriftliche Anträge grundsätzlich der Unterschrift 17. Einem schriftlichen Dokument gleichwertig ist ein elektronisches Dokument jedoch nur dann, wenn es mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist. Daraus könnte man die Schluß-
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So schon die Bundesregierung in ihrer Begründung zum Entwurf des Dritten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften, BT-Drucks. 14/9000 S. 31. Ebenso Roßnagel (Fn. 1), in: NJW 2003, S. 469 ff.; Schlatmann (Fn. 1), in: DVB1. 2002, S. 1005 ff., 1009; Schmitz/Schlatmann (Fn. 1), in: NVwZ 2002, S. 1281 ff., 1285. 16 Hierauf weist Catrein (Fn. 5), in: NWVB1. 2001, S. 50 f f , 52, zutreffend hin. 17 Idecke-Lux (Fn. 13), S. 97 ff. (103); C. H. Ule/H.-W. Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/München 1995 (mit Nachtrag 1998), S. 306 (§ 33 Rn. 2); F. Ο. Kopp/U. Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., München 2000, § 64 Rn. 6; P. Stelkens/H. Schmitz, in: P. Stelkens/H. Bonk/M. Sachs, VwVfG, 6. Aufl., München 2001, § 22 Rn. 31, jeweils m.w.N. Α. M. mit eingehender, aber letztlich nicht überzeugender Begründung allerdings Schreiber (Fn. 8), S. 76 ff.
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folgerung ableiten, daß ein elektronischer Antrag auch dann einer qualifizierten elektronischen Signatur bedarf, wenn eine bestimmte Form für die Antragstellung nicht vorgeschrieben ist. Das aber dürfte den Sinn und Zweck des § 3a verfehlen und die elektronische Antragstellung de facto nahezu inhibieren, weil kaum ein Bürger in der Lage ist, seine Anträge mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen. Demgemäß ist davon auszugehen, daß ein elektronischer Antrag nur dann mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden muß, wenn eine Rechtsvorschrift die Schriftform verlangt. Es läßt sich nicht völlig ausschließen, daß der per E-Mail eingereichte Antrag auf seinem Wege durch das Netz verstümmelt wird oder daß der Antrag in einem Format erstellt ist, das die Behörde nicht bearbeiten kann. In Hinblick auf derartige Fälle verpflichtet § 3a Abs. 3 Satz 1 die Behörde, dies dem Antragsteller unverzüglich anzuzeigen und ihm ggf. mitzuteilen, welche technischen Rahmenbedingungen für die Behörde gelten, insbesondere mit welchen Programmen sie arbeitet, so daß der Antragsteller - falls er über diese Programme verfügt - in der Lage ist, den Antrag in einer Form einzureichen, die die Behörde bearbeiten kann.
2. Eröffnung des Verwaltungsverfahrens von Amts wegen Leitet die Behörde ein Verwaltungsverfahren - z . B. auf Erlaß einer bauordnungsrechtlichen Beseitigungsanordnung - von Amts wegen ein, so bedarf es dazu keines förmlichen Aktes, etwa in Gestalt eines „Eröffnungsbeschlusses". Es steht im Ermessen der Behörde, ob sie den potentiellen Adressaten des in Aussicht genommenen Verwaltungsaktes von der Einleitung des Verfahrens in Kenntnis setzen will. Tut sie dies, kann sie sich dazu jedes geeigneten Mittels bedienen, also auch einer E-Mail. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß der Adressat gemäß § 3a Abs. 1 einen Zugang eröffnet, sich also - sei es expressis verbis, sei es konkludent - bereiterklärt hat, elektronische Dokumente entgegenzunehmen18. Häufig werden amtswegige Verwaltungsverfahren auf Anregung Dritter - im soeben genannten Beispiel: auf Anregung eines Nachbarn - in die Wege geleitet. Derartige Anregungen sind keine Anträge im Rechtssinne und bedürfen keiner bestimmten Form, so daß sie auch elektronisch (z. B. per E-Mail) vorgebracht werden können, sofern die Behörde einen Zugang eröffnet hat; eine qualifizierte elektronische Signatur ist nicht erforderlich.
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Siehe dazu unten im Text zu Fn. 49.
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I I I . Aufklärung des Sachverhalts Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 hat die für den Erlaß des Verwaltungsaktes oder den Abschluß des öffentlich-rechtlichen Vertrages zuständige Behörde den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es sich um ein Antrags- oder um ein amtswegiges Verfahren handelt. Sie kann sich dazu aller geeigneten Beweismittel, insbesondere der in § 26 Abs. 1 Satz 2 genannten, bedienen. So kann sie von anderen Behörden oder von Privaten Auskünfte einholen sowie Urkunden und Akten anfordern (§ 26 Abs. 2 Nrn. 1 und 3). Dies kann nicht nur mündlich, fernmündlich oder schriftlich, sondern auch per E-Mail geschehen. Gleiches gilt für die Erteilung der angeforderten Auskünfte. Die Beifügung einer qualifizierten elektronischen Signatur ist nicht erforderlich. Die Behörde kann ferner Beteiligte „anhören" sowie Zeugen und Sachverständige „vernehmen" (§ 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2). Dies kann wohl nur mündlich, gewissermaßen ,Auge in Auge" geschehen, so daß sowohl die schriftliche als auch die elektronische Form ausscheiden. Nicht ausgeschlossen ist dadurch allerdings, daß für die Anhörung oder Vernehmung die Videotechnik eingesetzt wird, so daß nicht alle Teilnehmer sich in demselben Raum aufhalten, sondern einzelne Teilnehmer „zugeschaltet" werden 19. Wo es nicht auf den persönlichen Eindruck ankommt, kann man auch an die Einrichtung eines Chat-Room denken. Die zuletzt genannte Bestimmung gestattet es der Behörde ferner, „die schriftliche oder elektronische Äußerung von Beteiligten, Sachverständigen20 und Zeugen einzuholen". Da die elektronische Form ausdrücklich neben der schriftlichen zugelassen ist und diese nicht nur „ersetzt", greift § 3a Abs. 2 nicht ein mit der Folge, daß eine qualifizierte elektronische Signatur nicht beigefügt zu werden braucht. § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 sieht schließlich die Einnahme des Augenscheins vor. Es liegt auf der Hand, daß sie nicht durch E-Mails ersetzt werden kann. In Betracht kommt jedoch auch hier der Einsatz der Videotechnik.
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Zu Videokonferenzen im Zivilprozeß siehe den gleichnamigen Aufsatz von H. Schultzky, in: NJW 2003, S. 313 ff. Sehr aufschlußreich auch für das hier behandelte Thema sind ferner der im Internet teilweise publizierte Abschlußbericht des VG Sigmaringen vom 14. September 2001 zum Projekt „Virtuelles Verwaltungsgericht" sowie R.. Bronner, Videokonferenzen im Einsatz- und Effizienz-Vergleich - Ergebnisse der experimentellen Kommunikationsforschung, Referat für die Internationale Fachtagung Videokonferenz an der Universität Essen 6.-8. November 2002 (vervielfältigt). 20 Zur elektronischen Einholung elektronischer Sachverständigengutachten im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren siehe Idecke-Lux (Fn. 13), S. 155 ff.
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IV. Anhörung Beteiligter Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, muß diesem grundsätzlich (Ausnahmen siehe § 28 Abs. 2 und 3) Gelegenheit gegeben werden, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (§ 28 Abs. 1). Dies gilt entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts 21 auch dann, wenn die Behörde beabsichtigt, den Antrag auf Erlaß eines begünstigenden Verwaltungsakts abzulehnen. Diese Anhörung hat den Zweck, es dem durch den Verwaltungsakt nachteilig Betroffenen zu ermöglichen, seine Interessen zu verteidigen. Sie darf nicht verwechselt werden mit der bereits oben (sub II) erwähnten Anhörung Beteiligter im Sinne von § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, die der Aufklärung des Sachverhalts dient und eine Maßnahme der Beweisaufnahme ist. Da eine bestimmte Form für die Abgabe der Stellungnahme nicht vorgeschrieben ist, kann sie sowohl mündlich oder schriftlich als auch in elektronischer Form (E-Mail, Diskette, CD) abgegeben werden. Einer qualifizierten elektronischen Signatur bedarf sie nicht. Der Beteiligte kann sich nur dann sachgerecht äußern, wenn er weiß, auf welche Tatsachen die Behörde ihre Entscheidung zu stützen gedenkt. Sind sie ihm nicht (sämtlich) bekannt, muß die Behörde sie ihm auf eigene Initiative bei ihrer Aufforderung zur Abgabe der Stellungnahme mitteilen. Die Behörde ist ferner verpflichtet, dem Betroffenen auf dessen Ersuchen Auskunft darüber zu erteilen, von welchen Tatsachen sie bei ihrer Entscheidung auszugehen beabsichtigt; auch diese Verpflichtung ergibt sich unmittelbar aus § 28, so daß es eines Rückgriffs auf § 26 Satz 2 nicht bedarf. Alle diese Maßnahmen im Zuge der Anhörung nach § 28 können nicht nur mündlich oder schriftlich, sondern auch elektronisch vorgenommen werden. Einer qualifizierten elektronischen Signatur bedarf es nicht.
V. Öffentlichkeitsbeteiligung Im Rahmen von Planfeststellungsverfahren und einigen „großformatigen" Genehmigungsverfahren (z. B. nach § 10 BImSchG 22 ) ist über die durch das geplante Vorhaben in ihren Rechten Betroffenen hinaus die (gar nicht oder kaum eingegrenzte) Öffentlichkeit zu beteiligen. Im Planfeststellungsverfahren läuft diese Öffentlichkeitsbeteiligung - knapp skizziert - wie folgt ab: 21 Urteil vom 14.10.1982, BVerwGE 66, S. 184 ff. Dazu eingehend H.-W. Laubinger, Zur Erforderlichkeit der Anhörung des Antragstellers vor Ablehnung seines Antrages durch die Verwaltungsbehörde, in: VerwArch. 75, 1984, S. 55 ff. 22 Dazu eingehend Idecke-Lux (Fn. 13), S. 163 ff.
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(1) Die Gemeinden, in deren Gebiet sich das geplante Vorhaben voraussichtlich auswirken wird, haben den Plan für die Dauer eines Monats auszulegen (§ 73 Abs. 3 Satz 1). (2) Jene Gemeinden haben die Auslegung vorher ortsüblich bekanntzumachen (§ 73 Abs. 5 Satz 1). (3) Jeder, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden, kann während der Auslegungsfrist und auch noch bis zu zwei Wochen danach bei der Anhörungsbehörde oder bei der Gemeinde schriftlich oder zur Niederschrift Einwendungen gegen den Plan erheben (§ 73 Abs. 4 Satz 1). Die Auslegung des - fast immer sehr umfangreichen - Plans kann auf elektronischem Wege nicht ersetzt, wohl aber ergänzt werden, und zwar dadurch, daß die Anhörungsbehörde und/oder die Gemeinde(n) ihn „ins Netz stellen" und die Öffentlichkeit durch die Presse oder auf sonstige Art und Weise über die Adresse (URL) unterrichten 23. Eine solche Präsentation der Planung ist wird sie professionell gemacht - der herkömmlichen Auslegung in mehrfacher Hinsicht haushoch überlegen: Die interessierten Bürger können die Planunterlagen alltags wie feiertags zu jeder Tages- und Nachtzeit so oft und so lange inspizieren, wie es ihnen nötig erscheint. Die Bürger sparen Kosten und Mühen, und der Dienstbetrieb der Gemeinden, in denen die Auslegung stattfindet, wird weniger stark durch Einsicht suchende Bürger beeinträchtigt. Es sei jedoch nochmals betont, daß diese Art der Information der Öffentlichkeit die Auslegung in den Gemeindeverwaltungen zwar ergänzen, nicht aber ersetzen kann, solange nicht jedermann die Möglichkeit hat, die ins Netz gestellten Planunterlagen einzusehen. Daran ändert nichts der Umstand, daß in den Städten Internetcafés zur Verfügung stehen, die die Möglichkeit eröffnen, gegen ein geringes Entgelt „ins Netz zu gehen". Darauf wird man niemanden verweisen können, zumal längst nicht alle Bürger über die notwendigen Kenntnisse („Internetkompetenz") verfügen, um mit dem Internet umzugehen. Erwägenswert wäre es jedoch, in den Gemeindeverwaltungen Räume einzurichten, in denen die Bürger ggf. unter Assistenz von Gemeindebediensteten - Internetseiten der Verwaltung aufsuchen und an sie adressierte E-Mails versenden können. Das jedermann zustehende Recht, die ausgelegten Planunterlagen einzusehen 24 , umfaßt auch die Befugnis, Notizen, fotografische Aufnahmen und Ablichtungen anzufertigen, sofern dadurch nicht Betriebs- oder Geschäftsgeheim23 Zu dem Vorhaben der Straßenbauverwaltung Rheinland-Pfalz, die Planunterlagen in digitaler Form auf CD-ROM „auszulegen", siehe B. Stüer/W. Probstfeid, Digitaler Planungsordner, in: UPR 2001, S. 91 ff. 24 Nur die Einwendungsbefugnis, nicht auch das Einsichtsrecht, ist nach § 73 Abs. 4 Satz 1 an die Voraussetzung geknüpft, daß durch das Vorhaben die eigenen Belange berührt werden. Denn die Einsichtnahme in die Unterlagen soll es dem Bürger gerade ermöglichen zu ermitteln, ob seine Belange tangiert werden.
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nisse ausgeforscht (§ 30) oder Urheberrechte verletzt werden. Deshalb stellt sich die Frage, ob die Anhörungsbehörde oder die Gemeinden befugt sind 25 , es den Nutzern zu ermöglichen, die Planungsunterlagen herunterzuladen und auszudrucken. Man wird das zu bejahen haben, sofern die soeben genannten Einschränkungen beachtet werden. Die Auslegung der Planunterlagen ist von den Gemeinden zuvor ortsüblich bekannt zu machen. Diese Bekanntmachung muß bestimmte Mindestbestandteile enthalten (§ 73 Abs. 5 Satz 2). Die Form der ortsüblichen Bekanntmachung wird von den Gemeinden üblicherweise in ihrer Hauptsatzung festgelegt, heutzutage zumeist dahingehend, daß amtliche Bekanntmachungen in einem (dem eigenen oder einem fremden) Amtsblatt oder in der (den) örtlichen Tageszeitungen) zu veröffentlichen sind. Dabei muß es auch künftig bleiben26. Es ist jedoch in hohem Maße wünschenswert (und wird in zunehmendem Maße praktiziert), daß die amtlichen Bekanntmachungen zusätzlich auf der Homepage der Gemeinden veröffentlicht werden und daß dies in der Hauptsatzung vorgeschrieben wird, so daß die Verlautbarung im Amtsblatt oder der (den) Tageszeitung(en) zwar nach wie vor notwendige, aber nicht mehr ausreichende Bedingung für die Wirksamkeit der Publikation ist. Wird eine derartige Regelung in die Hauptsatzung eingestellt, so ist die Gemeinde zwar verpflichtet, auch auf ihrer Homepage auf die Auslegung der Planunterlagen in der Gemeindeverwaltung hinzuweisen, sie ist aber keineswegs gehalten, die Unterlagen „ins Netz zu stellen". Einwendungen können gemäß § 73 Abs. 4 Satz 1 „schriftlich oder zur Niederschrift" bei der Anhörungsbehörde oder bei der Gemeinde erhoben werden. Die Schriftform kann nach § 3a Abs. 2 durch die elektronische Form ersetzt werden; die auf diese Weise erhobenen Einwendungen bedürfen jedoch der qualifizierten elektronischen Signatur. Da sie den weitaus meisten Bürgern weder heute noch in naher Zukunft zu Gebote steht, wird diese Art der Einwendungserhebung wohl noch lange Zeit ein Schattendasein fuhren. Es dürfte sich empfehlen, darüber nachzudenken, ob nicht durch eine Änderung der einschlägigen Vorschriften die Möglichkeit geschaffen werden sollte, Einwendungen online auf der Web-Site anzubringen, auf der die Planunterlagen veröffentlicht werden 27.
25 Dazu verpflichtet sind sie sicherlich nicht, weil schon keine rechtliche Verpflichtung besteht, die Unterlagen ins Netz zu stellen. Anders wohl Idecke-Lux (Fn. 13), S. 172 f. 26 Siehe dazu auch unten Fn. 58. 27 Näheres dazu bei Idecke-Lux (Fn. 13), S. 179.
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VI. Beteiligung anderer Einheiten der federführenden Behörde, anderer Behörden und anderer Rechtsträger Bevor die zuständige Stelle innerhalb der federführenden Behörde ihre das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung fällt, muß sie sich häufig mit anderen Einheiten derselben Behörde oder mit anderen Behörden oder Verwaltungsträgern abstimmen; die Formen dieser Beteiligung reichen von der bloßen Anhörung bis zur Einholung der Zustimmung oder des Einvernehmens 28. Für diese Abstimmungshandlungen bietet sich die elektronische Kommunikation wegen ihrer Schnelligkeit und Kostengünstigkeit förmlich an. Die Zugriffsmöglichkeit auf Dateien bietet insbesondere für die Durchführung von Sternverfahren (§ 71d) eine einfache und kostengünstige Möglichkeit. Rechtliche Probleme ergeben sich dabei, soweit ersichtlich, nicht.
V I I . Akteneinsicht § 29 Abs. 1 Satz 1 verpflichtet die das Verwaltungsverfahren 29 durchführende Behörde, den am Verfahren Beteiligten (§ 13) Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Die Akteneinsicht erfolgt grundsätzlich bei der die Akten führenden Behörde (§ 29 Abs. 3 Satz 1). In ihrer Begründung zum Entwurf des Dritten Änderungsgesetzes30 meint die Bundesregierung, es bedürfe keiner Änderung des § 29, denn Akten im Sinne des Verwaltungsrechts seien „nach bestimmten Ordnungsgesichtspunkten in geeigneter Form zusammengefaßte Dokumente, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um eine Zusammenstellung schriftlicher Urkunden oder elektronischer Dokumente handelt" 31 . Ob diese Behauptung zutrifft, erscheint durchaus zweifelhaft. Denn herkömmlicherweise versteht man unter einer „Akte" ein 28
Zur elektronischen Beteiligung anderer Behörden im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren siehe Idecke-Lux (Fn. 13), S. 152 ff. 29 Zur elektronischen Einsicht in Gerichtsakten siehe B. Gretemann, Die elektronische Akte als Voraussetzung eines EDV-Gesamtkonzepts für die Justiz, Diss, jur. Tübingen 1996, S. 83 ff. 30 BT-Drucks. 14/9000, S. 28 links oben. 31 Auch Roßnagel (Fn. 14), in: DÖV 2001, S. 221 ff., 228) vertritt die Ansicht, der „weite Aktenbegriff 4 erfasse auch elektronische Dokumente, wenn sie Teil des Verwaltungsvorgangs werden. Ebenso könne auch der Begriff der Akteneinsicht in § 29 weit verstanden werden und auch die Online-Einsicht in elektronische Akten umfassen. Gleichwohl plädierte der Autor für eine entsprechende gesetzliche Regelung. Sie wäre in der Tat zu begrüßen gewesen.
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Konvolut von Papieren, die geheftet und fortlaufend paginiert sind 32 . Das trifft auf elektronische Dokumente, die auf einer Festplatte, einer Diskette oder einer CD gespeichert sind, nicht zu. Es wäre mit dem Rechtsstaatsprinzip, auf dem das Akteneinsichtsrecht der Beteiligten letztlich beruht, jedoch schwerlich vereinbar, wenn sich die Behörden ihrer Pflicht zur Gewährung von Akteneinsicht dadurch entziehen könnten, daß sie das Verwaltungsverfahren ganz oder teilweise auf elektronischem Wege durchführen und deshalb überhaupt keine oder lückenhafte Akten in Papierform führen. Der Begriff der Akte im Sinne des Akteneinsichtsrechts muß aus diesem Grunde und mit Rücksicht auf die Anschauung des Gesetzgebers dahingehend erweiternd ausgelegt werden, daß er auch elektronische Datenträger umfaßt mit der Folge, daß § 29 das Recht einschließt, Einsicht in elektronische Dokumente zu nehmen, die das in Rede stehende Verwaltungsverfahren betreffen. Für die Gewährung der Einsicht in elektronische Dokument kommen zumindest zwei Möglichkeiten technisch in Betracht: Die Behörde gestattet dem Beteiligten, in den Räumen der Behörde oder daheim die elektronischen Dokumente auf dem Bildschirm zu betrachten 33, oder sie druckt die Dokumente aus und erlaubt dem Beteiligten die Betrachtung der Papierausdrucke. Der Ausdruck eines elektronischen Verwaltungsakts auf Papier erhält allerdings erst durch eine amtliche Beglaubigung einen der elektronischen Form entsprechenden rechtlichen Wert; ohne die Beglaubigung ist der Ausdruck lediglich ein Beweiszeichen für den Inhalt des elektronischen Verwaltungsakts 34. Das provoziert die Frage, ob der Akteneinsichtsberechtigte verlangen kann, daß Ausdrucke elektronischer Dokumente von der Behörde nach § 33 (insbesondere Abs. 4 Nr. 4 und Abs. 5) beglaubigt werden - vor allem dann, wenn ihm die Online-Einsicht verweigert wird. Das wird man wohl bejahen müssen. Nach heute ganz herrschender Meinung 35 beschränkt sich das Akteneinsichtsrecht nicht auf die Befugnis, die Papiere anzuschauen und zu lesen, sondern es umfaßt darüber hinaus das Recht, Notizen, Fotografien und Ablichtungen anzufertigen, sofern dem nicht im Einzelfall die Grundsätze des Geheimnisschutzes (§ 30) oder das Urheberrecht entgegenstehen36. Angesichts dessen wird man an32
Vgl. Schreiber (Fn. 13), S. 173 m.w.N. in Fn. 487. Zur Online-Einsicht in Verwaltungsakten siehe A. Roßnagel, Möglichkeiten für Transparenz und Öffentlichkeit im Verwaltungshandeln unter besonderer Berücksichtigung des Internets als Instrument der Staatskommunikation, in: Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, hrsg. von W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann, BadenBaden 2000, S. 257 f f , 300 ff. 34 So die amtliche Begründung zum Entwurf des Dritten Änderungsgesetzes, BTDrucks. 14/9000, S. 28. 35 Vgl. etwa Öle/Laubinger (Fn. 17), S. 247 (§ 25 Rn. 8); Kopp/Ramsauer (Fn. 17), § 29 Rn. 42. 36 Siehe dazu schon oben unter IV zur Einsicht in die Planungsunterlagen. 33
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nehmen müssen, daß ein Beteiligter jedenfalls dann, wenn er ein berechtigtes Interesse daran dartut, gegen Erstattung der Unkosten die Aushändigung eines (amtlich beglaubigten) Papierausdrucks elektronischer Dokumente oder eine elektronische Kopie auf Diskette oder CD verlangen kann, sofern dem keine technischen Hindernisse entgegenstehen, was man im Einzelfall nicht völlig wird ausschließen können.
V I I I . Betreuungspflichten der Verwaltung (Auskunft, Beratung, Belehrung, Aufklärung der Bevölkerung) 1. Auskunfterteilung durch die Behörde Die Pflicht der ein Verwaltungsverfahren durchführenden Behörde, den Verfahrensbeteiligten Auskünfte zu erteilen, ist in § 25 Satz 2 nur rudimentär geregelt. Diese Vorschrift verpflichtet die Behörde lediglich dazu, »Auskunft über die den Beteiligten im Verwaltungsverfahren zustehenden Rechte und die ihnen obliegenden Pflichten" zu erteilen, und auch das nur „soweit erforderlich". Handelt es sich um ein Genehmigungsverfahren im Sinne von § 71 a, so muß die Genehmigungsbehörde darüber hinaus, „soweit erforderlich, Auskunft über Möglichkeiten zur Beschleunigung des Verfahrens, einschließlich der damit verbundenen Vor- und Nachteile" erteilen (§ 71c Abs. 1 Satz 1). Dies „kann auf Verlangen schriftlich oder elektronisch geschehen", soweit es von der Bedeutung oder der Schwierigkeit der Sache her angemessen erscheint (§ 71c Abs. 1 Satz 2); diese völlig mißglückte Formulierung soll wohl besagen, daß der Antragsteller bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen verlangen kann, daß die Behörde ihre Auskunft schriftlich oder elektronisch niederlegt. Zwischen diesen beiden Formen kann der Antragsteller (nicht etwa die Behörde) wählen. Der Beifügung einer qualifizierten elektronischen Signatur bedarf es nicht. Seit langem ist anerkannt, daß dem Bürger sowohl innerhalb als auch außerhalb eines anhängigen Verwaltungsverfahrens auch dann ein Rechtsanspruch auf Auskunfterteilung zustehen kann, wenn die genannten oder andere explizite Vorschriften nicht eingreifen. Das ist dann der Fall, wenn der Bürger auf die Auskunft angewiesen ist, um seine berechtigten Interessen sachgerecht verfolgen oder verteidigen zu können, und wenn die Auskunfterteilung der Behörde möglich und zuzumuten ist. In allen übrigen Fällen steht die Auskunfterteilung im pflichtgemäßen Ermessen - nicht etwa im freien, rechtlich ungebundenen Belieben - der Verwaltung. Soweit keine bestimmte Form für das Auskunftsersuchen und die Auskunfterteilung vorgeschrieben ist, haben die Auskunftsuchenden und die um Auskunft ersuchte Behörde die Wahl zwischen mündlicher, schriftlicher und elek-
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tronischer Form 37 . Die Auskunft bedarf einer qualifizierten elektronischen Signatur allenfalls dann, wenn der um Auskunft Ersuchende einen Anspruch auf schriftliche Auskunft hat (§ 3a Abs. 2).
2. Beratung eines Beteiligten durch die Behörde Unter der irreführenden Überschrift „Beratung" (und in grauenhaftem Deutsch) verpflichtet § 25 Satz 1 die das Verwaltungsverfahren durchfuhrende Behörde durch eine Sollvorschrift, „die Abgabe von Erklärungen, die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von Erklärungen oder Anträgen anzuregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind". In Wahrheit geht es hier nicht um Beratung, sondern um Belehrung der Beteiligten38. Sie kann auch elektronisch, insbesondere per E-Mail, erfolgen, sofern die Beteiligten dafür einen Zugang eröffnet haben. Die Beifügung einer qualifizierten elektronischen Signatur ist nicht erforderlich 39.
3. Belehrung eines Beteiligten durch die Behörde Der Beratungspflicht näher kommt die in § 71c Abs. 2 statuierte Pflicht zur Erörterung. Diese geschieht jedoch, obwohl dies nicht ausdrücklich angeordnet ist, sinnvollerweise in Form eines Gesprächs unter Anwesenden. In unkomplizierten Fällen mag aber auch eine Erörterung durch Austausch elektronischer Dokumente, ggf. in einem nichtöffentlichen Chat-Room, in Betracht kommen.
4. Aufklärung der Allgemeinheit Eine Pflicht der Verwaltung zur Aufklärung der gesamten Bevölkerung oder bestimmter Bevölkerungsteile (also nicht von Beteiligten eines anhängigen Verwaltungsverfahrens) ist nur sehr sporadisch geregelt und läßt sich darüber 37 Die amtliche Begründung zum Dritten Änderungsgesetz betont im Allgemeinen Teil (BT-Drucks. 14/9000, S. 29) denn auch, sowohl einfache Auskünfte der Verwaltung als auch entsprechende Anfragen der Bürger könnten regelmäßig durch den Austausch von E-Mails erfolgen. Diese Auffassung wird bestätigt in der Begründung zu § 71c (a.a.O. S. 34): Im Rahmen von Beratung und Auskunft bei Genehmigungsverfahren könnten jegliche Kommunikationsmittel genutzt werden. Im Hinblick auf die rechtliche Bedeutung dieser Auskünfte sei hier die Verbindung des Textes mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nicht notwendig. 38 Siehe Ule/Laubinger (Fn. 17), S. 260 ff. (§ 26 Rn. 13 ff.). 39 Siehe dazu Fn. 37 am Ende.
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hinaus nicht aus Verfassungsgrundsätzen (etwa dem Sozialstaats- oder dem Rechtsstaatsprinzip) ableiten. Das wohl bekannteste Beispiel bietet § 13 SGB I. Ihm zufolge haben die Leistungsträger (vgl. §§12 und 18-29 SGB I), ihre Verbände und die sonstigen im Sozialgesetzbuch genannten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen im Rahmen ihrer Zuständigkeit „die Bevölkerung über die Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch aufzuklären". Dies kann auch dadurch geschehen, daß die Informationen ins Internet gestellt werden 40. Mit Rücksicht darauf, daß nicht jedermann Zugang zum Internet hat, darf dies jedoch nicht das einzige Instrument sein.
IX. Mündliche Verhandlung, Erörterungstermin, Antragskonferenz Im Regelfall fällt die Verwaltung ihre Entscheidungen aufgrund der Aktenlage ohne mündliche Verhandlung. Von diesem Grundsatz gibt es jedoch eine Reihe von Ausnahmen. So findet im förmlichen Verfahren grundsätzlich eine mündliche Verhandlung (§§ 67, 68), im Planfeststellungsverfahren ein Erörterungstermin (§ 73 Abs. 6) statt, der ebenfalls den Charakter einer mündlichen Verhandlung hat. Diese Veranstaltungen können durch elektronische Kommunikation nicht ersetzt werden. Nicht ausgeschlossen ist . indessen, daß einzelne Akteure bei dieser Veranstaltung nicht räumlich zugegen sind, sondern per Videotechnik zugeschaltet werden 41. In Genehmigungsverfahren im Sinne von § 71a kann der Antragsteller verlangen, daß die federführende Behörde eine Besprechung mit allen beteiligten Stellen und dem Antragsteller einberuft. Für diese sog. Antragskonferenz gelten die soeben dargestellten Überlegungen gleichermaßen.
X. Der elektronische Verwaltungsakt 1. Begriff, Erlaß und Bekanntgabe Die nahezu unüberschaubare Vielfalt von Maßnahmen, die unter dem Sammelbegriff Verwaltungsakt zusammengefaßt werden (vom Rotlicht der Verkehrsampel bis zur Genehmigung eines Flughafens), läßt sich nach Maßgabe mehrerer, sich überschneidender Kriterien in verschiedene Arten unterteilen. Eines dieser Unterscheidungskriterien ist der Modus des Erlasses und damit
40 Zu den Möglichkeiten und Problemen der Information der Bevölkerung durch die Verwaltung über das Internet siehe Roßnagel (Fn. 33), S. 275 ff. 41 Siehe dazu auch oben Fn. 19.
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zugleich der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes an den oder die Adressaten. Seit dem 1. Februar 2003 bestimmt § 37 Abs. 2 Satz 1, daß ein Verwaltungsakt „schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise" erlassen werden kann. An die Seite des schriftlichen und des mündlichen ist nunmehr auch offiziell der „elektronische Verwaltungsakt" 42 getreten 43. Das Verwaltungsverfahrensgesetz bedient sich des Begriffs "elektronischer Verwaltungsakt" in § 37 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 1, § 39 Abs. 1 Satz 1 sowie § 69 Abs. 2 Satz 2. Nicht völlig klar ist, -
ob ein elektronischer Verwaltungsakt im Sinne dieser Bestimmungen schon dann vorliegt, wenn eine die Begriffsmerkmals des § 35 erfüllende Regelung elektronisch gespeichert und dem Adressaten auf elektronischem Wege - sei es per E-Mail, sei es durch Übersendung des Speichermediums (Diskette, CD) per Post oder Boten - übermittelt wird oder
-
ob zusätzlich begriffsnotwendig ist, daß das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist.
Der Beifügung einer qualifizierten elektronischen Signatur bedarf es nur dann, wenn der zu erlassende Verwaltungsakt kraft einer Rechtsvorschrift der Schriftform bedarf (§ 3a Abs. 2). Ist dies nicht der Fall, so kann der Verwaltungsakt ohne qualifizierte elektronische Signatur erlassen werden; erforderlich ist lediglich, daß das elektronische Dokument die erlassende Behörde erkennen läßt sowie die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder Beauftragten enthält (§ 37 Abs. 3 Satz 1). Auch eine solche Regelung dürfte ein „elektronischer Verwaltungsakt" im Sinne der genannten Vorschriften sein. Zutreffend schreiben Schmitz/Schlatmann44, ein elektronischer Verwaltungsakt sei dann gegeben, „wenn die regelmäßig als elektronisches Dokument erzeugte Verwaltungsentscheidung unter Nutzung eines elektronischen Speichermediums von der Behörde erlassen wird". Nach dem Willen des Gesetzgebers soll zwischen „elektronisch erlassenen" und „in elektronischer Form erlassenen" Verwaltungsakten differenziert werden 45 . Ein Verwaltungsakt ist (schon) dann „elektronisch erlassen", wenn er 42
Speziell zu ihm V. Ibisch, Der elektronische Verwaltungsakt - ein neuer Dokumententyp im Verwaltungsverfahrensgesetz, JurPC Web-Dok. 210/2001; J. Skrobotz, Probleme des elektronischen Verwaltungsakts - Anmerkungen zum Entwurf des 3. VwVfG-Änderungsgesetzes, JurPC Web-Dok. 86/2002. 43 Von ihm ist strikt der sog. automatische Verwaltungsakt zu unterscheiden, von dem § 37 Abs. 5 (früher Abs. 4) handelt. Zu ihm eingehend R.-M. Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, Berlin 1993. Dazu ferner Britz (Fn. 13), S. 230 f. 44 Schmitz/Schlatmann (Fn. 1), in NVwZ 2002, S. 1281 f f , 1286. 45 Siehe Schlatmann (Fn. 1), in: DVB1. 2002, S. 1005 f f , 1110; ders. (Fn. 1), in: L K V 2002, S. 489 f f , 492; Schmitz/Schlatmann (Fn. 1), in: NVwZ 2002, S. 1281 f f , 1286; Storr (Fn. 1), in: MMR 2002, S. 579 f f , 580 f.
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mit oder ohne qualifizierter elektronischer Signatur - dem Adressaten auf elektronischem Wege (E-Mail, Diskette, CD) übermittelt worden ist. Jn elektronischer Form" ist er hingegen nur dann erlassen worden, wenn er mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen worden ist. Rosenbach46 hat das auf die griffige Formel gebracht: Elektronische Form = elektronisches Dokument + qualifizierte Signatur". Ob diese sprachliche Unterscheidung zwischen „elektronisch" und „elektronische Form" sehr glücklich ist, wird man bezweifeln dürfen 47. Auch Satz 2 des § 37 Abs. 2 ist geändert worden. Nunmehr ist ein mündlicher Verwaltungsakt „schriftlich oder elektronisch zu bestätigen", wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und der Betroffene es unverzüglich verlangt. Im Falle einer elektronischen Bestätigung bedarf es keiner qualifizierten elektronischen Signatur, weil die elektronische Form die schriftliche nicht im Sinne von § 3a Abs. 2 ersetzt. Das Wahlrecht zwischen den beiden Formen steht nicht der Behörde, sondern dem Adressaten zu. Und schließlich ist dem bisherigen § 37 Abs. 2 ein neuer Satz 3 angefügt worden, der bestimmt, daß ein elektronischer Verwaltungsakt unter denselben Voraussetzungen wie ein mündlicher Verwaltungsakt schriftlich zu bestätigen ist und daß § 3a Abs. 2 insoweit keine Anwendung findet. Das bedeutet: Erläßt die Behörde einen Verwaltungsakt auf elektronischem Wege (ζ. B. per E-Mail), braucht sich der Adressat selbst dann, wenn er hierfür den Zugang eröffnet hat, damit nicht stets zufrieden zu geben, sondern er kann eine schriftliche Ausfertigung des Verwaltungsaktes verlangen, wenn er hieran ein berechtigtes Interesse besitzt. Ein solches wird beispielsweise dann zu bejahen sein, wenn der Adressat den Verwaltungsakt in schriftlicher Form einer anderen Behörde oder einer Privatperson vorlegen muß oder will. Zwar wird der Adressat in der Regel in der Lage sein, den elektronischen Verwaltungsakt auszudrucken, jedoch dürfte eine von der Erlaßbehörde selbst ausgefertigte schriftliche Version bei den meisten Bürgern und bei Behörden ein höheres Maß an Authentizität genießen als ein derartiger privater Ausdruck. Der ebenfalls ergänzte Abs. 3 Satz 1 des § 37 schreibt vor, daß ein schriftlicher oder elektronischer Verwaltungsakt zum einen die erlassende Behörde erkennen lassen und zum anderen die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Stellvertreters oder seines Beauftragten enthalten muß. Auch für den elektronischen Verwaltungsakt reicht mithin die Wiedergabe
46 Rosenbach, Thesen zum Vortrag: Das elektronische Verwaltungsverfahren Anpassung der Rechtsvorschriften, dargestellt am Beispiel des Verwaltungsverfahrensgesetzes, www.uni-koblenz.de/~ftvi2001 -Rosenbach-Anpassung_des_Verwaltungsverfahrensgesetzes_an_die_elektronische_Kommunikation.pdf. 47 Dies tun auch Storr (Fn. 45) und Skrobotz (Fn. 42), Abs. 24 ff. „Begriffsverwirrung").
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des Namens aus, und sie muß ausreichen, weil eine Unterschrift technisch ausgeschlossen ist. Einer qualifizierten elektronischen Signatur bedürfen elektronische Verwaltungsakte - wie bereits gesagt - nur dann, wenn für sie durch Rechtsvorschrift die schriftliche Form vorgeschrieben ist. In diesem Falle muß auch das der Signatur zugrunde liegende qualifizierte Zertifikat oder ein zugehöriges qualifiziertes Attributzertifikat die erlassende Behörde erkennen lassen (§37 Abs. 3 Satz 2) 48 . § 3a Abs. 1 knüpft den Erlaß eines elektronischen Verwaltungsakts an die Voraussetzung, daß der Adressat hierfür einen Zugang eröffnet hat. Dies kann ausdrücklich oder konkludent geschehen. Nach Meinung der Bundesregierung 49 , der sich die Literatur angeschlossen hat 50 , reicht es dafür - jedenfalls heute - nicht aus, daß der Adressat auf seinem Briefkopf eine E-Mail-Adresse angegeben hat. Eine Zugangseröffhung wird man jedoch dann annehmen dürfen, wenn der Adressat das Verwaltungsverfahren durch einen elektronischen Antrag in Gang gesetzt hat. Er kann diese Einwilligung allerdings jederzeit auch im Verlaufe eines anhängigen Verwaltungsverfahren - pro futuro zurücknehmen; dafür spricht auch der Umstand, daß er eine schriftliche Bestätigung des elektronischen Verwaltungsakts verlangen kann (s. o.). Verwaltungsakte werden nur und erst dann wirksam, wenn sie dem Adressaten oder Betroffenen bekanntgegeben worden sind (§ 43 Abs. 1). Damit stellt sich die Frage, in welchem Zeitpunkt ein elektronischer Verwaltungsakt bekanntgegeben worden ist. Der neu gefaßte § 41 Abs. 2 Satz 1 bestimmt nunmehr, daß ein elektronisch übermittelter Verwaltungsakt am dritten Tage nach der Absendung als bekannt gegeben gilt. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Verwaltungsakt per E-Mail versandt wird oder ob er auf einer Diskette oder einer CD gespeichert und diese durch Boten oder die Briefpost verschickt wird. Die Vorschrift enthält keine Fiktion 51 , sondern eine (widerlegbare) Vermutung, denn es dürfte zwar selten, aber keineswegs ausgeschlossen sein, daß die E-Mail oder die Postsendung den Adressaten erst nach drei Tagen erreicht 52. Die Vermutung des Zugangs am dritten Tag gilt nach § 41 Abs. 2 Satz 2 dann nicht, wenn der elektronische Verwaltungsakt überhaupt nicht oder zu
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Kritik an dieser Bestimmung übt Roßnagel (Fn. 1), in: NJW 2003, S. 469 f f , 473. BT-Drucks. 14/9000, S. 31. 50 Roßnagel (Fn. 1), in: NJW 2003, S. 469 f f , 472 f. m.w.N. 51 So jedoch Schmitz/Schlatmann (Fn. 1), in: NVwZ 2002, S. 1281 ff, 1288; Storr (Fn. 1, in: MMR 2002, S. 579 f f , 582, jeweils ohne Begründung. 52 Zutreffend Ibisch (Fn. 42), Abs. 15; Skrobotz (Fn. 42), Abs. 18 und 42. Auch die amtliche Begründung spricht von Vermutung: BT-Drucks. 14/9000, S. 32 (zu § 15) und S. 34 (zu §41). 49
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einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Der zweite Satzteil dieser Vorschrift bürdet der Erlaßbehörde die Beweislast dafür auf, daß der Verwaltungsakt dem Adressaten überhaupt und ggf. in einem bestimmten Zeitpunkt zugegangen ist. Das dürfte die Behörde bei elektronischen Verwaltungsakten, die per E-Mail versandt werden, vor erhebliche Probleme stellen53. Es bereitet der Behörde zwar keine Mühe, anhand des Sendeprotokolls nachzuweisen, in welchem Zeitpunkt die E-Mail versandt worden ist; in diesem Augenblick ist der elektronische Verwaltungsakt richtiger, aber sehr umstrittener Ansicht nach erlassen54, aber damit ist nicht zugleich auch der Zeitpunkt des Zugangs nachgewiesen. Die Behörde kann zwar eine Eingangsbestätigung, wie sie die E-Mail-Programme heute standardmäßig vorhalten, anfordern; es steht jedoch bei dem Adressaten, ob er die Eingangsbestätigung auch tatsächlich abschickt. Zur Zeit besitzt der Absender einer E-Mail (noch?) keine technische Möglichkeit, den Zugang nachzuweisen, wenn der Adressat nicht „mitspielt" 55 .
2. Begründung Bisher bedurften nur schriftliche und schriftlich bestätigte Verwaltungsakte einer Begründung. Nunmehr bestimmt § 39 Abs. 1 Satz 1, daß auch ein elektronischer und ein elektronisch bestätigter Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen ist. Nach wie vor keinen Anspruch auf eine Begründung hat der Adressat eines mündlichen oder eines in anderer Weise erlassenen Verwaltungsaktes. Ersterer kann sich jedoch dadurch eine Begründung verschaffen, daß er unter Berufung auf den bereits genannten § 37 Abs. 2 Satz 2 eine schriftliche oder elektronische Bestätigung des mündlich ergangenen Verwaltungsaktes verlangt.
3. Verwaltungsakte im förmlichen Verwaltungsverfahren und Planfeststellungsbeschlüsse Der unverändert weiter geltende § 69 Abs. 2 Satz 1 bestimmt, daß Verwaltungsakte, die ein förmliches Verwaltungs verfahren im Sinne von § 63 abschließen, schriftlich zu erlassen, schriftlich zu begründen und den Beteiligten
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So auch Storr (Fn. 51 ). Siehe dazu Ule/Laubinger (Fn. 17), S. 528 (§ 53 Rn. 1 und 2). 55 J. Bettendorf, Elektronischer Rechtsverkehr, in: Elektronischer Rechtsverkehr, hrsg. von Erber-Faller (Fn. 12), S. 1 ff., 29 ff. 54
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zuzustellen56 sind. Nach der Generalklausel des § 3a Abs. 2 Satz 1 kann die Schriftform durch die elektronische Form ersetzt werden. Geschieht dies, so ist der Verwaltungsakt gemäß dem neuen Satz 2 des § 69 Abs. 2 mit einer dauerhaft überprüfbaren qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen. Eine Sonderregelung für Massenverfahren 57 enthalten die Sätze 3 bis 6 (früher 2 bis 5) des § 69 Abs. 2: Sind mehr als 50 Zustellungen des Verwaltungsakts vorzunehmen, der das förmliche Verwaltungsverfahren abschließt, so können sie durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden (Satz 3). Diese wird dadurch bewirkt, daß der verfügende Teil und die Rechtsbehelfsbelehrung im amtlichen Veröffentlichungsblatt der Behörde und außerdem in örtlichen Tageszeitungen bekanntgemacht werden, die in dem Bereich verbreitet sind, in dem sich die Entscheidung voraussichtlich auswirken wird (Satz 4) 58 . Der Verwaltungsakt gilt mit dem Tage als zugestellt, an dem seit dem Tage der Bekanntmachung in dem amtlichen Veröffentlichungsblatt zwei Wochen verstrichen sind (Satz 5). Nach der öffentlichen Bekanntmachung kann der Verwaltungsakt bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist von den Beteiligten schriftlich oder elektronisch angefordert werden (Satz 6 nach Änderung); dazu bedarf es keiner qualifizierten elektronischen Signatur 59. Diese Bestimmungen verlangen zwar nicht, schließen es aber - sofern nicht § 30 entgegensteht - auch nicht aus, daß die Behörde den Verwaltungsakt „ins Netz stellt" und es dadurch allen Interessenten ermöglicht, ihn auf dem Monitor einzusehen und vielleicht sogar herunterzuladen. Die öffentliche Bekanntgabe kann dadurch freilich nicht ersetzt werden. Da § 69 gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 auf den Planfeststellungsbeschluß anzuwenden ist, gilt das soeben Ausgeführte auch für diesen.
56 Die Zustellung elektronischer Dokumente bedarf noch der Regelung. Überlegungen dazu, wie dies geschehen könnte, finden sich bei Roßnagel (Fn. 14), in: DÖV 2001, S. 221 ff., 231 m.w.N. 57 Zum Begriff des Massenverfahren und zu den einschlägigen Sonderregelungen siehe Ule/Laubinger {Fn. 17), S. 441 ff. (§ 45). 58 Vor Erlaß des Dritten Änderungsgesetzes regte Roßnagel (Fn. 14), in: DÖV 2001, S. 221 ff., 230), an, diejenigen Vorschriften, die eine öffentliche Bekanntmachung im amtlichen Veröffentlichungsblatt und in örtlichen Tageszeitungen vorschreiben (§ 63 Abs. 3, § 67 Abs. 1, § 69 Abs. 2 und § 72 Abs. 2) dahingehend zu ergänzen, daß diese Bekanntmachungen auch mit elektronischen Mitteln erfolgen können; sie könnten - so schlug er v o r - über die Homepage und über Mailinglisten verbreitet werden. Diese Anregung hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen. Das ist unschädlich, weil der Einsatz dieser Instrumente auch ohne eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung statthaft ist freilich nur als zusätzliches Informationsmittel. 59 Amtliche Begründung, BT-Drucks. 14/9000, S. 27; Schlatmann (Fn. 1), in: DVB1. 2002, S. 1007 ff., 1010; Roßnagel (Fn. 1), in: NJW 2003, S. 469 ff., 471.
E-Verwaltungsverfahren und E-Verwaltungsakt
537
XI. Schlußbemerkungen Schon dieser knappe Überblick dürfte gezeigt haben, daß das Dritte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften das Verwaltungsverfahren erheblich verändert hat. Wenn Roßnagel60 meint, seit dem 1. Februar 2003 könnten Verwaltungsverfahren vollständig elektronisch geführt werden, so trifft dies allerdings nur für einen eher kleinen Teil der Verwaltungsverfahren zu; denn in zahlreichen Fällen wird das Schriftformerfordernis und die aus ihm resultierende Notwendigkeit der Beifügung einer qualifizierten elektronischen Signatur „Medienbrüche" erzwingen, nämlich den Wechsel von der elektronischen zur Schriftform oder umgekehrt 61. Um dies tunlichst zu vermeiden und dem elektronischen Verwaltungsverfahren den Weg zu ebnen, sollten Schriftformerfordernisse in größtmöglichem Umfange abgebaut und sollte es dem Bürger und der Verwaltung gestattet sein, auf die Beifügung einer qualifizierten elektronischen Signatur durch die „Gegenseite" zu verzichten 62. Einer größeren Verbreitung der qualifizierten elektronischen Signatur und des elektronischen Verwaltungsverfahrens steht ferner im Wege, daß die Installation der notwendigen Hard- und Software selbst Experten teilweise überfordert und für technische Laien ein oft unüberwindliches Hindernis darstellt. Und selbst wenn die Installation gelungen ist, ist die praktische Abwicklung der elektronischen Signierung heute wohl noch sehr benutzerunfreundlich 63. Vor Euphorie muß daher gewarnt werden. Daß Klaus König und ich die „vollelektronische Verwaltung" noch erleben werden, erscheint mir eher unwahrscheinlich.
60
Roßnagel (Fn. 1), in: NJW 2003, S. 469 ff, 470. Zutreffend prognostiziert O. Jauernig (in dem von ihm herausgegebenen Kommentar zum BGB, 10. Aufl., München 2003) in Bezug auf § 126a Abs. 1 BGB, der mit § 3a Abs. 1 Satz 2 weitgehend inhaltlich übereinstimmt (siehe oben Fn. 7): Der Aufwand, den die elektronische Form wegen des Erfordernisses der Beifügung einer qualifizierten elektronischen Signatur verursacht, beschränke den Anwenderkreis faktisch auf Wirtschaftsunternehmen i.w.S. Für den (Normal-)Verbraucher sei die elektronische Form keine reizvolle Alternative zur gesetzlichen Schriftform. Ähnlich Groß (Fn. 1), in: DÖV 2001, S. 159 ff, 162: Im Augenblick sei die Beschaffung der Smartcard, der notwendigen Lesegeräte und der Software so aufwendig, daß zu bezweifeln sei, daß sie weite Verbreitung finden werden. Zustimmend Britz (Fn. 13), S. 224. Ebenso B. Grabow, Virtuelle Rathäuser und die MEDIA@KommModellprojekte, in: Electronic Government in Deutschland, hrsg. von H. Reinermann/J. von Lücke, Speyerer Forschungsberichte Nr. 226, Speyer 2002, S. 151 f f , 169. Schreiber (Fn. 13), S. 41 Fn. 67, beziffert die derzeitigen jährlichen Kosten für Kartenleser, Signaturkarte und Zertifizierungsdienst auf 75 bis 100 €. 62 Dafür plädiert auch Britz (Fn. 13), S. 224. 63 Sojedenfalls die Einschätzung von Grabow (Fn. 61). 61
Universitätsreform und -entwicklung internationale Trends und das Beispiel Österreich 2002 Von Franz Strehl, Linz
I. Hintergrund und internationale Trends 1. Der Wandel als Konstante Seit den 90er Jahren sind Universitätssysteme weltweit durch intensive Veränderungen und Reformen charakterisiert. Die Anforderungen und Bedürfnisse der Gesellschaft und der Anspruchsgruppen (stakeholders) verändern sich, und dies bedeutet neue Herausforderungen für die Universitäten. Nicht Stabilität sondern Transformation ist die Norm geworden. "What we know about change has changed already. " Dieses Statement gilt auch für die Universitäten bzw. Universitätssysteme und wird wohl auch für die nächsten Jahre zutreffen. Wandel, seine Ziele, seine Methoden und Instrumente führen jedenfalls immer zu kontroversiellen Debatten. Dies gilt insbesondere auch für „Expertenorganisationen"1 (i.S. der Konfigurationsmuster von Mintzberg), als solche Universitäten interpretiert werden können. Sowohl Befürworter als auch Gegner verfügen über Argumente, die ihre jeweilige Position unterstützen. Dies wird in den Reformen offenkundig und auch im Universitätsbereich werden Diskussionen über konfliktäre Grundsatzfragen geführt. Im Mittelpunkt stehen dabei insbesondere die öffentlich-rechtliche Dimension der Universitäten, die Finanzierungssicherheit und -garantie durch den Staat und die Unabhängigkeit der Universitäten, die sich vor allem in der Thematik der Freiheit der Forschung und Lehre bzw. des Lernens ausdrückt.
2. Freiheit der Forschung und Lehre Ein Kernthema im Rahmen der Reformdiskussionen ist der Stellenwert der Freiheit der Forschung und Lehre. Abgeleitet von den Kernfünktionen der Uni1
Vgl. H. Mintzberg , The Structuring of Organizations, in: H. Mintzberg, J. Β. Quinn, The Strategy Process - Concepts, Contexts, Cases, Englewood Cliffs 1998, S. 330-350.
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Franz Strehl
versität a) Entwicklung von Wissen durch Forschung und b) forschungsgeleitete Lehre sind institutionelle Autonomie und akademische Freiheit zentrale und kritische Werte des Universitätssystems. Die Sicherstellung und Aufrechterhaltung dieser Werte werden international in jeder Reform von Universitätsseite betont und eingefordert. Die Bedrohungen dieser Werte gingen aus Sicht der Universitäten vom autoritären Staat, intoleranten gesellschaftlichen Wertvorstellungen und - besonders in europäischen Ländern - von ökonomischen Zwängen und den Märkten aus, die die Wissenschaft zwingen würden, die Forschung an kurzfristigen Interessen zu orientieren, die externe Ressourcen generiert. Traditionellerweise wurde und wird argumentiert, dass universitätsintern diese Werte nur durch Kollegialorgane und durch die Partizipation der universitären Gruppen an Entscheidungsprozessen und Kontrolle sichergestellt werde und nicht durch starke Leitung und professionelles Management. Kollektive und anonyme Entscheidungen und Kontrolle durch Kollegialorgane ohne individuelle Verantwortung der Mitglieder waren die traditionellen Modi der Autoritätsausübung. Gerade in Bezug auf diese Problematik gehen die Meinungen auseinander: Formen und Inhalte der Partizipation können unterschiedlich gestaltet werden und reichen von quantitativ determinierter Mitbestimmung aller universitären Gruppen in praktisch allen Angelegenheiten bis zur qualitativen Mitbestimmung bestimmter Gruppen in bestimmten Angelegenheiten. Insbesondere die quantitativ determinierte Mitbestimmung wird vielfach als überkommener und nichtnotwendiger Konservativismus gesehen, der in der Praxis zu „organisierter Verantwortungslosigkeit" oder auch „organisierter Anarchie" i.S. des „Garbage Can Model of Decision Making" („Mülleimermodell der Entscheidungsfindung") 2 und Schwerfälligkeit führt, die Wandel und Innovation entgegenstehen. Andererseits werden diese Strukturen als eine der Stärken von Universitäten gesehen, die die Konservierung jener akademischen Werte ermöglicht, die die Weiterentwicklung von Wissen gegen die schädlichen Wirkungen zeitgeistiger Strömungen und den Druck aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft schützt. Eine zentrale Frage ist auch, wie einerseits Autonomie und Unabhängigkeit vom Staat garantiert werden können und andererseits dessen Finanzierungsverpflichtung bei gleichzeitig möglichst eingeschränkten Eingriffs- und Aufsichtsmöglichkeiten sichergestellt wird. Reformen müssen jedenfalls zwei Ansprüchen gerecht werden: Sicherstellung der traditionellen Kernwerte von Univer-
2 Vgl. J. G. March, J. P. Olsen (Hrsg.), Ambiguity and Choice in Organizations, Oslo 1982 und F. Strehl, Reformarbeit in bürokratischen Organisationen, Baden-Baden 1989, S. 112 ff.
Universitätsreform und -entwicklung
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sitäten bei gleichzeitiger Erhöhung von Effizienz und Effektivität der universitären Leistungserstellung.
3. Reformtrends Fragen wie diese mögen die Schwierigkeiten von Reformen und die Komplexität der Thematik andeuten. Sie deuten auch darauf hin, dass es sehr unterschiedliche Ansätze und Inhalte des Wandels und des Management des Wandels gibt und dass klarerweise ein kochbuchartiges „one best way" nicht existieren kann. Nichts desto weniger sind auf internationaler Ebene Trends bzw. Themen aktuell, die einige Gemeinsamkeiten aufweisen (ζ. B. präsentiert und diskutiert in OECD-Experten-Seminaren). 3 Ein wichtiger fördernder Faktor für Veränderungen ist die Ausgabendynamik in Verbindung mit den knappen Staatsressourcen. Als einer der hemmenden Faktoren fungiert das Streben universitärer Interessengruppen nach Prolongierung traditioneller Lehr- und Forschungsstrukturen, die allerdings - jedenfalls aus Sicht universitätsexterner Stakeholders - zunehmend weder als effizient noch als effektiv eingeschätzt werden. Im Weiteren ist eine Tendenz zur Nachfrageänderung zu orten: In manchen Bereichen besteht Massenstudium, in anderen Bereichen sinkende bzw. niedrige studentische Nachfrage, neue Anforderungen an lebens- und berufsbegleitende Weiterbildung, angewandte Forschung und Wissenstransfer werden artikuliert. Industrie und Wirtschaft fragen zunehmend anwendbare Forschungsergebnisse und direkten Technologietransfer nach. Sie tun dies, da auch ihre eigenen Sektoren massiven Änderungen unterliegen. Stichworte der Trends der letzten Jahre mögen dies illustrieren: Entwicklung der Hochtechnologie-Sektoren, Globalisierung, kürzere Zeiten der Vermarktung („time to market"), höhere Leistungen zu ünmer niedrigeren Kosten, stärkere Konzentration auf Returns aus Forschung und Entwicklung, Outsourcing, kritisches Infragestellen der Industrie-Gelder für Universitäten. 4 Regionen und Länder bauen auf ihre Universitäten als Institutionen, die Beiträge zu Entwicklung und Wohlstand leisten. Höhere Bildung wird als einer der Schlüssel für die bessere Positionierung im intensivierten regionalen und inter3 Tokio 2000: University and Government - changing patterns and relations. Linz 2000: University Governance: new priorities and changing structures. Prag 2001: University Governance, entrepreneurship and academic values. Amsterdam 2002: University Governance and internationalisation. Paris 2002: General Conference: Incentives and accountability: instruments of change in higher education. 4 Vgl. M. J. Kelly , The market driven university - issues for university governance, paper presented at OECD - IMHE Conference, Prague, 2001, S. 1.
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nationalen Wettbewerb gesehen. Die individuelle Universität ist mit einer zunehmenden Nachfrage nach ihren „traditionellen Leistungen", die jedoch adaptiert werden (müssen) sowie einer notwendigen Erweiterung des Leistungsangebotes konfrontiert. Internationalisierung und Liberalisierung berühren Universitäten direkt. In einer „Welt ohne Grenzen" überschreitet Bildung traditionelle geographische und konzeptionelle Grenzen und der Wettbewerb nimmt zu: Private Institutionen werden für den akademischen Markt akkreditiert und bieten (teilweise) der Universität ebenbürtige oder sogar bessere Programme an, Fachhochschulen und andere professionelle Trainingsschulen und Colleges liefern Absolventen, die die kurzfristige Nachfrage auf den Arbeitsmärkten befriedigen können. Direkte staatliche Investitionen in Forschungsinstitutionen außerhalb des Universitätsbereichs, direkte Förderungen der industriellen Forschung und internationale Forschungsprogramme determinieren die verfügbaren Ressourcen auf nationaler und internationaler Ebene, für die auch Universitäten konkurrieren. Der Trend zur Internationalisierung des Bildungssystems spiegelt sich auch in G ATS wider - General Agreement on Trades in Service - das 1995 in Kraft trat und ein Element einer breit angelegten Liberalisierungskonzeption der World Trade Organisation ist. Systeme Höherer Bildung reagieren darauf ζ. B. mit gewinnorientierten Privatuniversitäten, Konzernuniversitäten, internationaler Akkreditierung, „dual degrees", neuen Technologien im Bereich des open and distance learning. Wettbewerb bezieht sich auch auf die Attraktivität der einzelnen Universität für Wissenschafter und Studierende, auf die knappen staatlichen Ressourcen, die Federführung in und Partizipation an internationalen Forschungs-Konsortien, wodurch die Positionierung der Universität auf internationaler Ebene positiv beeinflusst wird. Die internationale Diskussion zeigt auch, dass sich Universitäten gleichzeitig auf verschiedenen „Märkten" wie Forschung, Know How Transfer, Lehre, Arbeitsmarkt positionieren (müssen) um langfristig erfolgreich agieren zu können. Eines der zentralen Reformthemen ist die Veränderung sowohl der Systemstrukturen als auch der universitätsinternen Strukturen: Einerseits geht es um die Reduzierung bzw. Beendigung detaillierter und zentralisierter staatlicher Regelungen und der formalen inputorientierten Spielregeln und Prozeduren der Ressourcenallokation. Andererseits soll gleichzeitig die Autonomie und Verantwortung der einzelnen Universität erhöht werden. Das Ziel ist eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit, eine effizientere und effektivere Verwendung der Ressourcen und insgesamt eine verbesserte Kapazität „Marktbedürfnisse" abzudecken. In vielen Ländern (insbesondere OECD) führten und führen politische Veränderungen zu neo-liberalen Entwicklungen, die den Glauben an die Wirksamkeit von Management-Konzepten zur Steuerung von öffentlichen Institutionen
Universitätsreform und -entwicklung
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in den Vordergrund rücken: Unternehmensorientierte Führungskonzepte, starke Führung, Strategieentwicklung werden betont. „Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit" sind wesentliche Ansatzpunkte und Kriterien für gute Führung. Prinzipien und Instrumente des „New Public Management" („Wirkungsorientierte Verwaltungsführung") werden auch als „passend" für Universitäten gesehen und bedeuten diesbezüglich einen Paradigmenwechsel, der durch zwei Tendenzen charakterisiert ist: -
Verstärkter Fokus auf Ergebnisse im Sinne von Effizienz, Effektivität und Qualität der Leistungen;
-
Veränderung zentralistischer bürokratischer Strukturen in Richtung dezentralisierter, Management-orientierter Systeme.
Die Beziehungen zwischen Regierung (Ministerium) und Universitäten werden verändert. Zentralistische „Planwirtschaft" wird durch die Setzung von politisch-strategischen Rahmenbedingungen, Leistungsvereinbarungen in Verbindung mit Globalbudgets, Marktelementen, Selbststeuerung und Rechenschaftslegung ersetzt. Neuen Formen der Beziehungsgestaltung kommt damit ein hoher Stellenwert zu. Die Autonomie wird durch Dezentralisierung von Kompetenzen und Verantwortung für Innovation, Leistung und Output erhöht. Konzepte wie Strategieentwicklung, Zielorientierung, Wettbewerb, Marketing sind für Universitäten gängig geworden und entsprechende Instrumente wie z.B. Controlling, Kosten- und Leistungsrechnung, Planungs- und Kontrollsysteme, Globalbudgets, Management by Objectives, Leistungsbeurteilung und Leistungsvereinbarungen werden eingeführt.
II. Die Universitätsreform 2002 in Österreich 1. Grundlagen und Ziele Auch Österreich folgt diesen internationalen Entwicklungen, und die österreichische Universitätsreform 2002, fixiert im Universitätsgesetz 2002 (UG 2002)5 zeigt dies deutlich. Dieses Gesetz stellt eine wichtige Weiterentwicklung der (Organisations-)Reform von 1993 (Universitätsorganisationsgesetz - UOG 93) dar. Es ist relativ „schlank" und ein wesentliches Anliegen ist, eine Konzeption zu schaffen, die bisher in verschiedenen Gesetzen verankerte, nicht aufeinander abgestimmte Materien universitätsspezifisch so weit wie möglich zu harmonisieren und integrieren. Dies bezieht sich insbesondere auf die Bereiche Organisation, Leitung und Steuerung, Budget, Personal und Studien. Insbeson-
5 Universitätsgesetz 2002, Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, 120. Bundesgesetz, Wien 9. August 2002. http://www.unigesetz.at/.
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Franz Strehl
dere im Organisations- und Steuerungsbereich kommen Prinzipien des New Public Management zum Tragen. Im Vordergrund stehen aus dieser Sicht insbesondere folgende Ziele: -
Autonomie, Dezentralisierung,
-
Eigenverantwortlichkeit,
-
Starke Führung,
-
Diversifikation und Profilbildung,
-
Erhöhung der Effizienz und Effektivität in Forschung, Lehre, ServiceFunktionen,
-
Rationale Ressourcenverwendung,
-
Klare Ziele, Strategien, Transparenz,
-
Erhöhung der Marktorientierung und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit,
-
Innovative und international kompatible Curricula.
Die erhöhte Autonomie der einzelnen Universität wird als eine wichtige Voraussetzung für den nachhaltigen Erfolg von Universitäten gesehen. Dieses Ziel ist seit 1990 ein erklärter Schwerpunkt der österreichischen Wissenschaftspolitik. Auch die Österreichische Rektorenkonferenz und die Vertreter der obersten Kollegialorgane argumentieren, dass die Universitäten zur besseren Wahrnehmung ihrer Aufgaben ein höheres Maß an Autonomie durch den Ausbau von Handlungs- und Verantwortungsstrukturen benötigten. Dazu gehört eben die Reform der dienst-, haushalts-, und organisationsrechtlichen Rahmenbedingungen und der Abbau der Regelungsdichte.6 Mehr Wettbewerb, erhöhte Kompetenzen und Verantwortung, differenzierte Mitbestimmung und Zielvereinbarungen mit dem Staat werden als wichtige Faktoren für eine erhöhte Leistungsfähigkeit gesehen. Die Steigerung von Qualität und Leistung wird im Rahmen des europäischen und weltweiten Wettbewerbs als wesentlicher Faktor für eine erfolgreiche Positionierung gesehen. Elemente dafür sind die Sicherstellung und Garantie der „Freiheit für Forschung, Lehre und Künste, die Zusammenführung von Entscheidung und Verantwortung, die schlanke Verwaltung, der optimale Einsatz von Ressourcen, die qualitative Mitbestimmung, das gesicherte Globalbudget bei eigenständiger Finanzgebarung, die Qualitätssicherung und das Erarbeiten von Entwicklungsprogrammen und Profilen". 7
6 Österreichische Rektorenkonferenz, Vertreter der obersten Kollegialorgane: „Universitätspolitische Leitlinien", Wien 1998, S. 7. 7 Bundesministerium fur Bildung, Wissenschaft und Kultur (bm:bwk), 5 gute Gründe für die Autonomie der Universitäten, Wien 2001, S. 3.
Universitätsreform und -entwicklung
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Autonomie für Universitäten bedeutet mehr dezentralisierte Gestaltungsfreiheit verknüpft mit einem gesicherten Finanzierungsrahmen. Staat und Regierung tragen die bildungspolitische Gesamtverantwortung und damit auch die Finanzierungsverpflichtung. Die Universitäten sind Personen des öffentlichen Rechts und weiterhin staatliche Einrichtungen, die staatlichen Vorschriften werden jedoch deutlich reduziert. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die neue Freiheit der organisatorischen Gestaltung jeder Universität. Die diesbezüglichen Regelungen sind minimal, es werden jedoch einige Grundprinzipien verankert: Eine klare Kompetenzverteilung mit der entsprechenden Verantwortung stehen im Mittelpunkt. Für das Management der Universität wird eine effiziente Grundstruktur konzipiert, die definierten und normierten Bereiche sind der Universitätsrat, der Rektor (Rektorat) und der Senat. Die Universität hat die Möglichkeit, selbst ihre weitere Aufbau- und Ablauforganisation situations- und anforderungsgerecht zu gestalten.8 Hinzu kommt eine Neukonzeption der Mitbestimmung in Richtung einer deutlichen Redimensionierung der Mitbestimmung in paritätisch besetzten Gremien. Qualitative Mitbestimmung anstelle der traditionellen quantitativen Mitbestimmung soll die Qualität der Entscheidungen erhöhen. Relativ hohe Bedeutung kommt der Mitbestimmung durch die Studierenden in den für sie relevanten Bereichen zu und ist explizit geregelt. Es ist wichtig, zu betonen, dass die Freiheit der Forschung und Lehre, die Verantwortung des Staates für Bildung und Wissenschaft sowie die Verantwortung des Staates für die Finanzierung der Universitäten wesentliche Eckpfeiler des Systems sind und bleiben. Ein wesentliches Anliegen einer Universitätsreform muss es sein, dass einerseits die Freiheit gegeben ist und andererseits ihr Missbrauch verhindert wird. 9 Die Freiheit der Wissenschaften und ihrer Lehre und die Freiheit des wissenschaftlichen und künstlerischen Schaffens, der Vermittlung von Kunst und ihrer Lehre, die Vielfalt wissenschaftlicher und künstlerischer Theorien, Methoden und Lehrmeinungen sowie die Lernfreiheit sind als Leitende Grundsätze in § 2 UG 2002 verankert. Als wichtige Grundpfeiler des neuen Systems werden die dreijährige Leistungsvereinbarung, das dreijährige Globalbudget und die Organisationsprinzipien konzipiert. Diese drei Bereiche sollen im Folgenden charakterisiert werden.
8
bm:bwk, Autonomie (Anm. 7), S. 6. H. Mayer, Die Universitäten im Verfassungsgefuge, in: Höllinger/Titscher (Hrsg.), Die großen Themen der Universitätsreform - Das Universitätsgesetz 2002, Manuskript 2002, S. 1, (erscheint 2003). 9
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Franz Strehl
2. Leistungsvereinbarung Die Leistungsvereinbarung, geregelt in § 13 UG 2002, ist ein öffentlichrechtlicher Vertrag und wird auf 3 Jahre zwischen der Universität und dem Bundesministerium fur Bildung, Wissenschaft und Kultur abgeschlossen. Die Grundkonzeption der LeistungsVereinbarung wurde u.a. in Anlehnung an internationale Beispiele und Erfahrungen entworfen. Diese zeigen, dass die Funktionalität von Leistungsvereinbarungen in erster Linie in der langfristigen Gestaltung von Beziehungen zwischen zwei „Partnern" besteht, die für die Erreichung der Ziele voneinander abhängen. Die Wirksamkeit von Leistungsvereinbarungen erst aus dem kontinuierlichen Dialog zwischen Universität und Ministerium sowie gegenseitigem Vertrauen zwischen den Partnern entsteht.10 Die Philosophie der Leistungsvereinbarung beruht auf Dialog und gegenseitigem Vertrauen zwischen Partnern. Es wird angenommen, dass die Entwicklung der Vereinbarung und die Verhandlungen einen permanenten Lernprozess für beide Parteien darstellen, der zur Weiterentwicklung der Konzeption und Funktionalität wesentlich beiträgt. Die Leistungsvereinbarung erfordert eine systematische Definition von Wirkungen, die eine Universität im Rahmen ihrer Aufgaben und mit den zur Verfügung gestellten Budgets und Ressourcen erzielen will und kann. Dadurch soll in Verbindung mit erhöhter Autonomie, neu gestalteten Universitätsstrukturen, Globalbudgets und neugestalteten Budgetierungsprozessen - die Effizienz und Effektivität der Universitäten erhöht werden. In der Leistungsvereinbarung werden die von der jeweiligen Universität zu erbringenden Leistungen, die Leistungen des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur und die Verfahrensregeln festgelegt. Die Finanzierung der Universitäten ist eine öffentlich-rechtliche Pflicht des Staates und als Rechtsanspruch durchsetzbar. Weiters werden in der Leistungsvereinbarung Regelungen über die Berichtslegung und die Finanzierungsmodalitäten getroffen. Durch die Leistungsvereinbarung ist für beide Partner eine mehrjährige Planungssicherheit gegeben. Die Inhalte der Leistungsvereinbarung sind in § 13 (2) UG 2002 geregelt und werden im Folgenden kurz beschrieben. 11
10
OECD, PUMA/P AC, Performance Contracting: Lessons from Performance Contracting Case Studies: A Framework for Public Sector Performance Contracting, Paris 1999, S. 52 ff. 11 Vgl. auch M. Sebök, Universitätsgesetz 2002, Gesetzestext und Kommentar, Wien 2002, S. 57 ff.
Universitätsreform und -entwicklung
a) Leistungsverpflichtung
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der Universität
Inhalte der LeistungsVereinbarung sind insbesondere: -
Strategische Ziele, Profilbildung und Universitäts- und Personalentwicklung: Mit der Festlegung strategischer Ziele beschreibt die Universität ihre mittelbis langfristig gültigen Zielsetzungen. Profilbildung heißt, dass die Universität bestimmt, worin sie ihre besonderen Stärken und Kompetenzen sieht und welche vorhandenen Kapazitäten so ausgebaut werden können, dass sich die Universität international am Bildungs- und Forschungsmarkt erfolgreich positionieren kann. Die Universitätsentwicklung beinhaltet die Abstimmung von Profilentwicklung und strategischen Zielen: Sie umfasst die langfristige Verteilung universitätsspezifischer Ressourcen, die zur geplanten Profilbildung und zur Zielerreichung beitragen sollen.
-
Forschung sowie Entwicklung und Erschließung der Künste: Definition der geplanten und weiterführenden Projekte
-
Studien und Weiterbildung: Beschreibung der allgemeinen Lehr- und Lernkonzepte der Universität für den Studienbetrieb und die Weiterbildung; die Studienrichtungen und die Lehrangebote werden quantitativ und qualitativ dargestellt. Weitere Themen sind die Evaluationen der Lehrveranstaltungen durch Studierende. Die Belegung der Angaben erfolgt durch entsprechende Statistiken über die quantitativen Entwicklungen.
-
Gesellschaftliche Zielsetzungen: Hierunter fallen gesellschaftlich wünschenswerte, von der Politik formulierte Vorgaben oder von der Universität an sie herangetragene Anregungen, wie z.B.: ein bestimmter Anteil von Frauen in leitenden Positionen, oder auch die Forderung, das Studium durch spezifische Angebote für Berufstätige attraktiv zu machen, der Ausbau von gesellschaftlich relevanten KunstKultur- und Forschungsbereichen sowie der Wissens- und Technologietransfer.
-
Erhöhung der Internationalität und Mobilität: Pläne und Aktivitäten in Bezug auf mehrjährige internationale Kooperationen, gemeinsame Studien- und Austauschprogramme für Studierende und das wissenschaftliche und künstlerische Personal sowie auf die Erhöhung des Anteils ausländischer Studierender und Postgraduierter.
-
Interuniversitäre Kooperationen: Gemeinsame Nutzung von Organisationseinheiten und Leistungsangeboten mit anderen Universitäten. Informationen über Bereiche, das Ausmaß und die Auswirkungen der Kooperationen mit anderen österreichischen Universitäten.
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Franz Strehl
b) Leistungsverpflichtung
des Bundes
Im Rahmen der Leistungsvereinbarung besteht die zentrale Verpflichtung des Bundes in der Zuteilung des Grundbudgets an die Universitäten. Die Kriterien für das Grundbudget müssen hierbei berücksichtigt werden (siehe dazu auch den Punkt „Grundbudget").
c) Weitere verpflichtende
Punkte
Weitere „Muss-Punkte" in der Leistungsvereinbarung sind: Angaben über Inhalt, Ausmaß und Umfang der Ziele sowie Zeitpunkt der Zielerreichung; Aufteilung der Zuweisung des Globalbudgets auf das Budgetjahr; Maßnahmen im Falle der Nichterfüllung der Leistungsvereinbarung; Berichtswesen und Rechenschaftslegung.
3. Globalbudget Globalbudgets sind wie Leistungsvereinbarungen eines der zentralen Themen des New Public Management. Es wird argumentiert dass die traditionelle Budgetierung für eine leistungsorientierte Steuerung der öffentlichen Verwaltung nicht geeignet sei: Sie bewirke eine überdetaillierte operative Ressourcensteuerung ohne direkten Bezug zu Leistungen und Wirkungen. Das Prinzip der Globalisierung beruht auf der Annahme, dass die dezentralen Organisationseinheiten wesentlich besser in der Lage sind als die Zentralstelle, ihre eigenen Anforderungen und Prioritäten festzulegen. Globalisierung verändert die Rollenverteilung zwischen den Institutionen: Die detaillierten Entscheidungen im Tagesgeschäft werden aus den Ministerien ausgegliedert und ermöglichen den dezentralen Einheiten freiere Entscheidungen ohne Rücksprache. Das im österreichischen Universitätsgesetz konzipierte Globalbudget wird jeweils für drei Jahre im Voraus festgelegt und setzt sich aus einem Grundbudget und einem formelgebundenen Budget zusammen. Das zugewiesene Globalbudget ist für die Universität völlig frei disponierbar. Die Universitätsleitung kann im Rahmen der Leistungsvereinbarung frei und eigenverantwortlich über die Budgetverteilung und -Verwendung entscheiden. 12 Im Gesetz sind Modalitäten etwaiger Reduktionen (bei Nicht-Erfüllung
12 Vgl. UG 2002 Erläuterungen zu § 12, (7) in: Sebök, Universitätsgesetz (Anm. 11), S. 50 ff. und auch http://www.unigesetz.at/.
Universitätsreform und -entwicklung
549
der Leistungsvereinbarung) und von Anreizen fur die ersten Jahre der Einfuhrung vorgesehen.13 Die Universität muss Einnahmen aus Drittmitteln und Erträge aus Veranlagungen ausweisen. Sie verbleiben der Universität und reduzieren nicht die Höhe der staatlichen Zuweisungen.
a) Grundbudget Das Grundbudget wird als Grundfinanzierung auf Grund der Leistungsvereinbarung festgelegt und ist dementsprechend auch in § 13 (4) geregelt. Folgende Kriterienkategorien bilden die Basis fur die Verhandlung und sind für die Bemessung des Grundbudgets maßgebend: „Bedarf 4 , „Nachfrage", „Leistung " und „gesellschaftliche Zielsetzungen". Diese Kriterien sind in der Leistungsvereinbarung unter Bedachtnahme auf § 2 (Leitende Grundsätze) und § 3 (Aufgaben) zu konkretisieren. -
Bedarfskriterien Der Bedarf umfasst insbesondere Personal, Ausstattung (Anlagevermögen), Ersatzinvestitionen, Instandhaltung und die laufenden Ausgaben.
-
Nachfragekriterien Nachfragekriterien beziehen sich vorwiegend auf die studentische Nachfrage nach bestimmten Studien und auch auf Bedarfe von Abnehmern von Absolventinnen und Absolventen. Auch die Nachfrage nach Ergebnissen auf bestimmten Forschungsfeldern kann hier berücksichtigt werden.
-
Leistungskriterien „Leistung" bezieht sich insbesondere auf die Erreichung der Ziele in Forschung, in Lehre und bei der Organisation des Lernens, bei der Entwicklung, Erschließung und Vermittlung der Künste und bei der Weiterbildung.
-
Gesellschaftliche Kriterien Diese beinhalten etwa die Gleichstellung der Geschlechter, Leistungen für Berufstätige bzw. Teilzeitstudierende, Maßnahmen für Behinderte, Auslandsaufenthalte von Studierenden, ausländische Studierende.
Die Finanzierung des Grundbudgets erfolgt nicht formelgebunden. Es ist keine direkte Verknüpfung von Einzelkriterien und Budgetanteilen vorgesehen.
13
UG 2002, (Anm. 5), § 12.
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b) Formelgebundenes Budget Der Teilbetrag des formelgebundenen Budgets beträgt 20% des zur Verfügung stehenden Gesamtbetrages. Die auf die einzelnen Universitäten entfallenden Anteile werden anhand von qualitäts- und quantitätsbezogenen Indikatoren bemessen. Diese beziehen sich auf Lehre, Forschung oder Entwicklung und Erschließung der Künste sowie gesellschaftliche Zielsetzungen.14 Das Ministerium wird die Indikatoren nach Anhörung der Universitäten durch Verordnung bis spätestens Ende 2005 festsetzen. Diese Indikatoren repräsentieren direkte staatliche Zielsetzungen. Die Indikatoren selbst bilden bestimmte Ergebnisse der Entwicklung der Universität in Lehre, Forschung und gesellschaftlichen Aspekten ab. Das formelgebundene Budget jeder wissenschaftlichen bzw. künstlerischen Universität verändert sich gemäß ihren Ergebnissen im Vergleich zum Durchschnitt aller wissenschaftlichen bzw. künstlerischen Universitäten. Damit ist hier ein Wettbewerbselement um knappe Ressourcen eingebaut. Für alle Universitäten gelten zwar die gleichen Indikatoren, jedoch mit individuellen, quantitativen Unterschieden, die von der Ausgangssituation bestimmt werden: Sie bilden bestimmte Volumina bzw. Leistungen der jeweiligen Universität in Bezug auf Lehre, Forschung oder Entwicklung und Erschließung der Künste sowie gesellschaftliche Aspekte ab und beziehen diese auf das Budget der Universität. Dadurch werden einerseits das historisch gegebene Budget und andererseits die gegenwärtige Ausgangssituation der Universität berücksichtigt.· 5
4. Berichtswesen und Rechenschaftslegung a) Leistungsbericht und Rechnungswesen Der Leistungsbericht bezieht sich direkt auf die im Gesetz normierten Aufgaben sowie die Ziele in der Leistungsvereinbarung. Das Rechnungswesen beruht auf dem Handelsgesetzbuch. Damit wird im Universitätssystem ein völlig neues und verändertes Rechnungswesen und Berichtssystem eingeführt, das das traditionelle Haushalts- und Rechnungswesen des Bundes aufgibt und neue Dimensionen der Verantwortung und Rechenschaftslegung für die Universitätsleitung bringt. Die bereits bisher verpflichtende Kosten- und Leistungsrechnung ist weiterzuentwickeln. 14
UG 2002 (Anm. 5), § 12(8). Vgl. H. Biedermann, F. Strehl, Leistungsvereinbarung, S. Titscher (Hrsg.), Universitätsreform (Anm. 9), Manuskript S. 20. 15
in:
S. Höllinger,
Universitätsreform und -entwicklung
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b) Wissensbilanz Ein Novum ist auch die Einführung der Wissensbilanz, die in Anlehnung an Entwicklungen in der Privatwirtschaft konzipiert wurde. Dargestellt werden gemäß § 13 (6): -
der Wirkungsbereich, gesellschaftliche Zielsetzungen, selbst definierte Ziele und Strategien;
-
das intellektuelle Vermögen, differenziert in Human-, Struktur- und Beziehungskapital;
-
die in der Leistungsvereinbarung definierten Leistungsprozesse mit ihren Outputgrößen und Wirkungen.
Mit einer „Wissensbilanz" legt die Universität eine Bestandsaufnahme des zurzeit in der Organisation verfügbaren Wissens vor, das für die Forschungs-, Lehr-, Lern-, Weiterbildungs- und Verwaltungsprozesse wichtig ist, und auf das zugegriffen werden kann. Diese Form der „Bilanz" soll der Tatsache Rechnung tragen, dass für Universitäten - mehr noch als für andere Organisationen - Wissen ein zentraler Produktionsfaktor ist. 16 Wichtige Funktionen der Wissensbilanz sind: Betonung der Output- und Outcome-Orientierung, Informationslieferung für Forschungsmanagement, Instrument für Profildesign und Strategieentwicklung, Steuerungsgrundlage für Ressourcenallokation, Beitrag zur SWOT - Analyse (Stärken, Schwächen, Chancen, Risiken), gezielte Informationslieferung für externe Anspruchsgruppen.
5. Organisation und Leitung Wesentliche Themen der Organisationsreform sind die Beziehungsgestaltung zwischen Staat und Universität, die universitätsinternen Strukturen sowie die Neugestaltung der Leitungsorgane und die Stärkung des Rektors bzw. des Rektorates. Auch die Modalitäten der Wahl bzw. Bestellung von Inhabern von Führungsfünktionen werden im Vergleich zu den bisherigen Verfahren entscheidend verändert. Insbesondere wird das Prinzip der doppelten Legitimation eingeführt: Die Entscheidungsträger sollen sowohl von denen legitimiert werden, über die sie entscheiden, als auch von denen, von deren Entscheidungen sie selbst abhängig
16 Vgl. H. Biedermann, J. Fröhlich, Wissensbilanzierung für Universitäten, Projektbericht 2001, auch [http://www.weltklasse-uni.at/materialien].
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sind. Durch einen solchen Modus soll sichergestellt werden, dass nur solche Kandidaten zum Zuge kommen, die ein Mindestmaß an Übereinstimmung mit den jeweils übergeordneten Zielen aufweisen, sich gleichzeitig aber auch der Unterstützung ihrer jeweiligen organisatorischen Einheiten erfreuen. Zur internen Strukturierung der Universität bestehen nur wenige Regelungen, diese wird den zuständigen Organen überlassen. Damit wird den jeweiligen Bedürfnissen und internen Erfordernissen der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit breiter Raum gegeben. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die wichtigsten Führungsfunktionen des neuen Systems gegeben werden.
a) Bundesministerium Parlament und Bundesministerium setzen den politischen und strategischen Rahmen für alle Universitäten. Der neu eingerichtete Wissenschaftsrat (§ 119) hat hierbei beratende Funktionen in den Angelegenheiten der Universitäten und Fragen der Wissenschaftspolitik und Kunst für das Bundesministerium. Dabei soll auch internationalen Entwicklungen Rechnung getragen werden. Hauptaufgaben des Bundesministeriums sind insbesondere: Verhandlung der Leistungsvereinbarungen, Budgetzuweisung, Gesamtsteuerung des Systems, Rechtsaufsicht, Gesamtkoordination der nationalen Wissenschafts- und Bildungspro file, Gesamtkoordination im Hinblick auf internationale Entwicklungen.
b) Universitätsrat Der Universitätsrat besteht aus 5, 7 oder 9 Mitgliedern, die in verantwortungsvollen Positionen tätig sind oder waren. Es darf sich nur um universitätsexterne Persönlichkeiten handeln. Der Universitätsrat ist als unabhängiges, kleines und daher handlungsfähiges Organ konzipiert. Die Funktionsperiode ist 5 Jahre. Die Konstruktion soll gewährleisten, dass er eine Mittlerrolle zwischen Staat, Gesellschaft und Universität spielen kann. Die Mitglieder werden einerseits vom Senat gewählt, andererseits auf Vorschlag des Bundesministers von der Bundesregierung bestellt. 1 weiteres Mitglied wird von den gewählten/ bestellten Mitgliedern einvernehmlich bestellt. Bei Nicht-Einigung wird dieses Mitglied vom Senat aus einem Dreiervorschlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ausgewählt. Der Universitätsrat hat gemäß § 21 insbesondere Funktionen in Bezug auf die Wahl des Rektors, Genehmigung, Kontrolle, Information, Stellungnahmen. Er erfüllt seine Funktionen vor allem auf Grund der Vorlagen des Rektors bzw. Rektorats. Er hat Kontroll- und Steuerungsaufgaben und soll darüber hinaus
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Aufsichtsfunktionen übernehmen, die bisher dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur zukamen.17 Der Universitätsrat wählt den Rektor aus dem Dreiervorschlag des Senats und schließt mit ihm den Arbeitsvertrag und die Zielvereinbarung ab. Des Weiteren genehmigt er: Entwicklungsplan, Organisationsplan, Entwurf der Leistungsvereinbarung, Geschäftsordnung des Rektorats, Gründung von Gesellschaften und Stiftungen, Rechnungsabschluss und Leistungsbericht, Richtlinien für die Gebarung, Richtlinien für die Bevollmächtigung von Arbeitnehmern. Er nimmt Stellung zu den Curricula und zu den Studienangeboten außerhalb der Leistungsvereinbarung, bestellt den Abschlussprüfer zur Prüfung des Rechnungsabschlusses und gibt die Zustimmung zu erhöhten Verbindlichkeiten. Er hat Berichtspflicht an den Bundesminister bei schwerwiegenden Rechtsverstößen sowie bei Gefahr wirtschaftlichen Schadens.
c) Kollegiale Führung Die Universitätsleitung besteht aus einer kollegialen Führung, dem Rektorat. Das nach dem bisherigen Gesetz bestehende Konzept eines alleinverantwortlichen Rektors mit weisungsgebundenen Vizerektoren wird auch aus Gründen der Komplexität und des Umfanges der Aufgaben durch ein teamorientiertes Konzept mit einem Rektor und mit maximal 4 Vizerektoren ersetzt. Die Vizerektoren werden vom Universitätsrat auf Vorschlag des Rektors gewählt. Die Funktionsperiode ist 4 Jahre. Bei allen Entscheidungen, die nicht zum täglichen Geschäftsbetrieb gehören, sollte grundsätzlich das „4-Augen-Prinzip" Anwendung finden: Weit reichende Entscheidungen sollten von zumindest zwei Mitgliedern des Rektorats getroffen werden. Entscheidungen in wirtschaftlichen Angelegenheiten müssen jedenfalls zumindest von zwei Mitgliedern des Rektorats getroffen werden.
aa) Rektorat Das Rektorat leitet die Universität und vertritt diese nach außen. Dem Rektorat unterstehen alle Einrichtungen der Universität. 18
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Vgl. Sebök, Universitätsgesetz, (Anm. 11), S. 85. UG 2002 (Anm. 5), § 22.
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Wichtige Aufgaben des Rektorates sind insbesondere der Entwurf von: Leistungsvereinbarung, Geschäftsordnung des Rektorates, Entwicklungsplan der Universität, Organisationsplan der Universität, Satzung. Das Rektorat hat Entscheidungskompetenzen insbesondere auch in Bezug auf Personal- Budget- und Studienangelegenheiten, Evaluierungen, Berichtswesen, Richtlinien für Bevollmächtigungen im Namen der Universität Rechtsgeschäfte mit Dritten abzuschließen.
bb) Rektor Der Rektor ist Sprecher und Vorsitzender des Rektorats und oberster Vorgesetzter des gesamten Universitätspersonals. Er hat insbesondere folgende Aufgaben:19 Verhandlung und Abschluss der Leistungsvereinbarung mit dem Minister; Abschluss des Arbeitsvertrages mit den Vizerektoren; Führung von Berufungsverhandlungen; Abschluss von Arbeits- und Werkverträgen; Erteilung von Vollmachten, im Namen der Universität Rechtsgeschäfte mit Dritten abzuschließen.
d) Senat Der Senat besteht aus 12 - 24 Mitgliedern. Die Professoren verfügen über die absolute Mehrheit, die Studierenden über 25%, Assistenten, Verwaltungspersonal ( 2 - 5 Sitze). Die Funktionsperiode des Senats ist 3 Jahre. Der Senat hat insbesondere das Recht auf Erlassung und Änderung der Satzung, Ausschreibung der Funktion des Rektors und Erstellung eines Dreiervorschlages für die Wahl an den Universitätsrat; Stellungnahme zu Entwicklungsund Organisationsplan, Stellungnahme zu den Vorschlägen des Rektors bezüglich der Vizerektoren; Mitwirkung an Habilitationsverfahren und Berufungsverfahren; Erlassung der Curricula für ordentliche Studien und Lehrgänge; akademische Angelegenheiten und Studienangelegenheiten; Stellungnahme an das Rektorat von der Zuordnung von Personen zu einzelnen Organisationseinheiten durch das Rektorat; Änderung der Größe des Universitätsrates und Wahl von Mitgliedern des Universitätsrates. 20
19 20
UG 2002, (Anm. 5), § 23. UG 2002, (Anm. 5), § 25.
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6. Resümee Die Kompetenz- und Verantwortungsverteilung zwischen Universitätsrat, Rektorat/Rektor und Senat bietet zwar einerseits die Grundlage für strategische Gestaltungsmöglichkeiten des Rektorats und des Rektors, andererseits bestehen jedoch auch sowohl von Seiten des Senats in Bezug auf Studienangelegenheiten jedoch insbesondere von Seiten des Universitätsrats durch dessen Genehmigungsfunktionen in wichtigen Belangen starke Positionen, die die Entscheidungsspielräume des Rektorats/Rektors determinieren können. Durch die Konstruktion des Rektorats tritt einerseits der Teamgedanke in den Vordergrund, andererseits aber auch die gegenseitige interne Kontrolle. Der Rektor hat für monokratische Entscheidungen einen geringen Spielraum. Dies reduziert das Potential der Willkür bei Einzelentscheidungen und erhöht bei gutem Funktionieren des Rektoratsteams und bei sachlichem und konstruktivem Umgang mit Konflikten die Basis für die strategisch wichtigen Entscheidungen bzw. Entscheidungsvorbereitungen. Die Neukonzeption der Governance-Modalitäten des österreichischen Universitätssystems mit Dezentralisierung, Autonomie, Finanzierungsmodalitäten und neuen Strukturen als wichtige Innovationen und den entsprechend systematisch abgestimmten Instrumenten bietet gute Chancen der Realisierung der Zielsetzungen eines modernen, auch nach internationalen Beispielen entwickelten Konzepts und damit der verbesserten Positionierung in Wirtschaft und Gesellschaft sowie im internationalen Wettbewerb.
Reorganisations at the Ministries of Justice, of Agriculture, Nature and Fishery, and of Public Health, Welfare and Sport By Walter J. M. Kickert, Rotterdam
I. Introduction The study of reorganisations at three ministries 1, which is summarised in this article, attempts to give an insight in the complexity of a large intricate organisation like a ministerial department. In our „enlightened" Western culture complexity is normally reduced by bringing in order and coherence. Scientific researchers usually do that with analyses and explanations by means of models and theories. Complexity is reduced to feasible dimensions, aspects, facets. In this study a choice was made not to reduce complexity but to accept and present it as such. The intricate complexity, the multitude, the differences, the contradictions, were not reduced but displayed. The study offered „real" sight of the complexity of large organisations, a view behind the screens by means of „real" information (not filtered by beautiful scientific models, theories and analyses) and „basic" information of the people that had experienced the reorganisation, of their perceptions, pictures, views, ideas, opinions, norms and judgements, their „stories". At first the „official stories" of the reorganisations will be presented, which are primarily based on official documents. However, one single „objective truth" does not exist. Every participant has his or her own perceptions, opinions and judgements. The interviews conducted for the study showed that respondents had many different views and opinions and told many different „stories" about one and the same reorganisation - not only many stories, but also different, and often conflicting stories. In this multitude of different and conflicting views, opinions and stories no analytical ordering and coherence was introduced, except a division in chapters 1
This article is a summary of a 186 pages Dutch book presenting a social reconstruction of the three reorganisations in terms of the „stories" actors told (W.J.M. Kickert/F.B. van der Meer, Stories about Change. Elsevier Business Information, The Hague, 2002).
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along four approaches. In order to understand the complex reality of the intricate phenomenon „organisation" one has to look at it from different points of view (cf. Morgan's „images of organizations"). In the study we adopted besides a classical „management and organisation" approach in terms of tasks, responsibilities and structure, also a „politics and governance" approach in terms of society, policy, politics and governance, as well as a „departmental culture" approach in terms of behavioural patterns, norms and values. Finally it was inevitable also to take the factor „persons" into account. Personalities of ministers and top-officials played a crucial role in the investigated reorganisations.
I I . Brief overview of the „official stories" of the three reorganisations 1. Reorganisation at the Ministry of Justice 1994-1996: Transformation to core-department At the end of 1993 plans for the reorganisation of the ministry were developed. Main points were the separation between policy-making and execution, the „autonomisation" of executive units (the Immigration and Naturalisation Office became an agency in 1994, the Prison Services Office became an agency in 1995, the Office for reception of asylum seekers became autonomous in 1994), steering at a distance, and policy integration. Early 1994 a „governing council" was established, a collegially functioning team of the new secretary-general and the three directors-general, who no longer had a hierarchical responsibility for their former directorate-generals. Change managers for the reorganisation were appointed, and „quartermasters" (the future directors) for the new parts of the future department. In the new steering philosophy all policy-making units (except the legislative one) were merged in one central cluster, and all administrative units were merged. A new central „steering unit" would take care of the interactions within the ministry and between the ministry and the executive units. A kind of central stage director was introduced as intermediary between all units. In April 1995 the new organisation of the ministry started. In February 1996 the „governing council" was abolished and the reorganisation undone. The minister was disappointed about her top-officials. A number of political incidents, affairs and crises had led to her distrust in the loyal competent support of the top-officials. At the end of 1995 she hired a consultancy firm to evaluate the reorganisation. The consultants reported an enormous resistance against the reorganisation. Many officials were unclear and insecure about their future position. There was a lack of clear unambiguous leadership. The organisation seemed in total confusion. The consultants recommended to drastically alter the course. The two directors-general responsible for the reorganisation took the honourable way out. The secretary-general left. The reorganisation was turned back.
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2. Reorganisation at the Ministry of Agriculture, Nature and Fishery 1993-1994: Swallow process The reorganisation of the ministry was primarily the consequence of political and social developments. The policy sector had drastically changed during the 1980s. The institutional relations between ministry and farmers and fishers had drastically changed. And the political attitude had changed, also due to the growing negative publicity at the end of the 1980s. This negative publicity culminated in a broadcast in September 1991 where officials reported telephone tapping and intimidation by the top. The minister installed an independent committee, which in 1992 reported that agricultural interests had too much predominated above nature and environmental interests in the past. The report was also very critical about the internal culture at the ministry. The ministry decided not to wait for the critiques and chose a proactive way. At the end of 1991 a reorganisation was announced. The closed authoritarian, bureaucratic culture was reversed into an open culture, the hatches were opened, deviant opinions were welcomed, and criticism was appreciated. The departmental culture was fundamentally changed in the so-called „swallow process". The ministry developed a new „mission" aimed at the integration of agriculture and nature, the promotion of sustainable rural areas. A new steering philosophy was announced. The directorate-generals were abolished. A new „governing board" was installed, a collegially functioning team of the secretarygeneral and two directors-general. Integral management responsibilities were delegated to the directions. Henceforth steering would be at a distance and on main lines. At the end of 1994 the new organisation was formally enacted.
3. Reorganisation at the Ministry of Public Health, Welfare and Sport 1994-1997: Overture, balance, on course In the coalition cabinet agreement of 1994 the part of the directorate-general Welfare responsible for the reception of asylum seekers was transferred to the ministry of Justice. Surprisingly the directorate-general Cultural Affairs was transferred to the ministry of Education and Sciences. By this departmental reshuffling the balance between the directorates Public Health and Welfare was disturbed. A redistribution of tasks was necessary. In 1993 a reorganisation of the central units of the ministry had been planned, resulting just before the cabinet agreement in the report „overture". By the sudden loss of Culture this plan had to be revised. The new plan was to enhance the co-operation and integration of Public Health and Welfare. As a sign that the former departmentalisation was over, a collegially functioning „governing board" was installed. Integral management responsibilities were delegated to the new strong and coherent policy directions. The reorganisation report „balance" in 1995 confirmed these plans. At the end of 1995 a new secretary-general was appointed, the former
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secretary-general of the Ministry of Social Affairs where she had successfully led a reorganisation. She was member of the same party as the new minister and at the time the only female secretary-general in The Hague. In 1997 a consultancy firm was asked to evaluate the reorganisation process „balance". They reported that the reorganisation was troublesome and criticised the functioning of the departmental top. The secretary-general accepted her responsibility and resigned. The former deputy-secretary-general of the ministry was asked to return as interim-manager of the reorganisation. He developed a new reorganisation plan „on course", in which the model of „governing board" was abandoned. Early 1998 a new secretary-general was appointed.
I I I . Politics and governance: External influences Reforms in public management and organisation are influenced by external social and political circumstances. Reorganisations are not merely an internal organisational matter of more effective and efficient „running the business" of government. Public management should be approached ,,from-outside-in". The internal management and organisation of a ministry is related to the social and political developments in its policy sector and to the governance relations between that ministry and its policy sector. Our study showed that departmental reorganisations were not all equally strongly externally oriented. In some cases hardly any explicit relation existed between the reorganisation and the external societal developments. The external influences of society, policy, politics and administration sometimes remained restricted to „politics" in the narrow sense of party politics, parliament, and minister.
1. Agriculture, Nature and Fishery: External social and political pressures The reorganisation at the Ministry of Agriculture, Nature and Fishery in the early 1990s was primarily the consequence of developments in its social and political environment. During the 1980s the insight grew that a government policy only aiming at the economic interest of agriculture and fishery was too restricted. The Dutch agriculture sector had grown to technical and economical heights that were internationally unequalled. But gradually the mirror sides of this success became visible. The overproduction of milk had led to milk lakes and butter mountains. Brussels had established a super levy on milk. In order to counter a threatening over fishing Brussels had established maximum catch quota per fish sort per country. Intensive pig breeding had resulted in manure problems. The once so
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high societal esteem for agriculture evaporated. Bottom and sea got exhausted, nature was in decline, the environment polluted, and animal welfare was damaged. Of old the agricultural sector was an example of a corporatist system, the socalled „green front". The ministry used to closely co-operate with farmers in the common interest of the sector. Farmers, officials and politicians all shared the same interest. This „iron triangle" also held true in Brussels. That close united co-operation had come to an end. The ministry was forced also to represent contrary interests. Conflicts, protests and actions were the consequence. The ministry was searching for new forms of deliberation and co-operation with the agricultural sector, but also with the newcomers from nature and environment. Many nature protection groups however still saw the ministry as „the enemy" and preferred to do business with other parts of government which they did consider as „allies". The ministry was also confronted with continuous negative publicity, political incidents and crises (one minister had to step down in 1990 due to failing control of illegal fishing), and parliamentary debates and enquiries. The stream of negative publicity culminated in a TV broadcast in 1991 where officials reported telephone tapping and intimidation. The ministry was named „the last Stalinist bulwark in the Netherlands". The minister decided to install an independent committee headed by a former minister. The committee's conclusions about the internal culture and communication were highly critical. The ministry was not open for deviant opinions, and was hierarchical and bureaucratic. Creativity was suppressed. The management style of top-officials was directive, authoritarian, non consultative. These external pressures forced the ministry to a fundamental change in strategy. The political threat that the ministry would be abolished became real. The ministry could no longer afford to only serve the economic interests of agriculture, but had to make an integral consideration of different interests. In the early 1990s the new mission of the ministry became the integration between agriculture and nature. Not only agricultural interests were considered, but also nature, forest, recreation and landscape.
2. Justice: Growing political attention The Ministry of Justice used to be a non-political professional (juridical) department. In the 1950s and 1960s there was no enforcement problem. The 1960s and 1970s were the period of the „permissive society". In the 1980s criminality became an ever increasing social problem and raised on the agenda of political The Hague to „people's enemy number one". In opinion polls criminality and insecurity became the most important subjects of concern of the Dutch population. The subject of immigrant also raised on the political agenda
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in the 1980s and 1990s. The enormous increase of asylum seekers since the mid 1980s was alarming. Social and political attention for the ministry kept increasing. More political attention also implied that anything that went wrong at the ministry immediately stood in the political spotlights. The ministry had undergone an impressive series of incidents and affairs, for example the commotion about illegal criminal investigation practices. This affair had led to the resignation of both the Minister of Justice and the Minister of Home Affairs. That had been a „culture shock". Never before had a Minister of Justice been politically sent away. Later a controversial parliamentary enquiry followed. Another affair was the „golden handshake" at the dishonourable discharge of an Amsterdam attorney-general. But the most spectacular political affair later became the escalation of distrust of the minister in the leadership of the Public Prosecution which ultimately culminated in the sensational dismissal of the chairman of the College of Attorneys-General.
3. Public Health, Welfare and Sport The most important development during the 1980s in Welfare had been the decentralisation to local government. In 1991 the political figure head of the new cabinet, „social renewal", had been given away by the Minister of Home Affairs. In 1994 the reception of asylum seekers was transferred to the Ministry of Justice. That created a situation where too little was left of the directorategeneral Welfare to continue existing besides the mighty directorate-general of Public Health. In public health financing had become the predominant issue. In former times the Ministry of Finance had not been interested in expenditures for public health because this premium financed sector was not part of the national budget. The economic crisis changed that disinterest. For public health was a large and ever increasing part of the collective costs. Cost control in public health became a political top priority. In 1974 the number of beds per inhabitant was limited. In 1977 an annual national financial survey was introduced. In 1983 lump sum budgeting of hospitals was introduced. At the end of the 1980s an advisory committee headed by the former CEO of the multinational business corporation Philips was asked to consider the financing structure of public health. In their advice an explicit choice was made for the competitive market as ordering principle in public health. That should lead to more efficiency, flexibility and demand-orientation. In 1990 the cabinet presented a plan for restructuring, named after the vice-minister of Public Health the „plan-Simons". The massive resistance of the health sector made it impossible to implement the plan which was put in the fridge. The vice-minister resigned due to lack of political support. The dramatic failure of the plan-Simons
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had left a deep trauma at the ministry. The political disgrace in this fundamental comprehensive system restructuring had led at the ministry to an aversion of „grand design". The new minister made clear that henceforth only small incremental steps would be taken. Remarkably none of the interviewees made an explicit relation between the internal reorganisation and the external developments. It looked like the reorganisation was an internal organisational matter, the making of some boundary corrections within the ministry.
IV. Management and organisation: Departmentalisation - steering executive units The „departmentalisation" of government policies is a notorious problem of Dutch national government. The urgent need to bridge the gap between the separate worlds of policy sectors has for decades been the primary conclusion of all reports and advices about the functioning of national government. This need to strengthen the co-ordination and integration of policies was an important reason for the reorganisations at the various ministries. One of the attempts to counter the departmentalisation between directorates-general was the establishment of a „governing council", a collégial team of secretary-general and directors-general, where the latter no longer had a hierarchical relation with „their" sector directions. Directors-general were no longer „boss" over their own „pillar", but were supposed to jointly make strategic integral policy for the entire ministry in the „governing council". In the early 1990s the „autonomisation" of executive task units dominated the Dutch departmental reform agenda. The proposals for „autonomisation" varied from privatising, through independent administrative bodies (ZBO's), to agencies. In 1993 a new issue was added to the reform agenda, that is, the „core-department", the mirror side of the quasi-autonomous executive units. The new „steering" relation between the policy-making core-department and the autonomised executive units became a major issue in the mid 1990s. The study showed that indeed the two subjects of departmentalisation and steering of executive units had played an important role as motive for all reorganisation. In practice it turned out that these flags actually covered different cargos.
1. Agriculture, Nature and Fishery The ministry was divided in three pillars. The directorate-general Agriculture and Food Production, the directorate-general Rural Area's and Quality Care, and the staff pillar under the secretary-general with the powerful direction Ju-
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ridical and Organisational Affairs. The gap between the traditional agriculture interests and the increasingly important nature interests was the most remarkable separation of minds. This fundamental watershed between agriculture and nature did not run parallel with the distinction between both directorates. Moreover departmentalisation also existed within the directorates. The juridical staff direction had gained an ever increasing power position in the ministry due to the growing juridification of agricultural policies. I f one believed the newspaper stories about the tribal disputes between the „farmer's sons and lawyers" the departmentalisation between the agriculture and juridical directions was at least as important as that between agriculture and nature. Finally there was a tension between the policy directions at the ministry in The Hague and the outside offices. The provincial LNO-directions were the „eyes and ears" of the ministry in the country, the „extension piece" of the ministry that had contacts with provinces, municipalities, water control boards, companies etc. The new „governing council" was explicitly meant to reduce the departmentalisation and enhance strategic integral policy-making. During the reorganisation a bureau for strategic policy-making was established, a small staff unit with a small number of personnel with varied backgrounds. At the ministry a large part of the personnel was working in executive units like the State Forestry Office, the Agency for Executing Regulations and Subsidies, and the Agricultural Research Office, which contained a dozen of research institutes. In the „steering" of the State Forestry Office a distinction was made between a „horizontal relation" with contracts about substantive policies, and a „vertical relation" about business management issues with the ministry as owner or major stockholder. The aim of the „autonomisation" of the Agricultural Research Office was to gain some departmental grip on a agency that in the past had actually been virtually independent due to its specialist professional character. Some respondents considered these executive parts of the ministry much more important than policy-making. Autonomisation was considered by them as selling the table silver. For Dutch agricultural policy-making was no longer made in The Hague but in Brussels. The role of Dutch government had been reduced to national application and implementation of Brussels regulations, and to passing on the enormous sums of agricultural subsidies from Brussels.
2. Public Health, Welfare and Sport The departmentalisation between the directorate-generals Welfare and Public Health was notorious. When Public Health was transferred to the ministry at a departmental reshuffling in 1982, it remained de facto separate for long time.
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Public Health was located in a separate place. It had been a separate ministry with own staff, personnel and financial affairs etc. Its organisational structure differed from Welfare. The financing structure of both sectors also differed. Welfare was financed through the budget. Public Health was premium financed. It would last till 1987 before an organisational reshuffling between the two directorates took place. The integration actually amounted to a series of „boundary corrections". These were later followed by the reorganisation, the next steps towards further co-operation and integration. The balance between both directorates was wrong. Public Health was financially and institutionally large and powerful, and had a high political priority. Welfare had been decentralised and cut back during the 1980s. The directorate Welfare had been stripped down. Compared to Public Health its position was very weak, the relation was highly imbalanced. The transfer of the directorate-general Cultural Affairs to the Ministry of Education and Sciences in 1994 offered a „window of opportunity" to carry out a reshuffling between the remaining two. The leave of the directorate Culture, which had always taken a separate distant position in the ministry and thus blocking co-operation between the three directorates, now enabled the remaining two to finally strengthen their co-operation. Our study showed that steering of executive units had not played a major role in the reorganisation. That is not surprising in view of the fact that factual executive work in Welfare took place at local level and in private welfare institutions. And the factual executive work in Public Health also took place in private health institutions like hospitals, elderly homes etc. The ministry hardly had anything to say about execution.
3. Justice The legislation lawyers lived in a separate world. Of old their work was considered prestigious, they had the lead in the ministry. At the reorganisation in 1995 the legislative lawyers had been spared, they remained a separate unit besides policy, management and steering. The task legislation had of old played a dominant role at the Ministry of Justice. The responsibility for legislation and the judiciary, primary tasks of the „Rechtsstaat", lied at the ministry. The constitutional independence of the judiciary implied that the ministry only did its administrative and personnel affairs. Prisons were also executive work. The prominent role of the lawyers at the ministry therefore was legislation. Legislation was not the only pillar at the ministry. The judiciary and public prosecution had their own culture. Likewise did Prison Services live in its own world. And the pillar around asylum seekers not only had its own director-
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general but also its own vice-minister and its own executive unit. The „governing council" was an attempt to reduce departmentalisation. An important idea behind the co-ordination and integration between the different pillars within Justice was the „chain thinking". In the chain of criminal justice „investigation, prosecution, jurisdiction and execution" these links correspond to respectively „police, public prosecution, judiciary and prisons". In all these various links of the criminal justice chain reorganisations had been or were being carried out. In the early 1990s a drastic reorganisation of the police had been carried out, leading to 25 regional police forces. A major reorganisation of Public Prosecution had been announced in the coalition agreement of 1994. The rather archaic organisation should improve its effectiveness, efficiency and coherence. The pending reorganisation of the judiciary also aimed at better efficiency and coherence by means of integral management. The reorganisation at the policy-making core-department with, as main ingredients, the clustering of policy, administration in central units, the creation of a central steering unit and a „governing board", was the answer to the developments in the other links of the chain. Autonomisation of executive units formed a major cause for the reorganisation. Actually the numerical relation between policy-making and execution is remarkable. Only 1,200 people worked in the core-department, compared to 33,000 people in executive units (about 14,000 in prison services, 12,000 in the judiciary and 3,000 in the immigration Agency). The Ministry of Justice was primarily executive, hardly policy-making. In 1994 the Immigration and Naturalisation Agency had been established, and in 1995 the Prison Service Agency. The ministry had had bad experiences with the substantive policy steering of these quasi-autonomous agencies. The separation of policy and execution might in principle be a good idea, in practice this had led to difficulties. Endless debates were held where precisely the „cut" lied, which tasks went along with the agency and which tasks remained at the ministry. Politicians were not concerned about the separation between policy and execution. The original objective had been that executive units should only be steered at main lines, at a distance, no interference with operational details. But the interference of members of parliament with spectacular escapes from prison or with individual pitiful asylum seekers did not stop at all. The steering by the minister of the Public Prosecution was a delicate problem. On the one hand public prosecution is part of the judiciary, of which the constitutional independence forms the corner stone of the „trias politica". On the other hand the Public Prosecution is hierarchically subordinate to the politically responsible minister. Its reorganisation was meant to improve its management efficiency. It received more autonomy, more management responsibilities but also more accountability.
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V. Departmental culture: Variety Unlike in Britain or France there is no single dominant bureaucratic culture within Dutch national administration. I f there is any, it will differ per department, especially where professional mono-cultures dominate, such as the Delft educated public works engineers at State Water Works, or the Wageningen educated agricultural engineers at Agriculture, or the lawyers at the Ministry of Justice.
1. Agriculture, Nature and Fishery: Open the hatches The reorganisation was rather a change in culture than a change in organisational structure. The ministry was a closed bulwark that kept off the angry outside world, was reluctant of changes, held off outside influences as threats. The closed bureaucratic culture had to be opened for deviant outside sounds. The hatches had to be opened. Deviant opinions and critique should no longer be kept off but welcomed. The report of the external committee in 1992 had been very critical of the internal communication and culture. Some interviewees confirmed the stories about an internal authoritarian, hierarchical culture, where top-officials would not tolerate different opinions let alone criticism. Others considered these as „Indian stories44 from the press. Internal criticisms were allowed. One could say almost anything as long as kept internal. Outside you had to keep your mouth shut. The secretary-general was considered by many the personification of the authoritarian, bureaucratic, closed power culture at the ministry. The lawyer, who at his appointment in 1987 at the age of 36 was the youngest secretary-general in The Hague, was perceived as arrogant and authoritarian. Apart from his alleged personality traits, he was clever enough to understand that the ministry should make a fundamental turn, and he took the initiative for this change. The press at the time reported about tribal fights between „farmer's sons and lawyers 44. The dominant culture under top-officials at the ministry used to be that of the agricultural engineers graduated at the Agricultural University Wageningen. In lower official ranks the background of farmer's sons was also remarkable. That social and professional culture had changed during the 1980s because the policy style moved to legislation, regulation, enforcement, prosecution and punishment. The reaction of farmers also became more juridical. Streams of appeals were lodged, many lawsuits were fought. At the ministry the formerly dominant position of agricultural directions was gradually taken over by the juridical staff direction.
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2. Justice: Highly trained lawyers The juridical professionalism was high at the ministry. A l l were highly trained lawyers, and legislation had the primacy. At Justice the culture of highly trained and well educated „gentlemen" dominated. Justice had an „esprit de corps", a high quality, and a high self-esteem. One of the shadow sides of this self-conceit was that „gentlemen" were not interested in administration. That was for bookkeepers. Gentlemen have contempt for bookkeepers. Still in the early 1990s the director-general Administration of Justice was considered a bookkeeper and therefore not allowed to participate in the meetings of the Attorney-generals. Modern management was highly in need at the ministry. Another shadow side of the „esprit de corps" of the lawyer „gentlemen" was their lack of interest in politics. The sensitivity of juridical professionals for political and social questions was underdeveloped. Hence the wrong estimates of political sensitivity of certain dossiers. Hence the political blunders, incidents, affairs, crises. Ministers complained that politically sensitive information came up insufficiently and too late, that they were not well „served" by their officials. The culture shock after the forced resignation of the minister due to the illegal investigation affair had hardly led to an upgrading of the political rationality of the officials, to put it mildly. The controversial dismissal of the superAttorney-general by the minister led to a further decline of the already rather cool relationships between politicians and officials. The dismissal of two directors-general by the minister, which put an end to the reorganisation, neither led to much appreciation for politics.
3. Public Health, Welfare and Sport: Culture non-issue As mentioned before none of the interviewees made an explicit relation between the internal reorganisation and the external developments in public health. Apparently the reorganisation had been an internal organisational matter, the making of some boundary corrections within the ministry. Another indication for that is that none of the interviewees paid explicit attention to the factor culture. No doubt the official culture in the directorate-general Welfare differed from that in Public Health. Whether these cultures had changed and whether the cultural differences had diminished by the „integration" was not reported by the respondents. The reorganisation apparently was primarily an internal structural affair.
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VI. Persons Management and organisation are a matter of people. Styles of leadership and personalities of leaders do play an important role, the more in a strictly hierarchical organisation like a government bureaucracy. It was therefore inevitable to take the factor „persons" into account in our study. The subject was however highly precarious, as personal tragedies had occurred at some ministries.
1. Justice: Mission impossible It was remarkable how many interviewees named the new secretary-general „an amiable person and expert lawyer", which in the diplomatic jargon of departmental The Hague apparently is a synonym for „weak leader". He was not a decisive strong leader of the governing board. The director-general for alien's affairs has kept himself apart from the reorganisation. His portfolio had remained unchanged. His area was separate, had an own executive agency, and even an own vice-minister. He showed no interest in the governing council. Due to his frequent foreign visits he was often not present. Decisions taken in his absence were sometimes later reversed. The appointment of a young female Attorney-general as minister in 1994 was a surprise. She was only shortly political party member and hardly had any political experience. Neither did she have administrative experience. In the media her clear, open and honest approach was considered a refreshing relief. She was popular and was sympathetically received. But soon political incidents, blunders and affairs started, and her political credit evaporated. The first favourable attitude of politics and media made place for the opinion that after all she was „too young and inexperienced" and not up to her function. Tensions developed between the minister and her top-officials about the inadequate support in politically sensitive dossiers. She had open conflicts with certain top-officials. After another political disgrace in parliament she was fed up and decided to make a clean sweep in the departmental top. She hired a consultancy firm that wrote a devastating report. The dubious way in which the two directors-general were forced to resign, was a „culture shock" in the gentlemen culture at the ministry of Justice. It was an impossible mission for the governing board to normally function in a situation where the chairman did not exercise leadership, one member did not care about the governing board, and the minister distrusted other members.
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Walter J. M. Kickert
2. Public Health, Welfare and Sport: Lack of confidence One director-general had hoped to become the successor of the leaving secretary-general. That was blocked by his colleagues. He then decided to leave the ministry and soon got a very high position with the multinational corporation Unilever. Consequently his loyalty to the new female secretary-general was rather restricted. Moreover this former professor of medicine could impossibly accept that a former nurse would be his boss. They had many conflicts and fights. The new secretary-general was the first and only female secretary-general in The Hague. Moreover she was member of the same party as the minister. The rumour that this was a „political appointment" was self-evident. At her former ministry of Social Affairs the minister allegedly had disliked her and wanted to get rid of her. The new secretary-general came at a time when an elaborated reorganisation plan was ready that had been long prepared, had extensively been discussed with many people, and had obtained broad support. Nobody was inclined to start the discussion all over again. The new secretary-general however had great objections against the plan. In the first weeks after her appointment she loudly ventilated her objections. Moreover the new secretary-general made the psychological mistake to give the impression that she found everything much better at her former ministry of Social Affairs. That was strongly reproached and led to irritation, tension, and opposition. Within a few months she hired her former right hand at Social Affairs as her deputy-secretary-general, although this function had been abolished in the reorganisation plan. This appointment was also perceived as a sign of lack of confidence.
3. Agriculture, Nature and Fishery In the cabinet formation of 1994 the ministry was given to the Liberal party and the former secretary-general of Home Affairs was appointed as minister. The agrarian sector was highly suspicious of this complete outsider. He was raised in the tradition of parliamentary democracy. His father had been minister and provincial governor. He had made a career from parliamentary assistant to secretary-general. Under him the ministry transformed from corporatist to democratic governance. No longer meetings behind screens and compromises with the agrarian sector, but henceforth primarily open debates and agreements with parliament. The secretary-general found himself in a paradoxical situation. The same man that was perceived by many as an arrogant authoritarian frightening tyrant suddenly declared that the closed culture should end, that the hatches should be opened, that deviant opinions were welcomed, that criticism was appreciated,
Reorganisations at the Ministries
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that the ministry should become an open, learning, innovative club. Negative publicity about the ministry had several times led media and politics to publicly ask for his resignation. He had no choice but to keep a low profile and wait for things to happen. The paradox was that internally and externally he had to maintain a low profile to avoid any impression of authoritarian behaviour, but nevertheless had to lead a fundamental change process at the ministry.
V I I . Epilogue The study was an attempt to give an as complete as possible picture of three major reorganisations. Besides the „official stories" based on departmental official documents, „many other stories" have been sketched, the many different observations, impressions, opinions, and judgements of the various respondents in the interviews. Assuming that such a complex „reality" cannot be described in one single picture, an as rich and varied as possible picture was sketched. The picture was undoubtedly not fully complete, most certainly not in this brief summarising article of the (Dutch) book version of the study. The aim of the study was to try and understand what had happened. It did not pretend to understand why things happened. Or, to put it in scientific terms, the primary aim was description. Analyses and explanations have only indirectly and partially been given. The aim of the study was definitely not to give a judgement of the reorganisations. This was no evaluation study. That would scientifically be a highly dubious exercise. This study was not about judging, let alone condemning. Hopefully the reader did not get the impression that some reorganisations were „failures", that some departments were „a mess". At major change processes in large complex organisations of course unintended side effects occur, and of course various things go wrong. Drawing negative conclusions from that about the dysfunctioning of such organisations shows a lack of knowledge and understanding.
VII. Transformation und Entwicklung
Transformation der Regierungs- und Verwaltungsstrukturen in postkommunistischen Ländern: Zwischen „(Re-)Politisierung" und „Entpolitisierung" Von Hellmut Wollmann, Berlin
I. Einleitung Klaus König war einer der ersten westlichen Verwaltungswissenschaftler, die sich in den 1980er Jahren mit der Verwaltungswelt der realsozialistischen Länder beschäftigten. Der von ihm lange vor der „Wende" vorbereitete und edierte, 1990 veröffentlichte Band zu den „Verwaltungsstrukturen in der DDR" 1 (an ihm wirkten führende Babelsberger DDR-Staats Wissenschaftler mit) ist noch immer eine Fundgrube an Informationen und Einblicken in die Verwaltungswelt der DDR in ihrer Spätphase. In der Erforschung des säkularen Systemwechsels, der in den frühen 1990er Jahren eine Legion westlicher Sozial-, Politik- und Verwaltungs Wissenschaftler in seinen Bann schlug, spielte Klaus König eine bahnbrechende Rolle. Dies gilt für seinen 1992er Aufsatz „Zur Transformation einer real-sozialistischen Verwaltung in eine klassisch-europäische Verwaltung", der, viel zitiert 2 und in mehrere Sprachen übersetzt3, wesentlich dazu beitrug, den konzeptionellen Begriff der „Transformation" in der Diskussion zu verankern, ebenso wie für seine fruchtbare Mitwirkung an dem Forschungsverbund, der, unter der Ägide und mit Förderung der Kommission zur Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern (KSPW), sich nicht zuletzt dem institutionellen Umbruch in Ostdeutschland zuwandte.4
1
Κ König (Hrsg.), Verwaltungsstrukturen in der DDR, Baden-Baden 1990. Κ König, Zur Transformation einer real-sozialistischen Verwaltung in eine klassisch europäische Verwaltung, in: Verwaltungsarchiv 1992, S. 229 ff. 3 K. König , La transformation d'un système administratif de „socialisme réel" en un système conventionnel ouest-européen, in: Revue Internationale des Sciences Administratives 1992, S. 549 ff.; K König , The Transformation of a „real-socialist" administrative system into a conventional Western European system, in: International Review of Administrative Sciences 58, 1992, S. 137 ff. 4 Siehe etwa Κ König, Aufbau der Landesverwaltung in Leitbildern, sowie: Κ König/J. Heimann, Vermögens- und Aufgabenzuordnung nach Üblichkeit, beide Aufsätze in: H. Wollmann u.a., Transformation der politisch-adminstrativen Strukturen in Ostdeutschland, Opladen 1997, S. 119 ff. bzw. S. 223 ff.; vgl. auch Κ König, Trans2
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Hellmut Wollmann
Der Frage nach der Transformation der post-kommunistischen Verwaltungswelt, der Klaus König seine unverwechselbare intellektuelle Neugierde, konzeptionelle Phantasie und wissenschaftliche Kreativität zuwandte, soll in diesem ihm gewidmeten Aufsatz nachgegangen werden, der sich um den Umbruch der (zentralstaatlichen) Regierungsexekutive und ihre organisatorische und personelle Umstrukturierung seit 1990 dreht. Untersuchungsländer sind hier Polen, Ungarn und die Tschechische Republik.5
I I . Konzeptionelle Überlegungen 1. Schlüsselfragen des Um- und Neubaus der Regierungsexekutive Der säkulare Um- und Neubau der Regierungsexekutive - im Systemwechsel von kommunistischen Einparteien-Staat zum demokratischen Verfassungsstaat und von der zentralistischen Staatswirtschaft zur Marktwirtschaft - war vor allem mit zwei fundamentalen Erfordernissen konfrontiert. 6
a) Von der „ unter-politisierten
" zur „ (re-)politisierten
" Regierungsexekutive
Im kommunistischen Herrschaftssystem wurde die Politik- und Entscheidungsmacht von der Kommunistischen Partei monopolisiert, deren Gliederungen mit totalitärer Konsequenz alle staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen durchdrangen und deren Politbüro als Verkörperung der zentralistischen Parteiherrschaft das reale Regierungs- und Entscheidungszentrum im Lande war. Die Zentralregierung, ihre Ministerien und der staatliche Verwaltungsapparat hatten mithin nur dienende und instrumenteile Funktion zur Durchsetzung
formation als Staatsveranstaltung in Deutschland, in: H. Wollmann u.a. (Hrsg.), Transformation sozialistischer Gesellschaften: Am Ende des Anfangs, Opladen 1995, 5. 609 ff. 5 Der Aufsatz beruht auf Ergebnissen eines Forschungsprojekts, das, von der Stiftung Volkswagenwerk gefordert, zwischen 1999 und 2002 als gemeinsames Projekt der LSE, London, und der Humboldt-Universität zu Berlin, Lehr- und Forschungsbereich Verwaltungslehre, durchgeführt wurde. Es wurde von Klaus H. Goetz, Vesselin Dimitrov und dem Verfasser geleitet. Wiss. Mitarbeiter waren Radek Zubek und Martin Brusis. Der Aufsatz stützt sich in Teilen auf Κ. H. Goetz/H. Wollmann, Governmental izing central executives in post-commun ist Europe: a four-country comparison, in: European Journal of Public Policy 8, 2001, S. 864 ff. sowie H. Wollmann/K. H. Goetz , The Transformation of Central Executives in Post-Commun ist Central and Eastern Europe Comparing Emergent Configurations, in: International Review of Public Administration 6, 2001, S. 39 ff. 6 Vgl. Goetz/Wollmann , Governmentalizing (Anm. 5), S. 864- 887; Wollmann/ Goetz , Transformation (Anm. 5), S. 39 ff.
Transformation der Regierungs- und Verwaltungsstrukturen
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der Entscheidungsvorgaben der Partei. Die zentralen Regierungsstellen und Personalstäbe entbehrten weithin einer substanziellen Kompetenz, eigene politische und gubernative Entscheidungen zu treffen. Insoweit waren sie in ihren Zuständigkeiten und Fähigkeiten „unter-politisiert". Im Gegensatz hierzu kommt der Regierungsexekutive im demokratischen Verfassungsstaat - möge dieser parlamentarisch, semi-präsidentiell oder präsidentiell verfasst sein7 - eine eigene Zuständigkeit der politischen und gubernativen Politikformulierung zu, unbesehen einer letztlichen parlamentarischen Verantwortlichkeit der Exekutive im parlamentarischen Regierungssystem und einer gewissen Bipolarität der Exekutive zwischen Präsident und Ministerpräsident im semi-präsidentiellen System. Nach dem Untergang der Kommunistischen Parteien als des realen Politikund Regierungszentrums bestand eine entscheidende institutionenpolitische Aufgabe im Um- und Neubau des post-kommunistischen Staates mithin in der (R^Politisierung und „Gouvernementalisierung" der zentralen Regierungsebene durch Schaffung „regierungsfähiger" organisatorischer und personeller Strukturen.
b) Von „politisierten " zu „ ent-politisierten
" Verwaltungsstäben
Der eiserne Griff, mit dem sich die Kommunistische Partei die staatliche Verwaltung abhängig und gefugig hielt, zeigte sich in ihrer personalpolitischen Entscheidungsmacht, indem sie praktisch über die Besetzung (und Entlassung) aller Stellen im Staatsapparat entschied, insbesondere mit Hilfe des Nomenklatursystems über alle Führungspositionen. Politische Loyalität anstatt fachlichprofessioneller Kompetenz („politisierte Inkompetenz", Hans-Ulrich Derlien) gab bei der Besetzung insbesondere der obersten Leitungsränge durch die Partei den Ausschlag.8 Insoweit erwies sich die kommunistische Kaderverwaltung und ihre Personalpolitik als durch und durch politisiert, insbesondere in den Leitungsrängen als (partei-^politisiert. Im Gegensatz hierzu ist die Öffentliche Verwaltung im demokratischen Verfassungsstaat - sowohl in der kontinental-europäischen Beamten- als auch in
7 Zur Unterscheidung vgl. etwa G. Sartori, Comparative Constitutional Engineering, Houndmills 1994; W. Rüb, Die drei Paradoxien der Konsolidierung der neuen Demokratien in Mittel-Osteuropa, in: Wollmann/Wiesenthal/Bönker, Transformation (Anm. 4), S. 23 ff. mit weiteren Nachweisen. 8 So pointiert H. U. Derlien, Integration der Staatsfunktionäre der DDR in das Berufsbeamtentum: Professionalisierung und Säuberung, in: W. Seibel u.a. (Hrsg.), Verwaltungsreform und Verwaltungspolitik im Prozeß der deutschen Vereinigung, BadenBaden 1993, S. 190 ff.
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der angelsächsischen Civil service-Tradition - vom Bild von Staatsbediensteten bestimmt, die, aufgrund von fachlicher Ausbildung und Kompetenz in unkündbare Dauerpositionen rekrutiert, zu unparteilicher/unpolitischer Amtsführung verpflichtet und mithin gehalten sind, der jeweils amtierenden (demokratisch gewählten) Regierung unbesehen deren Parteiorientierung „loyal" zu dienen. Allerdings sind auch in diesen dem Grundsatz eines fachlich kompetenten, unparteilichen/unpolitischen Öffentlichen Dienstes verpflichteten Ländern Regelungen und Praktiken bekannt, in denen dem politischen und funktionalen Erfordernis Rechnung getragen wird, dass die jeweils amtierende Regierung um ihrer eigenen politischen Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit willen die Möglichkeiten haben sollte, über die Besetzung einer Reihe von Positionen im Regierungsapparat zu entscheiden, auf deren politische Loyalität sich die jeweils amtierende Regierung verlassen und über deren Besetzung und Entlassung sie entscheiden kann, ohne an die für die „normalen" Staatsbediensteten geltenden Regeln (insbesondere Unkündbarkeit) gebunden zu sein. In der rechtlichen Regelung und politischen Praxis der westlichen Verfassungs- und Verwaltungsstaaten sind für diese „funktionale" 9 oder „formale Politisierung" 10 bestimmter Leitungs- und Beratungsfunktionen im Regierungsapparat unterschiedliche institutionelle Varianten entwickelt worden. Von diesen sei zum einen auf die Figur des „politischen Beamten" in der Bundesrepublik (also Spitzenbeamte - beamtete Staatssekretäre, Abteilungsleiter - , die jederzeit ohne Angabe von Gründen entlassen, d.h. in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können) und zum anderen auf die Mitglieder der cabinets der französischen Regierungs- und Verwaltungspraxis (also persönliche Beraterstäbe von Regierungsmitgliedern) verwiesen. Angesichts der hochgradigen „Politisierung" der real-sozialistischen Kaderverwaltung stellte sich für die mittel-osteuropäischen Länder als weitere entscheidende Reformaufgabe, einen professionellen, politisch neutralen Öffentlichen Dienst zu schaffen, also eine „Entpolitisierung" der staatlichen Verwaltung zu verwirklichen. Dies gilt auch und gerade für die Ministerial Verwaltung (jedenfalls ihrer unteren und mittleren Ränge) als Voraussetzung für eine Regierungswechsel überdauernde professionelle Aufgabenerfüllung. Gleichzeitig sahen sich die Reformländer vor der Aufgabe, Regelungen für eine funktional gebotene „Politisierung" bestimmter Führungs- und Beratungspositionen im Regierungsapparat zu finden. Es ist kaum verwunderlich, dass das Verhältnis und die Abgrenzung zwischen der Schaffung „entpolitisierter" Verwaltungsstäbe und „funktional politischer" Positionen in der Ministerialverwaltung ein beson-
9 10
Vgl. Wollmann/Goetz, Vgl. unten Anm. 27.
Transformation (Anm. 5), S. 43 f.
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ders kontroverses Thema im Um- und Neubau der Regierungsexekutive in den Reformländern werden sollte. 11 Die hier angedeuteten zwei Leitfragen sollen im Folgenden anhand bestimmter Sachverhalte verdeutlicht (ansatzweise „operationalisiert") werden: -
Als Indikatoren für den Grad der „(Re-)Politisierung" und „Gouvernementalisierung" der Regierungsexekutive sollen die Stellung des Ministerpräsidenten (im Folgenden: MP) und die Zuordnung des Büros des Ministerrats bzw. des MP dienen.
-
Ein empirischer Beleg für den Grad der „Entpolitisierung" der (Ministerial-) Verwaltung soll darin gesehen werden, ob, wann und mit welchen Inhalten Gesetzgebungen zum Öffentlichen Dienstrecht verabschiedet worden sind. Gleichzeitig interessieren Regelungen zur Schaffung „politischer" Positionen in der Ministerial Verwaltung.
Um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede („Varianz") zwischen den hier herangezogenen Ländern (Polen, Ungarn und Tschechische Republik) zu identifizieren, soll in der nachstehenden Darstellung zwischen der Gründungsphase (1989 bis etwa 1992/1993) und einer Konsolidierungsphase (etwa seit 1993/1995) unterschieden werden. 12
2. Analyserahmen zur „Erklärung" beobachtbarer Gemeinsamkeiten oder Unterschiede („Varianz") In Anlehnung an die neo-institutionalistische Debatte13 (und eigene Vorarbeiten zur Institutionenbildung im Transformationsprozess 14) seien vor allem drei (hypothetisch) erklärungsfähige Faktorenbündel hervorgehoben: -
Die institutionellen, kulturellen und kognitiven Prägungen und Ausgangsbedingungen (starting conditions) können die Institutionenbildung
11 M. Kulesza/A. Barbasiewicz , Functions of Political Cabinets, in: Polish Yearbook of Civil Service, 2002, S. 37 ff. 12 Zu dieser (und anderen) Konzepten von „Phasen" des Transformationsprozesses vgl. etwa K. Goetz, Ein neuer Verwaltungstypus in Mittel- und Osteuropa? Zur Entwicklung der post-kommunistischen öffentlichen Verwaltung, in: Wollmann/ Wiesenthal/Bönker, Transformation (Anm. 4), S. 541 ff. 13 Vgl. etwa G. Peter , Institutions old and new, in: R. Goodin/H.-D. Klingemann (Hrsg.), A new handbook on political science, Oxford 1995, S. 205 ff. 14 Vgl. etwa //. Wollmann, Variationen institutioneller Transformation in sozialistischen Ländern. Die (Wieder-)Einfuhrung der kommunalen Selbstverwaltung in Ostdeutschland, Polen, Ungarn und Rußland, in: Wollmann/Wiesenthal/Bönker, Transformation (Anm. 4), S. 555 f.
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beeinflussen („Pfadabhängigkeit"). 15 Dies können zum einen institutionelle, kulturelle usw. „Erbschaften" („legacies") des kommunistischen Regimes ebenso wie vor-kommunistische Traditionen sein, aber auch in der „Gründungsphase" entstandene institutionelle Arrangements, die den weiteren Gang der Institutionenbildung formen können. -
Die Konstellation der maßgeblichen (politischen, gesellschaftlichen) Akteure, ihre jeweiligen Machtressourcen und Interessen, ihre Koalitionen und Kompromisse, die Parteienstruktur und -konkurrenz usw. können wesentliche Bestimmungsfaktoren sein.
-
Auch wenn Ostdeutschland im Zuge des Einigungsprozesses hinsichtlich des hohen Grades der „exogenen" Bestimmung durch die „alte" Bundesrepublik sicherlich ein „Sonderfall" 16 im Kontext und Vergleich der anderen postkommunistischen Länder waren, so dürften sich auch in diesen „exogene" Einflussfaktoren (Beratung durch westliche Regierungen, internationale Organisationen usw.) geltend gemacht haben. In der „Konsolidierungsphase", insbesondere seit Mitte der 1990er Jahre hat sich der angestrebte EU-Beitritt auf den institutionenpolitischen Entscheidungsprozess in den Kandidatenländern vermutlich immer stärker ausgewirkt.
I I I . Ausgangssituation Wie erwähnt, waren in den realsozialistischen Ländern die Regierungsexekutiven durchweg staatliche Ausfuhrungsorgane der Führung der Kommunistischen Partei. Auf der zentralstaatlichen Ebene agierten eine Vielzahl von für die einzelnen Industriebranchen zuständigen Ministerien und Kommissionen. Der Ministerrat war ein kollektives Leitungsorgan, das vom „Büro des Ministerrats" technisch unterstützt wurde. Dabei waren durchaus Abweichungen und Abstufungen sichtbar. Eine gewisse Sonderentwicklung nahm Ungarn ein, dem die Sowjetunion seit den 1970er Jahren (als Reaktion auf den Aufstand von 1968) ökonomisch („Gulaschkommunismus"), aber auch institutionell einen gewissen Eigenweg zugestand. Nach 1988 - nach der Ablösung des Alt-Kommunisten Janos Kadâr durch die eine reformkommunistische Regierung unter Nemeth
15 Zum in der Institutionenforschung im Allgemeinen und in der Transformationsforschung verbreitet diskutierten Konzept der „Pfadabhängigkeit 11 vgl. Wollmann, Transformation (Anm. 14) mit Nachweisen. u> Vgl. //. Wicsenthal, Die Transformation Ostdeutschlands: Ein (nicht ausschließlich) privilegierter Sonderfall der Bewältigung von Transformationsproblemen, in: Wollmann/Wicscnthal/Bönkcr, Transformation (Anm. 4), S. 134-162.
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(1988-1990) - wurde die Abhängigkeit der Regierung von der Partei deutlich gelockert. 17 In den 1950er Jahren wurde das vor-kommunistische Dienst- und Beamtenrecht in den Ländern durchweg abgeschafft und durch ein einheitliches, alle Beschäftigungssektoren regelndes Arbeitsrecht ersetzt. Allerdings wurde in Polen 1982 wieder ein gesondertes Recht fur den Staatsdienst eingeführt (mit der Möglichkeit von Dauerstellen). 18 Die Kaderpolitik in der Staatsverwaltung blieb durchweg durch die Bestimmungsmacht der Kommunistischen Partei (Nomenklatursystem) „politisiert". In Ungarn wurden seit den 1970er Jahren Änderungen eingeleitet, insbesondere wurde der professionellen Ausbildung und Kompetenz ein höherer Stellenwert beigemessen. 1977 wurde die Nationale Schule für Öffentliche Verwaltung (NSPA) in Budapest gegründet und während der 1980er Jahre Gesetzgebung zum öffentlichen Dienstrecht vorbereitet. 19 Unter der reformkommunistischen Regierung Nemeth wurden höhere Verwaltungspositionen mit (reformorientierten und auch parteifernen) Mitgliedern und Absolventen der NSPA besetzt.
IV. Gründungsphase 1. Restrukturierung der Exekutive In der „Gründungsphase" Ungarns, welcher der zwischen der Opposition und den Reformkommunisten „ausgehandelte Übergang" (negotiated transition )20 und die „Gründungswahl" vom März/April 1990 den Stempel aufprägten, wurde durch Änderung der Verfassung von 1949 ein parlamentarisches Regierungssystem eingeführt, das - mit unverkennbaren Anklängen an die Regelung des Grundgesetzes der Bundesrepublik - dem MP eine starke institutionelle Stellung einräumt (allein er wird vom Parlament gewählt, und er ernennt die Minister auf Vorschlag des Staatspräsidenten, er kann nur durch konstruktives Misstrauensvotum gestürzt werden, vgl. Art 33 ff.). Diese institutionellen Regelungen wurden vom ersten Ministerpräsidenten Josef Antal (April 1990 bis
17
Vgl. L. Fass, Civil service development and politico-administrative relations in Hungary, in: T. Verheijen (Hrsg.), Politico-administrative relations. Who rules?, Bratislava 2001, S. 154. 18 Vgl. R. Zubek , Poland, in: K. Goetz/V. Dimitrov/H. Wollmann (Hrsg.), Filling the Hollow Crown. Core-Executive in CEE countries, 2003 (in Vorbereitung). 19 Vgl. J. //. Meyer-Sahling , Getting on track: civil service reform in postcommunist Hungary, in: Journal of European Public Policy, special issue 8 (guest editor: Klaus Goetz), 2001, S. 965 ff. 20 Vgl. J. Batt , East Central Europe from Reform to Transformation, London 1991, S. 34; vgl. auch Wollmann, Variationen (Anm. 14), S. 566 ff.
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Dezember 1993), der sich auf eine breite, während der ganzen ersten Legislaturperiode stabile (Rechts-Mitte) Koalition stützen konnte und außerdem Vorsitzender der Mehrheitspartei war, machtwirksam ausgefüllt und ausgebaut. Das in der kommunistischen Ära dem Ministerrat als Kollektiv zugeordnete „Büro der Regierung" wurde (wiederum mit unverkennbaren Anleihen beim Bundeskanzleramt) dem MP unterstellt. Hingegen hat der Staatspräsident eher symbolische Funktionen. Versuche des Präsidenten Arpad Göncz, substanzielle Mitwirkungsrechte des Präsidenten durchzusetzen, wurde vom Verfassungsgericht zurückgewiesen. 21 Mithin wurden in Ungarn mit institutionenpolitischer Zielstrebigkeit und Konsequenz bereits in der „Gründungsphase" die institutionellen Voraussetzungen für eine „regierungsfähige" Exekutive - durch einen starken Ministerpräsidenten und unter Vermeidung semi-präsidentieller („bipolarer") Konfliktzonen - geschaffen. In Widerspiegelung des von „dilatorischen Machtkompromissen" 22 gekennzeichneten Systemwechsels war in Polen das institutionelle Arrangement der Exekutive zunächst von dem historischen Machtkompromiss am Runden Tisch zwischen den Kommunisten und Solidarnocz (die ersteren stellten weiterhin bis Dezember 1990 den Präsidenten Wojciech Jaruzelski, die letzteren den MP Tadeusz Mazowiecki), und dann - nach der Wahl von Lech Walensa zum Präsidenten im Dezember 1990 - von einem machtpolitisch auftrumpfenden Präsidenten Walensa bis zum Punkte eines quasi-präsidentiellen Systems geprägt. 23 In der vorläufigen „Kleinen Verfassung" vom 17.10.1992 wurden die Kompetenzen des Präsidenten zwar gestutzt, blieb es jedoch beim konstitutionellen Zuschnitt eines semi-präsidentiellen Regierungssystems mit „bipolarer Exekutive" (Vetorecht des Präsidenten gegen Gesetzgebungsakte, Recht der Ernennung der „Sicherheitsminister" usw.). Gleichzeitig hielt die neue Verfassung an der kollektiven Zuständigkeit des Ministerrats fest - mit einer primus inter pares-Stellung des MP und einer entsprechend starken Stellung der Ministerien. 24 Folgerichtig blieb das überkommene Büro des Ministerrats diesem als Kollektiv unterstellt. Die mithin institutionell schwache Stellung des MP wurde politisch durch das fragmentierte Parteiensystem und den hierdurch geförderten häufigen Regierungswechsel weiter erodiert. 25 In Verbindung von semi-präsidentiell 21 Vgl. A. Körösenyi, Government and Politics in Hungary, Budapest 1999, S. 423; vgl. auch M. Brusis, Hungary, in: Goetz u.a., Hollow Crown (Anm. 18), S. 9. 22 Vgl. Wollmann, Variationen (Anm. 14), S. 573 ff. 23 Vgl. R. Zubek , A core in check: the transformation of the Polish core executive, in: Journal of European Public Policy 8, 2001, S. 916; vgl. auch Zubek , Poland (Anm. 18): „... was the closest Poland ever came to having a presidential government", S. 15. 24 Vgl. Β. Nunberg , Leadig Horses to Water, unveröff. Ms. 1997, S. 5: „The government had acted like a loose federation of ministries". 25 Drei Regierungen allein in der - durch vorgezogene Neuwahlen zudem noch verkürzten - Gründungswahlperiode 1991-1993; vgl. Übersicht bei Goetz/Wollmann, Governmental izing (Anm. 5), S. 872.
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„biopolarer" Exekutive und fragmentiertem Parteiensystem waren die Voraussetzungen für die regierungsfähige Exekutive wenig günstig. Die Verfassung der Tschechischen Republik vom 16.12.1992, deren Verabschiedung von den Auseinandersetzungen um die am 1.1.1993 vollzogene Auflösung der tschechoslowakischen Föderation überschattet war, hat ein moderat semi-präsidentielles Regierungssystem begründet, in dem der (von beiden Kammern gewählte) Staatspräsident eine Reihe substanzieller Rechte besitzt (u.a. Vetorecht, das vom Abgeordnetenhaus mit absoluter Mehrheit seiner Mitglieder überwunden werden kann). Die Regierungsfunktion ist auf den Ministerrat als Kollegium zugeschnitten - mit dem MP als primus inter pares. Der Ministerrat als Ganzer ist parlamentarisch verantwortlich (und kann mit einfacher Parlamentsmehrheit gestürzt werden). Folgerichtig bleibt das Büro des Ministerrats weiterhin diesem unterstellt. Zwar konnte die institutionell schwache Stellung des MP von Vaclav Klaus (1992 bis 1997), der in dieser Periode die stärkste politische (charismatische) Führungsfigur und seit 1991 zudem Vorsitzender der ODS als stärkster Partei war, mehr als wettgemacht werden. Jedoch ist die Exekutive als Ergebnis der Gründungsphase, institutionenpolitisch gesprochen, schwach ausgestattet.
2. Restrukturierung des Öffentlichen Dienstes Im Falle Ungarns ist daran zu erinnern, dass ein Gesetz zum Öffentlichen Dienst bereits seit den späten 1970er Jahren, insbesondere im Umkreis des 1977 gegründeten Ungarischen Instituts für Öffentliche Verwaltung, im Gespräch war. 26 Im Mai 1990 wurde im neuen demokratischen gewählten Parlament als eines der ersten Gesetze ein Gesetz zur Regelung der Administrativen Staatssekretäre verabschiedet, durch das - mit unverkennbaren Anklängen an die Regelung der „politischen Beamten" in der Bundesrepublik - eine „formal politisierte" 27 Spitzenposition in der Ministerialverwaltung eingeführt wurde. Der fast gleichzeitig eingebrachte Entwurf eines Beamtengesetzes blieb jedoch zwei Jahre lang im kontroversen Gesetzgebungsprozess stecken.28 Er stieß bei mehreren Gruppen auf Bedenken und Widerstand. Antikommunistische Parlamentarier hatten Sorge, ein Beamtengesetz,könnte alten kommunistischen Verwaltungskadern beamtete Dauerstellen verschaffen, noch ehe eine „Säuberung" der Verwaltung geleistet sei. Umgekehrt argwöhnten aus der kommunistischen
26
Vgl. Meyer-Sahling, Getting on track (Anm. 19), S. 968 ff. Zum Begriff der „formalen Politisierung" vgl. Meyer-Sahling, Getting on track (Anm. 19), pp. 961 f. 28 Für eine detaillierte Analyse des Gesetzgebungsprozesses vgl. Meyer-Sahling, Getting on track (Anm. 19), S. 971 ff. 27
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Ära überkommene Verwaltungsangehörige, nicht zuletzt in den höheren Rängen, ein solches Gesetz könnte sie durch das Erfordernis von Prüfungen und Qualifikationen um ihre Stellen bringen. Liberale Politiker wiederum hielten die Einführung eines Beamtenstatus für überflüssig, wenn nicht antiquiert, und bevorzugten flexiblere Beschäftigungsregelungen. Schließlich schien sich auch unter Regierungsmitgliedern das Engagement für ein Beamtengesetz in Grenzen zu halten, da sie eine Einschränkung der geschätzten Freizügigkeit in der Vergabe von Positionen an ihre politischen Gefolgsleute („Beutepolitik") befürchteten. Das am 31.3.1992 endlich verabschiedete Beamtengesetz erstreckt sich auf in der staatlichen und kommunalen Verwaltung Bedienstete, ausgenommen die in der LeistungsVerwaltung Tätigen (insbesondere Lehrer usw.). 29 Ihm liegen „klassische" Grundsätze des Beamtentums zugrunde (vier ausbildungsabhängige Laufbahnen, lebenslange Stellung, Unparteilichkeit 30 usw.). Unter Anknüpfung an das 1990 verabschiedete Gesetz zu den Administrativen Staatssekretären wird von diesen „normalen" (un-politischen und unkündbaren) Beamten eine Gruppe von Spitzenbeamten (insbesondere Administrative Staatssekretäre, Abteilungs-, Referatsleiter) unterschieden, die jederzeit ohne Gründe vom MP bzw. Minister von dieser Position entfernt werden können. Die Gruppe „politischer" Beamter umfasst zwischen 15 und 20 Prozent aller Ministerialbediensteten.31 Das - mit Übergangsregelungen versehene - Gesetz wurde binnen weniger Jahre implementiert, indem die am 31.12.1992 im Staats- und Kommunaldienst Beschäftigten entsprechende Beurteilungs- und Qualifikationsverfahren mit dem Ziel der Übernahme durchliefen. 32 In Polen hatte das Kommunistische Regime ein 1982 verabschiedetes Gesetz hinterlassen, das für die im Staatsdienst Beschäftigten Sonderregelungen und teilweise Dauerstellungen vorsah. Von der Regierung unter MP Bielecki (Januar 1991 bis Oktober 1991) wurde zu einem frühen Zeitpunkt ein Gesetzentwurf zur Regelung des Öffentlichen Dienstes eingebracht, der jedoch vom Parlament abgelehnt wurde. 33 Einen weiteren Anlauf unternahm die Mitte-RechtsRegierung unter MP Hanna Suchocka (August 1992 bis Mai 1993). Sie legte einen Entwurf vor, gemäß dem alle im Staatsdienst aktuell Beschäftigten (einschließlich derer, die nach dem Gesetz von 1982 Dauerstellen hatten) den Status von Vertrags-Angestellten erhalten sollten; die Überleitung in eine Beam-
29 J. György, Country report: Hungary, Civil Services and State Administration (CSSA), Paris 1999, S. 2. 30 Vgl. Z. Hazafi/Z. Czoma, Civil Service Reform in Hungary, in: Public Management Reform 5, 1999, S. 2; György, Country report (Anm. 29), S. 40 ff. 31 Vgl. Meyer-Sahling, Getting on track (Anm. 19), S. 963 32 Vgl. György, Country report (Anm. 29), S. 5 ff. 33 Zu Einzelheiten vgl. Zubek u.a., Poland (Anm. 18), S. 25 ff.
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tenstelle sollte nach Prüfimg durch eine Kommission erfolgen. Mit dem Rücktritt der Regierung Suchocka im Mai 1993 verfiel der Gesetzentwurf. 34 Erst 1996 kam erne neue Gesetzgebungsinitiative in Gang, worauf weiter unten einzugehen ist. Obgleich die Verfassung der Tschechischen Republik vom 6.12.1992 eine gesetzliche Regelung des Öffentlichen Dienstes vorschreibt (Art. 79 Abs. 2), kamen erste Gesetzgebungsanläufe in dem seit 1.1.1993 selbständigen Land Tschechien nicht voran. 35 Die Gesetzgebung stieß offenbar im liberalen Lager der von MP Klaus geführten liberal-konservativen Partei (ODS) auf Widerstand, wo ein förmliches Beamtengesetz aus grundsätzlichen Gründen abgelehnt und flexiblere Regelungen bevorzugt wurden. 36 Hingegen hatte die Tschechoslowakische Republik - im Unterschied zu den meisten anderen MOE-Ländern - am 4.10.1991 ein „Lustrationsgesetz" verabschiedet, durch das alle früheren Angehörigen des Staatssicherheitsdienstes und aktive Mitglieder des kommunistischen Regimes vom Staatsdienst ausgeschlossen werden sollten. Dieses in der Tschechischen Republik zunächst bis 31.12.1996 befristete Gesetz wurde mehrfach verlängert.
V. Konsolidierungsphase An dieser Stelle sei daran erinnert, dass in den der „Gründungsphase" folgenden Jahren („Konsolidierungsphase") der von der Europäischen Union in Aussicht gestellte Beitritt zur EU in den hierfür in Betracht kommenden MOELändern, darunter Polen, Ungarn und Tschechien, eine („exogene") Rahmenbedingung darstellte, die die innerstaatlichen Entscheidungsprozesse auch zur Institutionenbildung immer stärker zu beeinflussen geeignet war. Nachdem Vorverhandlungen zwischen der EU und diesen Ländern bereits 1991 eingeleitet worden waren, markierte das von der EU 1995 veröffentlichte „White Paper" 37 einen wichtigen Schritt. 38 In ihm wurde der sog. acquis communautaire als das Regelungswerk der EU umrissen, auf dessen künftige Anwendung sich die
34
Vgl. Zubek, Poland (Anm. 18), S. 25 mit Nachweisen. Vgl. O. Vidlàkovâ , Country Report: Chech Republic, Civil Services and State Administrations (CSSA), Paris 1999 (Rd.-Nr. 1.6, 8.1); vgl. auch V. Dimitrov, Country report: Czech Republic, in: Goetz u.a., Hollow Crown (Anm. 18) mit Nachweisen. 36 Vgl. Vidâkovà , Country Report (Anm. 35), Rd.-Nr. 1.6. 37 European Commission, White Paper - Preparation of the Associated Countries of Central and Eastern Europe for Integration into the Internal Market of the Union, COM (95) 164, Brussels 1995. 38 Vgl. ausführlich Β. Lippert u.a., Europeanization of CEE executives: EU membership negotations as a shaping power, in: Journal of Eurpean Public Policy 8, 2001, S. 987 ff. mit Nachweisen. 35
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Kandidatenländer politisch, gesetzgeberisch, aber auch administrativ vorbereiten und einstellen sollten. 39 Anhand der strukturierten Berichte, die die Kandidatenländer jährlich zu erstatten hatten, verfasste die EU-Kommission ab 1998 zu den einzelnen Ländern jährliche „progress reports", in denen zum Teil sehr deutliche Rügen und Ermahnungen, auch zu institutionell-administrativen Fragen, an die Adresse der betreffenden Länder formuliert wurden.
1. Weitere Restrukturierung der Exekutive In Ungarn wurde die Stellung des MP als Chef der Exekutive institutionell weiter verstärkt, insbesondere durch den weiteren institutionellen und personellen Ausbau des Büros des MP (u.a. durch Einrichtung von - am Beispiel des Bundeskanzleramtes orientierten - „Spiegelreferate"). 40 Die Entwicklung unter MP Victor Orban (der zwischen Juni 1998 und Mai 2002 eine Mitte-RechtsKoalition leitete) gab Beobachtern Veranlassung, von einer „deutschen Kanzlerdemokratie" 41 oder gar von „a presidential-style democracy in parliamentary guise" 42 zu sprechen. Nachdem Anläufe zu institutionellen Reformen in Polen mehrere Jahre kaum vorangekommen waren, leitete die (aus Sozialdemokraten und Bauernpartei gebildete) Mitte-Links-Koalition unter MP Wlodziemierz Cimoszewicz (Februar 1996 bis September 1997) ab Sommer 1996 ein umfassendes Reformprogramm ein. In der am 2. April 1997 parlamentarisch verabschiedeten und im Oktober 1997 durch Volksabstimmung angenommenen neuen Verfassung, die die „Kleine Verfassung" von 1992 ablöste, wurden die Machtbefugnisse des Staatspräsidenten weiter beschnitten, so dass die semi-präsidentielle Komponente des Regierungssystems weiter abgeschwächt und die parlamentarische gekräftigt wurde. Die Stellung der Regierung gegenüber dem Parlament wurde (durch Einführung eines gegen den Ministerrat als Ganzen zu richtenden konstruktiven Misstrauensvotums) gestärkt. Im Rahmen des im Juni und August 1996 beschlossenen Pakets von Reformgesetzen wurde die Stellung des MP als Chef der Exe-
39 Vgl. H. Grabbe, How does Europeanization affect CEE governance? Conditionality, diffusion and diversity, in: Journal of European Public Policy 8, 1991, S. 1014 ff. 40 Vgl. European Commission, Regular Report 1999 on Hungary's Progress towards Accession, Brussels, S. 58: „Since July 1998 the role of the Prime Minister's Office in the overall co-ordination between the Ministries has significantly increased". 41 Vgl. Γ. Fricz , The Orbân government: An experiment in regime stabilization, in: M. Schmidt/L. G. Tóth, (Hrsg.), From Totalitarian to Democratic Hungary. Evolution and Transformation 1990-2000, Boulder/Co. 2000. 42 A. Agh, Early consolidation and performance crisis: the majoritarian - consensus democracy debate in Hungary, in: West European Politics 24, 2001, S. 101.
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kutive ausgebaut.43 Dieser institutionelle Reformschub wurde von der MitteRechts-Nachfolgeregierung unter MP Jerzy Buzek (Oktober 1997 bis Juni 2000) weitergetragen. Als Schritt zur weiteren Stärkung der Stellung des MP als Chef der Exekutive wurde das bisherige Büro des Ministerrats durch Gesetz vom 1.4.1999 - unter der Bezeichnung „Kanzlei" (kanzelaria prezesa rady ministrow) - nunmehr dem MP unterstellt. In diesem Zusammenhang verdient auch Erwähnung, dass dieser bemerkenswerte Reformschub auch eine umfassende Restrukturierung der regionalen und lokalen Ebene einschloss (Reduktion der Zahl der Regionen von 49 auf 17, Wiedereinführung der Kreise, powiaty). 44 Der Grund für diesen verfassungs- und institutionenpolitischen Kraftakt, der, bemerkenswert genug, von der Mitte-Links-Koalitionsregierung ebenso wie von ihrer Mitte-Rechts-Nachfolgerin getragen wurde, dürfte in erster Linie darin zu sehen sein, dass ab Mitte der 1990er Jahre das Interesse Polens, in der ersten Runde der EU-Beitrittskandidaten zu sein, von den politischen Eliten in allen Parteien geteilt wurde und damit einen signifikanten Einfluss auf die innenpolitischen Entscheidungen gewann.45 Im Gegensatz zu dem in Polen beobachteten Sturm institutioneller Veränderungen herrschte in der Tschechischen Republik institutionenpolitisch weitgehend Windstille, was das institutionelle Arrangement auf der zentralen Regierungsebene, im Verhältnis von Präsident und Regierung, Regierung und Parlament sowie MP und Ministerrat betrifft. Allerdings sei hervorgehoben, dass die Einführung einer regionalen Ebene, die in der Verfassung von 1991 in Aussicht gestellt wurde (Art. 99), jüngst - mit zehnjähriger Verzögerung - beschlossen worden und am 1.1.2001 mit der Einführung von 14 Provinzen wirksam geworden ist. 46
43 Vgl. J. Fidien, Poland Implements Ambitious Reform Plan, in: Public Management Forum 2, 1996, S. 4; Zubek, core in check (Anm. 23), S. 920 ff. mit Nachweisen. 44 Vgl. H. Wollmann/T. Lankina , Local Government in Poland and Hungary. From post-communist reform towards EU accession, in: H. Baldersheim/M. Illner/ H. Wollmann (Hrsg.), Local Democracy in Post-Communist Europe, Opladen 2003, S. 96 ff. mit Nachweisen. 45 Vgl. Β. Nunberg , Administrative change in Central and Eastern Europe: Emerging country experience, in: B. Nunberg, The State After Communism. Administrative Transitions in Central and Eastern Europe, Washington 1999, S. 246: In Poland, „the bold and decisivive 1996 administrative reform initiative was no doubt largely driven by the goverment's recognition that administrative modernization would be key to the country's successful entry into the EU". 46 Vgl. M. Illner , The Czech Prepublic 1990-2001. Successful reform at the municipal level and a difficult birth of the intermediary government, in: Baldersheim u.a., Local Democracy (Anm. 44), S. 79 ff.
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2. Restrukturierung des Öffentlichen Dienstes Mit der Einführung seines Beamtenrechts von 1992 war Ungarn der Vorreiter nicht nur unter den hier diskutierten drei Ländern, sondern in MOE insgesamt. 47 Zwar wurde damit zweifellos ein wichtiger Beitrag zur politischen und administrativen Konsolidierung geleistet48, jedoch blieb insbesondere die Regelung der „formalen" bzw. „funktionalen Politisierung" der ministerialen Führungspositionen (Verwaltungs-Staatssekretär usw.) umstritten. Die von den Politikern praktizierte und durch das Gesetz sanktionierte hohe Fluktuation in den Spitzenpositionen der Ministerialverwaltung wird als Gefahr für die Professionalität und Kontinuität in diesen Spitzenämtern gesehen.49 Diesem Prozess zu begegnen und abzuhelfen ist das Ziel einer Novellierung des Beamtengesetzes vom Mai 2001, mit dem ein Corps von (Elite-)Beamten („senior civil servants", mit unkündbaren Lebensstellungen, höherer Entgeltung usw.) geschaffen werden soll. Für diese Stellen sind ausdrücklich die Administrativen Staatssekretäre und andere Spitzenpositionen vorgesehen. Indem deren „formale Politisierung", also jederzeitige Absetzbarkeit, abgeschafft wird und sie „unpolitische" Dauersteilen einnehmen, ist ihnen offenbar eine Schlüsselrolle im weiteren Aufbau einer professionellen Verwaltung (wohl nicht zuletzt mit Blick nach Brüssel) zugedacht.50 Bis Frühjahr 2002 wurden in der Ministerialverwaltung rund 450 solcher Stellen besetzt. Da das Ernennungsrecht beim MP liegt, bleibt die „Politisierung" dieser Positionen indessen nach wie vor aktuell und kontrovers. 51 Um dem funktionalen Erfordernis „politischer" (Berater- usw.) Stellen gesetzgeberisch Rechnung zu tragen, wurde gleichzeitig - in Anlehnung an die cabinets der französischen Regierungspraxis - die Beschäftigung von (für die Dauer der amtierenden Regierung eingestellten und jederzeit kündbaren) „politischen" Beratern gesetzlich vorgesehen, deren Zahl für den MP auf 30 und für die Minister auf je 15 begrenzt ist. 52 In Polen wurde unter der „linken" Koalitionsregierung von PM Cimeszewicz als Teil des erwähnten umfangreichen Reformpakets am 5. Juli 1996 auch ein
47 Vgl. Meyer-Sahming, Civil Service (Anm. 19), S. 961, der von "Hungarian exceptionalism" spricht. 48 Vgl. Hazafi/Czoma, Civil Service (Anm. 30): „By legally defining civil servants' status, this legislation played a stabilising role during the transitional periof of the change of regime", S. 3. 49 Vgl. Meyer-Sahming, Civil Service (Anm. 19), S. 963 mit Nachweisen. 50 Vgl. J. Bartok , Hungary moves forward in developing a Senior Civil Service, in: Public Management Forum, 1997, vol. 3, no. 2, S. 2. 51 Vgl. European Commission (Anm. 40), S. 22: „However, the introduction of the senior civil service scheme without fully transparent selection and appointment criteria has increased the scope for politicisation of the administration". 52 Vgl. Brusis , Hungary (Anm. 21), S. 21.
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Beamtengesetz verabschiedet. Ähnlich wie das ungarische Gesetz bezog es nur Beschäftigte der staatlichen (Hoheits-) Verwaltung, nicht der Leistungsverwaltung (insbesondere Lehrer) und auch nicht Polizisten ein und sah vier Laufbahnen vor, darunter Laufbahn A fur den höheren Dienst. 53 Durch Überleitungsvorschriften sollten die aktuell in der Staatsverwaltung Beschäftigten bei Erfüllung bestimmter Qualifikationsmerkmale, u.a. 4-jährige Verwaltungspraxis, in den Beamtenstatus überführt werden. In der neuen Verfassung vom Oktober 1997 wurde die Einführung des Beamtenstatus in der Staatsverwaltung ausdrücklich vorgeschrieben (Artikel 153). Von der Rechts-Mitte-Nachfolgeregierung unter Buzek wurde 1997 das Beamtengesetz nochmals novelliert. Insbesondere das Erfordernis vierjähriger Verwaltungspraxis wurde als eine kaum verhüllte Bevorzugung „alter" Verwaltungskader durch die vorherige „Links"-Regierung abgelehnt.54 Nach dem am 18.12.1998 novellierten Gesetz werden zunächst alle aktuell im Staatsdienst Beschäftigten als (vertragliche) Verwaltungsangestellte nach Maßgabe des Gesetzes von 1982 behandelt. Für die oberste Beamtenlaufbahn (Abteilungsleiter usw.) sind insgesamt 1.600 Stellen vorgesehen (etwa 1 Prozent aller Verwaltungsstellen). 55 In einer mehrjährigen Übergangszeit sollen - aufgrund entsprechender Auswahlverfahren - die Beamtenpositionen besetzt werden. Der (auf öffentliche Ausschreibung und Wettbewerb basierende) Rekrutierungsprozess verlief bislang vor allem für die Positionen der obersten Laufbahn schleppend. Bis September 1991 waren rund 800 (der insgesamt 1.600) Stellen besetzt.56 Von den „normalen" Beamten wird eine Gruppe von „politischen Beamten" (Staatssekretäre, regionale Verwaltungschefs usw.) unterschieden, deren Positionen auf die Amtsdauer der Regierung begrenzt ist. 57 Außerdem kennt auch die polnische Regierungspraxis die den französischen cabinets entlehnten persönlichen Beratungsstäbe, die für den MP und die Minister für die Dauer ihrer Amtszeit eingestellt werden.
53 Vgl. R. Carnecki , Poland's New Civil Service law, provisions for the highest levels, in: Public Management Forum 3, 1997, S. 3. 54 Vgl. J. Pastva , Poland puts high priority on ethics in the building of a modern administration, in: Public Management Forum 4, 1998, S. 3; vgl. auch Zubek , Poland (Anm. 18), S. 22 mit Nachweisen. 55 Vgl. European Commission, Regular Report (2000) on Poland's Progress towards Accession, Brussels, S. 16. 56
Vgl. European Commission, Regular Report (2001) on Poland's Progress towards
Accession, Brussels 2001, S. 18. 57
Vgl. Zubek , Poland (Anm. 18) mit Nachweisen.
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In der Tschechischen Republik fanden - ungeachtet der immer ungeduldigeren und barscheren Mahnungen der Europäischen Union 58 - Gesetzesentwürfe zum öffentlichen Dienstrecht bis in die späten 1990er Jahre keine tragfähigen parlamentarischen Mehrheiten. Bedenken und Widerstand formierten sich teils mit Blick auf die finanziellen Implikationen eines Beamtengesetzes, teils unter Hinweis auf die ungelöste Frage der Einführung der Regionen und ihrer Verwaltung, teils aber auch aus grundsätzlichen liberalen Einwänden gegen den Beamtenstatus.59 Schließlich wurde im Mai 2002 „after difficult discussions and a close vote in Parliament" ein Gesetz verabschiedet. 60
VI. Abschließende Bemerkungen: Institutionelle Transformation noch immer „am Ende des Anfangs"? Einerseits zeigen die hier diskutierten drei Länder gemeinsame Entwicklungstrends. So sind in der Überwindung der (durch Machtanspruch und -monopol der Kommunistischen Partei) instrumentalisierten und „unterpolitisierten" Stellung und Funktion der Regierungsexekutive und der (zur Durchsetzung dieses Machtmonopols von der Partei) „politisierten" Besetzung der Verwaltungsstäbe der Ministerien tiefgreifende Veränderungen in Gang gekommen. Andererseits zeigen sich in Zeitpunkt, Tempo und Ausmaß dieser Veränderungen bemerkenswerte, teils tiefgreifende Unterschiede zwischen den drei Ländern. Während in Ungarn einige Schlüsselentscheidungen (starke Stellung des MP als Chef der Exekutive, Beamtenrecht) bereits in der „Gründungsphase" getroffen wurden, sind in Polen diese im bemerkenswerten Reformschub von 1996 und 1997 (Stärkung der Stellung des MP, Öffentliches Dienstrecht) gefallen. Hingegen blieb es in der Tschechischen Republik bislang bei der auf die „Gründungsphase" zurückgehende „Unterinstitutionalisierung" der Regierungsexekutive und wurde ein Gesetz zum Öffentlichen Dienstrecht erst 2002 verabschiedet. Wie die vorausgegangenen (freilich kaum mehr als stichwortartigen) Hinweise gezeigt haben mögen, ist das jeweilige Landesprofil der hier interessie-
58 Vgl. European Commission, Regular Report (1998) on Czech Republic's Progress towards Accession, Brussels, S. 36: „The absence of a civil service law, low remuneration and the lack of service-wide training, combined with insufficient government attention to these issues, impede the development of a modern effective administration capable to apply the acquis 59 Vgl. Vidlàkovà , Country Report (Anm. 35), Rd.-Nr. 1.5.; Y. Streckovà , Public Administration Reform and the Civil Service: Interview with the Czech Deputy Minister of the Interior, in: Public Management Forum 4, 1998, S. 3. 60 Vgl. European Commission, Regular Report (2002) on Czech Republic's Progress towards Accession, 2002, Brussels, S. 13.
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renden institutionellen Veränderungen, zumal in der „Gründungsphase", wesentlich durch die landeseigentümlichen Kontexte und Bedingungen des Systemwechsels und die relevante Akteurskonstellation, nicht zuletzt durch die Ausformung des Parteiensystems und der Parteienkonkurrenz bestimmt. Im weiteren „Konsolidierungsprozess" wirkte sich zwar zunehmend der von den Ländern angestrebte Beitritt zur EU auf die jeweiligen nationalen Entscheidungsprozesse aus. Wiederum treten indessen erhebliche Unterschiede in Zeitpunkt, Tempo und Ausmaß dieser Einwirkungen in den Blick - vom heftigen Reformschub in Polen von 1996/97, auf den die laufenden Beitragsverhandlungen und -bemühungen unzweifelhaft einen erheblichen Einfluss hatten, bis zu den eher geringen und jedenfalls späten Veränderungsschritten in der Tschechischen Republik, was auf einen geringen Einfluss der Beitrittsprozesses hindeutet. Insgesamt hat sich die institutionelle Transformation in den postkommunistischen Ländern bedeutend langsamer und widersprüchlicher vollzogen als in ihrer Frühphase von westlichen Wissenschaftlern und Beratern (in internationalen Organisationen wie SIGMA und OCED) angenommen und vorhergesagt. Ein eindringliches Anschauungsfeld liefern just der Umbau der Verwaltungsstrukturen, der Wechsel von der kommunistischen „Nomenklatur- und Kaderverwaltung" zum demokratischen Verfassungs- und rechtsstaatlichen Verwaltungsstaat vor dem Hintergrund persistenter alter Personalstrukturen und konfligierender aktueller politischer Interessen. 61 Auch konzeptionell haben sich deutliche Verschiebungen aufgedrängt. In der früheren Diskussion der institutionellen Transformation in den postkommunistischen Ländern wurde weitgehend von (implizit oder explizit) normativ und teleologisch bestimmten Annahmen und Konzepten ausgegangen62, sei es in einem (eher soziologischen) Verständnis von nachholender Modernisierung, sei es in der (eher politikwissenschaftlichen) Interpretation der „rational-legalen bürokratischen" Prämissen und Strukturen der Verwaltung als eine der notwendigen Bedingungen für Aufbau und Sicherung liberaler Demokratie 63 oder in der Idee vom Übergang der „real-sozialistischen zur klassisch-europäischen Verwaltung". 64 Eine letztlich präskriptive Konzeption spricht auch aus der Vor61
Vgl. Nunberg , Administrative change (Anm. 45), S. 265: Public administration „has proved strikingly resistant to wholesale transformation, dashing notions that modern ,western-style' administration could be installed with a minimal effort and maximal speed". 62 Vgl. K Goetz , Making sense of post-communist central administration: Modernization, Europeanization or Latinization?, in: Journal of European Public Policy 8, 2001, S. 1032 ff. 63 So J. Linz/A. Stepan, Problems of Democratic Transition and Consolidation: Southern Europe, South America and Post-Communist Europe, Baltimore 1996, S. 3 ff. 64 So König , Transformation (Anm. 2).
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Stellung von „a European administrative space".65 Gemeinsam ist diesen (implizit oder explizit) normativen Konzepten, dass sie eine Messlatte und Optik suggerieren, nach welcher der erreichte Stand des institutionellen Wandels in den MOE-Ländern als „Defizit" und Verfehlung der Zielmarke erscheint. 66 Inzwischen hat sich eine differenziertere und, wenn man so will, „ent-teleologisierte" Sichtweise durchgesetzt. 67 Mit Blick auf die „Europäisierungs"- oder „EU-Europäisierungs-These" (also den behaupteten Einfluss des „europäischen Modells") wird zutreffend darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht den „einen" europäischen Typus gibt, sondern eine Pluralität von (oft genug miteinander um Einfluss konkurrierenden) Verfassungs- und Verwaltungsmodellen der europäischen Länder 68 , und dass zudem die EU (ungeachtet der Suggestivität ihres Drängens und Mahnens, sich auf den acquis communautaire durch administrative Reformen einzustellen), kein bestimmtes Organisations- und Verwaltungsmodell vorgibt 69 (ganz abgesehen davon, dass sie dies europarechtlich auch gar nicht dürfte). Angesichts dessen, dass die institutionelle Entwicklung in den einzelnen Ländern - ungeachtet des exogenen Anpassungs- und Integrationsdrucks - nach wie vor von den landesspezifischen Bedingungen bestimmt werden, in denen weiterhin, wenn nicht verstärkt die jeweiligen landeseigentümlichen Gegebenheiten der Transformation hervortreten, erscheint es (jedenfalls für absehbare Zeit) als problematisch, die institutionelle Entwicklung in den MOE-Ländern in das Prokrustesbett von aus entwickelten „westlichen" Politik-, Verfassungs- und Verwaltungssystemen gewonnenen (normativen wie analytischen) Theorien zu spannen. Stattdessen dürften sich Konzepte als (zumindest heuristisch) fruchtbar erweisen, die der Grundgegebenheit der MOELänder Rechnung tragen, dass sie sich nach wie vor im Prozess der Transformation befinden, ja dass dies vermutlich noch immer erst „das Ende des Anfangs der Transformation" 70 ist. 71
65 Vgl. den ebenso programmatischen wie suggestiven Titel des SIGMA Bandes: Preparing public administration for the European administrative space, SIGMA Paper no. 23, Paris 1998; vgl. auch Goetz, Making sense (Anm. 62), S. 1036 ff. 66 Diese normative Optik spricht auch aus den (teilweise harschen) „Noten", die die Europäische Union in ihren jährlichen „Progress reports" den einzelnen Beitrittskandidaten-Ländem erteilt. 67 Vgl. etwa J. J. Hesse, Rebuilding the State. Administrative reform in Central and Eastern Europe, in: SIGMA ed., Preparin publik (Anm. 65), p. 177 f. 68 Vgl. Goetz, Making sense (Anm. 62), S. 1037. 69 Vgl. Lippert u.a., Europeanization (Anm. 38 ), S. 1003. 70 So der Untertitel des 1995-Bandes Wollmann/Wiesenthal/Bönker, Transformation (Anm. 4). 71 Vgl. Goetz, Making sense (Anm. 62), S. 1042, mit der Anregung, in der Analyse der Transformation in den MOE-Ländern (in Anknüpfung an die Arbeiten von Linz/Stepan vgl. Anm. 63, Democratic Transition) den Anschluss und Vergleich mit den Forschungen zur Entwicklung in Lateinamerika („Latinization") zu suchen.
Entwicklungen der Ministerialverwaltung in Mittel- und Osteuropa - organisationstheoretische Zugänge und Hypothesen Von Werner Jann, Potsdam
I. Fragestellung Transformation und Leistungsfähigkeit administrativer Systeme sind seit langem zentrale Interessengebiete von Klaus König, sowohl bezüglich der Entwicklungsverwaltung und Staatsentwicklung in der sogenannten Dritten Welt, aber auch in den letzten Jahren besonders in Bezug auf die Transformation der sozialistischen Kaderverwaltungen im Rahmen des Institutionentransfers der deutschen Vereinigung und im gesamten Transformationsprozess des „realen Sozialismus"1. Im folgenden soll es darum gehen, einen Beitrag zu dieser Debatte zu leisten, in dem gefragt wird, auf welche allgemeinen theoretischen Konzepte zurückgegriffen werden könnte, um solche Transformationsprozesse zu beschreiben, zu erklären und zu verstehen. Ausgangspunkt sind dabei zum einen Ministerialverwaltungen in (ausgewählten) Mittel- und Osteuropäischen Ländern (MOE) 2 , zum anderen allgemeine Theorien organisatorischen Wandels. Mit anderen Worten geht es darum, den - vermuteten - Wandel politisch-administrativer Strukturen mit Ansätzen zu erfassen, die ausdrücklich nicht aus der Entwicklungs- oder Transformations1 Siehe nur K. König, Verwaltungsstaat im Übergang. Transformation, Entwicklung, Modernisierung, Baden-Baden 1999, oder ders., Zur Transformation einer realsozialistischen Verwaltung in eine klassisch-europäische Verwaltung, in: Verwaltungsarchiv 1992, S. 229 ff., und ders., Staats- und Verwaltungsreformen in Transitionsländern, in: D. Duwendag (Hrsg.), Reformen in Russland und die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen, Baden-Baden 2002, S. 53 ff. 2 Berichtet wird im Sinne eines „Werkstattberichts" aus einen laufenden DFGForschungsprojekt „Entwicklung und Leistungsfähigkeit der zentralstaatlichen Verwaltung in Mittel- und Osteuropäischen Ländern". Zu Fragestellungen und Länderauswahl siehe J. Franzke et.al., External Actors and the Transformation of Agricultural Administration in Estonia, Poland and Slovakia. Public Administration. National and international studies (Bialystok School of Public Administration) 1, 2003, S. 48-65. Den Mitarbeitern des Projekts Jochen Franzke, Astrid Strohbach und Stefanie Tragi danke ich für wertvolle Hinweise, für meine Schlussfolgerungen sind sie selbstverständlich nicht verantwortlich.
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theorie kommen. Verwaltungsentwicklung in Mittel- und Osteuropa soll versuchsweise als „normaler" Prozess der Organisationsänderung verstanden werden, oder zumindest als Prozess, der mit gängigen Ansätzen und Theorien erklärt werden kann. Es geht also auch darum, Transformations- und Organisationstheorie miteinander zu verbinden, wenn nicht sogar miteinander zu versöhnen. Theoretischer Ausgangspunkt sind sozialwissenschaftliche Ansätze, die dem Neo-Institutonalismus verbunden sind, und die man im weiteren Sinne als „skandinavische Schule" bezeichnen könnte. Gemeinsamer Bezugspunkt ist dabei die Verbindung klassisch politikwissenschaftlicher mit organisationstheoretischen Ansätzen. Politik wird als politische Organisation, als die formelle und informelle Strukturierung politischer Entscheidungsprozesse verstanden, und damit gerät selbstverständlich der Verwaltungsapparat ins Zentrum der Aufmerksamkeit 3. Die zentralstaatliche Ministerialverwaltung ist besonders gut geeignet, diese politik- und organisationswissenschaftlichen Ansätze zusammenzuführen, denn sie ist - zumindest in demokratischen Regierungssystemen - typischer Adressat und Akteur gesamtgesellschaftlicher Steuerungsansprüche und -bestrebungen. In westlichen Demokratien wird sie - allerdings in unterschiedlichem Maße sowohl mit der Ausarbeitung zentralstaatlicher Politikprogramme als auch deren Administrierung beauftragt. Unter der sozialistischen Staatlichkeit diente die Zentralverwaltung der Durchsetzung des absoluten Herrschaftsanspruchs der kommunistischen Partei, der auf eine vollständige Durchdringung von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft abzielte. Dieser Umstand legt die Vermutung nahe, dass die Zentralverwaltung in den letzten Jahren das Objekt intensiver Transformationsbemühungen bei der Schaffung „zivilgesellschaftlicher" Verhältnisse gewesen ist (z.B. in Bezug auf Demokratisierung, Dezentralisierung, Rechtsbindung etc.). Andererseits lässt sich vermuten, dass die erfolgreiche Durchdringung aller Lebensbereiche durch die sozialistische zentralstaatliche Verwaltung in der Phase des „realen Sozialismus" eine radikale Veränderung der administrativen Institutionen zumindest erschwert oder dysfunktionale Folgen zeitigt (z.B. Machtsicherung, Fragmentierung, Klientelismus bis hin zur „bürokratischen Sabotage"). Unter den Bedingungen der Transformation ist die zentralstaatliche Exekutive gleichzeitig Akteur und Objekt des gesellschaftlichen Wandels. Aus diesem Grund sollte die Untersuchung des institutionellen Wandels auf zentralstaatlicher Ebene einen zentralen Platz bei der Evaluierung des Gelingens von Trans3
Grundlegend J. P. Olsen (ed.), Politisk Organisering, Bergen 1978, neuerdings z.B. M. Antonsen/T. Beck Jorgensen (ed.), Forandringer i teorie og praksis, Kopenhagen 2000, und M. Marcussen/K. Ronit (ed.), Internationalisering af den offentlige Forvaltning i Danmark, Aarhus 2003.
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formationsprozessen einnehmen. Ungeachtet verschiedener vorliegender Arbeiten bleibt das Bild der institutionellen Ausgestaltung und Leistungsfähigkeit der post-kommunistischen Regierungs- und Verwaltungssysteme mehr als zehn Jahre nach dem Untergang der kommunistischen Regime aber noch immer unvollständig und diffus: Die politik- und verwaltungs wissenschaftliche Forschung hat erst begonnen, sich dem Untersuchungsfeld Verwaltung in den MOE-Staaten anzunehmen, insbesondere fehlen genuin vergleichende Studien (im Gegensatz zu einfachen Länderstudien). Während hinsichtlich der institutionellen Anforderungen an eine demokratische Konsolidierung der MOE-Staaten umfangreiche Diskussionen stattgefunden haben4, haben die administrativen Bedingungen und Voraussetzungen für eine erfolgreiche gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Transformation bisher kaum die Aufmerksamkeit der Forschung erregt 5. Die meisten Vorarbeiten zu den Zentralverwaltungen beziehen sich zudem überwiegend auf die Gründungsphase ausgewählter postkommunistischer Staaten, in der einer Umstrukturierung der Zentralverwaltung im Gegensatz zur kommunalen Ebene nur untergeordnete Bedeutung zugemessen wurde. Sie konzentrierten sich des Weiteren vielfach nur auf ausgewählte Bereiche der zentralstaatlichen Verwaltung wie insbesondere Institutionen der Wirtschaftsverwaltung und der inneren Sicherheit. In der Konsolidierungsphase nimmt der Stellenwert der Zentralverwaltung hingegen stark zu. Er wird vermutlich zu einem ausschlaggebenden Engpass („bottleneck") gesellschaftlicher und ökonomischer Modernisierung kommen. Zudem werden Organisation, Verfahrensweisen und Leistungsfähigkeit der Zentralverwaltung zu einer entscheidenden Voraussetzung bei der Vorbereitung für die Aufnahme in die EU 6 . Erschwerend kommt hinzu, dass man bezüglich der Ministerialverwaltung nicht eigentlich von einer Reform bestehender Strukturen sprechen kann, da in den vorherigen sozialistischen Regimen kein öffentlicher Dienst im eigentlichen Sinne und keine politische Ministerialverwaltung bestanden hat. Zum Teil handelt es sich um „neue Staaten" (Estland, Slowakei), zum anderen müssen Kapazitäten für Politikanalyse und -ausarbeitung erst (neu) geschaffen werden, denn auf diese Funktionen hatte bekanntlich die Kommunistische Partei ein Monopol, da die Ministerialverwaltung im Sozialismus in der Regel zu einer bloßen Implementationsbehörde degradiert war. Man sollte daher besser von der Ent4
Siehe z.B. A. Lijphart , Patterns of Democracy. Governments Forms and Performance in Thirty-Six Countries, New Haven/London 1999. 5 Siehe aber Κ. Goetz/H. Wollmann, Govemmentalizing Central Executives in PostCommunist Europe: a Four-Country Comparison, in: Journal of European Public Policy, Vol. 8, Nr. 6, 2001, S. 864-887, und Η. Wollmann in diesem Band m.w.A. 6 OECD, Preparing Public Administrations for the European Administrative Space, SIGMA Papers, No. 23, Paris 1998; W. Jann, Reliable Administration, Paper prepared for the Conference on: Governance and European Integration, Rotterdam, 28-30 May 1997.
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wicklung neuer Strukturen des Öffentlichen Sektors sprechen als von Reform eines nicht reformierbaren Systems7. Die sozialistischen „legacies" erschweren nicht nur Veränderungen, sondern sie erfordern in vielen Bereichen einen generellen Neuaufbau. Bislang fehlt es allerdings an systematischen und vergleichenden, empirisch abgesicherten Analysen zur Institutionenbildung und administrativen Leistungsfähigkeit der ministeriellen und zentralstaatlichen Ebene, ebenso wie an theoretisch angeleiteten Arbeiten, die sich mit den Bedingungen und Restriktionen erfolgreicher administrativer Institutionenbildung in diesen Bereichen beschäftigen. Weitgehend ungeklärt ist dabei vor allem auch die Dynamik dieser Entwicklungsprozesse seit 1989.
I I . Organisationsformen, Verhalten und Governance Welche organisationstheoretischen Ansätze und Konzepte gibt es, die uns helfen könnten, die Veränderungsprozesse zentralstaatlicher Ministerialverwaltungen in MOE-Ländern besser zu beschreiben und zu verstehen? Entscheidend für jede empirische Untersuchung ist die Definition der abhängigen Variablen, also jener Phänomene, deren Veränderungen beschrieben und erklärt werden sollen. Letztendlich geht es in der Verwaltungswissenschaft immer um die Problemlösungsfahigkeit politisch-administrativer Systeme. Christensen/Peters bezeichnen dies als Governance 8. Dabei ist selbstverständlich zu konzedieren, dass diese Systeme selbst, z.B. als „der Staat" diese Problemlösung nicht selbst vorhalten müssen. Politisch-administrative Systeme sind aber für den Rahmen verantwortlich, in dem kollektive Probleme entstehen, wahrgenommen und durch private und/oder öffentliche Akteure bearbeitet werden können. Governance meint damit hier das Problemlösungsverhalten politisch-administrativer Systeme, das wiederum eine weite Bandbreite EntscheidungsVerhaltens umfasst, von dem individuellen Entscheidungsverhalten einzelner Akteure (z.B. korrupt oder nicht-korrupt), dem Verhalten staatlicher Organisationen (z.B. konsensual oder konfliktär), bis hin zu den verwendeten Instrumenten und Programmen, deren Umsetzung und Wirkung: „the capacity of a government to either control behavior directly, or create a set of incentives and disincentives for behavior, that enables it to produce desired societal outco7
So z.B. explizit G. Sootla/H. Roots , The Civil Service in the Republic of Estonia, in: T. Verheijen/D. Coombes (eds), Civil Service Systems in CEE, Cheltenham 1999, S. 135. 8 T. Christensen/B.G. Peters , Structure, Culture, and Governance. A Comparison of Norway and the United States, Lanham 1999.
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mes"9. Relevant ist sowohl intern das Verhalten in Organisationen (z.B. interne Steuerung durch Personal, Recht, Geld, Verarbeitung von Unsicherheit, Führungsstile) wie extern gegenüber der Umwelt (z.B. die mehr oder weniger erfolgreiche Formulierung oder Implementation politischer Programme durch Informationsverarbeitung und Konfliktlösung). Dieses Problemlösungsverhalten, das ist zumindest eine zentrale Annahme der Verwaltungsforschung, ist wiederum abhängig von institutionellen und personellen Strukturen. Hilfreich ist hier eine ganz einfache Unterscheidung struktureller und kultureller Faktoren 10. Zur „Struktur" im Bereich politisch-administrativer Systeme gehören inter- und intra-organisatorische Merkmale, also etwa die politische Makro-Organisation (Regierungssystem, vertikale und horizontale Differenzierungen in Ressorts, Ministerien, Behörden usw.) und die Mikro-Organisation einzelner Behörden (wiederum horizontale und vertikale Differenzierung, Aufbau- und Ablauforganisation, Spezialisierung, Fragmentierung, Kontrollstrukturen etc.). Wenn es um Veränderungen der zentralstaatlichen Ministerialverwaltung geht, wären hier also, auf einer ganz einfachen Ebene, veränderte interne und externe Organisationsstrukturen zu unterscheiden (also etwa die vertikale und horizontale Organisation in Ressorts, Abteilungen, Referate etc., aber auch die Beziehungen zu nachgeordneten Einheiten, also etwa Agencies), neue Relationen zu externen Akteuren (etwa Parlament, Parteien, Interessengruppen, ausländischen Institutionen) sowie die Zuweisung neuer Aufgaben (etwa im Rahmen des Policy Cycle, also Agenda Setting, Politikformulierung, Implementation, Evaluation, z.B. auch im Bereich der Regulierung oder dezentralen Überwachung). Wenn es um Organisationen als Institutionen geht, ist weiter zu unterscheiden zwischen Änderungen der formalen Strukturen, der tatsächlichen Praktiken (Problemlösungsverhalten) und der zu Grunde liegenden Normen und Werte, für die das Kürzel „Kultur" steht. „Kultur" umfasst nach dieser Unterscheidung spezifische Meinungen, Einstellungen und Werte, und zwar auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene (etwa grundlegende „cleavages" nach Religion, Ethnien, Klassen etc.), interorganisatorisch gegenüber dem politisch-administrativen System (z.B. Institutionenvertrauen, Legitimität und Legalität etc.) sowie intra-organisatorisch gegenüber der spezifischen Organisation, in der man arbeitet (z.B. individuelles Rollenverständnis, Manager vs. Beamter etc.).
9
Ebd., S. 16. Siehe ausführlicher W. Jann, Verwaltungskultur, in: K. König (Hrsg.), Deutsche Verwaltung an der Wende zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002. 10
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„Struktur" interorganisatorisch
Ministerien im Regierungssystem: • Ressortabgrenzung • Agencification • Beziehungen zu externen Akteuren (Parteien, Parlamente, Interessengruppen, Think Tanks) etc.
intraorganisatorisch
„Kultur" Meinungen, Werte, Einstellungen gegenüber Verwaltung • • • •
Legitimität Rechtsstaatlichkeit Staatsverständnis Vertrauen in Institutionen
„Verhalten" Problemlösungsverhalten • externe Steuerung • Koordination • Konfliktbewältigung • Information • Programmformulierung • Implementation • Evaluation
„MakroOrganisation"
„Verwaltungskultur als politische Kultur"
„Policy-Style"
Organisation der Ministerien
spezifische Einstellungen innerhalb der Verwaltung (Rollenverständnis)
Problemlösungsverhalten
• vertikale und horizontale Spezialisierung • Hierarchieebenen • Aufgaben im Policy Cycle • Personal struktur • Normierung • Kontrakte etc.
„MikroOrganisation"
• OPA (Webersches Modell) • MPM (Management Orientierung) • individuelle Verantwortung • Trennung Politik und Verwaltung „Verwaltungskultur als Organisationskultur"
• • • • • •
interne Steuerung Entscheidungsstil Rekrutierung Flexibilität Führungsstil Ethos, Korruption
„Verwaltungsstil"
Abbildung 1 : Struktur, Kultur und Verhalten als Elemente von Organisationsänderungen
Schon diese oberflächliche Betrachtung, die in Abb. 1 zusammengefasst ist, verdeutlicht erhebliche Probleme, nämlich die unklare Unterscheidung von erklärenden und erklärten Faktoren, den „Syndromcharakter" dieser Merkmale und schließlich die problematische instrumentalistische Orientierung bestimmter Ansätze. A u c h die derzeit verwirrende Verwendung des GovernanceKonzepts wird durch die A b b i l d u n g verständlicher. Governance wird nämlich sowohl zur Kennzeichnung des - erwünschten - Problemlösungsverhaltens bestimmter Akteure oder Systeme herangezogen (i.S. von Good Governance oder
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Progressive Governance ), umfasst oft aber auch die strukturellen und kulturellen Voraussetzungen dieses Verhaltens (z.B. in der Definition der Weltbank oder in dem Governance White Paper der EU). Corporate Governance wiederum meint in der Betriebswirtschaftslehre oft nur die strukturellen Merkmale intra-organisatorischer Beziehungen in komplexen Großorganisationen 11. Die Abbildung verdeutlicht weiter die einfachen instrumentalistischen Annahmen bestimmter Ansätze. Ziel von Verwaltungsreformen ist i.d.R. die Erhöhung des Problemlösungsverhaltens von Organisationen oder ganzer Regierungssysteme. Ein Teil der Modernisierungs- und Organisationskulturliteratur behauptet nun, es sei möglich, Einstellungen, Rollenverständnis etc. der Mitglieder einer Organisation bewusst zu steuern, um damit das Problemlösungsverhalten der Akteure und der gesamten Organisation positiv zu beeinflussen. Diese Annahme ist nicht abwegig, aber sie setzt doch erhebliche kausale Erkenntnisse voraus, die in der Organisationsforschung i.d.R. nicht eindeutig vorhanden sind. Eine aktive Verwaltungspolitik in diesem Sinne beruht daher auf mehr oder weniger impliziten Annahmen, dass nicht nur organisatorische Strukturen intentional gewählt und verändert werden können, sondern auch kulturelle Orientierungen, dass es einigermaßen eindeutige Merkmale „richtigen" Problemlösungsverhaltens und eine deutliche Verbindung zwischen strukturellen und kulturellen Veränderungen und diesen inhaltlichen Zielen gibt, dass unterschiedliche Struktur- und Kulturmerkmale erkennbare Effekte haben und dass diese erwünschten Effekte die Auswahl der jeweiligen Struktur- und Kulturmerkmale bestimmen können. Alles dies sind sehr anspruchsvolle Voraussetzungen.
I I I . Impulse und Dynamiken Als nächstes ist zu fragen, wie beobachtbare Veränderungen zu erklären sind, welche Faktoren als entscheidende Impulse für Organisationsänderungen infrage kommen? Wiederum auf einer sehr abstrakten Ebene geht es um neuartige Anforderungen, Probleme, Lösungen und normative Vorstellungen, das was Antonsen/Beck Jorgensen die „Ursuppe" von Transformationen nennen, und in diesem Zusammenhang nicht zuletzt um Ungleichgewichte und Delegitimationen bestehender Organisationen und Institutionen, wie wir sie gerade im Zusammenbruch des realen Sozialismus beobachten konnten. Typische aktuelle externe Impulse sind technologische Entwicklungen (z.B. die Internet- und Informationsgesellschaft) 11 Ausfuhrlicher W. Jann y Der Wandel verwaltungspolitischer Leitbilder: Von Management zu Governance?, in: Κ König (Hrsg.), Deutsche Verwaltung an der Wende zum 21. Jahrhundert., Baden-Baden 2002.
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und die allenthalben beobachtete und beklagte Internationalisierung und Globalisierung. Internationalisierung kann als Problem-Internationalisierung auftreten (nationale Akteure werden mit internationalen Problemen konfrontiert, etwa Umwelt, Klima oder wirtschaftliche Globalisierung), als GesellschaftsInternationalisierung (nationale Akteure sind in einem vorher nie gekannten Umfang in trans-nationale Diskurse und Vergleiche eingebunden, z.B. durch die oben erwähnten technologischen Entwicklungen, Medien und Reisen) und schließlich als Entscheidungs-Internationalisierung, in dem nationale Akteure zunehmend in trans-nationale Entscheidungsnetzwerke eingebunden werden (etwa durch internationale Organisationen und Politiknetzwerke). Das beste und für unsere Fälle entscheidende Beispiel ist selbstverständlich die EU. Eine andere Möglichkeit, diese Veränderungsimpulse systematisch zu ordnen, wäre, sie nach hierarchischen Mechanismen (z.B. durch externe Akteure aufgezwungene neue Regeln und Anforderungen, Beispiel EU oder GATT), marktliche Mechanismen (also durch internationale Konkurrenz aufgezwungene Veränderungen) und Lern-Mechanismen zu unterscheiden (die durch internationale Organisationen und informelle Kontakte verbreiteten Kriterien,»richtigen" Verhaltens oder eines „good governance", zum Beispiel durch die OECD, die jährlich das Zusammentreffen von über 40.000 Beamten organisiert, oder etwa auch Mechanismen wie die PISA-Studie). Veränderungsimpulse werden durch Akteure transportiert und umgesetzt. Die Veränderungsobjekte, in unserem Fall Ministerien und Agencies, deren Veränderung erklärt werden soll, werden durch ferne und nahe Akteure beeinflusst, oder eher externe und interne. Ferne Akteure wären z.B. die EU, aber auch die OECD, die Weltbank, internationale Consultants oder auch andere Länder. Nahe Akteure wären z.B. Parlament, Parteien, Interessengruppen, die Regierung oder etwa auch das Finanzministerium. Eine entscheidende Annahme des Neo-Institutionalismus der skandinavischen Schule besagt nun, dass öffentliche Organisationen, also auch Ministerien und Agencies, nicht nur hierarchisch „von oben" beeinflusst werden, also etwa durch die politische Führung und durch Gesetze, sondern auch und ganz besonders „von der Seite", also etwa durch Klienten, Kunden, Interessengruppen und Parteien, oder auch „von unten" oder „intern" durch die eigenen Mitarbeiter und Führungskräfte. Einflusskanäle in den öffentlichen Sektor bestehen nicht nur auf der traditionellen Input-Ebene (also über die parlamentarische Steuerungskette in ihren beiden Ausprägungen: Parlament-Gesetzgebung-Haushalt-Verwaltung oder Parlament-Regierung-Verwaltung), sondern auch über die Ebene der Outputs und Outcomes, durch Klienten und Kunden und deren direkte Intervention. Unterschiedliche öffentliche Organisationen werden offensichtlich ganz unterschiedlichen Impulsen ausgesetzt, und gleichartige Impulse haben vermutlich unterschiedliche Resultate. Wie kann man sich in diesem Wirrwarr zwar plausibler, aber überlappender und vielfältiger Erklärungsversuche zurechtfinden?
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IV. Theoretische Zugänge Die dänischen Autoren Antonsen, Greve und Beck Jorgensen haben anhand einer einfachen Unterteilung i n zwei Dimensionen versucht, die Vielzahl vorhandener Erklärungsversuche organisatorischer Änderungen zu systematisieren 1 2 . Sie unterscheiden auf der einen Ebene zwischen der Intention von Organisationsänderungen (sind diese zielgerichtet und geplant, oder ungeplant, d.h. eher geprägt durch Kräfte außerhalb des Bewusstseins und der Reichweite der Akteure), und auf der anderen Seite zwischen der Richtung der zugrunde liegenden Impulse (haben w i r es mit hierarchischen, top-down Anweisungen zu tun, also etwa politischen Programmen, Gesetzen, Verordnungen etc., oder mit nicht-hierarchischen Impulsen, also etwa von anderen Organisationen, Kunden, Klienten, den eigenen Mitarbeitern, Professionen usw.).
Impulsrichtung eher hierarchisch „top down" Intentionalität
geplante, intendierte Veränderungen
ungeplante nicht-intendierte Veränderungen
eher nicht-hierarchisch „bottom up"
rationale Reformtheorie/ Verwaltungspolitik
Rationale Akteurstheorie/ Rational Choice
• Bürokratietheorie • Parlamentarismus • Scientific Management • Anreizkompatibilität • Contingency Theory • Organisationsentwicklung • Organisationskultur • New Public Management Implementationstheorien
• • • •
• • • •
bürokratische Politik Mikropolitik symbolische Anpassung Heuchelei
Budget Maximizing Bureau Shaping Institutionenökonomie politische Dysfunktionalität • Spieltheorie/ Dilemmata Isomorphic und Diffusionstheorien • Lebenszyklustheorien • anthropologische Kulturtheorie • Population Ecology • historischer und • soziologischer Institutionalismus • Inkrementalismus • Garbage Can
Abbildung 2: Theorien der Veränderung von Organisationen (modifiziert nach Antonsen/Greve/Beck Jorgensen, 2000)
12 M. Antonsen/C. Greve/T. Beck Jorgensen, Teorier om forandring i den offentlige setor, in: Antonsen/Jorgensen. (Anm. 3).
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1. Rationale Reformtheorien Die einfache Unterscheidung zeigt, dass das was normalerweise als Verwaltungspolitik bezeichnet wird, also die durch die legitimierte politische Führung induzierten Veränderungen der Organisationsformen, Verhaltensweisen und Personalstrukturen der Verwaltung (bis hin zu Veränderungen der Verwaltungskultur), nur ein Spezialfall allfällig beobachtbarer Organisationsänderungen ist. Dies ist die instrumentelle Sicht der Verwaltung, also öffentliche Organisationen, z.B. Ministerien, als Werkzeug eines externen Prinzipals, z.B. des Ministers. Klassische Theorien der Verwaltung fallen in dieses Kästchen, nicht zuletzt die normative Bürokratietheorie (obwohl Max Weber bekanntlich bereits Zweifel an der Steuerbarkeit der Bürokratie hatte), oder auch die klassische Parlamentarismustheorie. Vor allem gehören alle rationalen Reformtheorien in diese Ecke. Die Grundannahmen dieser Theorien besagen, es sei möglich, klare und konsistente Ziele zu formulieren, durch diese seien vorhandene Strukturen zu ändern, die wiederum Handlungen und Verhalten individueller Akteure und letztendlich die Resultate dieser Handlungen determinieren. Beispiele wären alle a-historischen und kontext-freien Modernisierungstheorien eines „one-best-ways", also z.B. die klassische Verwaltungstheorie des Scientific Management von Gulick/Urwick, aber auch Vulgärversionen des New Public Management13. Aber auch modernere Reformtheorien sind hier zu verorten, etwa Kontingenztheorien, die zwar keine überall anwendbare beste Organisationsform postulieren, aber dennoch davon ausgehen, dass es darauf ankommt, rational eine „passende" Organisationsform zu finden und umzusetzen. Oder auch Theorien, die besonders informelle Strukturen und Werte problematisieren. Diese Ansätze funktionaler „Organisationskulturen" gehen davon aus, dass es möglich ist, die normativen und kognitiven Grundlagen von Organisationen bewusst zu manipulieren, um damit die Leistungsfähigkeit von Organisationen zu steigern. Auch Principal-Agent Theorien gehören in diese Kategorie, zumindest wenn Sie postulieren, dass es prinzipiell möglich sei, Anreize, Sanktionen und vertragliche Regeln zu finden, die das opportunistische Verhalten der Agenten erfolgreich eindämmen und steuern können, also die Anreizkompatibilität von Organisationen zu erhöhen. Tatsächlich ist „organisation matters" eine Grundannahme aller institutionalistischen Organisationstheorien, dass also das Design und Re-Design formaler Organisationen Normen und Verhalten ändern und substantielle Resultate verbessern kann. Ohne eine solche Annahme wäre jegliche Art von Verwal13 Vgl. auch K. König/M. Adam, Neuer öffentlicher Managerialismus in der Transformationspolitik - der Fall der Mongolei, in: E. Schröter (Hrsg.), Empirische Policyund Verwaltungsforschung, Opladen 2001, S. 345 ff.
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tungspolitik und Verwaltungsreform sinnlos und überflüssig. Aber dennoch ist bei der Erklärung von Organisationsänderungen zu beachten, dass die Kopplung zwischen Strukturen, Verhalten und Resultaten nicht notwendigerweise eng ist 14 , und dass Organisationsänderungen sehr gut und überzeugend auch durch andere Theorien erklärt werden können.
2. Rationale Akteurstheorien Theorien, die zwar geplante oder zumindest intentionale Veränderungen annehmen, aber die Dominanz hierarchischer Impulse bestreiten, können als rationale Akteurstheorien bezeichnet werden. Dies sind die typischen RationalChoice Theorien, die davon ausgehen, dass Akteure innerhalb und außerhalb der Verwaltung ihre Ziele rational verfolgen werden und dabei einen prinzipiellen Überblick über die Folgen ihrer Handlungen und Strategien haben. Hierhin gehören die klassischen Theorien der Verwaltung als Budget-Maximierer oder auch als Bureau-Shaper 15 und auch Theorien, die Organisationen als die - oft dysfunktionalen Ergebnisse rationaler externer Akteure konzeptionalisieren 16. Auch sämtliche Formen spieltheoretischer Erklärungen institutioneller Konfigurationen sind hier zu verorten, etwa die klassische Theorie der „tragedy of the commons" und nicht zuletzt institutionenökonomische Theorien, die Transaktionskosten oder Property Rights als Ausgangspunkt für stabile institutionelle Arrangements nehmen17.
3. Implementationstheorien Ungeplante, nicht intendierte Ergebnisse politischer Strategien sind die Domäne der Implementationstheorien. Seit dem Standardwerk von Pressman/Wildavsky beschäftigt sich die Verwaltungsforschung mit der Frage, warum gut-gemeinte Reformen so oft scheitern, „why great expectations in Washington are dashed in Oakland" 18 , und obwohl die meisten dieser Studien sich mit substantiellen Politikfeldern beschäftigt haben, gilt diese Frage notwendi-
14
J P. Olsen, Towards a European Administrative Space? Keynote Speech der EGPA-Konferenz Potsdam 2002, S. 20 f. 15 P. Dunleavy , Democracy, Bureaucracy and Public Choice. Economic Explanations in Political Science, London 1991. 16 T. M. Moe, The Politics of Structural Choice. Towards a Theory of Public Bureaucracy, in: O. Williamsen (ed.), Organization Theory, New York 1990. 17 O.E. Williamson , Markets and Hierarchies, New York 1975. 18 J. Pressman/A. Wildavsky , Implementation: How great expectations in Washington are dashed in Oakland, Berkeley 1979.
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gerweise auch fur verwaltungspolitische Aktivitäten. Andere, ähnliche Ansätze in dieser Tradition suchen die Erklärung administrativer Veränderungen in interner bürokratischer oder Mikro-Politik 19 . Aus der Sicht moderner Organisationstheorien sind hier die Ansätze der symbolischen Anpassung oder sogar der heuchlerischen Organisationen zu nennen. Organisationen reagieren nach diesen Theorien auf hierarchische, top-down Veränderungsversuche vorrangig mit Veränderungen ihrer Fassade, während der organisatorische Kern unverändert bleibt 20 , wenn sie nicht sogar durch eine systematische Differenz zwischen „talk and action", zwischen dem was gesagt und dem was getan wird, als „organisation as hypocracy" gekennzeichnet sind 21 .
4. Isomorphismus und Diffusionstheorien Die letzte Kategorie umfasst Theorien, in denen Organisationsänderungen weder top-down angestoßen werden, noch von irgendeinem Akteur intendierte Ergebnisse zeitigen. In diese Ecke gehören einige der organisationswissenschaftlichen Großtheorien, also z.B. Lebenszyklustheorien, nach denen alle Organisationen bestimmte Zyklen einer Entwicklung durchlaufen 22, die anthropologische Kulturtheorie, nach der vier widersprüchliche institutionelle Formen in je unterschiedlicher Mischung organisationeilen Wandel erklären können 23 , oder auch die Theorie der Populationsökologie, nach der Organisationen sich mehr oder weniger zufällig aufgrund externer Anstöße verändern, allerdings auch mehr oder weniger gut an ihre Umwelt angepasst sind und ihre Entwicklung und ihr Überleben daher durch eine Art Darwinsche Auslese geregelt wird 2 4 . Aus der Sicht der modernen Organisationstheorie müssen hier fast alle soziologischen oder sozialwissenschaftlichen Institutionentheorien verortet werden 25, in denen organisatorische Veränderungen vor allem durch die Anpassung an Standards „angemessenen Verhaltens" erklärt werden. Organisationen verän-
19 J. Bogumil/J. Schmid , Politik in Organisationen: Organisationstheoretische Ansätze und praxisbezogene Anwendungsbeispiele, Opladen 2001. 20 J. Meyer/B. Rowan , Institutionalized Organizations. Formal Structure as Myth and Ceremony, in: American Journal of Sociology 83, 1977, S. 340-363. 21 N. Brunsson , The Organization of Hypocracy, New York 1989. 22 A. H. Vand de Ven/M.S . Poole , Explaining Development and Change in Organizations, in: Academic Management Review 3, 1995, S. 510-540. 23 C. Hood , The Art of State: Culture, Rethoric, and Public Management, Oxford 1998. 24 M. T. Hannan/J. Freeman , Organizational Ecology, Cambridge Mass. 1989. 25 Zur Übersicht siehe P. Α. Hall/R. C. R. Taylor , Political Science and the Three New Institutionalisms, in: Political Studies 44, 1996, S. 936-957.
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dem sich, weil sie sich legitimieren müssen, und dies geschieht z.B. durch mimetischen (normative Imitation als Reaktion auf Unsicherheit) oder normativen Isomorphismus (kognitive Imitation aufgrund von professionellen Standards) in organisatorischen Feldern, also die durch legitimierende Nachahmung erzeugte Diffusion bestimmter Leitbilder 26 . Auch der historische Institutionalismus, der Organisationsänderungen als pfadabhängiges, weitgehend prädeterminiertes Ergebnis historischer Vorentscheidungen interpretiert, wäre hier zu verorten 27. Schließlich können als bekannte politik- und organisationswissenschaftliche Ansätze, die allerdings bisher kaum systematisch auf verwaltungspolitische Veränderungsprozesse angewendet wurden, hier die klassische Inkrementalismustheorie, die von einen „partisan mutual adjustment" weitgehend unabhängiger Einzelakteure ausgeht28, sowie letztendlich auch die Garbage-Can Theorie verortet werden, die Organisationsänderungen als das situationsabhängige Zusammentreffen vorab vorhandener Lösungen, Probleme, Akteure und Entscheidungssituationen interpretiert 29.
V. Empirische Hypothesen Was bringt diese Fülle konkurrierender und zum Teil widersprüchlicher Erklärungsansätze? Zum einen kann und soll es in dem skizzierten Projekt nicht darum gehen, theorievergleichend vorzugehen, also herauszufinden, welche Theorie „die beste" ist und die zu beobachtende Wirklichkeit am überzeugensten oder auch nur am einfachsten und elegantesten erklärt. Stattdessen ist eine möglichst realistische und umfassende Beschreibung und Erklärung der zu beobachtenden Veränderungen das Ziel. Weiter ist daran zu erinnern, dass die meisten der vorgestellten Varianten zur Erklärung organisationellen Wandels keine ausgefeilten Theorien sind, sondern eher allgemeinere Ansätze. Theorien sind umso leistungsfähiger, je mehr sie in der Lage sind, Daten, die empirisch 26 P. J. DiMaggio/ W. W. Powell , The iron cage revisited: Institutional isomorphism and collective rationality in organization fields, in: American Sociological Review 48, 1983, S. 147-160; H. Wolman, Understanding Cross National Policy Transfers: The Case of Britain and the U.S., in: An International Journal of Policy and Administration, 1992, S. 27-45. Der „erzwungene Isomorphismus", also die externe Setzung verbindlicher Standards, wäre eher eine rationale Reformtheorie und damit im ersten Quadranten zu verorten, obwohl er selbstverständlich nicht notwendigerweise rational geplant und durchgesetzt wird und also auch im dritten Quadranten verortet werden könnte. 27 S. Steinmo/K. Thelen/F. Longstreth , Structuring Politics: Historical Institutionalism in Comparative Analysis, New York 1992. 28 CE. Lindblom , The intelligence of democracy: decision making through mutual adjustment, New York/London 1965. 29 M. D. Cohen/J. March/J. P. Olsen, A Garbage-Can-Modell of Organizational Choice, Administrative Science Quarterly 17, 1972, S. 2-15.
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erhoben werden müssten, durch theoretisch begründete Annahmen zu ersetzen 30 . Diesen Anspruch erfüllen die verschiedenen Erklärungsversuche nicht, es handelt sich stattdessen um Ansätze, die Hinweise für die Suche nach Erklärungen liefern. Genau so sollen diese Ansätze verwendet werden, in dem sie nämlich die Suche nach relevanten Veränderungen und deren Erklärungen strukturieren und einschränken, und in dem sie Konzepte zur Verfügung stellen, die einen systematischen Vergleich unterschiedlicher Länder und Politikbereiche weit über den engeren Bereich der Transformationsländer hinaus ermöglichen und damit die Kumulation von Wissen. Welche empirisch überprüfbaren Fragen und Hypothesen, die ausdrücklich nicht aus der Transformationsforschung kommen, lassen sich so formulieren und können die weitere Forschung anleiten? Die folgenden Hypothesen sind vor allem anhand der Ergebnisse der skandinavischen Studien über Internationalisierung von Verwaltungen und der aktuellen Diskussion über einen möglichen Europäischen Verwaltungsraum (European Administrative Space, EAS) 31 formuliert und werden dann durch erste empirische Ergebnisse aus den MOEStaaten illustriert: •
Der Veränderungsprozess der zentralstaatlichen Ministerialverwaltungen kann als Konvergenz an westliche Vorbilder beschrieben werden, aber es gibt unübersehbare Unterschiede.
Der Ressortzuschnitt ist in den MOE-Ländern in den Kernbereichen sehr ähnlich dem in Westeuropa, Unterschiede bestehen darin, dass häufiger ad hoc Ministerien für bestimmte Aufgabenbereiche geschaffen werden und wieder aufgelöst werden (z.B. in Polen Ministerium für Kommunikationsinfrastruktur oder Ministerium für Regionalentwicklung). Ein ähnliches Phänomen sind die häufig eingesetzten Regierungsbeauftragten für besondere Reformaufgaben, die direkt dem Regierungschef unterstellt sind. Dies ist damit zu erklären, dass Aufgabenbereichen eine besondere Relevanz eingeräumt werden soll. Eine weitere Erklärung ist natürlich, dass für Koalitionsparteien Ministerposten bereitgestellt werden sollen. Betrachtet man die interne Organisationsstruktur der Ministerien, so sieht man mit westlichen Vorbildern konvergente Strukturen, d.h. einen ähnlichen hierarchischen Aufbau (Minister - Staatssekretäre - Abteilungen - Referate) und auch eine vergleichbare Aufgabendifferenzierung der Abteilungen. Eine Besonderheit ist allerdings, dass die Differenzierung der Organisationsstrukturen zum Teil ausgeprägter ist als im Westen, dass Ministerien zum Teil sehr umfangreich sind. Überall gibt es eine politisierte Führungsebene, deren forma30
F. W. Scharpf Interaktionsformen. Akteurzentrierter Institutionalismus in der Politikforschung, Opladen 2000, S. 75. 31 Vgl. Olsen (Anm. 14).
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le Ausgestaltung allerdings (wie in westlichen Systemen) sehr unterschiedlich ist 32 . Die These von der Konvergenz an westliche Vorbilder trifft in weit eingeschränkterem Maße auf Koordinationsmechanismen innerhalb und zwischen Behörden zu. Formale Koordinationsmechanismen weisen eine große Ähnlichkeit mit denen innerhalb westlicher Exekutiven auf (Kabinettsausschüsse, Umlaufverfahren, Arbeitstreffen, Arbeitsabsprachen). Regelmäßige interministerielle Ausschüsse oder Projektgruppen sind eher selten. Allerdings spielen in MOE informelle Netzwerke und Kontakte eine größere Rolle als in Westeuropa. Der Grund hierfür liegt im Umstand des „Staatsneubaus" mit einer noch ständig wachsenden Zahl an Institutionen. Von Etabliertheit kann daher - noch - nicht gesprochen werden. Der Werte- und Kulturwandel innerhalb der Verwaltungen vollzieht sich eher im Gefolge des Generationenwandels, vor allem in der jüngeren Generation von Mitarbeitern finden sich ähnliche Einstellungen und ein ähnliches Selbstverständnis (professionelles und neutrales Beamtentum, Bürger- und Kundenorientierung, Interesse an effizienten Abläufen) wie das westlichen Bürokraten unterstellte. Allerdings existieren gerade im Hinblick auf Normen und Werte wesentliche Unterschiede zwischen altem und neuem Personal und auch zwischen Politikfeldern (im Telekommunikationsbereich herrscht eine auffällige Orientierung an Output und an Professionalität und Fachwissen der Verwaltungsmitarbeiter im Gegensatz zum Landwirtschaftsbereich). Aber auch in jungen Mitarbeitern perpetuieren sich „alte" Denkweisen, was u.a. mit dem konservativ ausgerichteten Bildungssystem erklärt wird, aber auch damit, dass die „Gewinner" der Transformation im Allgemeinen in die Privatwirtschaft gehen und die „Verlierer" sich eher im öffentlichen Dienst wiederfinden. Das birgt die Gefahr einer Barriere gegenüber jeglichen Veränderungen. Insgesamt geht der Trend zu einem eher kontinentalen Beamtentum, das der Vergangenheit zum Trotz professionell und unabhängig sein möchte, skeptisch gegenüber Politisierung ist und auf starke Führung durch die Legislative baut. Spezifische Probleme des Personals bedingt durch Legacies und Transitionsturbulenzen betreffen Bereiche wie Frustration, Ethos, Hierarchiedenken, Entscheidungshemmung, geringer gesellschaftlicher Status, Fluktuation, negative Einstellungen zu Leistungs- und Managementfragen und damit letztendlich brain drain. Folge ist ein verstärktes Greifen personeller Netzwerke und das Phänomen der „two-speed-organisation". •
Es gibt kein einheitliches westliches Referenzmodell, das als Vorbild isomorphischer Anpassungen dienen kann.
32
Siehe H. Wollmann in diesem Band.
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Auf der einen Seite findet man Old Public Administration (OPA), also die Orientierung an Regeln und Standards einer weberianischen Bürokratie (funktionale und hierarchische Arbeitsteilung, professionelle Laufbahnen, Ethos des öffentlichen Dienstes, Prinzipien der Legalität, Unparteilichkeit, Objektivität und Regelgebundenheit). Die Orientierung an der weberianischen Bürokratie ist vorherrschend gerade bei Vertretern der „älteren" Generation, d.h. der schon zu kommunistischen Zeiten im Staatsapparat Tätigen. Sie herrscht erstaunlicherweise auch vor in Staaten wie Estland und der Slowakei, die keine bürokratischen Hürden wie die alten Nationalstaaten mit ihren langen Traditionen und spezifischen Administrationskulturen zu nehmen hatten, um die Verwaltung aufzubauen. Vorherrschend ist insbesondere die Vorstellung neutraler, unpolitischer Expertise. Insgesamt geht der Trend eher in Richtung kontinentaleuropäischer Verwaltungsmodelle (und, wo möglich, auf die eigenstaatliche Zwischenkriegszeit). In den ersten Jahren der Transformation war zwar der „schrumpfende Staat" ohne einen „altmodischen" öffentlichen Dienst in vielen Ländern populär, einflussreiche Ideen bezüglich der Übernahme von neueren Management Methoden kamen v.a. aus UK, dennoch bleibt insgesamt die Struktur und der Aufbau des öffentlichen Dienstes i.d.R. traditionell kontinentaleuropäisch. Reformen aus dem Bereich New Public Management (NPM), also Autonomie, Flexibilität, Kundenorientierung und Leistungsorientierung, finden bisher nur in marginalem Ausmaß Anwendung. Tendenzen in diese Richtung gibt es eher in modernen als etablierten Behörden (eher Telekommunikationsregulierungsbehörde, kaum in der LandwirtschaftsVerwaltung). Die Orientierung an diesen Methoden wird häufig „von außen" in die Ministerialbürokratie hereingetragen. Dies geschieht einerseits durch Mitarbeiter der Leitungsebene (Verwaltungschefs oder Abteilungsleiter), die Managementerfahrungen in der Privatwirtschaft haben, anderseits durch Institutionen wie z.B. das Amt für den öffentlichen Dienst in Polen, das die Einführungen eines modernen öffentlichen Dienstes zur Aufgabe hat und nicht zuletzt deren externe Berater. Hier kann man daher von einer hierarchischen, geplanten Reformstrategie sprechen, die in der Praxis - wie zu erwarten - deutlich ihre Grenzen hat. 0
Überkommene Praktiken und informelle Orientierungen sind robuster als formale Organisationsstrukturen und neue Aufgabenzuweisungen.
Die Anpassung formaler Organisationsstrukturen ist durch den Druck der anstehenden bzw. sich neu ergebenden Aufgaben (im Landwirtschaftsbereich v.a. im Zuge der EU-Integration, im Telekommunikationsbereich im Zuge der Liberalisierung der Märkte) unumgänglich. Im Bereich der nachgeordneten Behörden sind bestimmte Organisationseinheiten (z.B. eine Stelle für internes Audit) sogar in hohem Maße durch die Richtlinien der EU vorgegeben. Inwieweit diese Veränderung sich aber auf Praktiken und Normen erstrecken, ist bisher schwer einzuschätzen und eher unwahrscheinlich. Wenn, dann in eingeschränktem Maße vor allem auf dem Wege des Generationswechsels und durch die
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Rekrutierung von Personal, das Erfahrung außerhalb der Staatsverwaltung besitzt. •
Demokratisch legitimierte (top-down) Verwaltungspolitik kann die Veränderungsprozesse nicht adäquat beschreiben.
Es gibt zahlreiche Beispiele für geplante Reformstrategien, z.B. die Verabschiedung von Gesetzen zum öffentlichen Dienst, in Polen sogar die Einsetzung eines Amtes für den öffentlichen Dienst, das u.a. mit Hilfe der in den Ministerien und Ämtern etablierten apolitischen Verwaltungschefs dieses Gesetz umsetzen soll. Die Implementierung dieser Gesetze ist allerdings äußerst fraglich, politische Stellenbesetzungen und Stellenbesetzung außerhalb der gesetzlich vorgegebenen Regeln und Wettbewerbe sind eher die Regel. Insbesondere die Rolle des Rechts ist in diesem Zusammenhang sehr skeptisch zu beurteilen. In MOE gab und gibt es einen enormen Bedarf an neuen Gesetzen, dem zumeist in einem Tempo entsprochen wurde, für das die Entwicklung eines demokratischen Rechtsgefüges Jahrzehnte benötigt. Die sich bietende Modernisierungschance wurde bewusst als Mittel ergriffen, Veränderungen durch formelle Normen unumkehrbar zu machen - auch hier also ein klassisch-kontinentales Rechts Verständnis. Die Gefahr ist dabei ein legalistisches Vorgehen, das die Implementationsfähigkeit mehr oder weniger bewusst ignoriert, herrschen doch im Gesetzestext „ideale Zustände". Die mit heißer Nadel gestrickten Gesetze erweisen sich in der Praxis oft als unanwendbar und illusorisch. Dadurch wird das System „an sich" diskreditiert. Halb-legalen Praktiken, ohnehin ein generelles Problem von Transformationsgesellschaften (weil während der kommunistischen Ära gängige Praxis), wird Vorschub geleistet, ja sie werden quasi-legitimiert. Bedeutende organisatorische Veränderungen finden daher oft in Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen statt, sie entsprechen damit eher inkrementalen Veränderungen. Auch Beispiele für Bureau Shaping und Budget Maximizing lassen sich finden. Zu denken ist hier an das Wachstum der landwirtschaftlichen Agencies in Polen, die den Löwenanteil des polnischen Landwirtschaftsbudgets umsetzen. Schließlich sind Reformen der öffentlichen Verwaltung ein (zu) häufig angewandtes Mittel neuangetretener Regierungen, Veränderung zu signalisieren. Die dadurch beinahe permanent verunsicherte Mitarbeiterschaft läst allerdings an einem etwaigem Nutzen zweifeln, negative Auswirkungen, z.B. ein verbreiteter Zynismus oder eine rituelle Anpassung, erscheinen größer als positive. •
Mimetische und normative Isomorphic in abgegrenzten Politikfeldern spielt eine eingeschränkte Rolle. Wenn sie beobachtet werden kann, führt dies oft nur zu symbolischer Anpassung.
Von Beispielen mimetischer Isomorphic, also der Nachahmung normativer Standards „guten Regierens", kann man nur sehr eingeschränkt sprechen. Dies ist auch darin begründet, dass es sowohl im Bereich der Verwaltungsstrukturen
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als auch bei Modellen des öffentlichen Dienstes keine einheitlichen westlichen Vorbilder gibt. Veränderungen in MOE orientieren sich daher an ganz unterschiedlichen Modellen. Diese Tendenz wird verstärkt, weil Berater (z.B. im Rahmen von Twinning-Projekten) aus unterschiedlichen Ländern in den Verwaltungen tätig sind. Die Reformer in MOE tragen so eklektizistisch Elemente aus verschiedenen westlichen Modellen zusammen und orientieren sich darüber hinaus noch an eigenen Vorkriegserfahrungen und tagesaktuellen Bedürfhissen bzw. politischen Machbarkeitserwägungen. Wenn Organisationsstrukturen im Ergebnis konvergent zu westlichen Strukturen sind, so ergibt sich das eher zwangsläufig aus Anforderungen bestimmter Aufgaben als geplant oder aufgrund bewusster Nachahmungsstrategien. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man nicht Verwaltungsstrukturen, sondern Praktiken betrachtet. Im Rahmen der rechtlichen Anpassung an Vorgaben der EU muss formal der gesamte acquis communautaire übernommen werden, aber bisher werden Gesetze nur schleppend implementiert bzw. mit entsprechenden Durchführungsvorschriften versehen. Informelle Praktiken außerhalb des gesetzlichen Rahmens bleiben weiter dominant (z.B. bei öffentlichen Ausschreibungen). Der übernommene Modernisierungsjargon darf nicht mit veränderten Praktiken verwechselt werden. •
Anforderungen aus internationalen Kontexten setzen Veränderungen der Verwaltungsstrukturen in Gang, aber determinieren sie nicht. Konkrete Veränderungen sind entscheidend durch nationale Machtverhältnisse bestimmt.
Selbst notwendige Anpassungen an internationale Regulierungsvorgaben und EU-Rechtsvorschriften (z.B. im Bereich der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes oder der Etablierung landwirtschaftlicher Behörden) finden oft mit erheblicher zeitlicher Verzögerung statt. Dies lässt sich durch die personelle Unterausstattung der Verwaltung erklären, ist aber auch dadurch bedingt, dass Veränderungen im nationalen politischen Kontext umgesetzt werden müssen. Reformwillige Akteure sind durch politische Machtverhältnisse und Obstruktion, durch Interessengruppen, Parteien oder auch Unternehmen beschränkt. Insbesondere auch Eigeninteressen der Institutionen, die der Veränderung bedürfen, spielen eine Rolle. Kompromisse müssen daher mühsam ausgehandelt bzw. mittels entsprechender Koalitionen durchgesetzt werden. •
Es gibt erhebliche Varianzen zwischen Politiksektoren (etablierte Sektoren mit Interessenidentität zentraler Akteure sind resistenter gegenüber Veränderungen - Beispiel Landwirtschaft - als neue Sektoren mit starker professioneller Orientierung - Beispiel Telekommunikation).
Unterschiede zwischen Politiksektoren sind vor allem im Bereich der Normen und Einstellungen und der Anforderungsprofile an die Qualifikationen des Verwaltungspersonals wahrnehmbar. Hier ist zu verweisen auf die bereits erwähnte Orientierung an Output, Professionalität und Fachwissen der Mitarbeiter im Telekommunikationsbereich. Auch die Offenheit für moderne Management-
Entwicklungen der Ministerialverwaltung in Mittel- und Osteuropa
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techniken ist hier größer. Des Weiteren ist ein zuverlässiger Indikator für die Bedeutung eines Sektors die Gehaltskala der Beschäftigten. Inwieweit sich diese Unterschiede auch auf Veränderungen der Organisationsstrukturen erstrecken, ist schwer einzuschätzen, da sich die zu verwaltenden Sektoren stark unterscheiden und die aktuell anstehenden Aufgaben einander diametral entgegenstehen (Durchsetzung der Marktliberalisierung im Telekommunikationsbereich und Einführung einer regulierungsintensiven Subventionspolitik im Landwirtschaftsbereich). Strukturelle Probleme, wie z.B. Unterfinanzierung und personelle Unterausstattung insbesondere der Ministerien, sind allerdings beiden Politikbereichen gemeinsam. •
Es gibt keine mechanische Pfadabhängigkeiten, aber systematische Varianzen zwischen den untersuchten Ländern. Das institutionelle Erbe wirkt wie ein „Treibanker", allerdings gibt es „
Emphasis on civil society and "governance" issues, backed broadly by donor community (with strong presence of the World Bank and the InterAmerican Development Bank). International assistance policies to public sector reform in Latin America - a century of slow progress
During the last 20 years, similar to other development agencies, the Bank has changed considerably its perceptions on the role of the state in overall development. In line with early requirements of managing structural adjustment policies jointly with the IMF, the state in Latin America, and public administration, were largely seen as a problem rather than as a solution for the debt crisis. In fact, overly strong state interventionism and enlargement of the Latin American state were mentioned among the main factors causing excessive indebtedness. The main objectives during these years, also shared by the IMF, were "privatization" and "downsizing the state". Both measures had complementary functions towards cutting costs and reducing budget deficits. Whereas privatization meant getting the state out of the production of goods and services in which others could do better and at less cost, downsizing (or "rightsizing") meant reducing the size of the civil service, i.e. firing non-essential staff. But there has always been a parallel view in Washington's financial development institutions, especially stressed by those that had to carry out structural adjustment in practice. Effective implementation of such policies, rather than a "minimal state", required quite the opposite, namely a competent civil service
The World Bank's Assistance to Public Sector Reform in Latin A m e r i c a 6 3 5
and a better performing public administration, i.e. a decisive strengthening of the state. Given the overall need of sound debt management and debt reduction, the ministries of finance, and financial management units within core ministries were the first, and primary, targets for such institutional strengthening operations. Civil service reform initiatives accompanied such efforts. In essence, the Bank asked governments to do "more with less", i.e. to improve operational efficiency and policy making with less staff and, in particular, with less interventionism in areas where the state had no comparative advantage vis-à-vis nongovernmental organizations and the private sector. In its 1999 thorough review of 124 projects supporting civil service reform (CSR) in 32 countries (the only review of its public sector reform projects), the Bank's Operations Evaluation Department (OED), however, came up with fairly shocking conclusions stressing that "Bank-supported CSRs were largely ineffective in achieving sustainable results in downsizing, capacity building, and institutional reform (...) Downsizing and capacity building initiatives failed to produce permanent reductions in civil service size and to overcome capacity constraints in economic management. (...) The Bank's approach was too technocratic; it relied on small groups of interlocutors within core ministries and promoted one-size-fits-all CSR blueprints in diverse country settings" (Memorandum to the Executive Directors and the President, 27 April 1999). During the early 1990s, the successes of "new public management" (NPM) practices in New Zealand and Australia as well as in the UK - precisely in the areas of financial management and budgetary control, but also due to NPM's clear emphasis on policy outputs and results - inspired a considerable amount of task managers and upper management to follow similar policy advice in their "client" countries. Interestingly, the promoters pushing decisively such policy directions within the Bank were often staff and high-caliber consultants that had former work experience in NPM "pioneering" countries, some even in leading positions. In Latin America, such policy advice, supported by the Bank in a somewhat optimistic fashion, lead to numerous project components highlighting "budgeting for results", incentive-driven public policies, performance related pay, and other NPM related reforms. Despite their high profile on paper, and in public debates, most of these measures, however, were largely kept at experimental stage, and never really gained significance in Latin America's day-to-day public administration. There was also increasing concern, as the Bank's 1997 World Development Report "The State in a Changing World" stressed, that most client countries lacked the sound institutional underpinnings, and administrative capacity, required for NPM measures to work in practice. Instead, the notion of a "capable state", to be achieved by enhancing the state's relationships towards the private sector and civil society, and, above all, the need to curb corruption, became more prominent features, eventually marking another significant shift in Bank policies. Had the Bank formerly been regarded a-political, and narrowly focusing on
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Harald Fuhr
economic development, this report (as well as its anticorruption agenda) discussed state reform in an overall societal context, and stressed a variety of political factors and incentives as critical to the performance of a country's public sector (see World Bank 2000a, 2000b). Both policy debates as well as de facto operations, consequently, highlighted the need to involve civil society actors, and NGOs, as well as private sectors in public decision-making, and to eventually improve governance. Although the term "governance" (here more broadly defined as the quality of government management towards achieving desirable developmental outcomes) had already been used in the early '90s, and in the context of structural adjustment, its political connotation was stressed only towards the end of the decade. During these years, the Bank supported numerous initiatives in Latin America to improve dialogue among governments and citizens on the one side, and its private sectors on the other. The Bank also opted for a new strategy to define its country assistance strategy (CAS), now stressing participation as an overall objective, and the inclusion of NGOs and other relevant sectors within their client countries. Towards the end of the 1990s, the agenda of the Bank, both in terms of policies and operations, had considerably broadened4. Its public sector operations now included financing technical assistance and policy advice to enhance judicial reform, lending for sub-national public entities (at state or provincial level), city development strategies, and a new type of adjustment lending for public sector reform. The Bank's experts in public sector management during the 1990s - quite similar to staff in other international development agencies - had clearly made a long journey from the "minimal state" to "new public management" and to the "capable state". They had learned about the complexity of public sector reform in Latin America, on what works more likely in assistance policies, and what does not. Yet, instead of phasing out some operations in favor of others, and e.g. specializing on some of those policies where success was most noticeable, the institution seemingly started adding new items to its list of lending programs. Hence, for example, "traditional" financial management operations (stressing technology and control) coincided with NPM-oriented oriented financial management operations (stressing incentives and performance), which in turn were accompanied by selective measures of participatory budget management (stressing involvement of citizens, especially at the local level). While such diversity may look attractive, at times even demand driven, such accumulation has seri4
A good example for a politically more sensitive view of state and public administration, and on the options for technical assistance, is LAC's report on Bolivia "From Patronage to a Professional State: Bolivia Institutional and Governance Review" (25 August 2000). See, more generally, World Bank 2000b.
The World Bank's Assistance to Public Sector Reform in Latin A m e r i c a 6 3 7
ous flaws. Unless such approaches tacking similar shortcomings in public administration with different means are properly assessed over time, sorted out and prioritized according to lessons learned and "comparative advantages", they may turn out to be counterproductive, and costly, in terms of resources spend, both in the Bank as well as in client countries. Given the billions of dollars spent for public sector reform in Latin America throughout the 1990s, one would expect assistance projects well beyond experimentation stage, and be assessed, as the Bank itself points out, in terms of "results on the ground". Clearly, such rising number of approaches also raises the question i f both the number and qualifications of staff are still adequate.
IV. Learning from practice is constrained Throughout the 1990s the Bank has continuously broadened its scope to public sector reform, now including a variety of new instruments, and the "soft issues" mentioned. Even politically sensitive approaches were added, bringing the Bank way beyond its initial hands-off politics behavior. There are four institutional factors, however, that seriously limit its effectiveness in public sector lending. First, one needs to clearly distinguish between units in the Bank that work conceptually on policies for PSM - such as the "public sector anchor" within the Bank's network for Poverty Reduction and Economic Management (PREM) - and those units that really work on, and implement, PSM operations in the regions, such as Latin America. In addition, there is the World Bank Institute (WBI), which is responsible for disseminating experiences in public sector reform, and for joint learning with client governments and their staff. Despite excellent contacts to research institutes, academic think tanks and policy makers, despite high-quality conferences and publications on institutional development, and despite an enormous richness of knowledge on practical experiences in public sector reform in client countries, those units don't work together smoothly. As our research indicates, outputs form research and conferences are rarely used in practice, and practical conclusions rarely find their way into conceptual work. And since this latter link is weak, efforts to disseminate knowledge by W B I are held back as well. Knowledge resources generated by research and practice - a unique feature of the Bank's business strategy - thus flow within independent channels, and remain underutilized. Second, institutional learning from assistance to public sector reform in Latin America remains weak. Paradoxically, the most important instrument with the potential to draw "lessons learned" from Bank projects - such as Project Completion Reports (PCRs) or (now) Implementation Completion Reports (ICRs) are rather perceived as a ritual, and a burdensome exercise to be delegated to lower level staff or short term consultants, than as an option to manage know-
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Harald Fuhr
ledge from the field effectively. The reasons for the low attractiveness of these reports are various: (i) little amount of budget resources allocated to carry out reviews; (ii) staff discontinuity during the lifetime of a project (on both the Bank's and the recipient's side) makes reviews difficult; and (iii) little interest to analyze problems during implementation thoroughly on both sides. Difficulties in reporting may also stem from the fact that some task managers, especially those managing a larger portfolio, are eventually asked to review their own projects. Hence, for many staff in the Bank it is still more attractive, and rewarding, to become committed to new projects than reviewing old ones. Despite recent initiatives to identify some ICRs as important for knowledge generation and dissemination ("Intensive Learning ICRs"), learning from the dozens of other projects is seriously constrained. Third, since public sector reform is a lengthy process, often requiring commitment to policy reform of several governments, sound follow-up work (and institutional memory) by task managers has always been crucial. Surprisingly, however, there was little emphasis on systematic debriefings of staff on their experiences in the field, and on practical procedures (e.g. on the politics) of implementing PSM operations. Since knowledge management - as the Bank clearly stresses - has a lot to do with managing knowledgeable people (Fuhr and Gabriel 2003), there are weaknesses in terms in overall PSM knowledge management, both at country level as well and in operations. Forth, with the number of new approaches and instruments added to project work, the Bank and, in particular, its task managers and team leaders risk conceptual overload (and "mission creep"). Moreover, some staff may not have sufficient expertise - let alone time - in dealing adequately with such dedicate issues as "listening to the poor" and establishing a firm dialogue with decision makers and local NGOs, each possibly embedded in specific political contexts. Assisting state reform in Latin America in all its branches and varieties is not just an issue that could be covered by a comparatively small number of staff 5. Although the Bank's administrative decentralization to selected Latin American countries has helped the dialogue with governments and citizens, most of the conceptual work is still done at headquarters in Washington D.C.. With complexity increasing, budgets and costs for project preparation, monitoring and supervision expanded as well. And with PSM operations still regarded somewhat risky, and disapproved in public opinion, there were considerable disincentives, for decision makers and staff, to operationalize what is recommended conceptually in other departments of the Bank.
5 LAC's Public Sector Group has some 15 professional staff. Despite its increasing volume of PSM lending, a budget overrun in LAC in FY 2000 led to a significant downsizing of the group in late 2000.
The World Bank's Assistance to Public Sector Reform in Latin America
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V. Lessons from the field Our review of the Bank's PSM projects in Latin America covered four areas: (i) Government policies and commitment; (ii) domestic management of reform and organizational arrangements; (iii) domestic institutional change; and (iv) Bank performance and policies. Since our research did not cover in-country field research, we were largely limited to reviewing Bank documents, such as appraisal documents, supervision reports, project correspondence, and evaluation reports, and to interviews with current and former task managers handling PSM projects in the region. A more general picture of this review is, that the Bank's assistance, throughout most of the 1990s, has been strongly tool-oriented in its approach, largely been managed top-down, and only recently been carried out with a better understanding of the politics of reform. The results in each of the above areas are as follows. Government policies and commitment State reform in LAC in general, and most Bank projects assisting such reform in particular, quite clearly, neglected the political dynamics of reform and, consequently, the need for a better fit of Bank interventions to government's policy cycles, i.e. the logic of government action and reaction. While this may hold for Bank assistance in general, projects that focus on reforming the state's core machinery, i.e. essential government functions and core public administration, are likely to be much more affected by politics than others. Hence, the timing of Bank interventions turned out to be critical. While most reforms in practice have spanned a decade or more, most projects seemed to assume that reforms of key public institutions could take place within a government's period in office, or within the timeline of a project. A typical vision often portrayed in appraisal documents departs from the vision of a quasi-homogeneous commitment of government officials to reforming public institutions. One afterwards finds in subsequent project documents that such commitment is perceived to be declining, with, usually, adverse effects on agreed-upon activities. Such perceptions, of course, neglect the political economy of reform and the rationale of government officials dealing with such reform. In formerly rent-driven public administrations with decision makers seeking to use resources and staff for both public and private purposes, there are also numerous obstacles to state reform within the bureaucracy itself, and "successful failures" to such reform (Fuhr 1998). Domestic management of reform and organizational arrangements. Public sector reform in Latin America, like elsewhere (see Pollitt and Bouckaert 2000), requires good management at the top level of government and a firm commitment to reform by leading government officials. It also requires dedicated efforts to establish and manage an effective policy dialogue with stakeholders both inside and outside the public sector, in particular with interest groups di-
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Harald Fuhr
rectly concerned (e.g. unions). Reviewing Bank documents, the dialogue part in public sector reforms has been particularly weak. Project coordination units (PCUs) often worked as "enclaves" within public administration. While each reform may start in a somewhat insulated environment, the challenge for those managing PCUs is precisely to gradually overcome "enclaving", and to ensure that new rules are adopted iteratively and jointly throughout the bureaucracy. Such institutionalisation, however, rarely took take place. Moreover, marketing public sector reform effectively, communicating well with staff, has been omitted largely, or came too late. Based on previous work, also in other development agencies (see e.g. Corkery et al. 1998), there are some general insights on what is needed for managing effectively PSM reforms. It is well known that (i) in-country capacity is key, but there is limited knowledge on how to build up and, in particular, sustain such capacity. We also know that (ii) political support over an extended period; (iii) a clear-cut strategy with priorities; (iv) clearly defined responsibilities and highlevel access to decision making; plus (v) ample involvement of participating entities and staff are of utmost importance. But there is often not sufficient knowledge on the mechanisms behind such processes, which would allow to better target such interventions and improve overall results over time. Domestic institutional change. The typical view of institutional change as portrayed in project documents refers to a rather mechanical process, at least throughout the 1990s: the Bank provides financial and technical inputs, plus "best practice" from abroad, thus helping and enabling decision makers to manage domestic institutional reforms effectively. Since those reforms are carried out by government officials, and by staff in PCUs, "strengthening" those groups is regarded of crucial importance. Strengthening, in turn, often means access to modern technology, and to better management tools, and has a little political connotation. Related to type of change assisted, one rarely finds a clear distinction between organizational change and institutional change. Most documents use these terms interchangeably and rarely highlight the fact that the latter term in fact stresses a more abstract change of rules (i.e. how areas within the public sector are managed), while the former would be more related to real staff interactions, new settings and management issues within such rule change. In most cases, task managers prefer organizational and management issues, again neglecting the politics of this process. One may stress, here, that with omitting politics one misses the more important story behind rule change, since sustainability and effectiveness of new institutional arrangements eventually depend on their acceptance and credibility by societal actors - with both likely to be higher in processes that ensure actors' participation in such change of rules. In general, the Bank's assistance projects during the first half of the 1990s concentrated strongly on downsizing which failed to a large extent, due to the political environment of public employment. Only recently more attention was given to upgrading service quality, and to human resources management, also to
The World Bank's Assistance to Public Sector Reform in Latin A m e r i c a 6 4 1
ensure that civil servants "own" the reform. But difficulties in pursuing such an agenda remain widespread. And while new types of governing and governance (way beyond the NPM agenda, i.e. in the exercise of authority, steering, and democracy) have emerged in several developed countries, and while the political background of institutional reform is well known in the Bank (e.g. in World Bank 1997: Ch. 9), such agenda has not yet been fully acknowledged in recent Bank operations. Bank performance and policies. Although the Bank would define its role as a developmental facilitator and catalyst, in the real world of project assistance in Latin America, the Bank's task managers were much more proactive. Reviewing the documents one finds that many task managers perceived themselves as "bringing" knowledge and resources to countries, and that they usually knew what the counterpart institution did not. They were the doers. Far from being absentee managers, and backed by their privileged access to decision makers, some became strongly involved in carrying out reform within their client countries. In other instances, task managers maintained a rather low profile, expecting "the Government" to move forward with its reform program, without fully recognizing why the government did not (or could not). Helping the government to "keeping the momentum of reform" was one of the activities mentioned frequently. Yet, the instruments and tactics described remained rather vague, and so did the assessment of the Bank's overall performance in many projects. Often Bank staff relied too heavily on a small group of interlocutors and decision makers; once they were replaced by politics or government change, assistance policies needed to start anew. While many shortcomings in project implementation seem "rational" in public administrations with entrenched systems of patronage and political favoritism, some projects seemingly were more successful, were able to overcome bottlenecks to PSM reforms, and to keep their momentum. Some of the key ingredients to such success were: (i) better analytical work upfront, and carried out jointly; (ii) better coordination of country-specific PSM efforts within the Bank; (iii) a politically sensitive and process-oriented (incountry) approach that encompasses (iv) iterative monitoring, learning and adjustment cycles; (v) an approach to PSM that focuses initially on priority areas (and then gradually broadens reform); (vi) broader consultative mechanisms and stakeholder involvement, and, sometimes, (vii) more intensive donor coordination and cooperation, both adaptive and creative. Unfortunately, such good practice was only insufficiently communicated within the Bank, let alone within Washington's development community.
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VI. Conclusions Well into second half of the 1990s, Bank support to public sector reform in Latin America was rather short-term and instrumental in its approach and thus somewhat disconnected from to the long-term, political process of de facto reforms that would, eventually, span several governments and decades. The Bank's policy advice followed a cycle ranging from a clear "antistatism" (during the mid 1980s) to a "downsizing and strengthening of the state" (late 1980s), to "new public management" (mid 1990s), to "improving state capability" and "anti-corruption" initiatives (second half of the 1990s), to eventually "improving governance" (since the late 1990s). While this sequence of policy advice largely reflects international thinking on public sector reform - which the Bank itself reinforced through research and publications - the major shortcoming in assisting Latin American governments over many years was the Bank's instrumental view of change and its neglect of the politics. Consequently, many lending projects failed to reach their sophisticated goals. Compared to the Bank's practical experience and its influential research, above learning process on public sector change was, indeed, very slow. Until the late 1990s, lessons from operations and from countries undergoing reform were not channeled adequately to research, nor were advanced research and thinking on institutional change in the Bank properly integrated into operations. The Bank's recent focus on improving governance has partly overcome such constraints, but would still need significant refinement for practical purposes. Seemingly, many of the Bank's economists are still not at ease with the political nature of state reform, and, consequently, with the "softer" measures to be considered, such as advising effectively within volatile political settings, and supporting consensus among stakeholders to agree upon "new rules of the game". Sure enough, some observers may ask i f the Bank has comparative advantage at all in dealing with such delicate matters, and i f it has, what it would imply for Bank procedures in the future.
References Corkery, J./Ould Daddah, TJ Ο 'Nuallain, C./Land, T. (1998), Management of Public Sector Reform. Brussels. International Institute of Administrative Sciences. Fuhr, Η. and Gabriel, J. (2003), „Wissensmanagement in der Entwicklungszusammenarbeit- das Beispiel der Weltbank", in: Edeling, Thomas u. a. (Eds.): Wissen smanagement in öffentlichen Institutionen. Leske and Budrich (in print) Fuhr, H. (1998), „Staatsreform und Verwaltungsmodernisierung - zur neuen Rolle des Staats in Lateinamerika", in: G. Maihold, et al. (Eds.): Demokratie und Zivilgesellschaft in Lateinamerika. Caracas: Nueva Sociedad.
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Harald Fuhr Table la and lb\ Latin America: Selected Governance Indicators
L a t i n A m e r i c a : Selected G o v e r n a n c e I n d i c a t o r s 2 0 0 0 / 2 0 0 1 Polity
Voice&Acc.
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Rule of L a w
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(-2,50 to +2,50)
(-2,50 to +2,50)
(-2,50 to +2,50)
(-2,50 to +2,50)
(-2,50 ro +2,50)
Oto 10
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0,15 1,08 -0,34
-1,06 -0,41 -0,79 -0,83 -0,53 0,63 -0,81
0,18 -0,47 -0,27 1,13 -0,38 0,74 -0,24 -0,94 -0,25 -0,63 -0,58 0,28 -0,73 -1,2 -0,35 0,61 -0,81
-0,36 -0,72 -0,02
10 7
0,55 -0,61 0,47 0,87 -1,36 1,08 0,46 -0,8 0,62 -0,77 0,25 0,06 0,31 -0,87 -0,23 1,05 -0,33
0,22 -0,41 -0,26 1,19 -0,77
10 8 6 7 8 7 8 8 7
0,57 0,27 0,53 0,63 -0,41 1,37 0,42 -0,14 0,21 -0,33 -0,04 0,12 -0,06 -0,7
LAC
7,9
0,20
0,04
-0,33
-0,23
-0,24
3,63
G-7
10
1,4
1,25
1,6
1,6
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7,8
Argentina Bolivia Brazil Chile Colombia Costa Rica DomRep Ecuador E l Salvador Guatemala Honduras Mexico Nicaragua Paraguay Peru Uruguay Venezuela
0,61 0,01 -0,76 -0,65 -1
Corruptioi
1,4 -0,39 0,87 -0,2 -0,98 -0,33 -0,69 -0,63 -0,28 -0,8 -0,97 -0,04 0,71 -0,59
3,1 2,3 3,6 2,9 2,7 3,7 2,4 4,1 5,1 2,8
Source: UNDP (2002: 38-41), based in part on Kaufmann, Kray, and Zoido-Lobatón 2002
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Chile
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Source: UNDP (2002: 38-41), based in part on Kaufmann, Kray, and Zoido-Lobatón 2002
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